Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Einen schönen guten Morgen! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen heute Morgen einen weiteren wichtigen Schritt im Mietrecht gehen und die Mieterinnen und Mieter stärken. Wir haben ein riesengroßes Problem insbesondere in den Ballungsräumen und in den Städten – mein Wahlkreis ist Berlin-Mitte; deswegen weiß ich sehr gut, wovon ich spreche –: Das ist der Anstieg der Mieten bei Neuvermietungen. Aus diesem Grund haben wir hier im Jahr 2015 mit Mehrheit die Mietpreisbremse beschlossen. Wir können jetzt, noch nicht ganz fünf Jahre danach, feststellen, dass sie wirkt. Der Anstieg der Mieten bei Neuvermietung hat sich verlangsamt.
({0})
Das zeigt ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, das im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz erstellt wurde. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine gute Nachricht für Mieterinnen und Mieter.
Genau so wollen wir jetzt weitermachen. Die Mietpreisbremse hat zwei wesentliche Regelungen zum Gegenstand – daran möchte ich noch einmal erinnern –: Dort, wo die Wohnungsmärkte angespannt sind, wird der Anstieg der Mieten auf höchstens 10 Prozent eingedämmt. Ich finde, 10 Prozent ist immer noch viel,
({1})
aber immerhin haben wir uns darauf verständigt. Und: Die Mieterinnen und Mieter können die zu viel gezahlte Miete von ihrem Vermieter zurückverlangen.
Wir werden jetzt in zweierlei Hinsicht noch einmal tätig, indem wir die Mietpreisbremse einerseits zeitlich verlängern und andererseits verschärfen. Denn obwohl die Mietpreisbremse wirkt, ist das Problem immer noch vorhanden, dass die Mieten weiter steigen. Und die Konsequenz daraus ist, dass auch beim Mietspiegel die ortsüblichen Vergleichsmieten steigen. Deswegen haben wir uns darauf verständigt – ich bin dafür sehr dankbar –, dass wir die Mietpreisbremse um fünf Jahre verlängern. Sie gilt dann bis zum 31. Dezember 2025 und kann weitere Wirkung entfalten.
Wir sehen das zum Beispiel in Berlin. Ich will jetzt nicht zu viele Zahlen nennen, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ganz ohne Zahlen geht es nicht. Wir haben in Berlin eine Vergleichsmiete von etwas unter 7 Euro pro Quadratmeter. Aber wenn wir uns die Angebotsmieten anschauen, sehen wir, dass diese bei fast 10 Euro pro Quadratmeter liegen. Das ist natürlich ein Riesenunterschied. Genau da setzt die Mietpreisbremse an. Denn wir wollen verhindern, dass Menschen, wie wir in Berlin sagen, aus ihren Kiezen verdrängt werden. Das gilt auch für andere Städte und Ballungsräume. Und wir wollen vor allen Dingen auch ermöglichen, dass Menschen überhaupt erst eine bezahlbare Wohnung finden.
({2})
Der zweite wichtige Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist, dass wir zu der Erkenntnis gekommen sind, dass wir die Mietpreisbremse an einem ganz wesentlichen Punkt verschärfen müssen, nämlich bei dem Rückzahlungsanspruch der Mieterinnen und Mieter gegenüber dem Vermieter oder der Vermieterin wegen zu viel entrichteter Miete. Dieser Anspruch gilt erst – das ist jetzt ein bisschen technisch, aber alle wissen, worum es geht – ab einer Rüge. Der Mieter oder die Mieterin muss also die Höhe der Miete rügen. Wir sagen jetzt, dass dann auch die seit Vertragsbeginn zu viel gezahlte Miete zurückverlangt werden kann. Denn häufig ist es so: Sie schließen einen Mietvertrag und wollen sich nicht als Allererstes mit dem Vermieter oder der Vermieterin anlegen. Deswegen haben wir gesagt: Wir verlängern jetzt diesen Zeitraum. Innerhalb von 30 Monaten muss gerügt werden. Dann kann die Miete auch für diesen Zeitraum von 30 Monaten, also ab Beginn des Mietverhältnisses, zurückverlangt werden.
({3})
Das ist ein ganz wichtiger und wesentlicher Schritt für die Mieterinnen und Mieter.
({4})
Damit stärken wir sie.
Ich möchte mich an dieser Stelle, liebe Christine Lambrecht, ganz, ganz herzlich beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bedanken für einen guten Gesetzentwurf, dafür, dass wir hier im parlamentarischen Verfahren gut beraten konnten, für Hartnäckigkeit und Konsequenz. Dafür ein ganz herzliches Dankeschön.
({5})
Ich darf auch ankündigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir noch mehr auf dem Zettel haben, was das Mietrecht angeht.
({6})
Wir haben noch eine ganze Menge gemeinsam vereinbart. Wir wollen uns noch dem Gedanken widmen, die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen einzuschränken. Wir müssen uns noch einmal der Kündigung bei Eigenbedarf zuwenden; auch das ist ein riesengroßes Problem in den Städten. Wir wollen den Mietspiegel rechtssicher machen. Die Bezugsdauer haben wir ja schon von vier auf sechs Jahre verlängert.
Jetzt schaue ich einmal zum lieben Koalitionspartner: Wir müssen auch dringend etwas im Bereich der Gewerbemieten machen.
({7})
Denn wir sehen, dass viele verdrängt werden: Künstlerinnen und Künstler, Handwerksbetriebe, inhabergeführte Einzelhandelsgeschäfte. Deswegen ist das Thema Gewerbemiete eines, das wir, auch wenn es nicht im Koalitionsvertrag steht, auf die gemeinsame Agenda setzen sollten.
Ich möchte nicht schließen, ohne zu erwähnen, dass natürlich das Entscheidende bei der Frage der Mietpreise der Wohnungsbau ist. Deswegen intensivieren wir unsere gemeinsamen Anstrengungen, auch zusammen mit den Ländern, mit dem Ziel, dass noch mehr gebaut wird, damit sich der Wohnungsmarkt entspannt.
Ich glaube, es ist ein gutes Gesetz, das wir heute hoffentlich mit Mehrheit hier beschließen können. Ich freue mich, dass die Mietpreisbremse dann weiter wirkt.
Vielen Dank.
({8})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Udo Hemmelgarn, AfD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tribünen! Zunächst möchte ich sagen, dass ich dankbar dafür bin, heute hier sprechen zu dürfen, dankbar dafür, dass meine Wahl nicht rückgängig gemacht wurde, wie das jetzt offenbar zur Demokratiesimulation der Bundesregierung gehört.
({0})
Ich freue mich auch, dass die Kollegen von der Union wohl noch vollzählig sind und niemand im Zuge einer Säuberungsaktion aus dem Parteikader geflogen ist.
({1})
Man muss mittlerweile dankbar sein für den kläglichen Rest der Meinungsfreiheit, der diesem Land geblieben ist.
({2})
Im Jahr 15 der Regentschaft der ehemaligen FDJ-Sekretärin Angela Merkel ist unser Staat nicht nur auf dem Weg in eine sozialistische Mangelwirtschaft,
({3})
sondern zeigt auch repressive Tendenzen, die einem Angst und Bange machen.
({4})
Anders als die Kanzlerin meint, ist die Meinungsfreiheit nicht schon dann gegeben, wenn man ihr in einer Podiumsdiskussion eine kritische Frage stellen darf und dafür noch nicht verhaftet wird.
({5})
– Warten Sie es ab.
Als AfDler ist man derzeit froh, wenn man von öffentlichen Veranstaltungen unbeschadet nach Hause kommt und den linksextremen Schlägertrupps der Antifa entgeht,
({6})
die wahrscheinlich aus dem Regierungsprogramm „Demokratie leben!“ finanziert werden. Angeheizt wird der Kampf gegen uns „subversive Elemente“ dann vom „Schwarzen Kanal“ der Staatssender.
({7})
Herr Kollege Hemmelgarn, es wäre sachdienlich, wenn Sie zur Sache reden würden.
({0})
Ich komme jetzt zur Sache.
({0})
Der Tagesordnungspunkt lautet: Regelungen über die zulässige Miethöhe.
({0})
Die AfD steht mittlerweile als einzige echte Oppositionspartei einer nationalen Einheitsfront der Altparteien gegenüber. Wenn die Bundeskanzlerin dann davon spricht, die AfD würde die Demokratie in unserem Land zerstören, muss die Frage erlaubt sein, ob sie unter Wahnvorstellungen leidet bzw. noch zurechnungsfähig ist.
({0})
Sie fragen sich jetzt, was das mit Wohnungsbaupolitik, dem Gesetzentwurf und den Anträgen zu tun hat.
({1})
Ganz einfach: In kaum einem anderen Bereich zeigen sich das völlige Politikversagen und der Realitätsverlust unter Angela Merkel
({2})
so deutlich wie im Bereich des Wohnungsbaus.
({3})
Auch hier beschreitet man den Weg in die sozialistische Planwirtschaft und sucht sein Heil in der Verlängerung der Mietpreis- oder – besser gesagt – Wohnraumbremse. Anstatt das Angebot an Wohnungen ausreichend zu erhöhen und die Infrastruktur an den Rändern der Großstädte zu verbessern,
({4})
anstatt die Grenzen zu schützen und diejenigen nach Hause zu schicken, die kein Bleiberecht haben, lautet die Antwort der Großen Koalition: mehr Regulierung.
({5})
Wesentliche Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft werden über Bord geworfen. Die Bundesregierung ist offensichtlich wild entschlossen, den Forderungen von links-rot-grüner Seite so weit wie möglich nachzukommen.
({6})
Ist das die große Transformation, von der Angela Merkel in Davos sprach? Sicher ist: So sieht die Politik einer Regierung aus, die unter Angela Merkel aufgehört hat, den Menschen in unserem Land zu dienen. Eine Regierung, die alle bürgerlichen Kernpositionen aufgegeben hat. Eine Regierung, die vorrangig nur noch am eigenen Machterhalt interessiert ist.
({7})
Wir sehen jetzt, dass die Dinge in Bewegung kommen. Wir hoffen, dass es den verbliebenen bürgerlichen Kräften in der Union gelingt,
({8})
diesen Spuk zu beenden und den Albdruck von unserem Land zu nehmen, ehe es zu spät ist.
({9})
Vielen Dank.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen – –
({0})
– Wenn Sie liebenswürdigerweise dem Präsidenten Ihre volle Aufmerksamkeit schenken würden.
({1})
So. Wir haben jetzt eine Vereinbarung, die Tagesordnung zu ergänzen. Der Abgeordnete Jürgen Braun hat fristgerecht Einspruch gegen den ihm in der gestrigen Sitzung erteilten Ordnungsruf eingelegt. Der Einspruch wird als Unterrichtung durch den Präsidenten verteilt. Gemäß § 39 der Geschäftsordnung ist der Einspruch auf die Tagesordnung dieser Sitzung zu setzen. Der Bundestag hat über den Einspruch ohne Aussprache zu entscheiden. Die Fraktionen haben vereinbart, über den Einspruch als Zusatzpunkt 10 nach diesem Tagesordnungspunkt zu entscheiden.
Damit erteile ich das Wort als nächstem Redner dem Kollegen Thorsten Frei, CDU/CSU.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne zur Sache zurückkommen und über das Mietrecht und die befristete Verlängerung der Mietpreisbremse sprechen.
Das Thema Wohnen, über das wir hier sprechen, ist ein Thema, das in der Lebenswirklichkeit der Menschen von zentraler Bedeutung ist. Frau Högl, Sie sind darauf eingegangen. Egal ob es der Bau eines Hauses ist, der Kauf einer Eigentumswohnung, die Suche nach einer Mietwohnung: Letztlich ist es etwas, womit jeder im Laufe seines Lebens konfrontiert ist. Da ist es natürlich auch ein Faktum, dass es in weiten Teilen unseres Landes, insbesondere in den Großstädten und den Ballungsräumen, schwierig ist, zu angemessenen Preisen angemessenen Wohnraum für die Menschen zu finden.
Wir wissen, dass wir über 1 Million fehlende Wohnungen in Deutschland haben. Das ist nicht nur ein Problem für diejenigen, die auf der Suche nach einer Wohnung sind, sondern das ist auch ein Problem für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Deshalb ist es eine politische Herausforderung für uns, der wir mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen begegnen müssen: auf der Ebene des Bundes, der Länder und genauso der Kommunen.
Ich will zunächst einmal den Blick auf etwas lenken, was wir allzu oft ausblenden: dass es nämlich teilweise den Mietwohnungsmarkt entspannen würde, wenn wir es schaffen würden, das Wohneigentum in Deutschland zu verstärken. In Deutschland liegt die Eigentumsquote unter 50 Prozent. Wenn wir Länder wie Portugal, wie Spanien, wie Italien oder auch Norwegen anschauen, dann stellen wir fest, dass dort die Eigentumsquote bei 80 Prozent und höher liegt.
({0})
Deshalb, glaube ich, ist es richtig, dass wir beispielsweise über Veränderungen im Baurecht, durch die Schaffung urbaner Gebiete, durch das Baukindergeld und durch viele andere Maßnahmen versuchen, an dieser Stelle zu einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt insgesamt beizutragen.
Da kommen jetzt die Länder ins Spiel, wenn es beispielsweise um die Baunebenkosten geht, wenn es beispielsweise um die Grunderwerbsteuer geht, wenn es beispielsweise um die Landesbauordnungen geht; denn all das macht das Bauen und das Wohnen teuer. Daran wird klar: Da tragen alle eine Verantwortung, und alle müssen dazu einen Beitrag leisten.
Wenn ich jetzt den Blick auf den Mietwohnungsmarkt richte, dann kann man in der Tat sagen, dass wir in den letzten Wochen und Monaten vieles gemacht haben. Man denke etwa an das Mietrechtsanpassungsgesetz aus dem November 2018 mit den Veränderungen bei der Rüge im Rahmen der Mietpreisbremse oder an die Frage der Umlage von Modernisierungskosten auf die Miete: Da ist viel passiert.
({1})
Ich erinnere auch an die Erhöhung des Wohngeldes zum 1. Januar dieses Jahres – das kommt nun 660 000 Menschen in unserem Land zu, 180 000 mehr als zuvor – oder an die Verlängerung des Betrachtungszeitraumes, die wir vor Weihnachten vorgenommen haben. Das war eine Maßnahme ausschließlich für Mieterinnen und Mieter.
({2})
Jetzt geht es um die befristete Verlängerung der Mietpreisbremse. Das ist auch eine Verbesserung für die Situation der Mieterinnen und Mieter. Wir verlängern die Möglichkeit zum Einsatz der Mietpreisbremse für die Länder bis 2025 und schaffen nicht nur eine vereinfachte Rügemöglichkeit, sondern auch den Zeitraum für die Rückforderung von zu viel gezahlter Miete auf bis zu 30 Monate.
Ich will an dieser Stelle aber auch ganz ehrlich sagen, dass die Mietpreisbremse für uns wirklich nur ein Mittel zum Zweck ist. Wir machen diese Regulierung im freien Markt nicht gerne. Es ist auch tatsächlich so, dass hohe Mieten und Engpässe auf dem Wohnungsmarkt letztlich nur durch Bauen, Bauen, Bauen zu erledigen sind. Wir haben zu wenige Wohnungen. Deswegen sind die Mieten zu hoch.
({3})
Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass in Deutschland mehr gebaut wird.
({4})
Die Mietpreisbremse hilft uns dabei zunächst einmal nicht, sondern sie hilft uns nur, Zeit zu gewinnen. Aber diese Zeit muss dann auch genutzt werden.
({5})
Ich will von daher an dieser Stelle eines sagen: Wir können natürlich nicht alle fünf Jahre die Dauer der Mietpreisbremse um weitere fünf Jahre verlängern.
({6})
– Weil es jetzt notwendig ist. – Aber diese Zeit muss genutzt werden. Wir geben den Ländern die Möglichkeit, diese Zeit zu nutzen, um zu bauen. Ich will mal zwei Beispiele nennen; beide betreffen übrigens sozialdemokratisch geführte große Städte. Das Beispiel, bei dem es sehr gut klappt, ist Hamburg, wo seit 2011 100 000 Baugenehmigungen ausgereicht worden sind. Das Negativbeispiel ist Berlin: Da wird gerade mal die Hälfte gebaut im Verhältnis zur Einwohnerzahl.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten wir uns in fünf Jahren mit diesem Thema erneut beschäftigen müssen, dann wäre ich sehr dafür, zu sagen: Nur die Länder, die selber ihren Beitrag dazu leisten, dass gebaut wird, dass sich der Wohnungsmarkt entspannt, dass die Preise sinken, dürfen auch auf regulatorische Elemente wie die Mietpreisbremse zurückgreifen. Das halte ich für ganz entscheidend.
({7})
Dafür sollten wir dann auch die Voraussetzungen schaffen. Jetzt verschafft uns diese Maßnahme Zeit. Wir wollen diese Zeit nutzen.
Als letzten Satz möchte ich sagen: Wir müssen immer genau austarieren: Wo brauchen wir Regulierung? Wo hilft es uns, Zeit zu gewinnen, um die Dinge zu verbessern? Und wo geht es in eine Überregulierung, die verhindert, dass in den Wohnungsbaumarkt investiert wird, und damit letztlich auch verhindert, dass zusätzliche Wohnungen gebaut werden können? Ich glaube, wir gehen hier den richtigen Mittelweg.
Herzlichen Dank.
({8})
Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Katharina Willkomm, FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und täglich grüßt das Mietbremstier. Fast jedes Mal, wenn ich hier ans Mikrofon trete, dann geschieht das wegen neuer Entwürfe zur Mietpreisbremse: eine verschärfte Mietpreisbremse, eine Mietpreisbremse über den Umweg der Vergleichsmiete. Und wenn es nach den Linken ginge, käme mit dem Mietendeckel auch noch eine Mietpreisvollbremsung dazu.
({0})
Und heute? Heute sprechen wir im Hohen Haus über die Verlängerung der Wohnungsmietpreisbremse bis 2025. Das alles ist fatal, meine Damen und Herren; denn die Probleme werden durch all die Bremsgesetze nicht gestoppt: Die Städte platzen aus allen Nähten. Auf dem Land haben wir teils erhebliche Leerstände. Neue Wohnungen entstehen nicht schnell genug. Die Menschen können nicht in Wohnungen, die zur jeweiligen Lebenssituation passen.
({1})
Die Mietpreisbremse wird die Ursachen der steigenden Mieten nicht bezwingen.
({2})
Die Mietpreisbremse baut keine einzige Wohnung. Stattdessen würgt sie für Bauleute und Handwerker einen ganzen Wirtschaftszweig ab. Wir Freie Demokraten wollen das verhindern.
({3})
Apropos verhindern: Ich habe in der Zeitung gelesen: Horst Seehofer denkt über Wege nach, die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentum zu verhindern.
({4})
Er ist dafür zuständig. Horst Seehofer musste in der Zeitung lesen: Seine nichtzuständige Kollegin Lambrecht hat ihn überholt und einen entsprechenden Gesetzentwurf dazu schon mal fertiggestellt.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der falsche Weg.
({6})
Es ist falsch, wenn Sie verhindern, dass Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden dürfen. Stattdessen sollten wir uns Gedanken darüber machen, wie wir Menschen ins Eigenheim bekommen.
Wir brauchen eine Wende von der Mieter- in die Eigentümernation.
({7})
Wir Freie Demokraten haben dazu einige Anträge und Ideen eingebracht, zum Beispiel: Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer, Wohnungsbau vereinfachen und entbürokratisieren oder auch: 5G: an jeder Milchkanne, um den ländlichen Raum zu stärken und attraktiver zu gestalten.
({8})
Die Bundesregierung konzentriert sich auf das Bremsen der Wohnungsmietpreise bis 2025. Sie will die Mietpreisbremse nicht nur insgesamt verlängern; sie weitet auch Mieterrechte aus; um überhöhte Mieten zurückzufordern. Das klingt zunächst wie eine Selbstverständlichkeit. Natürlich hilft es beim Beginn einer wundervollen Freundschaft nicht, wenn ich als Mieter am Montag den Mietvertrag unterschreibe und am Dienstag die Miethöhe rügen soll. Warum sollte der Vermieter auch mein sauer verdientes Geld behalten können, wenn er das nach Recht und Gesetz gar nicht hätte verlangen dürfen? Weil, ja weil der Vermieter eben nicht weiß, was er darf und was er nicht darf.
Zum einen sind ja zwei Drittel der Vermieter keine Immobilienkonzerne mit eigener Rechtsabteilung, sondern Privatleute – und das ist auch gut so.
({9})
Zum anderen gibt es in der überwiegenden Zahl der Gemeinden gar keinen Mietspiegel als Orientierungsmarke. Das heißt, der private Einzelvermieter kann kaum wissen, wo die Grenze ist. Er steht also immer in der Gefahr für zweieinhalb lange Jahre, dass ihm die ursprüngliche Kalkulation um die Ohren fliegt. Das ist eine unangemessene Benachteiligung des Vermieters. Das machen wir Freie Demokraten nicht mit.
({10})
Sie zwingen den Vermieter nämlich, für ganze zweieinhalb Jahre Rückstellungen zu bilden, und das bei eh schon gekappten Mieten. Geld, das mein Vermieter für eine Rücklage sparen muss, kann er aber weder für eine Reparatur ausgeben noch in die Modernisierung der Wohnung stecken. Je länger und umfassender die Rügemöglichkeit, desto später kommt die neue Heizung. Das kann doch nicht gewollt sein!
({11})
Wir Freie Demokraten haben einen weiteren Vorschlag gemacht. Einen Vorschlag für mehr Transparenz in der Vergleichsmiete. Den werden wir in Kürze im Ausschuss diskutieren. Aber die Verlängerung der Mietpreisbremse lehnen wir ab.
Vielen Dank.
({12})
Caren Lay, Die Linke, hat als nächste Rednerin das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, die Verlängerung der Mietpreisbremse ist längst überfällig. Deswegen haben wir sie als Linke hier auch mehrfach beantragt.
({0})
Aber eine Verlängerung der Mietpreisbremse muss natürlich mit einer grundlegenden Nachbesserung der Mietpreisbremse verbunden sein. In ihrer jetzigen Form wirkt sie ja offenbar nicht.
Allein hier in Berlin haben sich die Preise bei neuen Mietverträgen in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Daran haben auch fünf Jahre Mietpreisbremse nichts geändert, und in vielen anderen deutschen Städten sieht es nicht besser aus. Also die Einschätzung, dass sich die Mietenexplosion jetzt dank der Mietpreisbremse verlangsamt, können wir als Linke nicht teilen.
({1})
Wenn es so wäre, wäre das weniger auf die Mietpreisbremse zurückzuführen als darauf, dass sich einfach niemand mehr findet, der diese Mondpreise überhaupt noch bezahlen kann. In den Speckgürteln der Metropolen geht es mit der Mietenexplosion jetzt erst richtig los. Es gibt also leider keinen Grund zur Entwarnung.
({2})
Deswegen fordern wir hier als Linke im Übrigen schon seit zehn Jahren: Wenn die Mietpreisbremse wirklich wirken soll, dann muss sie wirklich bremsen und darf nicht noch die Möglichkeit, die Mietpreise um 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu erhöhen, gesetzlich vorsehen. Sie muss flächendeckend gelten, anstatt es jedem Land zu überlassen, mit eigenen Rechtsverordnungen das Ganze noch mal rechtssicher auszugestalten. Außerdem muss sie auch ohne Ausnahmen gelten.
({3})
Denn was passiert? Viele Vermieter flüchten sich in teure Modernisierungen und in die Vermietung möblierter Wohnungen, weil Modernisierungen und möblierte Wohnungen aus der Mietpreisbremse ausgenommen sind. Das muss sich endlich ändern.
({4})
Schließlich, meine Damen und Herren: Ein Gesetz kann eben nur wirken, wenn Verstöße auch wirklich bestraft werden. Aber wer die Mietpreisbremse umgeht, bleibt straffrei – und das kann einfach nicht sein.
({5})
Die Koalition rühmt sich heute mit der Einführung der Rückzahlungspflicht. Zu viel verlangte Miete soll nun also von Mietbeginn an zurückgezahlt werden. Das finden wir richtig; das fordern auch wir Linke seit vielen Jahren. Doch leider gilt in dem Entwurf, der jetzt zur Abstimmung steht, die Rückzahlungspflicht nur für neue Mietverträge. Das war ursprünglich anders vorgesehen. Das heißt aber in der Praxis: Wer in den letzten fünf Jahren von seinem Vermieter geprellt wurde, bekommt sein Geld eben nicht von Mietbeginn an zurück. Die Vermieter bleiben also straffrei und dürfen die zu viel geforderte Miete auch noch behalten. Das ist keine Reform; das ist doch Augenwischerei.
({6})
Nein, meine Damen und Herren, eine wirkliche Reform der Mietpreisbremse ist das nicht. Der Gesetzentwurf kommt zu spät und greift zu kurz. Mit halbherzigen Reförmchen bekommen wir den Mietenwahnsinn nicht in den Griff.
({7})
Auch dieses Mal war es die Union, die den Gesetzentwurf verwässert und sinnvolle Vorschläge aus dem Justizministerium zum Nachteil der Mieterinnen und Mieter beschnitten hat. Auch hier erweist sich die Union eben nicht als Verbündete der Mieterinnen und Mieter, sondern als Gegnerin der Mieterinnen und Mieter.
({8})
Sie machen einfach Politik für diejenigen, die vom Mietenwahnsinn profitieren. Das ist die Wahrheit;
({9})
denn was für die einen der Mietenwahnsinn ist, ist der Gewinn für die anderen.
Die oberen 10 Prozent der Bevölkerung besitzen 60 Prozent der Immobilien. Das heißt, vom Immobilienboom profitieren vor allen Dingen Reiche. Die obere Mittelschicht konnte ihr Vermögen seit 2011 mehr als verdoppeln. Dazu hat dieser ungebremste Mietenwahnsinn beigetragen. Das heißt, die Mietenkrise hat Reiche noch reicher und Mieterinnen und Mieter ärmer gemacht.
({10})
Das sind die Fakten, und mit Ihrer Tatenlosigkeit verschärfen Sie die soziale Spaltung in diesem Land, und das werden wir als Linke niemals akzeptieren.
({11})
Wir wollen, dass Mieten gedeckelt werden. Wir wollen keine Mieterhöhungen über dem Inflationsausgleich. Die Mieterinnen und Mieter haben sich eine Atempause verdient.
({12})
Aber während die Bundesregierung dabei versagt, die Mieten wirkungsvoll zu deckeln, hat jetzt Berlin mit Rot-Rot-Grün und mit einer linken Bausenatorin
({13})
endlich das erste wirkungsvolle Gesetz zu einem Mietendeckel in einem Bundesland vorgelegt. Diesem guten Beispiel sollten weitere Bundesländer folgen.
({14})
Ausgerechnet diejenigen, die hier seit Jahren jeden wirkungsvollen Mieterschutz verhindern, ziehen jetzt vor das Bundesverfassungsgericht, um den Berliner Mietendeckel zu verhindern, nämlich CDU, FDP und AfD, also das gleiche unheilvolle Bündnis,
({15})
das sich kürzlich erst in Thüringen blamiert hat.
({16})
Sie bitten also das Bundesverfassungsgericht um die alleinige Zuständigkeit für ein Thema, bei dem Sie doch jahrelang überhaupt nicht gehandelt haben. Ich finde das wirklich unanständig.
({17})
Millionen Mieterinnen und Mieter erhoffen sich von diesem Mietendeckel endlich die Atempause, die sie verdient haben. Sie wollen sie verhindern und sind auch noch stolz darauf, posten Fotos im Internet, die zeigen, wie Sie die Klage unterschreiben. Ich finde, Sie sollten sich wirklich schämen.
({18})
Ein letztes Wort zur AfD: Sie haben hier Wahlkampf gemacht und die etablierten Parteien beschimpft. Kaum sind Sie in den Bundestag eingezogen, streichen Sie eine fette Spende von einem Berliner Baulöwen ein,
({19})
und als kleines Dankeschön reichen Sie dann eine Klage gegen den Mietendeckel ein. Das ist doch wirklich Bestechung. Das ist gekaufte Politik.
({20})
Das werden wir als Demokratinnen und Demokraten niemals akzeptieren.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Letzte Woche hat das Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft uns noch mal gezeigt, wie die Situation auf unseren Wohnungsmärkten in Deutschland eigentlich ist: Wir haben immer noch starke Mietsteigerungen in den Metropolen. Wenn man in die Speckgürtel schaut, dann stellt man fest, dass wir dort eine Mietenexplosion haben.
Ein Beispiel: In Bietigheim-Bissingen in meinem Heimatbundesland lag die Mietpreissteigerung im letzten Jahr bei 13,6 Prozent. Da kann sich die Verkäuferin eben keine Wohnung mehr leisten. Ein anderes Beispiel: Landsberg am Lech in Bayern. Da war ich letzte Woche im Kommunalwahlkampf. Die haben dort eine Mietpreissteigerung von 11,4 Prozent in einem Jahr. Das sind Kommunen, die nicht von dieser Mietpreisbremse profitieren. Deswegen sage ich ganz klar: Die Mietpreisbremse muss nicht nur verlängert werden; sie muss auch ausgeweitet werden.
({0})
Die Mietpreisbremse zeigt im Augenblick eines: Regulierung funktioniert, und wir brauchen mehr Regulierung beim Mietrecht, sonst werden uns die Mieten weiter davongaloppieren. Das ist vollkommen klar. Da hilft auch Bauen, Bauen, Bauen nicht, werte Kolleginnen und Kollegen der Union.
({1})
– Langfristig schon, aber kurzfristig eben nicht. Und deswegen müssen wir die Mietpreisbremse verlängern und endlich richtig anschärfen.
({2})
Die Ausnahmen von der Mietpreisbremse müssen herausgenommen werden. Wir müssen den Ländern ermöglichen, die Mietpreisbremse leichter umzusetzen. Dass Sie als Union das nicht wollen, wissen wir schon seit vielen Jahren; denn Sie haben die Einführung der Mietpreisbremse durchlöchert; Sie haben sie bis aufs Messer bekämpft, das Lied der Immobilienbranche immer wieder gesungen und dafür gesorgt, dass weiterhin möblierte Wohnungen ausgenommen sind,
({3})
dass die Modernisierung ausgenommen ist, sodass der Mieter die Modernisierungsumlage noch obendrauf zahlen muss.
({4})
Trotzdem sagen Sie: Wir nehmen das aus dem Betrachtungszeitraum der Mietpreisbremse heraus. Das ist doch die Wahrheit: Die CDU/CSU blockiert den Mieter- und Mieterinnenschutz, der dringend notwendig wäre.
({5})
Wir bräuchten in Deutschland eine wirkliche Mietobergrenze. Wir müssen an die Kappungsgrenze herangehen, damit die Mieten im Bestand nicht noch weiter steigen. Wir müssen den Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter ausweiten. Frau Högl, ich habe sehr gerne gehört, was Sie hier angekündigt haben. Aber wir reden heute in der Kernzeit zu diesem Gesetz; da wäre es doch bei einer guten Regierungsführung angebracht, dass all das, was Sie angekündigt haben, heute hier beraten wird, damit die Mieterinnen und Mieter in den nächsten Monaten entlastet werden.
({6})
Wir unterstützen Sie in der Auseinandersetzung mit der Union. Davon können Sie auf jeden Fall ausgehen.
({7})
Eine große Tageszeitung hat letzte Woche getitelt „Schwierig bis aussichtlos! Berliner Polizei braucht Unterkünfte für Auszubildende“. Ein Azubi der Polizei, wenn er aus einem anderen Bundesland kommt, findet hier in Berlin keine Wohnung mehr. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Herr Luczak, Sie gefährden mit Ihrer Mietenpolitik, die nicht Mieterinnen und Mieter, sondern Investoren im Blick hat, am Ende auch die innere Sicherheit.
({8})
Danke schön.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johannes Fechner, SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Die Mieten in Deutschland steigen nicht nur in den Großstädten rasant. In meiner Heimat, in Südbaden, in Freiburg, muss mittlerweile im Schnitt – wohlgemerkt im Durchschnitt – die Hälfte des Nettoeinkommens für die Miete ausgegeben werden. Das zeigt: Das kann alles nicht so bleiben. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute die Mietpreisbremse verlängern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Nach einer aktuellen Studie des F+l‑Institutes zeigt sich ganz deutlich, dass dort, wo die Mietpreisbremse gilt, der Anstieg der Mieten tatsächlich gebremst werden konnte. Deutschlandweit haben Mieterinnen und Mieter mit dem Instrument, das die SPD vor Gerichten durchgesetzt hat, ihre Mieten begrenzen können.
({1})
Das zeigt: Dort, wo die Mietpreisbremse gilt, ist sie ein Erfolg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Natürlich wäre es besser, sie würde bundesweit gelten, damit nicht, wie im schwarz-grün regierten Schleswig-Holstein, die Mietpreisbremse einfach abgeschafft werden kann.
({2})
Ich muss schon sagen, das finde ich sehr scheinheilig von den Grünen. Hier kritisieren Sie uns, wir würden nicht genug tun, und in Schleswig-Holstein schafft Herr Habeck, Ihr Vorsitzender, die Mietpreisbremse ab. Sie sollten sich überall für die Mieter einsetzen, ansonsten setzen Sie sich dem Vorwurf aus, nicht überall die Mieterinteressen zu vertreten. Nein, wir müssen die Mietpreisbremse verlängern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Die zweite Änderung besteht darin, dass zukünftig das Pokerspiel der Vermieter gestoppt wird, dass eben nicht mehr bewusst eine überhöhte Miete in den Mietvertrag geschrieben werden kann und der Mieter aus purer Not den Mietvertrag unterschreiben muss. Das können wir jetzt stoppen, weil der Mieter, auch 30 Monate nachdem er den Mietvertrag unterschrieben hat, die Überzahlung zurückfordern kann. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, damit die Mietpreisbremse nicht mehr umgangen werden kann, wie es heute oft passiert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Ich fand es schon bezeichnend, dass von der AfD kein einziger konkreter Vorschlag kam, dass vom Redner – und vermutlich auch vom nächsten Redner – nur die übliche Hetze gekommen ist.
({5})
Das ist auch kein Wunder. Es ist klar: Wer die Spende eines Berliner Baulöwen in Höhe von 100 000 Euro annimmt, steht ganz sicher nicht auf der Seite der Mieterinnen und Mieter, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Die Maßnahmen, die wir heute mit diesem Gesetz beschließen werden, sind bei Weitem nicht ausreichend. Wir müssen das Mietrecht weiter verbessern. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass Innenminister Seehofer einen Vorstoß gemacht hat, den Wucherparagrafen zu verschärfen.
({7})
Ich finde, es muss Aufgabe des Staates sein, dafür zu sorgen, dass Wuchermieten in Deutschland nicht mehr existieren. Die Staatsanwaltschaften und die Behörden müssen dann eingreifen. Wir können die Mieterinnen und Mieter nicht allein lassen, wenn sie Wuchermieten zu bezahlen haben. Deswegen ist diese Verschärfung gut.
({8})
Gerne hätten wir es heute hier beschlossen. In diesem Gesetzentwurf hätten wir die Verschärfung, die Herr Seehofer jetzt vorgeschlagen hat, eingebracht. Aber in der Unionsfraktion gab es breiten Widerstand. Herr Minister, wir drücken Ihnen die Daumen, dass Sie sich in der Unionsfraktion mit diesem wichtigen Anliegen durchsetzen und dass diese alte SPD-Forderung bald umgesetzt wird.
({9})
Von der FDP kommt der Vorwurf, wir würden in den Markt eingreifen. Ja, genau das tun wir, weil der Markt alleine nicht für mehr bezahlbaren Wohnraum sorgen wird.
({10})
Genau deshalb brauchen wir dieses wichtige Gesetz. Es ist das Kernelement einer sozialen Marktwirtschaft, dass der Staat dort eingreift, wo die Daseinsvorsorge für die Bürger über den Markt nicht mehr erfolgt, und wir brauchen hier Regelungen.
({11})
Alles in allem stimmen wir diesem guten Gesetz heute zu. Es ist ein wichtiger Beitrag, dass die Mieten in Deutschland bei Weitem nicht mehr so stark steigen wie bisher.
Vielen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Abgeordnete Stephan Brandner, AfD.
({0})
Meine Damen und Herren! Die sozialistischen Diktaturen der deutschen Vergangenheit zeichneten sich nicht nur dadurch aus, die Demokratie abzuschaffen und Meinungsabweichler mit Gewalt und Repressionen zu bedrohen – wer denkt da heutzutage nicht an Thüringen –, nein, auch ihr geheuchelter Wille zur Mildtätigkeit war stets vorhanden. So ordneten die Nationalsozialisten 1936 an, die Mieten in Deutschland einzufrieren. Diese Regelung blieb in der alten Bundesrepublik bis in die 50er-Jahre in Kraft und wurde dann Gott sei Dank abgeschafft.
Im sozialistischen Unrechtsstaat der DDR hingegen wurde Hitlers braun-sozialistischer Mietendeckel durch die Preisanordnung 415 im Mai 1955 zu rot-sozialistischem Unrecht und blieb es bis zum Ende der SED-Diktatur unter tatkräftiger Unterstützung der Blockparteien wie zum Beispiel der CDU.
({0})
In stringenter Fortsetzung dieser erst braun- und dann rot-sozialistischen Tradition fordert nun ausgerechnet heute die in Die Linke umbenannte SED, zu den Wurzeln zurückzukehren und den nationalsozialistischen Rechtszustand wiederherzustellen. Damit beweist die rot-sozialistische Linke wieder einmal mehr, die real existierende politische Klammer der letzten etwa 90 Jahre in Deutschland zu sein, nämlich vom braunen über den roten zum sogenannten nun demokratischen Sozialismus, meine Damen und Herren.
({1})
Ein Grund mehr, zu bedauern, dass die Linke und ihre verbrecherischen Ideologien des Sozialismus in Deutschland immer noch hofiert werden.
({2})
Meine Damen und Herren, aber unabhängig von Ihrer linken Geschichte, sagen wir als AfD ganz klar Nein zur Idee, Vermieter zu drangsalieren, weil diese absurde Idee verfassungswidrig ist.
({3})
Um dies für Berlin feststellen zu lassen, hatten wir einen Normenkontrollantrag zum Bundesverfassungsgericht vorbereitet. Frau Lay, da haben Sie wohl nicht aufgepasst.
({4})
Wir haben ihn nicht eingereicht, wir hatten ihn vorbereitet für gestern. Alle Altfraktionen haben ihn abgelehnt. Das heißt also nichts anderes, als dass Sie alle von den Altfraktionen diesen sozialistischen Unfug im Bundestag mittragen.
({5})
Das verwundert mich allerdings nicht, wenn ich mir den heutigen Zustand Deutschlands anschaue.
({6})
Herr Luczak – er sitzt hier vorne – und wie Sie alle heißen, die angeblich gegen den Berliner Mietendeckel sind und Unterschriften oder so etwas sammeln: Heucheln Sie doch nicht rum. Warum haben Sie gestern unserem Antrag nicht zugestimmt?
({7})
Sie sind gar nicht dagegen. Sie heucheln es nur. Sie kuscheln mit den linken Extremisten hier in diesem Hause. Das ist verwerflich und erbärmlich für die CDU.
({8})
Meine Damen und Herren, die AfD ist die einzige Partei, die standhaft bleibt und sagt: kein enteignungsgleicher Eingriff,
({9})
kein Mietendeckel, keine Mietenfräse und überhaupt keine Drangsalierung von Mietern und Vermietern. Deshalb lehnen wir auch den schwarz-roten Gesetzentwurf ab und den grünen Antrag sowieso.
Meine Damen und Herren – Herr Fechner, Sie können mal zuhören –, was wir brauchen, ist eine vernünftige, bürgerliche, vorausschauende Politik. Die vertreten wir als AfD, und die sieht wie folgt aus: keine weiteren Drangsalierungen, mehr Neubauten durch Ausweisung neuer Bauflächen, flotte Genehmigungsverfahren, mehr Investitionsanreize, Baukindergeld, mehr Mietwohnungen verfügbar machen durch das Stoppen der Masseneinwanderung und durch Abschiebung der Hunderttausenden, die ausreisepflichtig sind,
({10})
und vor allem – das ist ganz entscheidend – eine faktenbasierte Politik machen.
({11})
Denn entgegen dem, was die linke Propagandamaschinerie in Deutschland so raustrompetet, gibt es gar keine flächendeckende Wohnungsnot. Wir haben ein Verteilungsproblem und kein Bestandsproblem.
({12})
In vielen ländlichen Bereichen – östliche Bundesländer, Hunsrück, Eifel, Pfalz, im Norden Bayerns –, es stehen über 2 Millionen Wohnungen leer, Stand 2017, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: über 2 Millionen leere Wohnungen. Es gibt dort also einen sehr mieterfreundlichen Markt.
Was heißt das? Wir müssen diese Gebiete attraktiv machen, die Landflucht stoppen. Das haben Sie von allen Altfraktionen in den letzten Jahrzehnten schlicht verpennt.
({13})
Sie haben sich überwiegend auf Ihre großstädtische Klientel bezogen und um diese gekümmert. Wir hingegen kümmern uns auch um die Bevölkerung auf dem Land. Wir als Alternative für Deutschland werden dieses Problem angehen und lösen.
({14})
Das verspreche ich im Namen der Alternative für Deutschland unseren Bürgern in diesem Lande.
Vielen Dank.
({15})
Dr. Jan-Marco Luczak, CDU/CSU, ist der nächste Redner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brandner, Sie haben gerade gefragt, weswegen wir Ihrem Antrag, was die abstrakte Normenkontrollklage gegen den Mietendeckel in Berlin anbelangt, nicht zugestimmt haben. Da kann ich Ihnen eine ganz klare Antwort geben: Weil wir mit Ihnen, mit Ihrer Fraktion und speziell mit Ihnen als Person überhaupt nichts zu tun haben wollen. Ganz egal, was Sie in diesem Hause vorschlagen werden, werden Sie nie die Unterstützung der CDU/CSU bekommen.
