Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir sind in einer besonderen Sitzungswoche, in einer besonderen Zeit für die deutsche Demokratie. Nach den Ereignissen in Thüringen in der letzten Woche sind viele Bürgerinnen und Bürger des Landes in Sorge um den Zustand unserer Demokratie,
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um die Verlässlichkeit und Stabilität unserer Regierungsarbeit. Es ist wichtig, dass wir ein Zeichen setzen, dass diese Regierungsarbeit verlässlich und stabil ist, und dass es auch einen demokratischen Konsens der die Regierungskoalition tragenden Parteien gibt, dass eben Mehrheitsbildung und Regierungsbildung mit der AfD ausgeschlossen sind. Es ist gut, dass diese Entscheidung so gefallen ist und dass sich die die Regierung und die Koalition tragenden Parteien dazu bekannt haben.
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Wir haben die Aufgabe, unsere Demokratie zu schützen, Menschen zu beteiligen und dafür zu sorgen, dass der soziale Zusammenhalt in unserem Land erhalten bleibt.
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Deshalb arbeitet auch das Bundesfamilienministerium als Gesellschaftsministerium daran, die Dinge voranzutreiben, die der Zivilgesellschaft und den Akteuren, die sich in Deutschland für die Demokratie einsetzen, den Rücken stärken: mit Mut, mit Zuversicht, mit Kraft, damit das Leben aller Menschen, die in Deutschland leben, gut und sicher gestaltet werden kann.
Wir bauen dafür ganz konkret in der Familienpolitik auf eine gute frühkindliche Bildung und eine gute Betreuung der Kinder in der Grundschule, in der Jugendarbeit. Wir haben mit dem Gute-Kita-Gesetz und dem Starke-Familien-Gesetz wichtige Schwerpunkte gesetzt. Wir werden eine deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt auf den Weg bringen. Wir werden in diesem Jahr mit der europäischen Ratspräsidentschaft einen Schwerpunkt auf Jugend- und Demokratiebildung, auf die Gleichstellung der Geschlechter, auf die Bekämpfung der Kinderarmut setzen, uns ganz klar erneut gegen Gewalt an Frauen, gegen Gewalt an Kindern und Jugendlichen positionieren und für ein demokratisches Land eintreten.
Das ist eine Politik, für die die Regierungsarbeit insgesamt steht.
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Auf dieser Basis würde ich Ihnen heute in der Regierungsbefragung zur Verfügung stehen.
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Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Falls die AfD möchte, könnte eines ihrer Mitglieder die erste Frage stellen.
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– Ob Sie eine Frage stellen wollen. Sie haben es nicht gemeldet.- Frau Harder-Kühnel, möchten Sie das Wort zu einer Frage?
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– Wenn Sie bitte die Liebenswürdigkeit haben würden, dies anzumelden. Danke. – Sie haben das Wort.
Frau Ministerin, in der letzten Woche gab es zahlreiche Forderungen von Spitzenpolitikern einschließlich der Bundeskanzlerin, die demokratische Wahl des Ministerpräsidenten Kemmerich durch den Thüringer Landtag rückgängig zu machen. Als Grund dafür wurde angegeben, dass auch Abgeordnete der thüringischen AfD-Landtagsfraktion diesen mitgewählt haben. Gleichzeitig gab es zahlreiche Demonstrationen gegen diese Wahl. Es wurde auch von Drohungen gegen den Minister persönlich und dessen Familie berichtet. Können Sie ausschließen, dass im Rahmen des von Ihrem Ministerium geförderten Bundesprogramms „Demokratie leben!“ Vereine, Organisationen oder deren Mitglieder organisiert und bewusst Druck ausgeübt haben, um die demokratische Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten durch sogenannten Druck auf der Straße rückgängig zu machen?
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Sehr geehrte Frau Abgeordnete, grundsätzlich haben wir die Überzeugung, dass diejenigen, die durch unsere Bundesprogramme gefördert werden, sich gegen jede Form der Gewaltausübung stellen, egal von welcher Seite. Das Programm „Demokratie leben!“ arbeitet dafür, Demokratie zu fördern, Extremismus vorzubeugen und Gewalt zu bekämpfen. Deshalb ist es eine klare Distanzierung von jeder Form von Gewalt.
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Ich finde, wir sollten an den Grundfesten des Programms festhalten. Dafür steht auch das Familienministerium.
Nachfrage?
Ja, gerne.
Bitte, gerne, Frau Kollegin.
Also würden Sie die Förderung von Vereinen und Organisationen, die zur Rückgängigmachung demokratischer Wahlen auffordern, als Verstoß gegen das Neutralitätsgebot betrachten und diese Förderung unverzüglich einstellen?
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Wir stellen keine Förderung ohne begründeten Anlass unverzüglich ein. Es geht darum, dass sich Trägerinnen und Träger im Rahmen ihrer Projektumsetzung auch entsprechend verhalten und ihre Programme umsetzen. Sollte es dort Probleme geben, dann werden wir uns diese genau anschauen, aber vor dem Hintergrund der Programminhalte und der Förderung, die auch ausgesprochen wurde.
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Der hinter Ihnen sitzende Kollege hat sich zuerst gemeldet. Wer ist es? – Herr Reichardt. Entschuldigung, dass ich nicht alle Namen weiß.
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Wenn ich die Bemerkung machen darf: Wenn der Bundestag noch größer würde, würde es für die Sitzungsleitung und den Präsidenten noch schwieriger, die Namen aller Kolleginnen und Kollegen präsent zu haben.
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Herr Kollege Reichardt.
Am 8. Februar fand eine Demonstration gegen die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen statt. Laut Aussagen von Kevin Kühnert demonstrierte dort die Zivilgesellschaft. An dieser Demonstration nahm auch eine Gruppe namens RAF – „Roter Aufbau Friedrichshain“ – teil, die in ihren einschlägigen Verlautbarungen unter anderem Ulrike Meinhof huldigt und die Angriffe auf AfD- und FDP-Politiker guthieß bzw. als notwendig erachtete. Sehen Sie hier tatsächlich die Zivilgesellschaft verwirklicht, und sehen Sie hier nicht die Gefahr, dass durch einen Herrn Kühnert Gewalt gegen den politischen Gegner verharmlost und legitimiert wird, und sehen Sie nicht auch die Gefahr, dass dadurch die Regierung und das, was Sie hier alles gerade gesagt haben, konterkariert wird?
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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir befinden uns hier in der Befragung der Bundesregierung. Wir sind nicht diejenigen, die die Demonstrationen in der letzten Woche in ihrer Beteiligung zusammengestellt haben. Ich kann aber für die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei sagen: Wir haben einen Grundkonsens, dass wir uns gegen jede Form von Gewalt stellen. Dieser Grundlinie entspricht auch jedes Regierungshandeln. Insofern würde ich gerne zur eigentlichen inhaltlichen Ausrichtung der Regierungsbefragung zurückkehren. Ich kann Ihnen gerne weitere Ausführungen zu unserer Arbeit im Ministerium dazu machen.
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Danke sehr. – Herr Kollege Reichardt, möchten Sie eine Nachfrage stellen? Sie haben das Recht zur Nachfrage.
Ja. – Sie haben gesagt, dass die Sozialdemokratische Partei einen Grundkonsens gegen Gewalt hat.
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Sind Sie dann der Meinung – auch im Namen der Regierung –, dass Herr Kühnert gegen diesen Grundkonsens offensichtlich mit solchen Legitimationsversuchen verstoßen hat?
Ich bin hier nicht Rede und Antwort stehend für Herrn Kühnert, sondern für die Bundesregierung, und dazu habe ich Ihnen bereits alles gesagt, was es zu sagen gibt.
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Jetzt hat der Kollege Huber zu diesem Thema eine Frage und dann der Kollege Müller.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte zurückkommen auf das Programm „Demokratie leben!“.
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Die Kinder des Ministerpräsidenten in Thüringen
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müssen von der Schule abgeholt werden, seine Frau wurde angespuckt. Sie konnten in letzter Konsequenz auch nicht ausschließen, ob auch Mitglieder von Ihnen, vom Ministerium geförderten Gruppen daran beteiligt waren, den Druck auf der Straße mit initiiert zu haben. Von daher möchte ich Sie schon fragen, ob Sie glauben, dass diese Programme erstens zur Eskalation
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und zweitens zur Erosion der demokratischen Verhältnisse in Deutschland beitragen.
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Oder: Welche Maßnahmen ergreifen Sie zukünftig, um diese Spaltung in der Gesellschaft, um diese Übergriffe insbesondere auf Mandatsträger und deren Familien auf der Straße zurückzufahren und zu deeskalieren? – Vielen Dank.
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Ich glaube, Sie verdrehen hier in einem nicht zu vertretenden Maße die Tatsachen und die Intention des Programms „Demokratie leben!“.
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Das Programm „Demokratie leben!“ hat die Ausrichtung, Demokratie zu fördern, Vielfalt zu gestalten und Extremismus vorzubeugen. Alle Aktionen, die im Rahmen dieses Programmes laufen, richten sich auf das Zusammenführen der Gesellschaft und nicht auf die Spaltung. Ich finde es wichtig, dass wir auch in diesem Geiste alle Projekte begleiten, die wir machen. Wir haben umfangreiche wissenschaftliche Evaluierungen dazu. Alle Projekte müssen sich einer intensiven Projektauswahl stellen. Ich kann hier nicht akzeptieren, dass Sie die Programmintention in Richtung Spaltung und Eskalation umdrehen. Das Gegenteil ist der Fall.
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Danke sehr. – Nachfrage?
Vielen Dank. – Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
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Wenn wir davon ausgehen, diese Programme würden zur Deeskalation beitragen: Was würden Sie denn in dem Fall machen, wenn sich herausstellt, dass die Gruppen, die von Ihnen gefördert werden, doch daran beteiligt sind, den Druck auf der Straße mit zu initiieren? Welche Sanktionen würden Sie gegenüber diesen Gruppen in Betracht ziehen?
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Wenn Sie den Begriff des Drucks auf der Straße hier verwenden und damit meinen, dass Menschen sich für eine demokratische, offene Gesellschaft einsetzen, dann finde ich nicht, dass wir hier über Sanktionswürdigkeit sprechen,
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sondern darüber, dass Menschen für unsere Demokratie eintreten und dass diejenigen, die diese Demokratie weiter erhalten wollen, auch weiter Unterstützung bekommen. Sollten Sie Anlässe haben und sie benennen können, dass es sich wirklich um demokratiefeindliche Aktionen handelt, dann müssen wir uns das anschauen. Dann bitte ich Sie, uns das mitzuteilen, und dann werden wir uns das im Detail ansehen und prüfen.
Aber ich finde eine grundsätzliche Verurteilung all derer, die hier aufgestanden sind, die nach den Ereignissen in Thüringen in Sorge um das Land sind, nicht in Ordnung. Da müssen wir ganz klar eine Grenze ziehen, was demokratisch ist und was nicht.
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Die nächste Frage zu diesem Thema stellt der Kollege Müller, Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich denke, die demokratischen Fraktionen hier im Haus
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sind sich mit Ihnen und der Bundesregierung einig, dass „Demokratie leben!“ in der Vergangenheit einen unglaublich wertvollen Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaft geleistet hat. Deswegen waren wir uns bei der Aufstockung der Mittel immer einig. Ich fand es auch gut, dass der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen hat, keine Kürzungen vorzunehmen.
Nun ist es trotzdem so, dass durch die Umstrickung der Förderinstrumente eine Vielzahl von Pilotprojekten, von Modellprojekten nicht mehr in die Förderung fallen. Ich habe Sie bereits mehrmals dazu befragt – auch im federführenden Familienausschuss –, dass viele Modellprojekte nicht zur Antragstellung aufgefordert wurden. Sie haben in der Vergangenheit geantwortet – zuletzt erst im Januar –, dass Sie nochmals eine Runde mit den nachgemeldeten Projekten durchführen werden.
Mich würde nun interessieren – weil wir uns einig sind, wie wichtig gerade die Modellprojekte für die Stärkung der Zivilgesellschaft sind –, was bei diesem Nachmeldeverfahren herausgekommen ist, wie viele zusätzliche Modellprojekte noch in die Förderung aufgenommen werden könnten und was mit jenen passiert, die häufig bereits über Jahre eine ausgezeichnete Arbeit leisten und deren Förderung nun bedauerlicherweise an ein Ende gekommen ist.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Müller, wir stellen über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ die Summe von 115,5 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Das Programm ist in diesem Jahr pünktlich gestartet. Die Fördermittel sind im Weitesten vergeben.
