Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/4/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus der Coronaepidemie in China ist eine weltweite Pandemie geworden. In Europa gibt es inzwischen mehr als 3 000 bestätigte Infektionen, bei uns in Deutschland 240, die meisten in Nordrhein-Westfalen. Die Bundesregierung und die Landesregierungen, das Robert-Koch-Institut und die kommunalen Behörden haben in den letzten Wochen täglich über den Stand der Dinge informiert. Wir werden weiterhin jeden Tag sagen, was wir wissen, aber auch, was wir noch nicht wissen. Wir nehmen die Situation sehr ernst. Wir arbeiten jeden Tag daran, diese Situation gemeinsam gut zu bewältigen. Alle Beteiligten in den Ländern und vor Ort leisten einen enormen Einsatz. Nach dem Ausbruch in China im Januar haben wir alle Kräfte mobilisiert, um zu verhindern, dass das Coronavirus nach Deutschland kommt. Dafür haben wir zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Bürgerinnen und Bürger zentral in Quarantäne genommen. Bis vergangene Woche konnten alle Fälle in Deutschland auf eine Ansteckung im Ausland zurückgeführt werden. Betroffene und Kontaktpersonen wurden rasch isoliert. So ist es uns über Wochen hinweg gelungen, eine Ausbreitung zu verhindern. Bis Anfang letzter Woche gab es 16 infizierte Patienten in Deutschland, von denen 14 bereits wieder gesund zu Hause waren. Seit vergangener Woche befinden wir uns in Deutschland und in Europa jedoch in einer neuen Lage. Nach zahlreichen weltweiten Infektionen und dem starken Ausbruch in Südkorea, Japan, dem Iran und Norditalien hat auch in Deutschland eine Epidemie begonnen. Die Quarantänemaßnahmen der letzten Wochen waren dennoch sinnvoll. Sie haben uns wertvolle Zeit gebracht. Wir wissen jetzt mehr über das Virus als noch im Januar. Anfangs gab es etwa die Vermutung, dass ähnlich wie bei den bekannten SARS-Viren vor allem die unteren Lungenflügel betroffen wären. Nun hat sich herausgestellt, dass die Viruslast besonders im Rachenraum sehr hoch ist. Das macht für die Frage der Ansteckungswahrscheinlichkeit und damit für die Beurteilung des Risikos einen großen Unterschied. Wir können uns hier in Deutschland auf Expertinnen und Experten stützen, die zu den besten und angesehensten in der Welt gehören. Der erste Test zum sicheren Nachweis einer Coronainfektion wurde frühzeitig hier in Deutschland entwickelt und an unsere weltweiten Partner gegeben. Nach allem, was wir heute wissen, verläuft die übergroße Mehrheit der Infektionen symptomfrei bis milde. Der Erreger ist deutlich weniger ansteckend als zum Beispiel der von Masern. Noch kann aber niemand eine abschließende Beurteilung und Bewertung des Virus abgeben. Dafür gibt es weltweit noch nicht genug Daten. Die Situation ist weiterhin sehr dynamisch. Gut vorbereitet sein heißt, auf Entwicklungen flexibel reagieren zu können. In den betroffenen Regionen stehen alle Akteure gerade unter großem Druck. Natürlich sind noch nicht alle Abläufe eingespielt. Daran arbeiten alle Beteiligten mit großer Kraft und Dringlichkeit. Es dauert teilweise noch zu lange, bis Verdachtsfälle getestet werden. Darüber habe ich gerade erneut im Ministerium mit Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenhäuser gesprochen. Wir analysieren die Lage laufend und stellen auftretende Probleme so schnell wie möglich ab. Wir gehen transparent vor und halten uns an den Dreiklang aus wissenschaftlicher Expertise, sorgsamer Abwägung und entschlossenem Handeln. Es wird immer wieder darum gehen, die richtige Balance zu finden, zwischen einerseits notwendigen Einschränkungen zur Eindämmung des Virus und andererseits unserem Alltag, der weitergeht. Fest steht: Der Höhepunkt der Ausbreitung ist noch nicht erreicht. Die Lage in unserem Land ist sehr unterschiedlich. Im Kreis Heinsberg ist sie aktuell eine andere als etwa in der Hansestadt Rostock. Unsere Strategie ist weiterhin, die Ausbreitung von Corona innerhalb Deutschlands und in den betroffenen Regionen zu verlangsamen und einzudämmen. Schon jetzt kommt es dabei zu Einschränkungen des Alltags, weil öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Kitas zeitweise geschlossen bleiben oder weil Großveranstaltungen, etwa mit internationalem Publikum, von den zuständigen Behörden abgesagt werden. Dabei gilt immer der Grundsatz: Die Sicherheit der Bevölkerung geht im Zweifel vor, auch vor wirtschaftlichen Interessen. ({0}) Ich will auch offen sagen, wie eine mögliche nächste Stufe aussehen kann. Unser Fokus wird dann darauf liegen, unsere Kapazitäten auf Patienten zu konzentrieren, bei denen schwerere Krankheitsverläufe auftreten. Die Abläufe in den Kliniken und Praxen werden dann entsprechend angepasst und die Kräfte im Gesundheitswesen auf die akute Lage fokussiert. Das wird stellen- und phasenweise auch zu Stress im System führen. Planbare medizinische Eingriffe werden dann verschoben. Die große Mehrheit der Infizierten mit gar keinen oder leichten Symptomen wird dann gebeten, sich zu Hause auszukurieren. Noch sind wir nicht an diesem Punkt. Niemand kann heute seriös sagen, wann er kommt. Aber mir ist wichtig, klar zu sagen, was kommen kann, damit wir alle darauf vorbereitet sind. Ich habe großes Vertrauen in unsere Experten, Ärzte und Pfleger. ({1}) Während der schweren Grippewelle 2017/18 kam es nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts zu etwa 9 Millionen zusätzlichen influenzabedingten Arztbesuchen hier bei uns in Deutschland. Unser Gesundheitssystem hat das bewältigt. Corona führt als Atemwegserkrankung zu Symptomen wie Niesen und Husten, Fieber und Schnupfen und, bei schwererem Verlauf, zu Lungenentzündungen. Insbesondere eine mögliche Lungenentzündung stellt dabei für chronisch kranke, alte oder gebrechliche Patienten ein hohes Risiko dar. Gleichwohl sind das alles Symptome und Krankheitsverläufe, wie sie in Deutschland jeden Tag vielfach behandelt werden. Daher können Bürgerinnen und Bürger mit schwereren Verläufen darauf vertrauen, dass sie mit der nötigen Expertise behandelt werden. Für uns als Gesellschaft ist die aktuelle Lage eine große Herausforderung. Die Folgen von Angst können weit größer sein als die des Virus selbst. ({2}) – Ja. – Deshalb ist es gut, dass die Bundesbürgerinnen und ‑bürger bis auf wenige Ausnahmen sehr besonnen reagieren. Ja, ein Virus, mit dem wir keine Erfahrung haben, ist beunruhigend. Ja, die Bilder aus China waren beunruhigend. Vergangene Woche haben sich deshalb manche mit haltbaren Lebensmitteln und Toilettenpapier eingedeckt; einige Supermarktregale waren deshalb vorübergehend leer. Jetzt sind die meisten Regale schon wieder aufgefüllt. Ich sage das nicht, um Ängste und Sorgen beiseitezuwischen, sondern um die Lage einzuordnen. Angst und Sorge nicht nur um sich selbst, sondern auch um Menschen, die einem wichtig sind, sind eine zutiefst menschliche Reaktion. Ja, wir haben wenig Erfahrung mit dem Virus, aber wir haben als Gesellschaft viel Erfahrung mit allen möglichen Gefahren. Aus unserem persönlichen Alltag wissen wir: Mit einem kühlen Kopf können wir Herausforderungen am besten bewältigen. Das gilt auch für den Umgang mit dem Coronavirus. ({3}) Mein Ziel ist, die Bürgerinnen und Bürger zu bestärken, nicht, sie einfach zu beruhigen. Bleiben Sie weiter besonnen. Informieren Sie sich aus zuverlässigen Quellen wie infektionsschutz.de. Strafen Sie diejenigen, die versuchen, Angst und Falschmeldungen zu verbreiten, mit Nichtbeachtung. ({4}) Es wird immer Einzelne geben, die aus einer solchen Lage Kapital schlagen wollen, durch windige Geschäfte mit überteuerten Schutzmasken zum Beispiel. Manche wollen auch einfach Misstrauen gegenüber unseren Institutionen schüren oder Stimmung machen, um politisch zu profitieren. Hier im Bundestag und in der Zusammenarbeit mit den Ländern erlebe ich alle politisch Beteiligten als sehr konstruktiv. Es ist sicher eine unserer größten Stärken in der Demokratie, im Ernstfall gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Ich stehe im regelmäßigen Austausch mit den Gesundheitspolitikern aller Parteien im Bundestag. Für den sachlichen und konstruktiven Austausch, auch am Montag im Ausschuss für Gesundheit, bin ich den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen sehr, sehr dankbar. Ich erlebe, dass alle ein Interesse daran haben, diese Situation gemeinsam und besonnen zu bewältigen. ({5}) Die Bundesregierung und die Länder ergreifen alle Maßnahmen, die sinnvoll und angemessen sind. Wir stimmen uns eng mit unseren europäischen und internationalen Partnern ab: in der wöchentlichen Schalte der Gesundheitsminister der G 7 ebenso wie übermorgen beim zweiten Treffen der EU-Gesundheitsminister innerhalb von zwei Wochen in Brüssel. Im Anschluss an diese Debatte habe ich erneut die Gesundheitsminister aller Bundesländer zum Gespräch eingeladen. Ja, Corona ist auch eine Herausforderung für den föderalen Staat; aber gerade in Krisenzeiten zeigt dieser seine Stärke. Unsere Experten vom Robert-Koch-Institut unterstützen fachlich. Aber es ist richtig, dass wir nicht von Berlin aus darüber zu entscheiden haben, ob in Heinsberg oder anderswo eine Schule zeitweise geschlossen wird. ({6}) Besonders hervorheben will ich den Einsatz unseres medizinischen Personals. Alle, die für unsere Gesundheit im Einsatz sind, stehen im Kampf gegen Corona an vorderster Front. Sie reagieren besonnen, informieren sich über die aktuellsten Erkenntnisse und kümmern sich mit großem Einsatz um ihre Patienten. Dafür möchte ich ihnen danken! ({7}) Sie sind auch die Ersten, die merken, wenn etwas nicht so läuft, wie es eigentlich laufen soll. Deshalb ist es wichtig, dass sie sich melden, wenn es Probleme gibt. Sie sind auch diejenigen, die Schutzkleidung und Desinfektionsmittel für ihre Arbeit brauchen. Alle anderen brauchen diese im Alltag nicht; da sind unsere Experten sehr klar. Gerade kaufen weltweit Regierungen, Krankenhäuser und Privatpersonen Schutzkleidungen auf Vorrat. Gleichzeitig steht in China die Produktion teilweise still. Deshalb kommt es auch hier bei uns in Deutschland zu Knappheiten. Daher gilt seit heute 11 Uhr eine Ausfuhrbeschränkung für Schutzkleidung. Insbesondere Schutzmasken und ‑anzüge werden seitens des Bundes, einiger Länder und Akteure des Gesundheitssystems kurzfristig beschafft und bevorratet werden. Grundsätzlich braucht es übrigens aus meiner Sicht – unabhängig von dieser aktuellen Debatte – eine andere, grundsätzlichere Debatte: Sollten wir in diesem Umfang wirtschaftlich und in unseren Lieferketten von einem einzigen Land auf der Welt abhängig sein? Ich denke, nein. ({8}) Alle Bürgerinnen und Bürger können ihren Beitrag im Kampf gegen Corona leisten. Auch wenn es manch einer vielleicht nicht mehr hören kann: Einfache Verhaltensregeln machen einen Unterschied: regelmäßiges Händewaschen, nach Möglichkeit nicht mit ungewaschenen Händen ins Gesicht fassen, in die Armbeuge oder ein Taschentuch husten. – Das ist nicht banal, das ist wichtig. ({9}) Denn das sind die Maßnahmen, die mithelfen, die Verbreitung des Virus effektiv zu bekämpfen und die Schwächsten zu schützen. Wer sich krank fühlt oder mit einem Erkrankten Kontakt hatte, sollte schnell den Hausarzt anrufen und nicht einfach in die Praxis gehen. Und – auch das sei erwähnt – es gibt auch gute Nachrichten in diesen Tagen: Seit zwei Wochen ist die erfasste Zahl der weltweit genesenen Patienten höher als die Zahl der Neuinfizierten. Gleichwohl: Die nächsten Tage und Wochen werden für uns herausfordernd sein. Es wird in den betroffenen Regionen zu Einschränkungen im Alltag kommen. Das kann und das wird Stress auslösen. Wir alle nehmen wahr, dass Wut, Misstrauen, teilweise auch Aggressionen zu oft unsere öffentlichen Debatten bestimmen. In der aktuellen Lage wird es deshalb umso wichtiger sein, dass wir besonnen bleiben, dass wir zusammenhalten und dass wir bereit sind, einander auch unter Stress zu vertrauen. Vielen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank, Herr Minister Spahn, für diese Regierungserklärung. Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat das Wort die Fraktionsvorsitzende der AfD, Frau Dr. Alice Weidel. ({0})

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Lage ist ernst. Weltweit hat das Coronavirus 76 Länder erfasst und über 3 200 Tote gefordert. 93 000 Infizierte sind aktuell registriert. In Deutschland ist die Zahl der bestätigten Infizierten mittlerweile auf 258 gestiegen. Wie viele Menschen wirklich das Virus in sich tragen und weiterverbreiten, weiß niemand genau. Der Leiter der Virologie der Charité warnt: Bis zu 70 Prozent der deutschen Bevölkerung könnten sich anstecken. Trotzdem gibt es bis heute keine durchstrukturierte, mit klaren Verantwortlichkeiten unterlegte Coronatestinfrastruktur. Wer aus einem Risikogebiet kommt und sich testen lassen will, wird oft von Pontius zu Pilatus geschickt – keiner fühlt sich zuständig. Dieses Chaos und dieses Kompetenzwirrwarr ist kein Verhängnis aus heiterem Himmel; es ist die Folge eines konkreten politischen Versagens, und das ist ein fahrlässiges Spiel mit dem Leben und mit der Gesundheit unserer Bürger. ({0}) Nach allem, was wir wissen, gehen von dem Virus eine höhere Ansteckungsgefahr und ein größeres Mortalitätsrisiko aus als von der gewöhnlichen Grippe. Eine Erkenntnis, die Sie, Herr Minister Spahn, noch am 24. Januar geleugnet haben. Die Infektion verlaufe bei Corona milder, haben Sie gesagt. Das war nicht Ihre einzige Fehleinschätzung – leider. Am 27. Januar haben Sie behauptet: Wir sind gut vorbereitet. – Sie tun es noch heute. ({1}) Vier Wochen später, am 26. Februar, haben Sie zugegeben: Wir befinden uns am Beginn einer Coronaepidemie. Passiert ist in diesen entscheidenden Wochen nichts. ({2}) Sie sind der Meinung, man müsse Zeit gewinnen für notwendige Präventionsmaßnahmen. Diese hätten Sie in den vergangenen Wochen längst ergreifen müssen. Anstatt sich eine eigene Kompetenz zu erarbeiten, verstecken Sie sich hinter Facheinschätzungen, nach denen es Wasser und Seife zur Bewältigung der Krise auch täten. ({3}) Erst jetzt, in diesen Tagen, gibt es einen Krisenstab, der plant, Maßnahmen zur Sicherung der Versorgung mit Schutzausrüstung vorzubereiten. Vor Wochen hätte man das tun müssen. ({4}) Nun rächt sich auch, dass in Ihrer Regierungszeit die letzte Antibiotikaproduktionsstätte in Deutschland schließen musste. Die Versorgungslage mit entsprechenden Medikamenten verschlechtert sich zusehends. ({5}) Die Unruhe in der Bevölkerung wäre zweifellos weitaus geringer, wenn diese Regierung einen kompetenteren und ernsthafteren Eindruck machte und wenn die Bürger das Vertrauen haben könnten, dass ihre Regierung sich um ihre Kernaufgaben kümmert, und zwar den Schutz der Bürger und die Krisenprävention, die sie wochenlang sträflich vernachlässigt hat. ({6}) Die Zeit drängt. Dabei sind die Folgen des Umsetzungs- und Kommunikationsversagens schon nicht mehr einzuholen. Statt rhetorischer Beruhigungspillen sind jetzt konkrete Sofortmaßnahmen nötig. Wir müssen die vorhandenen Behandlungskapazitäten laufend erfassen und zügig erweitern, um für einen schlagartigen Anstieg der Erkrankungsfälle gewappnet zu sein. Wie viele Intensivbetten können kurzfristig bereitgestellt werden, wie viele Isolierstationen sind vorhanden? ({7}) Wie viele werden benötigt? Das muss koordiniert werden. Wir brauchen flächendeckende und verpflichtende Tests für Risikopersonen sowie Menschen, die an Grippe oder schweren Erkältungen erkrankt sind. ({8}) Nötig ist eine getrennte Testinfrastruktur, statt Arztpraxen und Krankenhäuser mit Untersuchung und Versorgung alleinzulassen. Von Hausärzten und Primärversorgungspraxen zu erwarten, dass sie ohne den erforderlichen Schutz Hilfe leisten, grenzt an fahrlässige Körperverletzung. ({9}) Es müssen dringend fehlende Schutzausrüstungen für Ärzte und medizinisches Personal bereitgestellt werden, sonst wiederholen sich Pannen wie letzten Sonntag in der Charité, als eine ganze Notaufnahmeschicht selbst in Quarantäne musste, nachdem ein Verdachtsfall hochpositiv getestet worden war, und das, nachdem der Patient nach Hause geschickt wurde. Nötig sind auch Temperaturkontrollen an den Flughäfen; das wird in China gemacht. ({10}) Die freiwillig auszufüllenden Fragebögen, auf die die Bundesregierung setzt, sind leider wenig effektiv. Wir benötigen systematische Einreisekontrollen an den Grenzen, die die Bundesregierung leider bis heute ablehnt. Österreich kann Züge stoppen, Italien kann Migrantenschiffe unter Quarantäne stellen; aber Deutschland lässt die Grenzen unkontrolliert. ({11}) – Dass Sie das witzig finden, wissen wir. – Die ungelöste Migrationskrise verschärft sich aktuell dramatisch. Im Nahen und Mittleren Osten wütet das Virus besonders heftig. Und ausgerechnet jetzt setzt die Türkei Zehntausende Migranten von dort nach Europa in Marsch. (Florian Post [SPD]: Sollen wir die Grenzen schließen? Trotzdem klammert sich die Bundesregierung an das Dogma der offenen Grenzen. Diese Starrsinnigkeit verschlimmert die Infektionsgefahr und kann Leben kosten. ({12}) Die üblichen Lobbyisten – Herr Hofreiter, Sie schreien wieder – rufen schon danach, alle kontrolliert aufzunehmen. Das ist nicht nur weltfremd, das ist haarsträubend verantwortungslos. ({13}) Für besonders gefährdete Bevölkerungsteile, ältere Menschen, Personen mit Mehrfacherkrankungen, müssen konkrete Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Auch sie müssen spüren, dass sie ihren Anteil beitragen können und auch müssen. Wegen der eklatanten Versäumnisse, leider bereits angesteckte Personen rechtzeitig zu identifizieren, kann es zu einer schlagartigen Erhöhung der Zahl der Krankheitsfälle kommen. Sehr geehrte Damen und Herren, das Thema geht mir persönlich sehr nahe. ({14}) Wir haben es mit einer echten Krise zu tun. Diese lässt sich nicht mit weltfremden Kanzlerin-Podcasts und Beschwichtigungssprüchen à la Maß und Mitte oder „Wir sind gut vorbereitet“ wegschwätzen. Wo bleibt die Strategie? Ich sehe überhaupt keine! Wachen Sie auf! ({15}) Seien Sie bitte professionell! Befassen Sie sich mit den wahren Problemen, und handeln Sie, wie es dem Interesse dieses Landes und seiner Bürger entspricht! Dafür sind Sie gewählt, und wir stehen bereit, Sie dabei zu unterstützen. Vielen Dank. ({16})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Bas, SPD. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erst einmal möchte ich mich wirklich bei allen bedanken, die sich im Moment mit diesem Coronavirus beschäftigen. Das sind zum einen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesgesundheitsministerium und natürlich alle Experten, die inzwischen seit Wochen rund um die Uhr daran arbeiten, dieses Virus, diese Epidemie einzudämmen. Deshalb: Herzlichen Dank dafür ({0}) an all diejenigen, die daran mitarbeiten! Ich sage das insbesondere in Richtung der Pflegekräfte und Mediziner in medizinischen Einrichtungen. ({1}) Sie stehen nämlich an der Front. Ihnen müssen wir helfen. Das, was ich gerade gehört habe, grenzt an Ahnungslosigkeit. Tut mir leid, Frau Weidel. ({2}) Ich bitte Sie wirklich: Unterhalten Sie sich mit Ihren eigenen Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss, die von Beginn an in Telefonschalten und vielen Sondersitzungen beteiligt gewesen sind, die den Minister und die Regierung am 12. Februar noch ausdrücklich für ihre Aufklärungsarbeit gelobt haben. ({3}) Sie könnten ja vielleicht einfach mal zur Kenntnis nehmen, dass es Pandemiepläne gibt, in denen all das, was Sie bemängeln, steht. Sie könnten zur Kenntnis nehmen, dass wir uns mit den Ländern abstimmen, ({4}) dass wir genau das, was Sie fordern, tun. ({5}) Die einzige Idee, die ich einem Ihrer Anträge entnommen habe, war, mit Wärmekameras zu arbeiten. Entschuldigung! Wenn ich das Virus übertragen kann, ohne Fieber zu haben oder andere Symptome zu zeigen, warum sollten dann Wärmekameras benutzt werden? ({6}) Auch Fiebermessen an Flughäfen macht keinen Sinn. ({7}) Deshalb: Informieren Sie sich einfach und reden Sie nicht von fahrlässiger Körperverletzung, wenn sich hier wirklich alle äußerste Mühe geben, dieses Coronavirus einzudämmen und den Ausbruch hinauszuzögern und vor allen Dingen zu forschen, um einen Impfstoff und Therapien zu entwickeln. Das ist jetzt unsere Aufgabe. Das machen wir, und zwar jeden Tag mit allen Akteuren. Ich maße mir als Abgeordnete nicht an, alles zu wissen. Vielmehr sind wir auf Experten und Forscher angewiesen. Auf diese sollten wir hören, und das tun wir auch. Deshalb müssen wir uns als Politiker entscheiden. Wollen wir der Verunsicherung, die es gibt – ich will sie nicht kleinreden; sie ist da, sowohl beim medizinischen Personal als auch bei den Menschen da draußen; das kann man am ausverkauften Klopapier erkennen – entgegentreten? Ich will eine Zahl nennen, da hier von fahrlässiger Körperverletzung gesprochen wird. In diesem Frühjahr haben sich 100 000 Menschen mit der Influenza, der Grippe, infiziert; 1 000 Menschen sind gestorben. Das Coronavirus tragen viele in sich – das habe ich von Experten gelernt –, zeigen aber keine Symptome bzw. sind nicht erkrankt. Deshalb ist es wichtig, dass wir das medizinische Personal schützen und für Schutzmaterial sorgen. Die Kritik müssen wir uns gefallen lassen. Wir sorgen jetzt dafür, dass wir einen Ausfuhrstopp haben, dass es in Zukunft Schutzkleidung gibt; denn wichtig ist, dass die, die mit kranken Menschen arbeiten – Pflegekräfte, Medizinerinnen und Mediziner –, geschützt sind, damit sie erstens nicht ausfallen und in Quarantäne müssen und sie zweitens die Menschen schützen, die immungeschwächt oder chronisch krank sind. Wir müssen dafür sorgen, dass beide Seiten geschützt sind. In der Vergangenheit gab es Hamsterkäufe, weil Menschen meinen, sie müssten eine Atemschutzmaske haben. Ich kann nur alle auffordern, dass wir ruhig bleiben, es nicht ignorieren, nicht kleinreden, sondern dass wir damit umgehen – Schritt für Schritt. Ich setze auch darauf, dass wir mit jedem Tag neue Erkenntnisse über dieses Virus bekommen und dann mit Forschern zusammen gezielt handeln können. ({8}) Wir haben vielleicht nicht alle Probleme sofort gelöst, und, ich glaube, es wird auch klar, dass der Föderalismus die eine oder andere Schwierigkeit hat, wenn man nämlich sieht, dass Gesundheitsämter, Länder unterschiedlich aufgestellt sind. Ich komme aus Duisburg, das dortige Gesundheitsamt hat zu wenig Personal. Gerade in einer solchen Situation müsste es gut ausgestattet sein. Wir werden uns sicherlich darüber unterhalten müssen, wie die Gesundheitsämter und die Behörden vor Ort in Zukunft gut aufgestellt werden können. Sie müssen auch gut ausgestattet sein, sollte so etwas wieder vorkommen oder sollten die Fallzahlen steigen. Auch das müssen wir miteinander klären. Denn die Überforderung ist groß. Es gab 80 000 Anrufe bei der Hotline. Die müssen bewältigt werden. Dass der eine oder andere mit seinem Anruf nicht sofort durchgekommen ist, ist verständlich. Deshalb darf man das nicht überbewerten. Ich finde, wir sind gut aufgestellt. Wir haben alles, was wir bis jetzt wissen, umgesetzt und werden es dort, wo es Baustellen gibt, weiter umsetzen. Ich will den Gesundheitsminister und sein Team dabei auf jeden Fall unterstützen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christian Lindner. ({0})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Kürzlich dachte man noch, es gehe darum, dass Eindringen des Virus nach Deutschland zu verhindern. Jetzt gelten wir bisweilen selbst als ein Risikoland. Das zeigt, wie schnell sich die Lage verändert. Deshalb verbietet sich jetzt eine schon bilanzierende Debatte, und deshalb begrüßen wir, mit welcher Klarheit, Besonnenheit und Transparenz die Bundesregierung mit dieser unsicheren Lage umgeht. ({0}) Es gibt große Verunsicherung, auch Ängste. Darüber ist hier schon gesprochen worden. Das Ziel muss jetzt der gesundheitliche Schutz der Bevölkerung sein. Es geht um die Information der Menschen und das Eindämmen des Virus. In einer solchen Situation verbietet sich für uns jede parteipolitische kleinteilige Betrachtung. Diejenigen, die jetzt für das Krisenmanagement Verantwortung tragen, verdienen im Moment die ungeteilte Unterstützung dieses Parlaments, und vor allen Dingen verdienen diejenigen, die in Heilberufen tätig sind, unseren Respekt und Dank und kein falsches Störfeuer. ({1}) Der Bundesminister für Gesundheit hat davon gesprochen, dass die Folgen der Krise und die Angst möglicherweise erheblicher sein könnten als das Virus selbst. Das muss man ernst nehmen. In gesundheitlicher Hinsicht werden wir langfristig über Konsequenzen nachdenken müssen: Haben wir eigentlich die richtigen Schlussfolgerungen aus früheren Ereignissen gezogen? Stimmt die Behördenzusammenarbeit? Dazu wird mein Kollege Professor Dr. med. Andrew Ullmann gleich sprechen. Der Minister selbst hat gesagt, er mache sich Notizen. Herr Spahn, auch wir machen uns Notizen, auf die man später zurückkommen muss. Aber es geht nicht nur um gesundheitliche Risiken, sondern es gibt auch Risiken in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Minister Spahn und Seehofer haben einen Krisenstab gebildet. Wir erwarten, dass es einen solchen Krisenstab auch von Herrn Altmaier und Herrn Scholz gibt. ({2}) Wo ist das? Die OECD schlägt bereits Alarm. Wir wissen, dass wir vor Corona bereits auf dem Weg in eine Rezession waren. Die Fed hat eine Zinssenkung überraschend beschlossen. Wo sind entsprechende Maßnahmen bei uns? ({3}) – Nein, die EZB sollte gerade nicht die Zinsen senken, Herr Kollege. Weil gleichzeitig Angebot und Nachfrage ausfallen könnten und die geldpolitischen Möglichkeiten der EZB bereits nahezu ausgeschöpft sind, sind fiskalische Maßnahmen umso bedeutsamer. ({4}) Und da erwarten wir von der Bundesregierung einen Akutplan. ({5}) Man darf doch nicht sehenden Auges abwarten, dass die Wirtschaft abrauscht. Vielmehr müssen wir jetzt handeln, gerade weil wir als Exportnation durch die Lieferketten und die internationale Einbindung in besonderer Weise verwundbar sind, Herr Schneider. Deshalb erwarten wir ein Maßnahmenpaket, das auch fiskalische Maßnahmen umfasst. Wir denken an Sonderabschreibungen. Bereits von der Großen Koalition vorgesehene Entlastungen, über die es also gar keinen Streit mehr gibt, könnten vorgezogen werden. Auch das wäre ein sinnvolles Signal. Staatliche Investitionen könnten beschleunigt werden, indem man kurzfristig das Planungsrecht entschlackt. Und vor allen Dingen: Gerade wenn es um den kurzfristigen Ausfall von Produktion geht, müssen die Möglichkeiten der Kurzarbeit wieder flexibilisiert werden, damit sie praxistauglich sind. ({6}) Bürger, Beschäftigte und Betriebe erwarten gemeinsam, dass die Regierung sich den gesundheitlichen Risiken stellt. Aber in gleicher Weise ist es auch notwendig, den wirtschaftlichen Risiken etwas entgegenzusetzen. Dazu fordern wir Sie auf. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Menschen sind schwer verunsichert. Das liegt in einem gewissen Maß auch an der Dauerbeschallung durch die Medien. Ich will an der Stelle ganz bewusst sagen: Die Medien spielen in dem Zusammenhang eine besondere Rolle. Sie haben eine Verantwortung, zu informieren. Aber sie dürfen dieses Thema, meine Damen und Herren, nicht so überstrapazieren, wie sie es momentan tun. Das verunsichert die Menschen noch mehr. ({0}) Meine Damen und Herren, das Misstrauen gegenüber China spielt in dem Zusammenhang auch eine Rolle. Die Menschen sagen uns: Das, was China da an drastischen Maßnahmen macht, hat doch die Wirtschaft gefährdet; das wird schon seinen Grund haben. – Sie sagen: Die Zahlen, die uns da berichtet werden, sind wahrscheinlich gar nicht richtig. – Meine Damen und Herren, das Thema wäre durchaus geeignet, in Deutschland noch mehr Verunsicherung, noch mehr Sorge zu verbreiten. Ich sage Ihnen: Das Einzige, was uns momentan davor bewahrt, ist das immense Vertrauen der Menschen in unser Gesundheitssystem und in die handelnden Personen. Deshalb, meine Damen und Herren, muss man diesen Menschen an der Stelle ganz besonders danken für das, was sie täglich leisten. Das, was Frau Weidel vorhin gesagt hat, ist in letzter Konsequenz eine Herabsetzung der Leistung genau dieser Menschen, die da täglich ihr Bestes geben. ({1}) – Bei Ihnen heiligt der Zweck die Mittel. Es geht Ihnen darum, aus der Situation politisch Kapital zu schlagen. Das war offenkundig. ({2}) Ich kann Ihnen nur empfehlen: Orientieren Sie sich am Kollegen von der FDP, ({3}) der – Herr Lindner hat es gerade gezeigt – alles sehr sachlich dargestellt hat. Und lassen Sie beim nächsten Mal um Gottes willen Ihre Fachkollegen reden; ({4}) denn sie haben beim letzten Mal sehr, sehr sachlich die Arbeit der Regierung gelobt. ({5}) Natürlich ändert sich die Situation; das ist ja klar. Wir alle wissen nicht, was passiert, was kommt. Man muss die Maßnahmen an der Stelle tatsächlich anpassen. Ich glaube, das ist unstrittig. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Mir geht es insbesondere um die Rolle der Arztpraxen. Mir sagen Ärzte nicht nur: „Wir bekommen kaum noch Masken“, sondern sie sagen auch: Wenn es mehr Fälle geben sollte, dann hängen wir Plakate an die Türen, auf denen steht: Wer glaubt, Corona zu haben, bitte läuten. Und was passiert? Genau das nicht. Die werden ganz normal in die Praxis reingehen, sich ins Wartezimmer setzen und erst, wenn sie bis zum Arzt, bis zur Ärztin vorgedrungen sind, sagen: Ich glaube, ich habe Corona. – Dann wird ein Rachenabstrich gemacht. Und wenn sich dann herausstellt, dass der Patient recht hatte, haben wir ein zusätzliches Problem. Dann ist die Frage: Kann man die Arztpraxis offen halten, oder muss man sie nicht 14 Tage oder vier Wochen schließen? Deshalb müssen wir, Herr Bundesgesundheitsminister, wenn es mehr Fälle werden, darüber nachdenken, ob nicht die Gesundheitsämter die Durchführung der Tests übernehmen sollten. Ich glaube, dass wir in der jetzigen Situation über den Schutz unseres medizinischen Personals nachdenken müssen. ({6}) Sie sind nicht nur besonders gefährdet, sondern sie haben auch eine besondere Verantwortung, sie spielen eine besondere Rolle. Ich kann mir deshalb nicht vorstellen, dass es Sinn macht, einen Bundespflegetag abzuhalten, sich konzentriert zu versammeln und somit das Risiko einzugehen, dass tausend Pflegekräfte ausfallen. Ich glaube, dass die Durchführung vieler solcher zentralen Veranstaltungen und Fortbildungsmaßnahmen in der jetzigen Situation hinterfragt werden müssen. Meine Damen und Herren, eine Krise ist immer auch ein Wendepunkt. Das gilt auch beim Thema Corona. Ich stelle fest, dass das Thema „persönliche Hygiene“ – der Bundesgesundheitsminister hat es angesprochen – bei den Menschen mittlerweile eine andere Rolle spielt. Ich würde mir wünschen, dass das Thema „Besucherhygiene“ in den Krankenhäusern in Zukunft eine andere, eine neue Rolle spielt. Es gibt zwar in jedem Krankenhaus etwas, wo man sich die Hände desinfizieren kann, aber es gibt keine Schleusen für die Besucher. Man sollte darüber nachdenken – nicht nur wegen Corona, sondern grundsätzlich –, so was auszubauen. Kollege Lindner hat das Thema Wirtschaft sehr umfassend diskutiert. Es besteht in der Tat das Risiko, dass sich unsere Wirtschaft schneller infiziert als die Menschen. Das muss man im Blick haben. Wir tun das. Auch in diesem Zusammenhang hat der Bundesgesundheitsminister einen besonderen Wendepunkt markiert. Es geht insbesondere um die Frage: Woher kommen die Grundstoffe für unsere Medikamente? Diese Frage treibt mich um. Wenn wir von China, Indien und ein paar südostasiatischen Staaten abhängig sind, dann ist das ein Problem, das wir viel zu lange nicht im Blick gehabt haben und jetzt wirklich in den Fokus nehmen müssen. ({7}) Die Verlagerung erfolgte im Übrigen nicht allein aus rein ökonomischen Gesichtspunkten, sondern auch, weil die Umwelt vor Ort entsprechend belastet werden kann. Wenn Sie sich vorstellen, dass jeden Tag 12 Milliarden Liter Abwasser in den Ganges laufen, 53 Prozent davon unbehandelt – in China ist es ähnlich –, dann haben die Kostenvorteile, von denen wir profitieren, auch etwas mit der Umwelt zu tun, und das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen wieder Unabhängigkeit herstellen. Wir müssen uns auf europäischer Ebene anders aufstellen. Auch das muss eine Lehre aus dem Thema Corona sein. Das, was der Bundesgesundheitsminister heute beschrieben hat, und das, was von einem Krisenstab zwischen Innenminister und Gesundheitsminister erarbeitet wurde, hilft uns tatsächlich, das Thema Corona im Griff zu behalten. Aber wir alle wissen, dass nicht zu beschreiben ist, was vor uns liegt. Deshalb ist es wichtig, dass die Politik auf Sicht die richtigen Maßnahmen ergreift und alles dafür tut, dass keine Panik entsteht. Die AfD hat – ich sehe es an Ihrem Kopfschütteln – offenkundig ein anderes Interesse. Vielen herzlichen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Frau Amira Mohamed Ali. ({0})