({0})
Ich kann Ihnen sagen: Natürlich sehen wir die Problematik im Hinblick auf das, was das Land Berlin mit dem Mietendeckel macht. Ich kann Ihnen eines sagen: Eine Gruppe aus vielen Unionsabgeordneten unterstützt eine abstrakte Normenkontrollklage gegen den Mietendeckel; denn das, was der rot-rot-grüne Senat in Berlin macht, ist das genaue Gegenteil dessen, worüber wir als Große Koalition heute gemeinsam diskutieren.
({1})
Wir reden darüber, die Geltungsdauer der Mietpreisbremse zu verlängern. Wir als Union sagen ganz klar: Wir stehen zu der Vereinbarung, die wir getroffen haben. Wir als Union wollen selbstverständlich nicht, dass Mieterinnen und Mieter aus ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt werden, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Deswegen haben wir gemeinsam als Große Koalition die Mietpreisbremse auf den Weg gebracht.
Wir verlängern nun die Geltungsdauer der Mietpreisbremse um weitere fünf Jahre. Ursprünglich sollte sie nur fünf Jahre gelten. Wir wollen Zeit erkaufen, damit tatsächlich etwas auf den Wohnungsmärkten passieren kann, dass man die Ursachen steigender Mieten angeht. Wir alle wissen: Es nutzt überhaupt nichts, an den Symptomen herumzudoktern, sondern wir müssen an die Ursachen ran. Ursächlich ist, dass das Wohnungsangebot zu gering ist. Wir müssen mehr, schneller und kostengünstiger bauen. Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen Zeit kaufen, weil das nicht von heute auf morgen geht. Deswegen haben wir die Mietpreisbremse in Kraft gesetzt.
Was ist in den letzten fünf Jahren passiert? Leider zu wenig! Jetzt liegt es in der Logik dieses Instrumentes, zu sagen: Ja, die Situation auf dem Wohnungsmarkt hat sich nicht verbessert. Wir brauchen weitere fünf Jahre, um tatsächlich zu einer wesentlichen Verbesserung zu kommen. – Aber an dieser Stelle möchte ich auch sagen: Wir können das nicht – und zwar sowohl aus fachlichen als auch aus juristischen Gründen – ad infinitum weiterführen. Das Bundesverfassungsgericht hat im August letzten Jahres beim Nichtannahmebeschluss zur Mietpreisbremse sehr klar gesagt, dass die Mieten immer auch einen Marktbezug haben müssen, dass die Mietpreisbremse deswegen noch verfassungsgemäß ist, weil sie unter anderem zeitlich befristet ist. Deswegen müssen wir als Große Koalition gewisse Grenzen einhalten.
Wir verlängern jetzt noch einmal um fünf Jahre. Aber das verbinden wir mit der ganz klaren Erwartungshaltung an die Länder, dass diese fünf Jahre wirklich genutzt werden, dass etwas beim Wohnungsbau und auf dem Wohnungsmarkt passiert, dass hier entsprechende Programme aufgelegt werden, dass wir endlich zu einem größeren Wohnungsangebot kommen und dass die Mitte der Gesellschaft noch die Möglichkeit hat, bezahlbaren Wohnraum in Berlin und anderswo zu finden. Dafür streiten wir als Union in ganz besonderer Weise.
({2})
Zwischenzeitlich war die Streichung der qualifizierten Begründungspflicht vorgesehen. Dort war genau ausgeführt, dass man nicht einfach eine Rechtsverordnung machen und sagen kann: Das ist die Mietpreisbremse, die gilt. – Wir haben gesagt: Die Landesregierungen, die das machen wollen, müssen in der Begründung sehr deutlich machen, was sie denn tun wollen, um auf dem Wohnungsmarkt zu einer Entspannung zu kommen. – Das sollte zwischenzeitlich gestrichen werden. Ich finde es sehr richtig und sehr gut, dass die Streichung dieser Pflicht nicht mehr im Gesetzentwurf vorgesehen ist, weil dies das genaue Gegenteil bewirkt hätte und falsch gewesen wäre.
Wir haben einen weiteren Punkt im Gesetzentwurf geregelt; das wurde bereits dargestellt. Das ist die 30 Monate geltende Rückzahlungspflicht für zu viel gezahlte Miete. Am Ende geht es um einen Interessenausgleich. Wir werden diese Pflicht einführen. Ich will aus meiner Auffassung keinen Hehl machen. Das ist ein Kompromiss, den wir geschlossen haben. Ich fand die schon heute geltende Regelung ausreichend, die den Mieterinnen und Mietern die Möglichkeit gegeben hat, ihre Miete zu rügen. Das kann in einer einfachen E-Mail an den Vermieter geschehen: Ich finde meine Miete zu hoch. Ich rüge das hiermit. – Ab diesem Zeitpunkt – so ist es heute schon – haben die Mieter jedes Recht, ihre zu viel gezahlte Miete zurückzuverlangen. Jetzt verändern wir diesen Mechanismus. Nun kann man das rückwirkend für 30 Monate machen.
Hier geht es um einen Ausgleich der Interessen. Dahinter kann man sicherlich ein Fragezeichen setzen; denn viele private Kleinvermieter – das ist die Mehrheit der Menschen in unserem Land, die Mietraum zur Verfügung stellen; zwei Drittel sind private Kleinvermieter – haben oft gar nicht die Möglichkeit, auf Euro und Cent genau die korrekte Miete zu berechnen, die sie erheben dürfen. Da geht es nicht alleine um den Mietspiegel – das auch –, sondern auch um die diversen Ausnahmen von der Mietpreisbremse, etwa die umfassend modernisierte Wohnung. Hier ist nicht immer ganz klar: Ist die Wohnung umfassend modernisiert – dann gilt die Mietpreisbremse nicht –, oder ist sie nicht umfassend modernisiert; dann gilt die Mietpreisbremse.
({3})
Das kann ein privater Vermieter in bestimmten Fällen nicht genau sagen. Da kommt es dann ganz schnell zu sehr hohen Rückzahlungsbeträgen. Wir müssen aufpassen, dass wir auch zukünftig das Interessengleichgewicht wahren.
Weil hier gerade hineingerufen wurde: Schließen Sie doch diese Ausnahmen! – Da muss ich mich schon ein bisschen wundern. Sie als Linke und die Grünen haben gerade gefordert, die Mietpreisbremse sozusagen dichtzumachen; man müsse alle Ausnahmen streichen. Das verwundert mich deswegen, weil Sie sich hier in einen fundamentalen Widerspruch zu dem begeben, was Ihre Kollegen auf der Landesebene machen. Sie beide haben sich gerade hingestellt und gesagt, das, was die rot-rot-grün geführte Landesregierung in Berlin mit dem Mietendeckel mache, sei eine tolle Sache, und das unterstützten Sie. Aber jetzt schauen Sie sich einmal an, was der Mietendeckel vorsieht. Er enthält die gleichen Ausnahmen für Neubau und Modernisierung, die wir bei der Mietpreisbremse vorsehen, und zwar deswegen, weil sie richtig sind, weil es ein angemessener Ausgleich ist. Wir dürfen den Wohnungsmarkt nicht torpedieren. An dieser Stelle müssen Sie sich Heuchelei vorwerfen lassen.
({4})
Der letzte Punkt, auf den ich zu sprechen kommen möchte: Die Union steht zur Mietpreisbremse. Wir stehen aber nicht zum Mietendeckel. Wir werden ihn – das kann ich Ihnen ankündigen – bekämpfen. Wir werden ihn durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen, und zwar deswegen, weil wir für die Mietpreisbremse sind. Die Mietpreisbremse wird, sobald der Mietendeckel hier in Berlin in Kraft tritt, nicht mehr gelten. All das, was wir zum Beispiel bei der Kappung der Modernisierungskosten ins Werk gesetzt haben, wird dann hier in Berlin nicht mehr gelten, genauso wie viele andere Regelungen nicht, wie das Mietspiegelrecht. Die Mieterinnen und Mieter in dieser Stadt sind am Ende diejenigen, die den Schaden davontragen werden. Das werden wir nicht mitmachen. Deswegen werden Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion beim Bundesverfassungsgericht eine abstrakte Normenkontrollklage einreichen. Wir werden das Gesetz zu Fall bringen, zum Wohle der Mieterinnen und Mieter in dieser Stadt.
({5})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Straetmanns, Die Linke.
Vielen Dank, dass ich die Möglichkeit habe, in einer Kurzintervention darauf einzugehen. – Sie haben die Zuständigkeitsfrage in den Mittelpunkt Ihrer Kritik am Berliner Mietendeckel gestellt. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass die Zuständigkeit für das Wohnungswesen durch die Föderalismusreform wieder auf die Länder zurückverlagert wurde. Nach unserer Überzeugung – das ist unsere Rechtsauffassung – ist das, was der Berliner Mietendeckel darstellt, genau das, was im Rahmen des Föderalismus in der Zuständigkeit der Länder liegt, weil es sich nicht um materielles Zivilrecht, sprich: Mietrecht, handelt. Beim Wohnungswesen geht es darum, soziale Wohnverhältnisse in den Ländern zu schaffen. In der Tat ist das eine interessante rechtliche Frage. Dazu dürfen Sie demnächst auch einen Artikel von mir in einer entsprechenden juristischen Fachzeitschrift lesen,
({0})
in dem ich mich mit dieser Frage auseinandersetze.
Vielen Dank.
({1})
Herr Kollege Luczak, Sie mögen darauf erwidern.
Herr Kollege Straetmanns, auf diesen Artikel bin ich natürlich sehr gespannt. Ich freue mich, wenn Sie ihn mir dann zur Verfügung stellen.
In der Sache – das darf ich Ihnen schon jetzt ankündigen – werde ich mich höchstwahrscheinlich nicht überzeugen lassen; denn – anders, als Sie das darstellen – die verfassungsrechtliche Zuständigkeit nach dem Grundgesetz ist an dieser Stelle sehr klar. Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 sagt: Die konkurrierende Zuständigkeit für das bürgerliche Recht liegt beim Bundesgesetzgeber. – Wie gesagt, es ist eine konkurrierende Zuständigkeit. Zum bürgerlichen Recht gehört unzweifelhaft auch das Mietrecht. Wir als Bundesgesetzgeber haben von dieser konkurrierenden Zuständigkeit umfassend und auch abschließend Gebrauch gemacht.
Ich hatte gerade dargestellt, was wir in den letzten Jahren alles gemacht haben. Das fängt bei der Mietpreisbremse an und geht bis zum umfassenden Mieterschutzgesetz, das wir Anfang 2019 in Kraft gesetzt haben. Damit haben wir die Mietpreisbremse noch einmal verschärft, die Modernisierungskosten begrenzt und das Mietspiegelrecht geregelt. All das zeigt, dass wir uns als Bundesgesetzgeber mit diesen Fragen beschäftigt und sie abschließend geregelt haben. Da bleibt für die Länder an dieser Stelle kein Raum. Das entfaltet eine Sperrwirkung. Ich bin ganz sicher, dass das Bundesverfassungsgericht das am Ende genauso feststellen wird.
Ich will an einem kleinen Beispiel deutlich machen, dass Ihre Argumentation nicht richtig ist. Bundesrechtlich haben wir die Mietpreisbremse, die besagt: Bei Neuvertragsmieten darf ein Vermieter eine Miete nehmen, die 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Das ist ein Normbefehl, den wir als Bundesgesetzgeber gegeben haben. Jetzt kommt der Berliner Landesgesetzgeber und sagt: Nein, diesen Normbefehl konterkarieren wir; bei Neuvertragsmieten darfst du gar nichts mehr zusätzlich nehmen; wir frieren die Mieten ein. – Das heißt, auf der Seite des Vermieters – da wirkt sich das am Ende aus – haben wir zwei sich widersprechende Normbefehle. Einer lautet: Du darfst 10 Prozent mehr nehmen. Der andere lautet: Du darfst überhaupt nichts mehr nehmen. – Das zeigt den Widerspruch, den es hier in der Zuständigkeitsordnung gibt.
Diese Frage werden wir in der Tat vor dem Bundesverfassungsgericht klären lassen, damit wir hier Klarheit haben und andere Länder sich nicht anmaßen, in unsere bundesgesetzliche Zuständigkeit einzugreifen.
({0})
Danke sehr. – Damit wäre geklärt, dass gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht diese Frage entscheiden wird.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Daniel Föst, FDP, das Wort.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Brandner, wir arbeiten nicht mit Ihnen zusammen, weil Sie Deutschland schaden und Deutschland Sie nicht braucht.
({0})
Werte Kollegen der GroKo, dass man die Laufzeit der Mietpreisbremse jetzt um fünf Jahre verlängern will, weil man die Verschnaufpause der letzten fünf Jahre nicht genutzt hat, um den Mieterinnen und Mietern Wohnraum zur Verfügung zu stellen, das ist peinlich. Das wird jetzt auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter ausgetragen.
({1})
Was Rot-Rot-Grün jetzt will, schlägt allerdings dem Fass den Boden aus. In Berlin ist dieser Tage das radikalste Experiment auf dem Wohnungsmarkt seit dem Ende der DDR in Kraft getreten. Die Landesregierung aus SPD, Linken und Grünen hat den Wohnungsmangel in Berlin nicht in den Griff bekommen. Viele sagen sogar, sie habe ihn verschuldet. Jetzt flüchtet sie sich in sozialistische Preiskontrolle, und das soll jetzt auch auf Bundesebene kommen. Nicht mit den Freien Demokraten!
({2})
Löst Ihre sozialistische Preiskontrolle das Problem der Wohnungsnot, Frau Lay? Nein, das tut sie nicht. Soll sie das Problem der Wohnungsnot überhaupt lösen? Nein, auch das soll sie nicht. Das ist ein ideologischer Feldzug auf dem Rücken der Mieter und Vermieter. Erst deckeln, dann enteignen – das ist keine Wohnungsbaupolitik, das ist Sozialismus.
({3})
Sie missbrauchen die Mieterinnen und Mieter für Ihre eigene politische Ideologie. Sie setzen die Mieterinnen und Mieter einer massiven Rechtsunsicherheit aus. Sie bringen den Neubau zum Erliegen. Und am schlimmsten ist: Sie sind sich all dessen bewusst und machen es trotzdem. Das ist Populismus, das ist verantwortungslos, und am Ende werden Sie damit scheitern.
({4})
Während dieses kleinen Rechtsdisputs eben habe ich gedacht, ich käme heute gar nicht mehr ans Rednerpult.
({5})
– Dafür brauche ich die CDU nicht. Das können Sie mir glauben.
({6})
Sogar die Gutachter des Berliner Senats distanzieren sich von dem Gesetz. Der Verfassungsrechtler Ulrich Battis sagte kürzlich im ZDF, dass es in der Bundesrepublik noch keinen solchen Rechtsnihilismus gegeben habe wie jetzt mit Ihrem Mietendeckel, dass mit dem Recht umgegangen werde, wie er es nur aus der DDR kenne. Da sollten bei uns allen die Alarmglocken schrillen. Aber was sind schon Recht und Gesetz, wenn Ideologie Augen, Mund und Ohren verschließt?
({7})
Als Partei des Rechtsstaats werden wir Freie Demokraten das so nicht stehen lassen. Der Mietendeckel schadet den Mieterinnen und Mietern. Er verhindert den Neubau. Und wir werden ihn vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen.
({8})
Sie wissen es selber. Sie wissen es von den Genossenschaften in Berlin. Sie wissen es von den landeseigenen Bauunternehmen. Sie wissen, dass der Mietendeckel Neubau verhindert. Und trotzdem wollen Sie ihn zu einem Gesetz auf Bundesebene machen. Der Mietendeckel hat jetzt schon großen Schaden angerichtet: Investitionen gehen zurück, Bauvorhaben werden abgesagt. Die Wohnungsnot wird sogar noch größer. Der Mietendeckel darf auf Bundesebene nicht kommen. Er muss so schnell wie möglich wieder Geschichte sein. Wer den Mietern Macht geben will, der muss mehr bauen, schneller bauen und günstiger bauen.
({9})
Vielen Dank.
({10})
Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich: „Wenn wir den Markt rein kapitalistischen oder neoliberalen Regeln überlassen, nach denen im Prinzip immer der Stärkere gewinnt, entspricht das nicht meiner Auffassung von sozialer Marktwirtschaft.“ Ich frage Sie: Welcher Berliner von der Union hat diesen Satz gesagt? Herr Luczak? Herr Wegner? Nein, es war gar kein Berliner. Das hat der Wohnungsminister Horst Seehofer gesagt.
({0})
Damit beschreibt er das Problem, das wir auf dem Wohnungsmarkt haben:
({1})
Es gibt keine soziale Marktwirtschaft. – Insoweit wundert es doch nicht, dass 71 Prozent der deutschen Bevölkerung inzwischen den Mietendeckel unterstützen. Glauben Sie mir, in meinem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg unterstützen ihn fast 99 Prozent, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können.
({2})
Da hilft „Bauen, bauen, bauen!“ nicht,
({3})
und auch die Mietpreisbremse hilft da nicht, weil sie die Probleme, die der Mietendeckel löst, eben nicht löst, meine Damen und Herren.
({4})
In allen Städten in Deutschland, nicht nur in Berlin, brauchen wir den Mietendeckel; denn der Mietendeckel ist, wenn Sie so wollen, eine besondere, radikalere Fassung der Mietpreisbremse.
({5})
Für fünf Jahre wird ein Stopp jeglicher Mieterhöhungen für fast alle Mieterinnen und Mieter durchgesetzt. Wenn Sie die Mieterinnen und Mieter wichtig nehmen und wenn sie Ihnen was wert sind, dann stellen Sie sich dem Mietendeckel nicht in den Weg, sondern unterstützen die Länder dabei, eigene Regelungen zur Mietenregulierung zu machen.
({6})
Statt dagegen zu klagen, sollten Sie sofort Rechtssicherheit für den Mietendeckel schaffen, indem Sie entsprechende bundesgesetzliche Regelungen einführen, die den Mietendeckel absichern. Übrigens habe ich dazu auch einen Artikel geschrieben.
({7})
Es ist Ihr Job, die Mieter und Mieterinnen zu schützen. Folgende drei Forderungen könnten Sie jetzt sofort umsetzen: Erstens. Verbieten Sie die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Zweitens. Verbessern Sie mit uns den Kündigungsschutz, und stoppen Sie endlich die menschenunwürdigen Zwangsräumungen.
({8})
Drittens. Mietwucher gehört verboten. Zu letztgenanntem Punkt liegt sogar eine Bundesratsinitiative aus Bayern vor. Wir müssten dem nur noch hier zustimmen.
Also, meine Damen und Herren, bauen, deckeln, ja, und auch enteignen.
({9})
Dann klappt es auch wieder mit der sozialen Marktwirtschaft.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Heil, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Mietpreisbremse beraten, aber auch die Gesetzentwürfe der Opposition. So können wir wunderbar vergleichen, wie wir Politik machen – mit Maß und Mitte, zielgerichtet – und wie die beiden betroffenen Oppositionsfraktionen Politik betreiben.
Die beiden Oppositionsfraktionen drehen die Schraube immer noch ein Stückchen weiter, immer noch ein Stückchen fester; man könnte sagen, die Grünen um 15 Umdrehungen, die Linken wahrscheinlich um 25 Umdrehungen.
({0})
Die meisten von Ihnen wissen, dass ich Ingenieurin bin. Bei uns am Bau gibt es eine alte Weisheit: Nach fest kommt kaputt, nach fest kommt ab. – So, wie Sie den Mietmarkt regulieren wollen, erreichen Sie vielleicht eine kurzfristige Wirkung, aber auf Dauer ziehen Sie damit die Mieten nicht fest, sondern Sie scheren damit fast die Schraubenköpfe der Mietpreisdämpfung ab. Damit sorgen Sie langfristig für umso stärker steigende Mieten in vielen deutschen Ballungsgebieten. Es geschieht also genau das Gegenteil von dem, was wir alle hier uns doch so sehr wünschen.
Die Mietpreise sind in den letzten Jahren doch nur deshalb so stark gestiegen, weil in vielen Ballungsgebieten das Angebot an Wohnraum so niedrig und die Nachfrage so hoch ist. Das kann man kurzfristig durch Regulierung bremsen; aber langfristig kommt dieser Markt nicht zur Ruhe, wenn das Wohnungsangebot mit der Nachfrage nicht mehr Schritt hält. Solange bei uns in Deutschland die Ballungsgebiete so attraktiv sind, klappt das eben nur mit Bauen, Bauen, Bauen; das haben meine Vorredner auch schon gesagt.
({1})
Mit Ihrer überzogenen Regulierung würgen Sie – wie wir das eben schon diskutiert haben, zum Beispiel in Berlin – den Wohnungsmarkt ab,
({2})
trotz der Ausnahme für neugebaute Wohnungen. Das ist so, weil die Wohnungsunternehmen und weil die finanzierenden Banken durch Ihr Wüten mit dem Schraubenschlüssel jegliches Vertrauen in die Mietwohnungsmärkte verlieren. Sie unterliegen ganz offensichtlich dem Irrtum, dass ein Mietendeckel gleichzeitig auch ein Dach über dem Kopf bietet.
Wir dagegen greifen nur dort regulierend ein, wo der Preisanstieg gezielt gedämpft werden muss. Das tun wir heute mit der Mietpreisbremse. Die verlängern wir. Wir verbessern die Mietpreisbremse. Aber entscheidend ist: Wir bleiben bei dieser Regulierung nicht stehen. Im zweiten Abschnitt entlasten wir konkret die Menschen, denen aktuell die steigenden Mieten zu schaffen machen.
Frau Kollegin Heil, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meiser von der Linken? – Keine Zwischenfrage?
Nein, wir haben heute noch einen ganz langen Tag vor uns.
Also: In einem zweiten Schritt entlasten wir konkret die Menschen, denen aktuell die steigenden Mieten zu schaffen machen. Deswegen haben wir das Wohngeld eingeführt, und wir haben eine zusätzliche Mietstufe eingeführt, um sehr teuren Wohnungsmärkten gerecht zu werden. Und wir haben erstmals eine automatische Anpassung des Wohngeldes an die Einkommens- und Mietpreisentwicklung eingeführt.
Wir lösen drittens das Problem auch langfristig, indem wir den Neubau von bezahlbarem Wohnraum fördern. Ich möchte auch Beispiele nennen: Wir haben zum Beispiel 5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt für den sozialen Wohnungsbau. Das müssten wir nicht als Bund – das ist Aufgabe der Länder –, aber wir tun es. Ich erwarte jetzt natürlich auch von den Ländern, dass sie diese Gelder für den sozialen Wohnungsbau ausgeben,
({0})
zum Beispiel für studentisches Wohnen. Und wir haben für die steuerliche Förderung des Mietwohnungsbaus eine Sonderabschreibung eingeführt. Wir haben das Baukindergeld durchgesetzt, gegen erhebliche Kritik. Auch die Kritiker müssen heute zugeben, dass es sehr, sehr erfolgreich ist.
({1})
Nur dieser Dreiklang aus Regulierung, Unterstützung und viel Bauen hilft unter dem Strich den Menschen in Deutschland wirklich, die mit angespannten Wohnungsmärkten konfrontiert sind.
Lassen Sie die Schraubenschlüssel zu Hause! Ich lade Sie ein, mit uns konstruktiv an dem Prozess weiterzuarbeiten.
Vielen, vielen Dank.
({2})
Dann erteile ich dem Kollegen Pascal Meiser, Die Linke, das Wort zu einer Kurzintervention.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Heil, ich habe eine sehr, sehr einfache Frage an Sie. Wir haben ja schon mehrfach hier gehört, dass auch in Berlin dieser Mietendeckel jetzt auf den Weg gebracht wurde, weil auf Bundesebene aufgrund der Haltung der CDU/CSU-Fraktion wichtige Maßnahmen zum Schutz der Mieterinnen und Mieter nicht umgesetzt werden. Jetzt habe ich die Frage an Sie – wenn Sie hier, wie auch Herr Luczak, gegen den Mietendeckel polemisieren –:
({0})
Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass nicht nur über 80 Prozent der Mieterinnen und Mieter in diesem Land für den Mietendeckel sind, sondern auch mehr als zwei Drittel Ihrer Wählerinnen und Wähler, der CDU, für diesen Mietendeckel sind,
({1})
weil auch sie unter den explodierenden Mieten leiden? Ich frage Sie ganz persönlich: Wie erklären Sie den Mieterinnen und Mietern, Ihren Wählerinnen und Wählern, dass Sie eine solch wichtige Maßnahme jetzt torpedieren und durch Ihre Klage weiter Unsicherheit schaffen,
({2})
weil weiterhin unsicher bleibt, ob das Gesetz in Kraft tritt oder nicht? Da tragen Sie eine große Verantwortung. Ich frage Sie, wie Sie das erklären.
({3})
Frau Kollegin Heil, Sie mögen antworten?
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschen nicht so sehr daran interessiert sind, ob ihnen mit einem Mietendeckel oder mit etwas anderem geholfen wird, sondern die Menschen wollen einfach, dass die Miethöhe angemessen ist. Wir streiten ja nur über die Mittel, wie man dazu kommt. Ich sage: Das erreicht man nur, indem man das Angebot erhöht, indem man mehr Wohnungen schafft. Mit Regulierung schaffen Sie keine Wohnungen. Sie werden das Problem niemals mit Regulierung aus dem Weg schaffen, sondern nur, wenn mehr gebaut wird; das wollen die Leute, so muss man das interpretieren.
({0})
Jetzt erteile ich dem Kollegen Michael Groß, SPD, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stärken wir die soziale Funktion des Mietrechtes, und zwar im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft. Das ist uns besonders wichtig: Es geht hier nicht um soziale Planwirtschaft, es geht hier nicht um Kommunismus, sondern darum, dass wir Mieter und Mieterinnen so schützen, dass sie wohnen können, dass sie – und das ist unser Ziel –, wie es früher üblich war, eine Woche im Monat dafür arbeiten müssen, dass sie ihre Miete bezahlen können; dafür arbeiten wir.
({0})
Wir haben schon gehört, was wir bisher erreicht haben. Ich will noch einmal darauf eingehen, dass natürlich hier richtigerweise gesagt wurde: Wir müssen mehr Wohnraum schaffen. – Wir haben es in den letzten Jahren geschafft, 300 000 neue Wohnungen an den Markt zu bringen. Das ist inzwischen durch die Institute so bewertet, dass man sagt: Die demografische Entwicklung können wir dadurch auffangen. – Wir müssen natürlich auch regulieren. Beides zusammen macht dann Sinn.
({1})
Was haben wir in den letzten Monaten auf den Weg gebracht? Wir haben die Modernisierungsumlage gekürzt, massiv heruntergesetzt, von 11 auf 8 Prozent; wir haben sie gekappt bei 3 Euro bzw. 2 Euro. Das führt dazu, dass nicht mehr so viele Menschen wegen Modernisierung aus ihrer Wohnung herausgekündigt werden, sondern dort verbleiben können.
Wir werden – das haben wir auch in den letzten Monaten auf den Weg gebracht – den sozialen Wohnungsbau nach vorne bringen. Aber, und das ist natürlich sehr wichtig, die Länder müssen mitmachen. Wir haben 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt – zweckgebunden, das war uns in der Koalition immer sehr wichtig – und 0,5 Milliarden Euro über die Umsatzsteuer. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bekenntnisse hier im Haus nutzen nichts, wenn die Länder nicht entsprechend umsetzen, damit die Menschen vor Ort Wohnungen mit Bindung bekommen.
({2})
Sie sagen immer: Wir müssen Wohnungen bauen. – In Nordrhein-Westfalen, wo Schwarz-Gelb regiert, ist es so, dass 2016 noch 9 300 Wohnungen – 50 Prozent des Bedarfs – mit sozialer Bindung geschaffen wurden. Im letzten Jahr waren es 5 300. Nach drei Jahren schwarz-gelber Regierung fehlen also Wohnungen mit sozialer Bindung in Nordrhein-Westfalen. Das ist ein Skandal.
({3})
Sie können sich nicht hierhinstellen – das betrifft insbesondere die Landesregierung in NRW – und dann mit dem Finger auf die Kommunen zeigen. Nein, das Land ist verantwortlich.
({4})
Sie wollten per Grundgesetzänderung dafür sorgen, dass es genügend Wohnraum gibt. Machen Sie es, tun Sie es!
({5})
Was müssen wir noch tun? Ich glaube, darauf sind meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD schon eingegangen. Wir müssen uns darum kümmern, dass niemand wegen Umwandlung ungerechtfertigterweise aus seiner Wohnung vertrieben wird. Wir müssen uns aber auch insbesondere um die Mieten im Bestand kümmern. Die Kappungsgrenze ist ganz wichtig. Wir haben sie schon auf 15 Prozent in angespannten Wohnungsmärkten gesenkt. Ich glaube, es ist an der Zeit, die Kappungsgrenze zu öffnen, um den Ländern noch mehr Spielraum nach unten zu geben. Darüber müssen wir insbesondere in der Koalition diskutieren und das ändern.
({6})
Wir haben es geschafft, dass die Mietpreisbremse wirkt; das wurde schon mehrfach zitiert. Sie bremst – es ist eben eine Mietpreisbremse und kein Mietendeckel. Wir Sozialdemokraten begrüßen natürlich den Mietendeckel in Berlin und hoffen, dass wir durch die Mietpreisbremse einen weiteren Schritt gehen, um in Deutschland Mieten bezahlbar zu halten.
Herzlichen Dank. Glück auf!
({7})
Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema „Wohnen und Miete – wie Wohnen in großen Städten bezahlbar bleibt“ ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Es gibt hier verschiedene Problemlagen. Es gibt Menschen, die in die Städte ziehen und sich fragen: Wie finde ich eine Wohnung? Es gibt Menschen, deren Leben sich ändert, die deshalb eine andere Wohnung suchen. Es gibt auch Menschen, die von einer Änderungskündigung betroffen sind und im gleichen Viertel bleiben wollen, wo sie aber nur noch zu höheren Preisen weiter mieten können. Und es gibt Menschen, die ein Eigenheim suchen, als Altersvorsorge oder für ihre Familie. Für all die verschiedenen Problemlagen hat die Politik differenzierte Antworten. Deswegen stört mich heute bei dieser Debatte auch die Schwarz-Weiß-Malerei: Die Mietpreisbremse wirkt nicht, dies wirkt nicht, das wirkt nicht. Es geht um ein Gesamtkonzept, und dieses Gesamtkonzept, meine Damen und Herren, legen wir vor.
({0})
Ich will mit der verfassungsrechtlichen Lage beginnen. Es ist eben gesagt worden, die Mietpreisbremse sei verfassungswidrig. Das ist nachweislich falsch. Das Bundesverfassungsgericht hat am 18. Juli 2019 im Nichtannahmebeschluss eindeutig geurteilt, dass die Mietpreisbremse verfassungsgemäß ist und eine Schrankenbestimmung des Eigentums aus einem legitimen Zweck darstellt, nämlich damit der Mietpreisanstieg in den großen Städten berechtigterweise gedämpft werden kann. Ich bitte Sie alle, diesen Beschluss zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Aber wenn wir über den Aspekt der verfassungsmäßigen Ordnung sprechen, dann darf man bei der Frage des Mietendeckels in Berlin nicht mit Umfragen argumentieren, mit 60 oder 70 Prozent Zustimmung. Unabhängig davon, wie das Umfragedesign aussieht, muss man sagen: Die verfassungsmäßige Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern und die Frage, wie stark in das Eigentumsgrundrecht eingegriffen werden darf, ist kein Gegenstand von Umfragen, sondern der verfassungsmäßigen Ordnung unseres Grundgesetzes.
({2})
Herr Kollege Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bayram? – Sagen Sie Ja oder Nein.
Ja, bitte.
Danke. – Frau Bayram.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Kollege. Was sagen Sie denn dazu, dass das Bundesverfassungsgericht heute einen Eilantrag gegen den Mietendeckel abgelehnt hat?
({0})
Das wird wahrscheinlich daran liegen, dass das Berliner Gesetz offenkundig noch gar nicht ausgefertigt ist.
({0})
Ein Gesetz, das noch gar nicht ausgefertigt ist, hat noch keine rechtliche Wirkung nach außen. Deswegen ist da ein Eilantrag völlig unsubstanziiert. Das sollten Sie auch wissen.
({1})
Vor diesem Hintergrund trage ich das sehr mit Fassung. Lassen wir doch diese Frage in Karlsruhe diskutieren.
({2})
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, worum es uns heute geht. Wir werden heute über einen kleinen Ausschnitt unserer Wohnbaupolitik diskutieren, nämlich die Frage, die wir uns nach wie vor stellen, wie wir verhindern können, dass gerade in angespannten Wohnungsmärkten der Anstieg der Mietpreise weiter steigt. Wir wollen, dass der Anstieg weiter ein Stück weit gedämpft wird. Wenn man sich das Frühjahrsgutachten Immobilienwirtschaft 2020 ansieht, dann stellt man fest, dass zum ersten Mal seit vielen Jahren der Anstieg abgeflacht ist. Das zeigt auch, dass diese isolierte Maßnahme Wirkung entfaltet.
({3})
Vor diesem Hintergrund ist es, glaube ich, durchaus ein berechtigtes Anliegen, die Rügefrist auf 30 Monate zu verlängern, weil wir damit einen Interessenausgleich zwischen der Lage der Vermieter und der der Mieter herbeiführen, weil einerseits der Mieter, der froh ist, überhaupt eine Wohnung zu finden, in der Situation oftmals nicht gleich rügen wird. Andererseits gibt es für den Vermieter, wenn er ein Stück weit die Gefahr sieht, zu viel verlangte Miete auch nach mehreren Monaten zurückzahlen zu müssen, auch einen ökonomischen Anreiz, von vornherein die richtige Bestandsmiete zu offenbaren. Das ist sozusagen der Interessenausgleich, den wir in diesem Gesetz vornehmen, und ich glaube, das ist ein angemessener Kompromiss in einem großen Ganzen, meine Damen und Herren.
({4})
Ich will zum Schluss noch einmal darauf hinweisen, dass es in unserer Politik nicht allein um die Regulierung der Miethöhe geht. Im Jahr 2019 gab es 350 000 Baugenehmigungen. Das ergibt insgesamt mit den schon existierenden Baugenehmigungen einen Überhang an Baugenehmigungen von 700 000. Wir haben die steuerliche Förderung für den Wohnungsbau eingeführt. Das Wohngeld wurde zweimal erhöht und dynamisiert. In den Jahren 2020 und 2021 bekommen die Länder 2 Milliarden Euro für den Wohnungsbau. Das sollten die Länder übrigens auch ausgeben; da liegt die Verantwortung bei den Ländern.
({5})
Darüber hinaus hat die Baulandkommission Vorschläge gemacht, wie wir einerseits über die Vorschriften für das Bauen und andererseits im Rahmen der Bauleitplanverfahren mehr Flächen zur Verfügung stellen können. Das alles ergibt das Gesamtkonzept, über das ich spreche.
Wohnen ist eine große soziale Frage unserer Zeit. Die Probleme zu lösen, ist nur differenziert möglich. Wir werden heute einen weiteren wichtigen Baustein beschließen. Ich bitte Sie um Zustimmung.
({6})
Dann schließe ich jetzt die Aussprache.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! So kann und so darf es in Deutschland nicht weitergehen. Dringend notwendige Infrastrukturprojekte, sei es Ersatz oder Neubau, verzögern sich über Jahre, oft über Jahrzehnte. Gerichtliche Entscheidungen ziehen sich endlos in die Länge. Das versteht niemand mehr in diesem Land. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass es transparenter, berechenbarer und schneller geht.
({0})
In der vergangenen Plenarwoche hat die Bundesregierung zwei Gesetzentwürfe zur Planungsbeschleunigung eingebracht. Wir Freien Demokraten haben beiden zugestimmt. Mit ihnen geht Deutschland zwar Schritte in die richtige Richtung, aber es sind nur Trippelschritte. Wir müssen noch viel besser werden.
({1})
Große Verkehrsprojekte sind mit dem jetzigen Verfahren kaum noch umsetzbar. Das zeigt sich besonders dramatisch in meiner Wahlheimat Hamburg. Der Hamburger Hafen, das Herz der Hansestadt, braucht dringend die Elbvertiefung, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
({2})
Die Arbeiten haben nun glücklicherweise endlich begonnen, nach endlos langen 17 Jahren. So eine Hängepartie, meine Damen und Herren, darf es nicht noch einmal geben.
({3})
Der Autoverkehr in Hamburg ist eine Katastrophe. In keiner anderen Stadt Deutschlands stehen die Menschen so lange im Stau wie in Hamburg. Pro Fahrer und pro Jahr sind es 131 Stunden. Das kostet Zeit, Geld und Nerven, und es schadet dem Klima massiv.
({4})
Für die Nachfolgelösung der Köhlbrandquerung haben der Bundesverkehrsminister und der Hamburger Bürgermeister gestern stolz verkündet, dass sich der Bund an den Kosten beteiligt. Aber was bringen Hamburg die Milliarden auf dem Papier, wenn sich das Planungsverfahren mal wieder über Jahrzehnte hinzieht? Ich sage Ihnen: Gar nichts, meine Damen und Herren.
({5})
Das sind nur zwei Beispiele aus Hamburg; aber es gibt Hunderte mehr, in der Hansestadt Hamburg und in ganz Deutschland. Fünf unserer Forderungen möchte ich hervorheben.
Erstens. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger früher und umfassender beteiligen, damit ihre Ideen besser in die Planung einfließen können und wir mehr Akzeptanz für Verkehrsprojekte erreichen. Teilhabe und schnelle Entscheidungen sind kein Widerspruch.
({6})
Zweitens. Wir müssen Verwaltung und Gerichte mit mehr Personal ausstatten. Der Staat darf nicht selbst der größte Bremser sein, weil die Vorgänge ausgerechnet bei ihm liegen bleiben. Hier sind auch die Länder, hier ist auch der Hamburger Senat gefordert.
({7})
Drittens. Wir müssen Doppelprüfungen verhindern. Es ist doch absurd, wenn Umweltverträglichkeitsprüfungen im Abstand von mehreren Jahren immer wieder neu aufgerollt werden.
Viertens. Wir müssen ausschließen, dass Umweltverbände ihre Bedenken scheibchenweise vorbringen und gerichtliche Klärungen dadurch teilweise um Jahrzehnte verzögern. Strittige Punkte müssen von Anfang an auf den Tisch, und dann müssen sie schnell geklärt werden.
({8})
Fünftens. EU-Vorgaben müssen neue wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen. Innovative Konzepte wie die temporäre Nutzung von Brachflächen müssen möglich werden. Die FFH-Richtlinie ist 26 Jahre alt. Sie braucht jetzt dringend ein Update.
({9})
Meine Damen und Herren, es geht hier allerdings um viel mehr als nur um die Planungsbeschleunigung. Es ist doch kein Wunder, dass die Menschen resignieren und das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates verlieren, weil der Jahrzehnte braucht, nur um über den Verlauf von Straßen oder Radwegen zu entscheiden und nichts vorangeht. Die Gesellschaft wird gespalten, wenn sich Gegner und Befürworter durch überlange Verfahrensdauern viele Jahre unversöhnlich gegenüberstehen. Schnellere Entscheidungen tragen zur Befriedung unserer Gesellschaft bei und stärken damit auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungsfähigkeit unseres Staates insgesamt. Daran sollten wir alle gemeinsam arbeiten.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Felix Schreiner, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits in der vergangenen Sitzungswoche darüber diskutiert. Wir diskutieren in dieser Sitzungswoche wieder darüber. Es ist ja richtig, dass wir über Vereinfachungen im Planungsrecht bei Verkehrsprojekten sprechen, weil wir wollen, dass wir mit den Rekordinvestitionsmitteln schnell und zügig bei Sanierungs-, Ausbau- und vor allem bei Neubauprojekten vorankommen, meine Damen und Herren.
({0})
Wir haben in der vergangenen Woche zwei wesentliche Gesetze dazu beschlossen, nämlich erstens das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz, also die gesetzliche Grundlage dafür, dass der Bundestag in Einzelfällen Verkehrsinfrastrukturprojekte genehmigen kann. Mit einem Gesetz wie diesem machen andere Länder, zum Beispiel Dänemark, exzellente Erfahrungen. Zweitens haben wir das Gesetz zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich beschlossen. Dadurch muss zum Beispiel für den Ersatzneubau einer Brücke gar nicht mehr zwingend ein vollständiges Genehmigungsverfahren erfolgen. Das zeigt: Die Planungsbeschleunigung ist ein Schwerpunkt dieser Koalition. Wir reden nicht nur darüber; wir handeln auch, meine Damen und Herren.
({1})
Die Wahrheit ist doch: Wir alle, die wir hier sitzen, kennen doch Projekte aus unseren Wahlkreisen und erinnern uns an Gespräche mit unseren Bürgerinnen und Bürgern, mit Bürgerinitiativen, die oft über Jahrzehnte mit uns darüber diskutieren, wie wir Projekte vorantreiben können. Und die Wahrheit ist: Wir sagen allzu oft den Satz: Das Geld ist ja da, allein es fehlt an dem rechtsbeständigen Planungsfeststellungsbeschluss.
({2})
Deshalb ist es genau richtig, dass wir als Verkehrspolitiker in dieser Koalition und dass unser Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in dieser Legislaturperiode einen Arbeitsschwerpunkt darauf gesetzt haben, dass wir auch bei der Planungsbeschleunigung vorankommen, dass wir Planungen feststellen und fertigstellen, aber dann endlich auch bauen, meine Damen und Herren. Dem dient dieses Gesetz.