Ich kann Ihnen berichten, dass wir 300 Partnerschaften für Demokratie in ganz Deutschland, sowohl in städtischen als auch in ländlichen Räumen, fördern. 160 Modellprojekte sind es jetzt im Endeffekt geworden, inklusive Begleitprojekten, inklusive Projekten gegen Rechtsextremismus, auch zu mobilen Opferberatungen. Und wir haben die 16 Landes-Demokratiezentren und außerdem noch die Kompetenzzentren, die wir unterstützen. Das ist eine breite Förderung mit über 115 Millionen Euro.
Wir haben nicht alle Projektanträge unterstützen können. Die Antragszahl war mit über 1 000 schlicht zu groß. Aber wir unterstützen natürlich bei der weiteren Beratung in Bezug auf Landesmittel und andere Förderquellen und werden uns auch in diesem Haushaltsjahr wieder für die entsprechende Ausstattung von „Demokratie leben!“ starkmachen.
Danke sehr. – Nachfrage? – Wenn Sie mir immer ein Zeichen geben könnten.
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– Danke.
Vielen Dank für den Hinweis. – Frau Ministerin, nun ist es so – Sie haben darauf hingewiesen –: 160 Modellprojekte werden jetzt gefördert. Da hat es erheblich Druck gegeben, auch auf Ihr Haus, damit dies noch gelingen konnte und eine nachträgliche Aufstockung der Mittel erfolgen konnte. Es gibt aber über 300 Partnerschaften für Demokratie. Das sind Mittel, die de facto an die öffentliche Hand fließen, an Kommunen und an die Länder, die sie – das weiß ich wohl – weiterreichen, aber damit außerhalb der Verantwortung des Bundestages und auch unserer Verantwortung als Haushaltsgesetzgeber sind.
Natürlich würde mich interessieren – weil es hier um Modellprojekte mit größerer Ausstrahlung geht –, ob Sie sich vorstellen könnten, bei den Haushaltsberatungen für das Jahr 2021 „Demokratie leben!“ noch einmal aufzustocken, damit es möglich wird, in größerer Zahl insbesondere die Modellprojekte aus der Zivilgesellschaft zu fördern, ohne einen Filter von Landesverwaltungen und Kommunalverwaltungen einzubauen.
Danke sehr.
Ich will hier ganz klar betonen, dass die Modellprojekte, auch die Kompetenznetzwerke, weit mehr Ausstattung mit Einzelmitteln bekommen als die Partnerschaften für Demokratie. Ich will auch dem Bild, dass die Partnerschaften für Demokratie nur Geld für die Kommunen bedeuten, entgegenwirken. Wir haben über die Partnerschaften – 300 an der Zahl – Tausende – über 4 000 – Partnerschaftsprojekte vor Ort, die gefördert werden. Das heißt, auch die kommunalen Partnerschaften bekommen Geld für die Akteure vor Ort.
Was die Frage angeht, inwieweit wir es ermöglichen können, auch noch zusätzliche Mittel im Rahmen dieser Haushaltsberatungen bereitzustellen: Das wird Gegenstand der regierungsinternen Verhandlungen und Gespräche sein.
Ich denke, ein wichtiges Signal ist erst einmal, dass wir mit der Modellprojektausstattung, mit der generellen Ausstattung des Programms eine Verlässlichkeit für die gesamte Förderperiode haben. Wir haben uns daher mit dem Finanzministerium darauf geeinigt, dass über die gesamte Förderperiode über 460 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Das ist, glaube ich, ein gutes Signal für die Demokratieförderung im Land.
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Vielen Dank. – Jetzt stellt der Kollege Straetmanns, Die Linke, zum selben Themenkomplex noch eine Frage.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben gerade auf die Frage meines Kollegen zu den Modellprojekten zur Demokratieförderung geantwortet. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das mich sehr betroffen gemacht hat. Es gibt eine Jugendorganisation, die mit folgenden Slogans um neue Mitglieder wirbt: „Linke und Gutmenschen gehen dir auf die Nerven?“ Unter anderem heißt es dann: „Du kannst gut jagen und entsorgen …?“ Wenn Sie wissen wollen, welche Jugendorganisation das ist, dann schauen Sie einmal da vorne nach rechts. Das ist die Jugendorganisation der AfD, die mit diesen Worten um neue Mitglieder wirbt.
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Sind Sie in Anbetracht dieser öffentlichen Bekundungen einer Jugendorganisation der Meinung, dass genügend in die Modellprojekte zur Demokratieförderung gesteckt wird?
Ich will sagen, dass die Aufgabe, gegen solche Umtriebe vorzugehen, eine Aufgabe für uns alle ist, auf allen Ebenen, im Bund, im Land und in den Kommunen. Dieser Aufgabe kann sich niemand, der für die Demokratie eintritt, entziehen. Deshalb kann eigentlich nie genug getan werden. Aber ich sage Ihnen auch: Wir haben es geschafft, mit „Demokratie leben!“ europaweit ein einzigartiges und das größte Demokratieförderprogramm einer Landes- und Staatsregierung aufzustellen, das Sie überhaupt finden können, auch im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten. Dass man immer noch mehr tun kann, ist keine Frage. Das muss unser Bestreben sein; das wird Gegenstand der weiteren Gespräche sein. Es ist auch wichtig, zu sagen, dass all die Bemühungen auf jeder Ebene im Land gemacht werden müssen und alle Ebenen in Deutschland eine Verantwortung dafür tragen, dass das gelingt.
Vielen Dank.
Danke sehr. – Dann hat in diesem Zusammenhang noch der Kollege Aggelidis, FDP, eine Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, aus ganz Deutschland erreichen uns Beschwerden von Trägern wegen der Haushaltskürzungen im Bundesprogramm „Demokratie leben!“, die nicht zurückgenommen wurden, oder von Trägern, die aufgrund der Neuausrichtung quasi herausfallen. Mich würde im Anschluss an die Fragen, die die Kollegen gestellt haben, in diesem Zusammenhang interessieren: Wie haben Sie eigentlich sichergestellt, dass nach der Rücknahme der Kürzungen in den Programmen und nach der Neuausrichtung im Auswahlprozess der ganze Prozess für die Beteiligten, gerade für die, die eben nicht zum Zuge kommen, transparent ist und vor allem auch die Begründung substanziell nachvollziehbar ist?
Ich will noch einmal ganz klar sagen: Wir haben keine Haushaltskürzungen bei „Demokratie leben!“. Das Programm ist in der gleichen Höhe weitergeführt worden. Wir haben auch die Sicherheit, dass es in den nächsten vier Jahren mindestens in dieser Höhe weitergeht. Wir hatten ein Auswahlgremium von fast 60 Expertinnen und Experten gehabt. Die Kriterien dafür sind transparent und bei uns auf allen Webdarstellungen usw. verfügbar; das können wir allen mitteilen. Wir hatten über 1 000 Bewerbungen und konnten nicht für jedes Projekt im Detail ausführlich begründen, warum eine Förderung so oder so nicht stattgefunden hat. Wenn es aber Nachfragen gibt, können wir das entsprechend beantworten. Wir haben festgelegte Kriterien, die für die Trägerinnen und Träger auch nachvollziehbar sind.
Wir konnten jetzt im zweiten Lauf bei den innovativen Modellprojekten noch zusätzliche Projekte mit aufnehmen und können sie umsetzen. Wir haben eben – das ist ein gutes Zeichen – in Deutschland so viele Projektträger, die sagen: „Wir wollen uns daran beteiligen“, dass wir einfach nicht allen gerecht werden können. Es gibt aber auch Anträge, die schlicht nicht förderfähig sind; auch das müssen wir sehen. Es sind Steuergelder, die verwendet werden; das muss verantwortungsvoll geschehen.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege Maik Beermann, CDU/CSU.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich möchte gern ein anderes Thema ansprechen, das, glaube ich, in die Mitte unserer Gesellschaft, aber auch hier ins Hohe Haus gehört, und das ist das Thema Mobbing. Ich habe den Eindruck, dass wir uns auch hier verstärkt um dieses Thema kümmern sollten. Sie haben 2018 Respekt Coaches und Anti-Mobbing-Profis installiert und auch das Budget 2019 erhöht. Meine Frage wäre in diesem Zusammenhang: Was plant das Haus, in diesem Bereich noch mehr auf den Weg zu bringen?
Mobbing ist ein großes Thema. Dagegen vorzugehen, muss vor allen Dingen in der Jugend- und der Schulsozialarbeit der Länder verortet sein. Wir haben hier mit unserem Modellprogramm „Respekt Coaches/Anti-Mobbing-Profis“ ein Zeichen gesetzt. Wir sind an über 200 Schulen in Deutschland mit dieser speziellen Form der Jugendsozialarbeit unterwegs und haben dort sehr, sehr gute Erfolge. Es wird sehr gut angenommen. Es ist ein Riesenthema, das ist richtig. Aber hier muss man ganz klar sagen: Es ist kein originäres Thema des Bundes. Wir können nur Impulsgeber sein. Wir können Modellinitiativen anstoßen und natürlich auch den Ländern Anreize geben, in diesem Bereich mehr zu tun.
Für uns wird das im Rahmen des Jugendmedienschutzgesetzes, das wir aktuell auf den Weg bringen, ein Thema sein; denn wir müssen uns auch über die digitalen Räume Gedanken machen. Cybergrooming, Cybermobbing oder Fragen der Abzocke im Netz betreffen in ganz besonderer Weise den Jugendschutz. Deshalb werden wir darauf entsprechend eingehen.
Nachfrage, Herr Kollege Beermann?
Ja, vielen Dank. – Ich habe gerade schon erwähnt, dass wir 2019 das Budget von 20 Millionen auf 23 Millionen Euro erhöht haben. Dabei ging es konkret um religiöses Mobbing. Nun gibt es aber nicht nur religiöses Mobbing, sondern ganz unterschiedliche Arten von Mobbing. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass man den Begriff weiter ausdehnen sollte?
Auf jeden Fall gibt es ganz unterschiedliche Formen des Mobbings. Wir sehen, dass das religiöse Mobbing nur einen Teilbereich darstellt. Wir haben die Erfahrung gemacht, auch durch die Arbeit der Respekt Coaches, dass es da keine klaren Trennlinien gibt. Wenn man mit Kindern und Jugendlichen gegen Mobbing arbeitet – das gilt vor allem für die Arbeit mit Jugendlichen –, merkt man, dass die Grenzen fließend sind. Schon jetzt wird im Rahmen des Programms, das wir weiterführen wollen, das Thema Mobbing in der Breite behandelt.
Danke sehr. – Jetzt muss ich in Richtung FDP schauen. Ist die Frage, zu der Sie sich gemeldet haben, damit erledigt? – Dann können Sie jetzt die nächste Frage stellen, Herr Aggelidis.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, welche Begründung geben Sie den Eltern, die seit Anfang 2018 auf die Reform des Elterngeldes warten? Sie wurde Anfang 2018 von Ihrer Vorgängerin versprochen, von der jetzigen Bundesregierung bzw. von Ihnen für 2019 versprochen, und zwar zweimal, zuerst für das erste Halbjahr, dann für das zweite Halbjahr. Welche Begründung haben Sie dafür, dass der Gesetzentwurf noch nicht vorliegt?
Ich kann Ihnen dazu eine erfreuliche Mitteilung machen. Wir haben in der Tat im letzten Jahr sehr intensiv daran gearbeitet. Es gab umfangreiche Abstimmungen, auch mit unserem Koalitionspartner und dem Bundeskanzleramt. Ich kann Ihnen mitteilen, dass wir gestern die Freigabe vom Bundeskanzleramt bekommen haben, jetzt in die Ressortabstimmung zu gehen. Der Gesetzentwurf ist gestern in die Ressortabstimmung gegangen. Die entsprechenden Beteiligungsverfahren werden zügig beginnen.
Dieses Gesetz soll dazu dienen, die Flexibilität von Elternzeitmodellen zu erhöhen. Beiden Elternteilen, Vätern und Müttern, soll ermöglicht werden, in Teilzeit zu arbeiten und Elterngeld zu beziehen. Auch das Thema Frühchen bzw. frühgeborene Kinder soll besonders berücksichtigt werden. Es geht darum, dass Familie und Beruf durch eine stärkere Flexibilisierung des Elterngeldes besser vereinbar sind. Das ist jetzt alles auf einem guten Weg. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Ressortabstimmung zügig durchziehen können und den Gesetzentwurf im Frühling dieses Jahres ins Kabinett bekommen.
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Danke sehr. – Die Kollegin Werner, Die Linke, hat eine Nachfrage zu diesem Thema.
