Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/6/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Internationale Frauentag ist ein wichtiger Tag in jedem Jahr, um darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig das Thema Gleichstellung ist, wie wichtig es ist, für die Frauenrechte einzutreten, dass vom Thema Gleichstellung nicht nur Frauen profitieren, sondern dass all das, was wir da tun, allen in der Gesellschaft zugutekommt. ({0}) Wir haben am Mittwoch den Entwurf für eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung in die Ressortabstimmung gegeben. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass es so eine Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung, die mit allen Ressorts abgestimmt ist, gibt. Das ist ein wichtiger Schritt, um ganz klar zu sagen: Das ist ein Thema nicht nur fürs Frauenministerium, sondern für alle, die in der Regierung auf allen Ebenen Verantwortung tragen. ({1}) Wir wollen ermöglichen, dass Frauen die gleichen Chancen in Wirtschaft, in Politik, in Familien bekommen, dass sich Väter und Mütter gemeinsam um Kinder und Haushalt kümmern können, dass sie aber auch Familie und Beruf und auch Pflege und Beruf vereinbaren können. Das ist Gleichstellung, die unser Leben tatsächlich besser macht. Gleichstellung ist kein Naturgesetz. Wir müssen etwas dafür tun, damit wir weiterkommen. Wenn wir uns alleine den Anteil der Frauen im Bundestag ansehen – heute sind sie ja gut vertreten –, und zwar in der Gesamtheit, dann wissen wir, dass nur 31,2 Prozent der Abgeordneten Frauen sind. Das sind 6 Prozentpunkte weniger als in der letzten Legislaturperiode. Heute sitzen also 14 Frauen weniger in diesem Saal, wenn alle Plätze besetzt sind – und das, obwohl wir 79 Abgeordnete mehr als in der letzten Legislatur haben. Viele von Ihnen, die heute hier sind, kämpfen für Parität, für 50 Prozent der Macht in den Händen der Frauen ({2}) und 50 Prozent in denen der Männer, weil so ja auch die Verteilung in der Bevölkerung ist. ({3}) 50 Prozent der Mandate im Bundestag: Ich finde, das ist ein gutes politisches Anliegen. All diejenigen Parlamentarier, die sich dafür einsetzen, haben meine volle Unterstützung. ({4}) Aber Frauen sind nicht nur in der Politik unterrepräsentiert, sondern auch in Spitzenpositionen der Wirtschaft. Deshalb haben wir auch hier Handlungsbedarf. Deshalb habe ich gemeinsam mit Justizministerin Christine Lambrecht den Gesetzentwurf für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen so weit vorbereitet, dass wir ihn in die Ressortabstimmung geben konnten. Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft, weil wir glauben und davon überzeugt sind, dass wir das für Zukunftsfähigkeit brauchen, damit sich in Deutschland die Wirtschaft und die Gesellschaft gut entwickeln. ({5}) Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen. Auch der Bund muss hier zeigen, dass er etwas tut: Fifty-fifty auch in den Bundesbehörden, in den Führungspositionen des Bundes, das ist uns wichtig. ({6}) Wir sehen, dass überall da, wo Frauen in der Politik dabei sind und Verantwortung tragen, etwa in den Gemeinderäten – dazu gibt es eine aktuelle Studie –, plötzlich die Themen stärker behandelt werden, die für Frauen wichtig sind, dass die Ausgaben für die Kinderbetreuung um 40 Prozent schneller erhöht werden als in anderen Gemeinden. Das ist nur ein Beispiel. Aber es geht nicht nur um Frauen in Führung. Es geht auch und nach wie vor um den Kampf gegen Gewalt an Frauen. ({7}) Es geht darum, dass wir darüber reden müssen, dass viel zu viele Frauen von Gewalt betroffen sind. Das ist ein großes Thema. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir in diesem Jahr zum allerersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik das Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ aufgelegt haben. Es ist gestartet. Wir unterzeichnen die einzelnen Vereinbarungen mit den Ländern. Wir haben 120 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre zur Verfügung, um die Frauenhausinfrastruktur, um die Beratung zu verbessern und auszubauen. ({8}) Das ist ein wichtiger Schritt. Wir haben dieses Jahr 2020 ganz gezielt unter das Thema Gleichstellung gestellt. 2020 ist das Jahr der Gleichstellung. Wir bringen die Gleichstellungsstrategie des Bundes auf den Weg. Wir haben das Bundesprogramm gegen Gewalt an Frauen. Wir werden das Thema Gleichstellung zu einem Leitthema in der europäischen Ratspräsidentschaft machen. ({9}) Es ist wichtig, dass wir das auch europäisch diskutieren. Es geht nicht nur um die Themen, die ich genannt habe. Es geht auch und immer wieder um das Thema Entgeltgleichheit, um Transparenz, um die Fragen: Wie können wir die Lohn- und Rentenlücke angehen? Und: Wie können wir soziale Berufe endlich so aufwerten, dass sie adäquat bezahlt werden? ({10}) Der Internationale Frauentag ist ein guter Anlass, genau diese Themen auf die Agenda zu setzen. Aber es geht nicht nur darum, die Frauen zu feiern, sondern auch darum, fordernd daran zu erinnern, dass es noch viel zu tun gibt, um Unterstützung zu generieren und um viele Menschen an Bord zu holen. Dazu dient heute auch diese Debatte; dafür bin ich sehr dankbar. Lassen Sie uns das gemeinsam denken. Lassen Sie uns das auch in der Form denken, dass Gleichstellung immer nur in Partnerschaftlichkeit funktioniert. Wir brauchen auch die Männer, die sich für dieses Thema engagieren. ({11}) Deshalb auch ein ganz klarer Appell an die Männer, die das tun müssen, weil sonst Gleichstellung nicht funktionieren wird. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Mariana Harder-Kühnel, AfD. ({0})

Mariana Iris Harder-Kühnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004736, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Weltfrauentag bietet in jedem Jahr die Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Was hat sich für Frauen und Mädchen in Deutschland verändert? Was zum Guten, was zum Schlechten? Gut und richtig ist, den Kampf der Frauen für Gleichberechtigung und die mit diesem Kampf erzielten Erfolge in Erinnerung zu rufen: das Frauenwahlrecht, die Freiheit und die Emanzipation der Frau, die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung. Aber damit meine ich echte Gleichberechtigung im Sinne von Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen, keine Gleichstellung. ({0}) Chancengleichheit muss selbstverständlich gegeben sein; da sind wir uns alle einig. Chancengleichheit bedeutet aber nicht, dass der Staat in typischen Männerberufen, in sämtlichen Gremien und Parlamenten und in sozialistischer Manier eine Frauenquote von 50 Prozent erzwingen muss. ({1}) Chancengleichheit bedeutet vielmehr, dass es Frauen und Männern in ihrer freien Entscheidung möglich sein muss, all diese Tätigkeiten ausüben zu können, wenn sie das möchten. ({2}) Sie hingegen machen Frauen da zu Opfern, wo sie gar keine sind, schweigen aber dröhnend laut dort, wo Frauen zunehmend zu Opfern werden. ({3}) Sie führen einmal mehr Phantomdebatten. Ihnen geht es um die gendergerechte Verhunzung der deutschen Sprache. Ihnen geht es um Unisextoiletten. Ihnen geht es um Frauenquoten sogar bei Straßennamen. ({4}) Früher hat uns die ganze Welt um unsere Dichter und Denker und um unsere Ingenieurskunst beneidet. Und heute? ({5}) Heute lacht man uns aus, weil wir Millionen an Genderinstitute verpulvern, die an der Entwicklung eines 71. Geschlechtes basteln. ({6}) Ihr Kampf für Gleichberechtigung ist längst zu einem Kampf um Privilegien verkommen. Sie fordern Frauenquoten, aber bitte nur in Wohlfühlberufen: Quoten für Lehrstühle an der Uni, Quoten in Aufsichtsräten großer Unternehmen, Quoten in hohen Managementpositionen. Warum fordern Sie eigentlich keine Frauenquoten bei Militäreinsätzen im Ausland, nicht beim Bau oder bei der Müllabfuhr? ({7}) Ihre Quotenforderung ist nichts anderes als die für Sie typische konformistische Rebellion, ({8}) eine Rebellion, die in Wahrheit gar keine ist. Es ist kostenfreier Gratismut. Sie ecken nirgendwo an, wo es wehtun könnte. Sie spielen Rebell in sicherem Wissen, die Medien und den politischen Mainstream auf Ihrer Seite zu haben. Und Sie schmücken sich dann mit so edlen Begriffen wie „Haltung“, „Mut“ und „Zivilcourage“. Meine Damen und Herren, Zivilcourage bedeutet aber nicht, mit dem Mainstream einfach mitzuschwimmen, sondern sich, wenn nötig, diesem Mainstream entgegenzustellen, ({9}) und das tut in diesem Land nur eine Partei, und das ist die AfD. ({10}) Wo ist denn Ihre Zivilcourage, wenn in deutschen Städten wie auf der Kölner Domplatte zahllose Frauen Opfer von Sexualdelikten werden? ({11}) Wo ist Ihr Mut, wenn es darum geht, klipp und klar die wahren Ursachen für zunehmende häusliche Gewalt, Zwangsheiraten, Genitalverstümmelungen, Kinderehen und Ehrenmorde zu benennen? Wo ist Ihre Haltung, wenn es darum geht, Frauen vor einer Unterdrückung durch Menschen aus patriarchalischen Gesellschaften zu schützen? Da hört man aus Ihrer Ecke zumeist erstaunlich wenig. ({12}) Nein, Sie haben eben keine Zivilcourage. Ja, Sie haben eine Haltung, aber leider die falsche. Und nein, Sie sind nicht mutig, weil Sie den Mund immer dann halten, wenn Sie ihn eigentlich zwingend aufmachen müssten. ({13}) Und ja, wir brauchen eine neue, ehrliche Debatte über Frauenrechte. Frauenrechte zu stärken, ist aktuell wichtiger denn je. Dabei geht es aber nicht um Genderwahn oder darum, wie man Eltern politisch korrekt nennt. Nein, vielmehr geht es darum, dass wir Frauen in Deutschland des 21. Jahrhunderts uns das Recht zurückerkämpfen müssen, angstfrei und ohne männliche Begleitung auf die Straße gehen zu können. ({14}) Es geht darum, echte Wahlfreiheit zu haben als Frau und als Mutter und sich auch für drei Kinder und mehr entscheiden zu können, ohne sich einem Armutsrisiko auszusetzen. Es geht darum, dass Frauen und Mädchen sich so kleiden dürfen, wie sie möchten, dass sie nicht schon als kleine Kinder Kopftücher tragen müssen, die ein freies Rennen, Spielen, Schwimmen geradezu unmöglich machen und die die Unterdrückung der Frau von Kindesbeinen an zur zweiten Haut werden lassen. Es geht darum, dass Frauen und Mädchen alle Bildungsangebote wahrnehmen dürfen. ({15}) Chancengleichheit – Sie erinnern sich – insbesondere auch für Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund. Es geht darum, importierte patriarchalische Strukturen wieder aufzubrechen. Es geht um Nulltoleranz bei der zunehmenden Gewalt gegen Frauen, ({16}) Nulltoleranz, egal ob bei häuslicher Gewalt, Kinderehen, Zwangsheiraten oder Genitalverstümmelungen. Wo bleibt bei diesen Themen Ihr lauter Aufschrei? Wo? Durch Ihr politisch korrektes, kultursensibles Schweigen machen Sie sich mitschuldig, ({17}) mitschuldig daran, dass die über Jahrhunderte hart erkämpften Freiheiten der Frauen in Deutschland schleichend immer weiter eingeschränkt und gefährdet werden. Viele Frauen und Mädchen trauen sich abends nicht mehr allein zum Joggen oder auf die Straße, meiden bestimmte Stadtteile. Schwimmbadbesuche werden zum Spießrutenlauf. Das ist leider die bittere Realität für Frauen in Ihrem besten Deutschland, das es je gab. ({18}) Aber Sie stören sich lieber daran, dass es immer noch Gentlemen gibt, ({19}) Männer, die Frauen aus dem Mantel helfen, die Frauen die Tür öffnen, die Frauen im Bus ihren Platz anbieten. Viele von Ihnen halten solche selbstverständlichen Freundlichkeiten für eine patriarchale Anmaßung, für das Ergebnis eines patriarchalen Frauenhasses, wo es doch nichts anderes ist als eine tradierte Ehrbekundung des Mannes an die Frau. ({20}) Meine Damen, nicht der alte weiße Mann ist der Feind der Frauen im 21. Jahrhundert. Es ist Ihre utopiebesoffene Multikultipolitik, ({21}) deren Folgen für viele Frauen zum realen Albtraum werden. ({22}) Und wenn man die neuesten Bilder von den Gewalttätigkeiten an der griechisch-türkischen Grenze sieht, ahnt man noch Übleres auf uns zukommen. Es wiederholt sich gerade das, wovor wir als Einzige immer gewarnt haben. Und es sind erneut die Frauen hierzulande, die das ausbaden müssen. Mein Appell an Sie: Beenden Sie endlich Ihren konstruierten Kampf der Geschlechter! Männer sind nicht unsere Gegner, sie sind unsere Partner. Lassen Sie Leistung und Qualifikation entscheiden, keine Quoten! Denn keine Frau möchte als Quotenfrau abqualifiziert werden. ({23}) Hören Sie auf mit Ihrem Kampf gegen die Natur! Lassen Sie Frauen als Frauen und Männer als Männer glücklich sein! Öffnen Sie endlich die Augen für die Probleme der Frauen in Deutschland! Ansonsten machen Sie sich weiterhin mitschuldig. Und ich bezweifle sehr, dass kommende Generationen Ihre Politik noch bejubeln werden. Kehren Sie stattdessen zu den Kernzielen echter Frauenrechtlerinnen zurück: Freiheit, Sicherheit, Schutz vor Gewalt, Gleichberechtigung. ({24}) Damit haben Sie im Deutschland des 21. Jahrhunderts leider genug zu tun; denn all diese mühsam erkämpften Rechte der Frauen sind aufgrund Ihrer Politik in höchster Gefahr. ({25})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön, CDU/CSU. ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Das Jahrzehnt der Frauen“, das haben rund um den Jahreswechsel gleich mehrere Zeitschriften und Zeitungen getitelt. Die 20er-Jahre – das stehe fest – würden das Jahrzehnt der Frauen: Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin, Jennifer Morgan als erste Frau im Vorstand des größten deutschen Softwarekonzerns, Christine Lagarde als Chefin der EZB. Ja, das sind gute Entwicklungen. Die 20er-Jahre können wirklich das Jahrzehnt der Frauen werden. Aber wir haben auch bedenkliche Entwicklungen: Nach wie vor stirbt jeden dritten Tag eine Frau an den Folgen von Gewalt. Der Frauenanteil in deutschen Parlamenten und Räten nimmt eher ab als zu. Mobiles Arbeiten und Homeoffice, die digitale Welt, bieten ganz große Chancen, können aber auch leicht zum Karrierekiller für Frauen werden, nämlich dann, wenn vor allem derjenige beste Karrierechancen hat, der lange im Büro sitzt. Frauenbilder, die über soziale Netzwerke und Plattformen vermittelt werden, sind leider oft stereotyp und oft auch sexistisch. Und dass die neue digitale Welt in Start-ups und Tech-Unternehmen mehr von Männern gestaltet wird als von Frauen, wird nicht nur im Silicon Valley mittlerweile als Problem erkannt. Wir sehen also: Es ist keine Zwangsläufigkeit, dass die 20er-Jahre das Jahrzehnt der Frauen werden. Wir haben eine Verantwortung als Politik und als Gesellschaft. ({0}) Machen wir die 20er-Jahre zu einem Jahrzehnt der Frauen in der Politik. Die aktuelle Situation kann uns nicht zufriedenstellen. Im Bundestag liegt der Frauenanteil bei 31 Prozent, in den Führungsetagen der obersten Bundesbehörden bei 36 Prozent. Für die Verwaltung sieht das Bundesgleichstellungsgesetz vor, dass Frauen und Männer gleichberechtigt in Führungspositionen vertreten sind. Hier müssen auch wir als Bund mit gutem Beispiel vorangehen. ({1}) Auch im Parlament wünschen wir uns eine paritätische Aufteilung. Deshalb finde ich es schade, dass wir uns nicht darauf einigen konnten, wie wir es besprochen hatten, eine Kommission – in diesem Fall eine Enquete-Kommission – einzusetzen. Aber die Hauptverantwortung liegt natürlich bei den Parteien. Hier gibt es einiges zu tun. Das kennen wir alle aus unserer tagtäglichen Arbeit vor Ort. Es gilt, Strukturen zu ändern. Wir brauchen eine andere Ansprache für Frauen. Wir brauchen Offenheit, eine Kultur der Offenheit in unseren Räten, in unseren Ortsverbänden. Wir müssen Frauen ermutigen, mitzumachen, gemeinsam mit uns die politische Zukunft zu gestalten. ({2}) Das Gleiche gilt für die Arbeitswelt. Machen wir die 20er-Jahre zu einem Jahrzehnt der Frauen in der Arbeitswelt. Denn auch hier gilt: Gemischte Teams sind besser als Teams, die überwiegend aus Männern bestehen. Im Schnitt sind sie – das ergeben Studien – fast 20 Prozent produktiver. Das haben Unternehmen erkannt und setzen ganz gezielt auf Diversität. Auch unsere Gesetzgebung hat dazu beigetragen, den Wandel zu beschleunigen. Dort, wo es feste Quoten gibt, ist der Frauenanteil in den Aufsichtsräten von knapp 22 Prozent im Jahr 2015 auf 34 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Er hat sich also um 50 Prozent erhöht. Aber auch dort, wo die flexible Quote gilt, hat sich der Frauenanteil um 50 Prozent erhöht, in diesem Fall von 13,7 Prozent auf 21,6 Prozent. Als Union sagen wir: Wir setzen weiter auf die Kombination von fester Quote und Flexiquote. Es muss weiterhin eine positive Entwicklung geben; das werden wir genau beobachten. Aber es kann nicht sein, dass es nach wie vor Unternehmen gibt, die sich für Aufsichtsräte und Führungspositionen eine Zielgröße null geben und das noch nicht einmal begründen. ({3}) Ganz besonders am Herzen liegt mir der Bereich der Digitalisierung. Die Digitalisierung bietet gerade für uns Frauen ganz große Chancen; denn in der digitalen Welt sind Fähigkeiten, die vor allem Frauen zugeschrieben werden, besonders wichtig: Teamfähigkeit, vernetztes Denken und Arbeiten, auch eine empathische Art der Führung – das wird in Unternehmen immer mehr verlangt, weil die digitale Welt eben vernetzt ist. Den Satz, dass sich durch Digitalisierung alles ändert, kann man ja eigentlich nicht mehr hören; aber er stimmt. Weil er stimmt, sage ich: Wenn sich durch die Digitalisierung alles ändert, dann müssen Frauen auch beim Bilden, bei der Erschaffung dieser neuen digitalen Welt dabei sein. ({4}) Wirft man aber einen Blick in die großen Tech-Unternehmen, wirft man einen Blick darauf, wer Unternehmen in unserem Land oder auch weltweit gründet, wer Start-ups gründet, dann stellt man fest, dass auch hier die Männer überrepräsentiert sind. Nach dem aktuellen Female Founders Monitor liegt der Frauenanteil bei Gründern bei nur 15 Prozent, und das ist zu wenig. Wenn die neue digitale Welt gebaut wird, müssen Frauen dabei sein, und deshalb ist es wichtig, ({5}) Frauen zu motivieren, Unternehmen zu gründen, Netzwerke zu stärken, die Gründerinnen unterstützen, schon in der Schule mit Coding und MINT-Bildung anzufangen und auch bei unserem neuen, großen Projekt, nämlich dem Zukunftsfonds – da bringen wir einen Fonds mit fast 10 Milliarden Euro auf den Weg –, den Gedanken, dass Frauen zu Gründerinnen und Investorinnen werden, mitzudenken und dies bei den Strukturen zu berücksichtigen. Wir brauchen die Frauen. Wenn die Zukunft digital gebaut wird, müssen Frauen dabei sein. ({6}) Wir haben es also gemeinsam in der Hand, dass die 20er-Jahre das Jahrzehnt der Frauen werden – in der Politik, in der Arbeitswelt und auch im Bereich der Digitalisierung. Wir haben also vieles zu tun. Unter diesem Zeichen sollte der diesjährige Weltfrauentag stehen. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Nicole Bauer, FDP. ({0})

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe hier für eine Generation der Chancenverwirklicher, als deren Vertreterin, als Frau, als Politikerin, ({0}) die Chancen ergreifen und ermöglichen möchte, die Chancengerechtigkeit fordert, verteidigt und sich dafür einsetzt. Und die Chancenverwirklichung voranbringen möchte. Alle sagten immer: Das geht nicht. – Bis eine kam, die das nicht wusste und es einfach machte. – Das ist die Generation der Chancenverwirklicher, meine Damen und Herren. ({1}) Sie will kein Gegeneinander, sondern sie will ein Miteinander der Geschlechter, sie will die Potenziale bestmöglich entfalten, und zwar unabhängig vom Lebensbereich, und sie will schließlich eine Kultur, ein Umfeld, das genauso modern und fortschrittsoffen ist wie die Welt, in der wir wohnen. Frauen und Männer sitzen doch eigentlich im gleichen Boot, egal ob es darum geht, Karriere zu machen, oder darum, wie man sich die Elternzeit aufteilt. Aber besonders bedeutend wird dies, wenn beides zusammenkommt; denn es gilt immer noch zu oft ein Entweder-oder, es heißt: du oder ich, Familie oder Führungsposition. Wir Freie Demokraten wollen beides. Wir wollen echte Wahlfreiheit für Eltern, für Familien, für Mütter, für Väter, für jeden und jede Einzelne. ({2}) Das ist das, was Chancenverwirklicher tatsächlich wollen. Wir alle haben unterschiedliche Talente. Diese frühzeitig zu erkennen und zu fördern, und zwar völlig unabhängig vom Geschlecht und von Rollenstereotypen, das ist ein Anfang. Aber auch die Antworten von morgen werden eines entscheidend brauchen, nämlich die MINT-Bildung. Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, Forschungsgeist, Lösungsentwicklung, Technologienutzung – all das ist das Potenzial, das wir dringend nutzen sollten, wenn wir weiterhin Vorreiter werden wollen. Es ist auch entscheidend, wie wir dafür die Frauen und die Mädchen entsprechend begeistern können; denn eines weiß ich: Sie können es. ({3}) Die Frauen, denen ich im Ingenieurstudium immer begegnet bin, waren super smart, aber viel zu wenige, und genau das ist der Punkt: Es waren viel zu wenige. Wir brauchen viel mehr. Dort müssen wir ansetzen. Andere Länder machen es uns vor. Chancenverwirklicher brauchen ein gutes Talentmanagement, strategisches Befördern statt wohlmeinendes Fördern. Wir brauchen einen Pool von Talenten, aus denen die Wirtschaft, die Politik, die Parteien, aber auch die Unternehmen schöpfen können. Meine Damen und Herren, wenn wir das tatsächlich hätten und wenn wir eine nachhaltige Lösung hätten, dann bräuchten wir heute keine Diskussion über Parität oder Quoten. ({4}) Denn was hilft uns eigentlich ein Paritätsgesetz, wenn wir auf kommunaler Ebene Frauen gewinnen wollen? Oder was nutzt uns eine Vorstandsquote, wenn es immer noch nicht in den Köpfen angekommen ist? ({5}) Wir sind in einer dynamischen, vernetzten und hochkomplexen Welt. Sie ist so vielfältig und von Veränderungen geprägt. Damit passen starre Quoten für ein Geschlecht doch gar nicht zusammen. Die Berufe und die Teams arbeiten unglaublich unterschiedlich, die Art und Weise ist unterschiedlich, viel vielfältiger, und auch die Digitalisierung unterstützt das weithin.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Bauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin von Storch?

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne am Ende. – Darin liegen tatsächlich die vielfältigen Chancen: flexibles Arbeiten unabhängig von Ort und Zeit, bessere Aufstiegschancen durch lebenslanges Lernen sowie mehr Selbstbestimmtheit und Freiraum dafür, diese unterschiedlichen Phasen und Rollen im Leben wahrzunehmen. Lassen Sie uns also die Chancen ergreifen und verwirklichen! Lassen Sie uns nicht warten! Lassen Sie uns unseren Beitrag dazu leisten, dass es bei uns in den Köpfen, in den einzelnen Parteien, in unserer Politik ankommt! Als Freie Demokratin bin ich Fortschrittsoptimistin, und ich bin fest davon überzeugt, dass es uns so und nur so gelingen kann. Danke schön. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann erteile ich das Wort zu einer Zwischenbemerkung der Kollegin von Storch, AfD. ({0})

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Ich habe eigentlich nur eine Frage stellen wollen. Dass Frauen und Männer die gleichen Chancen haben sollen, ist klar; das ist Gleichberechtigung. Nun haben Sie gesagt: Sie müssen die Chancen gleich verwerten. – Sagen Sie mir, welches Recht Frauen in Deutschland nicht haben, das Männer haben. Was können Frauen rechtlich nicht tun, was Männer tun können? Haben wir da Nachholbedarf? Gibt es da irgendetwas? Sagen Sie mir ein Gesetz, einen Bereich, in dem Frauen nicht das machen können – rechtlich –, was Männer machen können. Dass das Ergebnis nicht das gleiche ist, das ist immer schwierig. Und wenn wir von einer 50-Prozent-Quote reden, möchte ich auch gerne wissen: Wie verträgt sich das mit der Tatsache, dass wir drei Geschlechter haben? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Mögen Sie antworten, Frau Kollegin?

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gern.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sie möchten antworten. Bitte, dann haben Sie das Wort.

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich glaube, der Unterschied liegt vor allem darin: Mir geht es um Chancen. Sie haben in Ihrer Frage davon gesprochen, Chancen zu verwerten. Mir geht es darum, Chancen zu verwirklichen. ({0}) Ich habe keinesfalls in meiner Rede über Parität gesprochen, sondern ich habe über Talentmanagement gesprochen, und ich glaube, dass es in unserem Jahrzehnt wirklich notwendig ist, dass wir uns über Talentmanagement auf sämtlichen Ebenen unterhalten. Genau das ist das Ziel der Freien Demokraten. Danke schön. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Sabine Zimmermann, Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde mich wirklich freuen, wenn ich zum Internationalen Frauentag nicht Jahr für Jahr immer wieder auf dieselben Probleme hinweisen müsste. Aber leider hat sich an der Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt in unserem Land nichts geändert. Meine Damen und Herren der Bundesregierung, das ist Ihre Verantwortung! Das hätten Sie längst ändern müssen, wenn Sie es wirklich ernst meinen mit der Gleichstellung. ({0}) Noch immer verdienen Frauen in Deutschland rund 20 Prozent weniger als Männer, und niedrige Löhne, meine Damen und Herren, ziehen immer niedrige Renten nach sich. Die Alterseinkünfte von Frauen sind deshalb um die Hälfte niedriger und liegen oft im Armutsbereich. Das ist ungerecht, und es ist das Ergebnis Ihrer Politik der letzten Jahre. ({1}) Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, häufiger unter ihrer Qualifikation, aber seltener in Führungspositionen. Wir wissen doch, was das heißt: weniger Gehalt und weniger Karrierechancen. Wer weniger verdient, steckt eher beruflich für die Familie zurück, und wer beruflich zurücksteckt, verdient weniger. Durchbrechen Sie endlich diesen Teufelskreis, und gehen Sie diese Probleme an, meine Damen und Herren der Regierung! ({2}) Frauen werden schlechter bezahlt. Frauen leisten aber den größten Teil der Fürsorgearbeit in der Familie. Beides hängt zusammen. Was man von Frauen umsonst erwartet, wird auch schlecht vergütet. Und Sie, meine Damen und Herren der Regierung, machen dabei mit, wenn Sie nicht mehr Geld für gute Pflege und eine gute Kinderbetreuung bereitstellen und wenn Sie weiterhin den Mindestlohn kleinhalten. Das sind doch Hindernisse, die in Ihrer Verantwortung liegen. Bitte ändern Sie dies! ({3}) Die Linke fordert gute Tariflöhne in sozialen Berufen genauso wie in technischen; sie fordert geregelte Arbeitszeiten, nicht mehr als 40 Stunden die Woche, flächendeckende Kinderbetreuung, gute Pflege, vollfinanziert über eine Pflegeversicherung. Das wäre eine Politik für Millionen Frauen in unserem Land. Daran sollten Sie arbeiten. ({4}) Aber wenn der Wille zu grundlegenden Veränderungen fehlt, dann ersparen Sie uns bitte wenigstens Ihre Alibiaktionen. Die letzte Bundesregierung kümmerte sich um 20 Aufsichtsrätinnen, Sie, Frau Dr. Giffey, wollen ein paar Dutzend Frauen in Konzernvorstände holen – schön für die wenigen, die es betrifft, aber reichlich egal für die Mehrheit der Frauen. ({5}) Um die geht es aber – nicht nur am Internationalen Frauentag. ({6}) Es geht um die Verkäuferin im Einzelhandel, die einfach keine Vollzeitstelle bekommt und einen Zweit- und Drittjob annehmen muss, um überhaupt über die Runden zu kommen. Es geht um die Pflegerin, die sich für wenig Geld den Rücken krumm schuftet und ständig aus dem Frei einspringen muss. Es geht um die Alleinerziehende, die keinen Kitaplatz bekommt und nicht in ihrem Beruf arbeiten kann. Und ja, es geht auch um den jungen Mann, der Altenpfleger werden will, aber einen Schreck bekommt, wenn er nachschaut, was man in der Pflege verdient. Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren. Es geht nicht um Mann gegen Frau. Es geht um gute Löhne und faire Arbeitsbedingungen für Frauen und für Männer. Danke schön. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gestern haben wir angesichts des rassistischen Anschlags von Hanau über rechten Terror debattiert. Heute sprechen wir zum Internationalen Frauentag über die Gleichstellung von Frauen und Männern. Warum wähle ich diesen Einstieg? Ich wähle diesen Einstieg, weil Rassismus und Antifeminismus, weil Rassismus und Frauenfeindlichkeit Hand in Hand gehen. ({0}) Antifeminismus ist eine zentrale Ideologie im Rechtspopulismus und im Rechtsextremismus. ({1}) Chauvinismus zieht sich wie ein roter Faden durch die Biografien und die sogenannten Manifeste von Rechtsterroristen, ob in Christchurch, in Halle oder unlängst in Hanau. Rechtsextreme sehen in Gleichberechtigung und in der Emanzipation eine Gefahr für eine Ordnung, in der Männer privilegiert und Frauen unterdrückt werden. Deshalb richtet sich ihr Antifeminismus gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, gegen Geschlechtergerechtigkeit und gegen bunte Familienkonstellationen. Wir hören das in den Reden der AfD dauernd; diese Reden triefen von einem völkischen Frauen- und Familienbild. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Antifeminismus ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr und eine Bedrohung für unsere offene Gesellschaft. ({3}) Für uns ist klar: Gleichberechtigung ist ein Kern einer demokratischen Gesellschaft. Es ist nicht verhandelbar, dass Frauen ein Recht auf körperliche Unversehrtheit haben, ({4}) ein Recht auf Selbstbestimmung, ein Recht auf Schutz vor häuslicher Gewalt, dass Frauen selbstverständlich in Führungsetagen gehören und selbstverständlich in die Parlamente, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Damit bin ich beim Thema Parité. Es ist ein Trauerspiel, dass wir mehr als ein Jahr nachdem wir gemeinsam 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert haben, nachdem wir eine regelrechte Aufbruchstimmung zum Thema Parité selbst in der Union beobachten durften und sich Frauen hier im Parlament gemeinsam auf den Weg gemacht haben, einen Vorschlag zu machen, immer noch nichts Gemeinsames auf dem Tisch haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann die grüne Bundestagsfraktion auf keinen Fall akzeptieren. ({6}) In der kommenden Woche treffen sich die Fraktionsvorsitzenden, um erneut über die Wahlrechtsreform zu sprechen. Ich sage für meine Fraktion: Das Thema Parité muss bei diesem Treffen vor die Klammer. Wir wollen eine gemeinsame Verständigung, wie wir zu Parité im Deutschen Bundestag kommen. Dabei gehören nicht nur die Landesreservelisten auf den Tisch, wir wollen selbstverständlich auch die Wahlkreise mit in den Blick nehmen. Mit dem Viertel des Himmels, wie die SPD-Fraktion sich das jetzt vorstellt, geben wir Grünen uns nicht zufrieden. ({7}) Es muss beim Thema Parité jetzt heißen: Butter bei die Fische! Wir brauchen einen gemeinsamen Vorschlag. Wir stehen bereit, das in der nächsten Woche gemeinsam zu vereinbaren. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Josephine Ortleb, SPD. ({0})

Josephine Ortleb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004844, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Gemeinsam mit anderen Kolleginnen hier aus dem Hohen Haus sollte ich dieses Jahr zur 64. Sitzung der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen nach New York fliegen; Thema dort – 25 Jahre nach Verabschiedung der wegweisenden Pekinger Erklärung –: die Fortschritte beim Kampf für die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen. Die Generaldebatte der Frauenrechtskommission wurde dieses Jahr leider abgesagt. Die grundsätzliche Debatte für mehr Geschlechtergerechtigkeit lässt sich jedoch nicht absagen. Gerade heute gilt es, Bilanz zu ziehen, aber auch Fortschritte stärker einzufordern, um einen gesellschaftlichen Rollback weltweit zu verhindern. ({0}) Die Pekinger Erklärung verpflichtet uns, der Internationale Frauentag erinnert uns und die weltweite Stimmung mahnt uns, Erkämpftes zu erhalten und Fortschritte zu gestalten. Noch immer ist es so, dass Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts in allen Gesellschaften häufiger von Diskriminierung und Gewalt betroffen sind, auch hier in Deutschland. In der Wirtschaft gilt: je höher die Position, desto geringer der Frauenanteil. Im Bundestag gilt: je größer das Parlament, desto geringer der Frauenanteil. Die Pekinger Erklärung und ihre Aktionsplattform gaben hier schon vor 25 Jahren eine klare Marschrichtung vor: Wir wollen eine Gesellschaft, in der Frauen mitentscheiden, und keine, in der über Frauen entschieden wird, auch nicht am Arbeitsplatz. ({1}) Seit der Verabschiedung des Gesetzes für Frauen in Führungspositionen heute auf den Tag genau vor fünf Jahren bahnt sich der Fortschritt auch in der Privatwirtschaft seinen Weg. Aber das reicht nicht. Wenn wir Fortschritt in Führung wollen, müssen wir Frauen in Führung bringen. ({2}) Deshalb muss unser Ziel sein, die Hälfte der Führungspositionen Frauen anzuvertrauen. ({3}) Weil wir uns da einig sind – das haben wir schon gehört –, haben unsere SPD-Ministerinnen Franziska Giffey und Christine Lambrecht einen weitreichenden Vorschlag vorgelegt, um auch mehr Frauen in Vorstände von börsennotierten Unternehmen zu bringen. Herzlichen Dank für diese Initiative! ({4}) Was wir von der Wirtschaft fordern, müssen wir auch politisch vorleben. Auch in Sachen gleicher Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament steigen die Chancen, dass wir vorankommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, zumindest wenn es nach unserem Vorschlag für ein modernes Wahlrecht geht. Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion die Tür für die Parität durch das Wahlrecht geöffnet. Mit unserem Vorschlag wollen wir in einem ersten Schritt zur nächsten Bundestagswahl nur Parteien zulassen, deren Landeslisten paritätisch abwechselnd ({5}) mit einer Frau und einem Mann – oder umgekehrt – besetzt sind. ({6}) An die Kollegin von der CDU/CSU: Vielleicht sollte man das auch mal Herrn Merz erklären. Das ist keine Diskriminierung von Männern; das nennt man „Gleichberechtigung“. ({7}) Die Tür für Parität steht also offen. Sehr geehrte Damen und Herren, hier wird deutlich: Mit der SPD geht es gleichstellungspolitisch voran, nicht nur in der Wirtschaft und im Parlament, sondern auch beim Vorgehen gegen den radikalsten Ausdruck einer männlichen Dominanz: die Gewalt gegen Frauen. Unser Ziel ist und bleibt es, die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern aufzubrechen, die meist Grund für Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft sind. Mit der Förderung von Hilfsstrukturen, der Stärkung von Opferrechten und einer breiten Aufklärungskampagne haben wir schon einiges getan. Gewalt gegen Frauen ist aber keine Privatsache, wie etwa die mediale Darstellung uns das bei Überschriften wie „Eifersuchtsdrama“ oder „Beziehungstat“ oft suggeriert, ({8}) sondern Ausdruck von gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Sie ist eine Gewalt, die uns alle angeht. ({9}) Gerade in dieser Zeit, in der sich Antifeminismus und Frauenhass lückenlos in die Ideologie von Menschen einfügen lassen, die unser gesellschaftliches Zusammenleben im Kern ablehnen, ist es an uns, noch mehr zu betonen, was selbstverständlich sein muss: Wir Frauen gehören dazu, immer und überall. Wir Frauen haben eine Stimme, im Vorstand und im Parlament. Wir Frauen sind keine Objekte der Gewalt; wir sind stark und selbstbestimmt. Allen, die das nicht anerkennen wollen, stellen wir uns entgegen, nicht nur am Internationalen Frauentag, sondern an jedem Tag im Jahr. Vielen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Gyde Jensen, FDP. ({0})

Gyde Jensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004941, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Parität, Frau von Storch, ist nicht verfassungsfeindlich; sie ist vielleicht verfassungswidrig, aber darüber kann man vielleicht an anderer Stelle debattieren. ({0}) Aber jetzt zum Thema. Mein absolutes Lieblingsbuch meiner Kindheit war „Lotta aus der Krachmacherstraße“ von Astrid Lindgren. Ich denke, beinahe jeder hier kennt die Abenteuer des kleinen unerschrockenen Mädchens. Vor Kurzem bin ich dann auf ein ganz anderes inspirierendes Buch für junge Mädchen, aber auch für Frauen gestoßen, und zwar „Good Night Stories for Rebel Girls – 100 außergewöhnliche Frauen“ mit Geschichten von starken Frauen wie der indischen Boxkämpferin Mary Kom oder der bekannten pakistanischen Aktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Malala. In der Türkei hat dieses Buch eine Jugendfreigabe ab 18 Jahren. In Russland wurde die Erzählung über das Transgendermädchen Coy Mathis gestrichen. Auch die Zensoren im Iran ließen das Buch erst zu, nachdem sie einige Lebensgeschichten komplett ausradiert hatten. Dahinter, meine Damen und Herren, steckt eine Angst – die Angst, dass Mädchen auf dumme Ideen kommen könnten: auf die dumme Idee, für vollkommene Gleichberechtigung zu streiten, auf die dumme Idee, freie Entfaltung einzufordern, auf die dumme Idee, in einer Welt aufwachsen zu wollen, in der nicht durch Vorurteile oder Klischees ihre Lebensläufe kleingehalten werden. ({1}) Meine Damen und Herren, in Deutschland zensieren wir natürlich keine Kinderbücher. Aber auch wir halten als Gesellschaft Mädchen mit Vorurteilen und Klischees immer noch davon ab, ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat sich vor Kurzem deutsche Schulbücher angeschaut und festgestellt, dass Unternehmerinnen oder Managerinnen darin eigentlich überhaupt nicht vorkommen. Wenn überhaupt, kommen Frauen dort als Kundinnen oder als Arbeitnehmerinnen vor. Über die Hälfte der 12- bis 25-Jährigen wünscht sich laut Shell-Jugendstudie, dass in einer Partnerschaft mit Kind vor allem der Mann das Geld für die Familie nach Hause bringt. Plan International hat junge Social-Media-Nutzer befragt: Ein Drittel der befragten Frauen und über die Hälfte der befragten Männer sagen, dass es nicht schlimm ist, wenn Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn erhalten als Männer. Meine Damen und Herren, das zeigt: Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ist kein Problem, das sich von Generation zu Generation reduziert. Das zeigt uns: Geschlechtergerechtigkeit ist ein Ziel, das wir uns bewusst gesetzt haben, das wir aber auch jeden Tag verteidigen müssen und für das wir jeden Tag streiten müssen. ({2}) Eine der besten Dirigentinnen unserer Zeit, Xian Zhang, hat einmal gesagt: Wenn Mädchen sehen, dass Frauen die Arbeit leisten, dann werden auch sie sich das zutrauen. – Das sieht nicht nur Xian Zhang so, sondern das zeigen auch viele, viele Studien. Wir brauchen also zwei Dinge. Erstens: Frauen in herausragenden Positionen aller Berufsfelder. Um das zu schaffen, müssen wir in Parteien, aber auch in Unternehmen und in Verbänden mutige Ziele in Sachen Parität haben. Zweitens: eine Gesellschaft, die diese Frauen sichtbar macht und sie scheinen lässt, damit klar wird: Für Mädchen gilt nicht nur dieser eine Lebenslauf. Für sie gelten auch nicht nur die 100 Geschichten im Buch „Rebel Girls“. Ob hier im Bundestag, in Unternehmen, in Universitäten, im öffentlichen Raum, in Kunst oder Kultur, es muss feststehen: Jedes Mädchen schreibt seine ganz eigene Geschichte. Sie soll werden, was sie will, und wir sollten ihr dabei helfen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Marcus Weinberg, CDU/CSU. ({0})

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist wichtig, jedes Jahr aufs Neue. Solange es noch Frauen gibt, die diskriminiert werden, weil sie Frauen sind, solange es Frauen gibt, die geschlagen werden und die Missbrauch erleben, weil sie Frauen sind, müssen wir hier im Deutschen Bundestag zum 8. März diese Debatte führen. ({0}) Das ist eine Bestandsaufnahme. Es gab zu jeder Zeit und in jeder Epoche Menschen, die sich eingesetzt haben. Es gab Frauen, aber auch Männer, die die Situation in den letzten Jahren und Jahrzehnten verbessert haben. Ich erinnere an die Geburtsstunde des Frauenwahlrechtes 1918, aber auch an Artikel 3 Absatz 2 des 1949 in Kraft getretenen Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Es geht heute in der Debatte, Frau Kollegin, um die Umsetzung dieser Gleichberechtigung. Da haben wir tatsächlich noch einiges zu tun, obwohl in den letzten Jahren viel getan wurde; das muss man konstatieren. Aber es gibt und es bleiben Herausforderungen mit Blick auf die Situation der Rechte von Frauen in diesem Land. Vieles wurde bereits zum Thema gesagt. Ich will gleich auf das Thema der körperlichen Unversehrtheit kommen, eine, wie ich finde, weitere herausragende Situation, die wir angehen müssen. Wir haben den Internationalen Frauentag. Wir haben diese Woche viel über die Situation von Flüchtlingen auf den griechischen Inseln gesprochen, auf dem Territorium der Europäischen Union. Wir haben zu Recht die Situation von Kindern angesprochen, die Missbrauch erleben, die Gewalt erleben und die in teilweise unerträglichen Zuständen leben müssen. Ich will an dieser Stelle appellieren: Gerade auch Frauen sind auf den griechischen Inseln betroffen. Wir müssen dringend etwas tun, damit es auch den Frauen, den Schwangeren, den Müttern mit Säuglingen endlich besser geht. Das wäre auch von uns hier ein Auftrag, den wir aus der Debatte heraus geben sollten. ({1}) Die Kollegin von der AfD hat den „Genderwahn“ angesprochen. Dann bin ich schon beim Thema Gewalt. Es ist kein Genderwahn, zu erwähnen, dass jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder ehemaligen Partner umgebracht wird. ({2}) Es ist auch kein Genderwahn, zu erwähnen, dass 40 Prozent der über 16-Jährigen bereits sexualisierte Gewalt oder körperliche Gewalt erlebt haben. Es ist auch kein Genderwahn, zu sagen, dass in dieser Stunde, in der wir hier diskutieren, wieder eine Frau körperlich verletzt wird. ({3}) Gewalt gegen Frauen kommt überall vor: zu Hause, in Schulen, in Universitäten, am Arbeitsplatz, auf der Straße. Deswegen werden wir dieses Gewaltthema weiter ansprechen. „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht“, hat Hedwig Dohm einst gesagt, die deutsche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. Sprechen wir also über diese Menschenrechte! Richtig ist – und das war auch gut –, dass 2018 die Istanbul-Konvention in Deutschland in Kraft getreten ist. Damit haben wir uns dazu verpflichtet, dass alle staatlichen Organe die Vorgaben aus dieser Konvention umsetzen müssen – Bund, Länder, Kommunen, aber auch diejenigen, die in der Gesellschaft Verantwortung tragen –, um Frauen vor Gewalt zu schützen. 2016 kam die Verschärfung des Sexualstrafrechtes: „Nein heißt Nein“, ich gestehe ein: nach einer viel zu langen Debatte. Aber am Ende war das Ergebnis wichtig. Und das Ergebnis war, dass wir klar gesagt haben, ohne Wenn und Aber: Gewalt darf es nicht geben, Nein heißt Nein. Es gibt seit 2018 einen runden Tisch auch zu den Frauenhäusern. Wir haben immer deutlich darauf verwiesen: Es ist nicht nur Aufgabe des Bundes, sondern auch Aufgabe der Länder und Kommunen, ihre Finanzierung sicherzustellen. Aber wenn etwa 16 000 Frauen Zuflucht in Frauenhäusern suchen, aber Schätzungen zufolge dort mehr als 14 600 Plätze fehlen, dann ist es auch unsere Aufgabe, endlich gemeinsam dafür zu sorgen, dass wir genug Plätze in Frauenhäusern haben und dass endlich die ambulanten Hilfs- und Betreuungsmaßnahmen ausgebaut werden. ({4}) Angesprochen wurde bereits das Programm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ mit einer Gesamtsumme von 120 Millionen Euro für den Ausbau der Beratungsstellen und der Frauenhäuser in den nächsten Jahren. Die Initiative „Stärker als Gewalt“ fordert als Teil eines Aktionsprogramms ein gesellschaftliches Klima, in dem Gewalt verurteilt wird und in dem die Motivation gefördert wird, einzuschreiten und zu helfen und bestehende Hilfsangebote für Betroffene bekannter zu machen. In den letzten Jahren gab es auch das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das mittlerweile auch in 17 Fremdsprachen für eine Erstberatung für betroffene Frauen zur Verfügung steht. Auch dieses war eine der Maßnahmen der letzten Jahre. Insoweit werden wir daran weiterarbeiten. Wir als Union haben ganz deutlich gemacht, auch in den Gesprächen in der Koalition – da sind wir einer Meinung und haben eine klare Position –, dass das Thema „Gewalt gegen Frauen“ in diesem und im nächsten Jahr einen zentralen Bereich einnehmen wird. Das betrifft auch die Fragestellung „Schwangere in Notlagen“. Zum Beispiel haben wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion das Projekt „Schwangerschaft und Flucht“ von Donum Vitae initiiert. Insoweit kann ich sagen: Es hat sich in den letzten Jahren in der Koalition viel zu dem Thema entwickelt, und vieles wurde auf den Weg gebracht. Das muss jetzt verstetigt werden. Für Gewalt gibt es in unseren Familien, in unserer Gesellschaft keinen Platz. Wie gesagt, solange eine Frau oder ein Mädchen in diesem Land noch Gewalt erfährt, weil es eine Frau oder ein Mädchen ist, so lange sind wir aufgerufen, dieses abzustellen, und so lange werden wir zum 8. März hier diese Debatten führen, weil sie wichtig sind und weil sie uns einen Impuls geben, uns weiter für die Umsetzung der Gleichberechtigung einzusetzen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Doris Achelwilm, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wann ist eigentlich der Frauentag erreicht, ab dem wir sagen können: „Glückwunsch! Was für eine Aufgabe, aber es ist geschafft!“? Das Weltwirtschaftsforum hat berechnet: Nach aktuellem Schneckentempo dauert es noch rund 100 Jahre, bis die Gleichstellung von Frauen und Männern weltweit erreicht ist. So lange können und werden wir nicht warten; das ist ein Versprechen. ({0}) Und die GroKo sollte es auch nicht, wenn 2020 noch das Jahr der Gleichstellung werden soll. Das Entgeltgleichheitsgesetz, das wenig Wirksamkeit zeigt, muss jetzt nachgeschärft werden. Seit Beginn der Legislatur wird sich auf den Standpunkt zurückgezogen: Das ist der große Wurf gegen die Lohnlücke von 21 Prozent, wartet es ab! – Wenn dieses Gesetz aber nur in der Theorie funktioniert, hilft kein Warten, dann braucht es gegen Lohndiskriminierung das Verbandsklagerecht, damit Frauen bei der Durchsetzung ihrer Rechte nicht alleine dastehen, dann müssen mehr Betriebe verbindlicher in die Pflicht genommen werden. Dafür ist es jetzt an der Zeit. ({1}) Zudem führt gleichstellungspolitisch kein Weg daran vorbei, dass Fürsorgearbeit wie zum Beispiel die Altenpflege grundsätzlich besser bezahlt wird. ({2}) Auch ein Thema sollte das in dieser Legislaturperiode viel zu kurz kommende Ehegattensplitting sein. Mit seinem Effekt, dass es Frauen auf Zuverdienstrollen abonniert, muss es letztlich abgeschafft werden. Es braucht die geschlechtergerechte Verteilung unbezahlter Arbeit und freier Zeit. Die Verantwortung für die Erledigungen zu Hause ist eine Aufgabe für alle. Das sollten wir sehr viel stärker organisieren. ({3}) Von der Wirtschaft muss Gleichstellungspolitik deutlich mehr fordern als handverlesene einzelne Frauenplätze in DAX-Vorständen. In welcher Zeit leben wir? Es ist gut, wenn die ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie sich verstärkt einer geschlechtergerechten Haushaltspolitik widmen will. Äußerst sinnvoll wäre außerdem, eine ordentliche Besteuerung privaten Reichtums in den Fokus zu nehmen. Finanzielles Vermögen aus Gründen ist nämlich eine absolute Männerdomäne, während Armut aus Gründen vor allem Frauen trifft. Gute Gleichstellungspolitik ist immer auch Armutsbekämpfung und mehr für alle. ({4}) Letztes Jahr haben wir auf 100 Jahre Frauenwahlrecht zurückgeblickt und viel über die ungleiche Vertretung der Geschlechter in den Parlamenten gesprochen. Für ein paar Jubiläumswochen zeigte sich fraktionsübergreifend das Bewusstsein, dass 30 Prozent Frauen hier im Haus tatsächlich nicht die Hälfte sind und Ausgleichendes passieren muss. Bedauerlicherweise wurde diese Tür recht bald auch wieder zugemacht. Für ein Parité-Gesetz fehlt leider der Mut. Herr Merz von der CDU – er ist schon angesprochen worden – hat das Drama dieser Tage auf seine Weise auf den Punkt gebracht. Als Vorschlag zur Güte sprach er sich gönnerhaft für eine Frauenquote in seiner Fraktion von 25 Prozent aus. ({5}) Die Hälfte der Hälfte, die Frauen zusteht, ist seiner Meinung nach gerade genug, ansonsten werden ja Männer diskriminiert. Was für eine traurige Perspektive! ({6}) Dagegen werden wir auf jeden Fall angehen; das kann so nicht stehen bleiben. ({7}) Am 8. März demonstrieren wir als Linke mit lokalen Streikinitiativen weiter ums Ganze: dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr im Strafgesetzbuch stehen, dafür, dass Alleinerziehende gesellschaftlich breit unterstützt werden. Zeit, Macht und Geld müssen endlich gerecht verteilt, Pflege und Fürsorge diskriminierungsfrei geregelt werden. Raus aus dem Schneckentempo! Es ist an der Zeit. Vielen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, ist schon auf dem Weg zum Rednerpult. Sie hat das Wort. ({0})

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! „Wir wollen keine Rosen, wir wollen gleiche Rechte!“: Diese Forderung der Frauenbewegung ist sehr alt, aber sie verliert am Internationalen Frauentag 2020 nicht an Brisanz. ({0}) Auch heute müssen Frauen um die gerechte Verteilung von Geld, Macht und Verantwortung kämpfen. Sie leisten immer noch den Löwenanteil der Kehrarbeit, und Geschlechterstereotype stehen den Frauen immer noch im Weg. Gleichzeitig bekämpfen die Rechtsextremen frauenpolitische Errungenschaften. Der Feminismus ist für ihr Weltbild eine Bedrohung. Ja klar; denn Frauen sind weltweit die wichtigsten Akteurinnen für Demokratie und Menschenrechte. Für uns sind Demokratie und Feminismus unteilbar. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, besonders am Herzen liegen mir der Kampf gegen Gewalt an Frauen und die körperliche Selbstbestimmung von Frauen. Wir haben es hier mit einem paradoxen Status quo zu tun. Beim Schwangerschaftsabbruch, wo Frauen selbst entscheiden sollten, mischt sich der Staat ein. Beim Gewaltschutz, wo Frauen dringend mehr Rechte und Schutz durch den Staat brauchen, werden sie oft im Stich gelassen. Das macht doch sehr klar, wie viel noch im Argen liegt. ({2}) Gewalt gegen Frauen ist in unserer Gesellschaft ein allgegenwärtiges Problem. Seit Jahrzehnten wird Frauen nicht der Schutz gewährt, den sie brauchen. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet; das ist die bittere Wahrheit. Dass Schutzplätze in Frauenhäusern fehlen, ist ewig bekannt. Wir Grünen fordern darum einen Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz, auch im Sinne der Istanbul-Konvention. ({3}) Unsere Anträge liegen vor. Damit könnte der Bund auch langfristig in die Finanzierung einsteigen. Frauenhausplätze ausbauen: Das wäre für Frauen in Not eine echte Verbesserung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wollen, werden durch strafgesetzliche Regelungen kriminalisiert. Der Staat verwehrt es Frauen, ohne staatliche Bevormundung über ihren Körper entscheiden zu können. Den § 219a beizubehalten, anstatt ihn ersatzlos zu streichen, bleibt unverantwortlich. ({4}) Die Situation für ungewollt Schwangere und für Ärztinnen und Ärzte ist in keiner Weise besser geworden. Ärztinnen werden weiter verklagt und verurteilt, und sie müssen ihr Recht jetzt beim Bundesverfassungsgericht selbst erstreiten. Ich sage Ihnen: Das ist ein Unding. Der § 219a muss weg, und zwar vollständig. ({5}) Verschlechtert hat sich die Versorgungslage für ungewollt Schwangere. Die Anzahl von Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, ist deutlich rückläufig; das macht uns wirklich Sorge. Und Sie als Bundesregierung haben es bis heute nicht mal geschafft, die Listen der Praxen zu vervollständigen. Das zeigt uns eines: Es ist Ihnen alles nicht wichtig. Das ist bitter für die Frauen. ({6}) Ich sage Ihnen: Ein Eingriff des Staates in die Selbstbestimmung von Frauen ist nie zu rechtfertigen. „My body, my choice!“: Das ist und bleibt die zentrale Forderung, gerade auch am Internationalen Frauentag. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Leni Breymaier, SPD, ist die nächste Rednerin. ({0})

Leni Breymaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004683, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf den Tribünen! Die EU-Kommission veröffentlichte gestern pünktlich zum Internationalen Frauentag ihre Gleichstellungsstrategie für die nächsten fünf Jahre. Das ist eine gute Nachricht für alle Frauen in Europa. Ich wünsche der Kommissarin Helena Dalli viel Biss, Unterstützung und genug Geld bei der Umsetzung ihrer vielfältigen und ambitionierten Vorhaben. ({0}) Dass unsere Ministerin Franziska Giffey dazu eine nationale Gleichstellungsstrategie auf den Weg gebracht hat, ist eine gute Nachricht für alle Frauen in Deutschland. ({1}) Dass für die Umsetzung der europäischen Gleichstellungsstrategie der Gender-Mainstreaming-Ansatz ausdrücklich gestärkt werden soll, macht mich zuversichtlich. Frau Harder-Kühnel, „Gender“ ist keine Verhunzung der deutschen Sprache, es ist eine Ergänzung der deutschen Sprache, weil wir manchmal sprachlich einfach ein bisschen arm sind. ({2}) Bei uns gibt es nur das Wort „Geschlecht“, und das steht für das biologische Geschlecht. In England gibt es auch noch ein Wort für das soziale Geschlecht: Biologisches Geschlecht ist dort „sex“, und soziales Geschlecht ist „gender“. Dafür fehlt uns das Wort. Deshalb wenden wir in Deutschland dieses Wort an, und alle außer Ihnen halten es eigentlich auch aus. ({3}) Wenn wir Frauenpolitik machen, dann versuchen wir, den großen Berg an Benachteiligungen mit unterschiedlichen Werkzeugen abzutragen, mal ist es der Teelöffel und mal ist es der Schöpflöffel. Während wir diesen Berg abtragen, sitzen an irgendeiner Stelle hinterm Berg welche, die mit der Kohlenschaufel weitere Benachteiligungen anhäufen. Hier setzt der Gender-Mainstreaming-Ansatz an: Wir müssen die mit der Kohlenschaufel abschaffen. ({4}) Wir müssen bei allen Beschlüssen, bei allen Verordnungen, bei allen Gesetzen, bei Tarifverträgen, bei allem, was geregelt wird, vor der Entscheidung prüfen: Wie wirkt sich das, was da entschieden werden soll, was geplant ist, auf Männer aus, und wie wirkt sich das auf Frauen aus? Und stellt man fest, dass ein Geschlecht benachteiligt ist, dann muss die Entscheidung geändert werden. Wenn wir das bei allen anfallenden Entscheidungen konsequent anwenden, dann sind wir in fünf Jahren einen guten Schritt weiter, und dann ist der Berg an Benachteiligungen irgendwann auch abgetragen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Ein Ziel an diesem Frauentag 2020 ist die gerechte Verteilung der bezahlten Erwerbsarbeit und der unbezahlten Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen. Es bringt uns nicht weiter, wenn wir Frauen mit wirklich großartigen Programmen unterstützen – gestern debattierten wir über die Ganztagsbetreuung in Grundschulen – und nicht gleichzeitig die Männer in die Pflicht nehmen. Wenn die Frauen 75 Prozent der Sorgearbeit, der Familienarbeit stemmen, ist an echte Gleichberechtigung nicht zu denken. Wenn wir größere Anteile an bezahlter Arbeit übernehmen, müssen wir unbezahlte Arbeit abgeben. Lassen wir die Männer mit aufs Spielfeld und sie nicht nur auf der Tribüne wohlwollend applaudieren, wenn wir am Frauentag unsere Ansprüche formulieren! ({6}) Natürlich brauchen wir gute Arbeitszeitmodelle, höhere Tarifbindung, mobiles Arbeiten, Grundrente, gerechte Bezahlung, ein Verbandsklagerecht usw. Aber wenn es bei uns weiter so läuft, dass, wie das Wissenschaftszentrum Berlin jüngst ermittelt hat, Mütter bei Bewerbungen massiv benachteiligt werden, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass Sorgearbeit nicht alleine mit Frauen nach Hause geht. ({7}) 25 Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking ist es Zeit für „Fair-Änderung“. Ich wünsche allen Frauen einen wunderbaren und kämpferischen Frauentag. Es ist gut, wenn die Debatte, die wir heute führen, vor Ort fortgeführt wird. Danke an all diejenigen, die vor Ort in vielen Städten und vielen Initiativen die Frauentagsveranstaltungen organisieren! ({8}) Und immer daran denken: Wir wollen nicht die Hälfte des Kuchens, wir wollen die Hälfte der Bäckerei. ({9}) Weil wir den Internationalen Frauentag feiern, noch einen Satz zum Schluss: Ich habe heute Morgen im „Tagesspiegel“ von Huda Khayti gelesen, die in Idlib leidet. Sie hat uns etwas mit auf den Weg gegeben: „Wir wünschen uns nur, in Sicherheit zu leben. Mehr nicht. Wir wollen weder nach Europa, noch wollen wir ein Luxusleben. Nur Sicherheit.“ Meine solidarischen Grüße gehen auch an die Frauen und Kinder in Idlib. Danke schön. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Yvonne Magwas, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. ({0})

Yvonne Magwas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004346, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Internationale Frauentag ist immer wieder ein guter Anlass, zu schauen: Wie steht es denn um die Gleichberechtigung? Vor 25 Jahren wurde bei der Vierten Weltfrauenkonferenz die Pekinger Erklärung verabschiedet. Damals wurden strategische Ziele und Maßnahmen beschlossen, um die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen weiter voranzutreiben. Die Erwartungen waren groß. 25 Jahre nach Peking müssen wir jedoch feststellen, dass der Fortschritt bei der Gleichstellung von Frauen und Mädchen weltweit viel zu langsam eingetreten ist. In einigen Ländern wie zum Beispiel in den USA oder in Italien ist sogar ein Rückschritt feststellbar. Bis heute wurde die vollständige Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen in keinem einzigen Land erreicht – so heißt es in der Erklärung zum 25-jährigen Jubiläum der Vierten Weltfrauenkonferenz. Dieses Fazit muss uns traurig stimmen. Frauenrechte sind nämlich Menschenrechte. Die volle und gleichberechtigte Teilhabe sind vorrangige Ziele der internationalen Gemeinschaft. Wir alle, meine Damen und Herren, profitieren von einer wohlhabenderen, gerechteren und friedlicheren Welt. Deshalb darf Frauenpolitik auch nicht an der Landesgrenze enden. Wo Frauen massiv benachteiligt, am Zugang zu Bildung gehindert oder brutaler Gewalt ausgesetzt werden, da stehen auch wir in der Pflicht. ({0}) Deshalb ist die Förderung der Gleichberechtigung schon seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungspolitik und muss es auch in Zukunft bleiben. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, werfen wir nun einen Blick nach Deutschland. Seit dem ersten Weltfrauentag haben wir in Deutschland für die Gleichberechtigung von Frauen viel erreicht, und darauf können wir auch stolz sein. Luft nach oben bleibt natürlich immer; schon allein der Blick auf den niedrigen Frauenanteil hier im Deutschen Bundestag zeigt das. ({2}) Ich bleibe aber zuversichtlich, dass wir gemeinsam einen Schritt vorankommen. Wir dürfen aber nicht nur auf die Frauen hier im Parlament schauen. Frauenpolitik darf kein Privileg für wenige sein. Frauenpolitik ist so vielfältig, wie Frauen es selbst sind. Sie umfasst alle politischen Bereiche, ist Querschnittsthema und muss sich auch an alle Generationen richten. ({3}) Unsere Aufgabe ist es, die politischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass jede Frau ihren Lebensentwurf auch leben kann. Frauen wollen und können selbst entscheiden, wie sie leben wollen, wie sie Familie mit Erwerbstätigkeit vereinbaren wollen. Was ist dazu aber noch grundlegend notwendig? Aus meiner Sicht müssen vor allem gesellschaftliche Normenvorstellungen, stereotypische Rollenbilder noch mehr aufgebrochen werden. Dazu drei Punkte: Familienarbeit muss gleichermaßen von Mamas und Papas erledigt werden. ({4}) Haushalt und Kinderbetreuung sind genauso Männersache, müssen partnerschaftlich aufgeteilt sein. ({5}) Noch immer tragen Frauen den größten Teil der Familienarbeit, müssen Beruf und Familie unter einen Hut bringen. Dies zu ändern, schafft man nicht mit Gesetzen. Vielmehr bedarf es eines Mehrs an Umdenken in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Politik, in der breiten Bevölkerung. Ich bin der Meinung: Väter sind starke Männer, wenn sie sich um die Familie kümmern, ({6}) und Mamas lieben ihre Kinder genauso, auch wenn sie Karriere machen. Tragen wir das nach außen! ({7}) Ein weiterer Punkt, der heute immer wieder angesprochen wurde, betrifft das Thema Gehaltsunterschiede. Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen darf es nicht mehr geben. ({8}) Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung liegt der als gerecht empfundene Lohn für Männer um 3 Prozent höher als der gerecht empfundene Lohn für Frauen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Das führt nämlich dazu, dass zwischen Frauen und Männern bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit in Deutschland noch immer die reale Lohnkluft von 6 Prozent besteht. Und darum müssen wir auch an die Gehaltslücke im Kopf ran. Frauen und Männer verdienen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn. ({9}) Ein dritter Punkt, der mir noch wichtig ist: Führung muss in Teilzeit möglich sein. Familie und beruflicher Aufstieg dürfen sich nicht ausschließen. Es darf kein Entweder-oder geben. Es gibt inzwischen vorbildliche Unternehmen und Behörden, die Führung in Teilzeit ermöglichen. Sie handeln damit klug und zukunftsorientiert; denn wir brauchen in Deutschland dringend gute Führungskräfte auf allen betrieblichen Ebenen. Deshalb können wir es uns auch gar nicht leisten, gut ausgebildeten Männern und Frauen, die Beruf und Familie miteinander vereinbaren wollen, keine entsprechenden Angebote zu machen. Hier wünsche ich mir noch mehr Offenheit und Flexibilität von den Unternehmen. Kurzum, meine Damen und Herren: Der Internationale Frauentag steht in diesem Jahr unter dem Motto „Each for Equal“ – jeder für Gleichberechtigung. Frauenpolitik ist somit auch Männersache. ({10}) Unser Grundgesetz gibt uns unter Artikel 3 Absatz 2 den Auftrag zur Förderung von Gleichberechtigung. Sehen wir dies als Verpflichtung und als normalste Aufgabe der Welt an! Vielen Dank. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Silke Launert, CDU/CSU. ({0})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Halt deinen Mund!“, „Stell dich nicht so an!“, „Du bist es nicht wert!“ – Sätze, die ein Schlag ins Gesicht sind. Sätze, die tiefe Wunden hinterlassen. Sätze, die sich Millionen von Frauen anhören müssen. Auch im Jahr 2020, also mehr als 100 Jahre nach der Einführung des Weltfrauentags, werden Frauen auf der ganzen Welt noch zu Opfern von Diskriminierung, Gewalt und Unterdrückung. Ein grausames Beispiel in diesem Zusammenhang ist die weibliche Genitalverstümmelung. Wir sprechen über den Weltfrauentag, und in diesem Zusammenhang muss man alle Benachteiligungen und Grausamkeiten gegenüber Frauen ansprechen. Ich erwähne sie deshalb als Erstes, weil wir in dieser Woche im Familienausschuss einen einstündigen Fachvortrag dazu gehört und ein Gespräch darüber geführt haben, und ich glaube, alle Anwesenden hat das tief berührt. Auch meine beiden Praktikantinnen haben sehr viel aus diesem Gespräch mitgenommen. 200 Millionen Frauen und Mädchen sind beschnitten. 98 Prozent der Mädchen und Frauen in Somalia sowie 87 Prozent der Mädchen und Frauen in Ägypten – das sind nur einige Zahlen – sind Opfer dieser grausamen Praktik geworden, einer Praktik, die zu unfassbar starken körperlichen Schmerzen und lebenslangen Beeinträchtigungen führt, einer Praktik, die neben den psychischen Wunden auch tiefe seelische Spuren hinterlässt: posttraumatische Belastungsstörungen, Angststörungen, Depressionen. Obwohl Beschneidungen in den meisten dieser Länder übrigens verboten sind, tun das die meisten – auch Mütter – ihren Töchtern an. Warum? Weil eine nicht beschnittene Frau als unrein gilt und sie meinen, dass ihre Töchter in der Gesellschaft sonst keine Chance hätten. Ein weiteres Beispiel, eine weitere Zahl: 34 Millionen Mädchen im Grundschulalter gehen nicht in die Grundschule. 34 Millionen Mädchen haben also keine Chance auf Bildung, keine Chance auf ein besseres Leben, keine Chance, als Frau selbstbestimmt leben zu können – also: Leben in Armut oder Abhängigkeit. Eine weitere grausame Realität: Zwangsehen. 650 Millionen Mädchen und Frauen wurden vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet. Das Kinderhilfswerk UNICEF schätzt, dass jedes Jahr rund 12 Millionen Mädchen zu einer Zwangsehe gezwungen werden. Man muss sich mal in die Lage dieser Mädchen hineinversetzen! Diese Mädchen leben in dieser Welt. Mit 12 oder 13 Jahren werden sie verheiratet – und wenn sie Pech haben, mit einem 70-Jährigen. Stellen Sie sich das einfach einmal vor! Das passiert in anderen Teilen der Welt. Gewalt, in welcher Form auch immer, ist ein weiteres Thema, das Millionen von Frauen betrifft. Jede dritte Frau weltweit ist laut Expertenschätzungen schon mal Opfer von Gewalt geworden. Das erleben wir auch hierzulande, und zwar in allen Schichten und Altersgruppen. 81,3 Prozent der registrierten Opfer von versuchter oder vollendeter Gewalt waren Frauen, also mehr als vier Fünftel. In dem Deliktsbereich „Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe und sexuelle Nötigungen in Partnerschaften“ liegt dieser Anteil sogar bei 98,4 Prozent. – Das sind jetzt nur Zahlen. Wir haben es schon gehört: An jedem dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner in Deutschland getötet. Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Der Kampf gegen die Gewalt gegenüber Frauen ist noch lange nicht gewonnen – an keinem Ort der Welt. Jetzt könnte man verzweifeln und sagen: Wir schaffen ja eh nichts; wir bewirken eh nichts. Was wollen wir denn machen? Jedes Jahr halten wir hier schöne Reden – immer wieder ähnliche –, und es passiert nichts. – Ganz ehrlich: Wir können und dürfen uns nicht aus der Verantwortung ziehen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Launert, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das können wir danach machen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Also keine Zwischenfrage. Danke. – Die Redner können grundsätzlich nicht entscheiden, dass es nach Reden Zwischenbemerkungen gibt, und nach Schluss dieser Debatte wird es auch keine Zwischenbemerkungen mehr geben. – Sie gestatten jedenfalls keine Zwischenfrage.