({3})
Es ist auch angesichts der ehrgeizigen Klimaschutzziele wichtig, über die wir in diesem Haus viel sprechen. Die zu erreichen, wird uns nur gelingen, wenn wir auch eine Verlagerung des Verkehrs erreichen können. Und so trägt insbesondere die Elektrifizierung beim Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs dazu bei, dass wir die Berufspendler möglicherweise schneller vom Pkw auf die Schiene bringen. Das ist nur dann attraktiv, wenn sich die darauf verlassen können und der Zug auch tatsächlich kommt. Auch dazu leisten wir mit diesen Gesetzen einen Beitrag.
({4})
Ich glaube, wir sind uns einig, dass ein Hebel beim Ausbau von klimafreundlicher Mobilität darin bestehen muss, dass wir das Planungsrecht modernisieren, aber dass es auch eine Daueraufgabe für uns alle bleibt. Deshalb haben wir weitergearbeitet. Deshalb haben wir uns mit Planungsexperten, aber auch mit Verwaltungsexperten unterhalten und diese Ideen aufgegriffen. Deshalb ist es ja auch begrüßenswert, dass die FDP uns heute mit ihrem Antrag die Gelegenheit gibt, noch mal ausgiebig im Deutschen Bundestag darüber zu sprechen. Unterstützen Sie uns bei unseren Gesetzen! Dann werden wir sie gemeinsam vorantreiben.
({5})
Aber, meine Damen und Herren, mit Blick auf die Grünenfraktion möchte ich schon sagen: Da vermisse ich den konkreten Vorschlag, wie wir irgendwie die Planungen in Deutschland beschleunigen können.
({6})
Nein, fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Grünen gar kein Interesse daran haben, dass Planungen in Deutschland schneller gehen.
({7})
Ihr Landesverkehrsminister in Baden-Württemberg fällt vielmehr dadurch auf, dass er sich zum Beispiel gegen die Aufnahme der Gäubahn – das ist die bedeutende Strecke in Baden-Württemberg; Sie sehen es mir als Baden-Württemberger nach – zwischen Stuttgart und Zürich an der Schweizer Grenze in das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz ausgesprochen hat. Im Gegenteil: Er spricht sogar noch eine Warnung an alle anderen Länder aus. Er prophezeit: Wer ein Projekt verhindern will, der soll es am besten in diese Liste schreiben.
Herr Kollege Schreiner, der Kollege Gastel würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Ja, selbstverständlich, ich habe fast damit gerechnet.
Sie sind ja so gut zu mir. Vielen Dank, dass ich die Frage stellen darf. – Beim Stichwort „Gäubahn“ greife ich natürlich gerne ein. Es geht um drei Ausbauabschnitte, Herr Kollege.
Für den einen Ausbauabschnitt, Horb–Neckarhausen, besteht Baurecht seit zwei Jahren. Der Finanzierungsvertrag ist unterschrieben; das Geld ist da. Die Deutsche Bahn könnte die Bagger anrollen lassen. Was wollen Sie da mit einem Beschleunigungsgesetz?
Bei den zwei anderen Abschnitten geht es um die ungeklärte Frage des Einsatzes von Neigetechnikzügen. Nur dann, wenn Neigetechnikzüge gesichert zum Einsatz kommen, macht der Ausbau an diesen Stellen Sinn. Wie wollen Sie die Frage der Neigetechnikzüge, bitte schön, über ein Gesetz klären?
Also: Der Ausbau aller drei Ausbauabschnitte kann durch das Gesetz nicht beschleunigt werden.
({0})
Herr Kollege Gastel, wenn Sie schon einen südbadischen Verkehrspolitiker auf die Gäubahn ansprechen, sollten Sie sich im Detail noch besser auskennen. Was Sie ansprechen, ist der Abschnitt zwischen Horb und Neckarhausen. Der ist genau 6 Kilometer lang. Der ist tatsächlich planfestgestellt und könnte gebaut werden. Aber für den übrigen Streckenverlauf der Gäubahn gibt es keine fertige Planung und keinen Planungsbeschluss.
({0})
Deshalb wäre die Gäubahn genau richtig für dieses Gesetz gewesen: um es zu beschleunigen. Alles andere ist ehrlicherweise ein Skandal für die Verkehrspolitik in Baden-Württemberg.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir schaffen die Voraussetzungen für klimafreundliche Mobilität. So haben wir zum Beispiel die Mittel für die Verkehrsinfrastruktur erhöht; bereits in diesem Jahr verdoppeln sich die Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes von 332 Millionen Euro auf 665 Millionen Euro. Ab 2021 steht sogar 1 Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung. Ich frage Sie ernsthaft: Wann hat es das in der Verkehrspolitik in Deutschland jemals gegeben? Das ist doch positiv, und das könnten Sie heute eigentlich auch loben.
({2})
Wir schaffen mehr Stellen bei den zuständigen Planungsbehörden. So bekommen das Eisenbahn-Bundesamt und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung rund 200 neue Stellen. Und wir vereinfachen die Planungs- und Genehmigungsverfahren, ohne dabei – auch das ist übrigens eine Mär aus manchem grünen Verkehrsministerium dieses Landes – auf die Öffentlichkeitsbeteiligung zu verzichten. Es ist wichtig, auch die Anwohner frühzeitig mit einzubinden.
Mehr Geld und mehr Personal führen zu schnelleren Verfahren. Denn es ist doch eines klar: Am Ende ist entscheidend, was bei den Menschen ankommt. Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland mittlerweile Verfahren haben, die über Generationen hinweg dauern.
({3})
Ganz viele Menschen setzen sich dafür ein, dass sich das ändert; aber am Ende müssen wir an kleinen Schräubchen drehen, damit es eben endlich schneller geht. Helfen Sie mit! Wir haben die Gesetze dafür vorgelegt und arbeiten weiter daran.
({4})
Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Leif-Erik Holm.
({0})
Sehr geehrte Bürger! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wöchentlich grüßt das Murmeltier. Wir reden heute wieder einmal über die Beschleunigung von Planungsvorhaben, und das ist auch ganz gut so. Wir haben ja in der letzten Sitzungswoche zwei Gesetze hier verabschiedet, mit unseren Stimmen im Übrigen. Dennoch wissen wir alle: Das alles wird nicht ausreichen, um die Verfahren deutlich zu verkürzen.
({0})
Wir brauchen mehr Tempo beim Planen.
Jetzt folgt die FDP unserem Antrag, den wir schon letzte Sitzungswoche hier eingebracht haben, greift unsere Forderungen auf und unterbreitet auch einige neue Punkte, und die decken sich mit unseren Positionen. Das ist gut so. Ich kann es Ihnen also nicht ersparen: Wir werden Ihrem Antrag durchaus zustimmen.
({1})
Damit hat er sich dann wahrscheinlich auch schon erledigt; das wissen wir ja nach Thüringen, so soll es sein. FDP-Chef Lindner hat ja auch schon sicherheitshalber vorgebaut und davon gesprochen, dass es keinerlei Überschneidungen zwischen AfD und FDP gebe. Meine Beobachtung ist in der Tat eine andere. Wenn wir uns die Hamburger Bürgerschaft anschauen, stellen wir fest: Über 40 Anträgen der AfD haben Sie, liebe FDP, zugestimmt. Glückwunsch für den Mut Ihrer Kollegen vor Ort! Aber es ist wirklich schon bezeichnend, dass es diesen Mut heute überhaupt wieder braucht.
({2})
Die Wähler würden es Ihnen im Übrigen danken, wenn Sie nicht beim kleinsten Gegenwind umkippen würden. Drei Viertel der FDP-Anhänger können sich mindestens eine punktuelle Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen. Ja, warum auch nicht?
({3})
Deswegen war Ihr Einknicken vor dem links-grünen Zeitgeist in Thüringen und darüber hinaus ein wirklich schwerer strategischer Fehler, und das Ergebnis werden Sie in einer Woche bei der Wahl der Hamburger Bürgerschaft besichtigen können.
({4})
Denn viele Bürger warten sehnsüchtig darauf, dass endlich wieder bürgerliche Politik gemacht wird.
({5})
Die Mehrheiten dazu sind da: in Thüringen und auch hier im Bundestag. Wir sollten sie endlich nutzen, statt diese Republik immer weiter in die rot-rot-grüne Falle laufen zu lassen.
({6})
– Ich schreibe mir das immer noch selber auf, Frau Kollegin.
Bei der Gestaltung eines schnellen, transparenten und bürgernahen Planungsrechts haben wir jetzt mal wieder Gelegenheit, gemeinsam an einem sinnvollen Ziel zu arbeiten. Lassen Sie uns also dafür sorgen, dass bei Infrastrukturprojekten die betroffenen Bürger praktisch mitplanen können, und zwar zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Nutzen wir die Erfahrungen und Kenntnisse der Bürger vor Ort; das minimiert die Einsprüche, schafft Akzeptanz und führt zur Beschleunigung der Projekte. Da müssen wir hin, und wenn wir dabei gemeinsam weiterkommen, dann ist das genau der richtige Weg.
Im Übrigen – einen Punkt möchte ich noch ansprechen –: Wir müssen auch bei der Durchführung der Bauprojekte mehr auf die Tube drücken. Die ewigen Bauzeiten nerven die Verkehrsteilnehmer zunehmend und die Anwohner natürlich auch. Die neue Staustatistik des ADAC zeigt es ja: Über 521 000 Stunden haben die Verkehrsteilnehmer 2019 im Stau gestanden; das sind 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Wir müssen also auch endlich schneller und effizienter bauen; auch das gehört dazu.
({7})
Liebe Kollegen, es gibt noch eine Menge zu tun. Die zarten Anfänge der Bundesregierung reichen da eben noch nicht aus. Wir müssen hier als Opposition weiter antreiben. Und wenn wir da in die gleiche Richtung zielen, liebe FDP, dann umso besser, auch wenn wir natürlich keine inhaltlichen Überschneidungen haben; das ist klar.
Denken Sie bitte an die Bürger. Die wollen nämlich kein Theater, die wollen, dass wir endlich zu Stuhle kommen; denn es geht hier um wichtige Entscheidungen, es geht um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Danke schön. Schönes Wochenende!
({8})
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der SPD der Kollege Mathias Stein.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Jetzt wird sich mächtig was bewegen, die Republik wird sich verändern: Die FDP legt einen Plan vor, wie Verkehrsprojekte schneller realisiert werden.
({0})
Meine Damen und Herren von der FDP – danke für den Applaus! –, so hätten Sie sich das gerne gedacht.
({1})
Aber wie so häufig verspricht Ihre Überschrift mehr, als der Inhalt des Antrages halten kann.
({2})
Mal haben Sie von uns abgeschrieben, mal kleben Sie das Label „Beschleunigung“ drauf; aber in Wirklichkeit verursachen Sie eine Verlängerung der Prozesse. Und einige Dinge haben wir als Koalition bereits beschlossen; Sie waren ja in der letzten Sitzungswoche dabei.
Wir können Ihre Forderungen auch noch mal genauer angucken.
({3})
Sie wollen, dass das Oberverwaltungsgericht bei Landes- und Staatsstraßen als erste Instanz zuständig ist.
({4})
Dabei vergessen Sie aber, dass gerade die Oberverwaltungsgerichte schon jetzt mit verschiedenen Verfahren völlig überlastet sind.
({5})
Wenn Sie denen jetzt noch mehr Arbeit geben, führt das eher zu einer zusätzlichen Verzögerung als zu einer Beschleunigung.
({6})
Dann fordern Sie in Ihrem Antrag eine transparente, straffe und frühzeitige Bürgerbeteiligung. Das ist schön, aber damit kommen Sie ein bisschen spät; denn das haben wir in der vergangenen Sitzungswoche bereits beschlossen und gesetzlich verankert.
({7})
Beim zentralen Punkt der Planungsbeschleunigung, der Personalverstärkung, zeigt sich die FDP mutlos und zögernd und spricht hier nur von einer Verstärkung „im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel“. Jeder und jede Beschäftigte aus diesem Bereich weiß, dass das ein Trostpflaster ohne Wirkung ist.
({8})
Sie haben ja bereits bei der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, als Sie damals mit der Union regiert haben, gezeigt, dass Sie von Personalpolitik nun wirklich nichts verstehen.
({9})
Und dann wollen Sie auch noch die Mitwirkungsmöglichkeiten von Umweltverbänden beschränken und sie gleichzeitig zur Mitwirkung zwingen. Damit schüren Sie aber neue gesellschaftliche Konflikte, statt einen vernünftigen Ausgleich zwischen den Interessen der Wirtschaft und den natürlichen Lebensgrundlagen zu suchen. Dabei ist es so: Gerade bei Projekten, wo Umweltbelange rechtzeitig und im Konsens mit den Verbänden berücksichtigt worden sind, gab es schnelle und klaglose Planfeststellungsverfahren.
Alles in allem, kann man sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist der Antrag weder ein großer Wurf, noch löst er Probleme, vor denen wir stehen. Mit diesem Antrag bauen Sie eher neue Zäune anstatt neue Brücken.
({10})
Wir als Koalition bauen neue Brücken und räumen Stück für Stück die Steine aus dem Weg, um beim Bau von Schienenwegen, Wasserstraßen und Straßen schneller und besser zu werden.
({11})
Herr Kollege Stein, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD?
Nein. – Wir als Koalition bauen neue Brücken. Vor über einem Jahr haben wir in diesem Haus beschlossen, dass beim Straßenbau und bei den Bahntrassen künftig an vielen Stellen statt aufwendiger Planfeststellungsverfahren Plangenehmigungen erfolgen können. Ebenso erleichtern wir die Realisierung von vorgezogenen Maßnahmen. Vor zwei Wochen haben wir dafür gesorgt, dass unter anderem Brücken und Hochstraßen ohne große Änderung ersatzneugebaut werden können, also keine Genehmigungen mehr gebraucht werden. Wir haben das auch auf den Bereich des öffentlichen Nahverkehrs erweitert.
({0})
Außerdem haben wir als Bundestag bei 14 Schienen- und Wasserstraßenprojekten eine besondere Verantwortung übernommen. Hier kann ein Gesetz die Planfeststellung ersetzen. Eine vorgezogene frühe Bürgerbeteiligung ist bei diesen Prozessen verpflichtend, und da haben wir auch noch einmal die Qualität erhöht.
({1})
Und besonders wichtig: Wir verstärken jedes Jahr das Personal in allen Bereichen der Verkehrsinfrastruktur. Damit revidieren wir die Fehler der Vergangenheit. Die jahrelangen Personaleinsparungen gerade in diesem Bereich haben einen wesentlichen Anteil daran, dass Baumaßnahmen viel zu lange dauern.
Wir als SPD-Bundestagsfraktion wollen aber noch mehr. Wir wollen mit den Menschen bauen, nicht gegen sie. Dazu wollen wir die Betroffenen noch besser und nachhaltiger vom Anfang bis zum Ende der Baumaßnahme beteiligen. Wer Umweltverbänden vorwirft, dass sie Käfer im Internet bestellen, um Projekte zu verhindern, betreibt billigen Populismus, anstatt auf Dialog zu setzen.
({2})
Das Gleiche gilt im Übrigen für rein dogmatischen Widerstand gegen ein Projekt.
Wir wollen eine Konsenskultur statt ideologische Grabenkämpfe. Wir wollen einen Infrastrukturkonsens gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden, den Naturschutzverbänden und der Zivilgesellschaft; denn das ist das Erfolgsrezept der immer wieder als gutes Beispiel angeführten Dänen und Niederländer.
Eines gehört auch zur Wahrheit: In der Praxis packen wir die Modernisierung unserer Verkehrsinfrastruktur nur dann, wenn wir noch mehr Ingenieurinnen und Ingenieure in den Verwaltungen einstellen, wenn noch mehr Handwerkerinnen und Handwerker auf dem Bau tätig sind. Ebenso brauchen wir in den Planungsbehörden mehr Expertinnen und Experten für Kommunikation sowie Generalistinnen und Generalisten, die Verantwortung übernehmen.
Wir müssen anerkennen, dass sich im Arbeitsmarkt gerade bei diesen Tätigkeiten fundamental einiges verändert hat. Mit unseren alten Ansätzen werden wir den Wettbewerb um diese Fachkräfte nicht bestehen können. Wir brauchen eine moderne, nachhaltige Beschäftigungs- und Qualifikationsinitiative im Bereich des Bauens.
({3})
Damit schaffen wir die Grundlage, dass wir wieder stolz sein können auf unsere Brücken, Schleusen, Bahnstrecken und Straßen, die schnell und solide gebaut werden.
Meine Damen und Herren, ich freue mich auf die weitere Ausschussberatung und darauf, dass die FDP-Bundestagsfraktion beim Thema „Bauen und Planungsbeschleunigung“ noch einiges dazulernen wird.
({4})
Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben dabei alles im Blick. Wir werden gut entscheiden, gut planen, gut bauen, und dabei werden wir die Menschen beteiligen, mit ihnen streiten und mit ihnen gemeinsam dieses Land erneuern.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege Jörg Cezanne.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der zügige Ausbau des öffentlichen Verkehrsangebots bei der Bahn, bei Straßen-, S- und U-Bahnen oder auch bei den Wasserstraßen ist entscheidend. Er ist aus sozialen und ökologischen Gründen entscheidend. Er macht Mobilität günstiger und besser für die Mehrheit der Menschen in unserem Land.
({0})
Deshalb ist es gut, wenn unnötige Verzögerungen bei Planungsverfahren für Verkehrsprojekte vermieden werden können.
({1})
Das zentrale Problem dieser ganzen Debatte hat aber der Sachverständige Dr. Michael Zschiesche in seiner Stellungnahme zur Anhörung zum Planungsbeschleunigungsgesetz benannt – Zitat –:
Obgleich bereits 1990
– das war vor 30 Jahren –
das erste Beschleunigungsgesetz … in Deutschland erlassen wurde, ist auch 2020 nicht einmal bekannt, wie viele Planfeststellungsverfahren … stattfinden. … Im Moment kann in Deutschland niemand Auskunft geben, wie viele Verfahren in welchen Sektoren durchgeführt werden, wie lange welche Planungstypen dauern, welchen Spezifika sie unterliegen, welche Probleme je Sektor die relevantesten sind.
Wir machen seit 30 Jahren Planungsbeschleunigung im Blindflug. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!
({2})
Statt laufend neue Vorschläge für neue Maßnahmengesetze zu unterbreiten, wie es die FDP macht, sollte das Verkehrsministerium regelmäßig berichten, wie der Stand der Planungsverfahren ist und wo es aus welchen Gründen zu Verzögerungen kommt.
Eine frühe Beteiligung der Öffentlichkeit ist ein wesentliches Element bei der Beschleunigung solcher Verfahren, und zwar deshalb, weil man versuchen kann, Einwände von vornherein aufzugreifen, die im Verfahren dann gar nicht mehr zu Klagen oder dergleichen führen. Der Sachverständige der FDP, der frühere hessische Verkehrsminister Dieter Posch, hat dazu in der Anhörung ausgeführt:
Das werden Sie mir vielleicht nachsehen, dass ich das erst sehr spät erkenne, aber ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass viele Projekte dem Bürger in einem Planungsstand mitgeteilt werden, in dem die Planung faktisch fertig ist. … Und deswegen glaube ich, der Planungsprozess in der Öffentlichkeit muss damit beginnen, dass der Plan auch tatsächlich ein Plan ist, bei dem man sagt, wir haben das und das vor, aber nicht, wo alles bereits im Detail schon geregelt ist.
({3})
Ein solches Vorgehen geht aber mit Maßnahmengesetzen überhaupt nicht zusammen. Da stehen das Ziel und die Maßnahme bereits fest und werden per Gesetz vom Deutschen Bundestag verfasst. Dass die Bürgerbeteiligung dann auch noch von der FDP straff geregelt werden soll, erhöht nicht mein Vertrauen darin, dass da an echte Bürgerbeteiligung gedacht ist.
Maßnahmengesetze haben Ausnahmecharakter, die – auch das hat Herr Posch in der Anhörung gesagt – bei Schiene und Wasserstraße mit dem Klimaschutz begründet werden können. Noch einmal ein Zitat von Dieter Posch:
Ich habe schon manchmal Zweifel bei den Gründen, die Sie
– damit meint er die Bundesregierung –
bei der Schiene genannt haben. Die Verkehrsbedeutung einer Straße als solche rechtfertigt es nicht, ein Maßnahmengesetz zu machen.
Die Ausdehnung von Maßnahmengesetzen auf den Straßenbau lehnen wir deshalb ab.
({4})
Bewirkt der Ausschluss oder die Beschränkung von Klagemöglichkeiten, insbesondere von anerkannten Umweltverbänden, wirklich eine Beschleunigung? Laut Umweltbundesamt wird überhaupt nur jedes 58. Verfahren, also weniger als 2 Prozent der Verfahren, einer Klage unterworfen. Ganz offensichtlich ist das nicht das Hauptproblem der Verzögerungen bei solchen Planungsverfahren.
Kommen wir aber mal zu den guten Aspekten. Eine bessere Verzahnung von Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren, wie von der FDP vorgeschlagen, kann positive Wirkung haben. Dazu wäre es aber notwendig, dass Bürgerinnen und Bürger auch bei der Raumordnung beteiligt werden und mitreden dürfen. Das ist bisher nicht vorgesehen, steht auch nicht in Ihrem Antrag; vielleicht reden wir noch mal darüber. Ebenso sind vereinfachte Verfahren für Ersatzbauten vernünftig, und darüber sollte man sprechen.
({5})
– Wir waren aus anderen Gründen nicht dafür, wie Sie sich vielleicht erinnern.
Welche Maßnahmen sind heute schon notwendig?
Erstens. Die mit der Planung befassten Ämter müssen personell und finanziell so ausgestattet werden, dass sie ihre Aufgaben auch erfüllen können.
({6})
Das steht ebenfalls im FDP-Antrag; das ist gut so.
Zweitens. Insbesondere für finanziell schwache Kommunen müssen die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Eine schnelle Entschuldung dieser Kommunen ist dringend nötig.
({7})
Drittens. Für die Baufirmen und Ingenieurbüros, die die Planungen umsetzen, muss eine langfristige Investitionsverpflichtung, insbesondere des Bundes, erkennbar sein. Sie müssen wissen: Es lohnt sich, Personal einzustellen und Kapazitäten bereitzuhalten.
Und viertens. Der Bundesverkehrswegeplan ist bisher nur eine Zusammenstellung einzelner Verkehrsprojekte. Wichtig wäre, daraus eine Netzplanung zu machen, durch die der Wildwuchs von unverbundenen Planungsvorhaben durch eine zielgerichtete Netzplanung ersetzt wird.
({8})
In deren Mittelpunkt muss die Verlagerung des Straßenverkehrs auf die umweltschonenden Verkehrsträger stehen.
Danke schön.
({9})
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Matthias Gastel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der letzten Sitzungswoche hat der Bundestag zwei Gesetze beschlossen, die zum Ziel haben, Verkehrsprojekte schneller zu realisieren. Das erste Gesetz ist unstrittig, das zweite Gesetz ist strittig, möglicherweise auch rechtswidrig und wird nach unserer Einschätzung nicht dazu führen, dass die Dinge schneller vorangehen.
Die FDP fand beide Gesetze gut und ist der Meinung, noch ein drittes Gesetz draufsetzen zu müssen. Umso mehr Gesetze, umso schneller geht das Ganze, scheint dort die Meinung zu sein.
({0})
Das Maßnahmengesetz – das ist das strittige der beiden bereits beschlossenen Gesetze – lässt ebenso offen wie der Antrag der FDP, was genau eigentlich mit „frühzeitige Bürgerbeteiligung“ gemeint ist: Ist das eine reine Information der Bürgerinnen und Bürger? Oder soll es auch darum gehen, sich die Alternativen anzuschauen, Varianten auf Stärken und Schwächen abzuklopfen, damit man im weiteren Verfahren genau weiß, worauf man Wert legen muss, worauf man achten muss, um Rückschleifen zu vermeiden und damit tatsächlich das Ganze zu beschleunigen?
Aus unserer Sicht ist völlig klar, dass Bürgerbeteiligung mehr sein muss als die Vermittlung von Informationen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen ihre Meinung einbringen können; es muss um Alternativen und Varianten gehen.
({1})
Wer eine Bürgerrechtspartei sein möchte, muss genau das wissen und auch entsprechend festlegen. Das ist weder in der Koalition passiert, noch hat die FDP entsprechende Aussagen in ihrem Antrag gemacht.
({2})
Es muss also darum gehen, die Risiken mit einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung zu erkennen, um sie im weiteren Planungsverlauf entsprechend berücksichtigen zu können, damit eine zielgerichtete Planung möglich ist, Rückschleifen, Proteste und mögliche Klagen vor Gericht vermieden werden und es am Ende schneller vorangeht.
Das eigentliche Problem der FDP ist aber, dass sie an der längst gescheiterten Verkehrspolitik der letzten Jahrzehnte festhalten und immer mehr Straßen bauen möchte. Das wird aber nicht funktionieren; das führt uns nicht voran.
({3})
In Deutschland ist jedes Haus mit einer Straße erschlossen, aber wir haben über 100 Mittelzentren, die mit der Bahn nicht erreichbar sind. Wir haben Städte mit 30 000, mit 40 000, ja, sogar mit 60 000 Einwohnerinnen und Einwohnern, wo kein Zug hinfährt.
({4})
Da muss doch klar sein, worauf der Fokus bei den Investitionen gelegt werden muss – sicherlich nicht auf die Straßen.
({5})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht deutlich: Schnelligkeit ist kein Wert an sich. Die Projekte müssen auch einen Sinn machen.
({6})
Erst dann macht nämlich eine Beschleunigung von Infrastrukturprojekten tatsächlich Sinn. Dafür brauchen wir eine wirklich frühzeitige Bürgerbeteiligung. Wir brauchen mehr Personal für die Planung, die Genehmigung und die Umsetzung von Bauprojekten.
({7})
Wir müssen wissen, was wir wollen. Wir müssen wissen, wie wir eine nachhaltige Mobilität sichern wollen, und dann diese notwendigen und sinnvollen Projekte zügig angehen.
({8})
Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Florian Oßner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte verzeihen Sie mir! Eigentlich wollte ich mich jetzt tatsächlich ausschließlich um den FDP-Antrag kümmern, aber wenn der Herr Gastel von den Grünen vor mir spricht, dann zwingt mich das wirklich dazu, einfach noch einmal etwas klarzustellen: Liebe Grünen, hört bitte auf, immer Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen! Wir brauchen alle – Schiene, Straße – Verkehrsträger in unserem Land, um eine vernünftige Verkehrspolitik zu machen.
({0})
Es ist tatsächlich erfreulich, dass sich die FDP der Projektbeschleunigung in Sachen Infrastruktur in Deutschland annehmen möchte. Der vorliegende Antrag scheint mir aber doch ein Jahr zu lange in der Schublade gelegen zu haben; denn mit unserem beschlossenen Planungsbeschleunigungsgesetz II vom Januar 2020 – also von vor gerade mal zwei Wochen – sind alle Punkte bereits abgearbeitet. Offensichtlich hat die Große Koalition in dieser Sache sehr gute Arbeit geleistet. Das indirekte Lob der FDP nehmen wir daher sehr gerne an.
({1})
Es ist keine Frage: Als exportstarke Wirtschaftsnation sind wir in Deutschland auf leistungsfähige Verkehrswege angewiesen. Wir haben daher in den letzten Jahren sehr viele Maßnahmen eingeleitet, um unsere Infrastruktur zu erneuern und auszubauen. Das war auch dringend notwendig; das ist keine Frage. So haben wir beispielsweise mit der Unterzeichnung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung III am 14. Januar dieses Jahres das größte Modernisierungsprogramm für unser Schienennetz gestartet.
({2})
Herr Oßner, gestatten Sie eine Zwischenfrage von einem Kollegen der AfD?
Ja, sehr gerne.
Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Oßner, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ihr Koalitionspartnerkollege Stein bemerkte vorhin, dass die Oberverwaltungsgerichte überlastet sind. Gehen Sie mit, dass sie nur überlastet sind, weil sie mit Einsprüchen von Umweltverbänden zu tun haben, die die ganzen Planungen teilweise blockieren?
Sehr geehrter Kollege, eines ist klar: Wir müssen natürlich auch in den Verwaltungsgerichten, die Entscheidungen treffen sollen, für mehr Personal sorgen. Durch Bürgerinitiativen etc. sind viele Klagen anhängig. Gerade darum sprechen wir heute darüber, mit der Bürgerbeteiligung eher anzusetzen, um diese Verfahren zu verknappen und zu verschlanken. Ich glaube, es ist im Sinne aller hier im Hause, dass man tatsächlich notwendige Verkehrsinfrastrukturprojekte beschleunigt, also nicht nur darüber spricht, sondern auch entsprechende Maßnahmen einleitet.
({0})
Durch die Unterzeichnung der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung III fließt bis 2030 die Rekordsumme von 86 Milliarden Euro in den Erhalt und in die Modernisierung des bestehenden Schienennetzes. Die Investitionsmittel fließen unter anderem in die Erneuerung von sage und schreibe rund 2 000 Kilometern Gleisen, 2 000 Weichen und 2 000 weiteren Eisenbahnbrücken. Mit Fug und Recht können wir heute davon sprechen: Es wird ein Jahrzehnt für die Schiene, ein Jahrzehnt für mehr Lebensqualität Tausender Pendler mit der Bahn in unserem Land.
({1})
Zu lange Verfahren sind ja nicht nur schädlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern sie sind auch eine Belastung für die betroffenen Anwohner. Das Thema „schnelleres Planen und Bauen“ steht deswegen für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf der Prioritätenliste ganz oben.
Nach unserem Planungsbeschleunigungsgesetz I, das 2018 in Kraft getreten ist, haben wir in der vergangenen Sitzungswoche zwei weitere Gesetze beschlossen, mit denen wir – es ist schon zur Sprache gekommen – einen zusätzlichen Investitions- und Modernisierungsschub eingeleitet haben.
Deshalb ist es auch mal an der Zeit, an dieser Stelle Danke schön all denjenigen zu sagen, die hieran beteiligt waren, insbesondere unserem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und unseren beiden Parlamentarischen Staatssekretären Steffen Bilger und Enak Ferlemann. Herzliches Dankeschön!
({2})
Unser letzter Verkehrshaushalt beinhaltet nicht nur Rekordinvestitionen in den Ausbau und Erhalt unserer Infrastruktur, sondern er sieht auch deutlich mehr Personal – um die Zwischenfrage nochmals zu beantworten – für die zentralen Genehmigungsbehörden vor, womit sich abermals eine Forderung des vorliegenden Antrags erfüllt hat.
Die eben genannten Punkte sind aber nicht die einzigen Maßnahmen, mit denen wir schnelleres Bauen erreichen wollen. Ende Januar hatte ich die wunderbare Gelegenheit, an der Eröffnung des Kompetenzzentrums „BIM Deutschland“ teilzunehmen. Hierbei handelt es sich um das nationale Zentrum für die Digitalisierung des Bauwesens. Es ist die zentrale öffentliche Anlaufstelle für alle relevanten Informationen und Aktivitäten rund um das Thema „Building Information Modeling“ – kurz: BIM. Damit wird die Digitalisierung des Planens, des Bauens und des Betreibens – also die gesamte Wertschöpfungskette Bau – vorangetrieben.
Für uns als Union ist klar, dass der Ausbau und die notwendigen Sanierungen der Verkehrswege nur mit modernen digitalen Instrumenten beschleunigt werden können. Vor allem der zeitliche Aufwand kann reduziert werden. Das gilt für die bearbeitenden Behörden genauso wie für die Bauherren. Zudem wird damit ermöglicht, die Kosten, die Bauzeit und eine umfassende Bürgerbeteiligung, lieber Herr Gastel von den Grünen, transparent zu machen, was am Ende auch zu mehr Akzeptanz führt.
Die Deutsche Bahn hat BIM bereits erfolgreich getestet, und auch die Autobahngesellschaft des Bundes sowie die Straßenbauämter in den Ländern sehen in BIM viele Chancen. Das ist doch wahrlich ein weiterer Meilenstein für eine effizientere Planung und Realisierung von Bauprojekten.
({3})
Sie sehen, das Thema „schnelles Bauen und Planen“ ist in den Händen der Koalitionsfraktionen sehr gut aufgehoben, weswegen es der Zustimmung zum Schaufensterantrag der FDP nicht bedarf.
Ein herzliches „Vergelts Gott!“ fürs Zuhören.
({4})
Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der AfD der Kollege Wolfgang Wiehle.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dringend nötige Verkehrsprojekte kommen in Deutschland oft jahre- oder sogar jahrzehntelang nicht voran. Anwohner quält der Durchgangsverkehr, Fahrgäste leiden unter schlechten Verbindungen, Autofahrer stehen im Stau, weil die neue Bahnlinie und die neue Umgehungsstraße noch nicht fertig sind.
Oft werden organisierte Einsprüche eingelegt, die einzig dem Ziel dienen, eine mit Mehrheit getroffene Entscheidung rückgängig zu machen. Häufig sind es gerade die Grünen, die eine neue Bahnstrecke fordern, und vor Ort sind deren politischen Freunde meistens die Ersten, die mit ihren Einwänden und Klagen alles in Frage stellen. Und das heutige Planungsrecht macht ihnen das besonders leicht.
({0})
Dabei geht es auch anders, wie das Vorbild Dänemark zeigt. Dänemark ist dafür bekannt, dass man dort mit Bürgerinteressen achtsam umgeht. Das geht deutlich über das hinaus, was in diesem Hause in den letzten Wochen beschlossen wurde. Das würde auch uns helfen: eine frühzeitige Bürgerbeteiligung, dann die politische Entscheidung – Ja oder Nein – und dann die Umsetzung.
Manchmal ist es auch politisches Versagen, wenn ein Projekt über Jahrzehnte nicht in Angriff genommen wird. Ich kenne ein plakatives Beispiel aus meiner Heimatstadt München. Der Münchener Süden, mein Wahlkreis, leidet seit Ewigkeiten unter dem Durchgangsverkehr von und nach Salzburg. Dieser Verkehr quält sich durch die Stadt, weil beim Münchener Autobahnring der Südabschnitt fehlt. Seit Jahrzehnten wird über den Lückenschluss geredet. Mal steht er im Bundesverkehrswegeplan, mal wird er daraus wieder gestrichen. Bis 2010 ließ die Bayerische Staatsregierung eine Machbarkeitsstudie erstellen und ließ das Projekt anschließend erneut fallen.
Die sensible Landschaft im Süden Münchens und die betroffenen Umlandgemeinden müssen geschützt werden. Dafür müssen weite Teile dieser Strecke im Tunnel geführt werden; das hat auch die Studie gezeigt. Mit einem klaren politischen Willen – und für den steht die AfD –
({1})
muss der Autobahnringschluss für den Münchener Süden endlich auf den Weg gebracht werden.
({2})
Ein Planungsrecht mit frühzeitiger Bürgerbeteiligung, so wie es heute die FDP vorschlägt und wie es wenige Wochen vorher die AfD eingebracht hat, erleichtert das nötige Vertrauen in das Projekt.
({3})
Dieses Beispiel steht für Hunderte Vorhaben für Straße, Schiene und Wasserwege in unserem Land. Es darf nicht noch einmal 50 Jahre dauern, bis der Münchener Süden vom Durchgangsverkehr entlastet wird.
({4})
Für die SPD hat das Wort die Kollegin Kirsten Lühmann.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen! Sehr verehrte Zuhörende! 1779 wurde die Hannoversche Heerstraße, die heutige B 3, von Hannover nach Celle fertiggestellt. Etwa 150 Jahre später, im Jahr 1927, haben die Stadtväter und Stadtmütter gemeint, ihre Innenstadt – übrigens eine wunderschöne Fachwerkinnenstadt; sie liegt in meinem Wahlkreis; wer sie besuchen möchte: es lohnt sich wirklich – vom Durchgangsverkehr freimachen zu wollen, und sie wollten eine Ortsumfahrung planen. Schon 80 Jahre später, im Jahr 2007, wurden die Baumaßnahmen begonnen.
({0})
Heute, 13 Jahre später, sind wir beim dritten von fünf Bauabschnitten.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir alle kennen diese Beispiele aus unseren Wahlkreisen. Diese Bundesregierung und auch die davor haben mit Planungsbeschleunigungsmaßnahmen dafür gesorgt, dass solche Zustände in Zukunft nicht mehr vorkommen können.
({1})
Aber wir wissen auch: Wir sind noch nicht am Ende. Das Wichtigste für ein Bauvorhaben ist die Akzeptanz, die Akzeptanz bei der Bevölkerung und bei den Nutzenden. Um Akzeptanz zu erreichen, ist die erste Maßnahme die Bürgerbeteiligung. Wir haben uns dazu in der letzten Sitzungswoche in unseren Anträgen geäußert. Ich kann Ihnen auch sagen, dass dies in Bezug auf die Ortsumfahrung in Celle etwas war, was damals eben noch nicht in dieser Form gemacht wurde. Gerade, vor 14 Tagen, hat eine Vereinbarung mit dem BUND zum Thema Fledermausschutz dazu geführt, dass es eben keine Klage gab, sondern dass die Pläne geändert wurden und dass diese Straße jetzt zügig gebaut werden kann. Das ist der richtige Weg.
({2})
Die Deutsche Bahn hat dies in dieser Region ebenfalls erkannt und hat beim schienengebundenen Hafenhinterlandverkehr für genau diese frühzeitige Bürgerbeteiligung gesorgt. Wir sind da auf einem guten Weg, und solche Maßnahmen zeigen uns, wo die Reise hingehen muss.
({3})
Allerdings, liebe Kollegen und Kolleginnen: Allein die Bürgerbeteiligung macht es nicht. Wir müssen auch den Mut haben, die Ergebnisse dieser Bürgerbeteiligung umzusetzen, auch wenn sie Geld kosten. Ich gebe hier ein Beispiel: die Entschädigungsregelung. Im Moment werden Grundstücke, die für Verkehrswege benötigt werden, nach dem Verkehrswert entschädigt. Jetzt können alle sagen: Den Verkehrswert zugrunde zu legen, ist doch richtig; niemand soll daran verdienen. – Ich kann Ihnen aber auch aus unserer Region, dem östlichen Niedersachsen, sagen: Das reicht für die Landwirte und Landwirtinnen nicht. Wir brauchen hier eine Entschädigung nach dem Wiederbeschaffungswert.
({4})
Was nützt es ihnen, wenn ihnen der Verkehrswert für ihr Grundstück bezahlt wird, sie sich aber in dieser Region für dieses Geld kein anderes Ackerland kaufen können, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen? Dass diese dann klagen, ist doch wohl klar. Das müssen wir ändern.
({5})
Sie haben in Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, auch das Thema Präklusion angesprochen. Was ist das? Die Präklusion bezeichnet eine Frist, nach der keine schon vorher bekannten Fakten mehr ins Verfahren eingebracht werden können. Ja, das halten wir auch für sinnvoll, weil wir sehen, dass dadurch, dass man vorher etwas weiß und es erst später einbringt, Verfahren verzögert werden können. Aber Sie wissen ganz genau, dass der Europäische Gerichtshof die bestehenden Regelungen zur Präklusion für europarechtswidrig erklärt hat. Insofern finden wir es unverständlich, das jetzt einführen zu wollen.
Dagegen ist das, was die Koalition macht, richtig. Wir sagen: Die Niederlande haben einen Vorschlag gemacht. Dieser Vorschlag wird jetzt gerade vom EuGH geprüft. Wenn der EuGH sagt: „Dieser niederländische Vorschlag ist machbar“, dann werden wir uns damit beschäftigen und werden gucken, wie wir das in Deutschland umsetzen können. Das ist der richtige Weg und nicht, sehenden Auges in Klagen reinzulaufen.
({6})
Der letzte Punkt betrifft die Frage: Wie können wir Verfahren beschleunigen? Ja, mit der Digitalisierung! Das sogenannte BIM ist hier schon mal angesprochen worden, das Building Information Modeling, zu dem diese Koalition auch einen Antrag geschrieben hat, den wir in der nächsten Zeit beraten werden. Das heißt, wir sind nach vorne gegangen und haben gesagt: Wir müssen moderne Verfahren nutzen, um das Planen schneller und vor allen Dingen transparenter zu machen. Es ist angesprochen worden: Die Deutsche Bahn ist da Vorreiterin gewesen und hat das vorbildlich eingeführt. Wir werden jetzt bei anderen Baumaßnahmen für Straße und Wasserstraße nachziehen. Ich glaube, das ist der richtige Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Ja, wir brauchen Planungsbeschleunigung. Aber wir brauchen sie rechtssicher, wir brauchen sie praktikabel, und wir brauchen sie zum richtigen Zeitpunkt. Das haben wir gemacht, und das werden wir auch weiterhin in dieser Legislatur tun.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Für die FDP hat das Wort der Kollege Torsten Herbst.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben hier eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Positionen gehört. Auch wenn wir viel Zustimmung für unseren sehr guten Antrag bekommen haben, habe ich das Gefühl: Einige hier im Haus unterschätzen noch immer, was eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur in unserem Land für Wohlstand und Lebensqualität bedeutet.
({0})
Ja, ich glaube, wir brauchen ein sehr grundsätzliches Umdenken beim Thema Planungsbeschleunigung in Deutschland. Es gibt anderswo positive Beispiele, die zeigen, dass es geht. Wir brauchen ja nur mal so 320 Kilometer nordwestlich von Berlin hinzuschauen. Da wird zwischen der deutschen Insel Fehmarn und der dänischen Insel Lolland momentan eines der größten Infrastrukturvorhaben Europas gebaut, und zwar die Fehmarnbeltquerung, ein 18-Kilometer-Tunnel durch die Ostsee. Ich weiß nicht, ob alle hier im Haus wissen, wie lange die Dänen gebraucht haben, um von ihrem Planungsgesetz zum Baurecht zu kommen. Es waren sechs Jahre. Sechs Jahre, meine Damen und Herren! In der Zeit schaffen wir es in Deutschland nicht mal, das Baurecht für ein paar Kilometer Bundesstraße hinzubekommen. Das ist die traurige Wahrheit.