Danke schön, Frau Ministerin Giffey. – 13 Jahre nachdem das Elterngeld eingeführt wurde, ist es eine gute Nachricht, dass die Reform jetzt auf den Weg gebracht wird. Wir haben schon im Ausschuss und auch hier im Plenum darüber diskutiert. Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind zeitliche Fragen, Teilzeitfragen, die eine Seite. Aber wir wissen alle auch, dass in den letzten 13 Jahren Mieten gestiegen sind und Lebensmittel teurer geworden sind, und wir wissen, dass gerade Familien mit einem geringen Einkommen oder ohne Einkommen auf den Mindestbetrag des Elterngeldes angewiesen sind. Wenn man den Inflationsverlust der letzten 13 Jahre ausgleichen wollte, müsste man das Elterngeld jetzt um 50 bzw. 25 Euro erhöhen. Das haben Sie im Familienausschuss abgelehnt. Vielleicht können Sie einmal sagen, ob diese Überlegung in dem Entwurf, der jetzt auf den Weg gebracht wird, berücksichtigt wird. Oder gilt wieder das Gesetz, dass der Bundestag noch viele Änderungen vornehmen kann? Dann würde ich dafür werben, dass wir auch diesen Punkt angehen.
Frau Bundesministerin.
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, natürlich muss jede Verbesserung beim Elterngeld auch finanziert werden. Wir reden hier über die größte, bekannteste und beliebteste Familienleistung Deutschlands. Aber wir reden auch darüber, dass bereits jetzt fast 60 Prozent des Gesamtetats des Familienministeriums für das Elterngeld verwendet werden, über 7 Milliarden Euro im Jahr. Das heißt, wenn wir hier Verbesserungen einführen wollen, muss die Finanzierung sichergestellt sein.
Wir haben uns bei der Reform darauf konzentriert – Sie werden das der veröffentlichten Beteiligung der Verbände entnehmen können –, Verbesserungen hinsichtlich der Teilzeitmöglichkeiten und Flexibilität für beide Elternteile zu erreichen, Verbesserungen für geringfügig und selbstständig Beschäftigte zu erreichen und Verbesserungen beim Thema Frühgeborene zu erreichen. Eine Erhöhung, so wie Sie sie beschreiben, ist nicht Bestandteil der Reform.
Danke sehr. – Dann stellt die Kollegin Doris Achelwilm, Die Linke, die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau Ministerin. Uns interessiert die Gleichstellungsstrategie des Bundes, die vor Kurzem endlich, auf der Hälfte der Strecke, angekündigt wurde, als Jahresplan vorerst. Wie sehen die nächsten Schritte des Aktionsplanes aus? Was haben Sie da konkret vor? Wie werden Sie da im Laufe des Jahres, aber auch darüber hinaus an die Öffentlichkeit gehen? Inwiefern wird der sogenannte Gender Care Gap Berücksichtigung erfahren? Das ist die un- und unterbezahlte Sorgearbeit, die zu Recht wieder massiv in den Schlagzeilen steht. Da muss mehr getan werden, und das unverzüglich. Da würde uns interessieren, inwieweit auch das Teil der Gleichstellungsstrategie sein wird.
Die Gleichstellungsstrategie des Bundes ist in der Tat ein wesentliches Vorhaben dieser Koalition – wir haben alle Ressorts daran beteiligt –, sie ist sozusagen jetzt in der Fertigstellung. Wir werden sie im ersten Halbjahr entsprechend veröffentlichen, auch ins Kabinett bringen.
Wir haben mit dieser Gleichstellungsstrategie ein ganzes Portfolio an Themen. Dazu zählen die Themen Gender Pay Gap, Gender Care Gap, aber auch die Fragen von Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Frauen in Führungspositionen, vom Kampf gegen Gewalt an Frauen. Das sind also sehr unterschiedliche Themenbereiche. Wir haben bei uns im Haus eine große Projektgruppe gegründet für die Aufwertung der sozialen Berufe, in allen sorgenden Feldern. 80 Prozent derjenigen, die im Sorgebereich tätig sind, sind Frauen. Das sind also große Themen. Wenn wir über die Aufwertung der sozialen Berufe sprechen, dort auch mehr tun wollen, überhaupt Erwerbstätigkeit von Frauen ermöglichen wollen, dann ist das ein Thema, das damit einhergeht. Das Führungspositionengesetz, das im Moment ja auch in der Pipeline ist, wird dem genauso entsprechen. Wir haben mehrere Gesetzesvorhaben, die an die Themen der Gleichstellungsstrategie anknüpfen.
Nachfrage?
Vielen Dank. – Der Gleichstellungsbericht, der zum Ende der letzten Legislatur bearbeitet wurde und dann auch noch veröffentlicht wurde, der wird auch Grundlage der Strategie sein? Also das, was die Sachverständigenkommission beraten hat. Oder wie ist da sozusagen die Abstimmung, die Verzahnung?
Wir werden in diesem Jahr eine gesamtgesellschaftliche Berichterstattung bei uns im Haus zu Ende bringen: Es wird nicht nur den Gleichstellungsbericht, sondern auch den Familien-, den Jugend-, den Alten- und den Ehrenamtsbericht geben. Dieser Bericht befindet sich jetzt in der Bearbeitung. Die Sachverständigenkommission arbeitet intensiv daran und wird das veröffentlichen. Natürlich werden diese Erkenntnisse ebenso in die Bearbeitung der Gleichstellungsstrategie einfließen; das tun sie schon jetzt.
Danke sehr. – Jetzt hat endlich Leni Breymaier, SPD, die nächste Frage.
Danke, Herr Präsident, für das nette Wort. – Sehr geehrte Frau Ministerin, wir haben jetzt etwas gehört zur Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung. Die EU-Kommission hat Ende Januar ihr Arbeitsprogramm vorgelegt. Die Gleichstellungskommissarin, Helena Dalli, hat angekündigt, für den 8. März, den Internationalen Frauentag, eine EU-Gleichstellungsstrategie wieder aufleben zu lassen. Meine Frage an Sie ist: Wie wird die Bundesregierung Frau Dalli hier unterstützen, und welche Prioritäten wird die Bundesregierung hier festlegen?
Wir haben im Zuge der Vorbereitung auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft gerade auch aus unserem Haus den Schwerpunkt bei der Gleichstellungspolitik gesetzt, neben der Förderung der Demokratie und der aktiven Jugendarbeit in diesem Bereich. Wir werden bei der Gleichstellungspolitik zwei große Felder bearbeiten: Das eine ist das Thema Entgeltgleichheit, Equal Pay, das andere die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen; das werden unsere großen Schwerpunktthemen im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft. Das wird jetzt schon entsprechend vorbereitet. Wir arbeiten sehr eng mit der zuständigen EU-Kommissarin zusammen.
Nachfrage? – Frau Breymaier.
Gerne; vielen Dank, Herr Präsident. – Eine Nachfrage dazu: Wir kennen ja alle die Situation in Osteuropa. Ich nehme jetzt Polen oder Ungarn nicht wirklich als einen Hort des Feminismus oder der Gleichstellungspolitik wahr. Sie haben uns im Ausschuss erzählt und berichtet, dass Sie inzwischen Kontakt mit Ihren Ministerkolleginnen und Ministerkollegen hatten. Schätzen Sie es so ein, dass Sie da Mehrheiten für das wichtige Ziel „Equal Pay“ und den wichtigen Kampf gegen Gewalt an Frauen organisieren können? Kriegen wir da Mehrheiten hin? Wie schätzen Sie das ein?
Wir haben ja den Ansatz einer Trio-Ratspräsidentschaft, sodass wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus Slowenien und Portugal zusammenarbeiten – gerade auch im Bereich „Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“. Ende letzten Jahres gab es dazu ein informelles Ministerinnentreffen in Stockholm, auf dem wir genau darüber gesprochen haben.
Wir sehen, dass die Ansätze, die wir hier in Deutschland gewählt haben, als sehr fortschrittlich angesehen werden. Die Bemühungen im Rahmen unserer Initiative „Stärker als Gewalt“ und auch in Bezug auf das Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen werden europaweit sehr beachtet. Wir werden in diesem Zusammenhang mit Beispielen und einem Best-Practice-Austausch versuchen, auch an dieser Stelle mit den Kolleginnen und Kollegen gut zusammenzuarbeiten und auch Mehrheiten für unsere Anliegen zu finden.
Danke sehr. – Frau Kollegin Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage. – Anschließend folgt die Frau Kollegin Bauer.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich habe zur EU-Ratspräsidentschaft noch eine Nachfrage. Sie haben auch hier das ganze Thema „Gleichstellung im Erwerbsleben und Entgeltgleichheit“ als Themenschwerpunkt angekündigt. Das, was die Bundesregierung zu diesem Thema gemacht hat, war nicht erfolgreich; das Entgelttransparenzgesetz ist ja kein Vorzeigeprojekt für eine erfolgreiche Strategie für den Abbau der Entgeltungleichheit.
Meine Frage lautet: Was ist Ihr konstruktiver Beitrag im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft zu diesem Thema?
Grundsätzlich will ich einmal sagen, dass diese Feststellung, das Entgelttransparenzgesetz hätte gar nichts gebracht, von uns nicht geteilt wird. Natürlich gibt es Dinge, die noch entwickelt, verbessert, ausgebaut werden müssen, aber das Entgelttransparenzgesetz hat einen wesentlichen Paradigmenwechsel bewirkt; die Einstellung zu der Grundaussage „Über Geld spricht man nicht“ hat sich nämlich verändert. In den Betrieben wird dieses Thema sehr stark wahrgenommen; es wird über Entgeltstrukturen gesprochen. Wir erleben in der Evaluierung, dass viele Betriebe – auch große Unternehmen – ihre Entgeltstrukturen freiwillig selbst überprüft haben.
Wir müssen aber natürlich noch mehr dafür tun – auch in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften –, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre Rechte aufzuklären und sie zu ermutigen und zu unterstützen, ihr Recht auf Entgelttransparenz einzufordern. Auch hier ist der Austausch mit den europäischen Kolleginnen und Kollegen sicherlich sehr wertvoll. Wir können unsere Erfahrungen dort einbringen; das werden wir auch tun. Und wir werden uns auch über bessere und weiterentwickelte europaweite Ansätze austauschen.
Nachfrage? – Frau Schauws.
Ich teile Ihre Analyse nicht ganz, weil ich nicht glaube, dass man die veränderte Einstellung zu dem Ausdruck „Über Geld spricht man nicht“ als Erfolg verbuchen kann. Ich glaube, da hätte schon mehr kommen müssen, und die Evaluation zum Entgelttransparenzgesetz zeigt eben auch, dass die Wirkung hier begrenzt ist.
Aber nach vorne geschaut: Miteinander zu sprechen, ist immer sinnvoll. Haben Sie denn tatsächlich auch ein Projekt zum Thema „Gender-Pay-Gap-Abbau“ geplant, und haben Sie geplant, konkret Maßnahmen zu ergreifen, die auch EU-weit Strahlkraft entwickeln könnten, damit Sie hier auch wirklich vorangehen können?
Wir werden im Rahmen der Präsidentschaft ganz konkret zu einem großen Gleichstellungsministerinnentreffen nach Potsdam einladen. Das wird eine mehrtägige Veranstaltung sein, auf der wir genau dieses Thema in den Mittelpunkt stellen werden. Wir haben auch darüber gesprochen, inwieweit wir die Parlamentarier aus Deutschland einbeziehen können, und wir werden Sie natürlich auch entsprechend darüber informieren.
Es geht genau darum, dass wir auf dieser Konferenz gemeinsam mit den anderen Ministerinnen und Ministern beraten wollen, welche Schritte gegangen werden. Das wird im November sein, und da wird das Thema „Equal Pay“ ein ganz wesentlicher Schwerpunkt sein.
Danke sehr. – Jetzt hat Frau Bauer, FDP, die nächste Frage.
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben 2020 als Gleichstellungsjahr ausgerufen und wollen eine Gleichstellungsstrategie verabschieden. Mich und meine Fraktion würde dabei interessieren, welche Ressorts daran beteiligt sind und wo Sie aus Ihrer Sicht dabei die größten Herausforderungen sehen.
Grundsätzlich will ich sagen: Wir sind zwar das Frauenministerium, und uns wird immer gerne gesagt, dass wir das ganze Thema Gleichstellung auch alleine bearbeiten können, ich finde aber – und das ist auch die tiefe Überzeugung bei unserer Arbeit für die Gleichstellungsstrategie –, das ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Ressorts angehen muss. Ich finde auch, dass der Bund zum Beispiel beim Thema „Frauen in Führungspositionen“ mit gutem Beispiel vorangehen muss. Bei unserer Reform des Führungspositionengesetzes, des Bundesgremienbesetzungsgesetzes und auch des Bundesgleichstellungsgesetzes geht es deshalb auch darum, zunächst einmal in den Bundesbehörden und in den bundeseigenen Unternehmen Frauen in Führungspositionen durchzusetzen. Wir sind im Moment bei einem Frauenanteil in Führungspositionen von 35 Prozent. Da ist noch Luft nach oben. Wir wollen bis 2025 die Parität. Das sind Dinge, die natürlich alle Ressorts angehen und bei denen auch alle Ressorts in der Verantwortung sind. Insofern: Alle sind daran beteiligt und müssen auch ihren Beitrag dazu leisten.