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Man muss aber auch sehen – jetzt mal ein bisschen positiver –, was wir alles schon bewegt haben. Man kann sich das nicht vorstellen, aber bis zum Jahr 1958 konnte eine Frau ohne Einwilligung des Mannes auch in Deutschland noch kein Konto eröffnen. Bis 1977 durfte eine Frau ohne die Erlaubnis des Mannes noch nicht arbeiten. Das sind doch Signale. Die Vergewaltigung in der Ehe ist inzwischen strafbar. „Nein heißt Nein“. Ich weiß, dass das in der Praxis für die Staatsanwaltskollegen ganz große Herausforderungen mit sich bringt. In der Sache ist das aber genau richtig. Prostituiertenschutzgesetz, Verbot von Kinderehen: Wir haben in diesem Bereich in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Mehr Mädchen den Zugang zur Bildung ermöglichen: Hier haben wir inzwischen auch weltweit Fortschritte gemacht. Um 15 Prozent ist die Quote der Mädchen gesunken, die eine Zwangsehe eingehen müssen. Wir haben also auch weltweit eine Verbesserung erreicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir dürfen nicht wegsehen. Und eines muss klar sein: Wir müssen immer weiter kämpfen; denn es darf nicht sein, dass sich auch nur eine Frau auf dieser Welt noch den Satz „Du bist es nicht wert“ anhören muss. Vielen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tribünen! Wir haben an dieser Stelle bereits mehrfach über den Wohnungsmangel – insbesondere in den Metropolen unseres Landes – gesprochen. Parteiübergreifend sollte Einigkeit darin bestehen, dass mehr und vor allem schneller gebaut werden muss, um die Situation zu entspannen. Unsere beiden Anträge dienen genau diesem Ziel. Mit dem ersten Antrag fordern wir die Aussetzung der Energieeinsparverordnung – zumindest so lange, bis der Wohnraum wieder für alle Menschen bezahlbar geworden ist. Man hat in Zeiten von Greta Thunberg keinen leichten Stand, wenn man einen solchen Antrag vorlegt, aber wir müssen den Blick auf die Realitäten in unserem Land richten. Generell kann der Politik in unserem Land ein wenig mehr Realitätssinn nicht schaden. Die energetischen Vorgaben der EnEV haben in den Jahren 2000 bis 2017 zu Kostensteigerungen von bis zu 19 Prozent und damit zu einer erheblichen Verteuerung des Bauens geführt. Diese Verteuerung hat neben anderen Faktoren für einen deutlichen Anstieg der Mieten gesorgt. Die Dämmvorschriften der EnEV sind dabei ein schönes Beispiel für die Überschreitung jeglichen Grenznutzens und das, was wir als „Dämmwahn“ bezeichnen. Während die ersten Zentimeter der Außendämmung im Hinblick auf den Wohnkomfort und unter energetischen Gesichtspunkten noch Sinn machen, fällt der Nutzen danach immer weiter ab. Es macht dann praktisch keinen Unterschied mehr, ob man 16 oder 30 Zentimeter Dämmung aufbringt. Trotzdem schreibt die EnEV am Ende natürlich die 30-Zentimeter-Dämmung vor. Auch wenn derzeit noch der Grundsatz der anlassbezogenen Sanierung gilt: Die EnEV gibt den Eigentümern das Maß der Sanierung vor. Wenn der Eigentümer die Fassade sanieren möchte, wird er zur Einhaltung des EnEV-Standards verpflichtet, obwohl sich das für ihn weder finanziell noch in sonstiger Hinsicht lohnt. In der Folge entscheiden sich viele Eigentümer dann oftmals gegen die Sanierung und beschränken sich auf Reparaturen. Wir wissen, dass einige Vertreter des linken politischen Lagers schon jetzt von Zwangssanierungen träumen, deren Kosten dann bei den vermeintlich reichen Hausbesitzern hängen bleiben. Derartigen Ideen erteilen wir schon heute eine Absage. ({0}) Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden: Auch im politischen Programm der AfD haben Ressourcenschonung und Umweltschutz einen wichtigen Platz. Auch wir sind grundsätzlich dafür, dass Gebäude energetisch saniert werden, wenn das sinnvoll ist. ({1}) Das Was und das Wie der Maßnahmen muss aber den Eigentümern überlassen bleiben. Die meisten Eigentümer werden zur energetischen Sanierung bereit sein, wenn es für sie Sinn macht. Richtig wäre es daher, wenn man den Fokus auf die Gebäude legen würde, die die größten energetischen Defizite haben. Das sind die Nachkriegsbauten, die bis Ende der 70er-Jahre errichtet und bislang noch nicht energetisch saniert wurden. Hier kann man mit relativ wenig Aufwand sehr viel erreichen. Die EnEV fördert demgegenüber das am meisten, was am teuersten ist. Das ist der Grund, weshalb energetische Sanierungen in den meisten Fällen für Eigentümer und Mieter unwirtschaftlich sind. Die Bundesregierung hat nun den Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes vorgelegt, das die EnEV und andere Vorschriften in einem Gesetz zusammenführt. Auch wenn damit derzeit keine Verschärfung der energetischen Standards verbunden ist, werden die teuren und überzogenen Anforderungen weiter zementiert, und die nächste Stufe der Verschärfung wird vorbereitet. Daneben wird das Gebäudeenergiegesetz zu einem Anwachsen der Vorschriften von 80 auf 200 Seiten führen. In der Expertenanhörung wurde zwar gesagt, dass es für die Immobilienwirtschaft als einheitliches Regelwerk trotzdem leichter zu handhaben wäre. Wir glauben allerdings, dass dieser Zustand nur von kurzer Dauer ist und die Widersprüche schon mit der nächsten Änderung wieder aufbrechen werden. Die Fehler der EnEV werden bis auf Weiteres im Gebäudeenergiegesetz fortgeschrieben. Meine Damen und Herren, über den Klimawandel und die Energieeinsparung mag man denken, was man will – wichtiger ist aus unserer Sicht in jedem Fall, dass jeder Mensch in unserem Land zu bezahlbaren Kosten ein angemessenes Dach über dem Kopf hat. ({2}) Die Politik muss hier eine Entscheidung treffen. Sie muss entscheiden, ob sie den ideologisch motivierten Klimaschutz weiterhin auf Kosten der Menschen betreibt oder ob sie der berechtigten Forderung nach bezahlbarem Wohnraum nachkommt. Wir sind auf Ihre Entscheidung gespannt. Man muss in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die energetischen Regelungen nur einen Teil der Vorschriften des Baurechts bilden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund beklagte jüngst in einem Positionspapier, dass sich die Anzahl der Vorschriften seit 1990 von 5 000 auf 20 000 vervierfacht hätte. Diese dramatische Steigerung betrifft alle Bereiche des Bau- und Baunebenrechts. Auch dieser Wildwuchs von Vorschriften trägt zur Steigerung der Kosten des Bauens und Wohnens bei. Insbesondere für kleine und mittlere Betriebe wird es immer schwerer und aufwendiger, die für sie maßgeblichen Normen auszumachen und anzuwenden. Die zusätzlichen Vorschriften haben das Bauen weder besser noch sicherer gemacht, sondern nur komplizierter und teurer. ({3}) Meine Damen und Herren, das nächste Drama ist mit der europäischen Bauprodukte-Verordnung bereits vorgezeichnet. Der unselige Drang, auf jede Herausforderung mit noch mehr Regulierung zu antworten, lähmt dieses Land im Wohnungsbau und an anderer Stelle. Es ist unsere Aufgabe, hier korrigierend einzugreifen. Dem dient unser zweiter Antrag. Dabei geht es nicht nur darum, das weitere Anwachsen der Zahl der Vorschriften zu verhindern; es geht auch darum, die bestehenden Normen auf ihre Erforderlichkeit und ihren Nutzen zu prüfen. Erschwert wird diese Aufgabe dadurch, dass das Bauordnungsrecht Ländersache ist. Der Bund kann hier nicht direkt eingreifen; aber er kann und muss seine Möglichkeiten wahrnehmen, gemeinsam mit den Ländern auf eine weitere Vereinheitlichung des Baurechts hinzuwirken. Die derzeitige Musterbauordnung kann diesem Anspruch nur teilweise gerecht werden, da sie in der gegenwärtigen Struktur den Besonderheiten des städtischen und des ländlichen Raums nicht gleichzeitig gerecht werden kann. ({4}) – Ja, lassen Sie es sich erklären. – Hier ist ein neuer, modularer Ansatz zu wählen, der diesen Gegebenheiten Rechnung trägt. Meine Damen und Herren, wie eingangs bereits erwähnt, wird immer wieder bemängelt, dass in unserem Land zu langsam und zu kompliziert gebaut wird. Die Überwindung der Probleme auf den Wohnungsmärkten wird nur gelingen, wenn wir das Angebot an Wohnraum zügig vergrößern. Wir zeigen Ihnen mit unseren Anträgen Schritte auf, die Probleme zu lösen. Und an das Bauministerium gerichtet: Mit der Zustimmung zu unseren Anträgen würde Ihr Ziel von 375 000 neuen Wohnungen pro Jahr deutlich schneller erreicht. ({5}) Danke schön. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Michael Kießling, CDU/CSU. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hemmelgarn, nachdem ich Ihnen zugehört habe, bin ich nicht sicher, ob Sie Ihren Antrag selber gelesen haben. Aber dazu kommen wir später noch mal. ({0}) Beim Neubau eines Gebäudes gibt es sehr viele Anforderungen: Die Architektur soll sich in die Umgebung einfügen. Das Gebäude soll Wohnraum schaffen, es soll Lebensraum schaffen. Es gibt verschiedene Anforderungen aus der privaten Marktwirtschaft, aber auch gesetzliche Anforderungen. Doch wie steht es um den Klimaschutz, um den Einbau moderner, ressourcenschonender Techniken unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Kosten? Wir alle wissen, dass die Anforderungen vielseitig sind. Dazu gehören beispielsweise die Bauvorschriften, deren Zahl Sie, liebe AfD, mit Ihren Anträgen reduzieren wollen. ({1}) Für Sie bedeuten Vorschriften vor allem regulatorischen Wildwuchs. Für mich bedeutet Ihr Antrag vor allem eines: AfD – Ahnungslosigkeit für Deutschland. ({2}) Oft verwenden Sie Begrifflichkeiten, die klar aufzeigen, dass Sie nicht wissen, wovon Sie reden, beispielsweise im ersten Antrag, Seite 3 – ich zitiere –: Eine Außerkraftsetzung der EnEV würde demgegenüber zu einer spürbaren Senkung der Baukosten und zu verstärkten Investitionen in den Neubau von Wohnungen führen. Ein vergrößertes Angebot an Wohnungen würde dann ohnehin dazu führen, dass sich Mieter sehr wahrscheinlich für die energetisch besseren Wohnungen entscheiden würden, nicht zuletzt im Hinblick auf die geringeren Heizkosten. ({3}) Übersetzt bedeutet das für mich: Sie wollen Wohnungen mit schlechter Qualität bauen, in denen später keiner leben will. Die Sinnhaftigkeit Ihres Antrags erschließt sich mir leider nicht. ({4}) Gleiches gilt für Ihren Wissensstand bezüglich des Klimapaketes; denn die CO2-Preise – Sie sprechen vom Heizen – werden nicht vom Vermieter bezahlt, sondern über die Energiepreise finanziert. Also wird nichts vom Vermieter umgelegt. Ein weiterer Klassiker aus dem Tal der Ahnungslosen. Sie sagen es selbst: Die Baubranche befindet sich am Kapazitätslimit. – Wie erklären Sie uns dann bitte Ihre Forderungen nach mehr Bautätigkeit, nach mehr Wohnungen, und das alles mit nur einem Lösungsansatz, der Deregulierung des Baurechts? ({5}) Ihr Antrag glänzt vor allem mit Eindimensionalität. Fest steht, dass wir vor großen Herausforderungen im Bereich des Wohnungsbaus stehen. Die Reduzierung der Zahl der Vorschriften greift viel zu kurz. Klar ist: Es wurden in der Vergangenheit viel Bürokratie und viele Anforderungen rund ums Bauen aufgebaut, aus den unterschiedlichsten Gründen. ({6}) Ich nenne nur die Mantelverordnung, Stichwort: Entsorgung von Oberboden. Das ist nicht optimal, und dass es Stilblüten gibt, wissen wir alle. Aber kurz zu Ihrem Beispiel, zu den Auflagen im Bereich des Umweltschutzes. Warum schaffen wir das Gebäudeenergiegesetz? Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und der Klimaschutz schließen sich nicht per se aus, wie Sie von der AfD das vermuten. Erstens wollen wir vereinfachen. Das Nebeneinander unterschiedlicher Regelwerke hat zu Schwierigkeiten in der Anwendung geführt. Das Gebäudeenergiegesetz führt das Energieeinsparungsgesetz, die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz in einem neuen Gesetz zusammen. Wir entbürokratisieren also schon, fassen zusammen. Daher gilt für die Errichtung neuer Gebäude künftig ein einheitliches Anforderungssystem, in das Energieeffizienz und erneuerbare Energien integriert sind. Zweitens wollen wir das Anforderungsniveau für Neubauten und Sanierungen mit dem Klima- und Umweltschutz harmonisieren. Dabei ist es für uns entscheidend, dass Bauen und Wohnen nach wie vor erschwinglich bleiben. Bezahlbar ist in der Regel alles – die Frage ist, von wem. ({7}) Dieses Gesetz bildet einen wichtigen Baustein der Energiewende. Zudem möchte ich auf eine weitere Sache aufmerksam machen, liebe AfD: Die Überprüfung der Bauvorschriften – auf Grundlage der Ergebnisse der Baukostensenkungskommission – ist bereits Bestandteil der im Rahmen des Wohngipfels 2018 beschlossenen Maßnahmen. Dieser Prozess wird fortwährend durchgeführt. Die erneute Forderung in Ihrem Antrag ist nicht nur realitätsfern; sie ist schlichtweg von gestern. Daher nochmals kurz zum Mitschreiben: Bereits im November 2019 fand ein erstes Treffen zwischen Bund, Ländern, Kommunen, Bau- und Wohnungswirtschaft, Bauplanern und Bauproduktherstellern sowie technischen Regelsetzern statt. Sie werden in diesem Jahr erste Ergebnisse, insbesondere Erkenntnisse zu den Folgekosten von Regulierungen und Normen, bekannt geben. Über den Verlauf dieser Arbeit hat das BMI im vergangenen Dezember im Bauausschuss berichtet. Ich glaube, Sie sind dort auch vertreten. Dabei wurde klar kommuniziert: Der Bund ist nicht allein Gesetzgeber und Regelsetzer. – Die genauen Verantwortlichkeiten sind der AfD aber scheinbar nicht bekannt. Sie sollten vielleicht einmal die bestehenden Projekte und Maßnahmen besser im Blick haben, bevor Sie einen neuen Antrag verfassen. Dass man über Entbürokratisierung sprechen muss, ist das eine. Sie macht das Bauen einfacher. Sie erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, dass schneller gebaut wird und damit Druck vom Wohnungsmarkt genommen wird. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die gesamte Branche schon jetzt auf Hochtouren arbeitet und die Kapazitäten ausgelastet sind. Da hört sich Ihre Idee von Entbürokratisierung und Kostensenkung erst mal sehr interessant an, bietet aber keine ausreichende Grundlage für erschwinglichen Wohnraum. Wir haben als Koalition den Grundstein für die größte Wohnraumoffensive gelegt, die es je von einer Bundesregierung gab. Dazu gehören unter anderem die Novellierung des Baugesetzbuches, die Erhöhung des Wohngeldes oder die Einführung des Baukindergeldes – alles, um das Wohnen erschwinglicher zu machen. Hätten Sie beispielsweise gestern aufgepasst, wüssten Sie, welche Chancen die Digitalisierung für die Baubranche bringt, um günstiger, schneller und effektiver zu bauen. Dieser gesamtheitliche Ansatz fehlt mir in Ihrem Antrag. Ich fasse zusammen: Sie wollen mehr bauen; Sie wollen Wohnungen bauen, in denen man nicht leben will, und das mit Baufirmen, die es nicht gibt, aber dafür eigentlich auch keine Zeit haben. Daher, liebe Kollegen: Wenn Sie sich das nächste Mal mit dem Thema Wohnungsbau beschäftigen, ({8}) tun Sie dies mit etwas mehr Tiefgang und Weitblick. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Neumann, FDP. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, der uns hier zur Beratung vorliegt, geht leider in die völlig falsche Richtung, weil er ein völlig falsches Ziel avisiert. Fakt ist aber, dass wir natürlich sehr genau analysieren müssen, was die Baukostensteigerung letztendlich verursacht hat. Politische Entscheidungen und Vorgaben haben das Bauen in den vergangenen Jahren verteuert. Aber wir müssen genau hinschauen, an welcher Stelle hier angesetzt werden muss. Der richtige Ansatz ist – das haben wir auch am Mittwoch in der Anhörung zum Gebäudeenergiegesetz gehört –, vorhandene Vorschriften und Regelungen umfassend zu evaluieren, zusammenzufassen und möglicherweise zu vereinfachen, um Kostentreiber zu erkennen, um Baukostensteigerungen zu verhindern. Wie gesagt, das GEG soll genau in diese Richtung gehen. Ich glaube, wir müssen das eine oder andere da noch hineinschreiben. Eine Studie des Instituts für TGA in Dresden hat festgestellt, dass nur 6 Prozent punkte von insgesamt 36 Prozent Baukostensteigerung tatsächlich durch die EnEV bedingt sind. Das Forschungsinstitut für Wärmeschutz in München spricht von circa 12,5 Prozent energiebedingten Anteilen an den Gesamtkostensteigerungen. Das heißt, wenn man das Ganze auf ein Mehrfamilienhaus anwendet, dann sieht man, dass nur 3 Prozent der Gestehungskosten bzw. Mehrkosten der EnEV zuzuordnen sind. Das heißt, wir haben in den Kostengruppen 300 – da geht es um das Bauwerk, also die Baukonstruktionen – und 400 – Gebäudetechnik – Mehrkosten von ungefähr 6 bis 7 Prozent . In den Kostengruppen 100 bis 700, also von Beginn des Bauens bis zur Fertigstellung, sind die Baukostensteigerungen deutlich geringer. Was heißt das? Offensichtlich – das will ich an dieser Stelle deutlich sagen – lassen sich durch die Wahl geeigneter baulicher und anlagentechnischer Konzepte und Nutzung der verfügbaren Fördermittel spürbar geringere Mehrkosten realisieren. Was heißt das für uns insgesamt? Wir gehen davon aus, dass die Aussetzung der EnEV – da gibt es in der politischen Diskussion ja verschiedene Ansätze – dazu führen würde, Neubauten in Zukunft zu Sanierungsfällen zu machen; denn wir müssten dann wieder ganz von vorne anfangen. Die Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie in ein Gebäudeenergiegesetz hat zehn Jahre gedauert. Das heißt, wir würden das nicht in Einklang bringen mit der Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie und verstoßen quasi gegen eine EU-Vorschrift. Und – das ist viel wichtiger – wir würden für Planungsbüros und Baufirmen quasi ein Durcheinander organisieren und keine Planungs- und Investitionssicherheit schaffen. Liebe Antragsteller, es handelt sich also nicht um ein Erkenntnis-, sondern – das ist gravierender – um ein Umsetzungsproblem. Das Management muss viel besser werden: auf Bundes-, aber auch auf Landesebene; dort sind die Landesbauordnungen verantwortlich. Wenn wir über Baukostensteigerung reden, also wenn wir darüber reden, dass das Bauen zu teuer ist, sollten wir das zum Anlass nehmen, darauf zu achten: Was wäre zu reformieren? Wo sind die tatsächlichen Baukostensteigerungen? Wir könnten in diesem Zusammenhang Landesbauordnungen auch deutlich entschlacken. Ich glaube, da ist Spielraum vorhanden. Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Dieser Antrag ist in der vorliegenden Form verzichtbar; denn die Probleme, die Sie hier ansprechen wollten, liegen eindeutig woanders. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Bernhard Daldrup, SPD. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Anträge der AfD von gestern und heute zusammengefasst betrachtet, dann hat man einmal mehr die drei Lebenselixiere der AfD zusammen – Flüchtlinge, Klima und Bürokratie –, die ihr sozusagen zur Verfälschung von Wirklichkeit dienen, was bisweilen verbrämt wird in den Vorschriftendebatten; Michael Kießling ist gerade darauf eingegangen. Beispiel eins. Während gestern die Fraktionen aus einer tiefen humanitären Überzeugung im Bundestag darum rangen, wie am besten Kindern, die Opfer von Flucht und Vertreibung geworden sind, geholfen werden kann, heißt es in einem Ihrer vorigen Anträge zu diesem Tagesordnungspunkt eiskalt: „Die Wohnungsnot entsteht fast ausschließlich durch direkte Zuwanderung aus dem Ausland“, ({0}) womit Sie nichts anderes als Flüchtlinge meinen. ({1}) Das setzt sich heute bei Ihrem Antrag zu einem anderen Thema ganz offensichtlich fort, wenn es in Ihrem Antrag heißt: „Bei seit Jahren offenen Grenzen und unkontrollierter Zuwanderung ist nicht absehbar, dass die Wohnungsfrage geklärt werden kann.“ Ihr Thema ist nicht die EnEV; das hat Herr Dr. Neumann gerade eben erläutert. Das ist etwas ganz anderes. Aber weil die AfD mit diesen Stereotypen nicht mehr durchkommt, weil erkennbar wird, dass unsere Wohnungspolitik wirkt, ({2}) weil im letzten Jahr 300 000 neue Wohnungen gebaut worden sind, weil unsere Mietenpolitik den Anstieg bremst, ({3}) weil das Baukindergeld nützt, weil der soziale Wohnungsbau wieder gestärkt wird, weil die Wohnwende auf dem Weg ist – bei allen notwendigen Verbesserungen –, ({4}) deshalb jagen Sie Ihr zweites Hirngespinst durch die Welt: die Verleugnung des Klimawandels. ({5}) Ja, wir bekennen uns zum Klimaschutzziel. Wir wollen bis 2030  55 Prozent weniger Treibhausgase verursachen als 1990. Das bedeutet, die CO2-Emissionen im Gebäudesektor von derzeit 118 Millionen Tonnen auf 70 Millionen Tonnen bis 2030 zu reduzieren. ({6}) Der Gebäudesektor trägt mit seinen CO2-Emissionen also ganz offensichtlich zum Klimawandel bei. Damit verbunden sind zahlreiche konkrete Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung: angefangen bei massiven Investitionsförderungen, beispielsweise für den Einbau emissionsärmerer Heizungen, über steuerliche Abschreibungen – 40 Prozent bei Investitionen von bis zu 200 000 Euro pro Gebäude – bis zur Förderung des Mieterstroms und vieler anderer Maßnahmen. ({7}) Und weil wir wissen, dass diese Maßnahmen sozialverträglich sein müssen, wird die Bundesregierung die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung in Klimaschutzmaßnahmen reinvestieren und auch an die Bürgerinnen und Bürger in Form von Entlastungen wie beispielsweise, aber eben nicht nur, der Entfernungspauschale zurückgeben. Ich sprach zu Beginn von den drei Hirngespinsten der AfD; deshalb sei das letzte genannt: die ewige Regulierung, die überbordende Bürokratie. Es ist ja gut, dass noch niemand vor Ihnen auf dieses Thema gekommen ist. ({8}) Neue Anforderungen der Klimapolitik produzieren auch neue Vorschriften. Wie soll das anders gehen? Deshalb gehört Bürokratie auf den Prüfstand, immer wieder. ({9}) Aber gerade das Gebäudeenergiegesetz, das Sie gar nicht wollen, ({10}) ist die Verbindung – das ist gerade eben erläutert worden – von bisher drei unterschiedlichen Normen; es ist eine Form von Zusammenführung. ({11}) Gerade erst hat eine Anhörung stattgefunden, und alle Sachverständigen haben einhellig begrüßt, dass die Bundesregierung diese Vorgaben in einem Gesetz bündeln will. Kein Experte kommt auf die absurde Idee wie die AfD, diese gesetzlichen Normen komplett abzuschaffen. Aber damit nicht genug. In einem weiteren Antrag wollen Sie das Baurecht, wie Sie sagen, „endlich deregulieren“; das ist auch eine ganz neue Nummer, haben wir noch nie gehört. Und damit es auch mit einem Superlativ verbunden wird, soll die Bundesregierung gleich alle 20 000 Bauvorschriften überprüfen und Vorschläge zur Abschaffung derjenigen Vorschriften machen, die nicht erforderlich sind. Nun fragt man sich, welche das sind. Das erschließt sich nicht mal aus der Begründung; denn dort heißt es schlicht: „Soweit die bestehenden Vorschriften erforderlich sind, sollen sie erhalten bleiben.“ Na, das ist eine Schlaubergerei, die gibt es offensichtlich nur bei der AfD. Ein letzter Satz. Herr Hemmelgarn, ich bin davon überzeugt: In Deutschland wird gut gebaut, auch wenn Sie es schlechtreden wollen. Danke schön. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Caren Lay, Die Linke. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die AfD hat nun als letzte Fraktion in diesem Haus die Wohnungskrise endlich als Problem erkannt – immerhin. Doch leider liegt sie sowohl bei der Analyse als auch mit ihren Vorschlägen zur Behebung des Problems völlig falsch. ({0}) Bis jetzt haben Sie immer und bei allem, auch bei der Wohnungskrise, Zugewanderten, Migrantinnen und Migranten, die Schuld gegeben. Jetzt ist der Klimaschutz als neues Feindbild an der Reihe. Zu viel Klimaschutz sei schuld an der Wohnungskrise und würde Wohnungsbau verhindern, so der Tenor Ihrer Reden und Ihrer Anträge. Das, meine Damen und Herren, ist, gelinde gesagt, völliger Unsinn. ({1}) Denn der entscheidende Kostentreiber beim Bau – die Baukosten steigen in der Tat – sind nicht die gestiegenen Umweltauflagen, sondern die über Jahrzehnte massiv gestiegenen Bodenpreise. Seit dem Zweiten Weltkrieg gehen 80 Prozent der Baukostensteigerungen auf explodierende Bodenpreise zurück. In Hamburg muss man für einen Quadratmeter Bauland inzwischen 3 000 Euro hinblättern. ({2}) Investoren holen sich diese Mondpreise über völlig überteuerte Mieten und überteuerte Verkäufe wieder herein. Deswegen können Genossenschaften und Kommunen kaum bezahlbare Neubauwohnungen erstellen. Schuld an der Mietenkrise – das ist der entscheidende Punkt – ist die Geschäftemacherei mit Wohnungen, ist die Spekulation; das ist die Wahrheit. ({3}) Deswegen, meine Damen und Herren von der AfD, führt jede Rede davon, dass zu viele staatliche Vorschriften dafür sorgen, dass das Bauen teuer geworden ist, wirklich auf ein Nebengleis der Debatte. Thema verfehlt, kann ich da nur sagen. ({4}) Wer die Kostenexplosion bei Mieten und beim Bauen stoppen will, muss für einen Mietendeckel sein und muss an die Bodenpreise heran. Deswegen brauchen wir endlich auch einen Bodenpreisdeckel und eine Steuer auf Bodenspekulation. ({5}) Aber zum Thema Spekulation und zum Thema Mieterschutz schweigt die AfD. Mit dem internationalen Finanzkapital legen Sie sich lieber nicht an. Das braucht wirklich keinen Mut. ({6}) Die AfD will stattdessen die Energieeinsparverordnung, kurz EnEV genannt, zur Lösung der Wohnungskrise aussetzen. Aber Umweltauflagen – das ist gerade schon gesagt worden – machen laut der Baukostensenkungskommission nur 6 Prozentpunkte der Kostensteigerung von insgesamt 36 Prozent in den letzten Jahren aus. Neuvorschriften, wie die EnEV, führen aber dazu, dass bei Neubauten deutlich weniger Energie, nämlich ein Viertel weniger, verbraucht wird. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es doch völlig falsch, wenn wir Klimaschutz auf der einen Seite und die Bezahlbarkeit von Wohnen auf der anderen Seite gegeneinander ausspielen. Klimaschutz und soziale Wohnungspolitik müssen Hand in Hand gehen; das ist der entscheidende Punkt. ({7}) Es ist auch absurd, das Gebäudeenergiegesetz aufzugeben. Es kommt zu spät und will zu wenig; das ist unsere Kritik als Linke. Ein Blick nach Wien zeigt übrigens, dass es gehen kann. Dort sind deutlich mehr Gebäude energetisch saniert, und die Mieten sind trotzdem viel niedriger und damit eher bezahlbar als hierzulande. Die Klimaschutzziele im österreichischen Gebäudesektor sind sogar übererfüllt. Dort gibt es nämlich in einem großen gemeinnützigen Wohnungssektor eine warmmietenneutrale Sanierung. Das heißt Klimaschutz ohne Mieterhöhung; das sollte auch unser Ziel sein. ({8}) Wir als Linke wollen, dass klimagerechtes Wohnen für alle erschwinglich ist. Deswegen müssen wir als Erstes diese sogenannte Modernisierungsumlage abschaffen; denn sie ist eine Einladung zum Herausmodernisieren von Mieterinnen und Mietern und hat mit Klimaschutz wenig zu tun. Sie ist ein lukratives Geschäft für Immobilienspekulanten. Schluss damit! ({9}) Was wir aber stattdessen brauchen, ist die klimagerechte Sanierung mit einem sinnvollen Gebäudeenergieinvestitionsprogramm. Wir als Linke wollen dafür 10 Milliarden Euro jährlich aufwenden. So geht energetische Sanierung ohne Mieterhöhung. Wir als Linke haben einen umfangreichen Klimaaktionsplan aufgelegt, auch für den Gebäudesektor. Ich kann Ihnen nur empfehlen, einen Blick hineinzuwerfen. ({10}) Eines, meine Damen und Herren, möchte ich noch sagen: Auch wir als Linke sind selbstverständlich gegen sinnlose bürokratische Hürden. Wir wollen sie überprüfen; diese Position habe ich hier auch immer vertreten. Wir brauchen nicht 16 verschiedene Bauordnungen, aber natürlich sollen Neubauvorhaben nicht an der Bundesstellplatzverordnung scheitern. Aber eines finde ich schon bemerkenswert, nämlich das, was Sie als AfD nicht, mit keinem einzigen Wort, erwähnen. Viel schlimmer ist doch die deutsche Bürokratie, wenn Hartz-IV-Betroffenen vom Amt ein Zimmer verriegelt wird, weil die Wohnung, in der sie schon seit vielen Jahren wohnen, nach bürokratischen Bestimmungen wenige Quadratmeter zu groß ist. Das ist Bürokratie in Deutschland, und damit muss endlich Schluss sein. ({11}) Meine Damen und Herren, eines möchte ich zum Schluss zur Wohnungspolitik der AfD noch sagen: Sie, die AfD, waren es, die im Haushalt die Gelder für den sozialen Wohnungsbau kürzen wollten. Sie waren die einzige Partei im gesamten Bundestag, die gegen die Verlängerung der Förderung des sozialen Wohnungsbaus gestimmt hat. ({12}) Sie sind gegen die Mietpreisbremse. Sie sind gegen den Mietendeckel. Sie sind gegen den besseren Schutz von Mieterinnen und Mietern. ({13}) Sie stehen stramm an der Seite des Finanzkapitals. Das ist die Wahrheit. Das hat mit einer verantwortungsvollen, mit einer sozialen Wohnungspolitik nichts zu tun. Vielen Dank. ({14})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Julia Verlinden, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die AfD verweist in ihrem Antrag auf das Forschungsinstitut für Wärmeschutz in München. Nur haben Sie von der AfD offensichtlich dessen Untersuchung überhaupt nicht gelesen; denn die von Ihnen zitierten Experten kommen zu dem Schluss, dass die Anforderungen des Energiesparrechts wirtschaftlich durchaus vertretbar sind. Weiter heißt es – ich zitiere –: „Die Aussetzung der EnEV würde überdies zu deutlich höheren finanziellen Belastungen der Kommunen und Mieter führen.“ Dieses Beispiel zeigt doch wieder einmal: Der AfD fehlt jede Argumentationsbasis für ihre bizarren Forderungen, und der AfD sind auch die Mieterinnen und Mieter vollkommen egal. ({0}) Mehr muss man zu Ihrem kruden Antrag echt nicht sagen. Was uns alle neben dem Schutz der Mieterinnen und Mieter beschäftigen sollte, ist ja die Frage, wie wir den Gebäudesektor für die kommenden Jahrzehnte fit machen; denn mehr als 80 Prozent der Heizungen in Deutschland werden noch mit Kohle, Erdöl oder Erdgas befeuert. Wer Klimaschutz ernsthaft betreiben will, muss daran schleunigst etwas ändern. Die gute Nachricht ist: Innovative Gebäudetechnik, nachhaltige Bau- und Dämmstoffe, erneuerbare Energien für die Wärmeversorgung – das alles gibt es schon. Wenn man es also richtig anstellt, dann könnte der Gebäudebestand in Deutschland innerhalb von 20 Jahren klimaneutral werden. Doch Ihnen von der GroKo fällt es ja sogar schwer, sich von der Ölheizung zu trennen. Gestern hat die Bundesregierung zwei Gutachten vorgelegt, die aufgezeigt haben, wie groß die Lücke ist. Die Lücke zwischen dem Klimaziel, das sich die Bundesregierung für 2030 selbst gesetzt hat, und den Auswirkungen der Maßnahmen, die im Klimapaket der Bundesregierung im letzten Herbst angekündigt wurden, ist – wenig überraschend – groß. Sie beträgt 71 Millionen Tonnen CO2. Zum Vergleich: Diese Menge emittiert ganz Österreich in einem Jahr. – Das ist nur die Lücke – nur die Lücke! – der Zielverfehlung. Wenn Herr Koeppen und Herr Pfeiffer sich mit ihren Windenergiesperrzonen durchsetzen, ({1}) dann wird die Lücke sogar noch größer. Sie wird dann bis zu 92 Millionen Tonnen CO2 betragen, und das geht wirklich nicht. ({2}) Viele haben dann gestern zu Recht auf Andi Scheuer geschimpft, weil es im Verkehrssektor die größte Lücke gibt. Sie haben gesagt, dass er endlich mal in die Pötte kommen muss. Ja, klar, das muss er. Komischerweise haben der Gebäudesektor und Minister Altmaier sehr wenig Aufmerksamkeit bekommen. Aber auch diese Lücke ist riesig. Wie heißt es noch mal im Klimaschutzgesetz? Innerhalb von drei Monaten müssen die zuständigen Minister sagen, wie sie die Lücke schließen wollen. Ja, dann mal los! Jetzt können wir Herrn Minister Altmaier dabei sogar unterstützen. Die Gelegenheit ist ja günstig. Das Gebäudeenergiegesetz ist ja gerade sowieso im parlamentarischen Verfahren. Das heißt, wenn die GroKo sich selbst und ihre Klimapolitik ernst nimmt, dann darf dieses Gebäudeenergiegesetz auf keinen Fall so beschlossen werden, wie es jetzt vorliegt. ({3}) Denn dieses Gesetz schreibt Standards fest, die teilweise über zehn Jahre alt sind. Mit diesen Vorgaben schaffen Sie keinen Klimaschutz. Mit diesem Gesetzentwurf legen Sie stattdessen den Grundstein dafür, dass heutige Neubauten schon in 10 oder 20 Jahren wieder saniert werden müssen, liebe Union und SPD. Das ist volkswirtschaftlich total absurd. ({4}) Stecken Sie also diesen Regierungsentwurf zum Gebäudeenergiegesetz in den Reißwolf, und lassen Sie uns stattdessen ein echtes, wirksames Klimaschutzgesetz für den Gebäudesektor beschließen. Genügend Anregungen gab es am Mittwoch bei der Anhörung im Wirtschaftsausschuss. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Jens Koeppen, CDU/CSU. ({0})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Vorbemerkung in Richtung AfD kann ich mir nicht verkneifen. Sie beschweren sich regelmäßig, dass Sie in den Kernzeiten der Sitzungswoche mit Initiativen nicht zu Wort kommen; was übrigens nicht stimmt. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, eine Stunde lang über ein wichtiges Thema zu reden. Und was machen Sie? Sie stellen zwei völlig substanzlose Anträge, so überflüssig wie ein Sandkasten in der Wüste. ({0}) Sie gehen dieses Thema nicht einmal ernsthaft an. Was machen Sie stattdessen? Sie kommen – darauf ist übrigens Verlass; der Kollege Daldrup hat es angesprochen – wie bei jedem Thema mit einer Beharrlichkeit auf die Flüchtlinge und wenige Absätze später auch auf den Klimaschutz zu sprechen, den Sie leugnen. ({1}) Ich möchte einmal zwei Kostproben aus Ihrem Antrag geben, damit die Leute wissen, was ich meine. Der Antrag ist zum Gebäudeenergiegesetz. Erstens. Sie schreiben doch tatsächlich in Ihrem Antrag: An der Wohnungsknappheit sind die Flüchtlinge schuld. „Bei seit Jahren offenen Grenzen und unkontrollierter Zuwanderung ist nicht absehbar, dass die Wohnungsfrage geklärt werden kann.“ ({2}) – Das ist auch völlig absurd. Zweitens. „Neuere Erkenntnisse der Wissenschaft gehen zudem davon aus, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem CO2-Ausstoß und der Erwärmung des Klimas nicht nachgewiesen werden kann“. Was, bitte schön, hat das denn mit der Gebäudeenergieeffizienz zu tun? Selbst wenn wir uns darauf einlassen würden, dass das alles nichts ausmacht und der Klimawandel nicht stattfindet: Können wir uns wenigstens darauf einigen, dass es wichtig ist, dass wir im Gebäudesektor dafür sorgen, dass die wertvollen Ressourcen sparsam eingesetzt werden? ({3}) Sie lehnen jede Vorgabe im Baurecht ab: zum Lärm, zum Brandschutz, zur Energieeinsparung, zur Barrierefreiheit. Sie machen zudem dann auch noch die Regeln zur Gebäudeenergieeffizienz allein verantwortlich für die Baukosten. ({4}) Angesichts dessen müssen wir etwas zur Aufklärung beitragen, warum wir die EnEV, die Energieeinsparverordnung, und das neue GEG, das Gebäudeenergiegesetz, brauchen. Erstens. Natürlich brauchen wir energetische Vorgaben im Gebäudesektor, die notwendig sind, um die gigantische Energiemenge, die es in diesem Bereich gibt, zu reduzieren, zu minimieren. Zweitens. Es ist natürlich ein Beitrag zum Ressourcenschutz und – wie wir es nennen – zur CO2-Reduzierung. Aber beides geht doch gemeinsam einher. Drittens: zu den Baukosten. Selbstverständlich werden die Baukosten durch ein Regelwerk, was notwendig ist, erhöht. Natürlich wird auch die Bürokratie dabei eine Rolle spielen. Aber das sind doch nicht die Kostentreiber schlechthin. Es gibt andere Kostentreiber. Außerdem werden über die gesamte Lebenszeit der Gebäude die Nebenkosten für die Mieter und die Eigentümer am Ende reduziert. Meine Damen und Herren, im Baurecht gibt es zudem ein Wirtschaftlichkeitsgebot. Energetische Vorgaben dürfen nur dann gesetzt werden, wenn sie sich für den Mieter rechnen und ({5}) wenn sich die Investitionen am Ende für den Eigentümer amortisieren. Das haben Sie völlig ausgeblendet. Ich komme zu den Vorschriften zur Barrierefreiheit, zum Brandschutz, zum Katastrophenschutz. Sie haben selbstverständlich Auswirkungen auf die Bürokratie und die Baukosten. Aber, meine Damen und Herren, sie sind doch auch ein Ausdruck von Fürsorge. Sie wollen doch sicherlich auch, dass Menschen mit Beeinträchtigungen, dass ältere Menschen selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden so lange leben können, wie es nur möglich ist. ({6}) Das wird unter anderem im Baurecht geklärt. Menschen sollen sich in ihren Wohnungen sicher fühlen und vor giftigen oder schädlichen Baustoffen geschützt werden. Wir sorgen auch mit Lärmschutzmaßnahmen dafür, dass Ruhe in den Wohnungen ist, soweit es geht. Meine Damen und Herren, eines muss ich auch noch sagen: Die nationale Gesetzgebung basiert hauptsächlich bzw. zum großen Teil auf europäischen Vorgaben, die alle Mitgliedstaaten zu erfüllen haben. Es ist nicht ein deutscher Alleingang, sondern ein notwendiger europäischer. Zum Schluss komme ich zum neuen Gebäudeenergiegesetz. Hier sollen am Ende – von den Vorrednern wurde schon darauf eingegangen – alle Maßnahmen, die wir bis jetzt haben, zusammengefasst werden. Es soll transparenter gemacht werden, übersichtlicher und mit weniger Bürokratie verbunden sein. ({7}) Der Kollege Neumann hat gesagt: Das ist gar nicht so einfach. – Das stimmt. Hier können Sie sich mit einbringen: Wie machen wir das neue Gesetz, in dem drei Vorschriften zusammengefasst werden und Transparenz und Übersichtlichkeit eine wichtige Rolle spielen sollen? Wie können wir das am Ende besser machen? – Aber Sie setzen sich damit nicht konstruktiv auseinander: weder in den Ausschüssen noch in anderen Gesprächen. Sie liegen mit Ihrer Initiative politisch wieder völlig quer im Stall und daneben. Sie sollten sich bei den nächsten Anträgen, die in der Kernzeit behandelt werden, ein bisschen mehr Mühe geben. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Hagen Reinhold, FDP, ist der nächste Redner. ({0})

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihren Traum von Eisblumen an Kastenfenstern und der dazugehörigen Schwerkraftheizung, den träumen wir als Liberale ausdrücklich nicht. ({0}) Und jedem sollte auch klar sein: Wenn ich ein Kastenfenster mit Sand, Zement und Kalk zusammengemischt einputze, brauche ich natürlich keine Vorschrift für die Eindichtung eines modernen Fensters. Wenn ich in meinen Keller gehe und Kohle in meinen Kessel schaufele, dann brauche ich selbstverständlich auch keine Vorschrift, wie eine ordentliche Heizung, die elektronisch gesteuert ist, mit einem Wärmetauscher und Pumpen dazu geregelt werden muss. Aber dieser Weg zurück ist der falsche. Ich sage Ihnen: Rezepte von vor 30 Jahren braucht kein Mensch auf dem Bau. Rezepte von vor 80 Jahren braucht kein Mensch in Deutschland zum Zusammenleben. Deshalb sind Ihre Rezepte überflüssig. ({1}) Mir scheint auch, dass Sie in Ihrer Fraktionssitzung kein Thema durchsetzen können, wenn man damit nicht auf jemanden einprügeln kann. Wir haben schon gehört: Flüchtlinge sind schuld am Wohnraummangel, die Klimareligion führt zur Verarmung der Bevölkerung; total fantastisch. Aber dass Sie sich ernsthaft darauf verstiegen haben, noch zu sagen: Die Menge an Vorschriften macht es den kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland unmöglich, sie umzusetzen. – 99,9 Prozent der Baufirmen in Deutschland sind kleine und mittlere Unternehmen. Ich führe selber eine. Wir könnten auch 50 000 Vorschriften haben. Ich würde sie trotzdem umsetzen, und zwar jede einzelne. Dazu ist unsere Bauwirtschaft in Deutschland nämlich in der Lage. ({2}) Sie aber unterstellen ihr das Gegenteil. Das ist eine Frechheit. Genauso wenig kann ich verstehen – mein Vorredner ist darauf eingegangen –, wie man Brand- und Lärmschutzmaßnahmen, die ja eigentlich Gesundheitsschutz darstellen, in der Kosten-Nutzen-Analyse aufwiegen will. Wie viele Kosten setzen Sie dem Gesundheitsschutz gegenüber? Ich kann es nicht nachvollziehen. Wir müssen zeitgemäßer werden, was die TA Lärm betrifft; denn das Zusammenleben hat sich geändert. Aber wie Sie mit der Kosten-Nutzen-Analyse den Gesundheitsschutz der Bevölkerung aufwiegen wollen, erschließt sich mir in keiner Art und Weise. ({3}) Sie meinen, Barrierefreiheit, Brandschutz und Schallschutz und die EnEV widersprechen sich. – Bei der einen oder anderen Tür, die ich einbaue, sind Schallschutz und Brandschutz schwer miteinander in Einklang zu bringen. Was sich widerspricht, ist etwas ganz anderes – darauf kommen Sie noch nicht einmal –, nämlich zum Beispiel Stadtplanung und Barrierefreiheit. Die Stadtplaner sagen: Wir brauchen drei Stufen vor der Tür. – Damit ist aber die Barrierefreiheit des Gebäudes nicht gegeben. Deshalb muss ich einen eigenen Aufzug einbauen, der 100 000 Euro kostet. Das ist ein Problem. Oder der Denkmalschutz sagt: „Die Holzvertäfelung im Altbau bleibt drin“, während der Brandschutz sagt: Sie kommt raus. – Das kostet 50 000 Euro mehr. Das sind Probleme. Oder: Das Nutzungsprofil von Gebäuden im Altbestand zusammen mit der EnEV ist ein Problem. Ich baue ein Zimmer an, hinten dämme ich 24 Zentimeter und vorne nicht. Das sind Probleme, die man bewältigen und lösen muss. Aber auf so viel Sachverstand braucht man bei Ihnen nicht zu warten. ({4}) Wie kommen Sie darauf, dass die Landesbauordnung für Stadt und Land unterschiedlich werden soll? Ich habe es nicht verstanden. Ja, wir haben ein Problem mit den Landesbauordnungen, das auch ich ausmache. Die Landesbauordnungen setzen ausschließlich auf Neubau und nicht auf Altbau. Da haben wir ein Problem. Unsere Landesbauordnungen sind Neubauordnungen. Das muss man angehen. Aber im flachen Land sind die Gebäude vielleicht etwas flacher und in der Stadt etwas höher; einen Unterschied hinsichtlich der Bauordnungen erkenne ich trotzdem nicht. Letztens und abschließend zum Gebäudeenergiegesetz. Ich will auf zwei, drei Sachen hinweisen, die auch bei der EnEV schon ein Problem sind. Wir haben Berechnungsformeln mit einem politischen Moment. Wir wissen, ab 6 Zentimeter flacht die Kurve bezüglich der Dämmwirkung ab, auch wenn man sie politisch gerne linear hätte. Das funktioniert nicht. Jeder kennt das: drei Hochhäuser nebeneinander: einmal Altbestand gelassen, einmal gedämmt, einmal die Heizung getauscht. – Was ist passiert? Wer die Heizung getauscht hat, hat Energie eingespart. Beim vollsanierten, nach EnEV gedämmten Haus werden 0,0 Prozent Heizkosten eingespart. Warum? Weil sich das Nutzungsverhalten der Leute geändert hat. Wenn nämlich auf einmal alles hübsch gedämmt ist, dann drehe ich die Heizung drei Grad höher und heize das letzte Zimmer auch noch. Worauf ich abstellen will, ist: Lasst uns mehr daran arbeiten, dass wir die Primärenergie so sauber wie möglich machen, und weniger daran, dass wir bis zum Letzten alles ausnutzen, was die Dämmung betrifft; denn am Ende muss von der Erzeugung bis zur Entsorgung die Dämmung Sinn machen. Oftmals macht sie aber keinen Sinn. Wir kümmern uns oft mit Formeln darum, wie ein Standardnutzer in einem Standardhaus in Deutschland sein Standardleben führt. Das wird es nicht geben, und das ist nachweisbar so. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Kollege Reinhold, Ihre Redezeit ist reichlich überschritten.

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist bedauerlich, und deshalb höre ich jetzt auf.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte kommen Sie zum Ende.