({1})
Ich sage deshalb: Wir können es uns nicht mehr leisten, mit Trippelschritten voranzugehen, wo jetzt eigentlich kraftvolle Sprünge gefragt sind. Und ja, die bisherigen drei Initiativen der Bundesregierung zur Planungsbeschleunigung sind ein Anfang; aber die sind eben auch noch keine Lösung,
({2})
weil sie uns nicht in dem Maße voranbringen, wie wir es eigentlich bräuchten für unser Industrieland.
({3})
Ich will hinzufügen: Das ist nicht nur eine Frage, die uns Verkehrspolitiker beschäftigt. Es geht nicht nur um einige Kilometer Autobahn, Bundesstraße, Wasserstraße. Es geht eigentlich im Kern um eine ganz, ganz andere Frage, nämlich: Sind wir als führende Industrienation Europas noch in der Lage, eine leistungsfähige Infrastruktur zu bauen? Und diese Frage müssen wir endlich wieder positiv beantworten.
({4})
Von meinen Vorrednern ist ja auch das Thema „gesellschaftliche Akzeptanz“ angesprochen worden. Ja, natürlich, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Schauen wir uns an, welche Reaktionen es aus der Öffentlichkeit zum Projekt Fehmarnbeltquerung gab. Ich nenne mal nur zwei Zahlen: 42 und 16 000. 42 Einwände gab es von dänischer Seite zu diesem Megaprojekt, überwiegend positiv im Übrigen; 16 000 Einwände, überwiegend negativ, gab es von deutscher Seite.
({5})
Was lernen wir daraus? Ich glaube, wir müssen unsere Bürgerinnen und Bürger wieder für die Vorzüge moderner Infrastruktur begeistern.
({6})
Wir machen dafür in unserem Antrag sehr konkrete Vorschläge: von besserer Bürgerbeteiligung über Verfahrensstraffung bis zur klaren Mitwirkung von Umweltverbänden. Uns geht es um etwas ganz, ganz Wichtiges, meine Damen und Herren: Deutschland ist nicht nur das Land der Mopsfledermaus, des Juchtenkäfers und der Kleinen Hufeisennase.
({7})
Wir sind ein Industrieland, und das soll so bleiben.
({8})
Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Björn Simon.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute schon oft gehört: Im Dezember 2019, aber auch in der letzten Sitzungswoche, vor gerade einmal zwei Wochen, haben wir an selber Stelle sowohl mit der ersten als auch mit der abschließenden zweiten und dritten Lesung des neuen Planungsbeschleunigungsgesetzes und des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes die Weichen für einen schnelleren Ausbau dringend benötigter Verkehrsprojekte gestellt.
Ich darf kurz an die Debatte erinnern: Da war von einem Schritt in die richtige Richtung die Rede, von einer guten Woche für den Verkehr und davon, dass die Intention der Bundesregierung an dieser Stelle absolut richtig sei. Jetzt könnte man natürlich mutmaßen, dass diese Textstellen aus dem Protokoll aus den Reihen der Koalition stammen. Dem ist aber nicht so: Sie stammen von der FDP, die damals ganz offensichtlich erkannt hat, dass die Koalition gemeinsam mit dem Verkehrsminister Andreas Scheuer mit beiden Gesetzen die Verkehrsinfrastruktur weiter nachhaltig stärken wird. Da die FDP den beiden Gesetzentwürfen folgerichtig zugestimmt hat und um gleichzeitig die Erinnerung aufzufrischen, lohnt sich an dieser Stelle ein kurzer Rückblick auf diese zwei Gesetze, die wir vor zwei Wochen gemeinsam für die zukünftige Verkehrspolitik in unserem Land verabschiedet haben.
Mit dem Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz schaffen wir künftig Baurecht auch durch Gesetz. Wir beschleunigen in wichtigen Fällen Verfahren, indem das Parlament darüber entscheidet. Es gab und gibt kritische Stimmen, die behaupten, dass diese wichtigen Verfahrensbeschleunigungen mit einer Einschränkung der Beteiligungsrechte einhergehen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Öffentlichkeit wird natürlich auch weiterhin umfangreich beteiligt, und auch Umweltverträglichkeitsprüfungen finden nach wie vor statt.
Wir hören oft Vergleiche mit Verfahrensweisen in anderen europäischen Ländern und gucken ganz gerne mal zu unseren europäischen Nachbarn. Wenn wir nach Norden gucken, nach Dänemark: Genauso wie wir jetzt macht es unser Nachbar Dänemark vor, und zwar erfolgreich.
({0})
Und auch wir werden Infrastrukturmaßnahmen erfolgreich durchführen.
Damit kommen wir zum zweiten Gesetz, mittlerweile zum dritten Mal novelliert: das Planungsbeschleunigungsgesetz. Wir verschlanken Planungsverfahren für Ersatzneubauten, das heißt, wir vereinfachen die Planung und verkürzen die Zeit bis hin zur Baureife, wenn es sich um ein Ersatzbauwerk handelt. Gleichzeitig – das kann man nicht oft genug sagen – haben wir geregelt, dass Städte und Gemeinden im Rahmen des Eisenbahnkreuzungsgesetzes finanziell entlastet werden. Das heißt, Kommunen profitieren, indem Kreuzungsbauwerke schneller realisiert werden können.
({1})
Beide Gesetze eint aber nicht nur, dass wir damit wichtige Verkehrsprojekte schneller realisieren können. Die nun mögliche beschleunigte Planung und Genehmigung tragen insbesondere beim Verkehrsträger Schiene dazu bei, dass wir unsere Klimaziele schneller und effizienter erreichen können. Mit der Stärkung der Schiene und dem beschleunigten Aus- und Neubau des Schienennetzes betreiben wir konsequenten Klimaschutz und bringen diesen zudem mit wirtschaftlicher Entwicklung in Einklang.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im November 2019 haben wir im Haushalt bereits Rekordinvestitionen von rund 15 Milliarden Euro für Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellt. Ende Januar haben wir per Gesetz für die notwendige Genehmigungs- und Planungsbeschleunigung gesorgt. Beides zusammen führt zu besseren, schlankeren und zügigeren Genehmigungs- und Planungsverfahren. Die Grundlage dafür hat diese Koalition geschaffen.
({2})
Daher verhält es sich eben nicht so, wie die FDP heute behauptet. Sie behauptet, ihr Antrag sei der große Wurf, während die vor wenigen Wochen beschlossenen Gesetze nur in einzelnen Punkten beschleunigenden Charakter hätten. Das Gegenteil ist auch an dieser Stelle der Fall. Zugegeben: Ihr Antrag mag den einen oder anderen interessanten Ansatz enthalten, über den wir in den nächsten Wochen gerne in Ruhe sprechen können. Aber der große Wurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, den sehe ich hier nicht. Den großen Wurf im Hinblick auf die Beschleunigung von Genehmigungs- und Planungsverfahren haben wir vor zwei Wochen in diesem Haus, im Plenum, verabschiedet.
Herzlichen Dank.
({3})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Daniela Wagner.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer den Verkehrskollaps abwenden und eine Verkehrswende vorantreiben will, der muss die Planung von Verkehrsprojekten beschleunigen – das ist keine Frage. Daran haben auch wir ein vitales Interesse. Uns geht es vor allem um Schienenprojekte; aber wir wollen es anders machen, als die Bundesregierung es vorhat. Wir wollen keine Bürgerrechte abbauen. Wir wollen die Bürger mitnehmen. Das ist der zentrale Unterschied. Das haben wir in unserem Entschließungsantrag auch dargelegt.
({0})
Die Bundesregierung will mit mindestens nicht rechtssicheren Mitteln die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern und Umweltverbänden einschränken; das ist der falsche Weg. Noch weiter geht die „Bürgerrechtspartei“ FDP, die sogar Dinge, die der EuGH schon längst kassiert hat, wieder einführen und die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern weiter beschneiden will. Das ist mit uns nicht zu machen.
({1})
Wir brauchen eine neue Planungskultur. Wir brauchen die Wahrung von Bürgerbeteiligung und Klagerechten, und wir müssen diese Rechte sogar stärken. Wir brauchen transparente Verfahren, an denen die Bürgerinnen und Bürger umfassend beteiligt werden, und zwar nicht nur bei den Fragen des Wie, sondern auch des Ob.
({2})
Zentral ist hier die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Beispiel in Form von Dialogforen, bei denen verschiedene Optionen zur Sprache kommen und den Abwägungsprozess für die Beteiligten nachvollziehbar machen. Das kann man sehr schön an den Dialogverfahren zu den ICE-Neubaustrecken Hanau–Würzburg/Fulda sehen. Dort haben sie es vorgemacht. Das wird als vorbildlich gelobt. Solche Verfahren sind ein Garant für bessere Planungsqualität, höhere Akzeptanz und vor allen Dingen mehr Rechtssicherheit.
({3})
Und wir müssen die Datengrundlagen für die Planungen regelmäßig aktualisieren und fortschreiben. Veraltete Kostenberechnungen haben allzu oft die Folge, dass Verkehrsprojekte sich unnötig in die Länge ziehen; da wäre ein bundesweiter Standard nicht schlecht.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung machen: Statt den Naturschutzverbänden die Schuld für unsere Planungs- und Umsetzungsmisere in die Schuhe zu schieben, sollten wir endlich dafür Sorge tragen, dass der dort vorhandene Sachverstand durch Kooperation, von der Verwaltung, von den Behörden ausgehend, frühzeitig eingebunden wird.
({4})
Es gibt wenige Verbandsklagen; aber von diesen Verbandsklagen wurden 50 Prozent gewonnen. Das ist auch ein Hinweis darauf, dass die Planung suboptimal ist, dass sie nicht rechtssicher ist. Durch frühzeitige Einbindung lässt sich das ändern. Deswegen ist es überfällig, dass man sehr viel stärker auf die Naturschutzverbände zugeht und auf diejenigen, die möglicherweise sogar eine bessere Idee haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Wagner. – Der letzte Redner zu Tagesordnungspunkt 12: der Kollege Dr. Christoph Ploß, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass wir Infrastrukturprojekte in Deutschland schneller planen und bauen müssen, ist völlig klar. Das ist auch eines der wesentlichen Ziele der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und auch unseres Verkehrsministers Andreas Scheuer. Wir alle kennen Beispiele aus den Regionen und aus unseren Wahlkreisen.
Ein Beispiel ist der Neubau der Autobahn A 20. Dieser hat viel zu lange gedauert. Wenn wir über den Neubau von Schienenprojekten sprechen und die Deutsche Bahn neue Projekte plant, reden wir hier im Schnitt über 20 Jahre Plan- und Bauzeit, bis das Projekt realisiert ist. Das ist der Durchschnitt. Wir haben natürlich teilweise Projekte, die noch viel länger dauern. So könnte man die Liste beliebig fortsetzen.
Deswegen haben wir dank unseres Verkehrsministers Andreas Scheuer und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den vergangenen Monaten enorm viele Initiativen in das Parlament getragen, zum Beispiel in der letzten Sitzungswoche die Möglichkeit für sogenannte Maßnahmengesetze, mit denen wir nach dänischem Vorbild sagen: Wir wollen das Baurecht hier im Deutschen Bundestag beschließen, hier das Planrecht machen und damit die Projekte und die Planung um mehrere Jahre beschleunigen.
({0})
Das würde im Übrigen, liebe Kollegin Suding, gerade für die Hamburger Metropolregion von enormer Bedeutung sein. Wir haben gerade in der letzten Sitzungswoche die Bahnstrecke von Hamburg nach Sylt ins Maßnahmengesetz aufgenommen, sodass die Hamburger in Zukunft noch schneller nach Sylt fahren können. Auch Sie sind ab und zu dort. Insofern: Denken Sie dann an uns, wenn Sie noch schneller von Hamburg nach Sylt fahren können.
({1})
Man könnte noch andere Beispiele aus Hamburg nennen. Ich habe jetzt nicht so viel Redezeit und nenne daher nur das Stichwort „A 26, Wilhelmsburger Reichsstraße“. Das alles sind Projekte in der Hamburger Metropolregion, die jetzt dank der Initiative von Andreas Scheuer und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beschleunigt werden.
({2})
Es ist völlig klar, dass wir nach den ersten Initiativen in den vergangenen Monaten jetzt nicht zum Stillstand kommen können. Wir wollen weitermachen. Das haben wir auch bei der Debatte in der vergangenen Sitzungswoche angekündigt. Denn auch für uns ist klar, dass wir natürlich nicht ewig lange Verbandsklagen haben wollen, dass wir Verbände in Deutschland nicht auch noch unterstützen wollen, die sich nur darauf spezialisiert haben, wichtige Maßnahmen in unserem Land zu verhindern. Deswegen werden wir da tätig werden.
Wir wollen das aber mit Klugheit und mit Besonnenheit machen. Denn – darauf hat die Kollegin Lühmann eben völlig zu Recht hingewiesen – wenn wir jetzt die sogenannte Präklusionsklausel ins Gesetz aufnehmen würden, wie Sie das heute im Plenum vorschlagen, dann könnte es sein, dass der Europäische Gerichtshof das in wenigen Monaten kassiert. Das ist mit uns nicht zu machen. Wir wollen erst mal das Urteil abwarten. Wenn das Urteil positiv ausfallen sollte, werden wir hier einen entsprechenden Gesetzentwurf nach niederländischem Vorbild einbringen. Das wurde auch schon von der Bundesregierung im Verkehrsausschuss angekündigt. Da haben Sie wohl nicht aufgepasst. Es wäre gut, wenn Sie das beim nächsten Mal machen würden, bevor Sie solche Vorschläge ins Plenum einbringen.
({3})
Wir haben eben über die nationale Ebene gesprochen. Wenn wir sagen: „Wir wollen Infrastrukturprojekte in Deutschland schneller planen und bauen“, dann gilt das natürlich auch für die europäische Ebene; das ist völlig klar. Wir müssen da zusammen ein ganz, ganz dickes Brett bohren. Deswegen wird es wichtig sein, dass wir in den nächsten Monaten auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft über Einschränkungen des Verbandsklagerechts reden und sagen: Die Verbände müssen eine Mitwirkungspflicht bekommen. Das heißt, am Anfang eines Planverfahrens müssen sie alle Karten offenlegen, alle ihre Punkte ins Verfahren geben. Das darf nicht erst am Ende kommen, um Projekte zu verzögern, wie wir es zum Beispiel bei der Elbvertiefung erlebt haben. Das wird einer der Punkte sein, sofern der Europäische Gerichtshof dem niederländischen Modell die Zustimmung erteilen wird.
Ich möchte noch einen Punkt nennen, der in dem Zusammenhang auch sehr wichtig sein wird: Wir sollten das Thema „schnelleres Planen und Bauen“ zu einem wesentlichen Programmpunkt der Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft machen. Die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr bietet die große Chance, dass wir auch an internationale Vereinbarungen wie die Åarhus-Konvention rangehen. Auch dieses Brett werden wir bohren müssen. Auch das hat Andreas Scheuer gemeinsam mit meinen Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion angekündigt.
Insofern sehen Sie: Wir haben eine ganze Liste an Themen abgearbeitet. Davon profitieren wir im Norden, davon profitieren auch viele andere Regionen in Deutschland. Wir werden dranbleiben. Insofern hoffen wir, dass Sie im Verkehrsausschuss und hier im Plenum gemeinsam mit uns daran mitwirken. Wir sind da konstruktiv und offen. Ich freue mich, wenn wir dieses wichtige Thema bis Jahresende weiter vorantreiben.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 12.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unserem Land ging es noch nie besser als heute, und trotzdem haben wir mehr Aufgaben denn je zu bewältigen. Ein großes Thema dieser Tage ist der Fachkräftemangel. Dieser Fachkräftemangel wird mittlerweile zu einer echten Belastung für das Innovationsland Deutschland. Wenn vor Ort die Arbeit zu viel wird und die Menschen, die sie erledigen können, zu wenige sind, dann ist es eben auch meine Aufgabe, dieses Problem in den Mittelpunkt meines Tuns zu stellen. Denn nur mit genügend Technikern, Meistern und Betriebswirten können wir heute unsere Innovationskräfte in Deutschland vollständig ausschöpfen. Wir wollen Innovationsland bleiben. Dafür schaffen wir unter anderem mit diesem Gesetz den Boden.
Das Berufsbildungsgesetz ist bereits in Kraft. Damit haben wir unsere beruflichen Abschlüsse sichtbar gemacht für den internationalen Vergleich. Denn jeder in der Welt soll sehen, wie gut wir unsere jungen Menschen qualifizieren und was sie können.
({0})
Mit dem Aufstiegs-BAföG gehen wir jetzt konsequent den nächsten Schritt. Wir erleichtern den beruflichen Aufstieg; denn es ist heute zu wenig, nur eine Fortbildung zu fördern. Das Innovationsland Deutschland braucht viele gut ausgebildete Fachkräfte. Fachkraft bleibe ich nur, wenn ich mich immer wieder neuen Anforderungen stelle. Deshalb ermöglicht das AFBG nun erstmals die Förderung auf allen drei beruflichen Fortbildungsstufen,
({1})
Schritt für Schritt bis auf Masterniveau. So sieht moderne Aufstiegsförderung aus, und so fördern wir unsere leistungswilligen Menschen.
Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, mit der Novelle des Aufstiegs-BAföG ein weiteres Zeichen der Wertschätzung für die berufliche Weiterbildung zu setzen:
({2})
mit der stärksten Leistungsverbesserung, die es je gegeben hat, und mit der umfassendsten Novelle, seit es dieses Gesetz gibt. Das AFBG ist unter anderem auch eine tragende Säule unserer Weiterbildungsstrategie. Denn berufliche Aus- und Weiterbildung stehen in den nächsten Jahren wieder sehr im Fokus. Eine enge Verzahnung zwischen Theorie und Praxis wird uns am besten durch den Wandel der Arbeitswelt tragen.
Wir stellen uns hier und heute an die Seite der beruflichen Aufsteiger. Es ist egal, ob ich mich als Maurer, als IT-Kaufmann oder in sozialen Berufen weiterbilden will. Wir machen das möglich: mit höheren Zuschüssen, mit höheren Freibeträgen und mit modernen Strukturen. Wir setzen genau da an, wo die größten Hindernisse bestehen. Denn Fortbildungen sind in der Regel teuer und kosten Zeit, Zeit, die mir dann für den Erwerb meines Lebensunterhaltes fehlt. Wir wollen aber, dass jeder, der das will, die Chance erhält, beruflich aufzusteigen. Die berufliche Karriereleiter zu erklimmen, muss eine selbstverständliche Perspektive für junge und junggebliebene Menschen sein.
Ganz besonders – das will ich an dieser Stelle betonen – werden die Vollzeitschüler in den sozialen Berufen und in den Gesundheitsberufen, in Erziehung und Pflege profitieren.
({3})
Wir reden in diesen Tagen viel über den Mangel an Fachkräften in den sozialen Berufen. Unser AFBG trägt dazu bei, gerade diesen Berufsgruppen weitere Unterstützung zukommen zu lassen.
Wir haben die Familien im Blick: mit einer höheren Unterhaltsförderung und einem erhöhten, einkommensunabhängigen Kinderbetreuungszuschlag. Und wenn sich jetzt Menschen dafür entscheiden, sich nach erfolgreicher Fortbildung selbstständig zu machen, dann zeigen wir auch dafür unsere Hochachtung, erlassen ihnen etwaige Restdarlehen aus Fortbildungen, um ihnen einen schuldenfreien Start in die Selbstständigkeit möglich zu machen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Verbesserungen im Aufstiegs-BAföG stellen wir in dieser Wahlperiode 350 Millionen Euro zusätzlich bereit. Es geht um Weiterbildung ein Leben lang, berufliche Weiterbildung für alle, immer wieder. Wir werden so stark nur bleiben können, wenn wir die berufliche Aus- und Weiterbildung in Deutschland attraktiv halten. Die Welt beneidet uns um diese Chancen für junge und junggebliebene Menschen.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen für die konstruktiven Beratungen bedanken. Wir haben an der einen oder anderen Stelle miteinander gerungen. Aber wir hatten und haben ein gemeinsames Ziel, nämlich die beruflichen Aufstiegsfortbildungen für Fach- und Führungskräfte so attraktiv wie nie zuvor zu machen.
Danke schön.
({5})
Für die AfD hat das Wort der Kollege Dr. Götz Frömming.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich weiß nicht, ob Sie das kennen: Wenn Sie nach Jahren einmal wieder in das Dorf oder Städtchen Ihrer Kindheit zurückkommen und dann schauen: Wo ist denn eigentlich der kleine Tante-Emma-Laden geblieben? Er ist nicht mehr da. Sie finden nur noch ein normales Wohnhaus. Ein paar Straßen weiter, wo damals noch die kleine Kfz-Werkstatt im Hinterhof war, gibt es nur noch ein leeres Garagentor. So geht es weiter: Der Bäcker, der Metzger,
({0})
die familiengeführten Einzelhandelsbetriebe, viele sind verschwunden. In den Kleinstädten dominieren die immer gleichen Ketten mit ihrem gesichtslosen Design das Bild unserer Straßen. Meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, diese Entwicklung sei zu Ende. Wir sind noch mittendrin.
({1})
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks geht davon aus, dass etwa 250 000 Stellen im Handwerk unbesetzt sind. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag meldet in seinem aktuellen Unternehmensnachfolgereport, dass fast jeder zweite Inhaber, der demnächst in den Ruhestand geht, noch keinen Nachfolger gefunden habe.
Gleichzeitig platzen unsere Universitäten aus allen Nähten: Fast 3 Millionen Studenten haben wir zurzeit. Jedes Jahr kommen 500 000 dazu. Wenn Sie mich fragen: 300 000 würden vollkommen reichen.
({2})
Im Verlaufe des Studiums bricht dann jeder dritte Student seine Ausbildung komplett ab.
({3})
Die meisten sind dann schon längst zu alt und durch den Universitätsbetrieb verdorben,
({4})
um noch eine ordentliche Lehre beginnen zu können. Meine Damen und Herren, an diesem Missverhältnis zwischen beruflicher Bildung und Universität müssen wir dringend etwas ändern.
({5})
Das hier abschließend zur Debatte stehende sogenannte Meister-BAföG, also die Ausbildungsförderung für die nichtakademischen Bildungswege, ist ein wichtiger Hebel, um die berufliche Bildung attraktiver zu machen.
({6})
Auch waren wir uns im Ausschuss fraktionsübergreifend einig, dass die vorliegende Novelle grundsätzlich begrüßenswert ist und in die richtige Richtung geht.
({7})
Sie enthält gegenüber der bisherigen Regelung einige Verbesserungen, die eben schon genannt worden sind und die ich hier nicht noch einmal aufzählen muss.
Gleichwohl, sehr geehrte Frau Ministerin, liebe Koalition, sind Sie angesichts der großen Aufgabe, vor der wir stehen, zu kurz gesprungen. Noch immer müssen Lehrlinge im Gegensatz zu Studenten für ihre Ausbildung, die Prüfung und auch für das sogenannte Meisterstück eine nicht unerhebliche Summe aus eigener Tasche berappen. Hier waren Sie zu knauserig, Frau Ministerin.
({8})
Wenn der Bund vor Kurzem beschlossen hat, für die Hochschulen 40 Milliarden Euro und für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen in den nächsten zehn Jahren sogar 120 Milliarden Euro lockerzumachen, dann zeigt das doch, wo Ihre Prioritäten in Wahrheit immer noch liegen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Die AfD-Fraktion hat sich im Rahmen der Beratungen dafür eingesetzt, die Bundesmittel für die Aufstiegsfortbildung zu erhöhen und auch Leistungsstipendien ähnlich wie im akademischen Bereich einzuführen. Leider konnten wir uns mit dieser Forderung nicht durchsetzen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit der Abwandlung einer früher bei den Grünen beliebten Weissagung schließen: Erst wenn der letzte Handwerker seinen Laden dichtmacht und keiner mehr kommt, wenn die Heizung kaputt ist, dann werdet ihr feststellen, dass es ein Fehler war, jedem das Abitur zu schenken und die berufliche Bildung zu vernachlässigen.
Vielen Dank.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort die Kollegin Bärbel Bas.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland – da bin ich mir sicher – ist und bleibt eine Arbeitsgesellschaft. Die Arbeit wird uns auch durch den technologischen Wandel nicht ausgehen. Sie wird sich aber stark und immer schneller verändern. Es entstehen neue Berufsbilder, Arbeitszeitmodelle und auch Qualifikationsanforderungen.
Ganz gleich, aus welcher Sicht man den Arbeitsmarkt betrachtet – aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich Sicherheit wünschen, oder aus Sicht der Unternehmen, die gut ausgebildete Fachkräfte suchen –: Gute Bildung steht im Mittelpunkt aller Debatten beim Arbeitsmarkt von morgen. Dazu gehört eine gute Ausbildung. Dazu gehört immer auch eine gute Fort- und Weiterbildung. Die Menschen und die Unternehmen erwarten Rahmenbedingungen, die genau diese gute Bildung auch ermöglichen.
Heute verbessern wir die Förderung der Aufstiegsfortbildung. Damit verbessern wir genau die Rahmenbedingungen, die es den Menschen ermöglichen, eine Weiterbildung zu machen.
({0})
Gute Bildung darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Das gilt, wie ich finde, auch für die Weiterbildung. Damit Weiterbildung für alle möglich ist, verbessern wir die Förderung. Ich will es noch einmal nennen: Der Unterhalt während einer Aufstiegsmaßnahme in Vollzeit wird in Zukunft mit einem Vollzuschuss gefördert. Das entlastet über die Hälfte der Geförderten unmittelbar. Viele können nämlich nun auf den Kredit verzichten, den sie bisher für den zu leistenden Eigenanteil aufnehmen mussten. Der Kinderbetreuungszuschlag für Alleinerziehende wird angehoben, und die Zuschüsse bei Maßnahmebeiträgen und Prüfungsgebühren werden angehoben. Damit erleichtern wir den Zugang für die Weiterbildung.
({1})
Wir schaffen auch die gleichen Fortbildungsbedingungen – das ist uns wichtig, anders als bei der AfD –, sodass die berufliche und die akademische Ausbildung gleichwertig sind.
({2})
Für uns sind beide Ausbildungswege gleichwertig. Das muss sich auch in einer gleichwertigen Förderung widerspiegeln.
Meine Damen und Herren, wir haben in den Beratungen zu diesem Gesetz sehr viel auch über die Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern gesprochen. Viele von ihnen profitieren insbesondere von dem Vollzuschuss, den ich gerade erwähnt habe, für den Unterhalt, weil sie überdurchschnittlich oft eine Fortbildung in Vollzeit absolvieren.
({3})
– Dazu komme ich. – Gleichzeitig gibt es aber eine Lücke, nämlich bei praxisintegrierenden Ausbildungen.
({4})
Praxisphasen sollen – so sieht es das AFBG vor – durch den Arbeitgeber finanziert werden. Für Techniker, Fachwirte und Meister stellt das auch kein Problem dar, bei Erzieherinnen und Erziehern in einer vollintegrierten Ausbildung aber schon; denn die Praxiszeiten werden nämlich nicht immer bezahlt. Deshalb ist es auch wirklich ärgerlich, dass wir nicht zu einer gemeinsamen Lösung gekommen sind.
Wir haben letztes Jahr die Mindestausbildungsvergütung für die berufliche Bildung beschlossen. Wir müssen, wie ich finde, auch bei den Sozialberufen zu Ausbildungsmodellen kommen, die vergütet werden.
({5})
Die Jugend- und Familienministerkonferenz hat zuletzt 2019 in Weimar ihre Forderung nach einer schulgeldfreien, vergüteten, praxisintegrierten Ausbildung bekräftigt. Hier müssen wir, wie ich finde, vorankommen. Dabei sind aber auch und vor allem die Länder in der Pflicht; das sage ich natürlich auch.
({6})
Wir brauchen – das finde ich an dieser Stelle auch richtig – eine bessere Koordinierung in der Bildungspolitik. Viele Menschen leiden unter dieser mangelnden Koordinierung. Wir brauchen Strukturen, um solche Probleme lösen zu können. Der Nationale Bildungsrat wäre ein wichtiges Instrument dafür gewesen.
({7})
Ich finde es deshalb wirklich bedauerlich, dass Bayern und Baden-Württemberg den Nationalen Bildungsrat ablehnen; denn er hätte uns bei diesen Koordinierungsfragen helfen können.
({8})
Wir fordern deshalb in einer Entschließung zumindest die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, damit die Forderungen der Jugend- und Familienministerkonferenz zur Ausbildung in den landesrechtlich geregelten Sozialberufen auch umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, bereits jetzt ist das Aufstiegs-BAföG ein Erfolg. 2,8 Millionen Berufstätige wurden bisher in ihrem beruflichen Aufstieg unterstützt. Damit leistet dieses AFBG einen wichtigen Beitrag für den Erhalt von Qualifikationen, für gute Perspektiven am Arbeitsmarkt und gegen den Fachkräftemangel.
Vielen Dank.
({9})
Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Jens Brandenburg.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute nicht nur über technische Anpassungen eines Förderinstruments ab, sondern über handfeste Bildungschancen von Menschen, die mit harter Arbeit eine berufliche Weiterentwicklung erreichen wollen. In Zeiten der Digitalisierung hat man nicht mehr ausgelernt. Es gibt unzählige Möglichkeiten der Weiterbildung, und das ist großartig. Wir Freie Demokraten wollen, dass jeder Mensch diese Möglichkeiten nutzen kann,
({0})
damit er oder sie jederzeit die Hoheit über den eigenen Lebenslauf behält.
Der Zugang zu Bildung darf nicht von finanziellen Hürden abhängen. Der vorliegende Gesetzentwurf unterstützt leistungsbereite Menschen bei der Finanzierung einer beruflichen Fortbildung. Das ist richtig so, und deshalb unterstützen wir das seitens der Freien Demokraten sehr gerne.
Bei aller Freude darüber muss man aber sagen, dass die Koalition ein altes sozialdemokratisches Prinzip verletzt hat: das Struck’sche Gesetz, das besagt, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es eingebracht wurde.
({1})
Das ist in diesem Fall durchaus schade; denn die Chance auf weitere Verbesserungen des Aufstiegs-BAföG haben Sie im Ausschuss mit Ablehnung sämtlicher Änderungsanträge leider verpasst.
({2})
Ich gebe Ihnen drei Beispiele. Erstens. Warum fassen Sie die Möglichkeiten für mehrere Fortbildungen auf einer Stufe so eng? Erfolgreiche Bildungskarrieren müssen nicht unbedingt vertikal verlaufen. Beispielsweise könnte eine Industriemeisterin Metall eine Fortbildung zur Aus- und Weiterbildungspädagogin machen, ihre fachliche Expertise einbringen und für weitere Bildungsprozesse nutzen.
({3})
Nach Ihrem Gesetzentwurf müsste sie sich erst einmal rechtfertigen, warum das für ihre bisherige Berufsausbildung denn unbedingt erforderlich sei. Wir wollen, dass sie das selbst entscheiden kann. Die moderne Arbeitswelt braucht kein Silodenken, sondern flexible Bildungswege.
({4})
Wenn Menschen mit einer interdisziplinären Qualifikation durchstarten wollen, dann sollte das Aufstiegs-BAföG sie nicht ausbremsen, sondern dazu ermutigen.
Zweitens. Warum verweigern Sie Menschen in Teilzeitfortbildung einen Beitrag zum Lebensunterhalt? Frau Karliczek, Sie haben argumentiert, das sei gar nicht nötig. Frau Ministerin, wer als Geselle oder als Kauffrau eine Familie zu ernähren hat, kann nicht einfach auf die Hälfte des Einkommens verzichten. Da hilft auch Ihr Verweis auf das Arbeitslosengeld nicht weiter.
({5})
Machen Sie doch endlich ernst mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf! Öffnen Sie also den Unterhaltsbeitrag, gerne bedarfsabhängig, auch für Teilzeitfortbildungen! Unterstützen Sie diese Menschen! Sie haben es verdient.
({6})
Drittens. Warum haben Sie es abgelehnt, digitale Lehrangebote weiter zu stärken? Sie verlangen von mediengestützten Lehrgängen, dass die Lehrkraft jederzeit aktiv den Lernprozess steuert und regelmäßig selbst kontrolliert. Damit fallen moderne Lernmanagementsysteme ebenso wie digitale Vorbereitungskurse als Teil einer Fortbildung völlig durchs Raster. Dazu gehören aber auch hervorragende Angebote wie „Elements of AI“, ein interaktiver Onlinekurs zu den Grundlagen künstlicher Intelligenz, den ich Ihnen allen hier übrigens sehr empfehlen kann.
({7})
Sie sollten innovative Lernmethoden nicht weiter ausbremsen, sondern fördern. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr digitale Kompetenz in der beruflichen Bildung.
Ein gutes Förderinstrument orientiert sich an der Lebenswirklichkeit der Menschen. Es schnürt innovative Lernangebote und auch individuelle Bildungswege nicht ab, sondern eröffnet neue Freiräume.
Wir beschließen heute ein gutes Gesetz, aber es ist noch viel zu tun. Wir werden nicht lockerlassen, bis wirklich jeder weltbeste Bildungschancen nutzen kann. Dafür kämpfen wir – Ihre Freien Demokraten.
({8})
Nächste Rednerin: die Kollegin Dr. Birke Bull-Bischoff, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, heute ist ein guter Tag für die klassische Meisterausbildung, aber es ist kein guter Tag für Schülerinnen und Schüler in den sozialen Berufen. Die Linke hatte bekanntermaßen in den Verhandlungen zur AFBG-Novelle vor allem ein Problem in den Mittelpunkt gestellt. Wir haben gesagt: Die künftige Aufstiegsfortbildungsförderung muss auch Erzieherinnen und Erziehern vollständig zugutekommen.
({0})
Ja, das Aufstiegs-BAföG ist ein erfolgreiches Instrument für die Förderung von Fachkräften in der klassischen Meisterausbildung. Durch die vorliegende Reform – das gehört zur Wahrheit dazu – wird es weiter verbessert, und zwar nicht unerheblich; das muss man zugestehen. Aber das Aufstiegs-BAföG ist nur ein halbgares Instrument zur Förderung von Schülerinnen und Schülern, die in einer vollzeitschulischen Ausbildung sind. Dazu gehören zum Beispiel künftige Erzieherinnen und Erzieher.
Was ist die Situation der Schülerinnen und Schüler? Sie bekommen im Moment keine regelhafte Ausbildungsvergütung. Das heißt im Übrigen auch anders. Sie müssen nicht selten auch noch Geld mitbringen, um ihre Ausbildung machen zu können,
({1})
nämlich dann, wenn sie an freien Schulen lernen. Sie absolvieren ihre Ausbildung damit nicht selten unter prekären Bedingungen. Das heißt, sie laufen zum Amt, um Wohngeld zu bekommen. Sie versuchen, bei den 600 Stunden Praktikum, die vor Ausbildungsbeginn absolviert werden müssen, irgendwie mit den Jobcentern zu dealen. Und es ist keine leichte Übung, dem Vorrang der Vermittlung, dem Vermittlungszwang, zu entgehen. Oder sie müssen neben der Ausbildung einen zweiten, fachfremden Job ausüben.
Vor allem für Quereinsteigerinnen und ‑einsteiger und Späteinsteigerinnen und ‑einsteiger mit vielen Problemen ist dieser Ausbildungsweg mit vielen Barrieren verbunden; denn sie können das BAföG schon allein aus Altersgründen nicht nutzen. Die einzige Ausnahme ist im Übrigen das Förderprogramm des Bundes für Quereinsteiger; da hat es der Bund bezahlt.
Das ist verglichen mit der dualen Ausbildung ungerecht. Auszubildende, die eine duale Ausbildung absolvieren, können zumindest von einer Ausbildungsvergütung leben und damit frei und selbstständig agieren und lernen.
Außerdem ist es ein Anachronismus.
({2})
Wenn wir den Anspruch auf einen Ganztagskitaplatz einführen, dann brauchen wir laut verschiedenen Prognosen zusätzlich mindestens 300 000 gute Fachkräfte, und gute Fachkräfte, meine Damen und Herren, sind der Dreh- und Angelpunkt für frühkindliche Bildung.
({3})
Ausgerechnet diesen Fachkräften legen wir Steine in den Weg bzw. räumen diese nicht aus. Das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren; das ist keine verantwortliche Bildungspolitik.
({4})
Begründet liegt dieses Übel in dem Gesetz, das wir jetzt novellieren, und zwar in dem Begriff „Fortbildungsdichte“. Eine Fortbildungsdichte von – so steht es im Gesetz – 70 Prozent ist die Bedingung für das Aufstiegs-BAföG. Es ist eben nicht so, dass das Aufstiegs-BAföG, Frau Ministerin, die Verquickung von Theorie und Praxis fördert. Vielmehr wird nur die sogenannte Theorie, die Anwesenheit in der Fachschule, für diese Schülerinnen und Schüler gefördert.
Bei Schülerinnen und Schülern in den Sozialberufen geht diese Trennung nicht. Sie müssen nämlich in ihrer Ausbildung ein Drittel im praktischen Feld sein. Das gehört verbindlich festgeschrieben zur Ausbildung.
({5})
Genau genommen erreichen sie eine Fortbildungsdichte von 100 Prozent, wenn man beide Lernorte, die verbindlich zur Ausbildung gehören, als förderfähig ansieht. Nun stelle man sich einmal vor, Lehramtsstudierenden würde für die Zeit, in der sie schulpraktische Übungen machen, einfach das BAföG gekürzt bzw. gar nicht gezahlt. Die gefundene Regelung ist also ein Unding und keine verantwortliche Politik.
({6})
Nun wird immer gesagt, wie auch heute, besonders Schülerinnen und Schüler in den sozialen Berufen könnten von dieser Novelle profitieren. Ich finde das sehr ärgerlich, weil zum einen in dieser Novelle gar nichts zugunsten der sozialen Berufe bzw. der Ausbildung verändert worden ist, zum anderen es nur die Hälfte der Wahrheit ist, weil verschwiegen wird, dass das dritte Jahr der Ausbildung gar nicht gefördert wird. Bezahlte Praktikanten- und Praktikantinnenstellen sind rar, oder aber in der sogenannten praxisorientierten oder integrierten Ausbildung ist meistens über drei Jahre keine Förderung möglich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie hätten die Chance gehabt, diesem ein Ende zu bereiten. Ich finde es im Übrigen fair, Frau Bas, uns hier die Taschen nicht nur mit neuen Leistungen zu füllen, sondern einen Zustand, der ärgerlich ist, auch als solchen zu benennen. Ich weiß nicht, was Sie wirklich davon abgehalten hat. Man hätte die Ausbildung unmissverständlich als förderfähig ins Gesetz nehmen können. Man hätte auf den Vorschlag der Länder eingehen können, die Fortbildungsdichte auf 60 Prozent zu senken. In der Anhörung haben sich viele Experten genau diesen Vorschlägen angeschlossen. Sie haben sie in den Wind geschrieben. Das ärgert uns maßlos. Das ärgert auch mich maßlos.
({7})
Stattdessen ist geplant: die Bildung von Arbeitsgruppen, Evaluationsrunden; mal abwarten, wie die Länder die künftige Ausbildung entwickeln. Sie wollen warten, bis die Länder etwas zusammenfriemeln. Wir alle miteinander wissen: Das dauert Jahre. Die jungen Leute bleiben bis dahin mit ihren Problemen allein. Sie machen es künftigen Erzieherinnen und Erziehern, die wir wirklich dringend brauchen, maßlos schwer, sich für eine solche Ausbildung zu entscheiden, vor allen Dingen für Quereinsteiger. Sie sind von ihren Eltern abhängig oder müssen ihre Ausbildung weiter in prekären Verhältnissen absolvieren. Das geht gar nicht. Deshalb werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen.
({8})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer.
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wir stimmen heute Ihrem Gesetzentwurf zu, weil er für uns ein guter Schritt zu besserer Weiterbildung ist und viele positive Veränderungen enthält.
Dennoch beginnt meine Rede mit einem Aber. Das wissen Sie auch. Wir haben es im Ausschuss, in einer Anhörung und auch hier im Plenum oft diskutiert. Ihr Gesetzentwurf geht uns nicht weit genug. Warum? Weil Weiterbildung eines der riesigen Themen unserer Gesellschaft ist, weil wir Antworten auf die sich verändernde Gesellschaft brauchen, weil ökologische Transformation und Digitalisierung neue Anforderungen stellen und weil Sie dafür nicht ausreichende Antworten haben. Es fehlt an Veränderungen, die tiefer gehen als das, was Sie vorlegen.
({0})
Wenn wir an den eklatanten Fachkräftemangel in unserem Land denken, an die großen gesellschaftlichen Umbrüche, dann haben wir Grüne eine klare Vorstellung, nämlich die einer breit aufgestellten Weiterbildung, die gleichwertig neben Schule, Ausbildung und Hochschule steht, die wir ernst nehmen und der wir den Stellenwert geben, den sie braucht, und wie wir möglichst viele Menschen erreichen, die heute noch nicht davon profitieren.
({1})
Deshalb brauchen wir – das ist eine unserer Kernforderungen – einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung.
({2})
Wenn sich jemand weiterbilden will, dann soll er das auch machen können und nicht von betrieblichen Gegebenheiten oder vom guten Willen des Arbeitgebers abhängig sein. Ohne eine gesetzliche Verankerung bleibt jede Weiterbildungsstrategie wirkungslos. Der gute Wille allein genügt nämlich nicht, Freiwilligkeit genügt in unseren Augen nicht. Deshalb brauchen wir den Rechtsanspruch.