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Nachfrage, Frau Kollegin?
Wird denn die Gleichstellungsstrategie dann einen verbindlichen, aber auch verpflichtenden Charakter tragen? Wie stellen Sie deren Umsetzung sicher?
Die Gleichstellungsstrategie ist zunächst einmal eine Strategie, die im Kabinett beschlossen wird. Ich betrachte Kabinettsbeschlüsse schon für alle Regierungsmitglieder als verbindlich. Darüber hinaus wird es ja im Zuge dieser Strategie auch rechtliche Rahmenbedingungen geben, die geschaffen werden.
Wir arbeiten im Moment sehr intensiv mit dem Bundesjustizministerium an einem neuen Führungspositionengesetz, das eben nicht nur die Bundesbehörden und uns als staatliche Seite verpflichtet, sondern bei dem wir ebenso sagen: Auch in der Wirtschaft ist es absolut wünschenswert und notwendig, dass da mehr Frauen in eine Führungsposition gehen, um ein positives Beispiel und ein Signal zu setzen. Dafür müssen sich aus meiner Sicht alle Frauen parteiübergreifend starkmachen, damit wir diesen gesellschaftlichen Wandel voranbringen.
Danke sehr. – Jetzt stellt die nächste Frage Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, es liegt seit einigen Wochen ein Referentenentwurf aus dem Haus der Justizministerin zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz vor. Es gibt an dem Formulierungsvorschlag starke Kritik seitens der Kinderrechteverbände, aber auch von Verfassungsrechtlern und Verfassungsrechtlerinnen, die sagen: Die vorgeschlagene Formulierung liegt weit unterhalb dessen, wozu uns die UN-Kinderrechtskonvention verpflichten würde, und auch unterhalb dessen, was bereits durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Sinne der Kinder normiert ist.
Ich würde Sie gerne als Familienministerin um Ihre Einschätzung der Formulierung, insbesondere mit Blick auf die Frage der Vorrangstellung des Kindeswohls und der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, bitten.
Es gab ja zur Frage der Kinderrechte ins Grundgesetz einen langen, langen Vorlauf, etwa eine interministerielle, auch Bund-Länder-übergreifende Arbeitsgruppe, die daran gearbeitet hat, wie eine tatsächliche Umsetzung der Kinderrechte ins Grundgesetz aussehen könnte. Natürlich war unser Ministerium daran intensiv beteiligt. Wir haben im letzten Jahr sehr viel mit Kindern und Jugendlichen daran gearbeitet, zum Beispiel mit der Kinderrechte-Bustour, und anderen Aktivitäten.
Uns geht es darum, dass das Recht auf Schutz, auf Förderung, auf Beteiligung in den Kinderrechten im Grundgesetz verankert wird. Es gab verschiedene Formulierungen, die jetzt durch die große Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgeschlagen worden sind. Es ist jetzt ein Vorschlag gemacht worden, der von einer Kompromissfindung getragen ist.
Natürlich wünschen wir uns als Familienministerium, dass noch ein Stück weit über das hinausgegangen wird. Aber wir müssen immer sehen, dass eben auch jede Form von politischer Entscheidung die Kunst des Möglichmachens ist. Wir haben hier unterschiedliche Positionen. Wir schätzen das so ein, dass es da auch noch Gespräche braucht. Wir werden uns als Familienministerium entsprechend positionieren: Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.
Nachfrage, Frau Dörner?
Ja, vielen Dank. – Ich möchte das doch gerne noch mal konkretisieren, auch mit Blick auf die Frage der Vorrangstellung; dazu haben Sie sich nicht geäußert. Diese Vorrangstellung ist in der UN-Kinderrechtskonvention sehr stark normiert. Halten Sie die jetzige Formulierung „angemessene Berücksichtigung des Kindeswohls“ für konform mit der UN-Kinderrechtskonvention und auch für adäquat mit Blick auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts?
Uns geht es zunächst einmal darum, dieses große, wichtige Signal zu setzen, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz kommen. Wir würden aus Sicht des Familienministeriums das Wort „angemessen“ für verzichtbar halten; so haben wir uns auch geäußert. Wir finden, dass die Berücksichtigung der Kinder in diese Formulierung entsprechend einfließen sollte. Das ist aber keine Aussage, die ich heute an dieser Stelle für die ganze Bundesregierung treffen kann. Darüber gibt es noch Gesprächsbedarf. Aber als Kinderministerin spreche ich mich natürlich für eine auch sehr weitgehende Regelung aus.
Ich habe jetzt zu diesem Fragekomplex drei weitere Fragen – ich sage das nur, damit das jeder weiß –: erst der Kollege Müller, dann der Kollege Huber und dann die Kollegin Haßelmann. – Herr Müller.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich möchte bei Frau Dörner anschließen, allerdings nicht bei der Frage der Vorrangstellung des Kindeswohls, sondern bei der Frage der Beteiligung. Wie Sie wissen, habe ich beim Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages ein Gutachten in Auftrag gegeben, der zu der Erkenntnis gekommen ist – das ist ja für uns als Abgeordnete des Deutschen Bundestages durchaus maßgeblich –, dass insbesondere der Formulierungsvorschlag 1 der Bund-Länder-Kommission – das ist der, den sich die Bundesregierung nun zu eigen macht und der am wenigsten weit geht, mithin also gar kein Kompromiss, sondern die dünnste Variante, die auf dem Tisch lag –, „bezüglich der Beteiligungs- und Mitspracherechte der Kinder hinter den völkerrechtlichen Staatenverpflichtungen aus Art. 12 UN-KRK zurückbleibt. Daraus könnten sich Interpretationsprobleme ergeben.“
Wenn Sie sagen, Sie setzten sich dafür ein, dass das bei der Vorrangstellung des Kindeswohls noch einmal angemessen geklärt werde, setzen Sie sich dann auch dafür ein, dass beim Vorschlag der Bundesregierung, bevor es zur Kabinettsentscheidung kommt, die Frage von Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten von Kindern ebenfalls noch einmal deutlich gegenüber diesem Vorschlag geschärft wird, der jetzt aus dem Hause Lambrecht auf dem Tisch liegt und der nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages hinter den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik bei Umsetzung der UN-KRK zurückbleibt?
Ich würde an dieser Stelle gerne an das Bundesjustizministerium, von dem ja der Gesetzentwurf kommt, dazu abgeben wollen, Herr Präsident, wenn Sie einverstanden sind.
Herr Kollege Lange.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundesministerin, Herr Kollege, in der Tat, Frau Bundesministerin Lambrecht hat sich in Abwägung der verschiedenen Varianten, die die Bund-Länder-Arbeitsgruppe präsentiert hat, für die Variante 1 entschieden. Unser Anliegen ist es, dass wir jetzt in einen Gesetzgebungsprozess eintreten. Sie haben ja bereits die Ausführungen gehört. Es wird jede Menge Anregungen geben, die wir voller Freude erwarten werden. – Vielen Dank.
Jetzt hat der Kollege Huber eine Frage zu diesem Themenkomplex.
Genauso ist es, Herr Präsident; vielen Dank. – Frau Ministerin, eine kurze Nachfrage muss ich dann doch noch einmal zu dem Themenkomplex „Kinderrechte ins Grundgesetz“ stellen. Sie haben gesagt, Sie wollen jetzt Kinderrechte – das ist auch das geflügelte Wort – im Grundgesetz verankern. Sind Sie denn tatsächlich der Meinung, dass keinerlei Kinderrechte bereits im Grundgesetz verankert seien?
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Sie zielen mit Ihrer Frage darauf ab, dass es gar nicht nötig wäre, das zu tun, weil ja schließlich in Artikel 1 schon von der Würde des Menschen gesprochen wird und die Kinder da bereits enthalten wären. Dieser Argumentation folgend, hätte man auch eigentlich gar nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz von Männern und Frauen verankern sollen.
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Ich finde aber, dass es gut ist, dass er verankert wurde, und ich finde auch, dass wir ein Signal setzen sollten, dass Kinder eben keine kleinen Erwachsenen sind und dass es wichtig ist, ihnen in unserer deutschen Verfassung explizit Rechte zu gewähren und ihre Rechte entsprechend zu formulieren.
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Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank auch Ihnen, Frau Ministerin. Sie hatten jetzt gerade an das Justizministerium abgegeben. Dennoch kann ich mir noch kein Bild machen. Sie haben jetzt beide gesagt, da habe eine Abwägung stattgefunden, die in der rechtlichen Einordnung aus unserer Sicht nicht weitgehend genug und hinreichend klar Vorgaben hinsichtlich der internationalen Kinderrechtskonvention beinhaltet. Welche Art Abwägung war das denn, zu wessen Gunsten oder zu wessen Lasten?
Sie haben jetzt beide, sowohl Herr Lange als auch Sie, gesagt: Ja, das war eine schwierige Abwägung. – Aber fest steht ja, wie meine Kollegin Katja Dörner gesagt hat, dass Sie sich für die abgeschwächte Variante der Formulierung des Kindeswohls entschieden haben. Wogegen haben Sie das abgewogen? Was gilt mehr als das Wohl des Kindes?
Es ist ja deutlich geworden, gerade aus der Frage des Kollegen von der AfD, dass es auch Menschen gibt, auch politische Kräfte, die sich grundsätzlich gegen eine Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz stellen und dann auch entsprechend vermitteln wollen, dass dies eine unzulässige Einmischung in das Elternrecht wäre.
Ich will hier noch einmal klarstellen, dass es uns mit diesem Schritt darum geht, die Rechte des Kindes gegenüber dem Staat zu stärken, die Rechte auf Schutz, auf Förderung, auf Beteiligung. Aber wir sind natürlich in einer Situation, in der wir diese Diskussion führen, dass es Menschen gibt, die das überhaupt nicht in das Grundgesetz aufnehmen wollen. Für uns ist es wichtig, dass wir diesen Schritt gehen, dass wir es schaffen, dieses Signal zu setzen, und dass wir es möglich machen und den gangbaren Weg dafür wählen, der natürlich im Sinne der Kinder so weitgehend wie möglich ist. Aus unserer Sicht, derjenigen des Kinderministeriums, des Familienministeriums, ist das Kindeswohl ganz oben anzusiedeln. Deshalb wollen wir ja auch, dass die Kinder ein explizites Recht in unserer Verfassung bekommen.
Dann stellt die nächste Frage der Kollege Reichardt, AfD.
Frau Ministerin, Sie haben ja im Rahmen Ihrer Haushaltsrede eine Offensive im Bereich der Fachkräfte für Erziehung angekündigt. Diese Offensive ist mit 5 000 Plätzen von Ihnen angekündigt worden. Sie ist dann bei etwa zweieinhalbtausend Plätzen zum Erliegen gekommen. Sie haben angekündigt, dass das Ganze eingestellt werden soll. Weiterhin fehlen 300 000 Erzieher in Deutschland.
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Vor diesem Hintergrund haben Sie vollmundig verkündet, dass jetzt auch noch eine Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder geschaffen werden soll, für die weitere 100 000 Erzieher notwendig sind. Meine Frage geht dahin: Ist es denn nicht angemessen, die von uns schon seit jeher vertretene Forderung aufzugreifen, dass die häusliche Erziehung und die Krippenerziehung endlich gleichgestellt werden, um hier auch den Fachkräftebereich zu entlasten und die häusliche Erziehung entsprechend mit den notwendigen Mitteln zu fördern?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich will ganz klar sagen, dass die Förderung der Fachkräfte im Erziehungsbereich für uns eine sehr hohe Priorität hat. Deshalb haben wir die Fachkräfteoffensive des Bundes angeschoben. Sie wurde auch nicht eingestellt, sondern sie läuft bis 2022 weiter. Wir haben in der Tat mit dem Jahrgang, der letztes Jahr begonnen hat, 2 500 junge Menschen gewinnen können, die diese Ausbildung machen und bis zum Jahr 2022 durch den Bund gefördert werden. Es ist richtig, dass wir jetzt keinen zweiten Jahrgang bilden konnten. Es ist im Zuge der Haushaltsverhandlungen nicht möglich gewesen, die entsprechenden Mittel bereitzustellen.