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Timon Gremmels, SPD. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kommen wir zu den heute vorliegenden Anträgen der AfD. Eine erste AfD-Forderung ist der Verzicht auf die Vorlage eines Gebäudeenergiegesetzes durch die Bundesregierung. Sie stellen den Antrag am 28. Februar 2020. Die Bundesregierung hat das Gebäudeenergiegesetz bereits am 23. Oktober 2019 vorgelegt. Juristisch gesehen würde man einen Haken daran machen. Ihr Antrag erfüllt nicht einmal die formelle Rechtmäßigkeit, weil dem Bundestag längst vorliegt, was Sie einstellen wollen. Aber selbst wenn wir darüber hinwegsehen, dass Sie noch nicht einmal in der Lage sind, formell ordentliche Anträge vorzulegen: Gucken wir doch mal, was Ihr Antrag materiell bedeutet; das ist aus meiner Sicht sehr viel schlimmer. Sie monieren den Anstieg der Zahl der Bauvorschriften. Das ist doch Quatsch. Die Zusammenführung von Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und Energieeinsparverordnung hat doch gerade zum Ziel, eine Vereinfachung und Entbürokratisierung vorzunehmen. ({0}) Wir führen zusammen, was zusammengehört. Insofern liegen Sie mit Ihrem Antrag auch inhaltlich falsch. ({1}) Die zweite AfD-Forderung ist die Aussetzung der EnEV. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass speziell die Vorschriften der Energieeinsparverordnung in den letzten Jahren zu einer erheblichen Verteuerung der Baukosten geführt haben. Sie verweisen dann auf die Studie des Forschungsinstituts für Wärmeschutz e. V. München. Ich habe mir die Mühe gemacht und in die Studie geguckt. Unter Punkt 3, Zusammenfassung, steht – ich zitiere –: Anstatt Kostensteigerungen mit energetischen Anforderungen zu begründen, sollten die wahren Kostensteigerungen beleuchtet werden, als da wären: gestiegene Grundstückskosten … gestiegene Lohnkosten … ({2}) Das sind die Hauptgründe für die Kostensteigerungen und nicht etwa die EnEV. Weiter, auch zum Nachlesen in dieser Studie, heißt es: Die Aussetzung der EnEV würde … zu deutlich höheren finanziellen Belastungen der Kommunen und Mieter führen. Sie haben also falsch zitiert. Gucken Sie in die Studie. Das steht auf den Seiten 12 und 13. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie schreiben. Entweder können Sie keine Studien lesen, oder Sie wollen bewusst Leute in die Irre führen. ({3}) Sie verdrehen die Aussagen der Studien genau ins Gegenteil. Jetzt weiß ich endlich, wie Sie darauf kommen, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gibt. Sie können die Studien der Wissenschaftler nicht ordentlich lesen. Sie verdrehen alles ins Gegenteil. Das ist unredlich. ({4}) Der vorliegende Antrag ist formal und auch fachlich schlecht gemacht. Das ist ganz klar. Kommen wir zum Mythos der Kostensteigerung durch Energieeffizienz. Die EnEV, einschließlich der Anhebung der Standards 2016, ist gerade mal für 3 Prozent der Gestehungskosten eines Mehrfamilienhauses zuständig. Hier ist die Quelle das Institut für Technische Gebäudeausrüstung Dresden. Es bezieht sich in einer Studie auf genau das Gutachten, das Sie zitiert haben. Niemand kann sagen, dass energetische Anforderungen zu teurem Wohnraum führen. 3 Prozent sind eine absolut vernachlässigbare Größenordnung. Die EnEV trägt nicht die Verantwortung für Kostensteigerungen. Man muss Ihnen an dieser Stelle deutlich sagen: Sie arbeiten völlig unsauber. ({5}) Ja, wir müssen darauf achten, dass die Baukosten nicht steigen. In diesem Zusammenhang gibt es andere Stellschrauben, an denen wir schon sehr erfolgreich drehen. Man muss auch betonen, dass Baukosten nicht gleich Wohnkosten sind. Wir als SPD haben in dieser Bundesregierung schon viel in Sachen Schutz vor hohen Mieten und vor hohen Baukosten auf den Weg gebracht. Ich will einige Maßnahmen nennen: Wir haben den sozialen Wohnungsbau gestärkt. Wir haben dafür gesorgt, dass es kein Herausmodernisieren gibt, indem wir die Modernisierungsumlage von 11 Prozent auf 8 Prozent gesenkt haben. Wir haben die Mietpreisbremse verankert. Wir geben Milliarden für den sozialen Wohnungsbau aus. Wir haben die Erhöhung des Wohngeldes umgesetzt. Wir haben die Absenkung der EEG-Umlage um 2 Cent pro Kilowattstunde auf den Weg gebracht. Wir haben das Baukindergeld eingeführt. Wir haben in dieser Wahlperiode vor, den Mieterstrom umzusetzen, damit Menschen von diesem preiswerten Strom profitieren können. Die Bundesregierung handelt. Die AfD kann keine Studien lesen. Verschonen Sie uns in Zukunft mit solchen handwerklich und inhaltlich schlecht gemachten Anträgen. Glück auf! ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Christian Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit Verlaub, Frau Präsidentin: Ich halte kurz einen Bericht der Bundesregierung hoch. Das ist der Bericht der Baukostensenkungskommission. Ich zeige ihn auch der rechten Ecke des Parlaments. Wenn Sie diesen Bericht gelesen hätten, Herr Hemmelgarn, 181 Seiten aus dem Jahr 2015, hätten Sie gemerkt, dass Sie sich die beiden heute vorliegenden Anträge hätten sparen können. ({0}) Denn das, was Sie fordern, hat die Baukostensenkungskommission der Großen Koalition in der letzten Wahlperiode bereits umgesetzt. Das haben Sie ignoriert. Damit ignorieren Sie die ganze fachpolitische Debatte, die es zum Thema Baukostensenkung in Deutschland gibt. ({1}) Und ich sage Ihnen eines: Das ist kein Fehler von Ihnen, das ist Absicht. Sie wollen nämlich eine unredliche Debatte führen. Sie wollen sich gerieren als die Schutzheiligen, die sich um die Baukosten kümmern; dabei haben das alle anderen Fraktionen hier im Parlament längst getan. Ich gehöre der Opposition an und halte trotzdem den Bericht der Bundesregierung hoch. ({2}) Ich finde, Sie dürfen Dokumente der Bundesregierung nicht ignorieren; sonst führen die Debatten ins Nirwana; leider ist das bei Ihnen immer der Fall. ({3}) Ich frage Sie: Was ist heute der große Kostentreiber beim Bauen? Es ist der Fachkräftemangel. Und wer dann gegen EU-Ausländer hetzt, wer Menschen von Baustellen aus abschieben will und wer gegen jede Migration in den deutschen Arbeitsmarkt ist, der treibt am Ende die Baukosten in die Höhe. Das ist die Wahrheit. ({4}) Ich sage Ihnen eines: Ausländerfeinde in diesem Land treiben die Baukosten hoch. Mal im Ernst, Herr Hemmelgarn: Was gibt es denn Deutscheres als das deutsche Normungswesen? Das wollen Sie mit einem Strich streichen. Das passt doch überhaupt nicht zusammen, was Sie hier erzählen. ({5}) Das Normungswesen ist die Grundlage für den Industriestandort Deutschland, und den greifen Sie letztendlich mit Ihren Anträgen an. Das ist ökonomischer Quatsch. Das wird am Ende Arbeitsplätze in diesem Land kosten. Deswegen kann man das nicht mitmachen. ({6}) Wenn ich Ihren Antrag lese, stelle ich fest: Sie sagen gar nicht, was Sie wollen. Sie sagen nur: Es gibt ganz viele Normen, und die sind ganz schlecht. Aber welche Normen wollen Sie denn abschaffen? Wo wollen Sie denn ran? Wollen Sie an den Brandschutz ran? Wollen Sie an den Lärmschutz ran? Wollen Sie an die Barrierefreiheit ran? Das sagen Sie nicht. Und ich sage Ihnen auch, warum Sie es nicht sagen: Weil Sie eine populistische Partei sind, die immer im Nebel bleibt, aber nie konkret wird, damit Sie nicht angegriffen werden können. Das ist doch die Wahrheit. Bekennen Sie doch einmal Farbe und sagen Sie, was Sie wirklich wollen. ({7}) Zu dem absolut absurden Antrag zum Thema Klimaschutz. Was Sie fordern, ist die Rückkehr zum Anfang der 70er-Jahre. Sie ignorieren zwei Ölkrisen und eine Klimakrise. Es ist ökonomischer und ökologischer Bullshit, was Sie hier fabrizieren. ({8}) Was Sie hier erzählen, ist wirklich jenseits von allem, was man historisch, klimapolitisch und wirtschaftspolitisch in diesem Land braucht. ({9}) – Sie haben nichts auf der Pfanne außer Hass und Hetze. So ist das in Ihren Reihen. Sie bringen das Land nicht voran. Fachpolitisch sind Sie so was von mager aufgestellt, dass man Ihnen sagen muss: Ihre Anträge sind samt und sonders abzulehnen. Danke schön. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Andreas Lenz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute Anträge der AfD; das ist mittlerweile bekannt. Es geht um Standards, auch um energetische Standards. Wir haben in der Diskussion schon festgestellt, dass die Standards der Antragserstellung auf jeden Fall nicht erfüllt sind. ({0}) Sie werfen der Bundesregierung im Kampf gegen die Wohnungsnot Untätigkeit vor, vergessen dabei aber, dass allein im letzten Jahr über 300 000 neue Wohnungen fertiggestellt wurden. Das ist Rekord. Sie schreiben in Ihrem Antrag ja selbst, dass sich die Baubranche am Kapazitätslimit befindet. Von Lähmung kann also überhaupt keine Rede sein. Zwischen 2018 und 2021 investiert der Bund insgesamt 5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau. Wir reizen durch eine degressive Abschreibung den Neubau massiv an. Die Baukostensenkungskommission, die in der letzten Legislaturperiode tagte, wurde von Herrn Kühn vorhin dankenswerterweise angesprochen. Untätigkeit sieht anders aus, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das Gegenteil ist der Fall: Wir investieren massiv in den Kampf gegen die Wohnungsnot. Sie argumentieren, dass die energetischen Standards quasi der einzige Grund für die Verteuerung der Baukosten seien. Auch hier liegen Sie, wie schon gehört, falsch. Selbst der Deutsche Mieterbund und die Verbraucherzentrale äußern klar, dass das aktuelle Mietniveau und die Baustandards wenig miteinander zu tun haben. Wörtlich sagen sie: Die Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden sind nicht verantwortlich für hohe Immobilien- und Mietpreise. Eine Absenkung der Standards würde laut Mieterbund nicht zu mehr bezahlbarem Wohnraum führen, sondern für steigende Heizkosten und damit höhere Nebenkosten sorgen. Sie behaupten, dass sich die Kosten für die Errichtung eines Neubaus von 2000 bis 2017 allein durch die EnEV um 13 Prozent erhöht hätten. Richtig ist hingegen – das stellt man fest, wenn man die Studie genau liest –, dass die Gestehungskosten inflationsbereinigt in dieser Zeit durch die EnEV nur um etwa 3 Prozent gestiegen sind. ({1}) Dafür wurde aber der durchschnittliche Energieverbrauch in etwa halbiert, sodass die höheren Investitionskosten sich für die Bewohner sogar gerechnet haben, wie übrigens gesetzlich vorgeschrieben. ({2}) Der Versuch, den energetischen Anforderungen die Rolle des alleinigen oder hauptsächlichen Kostentreibers zuzuweisen, reduziert die Vielzahl der Ursachen in unsachgemäßer Art und Weise. Am Ende Ihres Antrags gestehen Sie das ja auch fast selbst ein. Ich zitiere: Ein vergrößertes Angebot an Wohnungen würde dann ohnehin dazu führen, dass sich Mieter sehr wahrscheinlich für die energetisch besseren Wohnungen entscheiden würden, nicht zuletzt im Hinblick auf die geringeren Heizkosten. Das schreiben Sie wörtlich. Wir hingegen wollen niedrigere Heizkosten für alle Bürgerinnen und Bürger, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir wollen durch das Gebäudeenergiegesetz gebündelte, unbürokratische und praktikable Lösungen schaffen, die zum einen helfen, Energie und damit CO2 einzusparen, und zum anderen keine unnötige Verteuerung von Wohnraum mit sich bringen. Wir bringen also Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit zusammen. Durch die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung werden wir die Sanierungsquoten steigern. Das wird zusätzliche Anreize für mehr Investitionen in Klimaschutz bringen. Die 21 Millionen Gebäude, die es in Deutschland gibt, verbrauchen circa 35 Prozent des gesamten Energiebedarfs in Deutschland. Die CO2-Emissionen im Gebäudebereich konnten zwischen 1990 und 2018 bereits um circa 44 Prozent reduziert werden. Das ist für sich genommen ein großer Erfolg. Es steckt allerdings nach wie vor viel Einsparpotenzial im Gebäudebereich. Das wollen wir heben. Dieses Potenzial heben wir auch mit dem Gebäudeenergiegesetz. ({3}) Wir werden bestehende Verordnungen – wir haben es angesprochen – zusammenführen. Wir werden die Energieeinsparverordnung, die EnEV, das Energieeinsparungsgesetz, das EnEG, und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz zusammenführen. Das führt insgesamt zu einer Vereinheitlichung, das führt auch zu weniger Regeln und zu weniger Bürokratie. Das Gebäudeenergiegesetz wird zur Vereinfachung der energetischen Vorschriften insgesamt beitragen. Wir sind natürlich gerne bereit, im parlamentarischen Verfahren qualifizierte Beiträge der Opposition – wir haben hier einige gehört – aufzunehmen. Dieses Gesetz wird insgesamt auf der einen Seite einen Beitrag für bezahlbares Wohnen leisten, auf der anderen Seite aber auch für mehr Klimaschutz sorgen. In diesem Sinne werden wir da, glaube ich, etwas Gutes hinbekommen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulli Nissen für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD behauptet unter anderem in ihrem Antrag, dass neuere Erkenntnisse der Wissenschaft davon ausgehen, dass es zwischen dem CO2-Ausstoß und der Erderwärmung keinen Zusammenhang gibt. Wer das glaubt, glaubt auch, dass die Erde eine Scheibe ist. ({0}) Wir sehen das vollkommen anders. Ich werde einen Besuch beim Revierförster im Frankfurter Stadtwald im letzten Sommer nie vergessen. Der Förster erzählte uns, dass die Buchen im Mai noch voll im Blatt standen. Im Juli waren die Blätter weg. Als ich im August da war, hatten die Buchen ihre Rinden abgeworfen, ein grauenvoller Anblick. – Wer jetzt immer noch nicht begriffen hat, dass wir dringend handeln müssen, muss vollkommen verblendet sein, sehr höflich ausgedrückt, werte Kolleginnen und Kollegen von der AfD. Natürlich muss auch der Gebäudebereich seinen Beitrag zur CO2-Einsparung leisten. Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 haben wir für den Gebäudesektor einen ausgewogenen Mix aus verstärkter Förderung, Information und Beratung vereinbart. Die Einführung einer CO2-Bepreisung für den Sektor Wärme geht mit Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger, unter anderem durch eine Verbesserung des Wohngeldes, einher. Außerdem gibt es für Energiesparer im Bereich Gebäudesanierung deutlich mehr Geld. „Finanztest“ schreibt in der ganz aktuellen Ausgabe: „Seit Anfang 2020 gibt es für die Sanierung von Häusern üppige Zuschüsse oder Steuerabzüge.“ Ganz wichtige Information für alle: Sie müssen die Fördermittel beantragen, bevor die Arbeiten losgehen. Was ich ganz großartig finde, ist, dass die Menschen finanzielle Zuschüsse bekommen. Dieser Zuschuss kann zum Beispiel beim Einbau einer Wärmepumpe bis zu 35 Prozent betragen. Ersetzt die neue Heizung eine alte Ölheizung, gibt es noch mal 10 Prozent on top; also beträgt der Zuschuss in diesem Fall sogar 45 Prozent, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Zusätzlich wird dadurch ein deutliches Maß an Heizkosten eingespart. Bezahlbares Wohnen und ambitionierter Klimaschutz gehen also wunderbar zusammen. Das passt großartig zu den Forderungen der Nachhaltigkeitsziele 2030, den SDGs. ({2}) Was mich auch sehr freut, ist Folgendes: Im Rahmen des Lohnsteuerjahresgesetzes haben wir Steuererleichterungen bei der verbilligten Überlassung von Werkswohnungen beschlossen. Dadurch werden Anreize geschaffen, damit private Unternehmen jetzt wieder betriebseigene Wohnungen bauen und diese dann günstig an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermieten. Auch die BlmA soll im Rahmen der Wohnungsfürsorge selbst neue Wohnungen bauen. Aktuell gehen wir von einem Potenzial von 6 000 bis 8 000 Wohnungen aus, die auf deren eigenen Grundstücken errichtet werden können. Daneben wird sich die BlmA auch dafür einsetzen, die Anzahl der für die Wohnungsfürsorge zur Verfügung stehenden Wohneinheiten durch den Ankauf und die Verlängerung von Wohnungsbelegungsrechten zu steigern. Außerdem ist im Bundeshaushalt 2020 ein Vermerk aufgenommen worden, der es ermöglicht, die Mieten bei der BImA zu begrenzen. Damit sollen die Mieten für Bezieher unterer und mittlerer Einkommen erschwinglich bleiben. Das Ziel der rot-schwarzen Bundesregierung ist, ({3}) den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten. Mein Aufruf an die Wohnungsbaugesellschaften von Ländern und Kommunen lautet: Handeln Sie ähnlich. Im Antrag beschwert sich die AfD auch über die Bauvorschriften zur Barrierefreiheit. Vermutlich werden auch die AfD-Abgeordneten älter und sich irgendwann freuen, wenn ihnen barrierefreie Wohnungen zur Verfügung stehen. Auch hier unterstützt der Bund seit vielen Jahren Maßnahmen mit guten Zuschüssen. Das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“ gilt für Eigentümerinnen und Eigentümer, aber auch für Mieterinnen und Mieter. Die Mittel dafür wurden im Jahr 2020 auf 100 Millionen Euro erhöht. Die rot-schwarze Bundesregierung ({4}) handelt beim Klimaschutz und beim bezahlbaren Wohnen. Wir werden mit großer Überzeugung die grottigen Anträge der AfD ablehnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke für die Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung machen wir einen historischen Schritt hin zu mehr Klimaschutz und zu mehr Nachhaltigkeit bei gleichzeitigem Erhalt unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und unseres Wohlstandes. Wir halten damit Wort: Wir setzen die Empfehlungen der Strukturwandelkommission um. ({0}) Wir gehen einen Schritt, um nicht nur unsere eigenen Klimaziele zu erfüllen, sondern um dem Klimaschutz auch auf europäischer und internationaler Ebene neuen Schwung zu verleihen. Wir haben in den letzten Jahren bereits gesehen, dass unsere Maßnahmen greifen. Wir haben die Treibhausgasemissionen im zweiten Jahr in Folge beträchtlich reduziert, allein um 5 Prozent im letzten Jahr. Wir haben gleichzeitig den Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch auf 43 Prozent gesteigert. Kein anderes Industrieland weltweit hat einen derart hohen Anteil an erneuerbarem Strom in der Stromversorgung. ({1}) Meine Damen und Herren – das will ich in aller Offenheit und Ehrlichkeit sagen –: Es ist ja in Ordnung, wenn der eine oder andere, dem der Klimaschutz am Herzen liegt, die Bundesregierung kritisiert. Dafür sind wir ja auch da. Aber ich würde mir wenigstens wünschen, dass bei all dem Weltuntergangsgerede und bei all den negativen Botschaften, die gesendet werden, ab und zu einmal anerkannt wird, dass wir beim Klimaschutz einiges getan und viel erreicht haben – damit die Menschen Hoffnung haben und sehen, dass Veränderungen möglich sind. ({2}) Das ist das zweite Mammutprojekt, das wir im Bereich Energieerzeugung stemmen –: Wir haben vor etwa zehn Jahren, genauer gesagt vor neun Jahren, den endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Im Jahre 2022 werden die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen. Wir haben jetzt gemeinsam beschlossen, dass wir bis spätestens 2038, vielleicht schon bis 2035, ebenfalls aus der Kohleverstromung aussteigen. Auch das macht kein anderes vergleichbares Industrieland. Deshalb ist es richtig, wie wir diesen Schritt gehen: planbar, wirtschaftlich vernünftig und im Konsens mit allen Beteiligten. Es hat Diskussionen darüber gegeben, dass wir beispielsweise den Abschalttermin einzelner Kohleblöcke etwas nach hinten geschoben haben, um Sozialverträglichkeit zu ermöglichen, ja. Es hat Diskussionen darüber gegeben, dass wir nicht in jedem Jahr die genau gleiche Scheibe an Stilllegungen vornehmen, sondern in einigen Jahren mehr und in anderen Jahren weniger, ja. Weil Tagebaue an den Braunkohlekraftwerksstandorten hängen und weil wir auch hier auf wirtschaftliche und soziale Verträglichkeit achten. ({3}) Das ist keine Schande. ({4}) Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Politik der Bundesregierung auch vor Ort auf Akzeptanz stößt. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was wir mit diesem Gesetz auf den Weg bringen, ist ehrgeizig. Wir werden die Kohlekapazitäten stetig reduzieren, Steinkohle und Braunkohle: alleine in den 20er-Jahren, also in den kommenden zehn Jahren, um mehr als die Hälfte, von heute rund 40 000 Megawatt Kohleverstromung auf rund 17 000 Megawatt Kohleverstromung im Jahr 2030. Das ist enorm. Wir haben uns vorgenommen, zu überprüfen, ob wir das Datum 2038 aus Gründen der Versorgungssicherheit wirklich benötigen oder ob man diesen Schritt vielleicht drei Jahre früher gehen kann. Es gab gerade mit Vertretern der Umweltbewegung eine Diskussion darüber, was mit den dann freiwerdenden CO2-Zertifikaten geschieht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Beutin?

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Ja, gerne.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Ich will etwas Wasser in den Wein schütten und Sie etwas fragen, weil Sie immer sagen, Deutschlands Anteil an den erneuerbaren Energien sei so herausragend und das sei in keinem anderen Industrieland so.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Großen Industrieland.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schweden ist auch nicht klein. ({0}) Sind Sie der Ansicht, dass beispielsweise Schweden ein Industrieland ist oder dass Finnland ein Industrieland ist, dass Dänemark, ({1}) dass Estland, dass Portugal Industrieländer sind? Ist Ihnen bekannt, dass Deutschland beim Anteil an erneuerbaren Energien in der Europäischen Union auf Platz 17 steht, gemessen eben an der Bevölkerung und an der Größe der Staaten? Das heißt, Deutschland ist längst nicht mehr Spitzenreiter beim Ausbau der erneuerbaren Energien. ({2}) Das hat auch diese Bundesregierung zu verantworten, weil sie den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremst. Also, hören Sie bitte auf, hier Märchen zu erzählen, was das angeht. Sagen Sie, wie es ist: Deutschland ist eben nur noch Mittelfeld, Durchschnitt in der Europäischen Union. ({3})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Sehr geehrter Herr Kollege Beutin, es ist ja in Ordnung, wenn Sie versuchen, etwas Wasser auf die Mühlen Ihrer Fraktion zu lenken. ({0}) Aber: Ich habe in meiner Rede ausdrücklich davon gesprochen, dass kein anderes großes Industrieland diese Erfolge vorzuweisen hat. Mit allem Respekt vor Schweden, vor Norwegen und vor Finnland: Das sind Länder, die weniger als etwa 10 Prozent der Bevölkerung von Deutschland haben und die im Übrigen eine Elektrizitätsversorgung haben, die aus natürlichen Gründen seit vielen Jahrzehnten überwiegend auf Wasserkraft beruht. ({1}) Schauen wir nach Finnland: Dort wird ein neues Kernkraftwerk gebaut. Da werden die bestehenden nicht abgeschaltet, sondern da werden neue gebaut. ({2}) Wenn Sie uns mit den USA, mit Frankreich, mit Italien, mit Großbritannien, mit China, mit Japan, mit Südkorea vergleichen, also mit den großen Industrieländern dieser Welt, dann werden Sie merken: Es gibt kein einziges, in dem dieser Anteil an erneuerbaren Energien erreicht worden ist. Als ehemaliger Umweltminister sage ich Ihnen: Ich bin auf diesen Erfolg der Menschen in unserem Land stolz. Ich werde nicht aufhören, das auch international zu propagieren. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns am 15. Januar mit den betroffenen Ländern, den Revierländern, auf einen Stilllegungspfad für alle Braunkohlekraftwerke in Deutschland geeinigt. Wir haben eine Einigung über die Entschädigungshöhe für die einzelnen Reviere erzielt: 1,75 Milliarden Euro für die Lausitz, 2,6 Milliarden Euro für das rheinische Revier. Wir arbeiten mit den Kraftwerksbetreibern wegen der Tagebaue an einer Verhandlungslösung, auch wenn das hochkomplex ist. Wir sind im engen Kontakt mit der Europäischen Kommission über die beihilferechtliche Bewertung. Auch hier werden wir alles tun, damit der Kohleausstieg zügig und sozialverträglich erreicht werden kann. Im Bereich der Steinkohle werden wir mit Ausschreibungen arbeiten. Ich weiß, dass es hier noch eine große Unzufriedenheit der einzelnen Kraftwerksbetreiber gibt. Ich habe sie bereits zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen. Wir werden auch hier versuchen, am Ende eine gemeinsame und von allen akzeptierte Regelung zustande zu bringen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Beschäftigten nicht die Leidtragenden dessen sind, was an Strukturwandel geschehen muss. Wir haben die sozialen Folgen abgefedert, indem wir ein Anpassungsgeld für Beschäftigte ab 58 Jahren in das Gesetz aufgenommen haben. Im Übrigen investieren wir in den nächsten 20 Jahren 40 Milliarden Euro in den Bundesländern, die vom Strukturwandel betroffen sind. Das ist das erste Mal seit Bestehen der Bundesrepublik, dass wir einen Strukturwandel unterstützen, bevor die Arbeitsplätze weggefallen sind, also das Kind im Brunnen liegt. Das ist richtig; denn die Beschäftigten können nichts dafür, dass ihre Arbeitsplätze in einigen Jahren nicht mehr da sein werden. Die Beschäftigten haben gute Arbeit geleistet. Wir sind ihnen dankbar. Wir versprechen ihnen, dass wir ihre Interessen und ihre Anliegen niemals aus dem Blick verlieren werden. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen auch dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes erhalten bleibt, dass der Strom aus der Steckdose kommt, wenn er benötigt wird. Ja, aber wir müssen eben auch dafür sorgen, dass er bezahlbar ist, für private Haushalte genauso wie für die Industrie. Da unsere Strompreise heute schon ({5}) mit die höchsten in ganz Europa sind, haben wir ausdrücklich eine Verordnungsermächtigung in das Gesetz aufgenommen, dass es einen Zuschuss zu den Übertragungsnetzkosten für die Unternehmen, aber auch für die Bürger geben kann, dass wir die EEG-Umlage absenken in dem Maße, in dem wir Spielräume dafür haben, damit die Strompreise sich wieder dem europäischen Durchschnittsniveau annähern. Sie werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich hier und da Unvollkommenheiten und Unvollständigkeiten identifizieren können, weil kein Gesetz alle Eventualitäten vorwegnehmen kann. Dann wäre es übrigens nicht mehr handhabbar. Aber wir haben mit diesem Gesetz einen Kompromiss erzielt zwischen den berechtigten Interessen der Umwelt und des Klimaschutzes sowie den Interessen des Wirtschafts- und Industriestandortes Deutschland. Deshalb ist es ein guter Gesetzentwurf, und ich bitte Sie herzlich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Steffen Kotré für die AfD-Fraktion. ({0})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die staatliche Plankommission zur Lenkung der Wirtschaft, genannt Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, hat getagt und uns ihren Fünfjahresplan vorgelegt. Die Genossen vom Zentralkomitee, genannt Bundesregierung, ({0}) sind dabei, die staatliche Lenkung der Energiepolitik zu perfektionieren. Während ihre Vorbilder in der sozialistischen DDR wenigstens noch die Produktivitätssteigerung im Sinn hatten, hat sich diese Bundesregierung die Planaufgabe der Zerstörung unserer gesicherten Energieversorgung gestellt. Wir hatten eine gesicherte Energieversorgung, hohe Qualität und einen passablen Strompreis. Wir bekommen jetzt eine geringere und abnehmende Energieversorgung, Stromversorgung, abnehmende Qualität und weiter steigende Strompreise. Wir bekommen also mit dieser Planwirtschaft eben die Mangelwirtschaft, meine Damen und Herren. ({1}) Die Bundesregierung ist in diesem Sinne eher ein Fall für den Psychiater, gehört auf die Couch, aber nicht in Regierungsverantwortung. ({2}) Die schizophrene Begründung des Kohleausstiegs ist immer die CO2-Einsparung. Aber das kann ja die wirkliche Begründung nicht sein, weil wir kein CO2 einsparen werden. Überall auf der Welt werden neue Kohlekraftwerke gebaut. In den nächsten 20, 30 Jahren wird die Kohleverstromung noch um ein Drittel steigen. Und was wir hier mit dem Kohleausstieg machen, ist einfach nur die Verschiebung der Kohleverstromung, zum Beispiel nach Polen. Wenn wir dann eben unsere Stromlücke schließen wollen, ({3}) dann importieren wir wieder den Kohlestrom aus Polen. Das ist natürlich widersinnig. Aber wir exportieren natürlich damit auch unsere Arbeitsplätze. Also, es hat sich weiter nichts geändert. Keine CO2-Einsparung, aber eben Arbeitsplatzexport nach Polen. Das macht kein Land auf dieser Welt. Das macht man nur – irrsinnigerweise – hier in Deutschland. ({4}) Nun soll es der Wasserstoff richten, meine Damen und Herren, eine Technologie von vor 180 Jahren. Wasserstofftechnologie kann sinnvoll sein – in Nischen und in Spezialgebieten –, aber nicht als flächendeckende Stromversorgung herhalten. Wer hier Luftschlösser baut und behauptet, dass wir in Afrika das heilige Land der Wasserstoffproduktion hätten, der schaue mal bitte auf die Landkarte. Wir haben in Afrika keine stabilen Länder oder keine solchen, denen wir die Achillesferse unserer Energieversorgung und Industrie anvertrauen dürfen. Das Erpressungspotenzial wäre einfach zu groß. ({5}) Aber in diesem Land, das sich auch Erdogan an den Hals wirft, obwohl es die Grenzen selber schützen könnte, ist man vor einem solchen Irrsinn leider nicht gefeit. ({6}) Der Kohleausstieg trägt mit dem dann erhöhten Anteil der erneuerbaren Energien zur Erhöhung der Stromausfallgefahr bei. Instabiler erneuerbarer Strom hat bei uns zu Frequenzschwankungen, Spannungsabfällen und insgesamt zu Instabilität beigetragen. Die Fakten sprechen dann auch für sich. Wacker Chemie überlegt, den Standort Deutschland aufgrund der höheren Strompreise und der nicht mehr gesicherten Stromversorgung zu verlassen, nämlich in Richtung USA. Seit dem Jahr 2000 übersteigen die Abschreibungen die Investitionen in den energieintensiven Branchen. Das, meine Damen und Herren, ist der beste Indikator dafür, dass wir hier in Deutschland schon aufgrund der Energiewende eine Deindustrialisierung haben, leider. ({7}) Die Zahl der kritischen Tage, an denen die Übertragungsnetzbetreiber in Alarmbereitschaft stehen, ist gestiegen, ebenfalls die der Stromabschaltungen von Industriebetrieben. Dass diese Stromabschaltungen von Industriebetrieben geplant sind, spricht Bände und ist einer Industrienation nicht würdig. Der Kohleausstieg ist unsozial. In der Lausitz wird, wirtschaftlich gesehen, das Licht ausgehen, und da helfen auch keine Verlegungen von Ministerien oder sonstigen Behörden oder andere Tropfen auf den heißen Stein. Die Wertschöpfung von 1,4 Milliarden Euro jährlich lässt sich auch langfristig nicht durch die 18 Milliarden Euro Subventionen für diese Region auffangen, die eben auf 20 Jahre verteilt werden. Die sozial schwachen Einkommensbezieher werden also diesen Kohleausstieg entsprechend spüren als das, was es ist: Wegfall von Einkünften und Abbau der sozialen Marktwirtschaft, meine Damen und Herren. Dieser Kohleausstieg reiht sich ein in eine lange Kette wirtschaftlicher Verheerungen: schleichende Schrumpfung des Mittelstandes und der Mittelschicht, Enteignung der Sparer durch die Nullzinspolitik – 400 Milliarden Euro mindestens –, schleichende Zerstörung der Automobilindustrie, die Landwirtschaft im Würgegriff der Umwelthysteriker und Fälscher von Messergebnissen. ({8}) Die Folge, meine Damen und Herren, für uns als viertgrößte Wirtschaftsnation ist, dass unser Pro-Kopf-Nettogeldvermögen unterdurchschnittlich auf Platz 18 rangiert. Viertgrößte Wirtschaftsnation, Platz 18 beim Pro-Kopf-Nettogeldvermögen! Vor uns liegen Länder wie Italien, Neuseeland, Belgien oder sogar Taiwan. Die haben alle mehr. Und nun wird eben unsere Energiewirtschaft zerlegt. Übrigens: 3 Milliarden Menschen auf dieser Erde haben gerade mal so viel Strom wie wir für unseren Kühlschrank. Wenn wir also unsere Stromversorgung schreddern, dann haben wir nicht die Möglichkeit, hier zu unterstützen. An all diesem erkennt man ein Muster: Das Zentralkomitee – so können wir die Bundesregierung durchaus folgerichtig nennen – vernichtet mutwillig Volksvermögen. Das erinnert im Kleinen so ein bisschen an die große Transformation des Genossen Mao Tse-tung, der sein chinesisches Volk auch ins Unheil gestürzt hat, oder an die Verstaatlichungen im Sozialismus. Das macht kein Land dieser Erde. Aber nur in Deutschland ist man so irrsinnig. ({9}) Die Bundesregierung reiht sich hier mit der Energiewende und dem Kohleausstieg ein in die Regierungen, diktatorischen Regierungen dieser Erde, die Volksvermögen vernichten und denen die Menschen völlig egal sind. ({10}) Und nun: An dieser Stelle wird die AfD nicht deshalb kriminalisiert und mit Hass und Hetze überzogen, weil mal ein falsches Wort gesagt wird. Nein, man hat erkannt, dass die AfD die einzige parlamentarische Kraft ist, die diesem Irrsinn ein Ende bereiten kann. Ich versichere Ihnen: Sie wird es auch.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kotré, achten Sie bitte auf die Zeit.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun Dr. Matthias Miersch das Wort. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kotré, ich will nicht tief in Ihre Rede einsteigen. ({0}) Aber das, was Sie hier gesagt haben – Regionen würden untergehen –: Wenn man Ihrer Logik folgen würde und hier einfach weitermachen würde, ({1}) dann würde man die Technologieführerschaft dieses Landes riskieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist die Wahrheit. ({2}) Und wenn Sie auf Menschen in anderen Kontinenten verweisen, denen man helfen müsste: Wir machen das auch alles, um den Klimawandel zu stoppen, weil schon heute viele Menschen auf dieser Welt nicht mehr in ihrer Heimat leben können aufgrund des von Menschen gemachten Klimawandels. Es ist zynisch, wie Sie argumentieren. ({3}) Aber Ihr Debattenbeitrag zeigt die große Herausforderung, die wir als Politiker haben, wenn wir wirklich große Dinge in dieser Gesellschaft bewegen wollen. Diese Diskussion wird im Folgenden zeigen, dass es zum einen die Ewiggestrigen gibt. Zum anderen werden Leute hier nach vorne treten, die sagen: Das wird alles der Markt regeln. – Und dann werden wir bei Grünen und Linken erleben, dass sie sagen: Das wird alles nicht reichen. Das Spannende ist, dass, je nachdem, wo man Politik macht, das Bewusstsein sehr unterschiedlich ist. Also: Die Grünen, die beispielsweise in den Landesregierungen Brandenburgs, Sachsen-Anhalts und Sachsens sitzen, stützen diese Kommission und diesen Kompromiss. Die Linken hatten, als sie in Brandenburg noch in der Regierung mitgearbeitet haben, für Kohle ein völlig anderes Verständnis, als der Kollege Beutin hier immer schildert. Jetzt ist die große Frage: Wie kriegt man als Politik eigentlich einen großen Transformationsprozess hin, der, wie Peter Altmaier zu Recht geschildert hat, wirklich als historisch bezeichnet werden kann, der über Legislaturperioden hinweg hält? Ich kann mich noch sehr genau an die Situation erinnern, als Stephan Weil und ich die Koalitionsverhandlungen vorbereiteten – Jamaika war bereits an den ersten Jahren des Kohleausstiegs gescheitert; das muss man sich einfach vorstellen – ({4}) und rechts vom Willy-Brandt-Haus, in der Wilhelmstraße, die IG BCE mit der Forderung stand: „Nehmt uns unsere Arbeitsplätze nicht weg!“, während links, in der Stresemannstraße, Greenpeace mit „Rettet unseren Planeten!“ stand. Die sozialdemokratische Antwort ist, dass wir diese großen Fragen nie konfrontativ klären können, sondern jeder etwas hineingeben muss, auch an Kompromissbereitschaft. ({5}) Deswegen bin ich den Menschen außerordentlich dankbar, die sich in der Kommission bereit erklärt haben, von IG BCE bis Greenpeace, bis zum Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die alle gesagt haben: Wir müssen etwas von unseren Positionen heruntergehen, ({6}) damit wir etwas schaffen, was über Legislaturperioden hinweg halten kann. – Diese Kommission hat Enormes geleistet, und wir sind ihr ausgesprochen dankbar. ({7}) Das ist für uns jetzt auch die Verpflichtung, als Gesetzgeber sehr wohl zu gucken: Wie können wir so nahe wie möglich dieses Kommissionsergebnis umsetzen? Wir nehmen wahr, dass es in der Tat augenblicklich nach dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung uns als Parlament vorgelegt hat, bestimmte Kritikpunkte gibt, was den Pfad angeht, was die Steinkohle angeht, aber auch was die Schnelligkeit angeht. Wir werden das als verantwortungsbewusstes Parlament – und gerade auch in dieser Großen Koalition – sehr sorgfältig beraten. Aber was nicht geht, glaube ich, ist, dass Herr Beutin – ich sage Ihnen das ganz bewusst; ich weiß ja nicht, was jetzt gleich kommt – dann mit Ausstiegen wie in Schweden oder Frankreich vergleicht; das lese ich auch immer wieder in wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Machen Sie sich bitte klar, dass diese Argumentation ganz schnell dazu führen kann, dass Sie Atomkraft wieder hoffähig machen. ({8}) Sie verschweigen nämlich, dass Nationen wie Frankreich und wie Schweden einen großen Anteil an Kernenergie haben. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Peter Altmaier hat zu Recht gesagt: Nennen Sie mir einen Staat, der als hochindustrialisiertes Land gleichzeitig aus Atomkraft und Kohle aussteigt. – Es gibt ihn nicht. Aber dieser Ausstieg ist dringend notwendig, ({9}) weil Atomenergie eben auch keine nachhaltige oder billige Energie ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Neben dem Klimaschutzgesetz machen wir jetzt in dieser Großen Koalition den nächsten großen Schritt mit dem Kohleausstieg. Aber ich sage ganz bewusst auch heute: All das wird nicht funktionieren, wenn wir uns, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht verständigen. Das ist die Grundvoraussetzung. Der Ausstieg muss in einen Einstieg und in einen deutlichen Ausbau münden. ({11}) Weil Herr Haseloff jetzt gleich noch als Ministerpräsident reden wird, sage ich: Das darf auch nicht nur eine Angelegenheit des Bundes sein. Es muss einen nationalen Pakt zwischen Bund und Ländern geben, dass wir im Jahre 2030 65 Prozent erneuerbare Energien haben. ({12}) Es geht alle an, die Grünen, die Schwarzen, die Roten und auch die Gelben. Insofern hoffe ich, dass wir eine gute Zusammenarbeit haben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Professor Dr. Martin Neumann für die FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der vorliegende Gesetzentwurf zum Kohleausstieg müsste und sollte das wichtige Gesetz im Zuge der Energiewende sein. Aber damit – jetzt komme ich auf genau das, worauf wir letztendlich auch im weiteren Verfahren der Beratung dieses Gesetzentwurfs achten müssen – haben wir den Anfang einer gefährlichen Planwirtschaft auf Kosten der Wirtschaft, der Verbraucher und der Gesellschaft, auf Kosten von Versorgungssicherheit, Strompreisen, Wertschöpfung und Vertrauen vor Ort. Das festzuhalten, ist, glaube ich, wichtig. ({0}) Leider Gottes haben wir Zeitverzug. Das haben wir an mehreren Stellen deutlich gesagt. Zentrale Vorhaben der Bundesregierung wurden bisher nicht realisiert; über EEG und GEG haben wir gesprochen. Weiter sind zu nennen: Strukturstärkung, Kohleausstieg, europäische Energiepolitik, CCS und CCU, Besteuerung von Stromspeichern usw. usw. Das lässt sich fortführen. Hier muss nachgearbeitet und vorgelegt werden, liebe Bundesregierung. ({1}) Ich fasse einmal zusammen – hier wäre ja viel zu sagen –, welche fünf Punkte wir deutlich kritisieren. Zu denen werden wir Änderungen einbringen. Erstens. Der Ausstieg aus einem heimischen Energieträger, ohne gleichzeitig oder in gleichem Umfang in gesicherte Leistungen einzusteigen, ist ein gefährlicher Weg. Ich sage es noch mal ganz deutlich: Wir sollten uns weniger auf installierte Leistung konzentrieren, sondern tatsächlich auch auf die Energiemenge. ({2}) Da achten wir bitte darauf: Welche Potenziale haben wir in diesem Land? Da muss ich ganz ehrlich immer wieder sagen: Darüber streiten sich die Experten. Haben wir 1 800 Terawattstunden oder 2 000 Terawattstunden, die im Moment ungedeckt sind? Diese Frage müssen wir klären, damit es hier nicht zu Lücken kommt. ({3}) Zweitens. Der Gesetzentwurf enthält keine klare Definition für die Sicherheit der Versorgung. Wir dürfen uns gerade auf diesem Sektor – Energie geht alle an – keine waghalsigen Manöver leisten. Jetzt gehe ich noch mal zurück, Herr Minister Altmaier. Wir haben im letzten Jahr, nach drei Jahren, einen Versorgungssicherheitsbericht bekommen. Er war nach drei Jahren eigentlich überfällig. Wenn ich mir angucke, was da festgelegt ist, so meine ich: Wir brauchen eine viel stärkere Dynamik. Da muss viel stärker reingeguckt werden, nicht nur national, sondern vor allen Dingen auch europäisch. Das fehlt mir an dieser Stelle. Das ist meiner Ansicht nach einer der wichtigen Punkte. Wir sollten das Ganze also dynamisch betrachten. Drittens. Generell muss es eine verlässlichere Regelung, eine gerichtsfeste Regelung zu Ausstiegsdaten und Entschädigungen geben. Schluss mit der Hängepartie; denn das schadet auch den Regionen! ({4}) Vielleicht nur noch ein kleiner Nebensatz: Es ist ja keine neue Erkenntnis, dass es immer einen Preis hat, wenn Politik in Wirtschaft eingreift. Das war schon immer so, und jetzt müssen wir darüber nachdenken oder darüber beraten, wie wir das Ganze in den Griff bekommen. Viertens. Der Gesetzentwurf verdichtet den Förderdschungel im Energiebereich. Das, was beim EEG damals begann, wo die Systematik fehlt, also vom Beginn, bei der Umwandlung, bis hin zum Verbraucher, setzt sich nun fort. Das muss auch bei KWK, also beim Kraft-Wärme-Kopplungsbereich, geregelt werden. Forderungen nach Streichung von Beschränkungen sind da im Prinzip schon in der öffentlichen Diskussion. Aber, liebe Kollegen der Bundesregierung, statt mehr Marktwirtschaft vorzusehen, wird noch mehr Geld in das System gesteckt, und das lehnen wir ab. ({5}) Fünftens. Wir brauchen eine enge Verknüpfung – ich gehe mal davon aus, dass Ministerpräsident Haseloff darauf eingehen wird –, eine stärkere Verknüpfung mit dem Strukturstärkungsgesetz. Letzteres droht – zumindest gibt es Ansätze – hinten runterzufallen. Also: Wir brauchen eine ganz klare Fokussierung; statt Gießkannenprinzip eine klare Orientierung auf die Frage der Energieinfrastrukturen, die wir vor Ort installieren müssen. Meine Damen und Herren, mit Blick auf die Uhr: Der Gesetzentwurf ist so nicht zustimmungsfähig. Wir haben hier Nachbesserungsbedarf. Ich freue mich auf die Anhörung am 25. März. Noch mal zum Mitschreiben für alle, die diesen verantwortungsvollen Prozess auch wirklich ernsthaft begleiten: Merken Sie sich bitte vier Vs, die wir an dieser Stelle in den Vordergrund stellen sollten:

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Neumann, bitte schnell.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vertrauen, Verantwortung, Verbindlichkeit und Führung, wobei das letzte Wort mit F geschrieben ist. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Lorenz Gösta Beutin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute hier im Deutschen Bundestag über den Kohleausstieg in Deutschland reden, ist ein Erfolg, und, ja, Herr Altmaier, es ist ein historischer Erfolg, den wir hier feiern können. Vor allem ist es ein Erfolg der internationalen Klimabewegung, der Bewegung in Deutschland für mehr Klimaschutz; es ist ein Erfolg der Menschen, die gesagt haben: Klimaschutz ist für uns Handarbeit; wir gehen raus auf die Straße; wir machen Druck; es wird sich in diesem Land nur etwas bewegen, wenn wir uns selbst bewegen. – Das ist das ganz Zentrale, das es zu feiern gilt. ({0}) Es waren die Proteste gegen die Kohleindustrie, es waren die Proteste gegen Bundesregierungen und Landesregierungen, die im Zweifelsfall – das haben wir eindrücklich 2018 im Hambacher Forst gesehen – aufseiten der Energiekonzerne stehen und nicht aufseiten der Mehrheit der Bevölkerung. ({1}) Deswegen geht unser Dank an diejenigen, die dafür eingestanden sind, an „Ende Gelände“, die mit zivilem Ungehorsam deutlich gemacht haben: „Klimaschutz ist Handarbeit“; an „Hambi bleibt!“, die den Hambacher Forst verteidigt haben; ({2}) an die Menschen, die deutlich gemacht haben: „Wir wollen es nicht länger hinnehmen, dass uns durch den Tagebau die Heimat gestohlen wird, wir wollen es nicht länger hinnehmen, wenn unsere Häuser in den Kohlegruben verschwinden“, an „Alle Dörfer bleiben!“. Unser Dank geht aber auch an Fridays for Future, an Scientists for Future und all diese Gruppen, die den Klimaschutz und die Bewegung für Klimaschutz auf eine neue Ebene geführt haben hier in Deutschland. Nicht zuletzt sagen wir auch Dank an die Gewerkschaften, die gesagt haben: Ja, wir brauchen mehr Klimaschutz, aber wir müssen den sozial gerecht machen, wir müssen für Arbeitsplätze in den Regionen sorgen, wir müssen für einen vernünftigen Strukturwandel in den Regionen sorgen. – All das sind Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben. Genau deshalb stehen wir hier. ({3}) Es stimmt: Strom aus Kohle hat in unserer Gesellschaft, hat in Deutschland für Wohlstand gesorgt, hat Wohlstand geschaffen, hat Menschen, hat ihre Biografien geprägt, hat ganze Regionen geprägt; das gehört zu unserer Geschichte dazu. Aber Geschichte geht weiter, auch von uns wird Geschichte gemacht. Heute wissen wir: Diese Form der Energieerzeugung, die Kohleverstromung, ist nicht mehr notwendig; es ist nicht mehr notwendig, dass Zehntausende von Menschen ihre Heimat verlieren; es ist nicht mehr notwendig, dass Dörfer abgebaggert werden. Wir haben die Alternativen, wir haben Sonne, Wind und Wasserkraft, ({4}) und wir müssen sie einsetzen. Deshalb mein dringender Appell an die Bundesregierung – auch wenn Sie sich hier abfeiern –: Lösen Sie die Bremse bei den erneuerbaren Energien! Nehmen Sie den Deckel bei der Sonnenenergie weg! Und bremsen Sie die Windkraft nicht weiter aus! ({5}) Gefährden Sie nicht weitere Arbeitsplätze! Das gehört dazu, wenn man den Kohleausstieg vernünftig und verantwortungsvoll machen will. Aber es gibt auch ein Problem: Der Kohleausstieg kommt zu langsam, 2038 wird eben nicht ausreichen, wenn wir das Pariser Klimaabkommen erfüllen wollen. Wir sagen als Linke: Wir brauchen 2030; das ist der Stand der Wissenschaft. Und Deutschland hat da eben eine historische Verantwortung: Deutschland steht in der Geschichte als Verursacher von CO2-Emissionen an der vierten Stelle, hinter den USA, China und der Sowjetunion bzw. Russland. Genau deshalb müssen wir da entschieden handeln: weil wir eine Verantwortung haben, weil von den zehn größten Klimakillern Europas sieben in Deutschland stehen. Deswegen sagen wir mit den Umweltverbänden, deswegen sagen wir mit der Klimabewegung: Kohleausstieg 2030 brauchen wir. Wir müssen die erneuerbaren Energien entschieden ausbauen. Und wir brauchen Perspektiven für die Regionen, wir müssen gute Arbeit, gute Löhne erhalten, ({6}) und wir müssen die industriepolitische Zukunftsfähigkeit unseres Landes erhalten. Und das geht zusammen, das lässt sich nicht trennen. Deshalb ist es verheerend, dass die Bundesregierung Kohleausstieg und Strukturwandel in zwei unterschiedliche Gesetze gepackt hat. Kohleausstieg und Strukturwandel in den Regionen gehören zusammen. ({7}) Es ist ja so: Die Ergebnisse der sogenannten Kohlekommission der Bundesregierung sind uns in der ganzen Zeit, die seitdem vergangen ist, immer so verkauft worden: Das sei der große Konsens, wir müssten jetzt dafür sorgen, dass die Ergebnisse der Kohlekommission auch wirklich eins zu eins umgesetzt werden. Diese Reden kann man nachlesen. In den Reden, die wir heute hier gehört haben, ist keine Rede mehr davon, dass das eins zu eins umgesetzt werden soll, da hieß es dann: „annähernd“ oder „guter Impuls“ oder was auch immer. Das Problem ist: Die Bundesregierung hält sich nicht mal an die Vorgaben – die zu lasch waren – aus der Kohlekommission. Die Hälfte der Abschaltungen von Kohlekraftwerken, gerade Braunkohlekraftwerken, wird erst nach 2035 erfolgen. Das Problem dabei: Es werden mehr Emissionen in die Luft geblasen, es wird mehr CO2 in die Luft geblasen, als es der Vorschlag der Kohlekommission vorgesehen hatte. Es werden insgesamt 134 Millionen Tonnen CO2 mehr in die Luft geblasen; das ist so viel, wie Bulgarien, Ungarn und Kamerun in einem Jahr haben. Hier müssten Sie sich doch zumindest an Ihre eigenen Maßstäbe mal gebunden fühlen! Deswegen sagen wir ganz klar: Wir müssen jetzt die 20 dreckigsten Braunkohlekraftwerke dichtmachen und nicht zuerst die Steinkohlekraftwerke. Und wir brauchen den Kohleausstieg 2030. Wir müssen die Strukturen in den Regionen fördern. Wir müssen gute Arbeit fördern. Was wir nicht brauchen, ist, den Kohlekonzernen jetzt noch Milliarden hinterherzuwerfen, sie für vergangene Gewinne zu entschädigen. Das ist der falsche Weg, den Sie mit diesem Gesetz gehen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Matthias Miersch, ich finde es, ehrlich gesagt, mutig von der SPD, sich hierhinzustellen und anderen Parteien Haltungsnoten in der Frage Kohle zu erteilen. ({0}) Das ist, ehrlich gesagt, ein Unding. Denn es ist noch nicht lange her, gerade mal gut zehn Jahre, da saß da ein Umweltminister Gabriel – ich weiß, über Sigmar Gabriel reden Sie im Moment nicht mehr so gern –, der ist durch die Lande gereist und hat den Neubau von Kohlekraftwerken gefordert. Genau diese Kohlekraftwerke müssen wir jetzt stilllegen und mit öffentlichem Geld entschädigen. ({1}) Wer eine solche Politik betreibt, wie Sie das in den letzten Jahren gemacht haben, wer ein solches Geeier beim Thema Kohleausstieg hingelegt hat, der sollte ganz, ganz still sein hier bei dieser Debatte. ({2}) Ehrlich gesagt, Herr Altmaier – aber das habe ich auch in anderen Reden, zum Beispiel von Matthias Miersch, gehört –, ich finde, es ist ein Hohn, wenn Sie die Kohlekommission hier loben, aber dabei nicht erwähnen, dass fast ein Drittel der Mitglieder der Kohlekommission, nämlich acht Mitglieder, die die Umweltseite vertreten, gesagt haben: Das, was hier vorgelegt wird, ist eine Aufkündigung des Kohlekompromisses. – Und das haben die einhellig gemacht an der Stelle. Da würde es zur Ehrlichkeit dazugehören, hier zuzugeben, das ist nicht die Eins-zu-eins-Umsetzung, die Sie immer gefordert haben. ({3}) Sie stoßen diese Leute vor den Kopf, die da in ihren Verbänden schwierige Debatten geführt haben. Man muss hier auch in aller Klarheit sagen: Dass wir hier heute über ein Kohleausstiegsgesetz reden, das ist nicht der Erfolg irgendeiner Regierung, sondern das ist der Erfolg von Menschen, die zehn, fünfzehn Jahre – gerade in den letzten zwei Jahren die Bewegung Fridays for Future – auf der Straße gekämpft haben; sonst hätten wir kein einziges Kohleausstiegsgesetz, meine Damen und Herren. ({4}) Was die Kohlekommission vorgeschlagen hat, wäre immer noch unzureichend gewesen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, hätte aber die Chance geboten, diesen gesellschaftlichen Konflikt zu befrieden. Es ist sehr schade, dass Sie das an der Stelle verschenken. Symbolhaft dafür – man kann es, ehrlich gesagt, nicht anders sagen – steht das Kraftwerk Datteln 4. Wie irre ist es eigentlich, zur Feier des Kohleausstiegs erst mal ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb zu nehmen? ({5}) Da kommen ja nicht mal Satiriker drauf. Aber das ist die Realität in der Großen Koalition. Und wenn ich dann mitkriege, wie Entschädigungszahlungen laufen, dass eine LEAG in Ostdeutschland für einen Vorschlag, den sie vor ein paar Jahren selber zur Stilllegung gemacht hat, 1,75 Milliarden Euro kriegt, dann sage ich: Das ist verantwortungsloser Umgang mit Steuergeldern. ({6}) Sie vergolden den Braunkohlekraftwerksbetreibern den Ausstieg, während auf der anderen Seite – dafür habe ich fast schon Verständnis – die Steinkohlekraftwerksbetreiber sich jetzt beschweren, dass sie hinten runterfallen. ({7}) An der Stelle sind Sie nicht mal in der Lage, zwischen den Betreibern das vernünftig zu organisieren. Eines muss auch klar sein: Wer von diesem Kohleausstieg, wie Sie ihn gerade machen, profitiert, kann man am allerbesten an der Börse sehen. Seit der Vorschlag im Januar auf den Tisch gelegt wurde, ist der Aktienkurs von RWE um 30 Prozent gestiegen. Das zeigt, wozu am Ende Ihre Entschädigungszahlungen führen. Sie pumpen öffentliches Geld in Konzernkassen. Das hat mit Strukturwandel und den anderen Dingen überhaupt nichts zu tun. Das ist ein Riesenfehler. ({8}) Ich sage eines auch klar: Von solcher Fürsorge können Menschen im rheinischen Braunkohlerevier, ehrlich gesagt, nur träumen. Da schaffen Sie jetzt die Grundlage, um die letzten Menschen, die letzten Dörfer im Bereich des Tagebaus Garzweiler zu vertreiben, die Menschen zu enteignen. Wenn es um Kohle geht, dann sind Sie bei Enteignungen ganz schnell unterwegs. ({9}) Ich sage Ihnen ganz klar: Dazu werden wir uns vor dem Bundesverfassungsgericht mit den Betroffenen sehen. Sie werden nicht noch Menschen in diesem Land für den Abbau der Kohle enteignen. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Krischer, Sie können weitersprechen, tun das aber dann auf Kosten Ihrer Kollegen. ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das möchte ich zum Schluss in aller Deutlichkeit sagen: Wir brauchen einen Kohleausstieg, der das Kommissionsergebnis eins zu eins umsetzt. Dazu gehört vor allen Dingen auch: Wer aussteigt, muss auch einsteigen. Wir brauchen den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist das Wichtigste. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Ministerpräsident des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff. ({0})

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Frau Präsidentin! Verehrte Abgeordnete! Sachsen-Anhalt bekennt sich zur Erreichung der Klimaziele und zur CO2-Einsparung. Es bleibt nicht nur bei einem Bekenntnis. Denn schließlich gehören wir zu den Bundesländern, die einen überproportionalen Anteil zur Erreichung dieser Ziele bereits seit 1990 geleistet haben und auch künftig leisten werden: zum einen durch die strukturellen Veränderungen unserer Industrielandschaft seit 1990; zum anderen durch den beschlossenen Ausstieg aus der Kohleförderung und Kohleverstromung auch im mitteldeutschen Kohlerevier. Darüber hinaus sind wir auch ein Vorreiter bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Ihr Anteil bei der Bruttostromerzeugung liegt in Sachsen-Anhalt bereits jetzt weit über 50 Prozent – das ist deutlich über dem Bundesdurchschnitt –, und ihr Anteil bei der Eigenversorgung liegt noch weit höher. Dennoch bleibt anzumerken, dass wir bei der Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht nur die Kohle in den Blick nehmen sollten. Da sind zum Beispiel auch Potenziale in den Bereichen Verkehr oder Bauen zu nennen. Ich sage dies, weil Sachsen-Anhalt wie andere Kohleländer auch in besonderer Weise von der Kohle geprägt ist. Sie sichert Beschäftigung und generiert Wertschöpfung weit über die Kohlebranche im engeren Sinne hinaus. So schafft sie die Grundlage für die Existenz unserer chemischen Industrie, die auf eine sichere und wirtschaftliche Stromversorgung angewiesen ist. Aber auch zum Beispiel die Wärmeversorgung vieler Kommunen hängt daran. Konsens war darum auch in der Arbeit der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ immer, dass vor allen anderen Maßnahmen und vor allem vor Ausstiegsmaßnahmen die Strukturentwicklung in den betroffenen Regionen steht. Das Strukturstärkungsgesetz soll die Entwicklung hin zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft und Gesellschaft mit zukunftsfesten Arbeitsplätzen wirksam unterstützen. Es ist konsequent und folgerichtig, dass der Strukturwandel dem Kohleausstieg vorangeht. Aber das Strukturstärkungsgesetz ist noch lange nicht beschlossen und in Kraft getreten. Deswegen ist es auch noch nicht an der Zeit, die Ausstiegspläne ohne Kenntnis jeglicher Rahmenbedingungen voranzutreiben. Noch immer besteht keine Klarheit über die tatsächliche Höhe der Strukturförderung, noch immer besteht keine Klarheit über die ersetzenden Maßnahmen, noch immer besteht keine Klarheit darüber, ob die Versprechungen, die Grundlage des vielbeschworenen Konsenses sind, auch eingelöst werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Müller?

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Gerne.

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie waren auch Mitglied der von Ihnen gerade angesprochenen Strukturkommission und sind jetzt auf das liebe Geld zu sprechen gekommen. Ich frage Sie: Mit welchem Ergebnis sind Sie aus der Strukturkommission hinausgegangen? Welches Ergebnis liegt jetzt in dem Gesetzesvorschlag vor? Und was sind die Intentionen der betroffenen vier Bundesländer, welche wir hier im parlamentarischen Verfahren als Bundestag umzusetzen versuchen?

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Kleine Korrektur, Herr Abgeordneter: Ich war nicht Mitglied der Kohlekommission, wie Sie im Volksmund nachher geheißen hat, sondern wir saßen hinten, sozusagen zur Flankierung, und durften mehr oder weniger ab und an auch das Wort ergreifen. ({0}) Aber es hat, denke ich mal, seitens der Bundesregierung durchaus einen ausreichenden Kompromiss gegeben, wie wir die Meinungsbildung gemeinsam betreiben. Fakt ist aber eins: Es war klar, dass rund 40 Milliarden Euro notwendig sind, um diesen ganzen Prozess über die nächsten 20 Jahre durchzufinanzieren. Wenn ich mir den aktuellen Haushalt ansehe, dann weiß ich, dass von diesen 40 Milliarden derzeit 2 Milliarden Euro pro Jahr im Haushalt nicht eingestellt sind, sondern im Prinzip nur ein gewisser Teil für die nächsten zwei Jahre für uns erkennbar ist. Es ist ein Problem für die Vertrauensbildung vor Ort, wenn wir dieses Gesetz, das Ausstiegsgesetz, insgesamt mit auf den Weg bringen wollen. Wir können das erstens nur zeitgleich machen. Zweitens muss eine Bund-Länder-Vereinbarung möglich sein, wenn schon ein Sonderfonds nicht möglich ist, damit diese Finanzierung dann auch gesichert ist. Aber Sie haben im Prinzip den Finger auf die richtige Stelle innerhalb der Wunde gelegt. Ich bitte Sie, dass Sie als Abgeordneter im Rahmen der Anhörung und Ihrer Mitwirkung in den Ausschüssen entsprechend Wert darauf legen. ({1}) Der Strukturwandel wird letztendlich nur erfolgreich sein, wenn der Ausstieg von einem Einstieg begleitet wurde. Das haben schon viele Abgeordnete vor mir hier gesagt. Wo alte Arbeitsplätze wegfallen, müssen neue, zukunftsfähige und zukunftsträchtige entstehen. Gefördert werden muss damit die Innovationskraft der Reviere. Daher ist es wichtig, dass sich die im Kohleausstiegsgesetz vorgesehenen Revisionszeitpunkte nicht auf die Sicherheit der Energieversorgung beschränken, sondern auch die strukturpolitischen Maßnahmen und Effekte betrachtet werden. ({2}) Hier ist für mich noch ein Stichwort ganz wichtig: Es muss schon jetzt parallel unbedingt eine Vereinbarung mit der Europäischen Union herbeigeführt werden, wenn es um die Veränderung beim Beihilferecht geht. ({3}) Wenn wir nicht Anreize schaffen, dass sich neue Investitionen bei uns wirklich lohnen und nicht nur in anderen Regionen der Europäischen Union oder auch weltweit, dann werden wir den Zeitplan, den wir uns parallel beim Ausstieg, aber auch beim Einstieg vorgenommen haben, nicht halten können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Ministerpräsident, ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Kotré?

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Ich glaube, das wird nicht auf die Redezeit angerechnet. Das können Sie gerne machen. Bitte schön.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich hatte auch eben die Uhr angehalten.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Ministerpräsident Haseloff, gestern wurde hier im Plenum von einem Kollegen aus der Union die Energiewende als Operation am offenen Herzen charakterisiert. Sie selber sprechen hier im Zusammenhang mit diesem Kohleausstiegsgesetz auch davon, dass es unzulänglich wäre. Die Probleme, die dabei bestehen, habe ich in meiner Rede skizziert; bei Ihnen scheinen sie so ein bisschen auf. Es geht um Arbeitsplätze, es geht um Wohlstandsverluste, die aus meiner Sicht und aus Sicht vieler anderer völlig sinnlos sind, weil wir dadurch weltweit gesehen kein CO2 einsparen. Deswegen die Frage direkt an Sie: Unterstützen Sie dieses Gesetz oder nicht?

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Wir unterstützen das Gesetzgebungsverfahren im Sinne der Zielrichtung, die wir uns politisch vorgenommen haben. Keiner kann ernsthaft infrage stellen, dass aufgrund der Klimaveränderungen in dieser Welt eine Reaktion durch die Politik und die Industriestaaten wie Deutschland erforderlich ist. ({0}) Wer das infrage stellt, der spielt mit der Zukunft meiner Kinder und meiner Enkelkinder, aber auch vieler anderer nachwachsender Generationen. Ich denke, das ist jedem bewusst. ({1}) Wir haben einen Handlungsbedarf. Wir haben auch ein Schema, wie wir das abarbeiten können. Ich wollte das auch gerade in den nächsten Sätzen sagen: Man muss hoch anerkennen, dass die Bundesregierung hier einen Weg gefunden hat, beides miteinander zu verbinden. Aber wir sind logischerweise am Anfang des Gesetzgebungsprozesses. Jetzt geht es darum, auch aufgrund unserer Erfahrungen – wir haben schon vieles vorzuweisen, was gelungen ist – dafür zu sorgen, dass das Ganze eine Erfolgsgeschichte bleibt. Gerade die Erfahrungen mit den erneuerbaren Energien in den neuen Ländern zum Beispiel zeigen, dass es Ausbauziele gibt, die man erreichen kann, und dass wir, wenn sie denn auch auf andere Bundesländer übertragen werden, auch die Ziele bis 2030 erreichen können. Es ist möglich, mit einer klaren Konzentration von Finanzmitteln und entsprechenden beihilferechtlichen und auch planungsrechtlichen Veränderungen im System diese Strukturveränderungen in den Regionen so zu bewältigen, dass es nicht nur soziale Flankierungen gibt, sondern dass es dort weiterhin Wertschöpfung gibt, und zwar auf hohem Niveau: klimapolitisch vertretbar und nachhaltig im Sinne der gesamten Zielstellung, die wir haben. ({2}) Es muss uns gelingen, dass wir die Finanzkraft, die Deutschland hier einsetzt, gemeinsam so fokussieren, dass wir wirkliche Effekte haben. Ich glaube, dass das in Deutschland bis 2038, bis der Kohleausstieg insgesamt vollzogen sein soll, insgesamt darstellbar ist. Auf der anderen Seite kann ich uns – letzter Satz dazu – nur wirklich ins Stammbuch schreiben: Wenn wir diese Chance auf der Basis der Ergebnisse der Kohlekommission und des Empfehlungsberichts nicht im Sinne einer Konsensgesellschaft nutzen, wird uns das so nicht mehr gelingen. Es kann auch international ein Signal sein, dass man es hinbekommen kann, dass beides möglich ist: ein beschlossener Kohleausstieg – wenn wir dann, wie gesagt, das Gesetzgebungsverfahren beendet haben –, ohne dass wir den Atomausstieg korrigieren müssen. Man kann gespaltener Meinung sein, ob damals alles von den Zeitschienen her richtig dimensioniert war, als noch unter meinem Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz wir als 16 Bundesländer mit 16 : 0 den Atomausstieg beschlossen haben. Aber Fakt ist eines: Jetzt sind wir unterwegs, und wir sind in der Lage, diesen Prozess erfolgreich zu führen und damit international zu zeigen, dass Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Industriepolitik einhergehen können. ({3}) Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte noch dazu auffordern, in den weiteren Beratungen darauf zu achten, dass im Gesetzentwurf deutlich gemacht wird, dass die Beteiligung der betroffenen Länder keine Eintagsfliege ist. Ich danke ausdrücklich der CDU/CSU-Fraktion für die Redezeit, um für die betroffenen Länder sprechen zu können. Wir sind gut beraten, wenn wir gemeinsam vertrauensbildend, auch unter Beteiligung der entsprechenden industriellen Vertreter, im Gesetz die Veränderungen, die noch notwendig sind, vornehmen. Es kann nicht sein, dass der Gesetzentwurf die Veränderung von Rahmenbedingungen vorsieht und die Betroffenen hierzu nicht gehört werden. ({4}) Das ist, denke ich, auch nicht geplant. Deswegen bin ich optimistisch, dass wir das gemeinsam schaffen. In diesem Gesetzentwurf steckt ungeachtet seiner Möglichkeiten noch viel Arbeit. Solange die Bedingungen und die Ausstattung für den Strukturwandel nicht feststehen, spricht das Strukturstärkungsgesetz eine eigene Sprache, wenn es zeitgleich und synchron mit dem Kohleausstiegsgesetz einhergeht. Solange wir hier im Prozess sind, bin ich optimistisch, dass uns das gelingen wird. Ich kann allerdings auch sagen: Wenn wir es nicht zeitgleich zu einem Kompromiss führen, können wir unsererseits mit unseren vier Stimmen im Bundesrat einem gesonderten Ausstiegsgesetz logischerweise nicht zustimmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Ministerpräsident, ich habe noch einmal die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der SPD-Fraktion?

Not found (Gast)

Ja, ich bin auch mit meinem Redeentwurf zu Ende. – Also letzter Vorschlag: Wir müssen noch einige Änderungen vornehmen; das ist ganz klar. Wir müssen synchron handeln. Und wir müssen an dieser Stelle dafür sorgen, dass wir mit den Partnern, mit denen wir bisher unterwegs waren, diesen Konsens in unserer Gesellschaft aufrechterhalten. ({0}) Jetzt gerne noch die Nachfrage.

Ulrich Freese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004275, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ulrich Freese von der SPD-Fraktion, aus der Lausitz. – Herr Ministerpräsident, ganz kurze Frage: Sehen Sie das Strukturstärkungsgesetz und das Kohleausstiegsgesetz als Eins-zu-eins-Umsetzung des Kommissionsberichtes, wie Sie und die anderen Ministerpräsidenten es ja immer fordern, verwirklicht? Zweite Frage. Sehen Sie im Strukturstärkungsgesetz die notwendigen Maßnahmen, auch Wirtschaftsanreize, enthalten, um erst einmal Arbeitsplätze zu schaffen, bevor in der Verstromung und in der Förderung Arbeitsplätze wegfallen? Dritte Frage. Halten Sie es im Kontext Ihrer Rede nicht für sinnvoll, dass beide Gesetze zu einem Gesetz verbunden und dann gemeinschaftlich im Bundestag und im Bundesrat verabschiedet werden?