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Gesundheitsminister! Kolleginnen und Kollegen! Wie ist die Situation heute durch das Coronavirus? Viele Menschen sind beunruhigt. Ich kann das verstehen. Das muss man auch ernst nehmen; aber aus unserer Sicht, auch aus Sichten der Experten des Robert-Koch-Instituts ist Panik vollkommen unangebracht. ({0}) Aber wenn auflagenstarke Medien, um ihre Verkaufszahlen und Klickzahlen zu erhöhen, fast täglich mit neuen Panikschlagzeilen rund um Corona kommen, werden Angst und Unsicherheit geschürt. Aus Furcht werden Regale leergekauft. Herr Spahn, Sie haben auch in Ihrer Rede hier eben sehr besonnen gesprochen. Das ist zu begrüßen. Sie selber schüren diese Panik nicht. Aber die Bundesregierung hat zu wenig getan und tut nach wie vor zu wenig, um dieser medialen Panikmache etwas entgegenzusetzen. ({1}) Es gibt zu wenig sachliche Informationen. Sie haben gerade das Gegenteil behauptet, Herr Minister. Aber wenn man mit den Leuten spricht, wenn man in die Schulen geht, wenn man mit Lehrerinnen und Lehrern spricht, wenn man mit Kindergärtnerinnen und Kindergärtnern spricht, dann berichten die davon, dass sie sich alleingelassen fühlen, weil ihnen vernünftige Informationen fehlen. Sie sind nicht sicher, wie sie jetzt handeln sollen. Und das geht nicht. Dieser Zustand muss dringend behoben werden. Informationen müssen sofort transparent sein. ({2}) Die Konsequenz dieser Hamsterkäufe, die stattgefunden haben, ist ja nicht nur, dass man vielleicht Schwierigkeiten hat, sich spontan Nudeln zuzubereiten, weil man keine mehr kriegen kann, sondern auch, dass Menschen, die schwere Krankheiten haben, ernsthafte Schwierigkeiten haben, notwendige Desinfektionsmittel zu bekommen. Ich kenne ein Elternehepaar, deren Sohn Diabetiker ist. Die haben davon berichtet, dass sie Schwierigkeiten haben, die Alkoholpads zu bekommen, die man braucht, um eine Insulinspritze verabreichen zu können. ({3}) Auch hier muss ich sagen: Es wäre wichtig gewesen, dass die Bundesregierung rechtzeitig vorgesorgt hätte. Das kam ja nun auch nicht ganz überraschend. Wir haben ja, als das Virus in China aktiv wurde, gesehen, was die Medien daraus gemacht haben. Es war eigentlich abzusehen, dass, wenn die Krankheit Deutschland erreicht, auch hier Panik entsteht. Das heißt, die Bundesregierung hätte sich rechtzeitig auch um die Bevorratung dieser Dinge kümmern müssen. Und natürlich hätte viel früher und transparenter aufgeklärt werden müssen, dass bei gesunden Menschen in der Regel normale Handhygiene ausreicht und Desinfektionsmittel gar nicht benötigt werden. Eines möchte ich fragen: Warum ist es so – das müsste ja gar nicht so sein –, dass in diesem Land, das eigentlich sehr fortschrittlich sein soll, nicht bereits heute an öffentlichen Orten wie Behörden, Bahnhöfen, Fußballstadien Desinfektionsmittelspender zur Verfügung stehen? Das müsste doch längst der Fall sein. ({4}) – Ich weiß nicht, warum Sie sich darüber aufregen, Frau Kollegin. ({5}) – Ach so. ({6}) – Ich setze die Rede jetzt fort, Frau Kollegin. Danke schön. Ich bin der Auffassung, dass man diese Maßnahmen längst hätte einleiten sollen und man dann heute sehen würde, dass sie das Infektionsrisiko senken würden. Das ist die Realität. Und diese Maßnahmen würden auch das Sicherheitsgefühl deutlich stärken. Wenn heute Medien berichten, dass die Menschen sich mit Lebensmitteln bevorraten sollen, dass man für 14 Tage Vorräte anlegen soll, dann verunsichert das viele Menschen, gerade diejenigen, die ohnehin große Schwierigkeiten haben, sich mit Lebensmitteln zu versorgen. ({7}) Wie sollen denn Menschen, die heute Lebensmittel von der Tafel brauchen, sich bevorraten? Das geht nicht. Herr Gesundheitsminister, ich erwarte von Ihnen, dass Sie alle Menschen im Blick haben, wenn Sie die notwendigen Schritte einleiten. ({8}) Was man leider befürchten muss, ist, dass sich durch das Coronavirus die Situation im Gesundheitswesen, die bereits jetzt nicht gut ist – durch die Privatisierung, durch das Kaputtsparen des Gesundheitswesens, durch die große Überlastungssituation, der die Ärztinnen und Ärzte, die Pflegerinnen und Pfleger, der alle Beschäftigten im Gesundheitswesen bereits jetzt ausgesetzt werden –, weiter verschärfen wird. ({9}) Das sieht man bereits heute. Es ist unverantwortlich, was da geschehen ist. ({10}) Diese Situation sollte wirklich das endgültige Alarmsignal dafür sein, dass das Kaputtsparen des Gesundheitswesens ein Ende haben muss. Die Gesundheitsversorgung gehört vollständig in die öffentliche Hand. ({11}) In der Tat rächt sich jetzt – Herr Spahn, das haben Sie in Ihrem Beitrag zu Recht angesprochen –, dass wir abhängig sind von Importen aus China, was Schutzmasken und Schutzkleidung angeht. Ich begrüße sehr, dass Sie das eingesehen haben. Wir sagen das schon lange. Jetzt müssen entsprechende Taten folgen. ({12}) Was sich jetzt auch zu rächen droht, ist die große Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft. Die OECD hat gerade aufgrund der aktuellen Lage die Prognose für das diesjährige Wachstum der Weltwirtschaft auf 1,5 Prozent halbiert, den schlechtesten Wert seit der Finanzkrise 2009. Natürlich wird das die deutsche Wirtschaft, die sehr exportabhängig ist, extra hart treffen. Für die Beschäftigten bedeutet das unter Umständen Kurzarbeit, Lohnausfälle; im schlimmsten Fall droht der Arbeitsplatzverlust. Was wir hier nicht brauchen, sind die widersprüchlichen Antworten der Großen Koalition, wie man darauf jetzt reagieren soll: Herr Altmaier sagt, Konjunkturprogramme seien Strohfeuer; er möchte lieber Steuergeschenke an die Konzerne verteilen. Herr Scholz dagegen sagt, Konjunkturprogramme seien sinnvoll; die Mittel dafür stünden zur Verfügung. – Lassen Sie dieses typische GroKo-Theater an dieser Stelle bitte sein und agieren Sie besonnen und geschlossen! ({13}) Wir brauchen konkrete Hilfsmittel und Initiativen für die Beschäftigten. Dazu gehören auch garantierte Lohnfortzahlungen, wenn Beschäftigte zu Hause bleiben müssen, weil die Kinder nicht zur Schule oder zur Kita gehen können. Wir Linke appellieren an die Bundesregierung, aus der Situation die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Privatisierung im Gesundheitswesen muss zurückgenommen werden, und die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft muss auch umorientiert werden; ({14}) denn das macht uns viel zu anfällig für diese Situation. Vielen Dank. ({15})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, dass ich, auch im Namen des ganzen Hauses, den Menschen, die bereits erkrankt sind, gute Besserung wünsche – dass die Menschen, die in Quarantäne sind, bald diese Situation verlassen können. Danken wir gemeinsam den Menschen, die im Gesundheitswesen, in Heimen, in Arztpraxen, in Krankenhäusern, in den öffentlichen Gesundheitsämtern dafür kämpfen, dass wir es – alle zusammen – schaffen, diese Epidemie aufzuhalten. ({0}) Die Menschheit hat Jahrtausende unter Epidemien gelitten, war völlig hilflos. Heute haben wir im Umgang mit Infektionskrankheiten scharfe Schwerter: Wir haben die Wissenschaft, wir haben staatlich organisierten Infektionsschutz, beginnend mit dem sehr starken Robert-Koch-Institut und seiner wissenschaftlichen Expertise ({1}) bis runter auf die Gesundheitsämter – da komme ich noch einmal drauf –, die sich lokal im Infektionsschutz für die Bevölkerung engagieren. Und wir haben Impfungen – auch wenn wir bei Corona jetzt noch keinen Impfstoff haben –, die dafür sorgen, dass wir einen breiten Schutz vor Infektionskrankheiten haben in unserem Land. Deswegen gibt es keinen Grund zur Panik. Es gibt aber Anlass zu umfassender Vorsicht und zum Handeln. ({2}) Das Ziel im Moment – es kann sich immer ändern – heißt, die schnelle Ausbreitung dieser Epidemie zu verlangsamen, zu verhindern; das ist im Moment das, was im Vordergrund steht. Aus unserer Sicht macht die Bundesregierung hier im Moment vieles richtig. ({3}) Sie handelt besonnen, sie handelt, wie ich sagte, richtig, und sie handelt – da können wir uns als Mitglieder des Bundestages nicht beklagen – ausgesprochen transparent: Über alle Schritte sind wir in der letzten Zeit bestens informiert worden. Wir wissen, auch die anderen Akteure – wie die Länderminister, wie die Gesundheitsämter, die anderen beteiligten Stellen – wissen genau, was der aktuelle Stand ist und was unternommen wurde. ({4}) Es ist übrigens Teil der Panikmache, dass der Eindruck erweckt wurde, man hätte das alles viel früher machen müssen. Wir haben gesehen, dass es in Bayern mit den Mitteln unseres Infektionsschutzes gelungen ist, diese erste Situation in den Griff zu bekommen, ohne dass es andere Infektionen gegeben hat. Auch seit der Häufung in Nordrhein-Westfalen, wo wir eben nicht mehr genau wissen, wie der Infektionsweg verlaufen ist, hat diese Bundesregierung alles richtig gemacht: Sie hat den Krisenstab einberufen, sie hat die Aufklärung hochgefahren, sie hat die Abstimmung zwischen Ländern, Kommunen und den Gesundheitsämtern, auch mit der EU, verstärkt, und sie hat das RKI ganz stark in den Fokus gestellt, sowohl zur Information der Bevölkerung als auch zur Begleitung dieser Epidemie. Dorthin können sich übrigens alle wenden, die Fragen haben. Gehen Sie auf die Seite des Robert-Koch-Instituts, wenn Sie wissen wollen, wie der aktuelle Stand der Epidemie ist. Gehen Sie auf die Seite der BZgA, wenn Sie das einfacher erklärt haben möchten, weil Sie vorher vielleicht den Eindruck hatten, dass das etwas zu schwierig ist. Wenden Sie sich an die zuständigen Gesundheitsämter vor Ort, oder wählen Sie 116117, wenn Sie nicht genau wissen, wie Ihr Gesundheitszustand ist. Was ich beim Gesundheitsminister auch loben möchte, ist die Tatsache, dass er die kritischen und die problematischen Punkte nicht ausspart und auch die Schwachstellen benennt: Das fängt damit an, dass Notfallpläne natürlich geübt werden müssen. Ansonsten funktionieren sie nicht auf Anhieb. Das ist in der Vergangenheit vernachlässigt worden. Dazu gehört – daran sind übrigens alle Parteien beteiligt –, dass man den Öffentlichen Gesundheitsdienst in den letzten Jahren nicht ausreichend personell ausgestattet hat, nicht ausreichend finanziell ausgestattet hat und nicht ausreichend mit Verantwortung ausgestattet hat. ({5}) Dazu gehört auch der Mangel an Fachkräften – das ist hier schon angesprochen worden –, und zwar im gesamten Gesundheitswesen, ganz besonders in der professionellen Pflege, dem Bereich, der am meisten mit den erkrankten Menschen zu tun hat, der einen besonderen Schutz braucht und dem wir besondere Aufmerksamkeit widmen müssen. ({6}) Deswegen ist das Thema Schutzausrüstung so unglaublich wichtig. Ich möchte mich ausdrücklich auch dafür bedanken, dass das Thema „Schutzausrüstung von Gesundheitspersonal“ im Fokus steht. Ich freue mich, dass seit heute Morgen wirklich aktiv an dieses Thema herangegangen wird. Das alles sind Sachen, die erst hochgefahren werden müssen, und man kann nicht sagen, dass die Regierung hier versagt hat. Ich möchte an diejenigen appellieren, die sich durch Hamsterkäufe mit Infektionsmitteln eindecken oder diese sogar aus den Krankenhäusern stehlen. Was sind denn das für Leute? Es geht im Moment doch nicht um Egoismus, sondern es geht um gemeinschaftliche Solidarität. Man kann Infektionskrankheiten nur mit Solidarität und nicht mit Einzelkämpfermethoden bekämpfen. ({7}) Wir leben in einer globalisierten Welt, und die Tatsache, dass viele Arzneimittelbestandteile fast nur noch in China hergestellt werden, ist tatsächlich ein Problem; das ist aber nicht erst seit Corona bekannt. Gerade für lebensnotwendige Medikamente, für Antibiotika, für Impfstoffe brauchen wir eine europäische Produktion. ({8}) Wir erwarten von der Bundesregierung, dass die EU-Ratspräsidentschaft dazu genutzt wird, dass die lebensnotwendigen Arzneimittel endlich wieder in Europa produziert werden, damit sich solche Fälle nicht wiederholen. ({9}) Wir brauchen – das ist hier auch ganz wichtig – eine internationale Zusammenarbeit im Bereich der Impfstoffproduktion. Wir haben gehört, dass im Haushaltsausschuss gerade parallel die Aufstockung der Finanzmittel läuft, damit unter anderem die Bemühungen, einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln, unterstützt werden. Das alles können wir nur begrüßen. Es kommt auf die Zusammenarbeit und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt an. Ich finde, dass man jetzt hier tatsächlich die Interessen der Bevölkerung in den Vordergrund stellen sollte und nicht seine Partikularinteressen als Partei oder als irgendwas. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Dittmar, SPD. ({0})

Sabine Dittmar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004261, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuallererst ein herzliches Dankeschön den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitswesen, den Ärzten, den Pflegekräften, den Labormedizinern, dem RKI und den zuständigen Stellen im Bund und in den Ländern für ihr großes Engagement. Sie haben in den letzten Wochen Herausragendes geleistet! ({0}) Stündlich gibt es neue Meldungen über Corona. Mittlerweile – Stand heute Vormittag, 10 Uhr – sind 240 Fälle in Deutschland erfasst, und beinahe alle Bundesländer sind betroffen. Es ist in der Tat eine ungewohnte Situation, in der wir uns befinden. Gerade deshalb möchte ich in aller Deutlichkeit sagen: Wir können uns in Deutschland auf ein im internationalen Vergleich gut funktionierendes Gesundheitssystem stützen. Die Pandemiepläne wurden aktiviert und aktualisiert, der Krisenstab tagt regelmäßig, die aktuelle Lage wird kontinuierlich erfasst und bewertet, und daraus werden die notwendigen Handlungsempfehlungen für die Bevölkerung, aber auch für das medizinische und das pflegerische Personal abgeleitet. Aber natürlich, meine Damen und Herren, tauchen bei jeder Epidemie und Pandemie immer wieder neue Fragen und Herausforderungen auf. Wann und von wem wird der Coronatest durchgeführt und bezahlt? Wie kommt die notwendige Schutzausrüstung in ausreichender Menge in die ambulanten Praxen? Wer kommt für die Kosten auf, wenn niedergelassene Ärzte Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes übernehmen? Ich kann Ihnen aber versichern: Alle verantwortlichen Stellen arbeiten mit Nachdruck daran, diese Fragen zu beantworten und die Probleme zu lösen. ({1}) Entscheidend ist es, die Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen, die Infektionsausbreitung zu verlangsamen und dadurch Zeit zu gewinnen, Zeit, die wir brauchen, um das Virus und seine Eigenschaften besser kennenzulernen, Zeit, um Risikogruppen zu identifizieren und für diese entsprechende Schutzmaßnahmen anzuordnen, Zeit, um einen Wirkstoff oder antivirale Medikamente zu entwickeln. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich bin keine Infektiologin wie mein Nachredner, aber ich bin Hausärztin, und als solche möchte ich betonen: Das neuartige Coronavirus verursacht Erkältungssymptome. Es handelt sich um eine klassische Atemwegserkrankung. Nach aktuellen Erkenntnissen ist die Infektionskraft ein bisschen höher als bei der Grippe, aber sehr viel niedriger als bei Masern, und es ist mit einem Virus wie Ebola überhaupt nicht zu vergleichen. Über 80 Prozent der Infektionen verlaufen sehr blande, und bei den 3 bis 5 Prozent der Erkrankten mit schweren Verläufen handelt es sich häufig um Patienten mit Vorerkrankungen. Diese schweren Verläufe können auch tödlich enden. Aber ich sage Ihnen auch: Für unsere Ärztinnen und Ärzte und unser Gesundheitssystem ist der Umgang mit Atemwegserkrankungen und auch mit schweren Verlaufsformen keine neue Herausforderung. Wir können damit umgehen. ({2}) Insofern ist eine vernünftige Grundeinstellung, also weder Leichtsinn noch übermäßige Furcht, aus meiner Sicht das Gebot der Stunde. Sensationsmeldungen und Panik sind völlig fehl am Platz. Als Bundesgesetzgeber werden wir aus dem aktuellen Infektionsgeschehen und aus den sich daraus ergebenden Herausforderungen viel darüber lernen, wo unser Gesundheitssystem, unser System des Gesundheitsschutzes, der Infektionsüberwachung, weiter nachjustiert werden muss. Hier geht es um Zuständigkeiten bei bundesweiten Infektionen, um Meldewege und Aufklärungsarbeit, um die personelle und sachliche Ausstattung der zuständigen Stellen, um Beschaffung und Bevorratung von Medikamenten. Hieraus werden wir notwendige gesetzgeberische Maßnahmen ableiten. Jetzt heißt es aber erst einmal, besonnen und lösungsorientiert mit dem aktuellen Infektionsgeschehen umzugehen. Lassen Sie uns daher sachlich und konstruktiv und ohne Polemik und Panikmache agieren. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andrew Ullmann, FDP. ({0})

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen Grund zur Sorge, aber es gibt sicherlich keinen Grund für Panik oder Hysterie. ({0}) Ich freue mich und bin explizit dankbar, dass die Bundesregierung das auch immer so äußert und bislang die richtigen Maßnahmen getroffen hat. Wir können nämlich gemeinsam die Ausbreitung von Covid-19 verlangsamen. Wenn wir das erreichen wollen, meine Damen und Herren, müssen wir nur bereit sein, besonnen und nachhaltig zu agieren. Sonst bleibt das Problem: Unser jetziges System ist darauf ausgelegt, nur die unmittelbar vergangene Pandemie und niemals die nächste zu bewältigen. Das gefährdet die wirtschaftliche Stabilität und kostet im schlimmsten Fall auch Leben. Wir müssen jetzt in Deutschland und weltweit beginnen, Schritte zu unternehmen, um besser für die nächste Pandemie gewappnet zu sein. ({1}) Ich sage ganz klar: Das Coronavirus ist kein Grund zur Panik, aber es ist ein Warnschuss. Die jetzige Situation zeigt uns, dass wir unzureichend auf wirklich schlimme Pandemien vorbereitet sind. Damit meine ich nicht unbedingt uns in Deutschland, auch wenn wir im Global Health Security Index nicht in den Spitzenpositionen auftauchen. Damit meine ich uns weltweit. Das zeigt das Coronavirus deutlich: Im Bereich Gesundheit und ganz speziell, wenn ein Virus viral geht, muss global agiert werden. In Deutschland sehen wir da einige Probleme. Kommunikation und Aufklärung: Sie waren bisher unzureichend; denn in Deutschland macht sich Panik breit. Die Situation wird von vielen Menschen nicht richtig eingeschätzt. Von der ärztlichen Basis erfahre ich tagtäglich in Anrufen, SMS und E-Mails, dass die Angst besteht, die medizinische Versorgung könnte unzureichend sein oder die fachliche Kompetenz an ihre Grenzen kommen. Doch mir stellt sich natürlich die Frage: Was würde passieren, wenn ein wesentlich gefährlicheres Virus auftritt, wenn zum Beispiel in Krankenhäusern zusätzlich zu bestehenden Fällen durch die Grippewelle schwere Fälle kommen, etwa auf Intensivstationen, oder es bei Standardmedikamenten Lieferengpässe gibt und sich diese verschlimmern? Das sind die Sorgen der Menschen draußen, sie haben Angst, dass die Regelversorgung nicht funktioniert. Es könnte tatsächlich eng werden. Wir können etwas dagegen unternehmen. Wir sollten zusammenstehen und auch nicht Panik schüren, sondern erklären, was passiert. Daher fordere ich jetzt umgehend eine offene und stramme Kampagne als Gegengift gegen Hamsterkäufe und Panik. Wir müssen für die Zukunft in Deutschland auch eine stärkere praktische Anbindung der öffentlichen Gesundheitsämter erreichen. Das ist eine Perspektive, die wir noch weiter entwickeln müssen. Wir brauchen auch dringend mehr infektionsmedizinische Kompetenzen, also eine flächendeckende Einführung des Facharztes für Infektiologie. ({2}) – Danke. – Mittelfristig müssen wir das Robert-Koch-Institut stärken, auch finanziell. Dazu brauchen wir einen Chief Medical Officer, der medizinische Fachkompetenz in einen reformierten Bundessicherheitsrat einbringt. Und wir sollten uns überlegen, ob wir nicht eine neue Föderalismusdebatte starten, um gesundheitliche Kompetenzen zu bündeln und die pandemische Vorbereitung aus einem Guss zu erreichen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Ullmann, achten Sie bitte auf die Zeit.

Prof. Dr. Andrew Ullmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004922, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Guten Tag, Frau Präsidentin! – Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung stärken und die globale Zusammenarbeit bei der Vermeidung von Pandemien verbessern. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Karin Maag für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karin Maag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004104, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Noch einmal zurück zur Strategie – es ist die Behauptung in den Raum gestellt worden, da seien noch Themen offen –: Unser klares strategisches Ziel heißt bis auf Weiteres, Kontaktpersonen und Infektionen zu erkennen, die Infektionsketten einzudämmen, sodass sich die Viren möglichst langsam verbreiten. Es macht einen ganz großen Unterschied, ob alle Erkrankungen innerhalb von vier Wochen auftreten oder eben entzerrt innerhalb von ein bis zwei Jahren. Warum macht das einen Unterschied? Weil die Eigenschaften des Coronavirus momentan noch nicht ausreichend bekannt sind. Daher ist es umso wichtiger, weltweit Krankheitsfälle zu beobachten, zu analysieren und zu bewerten. Je mehr Zeit wir gewinnen, desto besser können sich unsere Wissenschaftler, unsere Ärzte, aber natürlich auch Verwaltung und Politik vorbereiten, Maßnahmen anpassen, sich national und international abstimmen. ({0}) Ich bin unserem Minister Jens Spahn außerordentlich dankbar, dass er diese Abstimmung initiiert und betreut, dass er sich kümmert und dann auch handelt. Danke, Herr Minister! Ich danke an dieser Stelle insbesondere Bündnis 90/Die Grünen und auch der FDP für konstruktive Oppositionsarbeit. Das ist nicht selbstverständlich, wie wir bei anderen Oppositionsparteien sehen. ({1}) Frau Weidel, es wäre schön gewesen, wenn Sie Ihre Fachpolitiker hätten reden lassen. Es ist für mich schwierig, Ihnen zuzuhören, so wie Sie mit der Angst der Menschen umgehen. Das ist zynisch und vor allen Dingen bar jeglichen Fachwissens. ({2}) Ich finde es ausgesprochen ärgerlich, wenn Ihr Fraktionskollege Herr Schlund das Vorgehen des Ministers und seine gute Aufklärungsarbeit ausdrücklich lobt, ihm im Namen der ganzen Fraktion, sogar der AfD, gedankt hat und Sie das Ganze ignorieren und ins Lächerliche ziehen. Da sollten Sie sich besser ein Beispiel an einigen Ihrer Fraktionsmitglieder nehmen. Frau Ali, auch für Sie gilt: Es wäre besser gewesen, Sie hätten Ihre Fachpolitiker reden lassen. Harald Weinberg hat in der Debatte vor einem Monat ebenfalls die gute Aufklärungsarbeit des Ministers gelobt. ({3}) Er sagt, keine Panik zu verbreiten, sei richtig und gut gewesen, und hat sich an dieser Stelle auch bedankt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gesundheitsämter vor Ort tun weiterhin alles, um dem Auftrag, einzudämmen, gerecht zu werden. Aber nachdem nun die Infektionsketten und die Kontaktpersonen teilweise nicht mehr nachvollziehbar sind, wird sich die Zahl der Infizierten geradezu selbstverständlich weiter nach oben bewegen. Genauso selbstverständlich – das sehen bereits die entsprechenden Pandemiepläne zum Beispiel des RKI, aber auch der Länder und der Kommunen vor – muss die Bekämpfungsstrategie schrittweise angepasst werden, auch lokal, hin zum Schutz der Schwächeren, weg vom bloßen Eindämmen. Aber wichtig ist, dass wir weiterhin mit Augenmaß arbeiten, angepasst an die jeweilige Situation vor Ort – das Stichwort „Besonnenheit“ ist gefallen –, mit Vorsicht und vor allen Dingen auf der Basis des Fachwissens des Robert-Koch-Instituts. Aber es ist richtig, dass zum Beispiel Entscheidungen über die Absage von Großveranstaltungen oder über Schulschließungen lokal getroffen werden. Die Behörden vor Ort kennen die Situation und können das Ganze sehr viel besser einschätzen als wir von Berlin aus. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem, was in Pandemieplänen und Strategien steht, bemerkt man erst im Echtbetrieb vor Ort tatsächlich, dass manches noch nicht so gut funktioniert. Das gilt es weder zu beschönigen noch zu dramatisieren. Die Handlungsempfehlungen des RKI, aber auch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zum Umgang mit Patienten, Laborleistungen, Meldepflichten oder Abrechnungsmöglichkeiten sind angekommen. Das wird zurückgespiegelt. Frau Ali ({5}) – Entschuldigung –, Frau Mohamed Ali – ich werde es mir merken –, das wurde auch von Ärzten bestätigt. Wir bekommen auch solche Rückmeldungen. Das ist der Unterschied zur Fachpolitik. Natürlich ist die Lage regional unterschiedlich. Wir wissen um die Engpässe bei Desinfektionsmitteln oder Schutzmasken, insbesondere für Ärzte und Pflegekräfte. Wir werden den Apotheken nun ermöglichen, für einen begrenzten Zeitraum wieder selbst Desinfektionsmittel herzustellen. Schutzmasken werden zentral beschafft. Auch Ausfuhrbeschränkungen gelten mittlerweile. Dort, wo Abrechnungsfragen zu lösen sind, haben wir sie bereits gelöst. Es wird weiterhin Stolpersteine geben. Das ist die Botschaft vor allen Dingen an die Leistungserbringer: Benennen Sie uns Ihre Probleme! Es ist in unserem gemeinsamen Interesse, dass wir den Herausforderungen begegnen. ({6}) Corona wird uns auch den Blick auf den medizinischen Alltag nicht verstellen. Entscheidend ist doch, dass der Regelbetrieb in den Praxen und Krankenhäusern aufrechterhalten wird. Dazu dient vor allen Dingen auch die heute Morgen erfolgte zeitweilige Aufhebung der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung. Das ist gut; das ist für alle Beteiligten wichtig. Im Nachgang, Herr Lindner, werden wir dann bewerten, was gut lief, was falsch lief, was besser eingeübt werden muss. Es bleibt der Dank an alle, die im Moment Tag und Nacht an der Bekämpfung des Coronavirus arbeiten. Danke für ihren gewissenhaften und angemessenen Umgang! Und Ihnen herzlichen Dank fürs Zuhören. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Sebastian Hartmann das Wort. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, weite Teile der heutigen Debatte und auch viele Beiträge unserer Kolleginnen und Kollegen haben aufgezeigt: Wir sind grundsätzlich gut vorbereitet und gehen sehr differenziert und überlegt mit der Situation um, in der wir uns befinden. Wir haben Notfallpläne. Wir sind auf Katastrophensituationen vorbereitet. Wir haben auch Institutionen, die stark und in der Lage sind, zu handeln. Das Robert-Koch-Institut ist angesprochen worden, aber ich möchte auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erwähnen. Ich glaube, dass wir jetzt, da der gemeinsame Krisenstab von Bund und Ländern eingerichtet ist, zeigen, dass wir bereit sind, zu handeln. In einem demokratischen Rechtsstaat ist es gerade in dieser Stunde wichtig, dass wir Informationen teilen und sehr transparent vorgehen. Alle Bürgerinnen und Bürger haben es selbst in der Hand, sich auf öffentlich zugänglichen Webseiten zu informieren, um nicht auf das hereinzufallen, was manche unverantwortlichen Redebeiträge heute hier versucht haben zu suggerieren, dass da ein Geheimnis sei, dass etwas verdeckt werden solle. Im Gegenteil, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger: Machen Sie dann auch Gebrauch davon, schauen Sie in den Notfallplänen nach, und achten Sie darauf, dass jede und jeder einen entsprechenden Beitrag leisten kann, damit wir gemeinsam diese Krise bewältigen. ({0}) Uns allen ist klar, dass wir am Anfang dieser Herausforderung stehen und noch lange nicht auf dem Höhepunkt oder gar am Ende der Entwicklung sind. Nun sind es 240 Fälle, davon 111 in Nordrhein-Westfalen, und das bedeutet, dass wir jetzt diese Ausbreitung verlangsamen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass es eingedämmt wird. Damit sind wir bei einem Punkt, an dem jeder und jede Einzelne von uns eine Verantwortung hat. Es heißt im Katastrophenschutz: Deutschland ist gut vorbereitet, wenn jede und jeder gut vorbereitet ist. – Damit kann jeder in dieser Situation durch sein verantwortungsvolles Handeln dazu beitragen, etwas zur Eindämmung zu tun. Etwas zum Händewaschen, zur persönlichen Hygiene ist gesagt worden. Die Vorsorge und die Beachtung dieser Hinweise gehen jeden und jede von uns an. Es ist in dieser Situation etwas merkwürdig, dass lange bekannte Vorschläge zur Bevorratung in privaten Haushalten, was Nudeln und Reis angeht, nun plötzlich umgesetzt werden und wir vor leeren Regalen stehen. Das ist in der Situation, in der vor allem Hygiene mit Wasser und Seife auch eine großartige Chance bietet, für die Ausbreitungsverhinderung zu sorgen, eine Übertreibung. Wofür ich aber überhaupt kein Verständnis habe, liebe Kolleginnen und Kollegen – das muss man in aller Deutlichkeit sagen –, ist, dass manche Mitbürger auf die Idee kommen, in Krankenhäusern Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel zu klauen und damit denjenigen die Arbeitsmittel zu nehmen, die jeden Tag daran arbeiten, dass diese Pandemie eingedämmt wird, nämlich Pflegerinnen und Pflegern, Krankenhelferinnen und Krankenhelfern, aber auch Ärztinnen und Ärzten. Da muss ein klares Signal kommen: Das ist kein solidarisches Verhalten; das ist ein Widerspruch zu all dem, was man jetzt tun müsste. Wir sollten das auch ordentlich verurteilen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wir sind auch vorbereitet, weil wir Übungen durchgeführt haben, um die seit den 2000er-Jahren existierenden Pandemieplanungen weiter zu verfeinern; das ist gerade von einer Fraktion öffentlich in Abrede gestellt worden. Wir haben 2007 eine entsprechende länderübergreifende Übung durchgeführt, und wir haben aus dieser Übung auch Erkenntnisse. Nicht alles von dem – das muss man hier auch sagen –, was wir damals erfahren haben, gerade was föderalen Informationsfluss angeht, haben wir umgesetzt. Nicht alles, was wir an Bevorratung hätten vorhalten müssen, ist in der Form eins zu eins umgesetzt worden. Wir werden uns genau anschauen müssen, wenn wir ein Stück weitergegangen sind und dann nach der Bewältigung in der Nachschau sind, ob auch alle privaten Vorsorgeträger ihren Teil der Verantwortung in einem vollständig durchökonomisierten Gesundheitswesen eingehalten haben; denn es kann nicht sein, dass an dieser Stelle ein marktwirtschaftliches Prinzip dazu führt, dass eben wichtige Arzneimittel oder wichtige Vorsorgeeinrichtungen nicht entsprechend ausgestattet oder bevorratet sind. Das ist eine Verantwortung, die wir als Bund und Länder gemeinsam tragen, um die Kommunen vor Ort hierbei zu unterstützen. ({2}) Ich glaube, in dieser Situation kommt es darauf an, die Nerven zu bewahren, darauf, dass wir gemeinsam handeln. Es ist an anderer Stelle einmal gesagt worden: Das Einzige, was man wirklich fürchten muss, ist die Furcht selbst. – Lassen wir uns deswegen nichts von denjenigen einreden, die eine solche Situation missbrauchen. Das ist gerade von der rechten Seite hier im Haus in unverantwortlicher Weise getan worden, indem versucht worden ist, politischen Geländegewinn mit Falschinformation und Verunsicherung der Bevölkerung zu machen. Es ist nicht gelungen; ein großer Teil der Rednerinnen und Redner haben das zurückgewiesen. Es ist unverantwortlich. ({3}) Im Gegenteil: Es kommt jetzt darauf an, besonnen zu handeln, und es ist in weiten Teilen keine Grenze zwischen Opposition und Mehrheit hier im Haus erkennbar, und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Mathias Middelberg das Wort. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will mich der Einschätzung des Kollegen Hartmann ausdrücklich anschließen und bedanke mich an dieser Stelle für die von fast allen Beteiligten hier eingebrachte Sachlichkeit und auch Differenziertheit in dieser Debatte. Ich finde, das darf man an dieser Stelle bei diesem wirklich wichtigen Thema, über das wir uns – das wurde zu Recht festgestellt – nicht parteipolitisch auseinandersetzen sollten, wohl feststellen. ({0}) Zentrale Aufgabe für alle staatlichen Stellen, aber auch für alle, die wie wir hier im Haus Verantwortung tragen, ist es jetzt, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und angemessen zu kommunizieren, ohne Unsicherheit und Panik zu schüren. Deswegen möchte ich an dieser Stelle stellvertretend für die zahlreichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in unserem Gesundheitswesen auch noch einmal unserem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ausdrücklich danken, der von Beginn an in dieser Angelegenheit klar und zugleich besonnen agiert und kommuniziert hat. ({1}) Jens Spahn und Horst Seehofer haben einen gemeinsamen Krisenstab mit allen betroffenen Ressorts eingerichtet und auch die Bundesländer dort eingebunden. Auf viele der Maßnahmen, die dort angesprochen wurden – Meldepflicht, Quarantäne und anderes – ist schon eingegangen worden, auch auf das Stichwort „Großveranstaltungen“, sodass ich speziell nur noch zu den Punkten sprechen muss, die hier die, ich sage einmal, ordnungsbehördliche Seite betreffen, die etwa Kontrollen an den Binnengrenzen angehen. Wir nehmen solche Kontrollen in einem 30-Kilometer-Raum im Rahmen einer ohnehin stattfindenden Schleierfahndung vor. Im Rahmen dieser Schleierfahndung sind die Bundespolizisten jetzt noch einmal in besonderer Weise im Hinblick auf Anhaltspunkte für eine Erkrankung an dem Coronavirus sensibilisiert worden. Sobald in diesen Fällen das erkannt wird, werden die örtlich zuständigen Gesundheitsbehörden hinzugezogen. Diese nehmen dann medizinische Bewertungen vor. Überlegungen hinsichtlich einer vorübergehenden Wiedereinführung genereller Binnengrenzkontrollen unmittelbar an der Grenze gibt es derzeit nicht. Diese würden eine Ausbreitung des Virus auch kaum verhindern, da dies angesichts der Inkubationszeit nur bedingt möglich wäre. Im grenzüberschreitenden Verkehr von und nach etwa China, Italien, Iran, Südkorea und Japan haben wir alle Beförderer verpflichtet, ihre Reisenden über das Virus zu informieren. Bei Anhaltspunkten für eine Erkrankung werden die entsprechenden Gesundheitsbehörden hinzugezogen. Zudem haben wir Flugreisende aus den genannten betroffenen Gebieten verpflichtet, auf Aussteigekarten Angaben zu ihrem Flug und zu ihrem Aufenthaltsort zu machen. Das Gleiche gilt für den Schiffsverkehr. – Ich denke, das sind die angemessenen und richtigen Maßnahmen. Auch bei dem Thema „weitere oder ungeordnete Migration nach Deutschland“ handeln wir. Nach wie vor zählen wir pro Monat etwa 10 000 Asylanträge in Deutschland. Mit Blick auf diesen Umstand hat das Bundesinnenministerium die Bundesländer gebeten, sicherzustellen, dass alle schutzsuchenden Personen, die bei ihrer Ankunft registriert werden, im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten und vor dem Hintergrund ihres konkreten Reiseweges bei der ohnehin stattfindenden medizinischen Untersuchung auch daraufhin in Augenschein genommen werden und mittels eines geeigneten Tests untersucht werden, nämlich darauf, ob Anhaltspunkte für eine Coronainfektion erkennbar sind. Diese Maßnahme erfolgt ausdrücklich zu dem Zweck, zu verhindern, dass infizierte Personen in Erstaufnahmeeinrichtungen aufgenommen werden und dadurch eine Gefahr für die Gesundheit der Bewohner dieser Einrichtung und der Mitarbeiter entsteht. Ich glaube – das wurde hier mehrfach zum Ausdruck gebracht –, dass diese Bundesregierung in verantwortungsbewusster Weise und angemessen tätig ist. In dieser Art und Weise und mit dieser Angemessenheit sollten wir weiter verfahren. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Rudolf Henke für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich will vier Bemerkungen machen. Leider dreht sich die erste Bemerkung um die Frage: Aus welcher Motivation heraus übernehmen Sie es, Frau Weidel, für die AfD-Fraktion hier zu sprechen, und lassen nicht Ihre Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss sprechen? Dafür habe ich zwei mögliche Erklärungen: Entweder Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die relativ sachliche Auseinandersetzung Ihrer Kollegen im Gesundheitsausschuss Schleimerei ist gegenüber dem Gesundheitsminister, gegenüber der Koalition, gegenüber den anderen Kollegen – ich glaube das nicht –, oder Sie sehen in dieser Krise eine weitere Chance dafür, diese Gesellschaft zu spalten. Sie sehen eine Chance, diese Krise, in die wir gekommen sind, als ein Instrument für parteipolitischen Vorteil zu nutzen. Ich glaube, dass das so ist, weil Ihre Äußerungen im Netz noch viel schärfer sind als die, die Sie hier vortragen. Wenn ich etwa auf Ihren Post schaue, in dem Sie behaupten, die Sterblichkeitsrate beim Coronavirus sei „zehnmal höher als bei einer normalen Grippe“, frage ich mich: Woher wissen Sie das? Das weiß gar keiner. Sie ist etwas höher als bei der Grippe. Aber „zehnmal höher“ ist eine freche Behauptung, die durch keine Fakten belegt ist. ({0}) Und wenn Sie sagen: „Die Regierung unternimmt nichts, um die Risiken für die Bevölkerung zu minimieren“, dann lügen Sie damit die Bevölkerung schlicht und ergreifend an. ({1}) Warum können Sie daran ein Interesse haben? Weil Sie auch bei diesem Thema spalten wollen. ({2}) Deswegen wünsche ich mir eine Rückkehr Ihrer Fraktion zu der Form der Debatte, wie sie im Gesundheitsausschuss – natürlich auch kontrovers – geführt worden ist. ({3}) – Ja, es ist ein Einzelfall; aber es ist ein Einzelfall, den man auch einmal anerkennen muss. Die zweite Bemerkung. Ich möchte darauf hinweisen: Was kann man in der Bevölkerung tun? Ich tue das auch deswegen, weil ich als Präsident der Ärztekammer Nordrhein von vielen Kolleginnen und Kollegen höre, unter welchem Druck sie bei uns im Rheinland zurzeit stehen. Wir versuchen, freiwillige Hilfe zu organisieren, mit der wir die Kollegen in dem Kreis Heinsberg – in Gangelt, in Erkelenz – unterstützen können. Ich tue das, weil ich weiß, wie schwierig es ist, die Abläufe genau zu verstehen. Jeder kann sich selbst fragen: Habe ich grippeähnliche Symptome, Fieber, Husten, Atemnot? War ich in den letzten 14 Tagen in einem Risikogebiet? Man kann beim RKI nachsehen, welche Risikogebiete es gibt. Oder hatte ich innerhalb der letzten 14 Tage Kontakt zu einem Coronaviruserkrankten? In diesen Fällen, wenn man das alles mit Ja beantwortet, dann ist eine Abklärung nötig. Dabei gilt: Erstens telefonischer Kontakt zum Hausarzt oder zu der 116117 – aber eben telefonischer Kontakt und nicht hinrennen und die Wege und die Notfallambulanzen verstopfen. Zweitens Händehygiene einhalten, was gründliches Waschen der Hände mit Wasser und Seife über 20 Sekunden lang beinhaltet. Niesen und husten in die Armbeuge oder in Einwegtaschentücher; diese möglichst in einen Mülleimer mit Deckel entsorgen. Nach Möglichkeit 1 bis 2 Meter Abstand zu hustenden oder niesenden Personen halten. Damit habe ich wesentlichen Schutz hergestellt. Und: Nicht ins Gesicht packen! Die Eintrittspforte per se für diese Viruserkrankungen sind die Augen. Deswegen nützt es auch nichts, mit Masken durch die Gegend zu laufen; denn die Augen sind die Eintrittspforte. Das Schlimmste, was man machen kann, ist, sich mit Fingern, mit denen man überall hingetatscht hat, anschließend ins Gesicht oder die Augen zu packen und Tränen wegzuwischen. Das muss man auch seinen Kindern beibringen. Deswegen, glaube ich, hat der Einzelne viele Möglichkeiten, die Verbreitung einzudämmen. Die letzte Bemerkung – ich komme gar nicht zu vier Bemerkungen, weil die Zeit dann schon um ist –, die ich machen möchte: Ja, es wird so sein, dass wir eine steigende Anzahl Infizierter haben werden. Aber dafür haben wir eine Strategie, und diese Strategie besteht erstens aus dem möglichst starken Eindämmen der Ausbreitung, zweitens in der Protektion von denen, die besonders vulnerabel sind, und drittens in der Abmilderung der Folgewirkungen. Das nennt das RKI etwas englisch formuliert –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Henke.

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– ja, ich komme zum Ende – „Containment, Protection, Mitigation“. Deswegen, Frau Weidel, ist die Aussage, dass die Regierung oder das RKI keine Strategie hätten, falsch und führt zu einer bloßen Verunsicherung der Bevölkerung. Bitte lassen Sie das in Zukunft bleiben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Guten Tag, sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages! Frau Präsidentin! Liebe Zuschauer! Ich möchte heute ein Thema wählen, das viele vielleicht nicht mit der Landwirtschaft verbinden, das die Landwirtschaft aber sehr prägen wird und gerade auch Zielkonflikte lösen kann. Erst heute hat wieder der Digitalrat der Bundesregierung getagt. Landwirtschaft und Ernährung sind dort fester Bestandteil, weil unsere Branche, die Landwirtschafts- und Ernährungsbranche, mehr ist als lediglich ein romantisches Bild. Unsere Landwirtschaft ist digital. Sensoren unterscheiden Nutzpflanzen von Unkraut mithilfe von Infrarottechnologie anhand der Blattfarbe. Intelligente Landmaschinen arbeiten mit hochauflösenden Kameras; sie erkennen so den Bedarf der Pflanzen an Dünger oder Pflanzenschutzmitteln. Sensoren begleiten Tiere durch den Stall; wir können das Tierwohl messen, Ställe der Zukunft besser planen und die Gesundheit der Tiere überprüfen. Landwirte und Tierhalter können sehr frühzeitig Krankheiten ihrer Tiere erkennen. Unsere Landwirtschaft wird dadurch besser. Sie schont Ressourcen, sie ist effizient, und Ökologie und Ökonomie kommen gut zusammen. Digitalisierung hilft auch unseren Landwirtschaftsfamilien, einen attraktiveren Arbeitsplatz zu haben, gerade wenn die Erledigung mühevoller Kleinarbeit durch digitale Helfer unterstützt werden kann. Hightech ist nichts Negatives, sondern Zukunft, und die Landwirtschaft ist Innovationstreiber. Ich will aber sagen: Digitalisierung ist kein Selbstzweck; sie ist ein Instrument, um Ziele zu erreichen, damit unsere Bauernfamilien effizient und nachhaltig arbeiten können und damit wir Zielkonflikte in der Landwirtschaft lösen können; denn es geht nicht um alles oder nichts, Schwarz oder Weiß, beispielsweise bei der Reduktion von Pflanzenschutzmitteln. Wir werden immer Pflanzenschutzmittel brauchen, um Ernten zu sichern. Aber wir können ihre Anwendung reduzieren, sie passgenau applizieren und Düngung in einem einzigen Arbeitsgang ausbringen. Das heißt, mit der Reduktion können wir auch eine Effizienzsteigerung erzielen. Deshalb investiert die Bundesregierung, investiert mein Haus über 170 Millionen Euro in die Digitalisierung in der Landwirtschaft. Wir als BMEL warten nicht ab, wir sind Treiber. Und wir haben Leuchtturmprojekte: 14 digitale Experimentierfelder. Das hat es so noch nie gegeben. Bei diesen digitalen Experimentierfeldern, mit 50 Millionen Euro ausgestattet, testen wir die optimale Anwendung digitaler Techniken – von der Ackerfurche in die Cloud, auf den Teller des Verbrauchers oder, in den ländlichen Regionen, auch ins Dorfgemeinschaftshaus –, Blockchain-Technologie und vieles andere auch. Ich will zum Abschluss kommen. Uns hilft die Digitalisierung in der Landwirtschaft beim Ackerbau, um, wie gesagt, passgenau Düngung oder Pflanzenschutzmittel auszubringen, und beim Bodenschutz, indem die Mengen reduziert werden. Sie hilft uns, differenzierte Prognosen entsprechend dem Lokalklima vorzunehmen, aber auch beim Thema „Tierwohl und Tierhaltung“. Wir haben ein Experimentierfeld, das DigiMilch heißt. Dort werden GPS-Sensoren im Halsband von Rindern mit dem Futtermittelautomaten und der Melkanlage vernetzt. Es geht um Bewegungsprofile und vieles andere. Vielleicht gibt es dazu gleich einige Nachfragen. Ich will zum Schluss sagen: Wir werden alles bündeln in einem Kompetenznetzwerk aus diesen 14 digitalen, hochinnovativen Experimentierfeldern, um dann Antworten zu geben und Anwendungen aufzuzeigen für das Leben in den ländlichen Räumen. Wir nehmen dazu Geld in die Hand. Aber wir prüfen auch: Wer hat Zugriff auf die Daten? Wem gehören die Daten? Wir gehen jetzt eine staatliche digitale Plattform an. Das alles hat es so noch nicht gegeben. Aber das zeigt: Landwirtschaft ist hochmodern. Landwirtschaft hat Zukunft, und Landwirtschaft in Deutschland bietet die hochqualitativsten und besten Lebensmittel, die auch noch nachhaltig erzeugt wurden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. Wir beginnen mit dem ersten Teil der Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft und zum Geschäftsbereich. Das Wort zur ersten Frage hat der Abgeordnete Stephan Protschka.