({3})
Wenn man dann das Recht hat, sich weiterzubilden, braucht man Zeit dafür, ganz klar. Deshalb fordern wir dringend einen Freistellungs- und Teilfreistellungsanspruch. Was hilft es mir denn, wenn ich mich weiterbilden will und darf, aber dann die Arbeitszeit nicht reduzieren kann? Die Freistellung korrespondiert ja mit dem Rechtsanspruch. Wer Zeit für Weiterbildung braucht, der braucht auch das Recht im Betrieb, dafür eine Auszeit nehmen zu können oder in Teilzeit zu gehen,
({4})
und natürlich auch das Recht, wieder in Vollzeit zurückzukehren oder zumindest in den vorherigen Stundenumfang. Also brauchen wir zusätzlich zum Freistellungsanspruch auch ein Rückkehrrecht.
({5})
Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich so dagegen sperren. Vergessen wir einmal eines nicht: Eine Weiterbildung dient nicht nur den Menschen, die sich weiterbilden, sondern in der Regel auch den Arbeitgebern, den Betrieben der Wirtschaft. Das hilft auch gegen Fachkräftemangel.
Und wir brauchen Geld, liebe Kolleginnen und Kollegen; denn wer sich weiterbilden will oder aufgrund der Veränderungen in der Gesellschaft weiterbilden muss, braucht eine ausreichende und sichere Finanzierung. Auch hier wollen wir einen Schritt weiter gehen als Sie und das Aufstiegs-BAföG zu einem Weiterbildungs-BAföG umbauen, und zwar für alle, die bisher keinen Anspruch auf Leistungen im Rahmen der SGBs haben. Der Wunsch nach beruflicher Entwicklung darf nicht länger am Geldbeutel scheitern.
({6})
Dafür wollen wir das bestehende Aufstiegs-BAföG ausbauen und die Fördersätze und Freibeträge deutlich erhöhen. Neben Aufstiegsfortbildungen können auch weniger umfangreiche Fortbildungen, Weiterbildungen auf dem gleichen formalen Qualifikationsniveau oder ein Zweitstudium grundsätzlich unterstützt werden. Die Förderung setzt sich zusammen aus einem Zuschuss und der Möglichkeit eines Darlehens, um den Lebensstandard während der Weiterbildung sicherzustellen. Das ist auch wichtig, wenn wir über die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung nachdenken; denn nur dann, wenn beide Schienen Teil des staatlichen Bildungsauftrags sind und finanziert werden, werden wir sie erreichen.
({7})
Wir wollen nicht, dass diese Gleichwertigkeit weiterhin eine Worthülse bleibt. Wir bieten hierfür ein gut durchdachtes Gesamtpaket. Ich finde es schade, dass Sie sich da so verschließen.
Um unsere Intention deutlich zu machen, haben wir heute auch zwei Änderungsanträge gestellt. In einem geht es um die Evaluierung und Berichtspflicht über Weiterbildungszahlen, aktuelle Entwicklungen. Das wollen Sie auch. Alle Experten und Expertinnen haben in den Anhörungen bestätigt, dass wir das brauchen. Wir wollen das gleich und alle zwei Jahre – ob der Dringlichkeit der Lage.
({8})
Der zweite Änderungsantrag beschäftigt sich mit der Teilzeitfinanzierung bei Teilzeitweiterbildung. Wir wollen auch den Lebensunterhalt anteilig unterstützen. Bisher können nach dem AFBG nur die Maßnahmekosten gefördert werden. Das widerspricht dem Interesse der Weiterbildungswilligen; denn wenn jemand auf Teilzeit reduziert, um eine Weiterbildung zu machen, hat er selbstverständlich anteilig weniger Geld zur Verfügung, muss aber seine Lebenshaltungskosten irgendwie stemmen können. Er hat vielleicht Familie, er zahlt Miete, die Kita für die Kinder. Alles läuft weiter und muss irgendwie bezahlt werden. Ohne ausreichende Finanzierung werden viele Menschen den Sprung ins kalte Wasser nicht wagen. Eine Weiterbildung darf doch nicht dazu führen, dass ich mein gesamtes Leben umkrempeln muss, und sie darf auch nicht so teuer sein, dass ich ganz darauf verzichte. Da sehen wir noch erheblichen Bedarf.
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe seit Wochen Kopfschütteln zum Rechtsanspruch. Sie sperren sich gegen den Freistellungsanspruch oder die Teilzeitweiterbildungsfinanzierung. Wie sagte schon Schopenhauer – ich darf mir heute wieder einmal ein Zitat erlauben –:
Alle Wahrheit durchläuft drei Stufen. Zuerst wird sie lächerlich gemacht oder verzerrt. Dann wird sie bekämpft. Und schließlich wird sie als selbstverständlich angenommen.
Ich vertraue darauf: Gute Ideen setzen sich durch. Ich bin zuversichtlich, dass Sie darüber nachdenken, dass wir weiterhin darüber verhandeln. Es wäre nicht das erste Mal, dass grüne Ideen sich dann doch durchsetzen. Deshalb trauen Sie sich: mehr Mut und mehr Vision für die Zukunft unserer Gesellschaft!
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion: der Kollege Stephan Albani.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! „Los Wochos“ für die berufliche Bildung geht weiter. Nach der spannenden Vorspeise InnoVet-Wettbewerb, nach dem Hauptgericht Berufsbildungsmodernisierungsgesetz, kommt jetzt der mehr als üppige Nachtisch AFBG. Das ist die Abkürzung für Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz; ein Wort mit 37 Buchstaben. Dem einen oder anderen ist das schon eine Kurzgeschichte wert. Für uns ist es vor allen Dingen eins: eine Erfolgsgeschichte.
Bisher haben 2,8 Millionen Menschen die Möglichkeit des beruflichen Aufstiegs genutzt. Über 9 Milliarden Euro wurden hier in die Führungskräfte, in die neuen Mittelständler, in die Ausbilder der Zukunft investiert. Positiv ist, gerade in den letzten Jahren: Ein Drittel davon sind mittlerweile Frauen. Wir hatten im vorletzten Jahr einen Anstieg von 6,3 Prozent. Hier sind die Erzieherinnen mit 23 400 die größte Gruppe, gefolgt von Wirtschaftsfachwirtinnen oder Bilanzbuchhalterinnen.
Nun haben wir die vierte Novelle, und wir wollen es noch besser machen. Hierfür haben wir insgesamt 350 Millionen Euro in die Hand genommen.
({0})
Das Ziel ist, jedem die maximalen Entfaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, eine Gleichwertigkeit der verschiedenen Ausbildungswege zu erreichen und Qualifizierung entlang des gesamten Lebensweges zu unterstützen.
Ich möchte drei Maßnahmen exemplarisch herausgreifen. Zum einen: Der Zuschussanteil am Unterhaltsbeitrag wurde von 50 Prozent nunmehr auf einen Vollzuschuss für Vollzeitgeförderte erhöht. Einkommensunabhängig wurde der Kinderbetreuungszuschuss auf 150 Euro erhöht. Das zeigt an dieser Stelle unser klares Bekenntnis dazu, dass Karriere und Familie nicht Widersprüche sein sollen, sondern gleichwohl Möglichkeiten sind, die zueinander gehören und entsprechend gesellschaftlich unterstützt werden.
({1})
Der zweite Punkt ist: Darüber hinaus wird im Fall des Bestehens der Darlehenszuschuss, der Bestehenszuschuss, auf 50 Prozent erhöht.
Last, but not least: ein von mir so genannter Verantwortungserlass. In dem Moment, wo ein junger Mensch am Ende seiner Fortbildung sagt: „Ich übernehme Verantwortung und gründe bzw. übernehme einen Betrieb“, sagen wir als Gesellschaft: Wir erlassen; du sollst frei von den Belastungen deiner Ausbildung diesen Weg gehen. – Das ist ein ganz wichtiges Bekenntnis zur Übernahme von Verantwortung in unserer Gesellschaft.
Des Weiteren, lieber Jens Brandenburg, wurden im parlamentarischen Verfahren durchaus einige Punkte erweitert. Wir haben ein Monitoring und eine Evaluation eingeführt, nicht weil wir eine Beschäftigungstherapie für das Ministerium vorsehen, sondern weil wir an dieser Stelle die Notwendigkeit einer evidenzbasierten Politik sehen. Das heißt, wir schauen, wie die Maßnahmen wirken, um dann nachzusteuern, wenn an bestimmten Stellen Hemmnisse oder Hürden vorhanden sein sollten.
Des Weiteren haben wir die Zinsfreiheit für 2023 als Ziel festgelegt; das wollen wir erreichen. Hierüber lassen wir uns dann kontinuierlich informieren. Bei den Erzieherinnen – so viel sei hier noch erwähnt – halte ich den Weg, den die Länder hier eingeschlagen haben, nämlich den einer Dualisierung, also einer letzten Endes vergüteten Ausbildung, für genau richtig. Auf diesem Weg wollen wir die Länder entsprechend begleiten und dies entsprechend weiterführen.
Meine Damen und Herren, ich denke, dass wir hiermit ein Paket geschnürt haben, welches ein klares Bekenntnis zur Qualifizierung darstellt und welches jedem die Möglichkeit eröffnet, diesen Weg zu gehen. Ich hatte in meinem Wahlkreis vor wenigen Wochen die Möglichkeit, bei Prüfungen der Handwerkskammer zugegen zu sein. Wenn man in die glücklichen Gesichter der jungen Menschen schaut – ich hatte das große Glück, dass die erste Gruppe vollständig bestanden hat –, dann weiß man: Wenn wir einen Beitrag dazu leisten, dass jeder diesen Weg gehen kann, dann haben wir etwas sehr Gutes getan.
({2})
Wenn einem so viel Gutes widerfährt, dann sollte man auch einmal einen Dank aussprechen. Ich möchte an dieser Stelle die gute Zusammenarbeit mit Frau Bahr und dem Kollegen Martin Rabanus insbesondere während der letzten Wochen, in denen wir Hand für den Feinschliff angelegt haben, erwähnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMBF danken; denn wir wurden schon sehr früh, vor etwa anderthalb oder zwei Jahren, in die Gestaltung des Gesetzes eingebunden. So konnten wir unsere Wünsche – Stichwort Zinsfreiheit und der von mir so genannte Vertrauenserlass – sehr früh bei der Gestaltung des Gesetzes einbringen. Ich bin sehr dankbar, dass wir dies heute auf den Weg bringen. Los Wochos geht weiter, meine Damen und Herren!
Herzlichen Dank.
({3})
Vielen Dank, Kollege Albani. – Der nächste Redner ist für die AfD der Kollege Frank Pasemann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Mit unserem eigenen Antrag zum vorliegenden Gesetzentwurf attestieren wir der Bundesregierung durchaus fachliches Bemühen im zu beratenden Thema. Es müssen dennoch in der heutigen abschließenden Lesung drei Dinge angemerkt werden.
Erstens. Die derzeitigen Förderprogramme sind nicht besonders praxisnah. Manche Beantragung ist für die Interessenten viel zu bürokratisch und zu kompliziert gehalten. Unter Umständen liegt diese Praxisferne daran, dass sich zahlreiche Fachpolitiker der Altparteien des Hohen Hauses noch nie auf dem freien Arbeitsmarkt beweisen mussten.
Zweitens. Die derzeitigen Programme geben keinerlei Impetus, um dem Fachkräftemangel in höheren Führungsebenen tatsächlich zu begegnen. Höherqualifizierung in Form dieses Gesetzentwurfs stellt lediglich eine Umschichtung des vorhandenen Personals dar. Es wird eine Lücke gerissen, um ein Loch zu stopfen. Die Tatsache, dass Jahr für Jahr rund 130 000 hochqualifizierte junge Deutsche ihrem Heimatland den Rücken kehren, findet überhaupt keine Berücksichtigung.
({0})
Die derzeitige Bundesregierung lässt zu, dass Deutschland zum Einwanderungsland für Minderqualifizierte verkommt.
({1})
Gleichzeitig wird Deutschland traurigerweise zum Auswanderungsland für hochqualifizierte deutsche Staatsbürger.
({2})
Weiterbildungsangebote sind in allen Berufssparten zu finden, werden aber hauptsächlich im pädagogischen Bereich genutzt. Wieso ist hier der Bedarf an Weiterbildung augenscheinlich so groß? Entweder sind die Grundlagenausbildungen in diesem Berufsfeld schon erheblich schlechter als in anderen Berufssparten, weshalb eine Weiterbildung notwendig wird, um überhaupt für eine höhere Laufbahn qualifiziert zu sein,
({3})
oder aber mithilfe des Ausbildungs-BAföG wird aus lebenslangem Lernen vielmehr ein lebenslanges Nichtarbeiten.
({4})
Drittens. Der Änderungsantrag der Grünen offenbart einen interessanten, aber sehr widersprüchlichen Aspekt. Die Bindung an die Betriebe solle durch entsprechende Maßnahmen während der Weiterbildung gestärkt werden, um eine Wiedereingliederung im Anschluss zu vereinfachen; so fordern die Grünen. Wenn Weiterbildungsmaßnahmen zu einer Höherqualifizierung allerdings eine reibungslose Wiedereingliederung in den Firmenalltag behindern, sollten die Fördermaßnahmen in ihrer Wirkung als Ganzes kritisch hinterfragt werden. Weiterbildung darf nicht zur staatlich subventionierten und gesellschaftlich goutierten dauerhaften Selbstfindungstherapie verkommen.
({5})
Abschließend sei noch erwähnt, dass all dies nicht in diesem Umfange notwendig wäre, wenn nicht unter den derzeit regierenden Altparteien in Land und Bund ein kontinuierlicher Qualitätsverlust in allen Bereichen der Bildung hingenommen werden würde. Das einstmals weltweit beispielhafte deutsche Bildungswesen droht zu einer lächerlichen Karikatur seiner selbst zu verkommen.
Vielen Dank.
({6})
Die nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion die Kollegin Ulrike Bahr.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Eine gerechte Bildungspolitik für alle ist für die Sozialdemokratie schon immer eine Herzensangelegenheit gewesen. Und eine gute, ausgleichende und fördernde, aber auch fordernde Bildungspolitik wird immer ein Kerngedanke der SPD bleiben.
({0})
Umso mehr freue ich mich, dass das neue Aufstiegs-BAföG Vorschläge präsentiert, die maßgebliche Leitlinien sozialdemokratischer Bildungspolitik aufgreifen und das Versprechen von einem Aufstieg durch Bildung lebendig werden lassen.
Das neue Aufstiegs-BAföG ist ein zentraler Baustein für eine moderne Weiterbildungskultur in unserem Land; denn das Aufstiegs-BAföG kann weit mehr, als nur angehende Meisterinnen und Meister finanziell zu entlasten. Das zeigen die Gesundheits- und Sozialberufe und allen voran die angehenden Erzieherinnen und Erzieher. Sie sind ein fabelhaftes Beispiel dafür, dass das Aufstiegs-BAföG fast allen offensteht und sogar alters- und vermögensunabhängig in Anspruch genommen werden kann.
({1})
Nach Verbesserungen für unsere Studierenden mit der BAföG-Reform sowie für unsere Auszubildenden mit der BBiG-Novelle verbessern wir jetzt die Rahmenbedingungen für die berufliche Aufstiegsqualifizierung. Dabei geht es der SPD um drei Dinge.
Erstens. Wir entlasten die Teilnehmenden bei ihren Maßnahme- und Prüfungsgebühren; denn spürbar geringere Kosten schaffen echte Gleichwertigkeit zu den akademischen Bildungswegen. Der neue Gründungserlass kann, wie erwähnt, sogar dafür sorgen, dass im besten Fall gar keine Kosten mehr selbst zu tragen sind. Mit der SPD wurden Studiengebühren abgeschafft, und diesen Weg setzen wir jetzt konsequent bei der beruflichen Bildung fort.
({2})
Zweitens. Wir fördern berufliche Karrieren; denn mit der künftigen Mehrfachförderung schaffen wir einen Förderanspruch für jede der im BBiG und in der Handwerksordnung festgehaltenen Fortbildungsstufen. Genau damit gelingt der sprichwörtliche Aufstieg durch Bildung. Das AFBG ist damit gelebte sozialdemokratische Bildungspolitik.
({3})
Drittens. Wir übernehmen Kosten für den Lebensunterhalt für Vollzeitgeförderte. Das kommt insbesondere den angehenden Erzieherinnen und Erziehern zugute. Sie stehen, wie gehört, in der Förderstatistik auf Platz eins.
({4})
Fast alle absolvieren ihre Ausbildung in Vollzeit. Genau das qualifiziert sie für die Inanspruchnahme des neuen Unterhaltsvollzuschusses. Das war und ist der SPD-Bundestagsfraktion besonders wichtig.
({5})
Das bringt mich zum Entschließungsantrag, den wir zusammen mit unserem Koalitionspartner im Ausschuss eingebracht haben. Spätestens in der Anhörung ist klargeworden, dass die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher nicht immer förderfähig ist, gerade wenn es sich um praxisintegrierte Ausbildungsformate handelt. Bei solchen Formaten wechseln sich Theoriephasen und Praxiszeiten miteinander ab. Das ist ein Modell, das ich unterstütze, welches aber immer noch nicht flächendeckend von den Ländern angeboten wird. Wenn dieses duale Ausbildungsformat demnächst bundesweit angeboten wird, ohne dass dabei Abstriche in der Ausbildungsqualität hingenommen werden, heißt das für die SPD auch: Es muss dafür eine Ausbildungsvergütung bezahlt werden.
({6})
Das wäre nicht nur eine echte Verbesserung für angehende Erzieherinnen und Erzieher, sondern auch die Passproblematiken hinsichtlich der Fortbildungsdichte, über die wir so intensiv diskutiert haben, wären damit vom Tisch; denn eine dauerhafte Lösung hat den Vorteil, dass sie auch übermorgen noch gültig ist. Dafür hat die SPD, dafür haben wir gekämpft und das Vorhaben im Entschließungsantrag festgeschrieben.
Aber nicht nur das. Auch wir finden, dass eine Evaluierung des AFBG überfällig ist. Daher fordern wir die Bundesregierung nicht nur dazu auf, alle vier Jahre einen Wirkungsbericht vorzulegen, sondern auch dazu, das Gesetz tiefgründig zu untersuchen. Damit greifen wir eine zentrale Forderung aus der Anhörung auf.
Außerdem fordern wir von der Bundesregierung, dass sie verstärkt über das neue Aufstiegs-BAföG und seine guten Konditionen informiert. Gerade vor dem Hintergrund struktureller und demografischer Herausforderungen muss es uns ein Anliegen sein, noch mehr potenzielle Aufsteigerinnen und Aufsteiger zu erreichen.
Der Entschließungsantrag ergänzt die zentralen Anliegen der Gesetzesnovelle. Wir schaffen mehr Gleichwertigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung. Die niedrigen Kosten für die eigene Fortbildung und eine breit angelegte Unterstützung durch den Staat sorgen dafür. Das zinsfreie Darlehen, das wir ab 2023 anbieten wollen, um dieselben Konditionen wie im Studi-BAföG herzustellen, ist ein weiterer wichtiger Schritt auf diesem Weg.
Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit in den letzten Wochen und Monaten, auch auf der Zielgeraden, sehr geehrter Herr Albani. Ich bitte Sie alle um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Herzlichen Dank.
({7})
Der Kollege Dr. Thomas Sattelberger hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen war ich zu Besuch bei einem Luftfahrt-Start-up in Hamburg. Ich sprach dort mit Marco, verantwortlich für den 3‑D‑Druck von Drohnenteilen, einem Industriemechaniker, der gerade eine Fortbildung zum Techniker draufsattelt. Ich fragte ihn, wie gut ihn seine bisherige Ausbildung auf seinen jetzigen Job vorbereitet habe. Seine Antwort war, über 3‑D‑Druck habe er in seiner Ausbildung nie etwas gehört, und der Lehrgangsleiter für die Technikerfortbildung habe der Gruppe erklärt, additive Fertigung werde auch in hundert Jahren keine gängige Technologie sein, sie sollten sich lieber auf Umformen und auf Stanzen konzentrieren.
({0})
Frau Karliczek, an diesem Beispiel wird deutlich: Es reicht nicht, nur Fördergeld auszugeben und Abschlussbezeichnungen neu zu benamsen. Was Ihre Politik vermissen lässt, sind substanzielle Reformen sowohl zu neuen Inhalten als auch zu neuen Aus- und Fortbildungsberufen. Da gehen Sie Hand in Hand mit den antiquierten Grünen.
({1})
Drohnenspezialist, Smart-Home-Designer, E‑Bank-Kaufmann – ich fordere entsprechende Reformen hier nicht zum ersten Mal. Ihre Novelle zum Berufsbildungsgesetz und Ihr heutiger Gesetzentwurf sind wie ein Rohbau, dem der gesamte Innenausbau fehlt: unfertig.
({2})
Die vorgeblichen Reformer, die vor mir sitzen, starren immer noch auf die etablierte Welt des Maschinen- und Anlagenbaus und der Banken, Versicherungen und Verwaltungen. Niemand packt neue digitale Berufe an, und niemand ringt um die berufliche Fortbildung oder um neue, innovative Geschäftsmodelle.
({3})
Meine Damen und Herren, genauso problematisch ist die gelebte Praxis in den 2018 überarbeiteten Metall- und Elektroberufen. Durch Zusatzqualifikationen – jetzt kommt ein harter Satz – werden derzeit keine Digitalkompetenzen erworben. Ich habe heute Morgen mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag die aktuellen Zahlen erörtert: Nur 0,2 Prozent der circa 40 000 Prüfungsteilnehmer in den Metall- und Elektroberufen wurden in neuen Zusatzqualifikationen geprüft. In absoluten Zahlen sind das 88 von 40 000. Herr Albani, Ihre evidenzbasierte Politik schreibt sich mit „f“, meine schreibt sich mit „v“.
({4})
Meine Damen und Herren, wenn wir nicht schnellstens umsteuern, bleibt Ihr Geldsegen ein Stückwerk. Frau Karliczek, Aufstiegsfortbildung wohin? Schluss damit, dass man die Bedarfe der mittleren und kleinen Unternehmen in den Vordergrund stellt und die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen und die Ansprüche neuer Geschäftsmodelle schlicht und einfach vernachlässigt.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.
Dem unfertigen Rohbau stimmen wir zu, doch ich habe große Sorge, dass es eine Ruine wird.
Recht herzlichen Dank.
({0})
Die Kollegin Yvonne Magwas hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Die Digitalisierung und sich rasant verändernde Anforderungen in der Arbeitswelt sind die großen Themen unserer Zeit. Menschen müssen im Arbeitsprozess mit diesen dynamischen Entwicklungen Schritt halten. Das erreicht man vor allem durch gute Fort- und Weiterbildung. Die Ausgestaltung der Fort- und Weiterbildung ist die entscheidende Herausforderung der kommenden Jahre.
Fortbildungsabschlüsse bedeuten neue, spannende Aufgaben, oft neue und zusätzliche Verantwortung, oft auch bessere Verdienstmöglichkeiten. Deshalb setzen wir als Koalition hier an. Wir lassen uns das auch einiges kosten; alle meine Vorredner haben das heute schon gesagt. Wir wissen: Eine Investition in die berufliche Weiterbildung ist hervorragend angelegtes Geld. Das beweisen die mittlerweile 2,8 Millionen AFBG-Aufsteiger eindrucksvoll.
({0})
Meine Vorredner haben die wesentlichen Punkte und die zahlreichen Details aus der Novelle schon genannt. Ich möchte zusammenfassend auf drei wesentliche Aspekte eingehen:
Mit der Erhöhung des Belohnungserlasses unterstreichen wir, dass sich Leistung lohnt. Das ist ein wesentliches Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft. Und das ist richtig so.
Mit dem vollständigen Erlass der Darlehensschuld bei Existenzgründung stärken wir Menschen, die wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Ja, wir stärken damit unsere Gründungskultur.
({1})
Was mich besonders freut – Kollege Albani hat es schon angesprochen –: Wir haben die Familienfreundlichkeit beim AFBG in den Blick genommen. Die Unterhaltsförderung für Vollzeitgeförderte wird zu einem Vollzuschuss ausgebaut. Gerade angehende Erzieherinnen und Erzieher sowie Aufsteiger mit Familien werden davon profitieren. Für uns, die Union, ist klar: Karriere und Familie dürfen sich nicht ausschließen. Das neue AFBG ist dabei eine wichtige Säule.
({2})
Meine Damen und Herren, die drei Punkte, die ich aufgeführt habe, zeigen, dass wir an der Seite der Menschen stehen, die sich unabhängig von ihrer gegenwärtigen Lebenssituation für eine Aufstiegsfortbildung, für eine Karrierechance entscheiden. Jeder soll sein Potenzial in eine Fortbildung einbringen können.
Abschließend möchte ich aber noch einen weiteren Gesichtspunkt für die berufliche Bildung und auch für die Fortbildung und die Weiterbildung im Allgemeinen ansprechen. Wir werden heute wegweisende Beschlüsse für die Weiterbildung schaffen. Vor der Weiterbildung steht aber zunächst die berufliche Bildung. Hierzu haben wir ja auch die „Los Wochos“ der beruflichen Bildung; erst kürzlich haben wir die Reform des Berufsbildungsgesetzes verabschiedet.
Damit berufliche Bildung und Weiterbildung auch gelingen, bedarf es einiger Voraussetzungen. Sicherlich, wir brauchen weiterhin eine starke, prosperierende Wirtschaft, die ausbildet. Gleichfalls brauchen wir auch flächendeckende Infrastruktur. Das heißt, wir brauchen ausreichend Berufsschulen und Weiterbildungsstätten. Klar, für die Großstädte ist es oft kein Problem, auf die nötigen Schülerzahlen für einen Standort zu kommen. Berufliche Bildung muss aber, im Sinne der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, auch vor allem in der Fläche bleiben.
({3})
Genau dort brauchen wir eben auch die Berufsschulen und die Weiterbildungsstätten.
({4})
Ich appelliere deshalb an die Länder und auch an die Kommunen, entsprechende Beschlüsse zu fassen und dies immer mit im Blick zu behalten.
Kurzum: Heute ist ein guter Tag für die berufliche Bildung, für die Weiterbildung. In diesem Sinne: Tragen wir das positiv nach außen!
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Magwas. – Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion der Kollege Michael Gerdes.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Arbeits- und Sozialpolitiker sage ich: Unser Arbeitsmarkt braucht gut ausgebildete Fachkräfte, und unsere Berufstätigen brauchen gute Chancen, um zu Fachkräften zu werden, Chancen, die vor allem mit finanziellen Rahmenbedingungen zu tun haben. Weiterbildung darf nicht zur Existenzfrage werden. Schließlich laufen die Lebenshaltungskosten weiter, wenn jemand wieder „auf der Schulbank sitzt“. Deshalb bringen wir heute abschließend eine Verbesserung des Aufstieg-BAföGs auf den Weg. Die berufliche Weiterbildung soll attraktiver werden. Höhere Zuschüsse zu Lehrgangskosten, geringere Gebühren für bestandene Prüfungen sowie Übernahme von Unterhaltskosten bei Vollzeitfortbildungen, so lauten die Stichworte.
Besonders freut mich, dass stetig mehr Frauen zu den Geförderten gehören. Spitzenreiter ist die Gruppe derer, die sich zur staatlich anerkannten Erzieherin bzw. zum staatlich anerkannten Erzieher ausbilden lassen. Meine Kollegin Bahr ist bereits auf Nachbesserungen eingegangen. Aber es sind gute Nachrichten für unsere Kitas. Aus meiner Heimatstadt Bottrop weiß ich, wie händeringend Fachpersonal für die Erziehung der Kleinsten gesucht wird. – Ein starkes Gesetz.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, SPD und Union dürfen sich beim Thema Aus- und Weiterbildung auch selber einmal loben.
({1})
Wir investieren in den Einzelnen und verbessern Strukturen. Allein in der aktuellen Legislaturperiode haben wir unter Federführung von Arbeitsminister Hubertus Heil das Qualifizierungschancengesetz verabschiedet, die Berufsausbildungsbeihilfe verbessert. In der Zuständigkeit der Bundesministerin für Bildung und Forschung wurde das BAföG für Studis erhöht, das Berufsbildungsgesetz neu gefasst, und heute folgt die Novelle zum AFBG. Nicht zu vergessen: Die Erweiterung des Qualifizierungschancengesetzes ist in Vorbereitung. Hubertus Heil sagt dazu im Übrigen Arbeit-von-morgen-Gesetz. Ich finde, das ist gut.
({2})
Wir wollen vor allem Beschäftigte fördern, die vom Strukturwandel betroffen sind und deshalb ihre Fähigkeiten erweitern oder sich auch neue Kompetenzen aneignen müssen. Das finde ich alles sehr beachtlich. Wir unterstützen das lebensbegleitende Lernen, weil wir darin die besten Chancen sehen, den Wandel der Arbeitswelt zu bewältigen.
Selbstverständlich bleiben eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein erfolgreich absolviertes Studium der beste Start ins Erwerbsleben; sie sind die Grundlage für Teilhabe am Arbeitsmarkt und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dabei muss es jeder und jedem freigestellt bleiben, ob sie oder er sich für ein Studium oder für eine Berufsausbildung entscheidet. Und, Herr Frömming: Niemand bekommt etwas geschenkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die berufliche Bildung in Deutschland hat eine lange Tradition. Viele Nationen beneiden uns um die Verbindung von Theorie und Praxis. Für die nahe Zukunft wünsche ich mir, dass wir auch für unsere Angebote in Sachen Fort- und Weiterbildung gelobt werden.
({3})
„Aufstieg und Teilhabe durch Bildung“, das ist schon immer die Maxime der Sozialdemokratie gewesen, ebenso wie „Gleiche Chancen für alle“.
Herzlichen Dank und Glück auf.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Gerdes. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt: die Kollegin Katrin Staffler, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt gleich mit dem ersten Satz sehr unbeliebt mache hier in dieser Runde: Mathe war schon immer eines meiner Lieblingsfächer in der Schule. Deswegen möchte ich gerne mit einer relativ einfachen Rechnung beginnen: Auf der einen Seite geht die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die an den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sind, zunehmend zurück. Auf der anderen Seite geht aber auch die Zahl derer zurück, die im Arbeitsleben stehen, weil immer mehr ältere Menschen den Arbeitsmarkt verlassen. Wir haben also einen Rückgang auf der einen Seite und einen Rückgang auf der anderen Seite. Dass in der Summe nichts Positives dabei herauskommen kann, ist eigentlich klar. Natürlich ergibt es auch im Endeffekt nichts Gutes. Am Ende der Rechnung kommt nämlich der Fachkräftemangel heraus.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir so nicht stehen lassen. Wir brauchen also einen weiteren Faktor in unserer Rechnung. Dieser Faktor muss heißen: Weiterbildung. Wir müssen in der Zukunft sehr viel stärker als bisher Bildung als Reise durch das gesamte Leben wahrnehmen. Sie endet nicht mit einem Berufsabschluss, sie endet auch nicht mit einem Studienabschluss. Ganz im Gegenteil: Die Weiterbildung eröffnet jedem Einzelnen von uns neue Wege. Weiterbildung verbessert unsere Karrierechancen. Mithilfe von Weiterbildungsmaßnahmen können wir auch in einer sich stetig verändernden Arbeitswelt bestehen.
({0})
Der Kern der beruflichen Weiterbildung, die Aufstiegsfortbildung, eröffnet jedem Einzelnen den Weg zum Meister, zum Techniker, zum Fach- und Betriebswirt und zu vielem mehr. Die Aufstiegsfortbildung ist einer der entscheidenden Faktoren, um Fachkräfte zu gewinnen, aber auch, um Beschäftigungsmöglichkeiten hier bei uns, in diesem Land, in Deutschland, zu halten.
({1})
Damit wir damit erfolgreich sein können, braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf die Finanzierung. Denn am Finanziellen soll und darf es am Ende des Tages nicht scheitern. Mit der Novelle des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes ist es uns gelungen, genau das zu verhindern. Das AFBG hat sich als Instrument der Weiterbildungsförderung schon in der Vergangenheit bewährt. Mit den dazugekommenen Neuerungen – die Ministerin hat sie angesprochen – gestalten wir dieses, wie ich finde, sehr wichtige Förderungsinstrument jetzt noch passgenauer und zielgenauer. Wir unterstützen die Menschen, die den Willen haben, ihren beruflichen Aufstieg anzupacken, und die Lust darauf haben, wahrhaft meisterhaft zu werden.
({2})
Genauso, wie es am Finanziellen nicht scheitern darf, darf es auch an diesem zweiten Punkt nicht scheitern: am Wollen. Der Wille, also die Motivation, muss da sein. Genau da setzen wir auch die richtigen Anreize, nämlich indem wir Menschen dazu anregen, den Weg der beruflichen Weiterbildung zu gehen. Der Gründungserlass, die Mehrfachförderung, die Anhebung der Zuschüsse, all diese Themen sind oft genannt worden. Gerade mit dem Gründungserlass schlagen wir, glaube ich, ein Stück weit zwei Fliegen mit einer Klappe. Viele Betriebe finden überhaupt keinen Nachwuchs mehr, der sich einbringen will, der Verantwortung übernehmen will. In meinem Wahlkreis haben wir insbesondere viele Handwerksbetriebe, die vor dem Aus stehen, weil sie keinen Nachfolger mehr finden können. In diesem Bereich müssen wir viel tun, wenn wir unsere Betriebe nicht ausbremsen wollen.
({3})
Deswegen sagen wir zu unseren Gesellen: Ihr bekommt bei der Existenzgründung oder bei der Betriebsübernahme die Gebühren für die Weiterbildung vollständig übernommen. – Ja, das kann nur ein Teil der Lösung sein. Es ist aber ein großer Schritt in die richtige Richtung und ein Meilenstein in der Fortentwicklung des AFBG.
({4})
Wir packen da an, wo wir es als Parlament tun können. Lieber Herr Sattelberger, an dieser Stelle noch eine kleine Weiterbildung für Sie: Die Inhalte der Ausbildung, die Sie angesprochen haben, das machen die Sozialpartner – die Kammern, die Arbeitnehmervertretung –, aber doch nicht wir als Politik.
({5})
Deswegen hoffe ich, dass unsere Bemühungen Früchte tragen und dass wir es gemeinsam schaffen, eine Kultur der Weiterbildung in Deutschland zu etablieren, eine Kultur, in der Weiterbildung attraktiv ist für die Menschen, in der sie selbstverständlich ist und in der man von der Wirksamkeit der Weiterbildung überzeugt ist. Am Ende des Tages wollen wir nämlich keine Negativrechnung mehr vor uns haben, sondern eine Gleichung, und zwar: Lust auf Weiterbildung ist gleich Lust auf Zukunft.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Staffler. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Die Digitalisierung könnte im Kampf gegen die Klimakrise ein Segen sein, sie könnte eine große Chance für eine ressourcenschonende, nachhaltige Wirtschaft sein. Doch so, wie sie heute stattfindet, ist sie das nicht. Allzu oft verzichten wir darauf, die Chancen der Digitalisierung für eine nachhaltige Verkehrswende, für eine dezentral gesteuerte Energiewende, für eine smarte und nachhaltige Landwirtschaft zum Nutzen der Landwirtinnen und Landwirte, Verbraucherinnen und Verbraucher und der Umwelt zu nutzen.
Damit wir die Chancen einer nachhaltigen Digitalisierung endlich nutzen, legen wir Grünen heute unseren Antrag für eine zukunftsfähige Digitalisierung vor;
({0})
denn wir wollen mit der Digitalisierung die Klimakrise bekämpfen, statt weiter zuzusehen, wie die Digitalisierung die Klimakrise verschärft.
Zu oft lassen wir uns von dem Narrativ leiten, die Digitalisierung sei per se Fortschritt. Das ist ein grundsätzliches Problem; denn sie ist kein Selbstzweck. Über den Fortschritt für die Umwelt, für den Klimaschutz, für sozialen Fortschritt, für neue Jobs in der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft entscheiden wir als Gesetzgeber, und das entscheiden die Start-ups und die Unternehmen draußen in einem entschieden ökologisch-sozialen Rahmen.
Diese Bundesregierung hat die ökologische Dimension der Digitalisierung leider lange weitgehend ausgeblendet. Mit dem wegweisenden Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ ändert sich das jetzt hoffentlich.
Was wollen wir? Wir fordern von dieser Bundesregierung, dass Digitalisierung endlich in einem Rahmen von Green IT stattfindet. Legen Sie endlich eine Green-IT-Strategie vor!
({1})
Sie haben über 1 000 Rechenzentren des Bundes. Warum gehen Sie da nicht mit gutem Beispiel voran? Warum schaffen Sie dort nicht Anreize für eine Reduktion des Energieverbrauchs, übrigens auch in den Wissenschaftseinrichtungen und bei Unternehmen?
Es gibt heute neue technische Möglichkeiten bei der Kühlung von Rechenzentren wie die Wasserkühlung. In Schweden wird das bereits gemacht; die Abwärme wird dort für den Gebäudebestand genutzt. Warum machen wir das nicht auch in Deutschland?
({2})
Überarbeiten Sie auch die Digitalstrategie im Bereich künstliche Intelligenz! Stichwort „Blockchain“. Das sind ja alles Buzzwords, was von der FDP zu hören ist. Unser Antrag lautet „Digitalisierung ökologisch gestalten“; darauf sagen Sie „Ökologie digital gestalten“. Was ist denn die Botschaft dahinter? Die Botschaft muss doch sein, dass wir einen Rahmen finden. Der Rahmen heißt: Gemeinwohl, Ökologie, Nachhaltigkeit und Fortschritt; er heißt nicht, irgendwie alles digital auf den Markt zu schmeißen, auf dass es dann schon funktionieren werde.
({3})
Ich will auch auf den Antrag der FDP eingehen, weil Sie sagen: Da gibt es jetzt den Emissionszertifikatehandel, und dann wird schon alles gut. – Sie verweisen auf den Wasserbetteffekt; damit sagen Sie sozusagen: Alles, was an Wasser in dem Bett ist, bleibt dann auch drin. Ich würde sagen: Das wird zu einer überlaufenden Badewanne, wenn wir nicht endlich Leitplanken setzen.
({4})
Wir müssen die Digitalisierung in einen Rahmen bringen. Im Rahmen der französischen KI-Strategie gibt es eine Prognose, die mir Angst macht, nämlich dass der Energieverbrauch im Rahmen der IT bis 2030 um bis zu 100 Prozent steigen könnte. Das heißt, IT wird mehr verbrauchen als Flugverkehr. Beides ist schlecht. Aber wir müssen das gestalten, und darum geht es in unserem Antrag.
({5})
Das Thema geht auch uns selber an. Wir sind Abgeordnete; wir reisen viel. Das gilt auch für die Wirtschaft. Warum nutzen wir denn den Bereich der Videokonferenzen nicht deutlich besser? Da könnte man wirklich mal Technologie einsetzen und umsetzen.
({6})
Das gilt für uns Grüne genauso wie für die CDU/CSU. Diese Möglichkeiten zu nutzen, das wäre mal ein Schritt nach vorne.
Zum Schluss möchte ich noch etwas zu dem Narrativ des Fortschritts sagen. Wir reden jetzt seit vielen Jahren im Bundestag über Digitalisierung.
Herr Kollege Janecek, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin jetzt fast am Ende der Rede. Ich würde sie gerne zu Ende bringen und dann gerne Fragen entgegennehmen, wenn Sie das zulassen, Herr Präsident.
Das Narrativ der Digitalisierung ist viel zu lange als ein Fortschrittsnarrativ von der Industrie und von Interessen geleitet gewesen, nach dem Motto „Da ist die Technologie, da ist der Fortschritt“. Wir sehen ja, dass das so nicht stattfindet; denn Uber beispielsweise sorgt eben nicht für bessere Verkehrssteuerung, sondern für mehr Stau.
Wir brauchen also einen Rahmen, der ökologisch und sozial sein muss. Wir müssen anfangen, das ernst zu nehmen; sonst laufen wir wirklich in eine systemische Krise hinein. Das wollen wir verhindern. Die Zukunft ist digital, aber sie ist ökodigital.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Martin Hebner von der AfD-Fraktion. Bitte, Herr Kollege.
Herr Janecek, ich war gerade eben tief beeindruckt von Ihrer Sammlung an Schlagworten. Das brachte wirklich einen großen Erfahrungswert, insbesondere wie Sie die Schlagworte konkateniert haben. Sie haben gerade von Blockchain gesprochen, im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz.
({0})
Das würde jeden Informatiker – ich bin selbst Informatiker – überraschen. Definieren Sie doch mal den Begriff „Blockchain“! Was verstehen Sie darunter? Wo ist da die künstliche Intelligenz? Bitte seien Sie so nett, erläutern Sie das, und geben Sie es dann in Wikipedia entsprechend ein! Seien Sie so nett!
Herr Kollege, wollen Sie antworten? Sie müssen nicht, Sie können.
({0})
Herr Präsident, ich habe kurz überlegt, ob ich auf Wikipedia-Fragen hier im Raum antworten muss oder soll. Zur Wissenschaftsfindung kann ja auch jeder googeln, wenn er möchte. Ich habe an der Blockchain-Strategie mitgearbeitet, ich bin in der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“; aber wir sind hier nicht die Volkshochschule, Herr Hebner. Insofern würde ich sagen: Suchen Sie sich das raus, was Sie brauchen, und stellen Sie nächstes Mal eine sinnvolle Frage!
({0})
Der Kollege Axel Knoerig hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Grünen wollen die Digitalisierung ökologisch gestalten. Sie behaupten, die Bundesregierung vernachlässige diesen Aspekt beim digitalen Wandel. Ich zitiere: „Klimaschutz und Nachhaltigkeit müssen endlich in den Fokus der Digitalpolitik … rücken.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Ihr Antrag ist nicht auf dem neuesten Stand. Das Thema „Green IT“ haben wir seit Langem auf dem Schirm. Gerade in den letzten Monaten wurden etliche Maßnahmen ergriffen, um neue Technologien auch nachhaltig zu nutzen. Wir als Union haben die Zukunft im Blick, Sie kritisieren den Stand von gestern.