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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich fange einmal von hinten an: Es wäre für den Entscheidungsprozess im Bundestag und im Bundesrat sicherlich förderlich, wenn es ein Gesetz aus einem Guss wäre. Dass man es jetzt auseinandergenommen hat, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Politisch ist man immer leicht in der Lage, mit einer klaren Zeitschiene eine Intervention in den Markt zu beschließen, wie das auch beim Atomausstieg der Fall gewesen ist, als man beschlossen hatte, wann der letzte Block vom Netz zu nehmen ist. Demzufolge müssen wir mehr oder weniger unabhängig von den Revisionsterminen, die wir haben, durchsetzen – das steht der Politik zu –, dass die Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit usw. usf. im Blick behalten werden. Bei allen anderen Maßnahmen der Strukturförderung sind wir natürlich von den Reaktionen des Marktes und der Investoren, aber auch vieler anderer Mitwirkender abhängig. Die Menschen müssen das Vertrauen in uns weiterhin aufrechterhalten. Sie müssen sehen, dass wir es ernst meinen, und sicher sein, dass sie nicht wegziehen müssen. Wenn diese Menschen abwandern, dann fehlen sie als Fachkräfte für Neuinvestitionen, für die Wertschöpfung. Sie müssen dort bleiben, weil sie merken: Es geht los. – Wir machen nicht nur Innovationsförderung, sondern es sind wirklich Investitionen in echte Arbeitsplätze möglich, möglichst mit „IG BCE“-Standards, gutbezahlte Arbeitsplätze, um langfristig in dieser Region zu bleiben. ({0}) Der Punkt ist, dass wir das logischerweise nicht in einem Gesetz verordnen können. Wir können Konzerne usw. usf. nicht dazu verpflichten, dort in den folgenden Jahresscheiben Arbeitsplätze zu schaffen; das wissen wir beide und alle, die hier im Raum sind, sicherlich ganz genau. Deswegen ist es umso wichtiger, dass das, was die Kommission empfohlen hat – es war kein einfacher Kompromiss, der da damals organisiert wurde –, auch wirklich erkennbar ist. Wir können nicht nur davon reden, Anreize zu schaffen im Sinne von „Wir fassen das Beihilferecht irgendwie an“, sondern es muss klar sein, dass mit der Kommission etwas kommt, und zwar für die Kernreviere und diese Regionen. Es muss klar sein, dass wir regional im Bereich der entsprechenden Genehmigungsverfahren und damit auch der Dinge, die Naturschutz und Umweltschutz betreffen, gegebenenfalls Kompromisse machen, nicht im Sinne dessen, dass wir etwas aushebeln, sondern dass wir temporär Investitionen befördern, die ansonsten dort nicht stattfinden würden. Wichtig ist vor allen Dingen, dass es eine Finanzierungssicherung gibt. Sie als Haushaltsgesetzgeber haben es voll in der Hand, dass wir nicht nur für die nächsten zwei Jahre eine ungefähre Größe haben – wir wissen ja, was im Haushaltsentwurf bzw. im Haushalt steht –, sondern dass wir erkennen, dass wirklich 2 Milliarden Euro pro Jahr für die Dauer von 20 Jahren da sind. Wie gesagt, wenn kein Sonderfonds möglich ist, sollte zumindest eine klar verbindliche Bund-Länder-Vereinbarung unterschrieben werden, die wie bei den entsprechenden Verwaltungsabkommen bei der Bergbausanierung faktisch für eine Sicherheit sorgt, damit die Investoren wissen, dass sie als Konzerne mit beihilferechtlichen Erleichterungen, mit Förderungen rechnen können, die heutzutage maximal noch den KMUs zustehen und mit denen allein wir nichts bewirken würden. ({1}) Also: Wenn wir in der Richtung wieder eine Annäherung an die klaren Empfehlungen und auch konkret an die finanziellen Zusagen erreichen, dann werden wir etwas bewegen. Auf jeden Fall – das sage ich noch einmal in Richtung der AfD-Fraktion, die ich vorhin hören konnte –: Es gibt keinen Weg daran vorbei, in Deutschland diesen Weg konsequent fortzusetzen. Wir sind in der Verantwortung für das Industrieland und für zukünftige Arbeitsplätze gezwungen, die Klimapolitik verantwortlich und offensiv nach vorne zu bringen. Dafür müssen wir auch Geld in die Hand nehmen, und dafür müssen wir klare Zeichen setzen. Dann glauben die Menschen uns auch weiterhin, und dann marschieren sie mit uns weiter in dieser Konsensgesellschaft. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke Herr Ministerpräsident. – Das Wort hat die Kollegin Sandra Weeser für die FDP-Fraktion. ({0})

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte nicht gedacht, dass ich meine Rede jetzt damit anfange, dass ich die Bundesregierung in Schutz nehme. Herr Krischer, Sie haben eben behauptet, die Fridays-for-Future-Bewegung hätte dazu geführt, dass die Kohlekommission gebildet wurde; ({0}) die Fridays-for-Future-Bewegung wird auch von Ihrer Partei stark unterstützt. Aber es ist genau andersherum gelaufen: Die Kohlekommission ist am 6. Juni 2018 gegründet worden, und die erste größere Demo von Fridays for Future hier in Deutschland hat am 15. Februar 2019 stattgefunden. ({1}) Sie verdrehen hier die Tatsachen und führen die Bevölkerung und die Zuhörer hinter die Fichte. Die Bundesregierung rühmt sich hier aber eines staatlich festgelegten Ausstiegspfads aus der Kohleverstromung, den es so überhaupt nicht gebraucht hätte. Das Einzige, was wir damit erreicht haben, ist, dass wir den Klimaschutz um ein Vielfaches teurer eingekauft haben. ({2}) Das Ende des Kohlezeitalters ist durch das sinkende CO2-Limit des EU-Emissionshandels doch schon längst eingepreist, und zwar europaweit und nicht nur deutschlandweit. Wenn Sie allerdings per Gesetz Kraftwerke stilllegen, müssen Sie natürlich Entschädigungszahlungen leisten; das gebietet der Schutz des Eigentums. ({3}) Dass diese Summen am Ende die Steuerzahler bezahlen, möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen. Bezahlen müssen Bürger und Unternehmen aber nicht nur als Steuerzahler, sondern auch als Stromverbraucher. Schon heute hat Deutschland die höchsten Strompreise in Europa; der Industriestrompreis liegt weit über dem OECD-Schnitt. Das liegt nicht nur an den Großhandelspreisen, sondern eben auch an einer verfehlten Subventionspolitik und staatlichen Abgaben, die für Haushalte bei 52 Prozent der Kosten liegen. Das EWI hat diese Woche aufgezeigt, dass die Stromkosten durch den Kohleausstieg weiter ansteigen, und zwar werden sowohl der Börsenstrompreis als auch die Systemkosten für Netze und Reserven ansteigen. Hinzu kommt, dass Sie bei den notwendigen Ersatzkapazitäten weiter auf die verfehlte Subventionspolitik des EEG und des KWKG setzen möchten. Herr Kotré, Sie haben eben gesagt, die Wasserstofftechnologie sei 180 Jahre alt und total überholt und auch nicht tauglich. Ich bin der Meinung, wir könnten durchaus auch bei den Ersatzkapazitäten auf Wasserstoff setzen. ({4}) Ich habe zumindest durch die Pipeline gehört, dass Datteln 4 durchaus auch mit Wasserstoff betrieben werden könnte, welcher von NortH2 aus Holland geliefert werden könnte. ({5}) Ich warne an dieser Stelle aber klar und deutlich – denn meine Uhr läuft ab –: ({6}) Die hohen Strompreise sind eine große Gefahr für den Industriestandort Deutschland. Daher fordere ich die Bundesregierung auf, die hohen Strompreise zu senken und dies auch rechtsverbindlich in einem Gesetz festzulegen. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernd Westphal das Wort. ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Energiewende wird mit dem Kohleausstiegsgesetz jetzt sehr konkret. Deshalb freue ich mich auch, dass viele junge Menschen auf der Besuchertribüne sitzen und diese Debatte mitverfolgen können. Wir machen das für Ihre Zukunft, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Energieversorgung werden mit diesem Gesetz jetzt die Rahmenbedingungen und die Basis gelegt. Für die SPD heißt das, dass wir nicht nur Ausstiegspfade bei der Steinkohle und Braunkohle beschreiben, sondern auch klar den sozialen Schutz der Menschen, die in diesen Branchen arbeiten, im Auge haben. Deshalb wird es eine soziale Flankierung zu diesem politisch gewollten Prozess geben, meine Damen und Herren. Mit dem Anpassungsgeld – das hatten wir schon einmal beim Strukturwandel im Zusammenhang mit der Steinkohle – werden wir die Beschäftigten in den Tagebauen und Kraftwerken dementsprechend in die gesetzliche Rente überführen. Aber wir haben auch den Anspruch, dass wir das mit den Menschen in den Kommunen, in den Revieren, in den Verbänden und Unternehmen sowie mit Gewerkschaften und Betriebsräten zusammen gestalten. Deshalb ist das Megaprojekt Energiewende für uns mit einer Innovationsdynamik zu versehen, die vor allen Dingen auch dazu beiträgt, die Modernisierung unseres Wirtschaftsstandortes Deutschland zu gestalten. Deshalb, Herr Ministerpräsident Haseloff, kann man natürlich auf der einen Seite dem Kommissionsbericht zustimmen und im Kanzleramt bei einem Treffen mit den Ministerpräsidenten zu Vereinbarungen kommen. Aber sie müssen auf der anderen Seite auch in ihren Ländern mit Wirtschaftsförderung dazu beitragen, dass sich die Struktur der Wirtschaft in den Regionen stabilisiert. Darum bitte ich Sie ganz herzlich. ({1}) Wir als SPD sind davon überzeugt, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur dem Klimaschutz Rechnung tragen, sondern auch wirtschaftlich erstarken dadurch, dass wir neue Technologien entwickeln und neue, globale Marktpotenziale erschließen. Das wird dazu führen, dass wir mit diesen neuen Technologien auch eine klimaneutrale Produktion der Industrie hier in Deutschland organisieren können, und dafür brauchen wir dieses Gesetz, das verlässliche Rahmenbedingungen schafft. ({2}) Wir haben im Zuge dieses Wandels – das sage ich einmal in Richtung der Grünen – natürlich auch dafür zu sorgen, dass Investoren Vertrauen in diesen Standort haben. Da geht es nicht einfach darum, dass man hier Ausstiegspfade beschließt, sondern auch darum, dass wir diejenigen im Blick haben, die als Investoren darauf gesetzt haben, dass wir die politischen Rahmenbedingungen, wenn wir sie hier verändern, dementsprechend auch mit Vergütungen und Entschädigungen gestalten. Das gibt unser Grundgesetz in Artikel 14 vor, und ich denke, wir sind es den Investoren im Sinne einer vertrauenswürdigen Politik auch schuldig, dass ihnen dieses Zeichen gegeben wird. ({3}) Wir haben auch die Verpflichtung, nicht nur Ausstiegspfade zu beschreiben, sondern auch verlässlich zu gestalten, wo wir hinwollen: Das ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Deshalb müssen alle dazu beitragen, dass das 65-Prozent-Ziel bis 2030 als Zwischenschritt erreicht werden kann. Das bedeutet, dass jetzt Schluss sein muss mit Deckeln, mit Begrenzung, mit großen Abständen zu Windenergieanlagen. Vielmehr brauchen wir jetzt klare Rahmenbedingungen, und dafür werden wir als SPD sorgen. Wir werden keine ausbaubeschränkenden Maßnahmen beschließen. ({4}) Es würde übrigens auch helfen, wenn wir im Süden der Republik mehr ausbauen würden; dann bräuchten wir keinen Südbonus, wie er im Kohleausstiegsgesetz beschrieben wird. Stattdessen brauchen wir klare Rahmenbedingungen, auch in Form von Entschädigungen für Kommunen, die für Akzeptanz sorgen. Wir brauchen dementsprechend auch einen Einstieg in die Wasserstofftechnologie, wo wir Skaleneffekte sehen, und eine Vergünstigung der Technologie, damit Wasserstoff auch dementsprechend erfolgreich eingesetzt werden kann. ({5}) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir sind entschlossen, diesen klaren Kurs mit verlässlichen Rahmenbedingungen zu versehen. Wir verbinden damit Klimaschutz mit sozialer Verantwortung und einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung. Wir schaffen damit die Voraussetzungen für einen guten Klimaschutz, aber auch Perspektiven für sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Lisa Badum für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Lisa Badum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004659, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, wir sind uns einig: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. ({0}) Wenn Sie sich entscheiden, die Hälfte der Braunkohlekraftwerke erst nach 2035 abzuschalten, dann entscheiden Sie sich dafür, 134 Millionen Tonnen CO2 mehr in die Atmosphäre zu pusten. Damit verstoßen Sie nicht nur gegen das Pariser Klimaschutzabkommen – das ist Ihnen schon lange egal –, ({1}) sondern sogar gegen Ihre eigenen Klimaziele. Der springende Punkt ist: Damit vermurksen Sie das komplette Kohleausstiegsgesetz; denn was schlecht für das Klima ist, ist auch finanziell und politisch eine Katastrophe. Zum Finanziellen. Herr Westphal, Sie haben die Entschädigungen angesprochen. ({2}) Ja, Entschädigungen sind das eine; aber Entschädigungen für das Nichtstun, Entschädigungen für das Nicht-vorzeitig-Abschalten, das ist falsch, und das lehnen wir ab. ({3}) Offensichtlich sind Sie auch alarmiert in Bezug auf die LEAG; denn auf meine schriftliche Frage haben Sie mir geantwortet, Sie werden „den Sachverhalt in geeigneter Form prüfen“. ({4}) Und das erwarten wir auch; denn eines steht vor der Prüfung schon fest: Es darf keine Steuergelder für Kohlekonzerne fürs Nichtstun geben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({5}) Auch politisch ist es eine Katastrophe, was Sie vorlegen. Sie versuchen jetzt, den holprigen Braunkohlepfad durch früheres Abschalten der Steinkohle irgendwie zu kompensieren und auszugleichen und handeln sich damit massiven Ärger mit den Bundesländern ein, den Sie jetzt versuchen hektisch einzufangen. Ich fasse also zusammen: Die Steinkohlebetreiber, die Bundesländer, sind sauer, die Mitglieder der Kohlekommission aufgebracht, die Bürgerinnen und Bürger sind maßlos enttäuscht, und das zu Recht. So viel Geld für so wenig Klimaschutz ist eine Frechheit! ({6}) Kommen Sie hierher und legen Sie ein Gesetz vor, das den Namen „Kohleausstiegsgesetz“ wirklich verdient! Danke. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Andreas Lenz das Wort. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten über das Kohleausstiegsgesetz, und ja, es hat etwas gedauert, bis der Entwurf jetzt vorgelegt wurde. Aber es ist auch keine ganz unkomplizierte Materie. Es geht um wichtige Themen: Es geht um Versorgungssicherheit. Es geht darum, dass wir die Betreiber nicht enteignen wollen. Es geht darum, dass wir so wenig wie möglich an Entschädigungen zahlen, aber gleichzeitig so viel wie nötig; das unterscheidet uns auch von anderen politischen Gruppierungen. Es geht darum, dass wir natürlich einen Pfad für den Ausstieg brauchen, aber gleichzeitig auch einen Pfad für die Ersatzkapazitäten entwickeln müssen. Es geht sowohl um erneuerbare Energien als auch um Gaskapazitäten. Der Kohleausstieg wird massiv zur Erreichung der Klimaschutzziele 2030 beitragen. Der Minister hat es erwähnt: Wir leisten so auch einen Beitrag zum sogenannten Green Deal der Europäischen Union, sodass wir die festgesetzten Ziele bei gleichzeitiger Wahrung der Versorgungssicherheit und eben auch der Wettbewerbsfähigkeit erreichen werden. Wir bringen die Dinge zusammen. Es ist schwierig, Deutschland mit den skandinavischen Ländern zu vergleichen; wir haben schon einige Entgegnungen gehört. Herr Beutin, allein BASF benötigt so viel elektrischen Strom wie das ganze Königreich Dänemark. Deswegen sollten die Vergleiche gerade an dieser Stelle eben auch sachgemäß sein. ({0}) Die WSB-Kommission hat zwar den Ausstiegspfad vorgegeben, aber nicht diskutiert, wann welche Kraftwerke vom Netz genommen werden sollen. Auch deswegen ist eine Eins-zu-eins-Umsetzung schon schwierig. Wir haben als Parlament hier die Aufgabe, das Ganze mit Leben zu füllen. Die Schwierigkeit liegt jetzt eben darin, zu bestimmen, wann welches Kraftwerk – gerade auch im Bereich der Steinkohle – vom Netz geht. Wir haben es hier zum einen mit stromwirtschaftlichen Gesichtspunkten, zum anderen aber natürlich auch mit strukturpolitischen Herausforderungen zu tun, die wir bewältigen werden. Das alles machen wir übrigens parallel mit dem Strukturstärkungsgesetz. Wir lassen die Regionen eben nicht im Stich. Dieses klare Signal müssen wir auch aussenden: Die Regionen werden von uns unterstützt werden. ({1}) Ich bin Herrn Haseloff schon auch dankbar. In der Kommission war sichtbar, dass sich die Ministerpräsidenten aktiv in die Arbeit der Kommission eingebracht und für ihre Regionen gekämpft haben. Das ist nicht selbstverständlich. Natürlich muss Wirtschaftspolitik dann auch vor Ort geleistet werden, aber trotzdem war immer klar ersichtlich, dass sich die Vertreter der Regionen für ihre Region einsetzen. Wir brauchen natürlich Ersatz – gerade für die vorhandenen Wärmenetze. Dieser wird weitestgehend mittels Kraft-Wärme-Kopplung, also mittels KWK, organisiert werden müssen. Die einzelnen Modalitäten müssen wir hier im parlamentarischen Verfahren natürlich noch intensiv diskutieren. Es gilt sicherzustellen, dass die Investitionen in den Ersatz tatsächlich geleistet werden. Wenn übrigens gesagt wird, dass einzelne Kraftwerke oder Blöcke von Kraftwerken zukünftig auch mit Biomasse betrieben werden können, dann sollten wir das aus meiner Sicht noch mal intensiv prüfen. Natürlich müssen die Einsatzstoffe den Nachhaltigkeitskriterien entsprechen, aber in den Niederlanden und auch in Schweden werden ehemalige Kohlekraftwerke schon mit Holz oder Holzpellets befeuert. Wir haben hier die Möglichkeit, jetzt schon CO2-freie Brennstoffe einzusetzen, und diese sollten wir im Grundsatz eben auch nutzen. Uns ist wichtig, dass der Strom bezahlbar bleibt. Deshalb kann ab 2023 ein Zuschuss auf die Netzentgelte für private, aber auch für gewerbliche Verbraucher bezahlt werden. Die WSB-Kommission, die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, hat hier eine Höhe von mindestens 2 Milliarden Euro vorgesehen. Zusätzlich wird eine weitere Maßnahme im Kohleausstiegsgesetz vorgesehen, um energieintensive Stromverbraucher weiter zu entlasten, und der Minister hat auch angesprochen, dass wir bei der EEG-Umlage die größte Entlastung seit Bestehen des EEGs umsetzen werden. Wir wollen damit eben auch und gerade den Industriestandort stärken. Wir lassen die Versorgungssicherheit nicht aus dem Blick. 2023, 2026 und 2029 erfolgen sogenannte Checkpoints, die gerade das Thema Versorgungssicherheit adressieren. Darüber hinaus brauchen wir schon jetzt Investitionen in entsprechende Gaskraftwerke, und wir brauchen eine gesetzliche Definition von Versorgungssicherheit. Auch hier machen wir Fortschritte. Diese Definition kann aus meiner Sicht nicht nur europäisch gedacht werden. ({2}) – Aber nicht nur. Man kann übrigens trefflich darüber diskutieren, ob es besser wäre, den Ausstiegszeitpunkt dem Markt zu überlassen oder diesen festzulegen. Klar ist aber auch, dass bei einer rein marktlichen Regelung oder bei einem rein marktlichen Ausstieg die Strukturhilfe nicht Teil des Kompromisses wäre. Klar ist auch, dass durch den jetzt beschrittenen Weg Planungssicherheit auf allen Seiten hergestellt wird: bei den Kraftwerksbetreibern, bei den Menschen in den Regionen und eben auch bei der Industrie im Sinne einer langfristigen Planungsperspektive. Einige Parameter haben sich seit Abschluss der WSB-Kommission geändert. Wir diskutieren jetzt weitestgehend über das Wie und nicht mehr über das Ob des Kohleausstiegs. Auch das ist eine Errungenschaft der Kommission, aber auch der gesellschaftlichen Debatte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lenz, ich habe Ihnen jetzt die Sekunden, die der Herr Ministerpräsident übrig gelassen hat, schon draufgeschlagen. Jetzt sprechen Sie dann auf Kosten Ihres Kollegen. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Genau diese Diskussion gilt es jetzt im parlamentarischen Verfahren weiterzuführen. Dazu lade ich herzlich ein. Ich bedanke mich. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kohleausstiegsgesetz ist ohne Zweifel eines der bedeutsamsten Gesetze dieser Legislaturperiode. Wir setzen damit die Verhandlungsergebnisse der Kohlekommission um, die sich zu Recht offiziell „Kommission ‚Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigungʼ“ nennt; denn es geht um mehr als nur um die Abschaltung von Kohlekraftwerken. ({0}) Es geht uns darum, in Deutschland CO2-frei wirtschaften zu können, ohne unseren Kindern anschließend einen Rucksack voller schwerer Lasten zu überlassen. ({1}) Es geht aber auch und vor allem darum, die Menschen in den betroffenen Regionen nicht alleine zu lassen. Deswegen ist der Zwillingsbruder dieses Gesetzes das Strukturstärkungsgesetz. Claudia Moll würde sagen: Den Leuten ist es egal, ob sie Windkraftanlagen oder Bagger bauen. Am Ende ist es wichtig, dass die Menschen in Arbeit stehen. – Und dafür soll das Strukturstärkungsgesetz dienen. ({2}) Wir werden die Kohleverstromung aus Braunkohle und Steinkohle mit diesem Gesetz bis spätestens 2038 beenden. Wir werden soziale Verwerfungen, die durch den Kohleausstieg entstehen können, in den Regionen fair ausgleichen, und wir werden Alternativen zur Kohle anreizen und dabei natürlich die Versorgungssicherheit im Blick haben – sowohl im Strom- als auch im Wärmebereich. Eine besondere Rolle im Gesetzgebungsverfahren wird die gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme, also die Kraft-Wärme-Kopplung, spielen. Die vielen Kraftwerke, die hocheffizient nicht nur Strom produzieren, sondern auch Wärme in die Wohnungen liefern, werden zunächst auf Gas als Brennstoff setzen müssen. Uns geht es aber auch und vor allem darum, dass in die Kraft-Wärme-Kopplung immer mehr Erneuerbare „einziehen“. Das können womöglich erneuerbare Wärmequellen sein, wie zum Beispiel Geothermie; das kann aber auch grünes Gas, also zum Beispiel Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen – wie zum Beispiel Windenergie –, sein. ({3}) Daher müssen wir nicht nur aussteigen, sondern auch einsteigen, ({4}) und zwar konsequenter und kontinuierlicher in den Ausbau der PV. Der PV-Deckel muss weg! ({5}) Außerdem müssen wir konsequenter und kontinuierlicher das Zugpferd der erneuerbaren Energien, nämlich die Windenergie, ausbauen, und zwar von Borkum bis zur Zugspitze. ({6}) Der Kohleausstieg und der Strukturwandel sind nicht nur Zwillinge, sondern zusammen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien tatsächlich Drillinge. Nur alle drei zusammen sind denkbar, und nur alle drei zusammen sind auch machbar. Das wird in den nächsten Wochen im Ausschuss, in der Anhörung im März und bei den Berichterstattergesprächen sicher anstrengend, aber ich glaube, diese Anstrengungen lohnen sich. Im Sinne unserer Kinder und unserer Enkelkinder ist es auf jeden Fall die Mühe wert. Es wird sicher Krach geben. In Ostfriesland würde man sagen: Wenn Füür in ’t Hart is, is Rook in d’ Kopp. ({7}) Wir werden also aufpassen müssen, dass die Debatten nicht allzu hitzig werden und dadurch Gedankengänge vernebelt werden können. Ich freue mich auf zielführende, besonnene Diskussionen in dieser Frage und darauf, dass wir diese Drillinge mit großer Mehrheit gesund zur Welt bringen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Georg Kippels für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schön, dass am Ende dieser Debatte auch ein Vertreter eines Wahlkreises, des Rhein-Erft-Kreises, der im Herzen des Rheinischen Reviers liegt, zu Wort kommen kann ({0}) – zu Ihnen komme ich noch, Herr Krischer –, der mit allen Faktoren, die hier und heute zu besprechen und auch in dem Gesetz zu behandeln sind, tagtäglich konfrontiert wird. Wenn ich an diesem Thema arbeite und im Wahlkreis unterwegs bin, sehe ich die Vergangenheit in Form der Kraftwerke und der Tagebaue. Ich sehe aber auch die Zukunft in Form der Windräder, der Photovoltaikanlagen und auch der Übertragungsnetze, mit denen wir versuchen wollen, ein modernes Netzmanagement auf den Weg zu bringen. Ich sehe auch die Gegenwart in Form der Menschen, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Lebensgrundlage durch dieses Gesetz wesentliche Veränderungen erfährt. An dieser Stelle bin ich von Ihnen, Herr Krischer, ein bisschen provoziert, wenn Sie sich hier mit breiter Brust hinstellen und für die Umsiedler kämpfen wollen – was man in der Tat machen kann, obwohl sie sich seit Jahrzehnten auf diese Situation einstellen konnten, adäquat entschädigt werden und vor allen Dingen sozialverträgliche Verfahren gewählt werden –, aber an dieser Stelle kein Wort über die Tausende Mitarbeiter verlieren, denen Sie mit Ihrer ideologischen Keule den Arbeitsplatz von heute auf morgen entziehen wollen. Das ist einfach unanständig. ({1}) Zurück zum Gesetz. Wir haben heute viel über das Thema Versorgungssicherheit gehört. Hinter dem Wort „Versorgungssicherheit“ verbergen sich Komponenten, die uns als Gesetzgeber nicht zugänglich sind, nämlich schlicht und ergreifend die Physik und die Naturwissenschaften. ({2}) Wir brauchen Frequenzstabilität – ein etwas schwieriges Wort, aber es bedeutet nichts anderes, als dass das Stromnetz im Gleichgewicht gehalten werden muss, und das ist unter dem Einfluss der erneuerbaren Energien ungleich schwerer. ({3}) Wir haben die sogenannten Redispatch-Eingriffe, und diese nehmen von Tag zu Tag zu. Im Jahre 2011 musste noch einmal am Tag korrigiert werden, 2016 bereits 17-mal am Tag, und in der Zwischenzeit gehen die Zahlen durch die Decke. Das sind Faktoren, die wir über die Monitoringsysteme, die im Gesetz vorgesehen werden, unbedingt im Auge behalten müssen. Hier geht es eben nicht um die Kompetenz des Gesetzgebers, sondern um eine fachkundige und technologische Beherrschung der Naturwissenschaften.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kippels, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Lenkert?

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Kollege Kippels, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprachen inzwischen über die physikalisch bedingte Notwendigkeit von immer mehr Eingriffen. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, dass wir im Juni letzten Jahres dreimal kurz vor einem Blackout standen wegen fehlerhafter Bilanzierung durch Stromspekulanten an der Leipziger Strombörse? Ist Ihnen bekannt, dass wir im Januar letzten Jahres fast einen Blackout hatten wegen Schaltfehlern zwischen Spanien und Frankreich und fehlerhafter Weitergabe von Daten an das Pumpspeicherwerk Goldisthal in Thüringen? Ist Ihnen bekannt, dass man jede Viertelstunde einen Ausschlag in der Frequenz, jede Stunde einen stärkeren Ausschlag in der Frequenz sehen kann aufgrund von Handelstätigkeiten an der Strombörse – mit Zu- und Abschalten – und dass dies kein technisches Problem ist, sondern ein Handelsproblem und ein System des Marktes, den Sie so propagieren? Sind Sie also bereit, dieses Risiko für unser Stromnetz, diesen Kostentreiber im Bereich der Redispatch-Kosten, der nur durch den Handel und nicht durch technische Parameter ausgelöst wird, gesetzlich zu beseitigen, damit unser Stromsystem sicherer wird? ({0})

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zum ersten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege: Ja, diese Faktoren sind mir bekannt. Zum Zweiten habe ich mich hier ausdrücklich zunächst auf die technischen Fragestellungen konzentriert, denen wir uns im Rahmen der Netzkontrolle auch widmen müssen. Die ökonomischen Unwägbarkeiten, die sich in der Zwischenzeit auch durch den von Ihnen genannten Aspekt ergeben haben, bedürfen natürlich einer entsprechenden Berücksichtigung, weil wir die Wirtschaftlichkeit – auch das ist eben angesprochen worden – im Auge behalten müssen. ({0}) Die Fragestellung der Redispatch-Kosten, die ich eben angesprochen habe, ist in der Tat für uns alle eine Herausforderung. Es geht vor allen Dingen darum, dass wir in technologischer Hinsicht Reserven haben müssen, die im Bedarfsfalle abgerufen werden können. Es ist in der Tat kein Prozess, der sich nur über einen ganz kurzen Zeitraum erstreckt. Insbesondere dann, wenn wir die enormen Kapazitäten der Atomkraftwerke aus dem Netz herausnehmen, gibt es einen Einstieg in eine ganz sensible Kontrollphase, mit der wir uns in der Tat sowohl strukturell, das heißt im Hinblick auf ein Gesetzgebungsverfahren und die Bundesnetzagentur, als auch technisch, im Hinblick auf die entsprechenden Ressourcen, auseinandersetzen müssen. Ich weiß – ich glaube, das ist in diesem Zusammenhang die gute Nachricht –, dass gerade auch in der Region viele Unternehmungen, unter anderem das Projekt Quirinus mit dem virtuellen Kraftwerk, daran arbeiten, die Netzstabilität gerade auch unter Berücksichtigung der erneuerbaren Energien dauerhaft sicherzustellen. Es ist eine technologische Herausforderung. Es bietet aber gleichzeitig eine Perspektive für den Aufbau von hervorragend dotierten und vor allen Dingen technologisch anspruchsvollen Arbeitsplätzen. Insofern freue ich mich auf die Beratungen über dieses Gesetz – mit einem entsprechenden Weitblick. Wir werden darum bemüht sein, Zukunft und Sicherheit, Ökologie und Ökonomie in Gleichklang zu bringen. Herzlichen Dank und Glück auf! ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Oft werde ich gefragt, was ich denn für wichtiger halte: meine vorherige Tätigkeit als Landrätin oder die jetzige Tätigkeit hier im Bundestag. ({0}) Dann sage ich ganz klar: Das sind beides Seiten einer ganz wichtigen, bedeutenden Medaille, und sie gehören einfach zusammen. ({1}) Klar, es hat mir wirklich sehr viel Freude gemacht – es war zwar nicht immer vergnügungssteuerpflichtig, aber ich habe es gern gemacht –, mit Bürgerinnen und Bürgern meines Kreises zusammen Dinge auf den Punkt zu bringen, Lösungen zu suchen, bei Gemeindevertretungen in den Orten der Insel Rügen dabei zu sein oder eben auch mit Vereinen und Verbänden gemeinsam das Leben auf der Insel zu gestalten. Das war eine wirklich sehr schöne Aufgabe, und ich durfte sie zehn Jahre lang machen. Das war wirklich nicht schlecht. ({2}) Aber es hat mir eben auch gezeigt, dass es viele Dinge gibt, die wir auf kommunaler Ebene alleine nicht lösen können. Ein ganz wichtiger Aspekt sind natürlich die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Und dann kam immer wieder die Frage nach dem lieben Geld: Wie kriegen wir die Dinge, die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig sind, gebacken? Was können wir tun, damit wir den Bürgern das, was wir Daseinsvorsorge nennen, auch wirklich gewähren können und – möglichst noch etwas mehr – damit die Bürger sich in ihren Gemeinden, in ihrem Zuhause echt wohlfühlen können? ({3}) Dass das natürlich auch gesetzlich so beschlossen ist, zeigt das Grundgesetz. Dort ist ganz klar die Bundesrepublik Deutschland als ein „demokratischer und sozialer Bundesstaat“ definiert. In Artikel 28 Absatz 2 ist auch die besondere Rolle der Kommunen definiert. Wenn wir diese besondere Rolle umsetzen wollen – erinnern Sie sich, wie oft wir hier darüber gesprochen haben, dass wir dank der flexiblen und einfallsreichen Arbeit der Kommunen viele schwierige Situationen lösen konnten? –, dann brauchen wir auch die entsprechenden Rahmenbedingungen, damit das ordentlich läuft. Dazu ist eben auch eine wirtschaftliche Betätigung nötig. In welcher Form? Das zu organisieren, macht jede Kommune für sich, sie entscheidet, wie sie das am besten tun kann. Ich finde, das ist auch richtig und gut so. Nun hat aber in den vergangenen Jahren – das ging in den 1990er-Jahren los – die finanzielle Not die Kommunen dazu getrieben, auch andere Wege zu gehen. Das führte zu Privatisierungen, die wirklich einschneidend waren: einschneidend für die Mitarbeiter in den Betrieben, weil sie oft eine andere tarifliche Absicherung bekamen, sie ging aber auch zulasten der Kommunen bzw. deren Einwohnerinnen und Einwohner. Ich erinnere nur an höhere Wasserbeiträge, beispielsweise hier in Berlin oder auch bei mir im Land, in Rostock. Das sind Dinge, die die Bürgerinnen und Bürger nicht wollen. Das müssen wir anders regeln. ({4}) Öffentlich-private Partnerschaften scheinen keine Lösung zu sein. Hier gab es in den letzten Jahren immer nur negative Beispiele. Wenn selbst der Bundesrechnungshof feststellt, dass die Zahl dieser praktizierten Vorhaben der Zahl der Fehlleistungen entspricht, dann muss man sagen: Aufgabe schlecht gelöst, das muss weg. ({5}) Auch die Partnerschaft Deutschland ist nach wie vor darauf ausgerichtet, dass die Privatisierung unterstützt und beratend begleitet wird. ({6}) Das ist nicht der Weg. Wir möchten, dass es den Kommunen tatsächlich ermöglicht wird, das notwendige Tafelsilber für ihre Aufgabenerfüllung zurückzukaufen, sodass sie es einsetzen können für eine gedeihliche Entwicklung in ihren Gemeinden. Dass es da unwahrscheinlich viele kreative Ideen gibt, hat die letzte Zeit gezeigt: Wenn autarke Energiedörfer entstehen, wenn dadurch für die Bürger die Preise tatsächlich sinken, wenn das Dorf neu belebt wird, weil Menschen dort hinziehen, dann ist das eine gelungene Lösung. Wenn selbst Kreise darüber nachdenken, an der Lösung des Wohnungsproblems mitzuarbeiten, zum Beispiel der Kreis Harburg, der in den nächsten sechs bis sieben Jahren 800 Wohnungen bauen will, einfach weil die Not groß ist, dann sage ich: Es ist gut, dass die Kommunen diese Aufgabe für sich übernehmen und entschlossen angehen. ({7}) Da gäbe es noch viel zu tun; denn die Kommunen können auch ein fester Bestandteil sein, um die Herausforderungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit in Angriff zu nehmen, eben mit ihren Bürgerinnen und Bürgern und deren Einfallsreichtum. Was aber nicht geht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist, den Wettbewerb so anzusetzen, wie Sie es wollen, nämlich nach dem Motto „Der Beste möge gewinnen“. ({8}) Das geht in der kommunalen Familie nicht. ({9}) Hier geht es darum, dass wir alle mitnehmen. Kommune stammt vom lateinischen Wort „communis“ ab, das heißt „allgemein“ und „gemeinschaftlich“. Wenn man hier die Gemeinschaft verlässt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann geht das zulasten der Schwächsten in der Kommune. Wir wollen das nicht. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Eckhard Pols für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhard Pols (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kassner, nicht nur die Insel Rügen ist schön, sondern auch die Lüneburger Heide und das Hannoversche Wendland. Frau Kassner, wenn Sie dort einmal sind, zeige ich Ihnen die Schönheit der Gegend, vor allen Dingen im Wendland und auch die Schönheit rings um Gorleben. Wir debattieren heute zwei Anträge der FDP und einen Antrag der Linken zum Thema „wirtschaftliche Betätigung von Kommunen“. Da ergeben sich natürlich einige Fragen: Wie viel wirtschaftliche Betätigung ist gewollt? Oder, anders gefragt: Wie viel wirtschaftliche Betätigung ist überhaupt nötig und sinnvoll? Was geht über die kommunale Daseinsvorsorge hinaus? Wo endet die Beschränkung auf hoheitliche Aufgaben? Und nicht zuletzt: Wo fängt die Konkurrenz zu privaten Unternehmen wie zum Beispiel zum Handwerk an? Für mich ist die Situation ganz klar: Die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen ist auf die zulässigen Kernbereiche zu begrenzen. Leistungen öffentlicher Betriebe werden mittlerweile gemeindeübergreifend angeboten und erstrecken sich auf immer mehr Felder außerhalb des engen Bereichs der kommunalen Daseinsvorsorge. Bestehende und rekommunalisierte Stadtwerke, Bauhöfe, Wegebaugemeinschaften und andere öffentliche Betriebe treten unter Nutzung der bestehenden steuerrechtlichen und finanziellen Privilegien durch ihre Leistungen in unmittelbare Konkurrenz zum Handwerk und anderen Privatunternehmen vor Ort, ohne dass sie sich privatrechtlichen Risiken stellen müssen. Die kommunale öffentliche Hand betätigt sich heute zum Beispiel als Tischler oder im Elektrohandwerk, sie bietet mancherorts sogar Kfz-Reparaturen an. Die Leistungen privater Reinigungsbetriebe drohen ebenfalls durch Eigenbetriebe ersetzt zu werden. Gleiches gilt auch für die Gartenbaubetriebe. Auch durch die neue Personalausweisverordnung könnten örtliche Fotografen einen Nachteil haben, da die Einwohnermeldeämter zukünftig auch den Service der Passbilderstellung vor Ort ermöglichen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Umfrage unter 1 400 Handwerksbetrieben ergab, dass bereits jeder zwölfte Betrieb von kommunaler Konkurrenz betroffen ist. Einer weiteren Umfrage zufolge sieht sich fast jedes zweite Ingenieurbüro wegen der kommunalen Konkurrenz zu Entlassungen gezwungen. Früher haben sich die Kommunen auf die Aufgaben der Daseinsvorsorge beschränkt, das heißt Strom, Gas, Wasser, den öffentlichen Personennahverkehr sichergestellt sowie Abfall und Abwasser entsorgt. Heute finden sich durchaus kommunale Verkehrsbetriebe, die Fahrzeuge Dritter reparieren, kommunale Gartenbaubetriebe, die gärtnerische Leistungen im Bereich der privaten Garten- und Grünpflege erbringen. Das hat mit kommunaler Daseinsvorsorge wirklich nichts mehr zu tun. Städte und Gemeinden sollten Mut zum Wettbewerb zeigen und dem ortsansässigen Handwerk bzw. dem Mittelstand Chancen bieten, und zwar Chancen für Wachstum und Beschäftigung, und letztlich auch dafür sorgen, dass diese Betriebe gute Steuerzahler für die Kommunen sind. Auch finanziell dürfte es sich nicht lohnen, wenn sich Kommunen wirtschaftlich weiter betätigen. Denn letztlich führt das dazu, dass § 2b Umsatzsteuergesetz greifen könnte und die Kommunen durch interkommunale Zusammenarbeit plötzlich mehrwertsteuerpflichtig werden. ({1}) Das kann doch so nicht gewollt sein. Wobei interkommunale Zusammenarbeit – das muss ich wirklich sagen – begrenzt auf die Daseinsvorsorge natürlich Sinn macht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Antrag „Kommunen fördern und Rekommunalisierung unterstützen“ kennen wir bereits. Die Linke bringt das nicht zum ersten Mal ein. Aber das Sprichwort „Steter Tropfen höhlt den Stein“ gilt hier nicht. Ihr Antrag wird durch die wiederholte Einbringung nicht besser, und wir werden auch nicht müde, Ihnen das klarzumachen und diesen Antrag erneut abzulehnen. ({2}) Mit Ihrem Antrag wollen Sie den Kommunen die Form ihrer Aufgabenerfüllung vorschreiben. Das wird mit uns aber nicht funktionieren; denn wir nehmen kommunale Selbstverwaltung ernst und wollen Handlungsoptionen öffnen. ({3}) Dort, wo kommunale Angebote zielführend sind, sollen diese auch gestützt werden. Wer aber auf private, genauer gesagt: partnerschaftliche Aufgabenerledigung setzt, soll ebenfalls Unterstützung bekommen. Mit der KfW und der PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH haben die Kommunen starke Partner an ihrer Seite, die die Kommunen bei der Umsetzung realistischer Vorhaben unterstützen. Entgegen der Auffassung der Linken reicht es eben nicht aus, nur zinsfreie Darlehen zur Verfügung zu stellen. Es geht auch darum, sich Gedanken über die Folgekosten zu machen und diese vor allen Dingen auch im Blick zu behalten. Das ignorieren Sie leider in Ihrem Antrag komplett und setzen die Kommunen am Ende einem extremen Finanzrisiko aus. Dies geht wiederum zulasten der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger. Die PD ist dabei das einzige deutschlandweit und auf allen staatlichen Ebenen agierende Beratungsunternehmen der öffentlichen Hand. Mit der PD spart man Zeit und Verwaltungsaufwand und stellt sicher, dass man von Spezialisten für öffentliche Belange beraten wird. Das sind doch die entscheidenden Punkte. Die Kommunen werden bei der Erstellung von Ausschreibungsunterlagen und durch Begleitung des Vergabeverfahrens professionell unterstützt. Die beiden Anträge der Linken zeigen eben, dass Sie kein großes Verständnis für die Kommunen haben. ({4}) Man kann sagen: In den verschiedenen Bundesländern dürfen die Kommunen unterschiedlich viel. So ist das eben im Föderalismus, und wir wollen ihn ja auch. ({5}) Wir wollen ja nicht von oben alles vorgeschrieben bekommen. Wenn Sie hier Änderungsbedarf sehen, müssen Sie sich mal an Ihre eigenen Landtagsfraktionen wenden. Ich sehe diesen auf jeden Fall nicht. So oder so: Wir können und sollten nicht alles von Berlin aus regeln. Das wollen unsere Freunde in den Kommunen auch gar nicht; denn vor Ort wissen sie am besten, wie man Projekte zielführend umsetzt, ({6}) damit sie ein Erfolg werden. Sie glauben gar nicht, wie sehr man sich vor Ort wünscht, dass wir von Berlin aus nicht alles steuern. ({7}) Wir sollten den Mut haben, den Menschen in den Kommunen die Freiheit zu lassen, diese Dinge zu machen. ({8}) Es gibt keinen Grund, Funktionierendes, das auch nicht in unserem Aufgabenbereich liegt, zu verändern und unnötig zu regulieren. Wir haben ganz andere, große und auch kleine Themen, denen wir hier unsere Zeit widmen sollten. Vielen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der AfD der Kollege Marc Bernhard. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! ({0}) „Wer aus der Geschichte nicht lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Die Linken sprechen von Rekommunalisierung, meinen aber in Wirklichkeit Verstaatlichung und wollen über dieses trojanische Pferd eine DDR 2.0. ({1}) Dabei haben 40 Jahre Sozialismus eines ganz klar gezeigt: dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist und dass Sozialismus unweigerlich zu Mangelwirtschaft führt. ({2}) Als die Bahn noch von der SED geführt wurde, waren Züge, Schienen und Bahnhöfe in einem absolut desolaten Zustand. ({3}) Bei der S-Bahn in Berlin fuhren Züge aus den 30er-Jahren, und die Instandsetzung des Bahnhofs Ostkreuz stand wohl in jedem Fünfjahresplan der DDR. ({4}) Ohne Privatisierung würden wir wahrscheinlich immer noch ({5}) mit Wählscheibentelefonen der Deutschen Bundespost telefonieren. ({6}) Was mich an Ihrem Antrag jedoch am meisten wundert, ist, dass Sie sich vor ein paar Jahren selber wie die größten Turbokapitalisten aufgeführt haben. ({7}) Als Sie hier in Berlin angefangen haben, mitzuregieren, haben Sie gegen jede Vernunft alles verscherbelt, was nicht niet- und nagelfest war. Insgesamt haben Sie rund 150 000 Wohnungen ({8}) allein hier in Berlin privatisiert. 2007 haben Sie dann sogar noch die Berliner Sparkasse verhökert. Sie von den Linken waren also bei der Privatisierungshysterie ganz vorne mit dabei. ({9}) Jetzt wollen Sie mit Ihrem Antrag auf Kosten des Steuerzahlers Ihre eigenen Fehler teuer rückabwickeln. Es ist wirklich schön, wenn man die eigenen Fehler mit dem Geld anderer Leute retuschieren kann. Ganz offensichtlich haben Sie nichts aus der Geschichte gelernt und verfahren frei nach dem Motto: ({10}) „Baue auf und reiße nieder, so hast du Arbeit immer wieder.“ – So schreiben Sie zum Beispiel in Ihrem Antrag: „Nur wenn die Betriebe … in öffentlicher Hand sind, können sie den Ansprüchen … genügen.“ Genau deshalb wurde der Berliner Flughafen ja auch termingerecht eröffnet. ({11}) Sie wollen mit Ihrem Antrag die ergebnisoffene Beratung der Kommunen auflösen. Stattdessen wollen Sie ein Institut, das einzig und allein dazu dienen soll, die Kommunen in die von Ihnen propagierte Verstaatlichung zu treiben. ({12}) Dabei ist doch weder die Privatisierung noch die Kommunalwirtschaft per se gut oder schlecht. Entscheidend sind einzig und allein die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Deshalb sind sowohl die Verstaatlichungshysterie wie auch die Privatisierungshysterie, die von Ihnen in der Vergangenheit nacheinander in völliger Ausblendung der Realität massiv betrieben worden ist, auch immer krachend gescheitert. Die Geschichte hat eines ganz klar gezeigt: dass Sie immer die einfachste Grundregel ignoriert haben, nämlich erst zu denken und dann zu handeln. Hätten Sie diese Grundregel befolgt, müssten wir hier und heute nicht über Ihre Anträge reden. ({13}) Die Bürger vor Ort kennen die tatsächlichen Bedürfnisse am besten. Daher müssen diese Entscheidungen auch vor Ort, in den Kommunen, und nicht hier in Berlin getroffen werden. Das ist gelebte Demokratie. Was den Menschen wirklich helfen würde, ist mehr Vernunft und weniger Ideologie. ({14}) Die Mangelwirtschaft der untergegangenen DDR haben Sie ganz offensichtlich verdrängt. Danke schön. ({15})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Bernhard Daldrup. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Kollege Bernhard redet und das Wort „Vernunft“ in den Mund nimmt, hat man den Eindruck: Es ist irgendwie Satire. ({0}) Sie wissen doch: Getretener Quark wird breit, nicht stark. – Und es war ziemlich viel Quark. ({1}) Ich will zum Antrag Folgendes sagen: Er ist im Oktober 2019 hier schon mal behandelt worden. In den Ausschussberatungen hat sich nicht wirklich etwas Neues ergeben. Der Antrag ist überwiegend abgelehnt worden. Ich weiß auch nicht, warum in dieser Sache nun sozusagen ein fast gleichlautender Antrag noch einmal eingebracht wird – aber wie auch immer. Ich will gar nicht verhehlen, dass viel von dem, was in dem Antrag geschrieben steht, ja durchaus richtig ist. Die Antwort auf die Frage, ob öffentliche Daseinsvorsorge in öffentliche Verantwortung gehört, lautet Ja. Deswegen sind Wege zur Rekommunalisierung auch sinnvoll. Aber öffentliche Verantwortung muss nicht in jedem Fall auch immer in öffentliche Trägerschaft münden. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Gesichtspunkt in dieser Diskussion; denn damit komme ich auf das, was im Zentrum des Antrags steht, nämlich die PD, also die Partnerschaft Deutschland, und die KfW. Darauf bezogen ist der Antrag – es tut mir leid, das zu sagen – ein Stück weit hinter der Zeit geblieben; denn die Organisation der PD hat sich völlig verändert; darauf wurde in der ersten Rede zu diesem Tagesordnungspunkt schon aufmerksam gemacht. Die PD gehört komplett der öffentlichen Hand. Inzwischen sind neben dem Bund 9 Bundesländer, 54 Kommunen und Landkreise, 3 kommunale Spitzenverbände, 7 Stiftungen, Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts und über 90 öffentliche Mitgliedsgesellschafter dabei. Ich glaube prognostizieren zu können, dass es nicht ganz unmöglich ist, dass demnächst auch das Land Thüringen dabei ist. Die PD hat viele Vorteile. Sie ist inhousefähig, das heißt, sie kann ohne Ausschreibung von Kommunen beauftragt werden, wenn die Kommunen Anteile an der PD erwerben. Das kostet 1 000 Euro; damit ist keine Kommune überbelastet. Das ist ein eminenter Vorteil, den wir nicht aufgeben dürfen. Die strategische Ausrichtung der PD hat sich komplett verändert. Ihr Beratungsangebot umfasst Bausanierung, Projektplanung von kommunalen Krankenhäusern, von Rathäusern, von Schulen, von kommunalen Beleuchtungsprojekten und beim ÖPNV usw. usf. Bei den von der PD in diesem Zusammenhang realisierten Geschäften spielen ÖPP, also öffentlich-private Partnerschaften, die in der Tat kritisch gesehen worden sind, so gut wie keine Rolle mehr. Übrigens ist auch die Beratung bei der Gründung von kommunalen Wohnungsgesellschaften durch die PD – das passiert etwa in Monheim und Paderborn – heutzutage möglich. Sie wird mit über 4 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt unterstützt. Die Beratungsleistungen für die Kommunen sind hingegen häufig genug fast kostenlos; auch das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Die PD ist also eine Einrichtung, die wir nicht infrage stellen, sondern stärken sollten. ({2}) In einem Ihrer Anträge wird ja auf den Investitionsstau der Kommunen hingewiesen. Die Quelle ist dabei fast immer das KfW-Kommunalpanel. Dahinter steht das Deutsche Institut für Urbanistik, das das erstellt und an dem die Kommunen maßgeblich beteiligt sind. Dessen Chef, Professor Carsten Kühl, empfiehlt ausdrücklich die Zusammenarbeit mit der PD, damit der kommunale Investitionsstau abgebaut werden kann. ({3}) Das Fazit ist also: Linke, auf in die Gegenwart! Das geht so nicht. Damit wären wir bei der KfW. Die KfW stellt bereits heute den Kommunen Kredite quasi zum Nullzins zur Verfügung, die übrigens auch für Rekommunalisierungen genutzt werden können. Auch die KfW ist ein vernünftiges und sinnvolles Institut. Das muss man nicht infrage stellen. Summa summarum ist der vorliegende Antrag meiner Meinung nach nicht auf der Höhe der Zeit. Deswegen lehnen wir ihn auch ab. Mit dem neuen Antrag wollen Sie, wie übrigens auch die FDP, mit den Ländern auf die Kommunen einwirken. Kollege Pols hat das hier bereits gesagt. Er ist für mich nicht gerade ein Ausdruck von Respekt und Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, aber ich sage mal: Geschenkt! Ich bin, Frau Strack-Zimmermann, sehr überrascht, dass sich die FDP in dieser Frage neu positioniert. Ich finde es ausdrücklich gut, dass Sie sich von Ihrem Mantra „Privat vor Staat“, das Sie jahrelang vertreten haben, verabschieden und dass neue Töne zu hören sind, dass man Rekommunalisierung kritischer sieht, dass man die Kommunen mit ausreichenden Steuereinnahmen versehen will und Ähnliches mehr. Das finde ich positiv und meine es auch so. Gemeinsam ist uns allen, dass wir die interkommunale Zusammenarbeit fördern wollen. Dazu gibt es gute Nachrichten aus dem BMF, dem Finanzministerium. Die Umsatzsteuerbefreiung, die eben schon angesprochen worden ist, soll jetzt bis 2023 für die interkommunale Zusammenarbeit verlängert werden. Das heißt, wenn sich Kommunen gegenseitig helfen, soll das nicht umsatzsteuerpflichtig werden. Vielleicht schaffen wir es ja gemeinsam, einen Weg zu finden, die interkommunale Zusammenarbeit bei Rechenzentren, bei Wertstoffhöfen, beim Winterdienst, ja sogar beim Friedhofswesen nicht nach europäischen Grundsätzen von Steuergleichheit von Privaten und Kommunen im Markt, sondern nach dem Grundsatz, dass die Daseinsvorsorge ein Privileg der öffentlichen Hand bleiben muss, zu organisieren. Das wäre gut für die Kommunen und spart den Bürgerinnen und Bürgern eine Menge Geld. Auch das ist ein positiver Aspekt. ({4}) Ich will aber noch auf einen Faktor hinweisen, der besonders wichtig ist. Wenn man wirtschaftliche Betätigung im Bereich der Daseinsvorsorge der Kommunen will, wenn man zu kommunaler Selbstverwaltung steht, zu der Freiheit, dass die Kommunen die Lebensbedingungen ihrer Bürgerinnen und Bürger gestalten können, dann brauchen sie gleiche Bedingungen, und zwar gleiche Bedingungen bezüglich ihrer Finanzierungssituation. Hier haben wir ein großes Problem in der Bundesrepublik Deutschland, weil wir bestimmte Regionen haben – gerade wurde über die Kohleregionen gesprochen, die es nicht nur in Nordrhein-Westfalen gibt –, die sich in einer dramatisch schwierigen Situation befinden. Wenn die Arbeitslosigkeit dort mit durchschnittlich 9,1 Prozent um 50 Prozent höher ist als im Durchschnitt der ostdeutschen Länder, wenn die Gebühren doppelt oder sogar dreifach so hoch sind, wenn die Hebesätze um ein Vielfaches höher sind, sind dort Ungleichgewichte, die wir unter dem Gesichtspunkt der gleichwertigen Lebensbedingungen nie beseitigen können und die von vornherein Handicaps für eine sinnvolle, vernünftige wirtschaftliche Betätigung sind. Daran sollten wir alle denken, wenn wir in der nächsten Zeit über die Beseitigung bzw. Verringerung der Altschuldenproblematik reden. Herzlichen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion der FDP die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin Kassner, Ihr Beharrungsvermögen bei diesem Thema ist bemerkenswert, aber leider, wie immer, völlig undifferenziert, und es erinnert mich immer noch an die alte Klassenkampfrhetorik. Ich glaube, da sollten wir uns mal gemeinsam weiterentwickeln. Hier die guten staatlichen Betriebe und da die bösen, bösen Privaten, das ist Ihre ideologische Herangehensweise. Damit gehen Sie nicht nur vielen Leuten auf den Keks, sondern es hilft auch keiner Kommune; es hilft objektiv keiner Kommune. ({0}) Wenn wir darüber diskutieren, wie die kommunale Daseinsvorsorge grundsätzlich verbessert werden kann, bin ich dabei, Möglichkeiten zu suchen. Ich bin auch bei Ihnen, dass Public-private-Partnership nicht heißen kann, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste kommunalisiert werden; da bin ich völlig bei Ihnen. ({1}) Aber Ihre Blankoabrechnung mit allem, was nicht kommunal bzw. staatlich gesteuert ist, ist schlichtweg falsch. Da Sie als ehemalige Landrätin aus dem Nähkästchen gesprochen haben, mache ich das jetzt mal als ehemalige Bürgermeisterin. Ich nenne Ihnen drei Beispiele dafür, wie gut etwas klappen kann. Erstens: Energieversorgung. Sie funktioniert selbstverständlich auch privatwirtschaftlich. Sie wissen genau, dass die Stromnetzregulierung die Interessen der Öffentlichkeit wahrt. Das ist für den Steuerzahler letztlich günstiger; denn es liegt ein Vertrag vor, der gesichert kontrolliert wird und auch mit entsprechenden Vertragsstrafen begleitet wird, Lasten und Wohl auf beide Vertragspartner verteilt. Düsseldorf hat vor Jahrzehnten die Stadtwerke verkauft und damit unter anderem den Kernhaushalt entschuldet. Das Kohlekraftwerk wurde abgerissen. Heute steht dort das modernste Gaskraftwerk Europas – bei stabilen Preisen. ({2}) Von höheren Entgelten kann überhaupt keine Rede sein. Zweitens: Krankenhäuser. Es gibt keinen Grund, warum Großstädte kommunale Krankenhäuser betreiben müssen. Auch da haben wir in Düsseldorf private Partner ins Boot geholt. Resultat: Das alte Krankenhaus wurde abgerissen. Heute steht dort das modernste Krankenhaus Nordrhein-Westfalens. ({3}) Das heißt, Ihre Klage, die Privatisierung der letzten Jahrzehnte hätte den Kommunen bei ihrem Schuldenproblem nicht geholfen, ist und bleibt ein linkes Märchen. Drittens: Kindergärten. Ja, es gibt kommunale Träger, kirchliche Träger, private Träger, soziale Verbände. Das ist eine vernünftige Mischung. Sie arbeiten Hand in Hand, um ein entsprechendes Angebot zu schaffen. Düsseldorf hat vor Jahrzehnten alle Plätze für Kinder ab drei Jahren kostenfrei gestellt. Sie sehen an nur diesen drei Beispielen, dass man in Kooperation mit Privaten natürlich eine Menge sinnvoller Dinge machen kann. Mit Ihrem Antrag – das ist wirklich spannend – wollen Sie auf der einen Seite den Verbrauchern niedrigere Gebühren versprechen, um dann auf der anderen Seite die fehlenden Mittel aus den Steuerzahlungen der Verbraucher wieder zu generieren. Meine Damen und Herren, das passt alles nicht zusammen. Rechte Tasche, linke Tasche – damit will man Menschen in den Städten wirklich veräppeln. ({4}) Dass Kommunen überschuldet sind, hat nichts mit „Privat oder Staat?“ zu tun. Es muss endlich das Konnexitätsprinzip gelten: Wer bestellt, bezahlt. ({5}) Wenn der Bund und die Länder den Kommunen Aufgaben überlassen, dann müssen sie auch für die Bezahlung sorgen. Dazu gehört, dass Kommunen Wirtschaftsförderung erhalten, sodass sie um ihren Standort werben können. Das kennen Sie aus Ihrer Region ganz genau. Dazu gehört auch ein gesunder Wettbewerb zwischen staatlichen und privaten Angeboten, aus denen die Kommune dann das Attraktivste nicht für irgendjemanden, sondern für die Menschen in Städten und Gemeinden heraussuchen kann. Wenn dieser Wettbewerb gesund ist, dann macht es Sinn. Sie versuchen, diesen Wettbewerb zu verhindern, wie gesagt, in alter Manier. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab und bitten um Unterstützung unseres Papiers. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Britta Haßelmann. ({0})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich zeigen die letzten Beiträge doch: Diese Debatte ist längst vorbei, und sie entspricht auch nicht der Realität in den Kommunen. Ehrlich gesagt, in den 90er- und 2000er-Jahren gab es plötzlich einen riesigen Privatisierungshype, nach dem Motto: Das ist alles viel besser, wenn die Kommunen das nicht mehr mit kommunalen Unternehmen oder in Eigenregie machen, sondern wenn sie privatisieren. – Die Kommunen, die sich dafür entschieden haben, haben zum Teil bittere Erfahrungen gemacht, weil es lange nach dem Prinzip ging: Kosten werden sozialisiert, und Gewinne werden privatisiert. ({0}) Ganz viele Kommunen haben aber daraus längst ihre Schlüsse gezogen. Eine neue Studie zeigt, dass sich 347 Kommunen allein in unserem Land – darunter auch viele Kommunen, die gescheiterte Privatisierungen hatten – ganz eindeutig für Rekommunalisierung aussprechen und das längst wieder gemacht haben. Das ist doch die Realität. ({1}) Wir müssen überlegen, wie wir Städte und Gemeinden darin unterstützen können, dies zu tun. ({2}) Meine Damen und Herren, wir als grüne Fraktion hatten in der Vergangenheit viel Kritik an der PD, also der Partnerschaft Deutschland, und an den Beratungsstrukturen für Kommunen, weil klar war, dass eine unheimliche Konzentration auf die ganz großen Kommunen, die viel Geld hatten, stattfand. Aber inzwischen – das müssen Sie von den Linken doch auch realisieren – hat sich das total verändert. Wir haben über Jahre im Kommunalbereich daran gearbeitet und gesagt: So kann diese Beratungsstruktur nicht bleiben. Sie muss allen Kommunen zur Verfügung stehen. Sie braucht in ihren Beiräten und Beratungsgremien kommunale Vertreter und die Vertretungen durch die kommunalen Spitzenverbände. – Das ist erfolgt. Also, lassen wir es doch bitte bei der Autonomie der Kommunen. ({3}) Viele Kommunen haben das Lehrgeld bezahlt und wissen heute, dass sie Leistungen für Bürgerinnen und Bürger besser aus kommunaler Hand organisieren und super gute Leistungen bringen können. Sie haben alle ein gutes Management, was den Kosteneinsatz angeht. Sie haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Deshalb spreche ich mich dafür aus: Lasst sie die Reprivatisierung dort, wo sie ansteht, ruhig durchführen. Da muss sich der Bund gar nicht einmischen. Die kommunal gewählten Vertreterinnen und Vertreter vor Ort wissen selbst am allerbesten, wie es geht. Lassen Sie die das machen, und pfuschen Sie von Bundesebene aus nicht rein. Wir haben dafür zu sorgen, dass es eine ordentliche Finanzausstattung gibt. Wir sollten endlich einen Vorschlag zur Neuregelung der Altschuldenhilfe machen. Das Prinzip „Wer bestellt, bezahlt“ sollte konsequent umgesetzt werden. Damit wäre den Kommunen geholfen, ihre Aufgabenerfüllung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern wahrnehmen und für ein lebendiges Gemeinwesen vor Ort sorgen zu können. Vielen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Kollege Michael Kießling für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Michael Kießling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin nicht oft einer Meinung mit den Grünen, aber, Frau Haßelmann, heute haben Sie meine volle Aufmerksamkeit erreicht, als Sie gesagt haben, der Antrag der Linken sei flüssiger als Wasser – so habe ich das verstanden –, weil er sich eigentlich überholt hat. Als ehemaliger Bürgermeister und Mitglied im Kreisrat bin ich vom vorliegenden Antrag der Linken schon etwas enttäuscht. Er ist sehr rückwärtsgewandt. Es kommt mir so vor: Wer in der Vergangenheit lebt, versäumt, die Zukunft zu gestalten. ({0}) Wenn ich Ihren Antrag lese, stelle ich fest: Er ist von vorgestern. Mehr noch: Ich frage mich, ob Sie mit den Kommunen vor Ort gesprochen haben. Wir haben gehört, wie die Kommunen arbeiten. Die Daseinsvorsorge ist eine kommunale Sache, und das soll sie auch bleiben. Der Bund sollte sich bitte heraushalten, um den Handlungsspielraum der Kommunen entsprechend zu gewährleisten. ({1}) Wir halten die kommunale Selbstverwaltung für wichtig. Das entspricht auch dem Grundgedanken des föderalen Staates. Was fordert Die Linke? Landesrechtliche Beschränkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit der Kommunen sollen aufgehoben werden. Dazu kann ich nur sagen, dass der Rechtsrahmen zur wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen in unseren Bundesländern ganz bewusst unterschiedlich geregelt ist, und das hat auch einen Grund. Es gibt unterschiedliche politische Gegebenheiten, und daher ist das durchaus sinnvoll. Eine Harmonisierung, so wie sie Die Linke fordert, ist deshalb grundsätzlich abzulehnen. Die Rechtslage in den meisten Kommunen ist folgende: Sie sollen dort wirtschaftlich tätig sein, wo es für die Erfüllung der Aufgabe der Daseinsvorsorge erforderlich ist und diese nicht durch eine partnerschaftliche Aufgabenerledigung erbracht werden kann. Das ist genau das, was wir als Kommunale wollen: Wir wollen das, was wir selber lösen können, selber lösen, und dort, wo wir Partner brauchen, lösen wir das mit Partnern. In der jetzigen Gesetzgebung gibt es die entsprechenden Freiheiten schon. Ihren Antrag brauchen wir dazu nicht. ({2}) Jeder, der als Kommunaler unterwegs ist, weiß: Es geht immer um die Einzelfallbetrachtung: Was mache ich in einem bestimmten Fall? Soll das über die Privatwirtschaft laufen, über die Kommune oder über die Stadtwerke? Das sollte man offenhalten. Eine Bevormundung vonseiten des Bundes und die Behauptung, dass der Bund alles besser weiß, können wir uns schenken. Ich glaube, dass die Menschen vor Ort sehr gut entscheiden können, wie die Kommune, wie der Landkreis gestaltet werden soll. Ich wähle ein Beispiel – zufällig, weil ich von dort komme – aus Bayern. Nehmen wir die Abfallbeseitigung. Es gibt hier die Förderung von Privaten und Öffentlichen. In Bayern fallen jährlich circa 6 Millionen Tonnen Haushaltsabfälle an. Rund 12 600 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte arbeiten hauptsächlich in der privaten Entsorgungswirtschaft, Tendenz steigend. Damit will ich nur verdeutlichen, dass private Unternehmen einen Beitrag leisten: zum einen als Dienstleister und kommunaler Partner; zum anderen schaffen sie Arbeitsplätze. Jeder, der ein Unternehmen vor Ort hat, weiß, dass private Unternehmen über die Gewerbesteuer den Kommunen Geld wieder zur Verfügung stellen. Somit denke ich nach wie vor: Was wir brauchen, ist eine soziale Marktwirtschaft, und Sie können darauf vertrauen – auch Die Linke –, dass sie auch funktioniert. Der Verbraucher sieht das übrigens genauso. 97 Prozent der bayerischen Bevölkerung sind mit der Abfallentsorgung zufrieden. Bürger in Landkreisen mit kommunaler Abfallbeseitigung zahlen ungefähr 14 Prozent mehr Müllgebühren. Wir sehen also, dass kommunale und private Partnerschaften durchaus von Vorteil sind, nicht nur für die Kommunen selber, sondern auch für den Verbraucher und die Bürger vor Ort. Die Linken fordern – das ist heute ebenfalls schon angesprochen worden –, dass die Rahmenverträge mit der Partnerschaft Deutschland gekündigt werden. Wenn man mit den Kommunalen redet, dann stellt man fest: Das ist eine Beratungsfirma, deren Dienste sehr gut angenommen werden. Sie berät die Kommunen, etwa wie sie rekommunalisieren und ihre Ausschreibungen gestalten können. Früher war es anders. Es gab die ÖPP, also die öffentlich-private Partnerschaft. Mit der PD, so wie sie jetzt aufgestellt ist, haben wir einen wichtigen Partner für unsere Kommunen vor Ort. Ich bitte Sie: Reden Sie mit den Vertretern Ihrer Kommunen vor Ort. Dann bekommen Sie vielleicht ein anderes Bild, und Sie legen in Zukunft keinen solchen Antrag mehr vor. ({3}) Zu guter Letzt zum Antrag der FDP. Er ist ein klassischer Gegenpol zum Antrag der Linken. Ich glaube – ich mache es kurz, weil schon viel gesagt worden ist –: So wie unser Gesetz momentan aufgestellt ist, gibt es eine gewisse Ausgewogenheit zwischen einer linken und einer sehr liberalen Haltung. Wir geben unseren Kommunen das richtige Werkzeug an die Hand. Die Kommunen und die Landkreise können selbstbestimmt agieren und sich entsprechend entwickeln. Wir lehnen die vorliegenden Anträge ab. Ich denke, dass wir gut aufgestellt sind. Wie gesagt, wenn man vorher mit den Kommunen gesprochen hätte, dann hätten wir uns diese Stunde Debatte sparen können. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen Freitag und ein schönes Wochenende. Herzlichen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Udo Theodor Hemmelgarn für die Fraktion der AfD. ({0})