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, der Europäische Gerichtshof hat ja mit seinem Urteil vom Juni 2018 festgestellt, dass Deutschland gegen seine Verpflichtungen der EU-Nitratrichtlinie verstoßen hat, indem keine zusätzlichen Maßnahmen im deutschen Aktionsprogramm – sprich: Düngeverordnung – getroffen wurden. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil aber explizit die 2017 novellierte Düngeverordnung nicht berücksichtigt. ({0}) Sind Sie mit mir der Meinung, dass mit der Novelle 2017 alle in der EU-Nitratrichtlinie aufgelisteten Regeln der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft sowie die in die nationalen Aktionsprogramme aufzunehmenden Maßnahmen umgesetzt wurden? – Danke.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich nehme zur Kenntnis: Fragen zur Digitalisierung und Zukunft haben Sie nicht. – Deshalb gehe ich gerne auf Ihre Frage zu 2017 ein. Ich verlange nicht von Ihnen als Oppositionsmitglied, dass Sie auf der Höhe der Zeit der Informationen sind und alles mitbekommen, was aktuell eine Rolle spielt. Wir hatten den Ausschuss bereits informiert; aber es kann auch sein, dass Sie nicht dabei waren. In dieser Ausschussunterrichtung haben wir deutlich und sehr transparent gemacht, was unsere Gespräche mit der EU-Kommission ergeben haben. Wir als Deutschland sind verklagt worden und sind in allen Punkten beim EuGH unterlegen; das wissen Sie. Wir sind dann in Gespräche mit der EU-Kommission eingetreten über die Düngeverordnung, die novelliert worden ist, die 2017 in Kraft getreten ist und die ja eine Verschärfung für unsere Landwirte gewesen ist – in Klammern: ich hätte mir gewünscht, sie hätte erst wirken können, weil sie eine Wirkungszeit braucht. Die EU-Kommission hat klar gesagt, dass trotz dieser Neuregelung nicht alle Punkte abgeräumt sind, die uns das Gerichtsurteil zur Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie auferlegt hat. Als Bundesregierung, die ihre Arbeit ernst nimmt, nehmen wir auch diese Aussagen ernst und haben deshalb sehr intensiv an einer Novellierung gearbeitet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte.

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke. – Ich darf ja auch Fragen zum Ressort stellen.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Ja, darüber freue ich mich sehr.

Stephan Protschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004858, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich hoffe, Sie sind nicht überfordert damit, wenn man zum Ressort Fragen stellt. ({0}) Die in der EU-Nitratrichtlinie aufgeführten Maßnahmen enthalten aber keine expliziten Vorgaben über die Ausgestaltung. Es kommt nur darauf an, dass die Gewässerverunreinigung durch Nitrat verringert wird. Von 2008 bis 2014 haben sich die Nitratgehalte im Grundwasser zumindest nicht verschlechtert – zwar nicht besser, das gebe ich zu, aber nicht schlechter. Für die Zeit nach der Düngeverordnung 2017 gibt es noch keine neuen Messwerte. Finden Sie nicht auch, dass es vernünftiger wäre, bevor man etwas weiter verschärft, zumindest die Nitratwerte von 2014 bis 2019 abzuwarten, um zu beurteilen, ob die Düngeverordnung 2017 nicht doch schon irgendetwas gebracht hat? Da würde dann vielleicht auch die Digitalisierung helfen. – Danke.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Danke für Ihre Frage. – Die EU-Nitratrichtlinie – das wissen Sie – steht seit 1991 im Raum; das heißt, sie hat uns nicht überfallen – um es kurz zu sagen. Deutschland hat mit der Umsetzung sehr lange gewartet. Sie kennen die ganze vorausgehende Debatte. Und Sie wissen, dass wir nicht am Anfang eines Konsultationsprozesses sind, der offen ist, sondern am Ende eines juristischen Prozesses. – Sie stellen das infrage. Gut. Es gibt verschiedene Mehrheitsmeinungen. Ihre Haltung ist sehr exklusiv. Man muss zwischen der Eröffnung eines Zweitverfahrens und einer Klageerhebung – die EU-Kommission steht kurz davor; das muss ich klar sagen – unterscheiden. Wir sind am Ende eines juristischen Verfahrens; das wissen Sie. Es gab ein Messnetz. Bis 2011 wurde das sogenannte Belastungsmessnetz genutzt, und für die Meldung danach wurde das sogenannte repräsentative Messnetz genutzt. In der Zwischenzeit sind viermal so viele Messstellen genutzt worden. Nichtsdestotrotz, die EU-Kommission interessiert eines: ob wir die Daten bei der Konzentration des Nitrats im Grundwasser einhalten oder nicht und ob sie die Maßnahmen, die wir zur Reduzierung von Nitrat vorschlagen, für geeignet hält. Das ist der Konsultationsprozess. Ich kann nicht dazu raten, gegen die EU-Kommission zu agieren bzw. zu sagen: Uns interessiert nicht, was uns die EU-Kommission ins Hausaufgabenbuch geschrieben hat. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für den Fortgang der Befragung bitte ich, auf das optische Signal zu achten. Sobald die Lampe rot aufleuchtet, ist sowohl die Fragezeit als auch die Antwortzeit definitiv vorbei. – Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Baradari.

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Bundesministerin, die Evaluierung des Antibiotikaminimierungskonzeptes vom Juni 2019 zeigte, dass nach wie vor sehr viele Antibiotika, insbesondere Reserveantibiotika in der Geflügel- und Kälbermast eingesetzt werden. Trotz der von Ihnen geforderten verbindlichen Reduktionsstrategie und der damit verbundenen von Ihnen angedrohten gesetzgeberischen Schritte ist es aber so, dass das Papier des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft kaum auf Verbesserungen hoffen lässt. Wie den Medien zu entnehmen war, sieht der aktuelle Referentenentwurf zur Novelle des Arzneimittelgesetzes dennoch keine schärfere Regulierung für die Geflügelmast vor. Der Fokus soll auf Anpassung einzelner technisch administrativer Regelungen beruhen. Treffen die Medienberichte und die Stellungnahme Ihres Hauses diesbezüglich zu, und, wenn ja, warum sind keine strengeren gesetzgeberischen Maßnahmen geplant?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Danke schön für Ihre Frage. – Ich glaube, wir sollten hier differenziert vorgehen. Unsere Antibiotikaminimierungsstrategie in Deutschland ist, wenn wir sie in der Gesamtschau sehen, sehr erfolgreich. Wir haben bei den Schweinen, bei den Rindern eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes. ({0}) Was mir sehr große Sorge macht, ist der nach wie vor hohe Einsatz von Reserveantibiotika – rund 40 Prozent – beim Geflügel. Das können wir so nicht akzeptieren. Deshalb haben wir gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium die Geflügelbranche mehrfach eingeladen, und wir werden hier zu strengeren Regelungen kommen. Wichtig ist – das müssen wir deutlich machen –: In Deutschland sind wir sehr streng. Es gibt Länder, die nutzen Antibiotika zum Wachstum oder zur Prophylaxe. Das ist bei uns glücklicherweise nicht erlaubt; erlaubt ist nur ein kurativer Einsatz. Jetzt geht es darum, wie wir es schaffen, im Bereich der Geflügelhaltung von dem Einsatz von Reserveantibiotika wegzukommen; denn es ist immer eine Frage des Tierschutzes, dass wir ein Tier, wenn es krank ist, auch behandeln können. Hierzu sind wir in Gesprächen; sie sind noch nicht abgeschlossen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie dazu eine Nachfrage? – Bitte.

Nezahat Baradari (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004947, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bis 2022 sind diesbezüglich neue europäische Regelungen zu erwarten. Von manchen Ärztekammern wie auch der Ärztekammer Westfalen-Lippe wird sogar gefordert, bessere Stallbedingungen für Tiere einzuführen und gänzlich auf die unkritische Abgabe von Antibiotika zu verzichten. Daher meine Frage: Planen Sie bis 2022 Maßnahmen, um die Abgabemengen von Reserveantibiotika oder Antibiotika insgesamt in der Geflügelmast zu reduzieren?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Die Abgabe sagt noch nichts über die Anwendung. Die Frage ist: Werden Antibiotika angewandt – das muss dokumentiert werden –, welche Antibiotika werden angewandt und warum? Aus Tierschutzgründen wird ein verantwortungsvoller Tierarzt Antibiotika auch verschreiben, damit ein Tier nicht unnötig leidet. Jetzt gehen wir an die Ursachen heran. Noch mal: Wir haben im Bereich der Schweinehaltung wirklich tolle Erfolge zusammen mit den Tierhaltern erreicht, sodass andere Länder sich anschauen, wie wir das mit der Branche hinbekommen haben. Im Bereich der Geflügelzucht geht es jetzt darum, zu schauen, welche Alternativen wir anbieten können. Und da bin ich bei Ihnen. Die EU wird darüber mitentscheiden, ob zum Beispiel gewisse Reserveantibiotika, die für den Humanbereich vorgehalten werden sollen, im Tierbereich nicht mehr genutzt werden dürfen. Die zweite Frage ist, ob es Alternativen gibt. Es gibt Länder, die mit Alternativen arbeiten – Stichwort: Resistenzvermeidung im Vorhinein. Das alles prüfen wir gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium, und ich bin guter Dinge, dass wir gute Antworten finden werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Frank Sitta.

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihre einführenden Worte zum Thema „Digitalisierung der Landwirtschaft“. Wir teilen da durchaus Ihren Fortschrittsoptimismus und unterstützen Sie bei diesem wichtigen Thema, so gut es geht. Nichtsdestotrotz möchte ich Sie etwas anderes fragen. In der Diskussion um Nitrat und das im Raum stehende EU-Vertragsverletzungsverfahren muss sich der Bundesrat Anfang April mit dem Entwurf der Düngeverordnung beschäftigen, damit die Frist, die Brüssel uns setzt, eingehalten werden kann. Dieser Entwurf sollte in der vorletzten Woche im Kabinett behandelt werden, um dann fristgerecht an die Bundesländer zu gehen. Doch es kam anders, weil das CSU-geführte Innenministerium der Meinung war, dass es auch ohne Kabinett geht. Ich frage Sie daher: Ist die Entscheidung, die Düngeverordnung nicht durch das Kabinett beschließen zu lassen – was ja schon eine Art Misstrauensvotum gegen Ihre Politik ist –, aufgrund der Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin so getroffen worden, oder war das ein Minister- bzw. Ministerinnenentscheid? Und da ich noch eine Sekunde habe, ({0}) stelle ich noch eine atmosphärische Frage: Wie beurteilen Sie denn die Aussage von CSU-Chef Söder zu seinem Wunsch nach einem CSU-Landwirtschaftsminister, um – ich zitiere – „die Dinge wieder direkt anzugehen, anstatt das über drei Ebenen machen zu müssen“? – Vielen Dank.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Ich bedanke mich für Ihre Frage. – Mit einem FDP-Minister kriegt man das schon mal nicht hin. Ich will vorab eines sagen: Ich freue mich sehr über Ihr Interesse an der Atmosphäre bei uns in der CDU/CSU. Ich kann Ihnen sagen: Wir sind nicht diejenigen – ich denke da an einige Facebook-Posts der FDP –, die auf schnellen Applaus aus sind. Bei der Opposition ist das verständlich. Uns ist es wichtig, dass wir Lösungen erarbeiten. Wir wollen mit diesen Lösungen vorankommen und die Landwirte begleiten. Insofern kann ich Ihnen sagen, dass das ein gemeinsamer Beschluss gewesen ist. Im Übrigen: Verordnungen gehen nicht regelmäßig durch das Kabinett. Es ist eine Möglichkeit, dass sie durch das Kabinett gehen; das wissen Sie. Wir haben so entschieden, damit wir den 3. April – an diesem Tag tagt der Bundesrat – noch einhalten können. Sie wissen auch – ich glaube, da sind Sie gut informiert –, dass das von der EU-Kommission gefordert ist; damit sollte man nicht spielen. Es ist eine gemeinsame Überlegung gewesen, dass wir den Ländern diesen Entwurf sehr frühzeitig zukommen lassen. Das haben wir getan.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben noch eine Nachfrage? – Bitte.

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien schreibt vor, dass eine Kabinettsbefassung erforderlich ist, wenn bei einem Thema ein allgemeines politisches Interesse vorliegt. Sind Sie jetzt der Auffassung – das entnehme ich Ihren Ausführungen –, dass das Thema trotz der bundesweiten Bauernproteste und der Auswirkungen der Düngeverordnung auf die Qualität des Grundwassers nicht von allgemeinem politischem Interesse ist? Sie haben ja eben gesagt, dass es schnell gehen musste und deshalb nicht im Kabinett behandelt werden sollte. Man könnte ja vermuten, dass es vielleicht auch etwas mit den bevorstehenden Kommunalwahlen in Bayern zu tun hat. Vielleicht sagen Sie dazu noch ein paar Worte.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Danke für Ihre Frage. – Dass das etwas mit den Wahlen zu tun hat, entnehme ich jeden Tag einigen Pressemitteilungen der FDP. Insofern glaube ich, dass man diese Fragestellung entspannt sehen kann. Ich will eines deutlich sagen: Wir gehen sehr ernsthaft mit dem Thema Düngeverordnung um. Wer Landwirte ernst nimmt, ist ehrlich zu ihnen. Deshalb sage ich ganz klar: Wenn wir in Teilen ein Problem mit dem Grundwasser haben, dann kann man das, wie von der FDP häufig vorgeschlagen, ignorieren und kann auch ignorieren, was die EU-Kommission sagt. Man kann auch Ihren Vorschlag entgegennehmen – den ich nicht teile –, dass sich Deutschland verklagen lässt und bis zu 800 000 Euro am Tag zahlt. Das kann man auch machen. Ich glaube, das ist weder den Bauern noch den deutschen Steuerzahlern gegenüber verantwortungsvoll. Wir helfen den Landwirten, wie sie vor die Welle kommen, zum Beispiel mit Binnendifferenzierung. Ich würde mich freuen, wenn Sie das zum Beispiel auch bei Ihren Parteifreunden in Rheinland-Pfalz – FDP-geführtes Agrarministerium – durchsetzen würden. In Rheinland-Pfalz hat man sich nicht für die Binnendifferenzierung entschieden, um so dann verursachergerecht zu arbeiten. Insofern habe ich das durchgesetzt und auch mit der EU-Kommission geklärt, dass wir das verpflichtend vorschreiben können. Das ist ein Punkt. Letzter Satz: Die beteiligten Ministerien haben ihre Zustimmung gegeben. Das will ich kurz noch sagen. Das ist, glaube ich, noch wichtig zur Beantwortung Ihrer Frage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Abgeordnete Huber das Wort.

Johannes Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004764, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, ich möchte eine ganz einfache Nachfrage stellen. Sie haben meinem Kollegen Protschka soeben sinngemäß geantwortet: Im Zweifel wäre es nicht angebracht, sich bezüglich der Düngeverordnung mit der Europäischen Union anzulegen. – Ich möchte Sie fragen als jemand, der aus der Landwirtschaft kommt: Würden Sie im Zweifel, wenn Sie die Wahl hätten, die planwirtschaftlichen Vorgaben der Europäischen Union umzusetzen – auf der anderen Seite stehen die wirklich realen Bauern in diesem Land –, die planwirtschaftlichen Vorgaben der Europäischen Union hundertprozentig einhalten? Oder würden Sie von diesen planwirtschaftlichen Vorgaben im Zweifel abrücken, wenn Familien Höfe aufgeben müssten, wenn Betriebe mit ihrer Landwirtschaft Schluss machten müssten? Oder würden Sie dazu neigen, Verträge der Europäischen Union nicht einzuhalten oder mit allem Gewicht, was Sie aufbringen, Druck zu machen auf Ursula von der Leyen – Ihre Parteikollegin –, um sich für die heimischen Bauern und auch für die planwirtschaftlichen Vorgaben der Europäischen Union, die oft zweitrangig sind für unsere heimischen Bauern, einzusetzen? ({0})

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Sie unterstellen mir, dass ich gesagt hätte „im Zweifel solle man“. Ich kann Ihnen sagen: Ich bin froh, dass ich in einem Land und auf einem Kontinent lebe, wo es nicht um Bauchgefühl und primär um Stimmungen geht, sondern um Recht und Gesetz. Wir befinden uns in einem Rechtsstaat. ({0}) Wir als Mitgliedstaat der Europäischen Union legen im Übrigen auch sehr großen Wert darauf, dass sich andere Mitgliedstaaten an das halten, was wir gemeinsam verabredet haben. Deshalb bin ich im Sinne der Bauern bei der Kommission vorstellig geworden, weil sich andere Mitgliedstaaten nicht an die Regelungen halten, Stichwort „gekoppelte Zahlungen“. Sie halten sich nicht daran, dass Notfallzulassungen nur für den Notfall gelten sollen. Wir haben auch ein Interesse daran, dass wir im Wettbewerb ordentlich behandelt werden. Insofern sage ich ganz klar: Wir sind ein Mitgliedsland. Die Europäische Union verstehe ich nicht als Planwirtschaft. Schauen Sie ein paar Jahre zurück: Wir hatten die DDR. Dort gab es Planwirtschaft. Das hat nicht funktioniert. Ich bin froh, dass wir die EU haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine letzte Nachfrage stellt die Kollegin Konrad.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich würde gerne noch einmal die Frage von meinem Kollegen Frank Sitta aufgreifen. Sie sagten, alle beteiligten Ministerien hätten ihre Zustimmung gegeben. Mich würde interessieren, welche Ministerien ihre Zustimmung gegeben haben. Auf „agrarheute“ war zu lesen, dass der Vorschlag nicht mit der Kommission abgestimmt sei. Ihre Annahme, dass eine Klageerweiterung automatisch mit der Annahme der Düngeverordnung ausgeschlossen ist, hat die Kommission nicht bestätigt. So kann man auf „agrarheute“ nachlesen. Dort ist auch nachzulesen, dass das BMU Zweifel hat, ob diese Düngeverordnung reicht, um die Klageerweiterung abzulehnen.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Ich bin sehr dankbar für Ihre Frage, weil ich die Äußerungen, die in dieser Frage impliziert sind, in vielen Posts lese. Das gibt mir die Chance, Ihnen im Gesamtzusammenhang etwas zu erklären. Ich freue mich, ({0}) wenn entsprechende Posts etwas korrigiert werden; es gehört dazu, dass wir ehrlich miteinander umgehen und auch sach- und faktenorientiert. Ein erster Punkt. Es gibt mitberatende Ministerien – das wissen Sie wahrscheinlich –, deren Einvernehmen eingeholt wird. Das sind zum Beispiel das BMF, das BMU und das BMJV. – So viel dazu. Zu Ihrer zweiten Frage. Mir ist auch aufgefallen, dass Sie in Ihren Pressemitteilungen ein bisschen was verwechselt haben. ({1}) – Von der FDP. Ich habe Sie jetzt zusammen gesehen. – Es kann vorkommen, dass man etwas verwechselt. Es ist ein Unterschied, ob ich ein Zweitverfahren eröffne oder ob ich die Klage erhebe. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. ({2}) Sie wissen, dass das Zweitverfahren eröffnet worden ist. Über die Klageerhebung entscheidet die EU-Kommission erst – das haben wir immer so kommuniziert; alles andere wäre ja auch ein bisschen komisch –, wenn der Tag der Bundesratsbefassung verstrichen ist. Denn es gibt Bedingungen, die die Kommission an uns gestellt hat. Eine der Bedingungen ist, dass sich der Bundesrat am 3. April – weil das die Zeitkaskade ist, die uns noch zugestanden worden ist – damit beschäftigt. Eine zweite Bedingung ist, ({3}) dass sich substanziell nichts an dem Vorschlag ändert, den wir mit der EU-Kommission abgesprochen haben. – So viel kann ich Ihnen sagen. Natürlich kann die Kommission jetzt noch nicht sagen, ob sie Klage erhebt, weil das Verfahren noch gar nicht beendet ist, weil erst der Bundesrat noch seine Stellungnahme abgeben muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Mir seien einige Hinweise gestattet, bevor dann der Kollege Hans-Georg von der Marwitz die nächste Frage stellt. Erstens bitte ich, weiterhin sowohl bei Fragestellung als auch bei Beantwortung auf das optische Signal zu achten und sich entsprechend zeitlich zu beschränken. Das passt dann wahrscheinlich auch in die Posts der Liveberichterstattung hinein, die hier parallel läuft; denn alles, was über eine Minute hinausgeht, bekommen Sie auch nicht in die verdoppelte Zeichenzahl eines Tweets. Für all diejenigen, die sich mit dem komplexen Thema hier beschäftigen wollen, sei mir der Hinweis gestattet: Spätestens morgen früh gibt es auch das exakte Stenografische Protokoll unserer Verhandlungen hier, sodass man sich nicht nur mit Auszügen befassen muss, sondern tatsächlich auch Rede und Gegenrede entsprechend nachvollziehen kann. ({0}) Die nächste Frage stellt jetzt der Kollege Hans-Georg von der Marwitz.

Hans Georg Marwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Liebe Frau Ministerin, ich komme zurück zur Digitalisierung. Im vergangenen Jahr hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Einführung einer Masterplattform in Auftrag gegeben. Sie haben es kurz angesprochen. Dass die Digitalisierung für die Land- und Forstwirtschaft existenziell ist, haben wir letztlich längst alle erfasst. Mühsam wird es im Detail, wenn wir uns fragen: Wem gehören die Daten? Sie haben das am Schluss kurz angesprochen. Das ist natürlich für uns Landwirte eine ganz entscheidende Frage. Es macht viele momentan noch nervös, dass sie nicht genau wissen: Können wir uns bei allen Daten, die wir auf die Masterplattform geben bzw. von ihr nehmen, sicher sein, dass sie dort für uns bleiben und nicht in alle Richtungen – ob nun in die Industrie, in die Wirtschaft oder auch in die öffentliche Hand – einsickern? Dann wären viele in Zukunft nicht mehr bereit, die Masterplattform zu nutzen.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Die Frage nach den Daten, sehr geehrter Herr Abgeordneter, ist auch immer eine Frage nach der Akzeptanz und nach dem Vertrauen und danach, ob technische Neuerungen in der Landwirtschaft überhaupt angenommen werden. Um welche Daten handelt es sich? Es hat, wenn es um Düngungen, um Spritzungen geht, etwas mit Ausbringungsdaten zu tun, es hat etwas mit den erfassten Daten der Tiere zu tun, es hat mit vielen Themen zu tun. Wir alle wissen, dass es auf dem Acker mittlerweile auch Maschinen gibt, die über eine Cloud unterschiedlich miteinander kommunizieren. Die Sorge ist: Wir merken – leider, sage ich sogar –, dass viele Landwirte eher dem Landmaschinenunternehmen vertrauen, wenn es die Daten hat und daraus ökonomisches Interesse ableitet – was legitim ist –, als wenn der Staat diese Daten hat. Die Befürchtung ist, die Daten würden dann sofort nach Brüssel gehen. Insofern habe ich eine Machbarkeitsstudie zu einer staatlichen digitalen Plattform in Auftrag gegeben. Wir untersuchen: Wie müsste die Struktur einer digitalen Plattform aussehen? Welche Daten können in welcher Form im Übrigen auch vom Staat bereitgestellt werden? Wir machen zum Beispiel mit Hessen, Rheinland-Pfalz etc. ein Projekt zur GeoBox-Infrastruktur. Da geht es zum Beispiel auch darum, dass staatliche Daten den Landwirten umgekehrt kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Letzter Punkt. Auch das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering geht dem Thema nach. Ich will hier sagen: Die Daten gehören erst mal dem, der sie selber erhoben hat. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Hans Georg Marwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie wissen, dass das mit dem Abrufen der Daten in den ländlichen Räumen nicht ganz leicht ist. Es gibt noch weiße Flecken. Was leistet Ihr Haus bzw. die Regierung, damit die Daten flächendeckend genutzt und eingesetzt werden können?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Wichtig ist, dass wir die weißen Flecken über dem Acker schließen können. Wir haben zwei Initiativen gestartet. Ich bin sehr froh, dass ich für die ländlichen Räume erreichen konnte, dass nicht nur an den Hauptautobahnen eine entsprechende Mobilfunkausstattung vorhanden sein wird, sondern dass auch – nach unserer Digitalklausur ist das klar – die Kreis- und Gemeindestraßen erschlossen werden. Wir bekommen für den Landwirtschaftssektor ein eigenes Budget von rund 60 Millionen Euro, um die weißen Flecken über den Feldern, aber auch über den Betrieben durch den Aufbau lokaler Netzwerke zu schließen. Damit können wir in die Anwendung der neuen Techniken kommen, die wir zum Beispiel auf der Agritechnica gemeinsam gesehen haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Sitta stellt eine Nachfrage.

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich habe eine Frage zur Digitalisierung. Sie haben eben die Machbarkeitsstudie angesprochen, aber der Begriff „Gaia-X“, eine zentrale Plattform, die im BMWi in Arbeit ist, fiel überhaupt nicht. Vielleicht könnte ein federführendes Digitalministerium helfen, damit nicht jedes Ministerium eigene Machbarkeitsstudien in Auftrag gibt. Dass das eine Forderung aus der FDP ist, ist bekannt; aber auch in Ihrer Partei gibt es immer mehr Kolleginnen und Kollegen, wie die Vorsitzende der CDU oder den Vorsitzenden der Jungen Union, die ein Digitalministerium fordern. Deswegen nutze ich die Chance und frage Sie: Wie sehen Sie das? Braucht Deutschland nicht endlich ein koordinierendes Digitalministerium, um nicht weiter auf dem Standstreifen zu stehen, sondern auf die Überholspur zu kommen?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Ich kann Ihnen sagen: Bei der Digitalisierung in der Landwirtschaft ist Deutschland Vorreiter. Warum sind wir Vorreiter? Wir sind Vorreiter, weil wir sehr koordiniert und strukturiert im Bereich der Ernährung, Stichwort: Blockchain, und im Bereich der Landwirtschaft – sei es bei der Tierhaltung oder im Ackerbau – das Thema Digitalisierung angehen. Wir machen das nicht in einem riesengroßen Topf, sondern speziell mit unseren Fachleuten. Ich habe in meinem Ministerium eine Digitalisierungsbeauftrage und in jeder Abteilung Digitalisierungsreferenten installiert, das heißt, wir haben die Ebenen vertikal und horizontal verbunden. Eine Plattform, die sich speziell um die landwirtschaftlichen Daten kümmert, ist notwendig, aber die sollte man nicht mit anderen Plattformen zusammenwerfen. Zum Stichwort „Digitalkompetenz“. Ich kann für die Bundesregierung sagen: Wir haben Kompetenzen in einer solchen Breite, wie es sonst niemand aufweisen kann, mit unserer Staatsministerin für Digitalisierung, Frau Bär, aber auch im Kanzleramt und in den einzelnen Häusern. Heute hat unser Digitalrat getagt, und es hat sich gezeigt, dass wir so weit sind wie kaum eine andere Bundesregierung zuvor.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt Dr. Kirsten Tackmann.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, auch ich möchte auf die Digitalisierung zu sprechen kommen. Sie haben über Potenziale und Zielkonflikte gesprochen. Zum Teil teile ich Ihre Ansicht. Ich möchte auf die Risiken der Digitalisierung zu sprechen kommen. Wir wissen, dass die ökonomische und soziale Situation in der Landwirtschaft durchaus angestrengt ist: aufgrund von nicht kostendeckenden Erzeugerpreisen usw. usf. Nun wissen wir, dass gerade die Beteiligung an der Digitalisierung einen erheblichen Geldaufwand für die Betriebe bedeutet. Es gibt erste Hinweise aus der Wissenschaft, dass es einen verstärkten Strukturwandel aufgrund der Digitalisierung geben wird. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Das ist in der Tat eine Herausforderung; denn wir alle wissen, dass neue Technik erst mal viel Geld kostet. Wer sich an sein allererstes Handy erinnert – wie viel weniger das konnte, aber wie viel mehr es kostete im Vergleich zu heute –, wird erkennen, dass in der breiten Nutzung vieles günstiger wird. Wir als zuständiges Ministerium wollen gerade den kleinen Betrieben, die zum Beispiel nicht genügend Arbeitskräfte haben, eine Umstellung ermöglichen. Wir alle wissen, dass die junge Generation in der Milchviehhaltung zum Beispiel auf Work-Life-Balance achtet. In der Landwirtschaft wird so viel gearbeitet wie in kaum einer anderen Branche. Da immer weniger Personal in der Landwirtschaft bereitsteht, könnten es kleine Betriebe zum Beispiel durch Melkroboter schaffen, mit weniger Personal auszukommen. Ich will das konkretisieren. Wir haben zur finanziellen Unterstützung Bundesprogramme aufgelegt. Ich will Ihnen sagen, dass das Innovationsprogramm ein Volumen von 64 Millionen Euro hat, dass unser Bundesprogramm Nutztierhaltung, aus dem man Fördermittel abrufen kann, ein Volumen von 2 Millionen Euro hat, dass der Titel „Digitalisierung“ 90 Millionen Euro und der Titel „Künstliche Intelligenz“ 18 Millionen Euro umfasst. Für die digitalen Testfelder haben wir nicht nur große Betriebe vorgesehen, sondern auch kleine haben eine Chance. Im Übrigen setzt auch die Biolandwirtschaft hinsichtlich der mechanischen Bearbeitung auf Roboter, zum Beispiel, um Wildpflanzen entsprechend zu bearbeiten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann hoffen wir mal, dass das Geld auch da ankommt, wo es hingehört, und nicht nur bei Landmaschinenherstellern usw. landet. Mit dem Stichwort „DigiMilch“ haben Sie mich natürlich auch als Tierärztin herausgefordert. Sie wollten ja gerne weitere Ausführungen dazu machen. Die Möglichkeit dazu möchte ich Ihnen gerne geben. Meine Frage zielt wieder in Richtung Risiken. Wir wissen ja, dass eine Diagnosestellung – Anamnese usw. – ein relativ komplexer Vorgang ist. Wie stehen Sie zu dem Risiko, dass die Algorithmen, die ja immer nur das bekannte Wissen darstellen können, letzten Endes diktatorisch werden können, indem sie die Lösung der Verbindung zwischen Mensch und Tier bewirken? Wir könnten ja denken, wir hätten alles im Griff, weil die Technik alles im Griff habe. Aber wir vergessen die Risiken, die sie eben nicht erfasst.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Ich glaube nicht, dass Landwirte der Meinung sind, dass ihr Bezug zum Tier durch eine Maschine zu ersetzen ist. Ich kenne solche Tierhalter nicht. Die Technik wird eine Unterstützung sein; wir merken das jetzt schon. Beispielsweise wird die Eutertemperatur einer Kuh, die in den automatischen Melkstand geht, gemessen. So wird festgestellt, ob die Kuh eine erhöhte Temperatur hat. Bei der Analyse der Milch, die just in time gemacht wird, können Auffälligkeiten festgestellt werden. Man merkt auch, wenn die Kuh überhaupt nicht im Melkstand war. Die Kaufrequenz wird anhand eines Fesselarmbands gemessen. So bemerkt man, wenn sie sich nicht bewegt. Das alles wird dem Bestandstierarzt oder dem Tierhalter als Warnung auf sein Handy übermittelt. Aber er verlässt sich nicht darauf. Er weiß jedoch genau, welche Kuh er sich anschauen muss. Dadurch wird die Unruhe, die entsteht, wenn man in einen Stall hineingeht, reduziert. Man geht nicht mehr durch die ganze Herde, sondern nur zu der einen Kuh, mit der man sich dann beschäftigt. Die Technik ist eine Chance, sie wird aber nie den Menschen ersetzen; davon bin ich überzeugt. Gerade deshalb ist die Frage nach der Datennutzung wichtig; Herr von der Marwitz hat diese Frage gestellt. Wenn wir Daten haben, können wir sie etwas optimieren, um die Situation zu verbessern. Aber der Mensch wird immer wichtig sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Harald Ebner.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich möchte auf das Thema Gesundheit zurückkommen. Wenn die EU ein Pestizid verbietet, weil es gesundheitsschädlich ist, wie das jetzt endlich bei Chlorpyrifos geschehen ist, dann dürfen auch keine Rückstände davon in Lebensmitteln sein, auch nicht in importierten. Das ist geltendes EU-Recht. Das hat Ihr eigenes Ministerium noch 2017 gegenüber dem Wissenschaftlichen Dienst ausdrücklich bestätigt. Chemiehersteller aus einigen Mitgliedstaaten und anderen Staaten, die solche Gifte weiter verkaufen und anwenden, drängen jetzt auf Einzelfallprüfungen, also darauf, dass doch noch ein bisschen Gift dran sein kann. Einige Staaten der EU unterstützen das. Auch Sie unterstützen das. Sie haben das auf Twitter bestätigt oder auch zurückgewiesen – je nach Tag. Sie haben später auch Fakten ergänzt. Erst hieß es: Alle Anträge auf Importtoleranz seien abgelehnt. Später haben Sie gesagt, es gebe noch gar keine Anträge. Sie schreiben auch, dass die Kommission diesen Weg der risikobasierten Einzelfallprüfung bereits festgelegt habe. Können Sie mir sagen, wann und von wem dies entschieden wurde, wann und von wem dieser Weg der risikobasierten Einzelfallprüfung festgelegt wurde?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Erst mal herzlichen Dank für Ihre Frage, Herr Ebner. – Ich will das noch ein bisschen ergänzen. Sie haben mir unterstellt – so konnte ich es von Ihnen in einer Pressemitteilung lesen, auch auf Twitter –, dass wir uns proaktiv dafür einsetzen, dass giftige Stoffe in die EU importiert werden. Das will ich sehr entschieden zurückweisen. Ich will auf die Fakten zurückkommen. Die Behauptung, dass der Schutz vor giftigen Lebensmittelimporten verwässert werden soll, ist nicht zutreffend. Ich will etwas ausholen, weil das, glaube ich, für die Gesamteinordnung wichtig ist: Importtoleranzen für Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebens- und Futtermitteln aus Drittstaaten können nur dann festgelegt werden, wenn diese gesundheitlich unbedenklich sind. Der Meinung bin ich nach wie vor. Diese Vorgehensweise ist unabhängig davon, ob der Wirkstoff eine sogenannte gesundheitsbezogene Gefahreneinstufung – Sie kennen das: Cut-off-Eigenschaft heißt das – hat oder nicht. Für die auf EU-Ebene nicht genehmigten Cut-off-Wirkstoffe, für die bislang Rückstandshöchstgehalte überprüft worden sind, können wegen gesundheitlicher Risiken keine Importtoleranzen festgesetzt werden. Auch das wissen Sie. Das heißt, es sind auch keine Importe von Lebens- und Futtermitteln mit Rückständen der betroffenen Wirkstoffe in die EU möglich. In den meisten Fällen können bei Wirkstoffen mit gesundheitsbezogenen Gefahreneinstufungen keine toxikologischen Schwellenwerte abgeleitet werden und daher aus gesundheitlichen Gründen auch keine Importtoleranzen gewährt werden. – Jetzt sehe ich, dass es wieder rot blinkt. Insofern mache ich hier einen Stopp. Aber ich freue mich auf die Nachfrage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, die Frage haben Sie jetzt nicht beantwortet, nämlich wann denn die Kommission jetzt den Ihren Verlautbarungen nach angeblich festgelegten Weg beschlossen habe, jetzt an der Stelle – im Gegensatz zu Ihren aktuellen Ausführungen – doch auf eine risikobasierte Einzelfallprüfung zu gehen. Die EU-Kommission hat mir gestern geschrieben, hat mir gestern geantwortet, dass die Diskussionen darüber, wie man da weitermachen möchte, noch im Gange sind – und das ist gut so. Deshalb frage ich mich, warum Sie solche Dinge veröffentlichen, warum Ihr Ministerium der Öffentlichkeit schreibt, die Kommission habe dazu schon einen Weg eingeschlagen und einen Weg beschlossen. Ich finde, es ist allerhöchste Zeit, dass Sie sich an der Stelle wirklich öffentlich für diese Desinformation entschuldigen, unter anderem auch bei meiner Kollegin Renate Künast, der Sie Beteiligung an Hate Speech vorgeworfen haben – nur weil sie einen Artikel der „taz“ verlinkt hatte. Da, glaube ich, können wir eine Entschuldigung erwarten. Ich frage Sie jetzt an der Stelle, ob Sie dem Kurswechsel Österreichs folgen und sich ebenfalls dafür einsetzen, dass solche Giftimporte in die EU, ({0}) mit Stoffen, Pestiziden, die aus gesundheitlichen Gründen verboten sind, grundsätzlich ausgeschlossen bleiben. Das möchte ich von Ihnen gerne wissen. ({1})

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Herr Ebner, es ist unglaublich, was man alles in so eine Minute reinpacken kann, um Leute wirklich zu verwirren. Ich muss Ihnen deutlich sagen: Ihr Petitum oder Ihre Aussage ist ja, dass in die EU – proaktiv, von uns Ministern forciert – Giftstoffe importiert werden. Das weise ich von uns. ({0}) Sie machen hier Bürgerinnen und Bürger unruhig. Sie tragen dazu bei, dass Leute, in einem Schwarz-Weiß-Denken, ({1}) Angst haben müssen, ({2}) dass – angeblich – unsere Lebensmittel erstens nicht geprüft werden, es zweitens Rückstände gibt, drittens Lebensmittel mit Rückständen nicht abgelehnt werden. Sie sagen, dass wir daran arbeiten würden, dass Giftstoffe proaktiv importiert werden. Das weise ich hier zurück, ganz klar. ({3}) Und dann beschweren Sie sich auch noch. Wenn Sie solche Dinge im Internet verbreiten und dann Leute, die vielleicht gar nicht alltäglich damit zu tun haben, wirklich glauben, das sei der Fall, und dann Vorwürfe an die Bundesregierung machen, ({4}) dann muss ich sagen: Dafür haben Sie auch eine Verantwortung. Ich will ganz klar sagen: Wir halten uns an Recht und Gesetz und die EU auch. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Peter Felser.

Peter Felser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004714, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Ministerin, wenn wir mal schauen, was für Aufgaben wir vor uns haben – was die Afrikanische Schweinepest betrifft, aber auch, was den Umbau des Waldes betrifft –, dann sind wir, glaube ich, einer Meinung, dass wir dazu die deutsche Jägerschaft – dieses Ehrenamt, die freiwillige Leistung, die die deutsche Jägerschaft dort erbringt – brauchen. Wie kann es sein, dass heute, im März, diese Jägerschaft durch einen Generalverdacht im neuen Waffenrecht so eingeschränkt wird, dass jetzt eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz erfolgen muss? Wir haben jetzt ganz konkret den Fall, dass die Jagdscheine nicht verlängert werden; es dauert Wochen und Monate, bis die Jagdscheine verlängert werden können. Die Jäger wissen nicht: Dürfen sie ihre Gewehre behalten? Dürfen sie ihre Munition noch einlagern? Und vor allem: Können sie die Pachtverträge noch verlängern? Meine Frage an Sie ist: Würden Sie die Forderungen der Jagdverbände unterstützen, dass die Jagdscheine zumindest unter Vorbehalt jetzt ausgegeben werden, damit die Sicherheit bei den Jägern wieder da ist? Und: Geben Sie mir recht in der Meinung, dass die Verwaltungsprobleme, die wir jetzt haben in den Behörden, nicht zulasten der Jäger gehen dürfen?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Erst mal zum Thema Jäger. Ich weise sehr deutlich zurück, dass wir Jäger unter einen Generalverdacht stellen. Ich kann Ihnen sagen: Viele meiner Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind selbst Inhaber eines Jagdscheins. ({0}) – Bei der FDP ist das sicherlich auch so. Es gibt hier übrigens noch weitere Herausforderungen; Sie wissen es. Es geht darum, ob der Jagdschein im Ausland oder im Inland erworben wurde, ob man deutscher Staatbürger ist, ob man die doppelte Staatsbürgerschaft oder eine ausländische Staatsbürgerschaft hat, ob etwas in Deutschland anerkannt wird. Ich muss sagen: Ich habe bei diesen Fragestellungen auch viel dazugelernt. Eines will ich Ihnen mit Blick auf die Jägerschaft aber deutlich sagen: Wir sind mit ihr nicht nur sehr intensiv im Kontakt, sondern wir sind auf sie auch angewiesen – sei es im Zusammenhang mit der Afrikanischen Schweinepest oder wenn es um die Ausbreitung des Wolfes geht etc. Bezogen auf die Inhaber eines Jagdscheines will ich deutlich machen: Sie kennen die Debatten darüber, und Sie wissen: Wer eine Waffe nutzt, der muss sehr vertrauenswürdig sein. Bei der allergrößten Mehrheit gehe ich davon aus. Ich will jetzt nicht vorwegnehmen, wie das Bundesinnenministerium mitentscheidet; Sie wissen, unser Ministerium ist hier nicht alleine beteiligt. Wir haben aber zum Beispiel auch eine Forderung des Jagdverbandes aufgenommen, bei der es um die Nachtsichtgeräte geht, und wir müssen hier natürlich auch immer die Ethik im Blick behalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Ministerin, versuchen Sie, zum Ende zu kommen.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Okay. – Sie wissen, was ich meine. Das haben wir jetzt für die Länder ermöglicht. Und insofern: verantwortungsvolles Umgehen!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer Nachfrage, Herr Felser.