Ich kann Ihnen aber trotzdem sagen, dass wir nach der Umsetzung des Gute-KiTa-Gesetzes in allen 16 Bundesländern dieses Ausbildungsmodell, das wir mit der Fachkräfteoffensive fördern, umsetzen und dass die Bundesländer Mittel in Höhe von 560 Millionen Euro einsetzen, um die Fachkräfteausbildung und ‑gewinnung zu fördern und zu unterstützen. Das ist ein Weg, den die Länder weiter gehen müssen; denn – ich erinnere noch einmal daran –: Es ist Aufgabe der Länder, in die Erzieherausbildung zu investieren, auch in die vergütete, praxisintegrierte Ausbildung. Der Bund kann hier nur anschieben und unterstützen. Das werden wir auch weiterhin tun.
Vielen Dank. – Wollen Sie eine Nachfrage stellen? – Herr Kollege Reichardt.
Ja. – Ich habe ja nun die Zahlen genannt: Uns fehlen jetzt schon 300 000 Erzieher. Wir haben nach Ihrer Ankündigung noch einen weiteren Bedarf von 100 000 Erziehern. Ihre Offensive hat also zweieinhalbtausend Erzieher gebracht. Sehen Sie vor dem Hintergrund einer solchen Offensive, die offensichtlich irgendwo im kleinen einstelligen Prozentbereich ihr Ende findet, tatsächlich die realistische Möglichkeit, das, was Sie hier ankündigen, irgendwie zu verwirklichen?
Es geht darum, dass der Bund ein Modell entwickelt, eine Initiative startet, die von den Ländern entwickelt werden soll. Es geht nicht nur um diese 2 500 Plätze. Wir haben zwei weitere Säulen: Das ist die Praxisanleitung, die unterstützt wird, und die Möglichkeit, Weiterqualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern zu realisieren, die bereits im Beruf sind.
Ich sage es noch einmal: Das, was wir angeschoben haben, hat bei den Ländern zusätzliche Aktivität generiert. Mittel in Höhe von über 500 Millionen Euro – auch Mittel des Bundes – werden aufgrund des Gute-KiTa-Gesetzes eingesetzt, um die Erzieherinnen und Erzieher zu unterstützen. Natürlich müssen die Bemühungen der Länder weit darüber hinausgehen, um den von Ihnen genannten Bedarf sicher zu decken. Da geht der Appell ganz klar an die Jugend- und Familienminister, an die zuständigen Landesminister, dazu Initiativen zu ergreifen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Aber der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter ist ja auch erst für das Jahr 2025 vorgesehen. Das heißt, es ist noch Zeit, sich entsprechend vorzubereiten. Daran müssen jetzt eben alle arbeiten.
Vielen Dank. – Ich habe jetzt zu diesem Thema drei weitere Fragen. Ich sage es zur Orientierung: Frau Dr. Bull-Bischoff, Herr Huber und Frau Dörner. Frau Dr. Bull-Bischoff, Die Linke, bitte.
Frau Ministerin, die Frage des Fachkräftemangels ist gerade von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen worden. Die eine Seite, die quantitative Seite, betrifft den Umfang der Fachkräfte. Die andere Seite ist die der Professionalisierung des Berufes. Die Kultusministerkonferenz entwirft gerade eine neue Form der Ausbildung, die nunmehr nicht mehr dem DQR 6, sondern dem DQR 4 zuzuordnen ist, was de facto – das ist nicht anders zu beurteilen – eine Dequalifizierung ist. Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund fragen: Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Wir haben, wie gesagt, eine Projektgruppe im Ministerium, die sich mit der Aufwertung der sozialen Berufe beschäftigt, und wir sind ganz klar der Auffassung, dass wir jeglicher Form von Reduzierung der Qualifikation entgegenwirken müssen. Wir arbeiten für die Aufwertung, das heißt für ein hohes Qualifikationsniveau.
Man muss jetzt überlegen: Natürlich gibt es Bestrebungen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken; aber das darf nicht zulasten der Qualität gehen. Deshalb müssen wir auch vor dem Hintergrund der Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern sicherstellen, dass die Berufe aufgewertet werden, und uns dafür einsetzen, dass am Ende eben auch eine adäquate Bezahlung steht. Deshalb sind wir sehr dafür, dass auch in die andere Richtung gearbeitet wird.
Danke sehr. – Herr Kollege Huber, AfD.
Frau Ministerin, wenn ich Ihren Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder zu Ende denke, dann stellt sich mir die Frage, ob Sie diesen Rechtsanspruch im engeren Sinne gemeint haben, sprich dass Eltern, wenn das Ziel 2025 nicht erreicht ist, diesen Rechtsanspruch dann einklagen können. Oder haben Sie den Begriff des Rechtsanspruches im weiteren Sinne gemeint, also dass man diesen nicht einklagen könnte, wenn das Ziel nicht erreicht wird?
Ich will dazu sagen, dass bereits jetzt etwa die Hälfte der Kinder im Grundschulalter in der Ganztagsbetreuung ist. Da gibt es je nach Bundesland sehr unterschiedliche Formen; aber wir fangen hier nicht von null an. Der Bedarf, den wir zusammen mit dem Deutschen Jugendinstitut schätzen, liegt bei etwa 75 Prozent. Das bedeutet, wir haben ein Gap von 25 Prozentpunkten. Wir sehen, dass überall da, wo gute Angebote gemacht werden, der Bedarf steigt. Aus diesem Grund diskutieren wir mit den Ländern darüber, wie wir das in Stufen, in Entwicklungsschritten machen können. Es gibt eine Vereinbarung zum Ganztag: Sie umfasst die Klassen 1 bis 4, acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche mit entsprechender Ferienbetreuung. Das sind klare Parameter. Wir unterstützen als Bund. Wir haben ein Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens auf den Weg gebracht, um die Länder mit 2 Milliarden Euro bei Investitionen zu unterstützen. Und natürlich geht es ganz klar darum, mit den Ländern zu verhandeln, wie das möglich ist und wie man hier stufenweise vorgehen kann; aber es ist notwendig, dass sich da alle auf den Weg machen. Deshalb diskutieren wir jetzt auch, wie wir diesen Rechtsanspruch so gestalten, dass es machbar ist, das zu garantieren.
Nachfrage, Herr Huber?
Ganz kurze Nachfrage: Dann habe ich Sie richtig verstanden, dass aktuell nicht geplant ist, dass man diesen Rechtsanspruch einklagen könnte?
Das wird Gegenstand der Gespräche sein. Es ging jetzt erst einmal darum, wie groß der Bedarf überhaupt ist, und um die Frage, wie wir den Rechtsanspruch verankern. Es ist vorgesehen, ihn in das SGB VIII aufzunehmen. Und natürlich ist die Einführung eines Rechtsanspruches auch damit verbunden, dass er einforderbar ist. Wie genau das in die Umsetzung geht, wird jetzt auch Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens sein.
Danke sehr. – Jetzt hat dazu Frau Kollegin Dörner, Bündnis 90/Die Grünen, eine Frage.
Ich möchte noch einmal auf die sogenannte Fachkräfteoffensive zurückkommen und noch einmal deutlich machen, dass Sie, Frau Ministerin, im Jahr 2018 dezidiert angekündigt haben, dass Sie im Rahmen der Fachkräfteoffensive zwei Jahrgänge, also insgesamt 5 000 Fachschülerinnen und Fachschüler, fördern wollen und dass Sie in den Jahren 2019 bis 2022 zusätzlich zu den Mitteln, die im Rahmen des sogenannten Gute-KiTa-Gesetzes verankert sind, 300 Millionen Euro zur Verfügung stellen wollen. Ich höre aus den Ländern, dass sie sehr überrascht waren und auch sehr enttäuscht darüber sind, dass Sie diese klare Zusage, die Sie gemacht haben, nicht einhalten. Ich möchte von Ihnen wissen: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Ihre eigene Ankündigung, Ihre eigene Zusage in diesem, wie wir, glaube ich, alle finden, extrem wichtigen Feld der Fachkräftegewinnung nicht einhalten?
Sehr geehrte Frau Dörner, wie Sie wissen, ist mir das Thema sehr, sehr wichtig, und ich habe für die Umsetzung auch sehr gekämpft. Ich habe diese Ankündigung gemacht; das ist richtig. Wir hatten die Planung, mit zwei Jahrgängen in die Fachkräfteoffensive zu gehen; das ist auch richtig.
In den Haushaltsberatungen im letzten Jahr wurden aber auch viele Aspekte deutlich, die wir genauso realisieren mussten; das wissen Sie. Sie haben sich auch eingesetzt für den Bundesfreiwilligendienst, für die Frage der Aufstockung der Mittel des Kinder- und Jugendhilfeplans, für „Demokratie leben!“ in dieser Größenordnung, für die Aufstockung der Mittel für Mehrgenerationenhäuser, für große Projekte, die uns allen genauso wichtig sind, für viele andere Dinge. Wir haben – das muss ich an dieser Stelle sagen – entgegen unseren ursprünglichen Planungen in diesen Haushaltsberatungen auch im Zuge der Zusammenarbeit in der Großen Koalition dafür einfach nicht die entsprechenden Voraussetzungen schaffen können. Ich bedauere das; das sage ich Ihnen ganz offen.
Aber ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben, dieses Modell in allen 16 Bundesländern zu installieren, dass die Bundesländer das Modell aufgreifen und dass im Rahmen der Verwendung der Mittel des Gute-KiTa-Gesetzes sogar über 300 Millionen Euro, nämlich 560 Millionen Euro, für die Fachkräfte eingesetzt werden.
Vielen Dank. Die rote Lampe signalisiert eigentlich, dass die Redezeit abgelaufen ist. – Frau Dörner hat noch eine Nachfrage.
Ich muss Ihre Antwort also so interpretieren, dass die dringend notwendige volle Finanzierung der Fachkräfteoffensive an Finanzminister Olaf Scholz gescheitert ist?
Das können Sie so nicht interpretieren. Es besteht innerhalb der Regierungskoalition eine unterschiedliche Auffassung darüber, wie der Bund an der Finanzierung von Fachkräften beteiligt werden soll. Sie wissen, dass es auch die Position gibt, dass die Finanzierung der Fachkräfteoffensive ausschließlich durch die Länder zu erfolgen hat. Ich will Ihnen auch sagen: Ich bin sehr dankbar, dass der Bundesfinanzminister uns zugesagt hat, die Mittel aus dem Gute-KiTa-Gesetz zu verstetigen. Wir können sie entsprechend für unsere Prioritäten einsetzen.
Danke sehr. – Jetzt hat die Frau Kollegin von Storch, AfD, dazu noch eine Frage. Dann stellt die nächste Frage die Frau Kollegin Dr. Mannes, CDU/CSU.
Ich möchte anknüpfen an die Frage von Herrn Kollegen Huber, die eben gestellt worden ist. Sie haben gesagt: Es wird geprüft, ob der Anspruch auf Ganztagsbetreuung ein einklagbarer Anspruch werden soll. – Es ist also noch nicht beschlossen. Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Sie die Wertung für richtig halten, die dahinterstünde: Wenn ich einen einklagbaren Anspruch habe, der vom Staat nicht erfüllt werden kann, habe ich einen Schadensersatzanspruch. – Ist es ein Schaden für Eltern, wenn sie ihre Kinder nicht abgeben können? Und ist für diesen Schaden – das Kind als Schaden – der Staat verantwortlich? Ist das die richtige Wertung? Unterstützen Sie das?
Nein, das ist nicht die richtige Wertung; denn dahinter steht Ihre – sehr häufig geäußerte – Grundkonnotation: Wir schicken die armen Kinder in die Fremdbetreuung und die armen Eltern in die doppelte Berufstätigkeit. – Ich will dem widersprechen. Denn es geht hier nicht darum, welcher Schaden verursacht wird, sondern es geht darum, eine gute Kinderbetreuung in Deutschland zu realisieren, verlässliche Rahmenbedingungen und Strukturen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen. Und es geht darum, dass wir den Eltern, die es möchten, garantieren, dass sie eben nicht nur während der Kitazeit ihrer Kinder, sondern auch, wenn die Kinder ins Grundschulalter kommen, eine verlässliche und gute Nachmittagsbetreuung angeboten bekommen.
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Da entsteht kein Schaden. Es ist vielmehr eine Entwicklung, die den Elternwünschen entspricht.
Nachfrage?
Ja. – Das ist eine juristische Schlussfolgerung, die damit einhergeht: Wenn ich einen einklagbaren Anspruch begründe und den nicht erfüllen kann, dann erfolgt daraus de jure ein Schaden. Das Wertbild, das dahintersteht, ist eines, das Sie bedenken sollten. Wir fragen uns, ob es der richtige Werteansatz ist, dass Eltern einen Schaden haben, weil sie sich um ihre Kinder kümmern müssen und leider nicht arbeiten gehen können; das steckt dahinter.
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Ich würde gerne wissen, wie Sie inhaltlich dazu stehen.
Ich glaube, Frau von Storch, ich habe mich dazu schon deutlich geäußert. Eltern entsteht selbstverständlich kein Schaden, wenn sie sich um ihre Kinder kümmern müssen.