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tribünen! Wir sprechen heute über drei Anträge, die sich mit der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen beschäftigen. Die beiden Anträge der Linken gehen davon aus, dass der Staat alles machen soll. ({0}) Die Liberalen gehen davon aus, dass der Staat möglichst gar nichts machen soll. Daneben möchte die FDP der Wirtschaft mit noch mehr Fachkräften helfen. Aus unserer Sicht sind das zwei recht extreme Positionen, zwischen denen die AfD steht. ({1}) Unserer Meinung nach muss bei der Rekommunalisierung sorgfältig differenziert werden. Es gibt Bereiche, in denen ein marktorientierter Wettbewerb nicht sinnvoll und möglich oder mit zu hohen Risiken verbunden ist, zum Beispiel die Wasserversorgung. Hier lehnen wir Privatisierungen kategorisch ab. Ansonsten gilt: Grundsätzlich ist der Staat nicht der bessere Unternehmer. Der Staat soll und muss nur dann eingreifen, wenn sich die freie Wirtschaft aus bestimmten Bereichen zurückzieht, die für ein menschenwürdiges Dasein notwendig sind. Wenn der Staat in den Wettbewerb mit der Wirtschaft tritt, dann muss er das zu gleichen Bedingungen tun; alles andere ist der Beginn disruptiver Veränderungen, die letztendlich in der staatlichen Planwirtschaft enden. Die beiden Anträge der Linken sind vom gleichen Geist durchweht. In beiden Anträgen geht es im Kern darum, dass die wirtschaftliche Aktivität des Staates gefördert werden soll. ({2}) Den Begriff der Daseinsvorsorge versteht Die Linke dabei so, dass fast alles dazugehört und somit natürlich vom Staat übernommen werden soll, einschließlich der Wohnraumversorgung. Meine Damen und Herren, man fragt sich an dieser Stelle unwillkürlich, weshalb Die Linke gerade hier in Berlin noch vor einigen Jahren mit so viel Elan Wohnungen privatisiert hat. ({3}) – Ja, sicher. Auf der anderen Seite haben wir den Antrag der Liberalen. Hier möchte man der Rekommunalisierung entgegenwirken und die örtliche Wirtschaft stärken. Zur Stärkung der Wirtschaft ist dabei jedes Mittel recht. So fordert der Antrag, ein Einwanderungsgesetz für mehr Fachkräfte auf den Weg zu bringen, ({4}) um auf diese Weise die örtlichen Wirtschaftsbetriebe und die Einkommen der Kommunen zu stärken. Das gerade beschlossene Einwanderungsgesetz geht den Liberalen offenbar nicht weit genug. Es müssen noch mehr Fachkräfte her, um die Wirtschaft zu fördern. Um es klar zu sagen: Wir lehnen es ab, die Wirtschaft großzügig mit billigen Arbeitskräften zu versorgen, um ihr einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. ({5}) Es ist völlig klar, dass das zu keiner Steigerung der Einkommen, sondern zu einem verstärkten Lohndruck gerade in den unteren Einkommensbereichen führt. Im Ergebnis sinkt das Lohnniveau. Ganz erstaunlich ist, liebe FDP, dass ausgerechnet Sie diese Zusammenhänge nicht verstehen oder nicht wahrhaben wollen. Meine Damen und Herren, die Anträge der Linken und der FDP sind uns, jeder auf seine Art und Weise, zu extrem, und deshalb werden wir sie ablehnen. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Johann Saathoff. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es verwundert nicht, dass es heute so ein bisschen die Stunde der ehemaligen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, der Landrätinnen und Landräte ist; denn es geht hier natürlich um die Frage, wie Kommunen sich in Zukunft aufstellen müssen. Jedenfalls schicken die demokratischen Parteien hier im Hause ihre Bürgermeister auch in diese Debatte. Als ehemaliger Bürgermeister – zehn Jahre lang – der schönsten Gemeinde in Deutschland, der Gemeinde Krummhörn, kann ich feststellen: Öffentliche Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand. ({0}) Zwei Anträge liegen hier zur ersten Beratung vor. Ein Antrag stammt von der FDP; den würde ich in meinen Worten so übersetzen ({1}) - „fantastisch“? da kann ich Ihnen leider nicht recht geben –: Möge der Bessere gewinnen. ({2}) Dieses Motto des Antrags hinkt allein schon deswegen, weil öffentliche bzw. kommunale Unternehmen in der Regel andere Absichten verfolgen als private. ({3}) Während auf der privaten Seite die Gewinnerzielungsabsicht über allem steht, ja, auch stehen muss – das will ich ihnen gar nicht vorwerfen –, ({4}) steht auf der kommunalen Seite die Dienstleistung am Menschen im Vordergrund, also der Dienst an und für die Menschen in der Kommune. Dabei gilt: Auch kommunale Unternehmen wollen mindestens keine Verluste machen. Das steht außer Frage. Aber für uns als kommunal verwurzelte Sozialdemokraten ist klar, dass öffentliche Daseinsvorsorge definitiv in öffentliche Hand gehört. ({5}) Das hat nicht nur damit zu tun, dass ohne die Absicht, so schnell wie möglich viel Geld zu verdienen, die Dienstleistung für die Menschen vor Ort bezahlbarer bleibt, sondern das hat vor allem auch damit zu tun, dass die verantwortlichen Personen in den kommunalen Unternehmen für die Bürgerinnen und Bürger direkt ansprechbar sind, also dass sie in besonderer öffentlicher Verantwortung den Kunden gegenüberstehen, im Zweifel auch mal wiedergewählt werden wollen und sich deswegen so verhalten, wie die Bürgerinnen und Bürger das eigentlich gerne sehen würden. Das Verhältnis zwischen Unternehmer und Kunde ist eben ein völlig anderes als das Verhältnis zwischen Kommune und Bürger. Das muss man hier klar auseinanderhalten. ({6}) Oder, wie man in Ostfriesland sagt: Blood is dicker als Bottermelk. Oft höre ich: Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Dem stimme ich sogar zu. Automatisch ist weder der Staat noch die Privatwirtschaft der bessere Unternehmer. Der Staat ist nicht automatisch der bessere Unternehmer, er kann es aber sein, und er zeigt das auch an vielen Beispielen: ({7}) in der Wasserversorgung, in der Energieversorgung, in der Gesundheitsversorgung. Er kann es sein. Dafür haben wir ganz, ganz viele Beispiele in den jeweiligen Bundesländern und in den Kommunen. ({8}) Die kommunalen Unternehmen sind oft, ganz oft der viel attraktivere Partner für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort. ({9}) Der Staat – das will ich an der Stelle auch sagen – sollte nicht, aus unserer Sicht jedenfalls nicht, gegebenenfalls Lückenbüßer sein für Dinge, die sozusagen die Privatwirtschaft nicht aufgreift, die unwirtschaftlich sind, die keine Marge abwerfen. Da solle dann der Staat wirtschaften dürfen, damit man anschließend skandalisieren kann, dass die Art und Weise, wie der Staat da gewirtschaftet hat, Misswirtschaft war. Auch das darf nicht passieren. ({10}) Auch hier im Bundestag sollten wir uns vor Augen halten, dass die meisten Kontakte der Bürgerinnen und Bürger mit dem Staat auf kommunaler Ebene stattfinden, bzw., wie schlauere Menschen als ich gesagt haben: „All politics is local“ – die Kommunen sind die Herzkammer der Demokratie. Deswegen haben wir die Kommunalpolitik zu schätzen und zu schützen gegen den rechten Hass aus den Netzen und aus dem echten Leben. ({11}) Deswegen müssen wir die Förderung der ländlichen Räume ernst nehmen und gleiche Lebensverhältnisse schaffen. Ländliche Räume lebenswert zu gestalten, entlastet nämlich auch die Städte, und die Städte müssen entlastet werden, zum Beispiel durch die Entschuldungshilfe; mein Kollege Bernhard Daldrup hat darauf hingewiesen. Wir müssen ihnen eine Perspektive geben. ({12}) Den Kommunen ist mit der Forderung aus den Anträgen der Linken nach niedrigen Zinsen aus meiner Sicht nicht wirklich geholfen. Niedrigere Zinsen, als wir sie schon seit einigen Jahren haben, hat es für die Kommunen nie gegeben. Warum die PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH aufgelöst werden soll, hat sich mir, ehrlich gesagt, nicht erschlossen. Nur der Wechsel der Rechtsform von der GmbH in eine Anstalt des öffentlichen Rechts macht die Institution, die einen sinnvollen Ansatz verfolgt, nicht besser, im Gegenteil; denn in der jetzigen Rechtsstruktur werden die Bürgerinnen und Bürger durch mögliche Inhousevergaben finanziell entlastet. Es macht doch Sinn, das zu erhalten. ({13}) Die kommunale Selbstverwaltung ist Wesenskern der Demokratie in Deutschland. Sie zeichnet sich durch Planungshoheit der Kommunen und Gestaltungsfreiheit der Kommunen aus. Die Konnexität – Frau Strack-Zimmermann, da bin ich absolut bei Ihnen – muss unbedingt beachtet werden; das muss durchgesetzt werden. Mit dem Punkt Ihrer Rede bin ich einverstanden. Ich würde Sie bitten, Ihre Rede an den nordrhein-westfälischen Minister Stamp zu schicken, damit der das dann auch so sieht wie Sie. ({14}) Die Privatisierung macht es billiger und besser – dieser Satz gilt schon längst nicht mehr; aber auch umgekehrt gilt es nicht. Es geht um die Möglichkeit der Kommunen zur Gestaltung; denn wir brauchen die Städte und Gemeinden bei den zukünftigen Herausforderungen im Bereich der Daseinsvorsorge. Die Kommunen dürfen sicher sein, dass wir im Deutschen Bundestag an ihrer Seite stehen, damit sie ihre Aufgaben gut erfüllen können. Herzlichen Dank. ({15})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die FDP der Kollege Manfred Todtenhausen. ({0})

Manfred Todtenhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004222, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kollegen von den Linken, ich muss ehrlich sagen: Ich verstehe Sie nicht. Sie müssten es doch besser wissen. Sie haben in Ihrer Partei doch bestimmt noch jemanden, den Sie fragen können, wie es damals war, als Sie einen ganzen Staat mit der Planwirtschaft in den Ruin getrieben haben. ({0}) Wenn ich im Antrag der Linken lese, dass man angeblich nur schlechte Erfahrungen mit der Privatisierung kommunaler Gesellschaften gemacht habe, frage ich mich, nach was für Maßstäben die Linken das bemessen. ({1}) Ich komme aus der Kommunalpolitik. Sie nennen in Ihrem Antrag als positives Beispiel die Krankenhäuser. Meine Heimatstadt hat in der Vergangenheit ein großes Krankenhaus betrieben, die städtischen Kliniken, und damit Jahr für Jahr Minus gemacht, ein Minus, das man aus Steuermitteln hätte auffangen müssen. ({2}) Diese Steuermittel waren aber nicht vorhanden. Der Investitionsstau war gewaltig und von der Stadt nicht zu bewältigen. Die Stadt musste froh sein, dass ihr nach der Privatisierung der Kliniken nur Schulden in Höhe von 66 Millionen Euro übrig blieben. Diese 66 Millionen Euro fehlen der Stadt bis heute. Hätte die Stadt die Kliniken behalten und weiterbetrieben, ({3}) würde ihr noch mehr Geld fehlen und der Sanierungsstau an den Schulen wäre noch größer. Ist es das, was sich die Linken wünschen? Meine Damen und Herren, wir hörten es gerade: Wuppertals Nachbarstadt Düsseldorf hat ihren Energieversorger privatisiert. ({4}) Das eingenommene Geld hat die Stadt – das war klug – in Infrastruktur- und Wachstumsprojekte gesteckt. ({5}) Genau anders läuft es im Ruhrgebiet. Hier haben sich Städte für das von der Linken beschriebene Modell entschieden, genau die Städte, die Investitionen in ihre Infrastruktur dringend benötigen. ({6}) Sie haben aber lieber den Energiekonzern STEAG rekommunalisiert, einen Energiekonzern, der jetzt, im Rahmen des Kohleausstiegs, massive Probleme hat. ({7}) Das öffentliche Geld, das in diesen Ruhrgebietsstädten gerade verbrannt wird, bekommen die Städte durch Steuereinnahmen nie wieder rein. ({8}) Dieses Geld wird den Städten bei der Erhaltung ihrer Infrastruktur dauerhaft fehlen. Vor diesem zweifelhaften Geschäft hat die FDP in NRW schon längst gewarnt. Das Problem ist aber Ihr Vorschlag. Sie wollen, dass in Kommunen politische Entscheidungsträger Unternehmer spielen, die vom Geschäft keine Ahnung haben, mit Geld, das sie selber nicht verdient haben und wofür sie in keiner Weise haften. Das lehnen wir als Freie Demokraten ab. ({9}) Wir setzen uns jedoch für einen gesunden Mix aus Handwerk, Mittelstand und öffentlichen Dienstleistern ein, ({10}) für ein vereinfachtes Vergaberecht, damit sich das Handwerk vor Ort wieder gerne um Aufträge bewirbt, und für einen fairen Wettbewerb unter gleichen Bedingungen, auch bei der Mehrwertsteuer, damit der Bürger eine gute und nachhaltige Daseinsvorsorge genießt, und für einen effizienten kommunalen Dienstleister, der einen guten Job macht. Vielen Dank. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Stefan Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Forderungen, die Linke und FDP hier in ihren Anträgen vorbringen, sind leider nichts als angestaubte Ladenhüter und wirklich nicht auf der Höhe der Zeit. Der Linken kann es nicht staatlich genug sein, der FDP nicht privatwirtschaftlich genug. Zuerst zu den Anträgen der Linken. Zu entscheiden, ob Kommunen eine Aufgabe selbst wahrnehmen und wie sie die dann wahrnehmen, ist doch das Herzstück kommunaler Selbstverantwortung. ({0}) Städte und Gemeinden müssen diese Entscheidung in jedem Einzelfall für sich treffen und auch treffen können. ({1}) Die FDP schreibt zwar, es gebe keine einfachen Antworten auf die Frage nach der richtigen Balance von öffentlichem und privatem Wirtschaften. Die Antwort, die Sie dann geben, ist aber zutiefst einfach. ({2}) Der Tenor: Die Privaten könnten es besser – immer, überall – und kostengünstiger. Die negativen Effekte der Privatisierung, zum Beispiel der Kontrollverlust für die Kommunen, das reine Gewinnstreben – Herr Saathoff hat einige Argumente gebracht –, blenden Sie konsequent aus. Ich hätte erwartet, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, dass Sie da ein bisschen weiter wären. Sie wissen doch auch, wie vielen Kommunen es in der Vergangenheit sehr teuer zu stehen gekommen ist, wenn sie privatisiert haben. ({3}) Ich will das mal am Jahrhundertprojekt Klimaschutz veranschaulichen. Unsere Städte, Gemeinden und Kommunen, die Landkreise spielen hier eine zentrale Rolle. Mit ihren Stadtwerken, ihren Eigenbetrieben haben sie wichtige Hebel in der Hand, um Klimaschutz entscheidend voranzubringen, etwa bei der Abfallentsorgung oder dem öffentlichen Nahverkehr. Kommunale Stadtwerke spielen beim dezentralen Umbau unseres Energiesystems eine wichtige, eine zentrale Rolle. Damit diese grundlegende Transformation gelingt, muss die kommunale Daseinsvorsorge grundsätzlich in öffentlicher Hand bleiben. Dabei ist es besonders wichtig, dass Kommunen auch weiterhin zusammenarbeiten können, zum Beispiel beim Unterhalt gemeinsamer Bauhöfe oder bei der Errichtung von Windparks über Gemeindegrenzen hinweg. ({4}) Interkommunale Zusammenarbeit ist hier ein Weg raus aus dem Kirchturmdenken, schafft Synergien und spart Kosten. Deswegen freue ich mich, dass die Bundesregierung jetzt endlich den Übergangszeitraum für das Umsatzsteuerrecht um zwei Jahre verlängert. ({5}) Es darf aber nicht bei dieser Zwischenlösung bleiben. Die Bundesregierung muss sich hier auf europäischer Ebene konsequent dafür einsetzen, dass interkommunale Zusammenarbeit auch weiterhin möglich bleibt, damit die Kommunen ihre Aufgaben auch in Zukunft modern und effizient gemeinsam erledigen können. Ich finde es gut und richtig, dass Linke und FDP das Thema Kommunen hier im Plenum auf die Tagesordnung bringen. Ich bitte Sie aber, in Zukunft ein bisschen weniger Schaufensteranträge zu stellen. ({6}) Setzen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen ab. Dann haben Sie den Blick frei für die tatsächlichen Herausforderungen, vor denen Kommunen stehen. Ich nenne nur als Stichworte eine Schuldenhilfe, bei der Bund und Länder beteiligt werden müssen, eine konsequente Entlastung bei den Sozialausgaben und mehr Investitionsmöglichkeiten für die Kommunen. Vielen Dank. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Carsten Müller. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes Gut; das wollen wir achten. Für die Antwort auf die Frage, ob Privatisierung, ob ÖPPs oder die Erledigung in Regiebetrieben der richtige Weg ist, dafür haben wir die kommunalen Mandatsträger. Meine Damen und Herren, es ist genauso wenig richtig, dass nur öffentliche Aufgabenerledigung erfolgreich ist, wie, dass ausschließlich private Aufgabenerledigung die besten Ergebnisse, höchste Wirtschaftlichkeit und höchste Qualität zeitigt. Ich will Ihnen allerdings gerne ein Beispiel aus meinem Wahlkreis Braunschweig darstellen. Da geht es um die Abfallentsorgung; Michael Kießling hat das aus seinem Erfahrungsbereich heute schon illustriert. In Braunschweig hat die Privatisierung der Abfallentsorgung hervorragende Ergebnisse gezeitigt. Wir haben heute – das ist im Übrigen ein wichtiger Punkt, den ich voranstellen will – 35 Prozent mehr Beschäftigte in der Abfallentsorgung in Braunschweig als vor rund 20 Jahren unter öffentlicher Hand. In der Zeit, in der der Preisindex um 21 Prozent gestiegen ist, sind die Abfallentsorgungsgebühren in Braunschweig um 14 Prozent gesenkt worden, ({0}) und das, obwohl private Anbieter mit dem Problem der Mehrwertsteuerbelastung zu kämpfen haben. ({1}) – Dazu komme ich noch, lieber Matthias Birkwald. Das wird deinen Atem stocken lassen. ({2}) Und, meine Damen und Herren, das führt dazu, dass dem Bürger 25 Millionen Euro zurückgegeben worden sind. Es war nicht abgesprochen, aber der Kollege Birkwald, sosehr ich ihn schätze, war über einen Sachverhalt nicht informiert, dass nämlich in Braunschweig nach wir vor der TVöD zur Anwendung kommt ({3}) und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort außergewöhnlich glücklich sind. ({4}) Eine schlechte Nachricht für die Linkspartei: Die Linkspartei ({5}) hat versucht, dieses Thema zu skandalisieren. ({6}) Sie hat sich im Übrigen schärfsten Ärger und schärfste Verärgerung bei dem Betriebsrat des dortigen Abfallentsorgungsbetriebs eingefangen, der gar kein Verständnis dafür hat, dass gute Leistungen unter dogmatischen Gesichtspunkten von Ihnen schlechtgeredet werden. ({7}) Meine Damen und Herren, die Linken wollen das Bild der bösen Privatwirtschaft zeichnen. Das wird nicht gelingen. Allerdings ist eines auch richtig: „Privatisierung“ heißt nicht automatisch „gute Leistung und Preiswürdigkeit“. ({8}) Es geht regelmäßig darum, dass wir auf der kommunalen Ebene in komplizierten Verfahren eine effizientere, kostengünstigere Aufgabenerledigung im Einklang mit den Interessen der Belegschaft vereinbaren müssen. Wenn angedacht wird, private Unternehmen einzubinden, bieten sich dafür übrigens hervorragende Ansatzpunkte, weil die Kommunen nämlich genau in einem solchen Entscheidungsprozess eine Vielzahl von Dingen mit einbinden können. Sie können überregionale Erfahrungen vor Ort mit nutzbar machen. Sie können mit klugen Leistungsverträgen die Qualität der Leistungserbringung sehr genau vereinbaren, im Übrigen auch pönalisieren. Das zahlt sich dann auch für die Bürgerinnen und Bürger aus. Die Privaten sind weitgehend unabhängig von äußeren Einflüssen. Meine Damen und Herren, wenn man sich zum Beispiel den Bereich der Gebäudebewirtschaftung anschaut, dann ist es so, dass nicht wenige Kommunen froh sind, wenn Private im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften in Sanierungsprogramme eingebunden werden, weil dort die Schrittigkeit, die Maßnahmen, die Größenordnung der Investitionen Stück für Stück festgelegt sind und sie eben gerade nicht von Wahlversprechen und Wahlausgängen abhängig sind. Das gibt in dem Fall den Schülerinnen und Schülern, den Eltern und damit der gesamten Bürgerschaft gute Planungssicherheit und führt zu hervorragenden Ergebnissen. Ich will allerdings zum Schluss der Rede ein Beispiel dafür anführen, dass Privatisierung nicht immer gut ist. Es kommt darauf an, dass sie gut gemacht wird. Deswegen finde ich es bemerkenswert, dass ausgerechnet die Partei Die Linke hier dieses Thema auf die Tagesordnung setzt. Meine Damen und Herren, die SPD und die Linkspartei waren es – das war unter rot-roter Verantwortung, und der Zwischenruf „Das haben andere entschieden!“ ist falsch –, die im Jahr 2004 in Berlin, drei Jahre nach Verantwortungsübernahme, die GSW privatisiert haben, ({9}) 65 000 Wohnungen verhökert haben und dafür einen Kaufpreis von 400 Millionen Euro erlöst haben. Diese 65 000 Wohnungen sind danach verschiedentlich durchgehandelt und aufgeteilt worden. Dann kam man in Berlin – auch wieder Rot-Rot – auf die Idee, zu rekommunalisieren und etwas zurückzukaufen. ({10}) Dann hat man sich entschieden, 5 745 Wohnungen, also 8,8 Prozent des seinerzeit verhökerten Wohnungsbestandes – zum Thema Wohnungsproblematik in Berlin muss ich heute hier nichts ausführen –, für den Betrag von fast 1 Milliarde Euro wieder zurückzukaufen. Da haben sich die von Ihnen als Heuschrecken bezeichneten und herabgewürdigten Unternehmen die Hände gerieben. Sie haben einen Faktor von 5,3 auf den Einsatz realisiert. Das Ganze innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt! Meine Damen und Herren, das zeigt uns: Man muss, wenn man Private einbindet, das können und es richtig machen. Sie sind mit dem, was Ihr Antrag beinhaltet, die denkbar schlechtesten Ratgeber. ({11}) – Sie haben doch im Senat zugestimmt. Das ist doch die typische Machart, dass Sie immer mit dabei sind und sich dann rausreden, weil Sie es einfach nicht hinkriegen. ({12}) Meine Damen und Herren, wir wollen am bewährten Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung festgehalten wissen. Da finden wir im Übrigen die zum Teil schlicht euphorischen Ausführungen der FDP nicht ganz richtig. ({13}) Deswegen können wir auch dem Antrag der FDP ebenfalls nicht zustimmen. Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung: Als damals diese 65 000 Berliner Wohnungen verhökert worden sind, war das ein Beschluss von SPD und Linkspartei. ({14}) Da war aber noch eine weitere Partei dabei. Lieber Herr Dürr, das war die FDP. Die hat nämlich auch zugestimmt. Vielen Dank. ({15})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Niels Annen (Gast)

Politiker ID: 11003732

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Allein die Auswirkungen des Libyen-Krieges auf die Stabilität und Sicherheit der Region zeigen: Das Mittelmeer ist von zentraler Bedeutung für Sicherheit und Wohlstand in Europa. Seine Handelswege sind wie Lebensadern nicht nur für die Küstenstaaten. Durch das Mittelmeer laufen – das wissen wir alle – große Teile der europäischen Energieversorgung und zahlreiche Kommunikationsverbindungen. An seinen Küsten befindet sich die hierfür notwendige kritische Infrastruktur. Natürlich – auch wenn das hier nicht im Mittelpunkt steht, will ich das sagen – ist das Mittelmeer auch ein gemeinsamer kultureller Raum. Umso wichtiger ist, dass wir den vorhandenen Risiken im Mittelmeer entschlossen begegnen. Menschenhandel, Waffenschmuggel und Terrorismus stellen nicht nur für die Anrainerstaaten, sondern auch für uns hier in Deutschland ernsthafte Herausforderungen dar. Ich glaube, man kann sagen: Wenn wir über die Lage im Mittelmeerraum miteinander diskutieren, dann diskutieren wir über unsere Nachbarschaft, auch wenn das vielen Bürgerinnen und Bürgern vielleicht nicht immer unmittelbar klar ist, weil wir bei „Nachbarschaft“ vielleicht in erster Linie an Polen oder Dänemark oder Frankreich denken. Aber die Ereignisse der letzten Jahre haben das, glaube ich, wirklich unterstrichen. Wir wollen deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der maritimen Sicherheitsoperation der NATO Sea Guardian einen weiteren Beitrag zur Sicherheit in der Region leisten. Wir erweisen uns damit, wenn ich das hier sagen darf, auch als ein verlässlicher Partner in einer Welt, die mehr und mehr darauf angewiesen ist, dass man sich auf uns weiterhin wird verlassen können. Mit unserer Beteiligung leisten wir einen dreifachen wichtigen Beitrag zur Sicherheit im Mittelmeerraum. Erstens. Wir helfen unseren Verbündeten und Partnern – ich habe darauf schon hingewiesen – als verlässlicher Partner. Zweitens. Wir schützen Menschen, die dort vor Ort Opfer von kriminellen Netzwerken werden. Drittens. Wir sichern Frieden und Sicherheit damit auch hier in Deutschland. Wir leisten einen Beitrag dazu. ({0}) Die Aufgabe von Sea Guardian besteht darin, Erkenntnisse zur Erstellung eines gemeinsamen Lagebildes im Mittelmeer zu liefern und durch Patrouillen und Kontrollen zur Sicherheit der Seeschifffahrt beizutragen. Die Operation – das wissen Sie – kann Schiffe bei Verdacht auf eine Verbindung zu einer terroristischen Organisation anhalten. Sie kann Befragungen und Durchsuchungen durchführen und unter Umständen die betreffenden Schiffe umleiten. ({1}) Die Operation stützt sich dabei auf geltendes Seerecht. Aber sie stützt sich auch auf mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. Sie wissen alle, dass wir noch bis Ende des Jahres als nichtständiges Mitglied dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen angehören. Deswegen ist es natürlich auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob wir bereit sind, diese Entscheidungen weiterhin umzusetzen. Als Mitglied im Sicherheitsrat sehen wir uns als Bundesregierung deshalb in besonderer Verantwortung, die Achtung des Völkerrechts zu fördern und auch durchzusetzen, wenn es notwendig ist; denn, meine Damen und Herren, wenn wir als Europäer uns nicht um die Sicherheit und Stabilität in unserer eigenen Region, in unserer eigenen Nachbarschaft kümmern, können wir nicht davon ausgehen, dass andere für uns diesen Job erledigen werden. ({2}) Auch mit Blick auf die Lösung des Konfliktes in Libyen – ich habe am Anfang darauf hingewiesen – hat Deutschland im Rahmen des Berliner Prozesses – wir haben hier unter Leitung der Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers eine große Konferenz durchgeführt – genau im Sinne dieser Philosophie und in enger Abstimmung mit den Vereinten Nationen Verantwortung übernommen. Um dieser gerecht werden zu können – das ist nicht einfach; es gibt Rückschläge; es gibt Schwierigkeiten, tägliche Herausforderungen, wie Sie alle wissen –, muss endlich das geltende Waffenembargo der Vereinten Nationen wirklich durchgesetzt werden. Es muss eine Überwachung dieses Waffenembargos und eine entsprechende Durchsetzung geben. Die Operation Sea Guardian, über die wir heute diskutieren, könnte nach entsprechendem Beschluss des Nordatlantikrates Schiffe durchsuchen, die des Waffenschmuggels verdächtigt werden. Ich will auf einen wichtigen Aspekt hinweisen. Die Operation soll auch die Bemühungen der Europäischen Union in diesem Bereich unterstützen. Uns ist wichtig, dass die vorgesehene neue EU-Operation im Mittelmeer ebenfalls auf das Lagebild und die logistische Hilfsleistung der Operation Sea Guardian bauen kann, wie es ja auch der Praxis bei der bisherigen Operation EUNAVFOR MED bzw. der Operation Sophia – unter diesem Namen ist sie etwas bekannter – entsprach. Selbstverständlich sind auch alle beteiligten Schiffe zur Seenotrettung verpflichtet. Es ist traurig, dass man das hier erwähnen muss. Aber es ist mir wichtig, das zu erwähnen; denn das ist nicht nur geltendes Seerecht, sondern auch ein Gebot der Menschlichkeit. ({3}) Meine Damen und Herren, schließlich dient Sea Guardian auch der Ertüchtigung unserer Partner in der Region, aber auch der Partner, die sich in der Region engagieren – ein ganz wichtiger Aspekt. Mittelmeeranrainerländer der Region wie beispielsweise Marokko, aber auch andere Staaten, die dort wie Georgien vor Ort sind, leisten wichtige Beiträge. Durch gemeinsame Übungen und Briefings der teilnehmenden Einheiten trägt die Operation zum Aufbau von Fähigkeiten bei. Das ist geübte Praxis. Ich glaube, dass das auch zeigt, dass die NATO eine lebendige Organisation ist, die auf dem Prinzip der Solidarität, des gemeinsamen Austausches basiert. Wir leisten dabei einen allgemeinen, nicht zu unterschätzenden Beitrag zur maritimen Sicherheit. Somit ist das auch ein Baustein in dem, was uns alle anleitet, nämlich ein Baustein zur Schaffung von mehr Sicherheit und von mehr Kooperation in dieser für uns so wichtigen Region. Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen, warum wir uns im Rahmen von Sea Guardian engagieren: zur Sicherung der Seewege, zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus, für mehr Sicherheit durch konkrete Planungen mit unseren Partnern. Und Sea Guardian – darauf will ich zum Schluss hinweisen – ist der einzige multilaterale Ansatz, der für den gesamten Mittelmeerraum diese Aufgabe erfüllt. Dabei ist eine Beibehaltung der aktuellen Obergrenze vorgesehen. Wir haben damit die notwendige Flexibilität. Deswegen möchte ich Sie bitten, diesem Antrag zuzustimmen. Ich möchte mich auch bei den Soldatinnen und Soldaten bedanken, die diese wichtige Aufgabe bereits leisten. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Paul Viktor Podolay für die Fraktion der AfD. ({0})

Paul Viktor Podolay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004855, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits zum vierten Mal fordert die Regierung uns auf, den Einsatz der Bundeswehrsoldaten an der NATO-Operation Sea Guardian zu verlängern. Wir sagen dazu: Genug ist genug! Ursprünglich sollten die deutschen Streitkräfte zur maritimen Sicherheit im Mittelmeer beitragen. Die maritime Bekämpfung von Terrorismus und Waffenschmuggel seien die obersten Ziele der Bundesregierung. In Wirklichkeit verfehlen Sie diese Ziele. Stattdessen nehmen Sie eine Seenotrettung billigend in Kauf und fördern paradoxerweise damit weiteres Sterben im Mittelmeer. So fahren Sie damit auch nach der Einstellung der Mission Sophia fort. Denn wir wissen: Die völkerrechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung für in Seenot geratende Personen gilt für alle Schiffe, auch für die Schiffe der Sea Guardian. Aber was haben Sie als Bundesregierung eigentlich erreicht? Was wollen Sie überhaupt noch erreichen? Sie gefährden Menschenleben im Mittelmeer, Sie tragen bedauerlicherweise zu widerrechtlichen Grenzübertritten über die See bei, und darüber hinaus missbrauchen Sie für diese angeblich humanitäre Politik unser Militär und ignorieren dessen eigentlichen Auftrag, nämlich den Schutz des Staats- und Bündnisgebietes. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Was wissen wir, das Parlament, aber eigentlich über die Auslandseinsätze unserer Bundeswehr? Bereits vor einem Jahr habe ich mich an diesem Rednerpult über die äußerst unzureichende Berichterstattung der Bundesregierung beschwert, damals auch konkret zum Fall Sea Guardian. Seitdem hat sich nichts geändert. Sie haben sich an dieser Stelle nicht verbessert und halten wesentliche Informationen nach wie vor zurück. Die schriftliche Unterrichtung des Parlaments durch das Verteidigungsministerium besteht nach wie vor aus sechs Zeilen und beinhaltet keinerlei Daten über die durchgeführten Maßnahmen. ({0}) So sieht das aus. – Das ist eine Missachtung des Parlaments. Auch das offensichtliche Missverhältnis zwischen dem Ressourcenaufwand für den Einsatz und seinen minimalen Ergebnissen ist ein Skandal. Hier stellt sich die Hauptfrage. Deutsche Steuerzahler bezahlen 3,2 Millionen Euro für den Einsatz. Sie schicken 650 Soldaten auf See. Ergebnisse: gering. Wie rechtfertigen Sie diesen Aufwand? Deshalb fordern wir Sie, die Bundesregierung, auf, den Einsatz im Mittelmeer zu beenden, ihn vollständig zu bewerten und schließlich uns, dem Bundestag, über den Ablauf des Einsatzes ausführlich Bericht zu erstatten. Die Bundesrepublik soll auch den Nordatlantikrat dazu auffordern, die Beendigung von Sea Guardian zu beschließen. Statt der NATO sollen die nordafrikanischen Staaten eine aktive Rolle im Mittelmeer übernehmen. Wir, die AfD, lehnen den Einsatz unserer Soldaten im Rahmen von Sea Guardian von Anfang an konsequent ab und wollen ihn sofort beenden. Die Beteiligung an dieser Operation ist überflüssig, weder zeitgerecht noch zielführend, und sie ist ineffizient. Ich fordere daher alle Abgeordneten auf, die Zustimmung zur Verlängerung zu verweigern. Vielen Dank. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Abgeordnete Christian Schmidt für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Abzuschichten und das eine vom anderen zu trennen, ist ganz wichtig, gerade nach der letzten Rede. Ich bedanke mich bei dieser Gelegenheit noch mal für die konzise Darstellung, die Staatsminister Annen uns im Zusammenhang mit der Begründung gegeben hat. Wir alle wissen, dass Sea Guardian Gott sei Dank nicht viele Berichte produziert, die dann als Verschlusssache dem Parlament zukommen, sondern die Fortsetzung einer erfolgreichen Terrorismusbekämpfung in der Zeit von Active Endeavour war. Active Endeavour war die Mission, die nach Artikel 5 des NATO-Vertrages entstand. Das ist bei Sea Guardian erfreulicherweise nicht mehr so. Sea Guardian hat sich zu einem Enabler entwickelt, einem Enabler für die Sicherheit in der Region in enger Zusammenarbeit mit der stehenden maritimen Gruppe der NATO, die im Mittelmeer tätig ist. Sie ergänzt sie, und sie hat auch in Zusammenarbeit mit der Operation Sophia und mit anderen Themen durchaus Erfolge gehabt. Herr Kollege Podolay, noch ein Hinweis: Wir sollten uns bitte alle miteinander in diesem Haus – gerade nach dem, was wir in den letzten Wochen in Deutschland erlebt haben – von einem befreien: dass wir politisch argumentieren mit der Bereitschaft, Menschen in ihr Verderben gehen zu lassen. Es ist und bleibt eine der Kernaufgaben jedes Schiffes, jeder schwimmenden Einheit auf hoher See, wenn jemand in Not und gemeiner Gefahr ist, nicht zu fragen, ob er mir passt, um ihn zu retten, sondern ihn zu retten. ({0}) Darüber gibt es keinen Zweifel. Wer das infrage stellt, hat die Systematik nicht verstanden. Auf einem anderen Blatt steht das Stichwort „Libyen“. Die Bundesregierung hat dankenswerterweise mit der Libyen-Konferenz eine Initiative gestartet, um die Effekte, die sich durch die Situation in Libyen ergeben – Entwicklungen, die wir alle kennen, auch von Migrationswegen –, gemeinsam in Nordafrika auf eine vernünftige, humane Ebene zu stellen. Es bleibt dabei, dass Sea Guardian als NATO-Mission ein ganz wichtiges Zeichen der NATO ist, dass sie die Europäer in dieser Region nicht alleine lässt. Auch das ist ein ganz wichtiges Element. Wer meint, das wäre nur eine Fahrt auf hoher See in schönem Wasser, der unterschätzt die Notwendigkeit der Überwachungsmaßnahmen. ({1}) Ich bedanke mich bei den Soldatinnen und Soldaten. Ich glaube, zurzeit ist es die Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“, die hier einen Beitrag seitens der deutschen Marine und der Bundeswehr leistet. Wir müssen das tun, aus Glaubwürdigkeitsgründen, auch aus Gründen des Schutzes für Europa und für die NATO. Was dann im Weiteren noch alles im Hinblick auf die Kontrolle von Waffenschmuggel kommt, wird sich zeigen. Darüber müssen wir sicherlich noch mal gesondert reden. Ich wünsche den Kameradinnen und Kameraden, die bei Sea Guardian unterwegs sind, alles Gute und heile Rückkehr. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die FDP der Kollege Christian Sauter. ({0})

Christian Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004871, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit nunmehr fast vier Jahren besteht die maritime Sicherheitsoperation der NATO Sea Guardian im Mittelmeer unter wesentlicher Beteiligung der deutschen Marine. Beginnen möchte ich mit einer Kritik, die wir als Fraktion bereits im Vorjahr in Bezug auf den sehr weit gefassten Mandatstext geäußert haben. Auch in diesem Jahr liegt der Text nur wenig verändert vor. Hier muss die Bundesregierung künftig präziser und genauer Art und Umfang der Operation formulieren. ({0}) Immerhin umfasst die Mandatsobergrenze bis zu 650 Soldaten; die Kosten betragen 3,2 Millionen Euro. Die Einsatzbelastung der deutschen Marine ist sehr hoch. Dennoch, im Wesentlichen vereint die Operation Sea Guardian drei positive Aspekte: erstens die Lagebilderstellung zur Sicherung der Seewege, zweitens eine Plattform zum Informationsaustausch mit anderen Missionen und Anrainerstaaten und drittens Vorsorge und Beitrag gegen Waffenschmuggel und Terrorismus. Die vergangenen Bewertungen dieser Operation haben gezeigt, dass insbesondere ein fundiertes Lagebild über das Mittelmeer für unsere Partner, aber auch gerade für uns als Deutsche von zentraler Bedeutung ist. Das ist Kern der Operation. Den Umfang der Lagebilderstellung machen die über 10 000 identifizierten Schiffe deutlich. Der Mittelmeerraum ist dicht befahren. Deshalb ist es auch von besonderem Interesse, Erkenntnisse über diese Seewege an der Südflanke der NATO zu erhalten. Zudem leistet die Mission einen Beitrag zur Unterstützung der Frontex-Missionen der EU zur Grenzsicherung und zur Seenotrettung. Uns allen ist gerade in diesen Tagen dabei nur bestens präsent, dass Vorkommnisse im Mittelmeerraum rasch Auswirkungen auf die Lage entfalten können. Deshalb ist bei der diesjährigen Verlängerung des Sea-Guardian-Mandates besonderes Augenmerk auf eine derzeit im Raum stehende Nachfolge der EU-geführten Operation Sophia zu richten. Im Mandatstext wird lediglich von einem „möglichen Folgeeinsatz“ gesprochen. Die verschiedenen Marineoperationen im Mittelmeer sind nicht nur durch ihre im Mandatstext definierten Überschneidungen, sondern ganz grundsätzlich in ihrer Bedeutung für den mediterranen Raum eng verbunden. Der alltägliche Charakter und der Erfolg der Operation Sea Guardian werden deswegen auch davon abhängig sein, wie eine solche Mission künftig aussehen wird. Seit dem 22. Januar beteiligt sich die „Mecklenburg-Vorpommern“ vor Ort an der Operation. Ich möchte abschließend meinen Dank an unsere Soldaten richten, die ihren Dienst in der Operation geleistet haben und leisten. ({1}) Die maritime Sicherheitsoperation Sea Guardian ist ein sinnvoller Baustein des deutschen Engagements im Mittelmeer und für die NATO. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Matthias Höhn für die Fraktion Die Linke. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zum Anfang sagen, dass der Mandatstext sowohl im Inhalt als auch in der Form für uns nicht akzeptabel ist und wir dem nicht zustimmen können. Zur Frage der Form hat der Kollege Sauter eben schon einiges gesagt – und das wiederholen wir hier von Jahr zu Jahr, wenn wir über dieses Mandat reden –: Das Mandat ist geografisch ausufernd – das gesamte Mittelmeer, die Anrainerstaaten –, und die Aufgabenstellung wird in keiner Weise konkret untersetzt. Das ist nicht die Qualität, die ich mir von einem Mandat erwarte, das wir hier vorgelegt bekommen, um es seriös zu bereden, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Aber zur Sache, zum Inhalt. Dazu will ich auf zwei Stichworte eingehen; der eine Punkt – er spielt auch hier immer wieder eine Rolle – ist die Terrorismusbekämpfung; das andere ist der Waffenschmuggel. ({1}) Wir haben schon bei der letzten Mandatsverlängerung darüber geredet. Die Situation hat sich nicht geändert. Wenn wir uns anschauen, wie viele terroristische Vorgänge – wie viele Planungen, wie viele Anschläge – durch Sea Guardian verhindert worden sind, dann müssen wir feststellen: Die Antwort ist nach wie vor: null. Es ist nichts verhindert worden. Nachdem wir Ihnen das mehrere Jahre hier in diesen Debatten vorgehalten haben, passiert etwas ganz Besonderes. Jetzt schreiben Sie es sogar in das Mandat hinein – neben dem vielen Copy-and-paste ist das jetzt mal eine konkrete Veränderung –: Obwohl es im letzten Jahr nichts zu tun gab im Sinne des Auftrages, machen wir weiter. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist doch wirklich absurd. ({2}) Kommen wir zu der Frage des Waffenschmuggels. Der Staatsminister hat das Stichwort „Libyen“ erwähnt. Libyen ist in der Tat ein Problem, das uns zu beschäftigen hat, und einer der großen Krisenherde in der Mittelmeerregion. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, schauen wir uns die Situation in Libyen doch mal an. Wenn Sie in der Frage des Waffenschmuggels etwas tun wollen und wenn Sie etwas zur Befriedung des Libyen-Konflikts tun wollen: Wie wäre es, wenn wir als Bundesrepublik aufhören, die großen Sponsoren des Libyen-Konflikts mit Waffen zu versorgen? Das wäre doch mal ein konkreter Schritt. ({3}) Die Bundesrepublik hat allein seit Anfang 2019 an die Vereinigten Arabischen Emirate Waffenexporte im Wert von 257 Millionen Euro genehmigt. ({4}) Das ist die politische Realität. Und dann stellen Sie sich hierhin und sagen: Wir brauchen das Mandat, um Waffenschmuggel nach Libyen zu verhindern. – Absurd, meine Damen und Herren, völlig absurd. ({5}) Letzter Punkt – damit komme ich im Übrigen auch zu dem Antrag der AfD-Fraktion –, das Stichwort „Flüchtlinge und Seenotrettung“. Zunächst zur Klarstellung: Die Seenotrettung ist nicht Aufgabe des Mandats, nicht Auftrag – sie ist die selbstverständliche Pflicht eines jeden Schiffes. ({6}) Es wäre sehr schön, wenn wir mal den Auftrag zur Seenotrettung erteilen würden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD-Fraktion, Sie haben ja nun begründet, dass kein Schiff hingeschickt werden soll, damit es gar nicht erst in die Situation kommt oder in die Not, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen. ({7}) Schreiben Sie doch gleich in Ihre Anträge rein: Lasst die Leute ersaufen! – Das ist das, was Sie hier politisch vertreten. ({8}) Das müssen wir zurückweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jeder Flüchtling, der in Not gerät, muss gerettet werden. Herzlichen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Tobias Lindner für die Fraktion der Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister, Sie haben sich am Pult richtig Mühe gegeben, den Sinn und den Zweck dieses Mandats zu verteidigen. Ich habe Ihnen gewissenhaft zugehört. Wenn Sie es wirklich ernst meinen, wenn Lagebilderstellung und Seeraumüberwachung im Mittelmeer einen so hohen Stellwert haben, dann fragen wir uns, warum Sie uns dann nicht einfach ein Mandat vorlegen, das genau auf diese Aufgaben passgerecht zugeschnitten ist. Was Sie uns stattdessen vorlegen, ist ein Blankoscheck, mit dem Sie im Mittelmeer so ziemlich alles tun oder lassen können. Das werden wir nicht mitmachen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wenn man sich dieses Mandat anschaut, dann muss man feststellen – das ist hier schon angeklungen –: Es ist geografisch nicht eingegrenzt – es geht um das gesamte Mittelmeer –, und es geht nicht nur um Seeraumüberwachung oder um Lagebilderstellung. Das Mandat gibt Ihnen beispielsweise auch die Möglichkeit, Küstenwachen auszubilden, wenn Sie das wollen. Sie könnten, wenn Sie das wollen – wir lehnen es ab –, auf Basis dieses Mandates die libysche Küstenwache ertüchtigen. Sie könnten, wenn Sie das wollen, auf Basis dieses Mandates ein Waffenembargo gegen Libyen kontrollieren. Dann könnten wir uns hier jegliche Debatte über eine zukünftige EU-Mission – wir wissen gar nicht, ob sie kommt und in welcher Form sie kommen soll – sparen. Meine Damen und Herren, was Sie uns hier als Mandatstext vorlegen, ist nicht nur unüberschaubar; es ist auch unvorhersehbar, was innerhalb des Mandats gemacht wird. Damit ist das Mandat für uns als Deutscher Bundestag unkontrollierbar, und das werden wir nicht mitmachen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Um in aller Deutlichkeit zu sagen – es ist in der Rede des Kollegen Schmidt schon angeklungen –, was die Historie dieses Mandates betrifft: Sea Guardian ist der Nachfolger der Operation Active Endeavour, die nach dem 11. September 2001, also vor fast 20 Jahren, auf Basis des Artikels 5 des NATO-Vertrags aus dem Boden gestampft wurde. Wir reden hier, ehrlich gesagt, über ein Mandat aus der Mottenkiste. Wenn es uns wirklich um Sicherheit und Stabilität in der Mittelmeerregion geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann sollten wir nicht die Rezepte von vor 20 Jahren aus der Schublade ziehen und sie genau so anwenden, als wäre nichts gewesen, dann sollten wir wirklich eine ernsthafte Debatte darüber führen, was wir für Sicherheit, für Humanität und für Stabilität in dieser Region tun können, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Vor diesem Hintergrund werden wir nicht nur dieses Mandat nicht mittragen können, sondern wir fordern die Bundesregierung auf: Beenden Sie Sea Guardian! Führen Sie die Aufgaben, die unsere Marine im Mittelmeer wahrnimmt, auf Seenotrettung, auf Seeraumüberwachung, auf Lagebilderstellung zurück, aber lassen Sie diesen Blankoscheck bleiben! Herzlichen Dank. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Ursula Groden-Kranich. ({0})

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die maritime Sicherheitsoperation Sea Guardian schon mehrfach verlängert, nicht ohne Kritik. Es ist auch richtig, solche Einsätze unserer Soldatinnen und Soldaten immer wieder zu prüfen und kritisch zu hinterfragen. Dies unterscheidet uns übrigens von vielen anderen Parlamenten in Europa: Unsere Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee; wir setzen uns mit jedem einzelnen Auslandseinsatz auseinander. Selbst wenn wir dies kontrovers tun, ist es eine unserer wichtigsten Aufgaben als Parlament, wenn wir schon Soldatinnen und Soldaten ins Ausland schicken, dass wir uns auch hier im Parlament damit befassen. Das Mittelmeer ist und bleibt auch im Jahr 2020 nicht nur einer der weltweit wichtigsten Transportwege und auch für uns als Exportnation von unumstrittenem Interesse; es ist seit einigen Jahren – das haben die ersten Monate 2020 leider wieder bestätigt – eine Region, in der sich die Krisen und Konflikte verschiedener Anrainerstaaten bündeln und oft besonders anschaulich werden. Ich denke an das Mittelmeer als lebensgefährliche Route von Flüchtlingen und Migranten aus Afrika nach Europa, aber auch an Themen wie Handelskonflikte, Waffen- und Menschenschmuggel und nicht zuletzt internationalen Terrorismus. All diesen Problemen setzt die Operation Sea Guardian einen starken Einsatz unseres internationalen Bündnisses entgegen. Das Mandat soll nun um ein weiteres Jahr verlängert werden. Die Obergrenze bleibt unverändert bei 650 Soldatinnen und Soldaten. Aktuell sind 195 unserer Soldatinnen und Soldaten an Sea Guardian beteiligt. Dafür möchte ich ihnen und vor allem auch ihren Familien an dieser Stelle ganz herzlich danken und meinen Respekt ausdrücken. ({0}) Übrigens sollten wir nicht nur unseren deutschen Soldatinnen und Soldaten, sondern allen Soldatinnen und Soldaten, die in solche Einsätze gehen, unseren Dank ausdrücken; denn auch sie haben Familien. Ich glaube, auch das darf ich an dieser Stelle sagen. ({1}) Unsere Beteiligung an der Mission ist und bleibt absolut sinnvoll. Wir sollten uns auch weiterhin an der Seite unserer europäischen Partner in solchen Mandaten engagieren. Dem Petitum unserer Bundesverteidigungsministerin auf der Münchner Sicherheitskonferenz kann ich mich nur anschließen, nämlich dass wir mehr Handlungsfähigkeit und mehr Willen zum Handeln entwickeln müssen, und zwar schnell. Ich bitte Sie daher um Unterstützung des vorliegenden Antrags der Bundesregierung, das Mandat um ein weiteres Jahr zu verlängern. Vielen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Frank Steffel von der CDU/CSU.

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Herrn Staatsminister Annen sehr dankbar für die sehr fundierten und, wie ich fand, ausgewogenen und sachlichen Ausführungen zum Mandatseinsatz selbst, den wir auch im Auswärtigen Ausschuss beraten werden. Ich möchte deswegen nur einige kurze Anmerkungen zum Antrag der AfD machen. Die AfD schreibt in ihrem Antrag, dass der Sicherheitseinsatz im Mittelmeer nicht im deutschen und europäischen Interesse ist. Das ist die wesentliche Kernaussage ihres Antrages. Wenn man sich die Debatte anhört und sich mit dem Vorgang beschäftigt, kommt man relativ schnell zu dem Ergebnis: Natürlich ist ein Einsatz im Mittelmeer – über alle Details können wir aber streiten – im deutschen und europäischen Interesse, nicht nur aus humanitären Gründen, sondern natürlich auch, um ungesteuerte Zuwanderung zu begrenzen, um Terrorismus zu bekämpfen, um Waffenschmuggel zu reduzieren und all das zu erreichen, was der Staatsminister ausgeführt hat. ({0}) Richtig ist aber, meine Damen und Herren: Natürlich ist das nicht im Interesse der AfD. Das ist das, was ich Ihnen am schärfsten vorwerfe. Sie betreiben bewusst das zynische politische Spiel, dazu beizutragen, dass das Problem der ungesteuerten Zuwanderung nicht reduziert wird, wir möglichst Terrorismusprobleme auch in Europa haben, Gefährdungslagen haben, obwohl es natürlich im deutschen und europäischen Interesse wäre, das zu verhindern. ({1}) Und warum betreiben Sie dieses Spiel? Weil es Ihnen parteipolitisch hilft; weil es die Menschen gegen andere Menschen aufhetzt und für Ihre politischen Interessen instrumentalisiert. Das ist das perfide Spiel. ({2}) Deswegen sage ich Ihnen: Diskutieren wir und streiten wir mit den Grünen! Ich persönlich darf Ihnen sagen: Ich bin auch ein Stück weit enttäuscht, dass Sie sich so schwertun – bei aller Kritik im Detail –, einem solchen Einsatz zuzustimmen; denn Sie würden sich in dieser wichtigen Frage sehr gut in das Bild der Sozialdemokraten, der Freien Demokraten und von uns Christlichen Demokraten einreihen. Vielleicht gehen Sie noch mal in sich und denken darüber nach, ob es wirklich die richtigen Partner sind, wenn Sie mit der Linkspartei und der AfD diesen Einsatz ablehnen. ({3}) Wir werden den Einsatz nicht ablehnen, obwohl wir jedes Mandat sehr ernst nehmen. ({4}) Wir wissen, dass jedes Mandat Auswirkungen auf Soldatinnen und Soldaten hat, und wir wissen sehr wohl um unsere Verantwortung für unsere Soldaten. Aber, meine Damen und Herren, wir wissen auch um unsere Verantwortung für diese Welt, und die endet eben Gott sei Dank nicht an deutschen Grenzen. Deshalb werden wir zustimmen und nicht mit Linken und AfD gemeinsam dafür sorgen, dass es mehr Zuwanderung, mehr Terrorismus und mehr Probleme gibt, nur weil es Ihnen parteipolitisch nützt und Sie wahrscheinlich auch glauben, dass es Ihnen parteipolitisch nützt. ({5}) Meine Damen und Herren, es liegt im europäischen und deutschen Interesse, diesem Antrag zuzustimmen. Dafür werben wir. Herzlichen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der seinerzeit als ergebnisoffen bezeichnete Dialogprozess mit der Landwirtschaft, der auf Augenhöhe mit der Bundesregierung stattfinden sollte, hat begonnen. Ich sage ganz ausdrücklich, dass ich es begrüße, dass nicht nur über Landwirtschaft, sondern auch mit der Landwirtschaft gesprochen wird. Aber als man sich da Anfang Dezember im Kanzleramt bei Kaffee und Kuchen getroffen hat, war es, sage ich Ihnen, unerträglich, dass parallel wenige Hundert Meter entfernt in den Ministerien schon neue Verordnungsentwürfe kursierten. Damit macht man den gesamten Dialogprozess zu einer Farce. Dann darf man sich nicht wundern, wenn sich die Menschen davon getäuscht fühlen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Ich sage Ihnen ausdrücklich: Ich hätte gerne noch viel ausführlicher über dieses Thema diskutiert; denn wir haben als Fraktion einen Antrag eingebracht, der fordert, dass es keine neue Festlegung beim Thema Düngeverordnung geben soll, solange dieser Dialogprozess nicht abgeschlossen ist. Dann mussten wir leider am vergangenen Mittwoch feststellen, dass der Antrag, den wir dazu formuliert haben und der eigentlich auf der Tagesordnung des Ausschusses gestanden hat, mit der Mehrheit von CDU/CSU und SPD abgesetzt wurde und es so auch unmöglich geworden ist, das heute hier öffentlich im Deutschen Bundestag zu diskutieren. Und das nur vier Wochen, bevor im Bundesrat eine existenzielle Entscheidung über die Novellierung der Düngeverordnung getroffen wird! ({1}) Mit diesen Taschenspielertricks, meine sehr verehrten Damen und Herren von CDU und CSU, wird es Ihnen nicht gelingen, dass wir diese relevanten Diskussionen nicht führen werden. Wir werden trotzdem öffentlich darüber sprechen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ich nehme es der Ministerin gerne ab und weiß, dass es stimmt, dass sie gegenwärtig viel im Land unterwegs ist und viele Gespräche führt. Das machen übrigens viele Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, so auch meine Kollegen der FDP-Bundestagsfraktion, auch ich selber. Teilweise sprechen wir sogar mit genau denselben Personen wie die Landwirtschaftsministerin. Aber wenn der einzige Reflex auf die Demonstrationen der letzten Monate tatsächlich gewesen ist, dass man eine eilig zusammengekratzte, in nächtlichen Sitzungen vereinbarte Bauernmilliarde auskehren will, dann sage ich Ihnen: Sie haben nichts davon verstanden, worum es Landwirten gegenwärtig tatsächlich geht, meine Damen und Herren. ({3}) Ich könnte es mir als Oppositionspolitiker ganz einfach machen und sagen: Die Milliarde war zu wenig; das müssten zwei sein oder vier oder sechs. – Häufig wird uns vorgeworfen, wir würden Landwirten nach dem Munde reden. Aber ich sage hier ganz ausdrücklich: Diese Milliarde ist falsch gewesen. Es hätten null Euro sein müssen, aus dem einfachen Grunde, dass nun der Eindruck entsteht, dass Landwirte nur laut genug mit dem Fuß aufstampfen müssen, damit ihnen Geld zugeschoben wird; aus dem einfachen Grunde, dass Landwirte selber sagen: Wir brauchen ein Geschäftsmodell, das unabhängig davon ist, dass Politik quasi in Gutsherrenmanier den Daumen dafür hebt oder senkt, dass wir eine Perspektive haben. – Sie brauchen einheitliche Wettbewerbsbedingungen. Sie möchten für ihre ehrliche und harte Arbeit einen fairen Preis bekommen und keine in nächtlichen Sitzungen zugeschobenen Bauernmilliarden, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Ich sage es ganz ausdrücklich: Landwirtschaft trägt eine große Verantwortung für Nachhaltigkeit, für die Umwelt und natürlich auch für die Qualität unserer Grundwasserkörper, gar keine Frage. Aber die Pauschalierung, Herr Staatssekretär, mit der gegenwärtig zu Werke gegangen wird, und die Sippenhaft, in die landwirtschaftliche Betriebe genommen werden, die sich über Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte, über Generationen hinweg an wirklich jede Auflage akribisch gehalten haben und die demnächst mit einer 20-prozentigen Nährstoffunterversorgung leben werden müssen, meine Damen und Herren: So funktioniert keine zukunftsgerichtete Landwirtschaftspolitik des Jahres 2020. ({5}) Sie haben völlig recht – das hat die Ministerin vor einigen Tagen gesagt –, dass Auffälligkeiten in Grundwasserkörpern nicht einfach weggemessen werden können. Das ist völlig richtig. Aber, meine Damen und Herren, es kann eben auch nicht sein, dass in Deutschland kein repräsentatives Netzwerk existiert, sondern sozusagen nur an den Hotspots gemessen wurde und ein Belastungsnetzwerk existiert. Was gegenwärtig passiert, ist: Im europäischen Kontext werden deutsche Äpfel mit spanischen Birnen und gleichzeitig mit italienischem Mozzarella verglichen. So funktioniert keine nachhaltige Landwirtschaftspolitik. Wir brauchen ein Messsystem, das einheitlich nach gleichen Prinzipien aufgestellt ist. Nur so ist eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse möglich, und nur so kann man auch wirklich verantwortungsvoll Politik betreiben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Astrid Damerow. ({0})