Peter Felser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004714, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Ich weiß tatsächlich, was Sie meinen. Bleiben wir aber bitte bei der Jägerschaft. Sie haben ja auch den Nationalen Waldgipfel angedeutet. Der Waldumbau muss jetzt in Gang kommen. Dazu brauchen wir auch die Jägerschaft; Sie wollen ja auch am Jagdgesetz etwas ändern. Mich wundert es etwas, dass wir jetzt das Schalenwild, unser heimisches Wild, zum Hauptverantwortlichen und im wahrsten Sinne des Wortes Sündenbock machen. Können Sie heute sagen, was Sie am Jagdgesetz ändern wollen? Wollen Sie die Schonzeiten aufheben? Wollen Sie den Schutz der Muttertiere aufheben? Wollen Sie, wie Sie es gerade angedeutet haben, Nachtzieltechniken, Militärtechnik einsetzen? Wie weit soll diese Jagdgesetzänderung gehen?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Na ja, ich kenne jetzt keinen, der das Schalenwild zum Sündenbock für unsere Waldschäden macht. ({0}) Ich muss sagen: Das ist schon eine ambitionierte Herleitung. ({1}) Es geht nicht um „Wald vor Wild“ oder um „Wild vor Wald“, sondern um „Wald und Wild“ – beides zusammen, gleichberechtigt. Es geht auch nicht darum, ob man ein Jagdgesetz schnell geändert hat, sondern darum, ob man es sinnvoll geändert wird, und die Zeit, das zu prüfen, nehmen wir uns. Die Wiederaufforstung beginnt jetzt im Frühjahr, und wir alle wissen: Wenn wir eine hohe Wildpopulation und ‑dichte haben, dann sind gerade die Jungpflanzen gefährdet. Wenn wir neu gepflanzt haben, dann wollen wir natürlich auch, dass die Bäume wachsen können. Darüber unterhalten wir uns, und dabei geht es nicht um Schnelligkeit. Einmal werden wir kritisiert, wenn wir ein Gesetz gemacht haben, um die Jäger einzuschränken. Jetzt haben wir keines gemacht, und das wird auch kritisiert. Wir sind mit den Jägern im Gespräch darüber, wie wir Wald und Wild gerecht werden können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Abgeordnete Busen das Wort.

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, da wir gerade über Jagd sprechen, will ich Sie doch mal fragen, wann Sie endlich den Wolf in der FFH-Richtlinie herunterstufen. Wir haben mittlerweile gesehen: Alle Präventionsmaßnahmen, die auch das BMU eingeführt und ausprobiert hat, haben einen Haufen Geld gekostet, aber nichts gebracht. Ganze Existenzen, ganze Weidetierhaltungen stehen vor dem Ruin. Deshalb wäre es doch sinnvoll, dass wir jagdrechtlich endlich mal Klarheit bekommen, indem der Wolf in der FFH-Richtlinie herabgestuft wird.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Danke schön. – Es würde mich freuen, wenn auch das Bundesland Rheinland-Pfalz, wo die FDP mit an der Regierung ist, diese Haltung hätte. Hat sie aber nicht! – Das einfach nur mal, damit wir hier auch ein bisschen ehrlich miteinander umgehen. Ich will eines deutlich machen – das haben Sie mitbekommen –: Wir haben beim Thema „Wolf und Weidetierhaltung“ etwas geändert. Ich bin der Meinung, es war ein richtiger und wichtiger erster Schritt, dass wir auch Wölfe bejagen können, auch wenn wir den Wolf nicht passgenau einzeln zuordnen können. Tierwohl und Tiererhalt gelten auch für Weidetiere. Ich habe mit einem Tierhalter gesprochen, dessen 40 Schafe in einer Nacht gerissen worden sind. Ganz konkret: Wir müssen dort helfen, Wölfe zu vergrämen, aber auch zu jagen und letal zu entnehmen. Hinsichtlich der Frage, wann und wie wir auf europäischer Ebene oder auch auf Bundesebene etwas ändern, muss man sagen: Dabei brauchen wir auch die Hilfe der Bundesländer. Sie wissen, es gibt unterschiedliche Sichtweisen. Bei der einen geht es um den guten Erhaltungszustand des Wolfes. Ich finde, wir sind da auf einem sehr guten Weg. In einigen Regionen ist der Erhaltungszustand mehr als gut. Deshalb bin ich der Meinung: Man müsste regional stärker unterscheiden und sollte die Situation nicht nur deutschlandweit betrachten. Wenn wir ins Saarland schauen: Die Situation ist übersichtlich, was die Wölfe anbelangt. Rheinland-Pfalz hat sich aufs Schild geschrieben, dass man Wolfserwartungsland werden will. Andere Länder leiden sehr darunter. Insofern ist es gut, dass wir gehandelt haben und einen ersten Schritt gegangen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Ursula Schulte.

Ursula Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Ministerin, die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands naht mit Riesenschritten. Das ist eine wunderbare Gelegenheit, auch etwas mehr für Verbraucherschutz und für gesunde Ernährung zu tun. Uns als SPD-Fraktion sind dabei folgende Punkte wichtig: die Regulierung von Nahrungsergänzungsmitteln, eine verpflichtende Nutri-Score-Kennzeichnung, eine klare Herkunftsbezeichnung für verarbeitete Fleischprodukte und die Einführung von Nährwertprofilen für die sogenannten Kinderlebensmittel. Ich frage Sie: Sind Ihnen diese Themen auch wichtig, und werden Sie sich dafür einsetzen, dass wir da Fortschritte erzielen?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Diese Themen sind mir wichtig. Dass wir uns dafür einsetzen, dass wir vor allen Dingen europäisch gemeinsam vorankommen, das ist Ihnen, glaube ich, bekannt. Dass man innerhalb von sechs Monaten nicht alles regeln kann, was über Jahre und Jahrzehnte nicht geregelt worden ist, das ist, glaube ich, auch klar. Aber ich will einen Hinweis zum Thema Nutri-Score geben. Eines meiner Ansinnen ist, mich mit europäischen Kollegen darüber zu unterhalten – damit haben wir bereits begonnen –, ob es Vorschläge gibt, auf die wir uns einigen können. Sie wissen, es gibt zum Beispiel in Italien das sogenannte „Batterie“-Modell – Italien ist komplett gegen einen Nutri-Score –, und es gibt das Keyhole-Modell in den skandinavischen Ländern. Insofern: Man muss diese Ausgangslage betrachten; aber wir sehen, dass immer mehr Länder in Richtung Nutri-Score gehen. Wir sagen aber auch: Wir müssen die Algorithmen entsprechend anpassen können; das ist der eine Punkt. Ein weiterer Punkt, was die Kennzeichnung anbelangt, ist: Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Auch verarbeitetes Ei sollten wir kennzeichnen, und es macht dann am meisten Sinn, wenn wir das europäisch regeln, und damit starten wir zumindest die Diskussion. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage. – Nicht. Dann stellt die Kollegin Künast eine Nachfrage.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte gerne zu den Nahrungsergänzungsmitteln eine Nachfrage stellen. – Frau Ministerin, wir wissen ja alle, dass diese durchaus Gesundheitsgefahren bergen. Wir hatten schon vor einigen Jahren die Erwartung, dass die Europäische Union eine EU-weite Regelung schafft. Macht sie aber nicht. Es gibt von dort auch keine terminlichen Ansagen. Aus Ihrem Haus und aus den nachgeordneten Behörden kamen konkrete Vorschläge für eine Höchstmengenregulierung bei Nahrungsergänzungsmitteln. Wann werden Sie die national umsetzen? Es gibt ja keine zeitliche Perspektive, wann das auf europäischer Ebene passieren wird, nicht mal eine Vorlage der EU. Wir müssen uns ja um gesundheitliche Fragen kümmern. Beim Thema Corona hatten wir vorhin die Aussage, dass Gesundheit vor Wirtschaft geht. Das erwarte ich auch hier. Da das Gesundheitsgefahren sind, die konkrete Frage: Wann genau werden Sie Ihre Vorlage aus dem eigenen Haus umsetzen, damit in Deutschland eine Höchstmengenregelung gilt?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Danke, Frau Künast. – Ich konnte auf keine Vorlagen aus Ihrer Amtszeit zurückgreifen. ({0}) – Das war nicht ich allein. – Ich will nur kurz sagen, dass das Thema Nahrungsergänzungsmittel wirklich mit wichtigen Fragestellungen verbunden ist. ({1}) – Ich dachte, Sie hätten Interesse an meiner Antwort. ({2}) Wir haben auch untersuchen lassen, wie sich der Markt der Nahrungsergänzungsmittel verändert hat. Ich glaube, es ist wichtig, dass man eine gute Analyse dazu hat. Ich habe auf europäischer Ebene mit Kolleginnen und Kollegen gesprochen. Vor allen Dingen die skandinavischen Länder hätten ein Interesse daran, dass wir auch europäisch aktiv werden. Es gibt aber bis dato auf Nachfragen bei der EU in der Tat keine Vorlage. Wir hatten gehofft, dass es eine gäbe. Insofern nutze ich auch gerne meine Gespräche im Vorfeld des Europäischen Rats, um mit Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Mitgliedstaaten darüber ins Gespräch zu kommen. Ich halte es nicht nur für notwendig, dass wir eine Regelung finden, sondern bin auch der Meinung, dass es besser wäre, wenn wir eine europäische Regelung, im Sinne eines freien Binnenmarkts, finden würden. Wenn das nicht der Fall ist, wenn es sich endgültig zeigt, dass dafür überhaupt keine Chance besteht, dann werde ich initiativ werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Abgeordnete Bauer das Wort.

Nicole Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, meine Frage geht in Richtung Ernährungssicherung. Es liegen ja Ideen auf dem Tisch, im Rahmen einer Novellierung der Düngeverordnung eine 20-prozentige Reduzierung der Düngung in entsprechend belasteten Gebieten vorzunehmen. Es ist nun mal weltweit so, dass die Zahl der ertragreichen Gebiete zurückgeht, dass sie von Wassermangel gebeutelt sind und dass wir uns in den nächsten Jahren die Frage stellen müssen, wie das mit der Ernährungssicherung zusammengehen kann. Jetzt ist meine Frage an Sie: Wie sehen Sie es, wenn Sie eine 20-prozentige Reduzierung der Düngung – darüber klagen auch schon die Bauern – in den entsprechenden Gebieten über Jahre hinweg vornehmen? Der Ertrag geht dann entsprechend zurück, und die Ernährungssicherung in fruchtbaren Gebieten kann nicht mehr so gewährleistet werden, wie es vorher war.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Ich war ganz dankbar, dass wir vorhin bei der Debatte rund um das Thema Coronaerkrankung sehr moderat geblieben sind und jetzt nicht die Bevölkerung beunruhigt haben. Ich meine, es wäre auch gut, wenn wir in dieser Befragung die Bevölkerung nicht beunruhigten und nicht so täten, als ob wir Probleme mit der Ernährungssicherung hätten. Also, ich würde jetzt echt sagen: Lassen wir die Kirche im Dorf. Wir haben gesehen, dass wir, auch wenn die Regale in den Supermärkten aufgrund von Hamsterkäufen kurzzeitig leer waren, kein Versorgungs- und Ernährungssicherungsproblem haben, sondern dass das Ganze eher eine Logistikfrage ist, weil der LEH die Haltung von Lebensmitteln eher auf die Lkws auf den Autobahnen verlagert hat. Jetzt zu der Reduzierung der Düngemittel um 20 Prozent. Nicht wir haben das vorgeschlagen – das ist kein Wunsch von uns –, sondern die EU-Kommission hat das vorgegeben. Sie wissen: Über zehn Jahre wurde in Dänemark im ganzen Land die Menge an Düngemitteln um 20 Prozent reduziert. Wir haben erreicht, dass diese Regelung nicht für ganz Deutschland gelten soll, sondern nur in den sogenannten roten Gebieten. Wenn jetzt noch eine Binnendifferenzierung unter einer gerechten Beachtung des Verursacherprinzips hinzukommt, dann, glaube ich, wird das Ganze noch passgenauer werden. Aber ich will ganz deutlich sagen: Wir sollten nicht, auch wenn es in die Argumentation passt, den Leuten Angst machen und so tun, als hätten wir hier in Deutschland Ernährungsprobleme. Weltweit hungern über 800 Millionen Menschen; das stimmt. 2 Milliarden Menschen sind mangelernährt. Aber ich glaube nicht, dass das alles zu regeln sein wird, wenn wir zu einer Reduzierung um 20 Prozent kommen. Ich hätte sie auch gerne verhindert. Sie kennen alle Argumente, und Sie kennen alle Schritte, um die es geht. Aber man sollte das bitte nicht missbrauchen, und man sollte nicht mit den Ängsten der Bürger spielen, um so deren Zustimmung zu bekommen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

So, ich habe die Frage und die Antwort zugelassen, auch wenn es keine Nachfrage zur Ursprungsfrage war. – Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Dr. Gero Hocker.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Frau Ministerin, vor einigen Monaten hat ja ein großangelegter Dialogprozess begonnen; Anfang Dezember ist das gewesen. Die Auftaktveranstaltung hat im Kanzleramt stattgefunden. Das Wesen dieses Dialogprozesses wurde seinerzeit so angekündigt, dass er ergebnisoffen und auf Augenhöhe erfolgen solle. Ich sage ausdrücklich, dass ich das damals sehr gelobt habe, weil ich es bis zum heutigen Tage richtig finde, dass man mit den Betroffenen spricht anstatt nur über sie. Aber jetzt sind drei Monate ins Land gegangen. Deswegen möchte ich von Ihnen gerne wissen, welche konkreten Hinweise Sie im Rahmen dieses Dialogprozesses während der letzten Monate erhalten haben, die auch ganz konkret und unmittelbar in die Novellierung der Düngeverordnung eingeflossen sind, die von Ihrem Haus in wenigen Tagen vorgelegt werden wird.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Ich bedanke mich sehr. ({0}) Die FDP hat sich sehr auf dieses Thema konzentriert. Da dachte ich, dass Sie dann auch schon wissen, was Eingang in die Novellierung gefunden hat. Aber gerne nehme ich Ihre Frage zum Anlass, um etwas zum Thema Binnendifferenzierung zu sagen – worüber ich sehr, sehr froh bin. Die Binnendifferenzierung war schon 2017 möglich. Sie wissen, dass die Länder, in denen die FDP an der Regierung beteiligt ist, die Binnendifferenzierung nicht vorgenommen haben, was ich bis heute nicht nachvollziehen kann. Wir haben – das ist der Wunsch der Landwirte gewesen, und es ist im Übrigen auch wissenschaftlich sinnvoll – ganz klar gesagt: Ja, wir wollen verursachergerecht vorgehen und die Messstellen plausibel errichten. Vor allen Dingen soll das Ganze bundeseinheitlich sein. Diese Idee haben wir aufgenommen. Sie hat Eingang in unseren Vorschlag zur Verschärfung der Düngeverordnung gefunden. Das heißt, dass aus einer Kannregelung eine Mussregelung wird. Demnächst wird eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe tagen, die ein halbes Jahr Zeit hat, die Kriterien zu entwickeln. Die Länder haben die Chance – ich hoffe, dass sie es machen –, sich vorab mit ihren Landwirten vor Ort konkret abzusprechen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für die Antwort. – Verehrte Frau Ministerin, meine Frage ist nicht gewesen, was angeblich die FDP versäumt hat, sondern, welche Hinweise aus diesem Dialogprozess von Ihnen aufgenommen wurden und eingeflossen sind. ({0}) Ich möchte deswegen ganz ausdrücklich nachfragen, wie Sie es vor dem Hintergrund der Antwort, die Sie eben gegeben haben, verhindern wollen, dass die Landwirte, die sich auf den Weg nach Berlin gemacht und an dem Dialogprozess teilgenommen haben, diesen Dialogprozess nicht als schlichte Farce wahrnehmen, um sie ruhigzustellen, und überhaupt keine Chance haben, dass tatsächlich fachliche Expertise mit in die vorgesehene Düngeverordnung aufgenommen wird.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Ich sehe einen Post von Ihnen, wo Sie etwas von uns Vorgesehenes als Schweigegeld abtun. Ein solches Wording lehne ich ab, muss ich sagen, Herr Hocker. Aber jeder macht es ja, wie er möchte. ({0}) Ich will Ihnen deutlich sagen: Wir haben in diesen Tagen – das bezieht sich auf alles, auf das gesamte Agrarpaket – zum Beispiel einen runden Tisch zum Thema Insektenschutz gehabt. Viele Hinweise haben wir aufgenommen. Es liegt ja noch gar kein Gesetz auf dem Tisch. Das war ein sehr guter Dialog, an dem im Übrigen Landwirte, die unterschiedliche Arten von Landwirtschaft betreiben, teilgenommen haben – das ist gut –, darunter auch Bauern, die sich an Demonstrationen in Berlin beteiligt haben. Wir laden sie ein und nehmen Rückmeldungen auf – das halte ich für richtig und wichtig –, genauso wie bei der Diskussion über die Gemeinsame Agrarpolitik. Aber Sie haben meine erste Antwort nicht verstanden. Das hatte überhaupt nichts mit der FDP zu tun, als ich darauf verwies, die Binnendifferenzierung aufzunehmen und für eine Bundeseinheitlichkeit zu sorgen. Das ist das, was die Landwirte, die hier demonstriert haben, gefordert haben. Ich finde diese Forderung richtig, weil sie sachlich, fachlich und wissenschaftlich begründet ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Katharina Landgraf.

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Bundesministerin, liebe Frau Klöckner, mal ein anderes Thema: Welche Chancen zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung sehen Sie in intelligenten Verpackungen, und hat Ihr Haus auch Aufträge für Forschung und Entwicklung gegeben, um intelligente Verpackungen zu entwickeln? Gibt es auch digitale Lösungen, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Lebensmittelverschwendung ist ein wichtiges Thema, weil es um Ressourcenschonung sowie auch um Wertschätzung von Lebensmitteln und derer, die sie herstellen und produzieren, geht. – Ja, das tun wir. Wir sehen, dass Lebensmittel sehr häufig schon weggeworfen werden, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht wurde. Aber das Mindesthaltbarkeitsdatum ist nicht das Verfallsdatum. Wir können aber nicht auf alle Produkte das individuelle Verfallsdatum drucken, weil das zum Beispiel von der Kühlkette, vom Lichteinfluss usw. abhängt. Deshalb gibt es sogenannte intelligente Verpackungen – eigentlich sind die Menschen intelligent, die diese Verpackungen entwickeln –, in denen Sensoren sind. Zum Beispiel wird anhand der Gase, die sich entwickeln, wenn Fleisch verdirbt, mit kleinen Sensoren gemessen, in welchem Zustand sich das Produkt befindet. Wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist, aber das Produkt noch gut ist, wird dem Verbraucher angezeigt: Du kannst es genießen und brauchst es nicht wegzuschmeißen. Wir geben dafür auch Geld aus. Wir investieren Geld in die Entwicklung dieser Technik, aber auch zum Beispiel in Plattformen, die dazu dienen, vor Ort Tafeln und Stellen, die Nahrungsmittel abgeben, zusammenzubringen, oder über digitale Lösungen und Algorithmen ermitteln, wann Bäcker wie viel am besten noch bestellen, wenn ein Wochenende bevorsteht. Wir schauen also, wie wir Abgeber und Abnehmer über digitale Plattformen zusammenbringen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage, und die Ministerin zur Antwort. Wenn Sie in der Zeit bleiben, können wir kollegial noch eine Frage aufrufen.

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich beeile mich sehr. – Wie können also wir alle ein adäquates Programm gestalten, um die einzelnen Zielgruppen in unserer Bevölkerung durch Verbraucherbildung dazu zu bewegen, weniger Lebensmittel zu verschwenden?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Es gibt mehrere Sektoren. Wir haben das in fünf bzw. sechs Sektoren eingeteilt. Das fängt zum Beispiel auf dem Acker, bei der Produktion und bei der verarbeitenden Ernährungsindustrie an. Dann geht es weiter mit Außer-Haus-Verpflegung, Gastronomie und Handel. Dann kommen die Verbraucherinnen und Verbraucher. Der Menge nach werden die meisten Lebensmittel in Privathaushalten entsorgt. Das kennt man auch selbst. Obst und Gemüse werden zum Beispiel am meisten entsorgt. Deshalb ist es wichtig, dass wir unseren Bundeswettbewerb, der vor allen Dingen Produkte für die Endverbraucher adressiert, noch stärker in die Breite führen. Wir haben vonseiten der Bundesregierung eine sehr erfolgreiche App, die Beste-Reste-App. Mit ihrer Hilfe wird aufgezeigt, wie man mit Resten noch gutes Essen oder sogar ein Menü zubereiten kann. Der zweite Punkt ist, dass wir in den Schulen und dort, wo Kinder groß werden, dafür sorgen, dass sie mitbekommen, wie wichtig Lebensmittel sind, aber auch, dass man dann, wenn ein Apfel ein bisschen angeplotzt ist, ihn nicht ganz wegwerfen muss etc. Weiter geht es damit, dass wir uns jetzt dem Sektor der Privathaushalte zuwenden und so versuchen, da zu Lösungen zu kommen, und dann auch miteinander besprechen werden: Was können wir dem Verbraucher und sogar der KMK mit an die Hand geben?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Renate Künast, sobald sie sich zu einem Mikrofon begeben hat. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben ja viel über die Zukunft der Landwirtschaft geredet. Bei den meisten Demos, die ich kenne, geht es nicht um Digitalisierung, sondern um Tierhaltung zum Beispiel oder um das Thema Klima. Ich will mich auf das Thema Tierhaltung konzentrieren. Sie haben die sogenannte Borchert-Kommission, also das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, einberufen. Der Bericht liegt vor. Meine Frage ist: Was passiert denn nun konkret? Ich habe von Ihnen gehört oder irgendwo gelesen, dass Sie dazu wohl eine Machbarkeitsstudie durchführen wollen. Ich hatte mir eigentlich gewünscht und würde gerne wissen, ob Sie die Chance dazu sehen, dass wir in dieser Legislaturperiode auch hier im Bundestag die Vorschläge der Borchert-Kommission, die ich schon einmal ganz interessant finde, diskutieren und vielleicht da auch zu Beschlüssen kommen, die zu einer umfassenden Veränderung führen. Das sehe ich im Augenblick in zeitlicher Hinsicht nicht. Ich mache mir deshalb Sorgen; denn wenn wir in dieser Legislaturperiode zum Beispiel nichts Übergreifendes hinbekommen, dann wird alles, was Sie jetzt machen, falls Sie noch etwas machen, in der nächsten Legislaturperiode sowieso nicht gelten, weil wir da eine andere Regierungskonstellation haben werden. Aber die Bauern brauchen eine Perspektive, gerade in der Tierhaltung. Was soll jetzt also konkret passieren, und zwar breit?

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Danke für Ihre Frage. Das ist eine wichtige Frage. Ich habe die Borchert-Kommission ganz bewusst eingesetzt, auch mit einer sehr breiten gesellschaftlichen Beteiligung. Da geht es um Tierhalter, da geht es aber auch um NGOs etc.; sie alle waren dabei. Ich bin dankbar für die Arbeit aller Beteiligten. Den Vorschlag der Borchert-Kommission halte ich für sehr substanzreich. Dieser Vorschlag beinhaltet in der Tat nichts weniger als einen Umbau unserer Nutztierhaltung. Er anerkennt aber auch etwas, was lange Zeit nicht anerkannt worden ist, nämlich dass mehr Tierwohl auch mehr Geld kostet und dass die Bauernfamilie den teuren Umbau von Ställen nicht alleine tragen kann. Deshalb ist die eine Frage: Wie viel sind uns Lebensmittel wert? Eine andere Frage wird sein: Ist zum Beispiel eine Tierwohlabgabe, die in einen Fonds geht, aus dem dann Tierhalter per Antrag Zuschüsse erhalten, um ihren Stall umzubauen, europarechtlich möglich? Diese Frage müssen wir prüfen. Deshalb sind wir jetzt schon mit der Europäischen Kommission im Gespräch, um das prüfen zu lassen, was die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Ministerin.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Ich bin mit dem Vorsitzenden des Agrarausschusses, Alois Gerig, im Gespräch, dass wir mit Herrn Borchert fraktionsübergreifend im Ausschuss über den Vorschlag reden. Ich wünsche mir auch, dass wir parteiübergreifend, fraktionsübergreifend hier zumindest die ersten Schritte hin zu einer Nutztierhaltung gehen, die nicht nur ökologisch und ökonomisch nachhaltig ist, sondern die auch von allen mitgetragen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kurze Nachfrage?

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. – Wenn wir wirklich die Standards anheben wollen, volle Transparenz für die Kunden zum Beispiel bei allen tierischen Erzeugnissen schaffen wollen, dafür eine Finanzierung auf die Beine stellen wollen und dies breit wollen, müssten wir ja mal bald anfangen. Da weiß ich nicht, wie Ihr Zeitplan ist. Die Borchert-Kommission ist ja schön. Ich hätte noch ein paar Verbesserungsvorschläge. Deshalb frage ich Sie: Wann könnte man damit anfangen? Ich frage auch danach, weil es ja noch Folgedebatten gibt. Zum Beispiel ist da das Thema Klima überhaupt nicht eingerechnet. Die Landwirtschaft kann aber nicht bis 2040 das Thema Klima bei Tierhaltung ignorieren. Also haben wir doch einen Zeitdruck, das jetzt hier zu machen, vielleicht auch außerhalb des engen Zeitrahmens eines Ausschusses, in dem jeder mal 2,5 Minuten reden darf. Dieses Vorgehen halte ich, ehrlich gesagt, nicht für das richtige Instrument.

Julia Klöckner (Minister:in)

Politiker ID: 11003566

Also, zunächst einmal halte ich einen parlamentarischen Ausschuss für ein demokratisch legitimiertes Gremium, ({0}) und wenn dieses jemand nicht achtet, kann ich wenig dazu sagen. ({1}) Ich selbst bin keine Parlamentarierin. Deshalb halte ich einen Ausschuss immer für sehr achtenswert und notwendig. Zweiter Punkt. Wenn Sie all das und wnoch mehr wie etwa den Klimaschutz just in diese Frage der Nutztierhaltung zusätzlich hineinpacken, was es sowieso schon aufgrund der TA Luft etc. gibt, dann, glaube ich, laden Sie das so auf, dass man überhaupt nicht mehr zu einer Lösung kommen kann. Deshalb sage ich ganz klar: Wir müssen das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ernst nehmen. Wenn Ihnen das nicht schnell genug geht – das ist Ihnen in der vorvergangenen Sitzungswoche vorgelegt worden – und wenn Sie auch kein Interesse daran haben, dass das europarechtlich geprüft wird, dann kann ich dazu nur sagen: Okay, Oppositionssichtweise. – Aus Regierungssicht brauche ich, wenn ich etwas unterstütze, auch die Klarheit, ({2}) dass wir bei einem Umbau, der europarechtlich zumindest einige Fragen aufwirft, nicht in eine falsche Richtung laufen. Eine Frage lautet zum Beispiel, ob aus diesem Fonds beispielsweise auch Tierhalter bezahlt werden, die im Ausland produziert haben, aber in unseren Markt importieren bzw. zu uns exportieren. Das alles hat auch etwas mit Ernsthaftigkeit zu tun und nicht mit einer schnellen Schlagzeile, Frau Künast. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich beende die Befragung und danke der Bundesministerin.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 222 Monate nachdem im Oktober 2001 die Intervention der Vereinigten Staaten in Afghanistan begonnen hat, haben sich die Vertreter der Vereinigten Staaten, der US-Regierung, und der Taliban am Samstag gemeinsam auf einen sogenannten Zeitplan für den Frieden geeinigt. Auch wenn viele Fragen nach wie vor offen sind, kann man, glaube ich, feststellen, dass die Verständigung von Doha ein Etappenziel ist. Genauso muss man aber feststellen, dass die eigentliche Arbeit jetzt erst beginnt. Auf die Einigung müssen nun echte innerafghanische Verhandlungen folgen. Ganz entscheidend wird dabei sein, dass alle Teile der afghanischen Bevölkerung beteiligt werden, insbesondere auch Frauen und die Vertreter aller ethnischen Gruppen, von denen es in Afghanistan einige gibt. ({0}) Denn – und das ist die Sorge, die im Moment viele Menschen in Afghanistan haben – einen Rückfall in eine totalitäre Alleinherrschaft der Taliban zulasten einer ganzen Generation junger Frauen und Männer darf es nicht geben. Man muss in aller Offenheit eingestehen – auch wenn es sich um einen großen Fortschritt handelt –: Der Weg zu einem Friedensvertrag – und das ist das, um was es jetzt geht – wird ein noch sehr weiter sein. Dass die Taliban ihre Angriffe gegen die afghanischen Sicherheitskräfte seit Montag wieder intensiviert haben, obwohl in diesem Abkommen eine Reduktion der Gewalt eindeutig festgelegt worden ist, macht das sehr deutlich. Deshalb kann man nur darauf hoffen, dass diese Angriffe unverzüglich eingestellt werden und nicht der erste Hemmschuh werden, um überhaupt innerafghanische Verhandlungen auf den Weg zu bringen. Deshalb darf gerade jetzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, die internationale Staatengemeinschaft Afghanistan nicht alleinlassen. Dabei kommt es ganz besonders auf uns in Deutschland an; denn Deutschland genießt besonderes Vertrauen in Afghanistan, und das über ideologische und ethnische Grenzen hinweg und schon lange. Deshalb sind wir bereit, Initiativen zur Vertrauensbildung und zur Vorbereitung der innerafghanischen Verhandlungen, die jetzt folgen müssen, nicht nur politisch weiter zu unterstützen, sondern sie auch mit zu organisieren, natürlich immer in dem Rahmen, in dem beide Konfliktparteien das für erforderlich halten und auch bereit sind, das mitzutragen. Das habe ich Präsident Ghani in unserem Gespräch am Rande der Sicherheitskonferenz in München noch einmal sehr deutlich gemacht. Wie diese Unterstützung konkret aussehen kann, darüber stimmen wir uns derzeit sowohl mit den afghanischen als auch unseren internationalen Partnern ab. Deshalb hat heute in Berlin bereits ein Gespräch mit meinem katarischen Kollegen stattgefunden, bei dem es genau darum ging, wer welche Rolle übernimmt und wie die katarischen und auch die norwegischen Initiativen, die es gibt, mit unseren zusammengeführt werden und die Grundlage für einen innerafghanischen Dialog legen können. Meine Damen und Herren, neben dem politischen Engagement werden wir auch den zivilen Wiederaufbau fortsetzen; denn der Bedarf dabei bleibt groß. Geknüpft wird unser Engagement vor allen Dingen an die Voraussetzungen bleiben, die ich meinem amerikanischen Kollegen schon im August des letzten Jahres dargelegt habe, als zum ersten Mal die Bitte an uns herangetragen worden ist, dass, wenn es zu einem Abkommen zwischen der US-Regierung und den Taliban kommt, Deutschland eine wichtige Rolle in der Organisation des innerafghanischen Friedensprozesses übernimmt. Die erste Grundvoraussetzung für beides, einen erfolgreichen Friedensprozess und einen zivilen Wiederaufbau, ist und bleibt die Bewahrung der verfassungsrechtlichen Ordnung Afghanistans und insbesondere der darin festgelegten Menschenrechte. Zweite Grundvoraussetzung ist und bleibt ein stabiles Sicherheitsumfeld. Dazu braucht es nun einmal leistungsfähige afghanische Sicherheitskräfte. Deshalb sind wir auch bereit, gerade jetzt unser militärisches Engagement in der NATO-Trainingsmission fortzusetzen. Die Einigung von Doha ist mehr als nur eine vertrauensbildende Maßnahme, aber sie ist auch nur ein Anfang. Erst eine Verringerung der Truppenpräsenz der internationalen Staatengemeinschaft, die es dort gibt, die ein weiterer Bestandteil dieses Abkommens ist, wird dazu beitragen können, Vertrauen auf beiden Seiten zu bilden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Anpassung, die die amerikanischen Streitkräfte nun vornehmen und in diesem Abkommen auch relativ detailliert beschreiben, wird auch bedeuten, dass eine behutsame Anpassung unserer Präsenz erforderlich wird. Über die konkrete Ausgestaltung stimmen wir uns deshalb mit den internationalen Partnern, mit den Vertretern der NATO eng ab. Um die dabei notwendige Flexibilität zu wahren, sollten wir deshalb die Obergrenze von 1 300 deutschen Soldatinnen und Soldaten bis zum 31. März des nächsten Jahres unverändert beibehalten. Vieles, was auf diesem Weg zu entscheiden sein wird, wird in Zusammenarbeit mit dem Bundestag entschieden werden; das kann ich Ihnen versichern. Die USA haben uns in diesem Prozess wiederholt versichert, dass mögliche Reduktionen eng an Bedingungen geknüpft bleiben. Das heißt vor allem: Die Fortschritte der letzten 222 Monate – Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte ({1}) und insbesondere Frauenrechte und auch das Recht von Mädchen, überhaupt zur Schule zu gehen – müssen erhalten bleiben. ({2}) Die dritte Voraussetzung ist – auch das haben wir mit Washington abgestimmt –, dass die USA ihre internationalen Partner in beiden Prozessen, sowohl der Reduzierung militärischer Präsenz, aber auch im weiteren politischen Prozess, ernsthaft und eng einbinden. Ein überstürzter Truppenabzug würde nicht nur die Chance auf einen dauerhaften Frieden zunichtemachen, sondern er würde auch all das gefährden, was in Afghanistan bereits erreicht worden ist. Das können und das wollen wir auch nicht zulassen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre auch schwierig, wenn die Opfer, die sowohl bei der deutschen Bundeswehr, aber auch bei den Streitkräften anderer Staaten gebracht worden sind, umsonst gewesen wären, wenn man den Angehörigen, den Eltern, den Partnern oder den Kindern sagen müsste: Ihr habt nicht nur Opfer gebracht, sondern diese Opfer sind auch noch umsonst gewesen. – Das wollen wir verhindern. Deshalb an dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten, an die Polizistinnen und Polizisten, die zivilen Helferinnen und Helfer, die es mit möglich gemacht haben, dass dieser Prozess jetzt beginnen kann. ({3}) Jetzt, wo die Chance auf Frieden so nah ist wie lange nicht mehr in Afghanistan, brauchen wir noch einmal eine politische Kraftanstrengung. Deshalb bitte ich Sie um die Zustimmung zu diesem Mandat. Herzlichen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Heiko Maas. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Armin-Paulus Hampel. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste im Deutschen Bundestag und daheim an den Bildschirmen! Herr Außenminister, selten hat ein Minister in Ihrem Amte eine solche Bankrotterklärung abliefern müssen wie Sie heute hier in diesem Parlament; ({0}) eine Bankrotterklärung, die mit einem hohen Preis erkauft worden ist. Die direkten deutschen Zahlungen bis 2018 beliefen sich auf 640 Millionen Euro für Militärhilfe, 4,5 Milliarden Euro für zivile Hilfe und mehrere weitere Milliarden Euro an internationale Hilfsorganisationen. Über 54 deutsche Soldaten sind am Hindukusch ums Leben gekommen. Erreicht, meine Damen und Herren, haben wir, dass wir heute – ich kann mich nicht erinnern, wann das in diesem Haus in den letzten Jahrzehnten vereinbart worden ist – mit Terroristen verhandeln. Früher hieß es: Mit Terroristen verhandelt man nicht! – Heute setzen wir uns in Doha mit ihnen an einen Tisch, so wie wir es übrigens schon am Anfang dieser Afghanistan-Expedition gemacht haben, als wir uns mit den Mordbuben der Mudschaheddin an einen Tisch gesetzt und sie wieder eingesetzt haben. ({1}) Leute wie Dostum, Daud und andere waren ja ganz am Anfang unsere Verbündeten. ({2}) Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur eins sagen: Wer wie ich in Afghanistan gewesen ist, erinnert sich an die Bilder, Frau Kollegin, die zeigen, wie Herr Nadschibullah an einem Verkehrshäuschen einer Straßenkreuzung in Kabul zusammen mit seinem Bruder aufgehängt wurde. Ich prophezeie Ihnen die gleichen Bilder in wenigen Monaten oder in spätestens zwei Jahren: dass dann die letzten Regierungsvertreter von Kabul von den Taliban an ähnlichen Punkten aufgehängt werden. Ich kann Ihnen auch sagen, dass Sie sich an die Bilder aus Vietnam von 1975 erinnern müssen: an den Hubschrauber, der die letzten amerikanischen Soldaten nahe der amerikanischen Botschaft in Saigon abholte. Wir werden ähnliche Bilder sehen, weil die Taliban jetzt schon gewonnen haben, meine Damen und Herren. Die deutsche Expedition an den Hindukusch hat genau wie jedes andere Alliiertenunterfangen zu nichts, zu gar nichts geführt. Wir haben uns dort verausgabt. Wir haben nichts erreicht und hinterlassen ein Land, das heute korrupt ist. Milliarden sind dort hineingeflossen, von denen nur wenige in Kabul und das Umland gar nicht profitiert haben. Schauen Sie mal heute auf die Golfregion: In Doha und anderswo stehen die ganzen Villen, die von unseren Geldern finanziert wurden. Dort haben die wohlhabenden Afghanen, die von diesem Konflikt profitiert haben, eine sichere Bleibe gefunden. ({3}) Meine Damen und Herren, ich kann mich erinnern: Ich sollte mal einen Film über deutsches Engagement am Hindukusch drehen. Da gab es den Plan für den Bau einer Wasserleitung vom Hindukusch runter nach Kabul. Ich glaube, sie steht bis heute nicht. Das ist über 15 Jahre her. Ich kann mich erinnern, dass wir in Kunduz Schulen gebaut haben. ({4}) Das sind heute Ausbildungszentren der Taliban, Herr Wadephul. Diese Gebäude werden nicht mehr als Schulen genutzt. Ich könnte noch viele Beispiele mehr nennen. Wenn Sie vom Flughafen in Kunduz mal zum deutschen Camp gefahren sind – einige von Ihnen waren ja da –, dann hätten Sie sich den großen Schrotthaufen russischen Militärgerätes anschauen müssen, der da rechts wie ein Menetekel die Deutschen davor gewarnt hat, sich in diesem Teil der Welt zu verausgaben. Wir haben es unseren Soldaten schwergemacht. Unsere Soldaten haben es nicht verdient, noch einen Tag länger in dieser Region stationiert zu sein. Deutsche Soldaten sind nicht dazu da, den kolonialen Schrott der Geschichte der anderen kolonialen Mächte aufzuräumen, und das haben wir inzwischen fast 20 Jahre gemacht. ({5}) Außer dem Verlust von Menschenleben am Hindukusch, außer Milliardeninvestitionen haben wir nichts erreicht. Wir setzen uns mit Terroristen an einen Tisch. ({6}) Das Schlimmste ist – die Amerikaner haben das schon angedeutet –, dass sie 3 000 bis 5 000 inhaftierte Taliban in Afghanistan freilassen werden. Wer einmal in Bagram im amerikanischen Knast gewesen ist, der weiß, dass dort der blanke Hass gezüchtet wird. Sie hassen die Menschen. Sie hassen die Amerikaner, und sie hassen uns genauso. Die werden jetzt freigelassen. Das sind die, die den Marsch auf Kabul machen. ({7}) Ich prophezeie Ihnen jetzt schon, Herr Minister: Sie werden demnächst hier den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan in kürzester Zeit verkünden. Ich bin gespannt, wie Sie das dem deutschen Volk und den deutschen Soldaten verkaufen wollen. Holen wir unsere Soldaten zurück vom Hindukusch, und zwar sofort! Lehnen Sie diesen Antrag ab! ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Henning Otte. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über die Verlängerung des Mandates Resolute Support zur Unterstützung der afghanischen Streitkräfte. Im Rahmen dieser NATO-Mission geht es darum, dass 20 000 Soldatinnen und Soldaten aus 39 Nationen eingesetzt sind, um die Stabilität und die Sicherheit in Afghanistan zu verbessern. Ich habe eben mit Schrecken festgestellt, was der Redner der AfD hier zum Ausdruck gebracht hat. Ich bin der festen Überzeugung, dass die AfD jeglichen moralischen Anspruch verwirkt hat, solange man mit Putin und Assad in Verhandlungen steht. ({0}) Sprich: Das sind diejenigen, die gemeinsam in Syrien mit Bombardierungen gegen zivile Strukturen vorgehen. Sie haben nicht den moralischen Anspruch, dies hier zum Ausdruck zu bringen, meine Damen und Herren. ({1}) Es geht auch darum, die Leistungsfähigkeit der afghanischen Streitkräfte zu erhöhen. Die Bundeswehr bildet das 209. und das 217. Korps der afghanischen Armee in Masar-i-Scharif und in Kunduz aus. Es geht darum, wie der Außenminister gesagt hat, bis zu 1 300 Soldatinnen und Soldaten für den Auftrag zu mandatieren, diesen erfolgreichen Einsatz fortzuführen, ({2}) der den Konflikt nicht rein militärisch, sondern nur mit zivilen Anteilen – Aufbau von Staatlichkeit und nachhaltige Wirtschaftsförderung – lösen kann. ({3}) Genau das ist der vernetzte Ansatz, der dieses Mandat prägt. Es geht darum, dass von Afghanistan aus keine Bedrohung mehr ausgeht, auch nicht für unser Land. Meine Damen und Herren, im Jahr 2001 begannen die Ausbildung und die Einsatzmandatierung, damals unter einer rot-grün geführten Regierung. Der Weltfrieden war bedroht. Ich erinnere an die Anschläge in den Vereinigten Staaten. Die Strukturen des Al-Qaida-Regimes sind mittlerweile zerschlagen; das kann man sagen. Damit ist ein wesentlicher Bestandteil gewährleistet, den wir damals gefordert haben, nämlich dass die Sicherheit auch unseres Landes berücksichtigt werden muss. Die Sicherheit unseres Landes hat sich durch die Zerschlagung der terroristischen Strukturen dort wesentlich verbessert, allerdings auch unter großen Opfern. Das müssen wir deutlich sagen. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind an Leib und Seele verwundet. Manche haben ihr Leben geben müssen und sind gefallen. Auch an diese denken wir heute. Das Karfreitagsgefecht jährt sich im kommenden April zum zehnten Mal und ist ganz fest in unserer Erinnerung. Meine Damen und Herren, deswegen geht der Dank des Hauses gemeinsam an die Soldatinnen und Soldaten, an die Polizistinnen und Polizisten und auch an die zivilen Helfer, die dort ihren Einsatz geleistet haben. Dieser Einsatz sollte nicht durch solche Worte wie die von der AfD in die Lächerlichkeit gezogen werden. ({4}) Bald sind es 20 Jahre, dass sich die Mandatsverlängerung jährt. Die anstehende Mandatsverlängerung steht unter einem besonderen Stern; denn so peu à peu läuten wir auf verantwortbare Weise das Ende dieses Einsatzes ein, sofern die Sicherheit dies zulässt. Manche sind jetzt dort im Einsatz, die damals, als die Anschläge stattfanden, noch gar nicht geboren waren. Afghanistan ist noch weit davon entfernt, rein friedlich zu sein. Deswegen müssen wir politische Lösungen weiterhin anstreben. Es ist zu begrüßen, dass zwischen den USA und den Taliban jetzt die Vereinbarungen getroffen worden sind; aber die afghanische Regierung muss eingebunden werden. Auch für die Bundeswehr brauchen wir das und damit mehr Flexibilität, weil sich auch Schwerpunkte verschoben haben. Wir müssen ebenso ein Augenmerk auf die Sahelzone haben. Wir setzen uns für selbsttragende Sicherheit ein, immer eng abgestimmt mit der NATO. Die Devise ist: „Gemeinsam rein – gemeinsam raus“. Die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten hat hierbei höchste Priorität. Herzlichen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Henning Otte. – Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage in Afghanistan ist, milde ausgedrückt, unübersichtlich. Herr Außenminister, Sie sprachen von 220 Monaten. Das klingt so niedlich. Wir sollten schon in Jahren rechnen, und es sind nächstes Jahr 20 Jahre. Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban ist eben kein Friedensvertrag, wie er es durch die mediale Berichterstattung zu sein scheint. Es ist ein erster Schritt auf einem langen, ungewissen Weg. Wenn es klappt, dann folgen jetzt die Gespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung; das ist natürlich von großer Bedeutung. Allerdings müssen sich im Gegenzug bis 2021 alle Truppen, auch die NATO-Truppen, eben nach 20 Jahren zurückgezogen haben. Meine Damen und Herren, der erste Teilabzug soll aber jetzt schon in vier Monaten stattfinden. Das hat natürlich auch Folgen für uns. Ich glaube nicht an ein Happy End, weil wir – die Hoffnung stirbt zuletzt – es eben mit den Taliban zu tun haben, die großes Unglück über dieses Land Afghanistan und letztlich auch über all die gebracht haben, die sich dort engagiert haben. Die Angriffe laufen ja bedauerlicherweise schon wieder an. Wir wissen auch nicht – auch das gehört zur Wahrheit dazu –, ob Präsident Trump nicht plötzlich und unerwartet wieder einen Tweet absetzt und der Deal, wie er es nennt, wieder in der Tonne landet. Denn auch wir wissen, dass der amerikanische Präsident sich auf diesen sogenannten Deal aus innenpolitischen Gründen eingelassen hat: Er steht im Wahlkampf und hat seinen Leuten versprochen, Soldaten und Soldatinnen zurückzuholen. Wir wissen natürlich angesichts dieser komplexen Gemengelage auch nicht – das sagten Sie gerade, Herr Außenminister –, ob die Einhaltung der Menschenrechte, unter anderem eben auch die der Frauen, nicht zurückgedreht wird. Auch darauf müssen wir einen Blick werfen: Können Mädchen weiterhin zur Schule gehen, können weiterhin Frauen die Universität besuchen? In diesem Moment diskutieren wir also nun, ob das Mandat fortgeschrieben wird. Ich bedaure dies, weil wir als Freie Demokraten über Jahre immer wieder von Ihnen eine Exit-Strategie erwartet hätten – das war immer ein Fremdwort –, überhaupt einmal ein Szenario, um das Land zu verlassen. Wir verlassen uns immer auf die Amerikaner, nach dem Motto: Die richten es. – Jetzt wollen sie 8 000 Soldaten abziehen, jetzt reagieren wir endlich. Auch vorher hätten wir uns einmal damit beschäftigen sollen, wie lange wir überhaupt noch vor Ort bleiben. Wenn ich den Mandatstext anschaue, so sage ich: Ich möchte nicht Copy-and-paste. Ich erwarte, dass Sie uns hier im Bundestag, der Öffentlichkeit und den Soldatinnen und Soldaten klar erklären, wie es weitergeht. Ein Letztes sei an dieser Stelle angesprochen: die Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan. Wir haben zu Recht viel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit gesteckt. Hier muss natürlich kontrolliert werden: Können wir das weiterhin machen, auch ohne dass die Zivilisten, die dort helfen, durch die Bundeswehr geschützt werden? ({0}) Heute konnten wir leider im Ausschuss nicht darüber sprechen, weil die SPD um 12 Uhr eine Krisensitzung hatte. Das ist bedauerlich genug – nicht, dass Sie eine Krise haben; an die haben wir uns gewöhnt –, sondern dass wir nicht über Afghanistan sprechen konnten. Ich hoffe nur, dass wir bei der zweiten und dritten Lesung von Ihnen mehr bekommen als die großartige Rede, die Sie gerade gehalten haben. ({1}) Wir danken an dieser Stelle den Soldatinnen und Soldaten, den Polizistinnen, den Polizisten, allen, die da waren, und vor allen Dingen den Zivilisten, die immer noch da sind und auch immer noch bleiben werden; denn Afghanistan wird weiterhin viel Unterstützung von uns brauchen. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Strack-Zimmermann. – Nächste Rednerin: für Die Linke Heike Hänsel. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die USA haben jetzt also am Wochenende mit Talibanvertretern ein Abkommen unterzeichnet, das den Weg für einen Abzug der US-Truppen und für ein Ende der Kämpfe ebnen soll. US-Präsident Donald Trump gab in Washington bekannt, er habe ein sehr gutes Gespräch mit dem politischen Chef der Taliban Abdul Ghani Baradar geführt. Nun werden also nach fast 19 Jahren Krieg die Taliban von den USA in die Regierung gebracht, und das auch noch vorbei an afghanischer Regierung und Zivilgesellschaft. Ich möchte hier in Erinnerung rufen: Alle aus der Friedensbewegung, die damals, vor fast 20 Jahren, gefordert hatten, keinen Krieg zu führen, sondern mit den Taliban zu verhandeln, wurden auf das Übelste beleidigt und als Terrorunterstützer verunglimpft. ({0}) Vielen von uns hier, auch uns von der Linken, ging es so. Wir haben trotzdem gegen diesen Krieg demonstriert und politische Lösungen gefordert. Der Krieg in Afghanistan wurde 2001 unter Rot-Grün begonnen. Es ging angeblich um die Sicherheit Deutschlands, die am Hindukusch verteidigt werden musste. Dann ging es um Frauenrechte. Dann ging es um die Entwicklung, um den Brunnenbau im Land. Das alles bricht doch jetzt mit diesem Deal von Trump zusammen. ({1}) Auch die Bundeswehr hat diesen Krieg ja seit fast 19 Jahren mit geführt. Er hat, konservativ geschätzt – es gibt nämlich gar keine offiziellen Zahlen –, 20 000 Menschen das Leben gekostet, nach dem Bodycount von IPPNW aber bis zu 180 000 Menschen. Im letzten Jahr, bis September 2019, wurden zweieinhalbtausend Zivilisten getötet. ({2}) Der Krieg hat insgesamt 2 Billionen Dollar gekostet, allein der Bundeswehreinsatz davon 10 Milliarden. Für was das eigentlich alles? Dieser Krieg war ein großes Verbrechen wie jeder Krieg. ({3}) Die USA wollen nun binnen 14 Monaten alle Truppen aus Afghanistan abziehen. Sie aber wollen das Mandat der Bundeswehr unverändert hier verlängern. Das können Sie doch wirklich niemandem mehr erklären, Herr Maas. Die Bundeswehr muss sofort abgezogen werden. ({4}) Dieser Krieg wurde damals begonnen, weil man das Al-Qaida-Netzwerk zerschlagen wollte. Heute kämpfen al-Qaida-nahe Terrormilizen Seite an Seite mit dem NATO-Partner Türkei in Idlib. Ich höre hier keine einzige Verurteilung dieses Vorgehens der Türkei. ({5}) Im Gegenteil: Immer mehr Stimmen fordern sogar, die Türkei dabei auch noch zu unterstützen, weil es nämlich gegen Syrien und Russland geht. Das ist doch eine politische Bankrotterklärung, die Sie hier abliefern. ({6}) Meine Fraktion lehnt diese Mandatsverlängerung ab. Wir fordern eine Gesamtbilanz dieses Einsatzes. Dazu gehört natürlich auch die Untersuchung von Kriegsverbrechen in Afghanistan auf allen Seiten, auch aufseiten des Westens. Das ist nämlich überhaupt die Voraussetzung für einen Friedensprozess in diesem Land. Es war unter anderem der Journalist Julian Assange, der Informationen über US-Kriegsverbrechen in Afghanistan veröffentlicht hat. ({7}) Er wird nun politisch verfolgt, nicht die, die diese Kriegsverbrechen begangen haben. Genau das müssen wir ändern. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Heike Hänsel. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Agnieszka Brugger. ({0})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muss sagen: Mich hat bei mehreren Reden angesichts der wirklich dramatischen Situation in Afghanistan die Selbstgefälligkeit zutiefst irritiert. Denn ich finde, der Blick auf 20 Jahre ziviles und militärisches Engagement in Afghanistan tut vor allem weh. Die letzten Präsidentschaftswahlen haben wieder in einem politischen Patt geendet, überschattet von Betrugsvorwürfen. Nach wie vor sind Korruption und Klientelwirtschaft ein Riesenproblem, ebenso der Einfluss der Warlords. Wie vielfach vorhergesagt, konnten die Taliban eben nicht militärisch besiegt werden; sie verüben weiter brutale Anschläge und kontrollieren Gebiete. Die Sicherheitslage verschlechtert sich in vielen Regionen. Die jahrelangen Ausbildungsbemühungen für die Sicherheitskräfte sind leider keine Erfolgsgeschichte. Gleichzeitig hat Donald Trump im letzten Jahr in Afghanistan so viel bombardieren lassen wie schon lange nicht mehr. Und Sie von der Bundesregierung, Sie, Herr Minister Maas, reagieren auf all das vor allem mit Durchhalteparolen und legen hier Jahr für Jahr das immer gleiche Mandat vor. Ich finde, man muss sich dieser schwierigen Realität stellen und endlich mit der Schönrednerei aufhören. ({0}) Meine Damen und Herren, die USA haben nun direkt mit den Taliban ein Abkommen verhandelt. So groß die Freude bei vielen Menschen in der letzten Woche über ein paar wenige Tage mit etwas weniger Gewalt war, so groß ist nun die berechtigte Sorge, ob dieser Minimalkonsens eigentlich halten wird und was darauf folgen kann. Es ist eine große Schwäche, dass dieser Prozess ohne die afghanische Regierung stattgefunden hat. Die Bundesregierung muss jetzt alles dafür tun, um diesen Fehler, soweit es eben möglich ist, zu korrigieren; denn anders wird es einen echten Friedensprozess gar nicht geben können. ({1}) Bei all den Rückschlägen hat sich in den letzten Jahren gerade die Situation für Frauen verbessert. Am tatsächlichen Verhandlungstisch aber, wenn es um die Macht geht, fehlen genau ihre Sorgen und ihre Stimmen. Herr Minister Maas, hippe Social-Media-Beiträge und schöne Worte sind noch keine feministische Außenpolitik. Sie müssen die Beteiligung von Frauen gerade dann einfordern, wenn andere sie nicht ernst nehmen und sie lächerlich machen. ({2}) Die USA haben nun einen Abzug in den Raum gestellt, möglicherweise von mehreren Tausend Soldatinnen und Soldaten in sehr kurzer Zeit. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung darüber mit den USA in engen Gesprächen war. Trotzdem legen Sie uns aktuell ein völlig unverändertes Mandat vor. Sie können doch nicht erst beim nächsten Mandat anfangen, Abzugsszenarien auszuplanen. Wir erwarten, dass Sie in den Ausschüssen darauf eine Antwort geben. Spätestens dort wollen wir Ihre konkreten Pläne zu diesen Entwicklungen hören. ({3}) Meine Damen und Herren, wirklichen Einsatz zeigt diese Bundesregierung plötzlich dann, wenn es um Abschiebungen geht. Sie machen gerade richtig Druck auf die Landesregierungen, dass möglichst viele Menschen in das unsichere Land Afghanistan abgeschoben werden. Beenden Sie diese zynische und gefährliche Politik und stoppen Sie die Abschiebungen nach Afghanistan! ({4}) Meine Damen und Herren, bei allen Meinungsverschiedenheiten, die wir mit Blick auf diesen Einsatz haben, glaube ich, muss es jetzt um die sehr, sehr ernsten und schwierigen Fragen gehen: Wie sieht eine verantwortungsvolle Afghanistan-Politik auch nach dem Ende dieses Militäreinsatzes aus? Welche Möglichkeiten haben wir, die Menschen zu unterstützen, die sich nach Jahrzehnten brutaler Kriege für ein bisschen Frieden und eine gute Entwicklung in ihrem Land einsetzen? Das sind schwierige Fragen, über die wir gerne mit Ihnen allen weiter intensiv diskutieren wollen und müssen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Agnieszka Brugger. – Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Gisela Manderla. ({0})