Neu ist zum Beispiel der Aktionsplan des Bundesforschungsministeriums mit dem Titel: „Natürlich. Digital. Nachhaltig.“ Hier geht es darum, smarte Ideen für den Klimaschutz zu nutzen, und zwar in allen Lebensbereichen. Wir setzen auf Technologien, die den Verbrauch von Rohstoffen und Energie senken. Und wir bereiten die Menschen darauf vor, in der Hightechwelt von morgen nachhaltig zu handeln.
Meine Damen und Herren, Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind für uns keine Gegensätze, sondern sie können sich gegenseitig pushen. Das wird in allen Strategien der Bundesregierung auch berücksichtigt. Wir verlieren uns hier nicht im Klein-Klein wie dieser Antrag der Grünen, sondern wir sehen das globale Ganze. So geht innovative Zukunftspolitik.
({0})
Was den Kolleginnen und Kollegen der Grünen wohl auch nicht bekannt ist: Das Wirtschaftsrecht wird zu 90 Prozent europäisch geregelt. Wir müssen also in diesem Bereich den Green Deal der EU abwarten.
({1})
Das europäische Klimagesetz, welches den Rahmen bildet, soll im März kommen. Ein Schwerpunkt wird die nachhaltige Industrie sein. Ziel ist es, neue Märkte für klimaneutrale und kreislauforientierte Produkte zu entwickeln. Die Textil-, Kunststoff-, Elektronik- und auch die Baubranche sind hier als Erste dran.
Meine Damen und Herren, der Antrag der Grünen weist insgesamt wenig wirtschaftspolitische Bezüge auf: kein Wort zu ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, kein Wort zur neuen Industriestrategie, kein Wort zu den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und fast kein Wort zur Digitalwirtschaft. Hier steht lediglich, dass die Marktstrukturen mit wenigen globalen IT-Unternehmen kaum den Klimaschutz voranbringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie übersehen, dass die digitale Wirtschaft viel mehr als nur Plattformökonomie ist. Dazu gehören auch die Maschinen- und Anlagenindustrie, die Autobranche sowie die Elektro- und die Stahlindustrie. Hier schwächelt die Konjunktur zurzeit. Unsere Leitbranchen sind in der Krise. Die Bundesagentur für Arbeit erwartet einen weiteren Anstieg der Kurzarbeit auf 117 000 Mitarbeiter in diesem Monat. Deswegen brauchen die Branchen Impulse von der Bundesregierung.
Wir müssen darauf achten, dass der Wettbewerb nicht durch zu viel Regulierung eingeschränkt wird. Nicht die Marktstrukturen, sondern die Rahmenbedingungen sind den Entwicklungen anzupassen. Hier kann die Förderung von grünen Technologien die richtigen Impulse geben.
({2})
Meine Damen und Herren, ökologische Ziele dürfen auch nicht die Sicherheit im IT‑Bereich gefährden. Mehr Klimaschutz darf nicht weniger Datenschutz bedeuten. Die Grünen haben vorgeschlagen, dass die Bundesministerien auf Videokonferenzen – das haben Sie auch angesprochen, Herr Janecek – statt auf Dienstreisen setzen sollen. Das gilt doch im Grundsatz schon längst; hin und wieder ist sicherlich auch ein persönliches Gespräch nötig. Herr Janecek, dann werden wir Sie demnächst bildlich verfolgen können.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass immer auch die Technik stimmen muss. Wir haben uns in Deutschland und Europa für ein hohes Maß an Datensicherheit ausgesprochen. Das wollen wir auch in Zukunft beibehalten.
Ich komme zum Antrag der FDP, der sich auf den Emissionshandel bezieht.
({3})
Hier halte ich fest: Gebäude und Verkehr gehören nicht in den Emissionshandel. Wir wollen keine zusätzlichen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger, sondern belohnen sie mit steuerlicher Förderung.
({4})
Meine Damen und Herren, Klimaschutz und Digitalisierung sind die großen Treiber für Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Deswegen lautet die zentrale Frage für die Zukunft: Wie können wir sie als Wettbewerbsvorteil und auch als Konjunkturmotor nutzen? Das zeigt das Beispiel Landwirtschaft: Die Branche gilt als Vorreiter bei der Digitalisierung. Autonomes Fahren ist hier bereits Realität. Mithilfe von Drohnen und künstlicher Intelligenz werden Bodenwerte ermittelt. Intelligente Landmaschinen können Saat und Dünger exakt verteilen. Das steigert die Produktivität und fördert den Umweltschutz zugleich.
Ich weiß sehr wohl, dass es in den letzten Wochen und Monaten viele Proteste der Landwirte gab. Auch in meinem Wahlkreis Diepholz-Nienburg fürchten viele Landwirte um ihre Existenz. Deswegen ist Smart Farming sicherlich auch langfristig eine gute Lösung, und deshalb stärken wir gerade an dieser Stelle Forschung und Förderung. So steckt das Bundeslandwirtschaftsministerium über 50 Millionen Euro in digitale Experimentierfelder.
({5})
Meine Damen und Herren, wir als Union setzen auf Anreize und nicht auf Verbote, wie die Grünen es tun. Wir stärken Innovation und Wettbewerbsfähigkeit und sichern so Wachstum und Arbeitsplätze. Denn eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik schafft die besten Voraussetzungen, um auch den Klimaschutz voranzubringen.
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege Enrico Komning.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Schon der erste Satz Ihres Antrages ist falsch. Klimawandel ist Bestandteil jedes Erdzeitalters und keine Katastrophe.
({0})
Die zentrale politische Herausforderung ist nicht: „Wie bekämpfen wir den Klimawandel?“, sondern: Wie machen wir unser Land fit für die Zukunft, anstatt es weiter systematisch zu zerstören?
({1})
Sie sprechen viel von Wettbewerb, Offenheit und Chancen. Sie meinen aber eigentlich Einengung und Gängelung. Ihr Antrag atmet geradezu Verbote und Einschränkungen. Das ist im Grunde genauso, als wenn Sie von Offenheit und Demokratie reden und Ökototalitarismus und Gesinnungsdiktatur meinen.
({2})
Verbote, meine Damen und Herren von den Grünen, haben noch nie geholfen. Pkw abschaffen, „ökologische Leitplanken“, „abgesteckte Rahmenbedingungen“: Ihr Antrag katapultiert Deutschland an das Ende der Liste der wettbewerbsfähigen Länder.
({3})
In unserem Land können moderne digitale Netze dabei helfen, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen, und zwar insbesondere außerhalb der großen Ballungszentren, nämlich in den strukturschwachen ländlichen Räumen. Die digitale Vernetzung wird den Weg von der Linear- zur Kreislaufwirtschaft weiter ebnen und voranbringen. Und ja, vermutlich wird der Energiebedarf mit zunehmender Digitalisierung steigen; wir werden ein Vielfaches des Stromverbrauchs im Vergleich zu heute haben. Allein in Europa wird dieser Mehrverbrauch langfristig auf 70 Terawattstunden pro Jahr geschätzt.
Deswegen ist auch eine Ausweitung des Prinzips des Zertifikatehandels, wie ihn die FDP will, nur ein Teil der Antwort auf die zukünftigen Herausforderungen. Der Zertifikatehandel ist innerhalb eines geschlossenen Systems sinnvoll. Gerade die Digitalisierung, aber noch viel mehr die sich exponentiell erhöhende Weltbevölkerung brechen dieses System aber auf.
Dem durch die Digitalisierung steigenden Energiebedarf ist daher nicht mit Verbrauchsverboten, sondern mit der Bereitstellung von mehr Energie zu begegnen. Das ist mit Emissionshandel allein nicht zu erreichen. Wir müssen über das Erschließen neuer und sinnvoller Energiequellen nachdenken.
Ohne Not, meine Damen und Herren, sind wir aus der zukunftsfähigen und darüber hinaus CO2-freien Kernenergie ausgestiegen. Sie von den Grünen können noch so viele Windräder aufstellen – die übrigens tonnenweise höchst unökologischen Sondermüll produzieren –: Das Abschalten unserer Kernkraftwerke wird dies nicht kompensieren, geschweige denn einen höheren Energiebedarf befriedigen. Wir müssen daher dringend über den Wiedereinstieg in die Kernenergie nachdenken, auch und vor allem angesichts neuer Technologien wie zum Beispiel der Dual-Fluid-Technologie.
({4})
Gerade auch die Grundlastfähigkeit der Kernenergie kann zur besseren Vernetzung und damit zur Steigerung der Effizienz von Energieströmen beitragen.
Der richtige Ansatz einer umweltgerechten und dabei digital vernetzten, effizienten Wirtschaft ist mit Sicherheit der maßvolle Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen, und das beste Mittel hierfür ist der Markt.
({5})
Nach dem für alle Altparteien unsäglichen Thüringen-Debakel ist es für uns nicht einfacher geworden, zu einem Votum zu kommen. Nach Ihrer Arithmetik müssten wir dem Grünenantrag eigentlich zustimmen, um ihn in das verdiente parlamentarische Absurdistan zu verweisen.
({6})
Aber natürlich, meine Damen und Herren von den Grünen, werden wir Ihren undemokratischen Quatsch nicht mitmachen. Mit dem FDP-Antrag werden wir uns im Ausschuss natürlich gerne beschäftigen.
Vielen Dank.
({7})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Falko Mohrs.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Klar ist doch uns allen: Die Rechenzentren, das Rückgrat der Digitalisierung, brauchen Energie, und mit einer zunehmenden Digitalisierung der Welt, der Gesellschaft, steigt auch der Energiebedarf. Deswegen ist es völlig richtig, dass wir uns in diesem Zusammenhang heute hier im Haus mit der Frage „Wie schaffen wir es eigentlich, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammenzubringen?“ beschäftigen.
({0})
Herr Komning, ich glaube, fast alle in diesem Haus haben das auch begriffen. Und wenn Sie nicht in Ihrer – ich weiß es nicht – nuklear verstrahlten Zeitkapsel von vor 1945 festhingen,
({1})
dann würden vielleicht auch Sie mal begreifen, welche Katastrophen durch den Klimawandel in dieser Welt hervorgerufen werden. Vielleicht machen Sie einfach mal die Augen auf.
({2})
Kommen wir aber auf die Frage von Ökologie und Digitalisierung zurück. Das bedeutet also, wir müssen uns über zwei Dimensionen Gedanken machen. Wir müssen auf der einen Seite klarmachen: Es gibt einen Treiber für den Energieverbrauch in der Digitalisierung. Das heißt, wir müssen uns fragen: Wie können wir diesem Treiber etwas entgegensetzen? Wie können wir also durch die Digitalisierung, durch einen wirklich ökologisch-gesellschaftlichen Nutzen der Anwendungen, die wir digitalisieren wollen, Umwelt- und Klimaschutz betreiben? Und wir müssen uns die Frage stellen, wie wir den Betrieb so effizient wie möglich machen können.
Das sind die beiden Dimensionen, die wir uns vor Augen führen müssen, und deswegen darf es eben keine eindimensionale Betrachtung nur des einen geben – nur Digitalisierung oder nur Klima –, ohne auch den gesellschaftlichen Nutzen mitzudiskutieren.
({3})
Dass wir das tun, dass die Gesellschaft, dass die Unternehmen das tun, kann man sich an einigen Beispielen auch sehr klar vor Augen führen. Es gibt zum Beispiel die Logistikplattform RIO – ich bin selber Speditionskaufmann –, die zur Traton-Gruppe gehört. Dort geht es zum Beispiel darum, Frachtfuhren KI-basiert, cloudbasiert in Echtzeit miteinander zu verknüpfen. Spediteure können sich einbuchen und Unternehmen ihre Frachten so zur Verfügung stellen, dass auf KI-Grundlage am Ende eine bessere Auslastung der Lkws zustande kommt. Übrigens: Ungefähr 25 Prozent der Lkws in Deutschland fahren leer.
Wenn wir es also schaffen, mit guten digitalen, intelligenten Lösungen hier für bessere Auslastung zu sorgen, dann macht das auch deutlich, welche Umwelt- und ökologischen Potenziale in der Digitalisierung stecken – wenn eben genau das unser Maßstab, unsere Ausrichtung in der Digitalisierung ist.
({4})
Ein anderes Beispiel sind mobilitätsübergreifende Apps, die über alle Verkehrsträger hinweg Möglichkeiten der Priorisierung anbieten, zum Beispiel wenn ich mich CO2-optimiert von A nach B bewegen möchte, in einer anderen Situation vielleicht zeitoptimiert, aber mir auch bewusst sein möchte, was ich damit verursache.
Das sind Beispiele, mit denen uns innovative Unternehmen in Deutschland, Europa und weltweit zeigen, dass es per se keinen Widerspruch zwischen Digitalisierung und Umweltschutz gibt, sondern dass durch eine kluge Ausrichtung von Digitalisierung beides verbunden werden kann. Und darum, meine Damen und Herren, muss es uns doch gehen: dass wir in der Ausrichtung unserer Industrie- und Wirtschaftspolitik und in der Ausrichtung unserer Digitalpolitik sagen: Technologie – Dieter Janecek, da gebe ich dir recht – ist nicht per se ein guter Fortschritt für die Gesellschaft; aber wir müssen sie so gestalten, dass sie einen guten Fortschritt für die Gesellschaft mit sich bringt. Das muss unser Maßstab sein, wenn es darum geht, gezielt in die Digitalisierung unserer Gesellschaft und der Wirtschaft zu investieren.
({5})
Wir müssen also in bilanziellen Systemen denken, meine Damen und Herren.
Jetzt ist es natürlich völlig klar, dass die Opposition das Ganze mit Kritik an der Regierung garnieren muss; das liegt an ihrer Funktion. Ich kann aber durchaus noch mal sagen – der Kollege Knoerig hat es ja erwähnt –: Bereits im November 2008 wurde der Grundstein für die Green-IT-Strategie gelegt, bei der es darum ging, in einem ersten Schritt den eigenen Energieverbrauch um 40 Prozent zu senken. Da haben wir jetzt nachgelegt.
Wir haben übrigens auch bereits 2008 den Energieverbrauch in der Beschaffungsstrategie des Bundes verankert, und die Bundesregierung hat sich jetzt für 2018 bis 2022 wieder neue Ziele gesetzt, bei denen es um den weiteren Verbrauch der eigenen Ressourcen geht und die Kriterien des Blauen Engels maßgeblich auch bei der Beschaffung und bei der Nutzung von Rechenzentren angewendet werden. Also, meine Damen und Herren, auch die Bundesregierung hat es verstanden – trotz der Kritik der Opposition natürlich, aber das liegt vielleicht an der Rollenverteilung.
Meine Damen und Herren, Digitalisierung hat also erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Die Zukunft wird kommen, die Zukunft wird digital – das ist völlig klar –, und es liegt an uns, in welcher Form wir Digitalisierung gestalten, in welcher Form wir die Zukunft gestalten. Lassen Sie uns daraus keinen Widerspruch machen. Digitalisierung kann Ökologie und Umwelt positiv beeinflussen. Das ist unsere Verantwortung; da können Sie sich auf uns verlassen.
Danke sehr.
({6})
Der nächste Redner: der Kollege Dr. Marcel Klinge, FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war jüngst bei einem mittelständischen Fensterbauer im Schwarzwald zu Gast, und als wir beim Rundgang ins Gespräch kamen, sagte mir die Chefin, eine taffe Familienunternehmerin: Herr Klinge, wenn meine fünf Mädels im Büro morgens Outlook hochfahren und E-Mails abrufen, bricht bei mir die Leitung zusammen.
Das ist kein Einzelfall. Wir alle kämpfen doch täglich mit Funklöchern und Netzabbrüchen. Deswegen ist es zwar vollkommen in Ordnung, wenn wir uns heute in dieser Debatte über die ökologischen Herausforderungen der Digitalisierung unterhalten, es ist aber genauso wichtig, dass wir uns über die miserable Netzinfrastruktur in Deutschland unterhalten; denn die muss auf Vordermann gebracht werden.
({0})
Wo stehen wir denn da im internationalen Vergleich? 3 bis 4 Prozent beträgt der Glasfaseranteil in Deutschland; der OECD-Durchschnitt liegt bei 30 Prozent. Die Spitzengruppe, Japan und Südkorea, hat einen Glasfaseranteil von 80 Prozent. Bei der LTE-Netzabdeckung sind wir abgeschlagen, noch hinter Aserbaidschan, auf Platz 70. Die Inbetriebnahme eines Mobilfunkmastes dauert in Deutschland 18 Monate und länger.
Ich finde, schon diese Zahlen zeigen das Ausmaß an Rückstand, den wir technologisch haben. Und dieser Rückstand hat auch politisch einen Namen, nämlich: Große Koalition.
({1})
Die Bundesvorsitzende der SPD – fürs Kurzzeitgedächtnis: Saskia Esken – ist der Meinung, dass ein Digitalministerium eine Schnapsidee ist. Die Bundesforschungsministerin ist der Meinung, dass wir schnelles Internet nicht an jeder Milchkanne, sondern offensichtlich nur an bestimmten Orten in Deutschland brauchen. Und der Bundeswirtschaftsminister beklagt sich öffentlichkeitswirksam darüber, dass er mit seinen Kollegen im Ausland unterwegs nicht vernünftig telefonieren kann, weil ständig das Telefonat abbricht.
Es ist genau jener Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der jüngst bei der Versteigerung der 5G‑Lizenzen schon wieder den gleichen Fehler gemacht hat, nämlich zulasten der Netzabdeckung möglichst viel aus den Mobilfunkbetreibern herauszupressen. Das ist die falsche Politik.
({2})
Deswegen brauchen Sie sich auch nicht zu wundern, meine Damen und Herren, dass mehr als die Hälfte der Deutschen und 90 Prozent der Führungskräfte, wie jüngst das „Handelsblatt“ mitteilte, Ihnen keine digitalpolitische Kompetenz zutraut.
Unser Ziel, das Ziel der Freien Demokraten ist es, dass wir unsere digitalen Netze endlich auf internationales Spitzenniveau bringen. Wir wissen: Das ist ein finanzieller, ein organisatorischer Kraftakt. – Friedrich Merz sprach kürzlich im „Focus“ von „digitaler Nachrüstung“. Ich finde, das ist zu klein gedacht. Wir brauchen wahrlich ein digitales Wirtschaftswunder, um wieder international wettbewerbsfähig zu sein, einen Kraftakt der ganzen Gesellschaft, um bei den Netzen wieder eine Topposition in der Welt einzunehmen.
({3})
Den ersten Schritt, den Sie, liebe Kollegen von der Koalition, politisch dazu unternehmen können, ist die Einrichtung eines schlagkräftigen Digitalisierungsministeriums, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. Am besten schicken Sie da Ihren besten Mann hin und nicht gerade Ihren schlechtesten Mann, der gerade für das Thema zuständig ist.
Eins muss uns bewusst sein: Die Zeit läuft. Die Digitalisierungswelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt ja nicht erst auf uns zu, sondern hat uns mittlerweile voll erwischt. Für mich stellt sich jetzt die Frage, ob wir als Deutsche vorne erfolgreich mitsurfen oder ob wir hinterherschwimmen wollen.
Wir brauchen digitale Netze auf Topniveau. Mit denen können wir uns dann auch um das Thema „Umweltschutz und Digitalisierung“ kümmern. Wir als Freie Demokraten sind bei Weitem nicht so pessimistisch wie die Grünen in ihrem Antrag und auch in ihren Ausführungen. Wir glauben, in diesem Thema steckt enormes Potenzial – Kollege Mohrs hat den Logistikbereich genannt, es gibt auch viele andere Bereiche. Allein mit der Digitalisierung zur Reduzierung des Parksuchverkehrs – Sie kennen das: man fährt eine Viertelstunde um den Block und findet keinen Parkplatz – könnten wir Unmengen an CO2 einsparen. Da ist also richtig viel Musik drin.
({4})
All das, meine Damen und Herren, funktioniert aber nur, wenn die Große Koalition ihre digitalpolitischen Hausaufgaben macht. SAP hat jetzt angekündigt, bis 2025 klimaneutral zu sein. Ich finde das wirklich super. Unser Anspruch hier in Berlin sollte aber sein, dass nicht nur die Großen wie SAP, sondern auch der kleine, mittelständische Fensterbauer im Schwarzwald von den Chancen der Digitalisierung profitieren und am Ende auch das Klima und die Umwelt schützen kann.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächste Rednerin: die Kollegin Jessica Tatti, Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal finde ich es gut, dass dieser Antrag heute debattiert wird; denn er zeigt ein gravierendes Defizit dieser Bundesregierung auf. Obwohl die Bundesregierung bereits eine Digitalisierungsstrategie, eine KI-Strategie, eine Hightech-Strategie und sogar eine Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt hat, versagt sie seither darin, die richtigen Weichen für eine nachhaltige Zukunft zu stellen.
({0})
Besonders auffällig finde ich, dass alle Strategien eines gemeinsam haben: Grenzenloses Wachstum wird als Allheilmittel für gesellschaftliche Probleme gesehen. Das ist ein fataler Irrweg.
({1})
Umweltzerstörung und ausbeuterische Arbeitsbedingungen sind der Preis, den wir alle dafür bezahlen. Seit Langem wirtschaften gerade wir in den Industriestaaten weit über die Kapazitäten unseres Planeten hinaus – und das wird durch die Digitalisierung nicht wie von Zauberhand besser, im Gegenteil. Die Digitalisierung wird momentan als globales Wettrennen inszeniert: USA, China, Deutschland, ganz Europa – jeder will der Erste, der Beste und der Schnellste sein.
Union und FDP wollen wahllos in alles investieren, worauf „künstliche Intelligenz“ steht, ohne zu berücksichtigen, welche ökologischen und sozialen Folgekosten entstehen.
({2})
Der KI-Wettlauf führt so zu einer Materialschlacht mit gigantischem Energieverbrauch, die den Klimawandel weiter beschleunigt. So werden die Potenziale der Digitalisierung, die es zweifelsohne gibt, verschenkt. Dabei könnte sie helfen, den sozialökologischen Wandel zu stemmen. Dazu ist aber eine Abkehr von den wilden Wachstumsfantasien notwendig.
({3})
Wir brauchen öffentliche Investitionen in nachhaltige Zukunftstechnologien als Alternative zu privatem Wagniskapital. Im Mittelpunkt müssen der Nutzen der ganzen Gesellschaft und der Erhalt unserer Lebensgrundlagen stehen,
({4})
und nicht die Renditewünsche der Konzerne. Wir müssen weg von einem System der Ausbeutung, des Raubbaus und der Verschwendung hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft, in der Ressourcen wiederverwertet werden.
({5})
Dann könnte die Wirtschaft durchaus gesund weiterwachsen, ohne dabei den Planeten zu zerstören.
In Ihrer Rede, Herr Janecek, sind Sie kurz darauf eingegangen; aber in Ihrem Antrag, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wird ein wesentlicher Punkt völlig ausgeblendet: die soziale Frage.
({6})
Da müssen Sie wirklich aufpassen. Wir wissen doch, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland zunimmt. Immer weniger Unternehmen verdienen immer mehr Geld, während die Mitte der Gesellschaft schrumpft und die Einkommen und Vermögen der unteren Hälfte der Bevölkerung seit Jahren stagnieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die soziale Ungleichheit durch die Digitalisierung vertieft.
({7})
Das bedeutet, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Menschen nicht um ihren Lebensstandard und um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen. Ich bin der Überzeugung, dass eine Umstellung auf eine ökologische, nachhaltige Gesellschaft und Wirtschaft nur mit und nicht gegen die Menschen funktionieren kann.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Frau Kollegin Tatti. – Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hansjörg Durz.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur auf YouTube und Netflix können Videos gestreamt werden, sondern auch auf der Seite des Deutschen Bundestages. Um höchstmögliche Transparenz für die Öffentlichkeit zu schaffen, kann jeder sich live und in Farbe ein Bild von den Debatten dieses Hauses verschaffen, und wer mag, kann dies sogar in hochauflösender Bildqualität tun. Politik in HD – was könnte es Schöneres geben?
Es ist einer Studie des französischen Thinktanks „The Shift Project“ zu verdanken, dass wir nicht mehr nur über die Annehmlichkeiten dieser digitalen Technik sprechen; denn sie kostet Energie. Sollte es Menschen geben, die Bundestagsdebatten genauso spannend finden wie zum Beispiel „House of Cards“ und sich die ganze Plenardebatte am Stück reinziehen, so sei ihnen gesagt: Zehn Stunden Dauerstreaming von Plenardebatten in HD sind vergleichbar mit dem Download der kompletten englischsprachigen Wikipedia-Seiten; ein enormes Datenvolumen. Welcher der beiden Inhalte Sie am Ende klüger macht – die Debatte hatten wir vorher ja schon kurz –, will ich an dieser Stelle nicht beurteilen, die Herausforderungen für die Umweltpolitik hingegen schon.
Das Videostreaming steht in der Debatte stellvertretend für die ökologischen Folgen der Digitalisierung. Laut der genannten Studie gehen 80 Prozent der weltweiten Datentransfers auf Videodienstleistungen zurück. Dem Nutzer fehlt, wie so oft beim Einsatz digitaler Techniken, das Bewusstsein dafür, dass hinter diesen Prozessen ganz reale physikalische Vorgänge stecken. So ist zum Beispiel ein papierloses Büro bei Weitem kein emissionsfreies Büro; denn wer seine Daten in die Cloud lädt, der schickt sie eben nicht gen Himmel, sondern auf die Speicherchips von Rechenzentren auf der ganzen Welt.
Allein das Internet hat einen Anteil von gut 2 Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß, im Übrigen in etwa das gleiche Volumen wie die zivile Luftfahrt. Laut der genannten Studie beträgt der Anteil der Digitalwirtschaft an den weltweiten CO2-Emissionen etwa 4 Prozent, Tendenz exponentiell steigend. Allerdings sollten wir es uns nicht so einfach machen; denn anders, als es die Studie suggeriert, sind pauschale Aussagen über den Stromverbrauch der Digitalwirtschaft schwierig. Wenn beispielsweise ein Journalist eine E-Mail versendet, sind die Emissionen dann der Digitalbranche zuzurechnen, oder sind sie der Medienbranche zuzurechnen? Wer bestimmen will, ob Streaming oder die gute alte DVD den besseren ökologischen Footprint hat, der muss feststellen, dass keine pauschalen Bewertungen möglich sind; es geht schließlich um die Nutzungsweise.
Deshalb ist es in der Tat wichtig, mehr Forschung in diesem Feld zu ermöglichen, um uns einen tieferen Einblick in die Umweltfolgen der Digitalisierung und vor allem auch darin zu geben, wie viel Energie durch digitale Innovationen eingespart werden kann, zum Beispiel durch effizientere Produktionsabläufe, durch Industrie 4.0. Erst mit diesem Wissen können dann zielgerichtet Strategien entworfen werden, wie sie auch der Antrag fordert.
Andere Forderungen des Antrags sind nicht neu und bereits in Arbeit. Das Umweltministerium wird Anfang März seine umweltpolitische Digitalagenda vorstellen. Eckpunkte wurden bereits im letzten Jahr veröffentlicht. Viele Ihrer Forderungen sind darin bereits enthalten. Auch die Forderung nach energieeffizienteren digitalen Produkten und der Nutzung der Abwärme von Rechenzentren ist eine Forderung, die in Papieren der Union aus den vergangenen Jahren zu finden ist.
Eine große Lücke in Ihrem Antrag klafft aber vor allem an einer Stelle. Bei der Bewertung der Aktivitäten der Bundesregierung haben Sie ganz vergessen, eines der größten deutschen und europäischen Projekte für eine klimafreundliche Digitalisierung zu erwähnen. Allein in diesem Jahr geben wir im Bundeshaushalt 225 Millionen Euro dafür aus. Vor lauter Suchen nach Bürokratieungetümen für Unternehmen haben Sie diesen Posten ganz übersehen, der bereits in der Hightech-Strategie und in der Digitalen Agenda der Bundesregierung angelegt ist.
Das Geld fließt konkret in die Förderung der Mikroelektronik. Dabei geht es um Innovationen, um Wertschöpfung, aber eben auch um Umweltschutz; denn Innovationen, zum Beispiel in der Leistungselektronik, steigern die Energieeffizienz bei der Erzeugung und Übertragung von Strom in Industrieanlagen. Das ist ein ganz konkreter Beitrag zum Erreichen der Klimaziele, und das ist Umweltschutz durch Innovation.
({0})
Sie könnten jetzt entgegnen, dass ich die Rebound-Effekte nicht bedacht habe. Man geht ja davon aus, dass aufgrund der Einsparungen möglicherweise mehr Strom genutzt wird. Darüber, dass wir diese Rebound-Effekte verringern wollen, besteht Einigkeit. Doch einfach in den Antrag reinzuschreiben, dass Rebound-Effekte möglichst verhindert werden sollen, ist fantasielos. Die Bundesregierung beschäftigt sich hingegen konkret damit und hat auch entsprechende Forschungsprojekte in Auftrag gegeben.
Es ist keine Lücke, sondern über das Ziel hinaus schießen Sie in Ihrem Antrag bei Forderungen wie zum Beispiel dem Verbot von Autoplay-Funktionen von Videostreaming-Plattformen. Das atmet nicht gerade den Geist des freien Unternehmertums, sondern dirigistischer Wirtschaftspolitik. Obwohl nicht im Geringsten klar ist, welche Einsparpotenziale damit verbunden sind, nehmen Sie diese Forderung in Ihren Antrag auf. Ich halte das nicht für richtig, zumal: Wenn man schon in die Freiheit des Einzelnen – auch die von Unternehmen – eingreifen will, dann müssen die Konsequenzen klar sein, dann müssen diese Maßnahmen das Problem auch nachhaltig lösen. Ansonsten erreicht man die Akzeptanz der Menschen nicht.
({1})
Sie sehen: Es gibt noch einige Baustellen, auf denen wir bei der Beratung dieses Antrags im Ausschuss tätig werden müssen. Das „Right to repair“, das Sie in Ihrem Antrag fordern, existiert zwar noch nicht für Smartphones, für Anträge im Deutschen Bundestag aber glücklicherweise schon. Sie sollten es wahrnehmen.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. – Der Kollege Dr. Michael Espendiller hat das Wort für die AfD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und auf YouTube!
({0})
Wir debattieren heute wieder einmal einen dieser hysterischen Endzeitanträge der „Grüninnen und Grünen“. Hysterisch ist der Antrag deshalb, weil er schon in den ersten Zeilen den Weltuntergang wegen „irgendwas mit Klima“ an die Wand malt.
Was wollen die Grünen machen? Kurz und knackig: Sie wollen die Digitalisierung an die Kette legen. – Der Antrag bedeutet astreine Planwirtschaft, die uns zurück in die Steinzeit führen würde.
({1})
Die Grünen offenbaren damit, dass sie nichts anderes sind als stramme Kommunisten, die die ganze Welt und die gesamte Wirtschaft unter ihre Peitsche bringen wollen.
({2})
Liebe Zuschauer bei YouTube, wissen Sie, was die Grünen sich jetzt schon wieder ausgedacht haben? Die finden doch tatsächlich, dass Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime viel zu viel Strom verbrauchen. Das ist natürlich irgendwie ganz böse, weil das auch irgendwie viel CO2 produziert.
({3})
Wissen Sie, was die Lösung sein soll? Die Lösung ist – ich zitiere –, „Anreizstrukturen wie Preise, die die ökologische Wahrheit ausdrücken“, zu erschaffen. Das bedeutet im Klartext: höhere Preise und ein Klimaaufschlag für Netflix und Amazon Prime.
({4})
Das alles soll passieren – da können Sie jetzt so viel brüllen, wie Sie wollen –,
({5})
weil Sie einem Märchen hinterherlaufen, dem Märchen des menschgemachten Klimawandels.
({6})
Sämtliche Parteien gehen davon aus, dass wir den CO2-Ausstoß reduzieren müssen, weil sonst die Welt untergeht. Dabei basieren alle Ihre Maßnahmen auf mathematischen Modellen, die die meisten von Ihnen hier gar nicht verstehen.
({7})
Was diese Modelle angeht: Es ist schlicht und einfach so, dass all Ihre Klimaberechnungen falsch sind.
Einer der Säulenheiligen dieses Klimaglaubens, Herr Professor Marotzke, musste in einem Interview im „Spiegel“ 2018 einräumen, dass die Modelle, die den erlaubten CO2-Ausstoß berechnet hatten, alle falsch waren.
({8})
In dem Interview gab er an, dass sich die bisherigen Modelle beim erlaubten CO2-Budget um 500 Gigatonnen verrechnet hatten. Diese 500 Gigatonnen, die wir nach Herrn Marotzke noch frei haben, entsprechen dem CO2-Ausstoß Deutschlands über einen Zeitraum von 555 Jahren.
({9})
Anders formuliert: Es gibt neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, die nahelegen, dass wir in den nächsten 555 Jahren auf die Grünen im Bundestag verzichten könnten.
({10})
Was war passiert? Die heiligen Klimawissenschaftler hatten bei ihren Berechnungen vergessen, dass Wälder und Ozeane mehr CO2 aufnehmen als gedacht.
Liebe Kollegen, wir reden hier über komplexe mathematische Modelle, Differenzialgleichungssysteme, GCMs. Man sieht an diesem Beispiel sehr gut, dass selbst kleinste Fehlannahmen am Anfang die Prognosen massiv verändern.
({11})
Machen Sie hier endlich Ihre Hausaufgaben, bevor Sie unsere Industrie und das aufkeimende Pflänzchen der Digitalisierung wegen eines Märchens zerstören!
({12})
Der Antrag der FDP zu diesem TOP ist im Übrigen ebenso falsch; das erübrigt die Debatte.
Was wir hier nicht brauchen, ist Ökosozialismus. Was wir brauchen, ist eine freie Marktwirtschaft. Dann klappt es auch mit der Digitalisierung. Wir lehnen beide Anträge ab.
Danke.
({13})
Für die SPD-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Timon Gremmels.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An die Kollegen der AfD gerichtet: Den besten Beitrag, den Sie zum Klimaschutz leisten können, ist, dass Sie Ihre Reden nicht bei YouTube hochladen. Das würde die Rechenzentren entlasten und einen guten Beitrag zum Klimaschutz leisten.
({0})
Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Ökologie und Digitalisierung sind gerade die Megathemen der Zukunft und der Gegenwart. Diese müssen wir gestalten, und zwar gemeinsam mit den Menschen, gemeinsam mit den Beschäftigten. Denn allzu oft ist es doch so – auch bei mir im Wahlkreis –, dass viele Menschen Angst vor den Schlagworten „Digitalisierung“ und „Ökologie“ haben, weil sie Angst um ihre Arbeitsplätze haben. Ich sage Ihnen aber ganz klar: Wenn wir diese zwei Themen richtig anpacken, dann kann das ein Arbeitsplatz- und Jobmotor sein. Das gilt durch die Klimaschutzpolitik gerade für die grüne Branche.
Die Grünen haben jetzt also einen Antrag mit dem Titel „Digitalisierung ökologisch gestalten“ eingebracht. Die FDP kann das nicht auf sich sitzen lassen und sagt: „Ökologie digital gestalten.“ Das sind doch Kinkerlitzchen, die Sie hier gerade betreiben, weil man das eine nicht gegen das andere ausspielen sollte.
({1})
Digitalisierung und Ökologie gehören zusammen, und deswegen sage ich Ihnen auch den sozialdemokratischen Ansatz: Wir sprechen von nachhaltiger Digitalisierung, weil „digital“ nicht automatisch „öko“ ist. Das sehen Sie allein schon daran – ein Beispiel –: Der jährliche Stromverbrauch für die Kryptowährung Bitcoin betrug im Jahre 2018 45,8 Terawattstunden. Das ist so viel, wie ganz Hamburg insgesamt verbraucht. Die Rechenzentren, die wir dafür benötigen, stehen zum Großteil am Netzknoten Frankfurt.
({2})
Wichtig ist: Wenn wir diese Rechenzentren betreiben, dann sollten wir dies mit erneuerbarer Energie tun. Ich glaube, das ist sinnvoll. Daneben sollten wir auch die Abwärme nutzen. Die Abwärme der Rechenzentren kann einen Beitrag zur städtischen Energie leisten. Insofern wäre auch das wichtig.
({3})
Ja, ich sage Ihnen: Wir haben als Regierung viel getan, um die digitale Energiewende voranzubringen. Dafür haben wir 2016 auch ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht. Eine wichtige Voraussetzung in diesem Zusammenhang ist Smart Metering. Ja, es hat etwas lange gedauert; aber jetzt geht es los: Das Rollout für Smart Meter kommt. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass jetzt auch die Stromkonzerne und die Stadtwerke den Kundinnen und Kunden Angebote machen können, diese neue Technologie zu nutzen. So kann es gelingen, mehr Lastverbraucher ans Netz zu bringen. Die Waschmaschine läuft, wenn Strom günstig ist. Das haben wir auf den Weg gebracht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({4})
Jetzt ist es aber für die Stromkonzerne an der Zeit, den Endkunden entsprechende Angebote zu machen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({5})
Lassen Sie mich eins ganz deutlich sagen: Wichtig ist in der Tat, dass wir auch hier vorangehen. Da gebe ich Ihnen mal den Tipp – das geht an die beiden Fraktionen, die heute die Anträge auf den Weg gebracht haben und so tun, als ob diese Bundesregierung in diesem Bereich nichts tut –, einfach mal in das Klimaschutz-Maßnahmenprogramm 2030 zu gucken. Wir haben dort festgelegt, einen „Digital Innovation Hub for the Climate“ einzurichten, eine Plattform für die Vernetzung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik im Hinblick auf klimafreundliche Maßnahmen und Technologien. So geht konkretes Regierungshandeln.
({6})
Da brauchen wir weder von der FDP noch von den Grünen Nachhilfe, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({7})
Digitalisierung und Energiewende liegen bei der SPD in guten Händen; da können Sie sicher sein. In diesem Sinne: Glück auf! Alles Gute!
({8})
Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort der Kollegin Judith Skudelny.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eins möchte ich mal voranstellen: Wenn wir tatsächlich über Umweltschutz reden, müssen wir darüber hinausgehen, immer nur über Klima zu reden. Alle bisherigen Sprecher haben immer nur den Klimaschutz in den Fokus genommen. Wir haben aber mehr umweltpolitische Herausforderungen als nur diese eine, und es wäre schön, wenn das auch hier in diesem Haus mal ankommen würde.
({0})
Vor knapp drei Wochen war ich bei einem Start-up-Unternehmen in Hamburg. Dort hat man es sich zum Ziel gesetzt, die Kreislaufwirtschaft voranzubringen. Man hat sich zum Ziel gesetzt, transparent die Lücke in der mittelständischen Recyclingwirtschaft, die versucht, Recyclate an Großabnehmer zu verkaufen, unter Anwendung der Digitalisierung zu schließen. Gerade in der Kreislaufwirtschaft haben wir sehr viele Potenziale, die heute noch vollständig ungehoben sind. Wir können Quantendots für Stoffströme nutzen. Wir können mit Farben Dinge markieren, damit wir problematische Stoffe besser ausschließen können und das hochwertige Recycling, wie wir es in Deutschland haben wollen, tatsächlich voranbringen.
Der Bau ist überhaupt noch nicht in den Fokus des Recyclings geraten. Digitale Zwillinge können dazu genutzt werden, dass wir genau wissen, welche Materialien wir wann verbaut haben, damit wir, wenn wir 50, 60 oder 70 Jahre später ein Haus abreißen und neu bauen, die eingesetzten Stoffe noch mal nutzen können,
({1})
und zwar nicht, um Straßengräben zu verfüllen, sondern um aus einem alten Haus wieder ein neues, modernes Haus zu machen. Da müssen wir hinkommen.
({2})
Schauen wir uns einmal an, was die Digitalisierung auf internationaler Ebene erreichen kann. Die Plastic Bank in Haiti ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man die Blockchain dazu nutzen kann, soziale und ökologische Belange zu regeln. In Haiti ist es so, dass die ärmsten Frauen im Regelfall PET-Flaschen einsammeln. Die bringen sie zurück zu einer zertifizierten Sammelstelle. Dort wird dann aber eben nicht Bargeld ausgezahlt; denn viele dieser Frauen haben gar nicht die Möglichkeit, ein Bankkonto zu eröffnen. Da kriegen sie dann ein Guthaben über die Blockchain.
Dieses Guthaben ist übrigens wichtig, damit sie nicht angegriffen werden. Gerade in Flüchtlingslagern wird die Blockchain über die Iris abgeglichen, damit das Geld und die Guthaben bei den jeweiligen Personen bleiben und sie nicht Übergriffen ausgesetzt sind. Dieses Guthaben können sie dann für Bildung, Gesundheit oder Ernährung ausgeben. Sie können so viel davon kaufen, alles auch von europäischen Unternehmen finanziert und hinterlegt bei einer Bank.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thews von der SPD?
Ich halte meine Rede zu Ende, und wenn jemand danach eine Kurzintervention machen will: jederzeit gerne. – Sie können dort tatsächlich eine Auszahlung erhalten. Damit die Unternehmen, die das finanzieren, Sicherheit haben, ist der Stoffstrom ebenfalls wieder durch eine Blockchain nachvollziehbar.
({0})
Wir brauchen natürlich noch Klimaschutz. Da haben wir mit dem Konzept „CO2 an die digitale Kette legen“ gezeigt, dass wir unterhalb des ETS auch CO2-Senken finanzieren können.
({1})
Wir können Märkte verknüpfen. Wir können einfach intelligenter, effizienter Klimaschutz betreiben, als es der Fall wäre, wenn wir die Möglichkeiten der Digitalisierung außen vor lassen würden.
({2})
Wir haben viele kleine Projekte in den Bereichen Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Lieferketten.
Zum Abschluss noch eine Sache – ich bin schon über die Zeit –: Liebe Kollegen von den Grünen, Ihr Antrag liest sich wie ein Antrag auf Scheidung von der Digitalisierung.
({3})
Sie gerieren sich wie die böse Stiefmutter.