Astrid Damerow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004699, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Hocker, meine ganze Rede ist jetzt mehr oder weniger Makulatur, weil ich dann doch auf Sie eingehen werde, obwohl ich mir das anders gedacht habe. ({0}) Wir fangen mal von vorne an. Ich denke, es ist völlig unstrittig, dass wir die Düngeverordnung novellieren müssen; das ist uns allen vollkommen klar. Wir haben hier schon mehrfach darüber gesprochen, dass wir alle miteinander, im Übrigen auch unsere Landwirtinnen und Landwirte, den Schutz des Grundwassers sehr wichtig nehmen; ich betone: auch unsere Landwirtschaft. Nun wird etwas ja nicht immer dadurch wahrer, dass man es möglichst häufig wiederholt. All das, was Sie eben aufgeführt haben – ich fange jetzt mit der Milliarde an, aber ich nenne sie explizit nicht „Bauernmilliarde“ –, ist nicht dazu gedacht gewesen – das wissen Sie ganz genau –, die Bauern mundtot zu machen oder mit der großen Gießkanne über alles hinwegzugehen, ({1}) sondern es war damit beabsichtigt, die Härten, die möglicherweise durch die Novellierung entstehen, zielgenau aufzufangen. ({2}) Aber das ist auch noch nicht alles, sondern es ist auch dazu gedacht gewesen – das hat die Bundesministerin mehrfach deutlich gemacht –, Forschung, Entwicklung und eine moderne Landwirtschaft zu unterstützen. Ich denke, darüber wird nachher der Kollege Röring noch einiges genauer sagen. Sie haben es eben selbst gesagt – ja, das ist richtig –: Wir Kollegen sind alle seit vielen Wochen und Monaten mit unseren Landwirtinnen und Landwirten im Gespräch, und wir – nicht nur Sie, sondern wir alle miteinander – haben ihre Kritik sehr genau aufgenommen, übrigens schon vor Wochen, ({3}) Eben weil das so war, hat die CDU/CSU-Fraktion die Bundesumweltministerin schon vor Wochen angeschrieben und sie in diesem Schreiben – ich zitiere jetzt – aufgefordert, das Nitratmessstellennetz bundesweit einheitlich auszugestalten, damit die erhobenen Werte zukünftig belastbar und vergleichbar sind. Das ist ein Zitat aus unserem Brief, schon vor Wochen. Zudem haben wir gefordert, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 die Erhebungsmethoden und die Messstellennetze in anderen EU-Staaten zu analysieren und ein europaweit vergleichbares Messstellennetz zu schaffen. Die Bundesumweltministerin hat daraufhin deutlich gemacht, dass die Bundesregierung die Situation zum Anlass nehme – ich zitiere nochmals –, einerseits unmissverständliche Regelungen in der Düngeverordnung zu treffen, andererseits zur Vereinheitlichung der Vorgehensweise bei der Ausweisung belasteter Gebiete gemeinsam mit den Ländern die notwendigen technischen Regeln festzulegen. ({4}) Ich will damit sagen: Das, was Sie in Ihrem heute vorliegenden Antrag fordern, haben wir als CDU/CSU-Fraktion schon vor Wochen mit unseren Ministerien und der Regierung besprochen. ({5}) Das heißt, Sie kommen einfach Wochen zu spät. Genau das Gleiche gilt übrigens auch für die Milliarde, von der Sie ja behaupten, sie sei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mal eben beschlossen worden, um den Protest abzumildern; dem ist nicht so. Über diese Milliarde ist schon wesentlich länger innerhalb der Bundesregierung diskutiert worden, und – ich habe es eben schon erklärt – sie dient eben nicht dazu, mit der Gießkanne an alle zu verteilen und Kritik mundtot zu machen. Wir werden Ihren Antrag, wie sich das gehört, im Umweltausschuss weiter diskutieren. Ich befürchte allerdings, dass wir zu keinen anderen Ergebnissen kommen werden als heute; aber ich bin gespannt, was die Diskussion im Ausschuss weiter ergeben wird. Aus zahlreichen Gesprächen – es ist mir wichtig, das noch mal deutlich zu machen – wissen wir, dass Ihnen, liebe Landwirtinnen und Landwirte, der Schutz unserer Gewässer genauso am Herzen liegt wie uns allen hier auch. Auch unsere Landwirtinnen und Landwirte leben von und mit der Natur und brauchen sauberes Wasser. Ich will betonen, dass es schon in der Vergangenheit immer wieder und nicht wenige Anstrengungen und Kooperationen unserer Landwirte gegeben hat, freiwilligen Gewässerschutz zu betreiben. Auch das fällt, finde ich, immer hinten runter und findet viel zu wenig Beachtung. Wir wissen auch, dass die Düngeverordnung Akzeptanz braucht. Daran arbeiten wir. Wir wissen wohl, dass unsere Landwirte große Kritik an unseren Messstellennetzen haben, auch an der Art der Auswertung der Messstellenergebnisse. Das wird von uns und der Bundesregierung aufgenommen, und wir als Fraktion werden uns weiter für Verbesserungen einsetzen. Ebenso ist in allen Gesprächen auch deutlich geworden, dass keiner in der Landwirtschaft davon ausgeht, dass ein dichteres Messstellennetz zwangsläufig dazu führen wird, dass wir plötzlich überall grüne Gebiete haben; das ist unseren Landwirten klar. Die Landwirtschaft fordert aber zu Recht belastbare Messstellenergebnisse, transparente Darstellung und einen fairen Umgang. All das unterstützen wir, für all das setzen wir uns ein, all das haben wir in unseren Schreiben an die Ministerien schon vor Wochen – Herr Hocker, ich kann es nicht oft genug betonen: schon vor Wochen – deutlich gemacht und mit unseren Regierungsmitgliedern besprochen. Dies ist in der Umsetzung. Es wird jetzt im Übrigen an den Bundesländern sein, diesen Entwurf weiter mitzutragen. Auch hier appelliere ich an alle Kollegen in den jeweiligen Landesregierungen, auf die Umwelt- und Landwirtschaftsminister einzuwirken. Denn der Entwurf der Düngeverordnung ist jetzt dem Bundesrat zugeleitet worden, und ich bin sehr gespannt, wie die einzelnen Bundesländer sich dazu einlassen werden. Seien Sie versichert: All das, was Sie fordern, haben wir schon lange auf dem Zettel; dazu brauchte es diesen Antrag nicht. Aber wir werden ihn respektvoll im Umweltausschuss weiter diskutieren, und dann schauen wir mal, wo wir am Ende landen. Und bitte hören Sie auf, uns zu unterstellen, wir würden mit den Landwirten nur placebomäßig reden. ({6}) Wir tun das in voller Ernsthaftigkeit, mit großer Wertschätzung und durchaus auch mit Ergebnissen, die sich sehen lassen können. Herzlichen Dank. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Stephan Protschka für die AfD. ({0})

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott zum Gruße! Liebe Gäste hier im Haus! Frau Kollegin, Wasser ist Grundlage allen Lebens – wie übrigens auch CO2 –, und Wasser ist das wichtigste Gut. Der Schutz unseres Grundwassers vor Verunreinigungen ist deshalb wichtig und richtig. Es ist aber grundsätzlich falsch, der heimischen Landwirtschaft jetzt den Schwarzen Peter zuzuschieben; den haben nämlich Sie, liebe Bundesregierung. Warum? Bis 2014 wurden die Nitratgehalte im Grundwasser aus der Landwirtschaft mit einem Messnetz gemessen, dessen Messstellen ausschließlich in besonders nitratbelasteten Gebieten lagen, was übrigens auch der Bauernverband unterstützte. Die Bundesregierung hat also munter völlig überhöhte Nitratgehalte nach Brüssel gemeldet. Das gibt die Bundesregierung sogar selber zu: Im letzten Nitratbericht steht, dass bis zum Jahr 2014 keine repräsentativen Aussagen über die Nitratbelastung des Grundwassers möglich waren. Dass die EU so den Eindruck gewinnen konnte, dass Deutschland völlig überhöhte Nitratgehalte im Grundwasser habe, ist nachvollziehbar. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 2018 basiert also auf einer nichtrepräsentativen Datengrundlage und ist deshalb mindestens kritikwürdig. Das fehlende Nitratmessnetz wird aber gar nicht benötigt, um aufzuzeigen, dass eine weitere Verschärfung der Düngeverordnung unbedingt abzulehnen ist. Warum? Das Ziel der EU-Nitratrichtlinie ist, dass die Gewässerverunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verringert werden soll. Wie das Ganze erreicht wird, steht den Mitgliedstaaten, also auch Deutschland, dabei grundsätzlich frei. In der Richtlinie werden dazu einige Regeln und Maßnahmen vorgeschlagen, die von Deutschland spätestens mit der grundlegenden Novelle der Düngeverordnung 2017 vollständig in deutsches Recht umgesetzt wurden. Da dies während des Vertragsverletzungsverfahrens stattfand, konnte dies laut eigener Aussage der Regierung für das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr berücksichtigt werden. Wenn man dann noch weiß, dass mit dem neuen Messnetz nur die Nitratgehalte aus dem Zeitraum 2008 bis 2014 betrachtet werden konnten und sich diese in diesem Zeitraum nicht verschlechtert haben, dann kommt selbst der Laie darauf, dass Deutschland nicht gegen die Nitratrichtlinie verstoßen hat. Seriöse und verantwortungsvolle Politik würde doch zumindest so aussehen, dass man sich die noch nicht veröffentlichten Nitratgehalte nach 2017 anschaut, um zu prüfen, ob die verschärften Maßnahmen ausreichen oder nicht. ({0}) Genau diese verantwortungsvolle Überprüfung fordern wir in unserem Antrag – nicht mehr und nicht weniger. Deswegen würde ich um Ihre Zustimmung bitten. Durch die geplante Verschärfung der Düngeverordnung sind übrigens Zehntausende Betriebe in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Warum? Man muss nur nach Dänemark gucken. Es wurde von der linken Seite heute schon ein paarmal erwähnt: Das Königreich Dänemark ist bei Ökostrom weit vorn. Die Dänen haben ökologisch ähnlich reagiert und die Düngeverordnung so umgesetzt. 80 Prozent der Höfe haben daraufhin aufgegeben. Genau das droht der deutschen Landwirtschaft, wenn Sie die Düngeverordnung so umsetzen. Ich fordere Sie deswegen, bitte schön, auf: Handeln Sie nicht aktionistisch ({1}) und in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der EU, sondern prüfen Sie bitte die wissenschaftlichen Fakten, und schützen Sie unsere Bauern vor Fehlentscheidungen. Bitte, liebe Union, kommen Sie wieder zurück zu langweiliger, bürgerlicher, auf wissenschaftlichen Fakten basierender Politik. Lassen Sie sich nicht von Links-Grün oder Rot in irgendeine Richtung drängen. Wir alle müssen unsere Landwirte schützen. Ich weiß, Sie machen es sich jetzt leicht: Einen AfD-Antrag kann man leicht ablehnen; denn wir sind ja alle Rechtspopulisten. ({2}) Aber denkt an eure Landwirte. Kämpft für sie, gebt sie nicht auf! – Der Präsident blinkt. Danke schön. – Schönes Wochenende! ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Der blinkt aber nicht rechts. – Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Carsten Träger für die Fraktion SPD. ({0})

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Rede von Herrn Hocker anhört, kann man nur sagen: Täglich grüßt das Murmeltier. – Es ist nicht mal zwei Monate her, da haben Sie uns einen Antrag vorgelegt, der inhaltsgleich war und die Überschrift „Agrarpaket und Düngeverordnung“ trug. Und schon damals, vor zwei Monaten, habe ich Ihnen gesagt: Kehren Sie um! Machen Sie das nicht! Die Behauptungen, Verdrehungen, Halbwahrheiten, die Sie auch heute wiederholt haben, ({0}) rücken Sie in eine gefährliche Nähe zu den Kollegen von der AfD. ({1}) – Ja, genau so haben Sie vor zwei Monaten auch reagiert. Und dann kam Thüringen. Sie sind auf einem gefährlichen Weg. ({2}) Kehren Sie zurück zur Tradition einer stolzen liberalen Partei. ({3}) Kehren Sie zurück zu Fakten und zu fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Träger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hocker?

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte gern weiter ausführen. ({0}) Dieses Mal ist Ihr Antrag unter dem Deckmantel des Grundwasserschutzes geschrieben. Es steht aber genau das Gleiche drin. ({1}) Und man muss sich dann schon die Frage stellen: Was haben Sie in den letzten Wochen gelernt? ({2}) Sie wollen also nun die Grundwasserqualität wissenschaftlich fundiert und repräsentativ ermitteln; das stand schon im letzten Antrag drin. Das heißt im Umkehrschluss, genauso wie beim letzten Mal, dass dem heute nicht so ist. Das muss man sich mal vor Augen führen: Sie unterstellen allen Ernstes, dass sämtliche wissenschaftlichen Gutachten zur Erfüllung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie und der Nitratrichtlinie nicht fundiert sind. Sie unterstellen allen Ernstes, dass die alarmierenden Werte, die viele kommunale Wasserwerke in vielen Regionen Deutschlands ermitteln, alle falsch sind. Und Sie bezweifeln auch, dass die Kosten für die Aufbereitung von Trinkwasser immer weiter steigen, was uns alle kommunalen Wasserwerke vorrechnen. Nach wissenschaftlichen Berechnungen könnte eine Jahresendrechnung für einen Dreipersonenhaushalt um über 60 Prozent – das entspricht 140 Euro – steigen. Das ist Ihnen offensichtlich egal. Da bleiben Sie sich in Ihrem alten Denken dann wohl doch treu: Politik für Besserverdiener. ({3}) Deutschland verstößt schon seit Jahren, fast schon seit zwei Jahrzehnten, gegen die EU-Nitratrichtlinie. Und auch ein rechtskräftiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das den Verstoß bestätigt, ignorieren Sie einfach. Früher einmal hatte die FDP Sachverstand, juristischen Sachverstand und war eine Europapartei. Offensichtlich war das einmal. „Europa“ ist für Sie mittlerweile ein Schimpfwort geworden, ({4}) und ich frage mich allen Ernstes, wie Leute wie der Herr Graf Lambsdorff diese Politik noch weiter mittragen können. Kommen wir zu den Messstellen. Ja, auch wir als Sozialdemokraten sind bereit, die Messstellen weiter auszubauen. Dafür sind aber die Bundesländer zuständig. Ja, ich sage Ihnen sogar: In Nordrhein-Westfalen gab es bei 30 Messstellen Probleme. Aber was wurde festgestellt? Nicht etwa, dass falsch gemessen wurde, sondern dass die Unterlagen nicht vollständig waren oder dass es eine mangelhafte Absicherung gegen Beschädigungen gab. Das nehmen Sie zum Anlass, um eine Messstellendiskussion zu führen, die am Ende darauf hinauslaufen soll, sämtliche Erkenntnisse zu diskreditieren, und am Ende unserem Grundwasser schadet. Das nehmen Sie alles billigend in Kauf. Und wofür? Für billigen Applaus – den Sie nicht verdient haben – von den Landwirtinnen und Landwirten, die Sie wissentlich hinter die Fichte führen. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der Schutz des Grundwassers und des Oberflächengewässers ist existenziell, und dazu muss das Düngerecht beitragen. Das aber ist unterdessen zu einem Drama in unzähligen Akten mit unübersichtlicher Handlung geworden, mit vielen Hauptrollen und einer FDP als Souffleur, die aber eigentlich gerne Regisseur wäre. Und was macht das Publikum? Das schaut dem grotesken Treiben eigentlich nur zu und versteht es nicht. Man könnte lachen, wenn es nicht um so viel ginge. Und damit meine ich nicht die 850 000 Euro pro Tag, die drohen, wenn die Düngeverordnung am 3. April 2020 nicht im Bundesrat beschlossen wird; denn es geht um viel mehr als um Geld. Es geht um unser Grundwasser und die Oberflächengewässer, also existenzielle Lebensgrundlagen. Mit so hohen Schutzgütern spielt man einfach nicht. ({0}) Aber es geht eben auch um Agrarbetriebe; die brauchen wir auch. Und die sind am Verzweifeln; denn sie werden weder anständig für ihre Arbeit bezahlt, noch haben sie verlässliche Rahmenbedingungen. Proteste dagegen kann ich sehr gut verstehen, ({1}) erst recht, wenn sie sich gegen die richten, die die Profiteure dieses falschen Systems sind, zum Beispiel Lebensmittelkonzerne. Nur, wer falschen Propheten eines einfachen Weiter-so folgt, verspielt eben nicht nur seine, sondern unser aller Zukunft. Das wäre unverantwortlich. ({2}) Aber das Fass läuft ja meistens nicht mit dem größten, sondern mit dem letzten Tropfen über. Vor fast genau drei Jahren habe ich hier im Plenum Folgendes gesagt: Das Beste am Düngegesetz ist, dass es endlich auf dem Weg ist ... Ob es den EU-Vorgaben genügt, wird sich zeigen. Es wäre fatal, wenn nicht. Manchmal möchte man nicht recht behalten. – Und weiter: Mindestens zweimal wurde dieses Gesetz zu Weihnachten versprochen; die Bescherung blieb aus. Mehrfach wurden endgültige Einigungen öffentlich verkündet und wieder zurückgezogen. Mehrfach stand das Gesetz auf der Tagesordnung des Bundestages, wurde dann aber wieder abgesetzt. … vertrauensbildende Politik ist das leider nicht. ({3}) Dieser Vertrauensverlust ist es nämlich, der die Debatte jetzt so vergiftet. Aber gerade weil Düngefragen fachlich relativ kompliziert sind, ist fehlendes Vertrauen fatal. Ja, es gab Fehler, und sie wurden spät oder teilweise gar nicht korrigiert. Aber auch Lösungsvorschläge wurden blockiert, und es werden eben auch Zweifel geschürt. Ich zitiere beispielhaft aus einem Beitrag vom Studio Hannover des Norddeutschen Rundfunks vom 3. Februar 2020: Viele Messstellen seien fehlerhaft, die Ergebnisse nicht schlüssig, die Landwirtschaft könne … gar nicht verantwortlich für die Nitratbelastung sein. Dem Wissenschaftler Dittert – da kann die FDP mal zuhören; sie legt ja immer viel Wert darauf – gehen solche grundsätzlichen Zweifel zu weit. Die Qualität der Messstellen werde überprüft, und selbst bei kleineren Mängeln lieferten sie in jedem Fall einen guten und zuverlässigen Überblick über die Gesamtsituation … Was wir jetzt brauchen, ist in der Tat Vertrauensbildung. Dazu gehört ein ehrlicher, lösungsorientierter, fachgerechter und transparenter Diskurs. Am Ende muss aber auch gehandelt werden. ({4}) Und es muss verlässliche Unterstützung geleistet werden, die dringend gebraucht wird; denn es geht um unser aller Zukunft. Lassen Sie uns bitte gemeinsam dafür sorgen, dass das Drama nicht zur Tragödie wird. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Bettina Hoffmann. ({0})

Dr. Bettina Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines ist völlig klar: Deutschland hat ein Nitratproblem, und das müssen wir dringend lösen. Das ist der Kern. Der Antrag der FDP ist aber kein Lösungsvorschlag. Er ist ein reines Ablenkungsmanöver. ({0}) Sie ziehen in Zweifel, dass die knapp 700 Messstellen der EU-Umweltagentur verlässliche Ergebnisse bringen. ({1}) Diese Kritik teile ich nicht. ({2}) Aber selbst wenn das so wäre: Wir haben in Deutschland ein zweites großes amtliches Netz von über 7 000 Messstellen. Das erwähnen Sie in Ihrem Antrag ({3}) – lassen Sie mich mal weiterreden –, was Sie aber nicht erwähnen, sind die Ergebnisse. Die besagen nämlich klipp und klar – egal wo sie einbezogen werden –: Mehr als jeder vierte Grundwasserkörper ist wegen zu hoher Nitratwerte in einem schlechten chemischen Zustand. Zusätzlich – das müsste gerade Sie als FDP besonders hellhörig machen – misst bei uns ja auch die Wasserwirtschaft, und zwar rund um die Trinkwasserbrunnen. ({4}) Das beunruhigende Ergebnis ist: Der Grenzwert ist an mehr als jeder fünften Vorfeldmessstelle überschritten. Insgesamt haben BDEW und VKU in 2016 an über 10 000 Messstellen sage und schreibe 178 000 Nitratanalysen erfasst. ({5}) Das ist Ihnen zu wenig; sie bestätigen aber all diese Ergebnisse. Deshalb ist das, was Sie hier machen, doch geradezu fahrlässig. Sie erwecken nämlich den Eindruck, dass wir zu wenig über den Zustand unserer Gewässer hinsichtlich Nitrat wissen. ({6}) Sie säen Zweifel an der Verlässlichkeit der Behörden und der Wasserversorger. Was Sie damit erreichen wollen, ist: Sie wollen die Bauern einlullen. Und das ist nicht in Ordnung. Würde es Ihnen nämlich um eine echte Verbesserung gehen, müssten Sie eine flächendeckende systematische Überwachung von Grund- und Oberflächengewässern auf Mikroverunreinigungen fordern, beispielsweise auf Tierarzneimittelrückstände und hormonaktive Substanzen. Da ist nämlich die Datenlage schlecht. Stichproben zeigen auch den Bedarf. Das alles können Sie in dem TAB-Bericht 9/2019 nachlesen. Im Übrigen ist es genau richtig, dort zu messen, wo hohe Werte erwartet werden. Das hat damals auch der Bauernverband gesagt. Das Prinzip eines Grenzwertes ist ja, dass er jederzeit und an jedem Ort eingehalten werden muss. ({7}) Wir haben beim Nitrat kein Messproblem. Was wir haben, ist ein Handlungsproblem – und das seit Jahren. In Ihrem Antrag fehlt selbst der Hauch eines Lösungsansatzes dafür, wie wir einerseits unser Grundwasser sauber kriegen und andererseits unseren Landwirten ein auskömmliches Wirtschaften ermöglichen können. Das ist doch die Kernfrage, und dieser Kernfrage weichen Sie aus. Ich bin überzeugt, dass auch der jetzt gefundene Kompromiss zur Düngeverordnung das Nitratproblem noch nicht wirklich lösen wird. Wir brauchen nämlich eine Agrarwende. Dazu gehören eine ökologische Neuverteilung der Agrarzahlungen aus Brüssel, eine Handelspolitik, die regionales Wirtschaften fördert, eine Abkehr von exportorientierter industrieller Massentierhaltung. Wir Grüne sind bereit, gemeinsam mit den Landwirten anzupacken, anstatt eine Verschleierungsdebatte zu führen, wie Sie das hier jetzt gerade machen. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Johannes Röring für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Damerow hat vorhin darauf hingewiesen: Der Schutz unseres Grundwassers hat höchste Priorität. -Sauberes Wasser ist unser kostbares und wichtigstes Lebensmittel, und unsere Landwirtinnen und Landwirte wollen das Wasser schützen. Das beweisen sie Tag für Tag, zum Beispiel in Wasserkooperationen, die es an vielen Stellen in unserem Land gibt. Jetzt zum Antrag der AfD-Fraktion nur ein paar Worte: Die AfD fordert ein Moratorium zur Aussetzung der Düngeverordnung. Wir haben schon so oft darüber gesprochen. So eine Aussetzung behebt das Problem doch nicht. Im Gegenteil: Das weckt falsche Hoffnungen, dass man diese Verschärfungen der Düngeverordnung noch verhindern kann. Wer so etwas verspricht, streut den Bauern einfach nur Sand in die Augen. ({0}) Ich bin ganz ehrlich zu Ihnen: Wir hätten uns auch gewünscht, dass es nach der Novelle der Düngeverordnung 2017 keine erneute Nachbesserung gebraucht hätte. Wir sind jetzt aber dazu verpflichtet, und wenn wir nicht liefern, müssen wir mit Folgendem rechnen: Erstens: finanzielle Sanktionen. Wir sprechen hier über viel Geld der Steuerzahler, und das wäre auch nicht gut für das Image des Berufsstandes. Zweitens. Die Kommission – und das ist wirklich problematisch – wird uns dann ganz allein die Regeln vorschreiben. Wir dürfen das Heft des Handelns doch nicht freiwillig aus der Hand geben! Ich rate uns sehr, der EU-Kommission noch einmal zu signalisieren, dass wir umsetzen wollen. Der Bundestag darf nicht blockieren, wie es der Antrag der AfD will. Deswegen lehne ich ihn ab, genauso wie wir das im November im Ausschuss schon einmal gemacht haben. Für die Umsetzung der Düngeverordnung müssen die zugrundeliegenden Messergebnisse allerdings belastbar sein und stimmen. Deswegen habe ich mit meinen Unionskollegen und ‑kolleginnen an Bundesumweltministerin Svenja Schulze appelliert, dass die Landesumweltminister ihr Messstellennetz überarbeiten müssen und dass sie endlich die seit 2017 mögliche Binnendifferenzierung vornehmen. ({1}) Hier fordern wir für die Landwirte eine repräsentative Verteilung der Messstellen, eine Vereinheitlichung der Messmethoden, eine regelmäßige Überprüfung der Messergebnisse und eine transparente Darstellung der erhobenen Ergebnisse. Und es sollte unser Ziel sein, ein europaweit vergleichbares Messstellennetz zu schaffen. Das wäre am Ende wirklich sinnvoll. ({2}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, in Ihrem Antrag lese ich genau das, wozu wir unsere Umweltministerin aufgefordert haben. ({3}) Unsere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat das aufgegriffen und will es den Bundesländern in einer Verwaltungsvorschrift auferlegen – nicht als Kann-, sondern als Mussregel. So ist das nun mal hier im Parlament: Die Opposition stellt Anträge, die Regierung handelt. ({4}) Nun zu Ihrer Annahme, ein dichteres Messstellennetz würde das Problem automatisch beheben, also zum Wohle der Bauern sein. Das ist nicht bewiesen. Im Gegenteil: Die Kommission verpflichtet uns, um jede Messstelle, an der die Grenzwerte überschritten werden, eine Restriktionszone anzulegen. Das heißt, mehr Messstellen könnten auch dazu führen, dass noch mehr landwirtschaftliche Flächen gemaßregelt würden. ({5}) Wir als Union haben mehrfach darauf hingewiesen, dass die Bundesländer in der Verantwortung stehen, die Messstellen in Ordnung zu halten. Unsere Ministerin in Nordrhein-Westfalen, Ulla Heinen-Esser, geht hier mit gutem Beispiel voran. Sie überprüft jede Messstelle mit hohen Werten und saniert diejenigen, die falsche Ergebnisse liefern, oder sie legt sogar neue an. Das wünsche ich mir von allen Bundesländern. ({6}) Zum Abschluss will ich noch eines sagen: Wir müssen unsere Bäuerinnen und Bauern jetzt und in den kommenden Jahren bei großen Herausforderungen unterstützen. Deswegen empfehle ich, die von der Bundesregierung mobilisierte Milliarde anzunehmen und anschließend den Landwirten passgenau Unterstützung dabei zu geben, diese schwierige Düngeverordnung umzusetzen. Ich denke dabei an die Schaffung von zusätzlichen Lagerkapazitäten, an Innovationsgelder für Verarbeitungsanlagen für organischen Dünger und meinetwegen, wenn noch etwas Geld übrig bleibt, auch daran, die Länder bei der Ertüchtigung des Messstellennetzes zu unterstützen. Das dient den Landwirten und dem Wasser. Vielen Dank. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der SPD der Kollege Rainer Spiering. ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor allen Dingen begrüße ich auch die jungen Leute, die hier oben auf der Tribüne sitzen; um sie geht es. Es geht um den Anspruch unserer jetzigen Generation und folgender Generationen, dass sie auch in Zukunft sicher sein können, dass die Qualität des Wassers, das sie konsumieren, gut ist. Das ist unser aller Anliegen, und darum geht es hier auch heute. Kurz zum Antrag der AfD: Nach Ihrem Punkt 1 soll die Bundesregierung auf europäischer Ebene auf ein Moratorium zur Aussetzung der EG-Nitratrichtlinie hinwirken. Herzlichen Glückwunsch! Das ist von 1991; wir haben jetzt 2020. Das kommt fast 30 Jahre zu spät. Ich glaube, das ist einfach durch Regierungshandeln abgehandelt. Der Punkt ist völlig überflüssig. ({0}) Jetzt möchte ich mich aber doch der FDP zuwenden: In den ganzen letzten Wochen war ich auf vielen hochemotional aufgeladenen Veranstaltungen, die immer durch eine Partei befeuert wurden, und die hieß nicht AfD, sondern FDP. Immer wieder wurde suggeriert, es gehe um parlamentarisches Handeln und darum, dass wir als Gesetzgeber noch Zugriff darauf nehmen könnten. Diese Suggestion ist, auf Deutsch gesagt, wirklich ein Veralbern des deutschen Bauernstandes. ({1}) Was wird suggeriert? Suggeriert wird, dass wir über parlamentarisches Handeln etwas tun können. Fakt ist: Wir stehen vor Gericht, und zwar vor dem höchsten Gericht, das wir anerkennen, nämlich dem EuGH. Ich nehme zur Kenntnis, dass die FDP die europäische Gerichtsbarkeit negiert. Da ist sie in einem Boot mit der AfD. Das tut mir bitter leid für die ehemals liberale Partei. ({2}) Dann hat die FDP in ihrem Antrag davon gesprochen, dass sie die Wissenschaft zu Wort kommen lassen will. Das halte ich für richtig. Ich frage mich allerdings, wen Sie da meinen. Gestern gab es einen interessanten Zeitungsartikel mit Aussagen von zwei namhaften Wissenschaftlern mit hoher Reputation, Herrn Bach von der Uni Gießen und Herrn Taube von der Uni Kiel. Ich zitiere: „Die Werte – die an die EU gemeldet worden sind – stimmen …“, urteilt Bach. Denn die Nitrat- und die Wasserrahmenrichtlinie der EU verlangten, dass alle Grundwasserkörper weniger als 50 Milligramm Nitrat pro Liter enthalten. „Solange auch nur ein Grundwasserkörper darüber liegt, muss Deutschland die Nitratbelastung dort verringern. Und jetzt kommt der interessanteste Satz: Unabhängig davon, welches Messnetz zugrunde gelegt wird, gibt es in Deutschland mehr als 200 Messstellen, die über dem Grenzwert liegen“ … Genau da ist der Handlungsansatz, genau da muss die Bundesregierung handeln. Wenn Sie den Landwirten in Zukunft weiter suggerieren, dass es an einem fehlerhaften Messnetz liegt, ({3}) dann müssen Sie auch negieren, dass wir 200 Messstellen haben, an denen die Nitratbelastung über dem Grenzwert liegt. Damit veralbern Sie die deutsche Landwirtschaft und geben ihr keine Lösungsansätze. ({4}) Abschließend: Was können wir tun? Das Land Niedersachsen hat jetzt beispielsweise ENNI aufgelegt. Das ist eine Datenplattform, auf der alle Landwirte ihre Nährstoffe eintragen. Wenn wir die Nährstoffe kennen, dann wissen wir auch, wo sie verbleiben, und dann haben wir die höchstmögliche Sicherheit, um Ross und Reiter zu benennen und die gesamten Ursachen abzustellen. Aber das ist ein Weg, der der FDP bestimmt nicht gefällt, weil man dann handeln müsste und nicht schwadronieren könnte. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Spiering. – Damit schließe ich die Aussprache.

Stephan Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003589

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat Ihnen das Zweite Gesetz zur Änderung des THW-Gesetzes vorgelegt. Ziel und Zweck dieses Gesetzes ist es, ehrenamtliches Engagement im THW zu verbessern und zu stärken. Es geht unter anderem auch darum, notwendige Veränderungen am THW-Gesetz vorzunehmen, was die Datenschutz-Grundverordnung anbelangt, was das Bundesgebührengesetz anbelangt. Es geht auch darum, in stärkerer Weise Rechtsklarheit zu schaffen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bin der festen Überzeugung: Deutschland hat einen hervorragend aufgestellten Katastrophen- und Bevölkerungsschutz. Das Technische Hilfswerk als Bundesoberbehörde mit seinen 80 000 größtenteils ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern ist eine unverzichtbare und wichtige Säule und ein verlässlicher Partner im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Ich möchte auch betonen, dass gerade in den letzten Jahren sowohl die Bundesregierung als auch insbesondere der Deutsche Bundestag als Haushaltsgesetzgeber enorm viel getan haben, um die zu 99 Prozent ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer im THW zu stärken, was die personelle Ausstattung anbelangt, was die finanzielle Ausstattung anbelangt. Da ist wirklich in den letzten Jahren sehr viel Gutes passiert. Es ist aber auch so, dass wir weiterhin darauf achten müssen, dass wir sowohl in personeller, in finanzieller als auch in rechtlicher Hinsicht unserem THW die bestmöglichen Rahmenbedingungen an die Hand geben, weil die Herausforderungen nicht kleiner, sondern größer werden. Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass Naturkatastrophen eher zunehmen, dass Ereignisse wie Überschwemmungen, Starkregen, Moorbrände, Waldbrände leider infolge des Klimawandels zunehmen, dass uns aber auch andere Herausforderungen in Zukunft mit Sicherheit eher häufiger ins Haus stehen als seltener. Da gehören hybride Gefahren dazu. Natürlich gehört auch der internationale Terrorismus dazu. Vor dem Hintergrund ist es wichtig, dass wir am THW-Gesetz die notwendigen Veränderungen vornehmen. Es geht zum einen darum, dass wir die Freistellungsregelungen etwas liberalisieren. Der Begriff der „Dienste“ wird jetzt an die Stelle der bisherigen Begriffe „Einsätze“ und „Ausbildungsveranstaltungen“ gesetzt. Das wird in Zukunft etwas mehr Flexibilität ermöglichen, insbesondere wenn es darum geht, ein Engagement von THW-Helfern im Ausland zu initiieren. Ich möchte aber auch dazusagen, dass wir selbstverständlich an der bisherigen Praxis festhalten, dass die Freistellung immer im Einklang und in Absprache mit den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern erfolgt. Wir werden beispielsweise jetzt auch im THW-Gesetz festlegen, dass in Zukunft auch Auszubildende insoweit als Arbeitnehmer behandelt werden, als ihnen im Falle einer Freistellung natürlich auch die Arbeitsentgeltfortzahlung zusteht. Diese Änderungen im Bereich der Freistellungspraxis sind aus unserer Sicht ein wichtiger, ein notwendiger Schritt. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass wir als Bundesinnenministerium große Offenheit gegenüber der Stellungnahme des Bundesrates vom 14. Februar zeigen. Der Bundesrat weist zu Recht darauf hin, dass es in der heutigen Zeit für junge Menschen, die sich im THW engagieren, wichtig ist, dass sie auch entsprechende Einsätze haben. Für die Motivation und auch für die Einsatzfähigkeit ist es von unerlässlicher Wichtigkeit, dass auch tatsächlich Einsätze stattfinden. Leider hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass aufgrund der Regelungen zur Kostenerstattung manchmal die normalerweise anfordernden Stellen, vor allem die Gefahrenabwehrbehörden, darauf verzichtet haben, das THW zu rufen und zu engagieren, weil man nicht wusste, ob man am Ende – in Anführungszeichen – auf den Kosten sitzen bleibt. Wir stehen deshalb dem Wunsch des Bundesrates sehr offen gegenüber, dass wir eine deutlich großzügigere Kostenverzichtsregelung ins Gesetz mit aufnehmen. Das THW soll in Zukunft – sowohl bei kleineren Unglücksfällen und Naturkatastrophen als auch bei Großschadenslagen – gegenüber der anfordernden Stelle, der Gefahrenabwehrbehörde, auf die Geltendmachung der mit dem Einsatz verbundenen Kosten verzichten, sofern sich die anfordernde Stelle nicht über einen Dritten schadlos halten kann. ({0}) Ich darf dies schon avisieren: Für den Fall, dass die Stellungnahme des Bundesrates auch in diesem Hohen Haus auf offene Ohren stößt, würden wir als Bundesinnenministerium einer entsprechenden Formulierungshilfe offen gegenüberstehen und würden diese dann auch gerne in die laufenden parlamentarischen Verhandlungen miteinbeziehen. Ich bin der festen Überzeugung: Dieses neue THW-Gesetz stärkt den Bevölkerungsschutz und den Katastrophenschutz in Deutschland und vor allem unser THW. Deshalb bitte ich um konstruktive Verhandlungen im parlamentarischen Bereich. Herzlichen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner ist der Kollege Jochen Haug, AfD-Fraktion. ({0})

Jochen Haug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004739, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland hat ein weltweit einzigartiges System des ehrenamtlich getragenen Bevölkerungsschutzes. Teil dieses Systems ist das Technische Hilfswerk. Mit seinen über 80 000 Freiwilligen steht das THW bei Einsätzen im In- und Ausland zur Verfügung. Es schützt das menschliche Leben, die körperliche Unversehrtheit und bedeutsame Sachgüter. Beim Sturmtief „Sabine“ Anfang Februar waren 1 800 THW-Kräfte im Einsatz. Helfer aus allen THW-Landesverbänden sicherten Dächer, räumten umgestürzte Bäume von Straßen und gewährleisteten die Notstromversorgung. Zwei Wochen später stabilisierten 200 THW-Helfer den Elbdeich in Hamburg-Blankenese und schützten dadurch ein Naturschutzgebiet vor der Überflutung. Aktuell befindet sich eine Erkundungsmission des THW in Samos zur Unterstützung des dortigen Flüchtlingshotspots. Das THW steht außerdem zur Bekämpfung des Coronavirus zur Verfügung. Zwar leistet das THW keine medizinische Hilfe; Einsatzoptionen können aber zum Beispiel Sicherungs- oder Infrastrukturmaßnahmen sein. Die Konzeption des ehrenamtlich getragenen Zivil- und Katastrophenschutzes hat sich bewährt. Das THW genießt sowohl in unserem Land als auch international hohes Ansehen. Die Ehrenamtlichen des THW opfern viele Stunden ihrer Freizeit, um für den Ernstfall gewappnet zu sein und Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Umso mehr bedarf es der Würdigung dieses ehrenamtlichen Engagements. Daher sei an dieser Stelle allen Helfern des THW ausdrücklich gedankt. ({0}) Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Die moderate Ausdehnung der Freistellungsmöglichkeiten für Ehrenamtliche, die Herr Mayer gerade angesprochen hat, unterstützen wir. Durch die Erweiterung der Regelung auf die Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft soll eine lückenlose Einsatzfähigkeit gewährleistet werden. Allerdings hätten wir uns auch eine Änderung der Erstattungsregelungen für weitergewährtes Arbeitsentgelt zugunsten der Arbeitgeber gewünscht. Für die Ehrenamtlichen des THW ist neben der gesellschaftlichen Anerkennung besonders die Akzeptanz und Unterstützung durch die Arbeitgeber bedeutsam. Diese müssen im Einzelfall auf Leistungsträger verzichten. Die Arbeitgeber sollten daher vollständig, das heißt für jede freigestellte Stunde und nicht erst ab einem bestimmten Schwellenwert, entschädigt werden. Zum Abschluss sei gesagt: Diese Novellierung des THW-Gesetzes kann nur ein erster Schritt sein. Krisen und Katastrophen nehmen weltweit zu. Es gibt vielfältige Gefahren wie den internationalen Terrorismus oder die Verletzlichkeit kritischer Infrastrukturen. Das THW als wichtige Ressource für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wird mehr denn je gebraucht. Allerdings zeichnet sich beim THW ein Rückgang der ehrenamtlichen Helfer ab. Insbesondere die Nachwuchszahlen sind rückläufig. ({1}) – Ich habe mir die aktuellen Zahlen heute Nacht extra noch mal angeschaut. In den letzten Jahren gab es einen kontinuierlichen, wenn auch leichten Rückgang. Vor allem ist die Sorge von THW-Verantwortlichen, dass sich das in den nächsten Jahren verstärken könnte. Zudem brach dem THW durch die Aussetzung der Wehrpflicht die beste Nachwuchsgewinnung in Form des Ersatzdienstes weg. Zur Gewinnung von Jugendlichen braucht es daher eine positive bundesweite Imagekampagne. Darüber hinaus sind für das THW eine technisch moderne Ausstattung und eine gute Aus- und Fortbildung unerlässlich. Hier dürfen keine Kosten gescheut werden. Deutschland war im Katastrophenschutz immer ein international anerkanntes Vorbild. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass dies so bleibt. Danke schön. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Hartmann, SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Technische Hilfswerk ist eine einzigartige deutsche Institution, auf die wir zu Recht stolz sein können. Es sind unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in übergroßer Zahl im Ehrenamt tätig sind, die das THW ausmachen. Damit ist das THW überall in Deutschland präsent, und zwar immer dann, wenn es wirklich darauf ankommt. Ob in Bayern Dörfer eingeschneit sind, ob ein Damm zu bersten droht oder wenn schweres Gerät notwendig ist, um etwas zu bergen, zu räumen: Immer wieder rücken die Helferinnen und Helfer des Technischen Hilfswerks aus. Der Schutz der Bevölkerung vor besonderen Gefahren wird großgeschrieben, und wenn sie sich aus eigener Kraft nicht schützen kann, dann sind die Helferinnen und Helfer des Technischen Hilfswerks zur Stelle und unterstützen einen modernen Staat bei dieser wichtigen Aufgabe. Jetzt ist der richtige Moment, allen dafür ganz herzlich zu danken. ({0}) Es ist eine Besonderheit dieser Bundeseinrichtung, dass tatsächlich nur 1 Prozent hauptamtlich tätig ist. 99 Prozent oder 80 000 Helferinnen und Helfer – das kann man nicht wertschätzend genug formulieren – setzen sich ehrenamtlich für Menschen ein. Es ist die höchste Form der gelebten Solidarität, dass Menschen bereit sind, im Einsatz ihre Gesundheit oder auch ihr Leben zu riskieren, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Ich finde, dass diese gelebte Solidarität höchste Anerkennung verdient und uns als Gesetzgeber auch verpflichtet, die nötigen Haushaltsmittel bereitzustellen und gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, wie wir es jetzt mit der Änderung des Technischen-Hilfswerk-Gesetzes tun. ({1}) Wir stärken damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In den Leitsätzen des Technischen Hilfswerks ist formuliert: Wir sind jederzeit bereit, in Deutschland und weltweit zu helfen … Wir bekennen uns zur Demokratie und dulden keine Diskriminierung … Wir setzen uns für die Vielfalt unserer Gesellschaft auch im THW ein … Das sollte man in dieser Debatte allen Fraktionen dieses Hohen Hauses auch sagen. ({2}) Ich glaube aber, dass der Katastrophenschutz in Deutschland vor neuen Herausforderungen steht. Es sind die direkten und indirekten Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel, aber auch einer digitalisierten, total vernetzten Gesellschaft. Mittlerweile sind wir mit Situationen konfrontiert, die so nicht absehbar waren. Wichtig ist, darauf zu reagieren. Eine veränderte Bedrohungslage – der Klimawandel wurde angesprochen – bedeutet aber auch veränderte Rahmenbedingungen für den Zivil- und Katastrophenschutz. In der Konzeption Zivile Verteidigung haben wir auf Bundesebene entsprechende Weichen schon vor einigen Jahren gestellt; wir arbeiten das Stück für Stück ab und sorgen für entsprechende Rahmenbedingungen. Das Technische Hilfswerk stellt sich diesem Wandel. Es sind nicht nur die Rahmenbedingungen, die sich verändert haben; vielmehr müssen wir auch anerkennen, dass sich in unserer Gesellschaft Bedingungen – zu nennen sind hier die Freistellungen oder auch das Zusammenspiel zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern – verändert haben. Hierauf reagieren wir als Gesetzgeber. Ich meine, diese Verantwortung betrifft nicht nur uns im Deutschen Bundestag. Auch Länder und Kommunen können ihren Beitrag dazu leisten, ein gutes Miteinander der Hilfsorganisationen, insbesondere für das Technische Hilfswerk, vor Ort zu organisieren. Denn wenn es darauf ankommt, muss die eine Hand in die andere greifen. Hier wollen wir gemeinsam anpacken. ({3}) Ein weiterer Punkt ist – das wurde angesprochen – die Kostentragungspflicht. In Artikel 35 Grundgesetz ist geregelt, dass der Bund auch zur Unterstützung der Länder tätig wird, wenn es um übergreifende Schadenslagen geht. Wir haben im Haushalt 200 entsprechende Stellen geschaffen und in die Besetzung gebracht. Aber wir können noch mehr tun, nämlich immer dann, wenn sich die Frage stellt: „Wer ist denn der Kostenträger?“, wenn es darum geht: „Wer zahlt nachher?“, wenn es keinen gibt, den man zur Verantwortung ziehen kann. Hier nehmen wir als Koalition Formulierungshilfen gerne an. Ich sage auch klar – der Haushälter nickt –: Herr Kollege Gerster, vielen Dank für die Bereitstellung der Mittel. Ohne die Haushälter ginge es nicht; das wissen wir ja alle hier im Haus. Aber wir müssen, wenn wir das Gesetz geändert haben, diese Mittel auch in den Haushalt einstellen. Ich glaube, da greifen Gesetzgebung und Haushalt gut ineinander. Dann nehmen wir doch die Zusage direkt auf, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Der zweite Punkt ist, dass wir ein anderes Zusammenspiel brauchen, wenn es um die Freistellung geht; hierzu gehört auch die Einführung des Begriffs „Dienste“. Diesen Punkt greift das THW-Gesetz auf. Es geht nämlich nicht nur um die Kostenfrage, sondern auch darum, zu überlegen: Wie kann man diese Arbeitszeiten in einem veränderten Arbeitsumfeld besser abbilden? Es ist wichtig, dass auch Nachbereitungszeiten nach Einsätzen von den Freistellungsansprüchen erfasst werden und nicht zur privaten Freizeit, die die ohnehin kurze Nacht nach dem Einsatz ist, zählen. Ich glaube, dieses Signal können wir als Bundestag geben. Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen. Wir verbessern die Einsatzhäufigkeit. Deswegen brauchen wir die Freistellungsmöglichkeiten und die Regelung zur Kostentragungspflicht. Wir können als Bundestag, glaube ich, in großem Einvernehmen zwischen allen Fraktionen dieses Gesetz relativ zügig im Innenausschuss beraten. Ich glaube, das wäre ein gutes Signal an die Helferinnen und Helfer dahin gehend: Wir sehen euch. Wir hören genau zu, was ihr an Anforderungen an uns stellt. Wir nehmen auch gesellschaftliche Trends auf. Wir machen euch stark, damit ihr uns im Zweifel schützt, in einer Krise, in einer Katastrophe, wenn das Technische Hilfswerk kommt. Zur Anerkennung gehört auch, dass wir diese Maßnahmen nun ergreifen. Das wollen wir mit der Reform des THW-Gesetzes tun. Herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hartmann. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Sandra Bubendorfer-Licht, FDP-Fraktion. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den hohen Stellenwert des THW für das reibungslose Funktionieren unseres Zusammenlebens haben wir alle vor ein paar Wochen wieder vor Augen geführt bekommen. Als uns das Sturmtief „Sabine“ noch in Atem hielt, sorgten bereits mehr als 1 400 THW-Helferinnen und -Helfer für die Bekämpfung der Auswirkungen: nicht nur mit der Beratung von Einsatzleitungen oder der Räumung von Straßen, sondern vor allem mit bedingungslosem Einsatz und Zusammenhalt. Zahlreiche Lagen – teils weltweit – zeigen deutlich die Unverzichtbarkeit dieses Engagements. Die Bedeutung ehrenamtlichen Einsatzes tritt fatalerweise zu oft hinter die Brisanz der Katastrophen zurück. Was dann nur bleibt, ist die erfolgreiche Bewältigung als Ergebnis. Was aber fehlt, ist der Blick dafür, dass dieses Ergebnis ohne die Aufopferung der Helferinnen und Helfer unmöglich gewesen wäre. ({0}) Daraus erwächst eine Verantwortung für uns, die Verantwortung, dem Ehrenamt umfassende Unterstützung entgegenzubringen. Ich verstehe das als Ausdruck eines Mindestmaßes anerkennender und aufblickender Würdigung. Nahezu jeder Mitarbeiter des THW – 99 Prozent – fungiert im Ehrenamt. Wir als Freie Demokraten unterstützen die neuen Regelungen im THW-Gesetz selbstverständlich. Die Neuerungen erfolgen nicht nur zum Zwecke der Effektivitätssteigerung, sondern sie sind vor allem Ausdruck des dringenden politischen Wunsches, das ehrenamtliche Engagement noch attraktiver zu gestalten. ({1}) Und das funktioniert nur über Rahmenbedingungen. Diese müssen so attraktiv sein, dass aus der hohen Motivation keine Frustration wird. ({2}) Einzig einen Punkt des Bedenkens will ich aufführen. Dass nun das Wort „Dienste“ für die Freistellungsvoraussetzungen maßgeblich sein wird, birgt leider auch die Gefahr des Missbrauchs. Die Auslegung dieses juristisch unbestimmten Begriffs muss verantwortungsbewusst erfolgen. Die Freistellung von Facharbeitern in kleineren Betrieben, wie dem Tischlereibetrieb von nebenan, bedeutet oft keineswegs unerhebliche Einschränkungen des laufenden Geschäfts. Es muss daher auch eine enge Abstimmung mit den Arbeitgebern erfolgen – im Sinne der Gesellschaft und zum Wohle aller. Bei einem gewissenhaften Umgang ist die Neuregelung ein Gewinn für das Ehrenamt. Sie ist ein deutliches Zeichen der Anerkennung, ({3}) und zwar für eine Arbeit, die zu oft ohne die gebührende Wertschätzung in der Öffentlichkeit für uns alle geleistet wird. Ich bedanke mich persönlich und im Namen meiner Fraktion in diesem Zusammenhang ganz besonders bei allen Mitarbeitern des THW, aber auch bei allen ehrenamtlich Engagierten dieses Landes. Ich freue mich, sie auch weiterhin mit starker Stimme in diesem Hause zu unterstützen. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Bubendorfer-Licht. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Bekämpfung von Katastrophen und großen Unglücksfällen kommt dem Technischen Hilfswerk, THW, eine ganz zentrale Rolle zu. Sei es bei Überschwemmungen, Explosionen oder Bränden – das THW erfüllt seinen gesetzlichen Auftrag, Menschen in Notfällen zur Seite zu stehen, insbesondere im Inland, aber auch bei internationalen Einsätzen. Schon in rund 130 Ländern war das THW zur Stelle, wo die Not am größten war. Auch für meine Fraktion, Die Linke, sage ich: Dafür gebührt den rund 80 000 Helferinnen und Helfern in den blauen Schutzanzügen, von denen der weit überwiegende Teil ehrenamtlich tätig ist, unser aller Dank und unsere besondere Wertschätzung. ({0}) Diese wirkungsvolle Hilfe des THW wäre ohne das großartige Engagement dieser Menschen, die viele Stunden ihrer Freizeit opfern, die auf Zeit mit ihren Familien und Freunden verzichten, schlichtweg undenkbar. Um diese Hilfe leisten zu können, sind aber nicht selten auch Freistellungen von der Arbeit erforderlich. Und obwohl viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Verständnis für diese ehrenamtliche Tätigkeit ihrer Beschäftigten haben und deren Engagement durchaus unterstützen, kommt es leider doch immer wieder zu Konflikten, wenn Einsätze für das Technische Hilfswerk mit betrieblichen Interessen nicht oder nur schwer in Einklang zu bringen sind. Daher ist es richtig und, wie ich finde, auch notwendig, dass mit diesem Gesetz die Regelungen für die Freistellung von der Arbeit ausgeweitet werden sollen. Diesen Punkt unterstützt meine Fraktion ganz ausdrücklich. ({1}) Ich denke, dass diese Regelung zu deutlich mehr Rechtssicherheit bei den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die ja immerhin gut 98 Prozent des THW-Personals stellen, aber eben auch auf der Arbeitgeberseite beitragen kann. Ein anderer, seit Jahren umstrittener Punkt bleibt im Gesetzentwurf bislang weiter ungeklärt. Ich meine die Frage der Kostenabrechnung, wenn durch das THW Amtshilfe in Kommunen geleistet wird. Hier hätte ich mir endlich eine Regelung gewünscht, die dem THW mehr Möglichkeiten einräumt, gegenüber den Kommunen in weit größerem Maße auf die Inrechnungstellung von Einsatzkosten zu verzichten. Hier hat die Bundesregierung die entsprechende Empfehlung des Bundesrates leider nicht aufgegriffen. Das wollen wir ändern. Ankündigungen alleine, Herr Staatssekretär Mayer, reichen nicht. Wir wollen, dass dort gehandelt wird. ({2}) Eine solche klare Regelung zu einem möglichen Kostenverzicht, insbesondere in den Fällen, in denen die örtliche Behörde, die die Hilfe des THW angefordert hat, die entstandenen Kosten eben nicht weitergeben kann, etwa weil ein Drittschuldner fehlt, würde es Feuerwehr oder Polizei und nicht zuletzt den Kommunen erlauben, die finanziellen Risiken besser einzuschätzen, wenn sie das THW um Unterstützung bitten. Über eines sind wir uns doch hoffentlich alle einig: Feuerwehr oder Kommunen dürfen in Notfällen nicht allein wegen eines möglichen Kostenrisikos davor zurückschrecken, das THW einzuschalten, obwohl dort vielleicht die dringend benötigte Technik und jene Gerätschaften vorhanden sind, mit denen sich eine Gefahrensituation schneller und effektiver bewältigen lässt. Deshalb sollte es unser gemeinsames Ziel sein, im weiteren Gesetzgebungsverfahren in diesem Punkt endlich eine Lösung zu finden. Herzlichen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gesellschaftliche Veränderungen und der demografische Wandel treffen auf die starke Zunahme klimabedingter Extremwetterereignisse und setzen unser föderales Hilfeleistungssystem und auch das Ehrenamt massiv unter Druck. Das Technische Hilfswerk mit seinen rund 80 000 Mitgliedern leistet unter diesen schwierigen Bedingungen einen hervorragenden Job. Daher möchte ich mich ausdrücklich bei den vielen Einsatzkräften des THW für den Dienst bedanken, den sie für unsere Gesellschaft leisten. ({0}) Besonders freut mich, dass der Anteil von Frauen im THW in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert werden konnte. Auch bei der Integration von Geflüchteten leistet das THW eine wirklich hervorragende Arbeit. Deshalb ist es gut, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vor allem die Freiwilligen gestärkt werden und zum Beispiel Verbesserungen bei der Freistellung von Helfern geschaffen werden. ({1}) Allerdings gibt es gerade bei der Stärkung des Ehrenamts im Bevölkerungsschutz noch viel zu tun. Deshalb wäre es sehr gut, Herr Mayer, wenn das angekündigte Ehrenamtsstärkungsgesetz zügig auf den Tisch käme. Die Hervorhebung der Bedeutung der Auslandseinsätze hier im Gesetzentwurf ist selbstverständlich richtig. Wir hoffen, dass damit eine Stärkung des europäischen Katastrophenschutzes einhergeht. Auch die Aktualisierung des Fähigkeitsprofils im THW war lange überfällig; denn die Leistungen des THW sind in unserer föderalen Struktur enorm wichtig, um schwierige Lagen auch wirklich optimal bewältigen zu können. Damit ist das THW übrigens ein Musterbeispiel dafür, wie Bundeseinrichtungen das föderale System stärken können. Erinnern wir uns an die Hochwasserlagen, an Wald- und Vegetationsbrände und an das Schneechaos in Süddeutschland vor gut zwölf Monaten. Ohne die Unterstützung des THW, aber auch der Bundeswehr und der Bundespolizei wären solche Katastrophen nicht zu bewältigen. Dazu kommt, dass Angehörige der Feuerwehren und auch der anderen Hilfsorganisationen teils aus anderen Bundesländern zu den Ortskräften hinzugezogen werden müssen. Dieses Aufwachsen der Kräfte im Katastrophenschutz ist richtig. Aber leider zeigen solche besonderen Lagen eben auch, dass wir jedes Mal wieder neu beginnen, das Boot zu zimmern, während wir bereits lossegeln. So entstehen im Einsatz oft Reibungsverluste, die letztlich zulasten der Freiwilligen vor Ort gehen. Das müssen wir auf jeden Fall verhindern. ({2}) Der Bund muss dafür sorgen, dass Ressourcen und Spezialfähigkeiten bei länderübergreifenden Lagen optimal gesteuert werden und ineinandergreifen. Daher müssen wir neben der notwendigen Debatte über dieses Gesetz auch die Debatte darüber führen, wie wir zum Beispiel das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stärken können, damit diese Aufgabe auf jeden Fall noch besser erfüllt werden kann. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Mihalic. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Marian Wendt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag, ein guter Tag für die 80 000 Helfer und Helferinnen des Technischen Hilfswerkes. Heute novellieren wir das THW-Gesetz. Zunächst einen ganz besonderen Dank und einen ganz besonderen Gruß an eine Delegation des Technischen Hilfswerkes, die auf der Plenarsaaltribüne Platz genommen hat und die Debatte stellvertretend für alle Helferinnen und Helfer aus Deutschland verfolgt. ({0}) Grüßen Sie die THW-Familie ganz herzlich vom gesamten Haus. Das THW ist nicht mehr das THW von vor 30, 40 Jahren. Die Bedrohung ist nicht mehr ein Kalter Krieg, ein Szenario der eingestürzten Häuser. Nein, das THW ist mittlerweile weltweit im Einsatz. Unterstützung bei der örtlichen Gefahrenabwehr, Bekämpfung von Cyberangriffen, Überwindung von Problemfällen bei Stromausfällen, Flut, Sturm, schnell abfließende Gewässer, Migrationslagen, Stärkung von Katastrophenschutzbehörden in anderen Ländern, Ausbildung von Helferinnen und Helfern, zum Beispiel in den Maghreb-Staaten und im Nahen Osten – all das sind die neuen Aufgaben des Technischen Hilfswerkes. Wir als Deutscher Bundestag sind bereits auf einem guten Weg. Wir haben gemeinsam in den letzten Jahren unter Führung des Innenministers Horst Seehofer das THW gestärkt. 2016 hat der Deutsche Bundestag dem THW 225 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. In diesem Jahr sind es 314 Millionen Euro. Das ist eine Steigerung von 40 Prozent des THW-Haushaltes, um all den neuen Aufgaben gerecht zu werden. Ich sage ganz selbstbewusst: Das ist auch ein Verdienst des Parlaments; denn wir – Kollege Martin Gerster, mein Vizepräsident in der THW-Bundesvereinigung, und auch unser Kollege Gröhler – haben sehr oft in den letzten Stunden der Haushaltsdebatten diese Erhöhungen mit hineinverhandelt. Deswegen ist das THW auch ein Stück weit eine Behörde unseres Deutschen Bundestages, des Parlaments. ({1}) Wir haben in den letzten Jahren die finanziellen Ressourcen gestärkt. Wir haben die Gebäudeprogramme aufgelegt. Wir haben das Fahrzeugprogramm aufgelegt. Wir gehen an die Überarbeitung der Einsatzausrüstung mit den neuen Einsatzanzügen heran. Letztlich wird auch das THW-Gesetz novelliert. Der Entwurf aus dem Bundesinnenministerium, den unser Kollege Stephan Mayer als Staatssekretär vorgestellt hat, ist ein guter Vorschlag. Er beinhaltet insbesondere die Neuorientierung des Begriffs „Dienste“, der hier bereits ausgeführt wurde. Es ist klar, dass auch die Vor- und Nachbereitung eines Einsatzes zum Dienst gehört, dass auch besondere Ausbildungsszenarien zu den Diensten gehören. Ich kann Ihnen, auch der Fraktion der FDP, versichern, dass mit der Definition des Begriffes „Dienste“ vonseiten des THW sehr verantwortungsvoll umgegangen wird. Nicht jedes Treffen von THW-Mitgliedern ist gleich ein Dienst. Dort, wo es notwendig ist, haben wir eine Klarstellung. So ist es richtig und wichtig, dass die Unternehmen unterstützt werden, die die Helferinnen und Helfer freiwillig entsenden. Aber es ist auch klar: Hier muss ein Dienst ein Dienst sein. Dafür ist die Freistellung und auch die Entschädigung bei den Lohnkosten möglich. Ein weiterer Punkt ist – das haben die Kolleginnen und Kollegen bereits angesprochen – das Thema Kosten. Meine Damen und Herren, ich habe es nie verstanden, warum eine vom Steuerzahler finanzierte Behörde einer anderen vom Steuerzahler finanzierten Behörde Rechnungen schreibt und dazwischen ein gewisser Apparat bedient wird, der das verwalten muss, der eine Rechnung schreiben muss und eine Kasse betreiben muss. Das versteht draußen niemand, insbesondere wenn es darum geht, die Sicherheitsarchitektur zu stärken und die zur Verfügung stehenden Mittel, die wir beim THW haben, besser in den Einsatz zu bringen. Dieses Thema wollen wir jetzt gemeinsam in den Beratungen angehen. Ich freue mich auf die zugesagte Unterstützung. Wenn wir das zügig durchführen, können wir dem THW insgesamt helfen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gemeinsam wollen wir das unter dem Motto tun, das der Leitspruch der THW-Bundesvereinigung ist, die ich heute ein Stück weit repräsentieren darf: Wir helfen denen, die helfen. – In dem Sinne: Gute Beratung! Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Christoph Bernstiel, ebenfalls CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christoph Bernstiel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Liebe Vertreter des THW! Als letzter Redner dieser Debatte freut es mich natürlich außerordentlich, feststellen zu können, dass alle Fraktionen den Einsatz des THW gelobt haben und hier im Plenum Einigkeit darüber herrscht, dass das THW auf einem richtigen Weg ist und dass dieses Gesetz, das wir jetzt einbringen, gut ist. Das THW hat im letzten Jahr – der Kollege von Notz hat mich gebeten, etwas Neues hinzuzufügen – ({0}) über 700 000 Ehreneinsatzstunden abgeleistet. Das zeigt, dass das THW nicht nur eine wichtige Behörde ist, sondern elementar in der Mitte unserer Gesellschaft und in unserer Sicherheitsarchitektur angekommen ist. Das ist gut. ({1}) Im Volksmund sagt man: Wenn nichts mehr geht, dann kommt das THW. – Leider müssen wir aufgrund veränderter Einsatzbedingungen – meine Vorredner haben darauf hingewiesen – mehr und mehr feststellen, dass wir das THW brauchen: ob es Stürme sind, ob es Hochwasser ist, wie zuletzt 2013, oder ob es andere Katastrophen sind. Auch im Ausland ist das THW sehr aktiv. Ich nenne das Erdbeben in Albanien. Wir haben im Irak, in Tunesien, in Mosambik, in Nepal und auch in Indonesien unterstützt. Es zeigt: Diese Bundesbehörde ist ein wirkliches Erfolgsmodell, und es lohnt sich jeder Euro, den wir dort investieren. ({2}) Auch im Zivilen wird das THW immer wichtiger. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir haben das größte Volksfest in Mitteldeutschland. Das ist das Laternenfest. Dort stellt das THW die komplette Einsatzzentrale für die zivilen und nichtzivilen Einsatzkräfte, die dieses Fest mit über 220 000 Besuchern absichern. Hinzu kommt noch Technik wie Licht und auch Wärmestuben. Dafür möchte ich insbesondere den Kameradinnen und Kameraden des THW Halle meinen herzlichen Dank an dieser Stelle ausrichten. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, drei Minuten sind nicht viel Redezeit. Deshalb möchte ich mich auf das Wesentliche konzentrieren und denjenigen einen Dank aussprechen, die in dieser Debatte nicht erwähnt wurden. Das sind nämlich die Arbeitgeber, die maßgeblich dazu beitragen, die vielen Kameradinnen und Kameraden freizustellen, die es ihnen so einfach wie möglich machen und die Rahmenbedingung schaffen, dass dieses wichtige Ehrenamt vollzogen werden kann. Herzlichen Dank an die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber! ({4}) Wir bringen jetzt das THW-Gesetz in die Beratungen ein. Damit gehen wir einen wichtigen Schritt. Wir können aber auch noch etwas mehr für das THW tun, wenn es zum Beispiel um die Entlastungen in den Organisationsstrukturen oder den Neubau von Liegenschaften geht. Hier haben wir auch eine wunderbare Bundeseinrichtung, die BImA. Ich rufe Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf, auch dort einzuwirken, wenn es darum geht, THW-Liegenschaften zu modernisieren, damit das nicht Jahre oder Jahrzehnte dauert. Wir haben noch etwas vor uns. Ich freue mich auf die Debatte mit Ihnen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Aussprache.