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Wir diskutieren heute über die Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte am NATO-Einsatz Resolute Support in Afghanistan. Es wurde schon gesagt: Vor einigen Tagen wurde ein Abkommen zwischen den Taliban und den USA unterzeichnet und damit eine wichtige Hürde für Friedensgespräche genommen. Die Interessenlage hat sich aber auch gut 18 Jahre nach Beginn der deutschen Beteiligung nicht maßgebend verändert, und so tragen wir mit unserem Einsatz auch weiterhin dazu bei, die nationalen afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte zu befähigen, ihrer Verantwortung nachzukommen. Um dies zu gewährleisten, steht die Bundeswehr den afghanischen Sicherheitskräften ausbildend, beratend und unterstützend zur Seite. Unser Dank gilt allen, die sich daran beteiligen. ({0}) Afghanistan sieht sich nach wie vor einer schwierigen Situation ausgesetzt. Auch die kürzlich stattgefundenen Präsidentenwahlen verdeutlichen die fragile innenpolitische Lage. Die Taliban drohten mit massivem Terror, und einige Wahllokale – und nicht wenige – mussten geschlossen bleiben. Nach der Wahl erklärten sich beide Kontrahenten zum Wahlsieger. Es stellt sich nun die Frage, ob die erzielten Erfolge durch einen Abzug nicht wieder in Gefahr geraten. Hinzu kommen unter anderem eine weitverbreitete Korruption und Armut in breiten Schichten der Bevölkerung. Wenn jetzt angesichts des Abkommens zwischen den Taliban und den USA Stimmen laut werden, die eine Beendigung des Einsatzes fordern, sollte man sich insbesondere folgende Aspekte vor Augen führen: Erstens ist noch nicht abzusehen, inwieweit das Abkommen greift bzw. ob und, wenn ja, wann eine Beruhigung der Lage zu erwarten ist. Zweitens muss der Druck auf die Taliban, sich an das Abkommen zu halten, gerade jetzt aufrechterhalten bleiben, um im nächsten Schritt, auch im Rahmen innerpolitischer Verhandlungen, einen Friedensschluss zu erzielen. Drittens fördern wir mit unserem Einsatz den Aufbau legitimer und stabiler Staatlichkeit in Afghanistan. Doch eines ist klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es kann keine militärische, sondern nur eine politische Lösung in Afghanistan geben. Gerade jetzt, wo es in dieser seit jeher verfahrenen Situation endlich einen Lichtblick gibt, müssen zwingend die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, damit dieser den ersten Schritt zu einem langfristigen Frieden darstellen kann. Der Weg zu diesem Ziel wird auch weiterhin von Hindernissen und Rückschlägen geprägt sein und bedarf daher verlässlicher, unverminderter Unterstützung. Im Rahmen des Friedensprozesses wird eine Reduzierung unseres Einsatzes zu erwarten sein. Dennoch müssen wir, bis es so weit ist, dafür gewappnet sein, Afghanistan und seine Bevölkerung auf dem Weg zum Frieden zu unterstützen. Hierzu soll die Mandatsverlängerung, über die wir heute sprechen, einen Beitrag leisten. Seit Beginn des Engagements in Afghanistan konnten bereits wichtige positive Entwicklungen beobachtet werden. Das Land ist nicht mehr das zentrale Ausbildungslager für weltweit agierende islamische Terroristen; die Stellung der Frau hat sich maßgeblich verbessert; die Medienvielfalt hat sich vergrößert; und dank neuer Schulen und Universitäten haben sich die Bildungsmöglichkeiten verbessert. Deshalb, meine Damen und Herren, sollten wir weiterhin darüber sprechen und die Fortsetzung des Einsatzes beschließen. Danke schön. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzter Redner in dieser Debatte: Thomas Erndl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Aus dem Abkommen vom vergangenen Wochenende ergibt sich für uns eine besondere Verantwortung. Wir haben uns in den vergangenen 18 Jahren mit enormen Mitteln in Afghanistan engagiert. Wir waren über lange Strecken zweitgrößter Geber und Truppensteller in Afghanistan. Für Zehntausende Bundeswehrsoldaten bleibt die Afghanistan-Erfahrung für immer Teil ihres Lebens. 59 Soldaten haben im Einsatz für unsere Sicherheit ihr Leben verloren. Wenn wir jetzt von einem möglichen Abzug aus Afghanistan sprechen, sollten wir hier noch mal innehalten und den Angehörigen der Opfer unser aufrichtiges Mitgefühl ausdrücken. Den vielen Soldatinnen und Soldaten, die in dieser langen Zeit ihren Dienst in Afghanistan geleistet haben, möchte ich für ihren Einsatz herzlich danken. ({0}) Unsere Verantwortung besteht nun darin, die Errungenschaften dieses Einsatzes zu sichern und die drei zentralen Ziele weiter im Auge zu behalten: Afghanistan darf nicht zurückfallen in die dunkle Zeit der Talibanherrschaft, von Afghanistan darf kein internationaler Terrorismus mehr ausgehen, und durch Stabilität und gesellschaftlichen Frieden sollen Vertreibung und Flucht aus Afghanistan beendet werden. Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban und die anstehenden innerafghanischen Verhandlungen bieten jetzt eine historische Chance, diese Ziele durch eine politische Übereinkunft zu erreichen. Diesem Prozess müssen wir eine Chance geben. Und nur wenn dieser Prozess erfolgreich ist, können wir unsere Soldaten zurückholen. Aber bis dahin gibt es Hürden und Risiken, die wir nicht ignorieren können: Erstens. Die afghanische Politik bleibt tief gespalten und die Gesellschaft zersplittert. Das wird ein Balanceakt für unsere intensiven diplomatischen Bemühungen. Zweitens. Das Misstrauen großer Teile der Bevölkerung in die Taliban bleibt groß, und genauso misstrauisch sind auch wir. Drittens. Regionale Akteure, insbesondere Pakistan, müssen beweisen, dass sie dem Wandel zustimmen. Klar ist: Die Jahre des Kampfes haben die Taliban an den Verhandlungstisch gebracht. Jetzt gibt es die Chance, den Konflikt politisch zu lösen. Dazu müssen jetzt alle Akteure positiv zusammenwirken. Die Vorzeichen dafür sind gut. Ein stabiles Staatswesen kann nur in Sicherheit gedeihen. Deshalb ist es wichtig, dass wir weiter an der Seite unserer afghanischen Partner stehen, dass wir weiter afghanische Sicherheitskräfte ausbilden und dass wir uns geordnet und abgestimmt mit unseren Partnern, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, militärisch aus Afghanistan zurückziehen. Ein schneller, ungeordneter Abzug würde das Erreichte gefährden und das Land ins Chaos stürzen. Das können wir nicht wollen. Deshalb bitte ich um Zustimmung für die Verlängerung des Mandates. Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Thomas Erndl. – Damit schließe ich die Aussprache.

Dr. Georg Kippels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Nachmittag beschäftigen wir uns mit zwei Anliegen, die sich mit den Rechten von Kindern weltweit, insbesondere aber in Krisenregionen, befassen. Die Kollegen von den Linken und die Kollegen von den Grünen haben – wie sie das symptomatisch immer wieder sehr gut hinbekommen – zwei Themen aufbereitet, die es auf jeden Fall verdient haben, hier heute umfänglich debattiert zu werden. ({0}) – Gerne; ein bisschen Applaus an dieser Stelle ist durchaus gerechtfertigt. Die Rechte von Kindern in ihren verschiedensten Lebensverhältnissen müssen uns allen ein dringendes Anliegen sein. Wir als Weltgemeinschaft müssen auf der Grundlage der Kinderrechtskonvention aus dem Jahre 1989 alle erdenklichen Bemühungen unternehmen, um friedliche Lebensverhältnisse zu gewährleisten und vor allen Dingen eine geschützte, gesunde und zukunftsorientierte Entwicklung der Kinder zu ermöglichen. Dies ist allerdings unzweifelhaft nicht der Fall. Die Ursachen dafür sind erschreckend und vielfältig. Meine Kritik an den Anträgen der beiden Antragsteller setzt zunächst einmal daran an, dass mit den Anträgen der Eindruck entsteht, dass dieses Thema bislang in der Entwicklungspolitik überhaupt noch keine signifikante Rolle gespielt hätte und auch nur die Antragsteller ihrerseits Konzepte aufzeigen könnten, wie denn mit diesem Thema verantwortungsvoll umgegangen werden könnte. Das ist aber beileibe nicht der Fall. Dieses Thema beschäftigt uns schon genauso lange wie die Kinderrechtskonvention. Dass es bis zum heutigen Tage noch keine wirkliche Verbesserung gegeben hat, liegt nicht an der Ungeeignetheit der Maßnahmen, den unzureichenden finanziellen Mitteln oder der Einsatzbereitschaft der Akteure auf diesem Sektor, sondern leider an vielfältigen Ursachen, die im Wesentlichen unserer Einflussnahme entzogen sind. Die Anzahl der Konfliktherde weltweit und insbesondere im zentralen Afrika nimmt ständig zu. Unsere Bemühungen, friedliche Lebensverhältnisse durch militärische oder polizeiliche Unterstützung herzustellen, gelingen an einer Stelle, werden aber an der nächsten Stelle von aktuellen Unternehmungen wieder ad absurdum geführt. Der Tatsache, dass vor allen Dingen die lokalen Regierungen nicht die notwendige Einschätzung gewinnen, dass Bildungssysteme, Gesundheitssysteme, adäquate Ernährung, die Zukunftsorientierung, aber auch eine verantwortliche Familienplanung wesentliche Bestandteile für die Gesamtherstellung von positiven Entwicklungsgrundlagen für Mädchen und Jungen darstellen, ist nicht ausschließlich mit finanziellen Mitteln und Regierungshandeln zu begegnen. Heute Morgen haben wir im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit den Regionaldirektor von UNICEF erleben dürfen, der uns aus seiner langjährigen Erfahrung auf diesem Gebiet und in weltweiten Krisengebieten sehr nachdrücklich geschildert hat, dass die Herausforderungen ganzheitlich zu betrachten sind. Es nützt nichts, sich nur auf einen einzigen Faktor zu konzentrieren. Natürlich ist die Bemühung, Kinder aus kriegerischen Handlungen herauszuhalten, ein primäres Ziel; aber wenn in Regionen mit massiv fragilen staatlichen Strukturen kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden, ist es für Entwicklungshilfeorganisationen, egal ob UNICEF, Save the Children, World Vision, Plan oder wer auch immer sich insbesondere und speziell mit Kinderrechten beschäftigt, nahezu unmöglich, ihrer Arbeit geordnet nachzugehen. Ein ganzheitlicher Ansatz, aber vor allen Dingen auch die Einbindung verschiedener Faktoren, ist notwendig. Wenn wir Kinder als Opfer dieser Verhältnisse sehen, so muss es auch unser Bemühen sein, sie nach Beendigung dieser Belastungssituation durch Krieg und Gewalt einer Traumabehandlung zuzuführen, aber genauso, im Vorfeld daran zu arbeiten, dass sie selbst lernen, mit Krisensituationen deeskalierend umzugehen. Wenn man sich den Bericht von UNICEF vom 12. Februar dieses Jahres und die Lebensschilderungen einiger Kinder anschaut, so muss man erschüttert und betroffen feststellen, dass leider immer wieder auch bei den Kindern das Gefühl aufkommt, dass sie sich für die Ungerechtigkeit, die ihnen oder ihren Familienangehörigen zugefügt wurde, rächen wollen und müssen – eine verständliche Reaktion, mit der Kinder allerdings deeskalierend umgehen müssen. Insofern ist es für die Herstellung von friedlichen Lebensverhältnissen unser unbedingter Anspruch, im Rahmen von Bildung vorausschauend auch die Persönlichkeitsstrukturen der Kinder zu stärken, sie im Umgang mit solchen Situationen zu festigen und ihnen vor allen Dingen eine positive Lebensperspektive aufzuzeigen; das ist wichtig für ihre Zukunft. Eines war heute Morgen auch Gegenstand der Erörterungen. All das, was wir vielleicht vor 10 oder 20 Jahren als typisches Lebensziel der Kinder definiert haben im Rahmen von Landwirtschaft, Ausbildung, Produktionsprozessen, Bildungsprozessen, hat mittlerweile durch Digitalisierung und neue technische Möglichkeiten ein anderes Gesicht bekommen. Auch mit diesen veränderten Arbeitsmethoden müssen wir uns intensiv auseinandersetzen, insbesondere UNICEF als multilaterale Organisation. Die Gesamtleistungen des BMZ, die alleine an eine NGO fließen, betragen in diesem Jahr 430 Millionen Euro . Ich glaube, dieser multilaterale Ansatz ist genau die richtige Vorgehensweise. Es reicht nicht, sich nur auf ein einziges Land zu konzentrieren; vielmehr müssen wir in diesen instabilen Regionen den gesamten Bereich erfassen. Das kann nicht im Rahmen der bilateralen Entwicklungshilfe gelingen, sondern nur, wenn man sich multilateralen Organisationen und allen Beteiligten gleichermaßen und themenübergreifend widmet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anträge beschreiben eine zutreffende Problemlage. Die Lösungen werden im BMZ bereits auf den Weg gebracht. Deshalb brauchen wir eine solche Entscheidungsfindung nicht und können diese Anträge getrost ablehnen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Kippels. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion, Dietmar Friedhoff. ({0})

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Schön, dass so viele junge Menschen heute hier sind, gerade bei diesem Thema! Es geht um Kindersoldaten und 30 Jahre UN-Kinderrechtskonvention. Zwei Themen, eine Überschrift: Gewalt an Kindern. Es sind die leeren Augen von Kindern, die vergewaltigt, geschunden oder zu Morden aufgefordert werden, die nach Hilfe schreien. Ein stummer Schrei nach Hoffnung, nach Teilhabe und Liebe. Bleibt er in unserer globalen Welt, die Menschen als Ressource beschreibt, ungehört? Haben wir den Mut, auch die Ursachen klar zu benennen? Können wir es ändern? Haben wir die Kraft und die Macht dazu? In circa 19 Ländern der Welt gibt es Kindersoldaten, zum Beispiel in Mali, Nigeria, Sudan, Somalia, Libanon, Libyen, Irak, Jemen, Afghanistan, Pakistan und Indien. Viele dieser Länder sind entwicklungspolitische Partner der Bundesregierung. Letztens haben wir über den Sudan gesprochen, wo Christenverfolgung und die Verletzung von Kinder- und Frauenrechten auf der Tagesordnung stehen. In diesen 19 Ländern dienen circa 250 000 Kinder in der Armee, teilweise entführt, teilweise von den Eltern abgegeben, um Geld zu verdienen oder um zumindest überhaupt etwas zu essen zu bekommen. Ein Kernaspekt ist Hunger. Circa 800 Millionen Menschen auf der Welt hungern, 780 Millionen in Entwicklungsländern. 161 Millionen Kinder unter fünf Jahren auf der Welt sind mangelernährt. Jedes Jahr sterben 6,3 Millionen Kinder an Hunger; in Deutschland hungern 500 000 Kinder. Es ist aber nicht nur der Hunger, der an ihren kleinen Leibern zehrt, es sind auch die Hände und andere Körperteile von erwachsenen perversen Menschen, die Hand an diese kleinen Seelen legen. ({0}) 15 Millionen Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren werden sexuell missbraucht, so wie in aller Regel Kindersoldaten auch. Wie viele sind das dann von 0 bis 18 Jahren? 30 Millionen? In Deutschland sind es pro Jahr 14 000 Mädchen zwischen 6 und 14 Jahren. Unter uns lebt 1 Million gefolterte und sexuell misshandelte Kinder – hier in Deutschland, mitten unter uns. 200 Millionen Mädchen und Frauen sind weltweit genitalverstümmelt. 3 Millionen Mädchen unter 15 Jahren kommen jährlich dazu. In Deutschland sind es mittlerweile 70 000 Kinder und Frauen; das ist ein Anstieg von 44 Prozent im Vergleich zu 2016. Importieren und ertragen wir diese Perversion? Wo ist hier der Aufschrei der Gesellschaft? 15 Millionen Kinder werden zwangsverheiratet, versprochen oder verkauft, verheiratet mit Menschen, die ihre Eltern oder ihre Großeltern sein könnten. 13 Millionen Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren werden weltweit jährlich schwanger. In Deutschland leben derzeit 2 000 verheiratete Minderjährige, Tendenz steigend. Um die Lebensqualität von Kindern zu beurteilen, gibt es Bewertungspunkte: Todesrate von Kindern unter fünf Jahren, Mangelernährung, Schulbesuch, Kinderarbeit, Kinderheirat, Schwangerschaft, Vertreibung von Kindern durch Konflikte und Kinder als Mordopfer. Deutschland belegt von 172 beurteilten Ländern den 10. Platz. Die oben aufgeführten Konfliktländer belegen die letzten Plätze. Kriege, Krisen, Katastrophen – die entwicklungspolitische Agenda Deutschlands muss umgedacht werden. Es muss mehr Teilhabe durch die Industrialisierung Afrikas stattfinden. ({1}) Es braucht mehr Bildung und mehr Arbeitsplätze. Es muss mehr Afrika für Afrika bleiben, gerade auch im Bereich der Rohstoffe. Es muss Schluss sein mit Ausbeutung, Machtspielereien und einer fehlgeleiteten Entwicklungshilfe. ({2}) Die Bevölkerungsentwicklung muss gebremst werden. Wichtig ist vor allem, die aufgezeigten Punkte kritisch im Kontext zu Kultur, zu den Werten einer Gemeinschaft und zum Glauben zu erörtern. Wollen wir Kinder schützen, bedeutet das im Klartext auch und gerade hier in unserer Wertekultur und Glaubensgemeinschaft: Genitalverstümmelungen und Kinderehen sind in Deutschland keine kulturellen Eigenarten, sondern verstoßen gegen das Grundgesetz. Schluss mit falsch verstandener Toleranz; denn die rettet keine Kinderseelen. Danke. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Nächster Redner ist Florian Post für die SPD-Fraktion. ({0})

Florian Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt niemanden hier im Hause, der nicht der Aussage zustimmen würde, dass der Antrag der Linken ein sehr wichtiges und ernstzunehmendes Thema behandelt. Es ist eines der verabscheuungswürdigsten Verbrechen, Kinder in Kriegen, in kriegerischen Auseinandersetzungen als Kindersoldaten einzusetzen und zu missbrauchen; da sind wir uns alle einig. Die Bundesregierung engagiert sich aktiv im Kampf gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten. Wir machen das auf der Grundlage verschiedenster internationaler Abkommen; beispielhaft seien hier die Pariser Prinzipien und die Pariser Verpflichtungen aus dem Jahre 2007 genannt. Dort gibt es eine sehr weit gefasste Definition des Begriffs „Kindersoldaten“. So dürfen Kinder explizit auch nicht als Spione, nicht als Träger, nicht als Köche, auch nicht als Nachrichtenübermittler eingesetzt werden. Die Bundesregierung unterstützt ganz konkrete Programme, beispielsweise dazu, wie man die Widerstandsfähigkeit von Kindern gegen Extremismus und Gewaltanwendung fördern kann, wie man auch ehemaligen Kindersoldaten den Weg ebnet, zu ihren Familien und in ein ziviles Leben zurückzufinden. Derzeit gibt es beispielsweise in Kamerun ein Projekt. In Kamerun sind, wie bekannt, Gruppen wie Boko Haram aktiv, die die hohe Jugendarbeitslosigkeit ausnutzen, um junge Menschen zu rekrutieren für ihre kriegerischen und verbrecherischen Zwecke. Dort finanziert das BMZ den sogenannten zivilen Friedensdienst, der Jugendliche dazu befähigt, aktiv an der Friedensgestaltung mitzuwirken und quasi dazu anleitet, Demokratie zu lernen und für ihre Interessen auf friedlichem, demokratischem und parlamentarischem Wege einzutreten. In der Demokratischen Republik Kongo – auch beispielhaft genannt – läuft noch bis 2023 ein Projekt, das den Fokus auf die soziale und wirtschaftliche Integration von ehemaligen Kindersoldaten legt. Dort werden Bildungsaktivitäten durchgeführt, und es geht wiederum auch um die Zusammenführung von ehemaligen Kindersoldaten mit ihren Familien. Der Antrag der Linken – das habe ich schon gesagt –, benennt ein wichtiges Thema, dessen Aktualität leider, leider wahrscheinlich auch in naher Zukunft nicht abnehmen wird. Um die Worte der Antragstellenden aufzunehmen: Die Bundesregierung ächtet nicht nur die Rekrutierung und den Einsatz von Minderjährigen in bewaffneten Konflikten, sondern geht heute schon aktiv dagegen vor. Ich habe einige Beispiele genannt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Florian Post. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Till Mansmann. ({0})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Das grundsätzliche Anliegen, das die Fraktion der Linken hier eingebracht hat, ist wichtig und, wenn wir bei der Sache bleiben, auch richtig. Zu Recht hat UN-Generalsekretär António Guterres die Liste der Länder, in denen Kinder zur Ausübung militärischer Gewalt gezwungen werden, eine „Liste der Schande“ genannt. Deutschland steht nicht auf dieser Liste. Und da sind wir schon bei einem Kernpunkt Ihres Antrags: Leider verfestigt sich das Gefühl, dass es Ihnen nicht allein um die Kinder in Krisengebieten geht, sondern um ein ganz anderes innenpolitisches Anliegen: um das Asylrecht zum Beispiel oder eben um die Bundeswehr. Damit schießen Sie über das Ziel hinaus. ({0}) Die Funktionalität unserer Bundeswehr hat ausdrücklich Verfassungsrang. Trotz dessen steht sie auch im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft sowie sozialen und staatlichen Arbeitgebern. Gerade wir wollen doch, dass diese Bundeswehr zu jeder Zeit, auch in der Zukunft, in aller Breite in der Gesellschaft verankert ist. Der Vergleich, den Sie hier nahelegen, ist, finde ich, geschmacklos und ein Affront gegen alle Menschen in Deutschland, die sich für den Dienst zur Durchsetzung staatlicher Gewalt verpflichtet haben, nicht nur in der Bundeswehr, auch bei Polizei und Zoll. ({1}) Es wäre ja fast schön, wenn Sie hier Äpfel mit Birnen vergleichen würden, aber Sie wiegen hier Süßkirschen gegen Tollkirschen auf. Bei der internationalen Ächtung von Kindersoldaten geht es ausdrücklich darum, Kinder aus bewaffneten Konflikten herauszuhalten. Das ist in Deutschland definitiv und mit sauberen Regelungen ausgeschlossen, dafür sorgt unser freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat. Wer seinen jungen Leuten zutraut, mit 16 Jahren ein Landesparlament zu wählen, wie gerade jüngst in Hamburg, der kann ihnen mit 17 Jahren doch auch zutrauen, eine selbstbestimmte Entscheidung über eine Ausbildung zu einem komplexen Beruf zu treffen. Junge Menschen dürfen in Deutschland ab 14 Jahren in religiösen Fragen selbst bestimmen, mit 16 Jahren ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten in die Organspende einwilligen oder ihr Testament verfassen. Das wollen wir auch bei der Berufswahl so machen. Natürlich können wir an geeigneter Stelle über die richtigen Altersgrenzen sprechen. Solche Grenzen zu diskutieren und zu setzen, ist eine wichtige Aufgabe der Meinungs- und schließlich auch Rechtsbildung. Der hier angekoppelte Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen vertritt nicht in allen Punkten die Position, die wir Freie Demokraten vertreten, hält aber in der Sache das Maß, das der Antrag der Linken hier vermissen lässt. Im Kern geht es um das Unrecht, das weit über 200 000 Kindern in mindestens 19 Staaten weltweit geschieht; denn dort werden Kinder als Soldaten in bewaffnete Konflikte geschickt. Bitte verwässern Sie diese unglaublich traurige und wichtige Frage nicht mit falsch gesetzten Punkten in der innenpolitischen Diskussion. Deswegen werden wir diesen Antrag ablehnen. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Mansmann. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Helin Evrim Sommer. ({0})