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Aber es ist schon so, dass uns sehr viele Eltern in Umfragen sagen: Wir würden gerne Familie und Beruf vereinbaren. Wir möchten beides: Wir möchten uns gut um unsere Kinder kümmern, aber sie auch betreut wissen, während wir arbeiten gehen. – Diesem Wunsch der Eltern müssen wir doch entsprechen. Unser Wertekanon ist der, dass wir Familien nicht vorschreiben wollen, wie sie es zu machen haben, sondern dass wir ermöglichen – mit einem Anspruch, nicht mit einer Pflicht –, dass Familie und Beruf vereinbar sind, auch wenn die Kinder im Grundschulalter sind. Das ist unser Anspruch, und von dem sind wir geleitet in dem, was wir hier tun.
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Jetzt hat die Kollegin Dr. Astrid Mannes, CDU/CSU, die nächste und abgesehen von einer Nachfrage im Übrigen auch die letzte Frage in dieser Regierungsbefragung. – Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich möchte zum Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ fragen. Ich möchte erst mal vorwegstellen, dass ich es für ausgesprochen wichtig und von daher auch für richtig halte, dass wir in die Sprachförderung im vorschulischen Bereich investieren. Ich möchte daher fragen, ob Sie das Bundesprogramm fortsetzen werden und ob es auch Möglichkeiten oder Pläne Ihrerseits gibt, es auszubauen.
Vielen Dank. – Ich kann Ihnen positiv bestätigen, dass die Sprachkitas sehr, sehr wertvolle Akteure sind. Wir erachten dieses Programm als sehr erfolgreich und sehr positiv. Dieses Programm ist in der Finanzausstattung in diesem Jahr mit über 200 Millionen Euro sehr hoch angesiedelt. Das Programm läuft seit mehreren Jahren. Über 7 000 solcher Sprachkitas werden in Deutschland gefördert. Die Finanzplanungen für die kommenden Jahre bewegen sich nicht in dieser Höhe. Für uns ist es ein ganz wesentlicher Punkt in den Verhandlungen im regierungsinternen Prozess, dass wir es schaffen – da können Sie auch gerne unterstützen; da wünsche ich mir Ihre Unterstützung –, dieses Programm fortzusetzen. Ich halte es für sehr erfolgreich, sehr notwendig und sehr gut, wenn der Bund an dieser Stelle agiert. 200 Millionen Euro im Jahr sind ein großes Budget; dafür müssen wir auch politische Mehrheiten finden. Ich wünsche mir natürlich, dass unser Koalitionspartner die Arbeit des Familienministeriums unterstützt.
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Vielen Dank. – Den letzten Wunsch verweise ich an die nächste Sitzung des Koalitionsausschusses.
Ich beende die Regierungsbefragung mit dem Dank an die Bundesministerin Frau Dr. Giffey.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der von China ausgehende Ausbruch des Coronavirus hat inzwischen weltweite Auswirkungen. Auch wenn der Schwerpunkt der Erkrankung weiterhin in China liegt, sind zahlreiche Fälle und Infektionen auch in anderen Ländern der Welt, so auch hier bei uns in Deutschland und in den anderen EU-Ländern, zu verzeichnen. Die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland durch die neue Atemwegserkrankung schätzt das Robert-Koch-Institut aktuell weiterhin als gering ein.
Ich habe in den vergangenen Wochen wiederholt gesagt: Wir sind wachsam, wir sind aufmerksam, wir sind gut vorbereitet. Das hat das deutsche Gesundheitswesen in den letzten Wochen unter Beweis gestellt. Die Weltgesundheitsorganisation hat uns das auch verschiedentlich und wiederholt bestätigt.
Mit Stand heute haben sich 16 Menschen bei uns in Deutschland mit dem Virus infiziert. Sie sind isoliert und werden klinisch behandelt, und ihr direktes Umfeld wird engmaschig betreut. Ich wünsche allen infizierten Patienten hier bei uns in Deutschland, aber auch auf der Welt eine vollständige Genesung und danke allen Helferinnen und Helfern, die rund um die Eindämmung des Virus engagiert sind.
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Damit ist es uns gelungen – aktuell, Stand jetzt –, eine schnelle Ausbreitung des Virus hier bei uns in Deutschland zu verhindern. Wir haben damit Zeit gewonnen, Zeit, um das Virus zu analysieren; denn die eigentliche Gefahr, die eigentliche Unsicherheit entsteht ja vor allem dadurch, dass wir eben nicht abschließend etwas über Ansteckungswege, über Inkubationszeiten oder auch über den klinischen Verlauf wissen, wie er sich dann eben möglicherweise auch über mehrere Wochen entsprechend abzeichnen wird.
Wir gewinnen Zeit, um eine angemessene Reaktion zu erarbeiten und in der weiteren Folge auch zu ermöglichen, und – auch das ist wichtig – wir gewinnen Zeit, um zu verhindern, dass diese Atemwegserkrankung zeitgleich mit der jetzt beginnenden Grippewelle die Runde macht und damit zusätzlich und gleichzeitig die entsprechenden Kapazitäten sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung belegt werden.
Das will ich hier ganz deutlich sagen – ich habe es auch gerade schon im Ausschuss für Gesundheit gesagt –: Ganz ausschließen können wir natürlich nicht, dass sich aus einer regional begrenzten Epidemie in China am Ende doch eine weltweite Pandemie entwickelt. Das ist ein Marathon und kein Sprint, und es könnte – so ehrlich muss man sein – noch schlechter werden, bevor es besser wird.
Ich finde, es gehört auch mit dazu, dass wir immer, wenn wir informieren, aktuell auf dem Stand der Stunde, des Tages informieren und die Lage entsprechend beschreiben und in den Blick nehmen. Aber weil es eine dynamische Lage ist, wie wir nicht zuletzt auch in China sehen, können wir eben nicht sagen, wie es sich in den nächsten Tagen und Wochen bei uns in Deutschland und in Europa weiter entwickelt.
Umso wichtiger ist es, dass wir die notwendige Vorsorge weiterbetreiben. Wir haben schon dadurch Vorsorge getroffen, dass es Pandemiepläne hier bei uns in Deutschland gibt. Dazu finden regelmäßig Übungen statt. Darüber hinaus haben wir in den letzten Tagen unmittelbare Maßnahmen ergriffen, um die Bevölkerung hier in Deutschland bestmöglich vor dem Virus zu schützen. Wir haben Piloten von China-Direktflügen verpflichtet, vor der Landung in Deutschland den Tower über den Gesundheitszustand ihrer Passagiere zu informieren. Es muss also in jedem Fall verpflichtend eine Meldung gemacht werden. Das macht schon qualitativ einen Unterschied.
Wir haben Reisende aus den betroffenen Gebieten verpflichtet, auf Aussteigekarten Angaben zu ihrem Flug, zu ihrem künftigen Aufenthaltsort und ihrer Erreichbarkeit in den nächsten 30 Tagen zu machen. Wir diskutieren aktuell mit den Verantwortlichen der Flughäfen und mit den betroffenen Bundesländern wie auch auf europäischer Ebene – dazu komme ich gleich noch – mögliche weitere Maßnahmen.
Aber eines will ich deutlich sagen, weil ich diese Forderung verschiedentlich lese: Fiebermessen an den Flughäfen macht keinen Sinn.
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Das erweckt zwar den Eindruck, dass Maßnahmen ergriffen werden und dass irgendwas getan wird. Aber es macht keinen Unterschied; denn die Infektionen, die wir entdeckt haben – etwa bei der aus China nach München eingereisten Person, durch deren Einreise sich in der direkten und indirekten Folge 14 Infektionen ergeben haben –, wären weder bei der Ein- noch bei der Ausreise durch Fiebermessen erkannt worden, weil die entsprechende Fiebersymptomatik nicht vorlag. Ich halte nichts davon, irgendeine Scheinsicherheit zu suggerieren, die sich aus solchen Messungen ergibt.
Wir haben darüber hinaus Ärzte, Kliniken und Labore verpflichtet, auch begründete Verdachtsfälle zu melden und nicht nur bestätigte Fälle, damit wir tatsächlich einen besseren Überblick über die Lage in Deutschland haben. Übrigens ist die Labordiagnostik mittlerweile flächendeckend verfügbar und nicht wie am Anfang nur an der Charité und in ausgewählten Universitätskliniken, die damit befasst waren. Sie ist für die Ärzte und die Labordiagnostikzentren, die die Diagnostik vornehmen, auch abrechenbar.
Wir haben darüber hinaus Maßnahmen zur Aufklärung der allgemeinen und der Fachöffentlichkeit eingeleitet. Sie sind wichtig, damit wir umfangreich das, was wir wissen, in Fragen und Antworten auf Hotlines oder auch in den sozialen Medien darstellen und immer wieder aktualisieren: auf den Seiten des Ministeriums, des Robert-Koch-Institutes und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Wir haben zudem deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit ihren Familien aus Wuhan zurückgeholt. Das haben wir deswegen gemacht, weil es eben aus Wuhan und aus der Provinz keine Reiseverbindungen mehr gibt. Alle Möglichkeiten, aus der Provinz heraus- und in sie hineinzukommen, sind im Grunde gesperrt. Damit wurde es notwendig, unsere Staatsbürger, jedenfalls die, die darum gebeten haben, auszufliegen.
Zu ihrer eigenen Sicherheit, zu der Sicherheit ihres Umfeldes, aber auch zum Schutz der Gesamtbevölkerung haben wir eine zentrale Unterbringung während der Inkubationszeit von 14 Tagen vorgesehen. Ein Großteil der Rückkehrer ist in der Südpfalz-Kaserne der Bundeswehr in Germersheim untergebracht. Weitere 20 Rückkehrer sind hier in Berlin-Köpenick im DRK-Klinikum untergebracht. Ich möchte ein herzliches Dankeschön den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Mitarbeitern und Helfern des Deutschen Roten Kreuzes sagen, die es möglich gemacht haben – das geschah am Ende in wenigen Stunden –, das tatsächlich gemeinsam mit uns umzusetzen. Ohne sie wäre es nicht gegangen.
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Das will ich dazusagen: Eine derartige Maßnahme hatten wir in der jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte bisher nicht. Der Umgang mit dem neuen Virus zeigt die Größe der Aufgabe, die uns gerade beschäftigt und die uns in Zukunft angesichts einer vernetzten Welt, wie wir sie heute erleben, wahrscheinlich noch häufiger beschäftigen wird.
Deswegen ist es auch wichtig, international abgestimmt auf diesen Ausbruch des Coronavirus zu reagieren. Ich werde mich morgen mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Europäischen Union in Brüssel zu einem Gesundheitsministerrat treffen, um dort weitere Maßnahmen abzustimmen, unser Verhalten und unser Sicheinbringen auch innerhalb der Weltgesundheitsorganisation miteinander zu koordinieren und die Fragen der Impfstoffentwicklung und der Therapieentwicklung und auch die Frage von möglichen Maßnahmen rund um das Einreisen zu besprechen.
Ich will wenige Tage nach dem Brexit ausdrücklich sagen, dass für mich in diesen Fragen von Sicherheit und Gesundheitssicherheit die Verantwortung nicht an den Grenzen der Europäischen Union endet, sondern dass wir unsere Nachbarn einbinden müssen, um Gesamteuropa abzudecken. Deswegen werbe ich sehr für einen engen Austausch auch mit Großbritannien, der Schweiz, Norwegen und anderen Nachbarländern in dieser Frage. Ein Virus macht an den Grenzen nicht halt, und deswegen gilt es, dass ganz Europa sich abstimmt: die Europäische Union, aber auch die Nachbarländer darüber hinaus.
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Ich werde in wenigen Minuten mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus den G-7-Staaten in einer Telefonkonferenz noch einmal über die Lage und die weiteren Maßnahmen sprechen, weswegen ich jetzt schon um Verzeihung bitte, Frau Präsidentin, wenn ich dann – mit Ihrem Einverständnis – kurz vor vier zu dieser Telefonkonferenz gehe – die Bundesregierung bzw. das Ministerium wird hier natürlich auch weiterhin entsprechend vertreten sein –; denn ich finde es wichtig, dass wir uns tatsächlich mit so vielen Partnern wie möglich auch international abstimmen.
Abschließend: Es ist jetzt schon absehbar, dass wir auch Schlüsse werden ziehen müssen. Ich jedenfalls bin willens – auch aufgrund der Erkenntnisse der letzten Wochen –, Ihnen, dem Bundestag, und dem Bundesrat in der Folge das, was wir an Änderungsbedarf im Infektionsschutzgesetz, aber auch in anderen gesetzlichen Regelungen sehen, vorzulegen; denn ich spüre schon, dass es im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen, wo es aktuell durch viel persönliches Engagement aller Beteiligten gut klappt, in einer Lage wie dieser Sinn macht, auch noch andere Strukturen aufzubauen.