Sabine Weiss (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004187

Schönen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In Deutschland gibt es Organisationen, die immer noch die Überzeugung verbreiten, andere sexuelle Orientierungen, zum Beispiel Homo- oder Bisexualität, auch abweichende Geschlechtsidentitäten, seien eine Krankheit und bedürften einer Behandlung. Diese Organisationen bieten Konversionsbehandlungen an mit dem Ziel, die sexuelle Orientierung oder die selbstempfundene Geschlechtsidentität zu verändern oder gar zu unterdrücken. Schon der oft verwendete Begriff „Konversionstherapie“ führt dabei allerdings in die Irre; denn Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sind keine Krankheiten. ({0}) Die Konversionsbehandlungen sind deshalb schwerwiegende Eingriffe. Sie therapieren nicht, sie gefährden die Gesundheit der Betroffenen, sie können schwerwiegende Schäden und seelisches Leid verursachen: Depressionen, Ängste, Verlust sexueller Gefühle bis hin zu Suizidabsichten. Der Weltärztebund hat Konversionsbehandlungen aus diesem Grund schon vor einigen Jahren, im Jahr 2013, als Menschenrechtsverletzung verurteilt und befindet sie als unvereinbar mit der Ethik ärztlichen Handelns. ({1}) Wissenschaftliche und psychotherapeutische Verbände warnen sogar vor den negativen Auswirkungen. Es herrscht politischer Konsens, dass wir gesetzlich handeln müssen. Ein Verbot rechtlich zu regeln, war nicht einfach. Deshalb haben wir den Gesetzentwurf sorgfältig vorbereitet. Minister Spahn hat eine Fachkommission eingerichtet, um alle Aspekte zu erörtern: medizinische, rechtliche, gesellschaftspolitische und religiös-weltanschauliche. Einbezogen waren unter anderem Kirchenvertreter und, für das Verstehen ganz wichtig, von solchen Konversionsversuchen Betroffene. Ihre Erfahrungsberichte haben uns die Risiken verdeutlicht, etwa dass es am Anfang unter Umständen gar nicht bemerkbar ist, wenn man in eine Konversionsbehandlung geraten ist, und dass man sich daraus oft nur unter größten Schwierigkeiten befreien konnte. Als Schlussfolgerung dieser Erkenntnisse bringen wir den vorliegenden Gesetzentwurf ein. Er bündelt Regelungen, mit denen Konversionsbehandlungen verhindert werden sollen. Konkret geht es um Verbotsnormen, Straf- und Bußgeldregelungen sowie einen Beratungsanspruch für betroffene und andere Personen. Meine Damen und Herren, wir senden mit diesem Gesetz ein wichtiges Signal gegen Vorurteile und Diskriminierungen in die Gesellschaft: Jeder Mensch ist einzigartig, und jeder Mensch soll sich in seiner Individualität willkommen fühlen. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Robby Schlund, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Robby Schlund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004875, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Konversion, lateinisch „conversio“, bedeutet so viel wie Umkehr. Genau um Umkehr geht es bei einer sexuellen Umorientierungstherapie, auch Homoheilung genannt. Rund 7,4 Prozent der Deutschen sind nicht heterosexuell, wobei die Dunkelziffer unbekannt ist. Homosexualität zum Beispiel ist infolge wissenschaftlichen Disputes aus der Liste der Krankheiten entfernt wurden. ({0}) Homosexualität ist vielmehr eine sexuelle Orientierung, zu Recht; denn Homosexualität ist keine Krankheit, und was keine Krankheit ist, das kann man auch nicht heilen. Homotherapien sind also weder zeitgemäß noch hilfreich. Schon heute werden Konversionstherapien strafrechtlich verfolgt und durch verschiedene Arzt- und Psychotherapeutenverbände verboten. Unsere Fraktion sieht somit die aktuell bestehende Rechtslage als ausreichend an. Dort, wo eine Regelung sinnvoll wäre, nämlich bei Kindern und Jugendlichen, fehlen wichtige Impulse; denn Minderjährige sind weiterhin eben nur bedingt geschützt. Im Grunde genommen ist Ihr Gesetzentwurf, Herr Spahn – er ist gar nicht da –, ein Schaufensterantrag, der vor allem eines ist: ideologisch geprägt. Das sieht man darin, dass Trans- und Homosexualität in einen Topf geworfen wird. Dadurch entsteht noch mehr Verwirrung unter den Bürgern dieses Landes, vor allem unter den 90 Prozent, die heterosexuell sind; denn Transsexuelle zum Beispiel wünschen entsprechende Behandlungen wie Operationen und Hormonbehandlungen. Schauen wir auf ein weiteres Problem: das öffentliche Werbeverbot, das Sie fordern. Ja, da gehen wir gerne mit. Doch dann sollten wir auch konsequent für ein Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche plädieren. Es kann ja von einigen hier im Hohen Hause gar nicht laut genug geschrien werden, wenn es um die Auslöschung werdenden menschlichen Lebens geht. Was ist das für eine Doppelzüngigkeit, meine Kollegen! ({1}) Für unsere Fraktion steht der Erhalt des Lebens, natürlich mit dem gesellschaftserhaltenden und fruchtbaren Leitbild der traditionellen Familie mit Mama und Papa und deren Kindern, im Vordergrund. ({2}) Dennoch: Es sollte jeder mit seiner sexuellen Orientierung glücklich werden. Aber statt Überregulierungen und öffentliches Zurschaustellen muss mit der Sexualität eines jeden Menschen viel ehrlicher, sensibler und vor allen Dingen intimer umgegangen werden. ({3}) Denn Intimität ist, wie der Name schon sagt, etwas zutiefst Privates, und dort gehört sie auch hin. Wir finden, dass die aktuelle gesetzliche Rechtslage vollkommen ausreichend ist und der Gesetzentwurf zu stark ideologisch und populistisch geprägt ist. Die AfD-Fraktion wird sich enthalten. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis, SPD-Fraktion. ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es gleich am Anfang: Es geht nicht um sexuelle Störungen wie Pädophilie oder Exhibitionismus. Es geht nicht um Hormonbehandlungen bei Geschlechtsumwandlungen. Es geht um Menschen im jugendlichen Alter, denen man es zumuten will, dass sie ihre eigene individuelle Sexualität nicht leben dürfen. Darum geht es. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben; denn – auch das ist klar – es geht nicht um eine Krankheit, sondern um ein selbstbestimmtes Leben für Jugendliche, junge Menschen und Kinder. Mir geht der vorliegende Gesetzentwurf in diesem Zusammenhang nicht weit genug. Ich hätte gerne auch ein Verbot von Konversionsbehandlungen von Erwachsenen. Wir werden im Laufe der Debatte sehen, ob wir eine Nachschärfung hinbekommen. Ich finde es gut und richtig, dass wir als zweites EU-Land die Konversionsbehandlungen – ich sage ganz bewusst: wir haben es mit Behandlungen und nicht mit Therapie zu tun – verbieten wollen. ({0}) Das ist zum Schutz von Kindern und Jugendlichen ganz wichtig. Damit verbunden ist ein Werbeverbot, öffentlich und nichtöffentlich, weil es hinter den Kulissen – machen wir uns nichts vor – oftmals die sozial am nächsten stehenden Personen sind, die mit einem Kind, das offensichtlich nicht in das Schema „Junge/Mädchen“ passt, nicht umgehen können. Dann werden oftmals Behandlungen erwogen, die unter anderem tiefe Depressionen auslösen können. Untersuchungen aus den USA, aus Italien und auch aus anderen Ländern haben ergeben, dass die Selbstmordrate bei Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung sehr viel höher ist. Von daher finde ich es gut, dass wir uns auf den Weg begeben und unsere eigene Verantwortung wahrnehmen, die uns schon das Grundgesetz mit auf den Weg gibt. Dort heißt es, dass wir allen, egal welcher Neigung, welcher Sexualität, die gleiche Würde zukommen lassen müssen. Das ist der Punkt, der uns antreibt. Das mit anderen werteorientierten Themen zu verbinden, zum Beispiel mit Schwangerschaftsabbrüchen, verbietet sich an dieser Stelle. ({1}) Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, eine entsprechende Regelung zu beschließen und viele gesellschaftliche Gruppen aufzufordern, sich gemeinsam mit uns auf den Weg zu machen: die Kirchen – ich nenne explizit die katholische und die evangelische Kirche –, die Muslimverbände und andere. Das ist uns ein wichtiges Anliegen. Wir begrüßen das Gesetzesvorhaben. Wir verwahren uns dagegen, es mit anderen, kruden Dingen zu vermischen. Es geht darum, Kindern und Jugendlichen den Weg in ein selbstbestimmtes, selbstorientiertes Leben zu ermöglichen und zu erleichtern und nicht mit überholten Vorstellungen zu begleiten. Darum geht es, und dafür sollten wir uns alle einsetzen. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Mattheis. – Als Nächster erhält das Wort der Kollege Dr. Jens Brandenburg, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Jens Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sogenannte Konversionsbehandlungen sind das Experiment, Menschen hinsichtlich ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität umzupolen. Dieses Grauen reicht vom Missbrauch von Vertrauensverhältnissen über pseudotherapeutische Diagnosen und gesellschaftliche Isolation bis hin zu Elektroschocks und angeblichen Dämonenaustreibungen. Das klingt jetzt nach Mittelalter, ist aber auch in Deutschland immer noch traurige Realität. Oftmals religiöse Fanatiker bläuen ihren Opfern ein, ihre geschlechtliche oder sexuelle Identität, ihre Gefühle seien abnormal und minderwertig. Das ist nicht nur grob falsch, sondern auch gefährlich. Sie treiben viele Opfer damit in tiefe Depressionen und allzu oft auch in den Suizid. Umpolungsversuche sind keine Therapien. ({0}) Sie sind schwerste Eingriffe in die persönliche Selbstbestimmung. Was keine Krankheit ist, kann man auch nicht heilen. Das einzig Kranke an diesen Versuchen ist die zwanghafte Vorstellung der Täter, Homosexualität müsse man behandeln. Es ist höchste Zeit, dass diese menschenverachtenden Versuche endlich klipp und klar verboten werden. ({1}) Ein gesetzliches Verbot allein wird aber nicht ausreichen. Die Bundesregierung hat auf Anfrage der Freien Demokraten noch im vergangenen Herbst selbst eingeräumt, dass es bisher keine festinstallierten Verfahren oder Meldestellen gebe, um die Anbieter solcher Konversionsbehandlungen überhaupt zu identifizieren. Der Staat hat eine besondere Verantwortung, vor allem junge Menschen in einer Phase enormer Selbstzweifel vor solchen Fanatikern zu schützen. Was nützt denn ein Verbot, wenn es in der Praxis kaum durchgesetzt werden kann? Die Täter dürfen nicht straffrei davonkommen. Die Umsetzung des Verbots sollte jetzt im Fokus sein. ({2}) Die schlimmsten Ausprägungen homo- und transfeindlicher Fantasien mag man damit ja verhindern. Das wäre gut. Das eigentliche Problem steckt aber viel tiefer. Gesellschaftliche Vorurteile, plumpe Ressentiments und einen regelrechten Hass auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt erleben wir ja auch hier im Parlament. Herr Schlund hat ja eben hier versucht, wie ein Wolf im Schafspelz, durchaus moderate Töne anzuschlagen; aber ich erinnere mal an die Äußerungen vieler AfD-Kollegen hier im Parlament, die beispielsweise erst vor wenigen Wochen Homosexuelle in parlamentarischen Sitzungen als Randgruppe der Gesellschaft beschimpft haben, die wirre Homoheiler als Sachverständige benennen oder auch die Öffnung der Ehe in Zusammenhang bringen mit einem angeblich nahenden Volkstod oder als Vorboten einer degenerativen Geisteskrankheit bezeichnen. ({3}) Gegen so viel Dummheit hilft nur Aufklärung. ({4}) Befähigen wir schon unsere Kinder und Jugendlichen mit einer altersgerechten Sexualaufklärung an allen Schulen zu selbstbestimmten Entscheidungen. Unterstützen wir Erzieherinnen und Lehrkräfte bei dieser Aufgabe mit gutem Informationsmaterial, und stärken wir junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Schaffen wir ein Bewusstsein für die Vielfalt des Lebens. Wir Freie Demokraten wollen eine vielfältige Gesellschaft, und die werden wir mit aller Kraft verteidigen – gegen hasserfüllte Quacksalber, gegen selbsternannte Homoheiler und auch gegen Ihren Fanatismus. Diese Freiheit lassen wir uns von Ihnen nicht nehmen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Doris Achelwilm, Fraktion Die Linke. ({0})

Doris Achelwilm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004651, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen hier über ein Thema, das sehr viele Namen hat: Konversionsbehandlung, Reparativtherapie, Umpolungsversuch und Homoheilung. All diese Begriffe stehen für völlig unhaltbare Methoden von Pseudotherapeuten und Glaubenseinrichtungen, oft evangelikaler Prägung. Ihre selbsterklärte Aufgabe ist es, Homosexualität als Krankheit zu brandmarken und hilfesuchenden Menschen schädliche Gespräche und drastischere Maßnahmen zur Anpassung aufzudrängen. Es ist überfällig, diesem Spuk ein Ende zu bereiten, und ja, das sollte möglichst umfassend passieren. ({0}) Homo-, Bi- oder Transsexualität ist genauso wenig eine Krankheit wie Heterosexualität. Das wissen nicht alle. Es ist absolut perfide, wenn auf bestimmten christlichen Festivals, in kleinen Gemeinden, speziellen Jugendprojekten, vernetzten Beratungspraxen mehr oder weniger versteckt Angebote mitlaufen, die gegen Homo- oder Transsexualität missionieren, und wenn mit Akzeptanznöten ein Geschäft betrieben wird. ({1}) Aber es findet statt, und das steht nicht unbedingt im krassen Widerspruch zum Aufklärungsgrad der Gesellschaft; denn Schwule, Lesben, Trans-, Inter- und Bisexuelle erleben überdurchschnittlich häufig Diskriminierung und Gewalt, werden von Familien ausgegrenzt, an Schulen und im Internet gemobbt. Sogenannte Konversionsbehandlungen gehören zu diesem Gewaltspektrum, während sie vorgeben, irgendwas zu heilen. Solche Strukturen des Hasses und der Menschenrechtsverletzungen müssen ab sofort geschlossen werden. ({2}) Der Entwurf eines Schutzgesetzes, der nun vorliegt, ist in diesem Sinne ein glasklarer Fortschritt. Zu loben ist die breite Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Verbänden und direkt Betroffenen in der von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung organisierten Kommission. Was zu wünschen übrig lässt, ist die bislang nur sehr teilweise Umsetzung unserer Erkenntnisse. Dass das Gesetz nur Personen unter 18 Jahren schützen soll, halten wir als Linke für unzureichend. Auch Bundesrat und Verbände wie LSVD und Paritätischer Wohlfahrtsverband haben sich für eine Schutzaltersgrenze, mindestens bis zum Alter von 26 Jahren, ausgesprochen; denn Coming-out-Prozesse hören ja nicht mit 18 Jahren auf; auch junge Volljährige sind oft noch von ihren Eltern abhängig und gehören geschützt. ({3}) Apropos Eltern: Dass es Erziehungsberechtigten weiter gestattet sein soll, für ihre Kinder auf Pseudotherapien zurückzugreifen, ist schwer zu akzeptieren. Das gehört auf den Prüfstand. So müssen etwa Trägern der Jugendhilfe bei Verstößen gegen das Schutzgesetz Gemeinnützigkeit und öffentliche Mittel entzogen werden. Es darf keine legalen Möglichkeiten der Abrechnung von Pseudotherapien mit Krankenkassen geben. Und es braucht Öffentlichkeitsarbeit, um zu sensibilisieren und Akzeptanz zu fördern. Nach der guten Zusammenarbeit in der Kommission gehe ich ganz stark davon aus, dass wir über die Ausschussarbeit noch weiterkommen werden. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Achelwilm. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielfalt in unserer Gesellschaft ist eine Errungenschaft, an der wir unermüdlich arbeiten müssen. Ich begrüße, dass die Bundesregierung sieben Jahre nach dem ersten grünen Gesetzentwurf nun ein Verbot von Konversionsbehandlungen vorlegt. Für Menschen, die unter den menschenverachtenden Praktiken dieser Pseudotherapien leiden, setzt der Staat damit ein klares Signal: Lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Menschen werden vor Personen, Organisationen und Glaubensgemeinschaften geschützt, die sie gewaltvoll „normieren“ wollen und als krank deklarieren. ({0}) Aber ein Verbot muss konsequent sein, ohne Ausnahme. Es muss im vollen Bewusstsein darüber erlassen werden, wie diese Behandlungen funktionieren und wer die besonders schutzwürdigen Gruppen sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind in erster Linie junge Menschen. Ihr Umfeld bringt ihnen bei, dass jede Abweichung von einer konstruierten Normalität falsch ist. Menschen, denen sie vertrauen, reden ihnen beispielsweise ein, dass ihre sexuelle Identität Sünde ist, Teufelszeug, eine Gefahr für andere. Junge Menschen sind nicht nur auf ihre Erziehungsberechtigten angewiesen; auch deren Werte und Weltanschauungen haben großen Einfluss auf das Wohl und Selbstbild ihrer Schutzbefohlenen. Genau diese vertrauten Menschen sind doch diejenigen, die den größten Druck ausüben können. Und deshalb sind die Ausnahmeregelungen im aktuellen Entwurf der Regierung fatal. So können Erziehungsberechtigte weiterhin ohne Folgen Konversionsbehandlungen durchführen. Bereits jetzt finden viele dieser gefährlichen Behandlungen im privaten Bereich statt und entziehen sich so der gesellschaftlichen und der öffentlichen Kontrolle. Fakt ist aber: Diese Pseudotherapien führen im schlimmsten Fall sogar dazu, dass Betroffene sich aus Verzweiflung das Leben nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darum muss der Staat hier besonders klare Orientierungspunkte für die Betroffenen schaffen: Kein Mensch darf die Selbstbestimmtheit eines anderen infrage stellen oder sogar bedrohen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Gesetzes muss ein wirksames Werbeverbot sein; ({1}) denn es gibt Menschen, die aus eigener Motivation heraus und mit großer Hoffnung eine Konversionsbehandlung beginnen. Das ist wenig verwunderlich: Wenn Menschen jahrelang erklärt wird, dass sie krank sind, dann suchen sie nach Erlösung. Sie schöpfen Hoffnung in vermeintlichen Hilfsangeboten. Schädlich bleiben diese trotzdem. Der aktuelle Entwurf der Koalition erlaubt das sogenannte „nichtöffentliche Werben, Anbieten und Vermitteln von Konversionsbehandlungen“. Das ist vage und lädt aktiv zur Umgehung ein. Ich fordere deshalb ein klares Verbot jeglicher Form von Vermittlung und Bewerbung von Pseudotherapien, egal in welchem Rahmen. ({2}) Lassen Sie uns gemeinsam mit einem lückenlosen Verbot Klarheit schaffen, mit dem eindeutigen Signal an Betroffene: Du bist okay, so wie du bist. Du bist wertvoll, egal wen du liebst. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Emmi Zeulner, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich gefragt werde, warum das Gesetz zum Schutz vor Konversionstherapien ein sinnvolles Anliegen ist, könnte ich es mir ganz einfach machen, indem ich sage: Homosexualität ist keine Krankheit, und daher war und ist eine Umerziehungstherapie einfach nicht nötig und ein Verbot nur folgerichtig. Doch so einfach kann und will ich es mir nicht machen; denn das würde denjenigen nicht gerecht werden, die eine solche als vermeintliche Therapie verschleierte Tortur durchmachen mussten. Lassen Sie mich hierbei eines ganz klar vorweg sagen: Es geht nicht darum, dass wir Menschen, die nach seelsorgerischer Unterstützung in einer für sie schwierigen Lage suchen, diese Hilfe versagen. Das war auch für mich immer ein sehr wichtiger Punkt. Der Gesetzentwurf will und wird auch nicht die grundsätzliche seelsorgerische Arbeit infrage stellen, sondern gerade weil die Seelsorge weiter möglich sein soll, hat das Ministerium für die Fachkommission selbstverständlich auch Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche eingeladen, um ein ausgewogenes Gesetz auf den Weg zu bringen. ({0}) Auch die Kirchenvertreter machten hierbei ausdrücklich klar, dass sie die Durchführung der sogenannten Konversionstherapie missbilligen und diese als unseriös, ungeeignet und schädlich erachten. Hier herrscht also Einigkeit: Seelsorge: ja; psychische Einwirkungen zum Schaden der hilfesuchenden Person: nein. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber leider nicht. Wenn man sich vor Augen führt, was genau im Rahmen dieser Konversionsbehandlungen geschehen kann, dann wird nur allzu deutlich, dass man diesem zum Teil menschunwürdigen Vorgehen gesetzlich entgegentreten musste; denn die sogenannten Behandlungen zielen explizit darauf ab, die sexuelle Orientierung oder die selbstempfundene geschlechtliche Identität zu verändern oder zu unterdrücken. Hierbei können in schlimmen Fällen beispielsweise Elektroschocks, das Verabreichen von Brechmitteln oder anderer Substanzen zur „Entgiftung“ des Körpers von der Homosexualität zum Einsatz kommen. Richtigerweise hat unter anderem deshalb der Weltärztebund die Konversionstherapien als ein menschenverachtendes Verhalten eingestuft, aber auch weil Berichte aus Mexiko noch schlimmere Vorgehensweisen ans Licht gebracht haben, um die sogenannte „richtige Sexualität" hervorzubringen. Unsere geschätzte Staatssekretärin Sabine Weiss hat hier bereits die wichtigsten Maßnahmen des Gesetzentwurfs zusammengefasst, sodass ich den Fokus vor allem auf einen Punkt legen möchte: die neutrale und ergebnisoffene Beratung. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird als zentrale Anlaufstelle Beratungen für Hilfesuchende anbieten. Die Beratungen sollen kostenfrei, mehrsprachig und anonym erfolgen und sowohl als Telefon- als auch als Onlineformat zur Verfügung stehen. ({1}) Prämisse bei der Therapie muss wie in allen Therapien auch sein, dass der Therapeut dem Patienten eben nicht seine Meinung und seine Empfindungen überstülpt. Weder dürfen die Betroffenen also zu einem Coming-out gedrängt werden, noch darf ihnen das Gefühl gegeben werden, dass sie „falsch“ oder „schlecht“ in ihren Gefühlen sind. Ziel der Beratung muss es sein, Betroffene und Angehörige zu unterstützen und vor allem Jugendliche in ihrem Selbstwertgefühl und in der Entwicklung ihrer Selbstbestimmung zu stärken. In Gesprächen mit Seelsorgern in diesem Bereich wurde sehr deutlich, dass das im Einzelfall ein schmaler Grat für alle Beteiligten wird oder werden kann. Diesen zu gehen, bleibt aber weiter sehr wichtig, um das Bewusstsein aller Seiten für eine neutrale und ergebnisoffene Beratung zum Wohle der Betroffenen zu schärfen. Wir werden diesen Weg gerne weiter begleiten, um weiteren Missbrauch, sei er psychisch oder physisch, vorzubeugen. Vielen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Zeulner. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Diese Worte habe ich für meine dreiminütige Einlassung zu diesem Thema als Überschrift genommen, weil eben genau diese Würde des Menschen, die Würde der jungen Menschen, die rein zufällig oder glücklicherweise homosexuell sind, durch diesen Staat geschützt werden muss, weil diese Menschen vor Konversionstherapien, gleich welcher Art, ob durch Therapeuten, ob durch Quacksalber, ob durch Voodoo-Geistliche oder ob durch Geistliche von Amtskirchen, geschützt werden müssen. Ich danke in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich unserem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass er mit seiner Initiative nach einer doch sehr langen Diskussion und nach einem Symposion der Magnus-Hirschfeld-Stiftung nunmehr diesen Gesetzentwurf vorlegt. ({0}) Ich sage aber auch, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: Dieser Gesetzentwurf geht mir bei Therapien, die zum Ziel haben, Menschen in ihrer Würde zu beeinträchtigen, und die in vielfältiger Weise dazu führen, dass junge Menschen sich das Leben nehmen – man darf nicht bloß nur so von „suizidalem Verhalten“ sprechen; sie sterben, sie nehmen sich das Leben, weil sie aufgrund dieser Therapien zerstört werden –, nicht weit genug. Ich hoffe natürlich, dass das Struck’sche Gesetz – kein Gesetz kommt so aus dem Deutschen Bundestag raus, wie es reinkommt – auch für diesen Gesetzentwurf gilt. ({1}) Ich will drei kleine Bereiche ansprechen, bei denen ich denke, dass es notwendig ist – vielleicht geben uns die Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung nächste Woche dazu entsprechende Anregungen –, etwas mehr zu tun. Erstens: § 2 Absatz 2 des Gesetzentwurfs. Es leuchtet mir nicht ein, warum wir die Grenze für ein Verbot von Konversionstherapien beim 18. Lebensjahr ziehen. Auch der verfassungsrechtliche Hinweis, Erwachsene könnten tun, was sie wollten, zieht bei mir nicht; denn im Strafrecht werden die Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren bei Diebstahl auch anders behandelt. Also muss es dort Lösungsmöglichkeiten geben. Es wäre des Schweißes der Edlen auf jeden Fall wert, darüber nachzudenken, wie wir auch diesen jungen Menschen den Schutz aller staatlichen Gewalt zukommen lassen. ({2}) Zweitens. Meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten Herren, nicht anfreunden kann ich mich mit § 5 Absatz 2 des Gesetzentwurfs, dass es für Personen, die als Fürsorge- oder Erziehungsberechtigte quasi den Missbrauch der Konversionstherapie an ihren eigenen Kindern durchführen, eine Straflosigkeit geben soll. Also soll der Therapeut, der sein eigenes Kind quasi missbraucht und therapiert, straflos bleiben. Ich kann mir das nicht vorstellen. Mir persönlich sträubt sich da jedes vorhandene Nackenhaar. Darüber müssen wir diskutieren. ({3}) Last, but not least halte ich die Strafandrohung von einem Jahr oder Geldstrafe für etwas aus dem Gleichgewicht geraten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme gleich zum Ende. – Wir haben beim Strafrecht, für das die FDP gestern eine Reform angeregt hat, im Bereich des Diebstahls derzeit fünf Jahre als Höchststrafe. Warum gewichten wir das Eigentum höher als das Leben junger Menschen? Ich freue mich auf die Beratungen und hoffe, dass wir dort zu guten Ergebnissen kommen und wir wirklich der Würde des Menschen, die unantastbar ist, den staatlichen Schutz zukommen lassen – und zwar bis zum 18. oder bis zum 26. Lebensjahr.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Erwin Rüddel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Argumente sind alle vorgetragen. Ich möchte meiner Kollegin Emmi Zeulner ganz herzlich danken, dass sie das pointiert und sensibel getan hat, so wie fast alle anderen. Dafür ein besonderer Dank. Ich möchte es auf den Punkt bringen: Homosexualität ist keine Krankheit. Weil es keine Krankheit ist, gibt es auch nichts, was geheilt werden muss. Der Gesetzentwurf bringt es auf den Punkt. Ich bitte darum, diesem Gesetzentwurf nach einer intensiven Beratung zuzustimmen. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Rüddel. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie können es sehen: Man kann auch mit wenigen Worten Begeisterung auslösen. ({0}) Ich schließe die Aussprache.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 20er-Jahre haben begonnen, und diese 20er-Jahre werden ein Jahrzehnt der Veränderung – ob zum Besseren oder zum Schlechteren, liegt nicht zuletzt an uns. Wir Politikerinnen und Politiker müssen heute die Weichen so stellen, dass der Wandel in Richtung bessere Zukunft geht. ({0}) Die großen Veränderungsprozesse – Digitalisierung, ökologischer Umbau, demografische Entwicklung, Migration; um nur die wichtigsten zu nennen – bieten dabei viele Chancen, die wir nutzen müssen. Die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt verändern sich. Die gute alte Arbeitslosenversicherung wird diesen Herausforderungen nicht mehr gerecht und muss weiterentwickelt werden. In Zukunft soll es nicht nur um die Unterstützung bei Arbeitslosigkeit gehen, sondern vor dem Hintergrund von vielfältiger werdenden Erwerbsbiografien wird es auch darum gehen, dass Erwerbstätige besser unterstützt werden. Deshalb wollen wir Grüne die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln. ({1}) Zu den Erwerbstätigen gehören dabei auch Selbstständige, die ebenfalls durch die Arbeitsversicherung unterstützt werden sollen. Gerade in den Zeiten des Wandels wollen wir Grüne Selbstständigkeit unterstützen und fördern. Dazu gehört auch ein höheres Maß an sozialer Sicherheit. Ein zentraler Schlüssel für die Gestaltung der Veränderungen am Arbeitsmarkt ist die Weiterbildung. Hier sind mit dem Qualifizierungschancengesetz erste richtige Schritte gemacht worden, die wir Grüne ja auch unterstützt haben. Sie reichen aber bei Weitem nicht aus. Angesichts der Herausforderungen reicht es nicht, nur an einzelnen Stellschrauben zu drehen, sondern wir brauchen grundlegende Veränderungen. Dazu machen wir in unserem Antrag umfangreiche Vorschläge. Vor allem brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. ({2}) Damit der aber nicht nur auf dem Papier steht, muss er hinterlegt sein mit einem Recht auf Freistellung. Insbesondere soll auch eine Weiterbildungsteilzeit möglich sein. Und das Ganze funktioniert nur dann, wenn die Menschen sich eine solche Weiterbildung auch finanziell leisten können. Wir fordern deswegen ein Weiterbildungsgeld für die Zeiten der Weiterbildung. ({3}) Das Weiterbildungsgeld können Erwerbstätige und Arbeitslose beziehen, wenn sie sich aus arbeitsmarktbedingten Gründen weiterbilden wollen, und es soll 200 Euro höher sein als Arbeitslosengeld I und mindestens 200 Euro mehr als Arbeitslosengeld II. ({4}) So erreichen wir, dass sich auch Menschen mit geringem Einkommen eine Weiterbildung leisten können. Wir wollen, dass Menschen selbstbestimmt entscheiden können, ob und wie sie sich weiterbilden, und wir wollen, dass keine Weiterbildung am Geldbeutel scheitert. ({5}) Dafür ist als weitere Voraussetzung notwendig, überhaupt zu wissen, welche Weiterbildungsmöglichkeiten und Fördermöglichkeiten es gibt. Darüber hat heute fast niemand einen Überblick. Das wollen wir ändern. Wir wollen, dass überall da, wo es Arbeitsagenturen gibt, zusätzlich Bildungsagenturen entstehen, in denen alle relevanten Akteure vor Ort zusammenarbeiten und Weiterbildungsberatung anbieten. Vorbild dafür sind die Jugendberufsagenturen, bei denen unterschiedliche Akteure kooperativ zusammenarbeiten und Jugendliche kompetent beraten. Eine solche Struktur wollen wir auch für die Weiterbildungsberatung für Erwachsene: die Bildungsagenturen als zentrale Anlaufstellen, wenn Menschen Fragen zur Weiterbildung haben. ({6}) Neben der Weiterbildung und besserer Unterstützung von Erwerbstätigen ist es aber auch notwendig, die Menschen bei Arbeitslosigkeit besser abzusichern. Dazu machen wir vielfältige Vorschläge. Um nur einen herauszugreifen: Weniger als die Hälfte der Kurzzeitarbeitslosen bezieht heute Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Viele rutschen gleich in das Arbeitslosengeld II, obwohl sie Beiträge gezahlt haben. Das wollen wir ändern, indem wir den Zugang zum Arbeitslosengeld I verbessern und damit gleichzeitig die Jobcenter entlasten, die sich dann besser auf die Unterstützung von Langzeitarbeitslosen konzentrieren können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor großen Veränderungen. Die neue Arbeitswelt braucht auch eine neue soziale Sicherung. Die Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung ist dafür ein zentraler Baustein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht ist es gut, sich erst einmal die Fakten anzuschauen. Wir haben jetzt beim Bezug von Arbeitslosengeld I eine durchschnittliche Bezugsdauer von 131 Tagen. Das ist ein sensationell niedriger Wert und zeigt, welche Dynamik in unserem Arbeitsmarkt steckt. Wenn man ein solch tolles Ergebnis, nämlich einen Durchschnitt von 131 Tagen, erreicht hat, gibt es keinerlei Anlass, neue Instrumente zu erfinden, mit denen schlichtweg nur der Arbeitslosengeld-I-Bezug verlängert wird. ({0}) Zweitens. Ja, wir brauchen mehr Fort- und Weiterbildung und auch mehr berufliche Fort- und Weiterbildung. Deswegen die Nationale Weiterbildungsstrategie der Bundesregierung in der Verantwortung von Arbeitsministerium und Bundesbildungsministerium! Aber berufliche Fort- und Weiterbildung liegt zuallererst in der Verantwortung der Betriebe und der Unternehmen. Ich möchte die Arbeitgeber aus ihrer Verpflichtung, die Fort- und Weiterbildung zu organisieren und sie zu finanzieren, nicht entlassen. ({1}) Aber was wir brauchen, sind in der Tat mehr und treffsicherere Instrumente, um die Betriebe zu unterstützen, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechend zu qualifizieren, weiterzubilden und sie vor allen Dingen auf die Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt vorzubereiten. Ich finde, da haben wir als Große Koalition die Grünen mit ihrem Antrag schlichtweg überholt. ({2}) – Genau. – Denn nächste Woche ist am Mittwoch wieder Kabinettssitzung. Dort wird das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf beschließen, den wir bereits im Koalitionsausschuss miteinander vereinbart haben und mit dem wir vor allen Dingen das Qualifizierungschancengesetz noch einmal deutlich verbessern und reformieren. ({3}) Wir erhöhen die Zuschüsse, wenn ein größerer Anteil der Beschäftigten eines Betriebes eine Anpassung der beruflichen Kompetenzen benötigt. Wir vereinfachen das Antrags- und Bewilligungsverfahren, indem wir nicht nur Einzelanträge, sondern künftig – neu – auch Sammelanträge zulassen. Die Qualifizierungsmöglichkeiten in Transfergesellschaften – auch das ist wichtig – werden wir ausbauen. Qualifizierungen werden künftig für alle Beschäftigten in einer Transfergesellschaft unabhängig von Alter und bisheriger Qualifikation erfolgen. Deswegen muss ich sagen: Wir sind bereits auf dem richtigen Weg, ohne dass wir von der Opposition aufgefordert werden. Ich freue mich, wenn wir dieses neue Gesetz hier im Bundestag miteinander beraten und beschließen. ({4}) In der Tat muss auch die Bundesagentur für Arbeit, die seit Jahren in einem Transformationsprozess, einem erfreulich guten Transformationsprozess, ist, noch fitter werden für diese Aufgaben. Zum Beispiel: Der Arbeitgeberservice wird gerade in Zeiten, in denen Fachkräfte gesucht werden, zunehmend die Aufgabe übernehmen müssen, auch die Betriebe zu beraten, wie man zu guten Fachkräften kommt. Oder: Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist am 1. März in Kraft getreten. Deswegen brauchen wir jetzt einen Prozess des Aufbaus eines neuen Geschäftsbereichs „Internationales“ bei der Bundesagentur für Arbeit, der uns hilft, dieses Fachkräfteeinwanderungsgesetz tatsächlich wirksam werden zu lassen. Ich bin übrigens erstaunt, dass ausgerechnet der Bundesrechnungshof an dem Aufbau des Geschäftsbereichs „Internationales“ Kritik übt. Ich bin im Gegensatz dazu der Auffassung: Wir müssen noch schneller und mit noch mehr Personal das internationale Geschäft der Bundesagentur für Arbeit stärken, wenn das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ein Erfolg werden soll. ({5}) Ein wesentlicher Teil der Fachkräftegewinnung ist, dass wir das nicht einfach frei laufen lassen, sondern dass wir das bewährte Instrument der Vermittlungsabsprache nutzen; auch das haben wir im Gesetz vorgesehen. Ich bin dankbar und froh, dass die Bundesagentur für Arbeit auf dem Weg ist, nun mit mehreren Ländern solche Vermittlungsabsprachen zu treffen. Aktuell werden Gespräche geführt mit den Ländern Brasilien, Bosnien-Herzegowina, Indien, Indonesien, Mexiko und Vietnam. Wir hoffen, dass es bald zu konkreten Vermittlungsabsprachen kommt, die uns helfen, gezielt Fachkräfte anzuwerben, sie auf eine Tätigkeit in Deutschland vorzubereiten, Nachqualifikationen da, wo sie notwendig sind, zu organisieren und die Betriebe, die hier in Deutschland dringend auf zusätzliche Fachkräfte angewiesen sind, mit ins Boot zu nehmen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, von daher finde ich: Unsere Bundesagentur für Arbeit ist mit den Reformschritten, die sie selber eingeleitet hat oder die aus dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz erwachsen sind, gut unterwegs. Wir sollten sie dabei politisch kräftig unterstützen. Dann werden wir auch das Thema Fachkräfte, das für uns in Deutschland und insbesondere für die deutsche Wirtschaft das Zukunftsthema ist, in einer guten Art und Weise voranbringen. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Sebastian Münzenmaier, AfD-Fraktion. ({0})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin angenehm überrascht: Der vorliegende Antrag der Grünen weist tatsächlich einige löbliche Punkte auf. Da wir als AfD-Fraktion grundsätzlich Anträge anderer Fraktionen nicht aufgrund der Parteifarbe ablehnen, sondern sie inhaltlich bewerten, möchte ich das gern tun und muss Ihnen zuerst einmal ein kleines Lob aussprechen. Der erleichterte Zugang zur Arbeitslosenversicherung für Selbstständige, die unbürokratische Beantragung verschiedener Leistungen bei einer Behörde und auch der Versuch eines erleichterten Zugangs zur beruflichen Weiterbildung sind grundsätzlich vernünftige Ziele. Leider ist Ihr Antrag aber nicht auf diese Änderungen konzentriert, sondern schnürt ein Gesamtpaket mit den genannten sinnvollen und leider auch aus unserer Sicht vielen unnötigen oder sogar falschen Forderungen. Versteckt hinter der „Reform“ der Arbeitslosenversicherung sind beispielsweise wieder mehrere Faktoren, die Einwanderung in unser Sozialsystem noch umfassender und schneller ermöglichen sollen. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus Ihrem Antrag: Vorhandene formale und informale Qualifikationen müssen unbürokratisch und zügig anerkannt … werden. Wie Sie diese „informalen“ Qualifikationen definieren, für die es eben keine formalen Kriterien gibt, bleibt natürlich Ihr Geheimnis. Aber das kommt Ihnen als Grünen wahrscheinlich ziemlich recht; denn irgendeine informale Qualifikation finden Sie im Notfall bei jedem, um zu verhindern, dass Ihr Märchen von der Fachkräfteeinwanderung wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. ({0}) Ebenfalls kritisch zu betrachten ist die Herabsetzung der Mindestanwartschaft auf vier Monate, um einen Anspruch auf zwei Monate Arbeitslosengeld zu erwerben. Das steigert den finanziellen Aufwand für die Bundesagentur für Arbeit erheblich, kann zu einer Flut von Anträgen führen, steht in keinem Verhältnis zu der erbrachten Leistung des Arbeitnehmers und ist vor allem ein weiterer Pull-Faktor für die Einwanderung in unser Sozialsystem. Ich frage mich: Wie erklären Sie dem anständigen Arbeitnehmer da draußen, der seit 30 Jahren arbeitet und einbezahlt, dass er im Fall der Fälle nur noch zwölf Monate ALG I bekommt, der Nachbar aber nach vier Monaten Hilfsarbeit schon zwei Monate ALG I beziehen kann? Das ist ungerecht, widerspricht dem Leistungsprinzip und ist mit uns nicht zu machen. ({1}) Nächster Punkt: Weiterbildungen. Ohne Zweifel sind Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen sinnvoll. Aber die in Ihrem Antrag formulierten Rechte und die daraus resultierenden Folgen würden kleine und mittelständische Betriebe wohl vollständig überfordern und auch deren Aus bedeuten. Das Schlimme ist: Sie wissen das ja auch, weil Sie in Ihrem Antrag selbst schreiben, dass Sie solchen Betrieben dann „Unterstützung“ gewähren wollen, um sie zu retten. Aber es ist völlig unklar, wie die Unterstützung aussehen soll. Wir wissen auch: Bei grüner „Unterstützung“ haftet grundsätzlich der Steuerzahler. Jetzt wären wir auch beim wichtigsten Punkt angelangt, der Frage der Kosten. Auf neun Seiten Antragstext und auch hier in Ihrer Rede verlieren Sie kein Wort zu den Kosten dieses Antrags, aber – ich darf zitieren – die Weiterbildungsförderung soll „aus einem Mix aus paritätischen Beiträgen und einem Steuerzuschuss finanziert“ werden. Den Bundestag lassen Sie also über die Ausgestaltung dieser teuren Idee im Unklaren. Aber Gott sei Dank sind Sie der Funke Mediengruppe gegenüber ja etwas offener, Herr Dr. Strengmann-Kuhn; denn dort werden Sie mit der Aussage zitiert, dass auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber Mehrbelastungen von 4 Milliarden Euro zukommen würden und dass zu dieser erklecklichen Summe dann auch noch ein weiterer Steuerzuschuss hinzukäme. Auf gut Deutsch: Die Grünen greifen mit ihren klebrigen Fingern wieder einmal tief in die Tasche der Bürger. ({2}) Auch hier möchte ich noch einmal betonen: Wenn in Zukunft aus dem Topf der Arbeitslosenversicherung noch mehr versicherungsfremde Leistungen wie zum Beispiel Weiterbildungen oder gar die berufliche Integration von Ausländern bezahlt werden sollen, dann handelt es sich bei den Beiträgen eben nicht mehr um originäre Beiträge, sondern schlicht und ergreifend um eine Steuer. In Zeiten, in denen unsere fleißigen Arbeitnehmer da draußen durch enorme Steuern und Abgaben sowieso schon zu den meistbelasteten Arbeitnehmern dieser Welt gehören, wollen Sie jetzt also noch einen draufsetzen. ({3}) An diesen grünen Umverteilungsfantasien werden wir uns nicht beteiligen. Wir lehnen Ihren Antrag ab. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Antrag wollen die Grünen die Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung weiterentwickeln, damit nicht nur Arbeitslose, sondern in stärkerem Maße auch Erwerbstätige unterstützt werden. Das finden wir richtig; aber das ist doch auch ziemlich grundlegend. Da frage ich mich schon, warum Sie einen so grundlegenden Antrag so kurzfristig einbringen. Ich frage mich weiter: Geht es Ihnen eigentlich um die Sache? ({0}) Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht helfen: Ich habe den Eindruck, diese Woche ist doch die Woche der Schaufensteranträge bei Bündnis 90/Die Grünen. ({1}) Ja, die Arbeitswelt ist im Wandel, und zwar grundlegend: durch Digitalisierung, durch technologischen Fortschritt, durch den Strukturwandel unserer Industrie. ({2}) Unsere Antwort als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten heißt „Recht auf Arbeit“; denn wir wissen: Auch im Wandel geht uns die Arbeit nicht aus, wir brauchen alle. Und deshalb wollen wir allen auch in diesem Wandel eine neue Perspektive geben. ({3}) Das kommt natürlich nicht von allein, sondern da ist aktive Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik gefragt. Es geht um Schutz und Chancen im Wandel, es geht darum, jeden und jede Einzelne so zu unterstützen, wie es notwendig ist. Es geht um den Sozialstaat als Partner, der individuelle Unterstützung schon im Arbeitsleben sicherstellt. Warum ist das Sache des Sozialstaats? Ja, weil wir eben den Einzelnen, die Einzelne im Wandel nicht alleine lassen wollen, weil die Risiken ungleich verteilt sind, weil Menschen unterschiedlich betroffen sind, weil jemand, der bei einem Automobilzulieferer arbeitet, eben anders betroffen ist als jemand, der beim Finanzamt arbeitet, und weil wir nicht Arbeitslosigkeit gleichzeitig mit Fachkräftemangel entstehen lassen wollen. Daran haben wir als Gesellschaft insgesamt ein extremes Interesse, gerade vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen. Deshalb ist die Sozialversicherung gefragt, und in einer modernen Arbeitswelt muss eine Arbeitsversicherung eben nicht nur gegen Arbeitslosigkeit absichern, sondern auch gegen den Verlust von Qualifikation, den Verlust von Humankapital versichern. ({4}) Da, meine Damen und Herren, ist Weiterbildung der Schlüssel. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten von heute die Arbeit von morgen machen können. Deshalb wollen auch wir die Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung und die Agentur für Arbeit zu einer Agentur für Arbeit und Qualifizierung weiterentwickeln, und wir wollen einen Rechtsanspruch für alle auf Weiterbildung schaffen. Aber, meine Damen und Herren von den Grünen, Peter Weiß hat ja darauf hingewiesen: Wir haben damit ja schon angefangen. Wir starten ja nicht bei null. Wir haben das Qualifizierungschancengesetz gemacht, wir bringen das Arbeit-von-morgen-Gesetz auf den Weg, wir unterstützen Beschäftigte ganz konkret bei der Weiterbildung im Wandel, und wir weiten das aus, wenn ganze Teile von Belegschaften betroffen sind. Wir stärken die Unterstützung dann, wenn Qualifizierungsvereinbarungen der Sozialpartner geschlossen werden, und wir wollen auch einen Rechtsanspruch auf das Nachholen eines Berufsabschlusses schaffen. Wir sind also auf diesem Weg unterwegs und brauchen mit Sicherheit keine Belehrungen von Bündnis 90/Die Grünen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege Till Mansmann. ({0})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn wir vielem, was Sie in diesem Antrag ausführen, nicht oder so nicht zustimmen können, so möchte ich doch feststellen: In der Analyse der Situation liegen wir Freie Demokraten und die Fraktion der Grünen offenbar gar nicht so weit auseinander. Wir als Gesetzgeber müssen in der Tat auf die Veränderungen der Arbeitswelt reagieren. Die wichtigsten Herausforderungen sind, wie Sie richtig dargelegt haben: demografische Entwicklung, Digitalisierung, Migration und nicht zuletzt auch die zunehmende Neigung der Menschen, ihr Leben vielfältig und flexibel – man will fast tautologisch sagen: lebendiger als früher – zu gestalten. Da muss eine Seitenbemerkung an die Große Koalition jetzt einfach mal sein: In dieser Richtung machen Sie viel zu wenig. Der von Ihnen produzierte Stillstand des ganzen Landes ist schlecht für die Menschen und gefährlich für unsere Entwicklung. ({0}) So hängen wir das Land von Innovationen im globalen Vergleich in bedenklicher Weise ab. ({1}) Vielleicht kurz zu zwei, drei Aspekten in diesem umfangreichen und – so sage ich gerne auch – durchdachten und substanzreichen Antrag der Grünen. Ich habe eben die Punkte genannt, die zu Veränderungen führen, und gerade der letztgenannte Punkt, der zunehmende Wille vieler Menschen, nicht in vorgefassten Schemata zu leben, sondern Beruf, Familie und Privatleben kreativ zu gestalten, ist uns Freien Demokraten besonders wichtig. Ein erhöhter Fortbildungsbedarf gehört dabei einfach dazu. Unser Vorschlag wäre ein individuelles „Freiraumkonto“, in das Arbeitnehmer Teile ihres Bruttoeinkommens, Boni, Überstunden und ungenutzte Urlaubstage steuer- und sozialversicherungsbeitragsfrei einzahlen können. Mein Kollege Dr. Jens Brandenburg hat den Antrag „Niemals ausgelernt, immer neugierig – Ein zweites Bildungssystem für das ganze Leben“ hier bereits vorgelegt. Außerdem haben wir den Vorschlag eines Midlife-BAföGs gemacht. Sie aber setzen, liebe Grüne, doch immer zu sehr auf staatliche Regulierungsmaßnahmen. So wollen Sie das Transferkurzarbeitergeld verlängern. Natürlich ist es gut, wenn Phasen der Kurzarbeit für Weiterbildung genutzt werden können. Aber wenn jetzt zum Beispiel durch den Coronavirus bei Fluggesellschaften, in der Exportindustrie oder im Tourismus unfreiwillige Freiräume entstehen: Wie realistisch ist es, dass diese Zeiten gerade durch systematisch sinnvolle Fortbildungen in Weiterbildung fließen können? ({2}) Ich komme noch auf einen weiteren Punkt in Ihrem Antrag zu sprechen: Sie wollen ein Recht auf Weiterbildung mit Freistellungsanspruch und Rückkehrrecht. Gerade auf kleine und mittlere Unternehmen kommen da natürlich große Planungsprobleme zu: Sie müssen diese definierten Zeiten, zu denen Arbeitskräfte fehlen, ausgleichen. Sie können das praktisch nur auf zwei Wegen: mit Zeitarbeit oder durch Ausschreibung befristeter Stellen. ({3}) Genau gegen diese beiden Instrumente ziehen Sie von den Grünen aber auch andauernd zu Felde. Sie wollen also gerade per Gesetz genau das schaffen, wogegen Sie dann nächste Woche oder nächsten Monat wieder kämpfen können. Das ist insgesamt nicht ganz schlüssig; so ehrlich sollte man sein. ({4}) Wie wäre es denn, wenn wir das nicht mehr zeitgemäße Arbeitszeitgesetz einmal grundsätzlich an die neuen Bedürfnisse der Menschen, wie an die veränderten Arbeitsbedingungen und ‑möglichkeiten, anpassen würden? Unsere Ideen dazu haben wir Ihnen bereits in einem fertig formulierten Gesetzesvorschlag vorgelegt. ({5}) In der Tat gibt es einiges, was wir hier diskutieren können und sollten. Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuss. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Franz Müntefering sagte einmal: Opposition ist Mist. ({0}) Ich meine, Opposition bringt unser Land voran. Denn Die Linke war und ist an erster Stelle, wenn es um Konzepte für eine gute Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geht. ({1}) Dieser Antrag der Grünen zeigt ganz klar: Links wirkt. Nachdem die Grünen gemeinsam mit der SPD – das müssen Sie sich schon gefallen lassen! – unsere Arbeitslosenversicherung beschädigt hatten, stand nur Die Linke für eine Arbeitslosenversicherung, die fit für die Zukunft ist. In Zeiten wirtschaftlicher Schwäche und Transformation wie heute muss man die Leistungen der Arbeitslosenversicherung verbessern; das ist der richtige Weg. ({2}) In den 1970er-Jahren hat man das getan. In den 2000er-Jahren haben – vielleicht sollten Sie doch einmal zuhören – die SPD und die Grünen genau das Gegenteil gemacht. Die Ergebnisse sehen wir auf dem Arbeitsmarkt: Niedriglohn, Leiharbeit, Minijobs, Befristungen und bei den Erwerbslosen die höchste Armutsquote in ganz Europa. Das war unsozial. Da reicht keine Kurskorrektur, da muss sich etwas von Grund auf ändern. ({3}) Deshalb freue ich mich, dass die Grünen mit diesem Antrag unsere Forderungen unterstützen – ich will nur einige herausnehmen –: einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung, für Erwerbstätige und Erwerbslose; ein Weiterbildungsgeld, damit man bei Weiterbildung den Lebensstandard halten kann – gut, über die 200 Euro müsste man reden, das reicht nicht aus, denke ich; aber der Ansatz ist richtig; denn Qualifizierung und Weiterbildung sind das A und O, um auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können –; einen leichteren Zugang zur Arbeitslosenversicherung – ja, diejenigen, die noch nicht so lange eingezahlt haben, sollen einen Anspruch auf Leistungen haben – und einen besseren Zugang für Selbstständige. Das ist richtig so, und da kann die Bundesregierung vielleicht einiges abschreiben. ({4}) Leider fehlt in dem Antrag der Grünen einiges, was für eine starke Arbeitslosenversicherung wichtig wäre. Die Linke fordert: Das Arbeitslosengeld muss länger gezahlt werden, besonders für Menschen über 50; sie brauchen Zeit, um eine qualifikationsgerechte Stelle zu finden. Als Anschlussleistung wollen wir dort ein Arbeitslosengeld Plus; ich denke, das wäre der richtige Weg. ({5}) Die Höhe der Leistungen muss stimmen. Da war die Arbeitslosenversicherung schon einmal besser. Wir wollen, vereinfacht gesagt, 68 Prozent vom letzten Netto. Und ganz wichtig: Weg mit den Sperrzeiten! Es reicht nicht, das Existenzminimum zu sichern; da sind Sie noch ein bisschen bei den Gängeleien von Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Wir befinden uns im Abschwung, meine Damen und Herren, ({6}) da braucht es Sicherheit für Menschen, die in Arbeit sind, und für Menschen, die arbeitslos sind. Eine Garantie für eine gute Arbeitsmarktpolitik – Herr Whittaker, das sollten Sie wissen – ist nur Die Linke. Danke schön. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Danke, Frau Kollegin Zimmermann. – Nächster Redner ist der Kollege Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne und an den Bildschirmen! Trotz einiger Krisenanzeichen ist unser Arbeitsmarkt nach wie vor robust und die Beschäftigungsquote ist weiterhin rekordverdächtig. Dies ist das Verdienst einer soliden Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung, aber auch der fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Leider muss ich feststellen, dass einige Fraktionen mit ihren Vorschlägen diesen Erfolg immer wieder gefährden wollen. Die Grünen lassen sich von den gesunden Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit verführen und präsentieren in ihrem Antrag verschwenderische Fantasien ohne Kostenplan und ohne seriöse Kalkulation. Und jetzt kommt der dicke Hund: Die AfD applaudiert und lobt die Grünen auch noch dafür. Wie gesagt, mehrere Fraktionen haben das System, glaube ich, noch nicht so richtig verstanden. Ein vernünftiges Gesamtkonzept, das verantwortungsvoll mit den Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber umgeht, sehe ich in dem Antrag leider nicht. Was mich besonders schockiert hat, ist aber, dass Sie die Menschen lieber in Maßnahmen stecken wollen, als ihnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen. ({0}) Sie setzen Ihrem Vorschlag die Krone auf, indem Sie ein Weiterbildungsgeld einführen wollen, das 200 Euro höher ist als das Arbeitslosengeld. Aus meiner Sicht setzt das die absolut falschen Anreize: ({1}) Sie verleiten die Menschen regelrecht dazu, ihre Arbeit aufzugeben, weil sie in der Arbeitslosigkeit über Weiterbildung noch 200 Euro monatlich dazubekommen. ({2}) Die Vermittlung in Arbeit muss aber immer Vorrang haben; diesen Grundsatz dürfen wir nicht aufgeben. Wir haben hier eine Versicherung, meine Damen und Herren, in die Menschen einzahlen. Das ist kein Selbstbedienungsladen. ({3}) Mit dem Qualifizierungschancengesetz haben wir einen wichtigen Meilenstein zur Stärkung des präventiven Ansatzes und zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit gesetzt, indem wir Weiterbildungsangebote noch stärker fördern als bisher. Sie fordern die Einführung von zusätzlichen Bildungsagenturen. Sie schaffen an dieser Stelle nur unnötige Doppelstrukturen, die zusätzliche Kosten verursachen und am Ende ineffizient werden. Ich weiß nicht, ob das ein Auffanglager für Politiker werden soll, die einen Job brauchen; aber ich bin davon überzeugt, dass die Beratungskompetenz nicht aus den Agenturen ausgegliedert werden darf, damit der Kontakt zwischen den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern gewährleistet bleibt und die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit zielgerichtet auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes ausgerichtet werden können. Die BA hat exzellentes Personal, dem ich an dieser Stelle für den kundenorientierten Einsatz sehr herzlich danke. Ich möchte nun noch kurz auf einige Vorschläge eingehen, die von uns schon längst umgesetzt werden. Mit unserer Nationalen Weiterbildungsstrategie haben wir bereits den Grundstein für eine zentrale Onlineplattform zur Koordinierung von Weiterbildungsangeboten gesetzt. Die Unionsfraktion hat zudem mit ihrem Konzept MILLA einen konkreten Vorschlag zur Umsetzung gemacht. Der Entwurf zum Gute-Arbeit-von-morgen-Gesetz sieht bereits eine deutliche Ausweitung des Leistungsspektrums der Bundesagentur für Arbeit vor: Wir erleichtern den Zugang zum Kurzarbeitergeld, wir entwickeln die Ausbildungsförderung weiter und erhöhen die Zuschüsse bei Qualifizierungsvereinbarungen und bei besonderen Weiterbildungsbedarfen. ({4}) Wir werden an der Umsetzung des Gesetzesvorhabens im parlamentarischen Verfahren konstruktiv arbeiten und so schnell wie möglich ein vernünftiges, durchdachtes Gesetz verabschieden. Wir legen allergrößten Wert auf eine ehrliche Politik und machen deshalb keine leeren Versprechungen, meine Damen und Herren. Im Gegensatz zu Ihnen machen wir seriöse Politik. Deshalb werden wir ein abgestimmtes Gesamtkonzept für die Zukunft der Arbeitslosenversicherung vorlegen. Unsere Vorschläge sind korrekt kalkuliert, sind solide finanziert. Wir gehen mit den Rücklagen der Bundesagentur verantwortungsvoll um. Noch einmal: Das ist kein Selbstbedienungsladen – es handelt sich hier um eine Versicherung –; dies sind wir den redlichen Beitragszahlern schuldig. Ihre Vorschläge sind nicht zielführend, nicht zu Ende gedacht und räubern die redlich gezahlten Versicherungsbeiträge aus. Aus diesem Grund müssen wir den Antrag leider ablehnen. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Wolfgang Strengmann-Kuhn, zu meinem allergrößten Bedauern komme ich nicht umhin, Ihren Antrag zu loben. Er hat in der Tat viel Substanz. An vielen Stellen könnte man ihn über das SPD-Sozialstaatspapier legen, und beide wären in weiten Teilen deckungsgleich. Aber gute Ideen teilen wir immer gerne. Das ist auch der Grund, weswegen SPD und Grüne in meiner Heimatstadt Hamburg fünf Jahre erfolgreich zusammengearbeitet haben. Ich kann mir vorstellen, dass das auch in den nächsten fünf Jahren so weitergeht. Man wird sehen. ({0}) – In Hamburg, genau. – Es gibt aber einen zentralen Unterschied zwischen Ihrem Antrag und der Politik der SPD in der Großen Koalition: Während Sie noch Papiere schreiben, arbeiten wir schon fleißig daran, unsere Vision von der Arbeitsversicherung in Regierungsverantwortung umzusetzen. ({1}) Herr Rosemann hat auf das Recht auf Arbeit hingewiesen. Ich will Ihnen zwei weitere Beispiele erläutern. Erstens. Mit dem Qualifizierungschancengesetz haben wir es den Beschäftigten schon jetzt erleichtert, die Mindestversicherungszeit für die Arbeitslosenversicherung zusammenzubekommen. ({2}) Die Erwerbsbiografien sind bekanntlich nicht mehr so geradlinig, wie sie das früher einmal waren. Die Menschen bleiben nicht mehr bis zur Rente in ihrem Ausbildungsbetrieb in ihrem Heimatort. Sie wechseln ihre Beschäftigung häufiger. Je nach gesamtwirtschaftlicher Lage entstehen da leicht auch ein paar Monate Arbeitslosigkeit. Deswegen haben wir einen besseren Zugang zum Arbeitslosengeld geschaffen. Es reicht jetzt, wenn man innerhalb von 30 Monaten 12 Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, um einen Anspruch auf ALG I zu bekommen. Zweitens. Wir denken beim Umbau der Arbeitslosenversicherung nicht nur an das Arbeitslosengeld, sondern auch an die Prävention von Arbeitslosigkeit. Das geht am besten mit Weiterbildung, meine Damen und Herren. ({3}) Mit dem Qualifizierungschancengesetz haben wir schon eine hervorragende Möglichkeit geschaffen, die Unternehmen bei der Weiterbildung ihrer Beschäftigten finanziell zu unterstützen. Mit dem Arbeit-von-morgen-Gesetz werden wir diesen Ansatz noch ausbauen. Der Kollege Weiß hat darauf hingewiesen: Der Gesetzentwurf wird am Mittwoch im Kabinett beschlossen. Wenn künftig mindestens jeder fünfte Beschäftigte in einem Betrieb Weiterbildung braucht, werden die Zuschüsse um 10 Prozent aufgestockt, und wir belohnen sozialpartnerschaftliche Vereinbarungen. Bei einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag zur Weiterbildung packen wir noch einmal 5 Prozent drauf. Sie sehen schon: Künftig wird es für Betriebe richtig schwierig, noch Ausreden zu finden, wenn sie nichts für die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter tun. ({4}) In den Zeiten des Übergangs ist es wichtig, nicht stehen zu bleiben, sondern aktiv in Bildung zu investieren. Deshalb führen wir im Arbeit-von-morgen-Gesetz ein, dass 75 Prozent der Weiterbildungskosten in Transfergesellschaften von der Bundesagentur für Arbeit übernommen werden. Das gilt für alle Beschäftigten in kleineren und mittleren Unternehmen. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir handeln. Wir entwickeln die Arbeitslosenversicherung sukzessive zu einer solidarischen Arbeitsversicherung weiter. Ich danke Ihnen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartke. – Damit schließe ich die Aussprache.