({4})
Dabei ist Deutschland gerade erst dabei, sich in die Möglichkeiten, die der Umweltschutz bietet, zu verlieben. Lassen Sie dieser jungen Liebe eine Chance! Geben Sie den Start-up-Unternehmen, die grüne Digitalisierung machen wollen, einen Raum, und lassen Sie hier mal ein bisschen Freiheit walten, anstatt vorher schon das Haar in der Suppe zu suchen!
({5})
Für die Fraktion Die Linke hat als Nächstes das Wort die Kollegin Anke Domscheit-Berg.
({0})
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wäre das Internet ein Land, es hätte nach China und den USA den drittgrößten Stromverbrauch auf der Welt. Schon 10 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs werden heute von IT‑Geräten, Rechenzentren und Netzen verursacht. 137 Exabyte an Daten wurden laut Statistischem Bundesamt 2019 erzeugt. Das ist eine 1 mit 18 Nullen. Bis 2022 soll sich dieser Wert verdoppeln. Wir müssen also dringend handeln, und deshalb begrüßen wir den Antrag der Grünen.
({0})
Wenn die Energieeffizienzklassen selbst für Fenster in Neubauten längst vorgeschrieben sind, müssen sie auch für Rechenzentren verbindlich sein. Bei privaten Kaufentscheidungen helfen Energieklassenaufkleber zum Beispiel bei Waschmaschinen ja schon. Warum soll es sie nicht auch bei Handys oder Laptops geben?
Transparenz ist immer hilfreich, zum Beispiel auch beim Energieverbrauch durch Videostreaming. Es ist hilfreich, zu wissen, wie viel niedriger der CO2-Ausstoß ist, wenn man ein Video auch mal in niedrigerer Auflösung anschaut oder da, wo es passt, sogar als Audio hört. Weil Videostreaming aber so einen enormen Energieverbrauch hat, darf das automatische Abspielen weiterer Videos, wenn ein Video zu Ende ist, nicht voreingestellt sein, weder bei YouTube noch bei öffentlich-rechtlichen Mediatheken. Denn das verleitet zu unbeabsichtigter Nutzung.
({1})
Viel unnötiger Datenverkehr entsteht durch nicht abstellbare Werbung, viel aber auch durch Videos und das massenhafte Sammeln von Daten bei jeder Internet- und Handynutzung. Wenn wir dem bessere Schranken setzen, nutzt das gleich doppelt, nämlich dem Klimaschutz und der Privatsphäre.
Als Linksfraktion haben wir auch das Recht auf Reparatur wiederholt eingefordert. Denn die Unsitte von Herstellern, aus purer Profitgier Verschleißteile wie Akkus in Telefone fest einzubauen oder Ersatzteile zum einfachen Austausch nicht zur Verfügung zu stellen, ist umweltschädlich und verbraucherfeindlich.
({2})
Sie fördern bewusst die Wegwerfmentalität und zwingen zu unnötigem Neukauf. Das dürfen wir im Interesse der Umwelt und der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht länger tolerieren.
Aber Digitalisierung kann auch Teil der Lösung sein und zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Mit Industrie 4.0 kann Produktion effizienter werden. Mit Landwirtschaft 4.0 kann man den Düngereinsatz reduzieren. Breitband im ländlichen Raum kann die Anzahl klimaschädlicher Pendlerfahrten verringern, weil dann nicht nur das Leben, sondern auch das Arbeiten auf dem Land möglich werden. Dazu braucht es aber auch Mobilitätskonzepte, die den ÖPNV so nutzerfreundlich machen, dass niemand mehr gezwungen ist, ein eigenes Auto zu haben, auch nicht bei mir im Norden von Brandenburg.
({3})
Ein Social Innovation Fonds der Bundesregierung, wie wir von der Linksfraktion ihn beantragt haben, kann dann auch Innovationen für nachhaltige Digitalisierung besser fördern.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafrecht verloren haben.§ 219a gehört abgeschafft.
Vielen Dank.
({4})
Die nächste Rednerin: die Kollegin Dr. Ingrid Nestle, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Beispiel „Smart Meter“ zeigt leider zu gut, wie die Bundesregierung sich nicht um die Digitalisierung im Bereich Energie kümmert:
Erstens. Das Tempo ist so, als hätte eine Schnecke noch die Ruhe weg. Sechs Jahre hat es von der Entscheidung der EU, digitale Zähler einzuführen, bis zum Gesetzentwurf in Deutschland gedauert.
({0})
In der Zeit, die dann bis zur Genehmigung der ersten Generation von Zählern vergangen ist, hat zum Beispiel Apple sieben Generationen von iPhones nicht nur entwickelt, sondern auch auf den Markt gebracht. Liebe Bundesregierung, Sie sind zu langsam.
({1})
– Ich nehme gerne Zwischenfragen an, Timon.
Zweitens. Auf dem Weg zum tatsächlichen Einbau sind die nächsten dicken Patzer passiert:Die notwendigen Funkfrequenzen – bis heute nicht vergeben. Für eine große Kundengruppe kann der Rollout nach hastig korrigierter Marktanalyse noch gar nicht beginnen, während für andere Kundengruppen die Digitalisierung zunächst komplett untersagt wird – ja –; denn die ersten Zulassungen von Zählern beziehen sich nur auf einen sehr beschränkten Anwendungsbereich. Das wäre jetzt eigentlich gar nicht so problematisch; aber leider hat die Bundesregierung den Einbau nichtzertifizierter Geräte auch für die Kundengruppen verboten, für die es gar keine zertifizierten Geräte gibt. Das ist absurd.
({2})
Start-ups aus wichtigen Zukunftsfeldern können keine Neukunden werben; Firmen müssen vertragsbrüchig werden, weil sie nicht liefern dürfen.
Und die Kunden? Für sie wäre die Digitalisierung eine Riesenchance. Sie könnten von Preisdifferenzen am Strommarkt profitieren. Sie könnten mit ihren E-Autos, mit ihren Wärmepumpen, mit ihren Klimaanlagen und anderen Geräten einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten. Leider verweigert die Bundesregierung seit Jahren die notwendigen Reformen am Strommarkt, damit die Nutzen der Digitalisierung tatsächlich bei den Kunden ankommen können. Damit schaden Sie unserem Land massiv. Bitte nehmen Sie endlich die wichtigen Themen ernst und machen Ihre Arbeit als Regierung!
Danke schön.
({3})
Nächster Redner: der Kollege Oliver Grundmann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal zu den Antragstellern: „Digital first. Bedenken second“,
({0})
das war der FDP-Leitspruch im letzten Bundestagswahlkampf.
({1})
Und „Bedenken second“ scheint ja auch die Spezialdisziplin von Herrn Lindner und der FDP in den letzten Tagen gewesen zu sein.
({2})
Aber grundsätzlich bin ich bei Ihnen: Es gibt viel zu viel Bedenkenträgertum in unserem Land. Es wird vieles kaputtgeredet, anstatt Dinge anzupacken. Aber die Digitalisierung – das will ich hier auch ansprechen – ist eben auch ein Grenzfall. Von „Bedenken second“ hat sich die FDP nach dem nächsten Facebook-Skandal auch schnell wieder verabschiedet. Auch die Diskussionen um Huawei oder die Datenschutz-Grundverordnung zeigen: Das sind echte Herausforderungen; da darf man nicht blauäugig rangehen.
Zunächst einmal zu dem Antrag der FDP. Ich greife ein Thema auf, das Sie gerade angesprochen haben, Frau Skudelny: Ressourceneinsatz und Kreislaufwirtschaft. Da kenne ich mich gut aus; ich bin viele Jahre in dieser Branche als Geschäftsführer tätig gewesen. Klar: Wir brauchen hochwertige Rezyklate in unserem Land, und da ist noch unglaublich viel Luft nach oben. Vor allem müssen wir die Rezyklate auch stärker auf dem Markt zur Anwendung bringen; denn daran hakt es häufig. Was bringt es, wenn wir alles digitalisiert haben, diese Rezyklate aber kaum auf dem Markt verwendet werden?
({3})
Dann hätten wir wiederum ein großes Bürokratiemonster; das müssen wir auf jeden Fall im Auge behalten. Deshalb noch mal in aller Deutlichkeit: So etwas mit Augenmaß. Digitalisierung darf nicht zur nächsten Überregulierung in unserem Land führen.
({4})
Ein anderes Beispiel aus Ihrem Antrag: digitalisierte Mülleimer im Bahnhofsbereich.
({5})
Ich habe mir das Teil mal angeschaut: eine blinkende Apparatur, die Strom verbraucht und auch immer wieder gewartet werden muss. Ganz ehrlich: Ich habe meine Zweifel, ob das wirklich der richtige Weg ist.
({6})
Wir sollten uns nicht so sehr im Klein-Klein verzetteln. Statt Kieselsteinchen in den Augen zu haben, sollten wir die wirklich großen Stolpersteine aus dem Weg räumen. Das wäre der richtige Weg.
({7})
Ich möchte ein Beispiel – davon gibt es Hunderte – aus der Seeschifffahrt ansprechen: Über 90 Prozent des Welthandels laufen über den Seeschiffsverkehr.
({8})
Als Vorsitzender des Arbeitskreises Küste der Unionsfraktion habe ich mir mit meinen Kollegen ein Bild gemacht und eine der größten Reedereien weltweit besucht: die Hapag-Lloyd in Hamburg – ein deutsches Flaggschiff. Die Kommandozentrale dort sieht ein bisschen so aus wie ein Weltraumbahnhof in Houston. Da hängen riesengroße animierte Bildschirme und zeigen Schiffsbewegungen weltweit an. Unwetterlagen, Meeresströmungen – all das wird dort für die Schiffe, die unterwegs sind, erfasst. Es werden Alternativrouten berechnet, um Treibstoff zu sparen.
Ein großer Containerriese ist mit 15 bis zu 24 000 Schiffscontainern unterwegs,
({9})
zum Beispiel 11 000 Seemeilen von Hamburg bis Shanghai. Es gibt dort die Möglichkeit, satellitengestützt diese Schiffe punktgenau und ohne Wartezeiten in die Terminals einlaufen zu lassen. Während einer solchen Schiffstour können Hunderte Tonnen Kraftstoff eingespart werden und damit auch das entsprechende Äquivalent an CO2. Das sind unvorstellbare Mengen. Da können Sie im Grunde ganz Deutschland mit digitalen Mülleimern ausstatten:
({10})
Sie werden nie solche Potenziale zur Ressourceneinsparung realisieren.
In beiden Anträgen steht – das ist mir aufgefallen –, Digitalisierung sei ein Stromfresser: Streaming-Dienste, die so viel Strom verbrauchen wie alle Privathaushalte von Deutschland, Polen und Italien zusammen. Auf der anderen Seite gibt es richtigerweise dank der Digitalisierung enorme Einsparpotenziale; da wird man manchen Schatz noch heben können. In den Anträgen stehen durchaus kluge Vorschläge: für mich bei den einen Antragstellern mehr als bei den anderen. Aber – und das ist jetzt ein ganz dickes Aber –: Der Strom für die Digitalisierung muss eben auch irgendwo herkommen. In Deutschland – das wurde bereits dargestellt – verbraucht die gesamte digitale Netzinfrastruktur ungefähr 55 Terawattstunden Strom. Wofür alles, das wurde von meinen Vorrednern bereits dargestellt.
Um mal die Dimension zu umreißen: Wir haben heute in Deutschland einen Stromverbrauch von 600 Terawattstunden, also an Strom, der aus der Steckdose kommt. 40 Prozent davon, ungefähr 250 Terawatt gewinnen wir schon jetzt regenerativ.
({11})
Das ist eine echte Leistung. Das hat keiner für möglich gehalten. Aber abgesehen von dieser starken Leistung müssen wir uns den Gesamtenergiebedarf in Deutschland anschauen. Das sind nicht 600 Terawattstunden, sondern wir brauchen derzeit 2 500 Terawattstunden – auch um Autos zu betanken, zu heizen und die Industrie zu versorgen. All das müssen wir zukünftig durch regenerative Energien abdecken. Das ist die zehnfache Menge an Strom, den wir derzeit regenerativ in Deutschland erzeugen. Das entspräche – ich will mich da nicht streiten – ungefähr einer halben Million Windräder, die wir in Deutschland aufstellen müssten. Wir haben derzeit 30 000 . Das ist absolut unvorstellbar. Wenn wir das täten, dann würde hier in Deutschland kaum noch ein Vogel fliegen. Den Uhu oder den Rotmilan kann ich dann vielleicht noch im Vogelpark Walsrode mit meinen Kindern anschauen; aber in freier Wildbahn werden wir sie jedenfalls nicht mehr finden.
({12})
Deshalb müssen wir im Hinblick auf die künftigen Herausforderungen neben dem Ausbau der Erneuerbaren hier entsprechenden Strom eben auch in einem sehr großen Maß importieren. Ich spreche das hier deshalb so deutlich an, weil ich in der letzten Ausschusssitzung echt schockiert war, als es darum ging, zu sagen: Jetzt müssen wir mit Afrika, Australien oder anderen Regionen der Welt Energiepartnerschaften schmieden.
({13})
Man hörte dann von der AfD: Nein, nach Afrika geben wir kein Geld.
({14})
Liebe Frau Scheer, Sie sagten: Nein, das machen wir besser alles hier in Deutschland.
Ich sage Ihnen: Sie unterstützen damit einen Energienationalismus, der uns in eine Sackgasse führen wird. Davor kann ich nur warnen. Wir brauchen in Zukunft andere Möglichkeiten. Es ist gut, dass zumindest die FDP und auch die Grünen Energieimporte zulassen wollen. Wir brauchen neben den Erneuerbaren hier im Lande – es wäre gut, wenn die Grünen das auch noch erkennen – zukünftig Anlandeterminals für Kraftstoffe der Zukunft. Dann werden uns hier die Digitalisierung und viele andere gute Dinge gut gelingen.
Vielen Dank.
({15})
Vielen Dank, Kollege Grundmann. – Die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Elvan Korkmaz-Emre, SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Tribüne! Die Antragsbox, die uns die Kollegen der Grünen heute servieren, sieht von außen betrachtet schön aus, angestrichen in einem frischen Grün. Schaut man rein, dann wird deutlich: Die Zahnräder darin drehen sich noch sehr, sehr konventionell.
({0})
Sie beweisen mit diesem Antrag leider, dass Sie die strukturelle Verbindung zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit noch nicht richtig verstanden haben.
({1})
Stattdessen kommen Sie uns mit Videokonferenzen statt Dienstreisen – das wird schon gemacht –, mit dem „Right to repair“ – das haben die Kollegen in Brüssel beim Green New Deal auf dem Schirm – und mit ganz viel „hätte, könnte, müsste“.
Sie beziehen sich auch auf den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Und da wird auch wieder einmal deutlich: Sie lesen die Dokumente des WBGU nur mit dem grünen Textmarker. Sie müssen sich das noch mal einhämmern – das gilt auch für viele andere Fraktionen hier –: Wir werden das Klima nicht retten, wenn wir unser gesellschaftliches Klima mit Füßen treten. Und das hat nur die SPD im Blick.
({2})
Der Schlüssel zur Verschmelzung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist die Frage der Verteilung der Daten. Wir müssen Datenzugänge ermöglichen. Zu viele Effizienzpotenziale gehen verloren, und der einzig logische Weg der Sektorkopplung scheitert. Verkehrsunternehmen und Energieunternehmen kommen nicht zusammen. Die Datensilos gären vor sich hin.
Gedankenspiel: Sie und ich produzieren bei fast jeder Bewegung Daten. Die sind erst mal ungenutzt und damit Abfall. Diese müssen wir recyceln. Der Staat muss selbstbewusst Regeln aufstellen und das Datenteilen organisieren, und dann haben wir die Voraussetzung geschaffen. Datenteilen, richtig umgesetzt, ist ein essenzieller Beitrag zum Klimaschutz.
Überall, aber gerade in den Kommunen, führt eine bessere Datenlage zu besserer Planung. Kopenhagen zum Beispiel macht es vor und setzt genau darauf: Mit City Data Exchange wird hier eine Plattform des Datenaustauschs zum zentralen Instrument. Und Kopenhagen plant, damit bis 2025 – das darf man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – digital und CO2-neutral zu werden. Das geht natürlich nur, wenn die Daten von privaten Unternehmen einbezogen werden.
({3})
Gleiches gilt für uns: Für unsere Städte und Kommunen müssen wir auf Bundesebene die Vorarbeit leisten. Wir brauchen ein Daten-teilen-Gesetz, das klar regelt, dass Daten im Sinne des Gemeinwohls genutzt werden. Wir wollen das Klima retten und die Gesellschaft weiterentwickeln. Der WBGU weist doch auf die Gefahren der sozialen Spaltung hin. Die Kernaussage ist, dass der Wandel nur gelingt, wenn wir ihn sozial gestalten.
({4})
Die SPD will genau das: die Digitalisierung ökologisch und sozial gestalten. Für uns ist klar: Wer sich digital überfordert oder abgehängt fühlt, braucht Unterstützung und darf nicht den Anschluss verlieren. – Wir haben die digitale Selbstbestimmtheit der Bürgerinnen und Bürger im Blick.
({5})
Dazu gehört im Übrigen auch, dass wir es den vielen klugen Köpfen da draußen auch ermöglichen, Dinge einfach mal auszuprobieren, vielleicht zu scheitern, vielleicht Erfolge zu erzielen. Das ist dann auch der Weg zu einer neuen Innovationskultur.
({6})
Wenn wir das alles machen, dann wird – da bin ich mir sicher – aus einer Meckergesellschaft eine Macher/-innengesellschaft. Vielleicht machen Sie beim nächsten Mal einfach mit, liebe Grünen.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Geehrte Gäste! Wenn Sie heute zu Hause Ihren Müll nicht trennen, dann werden Sie spätestens vom Nachbarn schief angeschaut. Wenn dies vielleicht ein Anhänger der Grünen ist, wird es vermutlich nicht beim Schiefanschauen bleiben; denn der gemeine Hausmüll‑IM lässt sich so etwas nicht bieten. Das gilt allerdings nur für Bananenschalen und Butterbrotpapier. Für nukleare Reststoffe gilt dies nicht. Diese werden seit Jahrzehnten zwischengelagert mit dem Versprechen, sie irgendwie irgendwo irgendwann in einem noch zu findenden Loch zu versenken. Dazu wird dann eine Bundesbehörde aufgebaut, die sich mit dem Thema befassen soll und vorwiegend daran arbeitet, noch recht lange eine Daseinsberechtigung zu haben, deren Halbwertszeit weit über derjenigen der einzulagernden Stoffe liegt.
({0})
Eine wirkliche Lösung scheint nicht erwünscht; denn eine undifferenzierte unterirdische Entsorgung ist der politisch einzig vorgesehene Umgang mit diesen Reststoffen. Dabei ist es gerade diese Undifferenziertheit, die große Probleme verursacht. Hoch-, mittel- und schwachradioaktive Substanzen sind innerhalb der Brennelemente durchmischt und potenzieren die Probleme. Dabei könnten diese um ein Vielfaches geringer sein, wenn die Reststoffe sortenrein aufgetrennt wären. Dies ist im Übrigen bei den normalen Reststoffsammlungen üblich und sogar gesetzlich vorgeschrieben.
({1})
Welche Probleme ließen sich nun reduzieren? Zum einen die Masse und das Volumen des sogenannten Mülls. Nur ein Bruchteil ist tatsächlich hochradioaktiv. Der Großteil besteht aus mittel- und schwachradioaktiven Substanzen. Eine Auftrennung an dieser Stelle würde bedeuten, die Stoffe nur noch anhand ihrer jeweiligen tatsächlichen Gefährdung behandeln zu müssen und nicht als zusammengewürfeltes Stoffgemisch. Dies würde auf einen Schlag die Kosten reduzieren und die Optionen für die Lagerung erweitern; denn schwachradioaktive, dafür langlebige Stoffe stellen andere Anforderungen an eine geologische Lagerung als stark wärmeentwickelnde, aber dafür relativ kurzlebige Stoffe. Durch solch eine Trennung, in Fachkreisen „Partitionierung“ genannt, könnte der gesamte vorhandene Reststoffberg in circa 20 Jahren sortenrein aufgeteilt werden.
({2})
Zur Erinnerung: Auch die Chefetage des Nationalen Begleitgremiums erwartet nicht wirklich eine Entscheidung bei der Endlagersuche innerhalb der kommenden 20 Jahre. Die Zeit wäre also vorhanden.
Wobei: Wenn man sich schon mal die Mühe gemacht hätte, die nuklearen Reststoffe sortenrein aufzutrennen, dann würde man feststellen, dass es bei manchen Stoffen unnütz, ja vielleicht geradezu eine Verschwendung wäre, diese wieder zu vergraben. Von daher schauen wir mal, was sich in den circa 15 000 Tonnen als Müll deklarierter Substanzen an Wertstoffen befindet:
Circa 96 Prozent der Masse machen die Elemente Uran und Plutonium aus. Diese haben einen geschätzten Marktwert von rund 1 Milliarde Euro, dürfen aber gemäß Atomgesetz nicht zur weiteren Verwendung ins Ausland verbracht werden. Das ist natürlich bedauerlich; denn in dem uns umgebenden Ausland wird genau der Strom aus Kernkraft erzeugt, der Deutschland am Laufen hält, wenn Ihrer Energiewende mal wieder die Puste ausgeht und Sie in schöner Regelmäßigkeit teuren Strom aus Frankreich reimportieren müssen.
({3})
Nachhaltig ist es auch nicht; denn die Energie, die einmal aufgewendet worden ist, um diese Substanzen aus der Erde zu holen und aufzubereiten, wird damit komplett verschwendet.
Ein weiteres Promille dieser Substanzen besteht aus Americium-241, und dies hat derzeit einen formalen Marktwert von – man höre und staune – circa 22 Milliarden Euro. Es wird intensiv an Americium-241 geforscht, um damit Plutonium-238 im Bereich von Radiothermalgeneratoren und Radionuklid-Heizelementen, die in der zivilen Raumfahrt benötigt werden, zu ersetzen – keine Raumfahrt ohne diese Elemente.
Apropos werthaltige Stoffe: In den Spaltprodukten aus diesem Stoffgemisch befindet sich auch circa 1 Tonne an Edelmetallen, also Platin, Palladium, Rhodium, Silber etc., die geborgen werden können.
Und was wäre denn nun tatsächlich der nicht verwertbare Abfall in diesem Stoffgemisch? Es verblieben rund 3 Prozent an Spaltprodukten, die sich nach einer Abtrennung keiner weiteren wirtschaftlich sinnvolleren Verwendung zuführen ließen. Das wäre dann die tatsächliche Menge an Müll, die wir den kommenden Generationen hinterließen. Wir verschwenden also heute Ressourcen, als stünden uns viele Planeten zur Verfügung.
({4})
Selbst diese Menge ließe sich bei Verwendung einer Transmutationsanlage, auf die ich aus zeitlichen Gründen nicht näher eingehen kann, weiter reduzieren.
Meine Damen und Herren, unser Antrag bedeutet ganz realen Umweltschutz und den Schutz kommender Generationen. Ihre Auffassung ist es, sich dieser Verantwortung mithilfe eines tiefen Loches zu entledigen, in das man diese Stoffe, die zweifelsohne gefährlich sind, geben soll, um das Problem in die Zukunft zu verlagern. Dies entspricht nicht unserem Verständnis von Verantwortung, von nachhaltigem Handeln und von Generationengerechtigkeit.
({5})
Diese Stoffe sind heute, im Hier und Jetzt, zu verwerten, zu reduzieren und in ihrem Gefährdungspotenzial so weit zu minimieren, dass die unseren Kindern aufgebürdete Verpflichtung so klein wie nur irgend möglich ist.
Vielen Dank.
({6})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Karsten Möring.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der AfD hat eine geteilte Überschrift. Der eine Teil der Überschrift heißt „Reststoffe verwerten“, der andere Teil heißt „Endlager vermeiden“.
Zu dem, was Herr Kollege Kraft hier eben vorgetragen hat, sage ich mal Folgendes: Wir können natürlich im Bundestag Gesetze ändern. Wir können das Atomgesetz ändern, wir können das Standortauswahlgesetz ändern. Ob es dafür Mehrheiten gibt? Zurzeit definitiv nicht, vielleicht in Zukunft – wer weiß? Das können wir machen. Aber was wir nicht machen können, Herr Kraft, ist, die Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen; sie entziehen sich der Beschlussfassung in diesem Haus.
({0})
Der eine oder andere mag das bedauern, aber dem ist so.
Die Frage ist ja, was eigentlich die Zielsetzung ist: Möchten Sie mit Ihrem Antrag gerne erreichen, dass wir die Kernenergie zur Energieerzeugung mit der Begründung, dass sie für die Lösung der klimapolitischen Fragen eine Rolle spielen könnte, wieder ins Spiel bringen? Oder möchten Sie uns suggerieren, dass wir mit Ihrem Antrag erreichen könnten, unser Endlager mehr oder weniger überflüssig zu machen?
({1})
Richtig ist Ihre Intention. Aber der Weg, den Sie da beschreiben, wird nicht funktionieren.
Wir haben in der Endlagerkommission zwar Regeln getroffen, die besagen: Reversibilität ist angelegt, weil wir nicht wissen, ob in Zukunft vielleicht mal andere Rahmenbedingungen bestehen, die eine andere Handhabung erlauben. – Das kann sein. Deswegen steht dieser Satz da. Entsorgungspfade könnten sich ändern. Deswegen haben wir einen langen Zeitraum für Reversibilität vorgesehen. Aber der entscheidende Punkt ist: Kann man diesen Weg so gehen, wie Sie ihn vorgeschlagen haben?
Im Übrigen nur eine Bemerkung. Sie sagen ja, wir forschten nicht. – Wir forschen im Bereich von Horizon 2020. Das sind in dieser Dekade ungefähr 13 Projekte, die sich zwar, wie Sie kritisieren, überwiegend mit Sicherheitsaspekten beschäftigen. Aber der entscheidende Punkt bei diesen Transmutationsverfahren ist der Sicherheitsaspekt; er ist eben ganz besonders wichtig. Deswegen macht es auch Sinn, dass wir uns in diesem Bereich bewegen und nicht primär nach der Realisierungsmöglichkeit fragen, sondern nach den Rahmenbedingungen, also danach, ob so was überhaupt sicher möglich ist.
So. Dann haben Sie eben vorgerechnet, wie sich unsere Abfallmenge reduzieren könnte. Sie haben allerdings dabei völlig übersehen, dass das, was Sie an Transmutationsergebnissen erzeugen, selbst wiederum in einem erheblichen Umfang endgelagert werden muss;
({2})
denn natürlich hebt sich die Radioaktivität in den Isotopen und in den Transuranen usw. nicht auf. Es verschiebt sich die Struktur der Entsorgung. Man kann darüber reden: Wie oder was? Aber das führt nicht dazu, dass wir kein Endlager brauchen.
Der erste entscheidende Punkt dabei ist ja, dass wir nach wie vor ein Endlager brauchen. Ob man dann die hochwärmeaktiven und hochradioaktiven Anteile auf 10 Prozent reduziert oder ob man sie auf 50 Prozent reduziert: Wir brauchen dieses Endlager trotzdem. Das ist der eine entscheidende Punkt.
({3})
Der zweite Punkt, den Sie völlig außer Acht lassen – das kann nun wirklich nicht im deutschen Interesse sein –, ist die Tatsache, dass alle diese Transmutationsverfahren, an denen ja schon seit Jahrzehnten geforscht wird, letztlich darauf beruhen, dass wir aus den endlagerfähigen Produkten, die wir in Deutschland haben und die nach unserem Gesetz endgelagert werden sollen, eine Wiederaufarbeitung mit dem Ergebnis machen, dass wir dabei nicht nur Energie gewinnen – zu welchen Kosten, lassen wir mal außen vor –, sondern dass wir dabei beispielsweise auch waffenfähiges Plutonium erzeugen.
({4})
Nun könnten wir sagen: Wenn wir das machen, haben wir das auch unter Kontrolle. – Es geht aber auch darum, dass wir kein Interesse haben, dass diese Art der Brütertechnologie, egal ob das jetzt Natriumkühlung oder Salzgesteinkühlung ist oder was weiß ich was für Modelle zurzeit kursieren, in anderen Ländern in größerem Umfang zum Einsatz kommt.
({5})
Die entscheidende Frage der Sicherheit der Kerntechnik ist eben nicht nur: „Sind die Betreiber, sind die Betriebsmöglichkeiten sicher?“, sondern: Was passiert mit diesen Produkten?
({6})
Die Nonproliferation ist für uns ein ganz entscheidender Faktor. Deswegen können wir auch nicht einfach hingehen und sagen: Machen wir mal!
Wir forschen in all diesen Bereichen. Wir forschen auch über Kernfusion im Rahmen der EU oder internationaler Projekte. Das geschieht sehr zum Unwillen der Grünen. All das ist sinnvoll, und das sollten wir auch machen; denn wir müssen sicher sein, beurteilen zu können, was woanders passiert. Unsere kerntechnische Kompetenz – das steht im Koalitionsvertrag – soll erhalten bleiben. Das ist wichtig, damit wir diese Situation beobachten und beurteilen können und bei der Frage der internationalen Sicherheit auch ein Wort mitreden können.
({7})
Alles das ignorieren Sie in Ihrem Antrag. Der Antrag ist, vereinfacht gesagt, ein Etikettenschwindel.
({8})
Sie suggerieren: Wir brauchen kein Endlager. Deswegen ist das toll. – Genau diese Grundlage existiert nicht. Physikalische Gesetze können Sie auch durch Beschlüsse hier nicht aufheben. Also, konzentrieren Sie sich auf andere Themen und nicht auf solche.
({9})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Judith Skudelny.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe lange nach einer guten Formulierung gesucht, wie ich die Grundhaltung der Freien Demokraten darstellen kann. Ich habe aber nichts Besseres gefunden – das konnte ich einfach nicht toppen – als das, was die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften zur Kerntechnik gesagt hat. Deren Aussage war:
Der Ausstieg aus der Kernenergie darf nicht gleichbedeutend sein mit einem „Ausstieg“ aus den kerntechnischen Kompetenzen.
({0})
Diese werden in den Bereichen Reaktorsicherheit, Strahlenschutz, Rückbau, Endlagerung, Krisenmanagement sowie zur kritischen Begleitung internationaler Entwicklungen noch weit über den deutschen Ausstieg hinaus gebraucht.
Das Wissen an sich und Forschung in diesen Bereichen weitertreiben sind einige der Grundelemente, die wir brauchen – nicht nur, um Sicherheit in Deutschland zu gewährleisten, sondern auch, um die Anlagen im Ausland bewerten zu können.
({1})
Allerdings enthält der vorliegende Antrag ein paar Gegenargumente, die nicht weiter ausgeführt werden. Eines davon ist natürlich, dass in einem Zwischenschritt Plutonium hergestellt wird.
({2})
Auch die hohen Kosten, die die acatech festgestellt hat, werden hier nicht erwähnt. Abgesehen von allen anderen Regulierungen: Wir kriegen es in Deutschland nicht hin, einen Bahnhof, einen Flughafen oder Stromtrassen zu bauen. Wie, glauben Sie, reagiert ein Investor darauf, eine kerntechnische Anlage bei uns bauen zu sollen? Abgesehen davon, dass es nicht zulässig ist: In diesen Markt wird in einer sozialen Marktwirtschaft kein Investor mehr investieren.
({3})
Deswegen ist der Antrag völlig unrealistisch. Ich finde es wichtig, dass wir das Wissen erhalten. Ich finde es wichtig, dass wir auf europäischer Ebene forschen. Wir Freie Demokraten halten am Euratom-Vertrag fest. Es gibt viele Entwicklungen, die wir im Auge behalten müssen, nicht nur für uns, sondern auch für kommende Generationen. Für uns gilt: Der Ausstieg aus der Kernenergie darf eben nicht gleichbedeutend sein mit dem Ausstieg aus dem Wissen darum. Aber Ihr Antrag ist mit Blick darauf nicht zielführend. Er macht eine Scheindebatte auf, die für Deutschland am Ende nicht gültig sein wird. Wir müssen Europa im Auge haben. Wir müssen Wissen und Forschung ideologiefrei vorantreiben, und das auf allen Ebenen, nicht nur in einzelnen Punkten.
({4})
Die Kollegin Dr. Nina Scheer hat das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem Antrag wird ja erklärt, dass man mit Partitionierung und Transmutation das Potenzial an endzulagerndem Material verringern könnte und daraus auch Energie gewinnen könnte.
({0})
Ich möchte gleich zu Anfang sagen – vielleicht habe ich bei Ihnen was überhört, Herr Kraft; Sie haben den Antrag sehr ausführlich vorgestellt –: Ich habe nichts davon gehört, dass Sie mit dem, was Sie da vorlegen, Energie aus Atomkraft erzielen wollen.
({1})
Das steht im Antrag drin, Sie haben es hier verschwiegen.
({2})
Das fand ich interessant.
Ich glaube, ehrlich gesagt, dass das das Eigentliche ist, was Sie damit verfolgen. Sie wollen uns hier wieder in eine Debatte ziehen, in der man sich dann in technischen Möglichkeiten und Verästelungen verirrt,
({3})
die Bevölkerung damit konfrontieren, dass wir uns hier mit Atomenergie beschäftigen. Es geht Ihnen ja eigentlich darum, dass Sie uns glauben machen wollen, dass das alles so schön einfach und technisch lukrativ und sinnvoll sei, wieder neu in die Atomenergie einzusteigen.
({4})
Das ist einfach Schwachsinn. Das ist irrwitzig. Es ist auch technisch und risikoorientiert nicht sinnvoll, diesen Weg zu gehen.
Ich möchte in der Tat, weil es der Antrag leider erforderlich macht, darauf im Einzelnen noch ein bisschen eingehen. Es ist schon einiges dazu gesagt worden; Herr Möring hat schon die wichtigsten Details genannt.
({5})
Das Hochrisikopotenzial, das darin liegt, ist etwa die Verbreitung durch Massenvernichtungswaffen. In der Tat ist dieses Risiko immanent und damit natürlich verbunden. Wenn man Material auseinanderdividiert, wie das in diesem Prozess erforderlich ist, dann muss man es transportieren, muss es lagern; man muss es sogar für eine ganze Zeit zwischenlagern. Sie haben nur von ein paar Jährchen gesprochen. In der Tat müssen die hochaktiven wärmeentwickelnden Abfälle erst einmal eine ganze Weile abklingen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Dr. Kraft?
Nein, ich finde, Herr Kraft hat schon ordentlich ausgeführt, was er zum Besten zu geben hatte. Insofern glaube ich nicht, dass eine Zwischenfrage einen Mehrwert gibt.
({0})
- „Ordentlich“ in seinem Sinne.
({1})
Ordentlich war in der Tat etwas zynisch pointiert und gehört hier nicht hin. Aber so will ich es auf jeden Fall verstanden wissen.
({2})
Die Wärmeentwicklung hat zur Folge, dass man es eine ganze Weile liegen lassen muss. Nach meinem Kenntnisstand stehen bis zu 300 Jahre in Rede. Für die vielen Transmutationsprozesse, die erforderlich wären, um überhaupt in Richtung Energiegewinnung zu gehen, wäre dann noch einmal ein solcher Zeitraum anzusetzen.
Damit verbunden müssten eine ganze Reihe Reaktoren und entsprechende technische Vorrichtungen zum einen für den Transport – das wurde schon erwähnt –, aber eben auch für den gesamten Prozess geschaffen werden. Das bedeutet wiederum, dass man massive Investitionen tätigen müsste.
Insofern stellt sich die Frage: Wenn wir jetzt schon in der Lage sind, die erneuerbaren Energien – unter Berücksichtigung aller Kosten – günstiger, und zwar um ein Vielfaches günstiger, als Atomenergie herzustellen,
({3})
warum sollen wir dann jetzt noch einmal Milliarden in Forschung und Entwicklung stecken, weitere Risiken und neue Endlagerprodukte schaffen?
({4})
Damit würde doch ein völlig falscher Weg beschritten.
({5})
Um welche Kosten es sich genau handeln würde, dazu kann man heute noch keine seriöse Aussage treffen. Aber allein die Tatsache, dass der Zeitraum, in dem geforscht werden müsste, länger als 100 Jahren wäre, zeigt doch schon, dass es milliardenschwere Kosten sein müssen. Und innerhalb der Hälfte, wenn nicht sogar in einem Drittel dieser Zeit werden wir doch – wir haben uns das ja schon zum Ziel gesetzt – komplett auf erneuerbare Energien umgestellt haben. Das zeigt die ganze Absurdität dieses Antrags.
({6})
Ein weiterer Punkt ist – auch das haben Sie verschwiegen –, dass der Atommüll bei uns in Deutschland zu großen Teilen verglast wird. Der gesamte verglaste Anteil kommt für diesen technischen Vorgang überhaupt nicht in Betracht.
({7})
Auch der Atommüll, der aus Forschungseinrichtungen stammt, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Es bleibt also nur ein kleiner Teil. Alles andere muss ins Endlager. Die Einrichtung eines Endlagers bleibt uns somit nicht erspart.
Ein weiterer Punkt – die Zeit rennt mir weg –:
({8})
– Meine Güte, Ihre Zwischenrufe machen es auch nicht besser.
({9})
Gut. – Abschließend: Zum Titel Ihres Antrags „Atommüll-Endlager vermeiden – Hochradioaktive Reststoffe verwerten“ möchte ich sagen: Dieser Titel ist einfach eine einzige Lüge.
({10})
Ich habe es schon dargelegt: Es werden keine Endlager vermieden. Es geht auch nicht um eine sinnvolle Verwertung. Das alles ist hochrisikobehaftet und wirtschaftlich völlig absurd.
Sie machen Ihrem Ruf, den Sie sich in den letzten Jahren stetig erworben haben, alle Ehre – das ist wiederum zynisch gemeint –, wenn Sie der Bevölkerung mit solchen Anträgen eine Technologie anpreisen und unterjubeln wollen, die ausschließlich Schäden produziert und keinerlei Benefit für das Gemeinwohl bietet. Das ist Ihre Handschrift. Das ist eine destruktive Politik; das ist die Politik der AfD.
Vielen Dank.
({11})
Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Dr. Kraft das Wort.
Vielen Dank für das Wort. – Ich würde gerne ganz kurz auf zwei Dinge eingehen. Erstens. Die Menge der verglasten Abfälle liegt bei etwas über 10 Prozent.
({0})
Es ist also nicht so, wie Sie es gesagt haben, dass diese Menge groß ist.
Zum Zweiten möchte ich auf das Thema der Nichtverbreitung, der Proliferation, eingehen, weil das sehr wichtig ist. Sie sagten ja, dass es sehr gefährlich ist, wenn wir diese Stoffe herausholen, weil sie kernwaffentauglich sind. Die angesprochene Methode der Partitionierung ist eine chemische Methode. Das heißt, die Elemente werden nach chemischer Reinheit und nicht nach Isotopenreinheit sortiert. Das gewonnene Plutonium wäre also eine Mischung sämtlicher Plutoniumisotope. Das in diesen Reststoffen vorhandene Plutonium hat sich zu einem hohen Anteil aufgrund der langen Zeit, die es in Reaktoren und in Castoren verbracht hat, zu Plutonium‑240 umgewandelt, was es für kernwaffentechnische Anwendungen unbrauchbar macht.
Ich würde Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Technologie, die in diesem Antrag beschrieben ist, in keiner Weise dazu führt, dass Materialien partitioniert und freigesetzt werden, die kernwaffentauglich sind.
({1})
Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung.
Das, was Sie darlegen, ist falsch.
({0})
Die Transmutation zielt tatsächlich darauf ab, dass Plutonium entsteht. Es wird auch nicht besser, wenn Sie jetzt meinen, hier als Physiker statt als Politiker auftreten zu müssen.
({1})
Es bleibt dabei, dass das, was Sie uns hier weismachen wollen, eine Verschlimmerung der Risikosituation im Umgang mit atomarem Material bedeutet. Genau deswegen ist es abzulehnen.
({2})
Das Wort hat der Kollege Hubert Zdebel für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Ich finde es erschreckend, dass die Atomenergie derzeit wieder als wahres Wundermittel beschworen wird. Tschernobyl, Fukushima, viele kleinere und größere Atomkatastrophen und das unglaubliche Bedrohungspotenzial von Atomwaffen – ist das alles eigentlich schon vergessen? Wenn ich diese Debatte oder das, was den Medien zu entnehmen ist, verfolge, stelle ich fest, dass in Deutschland über die Wiederkehr der Atomenergie nachgedacht wird. Wir sind ausgestiegen; das Ende ist absehbar – und das ist gut so. Diese Diskussionen sollten wir nicht erneut anfangen.
({0})
Die Fakten sind klar: Atomstrom war, ist und bleibt unwirtschaftlich und teuer.
({1})
Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem letzten Jahr schreiben alle Atomkraftwerke, die seit 1951 gebaut worden sind, Verluste von durchschnittlich 2 bis 9 Milliarden Euro. Das geht im Kern nur deswegen, weil von der öffentlichen Hand immer wieder Milliardenbeträge in diesen Bereich hineingepumpt werden. Ansonsten wäre das längst weltweit erledigt.
({2})
Darüber hinaus: Atomkraft ist mitnichten sauber, sondern aufgrund radioaktiver Strahlung über einen Zeitraum von 1 Million Jahre extrem gefährlich für Mensch und Natur. Auch das muss immer wieder deutlich gemacht werden.
({3})
Atomenergie ist also keine Lösung – für gar nichts.
Wo Fakten ignoriert werden, ist natürlich die AfD nicht weit. Dumm ist nur: Sie kann nicht einfach in den Chor Ewiggestriger und der Atomlobby einsteigen,
({4})
da die Atomenergie zum x-ten Mal als Wundermittel gegen die Klimakatastrophe ins Spiel gebracht wird. Für die faktenfreie AfD gibt es ja keine menschengemachte Klimakatastrophe.