Helin Evrim Sommer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004897, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Viele von Ihnen haben am 12. Februar an Plakataktionen teilgenommen. Auf den Plakaten waren rote Hände zu sehen. Worum geht es dabei? An diesem Tag wird an das Schicksal der Kindersoldaten erinnert. Ich denke, wir sind uns fraktionsübergreifend – ich meine natürlich alle Demokratinnen und Demokraten – einig: Kinder dürfen keine Soldaten sein. ({0}) Der ungeheuerliche Missbrauch von Kindern für militärische Zwecke muss beendet werden. Aber Abscheu und Empörung allein reichen hier nicht aus. ({1}) Nach Angaben der Vereinten Nationen werden aktuell in mindestens 19 Staaten bis zu 300 000 Kinder als Soldaten in bewaffneten Konflikten eingesetzt. Ob in Syrien, Nigeria oder Somalia: Islamistische Terrorbanden wie Boko Haram, al-Schabab oder auch der „Islamische Staat“ ({2}) morden mit Kinderhänden oder benutzen Kinder für Selbstmordattentate. Ja, was können wir tun? Ein Ansatzpunkt ist, die Asylverfahren zu verbessern. Wir müssen in den Fluchtbiografien den möglichen Hintergrund eines Einsatzes als Kindersoldat erkennen. Erst dann gibt es die Chance auf Therapie und Unterstützung. ({3}) Die Hauptursachen liegen selbstverständlich in den Herkunftsländern. Wir haben folgende Vorschläge für die Bundesregierung: Erstens. Machen Sie die Demobilisierung und soziale Wiedereingliederung von ehemaligen Kindersoldaten zu einem Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit. Ehemalige Kindersoldaten müssen die Chance bekommen, einen Schulabschluss nachzuholen und eine berufliche Ausbildung zu beginnen. Lassen Sie uns den UNICEF-Fonds „Education Cannot Wait“ stärker unterstützen, um mehr Bildungsangebote für Kinder zur Verfügung zu stellen. Zweitens. Beenden Sie die militärische Zusammenarbeit mit den Staaten, in denen Kindersoldaten für die Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen rekrutiert werden. Drittens – eigentlich selbstverständlich –: Verbieten Sie die Exporte von Kleinwaffen dorthin, wo Kinder in bewaffneten Konflikten eingesetzt werden. ({4}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen insbesondere von den Regierungsfraktionen, zum Schluss möchte ich noch etwas klarstellen – Herr Mansmann hat es hier angesprochen –: Niemand von uns behauptet, dass 17‑jährige Jugendliche, die freiwillig zur Bundeswehr gehen, um dort eine Ausbildung zu beginnen, Kindersoldaten seien. Hören Sie auf, falsche Behauptungen aufzustellen. ({5}) Wenn Sie das immer wieder behaupten, wird es nicht richtiger. ({6}) Allerdings hat die UN-Kinderrechtskonvention festgelegt, dass alle unter 18 formal als Kinder gelten. Wenn Ihnen das nicht gefällt, dann beschweren Sie sich doch bei der UNO. ({7}) Lassen Sie uns stattdessen das Gemeinsame in den Vordergrund rücken: ({8}) In die Hände der Kinder gehört keine Pistole, sondern ein Spielzeug oder ein Bleistift. In diesem Sinne: Stimmen Sie unserem Antrag zu. Vielen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Helin Evrim Sommer. – Nächster Redner: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kai Gehring. ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor über 30 Jahren wurde die UN-Kinderrechtskonvention beschlossen. Dies war ein Meilenstein zur weltweiten Durchsetzung der Menschenrechte für die verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Denn Kinderrechte sind Menschenrechte, und sie müssen universell, unveräußerlich und unteilbar gelten. ({0}) Die Schattenseite ist nach wie vor, dass es schwere Kinderrechtsverletzungen gibt und dass selbst die schwersten Kinderrechtsverletzungen keine Konsequenzen haben. Damit sich das ändert, muss die internationale Menschenrechtsarchitektur gestärkt werden und sie muss kindgerecht gestaltet werden, und die Straflosigkeit der Täter muss endlich beendet werden. ({1}) Die Arbeit von Kinderrechtsverteidigerinnen und ‑verteidigern braucht weltweit deutlich mehr Unterstützung, auch durch unsere Außenpolitik. Und wer Kindersoldaten einsetzt, muss öffentlich benannt und sanktioniert werden. ({2}) Über 250 000 Kinder und Jugendliche werden weltweit als Soldatinnen und Soldaten missbraucht. Sie werden entführt, brutal misshandelt, sexuell missbraucht, unter Drogen gesetzt, militärisch gedrillt. Das sind ganz furchtbare Schicksale. Sie sind Zeugen von Gewalt und begehen selbst oft schlimmste Gewalttaten; sie sind aber vor allem Opfer und brauchen deshalb besonderen Schutz, sie brauchen Hilfe, und sie brauchen vor allem Traumatatherapie, weil sie für ein Leben lang traumatisiert sind. ({3}) Diese traurigen Schicksale müssen auch in Asylverfahren berücksichtigt werden. ({4}) Was fordern wir? Es darf keine Waffenexporte in Länder geben, in denen Kinder als Soldaten und Soldatinnen eingesetzt werden. ({5}) Kinderschutz muss integraler Bestandteil der Ausbildung deutscher Friedensmissionen sein. Konkrete Hilfe leisten Programme zur Wiedereingliederung der Betroffenen. Diese müssen bedarfsgerecht ausgebaut werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Beim diesjährigen „Red Hand Day“ wurde zu Recht an das Schicksal von Mädchen als Kindersoldatinnen erinnert. Die Bundesregierung muss sich ganz gezielt gegen die Rekrutierung von Mädchen als Kämpferinnen und militärische Hilfskräfte engagieren. Die Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen müssen ihren roten Händen auch wirklich Taten folgen lassen und Rüstungsexporte stoppen, sonst bleiben all die schönen Social-Media-Fotos wohlfeil und folgenlos. ({6}) Deutschland braucht eine glaubwürdige Kinderrechtsstrategie auch im Inland, und zwar in allen Politikbereichen. Dazu gehört auch, dass die Bundeswehr keine Minderjährigen rekrutiert. ({7}) Eine klare Regelung stärkt Deutschlands Glaubwürdigkeit in der Welt. Deshalb fordern auch wir eine verbindliche Altersgrenze von 18 Jahren. ({8}) Wobei es selbstverständlich skandalös wäre, das Leid der Kindersoldaten in einzelnen Regionen Afrikas mit der Schutzaltersgrenze hierzulande gleichzusetzen. Aber wir müssen Vorbild in der Welt sein und uns an die UN-Kinderrechtskonvention eben auch selber halten. ({9}) Gerade weil Deutschland dem UN-Sicherheitsrat und dem UN-Menschenrechtsrat angehört und wir auch noch bald die EU-Ratspräsidentschaft innehaben, müssen wir als Bundesrepublik Deutschland diese Trias nutzen, Kinderrechte stärker zu verankern, damit wir nicht nur Jubiläen der Kinderrechtskonvention feiern, sondern uns jedes einzelne Kinderschicksal auch wirklich zum Handeln auffordert und wir politisch konsequent handeln. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kai Gehring. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Wolfgang Stefinger. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Kindersoldaten sprechen, dann sprechen wir über Kinder, die häufig unter Drogeneinfluss gefügig gemacht wurden, die zwangsrekrutiert wurden zum Dienst an der Waffe, die oftmals vergewaltigt werden, seelisches Leid erfahren, die im Einsatz verstümmelt werden oder gar getötet. Wir sind uns einig, dass es ein Ende dieser Grausamkeit braucht. Das ist ein wichtiges Anliegen der Unionsfraktion, und das ist ein wichtiges Anliegen der von den Koalitionsfraktionen getragenen Bundesregierung. Diese Haltung kommt auch klar in unserer Menschenrechtspolitik zum Ausdruck. Wir sind klar gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten. Wir sind klar gegen den Missbrauch von Minderjährigen zu militärischen Zwecken. Wir sind klar gegen die Versklavung, und wir sind auch klar gegen jegliche Form der sexuellen Unterdrückung. In den betroffenen Ländern ist das Entwicklungsministerium bereits mit Maßnahmen aktiv, auch mit Maßnahmen – es ist schon angesprochen worden – zur Reintegration und zur psychosozialen Betreuung von betroffenen Kindern. Und selbstverständlich kann immer noch mehr getan werden. Das ist bei allen Themen so, dass ich immer noch mehr tun und fordern könnte. Wir sind aber mit unseren Maßnahmen – das darf ich ganz deutlich sagen – sehr vorbildhaft unterwegs, und das haben auch Sie von den Linken in der Ausschussberatung zugegeben. ({0}) Frau Sommer, Sie haben hier gerade gesagt, jegliche Verbindung zur Bundeswehr sei abstrus. Dann muss ich Sie aber fragen: Warum erwähnen Sie das dann in Ihrem Antrag? ({1}) Lesen Sie doch Ihren Antrag. Dann sehen Sie die Verbindung, die Sie zur Bundeswehr hergestellt haben. ({2}) Die Ausbildung von 17-Jährigen bei der Bundeswehr, von denen die meisten im Übrigen innerhalb der ersten sechs Monate volljährig werden, hat nichts mit Zwangsrekrutierung von Terrormilizen wie dem „Islamischen Staat“ zu tun. ({3}) Wenn Sie diese Meinung nicht teilen, hat das in Ihrem Antrag auch nichts zu suchen. ({4}) Ich darf Ihnen eines sagen: Ich war im Irak. Ich habe die Verwüstung durch den „Islamischen Staat“ gesehen. Ich habe Menschen gesehen, denen durch die Sprengfallen des „Islamischen Staats“ Arme oder Beine abgerissen wurden. Diese heimtückische und niederträchtige Terrormiliz hat mit Streitkräften demokratischer Staaten überhaupt nichts zu tun. ({5}) Falls es Ihnen nicht bekannt sein sollte: 17-jährige Rekruten der Bundeswehr nehmen weder an Auslandseinsätzen teil, noch leisten sie einen Dienst, bei dem der Einsatz der Waffe möglich werden könnte. Im Übrigen sind sie freiwillig bei der Bundeswehr, zum Teil auch mit dem Einverständnis der Eltern. Zur Erinnerung: Kindersoldaten werden gezwungen, zum Teil auch unter Drogen gesetzt. Noch etwas zum Antrag der Linken. Ihre Forderung, keine Zusammenarbeit mehr mit Ländern durchzuführen, die Minderjährige – nicht „Kindersoldaten“ steht in Ihrem Antrag, sondern „Minderjährige“; lesen Sie ihn einmal – fürs Militär ausbilden, würde bedeuten, dass wir mit der NATO nicht mehr zusammenarbeiten könnten, ({6}) weil Großbritannien, Frankreich, die USA und viele andere Länder dieselbe Regel haben wie wir, nämlich dass man mit 17 bereits zur Ausbildung gehen kann. Von einer Zusammenarbeit mit anderen EU-Ländern möchte ich gar nicht sprechen. Festzuhalten ist: Allen in diesem Haus, die von irgendeiner Form von Rot-Rot-Grün, von mehr Verantwortung der Linken träumen, sei gesagt: Die Linke gefährdet nicht nur den Zusammenhalt in diesem Land, wie wir seit der Veranstaltung gestern wissen, sondern auch die Sicherheit Deutschlands in höchstem Maße. Deshalb lehnen wir ihren Antrag ab. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte: Dr. Fritz Felgentreu für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Stefinger, am Schluss haben Sie doch ein bisschen mit Kanonen auf Spatzen geschossen, würde ich sagen, obwohl ich Ihnen im Grunde recht geben würde. Dadurch, dass dieser kleine Absatz zur Ausbildung von Minderjährigen in der Bundeswehr Eingang in diesen Antrag gefunden hat, wird natürlich ein gedanklicher Zusammenhang hergestellt, der einfach nicht angemessen ist; denn die Ausbildung von Minderjährigen in der Bundeswehr steht sogar im Einklang mit der bzw. ist kein rechtlicher Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention. Wir halten uns hier in Deutschland selbstverständlich an internationales Recht. Das gilt auch für die Ausbildung von Minderjährigen in der Bundeswehr. ({0}) Nichtsdestotrotz würde ich mich dem Grundanliegen, das die Linke an dieser Stelle formuliert hat, anschließen. Auch wir in der SPD finden es vom Grundsatz her nicht richtig – das entspricht auch nicht dem Geist der UN-Kinderrechtskonvention –, dass wir Minderjährige an der Waffe, als Soldaten ausbilden. Wir sind der Auffassung: Das sollten Volljährige tun. Gleichzeitig möchte ich der FDP recht geben, ({1}) um heute ganz versöhnlich eine breite Brücke zu schlagen: Wir wollen die Berufsfreiheit auch dieser jungen Leute nicht einschränken. Wir als SPD wollen motivierte und geeignete junge Leute, Männer und Frauen, die zur Bundeswehr wollen, nicht wegschicken, sondern für die Bundeswehr gewinnen. ({2}) Deswegen, lieber Koalitionspartner, haben wir in den Koalitionsverhandlungen vorgeschlagen: Lassen Sie uns doch diese Leute einstellen, aber für einen modularisierten zivilen Vorbereitungsdienst. Das sind maximal neun Monate, bei den meisten werden es nur sechs oder drei Monate sein. Die Zeit können wir nutzen, um den jungen Leuten als zivilen Beschäftigten der Bundeswehr Dinge beizubringen, die sie später als Soldaten gebrauchen können: eine Sportausbildung, damit sie alle fit sind, wenn sie Rekruten werden; NATO-Englisch; sie können einen Führerschein machen; sie können sich schon mal mit politischer Bildung und den Rechtsfragen beschäftigen, die für den Soldatenberuf wichtig sind. Das machen sie in dieser Zeit, bis sie dann volljährig sind, und dann unterschreiben sie noch mal, und dann gehen sie als Rekruten in die Truppe und können die Uniform anziehen. Das finden wir ein besseres Modell. ({3}) Dadurch halten wir uns an „straight 18“, so, wie es die Kinderrechtsorganisationen in Deutschland fordern. Wir bekommen dafür viel Rückenwind und Unterstützung. Lieber Koalitionspartner, geben Sie sich einen Ruck! Wir haben noch Zeit, wir können die entsprechenden Reformen machen. Dann haben wir das alles saubergezogen hier, und dann gibt es auch keine Klagen mehr von ganz links. Danke schön. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Felgentreu. – Damit schließe ich die Aussprache.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja ein eher etwas ungewöhnlicher Moment, wenn ein Außenminister ein Gesetz in den Deutschen Bundestag einbringt. Aber da ich ja mal Justizminister war und mich an 95 Gesetze in der letzten Legislaturperiode erinnere, die ich hier eingebracht habe, können Sie sich darauf verlassen, dass wir uns auch bei diesem Gesetz außerordentlich viel Mühe gegeben haben, dafür zu sorgen, dass es eine gute Grundlage ist für das, was wir aufbauen wollen, nämlich eine nachgeordnete Behörde des Auswärtigen Dienstes. Meine Damen und Herren, die Welt hat sich in den letzten Jahren rasant verändert; ich brauche das hier nicht groß zu erläutern. Das hat aber vor allen Dingen auch die Dynamik des außenpolitischen Geschäftes maßgeblich beeinflusst. Wir müssen darauf reagieren. Ich will das mal an drei Schlaglichtern deutlich machen. Erstens. Wir haben in der letzten Legislaturperiode ein Politikfeld ausgebaut – ich würde sogar sagen: in Bereichen neu eröffnet –, das ist die Stabilisierung. Wir machen Außenpolitik mit Mitteln, die der Bundestag uns bewilligt hat für die humanitäre Hilfe oder für die Auswärtige Kulturpolitik und die sich innerhalb weniger Jahre vervielfacht haben. Das ist eine gute Entwicklung, für die wir außerordentlich dankbar sind. Das vergrößert auch die diplomatischen Gestaltungsspielräume, die wir damit haben. Wir müssen diesen Veränderungen und dieser Entwicklung aber auch in unserer Aufstellung Rechnung tragen. Wir brauchen für bestimmte Arbeiten, die wir heute im diplomatischen Dienst erledigen müssen, einen Pool an Spezialisten, die große Finanzvolumina managen können und dabei das notwendige politische Gespür, aber auch die dafür erforderliche Haushaltexpertise mitbringen. ({0}) Zweitens: unser Visageschäft. Auch das Visageschäft hat sich grundlegend verändert. Das hat natürlich ganz wesentlich damit zu tun, dass sich das Aufkommen an Visaanträgen in wenigen Jahren vervielfacht hat. Heute sind wir mit Hunderttausenden von Anträgen jährlich konfrontiert, und das ist erst der Anfang. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist vor wenigen Tagen in Kraft getreten, und es wird ein wichtiger Bestandteil einer zeitgemäßen Migrationspolitik sein. Aber es wird eben auch ganz neue Anforderungen an uns und unsere Auslandsvertretungen stellen. Diesen Anforderungen werden wir mit unseren althergebrachten Visastellen an den Botschaften alleine eben nicht mehr gerecht. Was wir brauchen, ist eine Art Visa-Backoffice, also ein Team von Experten, das von Berlin aus dort flexibel unterstützt, wo eine Handvoll Konsularbeamte alleine überhaupt keine Chance mehr haben, das Aufkommen, vor dem sie stehen, auch wirklich in angemessener Zeit bewältigen zu können. Der dritte Punkt ist die Digitalisierung. Die Digitalisierung verändert auch die Diplomatie – wie sie alle Lebensbereiche von Grund auf verändert. Auf all diese fundamentalen Veränderungen, die sich in den letzten Jahren ergeben haben, müssen wir auch nach 150 Jahren Auswärtiges Amt mit einem neuen Organisationskonzept reagieren, und ein wichtiger Teil unserer Antwort auf all diese Entwicklungen ist das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, das wir mit diesem Gesetzentwurf gründen wollen. ({1}) Wir halten das aus zwei Gründen für richtig und für genauso wichtig, das jetzt auf den Weg zu bringen. Erstens. Es wird unsere Arbeit an vielen Stellen effizienter machen. Das Auswärtige Amt – und das wissen Sie – lebt aus guten Gründen von der Rotation, und das soll auch so bleiben. Aber in den genannten Bereichen brauchen wir echte Experten, die ihr Spezialgebiet beherrschen und die das auch dauerhaft zur Anwendung bringen können: das Kleingedruckte des Zuwendungsrechtes, die Feinheiten des Ausländerrechtes oder auch die Besonderheiten unserer Verwaltung mit ständigem Auslandsbezug. Diese Abläufe müssen wir in Zukunft effektivieren, und sie dürfen deshalb auch nicht von häufigen Personalwechseln betroffen sein, die sich aus der Rotation nun einmal ergeben. Dadurch würde nämlich die Expertise unterbrochen werden. Es müsste permanent neues Personal eingearbeitet werden, und wenn es eingearbeitet ist, schlägt die Rotation zu, und jemand wird ins Ausland versetzt. ({2}) Das wollen wir ändern – im Übrigen auch im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dafür brauchen wir Profis und Spezialisten mit politischem Gespür, mit Auslands- und Fremdsprachenkompetenz und mit einem nicht unerheblichen Teil an Haushaltsexpertise. Solche Spezialisten werden wir – und das will ich hier auch deutlich sagen – nur mit einer entsprechenden Aufbauzulage gewinnen, die wir deshalb auch vorgesehen haben. Zweitens. Die neue Struktur wird es uns auch erlauben, unsere Arbeit viel stärker auf das außenpolitische Kerngeschäft zu konzentrieren. Wir erleben das zurzeit etwa bei dem, was wir mit dem Berliner Prozess mit Blick auf Libyen auf die Beine gestellt haben, bei unserer EU-Ratspräsidentschaft, die in der zweiten Hälfte dieses Jahres bevorsteht, bei den zwei Jahren, die wir im Sicherheitsrat sind und die extrem viel Arbeit verursachen, dabei, dass wir als Bundesrepublik zusammen mit Frankreich im Normandie-Format versuchen, eine Lösung für den Konflikt in der Ostukraine zu finden, und bei dem, worüber wir eben hier gesprochen haben, nämlich bei den Aufgaben und Erwartungen im Zusammenhang mit dem innerafghanischen Friedensprozess. Auch dafür schaffen wir Freiräume, und wir machen den Weg dafür frei, dass diejenigen, die dafür zuständig sind, sich darauf konzentrieren können und zunehmend – und zwar quer durch die Bandbreite des Auswärtigen Dienstes – von fachfremden Arbeiten entlastet werden. ({3}) Meine Damen und Herren, dabei wird es im Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten nicht rein technisch zugehen. Es wird Freiräume im Auswärtigen Amt neben dem politischen Kerngeschäft schaffen, zum Beispiel, um sich Konzepte zur Stabilisierung in Mali zu überlegen. Die Abrechnung der Hilfsgüter muss dann nicht mehr durch die zuständigen Beamten der Fachabteilung durchgeführt werden, sondern dies kann im Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten geleistet werden. Auch da stellen wir eine Vielzahl von Effekten in Aussicht, die die Effektivität des gesamten Auswärtigen Dienstes verbessern werden. Meine Damen und Herren, wir sind auf diese Veränderungen gut vorbereitet. In den letzten Monaten haben wir mehr als 100 Workshops durchgeführt, um Aufgaben und Prozesse zu analysieren, zu vereinfachen und in politische Aufgaben und Verwaltungsaufgaben zu trennen, und natürlich, um unsere Beschäftigten auch mitzunehmen in diesem Prozess. All diese Workshops sind sehr konstruktiv und erfolgreich über die Bühne gegangen. Wir arbeiten an einer Organisationsstruktur für das Bundesamt, die wir dann an ihren Effizienzsteigerungen messen werden, auch gegenüber dem Deutschen Bundestag. Bei all dem liegen wir im Zeitplan – auch das ist nicht selbstverständlich in der öffentlichen Verwaltung –, damit das Bundesamt am 1. Januar des nächsten Jahres in Brandenburg an der Havel und in Berlin seine Aufgaben aufnehmen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in seinem 151. Jahr muss das Auswärtige Amt seine Reformfähigkeit in dieser Beziehung unter Beweis stellen. Das neue Bundesamt soll dazu einen entscheidenden Beitrag leisten als die zentrale Serviceeinrichtung für die deutsche Außenpolitik, die nicht nur dem Auswärtigen Amt und seinen Auslandsvertretungen, sondern der gesamten Bundesverwaltung und vor allem unseren Bürgerinnen und Bürgern gute Dienste leistet. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Redner hat das Wort Dr. Anton Friesen, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Anton Friesen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004720, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Bürger! Mit der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Einrichtung eines Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten stellen sich diese Bundesregierung und dieses Auswärtige Amt selbst ein vernichtendes Zeugnis aus. Wäre Heiko Maas ein Schüler, er würde in Effektivität und strategischer Planung eine glatte Fünf, in Steuergeldverschwendung dagegen eine Eins bekommen. ({0}) Letzteres scheint nämlich seine Kernkompetenz zu sein. Der Bundesrechnungshof hat bereits in einem Bericht von 2018 angemerkt, dass das Auswärtige Amt, so wortwörtlich, „den steigenden Anforderungen an eine wirtschaftliche und ordnungsgemäße Gewährung von Zuwendungen derzeit nicht gewachsen“ ist. Verwendungsnachweise in Höhe von fast 2,5 Milliarden Euro wurden weder vom Auswärtigen Amt selbst noch von anderen hinreichend geprüft. Das Gleiche stellt auch der Bundesrechnungshof für das Jahr 2019 fest. Wie konnte es so weit kommen? Warum ist das so? ({1}) Weil das Auswärtige Amt massiv die Ausgaben für sogenannte Krisenprävention und humanitäre Hilfe gesteigert hat, von 120 Millionen Euro tatsächlicher Ausgaben 2012 auf geplante über 2 Milliarden Euro in diesem Jahr. Das ist eine Steigerung um rund das Siebzehnfache. Beim Geldausgeben ist Heiko Maas in der Tat maßlos. ({2}) Nicht nur ist der Verwaltungsaufwand völlig aus dem Ruder gelaufen, es gibt auch etliche Beispiele von eklatanter Intransparenz und Steuergeldverschwendung. Anstatt sich dem Steuerzahler gegenüber zu rechtfertigen, stuft das Auswärtige Amt zahlreiche Ausgaben in der Projektförderung von sogenannten NGOs als Geheim ein. So geschehen kürzlich für Syrien und Venezuela, als die AfD entsprechende Daten von der Bundesregierung abgefragt hat. Da drängt sich doch der begründete Verdacht auf, dass die Bundesregierung klammheimlich am Steuerzahler vorbei Regime Change betreibt. ({3}) Anstatt den ohne Sinn und Verstand geförderten NGO-Sumpf endlich trockenzulegen, versucht Heiko Maas mit dem geplanten neuen Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, diesen Sumpf besser zu verwalten. ({4}) Die Einzigen, die sich darüber freuen, sind die Frösche selbst. Die NGOs quaken gerne laut. Anstatt jedoch diesem Quaken wie einem Sirenenruf zu folgen, sollte Heiko Maas dem Steuerzahler endlich offenlegen, wer wofür und in welchem Zeitraum deutsches Steuergeld erhalten hat und wie diese steuerverschwendende Förderung dieses grünen Sumpfs sofort abgestellt werden kann. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Jürgen Hardt. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mich gerne sachlich mit dem Thema auseinandersetzen. ({0}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die Absicht des Auswärtigen Amtes, dieses Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten in Brandenburg zu errichten. Ich glaube, dass tatsächlich eine ganze Reihe von Aufgaben im Auswärtigen Amt mittlerweile überhandgenommen haben, die nicht der direkten Aufsicht durch den Bundesaußenminister bedürfen und die gut in einer Bundesoberbehörde wahrgenommen werden können; der Minister hat sie angesprochen. Insbesondere bei der Straffung und Verbesserung des Visaprozesses erhoffen wir uns deutliche Verbesserungen; denn wir müssen hier vorankommen. Wir werden das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht umsetzen können, wenn nicht auch auf der Seite der Konsularverwaltungen die Dinge effizienter gestaltet werden, wenn die Digitalisierung nicht stärker genutzt wird und wenn insgesamt das Auswärtige Amt nicht noch besser mit der Digitalisierung umgeht. Genau dafür bietet ein solches Amt die Kapazitäten. Es gibt allerdings ein paar Fragen im Zusammenhang mit diesem Amt, die ich gerne im Ausschuss diskutieren möchte. Ich finde zunächst den Titel „Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten“ auf den Straßenschildern in Brandenburg an der Havel ziemlich sperrig. Warum sagen wir nicht einfach „Bundesaußenamt“? Dann wissen wir Bescheid, worum es geht. Das passt dann auch aufs Türschild. ({1}) Das zweite Thema, das uns etwas argwöhnisch gemacht hat, ist die Frage der Dienstsitze dieses Amtes. Also, wir haben uns entschlossen, neue Bundesbehörden in den neuen Bundesländern anzusiedeln, um dort entsprechend die Durchdringung mit Bundesbehörden, mit öffentlichen Einrichtungen zu erhöhen. Das ist auch richtig. Deswegen stimme ich zu, dass das Amt nicht an den Bonner Dienstsitz des Auswärtigen Amtes nach Bonn kommt, was vielleicht auch naheliegend gewesen wäre, sondern dass es nach Brandenburg kommt. Doch es soll natürlich eine Behörde sein, in der Spezialisten effizient ihre Arbeit wahrnehmen; Spezialisten, die eben nicht mit einem Bein weiterhin im Auswärtigen Amt stehen, weil sie einmal für drei Jahre nicht auf einer Station im Ausland sind, sondern zum Arbeiten in ebendieses Bundesaußenamt geschickt werden, und die dann möglicherweise auf die Idee kommen könnten, am Montag und am Freitag an ihrem alten Schreibtisch am Werderschen Markt zu arbeiten und von Dienstag bis Donnerstag die 46 Minuten Fahrt im Regionalexpress 1 von Berlin Hauptbahnhof nach Brandenburg an der Havel zu pendeln. Wir würden uns also schon wünschen, dass die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen dieses Amtes so ist, dass diejenigen, die in dieses Amt versetzt werden und die dort ihre berufliche Zukunft sehen und auch ihren ganzen Enthusiasmus einbringen sollen, tatsächlich in Brandenburg und Umgebung ihren Wohnsitz nehmen, ihre Kinder dort zur Schule schicken, dort ihre Steuern zahlen und ihre Arbeit nicht von Berlin aus machen. Deswegen bin ich skeptisch, ob tatsächlich ein zweiter Dienstsitz für das Bundesamt in Berlin eingerichtet werden sollte. Ich meine, gerade auch angesichts der Nähe kann man es gut verkraften, dass man sagt: Wer im Außenamt arbeitet, arbeitet in Brandenburg. Wenn er dann zu Dienstgeschäften ins Ministerium muss, macht er dann eben mit dem Regionalexpress 1 eine Dienstreise, aber in die andere Richtung, nämlich von Brandenburg nach Berlin, und nicht umgekehrt. ({2}) Ich glaube, dass wir auch noch einen genauen Blick auf Besoldungsstrukturen und Stellenkegel werfen sollen. Zumindest sollte es uns ernsthaft interessieren, dass der Bundesrechnungshof hier einige Anmerkungen formuliert hat. Ich möchte an dieser Stelle nicht den Stab über bestimmte Dinge brechen, die im Gesetz stehen. Aber die Frage ist, ob und wie lange eine Aufbauhilfe geleistet werden muss. Sie haben gesagt: Man braucht das, um das Amt attraktiv zu machen, damit dort Leute die Arbeit übernehmen. – Ich glaube, die Arbeit im Auswärtigen Dienst in Deutschland ist so attraktiv, dass man das vielleicht etwas anders ausgestalten kann, als das der Fall ist. Wir legen auf jeden Fall Wert darauf, dass die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für dieses Amt mit dem konform geht, was auch bei anderen Bundesoberbehörden und in anderen Ministerien wichtig ist. Ich wünsche mir für die Bediensteten dieses zukünftigen Amtes, dass sie vielleicht dadurch, dass sie im Bundesamt schwerpunktmäßig mit den Aufgaben, die wir vorhin genannt haben, beschäftigt sind, auch Spaß und Enthusiasmus entwickeln, die Dinge wirklich langfristig anzupacken und perspektivisch besser zu machen. Ich habe die einzelnen Bereiche genannt: Abwicklung der humanitären Hilfe, der Stabilisierungsmittel und dessen, was wir im Auswärtigen Amt sofort brauchen, nämlich Digitalisierung des Auswärtigen Amtes und vor allem des Visaprozesses. Ich glaube, es kann sich in einem solchen Amt ein eigener Korpsgeist, ein eigenes Selbstbewusstsein entwickeln. Dafür ist es gut, wenn es in Brandenburg ist und bleibt und dort auch seine Arbeit verrichtet. Wir werden im Ausschuss darüber diskutieren und genau hinschauen. Lassen Sie mich als Nordrhein-Westfale einen letzten Satz zum Thema „Auswärtiges Amt Bonn/Berlin“ sagen. Es gibt einen Dienstsitz des Auswärtigen Amtes in Bonn. Das finde ich richtig und auch gut begründet; denn wir haben in Bonn tatsächlich eine ganze Reihe internationaler Institutionen ansiedeln können, UN-Institutionen und andere Institutionen. Die Zusammenarbeit mit diesen Strukturen wird natürlich dadurch erleichtert, dass das Auswärtige Amt einige wenige Hundert Mitarbeiter auch in Bonn beschäftigt. Von den insgesamt 12 000 Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes sind die meisten sowieso im Ausland. Im Übrigen gibt es einen großen Anteil sogenannter Ortskräfte in den jeweiligen Ländern, in denen wir Vertretungen haben. Der Anteil der Bonner ist sowieso nicht besonders groß. Ich finde, der darf ruhig bleiben. Herzlichen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Fraktion, das Wort. ({0})

Alexander Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004798, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich will zunächst einmal den Bundesaußenminister hier ausdrücklich loben. Meine Fraktion unterstützt sowohl Effizienz als auch Dezentralisierung. Ich selber bin von Beruf Angehöriger des Auswärtigen Dienstes. Ich habe zehn Jahre lang im Auswärtigen Amt gearbeitet, auch an einer Botschaft. Ich finde es genau richtig, dass die Diplomatinnen und Diplomaten von den nichtministeriellen Aufgaben entlastet werden. Die Schaffung eines Bundesamtes für Auswärtige Angelegenheiten ist ein guter und richtiger Schritt. ({0}) Meine Damen und Herren, wenn wir über Dezentralisierung reden, dann müssen wir schon darüber sprechen, wie man eine solche Dezentralisierung macht. Sie muss dann richtig gemacht werden. Dazu gehört auch, dass der Ort, an dem ein solches Amt angesiedelt werden soll, und die Aufgaben des Amtes zueinander passen. Hier ist in der Begründung des Auswärtigen Amtes, die uns zugesandt wurde, ausdrücklich die Rede von Auslandskompetenz und Fremdsprachenkenntnissen; diese sind erforderlich. Bei den Fremdsprachenkenntnissen reden wir nicht nur über Französisch und Englisch, sondern auch über Amharisch und Fulani. Wir reden über Arabisch und Paschtu. Meine Damen und Herren, Jürgen Hardt hat das eben gesagt: Wenn man sich die Alternativen Bonn, Brandenburg, Berlin anschaut, dann stellt man fest, dass Brandenburg die Stadt ist, wo wahrscheinlich der Personalpool für solche Sprachen eher am geringsten ist. In Bonn und Berlin haben wir sicherlich das eine oder andere, was man kritisieren kann. Nur eines kann man sicherlich nicht kritisieren: Das Profil der Bundesstadt Bonn als Nord-Süd-Zentrum der Bundesregierung mit dem BMZ, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, dem deutschen Sitz der Vereinten Nationen, dem Klimasekretariat der Vereinten Nationen, der Deutschen Welle mit ihren vielsprachigen Mitarbeitern ist als möglicher Dienstsitz wahrscheinlich besser geeignet als Brandenburg an der Havel. Ich will eines sagen: Zu Brandenburg an der Havel haben wir persönlich eine sehr enge, positive Beziehung. Nun hat Jürgen Hardt eben gesagt, die Menschen sollten dort wohnen und ihre Kinder zur Schule schicken. Ich habe heute im Schulamt der Stadt Brandenburg an der Havel angerufen, mit den Kollegen vor Ort gesprochen – sehr freundlich – und um Auskunft gebeten: Gibt es in Brandenburg an der Havel eine Schule, in der auf Englisch unterrichtet wird? Das ist nicht der Fall. Gibt es eine Schule, an der man das Internationale Baccalaureate, das IB, erwerben kann? Eine solche Schule gibt es dort nicht. Es wird genau das passieren, was Jürgen Hardt gesagt hat: Die Dezentralisierung, die uns der Bundesaußenminister vorschlägt, ist tatsächlich gar keine, weil natürlich alle morgens aus Berlin mit dem Regionalexpress nach Brandenburg pendeln werden. Deswegen lautet unser Vorschlag als Freie Demokraten: Überlegen wir doch einmal, ob wir nicht eine Stadt auswählen, deren Profil besser zu den Aufgaben dieser Behörde passt. Finden wir gemeinsam eine Bundesbehörde für Brandenburg an der Havel, von der die Stadt wirklich etwas hat, deren Mitarbeiter wirklich dort hinziehen, ihre Kinder dort zur Schule schicken und Steuern zahlen. Herzlichen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Kollege Graf Lambsdorff. – Mir fällt dazu nur ein: Was nicht ist, kann noch werden. Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kathrin Vogler für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Ja, das Auswärtige Amt verfügt bisher im nachgelagerten Bereich nur über das Deutsche Archäologische Institut mit ganz spezifischen Aufgaben. Darin unterscheidet sich dieses Ministerium von allen anderen. Das heißt auch, dass alle nichtministeriellen Aufgaben entweder im Ministerium selbst erledigt werden müssen und dort Kräfte binden, die dann auch noch durch die Rotation immer wieder ausgetauscht werden, oder dass sie eben an die nachgelagerten Behörden anderer Häuser abgegeben bzw. delegiert werden müssen, was zu deutlich erhöhtem Koordinierungsaufwand führt. Deswegen will die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf, den wir hier besprechen, dafür ein Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten schaffen. Dort soll man sich um die Infrastruktur und die interne Verwaltung, den Zuwendungsbereich und die Bearbeitung von Visaanträgen kümmern. Das ist auch sinnvoll. In der humanitären Hilfe, der zivilen Krisenprävention und der Auswärtigen Kulturpolitik steigen die Anforderungen. Deswegen begrüßt Die Linke, wenn diese Aufgaben künftig effizienter und qualifiziert in einer speziell eingerichteten Behörde bearbeitet werden können. ({0}) Dass es bei der Visabearbeitung immer wieder zu schlimmen Engpässen kommt, ist hinreichend bekannt. Das wurde von meiner Fraktion auch schon hinreichend häufig kritisiert. Insofern erhoffen wir uns von der Einrichtung des Bundesamts eine Beschleunigung der Verfahren. Dies ist ganz besonders im Familiennachzug dringend notwendig. ({1}) Schritte zur Auflösung des Bearbeitungsstaus bei den Visa wären im Übrigen mit politischem Willen auch ohne dieses Bundesamt möglich gewesen. Aber wenn jetzt endlich etwas passiert, dann sind wir natürlich dabei. Dennoch haben wir zwei kleine Punkte zum Nachdenken, zwei kritische Punkte: Erstens. Mit der Änderung des Aufenthaltsgesetzes wird jetzt die Möglichkeit ausgeweitet, zur Beantragung von Visa mit externen Dienstleistern zusammenzuarbeiten. Das bedeutet natürlich wieder einmal, dass hoheitliche Aufgaben an private Firmen mit Profitinteresse abgegeben werden. Ich frage mich, ob es nicht auch ohne diese Privatisierung möglich gewesen wäre, den Antragstellerinnen und Antragstellern die häufig kosten- und zeitintensiven Reisen zu entfernten Konsulaten zu ersparen. ({2}) Lassen Sie auch mich noch kurz über die Standortfrage reden. Wir begrüßen natürlich, dass das neue Bundesamt einen Standort in Ostdeutschland bekommen soll, in Brandenburg an der Havel. Wir als Linke hätten allerdings eine ostdeutsche Stadt in etwas größerer Entfernung zu Berlin noch besser gefunden, gerade um strukturschwache Räume durch die Ansiedlung so hochwertiger Arbeitsplätze und durch die Infrastruktur zu fördern. ({3}) Sie sehen schon: Trotz einiger Kritik halten wir das vorgelegte Gesetz insgesamt für eine gute Sache. Wir werden uns konstruktiv an der weiteren Erörterung beteiligen. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Omid Nouripour. ({0})

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind sehr viele Konflikte derzeit auf der Welt, und es gibt immer wieder den Ruf nach politischen Lösungen. In dieser Zeit ist es umso wichtiger, dass wir ein Auswärtiges Amt haben, das genug Ressourcen, genug Personal und genug Kapazitäten hat, um sich genau diesen politischen Lösungen zu widmen. Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen in den politischen Abteilungen an so unglaublich schwierigen Orten wie Bagdad oder Kabul arbeiten und wie dünn dort tatsächlich die Personaldecke ist, dann wird das umso deutlicher. Insofern kann ich erst recht nur meinen Dank an diese Leute aussprechen, an unsere Diplomatinnen und Diplomanten, die unter widrigsten Umständen und trotz riesigen Personalmangels seit Jahren genau an diesen politischen Lösungen arbeiten. ({0}) Wir fordern sehr lange schon eine Aufstockung des Personals im Auswärtigen Amt. Wir sind auch, ehrlich gesagt, ein wenig müde davon, dass immer, wenn über Konflikte auf der Welt gesprochen wird, sofort wie reflexartig die Frage nach 2 Prozent und danach kommt, wie viel man eigentlich für das Militär ausgibt, aber nie die Frage gestellt wird, wie hoch denn eigentlich die Ausgaben für Diplomatie, für Mediation und für Konfliktbearbeitung sein sollten. ({1}) Wir haben zahlreiche Anträge gestellt, die sowohl in dieser Legislaturperiode als auch in der vorherigen allesamt von der Großen Koalition einfach abgelehnt wurden. Deshalb freuen wir uns jetzt doch: Denn sie bewegt sich doch, die Führung des Auswärtigen Amtes. Die Einführung eines Hauses, in dem die Rotation nicht die größte Rolle spielt, sondern in dem diejenigen, die spezialisiert arbeiten, tatsächlich unterkommen, kann sehr großen Sinn machen und kann Entlastung für die politische Arbeit schaffen. Wenn jetzt dort tatsächlich die IT-Arbeit stärker erbracht wird, wenn jetzt die Visafragen dort besser behandelt werden, dann wäre das eine Entlastung für diejenigen, die bisher eigentlich an politischen Aufgaben arbeiten müssten, aber vielleicht einen Tag pro Woche damit verbringen müssen, dass sie jeweils ihre Rechner formatieren. Diese Klagen gibt es schon sehr lange. Deshalb sage ich es noch einmal: Die Einrichtung dieses Hauses ist an und für sich richtig. Dem werden wir auch zustimmen. ({2}) Dennoch gibt es Kritikpunkte bei der Errichtung dieses neuen Amtes, die wir sehr ernst nehmen, die wir auch selbst haben und denen wir selbstverständlich nachgehen werden. Wir wollen natürlich sehen, dass eine Aufgabenkritik erfolgt, die genauer ist als die, die wir bisher gesehen haben. Was genau das Amt machen soll, ist bisher sehr flexibel gehalten, um es nett zu sagen. Da hat der Rechnungshof tatsächlich einen sehr berechtigten Kritikpunkt angebracht. Es ist selbstverständlich notwendig, genau zu schauen, wie die Visabearbeitung dort verläuft. Kollegin Vogler hat zu Recht darauf hingewiesen, wie dramatisch die Visabearbeitungslage derzeit ist, und gefordert, dass wir dort sehr genau hinschauen sollen, damit da tatsächlich eine effiziente Entlastung erfolgt. Das ist richtig. Der Rechnungshof hat vollkommen recht, wenn er sagt, dass die Frage des Aufsetzens des IT-Systems, die Frage der IT-Sicherheit, an den Anfang gestellt werden muss und nicht erst später gestellt werden darf. Wir wissen in diesen Tagen, wie wichtig und wie zentral diese Aufgabe ist. Unter dem Strich: Gut, dass es dieses Amt geben wird. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen. Aber wir werden sehr genau darauf achten, dass auch die Details stimmen; denn von ihnen hängt ab, ob tatsächlich eine Entlastung für die politische Arbeit erfolgt. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz errichten wir zukünftig eine Bundesoberbehörde, ein Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, in Berlin und Brandenburg an der Havel. Die Idee dahinter ist bestechend, und sie ist richtig. Im Auswärtigen Amt werden im Augenblick ministerielle und nichtministerielle Aufgaben gleichermaßen wahrgenommen. Wenn man sich die Entwicklungen in der Welt ansieht und erkennt, dass es einen Bedarf an strategischer Einordnung, an einer Zunahme von internationalen Kontakten gibt, dann ist die Idee richtig, dass wir das Auswärtige Amt als Ministerium entlasten, die Verwaltungsaufgaben bündeln und sie in einer Bundesoberbehörde konzentrieren. Deswegen findet dieser grundsätzliche Ansatz unsere Zustimmung. Aber klar ist auch, dass diese Aufteilung dazu führen muss, dass die Zusammenarbeit zwischen Ministerium und Bundesoberbehörde reibungslos läuft. Es darf nicht sein, dass die Bundesoberbehörde zukünftig sich irgendwie im Schatten des Ministeriums sieht, sondern wir brauchen da eine klare Zusammenarbeit, um die gemeinsamen Ziele der Außen- und auch der Sicherheitspolitik zu erreichen. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, wenn die Fragen des Konsularwesens, des Visawesens in Brandenburg an der Havel konzentriert werden. Ich bitte aber auch, dass wir uns mit der Frage der Fremdsprachenkompetenz in der Tat klug befassen, weil wir auf der einen Seite nicht mit Zulagen, die berechtigt sind, Menschen, auch gut qualifizierte Beamte, in die Bundesoberbehörde locken wollen und auf der anderen Seite dann der Anreiz besteht, in Berlin zu bleiben. Also: Wenn man eine Behördenverlagerung, die ich richtig finde, nach Brandenburg an der Havel vornimmt, dann muss diese Behördenverlagerung auch tatsächlich erfolgen; sie darf nicht allein auf dem Papier passieren. Wichtig ist auch, dass die freien Kapazitäten im Auswärtigen Amt nicht allein bestehen bleiben, sondern wir insgesamt über die Frage diskutieren: Brauchen wir im Bereich der Visabearbeitung mehr Stellen? Wir können nicht ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschließen und mehr Verantwortung in der Welt übernehmen und das Ganze mit dem Stellenpool vonstattengehen lassen, den wir im Augenblick haben. Es ist gerade über den Bereich der humanitären Hilfe gesprochen worden; ich will das auch ansprechen. Es ist gesagt worden, der Aufwuchs der humanitären Hilfe von etwa 130 Millionen Euro auf über 2 Milliarden Euro in den letzten Jahren sei eine Steuergeldverschwendung. Das will ich hier im Deutschen Bundestag nicht so stehen lassen. ({0}) Es ist keine Steuergeldverschwendung, wenn wir den ärmsten Menschen der Welt helfen, wenn wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Ich will nicht, dass wir humanitäre Hilfe unter dem Gesichtspunkt der Steuergeldverschwendung diskutieren. ({1}) Deswegen: Lassen Sie uns klug überlegen, wie wir die Wertschätzung für die Beamtinnen und Beamten in dieser neuen Bundesoberbehörde gewährleisten können. Lassen Sie uns darüber sprechen, wie wir diese Behörde insgesamt aufsetzen. Ich glaube, es ist richtig, mit der IT-Sicherheit zu beginnen. Dann geht es darum, dass wir eine ganz reelle, effektive Entlastungsfunktion für unsere konsularischen Vertretungen in der Welt und gleichzeitig auch Freiraum schaffen und eine effektive und weiterhin auch überlegte Sicherheitspolitik von unserem Auswärtigen Amt in Berlin aus durchführen. In diesem Sinne hat dieser Gesetzentwurf viel Positives. Lassen Sie uns ihn gut begleiten. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ullrich. – Damit schließe ich die Aussprache.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was sich in diesen Tagen an der türkisch-griechischen Grenze abspielt, ist ein weiterer tragischer Tiefpunkt in der europäischen Flüchtlingspolitik. Sie alle haben die Bilder gesehen: Griechische Grenzschützer feuern mit Wurfgeschossen, Wasserwerfern, Tränengas und Blendgranaten auf Geflüchtete – an unserer Grenze. Ich bin mir sicher, dass es vielen Menschen in unserem Land genauso geht wie mir. Man schaut sich die Situation an, und man denkt: Jetzt endlich, jetzt endlich wird die Bundesregierung einschreiten. Jetzt endlich wird sie verstehen, wohin es führt, wenn man die Staaten an den Außengrenzen alleinlässt. Jetzt endlich wird sie sehen, wohin es führt, wenn man sich in dieser Form mit Erdogan einlässt. Sie wird sagen: Liebe Griechen, das ist unsere gemeinsame Grenze, es ist ein Bruch des Europarechts, des Völkerrechts, der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn man den Zugang zu Asyl aussetzt und schutzsuchende Menschen mit unverhältnismäßiger Gewalt beschießt und zurückdrängt. – Aber nein, sie hat all das nicht gesagt, obwohl es gerade, wenn wir von europäischen Werten reden, die einzig zulässige Antwort gewesen wäre. ({0}) Aber unsere Bundesregierung hat auch nicht geschwiegen. Sie treibt es sogar auf die Spitze. Genau wie Kommissionspräsidentin von der Leyen hat die Bundesregierung den griechischen Grenzschützern gedankt und ihnen zugesichert, sie bei diesem Vorgehen auch mit deutschen Polizisten zu unterstützen. ({1}) Sie hat es sogar überschrieben mit den Worten „Solidarität für Griechenland“. Das ist wirklich kaum zu glauben. Wissen Sie, was solidarisch wäre? Solidarisch wäre es, wenn man endlich einsehen würde, dass nicht die Staaten an der Außengrenze allein verantwortlich sind für die Geflüchteten, die in Europa ankommen. ({2}) Solidarisch wäre es, wenn man das Dublin-System überwindet, wenn man Griechenland bei der Aufnahme von Geflüchteten unterstützt. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben gleich die Chance, einen wichtigen Schritt dahin zu gehen. Denn wir Grüne haben einen Antrag eingebracht zur Aufnahme von 5 000 besonders schutzbedürftigen Menschen von den griechischen Inseln. ({4}) Die Lage für die über 60 000 Menschen in den europäischen Hotspots ist seit Jahren inakzeptabel. ({5}) Mittlerweile waren einige Kollegen vor Ort: Konstantin Kuhle, zuletzt Lars Castellucci. Sie alle haben gesehen, wovon wir hier reden. Wir reden hier von Frauen und Kindern, die schon den zweiten oder dritten Winter in Wurfzelten im Schlamm leben. Wir wissen von Ärzte ohne Grenzen, dass sie in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union Rattenbisse und Infektionen, wie sie sonst nur in Krisengebieten vorkommen, behandeln müssen und immer mehr Kinder mit Suizidgedanken antreffen. Das ist, was wir ändern müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar sofort. ({6}) Bitte hören Sie auf, sich ständig darauf zurückzuziehen, dass wir hier keinen nationalen Alleingang machen wollen. Dieses Argument ist spätestens seit ein paar Tagen nur noch peinlich, nämlich nachdem Sie uns Abgeordneten mitgeteilt haben, dass Sie demnächst 32 Millionen Euro an die türkische Küstenwache überweisen werden – 32 Millionen Euro im absoluten nationalen Alleingang, ({7}) an die türkische Küstenwache, die auf Ansage Erdogans gar keinen Grenzschutz mehr betreibt. ({8}) Meine Fraktion und ich fordern Sie mit Nachdruck auf: Setzen Sie die richtigen Prioritäten! Helfen Sie, Leid zu mindern, Menschenleben zu retten! Gehen Sie diesen Schritt! Zeigen Sie anderen europäischen Staaten, dass Humanität keine Frage der Kondition ist, sondern eine Frage des politischen Willens. ({9}) Wir legen Ihnen hier einen Antrag vor, der abseits aller Uneinigkeiten in der europäischen Flüchtlingspolitik, in flüchtlingspolitischen Fragen einer überschaubaren Gruppe von 5 000 besonders Schutzbedürftigen aus diesen Zuständen verhelfen will. Das ist noch nicht der große europa- und – schon gar nicht – flüchtlingspolitische Wurf, sondern schlicht eine humanitäre Notmaßnahme, und es ist mitnichten eine Abkehr von EU-Recht; denn die noch geltende Dublin-III-Verordnung sieht genau das vor: humanitäre Spielräume, wenn sie notwendig werden. ({10}) Wir haben für dieses Anliegen eine breite Unterstützung in der Bevölkerung: von den Kirchen, Verbänden, NGOs, Einzelpersonen, Bürgermeistern, Kommunen, Bundesländern wie Niedersachsen, Hamburg, Berlin, Schleswig-Holstein. Sie alle rufen Ihnen zu, dass sie diesen Weg gemeinsam gehen und Sie unterstützen möchten. Und ich weiß auch von vielen hier im Parlament, die dieses Anliegen teilen, aber in den Zwängen ihrer Fraktionen feststecken. Ich bitte Sie mit Nachdruck: Nehmen Sie Ihr Mandat als freie Abgeordnete wahr und stimmen Sie unserem Antrag zu! ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Amtsberg. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Alexander Throm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! In der Politik müssen wir immer darauf achten, welche Botschaften wir senden. ({0}) Gerade seit der letzten Woche gilt das umso mehr. Wir müssen klar verständliche Botschaften an die Migranten in der Türkei senden, die sich dort teilweise schon seit Jahren in Sicherheit befinden. Das Bundesinnenministerium macht es richtig: Es twittert unter anderem: „Die Grenzen Europas sind für die Flüchtlinge aus der Türkei nicht geöffnet und das gilt auch für unsere deutschen Grenzen.“ ({1}) In der Tat: Eine Flucht führt in die Sackgasse; denn 2020 ist nicht 2015, und es muss in alle Richtungen auch nur der Anschein vermieden werden, dass es so sein könnte. ({2}) Wenn es eines Beweises bedurft hätte, wie man es gerade nicht macht, liebe Frau Kollegin Amtsberg, dann ist es der Antrag, den Sie gestern eingereicht haben. Er sieht ein einseitiges deutsches Kontingent von 5 000 Menschen – nicht nur Kinder und Jugendliche – von den griechischen Inseln vor ({3}) und darüber hinaus – das haben Sie gerade gar nicht erwähnt – ein Resettlement-Programm, ein großzügiges Kontingent ohne Zahlenangabe, um Menschen aus der Türkei nach Deutschland zu holen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie spielen damit das Spiel Erdogans: Er will die Migranten aus seinem Land haben, und Sie wollen sie bereitwillig aufnehmen. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Baerbock?