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, ein Mitglied irgendeiner Partei stellt in Aussicht, dass ein bestimmtes Prozent der Bevölkerung zu erschießen sei, und der Bundesvorsitzende antwortet darauf, dass man diese Menschen nur für nützliche Arbeit einsetzen werde. Das Entsetzen wäre grenzenlos, und das zu Recht. ({0}) Ein kleiner Scherz, ein bisschen Ironie? Über die Menschenwürde macht man keine Scherze. Eine Einzelstimme? Der Bundesvorsitzende! Und die innenpolitische Sprecherin verteidigt ihn auch noch, es sei keineswegs eine Entschuldigung für diese Äußerung notwendig gewesen. ({1}) Dann ist doch die Frage erlaubt: Was ist das für eine Partei, deren Mitglieder Witze über Exekutionen und Zwangsarbeit machen? ({2}) Wir sagen es hier immer wieder aus gutem Grund: Worte bereiten Taten vor. Sprache steht am Anfang. Gewalt ist niemals gerechtfertigt. – Wer einen Eindruck von Zwangsarbeit bekommen will, der kann sich die Gulag-Dokumentation des ZDF ansehen. Hier geht es wirklich um Menschenwürde und um ein Menschenbild; denn Zwangsarbeit ist nach unserem Grundgesetz verboten. Die freiheitliche Grundordnung unseres Grundgesetzes sieht übrigens nicht vor, dass der Staat auch nur beurteilt, was nützliche Arbeit ist, sondern in Artikel 12 steht die Berufsfreiheit. Auch sie ist Ausprägung der Menschenwürde. ({3}) Da ist schon die Frage erlaubt: Wie stehen Sie zu dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Es gibt ganz schön Anhaltspunkte auch für ein taktisches Verhältnis zur Gewaltfreiheit in der politischen Auseinandersetzung. Da muss man nicht nur lesen, dass das Mitglied Ihres Ältestenrates Frau Felfe von einem revolutionären Bruch schreibt, den man anstrebe. Wenn bei Demonstrationen Straftaten begangen werden, sind regelmäßig auch Vertreter der Linken nicht weit, von denen man lesen kann, man solle doch politisches Engagement nicht kriminalisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unserem freiheitlichen Rechtsstaat, in unserer Demokratie gibt es genügend gewaltfreie und friedliche Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren. ({4}) Wer das in Abrede stellt, der macht eigentlich unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat klein. Das sind übrigens keine Einzelstimmen. Man kann zum Beispiel in der Zeitung eines Kreisverbandes der Linken auch nach solchen Fällen von Verurteilungen regelmäßig lesen: Das Urteil gegen den Genossen ist eine juristische Farce und eindeutig politisch motiviert. – Das sind offizielle Verlautbarungen. In unserem Land gibt es unabhängige Gerichte. Es entscheiden immer noch unabhängige Gerichte, was strafbar ist und was nicht, und nicht Politiker nach ihrer Sympathie für Taten und nach Opportunität. ({5}) Schließlich gibt es leider auch genügend Anhaltspunkte für ein taktisches Verhältnis zum Parlamentarismus, ja für Parlamentsverachtung. Wir durften jetzt auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Mitarbeiter Ihres Fraktionsmitglieds Zdebel sich dazu äußert, dass man in Parlamente nur gehe, um Staatsknete abzugreifen oder um als parlamentarischer Beobachter an Versammlungen teilzunehmen. In vielerlei Hinsicht ist aus diesen Äußerungen Parlamentsverachtung herauszuhören. Deshalb ist es auch berechtigt, zu fragen: Wie stehen Sie zu dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in der in Parlamenten entschieden wird, in der Argumente entscheiden, in der man sich friedlich auseinandersetzt? Das müssen alle Demokraten jederzeit verteidigen. Gewalt ist niemals berechtigt, egal woher sie kommt. Hannah Arendt hat einmal gesagt: „Der Sinn von Politik ist Freiheit.“ Nicht ohne Grund geht auf sie die Extremismus- und Totalitarismustheorie zurück. Wir müssen jedem Angriff auf die Gewaltfreiheit unserer politischen Auseinandersetzung, jeder Verächtlichmachung der demokratischen Willensbildung entgegentreten. Das werden wir Freien Demokraten auch weiterhin tun. Dazu sollten wir zusammenstehen und diese Angriffe, egal woher sie kommen, gemeinsam beantworten. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Teuteberg. – Nächster Redner ist der Kollege Christoph Bernstiel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christoph Bernstiel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Die FDP hat heute eine Aktuelle Stunde zu dem Thema beantragt: Wie verhält sich die Linkspartei zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Dafür möchte ich explizit danken; denn die letzten Ereignisse in Thüringen haben ja auch merkwürdige Äußerungen hervorgebracht. So wurde zum Beispiel hinterfragt, warum denn die CDU nach wie vor eine Unvereinbarkeit mit der Linkspartei sieht, genauso wie sie sie mit der AfD sieht. Wir mussten uns dann die reflexartige Bemerkung anhören: Ja, das könne man ja nicht vergleichen, das sei ja nicht dasselbe. Das möchte ich erst einmal korrigieren: Na, selbstverständlich können wir das vergleichen. Aber es ist nicht das Gleiche. ({0}) Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, um heute Ihnen einmal ganz klar zu erklären – und ein paar Fragen mitzugeben, die Frau Kipping gerne im Nachgang beantworten kann –, warum wir als CDU auf keinen Fall mit Ihnen in irgendeiner Form kooperieren können und wie Ihr Verhältnis zum Verfassungsschutz ist. ({1}) Ich fange einmal an. Der Verfassungsschutz beobachtet nach wie vor offizielle Gliederungen oder von Ihnen getragene Gliederungen wie die Kommunistische Plattform, die Sozialistische Linke, die Arbeitsgemeinschaft Cuba Sí, die Antikapitalistische Linke, den Sozialistischen Dialog, um nur einige zu nennen. Noch kein einziges Mal haben wir hier in diesem Haus von Ihnen gehört, dass Sie sich klar und deutlich von den Gewalttaten der Antifa distanzieren, wenn diese Gewaltverbrechen gegen unsere Polizei oder gegen andere Hilfskräfte verüben – noch nicht ein einziges Mal. ({2}) Da wundert es dann auch nicht, dass es im Nachgang der G-8-Demonstrationen 2007 eine Auswertung der Antifa gab, bei der es dann hieß: Es war schön, mitzuerleben, wie am Rande der Großdemo Steine auf Polizisten geworfen wurden. ({3}) Ihre parteinahe Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, fördert die Antifa-Broschüre „Dazwischen gehen!“. Dieses Zitat haben Sie noch einmal aufgenommen und extra eine Sonderauflage genau für dieses Zitat gemacht. Da muss man sich doch fragen: Was steckt da dahinter? Im Übrigen: Wenn es darum geht, Ihr Verhältnis zur FdGO einfach einmal klarzustellen – es wurde von der Kollegin Teuteberg bereits angesprochen –, dann nehmen Sie ganz aktuell das Zitat von Ihrem Bundesvorsitzenden, als in einer Publikumsveranstaltung gesagt wurde: Wenn wir das eine Prozent der Reichen erschossen haben, dann müssen wir uns ja immer noch fortbewegen. – Darauf antwortet Ihr Bundesvorsitzender: Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie für nützliche Arbeit ein. ({4}) Daraufhin gab es zu Recht eine Welle der öffentlichen Empörung, und im Rahmen dieser erklärte sich dann auch Ihr Bundesvorsitzender. Er sagte: Na ja, es war ja ein erkennbar ironisches Zitat; meine Reaktion – Zitat – „hätte sehr viel unmissverständlicher sein müssen“. Da sage ich: Das ist doch kein unmissverständliches Zitat. Wenn Sie bei der Äußerung, dass Menschen erschossen werden sollen, nicht dazwischengehen und darauf noch mit Ironie reagieren, muss man sich wirklich fragen, ob Sie den Boden der demokratischen Grundordnung bereits verlassen haben ({5}) oder wohin die Reise noch führen soll. ({6}) – Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal sagen: Ich möchte hier keine Bekundungen von der AfD hören. Sie haben vor Ihrer eigenen Haustür zu kehren. ({7}) Im Übrigen: Gehen wir doch noch einmal darauf ein, dass man sagen könnte: Das sind viele, viele Einzelfälle. – Ihr Fraktionsmitarbeiter bzw. der Mitarbeiter des MdB Zdebel hier im Deutschen Bundestag, Tim Fürup, gleichzeitig auch noch Sprecher der Linken in Münster, hat sich auf einer Strategiekonferenz am Wochenende wie folgt geäußert – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Wir müssen diesen parlamentsfixierten Abgeordnetenbetrieb schwächen, und das machen wir damit, dass wir feststellen, was die Aufgaben einer Linken sind: Staatsknete im Parlament abgreifen, Informationen aus dem Staatsapparat abgreifen, der Bewegung zuspielen, den außerparlamentarischen Bewegungen das zuspielen. Und dann braucht man natürlich noch das Parlament als Bühne, weil, die Medien sind so geil auf dieses Parlament, das sollten wir dann auch nutzen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Linken, denken Sie bitte einmal darüber nach, ob Sie Menschen mit so einer Gesinnung und mit so klaren Aussagen tatsächlich hier im Deutschen Bundestag mit dem Geld der deutschen Steuerzahler beschäftigen wollen. ({8}) Zum Abschluss möchte ich noch etwas über den Zustand unserer Gesellschaft und vor allen Dingen unserer Bildungseinrichtungen sagen. Denn hier in Berlin trug sich wieder einmal ein Fall zu, der mich doch fragen lässt, ob der SPD-geführte Bildungssenat – das muss ich leider so sagen – hier noch alles richtig im Griff hat. Auch hier wieder eine Ihnen bekannte Person: die Sängerin Suli Puschban, die das Lied „Supergirl“ kreiert hat. In diesem Lied für Kinder heißt es – ich zitiere erneut –: Mit dem Gesicht vom Bösewicht wischt sie den Boden auf. Wenn er muckt und zuckt und spuckt, dann springt sie noch mal drauf. ({9}) Dazu wurde dann noch ein Gruß für die Kinder gereicht, den ich jetzt hier nicht nachmachen möchte, der aber bis auf einen kleinen Unterschied eins zu eins dem Gruß der Jungpioniere bzw. der FDJ gleicht. Dann heißt der Slogan dazu auch noch statt „immer bereit“, wie es früher hieß, „stets bereit“. Das heißt, hier wird eins zu eins Geschichtsklitterung betrieben mit der Unterstützung der Linkspartei, und die SPD-Bildungsstaatssekretärin bewertet das auch noch als unterstützenswert und kindgerecht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Christoph Bernstiel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über die freiheitlich-demokratische Grundordnung sprechen, dann heißt das auch: ein Konsens gegen jede Form von Gewalt gegen Politiker, gegen Gewalt in der Sprache und auch gegen den Aufruf zu menschenverachtenden und polizeiverachtenden Tendenzen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Christoph Bernstiel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Genau das vermissen wir, liebe Linkspartei, in Ihren Äußerungen und auch in Ihren Taten. Deshalb können Sie für uns kein Partner sein, und Sie werden es in absehbarer Zeit auch nicht werden. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Alexander Gauland, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu einem normalen Parlament gehören ein rechter und ein linker Flügel; denn es soll ja die gesamte Gesellschaft abbilden. Es hat eine Weile gedauert, bis diese Normalität auch in diesem Hause Einzug hielt. Ich schicke das voraus, um klarzustellen, dass wir Meinungspluralismus und harten politischen Streit für etwas Positives halten. Wir werden uns nicht am herrschenden Gesinnungsgouvernantentum beteiligen. Auch radikale Positionen sind legitim, ({0}) sofern sie eben nicht den Rechtsstaat und die Demokratie infrage stellen. Ich setze hier stillschweigend voraus, dass Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Marktwirtschaft die drei Säulen unserer gemeinsamen Gesellschaft sind. Nimmt man eine davon weg, stürzt der gesamte Bau ein. ({1}) Die heutige Linke, meine Damen und Herren, zerfällt in zwei Teile: Der eine hat nolens volens seinen Frieden mit dem politischen System der Bundesrepublik gemacht und sich mit der Marktwirtschaft halbwegs arrangiert. Diese Linken haben aus der Tatsache gelernt, dass jeder sozialistische Staat der Erde aus wirtschaftlichen Gründen kollabiert. Sie wollen den Kapitalismus nicht mehr abschaffen, sondern bewirtschaften. Unzart formuliert: Sie wollen ihn abmelken. Sie streben nach kultureller Hegemonie, nach Herrschaft über die öffentliche Meinung und Kontrolle des Sozialstaates. Sie wollen, dass möglichst viel Steuergeld umverteilt wird und sie diese Geldströme beeinflussen und an ihnen partizipieren. Der andere Teil will nach wie vor Systemwechsel und strebt einen sozialistischen Staat an. Der Verfassungsschutzbericht des Bundes 2018 nennt als extremistische Strukturen in der Linkspartei – jetzt wiederhole ich nicht alles, was der Kollege Bernstiel gesagt hat; aber es kommt noch einiges vor, das Sie vergessen haben –: Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog, trotzkistisches Netzwerk „marx21“ usw. Bodo Ramelow, der seit gestern wieder Ministerpräsident in Thüringen ist, hatte in einem Interview mit der ebenfalls im Verfassungsschutzbericht gelisteten Zeitung „junge Welt“ am 23. Juli 2010 erklärt: Die Kommunistische Plattform ist Teil unserer Partei, ebenso das Marxistische Forum; und ich werde mich nicht zu einer öffentlichen Distanzierung nötigen lassen.“ ({2}) Es ist hier schon gesagt worden: Wir konnten dieser Tage beim Strategietreffen der Linken in Kassel dem Vorschlag einer Dame lauschen, nach der Revolution die Reichen zu erschießen. Und Herr Riexinger milderte wie die 13. Fee an Dornröschens Wiege den Fluch ab – man muss es wiederholen –: Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie für nützliche Arbeit ein. – Ja, das muss man nicht kommentieren; aber man muss es immer wiederholen. Liebe Kollegen von der FDP, liebe Frau Teuteberg, Sie hatten es ja in der Hand, eine Linksregierung in Thüringen zu verhindern. ({3}) Aber Sie haben es leider vorgezogen, zu Kreuze zu kriechen. Und nun beantragen Sie eine Aktuelle Stunde zum Verhältnis der Linken zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, also jener Linken, der Sie gerade zur Macht verholfen haben. ({4}) Besonders konsequent ist das nicht, und ob das liberal ist, da habe ich auch meine Zweifel. ({5}) Wie zu erwarten, erklären die Kollegen von Union und FDP, man müsse den politischen Extremismus links wie rechts bekämpfen. ({6}) Aber in der Realität gibt es nur einen sogenannten Kampf gegen rechts. In diesen Kampf fließen Millionen an Steuergeldern. Nach der Wahl von Herrn Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten wurde das Haus von Herrn Kemmerich belagert, seine Familie bedroht. Antifa und sogenannte Demokraten vereinten sich im Kampf gegen rechts, gegen einen gewählten FDP-Politiker. Nicht nur das Verhältnis der Linken zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist offensichtlich fragwürdig. Meine Damen und Herren, man liest immer wieder, die Linke sei die Nachfolgepartei der SED. Das ist nicht korrekt. Die Linke ist rechtsidentisch mit der SED. ({7}) Im Gegensatz zu uns gilt diese Partei als koalitions- und regierungsfähig. Die Warnung vor einem – angeblich – drohenden Faschismus ist das konstante Begleitgeräusch der politischen Auseinandersetzung in diesem Haus. Heute richtet sich diese Warnung gegen uns. Doch Thüringen zeigt, wie schnell auch CDU und FDP in das Fadenkreuz dieses Antifaschismus geraten können. ({8}) Seien Sie vorsichtig, meine lieben bürgerlichen Kollegen! Ich bedanke mich. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Helge Lindh, SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach meinen Vorrednern habe ich den Eindruck: Manche in diesem Hause haben Hanau inzwischen vergessen. ({0}) Ich habe zwei politische Prinzipien, die, glaube ich, hilfreich sind in der heutigen Debatte. Das eine lautet: „Kehre vor der eigenen Haustür“, und das andere: „Versuche, politisch anständig zu bleiben.“ ({1}) Ich beginne mit dem zweiten: politisch anständig zu bleiben. Die Äußerungen des Mitglieds der Linken, die ja Anlass für die Debatte sind – Herrn Riexingers Reaktion hat es ja noch schlimmer gemacht –, sind – da ist nichts schönzureden – schlichtweg unanständig, inakzeptabel und in einer menschenverachtenden Sprache formuliert. Punkt! Das ist die Feststellung. ({2}) Es ging – ich habe es mir genau angeguckt – nicht um den Ausruf einer Revolution – eher das Gegenteil –; aber das lasse ich beiseite. Die Feststellung lautet: unanständig, menschenverachtend. ({3}) Genauso unanständig, nein, politisch noch unanständiger, finde ich es insbesondere in dieser Woche aber, daraus eine politische Inszenierung zu machen. ({4}) Damit wird die „Bild“-Zeitung zu unserem Referenzrahmen, und damit machen wir den AfD-Kosmos zu unserem Resonanzraum, und das halte ich für absolut unangebracht. ({5}) Ich schätze den Liberalismus sehr; ich bin ein großer Freund des Liberalismus. ({6}) Ich habe mit großer Bewunderung die Rede von Herrn Djir-Sarai und anderen gehört. Wenn aber die FDP hier eine Aktuelle Stunde beantragt, dann hätte sie erst recht auch eine Aktuelle Stunde zum Fall Thüringen, zur Causa Kemmerich, beantragen müssen, ({7}) und sie müsste, ehrlich gesagt, jede Woche fünf Aktuelle Stunden zur AfD beantragen, um das Verhältnis zu wahren. ({8}) Und dann sage ich noch etwas: Schauen Sie sich mal die Einträge unter einem AfD-Film zu der Konferenz in Kassel an. Da steht unter anderem – ich zitiere –: Die Linke gehört rückstandslos entsorgt. – Und – weiteres Zitat –: Den gleichen Gedanken habe ich mit Moslems. – Das sind die Geister, die man ruft. Wollen wir diese Geister in der jetzigen Situation der Herausforderung durch Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus in diesem Land rufen? Ich denke, nein. ({9}) Und weiter: Gestern habe ich hier im Parlament vernommen, dass der von mir durchaus geschätzte Wahlkreiskollege Jürgen Hardt von der CDU leider Folgendes geäußert hat – ich zitiere –: „Mit dieser Haltung können Sie auch ein Konzentrationslager führen.“ Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist absolut pietätlos und inakzeptabel. ({10}) Und das ist deshalb pietätlos und inakzeptabel, weil im Konzentrationslager Kemna in meinem heutigen Wahlkreis Wuppertal Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten zu Tode gefoltert wurden. Wie können wir mit einem solchen Vergleich hier diskutieren? ({11}) Wenn Sie die Hufeisentheorie verwenden, dann achten Sie bitte darauf, in welchem Kontext Sie es tun. ({12}) Jetzt komme ich zu meinem zweiten Prinzip, meiner zweiten Vorgabe: Kehre vor der eigenen Haustür. – Ja, das müssen wir auch selbst tun. Ich könnte jetzt einfach urteilen über Die Linke und andere; aber wir haben unser eigenes Problem: Wir haben Thilo Sarrazin in der Partei – er ist immer noch nicht ausgeschlossen –, der nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass die AfD hier sitzt. ({13}) Wir müssen uns also selber kritisch betrachten. ({14}) Aber auch die CDU hat ihre Dämonen. Da gibt es die WerteUnion, die auf unsägliche Weise gegen die Kanzlerin hetzt. ({15}) Auch das, denke ich, ist nicht förderlich für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. ({16}) Herr Kellner von den Grünen hat sich stark aufgeregt, auch begründet. Aber auch die Grünen wissen, welche Belastung sie manchmal mit Boris Palmer haben, auch wenn das nicht vergleichbar ist mit den anderen Fällen. ({17}) Sehr geehrte Damen und Herren, was hier das eigentliche Thema sein müsste und was Ursache und Anlass für eine Aktuelle Stunde anstelle dieser sein müssten, wären zum Beispiel die Äußerungen von Herrn Curio und Herrn Hartwig am Donnerstag dieser Woche in diesem Parlament. Das war der Tiefpunkt und die größte Schande, die die Bundesrepublik in diesem Hause erlebt hat. ({18}) In einer Woche, in der wir an die Opfer, an die Morde erinnern, an den NSU, an Hanau, an Kassel, sollten wir – bei allem Verständnis – nicht über diese ziemlich unwichtige Konferenz der Linken in Kassel reden, ({19}) sondern wir sollten über die Kasseler Erschießung, über Halit Yozgat, den Verfassungsmann Andreas Temme reden; wir sollten über Kubasik, Simsek und all die Toten reden. ({20}) Wir sollten hier Aktuelle Stunden veranstalten im Sinne und im Gedenken an die Opfer.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Denn wenn wir hier alle, von der CDU bis zur Linken, bei allen Differenzen nicht geschlossen eine Wand bilden und für diese Demokratie zusammenstehen, dann werden wir diese Demokratie gemeinsam an die Wand fahren, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– und jubeln wird die AfD. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping, Fraktion Die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne mal damit, vor der eigenen Haustür zu kehren. Bei der Gewaltfrage darf es keine Unklarheiten und keine Ironie geben. ({0}) Für demokratische Linke kann es da nur eine klare Haltung geben: Gewaltlosigkeit. ({1}) Deswegen war der vielzitierte Wortwechsel in Kassel ein großer Fehler. Bernd Riexinger hat das selbst als Fehler bezeichnet, und er hat ausdrücklich um Entschuldigung gebeten. Wer Bernd Riexingers Lebensweg kennt, wer seine Auseinandersetzung mit Dogmatismus kennt, ({2}) der weiß, dass er diese Entschuldigung sehr ernst meint. ({3}) Ja, wir Linken müssen damit umgehen, dass alle unsere Äußerungen immer im Lichte der Verbrechen gesehen werden können, die im Namen des Sozialismus begangen wurden. ({4}) Das ist unsere historische Bürde. Und im Wissen um unsere historische Bürde möchte ich heute zum Thema „Mauertote und SED-Unrecht“, weil Sie das immer wieder ansprechen, um die Hufeisentheorie zu begründen, Folgendes ganz deutlich sagen: Dass Menschen beim Versuch, ein Land zu verlassen, ihr Leben riskieren mussten oder sogar verloren haben, ist großes Unrecht. Nun könnte ich es mir leicht machen und sagen: Ich war damals elf Jahre, als die Mauer fiel. – Ich könnte es der Linken leicht machen und sagen: Mindestens 80 Prozent der Linken waren garantiert nicht SED-Mitglieder, ({5}) weil sie zu jung waren oder viel später eingestiegen sind. – Aber ich möchte es mir und der Linken nicht leicht machen, ({6}) weil man mit einer historischen Bürde nicht einfach leichtfertig umgeht. Deshalb bitte ich heute im Namen der Linken alle, die unter der Mauer gelitten haben, erneut um Entschuldigung. ({7}) Ich bitte alle, deren Familien auseinandergerissen wurden und die Angehörige verloren haben, um Entschuldigung, und ich bitte alle, die bespitzelt wurden, um Entschuldigung. Ich habe es in der Vergangenheit gesagt, sage es heute und werde es auch in Zukunft sagen: ({8}) Für dieses Unrecht gibt es keine Rechtfertigung. ({9}) Kein Mensch sollte beim Versuch, ein Land zu verlassen, sein Leben riskieren müssen. ({10}) Diese Erkenntnis gilt nicht nur beim Blick zurück auf die DDR; sie gilt auch heute und überall. Und deswegen ist es unerträglich, was sich aktuell an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei abspielt. Hier werden Menschenrechte mit Füßen getreten. ({11}) Im Titel dieser Aktuellen Stunde geht es um die freiheitlich-demokratische Grundordnung, und deswegen frage ich die FDP: Sind Sie wirklich der Meinung, dass Sie in den vergangenen Wochen alles getan haben zum Schutz der Demokratie? Wie war das denn am Mittwoch, als mit Björn Höcke ein Faschist für das Amt des Ministerpräsidenten antrat? ({12}) Wenn Höcke Ministerpräsident geworden wäre, hätte er womöglich einem Holocaustleugner die Oberaufsicht über die Gedenkstätte Buchenwald und über die Lehrpläne in den Schulen übertragen. ({13}) Und was tat die FDP in dieser Stunde der Entscheidung? Sie verweigerte sich der Abstimmung. So sieht der Einsatz der FDP für die Demokratie aus. ({14}) Da ich wirklich für eine kritische Auseinandersetzung mit linker Geschichte streite, frage ich CDU und FDP: Sind Sie eigentlich wirklich zufrieden mit der Aufarbeitung Ihrer eigenen Geschichte? Wissen Sie, mein Großvater war in der Blockpartei LDPD, die sich mit der FDP vereinigte. Mir kann niemand erzählen, dass alle Blockparteimitglieder systemkritisch waren. So mancher entschied sich nämlich auch dafür, weil das einfach nur förderlich für die Karriere war. ({15}) Vor diesem Hintergrund hatte die Ost-CDU 1989 zu Recht unter dem Motto „In der Wahrheit leben“ mit einer kritischen Reflexion über ihre eigene Rolle angefangen. ({16}) Doch dies wurde jäh abgebrochen, als es zum Anschluss an die West-CDU kam. Das Angebot der West-CDU lautete einfach: Wer zu uns kommt, steht automatisch auf der richtigen Seite; der muss sich nicht mit seiner Geschichte auseinandersetzen. – Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wurde ersetzt durch eine pauschale, scharfe Abgrenzung gegen alles Linke. Ich frage Sie: Ist eine pauschale Abgrenzung gegen alles Linke wirklich der Ersatz für eine ausreichende Aufarbeitung der eigenen Geschichte? ({17}) Ich meine, wer seine eigene Geschichte nicht kritisch aufarbeitet, kann für die Zukunft kaum richtige Schlüsse ziehen. ({18}) Das gilt für uns alle – auch für die Linke, aber eben nicht nur. Vielen Dank. ({19})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Kipping. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die Kollegin Canan Bayram. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich musste vorhin kurz durchatmen. ({0}) Für jemanden wie mich, in deren Familie es Menschen gibt, die das DDR-Unrecht am eigenen Leibe erlebt haben, und als Vertreterin, die einen Wahlkreis repräsentiert – Friedrichshain –, in dem Menschen Unrecht erfahren haben, wodurch ihre Leben zerstört wurden, auch wenn sie nicht ihr physisches Leben verloren haben, war es in Teilen schwer auszuhalten. Das muss ich Ihnen ehrlich sagen, Frau Kipping. ({1}) Als ich diesen Beitrag, dieses Video, gesehen habe, war mein erster Gedanke: Hallo! Geht’s noch? Herr Riexinger, geht’s noch? – Was bedeutet eigentlich Menschenwürde? Was bedeutet es eigentlich, Menschenrechte zu achten? Was sagt es aus, wenn wir hier ständig darüber reden, wo wir die Grenze des Sagbaren setzen? Wenn wir den Rechten vorwerfen, Menschen verächtlich zu machen: Was bedeutet es dann, auf einer solchen Veranstaltung keine Grenze zu ziehen? Hallo! Geht’s noch? Das ist für mich nicht entschuldbar. ({2}) Ich sage das in aller Deutlichkeit, weil ich auch in die andere Richtung, Frau Teuteberg, ganz klar sage: Geht’s noch, FDP? Haben Sie Ihre Blockparteien in der DDR vergessen? Haben Sie Ihr Verhalten vor einigen Wochen in Thüringen vergessen? Geht’s noch, FDP? Was meinen Sie eigentlich, welche Überlegenheit Sie haben, wenn Sie sich hierhinstellen, diese Aktuelle Stunde beantragen und den Eindruck erwecken wollen, als wenn Sie über allem stehen würden? ({3}) Das macht mich sehr wütend, und ich frage mich wirklich, ob ich die Einzige bin, die Menschen aus dem Osten und aus dem Westen kennt, selbst einen Migrationshintergrund hat und in dieser Woche hier diese Reden gehört hat. Die Rede, die mich am meisten bewegt hat, war die von dem FDP-Kollegen. Was er hier über seine Eltern und die Angst erzählt hat, habe ich auch von meinen Eltern erfahren. Ich habe gedacht: Es ist doch wirklich spannend, wenn wir hier über unsere Erfahrungen reden und damit auch im ganzen Haus verdeutlichen, dass wir alle gegenüber den Müttern, die bei den Anschlägen ihre Kinder verloren haben und deren Tränen noch nicht getrocknet sind, eine Verantwortung dafür haben, hier deutlich zu machen: Rechtsterrorismus darf in diesem Land keine Chance haben; dagegen stellen wir uns alle gemeinsam. ({4}) Ich wundere mich wirklich, für welche Spielchen hier Zeit ist. Ich muss mal sagen – der Jürgen Martens redet ja gleich noch –: Gestern Abend nach der Runde zum Strafrecht sind Sie mit dem Kollegen Straetmanns von der Linken noch einen trinken gegangen. Das hat mir gefallen. Das sage ich ganz ehrlich. So wünsche ich mir das. Unter den Demokraten müssen wir um die beste Lösung streiten. Aber lassen Sie uns hier doch keine Showkämpfe in Form einer Aktuellen Stunde veranstalten! Das haben die Menschen in diesem Land nicht verdient, ({5}) und auch das Vergehen von Herrn Riexinger rechtfertigt so eine Aktion hier nicht. Was mir wichtig ist: Die Kollegin Basay-Yildiz – eine Anwaltskollegin aus Frankfurt – hat im NSU-Prozess Hinterbliebene der NSU-Opfer als Nebenklagevertreterin vertreten. Sie wird aktuell bedroht – selbst aus der Polizei heraus. Ihr Leben wird bedroht; das Leben ihres Kindes wird bedroht. Es gab verschiedene Anschläge. Bei uns leben Menschen jüdischen Hintergrundes, muslimischen Hintergrundes, migrantischen Hintergrundes. Sie erwarten von uns, dass wir hier arbeiten. Verdammt noch mal! Machen Sie doch Ihre Arbeit! ({6}) Und dazu gehört auch, dass wir die AfD-Rechten rauslassen. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In vielem von dem, was zum Erhalt unserer Demokratie nötig und wichtig ist, wenn es darum geht, die Feinde der Demokratie, die es in mehreren Facetten gibt, zu bekämpfen, ist sich der große Teil dieses Hauses, glaube ich, einig. Hier reden wir jetzt aber über Die Linke. Ich sage Ihnen: Der Vorwurf, dass es mit Blick auf die Wahlen zum Ministerpräsidenten in Thüringen nicht richtig oder nicht ehrenhaft ist, dass ausgerechnet die FDP diesen Tagesordnungspunkt aufgesetzt hat, ist an Heuchelei kaum zu überbieten. ({0}) Es stimmt zwar, dass sich dort alle Fraktionen nicht mit Ruhm bekleckert haben; ({1}) aber ich möchte schon bitten, dass hier mit gleichem Maß gemessen wird. Die FDP hat sich zwar in einem Wahlgang von der AfD mitwählen lassen, aber diesen Fehler korrigiert – zwar spät, aber besser spät als nie. ({2}) Der Ministerpräsiden Ramelow ist 2014 hingegen ebenfalls nur mithilfe einer Stimme der AfD in sein Amt gekommen. Korrigiert hat er das nie. Im Gegenteil: Ramelow hat außerdem zum Besten gegeben, dass er selbst gestern mit seiner Stimme die Wahl eines AfD-Vizepräsidenten im Thüringischen Landtag unterstützt hat. ({3}) Wo ist denn hier der große Aufschrei von links, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen? ({4}) Jetzt aber zu der Linken. Nach allem, was uns die Geschichte gelehrt hat, kann ein sozialistisches System niemals demokratisch sein. ({5}) Im Parteiprogramm der Linken heißt es gleich zu Beginn: Wir bündeln politische Erfahrungen aus der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland. Sie will also die staatlichen Erfahrungen der DDR, einer menschenverachtenden Diktatur, die ihre Bürger abgehört, eingesperrt, gefoltert und erschossen hat, einbringen. Die Opfer hätten auf diese Erfahrungen lieber verzichtet. ({6}) Die Extremisten geben sich oft wie der Wolf im Schafspelz. Es scheint bei der Linken zunehmend so, als hätte auch der rote böse Wolf wieder das Schafsgewand angelegt und Kreide gefressen, um sich in Parlamente und Regierungen einzuschleichen. Zum Glück scheint der Linken kürzlich auf ihrer Strategiekonferenz die Kreide ausgegangen zu sein. Dort konnte sich jeder ein Bild davon machen, was Die Linke tun würde, wenn sie Regierungsverantwortung in Deutschland tragen würde. ({7}) Da wurde von „Erschießungen“ und wahlweise von „Zwangsarbeit“ schwadroniert. Der Deutsche Bundestag und der gesamte deutsche Staatsapparat sollen von innen ausgehöhlt werden. Dafür will man lieber die Antifa stärken, zu der man sich als selbsternanntes Scharnier betrachtet. Dabei werden Diktatoren, Autokraten hofiert, und es wird schweigend über deren Verbrechen hinweggesehen, wie etwa in Russland, Kuba oder Venezuela. Angesichts dessen schreibt Georg Anastasiadis im „Münchner Merkur“ überaus treffend – ich zitiere –: Die Linkspartei ist mitnichten die demokratische Musterpartei, schon gar nicht die verfolgte Unschuld, als die sie nun seit Wochen durch die Lande tingelt. Hinter ihrer Biedermeier-Maske lurt noch immer die alte rotgesichtige SED hervor, die mit Putin und Maduro kuschelt und in Phantasien schwelgt, wie man Reiche erschießt oder zu gemeinnützigen Arbeiten heranzieht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie können wir denn da noch Zweifel haben, dass Die Linke zumindest in Teilen auf dem besten Weg dazu ist, unsere freiheitlich-demokratische Ordnung zu verlassen? Hier sind keine Witze, sondern hier ist eher eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz angebracht. Warum haben Sie, Herr Riexinger, nicht die Chance ergriffen, sich heute hier zu stellen und sich selbst zu entschuldigen? Waren Sie dazu nicht Manns genug? ({8}) Herr Kollege Riexinger, ziehen Sie endlich Konsequenzen aus dieser Geschichte, und treten Sie als Parteivorsitzender zurück! ({9}) Und, Herr Riexinger, geben Sie auch gleich Ihr Bundestagsmandat ab! Sie haben für unser Engagement hier im Hohen Haus nur Hohn und Spott übrig. Sie haben kürzlich öffentlich hinterfragt, ob Sie sich die Arbeitserfahrung als Bundestagsabgeordneter nicht hätten ersparen sollen. Ich sage Ihnen: Hätten Sie in diesem Parlament mal ordentlich gearbeitet, dann würden Sie nicht einen solchen Unsinn verzapfen. ({10}) Wer so redet und auch so handelt wie Die Linke, der darf niemals wieder Regierungsverantwortung in Deutschland bekommen. ({11}) Die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der SPD frage ich daher: Wo bleibt eigentlich Ihre Empörung und Ihr Aufschrei angesichts solcher Äußerungen und Eskapaden? ({12}) Sie, Herr Kollege Lindh, haben Dinge relativiert, die einfach nicht zu relativieren sind. Ich habe eher den Eindruck, Sie verzichten auf zu viel Kritik, aus Rücksicht auf eine zukünftige grün-rot-rote Koalition. Wenn Sie sich hier nicht endlich abgrenzen, sind Sie offensichtlich bereit, in die rote Kolonne einzutreten, ({13}) eine rote Kolonne, die dann Deutschland unter dem Motto „Verbieten, enteignen und erschießen“ in die Zukunft führen will. Meine Damen und Herren, die CSU war, ist und wird immer das Bollwerk gegen den Sozialismus sein. ({14}) Wir wollen unsere freiheitlich-demokratische Ordnung in Deutschland bewahren und nicht gegen eine sozialistische Knechtschaft eintauschen. Wir werden unsere freiheitliche Demokratie gegen jeden Feind, ob von links oder von rechts, mit Haut und Haaren verteidigen. Herzlichen Dank. ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Stephan Brandner, AfD-Fraktion. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns in der gebotenen Sachlichkeit ({0}) reden über eine Mauermörderpartei mit Massenmörderideologie.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Brandner, bevor Sie weiterreden, erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf wegen der Missachtung des sitzungsleitenden Präsidenten. Sie beginnen Ihre Rede mit „Herr Präsident!“!

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich dachte, bei Männern und Frauen und Damen und Herren wären Sie einbezogen, Herr Kubicki.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Brandner, Sie erhalten einen zweiten Ordnungsruf. Beim dritten Ordnungsruf dürfen Sie das Podium verlassen. ({0})

Stephan Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004678, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. – In der gebotenen Sachlichkeit: Wir reden über eine Mauermörderpartei mit Massenmörderideologie, eine Partei, die 40 Jahre lang in einem Teil Deutschlands diktatorisch regierte und Tausende von Toten auf dem Gewissen hat, Erschossene an den Grenzen, zu Tode Gefolterte, in den Selbstmord Getriebene, zerstörte, zerrissene Familien, Tausende psychisch gebrochene Menschen, eine Partei, die einer verbrecherischen Ideologie angehört, der Ideologie des Sozialismus. Alleine die rote Seite, allein der rote Sozialismus, hat über 100 Millionen Tote in den letzten 150 Jahren gefordert. Dazu kommen die Millionen Toten des braunen Sozialismus, meine Damen und Herren. Das verleitet uns als AfD dazu, zu sagen: Nie wieder Sozialismus in diesem Land, ({0}) nirgendwo auf dieser Welt, weder roten noch braunen, schon gar keinen sich anbahnenden grünen Sozialismus. Eine Partei, die nichts dazugelernt hat, sind die Linken trotz ihrer Verfehlungen. Herr Ramelow zeigte sich vor Kurzem noch verzückt über Stalin-Devotionalien in Russland. Ein bekennender Linksextremist in Thüringen ist wieder Staatskanzleichef geworden. Er hat am Rednerpult des Thüringer Landtags gesagt, „linksextrem“ sei ein Ehrentitel für ihn. Ich rede von Herrn Benjamin-Immanuel Hoff. Sie huldigen weltweit verstorbenen und noch lebenden Diktatoren und Massenmördern. Zuletzt wollten Sie sich bei Ihrem Kasseler Kongress dazu herablassen, etwa 850 000 Deutsche zu erschießen, um Ihre Revolution umzusetzen. Es war ein historischer Fehler – ich habe das hier schon mal gesagt –, die SED nicht am Ende der DDR zu verbieten, das Vermögen einzuziehen und die ganze Sache so zu beenden. Dann wäre uns das erspart geblieben, was Sie in den letzten Jahren hier abgeliefert haben, meine Damen und Herren. ({1}) Das Geld, das eingezogen worden wäre, hätte vernünftig eingesetzt werden können und nicht in Ihrem perfiden Kampf gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Meine Damen und Herren, der Kollege Dr. Gauland hat schon auf die extremistischen Strukturen der Linken hingewiesen. Deshalb lasse ich dazu weitere Ausführungen weg. Die Frage der Aktuellen Stunde ist: Wie ist das Verhältnis der Linkspartei zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Diese Frage hat ein Redner auf Ihrem Kongress in Kassel am vergangenen Wochenende eigentlich sehr schön beantwortet. Die Aufgabe der Linken sei – ich zitiere hier noch mal mit Erlaubnis des verehrten Präsidenten –: Staatsknete im Parlament abgreifen. Informationen aus dem Staatsapparat abgreifen. Der Bewegung zuspielen. Den außerparlamentarischen Bewegungen das zuspielen. Und dann braucht man natürlich noch das Parlament als Bühne, ({2}) weil die Medien sind so geil auf dieses Parlament, das sollten wir doch nutzen … Das hat ein Redner von Ihnen in Kassel gesagt. Ich glaube, das lässt tief blicken und beantwortet die Frage, wie Ihr Verhältnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist. Sie haben sich in unsere freiheitliche Gesellschaft eingenistet, Sie lassen sich von ihr versorgen, Sie saugen sie aus, Sie plündern sie aus, um dann eine sozialistische Diktatur zu errichten. ({3}) Das ist das Bild, das Sie in Deutschland vermitteln, das, was Sie umsetzen wollen. Das alles hält aber die anderen Parteien nicht davon ab, mit dieser offen verfassungsfeindlichen Partei zu kuscheln und zu kooperieren. Die Grünen und die SPD koalieren offiziell mit dieser Partei. Da wundert es nicht, dass wir eine grüne Justizministerin in Sachsen haben, die es schön findet, zu singen: „Advent, Advent – ein Bulle brennt“. Wir haben die CDU in Thüringen – deshalb ist es an Heuchelei kaum zu überbieten, was Sie als CDU hier vom Stapel lassen –, die eine Kooperationsvereinbarung, einen Koalitionsvertrag geschlossen hat mit der rot-sozialistischen Regierung dort. Sie stützen diese Regierung – Sie nennen es zwar noch nicht Koalitionsvertrag, sondern Stabilitätspakt, aber das ist genau das Gleiche –, um diese Person, also Herrn Ramelow, ins Amt zu hieven und da zu belassen. ({4}) Die FDP hat sich schließlich auch als Steigbügelhalter in Thüringen herausgestellt – dadurch, dass sie ihren Ministerpräsidenten wieder zurückgezogen hat. Sie hätte einfach ein bisschen Arsch in der Hose behalten und zwei, drei Tage medialen Sturm durchstehen sollen. Die bürgerliche Mehrheit in Thüringen hätte für fünf Jahre gestanden. Fünf Jahre lang hätten wir vernünftige, bürgerliche Politik in Thüringen machen können. Sie haben es leider in den Sand gesetzt – ({5}) Sie von der FDP und Sie von der CDU. Meine Damen und Herren, Sie machen sich mit der Mauermörderpartei, die auf Massenmörderideologien fußt, gemein und fallen auf deren Tricks herein. Wie perfide diese Tricks waren, haben Sie heute gemerkt: dass Herr Ramelow selber plötzlich AfD-Kandidaten wählt. Sie haben mitgeholfen, Ihren eigenen Kandidaten wegzuputschen; da haben Sie mitgemacht. Jetzt ist Ramelow im Amt und zeigt Ihnen den Stinkefinger in politischer Hinsicht. So einfach ist es, Sie hinter die Fichte zu führen. Wir haben über diese Hufeisentheorie geredet. Meine Damen und Herren, da muss man an einer Stelle etwas korrigierend eingrenzen und sagen: Das Gegenstück der Linken auf der rechten Seite ist nicht die AfD; es ist die NPD. – Das muss mal ganz klar gesagt werden. ({6}) Mit anderen Worten: Auf der linken Seite dieses Parlaments sitzen die einzigen Nazis in diesem Haus – die Nationalsozialisten auf der linken Seite. ({7}) Meine Damen und Herren, diese links-faschistische Truppe auf der linken Seite mit ihrer Partei gehört wegen ihrer extremistischen Umtriebe verboten und abgeschafft, und das lieber heute als morgen. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Brandner, erlauben Sie mir zwei Hinweise. Für die Klassifizierung der Linken als nationalsozialistische Partei erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf. Das ist der dritte. Ich behalte mir weitere Ordnungsmaßnahmen vor. Das sage ich ausdrücklich; ich muss noch darüber nachdenken. Ihre ständige Provokation des Präsidiums bei der Anrede, auf die Sie mehrfach hingewiesen worden sind, wird weitere Maßnahmen nach sich ziehen. Sollte das noch einmal passieren, wird es nicht beim Ordnungsruf bleiben. Als nächste Rednerin hat die Kollegin Sylvia Lehmann, SPD-Fraktion, das Wort. Das ist ihre erste parlamentarische Rede. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauende auf den Tribünen und am Bildschirm! Vielen Dank, Herr Präsident, für die freundliche Ankündigung. Wenngleich es mir eine große Freude und Ehre ist, heute hier vor Ihnen sprechen zu dürfen, bin ich doch ein wenig erstaunt. Ich wundere mich, dass gerade jetzt die FDP die Vereinbarkeit der Linken mit den freiheitlich-demokratischen Grundwerten Deutschlands infrage stellt. War es nicht just die FDP, die erst vor wenigen Wochen mindestens einem Faschisten eine Bühne geboten hat? ({0}) Gilt nicht genau das als größter Tabubruch der deutschen Nachkriegsgeschichte? ({1}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP, Ihr Antrag zur Aktuellen Stunde ist wenig überzeugend. Es scheint, als wollten Sie die mediale Beachtung erlangen und die Aufmerksamkeit vom eigenen Versagen weglenken, in diesem Fall zur Linkspartei. Es ist eben manchmal doch so: Ein Antrag sagt oft viel über den Antragsteller aus. ({2}) Selbstverständlich war die Aussage der Besucherin besagter Veranstaltung der Linken in Kassel völlig inakzeptabel. Umso mehr hätte es einer klaren Abgrenzung vonseiten des Bundesvorsitzenden bedurft. Inzwischen haben beide ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht und sich glaubhaft vom Gesagten distanziert. ({3}) Eines will ich klarstellen: Ich werde weder zur Anwältin der Linken, noch verteidige ich den Unrechtsstaat DDR. Dennoch nutze ich als langjährige Abgeordnete des brandenburgischen Landtages die Gelegenheit, um Ihnen von meinen, unter anderem auch positiven Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Politikerinnen und Politikern der Linkspartei zu berichten. Die Brandenburger Linksfraktion hat als Koalitionspartner Anträge der Opposition häufig offener und toleranter geprüft als manch andere Koalitionspartner. Sie haben eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Anträgen der Opposition ermöglicht, was nicht unbedingt selbstverständlich ist. Das war professionell, souverän, aber vor allem demokratisch. Als überzeugte Sozialdemokratin wusste ich diese Kultur der sachbezogenen interfraktionellen Zusammenarbeit sehr zu schätzen. Aber ich sage auch: Ich bin sehr froh, dass es bei uns in der SPD diese Entgleisungen nicht gibt, wozu ich diesen Satz auf der Diskussionsveranstaltung, aber auch die Strafanzeige gegen die Kanzlerin zähle. Wir Sozialdemokraten wollen nicht spalten, sondern Zusammenhalt stärken. Mit einer vernünftigen Besteuerung großer Vermögen wollen wir die Schere zwischen Arm und Reich schließen. ({4}) Die Wahl in Thüringen, der islamfeindliche Massenmord in Hanau, der antisemitische Anschlag auf die Synagoge in Halle, der rechtsterroristische Mordfall Lübcke – bei all diesen Vorfällen hat die SPD eine klare, geschlossene Position verfolgt. ({5}) Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht neu: Schon seit dem Godesberger Programm gilt – ich darf zitieren –: Wir streiten für Demokratie ..., weil sie allein Ausdruck der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist.Wir widerstehen jeder Diktatur, jeder Art totalitärer und autoritärer Herrschaft; denn diese mißachten die Würde des Menschen, vernichten seine Freiheit und zerstören das Recht. Gestern verkündete der Innenminister hier im Bundestag: „die höchste Bedrohung in unserem Land geht vom Rechtsextremismus aus.“ Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Das beginnt oft mit der Sprache und mit dem offenen Wort. Lassen Sie uns hier Vorbild sein. Danke schön. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Martens, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004816, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon beachtlich, welche Emotionen diese von uns beantragte Aktuelle Stunde hier hervorruft. Man muss allerdings am Anfang einiges klarstellen. Herr Lindh, wenn Sie uns hier belehren, was wir alles hätten beantragen können und sollen, seien Sie darauf hingewiesen: Wir haben eine Aktuelle Stunde zum Thema Hanau beantragt, und daraus wurde dann die Vereinbarte Debatte. ({0}) So viel dazu. – Im Übrigen: Das Gewicht von Argumenten wird nicht in Dezibel gemessen. ({1}) Genauso wenig haben wir es als Liberale, die wir von Anfang an diesen Rechtsstaat und die Demokratie mitgestaltet haben, an dieser Stelle nötig, uns von Frau Kipping belehren zu lassen, was wir in Thüringen hätten sein oder machen oder tun oder lassen dürfen. Wir haben – das ist klar – Herrn Ramelow eben nicht zum Ministerpräsidenten gewählt. Wir haben ({2}) gar nicht gewählt. Deswegen verstehe ich auch nicht, warum wir von der AfD angegriffen werden, wir hätten Herrn Ramelow zur Macht verholfen. ({3}) Das ist doch dummes Zeug. Das ist ersichtlich dummes Zeug. ({4}) Die FDP wird weder im Bund noch in Thüringen mit Linken Koalitionen eingehen oder mit der AfD kooperieren; das haben wir in Thüringen klargestellt, und ich stelle es heute wieder klar, meine Damen und Herren. Um auf den Gegenstand der Debatte zurückzukommen – das geht ja hier im Gefechtsnebel zunehmend unter –: Es geht um Aussagen, die im Rahmen von Parteikongressen der Linken gemacht worden sind, angefangen mit irgendwelchen Absonderungen einer zurückgebliebenen Aktivistin. Aber das Ganze wurde durch die klärenden Worte des Parteivorsitzenden nicht besser, der gesagt hat, man werde die Reichen nicht erschießen, sondern gemeinnützig arbeiten lassen, vulgo: Sie kommen in den Gulag. Dass darüber Empörung ausbricht, darüber kann sich in diesen Zeiten wirklich keiner wundern. Die FDP hat ausgerechnet jetzt diese Aktuelle Stunde beantragt, weil gerade in dieser Woche diese bemerkenswerten Sätze auf dem Kongress der Linken gefallen sind. Das ist also auch nicht unsere Schuld. ({5}) An dieser Stelle muss ich eins sagen: Die Entschuldigung für die Mauertoten habe ich gehört. Wenn sie nur nicht so umrahmt gewesen wäre vom Gegenangriff auf andere! ({6}) Da bleibt es nicht beim stillen Gedenken, sondern es wird nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ und im Stil „Ihr aber auch!“ gesagt, die LDPD und ähnliche Parteien hätten aber auch als Blockpartei mitgearbeitet. Ja, hat sie; aber es gab Unterschiede zwischen der SED und der LDPD. Das können Sie von denjenigen erfragen, die in der SED bzw. in der LDPD waren. Viele aus der LDPD, die in der FDP weiterarbeiten, legen Wert darauf, dass sie eben nicht in der SED gewesen sind. ({7}) Zu den heutigen Zitaten muss man sagen: Sie stehen in einem anscheinend fatalen Kontinuum zu einer Geschichte, die nach wie vor die endgültige Auseinandersetzung mit politischer Gewalt vermissen lässt. Wenn nach den Krawallen bei G 8 oder G 20 in Hamburg aus den Reihen der Linken diese Gewalttaten entschuldigt, verharmlost oder bagatellisiert werden, stellt sich wirklich die Frage, inwieweit die Partei insgesamt und strukturell ihr Verhältnis zu politisch motivierter Gewalt geklärt hat. Das ist nach wie vor offen. Dabei geht es um die politische Kultur in diesem Land insgesamt. Sie merken offensichtlich gar nicht, dass solche Äußerungen – für diese haben sie sich entschuldigt – und viele andere Äußerungen das Bild abgeben, dass Ihre Partei insgeheim oder zumindest dann, wenn sie die Chance erhielte, politische Gewalt doch als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele betrachtet. Dagegen wenden wir uns und wollen dies ein für alle Mal klarstellen. Uns kann da bestimmt keiner einen Vorwurf machen. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen Liberalen und Sozialisten oder Kommunisten und Rechtspopulisten: Von gewalttätigen Liberalen ist noch nie berichtet worden. Wir haben noch nie Schlägertrupps losgeschickt, meine Damen und Herren. ({8}) Das wird man hier wohl sagen können und müssen. Es ist schade, dass man es sagen muss in diesem Land. Uns geht es um die politische Auseinandersetzung in einer Kultur, in der Argumente zählen und in der von vornherein unmissverständlich klar ist: Gewalt hat in der politischen Auseinandersetzung keinen Platz. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Martens. – Als Nächster erhält das Wort der Kollege Sepp Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sepp Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie steht Die Linke zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Ich bin 31 Jahre jung, bin in einem Land geboren, das es jetzt nicht mehr gibt. Ich habe einen Impfausweis mit einem Hammer und einer Sichel drauf. Ich könnte es mir jetzt einfach machen und eine Rede zum DDR-Unrechtsstaat vortragen. Warum könnte ich es mir einfach machen? Weil Ihre Rechtsvorgänger meinen Urgroßvater als Fleischermeister enteignet haben, ihm die Ländereien weggenommen haben, ihm sein Ferienhaus weggenommen haben und ihn aus Halle Richtung Schköna zwangsumgesiedelt haben, weil er aus ihrer Sicht vermögend war. Ich könnte es mir einfach machen; mache ich aber nicht. Ich könnte es mir auch einfach machen und aus den Verfassungsschutzberichten der letzten Jahre zitieren, aus denen hervorgeht, dass Teile aus Ihrer Partei beobachtet werden. Es wird klar, dass sie nicht auf der Grundlage dieser Verfassung stehen und diese Demokratie verteidigen. Aber nein, das möchte ich auch nicht machen. Wissen Sie, ich bin 31 Jahre jung, und ich schätze Europa. Ich schätze ein Europa, wo wir Grenzen haben, die wir als Menschen frei überqueren können, wo wir in der Europäische Union freiheitlich leben können, wo junge Menschen reisen können, Reisefreiheit haben. Ich schätze auch ein Europa, das meiner Generation die Möglichkeit gibt, Werte zu schaffen, sich eine Familie aufzubauen und an der Wirtschaft teilzuhaben. Ich schätze Europa, weil es sozial gerecht ist, weil es den Schwächsten in unserer Gesellschaft etwas zurückgibt von denjenigen, die mehr haben. Dann muss ich feststellen, dass auf Ihrer Strategiekonferenz in Kassel – das kann man nicht einfach mit einem Federstreich wegmachen – gesagt wurde, man müsse ein Prozent der Deutschen – 850 000 Menschen – erschießen. ({0}) Herr Riexinger, Sie hatten vorhin die Möglichkeit, sich selbst hierhinzustellen und sich zu entschuldigen. Sie haben gesagt: Nein, wir wollen sie nicht erschießen; wir wollen sie in Arbeit schicken. ({1}) Das macht es nicht besser, im Gegenteil: Es ist furchtbar, 850 000 Menschen zur Zwangsarbeit zu schicken, keine freiheitlich-demokratische Grundordnung gelten zu lassen, sie nicht partizipieren zu lassen an diesem Wirtschaftssystem. Wir hören aus Ihren Reihen, von der Strategiekonferenz, einige – Herr Riexinger, Sie selbst als Parteivorsitzender der Linken waren ja auch dort –, die fordern, dieses Parlament verächtlich zu machen, die sagen: Wir müssen die Parlamente unterwandern, das Geld rausnehmen, die Differenz vom Facharbeiterlohn zur Abgeordnetendiät der Antifa – welche vom Verfassungsschutz verfolgt wird – zugutekommen lassen. – Sie sitzen hier ruhig und haben den Kelch – nämlich die Chance, sich hier für die eigenen Fehler zu entschuldigen – an Frau Kipping weitergereicht. ({2}) Sie stellt sich hierhin und sagt: Es tut uns leid für die Mauertoten. Warum ich sage, dass das nicht zu ertragen ist, zeigt der 23. Februar 2019, der Tag Ihres Europaparteitages. Am 23. Februar 2019, einen Tag nachdem in Venezuela nachweislich zwei Menschen an der Grenze erschossen wurden, weil sie in Venezuela Hunger litten – ein Lebensmitteltransport sollte dort eintreffen –, gehen Dr. Dehm, der Kollege hier in Ihren Reihen, und Ihre stellvertretende Fraktionsvorsitzende auf Ihrem Europaparteitag auf die Bühne mit einem großen Banner mit der Aufschrift: „Hände weg von Venezuela – vorwärts zum Sozialismus“. Deswegen, Frau Kipping, kann ich Ihre Entschuldigung nicht ernst nehmen; denn Sie haben immer noch kein klares Verhältnis zum Sozialismus. ({3}) Für meine Generation zeigt sich in Venezuela, wo der Sozialismus seine Grenzen hat: Dort werden Menschen erschossen, die Hunger leiden. Dort werden 15 indigene Menschen, die einer Minderheit angehören, niedergeknüppelt von einem sozialistischen Diktator. Hier in Ihren Reihen sitzen Abgeordnete, die das gutheißen, die am nächsten Tag auf Ihrem Parteitag ein Banner hochhalten. Und von Ihnen kommt – nichts. Nichts! ({4}) Das ist beschämend! Darum: Herzlichen Dank, liebe FDP, für diese Aktuelle Stunde. – Die Linke steht nicht auf den Grundwerten unserer Demokratie! Mit Venezuela haben Sie es sich bei unserer Generation mehr als verschissen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bundespräsident Johannes Rau hat einmal gesagt, „Versöhnen statt spalten“ muss das Ziel der Politik sein. Ich habe den Eindruck, mit der heutigen Debatte, mit dem heutigen Thema der Aktuellen Stunde hat dieses Hohe Haus dieser Aussage – „Versöhnen statt spalten“ – keinen Dienst erwiesen. ({0}) Vielmehr hat dieses Hohe Haus heute gezeigt, dass es eine Chance vertan hat, eine Chance, in diesem Land für Versöhnung zu sorgen. Zunächst die Linken. Sie, Kollege Riexinger, haben die Chance vertan, ({1}) hier an diesem Pult, hier in diesem Hause, hier vor dem deutschen Volk ehrlich und klar zu sagen: Ich habe Scheiße gemacht. Ich habe was Falsches gesagt. Ich entschuldige mich dafür. ({2}) Aber was haben Sie getan? In Feigheit die Kollegin Kipping hierhergeschickt mit der Bitte, sich stellvertretend zu entschuldigen. ({3}) Eine Chance vertan! ({4}) Ich sage an die rechte Seite: Gleiche Chance vertan. – Wer sich als Freunde und als Kumpane von Faschisten in Thüringen und im ganzen Land heute bei diesem Tagesordnungspunkt hierhinstellt und glaubt, Demokratie, Freiheit und unser demokratisches Gemeinwesen, unsere parlamentarische Demokratie scheinbar verteidigen zu können, macht nichts anderes als taktische Spielchen. Das erkennen die Menschen da draußen in diesem Land hoffentlich nicht nur heute, sondern auch in die nächsten Wochen und Monaten. ({5}) Lieber Kollege Martens, ich schätze Sie und Ihre Kollegin sonst sehr, aber auch Sie haben eine Chance vertan mit der Taktik, heute diese Aktuelle Stunde zu wählen, um von den Ereignissen in Thüringen, dem Demokratieversagen in Thüringen und der Kumpanei mit der AfD abzulenken, um von dem abzulenken, was in unserem Land tatsächlich passiert und wogegen wir Demokratinnen und Demokraten uns einsetzen sollten. Lieber Kollege Hahn – er ist, glaube ich, jetzt schon gegangen –, auch die CSU – ich kenne ihr Wesen; das kann ich als aus Bayern Kommender sagen – hat eine Chance vertan. Sie betreiben wieder die alten Rechts-links-, Schwarz-Grün-, Schwarz-Rot-Gedankenspiele, statt dieses Land zu versöhnen. Meine Kolleginnen und Kollegen, der Versuch, mit dieser Debatte allein Die Linke in den Mittelpunkt zu stellen, ist ein untauglicher Versuch, der unserem Land nicht weiterhilft. Unserem Land, glaube ich, hilft es nur weiter, wenn wir offen und ehrlich miteinander umgehen, wenn wir den Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses zugestehen, auch mal einen Fehler zu begehen, aber sie auffordern und von jedem einfordern, für begangene Fehler geradezustehen. Denn das gehört auch zu einer Demokratie: nicht rumzueiern und zu verteidigen, sondern klar seine Meinung zu vertreten und einen Fehler auch einzugestehen. Ich würde mir wünschen, dass wir aus der heutigen Diskussion ins Wochenende mitnehmen, dass es nicht unsere Aufgabe ist, taktische Spielchen zu machen, um Landgewinn zu erzielen und gegebenenfalls bei der nächsten Prognose ein halbes, ein Viertel oder ein Sechstel Prozent mehr zu haben. Wir sitzen vielmehr hier in diesem Hohen Haus, um die Würde der Frauen und Männer in diesem Land – ob Deutsche, ob Nichtdeutsche – zu schützen, dafür einzutreten und die Menschen zu versöhnen. ({6}) Diese Erkenntnis würde ich mir aus der heutigen Debatte wünschen. Dann hätte diese Aktuelle Stunde einen Sinn gehabt, und es hätte auch Sinn gehabt, dass wir an diesem Nachmittag hier in diesem Haus sitzen, statt ins Wochenende zu gehen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Dr. Brunner. – Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Marc Henrichmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marc Henrichmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004744, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube, man kann vieles sagen und uns vielleicht auch vorwerfen; aber dass wir in dieser Woche nicht breit diskutiert haben über all das, was im Bereich Extremismus schlecht läuft, kann man uns nun wirklich nicht vorwerfen. Wir haben eine Debatte geführt über Hanau und tun das jetzt eben über Die Linke und ihr Verhältnis zur Demokratie; und das ist auch richtig so. ({0}) Ich glaube, Gewalt, Straftaten, Extremismus kann man nie vergleichen. Wenn man es mal aus der Perspektive der Opfer, der Betroffenen, der Angehörigen sieht, dann ist jeder Gewaltakt schlimm. Jeder Demokrat, wenn er einer sein will, muss sich entschieden und glaubhaft von jeder Form von Gewalt distanzieren. ({1}) Vor diesem Hintergrund war ich gestern in der Debatte über Hanau vom Blick nach rechts zur AfD einigermaßen erschüttert: keinerlei Form von Empathie, Mitgefühl, Distanzierung; stattdessen Selbstmitleid, wütende Angriffe. Das ist genau dieser intolerante, dieser respektlose Ton, dieser Umgang, der das Klima in dieser Gesellschaft verschärft, und das ist das Markenzeichen, der Markenkern, dieser Partei. ({2}) Aber für den, der gezweifelt hat an der Einordnung der Linken – da gebe ich den Kolleginnen und Kollegen der FDP ausdrücklich recht –, macht es Sinn, dass wir diese Debatte heute führen; denn was auf dieser besagten Strategiekonferenz passiert ist, geht auf keine Kuhhaut. Ich weiß gar nicht, was schlimmer ist: zu sagen, dass man überhaupt in Erwägung zieht, jemanden zu erschießen, oder darauf zu reagieren, fast schon feixend, nach dem Motto, Arbeitslager, nützliche Arbeit – wie auch immer – seien das Beste. ({3}) Ich kann auch, ehrlich gesagt, die Doppelzüngigkeit kaum ertragen. Ihre innenpolitische Sprecherin, Frau Kollegin Jelpke, hat sich selber zitieren lassen, es sei alles kein Skandal; Die Linke schieße nur mit Worten scharf. Sie selber haben damals, als von der AfD die Forderung aufkam, an der Grenze gegebenenfalls auf Flüchtlinge zu schießen, entschieden – zu Recht entschieden – gesagt: Das ist das Schlimmste, was hier gesagt und vorgetragen worden ist. Jetzt relativieren Sie Waffeneinsatz und Waffengewalt politisch. Ich finde es schlimm. Ich finde es doppelzüngig. Es ist auch nicht richtig. ({4}) Ich finde auch schlimm – das ist übrigens eine andere Wahrnehmung, die ich habe; ich bezeichne mich als jemanden, der in seinem Wahlkreis viel unterwegs ist und mit Menschen spricht –, dass viele nicht verstehen, dass medial manchmal mit zweierlei Maß gemessen wird; manche Medien tun so, als sei das gar nichts Schlimmes, ein Versehen. Ich glaube schon, wir tun sehr gut daran, Missstände zu benennen, damit wir Neutralitätszweifel und Verschwörungstheorien aufseiten der Presse gar nicht erst aufkommen lassen. Offener unwidersprochener Hass ist, gepaart mit einfachen Lösungen, das Erkennungszeichen der politischen Ränder. Übrigens sind sich rechts wie links da ziemlich einig. Bei den einen sind es die Kanzlerin, die Flüchtlinge, Andersdenkende. Bei den Linken – das haben wir auf der Strategiekonferenz mehrfach gehört – ist es die Kanzlerin – sie hat eine Strafanzeige bekommen –, aber auch Polizisten, Unternehmer, die sogenannten Superreichen; auch Andersdenkende werden denunziert. Wohin führt das? Die Sympathisanten der einen, der Rechten, schießen in Hanau, angetrieben von Hetze, auf Migranten. Die Sympathisanten der anderen benutzen in Hamburg, in Leipzig-Connewitz Polizisten als Zielscheibe für Steine und Molotowcocktails. Wollen wir so ernsthaft eine gespaltene Gesellschaft in Deutschland wieder zusammenführen? Ich glaube, das wird nicht funktionieren. ({5}) Was rechts wie links eint, ist, dass glaubwürdige Distanzierung von Gewalt immer nur dann passiert, wenn die Gewalt von der anderen Seite kommt. Hanau, das war ein irrer Einzeltäter, so wurde es von der AfD beschrieben. In Connewitz war angeblich Polizeiprovokation an allem schuld. Nur in einem sind sie sich einig – das habe ich gestern in der Debatte rund um Syrien und Griechenland festgestellt –: Ihr politischer Freund, Herr Putin, wird in diesem Zusammenhang gar nicht erwähnt. Zur Ehrlichkeit gehört auch, alle Schuldigen an solchen Skandalen zu benennen. ({6}) Rechts wie links eint auch das Ziel, die Parlamente auszuhöhlen. Wir haben einige Zitate gehört. Ich denke, man hätte offenen Widerspruch der Parteiführung erwarten können; in diesem Fall der Parteiführung der Linken. Auch da wurde ihr Vorsitzender zitiert. Herr Riexinger, es ehrt Sie, dass Sie heute hier sind und zumindest die Debatte mitverfolgen. Ich weiß nicht, ob ich mir diese Erfahrung im Bundestag hätte ersparen sollen. Ich kann nur sagen: Demokratie ist sicherlich manchmal anstrengend. Sie dauert lange, sie ist zäh. Aber ich bin dankbar für die Möglichkeit, hier im Deutschen Bundestag mitzugestalten. Derjenige, für den das eine Belastung ist, hat jederzeit die Möglichkeit, das Mandat zurückzugeben. ({7}) Wer sich von offen verfassungsfeindlichen Äußerungen in seinen Reihen – das sind keine einzelnen Äußerungen – nicht abgrenzt, der sollte das auch tun. Ich denke, das gebietet auch der Respekt vor vielen Menschen in diesem Land, vor denen, die sich anstrengen. Die Superreichen sind Unternehmer, die auch viel Verantwortung tragen. Ich bin dankbar, dass es sie gibt. Ich bin dankbar, dass sie ihren Beitrag leisten. Ich denke, „Miteinander statt gegeneinander“ ist die Devise. Da müssen links wie rechts noch viel, viel lernen. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Henrichmann. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.