Ich möchte gleichzeitig, noch einmal verbunden mit dem Dank an alle Beteiligten, die mitgeholfen haben, auch sagen, dass wir hier gemeinsam eine Verantwortung haben. Wir als Bundesregierung und auch ich als Bundesminister kommen unserer Verantwortung mit der bestmöglichen Transparenz und Offenheit nach. Wir informieren immer über den jeweiligen Stand, sobald wir Wissen haben. Woran ich mich nicht beteilige, sind Spekulationen oder Verbreitung von Halbwissen und Halbwahrheiten, weil angesichts eines solchen Virus natürlich auch viel Unsicherheit in der Bevölkerung herrscht. Und wir sehen gerade, was Menschen asiatischer Herkunft an Diskriminierung und an Zurückweisung aus Unsicherheit, aber manchmal eben auch wegen vorschneller Reaktionen erleben müssen. Ich will sagen: Das ist aus meiner Sicht inakzeptabel, und wir alle haben eine Verantwortung, immer wieder deutlich zu machen, dass das durch nichts begründet ist. Keine Unsicherheit der Welt begründet solche Reaktionen, wie wir sie in Teilen sehen.
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Herr Minister, darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen?
In diesem Sinne – das will ich abschließend sagen – möchte ich einfach alle Kolleginnen und Kollegen bitten: Ja, da, wo Kritik angebracht ist, muss auch kritisiert werden; das gehört immer zur politischen Arbeit dazu. Aber wir haben hier alle eine besondere Verantwortung im Umgang mit diesem Virus und in der Kommunikation gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
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Vielen Dank, Jens Spahn. – Ich gehe davon aus, dass die Kolleginnen und Kollegen Verständnis haben, dass Sie kurz vor vier zur Telefonkonferenz gehen; denn Ihr Haus ist ja vertreten, und Sie haben es angekündigt. So geht es auch, indem man das vorher sagt.
Nächster Redner: Detlev Spangenberg für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir werden heute noch eine Menge über die Krankheit selbst hören; deswegen werde ich mich etwas mehr auf die Prophylaxe, also auf die Vorbeugung, beschränken und dazu ein paar Worte sagen. Das Virus – das sei trotzdem noch einmal betont – ist ja eine neue Form des SARS-Virus und hat bislang seit Dezember innerhalb weniger Wochen in weit über 30 Ländern zu mehr als 43 000 Erkrankten geführt – wir wissen das alle, aber wir müssen das noch einmal betonen –; über 1 000 sind bereits gestorben.
Diese neue Viruserkrankung hat sich durch den heutigen vielfachen weltweiten Austausch, durch Reisen, häufig bedingt durch globalisiertes Handeln und verlagerte Produktionsstandorte, natürlich rasend schnell verbreitet. Somit – da sind wir uns bestimmt einig – sind Kontrollen und wirkungsvolle Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung unbedingt erforderlich. Wir, die AfD, haben in diesem Zusammenhang in der vergangenen Woche einen Antrag erarbeitet, der Maßnahmen zum bestmöglichen Schutz vor Verbreitung der Krankheit in Deutschland vorsieht.
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Das ist eine Ergänzung. Das bedeutet nicht Rechthaberei, sondern wir sind genau wie alle anderen auch verpflichtet, die Gesundheit in Deutschland sicherzustellen.
Die ohnehin schon seit Jahren zunehmend schwieriger werdende Medikamenten- und Wirkstoffversorgung durch Auslagerung der Produktion nach China und Indien kann sich durch diese neue Viruserkrankung dramatisch verschlechtern; das haben wir ja heute auch ganz kurz im Ausschuss angesprochen. Zahlreiche Medienberichte widmen sich auch dieser Problematik. Lieferengpässe oder gar Versorgungsschwierigkeiten gehören für deutsche Apotheker, Pharmahersteller und Händler sowie auch für Patienten – und das muss man sagen – dank einer verfehlten Politik leider zum Alltag. Die „ÄrzteZeitung“ vom 10. Februar meldet gleiche Probleme in anderen EU-Ländern – Sie haben das bestimmt gelesen –; das „Handelsblatt“ vom 11. Februar macht ähnliche Ausführungen.
Die derzeitige Ausgestaltung der Rabattverträge, so unsere Meinung, wird auch als Ursache für Medikamentenknappheit angesehen, zusammen mit der Importquote. Krankenkassen und viele Vertreter aus der Politik bestreiten dies allerdings. Wie gesagt, es gibt da unterschiedliche Meinungen.
Dadurch, dass wir seit Langem – beginnend in den 80er-Jahren – die Produktion von Wirkstoffen für Medikamente ausgelagert haben, vor allem nach China und Indien, und dass wichtige Stoffe teilweise nur an einzelnen Standorten hergestellt werden, besteht eine gefährliche Abhängigkeit für Deutschland und Europa, so unsere Meinung. Fälle aus der jüngeren Vergangenheit haben uns das schon deutlich vor Augen geführt.
Sie erinnern sich: Im vergangenen Jahr diskutierten wir die Problematik der Verunreinigung blutdrucksenkender Mittel durch Nitrosamine. Diese entstanden durch den Herstellungsprozess in China und führten letztlich zu einem Lieferengpass bei einem Medikament. Sie erinnern sich: Das war die Verunreinigung von Valsartan durch Nitrosodimethylamin; das war damals ein großer Skandal.
Nach einer Explosion in einer Fabrik im chinesischen Licheng-Distrikt in 2016 kam es ebenfalls zu Lieferengpässen.
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– Ich bin bei der Vorbeugung; beruhigen Sie sich. – Jetzt wird wegen des neuen Virus in einigen westlichen Werken Chinas die Produktion eingestellt; auch das wurde heute angedeutet. Derzeit spricht man von 48 Wirkstoffen, die davon betroffen sein können. Auch das könnte wieder tiefgreifende Folgen für die Medikamentenversorgung in Deutschland bedeuten. Gerade in der derzeitigen Situation ist das kreuzgefährlich.
Wie gesagt: keine Erfindung, keine Panikmache – da stimmen wir auch mit der Regierung überein. Vielmehr möchten wir, dass das in zahlreichen Medienberichten auch noch mal betont wird. In einem Bericht vom 4. Februar aus der „APOTHEKE ADHOC“ kommt zum Ausdruck, dass inzwischen auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, beunruhigt ist und den Austausch mit dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie nicht nur sucht, sondern ihn wohl auch schon begonnen hat.
Ich beziehe mich noch mal auf unseren Antrag mit dem Titel „Lieferengpässe bei Arzneimitteln wirksam begrenzen, Abhängigkeit der Arzneimittelversorgung vom Nicht-EU-Ausland abbauen“, den wir eingebracht haben. Dieser Antrag wird eigentlich morgen im Zusammenhang mit dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz beraten, aber er passt auch zu diesem Thema; denn wir müssen eine Verbindung herstellen zwischen der Abhängigkeit und der Gefahr einer Epidemie oder Pandemie, was es auch immer sein wird.
Wir fordern in unserem Antrag eine Meldepflicht der Nichtverfügbarkeit verschreibungspflichtiger Medikamente durch pharmazeutische Unternehmen, wobei das in vielen Ländern bereits üblich und schon Pflicht ist. Weiter fordern wir, dass von Knappheit betroffene Mittel nicht exportiert werden dürfen – das hatten wir auch schon gesagt – und dass die Vergabe von Rabattverträgen neu geregelt wird. Mindestens zwei Anbieter müssen vorhanden sein, von denen einer die Herstellung innerhalb der EU gewährleistet.
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Meine Damen und Herren, wir brauchen wieder eine größere Unabhängigkeit von dem nichteuropäischen Ausland. Unsere Forderungen sind in Bezug auf die jetzt sichtbaren Gefahren als vorläufige, machbare und rasch umsetzbare Maßnahmen anzusehen.
Des Weiteren hat sich die AfD-Fraktion bereits im Dezember 2018 mit der Problematik der Importquote beschäftigt. Die Importquote zwingt uns im ganz sensiblen Bereich der Medikamentenversorgung – gesetzlich verordnet und somit systematisch – in die Abhängigkeit von Billigprodukten aus dem fernen Ausland – mit den Problemen, die wir heute diskutieren.
Meine Damen und Herren, Deutschland und andere europäische Länder müssen als Standort für Forschung und Herstellung im Pharmaziebereich wieder an Bedeutung gewinnen. Das ist unsere Forderung.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, letzter Satz. – Billige Importe im Medikamentenbereich, meine Damen und Herren, dürfen nicht zulasten der Gesundheit der Bevölkerung gehen, die hier in Deutschland lebt. Das ist eindeutig unsere Aussage.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Heike Baehrens.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Krisenmanagement zwischen der Weltgesundheitsorganisation, den nationalen Behörden, den öffentlichen Gesundheitsdiensten und den Forschungseinrichtungen hierzulande funktioniert. Ich danke allen beteiligten Institutionen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in den letzten Wochen in aller Besonnenheit dazu beigetragen haben und sich weiter engagieren.
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Beim Ausbruch einer solchen Epidemie sind Transparenz und funktionierende Meldewege das A und O. Alle Staaten müssen nach den internationalen Gesundheitsvorschriften offen und breit kommunizieren. Dies war im Falle Chinas – zumindest zu Beginn – nicht so. Darum konnte sich das Virus dermaßen schnell ausbreiten.
Als Vorsitzende des Unterausschusses Globale Gesundheit weiß ich, wie wichtig es beim Kampf gegen die weitere Ausbreitung des Virus ist, insbesondere jene Länder zu schützen, die ein schwaches Gesundheitssystem haben. Darum war es so wichtig, dass die Weltgesundheitsorganisation Ende Januar den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen hat, um die internationale Zusammenarbeit zu forcieren und zu stärken.
In dieser Krisensituation kann man die Rolle der Weltgesundheitsorganisation nicht hoch genug einschätzen. Es wird einmal mehr deutlich, welchen Wert sie für die Weltgemeinschaft hat. Die WHO ist die einzige normgebende Instanz im Gesundheitsbereich auf internationaler Ebene. In dieser Funktion müssen wir sie stärken, weil wir derartige Gesundheitskrisen nur im Rahmen eines effektiven Multilateralismus bewältigen können.
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Insofern ist jeder weitere Euro, den wir dort einsetzen, gut investiert.
Dieses neue Virus – CoV-19, wie es seit gestern heißt – ist bereits das dritte Coronavirus in 17 Jahren. Deshalb begrüße ich es sehr, dass der Haushaltsausschuss heute – so hoffe ich – eine außerplanmäßige Ausgabe von 23 Millionen Euro beschlossen hat; denn es ist gut und wichtig, jetzt unmittelbar zu reagieren, mit einer Taskforce und auch mit einer eigenen Forschungsgruppe zu Coronaviren am Robert-Koch-Institut hier in Berlin.
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Ebenso wichtig ist, CEPI, die Produktentwicklungspartnerschaft zur Bereitstellung von Impfstoffen, in dieser Situation weiter zu stärken. Hier hat das Bundesforschungsministerium schon viel investiert; das muss noch weiter ausgebaut werden.
Aber die wohl wichtigste Erkenntnis aus den vergangenen Wochen ist: Solch krisenhaften Ereignissen kann nur in starken Gesundheitssystemen wirkungsvoll begegnet werden. Das bedeutet: Langfristige Investitionen in die Stärkung der Gesundheitssysteme weltweit sind unerlässlich.
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Das sehen wir im Übrigen auch im Kongo, wo heute mehr Kinder an Masern als an Ebola sterben.
Es reicht eben nicht aus, nur Infektionskrankheiten einzudämmen; vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass in allen Ländern krisenresistente, funktionsfähige und zugängliche Gesundheitssysteme etabliert werden, die zum jeweiligen kulturellen Kontext passen. Dies schafft auch Vertrauen in staatliche Strukturen und berücksichtigt die Sicherheitsinteressen anderer Staaten. Ich würde es begrüßen, wenn wir den anstehenden EU-Afrika-Gipfel unter deutscher Ratspräsidentschaft nutzen, um unsere Partnerschaft unter diesem Fokus weiter aufzubauen.
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Die seit gestern laufende WHO-Konferenz mit Forscherinnen und Forschern zeigt: Wir haben eine realistische Chance, den Ausbruch zu stoppen, wenn wir weiterhin in vernünftige und wissenschaftlich fundierte Interventionen investieren; daran arbeiten unsere international vernetzten Forschungsinstitute mit großer Expertise und Erfahrung.