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Throm, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben ja hier gerade für die CDU/CSU-Fraktion erklärt, dass Sie gegen Resettlement-Programme sind, dass Sie gegen Kontingente sind. Wir schlagen heute die Aufnahme eines Kontingents aus Griechenland, also innerhalb der Europäischen Union, vor. Ich frage Sie an dieser Stelle: Halten Sie den EU-Türkei-Deal, in dem die Aufnahme von Kontingenten aus der Türkei vorgesehen war, die dann nicht mehr stattgefunden hat, und die Zusagen an Griechenland und Italien im Rahmen der EU-Vereinbarung, nach der Deutschland zugesagt hat, 27 000 Schutzbedürftige unter anderem von den griechischen Inseln nach Deutschland umzusiedeln, wovon nur gut 10 000 gekommen sind, aus dem Jahr 2016 für falsch? Und was wären dann Ihrer Ansicht nach legale Wege in die Europäische Union, wenn Sie all das in Zukunft nicht mehr haben wollen? ({0})

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin Baerbock, Sie sollten sich Ihren Antrag einmal genau ansehen. ({0}) Ich habe nicht grundsätzlich gegen Resettlement-Programme gesprochen, ganz im Gegenteil. Deutschland macht dies in sehr großzügiger Art und Weise bereits heute. Sie beantragen aber aufgrund der aktuellen Situation ein zusätzliches, großzügiges Kontingent in Form von Resettlement. ({1}) Das Gleiche gilt für die Aufnahme des Kontingents von den griechischen Inseln, das Sie angesprochen haben. Auch wir sehen die Not der Kinder und der Menschen dort, und auch wir wollen helfen. ({2}) Auch das habe ich hier schon mehrfach gesagt. Aber im Gegensatz zu Ihnen wollen wir dies nicht einseitig, mit einem Alleingang Deutschlands, machen, sondern abgestimmt mit der Europäischen Union. ({3}) Das ist unser Weg; denn nur so kann es funktionieren. ({4}) Alles andere würde unsere Bemühungen, die wir, glaube ich, gemeinsam anstellen, um wieder ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem zu schaffen – wir sind uns ja einig, dass Dublin gescheitert ist –, konterkarieren, weil kein anderes europäisches Land auf die Idee käme, sich daran zu beteiligen, wenn Deutschland vorher schon alle Probleme alleine löst. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Throm, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Gregor Gysi?

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Es ist auch die letzte; dann haben Sie doppelte Redezeit. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich hoffe, Herr Präsident, dass Sie nicht damit sagen wollten, dass ich immer der Letzte bin. – Herr Kollege, ich habe mal eine Frage. Im Monat März wird eine deutsch-griechische Parlamentariergruppe nach Griechenland fahren. Sie wissen, dass es dort mehrere Tausend Kinder gibt ohne Eltern, ohne überhaupt irgendeine erwachsene Begleitung. Jetzt sagen Sie immer, Sie wären zur Hilfe bereit, wenn es eine EU-Regelung gibt. Bevor Sie sich mit Ungarn und Polen diesbezüglich verständigt haben, sind die Kinder erwachsen geworden; das können Sie einfach vergessen. Was wäre denn so schlimm – selbst wenn Sie diesen Antrag ablehnen –, wenn Sie sich heute entschieden, zu sagen: „Wir werden uns dafür engagieren, dass diese Parlamentariergruppe eine Zusage geben darf wenigstens für eine bestimmte Anzahl von Kindern, die nach Deutschland kommen, in Kommunen, die dazu bereit sind“? Wir können ja dazusagen, dass wir erwarten, dass das auch andere Staaten machen. Aber solange Sie sich mit „andere Staaten“ herausreden, wird es keine Lösung für die Betroffenen geben. Sind Sie bereit, da Ihre Meinung zu ändern? ({0})

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gysi, Sie haben von „mehrere Tausend Kinder“ gesprochen. In ganz Griechenland befinden sich 5 300 unbegleitete Kinder und Jugendliche, davon 9 Prozent unter 14 Jahren; das ist die Definition für „Kinder“. Das sind knapp 500 unbegleitete Kinder in ganz Griechenland, auch auf dem Festland. ({0}) Wenn wir das herunterbrechen auf die griechischen Inseln, sind das 2 000 unbegleitete Kinder und Jugendliche; davon 9 Prozent sind knapp 200 Kinder. ({1}) Wir sollten bei den Zahlen nicht übertreiben. Das ist auch zu viel; da sind wir uns einig. ({2}) Ich habe schon vor wenigen Wochen an dieser Stelle ausgeführt, dass wir auch dafür eine Lösung finden wollen und müssen – aber in europäischem Kontext; ({3}) denn alles andere würde nicht funktionieren und andere Bemühungen beschädigen. Ich habe den Bundesinnenminister gestern genau so verstanden, dass er sich um eine solche Lösung bemüht. ({4}) Ich sage Ihnen: Wir müssen nicht auf das letzte EU-Land warten; aber es muss schon eine hinreichende Zahl von EU-Ländern sein, die sich an einem solchen Programm beteiligen werden. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir das Signal senden, das heute von dem Antrag der Grünen mit Begriffen wie „Resettlement“ und „Kontingente“ ausgeht, dann werden wir eine Flüchtlingswelle auslösen, die weit über das hinausgeht, was heute an der griechisch-türkischen Grenze zu erleben ist, weil wir schlichtweg falsche Hoffnungen wecken. ({6}) Als wenn das noch nicht schlimm genug wäre, beantragen Sie von den Grünen in Ziffer 9 ihres Antrages die Idee der Kollegin Baerbock, nämlich „kommunale Kapazitäten zur Aufnahme … zu stärken“. ({7}) Ja, was heißt das denn in der heutigen Situation, wo wir das Signal senden, dass die EU-Grenzen gesichert werden müssen? Das heißt nichts anderes, als diese weiter auszubauen. Das ist das nächste verheerende Signal, das Sie senden, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar an unsere deutsche Bevölkerung. Sie schüren damit genau die Ängste und Befürchtungen, die wir versuchen zu verhindern. ({8}) Damit leiten Sie Wasser auf die Mühlen der AfD und der Rechtsextremen. ({9}) Auch hier ist es genau der falsche Weg, den Sie gehen. ({10}) Lassen Sie uns lieber gemeinsam – alle miteinander – an dem Ziel arbeiten, dass wir ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem bekommen, um kurzfristig im Rahmen dessen, was ich beschrieben habe und was auch der Bundesinnenminister gestern beschrieben hat, ({11}) eine einmalige Lösung für die Kinder zu finden mit der Unterstützung eines großen Teils der EU-Länder. Das wäre konstruktiv, und dafür arbeiten wir. Herzlichen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Throm. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Marc Bernhard, AfD-Fraktion. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Deutschland hat Platz, so viel Platz, dass 687 000 Menschen überhaupt keine Wohnung haben, die Mieten doppelt so schnell steigen wie die Einkommen und jetzt schon viele Millionen Menschen fast die Hälfte ihres Einkommens fürs Wohnen aufbringen müssen. Und trotz dieser katastrophalen Lage fühlen sich rot-grüne Multikulti-Ideologen in über 120 deutschen Städten zur Rettung der Welt berufen. ({0}) Angetrieben von der Schlepperkapitänin Carola Rackete laden sie permanent die ganze Welt nach Deutschland ein und deklarieren sich zu Stätten sicherer Häfen. Bezahlt wird natürlich nicht aus der eigenen Tasche, sondern in Gutmenschenmanier mit dem hart verdienten Geld der deutschen Steuerzahler. ({1}) Diese aufgeblasene Hypermoral scheitert dann aber ziemlich schnell an der Realität: Carola Rackete zum Beispiel will in naher Zukunft Deutschland verlassen, weil ihr hier zu viele Menschen auf zu engem Raum leben; die Stadt Rendsburg hat sich erst im Dezember in blinder Euphorie einstimmig zum sogenannten sicheren Hafen für Migranten erklärt, und nicht mal zwei Monate später fordert derselbe SPD-Bürgermeister eine drastische Reduzierung der Aufnahme von Asylbewerbern. ({2}) Seit 2015 ist dort der Anteil der Flüchtlinge an der Bevölkerung auf über 10 Prozent gestiegen, und der vorhandene Wohnraum reicht bei Weitem nicht mehr aus. Nicht nur in Rendsburg, sondern in ganz Deutschland fehlen über 2 Millionen Wohnungen; insbesondere Familien mit Kindern können sich das Leben in Städten nicht mehr leisten. Es wird noch schlimmer: In den letzten Jahren ist die Bevölkerung in Deutschland durch Zuwanderung um über 3 Millionen Menschen gewachsen. Jedes Jahr kommen mehr als eine halbe Million dazu. Die Wohnungskrise, die wir haben, ist das direkte Ergebnis der Flüchtlingskrise von 2015 und Ihrer verantwortungslosen Politik. ({3}) – Doch! Das eine ist untrennbar mit dem anderen verbunden. ({4}) Hören Sie doch endlich auf, den Menschen etwas vorzulügen. Mit Ihren Anträgen entsteht keine einzige neue Wohnung. Das Einzige, was Sie tun, ist, noch mehr Benzin ins Feuer zu gießen. ({5}) Selbst Herr Seehofer sagt: Wir werden ein zweites 2015 erleben. – Laut türkischer Regierung haben sich bereits mehr als 80 000 Migranten auf den Weg gemacht, die griechische Grenze zu stürmen, weitere dreieinhalb Millionen sitzen auf gepackten Koffern, und Experten rechnen damit, dass durch die aktuelle Lage diese Zahl auf bis zu 6 Millionen ansteigt. Das sind weitere 6 Millionen Menschen auf der Suche nach Wohnungen, Schulen und Kitaplätzen. Sie zündeln hier also am sozialen Frieden in unserem Land. ({6}) Mit Ihren Anträgen verschärfen Sie die Verteilungskämpfe und den Verdrängungswettbewerb auf unserem Wohnungsmarkt massiv. Unser Antrag dagegen stärkt die Städte und bietet Schutzmechanismen vor Ihrer verantwortungslosen Hypermoral. ({7}) Wir brauchen keine sicheren Häfen, sondern sichere Städte, sichere Wohnungen und sichere Grenzen. ({8}) Ein zweites 2015 wollen wir nicht. Das schaffen wir nicht, und so ein Staatsversagen darf es nie mehr geben. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe, dass sehr viel Emotion bei dieser Debatte im Spiel ist, aber ich bitte doch ein bisschen um Mäßigung und darum, dass man sich einander zuhört, auch wenn es schwerfällt. ({0}) Als nächster Redner hat das Wort für den Bundesrat das Bundesratsmitglied und der Innenminister des Landes Niedersachsen, Boris Pistorius, den ich herzlich im Bundestag begrüße. ({1})

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man Bundestagsdebatten sonst von außen oder in der Berichterstattung verfolgt, dann fragt man sich, ob das alles echt sein kann. Aber das gerade war noch unappetitlicher, als ich es mir hätte vorstellen können, meine Damen und Herren. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Europa will mehr sein als ein gemeinsamer Markt, will mehr sein als ein bloßer Verbund einzelner Staaten, will mehr sein als eine bloße Verwaltung. Europa will eine Wertegemeinschaft sein, eine Gemeinschaft, die Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde garantiert. Europa will aus seiner Geschichte lernen. Bei meinem zweiten Besuch auf Lesbos im November vergangenen Jahres musste ich leider eine bittere Niederlage dieser Wertegemeinschaft erleben. Mitten in Europa – und man kann das gar nicht oft genug betonen – hausen Kinder alleine und schutzlos unter Planen oder in einfachsten Zelten ohne geregelte medizinische Versorgung. Ärzte vor Ort berichten, die Verhältnisse seien zum Teil schlimmer als in den Krisengebieten Afrikas, in denen sie zuvor gewesen seien. Und das alles, meine Damen und Herren, weil es das sogenannte gemeinsame europäische Asylsystem nicht schafft, ihnen Obdach zu gewähren. ({1}) Wie konnte es so weit kommen? Wie entwürdigend ist es, dass dort keine sanitären Anlagen sind, dass Kinder buchstäblich im Müll leben? Das Schlimmste: Den Kindern fehlt es am Nötigsten, an Schutz und Fürsorge. Es sind die Schwächsten, meine Damen und Herren, die weder etwas für die Konflikte dieser Welt können noch für die Entscheidungen ihrer Eltern. ({2}) Die SPD fordert seit Jahren ein einheitliches europäisches Asylsystem mit – und darauf muss Wert gelegt werden – einem funktionierenden europäischen Grenzschutz. ({3}) Wir hätten heute nicht diese Probleme an der Grenze, wenn konsequent gehandelt worden wäre. Warum die personelle Aufstockung von Frontex verschoben worden ist, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Aber, meine Damen und Herren, die Probleme auf europäischer Ebene dürfen eben nicht dazu führen, dass wir nicht tun, was wir können, um Kindern zu helfen. ({4}) Sie brauchen diesen Schutz; sie brauchen ihn nötiger als alle anderen. Deshalb habe ich nach meinem Besuch zusammen mit zwei meiner Kollegen Herrn Seehofer angeschrieben und um ein Sofortprogramm für Kinder gebeten. Es geht nicht um ein Aufnahmeprogramm, das sofort und ungeprüft mit einem Aufenthaltsstatus verbunden ist. Nein, es geht darum, den Dublin-Mechanismus zu nutzen, um für ein paar Hundert Kinder das Asylverfahren in Deutschland, also im geschützten Raum, durchzuführen. ({5}) Ich wundere mich einigermaßen über die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und ihre unterschiedliche Wahrnehmung ihrer Rolle im Bund und in den Ländern. ({6}) Überall da, wo Sie in Opposition sind, fordern Sie vollmundig, große Zahlen von Flüchtlingen zu übernehmen. Da, wo Sie in der Verantwortung sind, zögern Sie oder stehen nicht an der Spitze. ({7}) Mittlerweile haben sich uns weitere Bundesländer angeschlossen, und nach meinem Wissen haben das auch fünf europäische Staaten getan. Die Zustimmung der Bundesregierung steht nach wie vor aus. Wenn immer alle warten, bis alle mitmachen, macht am Ende keiner etwas. Diese Stunde ist vorbei, meine Damen und Herren. ({8}) Ich bitte daher dringend darum, dass der Bund seiner Verantwortung gerecht wird und unsere Koalition der Willigen aus Ländern und Kommunen machen lässt. Ich erwarte, dass wir die Zustimmung des Bundesinnenministers in Kürze bekommen – zum Schutz der Menschen, ihrer Würde und zum Schutz der europäischen Werte. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen mit einem Zitat von Erich Maria Remarque, dem großen deutschen Schriftsteller und Sohn meiner Heimatstadt, der Friedensstadt Osnabrück. Er hat einmal sinngemäß gesagt: Die Humanität sei die Frage seines Zeitalters, des 20. Jahrhunderts. – Wenn das so war, dann ist sie erst recht die Frage des 21. Jahrhunderts. Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion ist der Kollege Benjamin Strasser. ({0})

Benjamin Strasser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns erreichen in den letzten Tagen Bilder von der griechisch-türkischen Grenze, die uns in diesem Haus fast alle betroffen machen. Solche Szenen sind leider nicht neu, sondern wir erleben sie seit Jahren. Wir erleben seit Jahren, dass im Mittelmeer Menschen ertrinken. Wir erleben seit Jahren, dass es teils unmenschliche Zustände in Lagern gibt – in Europa, aber auch außerhalb von Europa. Wenn wir diese Bilder sehen, dann werden wir jedes Mal mit dem Versagen deutscher und europäischer Außenpolitik konfrontiert. ({0}) Wenn nicht jetzt, wann dann wäre es Zeit für einen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs, liebe Kolleginnen und Kollegen? ({1}) Ein Gipfel, der ein einheitliches Vorgehen in der Migrationskrise festlegt, ein Gipfel, der Staaten wie Griechenland materiell, personell und finanziell unterstützt, ein Gipfel, der eine neue Initiative für ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien einleitet, ein Gipfel, der logistische und finanzielle Unterstützung für Flüchtlingsorganisationen vor Ort leistet und damit auch ein starkes Signal der Entschlossenheit an den türkischen Staatspräsidenten senden würde. ({2}) Und es könnte ein Gipfel werden, der allein aufgrund des Drucks des Faktischen endlich den Weg frei macht für ein gemeinsames europäisches Asylrecht. ({3}) Jetzt ist die Stunde Europas, liebe Kollegen. Jetzt ist die Stunde gemeinsamen Handelns. Und jetzt ist die Stunde, das zu tun, was die Bundesregierung im Herbst 2015 nicht getan hat, nämlich ganz Europa mitzunehmen und keinen deutschen Sonderweg zu gehen. ({4}) Liebe Kollegen Throm und Amtsberg, das ist ja das Problem, warum es kein gemeinsames europäisches Asylsystem gibt, warum uns die Kollegen der anderen Parlamente dieses Verhalten bis heute vorwerfen. Wenn man sich die Anträge von den Grünen und den Linken genauer anschaut, ist es alles andere als ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen. Im Gegenteil: Ihr Antrag ist nicht nur ein nationaler Alleingang, sondern er stellt unser nationales System auf den Kopf. ({5}) Kommunen haben aus gutem Grund keine Kompetenz, die Leitlinien der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu bestimmen. Das wollen wir auch nicht ändern. ({6}) Was wir brauchen, ist ein verlässliches nationales Verteilungssystem, das zuverlässig für alle Kommunen gilt und nicht für diejenigen, die momentan sagen: Wir haben Platz. – Was machen Sie denn mit den Kommunen, die jetzt oder künftig sagen: „Wir haben keinen Platz.“? Akzeptieren Sie das? Ich will das nicht akzeptieren. ({7}) Allein Ihr Verhalten wird zu einer Entsolidarisierung der Kommunen führen. Dieses Verhalten wollen wir nicht. Wenn Sie ehrlich sind – ihre Motive mögen ehrenwert sein und sind es aus meiner Sicht auch –, werden Sie zugeben: Wenn wir Ihren Vorschlag umsetzen, dann ist es allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein ({8}) und löst nicht die Probleme von vielen Menschen, die in dieser Region festsitzen. Wir brauchen eine europäische Lösung – jetzt. Wir erwarten diese überfällige europäische Lösung, wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie endlich Initiativen auf europäischer Ebene ergreift. Wir lehnen Ihren Antrag ab. Vielen herzlichen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Strasser. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Strasser, es wäre wenigstens ein Anfang der Solidarität, mit den Städten anzufangen, die bereit sind, Flüchtlinge zusätzlich aufzunehmen, ({0}) anstatt wieder alles vom Tisch zu wischen. Meine Damen und Herren, gestern sind in mindestens 19 Städten Tausende von Menschen auf die Straße gegangen. Sie fordern die Aufnahme von Schutzsuchenden aus Griechenland und ein Ende der menschenverachtenden Abschottungspolitik an den europäischen Außengrenzen. Ich meine, das ist die richtige Antwort, wenn man die Krise wirklich bekämpfen will, die sich an der türkisch-griechischen Grenze abspielt. In Griechenland machen Polizei, Militär Hand in Hand mit faschistischen Bürgerwehren die Grenzen dicht. Tausende Schutzsuchende wurden seit der einseitigen Grenzöffnung ({1}) durch die Türkei gewaltsam zurückgewiesen. Wer es doch geschafft hat, die Grenze zu überqueren, wird inhaftiert, ausgeplündert oder sofort zurückgeschoben. Das Asylrecht hat die griechische Regierung einfach so ausgesetzt. Ich frage Sie hier: Ist das nicht ein Bruch des EU-Rechts, des Völkerrechts? ({2}) Haben Sie nicht alle diese Werte in Europa beschlossen? Stattdessen müssen wir uns heute anhören, Sie wollen solidarisch mit der griechischen Regierung sein. Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention hat jeder ein Recht auf die Prüfung seines Asylantrages. Schutzsuchende ohne ein faires Verfahren in die Türkei zurückzuschicken, ist illegal. Das muss man ganz deutlich sagen. ({3}) Wie tief muss die EU eigentlich noch sinken? Das sind doch normalerweise Selbstverständlichkeiten. Den Menschen, die an der türkischen Grenze ausharren, muss sofort die Einreise nach Europa ({4}) gestattet werden. Natürlich dürfen wir Griechenland mit der Versorgung nicht alleinlassen. Die Bundesregierung – das sage ich vor allen Dingen den Unionskollegen – muss als Beispiel vorangehen. Nur dann werden andere EU-Staaten mitziehen. ({5}) Deswegen brauchen wir ein humanitär angelegtes Aufnahmeprogramm.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Frau von Storch?

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Von wem?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Nein?

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Gut. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

„Von wem?“, habe ich eigentlich gefragt.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau von Storch wollte eine Zwischenfrage stellen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, danke. ({0}) Das muss ich nicht haben. Bei dieser Fraktion kann man wirklich nur noch sagen: grausam. ({1}) Meine Damen und Herren, es gibt in Deutschland eine große Bereitschaft bei Bundesländern, Gemeinden und Städten. 138 haben ihre Aufnahmebereitschaft bereits kundgetan. Nehmen wir zum Beispiel Berlin: Die Sozialsenatorin hat angekündigt, sie könnte sofort 2 000 Plätze zur Verfügung stellen. Das ist doch ausgezeichnet. ({2}) Wer macht ihnen einen Strich durch die Rechnung? Darum sollte sich mal die FDP kümmern. Es ist Herr Seehofer. Er könnte ohne Weiteres – das steht übrigens in unseren Anträgen drin – den Kommunen die Genehmigung erteilen, dies durchführen. ({3}) Natürlich muss dies auch entsprechend gefördert werden. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Kommunen müssen unterstützt werden. Die Möglichkeit einer europäischen, solidarischen Lösung ist nur dann gegeben, wenn wir endlich den Anfang machen und nicht nur auf alle möglichen anderen EU-Staaten starren, die nichts tun wollen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Detlef Seif, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 19/16838 (neu), erweckt den Eindruck, dass Deutschland Griechenland bislang überhaupt nicht unterstützt hat. Aber, meine Damen und Herren, Tatsache ist, dass kein anderer Mitgliedstaat wie Deutschland Griechenland in der Vergangenheit unterstützt hat und das heute auch noch tut. Das große Problem in der Vergangenheit war, dass die von Deutschland angebotene Unterstützung nicht oder kaum angenommen wurde. Das hat sich glücklicherweise mit dem Regierungswechsel im Juli letzten Jahres deutlich geändert. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Griechenland 700 Millionen Euro als Soforthilfe zur Verbesserung der Betreuungssituation zugesagt. Auch Deutschland wird seine bilaterale Unterstützung gegenüber Griechenland nochmals weiter ausbauen. Zurzeit ist das Technische Hilfswerk damit befasst, an der Ertüchtigung des Hotspots auf der Insel Samos mitzuwirken. Hier liegt zurzeit eine zwölffache Überbelegung vor. Meine Damen und Herren, die Zahlen hat der Kollege Throm vorhin schon genannt. Ich meine, es ist wichtig, dass wir uns in der Debatte ehrlich machen und keine Zahlen populistisch nutzen. Es handelt sich nämlich bei den Kindern um viel weniger Personen als behauptet. So spricht der Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, am 24. Dezember davon, dass bis zu 4 000 Kinder von den griechischen Inseln geholt werden sollen. Tatsächlich sind es aber 250. Bezieht man alle Personen bis 18 ein – also die unbegleiteten Minderjährigen insgesamt –, ({0}) kommen wir nicht einmal auf 2 000. Ich bin davon überzeugt, dass Griechenland mit Unterstützung der Europäischen Union und mit unserer Unterstützung vor Ort schnell für eine humanitäre Lösung sorgen kann. Anderenfalls müssen wir eine europäische Lösung herbeiführen. Wir müssen uns Folgendes vor Augen führen: Wir arbeiten doch alle mit Nachdruck am Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, und wir wissen, dass es in den letzten Jahren wirklich nicht funktioniert hat. ({1}) Wenn jetzt Deutschland wiederum mit Alleingängen kommt, ja, wie wollen wir dann andere Mitgliedstaaten mitnehmen? Die sagen: Letztlich sind die Deutschen bereit, die Hauptlasten zu tragen. ({2}) Also, warum sollen wir überhaupt ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem unterstützen? ({3}) Einen letzten Aspekt möchte ich besonders hervorheben. Es geht um die Frage, ob die derzeitige Situation an der türkisch-griechischen Grenze rechtswidrig ist. Machen Sie sich doch mal Gedanken über diejenigen, die sich derzeit an der türkisch-griechischen Grenze befinden. Das sind zu 100 Prozent Menschen, die bereits in der Türkei sicher aufgenommen waren. ({4}) Das sind Menschen, insbesondere aus Afghanistan, den Maghreb-Staaten usw., bei denen die Schutzquote in der Europäischen Union unter 30 Prozent liegt. ({5}) Wir sind nicht mehr bereit, das Asylsystem als Missbrauchsmöglichkeit zu erlauben für Menschen, die zu uns kommen wollen. ({6}) Wir sind dafür, dass diejenigen, die den Schutz verdienen, ihn auch erhalten, ({7}) aber bitte keinen Missbrauch. Danke schön. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Seif. – Nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion die Kollegin Dr. Eva Högl. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage in Griechenland und an der griechisch-türkischen Grenze ist entsetzlich. Ich denke, darüber sollte hier im Haus auch Einigkeit herrschen. Die Versorgung der Geflüchteten, ihre Unterbringung, die Prüfung der Anträge und die ewige Dauer der Verfahren, das alles ist nicht akzeptabel. Was uns besonders schmerzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist, dass die Solidarität in Europa verloren gegangen ist und dass sich einzelne Mitgliedstaaten der gemeinsamen Verantwortung entziehen. ({0}) Deshalb muss es unser gemeinsames Bemühen und unser aller Anstrengung sein, Griechenland zu helfen, die Menschen aus der Notlage zu befreien, ihnen Schutz und Sicherheit zu geben und die Solidarität in Europa wiederherzustellen. ({1}) Das bedeutet für uns hier in Deutschland natürlich, dass wir Schutzbedürftige, insbesondere Kinder und Frauen, aufnehmen und ihnen Schutz und Sicherheit geben müssen. Das bedeutet für uns – wir drücken uns überhaupt nicht vor Verantwortung, und wir verschanzen uns auch nicht hinter irgendwas –, dass wir das im Rahmen einer europäischen Lösung tun müssen; anders geht es nicht. ({2}) Diese europäische Lösung heißt nicht, dass alle 27 Mitgliedstaaten mitmachen müssen und dass wir warten müssen, bis auch der letzte zustimmt. Vielmehr wollen wir voranschreiten mit denjenigen, die dazu bereit sind, und das werden wir auch hinbekommen. ({3}) Natürlich wollen wir in Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Deshalb freuen wir uns auch so – das sage ich für die SPD-Bundestagsfraktion –, dass Boris Pistorius die Initiative ergriffen hat, ({4}) dass Berlin, Thüringen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, dass viele Städte und Kommunen sich angeschlossen und gesagt haben: Wir sind bereit, aufzunehmen. – Ich frage mal in Richtung der Grünen: Was ist eigentlich mit Baden-Württemberg? Da haben wir noch gar nichts gehört. Das wäre mal interessant. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Högl, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Amtsberg?

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, im Moment nicht. ({0}) Stichwort europäische – – ({1}) – Ja, dann los. Bitte sehr.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie erlauben die Frage jetzt doch? – Das ist ja interessant. Ich habe das so verstanden, Frau Amtsberg, dass Sie anschließend eine Kurzintervention machen wollen, die ich auch zulassen würde. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Stellen Sie Ihre Frage.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Wenn die Kollegin Högl die Zwischenfrage zulässt, Frau Kollegin Amtsberg, bin ich nicht befugt, meinerseits zu erklären, dass Sie jetzt keine Zwischenfrage stellen dürfen. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Amtsberg, stellen Sie Ihre Frage.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Aha.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für das Zulassen der Frage. – Frau Högl, Sie haben mich ja direkt angesprochen und gefragt, was wir eigentlich tun. Auch Bezug nehmend auf die Ausführungen Ihres Kollegen Boris Pistorius, möchte ich einmal fragen, ob Sie tatsächlich teilen, was er gesagt hat, und ob Ihnen bekannt ist, dass Baden-Württemberg in der Vergangenheit 1 000 Jesiden aufgenommen hat, ({0}) dass die Koalition in Schleswig-Holstein – entspannen Sie sich; ich bringe noch mehr Beispiele, an denen Sie sich abarbeiten können – ein Programm für 500 besonders Schutzbedürftige aus Nordafrika durchgeführt hat, dass Daniel Günther heute noch mal deutlich gemacht hat, dass er auch bereit ist, Geflüchtete von den griechischen Inseln aufzunehmen, ({1}) dass Thüringen und Berlin in der Vergangenheit syrische Geflüchtete aufgenommen haben, ({2}) dass sich Berlin erneut dafür ausgesprochen hat, Geflüchtete aus Lesbos aufzunehmen – die Liste ist leider länger, deshalb dauert es einen Moment; es tut mir leid –, dass Brandenburg, ebenfalls von den Grünen mitregiert, Programme beschlossen hat, dass Hamburg angekündigt hat, aufzunehmen, dass Bremen angeboten hat, aufzunehmen – Sachsen auch; es ist noch nicht klar, in welcher Form; aber es wurde im Koalitionsvertrag festgehalten –, und dass 180 Kommunen, regiert von Grünen, von SPD, von FDP und von der CDU, dasselbe fordern, was wir hier gefordert haben. ({3}) Nehmen Sie das zur Kenntnis? Und finden Sie nicht auch, dass es erstens unschön ist, dass man das hier richtigstellen muss, und zweitens die Verantwortung für die Aufnahme von Geflüchteten aus anderen europäischen Ländern eigentlich in der Verantwortung der Bundesregierung liegt, also auch in Ihrer? ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Was war jetzt die Frage, Frau Kollegin Amtsberg?

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zur Kenntnis nehmen und sich dessen bewusst sein.

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, zur Kenntnis genommen. Ehrlich gesagt, Frau Amtsberg, das ist uns allen bekannt. ({0}) Alle Länder, alle Kommunen haben eine gewaltige Anstrengung unternommen, um viele Geflüchtete aufzunehmen. An dieser Stelle danken wir allen, die sich da vor und nach 2015 engagiert haben; das ist bekannt. ({1}) Jetzt geht es aber darum, ob wir in dieser besonderen Notlage in Griechenland darüber hinaus aufnehmen. Dazu habe ich, erstens, aus Baden-Württemberg nichts gehört; ({2}) ich habe auch aus Hessen nichts gehört. Zweitens habe ich heute einen Artikel gelesen, nach dem Ihr Ministerpräsident Kretschmann eine Verschärfung des deutschen Asylrechts und eine härtere Gangart in der Flüchtlingspolitik fordert. Ich glaube, Sie haben eine ganze Menge zu klären. ({3}) Mein nächstes Stichwort wäre ohnehin die gemeinsame Verantwortung in der Koalition und in der Bundesregierung gewesen. Ich sage Ihnen für die SPD-Bundestagsfraktion: Wir unterstützen Bundesinnenminister Seehofer ganz ausdrücklich bei seinen Bemühungen, jetzt eine Koalition der Vernunft in Europa zustande zu bringen, ({4}) jetzt zu einer Einigung zu kommen. Wir erwarten natürlich, dass er mit konkreten Vorschlägen und konkreten Maßnahmen zurückkommt, wie wir gemeinsam die Geflüchteten aus der schwierigen Lage befreien und hier aufnehmen können. ({5}) So eine europäische Lösung ist überhaupt nicht in absoluter Ferne. Einzelne Mitgliedstaaten haben sich schon bereit erklärt. Frankreich, Portugal, Finnland haben schon ihre Bereitschaft erklärt. Das ist eine gute Basis, um in Europa weiter daran zu arbeiten. Deswegen stimmen wir heute dem Antrag der Grünen explizit nicht zu. Da steht zwar viel Richtiges drin, in der jetzigen Situation hilft es aber überhaupt nicht weiter, diesen Antrag zu beschließen. ({6}) Ich will als Letztes sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, bei diesem ernsten Thema, bei dem es um das Leid und die Not von Menschen geht, hier im Deutschen Bundestag taktische Spielchen zu betreiben und uns namentlich abstimmen zu lassen, das lehnen wir ab. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält das Wort der Kollege Josef Oster, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Josef Oster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004845, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Besucher! Wir reden über Aufnahmebereitschaft. Da lohnt es sich, noch einmal daran zu erinnern: Deutschland nimmt jeden Tag rund 400 Migranten auf – jeden Tag. Wer in dieser Situation behauptet, unser Land tue hier zu wenig, der ignoriert die enorme Hilfsbereitschaft in unserem Land. ({0}) Kein anderes Land in der EU leistet mehr für in Not geratene Menschen als Deutschland. In den vergangenen fünf Jahren haben rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland Zuflucht gefunden. ({1}) Diese wenigen Zahlen zeigen, wie stark das Engagement Deutschlands für schutzbedürftige Menschen ist. Das ist gut. Wir dürfen stolz darauf sein, was unsere Gesellschaft hier geleistet hat und weiter leistet. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, in dieser Situation darf es aber vor allen Dingen eines nicht geben: einen deutschen Alleingang. Daher ist es von immenser Bedeutung, dass alle Hilfsmaßnahmen europäisch koordiniert sind. Für mich ist klar: Kommt es zu neuen Aufnahmeprogrammen, müssen andere Länder vorangehen; die Initiative muss von anderen EU-Partnern ausgehen. Nur dann kann sich Deutschland eventuell beteiligen, und auch nur dann, wenn an der griechisch-türkischen Grenze wieder Ordnung herrscht. ({3}) Für mich ist klar: Gelingt das nicht, hat diese Thematik Potenzial, die gesamte Europäische Union ins Wanken zu bringen, und das können wir nicht wollen. ({4}) Wenn wir jetzt Fehler machen, meine sehr geehrten Damen und Herren, und die falschen Signale aussenden, dann sind alle bisherigen Bemühungen für einen effektiven europäischen Grenzschutz zunichtegemacht. Wenn wir jetzt Fehler machen, dann sind alle Bemühungen für ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem erledigt. Das sind Zwänge – das gebe ich zu –, die manchmal schwer auszuhalten sind. Aber auch das gehört eben zur ganzen Wahrheit dazu. Ich kann also nur vor übereilten und unabgestimmten Aktionen warnen. ({5}) Klar ist aber auch: Wir verschließen unsere Augen natürlich nicht vor der akuten Notlage, die wir sehen. Es tut im Herzen weh, wenn wir die Bilder der letzten Tage dort mitansehen müssen. Aber klar ist: Wir können eben nicht allen Menschen hier vor Ort in Deutschland helfen. Umso wichtiger ist humanitäre Hilfe in Griechenland, und genau das tut Deutschland mit sehr umfangreichen Maßnahmen. ({6}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, so schwierig die Lage in Griechenland derzeit auch ist: Es muss eine europäische Lösung geben, die EU-Außengrenze muss für illegale Migration geschlossen bleiben, und es darf keinen deutschen Alleingang geben. Deshalb lehnen wir die Anträge ab. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Oster. – Damit schließe ich die Aussprache.