({5})
Deswegen propagiert die AfD in ihrem Antrag den Wiedereinstieg in die Atomenergie durch die Hintertür, verbunden mit einem Heilsversprechen. Neue Atomanlagen sollen in irgendeiner Zukunft Atommüllberge verschwinden lassen können, um nicht zu sagen: wegzaubern können.
({6})
Auch hier gilt: Es gibt diese Techniken noch gar nicht, und ob sie jemals funktionieren können, ist vollkommen unklar.
Die Umsetzung dessen, was die AfD hier anstrebt, ist vor allem aber der Einstieg und Aufbau einer erweiterten Plutoniumwirtschaft. Es geht um neue Atomanlagen, in denen atomwaffenfähiges Material hergestellt wird; denn nichts anderes folgt daraus, wenn man den Atommüll partitionieren und transmutieren will. Wir kennen das auch als sogenannte Wiederaufarbeitung, und die ist aus sehr guten Gründen in Deutschland seit 2005 verboten.
({7})
Dabei muss es auch bleiben.
Diese Techniken bergen das enorme Risiko des militärischen Missbrauchs und verursachen unkalkulierbare Risiken für kommende Generationen. Gegen einen solchen atomaren Wahnsinn werden wir uns als Linke auch weiterhin wenden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Menschengemachte Klimaveränderung gibt es nicht, sagt die AfD. Artensterben – gibt es nicht. Gesundheitsgefährdende Luftschadstoffe – gibt es nicht. Atommüll – zaubern wir weg. Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt.
({0})
Nur, ganz ehrlich: Für Pippi Langstrumpf fehlt Ihnen der Charme.
({1})
Sie sind hier auch nicht in einem Kinderbuch. Sie sind hier in der Herzkammer der deutschen Gesetzgebung, wo es um das Wohl und die Zukunft von Menschen geht. Es fehlt Ihnen nicht nur der Charme, sondern auch die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung.
({2})
Sie schreiben in Ihrem Antrag von einer Technologie, die maximal in der Phase der Erforschung ohne größere Hoffnung auf Anwendungsfähigkeit steckt und von der der Präsident des Deutschen Atomforums sagt, er wisse auch, dass sie nie zum Einsatz kommen werde, aber man brauche spannende Forschungsprojekte für die Studenten.
Sie reden davon, als wäre PuT nahe der Realität und würde überall auf der Welt als gleichberechtigte Alternative zur Endlagerung gesehen. Wie üblich verkennen Sie die Realität. Nein, Deutschland ist nicht die Insel, auf der sich aus reiner Lust mit der Problematik der Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll befasst wird, sich Wissenschaftler den Kopf zerbrechen, wie Sicherheit für 1 Million Jahre hergestellt werden kann. Sie von der AfD sind die Insel. Sie sind die Insel der Verweigerung, sich sachgerecht mit den Problemen auseinanderzusetzen, die wir haben. Sie einer Lösung zuzuführen, ist Aufgabe ernstzunehmender Parlamentarier.
({3})
Außer Fake News, dem Leugnen von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Märchenstunden tragen Sie nichts bei.
({4})
Ich will Ihnen einmal ein paar Fakten zur Transmutation geben. PuT ist keineswegs gleichermaßen geeignet und wirksam wie die Endlagerung. Das beginnt schon bei dem verglasten hochradioaktiven Atommüll, für den es seriöserweise keine andere Bestimmung mehr gibt als die Endlagerung. Jede Art von PuT produziert neue Risiken, auch wenn Sie hier manchmal den Eindruck erwecken wollen, ein Windrad sei gefährlicher als ein Atomreaktor. PuT heißt: faktische neue Hochrisikoanlagen.
({5})
PuT geht nicht ohne Wiedereinstieg in die Atomkraft.
({6})
Sie wollen das. Das weiß ich. Sie wollen alles, was Unsinn ist, aber die ganz große Mehrheit in diesem Land will das nicht.
({7})
Kommen wir zur technischen Umsetzung. Da bei jedem Transmutationsvorgang Überreste bleiben, muss der gleiche Müll immer wieder in die Anlage. Mit jeder Wiederaufarbeitung wird es schwieriger, die Materialien zu trennen. Sie brauchen Schnelle Brüter für die Methode. Die haben immer eigene Sicherheitsprobleme, weshalb sie trotz mehr als fünf Jahrzehnte langer Entwicklung immer noch weltweit unbeliebt sind. Was soll an dem Versprechen inhärenter Sicherheit eigentlich neu sein? Die hatte ja schon der Kugelhaufenreaktor von Jülich bis zu seinem Unfall.
Wissen Sie, Ihre angeblich weltweit anerkannte und verfolgte Strategie ist in Wirklichkeit die Fantasie eines Grüppchens atomfanatischer Forscher,
({8})
so realitätsfern und gefahrenverharmlosend, dass sie keine Investoren finden.
({9})
Frau Kollegin Kotting-Uhl, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich bin in der Schlusskurve, liebe Frau Präsidentin. – Dem kommen Sie auch nicht näher, wenn Sie diese Leute teilweise zu Ihren Mitarbeitern machen und sich von ihnen Ihre Anträge schreiben lassen.
({0})
Sie sollten einige Dinge akzeptieren.
Frau Kollegin.
Die menschengemachte Klimakrise existiert, hochgefährlicher Atommüll lässt sich nicht wegzaubern, und die Erde ist keine Scheibe.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Andreas Steier für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Schluss der Debatte mal etwas mehr Sachlichkeit.
({0})
Für einen Ingenieur ist es immer entscheidend, welche Mittel er einsetzt und welchen Nutzen er erlangt. Wenn man sich die Überschrift des Antrages „Atommüll-Endlager vermeiden – Hochradioaktive Reststoffe verwerten“ anschaut, dann suggerieren Sie, dass Partitionierung und Transmutation für eine entsprechende Lösung sorgen würden und dass wir dann kein komplettes Endlager mehr brauchen. Das ist aber nicht so.
Schauen wir uns einmal die Mengen an, über die wir sprechen. Bei dem Verfahren der Partitionierung und Transmutation sprechen wir über 10 Prozent der atomaren Abfälle, die wir weiterbehandeln können. Wir sprechen bei uns also nur über circa 170 Tonnen; diese Menge wird aufgrund des Atomausstiegs auch nicht größer. Auf diese Menge müssen wir uns bei den ganzen Überlegungen konzentrieren.
Wenn man noch berücksichtigt, dass circa 30 Prozent der ausgedienten Brennstäbe schon eingeglast sind, die für diese Methode nicht mehr zu verwenden sind, dann haben wir nur noch 6 oder 7 Prozent, über die wir vielleicht reden können. Dann ist die Frage gestattet: Lohnt sich die Investition in dieses Verfahren, oder ist es nicht besser, wenn wir mit dem begonnenen Verfahren weitermachen?
Die zweite Frage, die angesprochen wurde, lautet: Wie ist zurzeit der Stand der Technik bei diesem Verfahren? Wir konnten Mitte der 90er-Jahre in Forschungslaboren mittels Beschuss mit einem hochenergetischen Strahl – entsprechende Restmaterialien wurden mit Neutronen beschossen – erreichen, dass eine Umwandlung in andere Stoffe erfolgte und dass so die Halbwertszeit dieser Überbleibsel reduziert wurde. Das war seinerzeit ein Verfahren, das im CERN in der Schweiz erprobt wurde. Bis heute haben wir aber noch kein serielles Verfahren, um wirklich große Mengen im Rahmen von Transmutationsverfahren weiterzuverarbeiten.
Sie schreiben weiter, dass die Halbwertszeit von 100 000 Jahren reduziert werden könnte auf nur wenige Hundert Jahre. Ich bin Techniker genug, um sagen zu können: Wenn man große Mengen hat, dann kann man mit diesen immer nur in statistischen Größen rechnen. Das heißt, es werden immer noch Materialien übrig bleiben, die mit einer Halbwertszeit von 100 000 Jahren weiter strahlen können.
Welche Mittel müssen wir einsetzen, um das Verfahren im Forschungslabor in eine serielle Umsetzung zu führen? Zurzeit gibt es in einem Labor in Belgien Überlegungen, einen entsprechenden Reaktor zu bauen, der circa 1,6 Milliarden Euro kosten soll. Mit dem Bau soll ab 2024 begonnen werden. Dort soll erprobt werden, ob dieses Verfahren dafür ausreicht, um alle Bestandteile zu reduzieren. Hier investieren die Belgier und die Europäische Union. Auch Deutschland ist an der Forschung beteiligt. Es ist gut, dass wir da beteiligt sind, aber wir sollten überlegen, ob die Mittel in der Summe zur Verfügung gestellt werden oder ob wir diese Mittel nicht für andere Dinge verwenden sollten.
Deshalb kommt die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, acatech, in ihrem Gutachten – Frau Skudelny hat es ausgeführt – zu der Erkenntnis, dass wir uns weiter an der europäischen Forschung beteiligen, aber nicht in die Investition des Projektes MYRRHA komplett einsteigen sollten. Das ist richtig, und hier sind wir gut unterwegs. Wir haben auch von der Bundesregierung entsprechende Unterstützung.
Zum Schluss will ich sagen: Wir sind in der Forschung gut unterwegs. Wir können, wenn sich die politische Lage und wenn sich die Erkenntnisse eventuell ändern, auch peu à peu, so wie ein Ingenieur vorgeht, immer noch einmal nachsteuern. Der Erkenntnisgewinn ist bei uns vorhanden. Mit dem KIT in Karlsruhe haben wir eine Forschungseinrichtung, die renommiert ist, die auch hinsichtlich der thermohydraulischen Komponenten in der Forschung, in der Materialforschung, in der Kühlungschemie Erkenntnisse liefert. Sie kann auch im Bereich von Design, Performance und Entwicklung entsprechende Beiträge zu europäischen Projekten leisten. Das ist ein guter Rahmen, in dem wir weitere Erkenntnisse gewinnen können.
Lassen Sie mich zusammenfassen. So wie es in der Wissenschaft manchmal ist, kann man Erkenntnisse auch in anderen Bereichen generieren. Ich nenne ein Beispiel. Ein Flüssigmetalllabor existiert bereits in Karlsruhe. Diese Erkenntnisse können wir natürlich auch für Hochtemperaturspeicher oder solarthermische Kraftwerke nutzen.
Herr Kollege.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir halten Maß und Mitte. Von daher kann ich dem Antrag leider nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und vor allem liebe Vertreterinnen und Vertreter des akademischen Mittelbaus hier auf der Besuchertribüne! Sehr schön, dass ihr hier seid! Ich freue mich.
({0})
Die Lage der Beschäftigten im akademischen Mittelbau an den Hochschulen ist prekär. Das weiß, wer mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spricht. Das sieht, wer sich die Stellenpläne der Hochschulen ansieht, und das belegen auch die jährlichen Zahlen des Statistischen Bundesamtes, so wieder die jüngsten Zahlen vom November letzten Jahres. 90 Prozent des künstlerischen und wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen sind nur befristet angestellt. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich einsam – und wie ich finde: sehr peinlich – an der Spitze. Das müssen wir endlich ändern.
({1})
Kritik an dieser Situation üben schon lange nicht mehr nur die in der Wissenschaft Tätigen selber. Schon viele Jahre machen die Gewerkschaften GEW und Verdi oder das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft auf die wirklich dramatische Situation aufmerksam. Kritik kommt mittlerweile aber auch vom Wissenschaftsrat, von der Hochschulrektorenkonferenz oder vom Deutschen Hochschulverband. Jetzt, wo mit den Bundesländern verhandelt wird, zu welchen Vereinbarungen sie sich im Rahmen des Zukunftsvertrages „Forschung und Lehre“ verpflichten, wäre genau der richtige Moment, dass der Bund seine Vorgaben klarstellt und deutlich macht, dass es ihm um gute Arbeit und um unbefristete Arbeitsplätze in der Wissenschaft geht. Deswegen hat Die Linke heute diesen Antrag eingebracht.
({2})
Die ständige Fluktuation und allgemeine Unsicherheit der Beschäftigten stärken übrigens auch nicht die Exzellenz in der Forschung, falls das hier irgendjemand meint.
({3})
Nein, sie stärken die Macht der verbeamteten Professorinnen und Professoren und der unbefristet angestellten Kanzlerinnen und Kanzler. Befristungen machen in der Wissenschaft genau dasselbe, was sie auch in allen anderen Branchen machen: Sie dienen dazu, Löhne zu drücken und den Beschäftigten Möglichkeiten zur Mitsprache und auch zur Widerrede zu nehmen. Dass sich diese Praxis auf ein Bundesgesetz berufen kann, ist echt eine Schande. Das müssen wir endlich verbessern.
({4})
Nach dem Willen der letzten Großen Koalition soll das Wissenschaftszeitvertragsgesetz jetzt und im kommenden Jahr evaluiert werden. Die Ergebnisse sind dann für 2022 zu erwarten, und Nachbesserungen am Gesetz dann Jahre später. Kolleginnen und Kollegen, so lange dürfen wir doch die Beschäftigten nicht warten lassen.
({5})
Wir wissen doch schon heute – auch ohne diese Evaluation –, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz missbraucht wird. Und wir wissen auch ohne diese Evaluation, wie man diesem Missbrauch einen Riegel vorschieben kann. Es braucht Nachbesserungen am Gesetz.
({6})
Solange alles und jedes als qualifizierend eingestuft werden kann, wird mit diesem Gesetz weiter Schindluder getrieben. Deshalb muss der Begriff der Qualifizierung im Gesetz endlich rechtssicher und eindeutig bestimmt werden.
Die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften müssen Verhandlungen führen können. Diese Selbstverständlichkeit muss auch in der Wissenschaft wieder gelten. Deswegen muss die Tarifsperre fallen.
({7})
Und wir brauchen, Kolleginnen und Kollegen, Mindestvertragslaufzeiten, damit die Betroffenen ein Mindestmaß an Sicherheit und an Planbarkeit erhalten. Ganz ehrlich, niemand hier im Raum würde selber gerne einen Arbeitsvertrag mit einer Laufzeit von nur sechs Monaten oder von nur einem Jahr unterzeichnen. So viel Anerkennung und Respekt schulden wir doch den in der Wissenschaft Tätigen.
({8})
Sie leisten dauerhaft wichtige Arbeit für die Gesellschaft und ganz nebenbei für 2,9 Millionen Studierende. Hören Sie also auf mit Verzögerung und Kleinreden der Probleme, und stimmen Sie unserem Antrag zu.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Ronja Kemmer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie alle einmal nach unten schauen, dann werden Sie hoffentlich feststellen, dass Sie auf einem Stuhl sitzen. Es ist doch auch intuitiv, dass hier im Hohen Hause jeweils immer nur eine Person einen Platz belegt. Ich denke, Sie stimmen mir auch zu, dass es sogar für alle Beteiligten das Beste ist, wenn der eigene Sessel nicht gleichzeitig von zwei Personen besetzt ist.
Wenn also ein Student oder eine Studentin eine Stelle für eine Promotion oder als Postdoc erhält, dann ist diese Stelle nun einmal besetzt. Bei uns im Bundestag sind es Wahlen, die dazu führen, dass Plätze von neuen Kollegen besetzt werden. An der Universität passiert dies im Zusammenhang mit einem erfolgreichen Qualifikationserwerb und eben auch mit der Befristung gerade für diesen Qualifikationserwerb. Wenn jetzt aber, wie Die Linke fordert, Verträge nach erfolgreicher Qualifikation unbefristet sein sollen, dann bleiben die Stellen über Jahrzehnte belegt und weniger Studenten können nach ihrem Masterabschluss überhaupt eine Promotionsstelle antreten.
({0})
Wir als Union stehen deswegen für einen ausgewogenen Kompromiss zwischen Generationengerechtigkeit durch Fluktuation und Wettbewerb auf der einen Seite und verlässlichen Perspektiven für junge Nachwuchswissenschaftler auf der anderen Seite.
({1})
Wenn also Befristungen leistungsbezogen reduziert werden sollen, dann ist es der richtige Weg, die Tenure-Track-Laufbahnen weiter zu stärken. Schon vor knapp drei Jahren haben wir genau deshalb gemeinsam mit den Ländern das Tenure-Track-Programm gerade für den wissenschaftlichen Nachwuchs aufgelegt. Der Bund fördert damit 1 000 zusätzliche Stellen an 75 Hochschulen insgesamt mit über 1 Milliarde Euro. Damit können junge Wissenschaftler zunächst eine Professur auf Probe erhalten. Dann, wenn sie sich bewährt haben, erhalten sie auch eine dauerhafte Professur. Dabei wird neben der akademischen Leistung gerade darauf geachtet, dass nicht nur die Eigengewächse der jeweiligen Universität, sondern vor allem auch die geeignetsten Nachwuchswissenschaftler zum Zuge kommen.
Ein vielseitiger Evaluationsprozess ist im Verfahren gesichert, gerade mit Blick auf die Eignung der Bewerberinnen und Bewerber. Die Universitäten mussten hier zusätzlich ein schlüssiges Konzept für die Entwicklung des gesamten wissenschaftlichen Personals auf allen Ebenen vorlegen. Die Länder ihrerseits haben sich verpflichtet, 1 000 geförderte Tenure-Track-Professuren langfristig zu erhalten und gleichzeitig die Zahl der unbefristeten Professuren auch um die Zahl von 1 000 zu erhöhen. Die Förderung macht das Berufungssystem dynamischer, es macht es attraktiver und stärkt uns als Innovationsstandort insgesamt. Ich finde, darauf können wir auch einmal stolz sein.
({2})
Neben der Anzahl und der Qualität sind uns als Union aber auch noch andere Aspekte wichtig. Ich nenne als Beispiel das Professorinnenprogramm, das wir vor vielen Jahren aufgesetzt haben, um den Anteil der Professorinnen zu erhöhen. Seit vielen Jahren konnten wir bis heute 570 neue Professorinnen berufen. Wir werden damit weitere unbefristete Stellen mit exzellenten Wissenschaftlerinnen besetzen. Es ist schön, dass dieses Programm auf große Resonanz stößt und dass wir damit den Beitrag zur Gleichstellung von Frauen im Wissenschaftssystem leisten. Die aktuelle Programmphase geht bis 2022 und setzt schwerpunktmäßig darauf, junge Nachwuchswissenschaftlerinnen auf dem Weg zur Professur zu fördern.
Abschließend will ich sagen: Mit der Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz 2016 haben wir geregelt, dass Befristungen ohne Sachgrund nur im Rahmen der Qualifizierung erfolgen dürfen, und wir haben eine Evaluation beschlossen. Diese läuft seit dem 1. Januar dieses Jahres. Sie wird insgesamt zwei Jahre in Anspruch nehmen. Ja, das ist eine lange Zeit. Aber es ist auch ein komplexes Umfeld. Für die flächendeckende Befragung von Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen wird diese Zeit auch gebraucht werden; denn wir wollen am Ende doch wirklich repräsentative und aussagekräftige Daten haben. Oder wissen heute etwa schon alle hier, ob eine kurze Vertragslaufzeit nicht einfach auch für eine Phase zwischen zwei Drittmittelprojekten zur Überbrückung dient, ob nicht gerade in einem solchen Fall Arbeitslosigkeit für kurze Zeit verhindert wird, dass also eine kurze Vertragslaufzeit nicht per se ein Signal für schlechte Rahmenbedingungen ist?
Deswegen haben wir wenig Verständnis für den Aktionismus der Linksfraktion. Welche Mängel in welchem Umfang und mit welchem Aufwand gegebenenfalls zu beseitigen sind, müssen wir noch prüfen. Die Kollegen der FDP wollen das regelmäßig alle vier Jahre tun. Wir sagen ganz klar: Wir wollen überhaupt erst einmal evaluieren, bevor wir das Gesetz wieder ändern. Zunächst gewissenhafte Evaluierung und dann entsprechende Schlüsse daraus ziehen, dafür stehen wir als Unionsfraktion.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz Frömming für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor uns liegt ein Lobbyantrag der Linken. Ich glaube, man kann ihn so nennen. Frau Gohlke, Sie haben ja selbst gesagt, welche Organisationen Ihren Vorstoß unterstützen.
({0})
Es ist ja auch in Ordnung, dass Sie sich für Ihre Klientel einsetzen. Ich frage mich allerdings bei solchen Anträgen zum Thema Bildung, insbesondere wenn sie aus dem linken Spektrum des Hauses kommen – für Bildung sind nun einmal hauptsächlich die Länder zuständig –: Wer trägt denn eigentlich in den Ländern seit Jahren Verantwortung?
({1})
Die Linke trägt ja schon seit Jahren Verantwortung; in einigen Ländern trug sie sie. In Thüringen hatten Sie die Chance, etwas zu ändern,
({2})
in Brandenburg und in Berlin. Ist es so, dass diese Länder nun als Mekka für Wissenschaftler gelten? Fliehen aus Sachsen oder Bayern die angehenden Wissenschaftler und Professoren in die Länder, in denen Sie Verantwortung getragen haben?
({3})
Davon ist mir nichts bekannt.
({4})
Liebe Frau Gohlke, es ist ja auch nicht so, dass es verboten wäre, fest anzustellen. Das kann man heute schon machen, und das Geld ist natürlich auch da. Es werden nur andere Prioritäten gesetzt, auch von Ihren Kollegen in den Ländern. Dann kommt immer das gleiche Spiel: In den Ländern verweisen Sie auf den Bund und im Bund auf die Länder.
({5})
Es werden schöne Verträge geschlossen – das haben wir beim DigitalPakt gesehen –, durch die die Verantwortung vollkommen verwischt wird, sodass der Bürger am Ende gar nicht mehr weiß, wer für die Misere im Bildungsbereich zuständig ist.
({6})
Meine Damen und Herren, bei den Linken schwebt im Hintergrund immer Karl Marx.
({7})
Lassen Sie mich deshalb etwas grundsätzlich feststellen, was in dieser Debatte, glaube ich, nicht ganz unwichtig ist: Erstens. Unsere Universitäten sind keine Fabriken. Zweitens. Studenten sind auch keine Arbeiter. Drittens. Bildung ist keine Ware. Wir lehnen die Ökonomisierung im Bildungsbereich ab.
({8})
Meine Damen und Herren, die Kanzler der Universitäten haben sich in der sogenannten Bayreuther Erklärung zur Befristung geäußert.
({9})
Ich weiß, diese Erklärung war sehr umstritten. Sie enthält aber doch einen wahren Kern. Es geht vor allen Dingen darum – die Kollegin von der CDU hat darauf hingewiesen –, dass junge Leute sich qualifizieren können, dass sie Chancen nutzen können. Was passiert denn nun, wenn Sie massenhaft befristete Stellen in dauerhafte Stellen umwandeln? Dann sind diese Plätze erst mal besetzt, und dann haben andere junge Menschen, die neu an die Universitäten kommen, gar keine Chance, zu zeigen, dass sie es vielleicht sogar besser können.
Recht haben Sie in einem Punkt: Gerade im Mittelbau – da sind wir bei Ihnen – muss einiges geschehen. Wir hatten früher die sogenannten Akademischen Räte und Oberräte. In Baden-Württemberg gab es noch bis in die 70er-Jahre die sogenannten Gymnasialprofessoren. Lehrer sind an die Unis gegangen und haben dort eine solide Arbeit geleistet, insbesondere in der Nachwuchsausbildung. Hier sind wir ganz bei Ihnen. Hier müssen tatsächlich feste Stellen geschaffen werden.
Misswuchs könnten wir im Bereich der Orchideenfächer eindämmen. Da haben wir teilweise jetzt Lehrstühle, die wir in dieser Masse und Form gar nicht brauchen.
({10})
Wir möchten Ihnen vorschlagen: Stampfen Sie einige Lehrstühle, zum Beispiel im Bereich der Genderwissenschaften, einfach ein.
({11})
Schaffen Sie solide Stellen im Mittelbau. Dann wären Kapazitäten frei. Das können Sie jetzt schon machen.
Meine Damen und Herren, abschließend noch ein Wort zum Vorschlag der FDP, mehr und zeitnaher zu evaluieren. Das finden wir gut, das tragen wir mit.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat Dr. Wiebke Esdar für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden über Befristungen in der Wissenschaft. Dafür will ich mich bei der Linken, die diesen Antrag eingebracht hat, bedanken.
({0})
Ich kann Ihnen ehrlich sagen, dass ich es gut finde, dass wir heute darüber reden und dass ich dem ersten Satz Ihres Antrags, dass das Ausmaß der Befristungen so hoch ist, dass Handlungsbedarf besteht, absolut zustimme.
({1})
Nachdem ich mich mit dem Antrag näher auseinandergesetzt habe, musste ich aber zu dem Schluss kommen, dass er erstens zu kurz greift, zweitens zu früh kommt und drittens, sollten wir ihn so beschließen, zu nicht intendierten Effekten führen würde.
({2})
Er greift zu kurz, weil mit den Forderungen allein das Wissenschaftszeitvertragsgesetz adressiert wird, obwohl wir diese Punkte nicht über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz regeln können, regeln sollten. Wir müssen zunächst schauen, wo unbefristete Stellen geschaffen werden können, und wir müssen die Grundfinanzierung der Hochschulen verbessern. Das ist originäre Aufgabe der Länder. Wir als Große Koalition haben Schritte unternommen und das Grundgesetz geändert, um als Bund endlich auch in die Grundfinanzierung der Hochschulen einsteigen zu können. Sie wissen, dass wir den Zukunftsvertrag verabschiedet und damit die bisher befristeten Mittel des Hochschulpaktes auf Dauer beschlossen haben. Das ist verbunden mit der Schaffung unbefristeter Stellen, eben von „Dauerstellen für Daueraufgaben“, wie Sie es in der Überschrift Ihres Antrags nennen. Sie greifen mit Ihrer Forderung meiner Ansicht nach zu kurz, weil Sie sie nur im Kontext des Wissenschaftszeitvertrages adressieren.
Wir müssen meines Erachtens noch viel mehr machen. Ich würde mir wünschen, dass wir als Politik – hier kann der Bund etwas machen – einen genauen und kritischen Blick auf die Vertragslaufzeiten bei Drittmittelprojekten werfen. Drittmittelprojekte, die auch durch das BMBF oder die DFG gefördert werden, sind zu oft noch auf Laufzeiten von weniger als drei Jahren angelegt, beispielsweise auf nur zwei Jahre. Wer promovieren will, schafft das in der Zeit nicht. Daher würde ich mir wünschen, dass wir uns die Laufzeiten von Drittmittelprojekten noch einmal anschauen.
Es gibt einen ganz entscheidenden Punkt, zu dem es einen total klugen Vorschlag gibt: Wir müssen uns die Organisationsstruktur und das Hochschulsystem angucken. Es gibt den Vorschlag der Jungen Akademie, stärker zu einer Departmentstruktur zu kommen. Ich finde, das ist ein total kluger Vorschlag. Vorgeschlagen wird, dass es nicht länger diese starke Trennung gibt, die aktuell dafür sorgt, dass der Lehrstuhlinhaber bzw. die Lehrstuhlinhaberin als Professor bzw. Professorin den wissenschaftlichen Mittelbau und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Verhandlungsmasse in Berufungsverhandlungen und als Teil der Ausstattung versteht. Es zeigt sich aber – darüber müssen wir diskutieren –, dass es unheimlich schwierig ist, von dem bestehenden System, in dem die Attraktivität der Professur auch davon abhängt, wie viel Ausstattung dabei ist, zu einem stärker teamorientierten System zu kommen, in dem auf Augenhöhe agiert wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es wesentlich wichtiger und bedeutsamer, über diesen Punkt zu reden als über Ihren Antrag, der im Übrigen zu früh kommt. Wir sollten nicht jetzt, während die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes läuft, schon sagen, was wir ändern müssen. Wir sagen an dieser Stelle nicht wie Sie, Frau Gohlke: Wir wissen schon alles und können das jetzt schon machen. – Wir haben das Gesetz 2016 novelliert. Wir haben maßgebliche Änderungen vorgenommen, beispielsweise haben wir festgelegt, dass das Qualifikationsziel die Frist für die Laufzeit des Arbeitsvertrages begründen muss. Weil das in der damaligen Debatte ein wichtiger Punkt war, sollten wir schon jetzt darauf achten, wie dieses Qualifikationsziel zu definieren ist und was die Hochschulen daraus machen.
({3})
Ich will darüber hinaus sagen, dass Ihre Vorschläge zu nicht intendierten Effekten führen. Zum Qualifikationsziel sagen Sie, dass das nur ein formaler Abschluss sein kann, beispielsweise eine Promotion oder eine vergleichbare Leistung. Da nennen Sie das Beispiel der Habilitation. Die Habilitation wird in vielen Fachbereichen aber gar nicht mehr angestrebt, weil man anders zu einer Professur kommt. Insofern bleibt offen, was eine „vergleichbare Leistung“ sein soll. Da ist Ihre Formulierung schwammig; da tun Sie sich offensichtlich genauso schwer wie wir damals bei der Novellierung des Gesetzes.
Wenn nur ein solcher formaler Abschluss die zweite Phase der Befristung ermöglicht, streichen wir für diejenigen, die die Promotion gerade abgeschlossen haben, die Orientierungsphase, in der sie entscheiden können, ob sie in der Wissenschaft bleiben wollen oder nicht. Als jemand, der selber promoviert hat und vor der Frage stand, ob ich Postdoc werden und in der Wissenschaft bleiben möchte, kann ich nur sagen: Ich finde es besser, wenn man sich mit dieser Frage auseinandersetzen kann, wenn man die Promotion abgeschlossen hat, als wenn diese Frage auch noch in der Endphase der Promotion geklärt werden muss; denn die ist aus anderen Gründen anstrengend genug.
({4})
Sie schlagen zudem Arbeitsverträge mit einem Minimum von insgesamt 20 Arbeitsstunden vor. Dazu kann ich nur sagen: Diejenigen, die momentan ein Promotionsstipendium haben, dürfen, wenn sie von den Begabtenförderungswerken gefördert werden, 10 Stunden arbeiten, um einerseits ausreichend Zeit für die Promotion zu haben, andererseits aber auch sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein zu können und auch Lehrerfahrung zu sammeln. Die grenzen Sie mit Ihrem Vorschlag aus.
Außerdem schlagen Sie vor, dass die Befristung nach der Promotion direkt mit Tenure Track versehen werden muss. Was bedeutet das in dem System, das wir momentan haben? Das bedeutet – weil wir keine Hausberufungen in Deutschland haben –, dass die Entscheidung, an welche Uni jemand geht, nach der Promotionsphase getroffen werden muss. Das heißt, dass jemand seine Promotion und seine Postdoc-Phase an der gleichen Universität macht und erst danach wechselt, wäre dadurch auch ausgeschlossen. Wie Sie schon sehen können: Das ist gut gemeint, aber, in unseren Augen, nicht gut gemacht.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat Dr. Thomas Sattelberger für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Wissenschaft sind 80 Prozent der Stellen befristet. Das ist unsäglich. Aber, liebe Linke, nicht alles ist Klassenkampf. Hier geht es um persönliche Belastungen, unsichere berufliche Zukunft, Beziehung und Familienplanung unter Druck und innovationsschädliche Abhängigkeiten.
Der Klops im Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2017 ist, dass es nur eine einmalige Evaluierung geben soll, 2020, ohne großen Ergebnisbericht an den Bundestag und ohne Wiederholung – deshalb unser Gesetzentwurf.
({0})
Meine Damen und Herren, ich sprach in den vergangenen Monaten mit Professoren und Doktoranden, mit Frauen und Männern, mit Betriebsräten und mit Mitarbeitern von Wissenschaftsakademien und Forschungseinrichtungen. Reizt man alle Befristungsvarianten aus, also qualifikations- wie drittmittelbasierte, dann sind befristete Kettenverträge über Jahrzehnte hinweg möglich und Praxis. Das ist unmöglich, sagen wir da.
({1})
Selbst beim bereits 126 Jahre alten, Herr Frömming, Orchideenprojekt „Thesaurus linguae Latinae“
({2})
laufen Verträge nur wenige Jahre. Nehmen Sie sich doch einmal eine kleine Auszeit, und machen Sie Ihre Kalauer in Ihrer Kneipe, aber nicht im Parlament.
({3})
Bei hochspezialisierter Grundlagenforschung ist breiterer Einsatz an der Hochschule nach Vertragsende meist sehr schwierig. Befristungsmissstände verhindern auch jedwede kluge Personalentwicklung. Viele gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen sich solchen Zuständen nicht aus, sie wechseln an Forschungseinrichtungen im Ausland.
Der heutige Antrag der Linken geht in die richtige Richtung. Frau Gohlke, das ist so selten, daher Glückwunsch!
({4})
Etwas Wasser in den Wein: Natürlich brauchen Wissenschaftseinrichtungen erstens Atmungspotenziale, zweitens Fluktuation der Wissenschaftler für die Innovation, drittens Fairness zwischen Generationen. Wir müssen natürlich Flaschenhälse vermeiden, die für Karrierestaus sorgen. Bei rund 29 000 Promovierten pro Jahr, aber nur knapp 48 000 Professorenstellen hierzulande bietet der Linken-Antrag keine Lösung.
({5})
Wesentliche Lösungen dagegen sind: Promotionen müssen von Beginn an über ihre gesamte Laufzeit abgesichert sein, natürlich mit realistischem Zeitrahmen. Vertragslaufzeiten sind an Projektlaufzeiten zu knüpfen. Die unterlaufene Sollbestimmung im Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist viel zu weich. Und wir müssen etwas tun gegen Karrieresilos in der Wissenschaft, durch partnerschaftliche Initiativen für cross-sektorale Personalentwicklung in Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung.
Kollege Sattelberger, kommen Sie bitte zum Schluss, –
Ich komme zum Ende.
– und bringen Sie das in die Ausschussberatungen ein.
Lieber Herr Staatssekretär Meister, evaluieren Sie schnell, verdammt schnell, und handeln Sie dann noch schneller! Nehmen Sie für Ihre Ministerin mit: Ran an den Speck, Frau Karliczek!
({0})
Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Sattelberger, wenn selbst die FDP sagt, es gebe zu viele Befristungen, dann, meine Damen und Herren, haben wir echt ein ernstes Problem.
({0})
In der Arbeitswelt ist es üblich, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten und ihnen langfristige Perspektiven zu geben. In der Wissenschaft ist das offenbar nicht so. Wer hier Karriere machen möchte, muss sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln. Das Befristungswesen ist einerseits Teil der universitären Kultur. Andererseits müssen wir Befristungsunwesen in der Wissenschaft aber begrenzen. Es braucht eine neue Balance, damit die kreativen Köpfe nicht vergrault werden.
({1})
Wissenschaftlicher Nachwuchs an Hochschulen hat zu 93 Prozent befristete Stellen, an außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu 84 Prozent. In der übrigen Arbeitswelt sind es etwas mehr als 8 Prozent. Das kann in der Wissenschaft doch so nicht bleiben.
({2})
Natürlich braucht Wissenschaft ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität. Aber dieses Befristungsunwesen ist überzogen. Darunter leidet die Planbarkeit der wissenschaftlichen Werdegänge. Darunter leiden im Übrigen auch die Konkurrenzfähigkeit zu Industriejobs und die Familienfreundlichkeit. Vor allem kluge Frauen gehen dadurch auf der Karriereleiter verloren. Auch deshalb liegt der Frauenanteil bei Professuren bei weniger als einem Viertel. Chancengleichheit und Diversität sind aber elementar für Qualität, Leistungsfähigkeit und Gerechtigkeit im Wissenschaftssystem.
({3})
Mit Talenten für die Wissensgesellschaft kann unser Innovationssystem so auf jeden Fall nicht länger umgehen. Wir wollen, dass mit Sicherheit gut und frei geforscht werden kann. Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft müssen zu einem wichtigeren Thema werden. Die GroKo ist hier völlig auf dem Holzweg, wenn sie sagt: Es besteht kein Handlungsbedarf; das sollen allein die Länder machen.
({4})
2016 haben Sie hier eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auf den Weg gebracht. Wir waren uns damals schon ziemlich einig, dass man damit den Befristungswahn nicht wirksam eindämmen kann. Umso ärgerlicher ist es, dass das BMBF dafür verantwortlich ist, dass Evaluationsergebnisse zu dieser Novelle erst 2021 vorliegen werden. So lange werden Sie sich hinter dieser Evaluation verstecken, anstatt endlich mehr zu tun gegen den Befristungswahn
({5})
und hier zu Entfristungen zu kommen. Das muss sich ändern, und in Baden-Württemberg und anderswo gelingt das ja auch.
Wichtige Frage für uns alle: Wie wirken sich denn eigentlich die Wissenschaftspakte und die ganzen Programme auf den wissenschaftlichen Nachwuchs aus? Tenure-Track-Programm, Professorinnenprogramm, Exzellenzstrategie, Programm zur Personalgewinnung und ‑entwicklung an Fachhochschulen, Hochschulpakt und sein Nachfolger – das alles ist gut gemeint und auch wichtig. Aber wie wirken sich diese Programme auf die Zukunfts- und Karrierechancen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus? Alle diese Programme haben hier Lücken.
Und wenn man den Hochschulpakt schon „verdauert“ – was wir befürwortet haben, was wir mit beschlossen haben –, dann sind Länder und Bund jetzt aber auch aufgefordert, hier wirklich etwas zu tun für verlässliche Karriereperspektiven. Mich ärgert als Parlamentarier, dass das im stillen Kämmerlein von Exekutivverhandlungen stattfindet –
Kollege Gehring, achten Sie auf die Zeit.
– und dass das nicht auf offener Bühne entsprechend diskutiert wird. Deshalb vielen Dank für die Debatte durch die Linksfraktion. Denn wie es dem wissenschaftlichen Nachwuchs und damit den Trägerinnen und Trägern des Innovationssystems in Deutschland geht, darüber muss eine entscheidende Strategiedebatte hier im Hohen Haus geführt werden, aber nicht im stillen Kämmerlein von Frau Karliczek.
Danke.
({0})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Dr. Astrid Mannes für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, in dem Wunsch nach möglichst vielen unbefristeten Stellen im Bereich der Wissenschaft sind wir uns generell einig. Jede Stelle, deren Befristung nicht begründbar ist, sollte auch nicht befristet sein. Denn ein unbefristeter Arbeitsvertrag bedeutet für die Arbeitnehmer Verlässlichkeit und Planbarkeit, sowohl für den weiteren beruflichen Weg, aber auch privat und familiär. Das ist wichtig und hat mit Lebensqualität zu tun.
Zudem geht es heutzutage auch darum, im internationalen Wettbewerb um gute Wissenschaftler mitzuhalten. Es geht darum, gute Wissenschaftler für die deutschen Forschungsprojekte zu gewinnen, für unsere Universitäten und Forschungseinrichtungen. Das geht nur mit attraktiven Bedingungen. Von daher liegt es im ureigenen Interesse der Universitäten und der anderen Forschungseinrichtungen, keine unattraktiven Verträge auszugeben.
({0})
Ende 2015 wurde das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novelliert, um einen besseren Ausgleich zwischen der notwendigen Flexibilität für die Forschungseinrichtungen auf der einen Seite und der Verlässlichkeit für die Arbeitnehmer auf der anderen Seite zu erreichen. Die zeitliche Befristung von Stellen für Daueraufgaben wurde abgeschafft, und gewisse Fehlentwicklungen wurden entsprechend angegangen.
Nur ist es auch nicht zielführend, Befristungen im wissenschaftlichen Bereich grundsätzlich infrage zu stellen.
({1})
Wissenschaft benötigt Flexibilität und auch passende Spielräume, um zu optimalen Ergebnissen zu kommen und um im Wettbewerb bestehen zu können.
({2})
Universitäten ermöglichen wissenschaftliche Qualifikation durch Promotionen, durch Postdoc-Phasen und Habilitationen. Die Stellen sind in der Regel auf drei Jahre plus zwei Jahre befristet, plus eventuelle Zeiten für bestimmte familiäre Situationen.
Herr Dr. Frömming hat bereits die Bayreuther Erklärung der deutschen Unikanzler genannt, die hervorhebt, dass die wissenschaftliche Qualifikation, die im Rahmen von befristeten Beschäftigungsverhältnissen erworben wird, zum Wesen des Beschäftigungssystems Hochschule gehört.
({3})
Es ist in der Wissenschaft auch oftmals schwierig, unbefristete Verträge auszugeben, da Forschung zu großen Teilen über Drittmittel finanziert wird.
({4})
Hochschulen finanzieren sich auch über zeitlich befristete Mittel aus dem Hochschulpakt, dem Qualitätspakt Lehre usw.
Wir dürfen übrigens an dieser Stelle die Länder bei der Diskussion nicht aus der Verantwortung entlassen. Die Landesregierungen sind aufgefordert, eine angemessene Grundfinanzierung für ihre Hochschulen zu ermöglichen, und mein Bundesland Hessen hat im letzten Koalitionsvertrag eine höhere Grundfinanzierung verankert.
Auf die Programme und Anstrengungen des Bundes hat Frau Kemmer ja schon ausreichend hingewiesen. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, befristete Arbeitsverhältnisse im wissenschaftlichen Bereich grundsätzlich mit prekären Beschäftigungsverhältnissen gleichzusetzen. Wir müssen den idealen Weg finden, so viele unbefristete Stellen wie möglich zu haben, ohne die Forschung ihrer notwendigen Flexibilität zu berauben und ohne das Wesen der Projektbezogenheit in der Wissenschaft zu ignorieren.
Die Bundesregierung hat die Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes bereits in Auftrag gegeben; darauf haben die Kolleginnen der Regierungskoalition ja schon hingewiesen. Das heißt, wir sollten jetzt die Ergebnisse abwarten und dann schauen, ob und wie wir reagieren müssen. Die Ergebnisse werden ja von neutraler Stelle mit, so denke ich mal, ideologiefreiem Blick erstellt, und das ist gut so. Es macht von daher wenig Sinn, diesen Ergebnissen jetzt vorzugreifen.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.