Bernhard Loos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004806, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie kennen alle das deutsche Sprichwort „Wer A sagt, der muss auch B sagen“. Glauben Sie mir: Uns von der Union ist das A für den Ausstieg aus der Atomenergie aus wirtschaftlichen und klimapolitischen Gründen nicht leichtgefallen. Nun aber erwarten wir, dass die Opposition auch das B für den Bau eines atomaren Endlagers für hochradioaktive Stoffe in Deutschland unterstützt. Das Geologiedatengesetz ist dazu ein erster und ein wichtiger Schritt. Die Notwendigkeit einer raschen Realisierung des Geologiedatengesetzes beruht vor allem auf der Schlüsselrolle geologischer Daten bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle. Dies ist eine ausdrückliche Aufgabe des Gesetzes. Nur wenn die Beschaffenheit des geologischen Untergrunds in Deutschland bekannt ist, kann ein geeigneter Standort für ein atomares Endlager mit der bestmöglichen Sicherheit gefunden werden. Aber das ist nicht allein der Grund, warum wir ein Geologiedatengesetz dringend brauchen, sondern: Erstens. Mit dem Geologiedatengesetz wird das veraltete Lagerstättengesetz von 1934 abgelöst. Darin enthaltene Bezeichnungen sind veraltet und überholt und dringend anpassungsbedürftig. Zweitens. Geologiedaten sollen darüber hinaus auch aus wettbewerblichen Gründen öffentlich bereitgestellt werden; denn der Zugang zu geologischen Daten ist eine Voraussetzung für die nachhaltige Versorgung mit Rohstoffen. Drittens. Auch im Rahmen der Energiewende und des Einsatzes erneuerbarer Energien sind die Möglichkeiten zur Nutzung des Untergrunds, zum Beispiel als Energiespeicher oder für Geothermie, entscheidend wichtig. Angestrebt ist daher eine sukzessive Digitalisierung der relevanten geologischen Daten, die bereits aus der Vergangenheit analog vorliegen. Insbesondere für die Veröffentlichung von Daten aus kommerziellen Erkundungen muss eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, die die Rechte der Dateninhaber, insbesondere der Unternehmen, hinreichend berücksichtigt. ({0}) Hier werden wir in der Anhörung am kommenden Montag sicher noch einige Punkte diskutieren. Transparenz und Glaubwürdigkeit bilden das Fundament des Prozesses der Endlagersuche. Aber es gibt auch einen grundsätzlichen Konflikt zwischen dem Transparenzgebot auf der einen und dem Schutz verfassungsrechtlich verankerter privater Belange, zum Beispiel von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, auf der anderen Seite. Das können wir nicht einfach beiseiteschieben. Das Geologiedatengesetz muss daher die Bereitstellung geologischer Daten nicht nur regeln und die öffentliche Zugänglichkeit erleichtern, sondern auch Rechtsstreitigkeiten vermeiden helfen. Zentrale Frage des Gesetzes ist die vorgesehene Offenlegung von geologischen Daten nach einem gestuften Fristenmodell: Nachweisdaten nach drei Monaten, Fachdaten nach fünf bzw. zehn Jahren und Bewertungsdaten im Regelfall gar nicht. Aus Sicht der Wirtschaftspolitiker der Union wollen wir uns einzelne Fragen noch näher anschauen, so zum Beispiel erstens die Tiefenproblematik, also eine von der Wirtschaft geforderte Regelung für Oberflächendaten oder sehr tief liegende Daten – Stichwort: Kies, Sand, Mineralwasser, aber auch Erdöl und Erdgas –, zweitens die Frage eines Rechtswegs in § 34 durch eine Anhörung drei Monate vor Veröffentlichung. Eine generelle Veröffentlichung oder ein generelles Recht zur sofortigen Einsicht für jedermann in alle Geologiedaten, also auch die Bewertungsdaten, lehnen wir ab. Der Bundesrat hat bereits einige Detailänderungsvorschläge gemacht, über die nun im Gesetzgebungsverfahren zu reden sein wird. Grundsätzliche Änderungen jedoch sind vom Bundesrat nicht gefordert worden. Damit sind wir auf dem richtigen Weg, das zustimmungspflichtige Geologiedatengesetz rasch verabschieden zu können. Wir schaffen damit einen Dreiklang aus Transparenz und damit Akzeptanz, aus moderner Geologiedatenerfassung und damit moderner Rohstoffnutzung sowie aus Rechtssicherheit. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Loos. – Bevor ich dem Kollegen Holm das Wort erteile, gebe ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ergebnis der namentlichen Abstimmung, die soeben durchgeführt worden ist, bekannt. Die Schriftführerinnen und Schriftführer haben folgendes Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Humanitäres Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Asylsuchende aus Griechenland“, Drucksachen 19/16838 (neu) und 19/17198, ermittelt: abgegebene Stimmkarten 617. Mit Ja haben gestimmt 495, mit Nein haben gestimmt 117, Enthaltungen 5. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. ({0}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 616; davon ja: 494 nein: 117 enthalten: 5 Ja CDU/CSU Dr. Michael von Abercron Stephan Albani Norbert Maria Altenkamp Peter Altmaier Philipp Amthor Artur Auernhammer Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Melanie Bernstein Christoph Bernstiel Peter Beyer Marc Biadacz Steffen Bilger Peter Bleser Norbert Brackmann Michael Brand (Fulda) Dr. Reinhard Brandl Silvia Breher Sebastian Brehm Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Dr. Carsten Brodesser Gitta Connemann Astrid Damerow Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Thomas Erndl Hermann Färber Uwe Feiler Enak Ferlemann Dr. Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Eckhard Gnodtke Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Oliver Grundmann Monika Grütters Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Jürgen Hardt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Matthias Heider Thomas Heilmann Mark Helfrich Rudolf Henke Michael Hennrich Marc Henrichmann Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Alexander Hoffmann Karl Holmeier Dr. Hendrik Hoppenstedt Hans-Jürgen Irmer Andreas Jung Alois Karl Anja Karliczek Torbjörn Kartes Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Ronja Kemmer Roderich Kiesewetter Michael Kießling Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Carsten Körber Alexander Krauß Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Silke Launert Jens Lehmann Paul Lehrieder Dr. Andreas Lenz Antje Lezius Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Nikolas Löbel Bernhard Loos Daniela Ludwig Dr. Saskia Ludwig Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Dr. Astrid Mannes Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Dr. Michael Meister Jan Metzler Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Elisabeth Motschmann Axel Müller Sepp Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Andreas Nick Petra Nicolaisen Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Josef Oster Henning Otte Sylvia Pantel Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Christoph Ploß Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Stefan Rouenhoff Erwin Rüddel Albert Rupprecht Stefan Sauer Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Jana Schimke Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Dr. Claudia Schmidtke Nadine Schön Felix Schreiner Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Torsten Schweiger Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Björn Simon Tino Sorge Jens Spahn Katrin Staffler Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Andreas Steier Peter Stein (Rostock) Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Max Straubinger Karin Strenz Dr. Peter Tauber Dr. Hermann-Josef Tebroke Hans-Jürgen Thies Alexander Throm Dr. Dietlind Tiemann Markus Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Kerstin Vieregge Volkmar Vogel (Kleinsaara) Christoph de Vries Dr. Johann David Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Albert H. Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Marian Wendt Kai Whittaker Bettina Margarethe Wiesmann Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Oliver Wittke Emmi Zeulner Paul Ziemiak Dr. Matthias Zimmer SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Bela Bach Heike Baehrens Ulrike Bahr Nezahat Baradari Doris Barnett Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Eberhard Brecht Leni Breymaier Dr. Karl-Heinz Brunner Katrin Budde Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Saskia Esken Yasmin Fahimi Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Timon Gremmels Kerstin Griese Michael Groß Uli Grötsch Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Elisabeth Kaiser Ralf Kapschack Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Elvan Korkmaz-Emre Anette Kramme Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Sylvia Lehmann Helge Lindh Kirsten Lühmann Heiko Maas Isabel Mackensen Caren Marks Katja Mast Christoph Matschie Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Falko Mohrs Claudia Moll Siemtje Möller Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Josephine Ortleb Mahmut Özdemir (Duisburg) Christian Petry Detlev Pilger Sabine Poschmann Achim Post (Minden) Florian Pronold Martin Rabanus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Udo Schiefner Dr. Nils Schmid Uwe Schmidt Ulla Schmidt (Aachen) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Johannes Schraps Michael Schrodi Martin Schulz Swen Schulz (Spandau) Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Amalie Steffen Mathias Stein Kerstin Tack Claudia Tausend Markus Töns Carsten Träger Ute Vogt Marja-Liisa Völlers Dirk Vöpel Gabi Weber Dr. Joe Weingarten Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann AfD Marc Bernhard Andreas Bleck Peter Boehringer Stephan Brandner Jürgen Braun Marcus Bühl Matthias Büttner Petr Bystron Joana Cotar Siegbert Droese Berengar Elsner von Gronow Dr. Michael Espendiller Peter Felser Dietmar Friedhoff Dr. Anton Friesen Markus Frohnmaier Dr. Götz Frömming Dr. Alexander Gauland Albrecht Glaser Franziska Gminder Wilhelm von Gottberg Kay Gottschalk Mariana Iris Harder-Kühnel Jochen Haug Martin Hebner Udo Theodor Hemmelgarn Waldemar Herdt Martin Hess Dr. Heiko Heßenkemper Karsten Hilse Nicole Höchst Martin Hohmann Dr. Bruno Hollnagel Leif-Erik Holm Johannes Huber Fabian Jacobi Dr. Marc Jongen Jens Kestner Stefan Keuter Norbert Kleinwächter Enrico Komning Jörn König Dr. Rainer Kraft Rüdiger Lucassen Jens Maier Dr. Lothar Maier Dr. Birgit Malsack-Winkemann Corinna Miazga Andreas Mrosek Volker Münz Sebastian Münzenmaier Jan Ralf Nolte Ulrich Oehme Gerold Otten Tobias Matthias Peterka Paul Viktor Podolay Stephan Protschka Martin Reichardt Roman Johannes Reusch Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Robby Schlund Uwe Schulz Thomas Seitz Detlev Spangenberg René Springer Beatrix von Storch Dr. Alice Weidel Dr. Harald Weyel Wolfgang Wiehle Dr. Heiko Wildberg Dr. Christian Wirth FDP Grigorios Aggelidis Renata Alt Christine Aschenberg-Dugnus Nicole Bauer Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) Mario Brandenburg (Südpfalz) Sandra Bubendorfer-Licht Dr. Marco Buschmann Karlheinz Busen Carl-Julius Cronenberg Britta Katharina Dassler Bijan Djir-Sarai Hartmut Ebbing Dr. Marcus Faber Daniel Föst Otto Fricke Reginald Hanke Peter Heidt Katrin Helling-Plahr Markus Herbrand Torsten Herbst Katja Hessel Manuel Höferlin Dr. Christoph Hoffmann Reinhard Houben Ulla Ihnen Olaf In der Beek Gyde Jensen Dr. Christian Jung Karsten Klein Dr. Marcel Klinge Daniela Kluckert Pascal Kober Dr. Lukas Köhler Carina Konrad Wolfgang Kubicki Konstantin Kuhle Alexander Kulitz Alexander Graf Lambsdorff Ulrich Lechte Christian Lindner Michael Georg Link (Heilbronn) Oliver Luksic Till Mansmann Dr. Jürgen Martens Christoph Meyer Alexander Müller Roman Müller-Böhm Frank Müller-Rosentritt Dr. Martin Neumann (Lausitz) Bernd Reuther Dr. Stefan Ruppert Dr. h. c. Thomas Sattelberger Christian Sauter Frank Schäffler Dr. Wieland Schinnenburg Frank Sitta Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Bettina Stark-Watzinger Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann Benjamin Strasser Katja Suding Linda Teuteberg Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Dr. Andrew Ullmann Gerald Ullrich Johannes Vogel (Olpe) Sandra Weeser Nicole Westig Katharina Willkomm Fraktionslos Verena Hartmann Lars Herrmann Nein CDU/CSU Martin Patzelt Antje Tillmann Kees de Vries SPD Hilde Mattheis Florian Post DIE LINKE Doris Achelwilm Gökay Akbulut Simone Barrientos Lorenz Gösta Beutin Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm-Förster Christine Buchholz Dr. Birke Bull-Bischoff Jörg Cezanne Sevim Dağdelen Fabio De Masi Sylvia Gabelmann Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Matthias Höhn Ulla Jelpke Kerstin Kassner Dr. Achim Kessler Jutta Krellmann Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Pascal Meiser Amira Mohamed Ali Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Zaklin Nastic Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Victor Perli Tobias Pflüger Martina Renner Bernd Riexinger Eva-Maria Schreiber Dr. Petra Sitte Helin Evrim Sommer Kersten Steinke Friedrich Straetmanns Dr. Kirsten Tackmann Jessica Tatti Alexander Ulrich Kathrin Vogler Katrin Werner Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Lisa Badum Annalena Baerbock Margarete Bause Dr. Danyal Bayaz Canan Bayram Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Matthias Gastel Kai Gehring Stefan Gelbhaar Katrin Göring-Eckardt Erhard Grundl Britta Haßelmann Dr. Bettina Hoffmann Dr. Anton Hofreiter Ottmar von Holtz Dieter Janecek Dr. Kirsten Kappert-Gonther Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Sven Lehmann Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Dr. Irene Mihalic Claudia Müller Beate Müller-Gemmeke Dr. Ingrid Nestle Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Filiz Polat Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Dr. Manuela Rottmann Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Stefan Schmidt Charlotte Schneidewind-Hartnagel Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Margit Stumpp Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Gerhard Zickenheiner Enthalten CDU/CSU Fritz Güntzler Frank Heinrich (Chemnitz) SPD Andreas Rimkus FDP Jens Beeck Matthias Seestern-Pauly Als nächster Redner in der Debatte hat der Kollege Leif-Erik Holm, AfD-Fraktion, das Wort. ({1})

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Bürger! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit 2013 soll ein Geologiedatengesetz kommen. Schon 2020 ist es nun so weit, also ungefähr die Halbwertszeit alter Restkernbrennstoffe. ({0}) Die Idee ist durchaus angemessen, die wertvollen geologischen Daten zu sichern und auch präsent zu haben. Aber wir sind unzufrieden. Der Entwurf geht in einigen Punkten doch deutlich übers Ziel hinaus. Es geht eben nicht, dass private Unternehmen ihr Wissen, das sie sich beispielsweise durch aufwendige Bohrungen erworben haben, öffentlich zur Verfügung stellen müssen; das monieren ja zu Recht auch die betroffenen Unternehmensverbände. Wir müssen schon aufpassen, dass die Eigentumsrechte der Unternehmer gewahrt bleiben. ({1}) Ich meine, was lohnt denn noch eine private Investition in die Bodenerforschung, wenn alle Informationen veröffentlicht werden und die Konkurrenten die Daten sofort auf dem Silbertablett serviert bekommen? Die Investitionen werden zukünftig unterbleiben; das ist völlig klar. Das schadet unserem Standort Deutschland, und das müssen wir verhindern. ({2}) Das Gesetz führt auch zu unnützer Bürokratisierung. Auch hier gibt es massive Kritik. Doppelerfassungen, Pflicht zur Anzeige von Daten, das beklagt zum Beispiel der BDEW. Der Erfüllungsaufwand in der Wirtschaft liegt geschätzt bei einer guten Million Euro. Angeblich hat sich ja die Bundesregierung die Entbürokratisierung auf die Fahnen geschrieben. Aber hier sehen wir wieder: Es passiert genau das Gegenteil. Hintergrund des Gesetzes ist ja die Suche nach einem Endlager für ausgediente Kernbrennstoffe. Die Frage ist nur, ob wir ein solches Endlager angesichts moderner Technologien überhaupt brauchen, die ja bereits im Anmarsch sind. Wir sollten also vor allem in genau diese aussichtsreichen Projekte investieren, damit wir in Zukunft Brennstoffe wiederverwenden und Halbwertszeiten drastisch verkürzen können. ({3}) Die Forschung ist da auf dem Weg, und diese Forschung sollte eben auch in Deutschland stattfinden. Ja, meine Damen und Herren, wir müssen uns mit der Kernkraft wieder rational befassen, wenn wir eine sichere und saubere Energieversorgung haben wollen. Wir als AfD wollen das. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer ist unser Zeuge. Er sagte nämlich kürzlich gerade, er halte einen Wiedereinstieg in die Kernkraft für denkbar. Wörtlich: Ob das nötig ist, wird davon abhängen, ob die Energiewende klappt, ob die Kosten im Rahmen bleiben und die Versorgungssicherheit gewährleistet ist. Nehmen wir diesen Ball mal auf: Klappt die Energiewende? Nein, sie klappt nicht, weil Wind- und Sonnenenergie nicht stetig erzeugt werden können und keine Speicher vorhanden sind. Bleiben die Kosten im Rahmen? Nein, sie laufen aus dem Ruder. Insgesamt kostet die Energiewende bis 2025 etwa eine halbe Billion Euro, und ein Ende ist ja längst nicht in Sicht, im Gegenteil. ({4}) Ist die Versorgungssicherheit gewährleistet? Nein, ist sie nicht. Wenn das letzte Kernkraftwerk im nächsten Jahr vom Netz geht, dann nimmt die Blackout-Gefahr rasant zu. ({5}) Damit ist die Antwort auf Kretschmer völlig klar: Wir brauchen endlich eine offene Diskussion über die Kernkraft in Deutschland. Aber was nützen eben dann einzelne Rufe in der CDU-Wüste? Diese Union geht ja offensichtlich lieber mit den Grünen in den Untergang, statt endlich die vorhandene Erkenntnis politisch umzusetzen. ({6}) Dabei müsste eigentlich die Kernkraft selbst für Sie als Grüne sinnvoll sein; denn wer wirklich CO2 einsparen will, der schafft das eben nicht mit Zappelstrom – das sehen wir ja in Deutschland –, weil dieser Strom eben nicht ständig erzeugt wird und konventionelle Kraftwerke vorgehalten werden müssen. Es funktioniert aber mit der Kernenergie; denn die ist de facto emissionsfrei. Das könnte in der Zukunft tatsächlich eine Lösung sein. Also, liebe Kollegen, lassen Sie uns ohne Schaum vor dem Mund über dieses Thema reden, auch über das Thema Geologiedatengesetz. Wir sehen hier erheblichen Nachbesserungsbedarf; das ist klar. Wir freuen uns aber auf die Beratungen im Ausschuss. Danke schön. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Timon Gremmels, SPD-Fraktion. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Loos, der gerade gesprochen hat und jetzt nicht mehr da ist – ich sehe ihn gar nicht; er ist wohl gegangen –, hat ja zu Beginn der Debatte erklärt: Wer A sagt, muss auch B sagen. – Das bedeutet, dass wir uns jetzt, wo wir aus der Atomkraft aussteigen wollen, auf eine Endlagersuche begeben müssen. Ehrlich gesagt, wir hätten erst gar nicht in die Atomkraft einsteigen dürfen, weil die Endlagerfrage bis heute nicht geklärt ist, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Das muss man auch in Richtung unseres Koalitionspartners sagen. ({1}) – Natürlich haben wir das damals mitgetragen. Aber im Unterschied zur FDP wird die SPD auch mal schlauer. Das ist nämlich der große Unterschied zu Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP: ({2}) Wir lernen dazu. Die erneuerbaren Energien sind die Antwort auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Das wird die FDP allerdings nicht mehr lernen. Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen: Ja, wir brauchen ein Geologiedatengesetz, und zwar nicht nur, weil das alte Lagerstättengesetz aus dem Jahr 1934 stammt, sondern weil es die Grundvoraussetzung für ein transparentes Suchverfahren für ein Endlager ist. Und wir brauchen ein Endlager. Wir haben über 40 Jahre Atommüll produziert. Es ist unsere Aufgabe, diesen Atommüll auch sicher endzulagern. Das können wir nicht sozusagen in andere Länder exportieren. Wir können den Atommüll auch nicht auf Dauer, wie es heute der Fall ist, neben den Atomkraftwerken stehen lassen; da stehen nämlich die Castoren mit dem radioaktiven Müll. Diese müssen sicher eingelagert werden. Das ist die Aufgabe, die wir haben. Da können wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen. ({3}) Deswegen brauchen wir das Geologiedatengesetz. Das ist natürlich eine Herausforderung – das sage ich ganz offen –, weil wir in diesem Prozess Güter abwägen müssen: die Güter der Unternehmen, die Geologiedaten erhoben haben, auf der einen Seite und das öffentliche Interesse an einem fairen, transparenten Prozess auf der anderen Seite. Diese Dinge müssen wir abwägen. Ich sage Ihnen, dass ich da sehr nahe bei den Menschen bin, die große Sorge haben, wie und nach welchen Kriterien ein Endlager gesucht und gefunden werden soll. Insofern ist es richtig und wichtig, dass wir das sehr transparent machen, dass wir die Interessen der Menschen und auch derjenigen, die ein Endlager suchen, berücksichtigen und dass wir das so transparent wie möglich machen. Wir dürfen dabei aber auch nicht vergessen, dass es Unternehmen gibt, die Gelder investiert haben, um Daten zu erheben, und dass wir auch mit deren Interessen umgehen müssen. Insofern ist es unsere Aufgabe, diesen Interessenabwägungsprozess hinzubekommen. Ehrlich gesagt stehen wir dabei etwas unter zeitlichem Druck. Wir sollten die Frage einer Endlagersuche nicht auf die lange Bank schieben. Deswegen rege ich an, dieses Gesetz zügig, aber auch mit der notwendigen Sorgfalt zu beraten. Ich bin mir sehr sicher, dass wir beides hinbekommen – eine zügige und sorgfältige Beratung – und dass wir dieses Vorstufengesetz für eine Endlagerfindung auf den Weg bringen. Ich freue mich auf eine sehr intensive und hoffentlich sehr sachliche Beratung mit der Koalition. Jetzt sehe ich, dass der Kollege Loos wieder da ist. Ich freue mich darüber. Sie können ja meine Rede dann im Netz nachlesen. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie können sich die Rede auch im Bundestagsfernsehen in der Mediathek anschauen. Sie müssen nicht nachlesen. Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Marcel Klinge, FDP-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Marcel Klinge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004782, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesrepublik Deutschland braucht endlich ein zukunftssicheres Atommüllendlager. Die Suche danach ist schwierig, ist emotional und weckt bei vielen Menschen – ich kann das sehr gut nachvollziehen – Sorgen und Ängste. Niemand von uns möchte doch eigentlich ein Endlager direkt vor der Tür haben. ({0}) Ich erlebe diese Diskussion seit geraumer Zeit auch in meinem Wahlkreis Schwarzwald-Baar. Wir haben die Schweiz vor der Tür. Auch die Kollegen in der Schweiz sind ja gerade auf der Suche nach einem geeigneten Standort. Deshalb ist es für uns Freie Demokraten entscheidend, dass wir bei diesem sensiblen Thema möglichst transparent und nachvollziehbar handeln. Wir glauben, dass wir dabei gleichzeitig fair und umsichtig mit der Bergbauwirtschaft umgehen können. Das vorgelegte Gesetz macht aber genau das Gegenteil, indem es über das Ziel hinausschießt. Es sieht zum Beispiel vor, dass der Staat auf alle Forschungsdaten und sogar auf vertrauliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse privater Bergbauunternehmen zugreifen kann. Dann, wenn die finale Standortentscheidung für alle, also für die Öffentlichkeit, nachvollziehbar kommuniziert werden soll, sollen genau diese Daten vollumfänglich veröffentlicht werden. ({1}) Sie kommen gewissermaßen ans schwarze Brett. Wir Freie Demokraten halten das für grundlegend falsch. ({2}) Ein solches Vorgehen ist ein Angriff auf privatwirtschaftliches Eigentum und schädigt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Bergbauunternehmen. ({3}) Genau diese Unternehmen, meine Damen und Herren, haben – wie jede Privatperson bei uns, wie Sie und ich – doch auch einen Anspruch darauf, dass ihre Eigentumsrechte weiterhin bei uns gelten. Dazu zählen eben auch sensible Daten, die hier abgefragt werden sollen. Im Vertrauen, dass ihre Daten geschützt bleiben, haben die betreffenden Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten Milliardenbeträge hier in Deutschland investiert. Deswegen können wir hier nicht einfach mit Praktikabilität argumentieren, wenn es darum geht, sensible Daten vollumfänglich zu veröffentlichen. Der Zweck, meine Damen und Herren, heiligt in diesem Fall sicherlich nicht die Mittel. ({4}) Ich frage die Kollegen von der Großen Koalition, von der Regierung: Warum fehlt Ihnen eigentlich das Vertrauen in die Entscheidungskompetenz Ihrer eigenen Fachbehörde, nämlich der Bundesgesellschaft für Endlagerung? Also wir zumindest trauen den Experten eine transparente und sichere Entscheidung zu, ({5}) auch ohne dass die Firmendaten komplett und vollumfassend ins Schaufenster gestellt werden. Lassen wir doch die Experten einfach ihre Arbeit machen. Eine solche Politik – ich muss davor warnen – schwächt die Position unserer Bergbauunternehmen im Vergleich zur Konkurrenz in Übersee. Bergbau ist in Europa doch fast nur noch ein Zuschussgeschäft. Das große Spiel der Märkte wird dominiert von China, von Kanada und von den USA. Wollen wir wirklich eine Konzentration auf dem Weltmarkt haben, die uns in eine große Abhängigkeit auch von Rohstoffen bringt und die dazu führt, dass sich Preise erhöhen? Wir Freien Demokraten sagen dazu ganz klar Nein. Für uns gehen Umweltschutz und wirtschaftliche Vernunft im Einklang. Genau das müssen wir nächste Woche ins Gesetz bringen, wenn wir es weiter beraten. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Klinge. – Als Nächstes hat das Wort der Kollege Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke. ({0})

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Atommüllendlagersuche braucht Transparenz und Bürgerbeteiligung. So ist es nach dem Gorleben-Desaster im Standortauswahlgesetz dann auch geregelt worden. Dafür müssen Daten zum geologischen Untergrund veröffentlicht werden. Der vorliegende Entwurf zum Geologiedatengesetz soll dafür jetzt die Grundlage legen und damit auch das Lagerstättengesetz aus der Nazizeit endlich ablösen; und das ist gut so. ({0}) Obwohl die Bundesregierung seit 2017 Zeit hatte, kommt dieser Entwurf mal wieder auf den letzten Drücker. Das macht unsere Beratungen in einer so sensiblen Problematik nicht einfacher. Eigentlich müsste Ihnen ja auch schon längst klar sein: In Gorleben, in Morsleben und in der Asse hat staatliches Handeln einen Scherbenhaufen bei der Atommülllagerung hinterlassen, und die Menschen sind zu Recht sehr misstrauisch. ({1}) Deswegen stellen wir Linken höchste Ansprüche nicht nur bei der Sicherheit der Atommülllagerung, sondern eben auch, was Transparenz und Bürgerbeteiligung angeht. Bereits Ende September 2020, also in circa sieben Monaten, soll der erste Zwischenbericht Teilgebiete durch die Bundesgesellschaft für Endlagerung, BGE, vorgelegt werden. Danach steht als erste echte Bürgerbeteiligung die sogenannte Fachkonferenz Teilgebiete auf dem Plan. Mit den im Entwurf festgelegten Übergangsfristen und der späten Vorlage ist es jetzt Millimeterarbeit, dass alle erforderlichen Geodaten rechtzeitig für diesen Fahrplan auf den Tisch kommen. Der Entwurf sieht vor, dass Einsprüche von betroffenen Dritten gegen eine Veröffentlichung keine aufschiebende Wirkung haben; und das ist gut so. Was aber, wenn zum Beispiel betroffene Öl- oder Gaskonzerne auf anderem Weg rechtlich eine aufschiebende Wirkung durchsetzen? Dann steht nicht nur die Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger infrage, sondern es wird auch gleich um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu diesem Verfahren gehen; denn sie haben in dieser ersten Phase laut StandAG keinerlei Klagemöglichkeiten. Das hatten wir als Linke während des gesamten Standortauswahlgesetzverfahrens immer wieder kritisiert. Ich sage das klipp und klar: Wenn Geodaten nicht veröffentlicht werden können, weil Industrieunternehmen das hintenherum mit Klagen blockieren, dann muss aus Gründen der Fairness das Suchverfahren angehalten werden, dann brauchen wir ein Moratorium. Für uns Linke gilt: Gründlichkeit muss vor Geschwindigkeit und Schnelligkeit gehen. Das ist zentral in den kommenden Beratungen zu diesem wichtigen Gesetz. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben einen Gesetzentwurf. Wie schön! Wir warten seit vier Jahren darauf, seit die Kommission getagt hat; denn wir haben in der Kommission genau diese Regelung der Daten nicht festgelegt, weil das Wirtschaftsministerium, Herr Altmaier, uns damals versprochen hat, dass das Geologiedatengesetz, weil es sowieso anstehe, sehr schnell komme. Aber nun ist es da, und wir haben jetzt die Chance, darüber zu reden. Herr Loos, Sie haben damit angefangen, das Geologiedatengesetz sei jetzt der erste Schritt für die Endlagersuche. – Nein, das ist es nicht. Der erste Schritt war das Standortauswahlgesetz. Weil Sie auch sagten, die Opposition sei da irgendwie nicht so richtig engagiert, sage ich: Dieses Gesetz wurde eben nicht von der Regierung vorgelegt, sondern dieses Gesetz wurde von Opposition und Koalition erarbeitet, aus dem Parlament heraus. Daran möchte ich erinnern. Im Gegensatz zu Ihnen war ich nämlich dabei und kann mich sehr gut erinnern, wie das ging. AfD und FDP waren in dieser Legislatur nicht dabei, und das merkt man Ihren Beiträgen, liebe FDP, leider auch an. Das Standortauswahlgesetz verlangt Transparenz von Anfang an. Warum? Ich will Ihnen diese Frage, die elementar ist, noch mal beantworten. Warum verlangt das Standortauswahlgesetz neben Partizipation Transparenz von Anfang an? Partizipation und Transparenz haben wir in der Kommissionsarbeit als die Schlüsselworte erkannt, um so etwas Kompliziertes wie die Frage nach der Auswahl eines Standortes nach allen Erfahrungen, die wir bisher haben, zu beantworten. Diese Erfahrungen sind nicht nur bei uns in Deutschland, sondern in vielen Gegenden der Welt ausgesprochen negativ ausgefallen, wegen fehlender Transparenz und vor allem deshalb, weil man den Menschen am Ende nie die Frage beantworten konnte: Warum ist das bei uns? Das war in Gorleben so, das war in Yucca Mountain so, das ist in ganz vielen Orten der Welt so, dass die Frage „Warum bei uns?“ nicht wirklich beantwortet werden kann. „Ja, das scheint uns sicher“, „Es liegt gerade günstig“, wie es zum Beispiel bei Gorleben hieß: Das befriedet die Menschen nicht. Die einzige Antwort auf diese Frage „Warum?“, die überhaupt eine Chance hat, dass anschließend vielleicht wenigstens eine Toleranz für die Nähe dieses hochradioaktiven Atommülls zum eigenen Umfeld entsteht, ist, dass man ihnen sagen kann: Weil das der sicherste Standort ist, den wir in unserem Land finden konnten. ({0}) Deshalb gibt es das vergleichende, wissenschaftsbasierte Verfahren. Aber wie kann ich es den Menschen nachweisen, dass der Standort der sicherste ist? Weil die Behörde sagt: „Das ist so!“? ({1}) Weil der Vorhabenträger sagt: „Ja, das ist so!“? Nein! ({2}) Die Erfahrung mit Behörden war in der Vergangenheit so schlecht, was Endlagerei in Deutschland betrifft, dass wir von diesem Vertrauen in Behörden eben nicht ausgehen können. Deswegen haben wir gesagt: Die Menschen müssen das selbst kontrollieren können. ({3}) Und wann können sie es kontrollieren? Wenn es transparent ist. Deshalb ist die erste Aufgabe des Geologiedatengesetzes, diese Transparenz auch herzustellen. ({4}) Das tut es bisher nicht vollständig. Es sind Ansätze da, aber das tut es nicht vollständig. Wir haben im Prozess noch die Möglichkeit, nachzubessern. Ich will aber mal zwei Dinge erwähnen, die schon ganz gut sind. Das Grundprinzip des Gesetzes ist ja – das haben viele dargelegt –, eine angemessene Balance zwischen öffentlichem Interesse und privatem Eigentum herzustellen. Genau das lässt sich für die Endlagersuche noch konsequenter nutzen. Wir haben in unserem Land das Prinzip: Gemeinwohl geht vor Eigennutz. Das müssen wir nicht nur beim Straßenbau anwenden; das können wir auch mal woanders anwenden. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gestatten Sie mir noch einen letzten Satz?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ja, gut.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Zweite ist, dass wir im Kontext der öffentlichen Aufgabe als Gesetzgeber für die Datenveröffentlichung einen sehr breiten Spielraum haben. Wir können da klarer werden. Wir haben die Anhörung am nächsten Montag im Wirtschaftsausschuss. Danach sind wir vielleicht alle miteinander klüger und handeln auch danach. Ich bitte darum. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Karsten Möring. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal: Warum hat dieses Gesetz so lange auf sich warten lassen? Es hat deswegen so lange auf sich warten lassen, weil es in der Tat eine schwierige Abwägung enthält zwischen dem öffentlichen Interesse an Transparenz auf der einen Seite – warum das sinnvoll ist, liebe Frau Kotting-Uhl, haben Sie eben richtig dargelegt –, und auf der anderen Seite den Eigentümerinteressen, die ja in Deutschland grundgesetzlich geschützt sind. Diese Abwägung vorzunehmen, ist eine zentrale Problematik dieses Gesetzes. Ich bin sicher, dass die beteiligten Ministerien bei ihrer Arbeit an dem vorliegenden Gesetzentwurf die Balance gefunden haben, um diese beiden gegenläufigen Aspekte auszugleichen. Wir werden sicherlich über die Frage bei der Anhörung noch mal intensiver diskutieren. Aber vom Grundsatz her ist das ein Kernproblem bei diesem Gesetz, und das ist aus meiner Sicht im Großen und Ganzen gut gelöst. Warum brauchen wir diese Daten? Es ist richtig, dass wir bei der Frage der Endlagersuche nicht einen Standort suchen und sagen: „Den wollen wir haben“, und das begründen, sondern wir gehen genau umgekehrt vor: Wir schließen alle Gebiete aus, die die Kriterien für einen geeigneten Standort nicht erfüllen. Dann bleiben Gebiete übrig. Das erste Mal wird das im Herbst passieren. Bei den weiteren Stufen dieses Übrigbleibens, die zu einer weiteren Einengung der infragekommenden Gebiete führen, müssen wir der Bevölkerung, die davon betroffen ist, glaubhaft vermitteln können, warum das so ist. Es geht nicht darum, Herr Klinge, ob wir Vertrauen in unsere Behörden haben. – Ja, haben wir. Wir können aber nicht von jedem Betroffenen verlangen, dass auch er das hat. ({0}) Deswegen geben wir ihm die Möglichkeit, das in Person nachzuprüfen. Wenn er das nicht kann, weil es sich um Daten handelt, die nicht veröffentlicht werden, dann haben wir im Standortauswahlgesetz eine weitere Möglichkeit vorgesehen, wie wir diese Öffentlichkeit stellvertretend herstellen können. Wir stellen sie her entweder über die Veröffentlichung von Daten, oder wir stellen sie her durch die uneingeschränkte Einsichtsmöglichkeit in die Akten als Einzelperson oder über Gutachten durch die Mitglieder des Nationalen Begleitkomitees. Das ist die zweite Komponente der Öffentlichkeit, die wir haben, und die sollten wir nicht geringschätzen. Denn die Mitglieder in diesem Gremium sind a) renommierte Persönlichkeiten und b) Leute, die fachlich kompetent sind oder sich fachliche Kompetenz durch Gutachten herbeiziehen können. ({1}) Mit diesen beiden Komponenten, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir die maximale Form von Öffentlichkeit und Vertrauen, die nicht durch Behörden hergestellt wird, sondern durch Vertreter der Öffentlichkeit, durch Vertreter der Zivilgesellschaft, wie man so schön sagt. Vielleicht noch mal ein paar Zahlen, um zu verdeutlichen, wie groß das Problem, über das wir reden, eigentlich ist. Die Ergebnisse aller Tiefbohrungen in Deutschland, die bis vor zehn Jahren stattgefunden haben, fast 16 000 Bohrungen, sind öffentlich zugänglich. In der Zeit nach 2011, in den letzten zehn Jahren, gab es insgesamt ungefähr 400 solcher Tiefbohrungen; die Ergebnisse von etwa 150 Bohrungen sind durch freiwillige Veröffentlichung durch die Unternehmen bereits öffentlich. Das ist die Dimension, über die wir reden. Wenn es dann tatsächlich so sein sollte, dass an irgendeiner Stelle, wo jetzt ein Gebietsausschluss stattfindet oder ein Restgebiet übrig bleibt, das Ergebnis einer Bohrung fehlt, weil diese nicht öffentlich ist, dann besteht die Möglichkeit, stellvertretend über das Nationale Begleitgremium Öffentlichkeit herzustellen. Damit haben wir eine Lösung gefunden, die vom Grundsatz her genau das erreicht, was wir brauchen, nämlich Vertrauensbildung in der Öffentlichkeit über die Entscheidungen der Behörden bei der Frage, wo ein mögliches Endlager hinkommen soll. Als wir definiert haben, welche Kriterien ein Endlager erfüllen muss, haben wir nicht gesagt: „Es muss so aussehen wie genau an der und der Stelle“, sondern wir haben den Rahmen definiert, in dem sich ein solches Endlager wiederfinden muss. Genau so bilden wir den Rahmen bei der Suche nach dem geeigneten Standort, indem wir ihn schrittweise eingrenzen, und die Öffentlichkeit hat daran teil durch Information, durch Partizipation. Das ist ein Verfahren, das es in dieser Form noch bei keinem anderen Prozess gegeben hat. Das ist vorbildlich und effektiv, und damit stellen wir das Maximum an Vertrauen her, das wir erreichen können. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzte Rednerin des heutigen Tages erteile ich der Kollegin Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ausgeführt worden, dass das Geologiedatengesetz ein entscheidender Baustein ist, um jetzt im Standortauswahlprozess weiter voranzukommen, um die entscheidenden Schritte im Umgang mit den Informationen zu gehen und um überhaupt weiter ausschließen zu können, welche Bereiche nicht in Betracht kommen, oder eben auch einschließen zu können, welche Bereiche, welche Regionen in Betracht kommen. Ich möchte mich jetzt nicht weiter mit den Formalitäten bzw. mit der Einordnung dieses Gesetzes in einen großen Rahmen aufhalten, weil doch viele Punkte schon angesprochen wurden. Es ist die Gunst der letzten Rednerin eines solchen Tagesordnungspunktes, die ich jetzt ergreifen möchte. Der Knackpunkt in diesem Gesetzgebungsverfahren, das wir nun in sehr kurzer Zeit abschließen müssen, ist, denke ich: Inwieweit können wir vielleicht doch noch eine Veränderung, eine Verbesserung des Gesetzentwurfs erreichen, damit es mit der Transparenz noch besser gelingt? Er ist ein sehr guter Entwurf, weil an vielen Stellen bestmöglich versucht wurde – diese Motivation möchte ich durchaus unterstellen –, Transparenz herzustellen. Aber wenn man sich anschaut, wie anfällig doch das öffentliche Vertrauen sein kann, wenn an nur einer Stelle der Verdacht entsteht, dass nicht jegliche Möglichkeit zur Herstellung von Transparenz ausgeschöpft wurde, die man von rechtlicher Seite her an die Hand geben kann, stellt man fest, dass wir vielleicht über den ganzen Standortauswahlprozess ein Problem haben, weil ihm das immer anhaftet. Insofern ist dieses Gesetzgebungsverfahren ein entscheidender Schlüssel für die Schaffung von Vertrauen durch Transparenz im bestmöglichen Spektrum. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, die hier eben schon angeklungen ist, muss man zitieren, wenn es darum geht, wie weit denn das geistige Eigentum geschützt ist, wenn es um die Bereitstellung dieser Daten geht. Es ist in der Tat letztendlich dem Allgemeinwohl verpflichtet. Einen entsprechenden Interessenausgleich könnte man vor diesem Hintergrund sehr wohl auch dann noch gewährleisten, wenn man auf der einen Seite sehr viel mehr Daten öffentlich macht, auf der anderen Seite aber die Einwilligung des Dateninhabers fordert, wenn es um die gewerbliche Verwertung der Daten von Dritten geht. Das könnte, so denke ich, tatsächlich ein Weg sein, damit wir es schaffen, einen Interessenausgleich hinzubekommen. Ein weiterer Bereich, den man im Gesetzgebungsverfahren aufgreifen sollte, betrifft die Frage, inwieweit den Behörden noch ein bisschen mehr Konkretisierung an die Hand gegeben werden kann, was sie in welcher Situation zu tun haben. Auch da sollte auf keinen Fall der Verdacht aufkommen, dass die Behörden es vielleicht mal so und mal so handhaben, und keiner kann nachvollziehen, warum es in dem einen Fall so und in dem anderen Fall so passiert. Diese Abwägungen müssen immer transparent und nachvollziehbar sein. Es muss erkennbar sein, dass das im Regelfall immer im öffentlichen Interesse geschieht. Insofern hoffe ich und bin frohen Mutes, dass wir den Gesetzentwurf im anstehenden parlamentarischen Verfahren vielleicht noch ein Stück weit in die benannte Richtung konkretisieren können, und danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Scheer. – Damit schließe ich auch diese Aussprache.