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Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, der WHO-Generaldirektor, hat gestern an die Solidarität der Forschenden appelliert. Mit Erlaubnis der Präsidentin möchte ich ihn zitieren:
Veröffentlichungen, Patente und Gewinne sind nicht das, was jetzt zählt. Das Wichtigste ist, den Ausbruch zu stoppen und Leben zu retten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Heike Baehrens. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Andrew Ullmann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das neue Coronavirus, Covid-19, macht Angst in der Bevölkerung. Diese Angst in der Bevölkerung ist nicht Angst vor Husten, Schnupfen, Heiserkeit oder gar Fieber, sondern Angst vor dem Tod. Diese Angst ist durch Nichtwissen verursacht; diese Angst ist durch fehlende Daten verursacht. Dieses Nichtwissen muss beseitigt werden; das ist sowohl eine nationale als auch eine internationale Aufgabe. Und an dieser Aufgabe droht die Regierung zu scheitern.
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Wir tun nicht genug – da bin ich anderer Meinung als unser Bundesminister – bezüglich der Aufklärung. Ich bekomme Meldungen, die überaus peinlich sind, von xenophoben Auswüchsen gegenüber Menschen mit asiatischer Herkunft in Deutschland. Da müssen wir etwas machen. In diesem Punkt stimme ich mit dem Minister durchaus überein: Informationen, Ausbildung, Wissen und Gesundheitskompetenz sind notwendig; denn in Zukunft möchte ich mich nicht mehr für Menschen in Deutschland schämen, die aufgrund des Aussehens eines Menschen fremdenfeindlich sind.
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Es wird heute viel gelobt. Wir sind aber in Deutschland für einen Ausbruch nicht gut gerüstet bzw. bezüglich der Pandemieprophylaxe nicht gut aufgestellt. Vier Punkte möchte ich hier gerne aufzählen.
Erstens. Die Kompetenz in der Infektionsmedizin fehlt in Deutschland flächendeckend. Fachärzte für Infektiologie gibt es nicht flächendeckend, auch wenn wir mit Professor Drosten an der Charité einen international anerkannten Virologen, der die Diagnostik hier in Deutschland vorangebracht hat, haben. Deshalb ist mein Appell an die Bundesärztekammer und an die Landesärztekammern hier und jetzt: Setzen Sie sich endlich für den Facharzt für Infektiologie in Deutschland ein, um eine bessere Versorgung für unsere kranken Menschen zu erreichen!
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Zweitens. Wir brauchen eine Strukturreform der Krankenhäuser; denn nicht jedes Krankenhaus ist so aufgestellt, dass dort Infektionskrankheiten auch behandelt werden können.
Drittens. Auch die klinische Forschung – da sind wir mit der Bundesregierung einer Meinung – muss gestärkt werden; denn nur durch Forschung können wir den neuen Herausforderungen in der Medizin begegnen.
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Viertens. Wir sind bei der internationalen Zusammenarbeit bezüglich der globalen Gesundheit nicht gut aufgestellt. Um die Gefahren für die eigene Bevölkerung besser abschätzen zu können, brauchen wir Daten. Es ist nicht ausreichend, zu wissen, wie viele Menschen infiziert oder verstorben sind. Wir verstehen noch nicht, wie die Risiken aussehen. Wir brauchen die Daten, die die chinesische Regierung der Staatengemeinschaft weiterhin vorenthält bzw. uns nach der Salamitaktik nur scheibchenweise zur Verfügung stellt.
Dreist ist auch, dass von ihr die international anerkannte Falldefinition der WHO zum Coronavirus vor Kurzem umgestellt wurde, damit die Zahlen in den nächsten Tagen besser werden. Dabei irritiert es mich – bei allem Lob –, dass der Generaldirektor der WHO, Dr. Tedros, die chinesische Regierung für ihr Verhalten lobt. Dieses Verhalten würde ich sehr stark verurteilen.
Unsere Forderung ist klar: China muss sich an internationale Regeln halten; denn wer globale Sicherheit fordert, muss gleichzeitig maximale Transparenz bieten. Das gilt für jedes Land und – das sage ich ausdrücklich – auch für jede Insel, unabhängig von den jeweiligen politischen Vorstellungen.
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Ohne Gesundheit gibt es keinen Wohlstand und ohne Wohlstand auch keine Gesundheit. Wir müssen begreifen, dass Gesundheit in der globalisierten Welt auch ein Wirtschaftsfaktor ist; denn Pandemien gefährden Leben und die wirtschaftliche Stabilität. Die wirtschaftlichen Folgen für Deutschland sind noch nicht zu übersehen. Doch bereits jetzt treibt uns die Sorge des Zusammenbrechens von Lieferketten von China an deutsche Firmen um.
Gerade heute Morgen habe ich mit Vertretern einer Firma gesprochen, die Computerchips aus China importiert. Man hat dort Sorge, dass diese Chips in den nächsten Wochen ausgehen, weil die Produktion in China erst mal eingestellt wurde. Auch die Herstellung von Arzneistoffen – das ist bereits angeklungen – in der stark betroffenen Provinz Hubei steht still. Wir sind davon in Deutschland unmittelbar betroffen, und die Lieferengpässe werden sich weiter verschlimmern.
Die große Sorge auch der Wirtschaft ist, dass Absatzmärkte ebenfalls einbrechen können. Die Bundesregierung bietet bis dato keine Lösung für diese Herausforderungen. Wir müssen begreifen: Wenn China hustet, meine Damen und Herren, liegt die Weltwirtschaft im Krankenhaus.
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Letztendlich brauchen wir eine der Zeit angepasste Strategie für die globale Gesundheit. Infektionen kennen keine Staatsangehörigkeit. In der globalisierten Welt ist es naiv, zu glauben, dass sich Gesundheit und Wohlbefinden innerhalb der eigenen Grenzen gewährleisten lassen. Krankheiten kennen keine Grenzen, und nur durch eine weltweite Zusammenarbeit können wir drängende Gesundheitsprobleme lösen und eine mögliche Katastrophe verhindern.
Deshalb wollen wir Freie Demokraten das Thema „globale Gesundheit“ als Querschnittsthema in allen Ministerien integrieren und eine strategische Koordinationsstelle im Kanzleramt einrichten, um Schwächen der Koordination und Kohärenz in der deutschen globalen Gesundheitspolitik zu überwinden.
Kommen Sie bitte zum Schluss!
Dazu gehören drei Forderungen. Diese werde ich in einem Tweet nachliefern.
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Vielen Dank, Dr. Ullmann.
Ich darf zum Abschluss sagen: Die Lehre aus diesem Ausbruch sollte sein, dass wir auch über den Ernstfall hinaus dafür sorgen müssen, dass die Gesundheitsversorgung in Zukunft allgemein verbessert wird. Wir sollten für eine Pandemie gerüstet sein; denn Fragen der globalen Gesundheit lassen sich nur gemeinsam lösen.
Herzlichen Dank, und ich bitte um Entschuldigung für das Überziehen.
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Vielen Dank, Dr. Ullmann. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Harald Weinberg.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vorab ein paar Worte zum Umgang des Ministeriums und des Ministers mit dem Coronavirusausbruch. Ich habe Sie mehrmals in Talkshows gesehen, Herr Minister, und fand es wohltuend, dass Sie sich deutlich gegen Panikmache und Alarmismus gewandt haben. Dafür möchte ich mich noch mal herzlich bei Ihnen bedanken.
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Das gilt auch für die entsprechenden beteiligten Institutionen – das Robert-Koch-Institut usw. usf. –, die wirklich für Transparenz und dafür gesorgt haben, dass es eben nicht zu einer Panikmache gekommen ist. Natürlich ist es richtig, Vorsorge zu treffen, um Infektionsketten zu vermeiden. Im Vergleich zu anderen Pandemien oder auch Epidemien, die wir haben – Influenza, Grippe –, und im Vergleich zum Problem der Infektionen mit multiresistenten Keimen in Krankenhäusern ist es noch ein überschaubares Problem, mit dem wir hier konfrontiert sind. Dennoch ist es wichtig und richtig, die Fälle, die in Deutschland bekannt sind, einzudämmen, keine Frage.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein paar nachdenkliche Sachen vorbringen.
Wir haben unser Gesundheitssystem so stark auf Ökonomie, Markt, Wettbewerb und Kommerz getrimmt, dass bei einem solchen Ereignis dann außergewöhnliche Maßnahmen, Krisenstäbe und Krisenmanagement organisiert werden müssen. Ich glaube aber, es gehört zu den Aufgaben eines Gesundheitssystems, auf solche Ereignisse wie drohende Pandemien vorbereitet zu sein.
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Dazu braucht es Vorhaltungen. Dazu braucht es zum Beispiel Vorhaltungen in den Krankenhäusern, die in einem durch Fallpauschalen finanzierten Krankenhaussystem nicht finanziert werden und daher zu wenig vorhanden sind. Dazu braucht es einen Katastrophenschutz, der entsprechend ausgestattet und finanziell ertüchtigt ist. Und dazu braucht es einen handlungsfähigen und wirksamen öffentlichen Gesundheitsdienst.
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Der ist nach jahrzehntelanger Kürzungspolitik dazu nicht wirklich in der Lage.
Hinzu kommt natürlich auch das Problem der föderalen Strukturen. Ich denke, wenn wir das am Ende auswerten, sollte man im Zusammenhang mit den Erfahrungen, die wir jetzt mit dieser Pandemie machen, in der Tat darüber nachdenken, ob man nicht so etwas wie einen nationalen öffentlichen Gesundheitsdienst bräuchte.
Dann sollte dieser und sollten andere Ausbrüche uns noch etwas anderes lehren: In einer globalen Welt kann für die Nationalstaaten nicht das Prinzip „Rette sich, wer kann“ gelten. Es ist schon eine Weile allen klar, dass wir in einer globalen Welt eine Strategie einer universellen Gesundheitssicherung benötigen. Es scheint jedoch vielen in den Metropolen des Westens nicht klar zu sein, was dies bedeutet: nicht nur Aufmerksamkeit für und Abwehr von globalen Bedrohungsszenarien, sondern strukturelle Stärkung der lokalen Basisgesundheitsstrukturen in den ärmsten Ländern dieser Welt.
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Oder wie Satya Sivaraman es ausdrückt – ich zitiere –:
Pandemien belehren uns darüber, dass alle Menschen gleich geboren und deshalb auch in gleicher Weise sterblich sind. Dem entspricht, dass die Gefahr einer globalen Pandemie nur abgewendet werden kann, wenn das Konzept einer „Gesundheit für alle“ endlich verwirklicht und überall auf der Welt die einfache Wahrheit anerkannt wird, dass jedes öffentliche Gesundheitssystem nur so stark ist wie sein ärmster Patient.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Harald Weinberg. – Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich ganz herzlich auf der Besuchertribüne unsere Kolleginnen und Kollegen von der französischen Assemblée nationale willkommen heißen. Bienvenue au parlement allemand! Herzlich willkommen!
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Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Kordula Schulz-Asche.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über das Coronavirus reden, dann reden wir über eine konkrete Situation, und zwar genau zum jetzigen Zeitpunkt; denn natürlich kann sich viel verändern. Bundesgesundheitsminister Spahn hat zu Recht gesagt, es könnte auch schlechter werden, bevor es besser wird. Lassen Sie mich deswegen ein schnelles erstes Fazit der bisherigen Entwicklung ziehen: Wir können sagen, dass sich unser System des Infektionsschutzes der Bevölkerung in Deutschland weitgehend bewährt hat. In Deutschland sind 16 Personen infiziert. Wir wünschen den Familien und den Betroffenen alles Gute; das gilt natürlich auch für alle Betroffenen weltweit.
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Ein besonderer Dank geht aber auch an die Institutionen hier in Deutschland, die in den letzten Tagen und Wochen intensiv gearbeitet haben. Dazu gehören besonders das Robert-Koch-Institut, das Paul-Ehrlich-Institut und das Bernhard-Nocht-Institut und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Information der Bevölkerung. Dazu gehören auch – das ist schon erwähnt worden – die Charité, das Deutsche Rote Kreuz und die Bundeswehr – alle haben hier zusammengearbeitet –, und nicht zu vergessen die Gesundheitsämter in den Städten und Kommunen, die am Infektionsschutz beteiligt sind und die in den letzten Wochen eine hervorragende Arbeit gemacht haben.
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Meine Damen und Herren, viele sind direkt betroffen, um die es sich zu kümmern gilt, und mit Sicherheit werden wir bald auch ausführlicher über die Lehren reden, die aus dieser Infektion zu ziehen sind. Wir werden Anpassungen vornehmen müssen. Wir werden unter Umständen über die bessere Zusammenarbeit verschiedener Institutionen – auch international – reden müssen, und wir werden dann auch über die Finanzierung reden. Da möchte ich insbesondere noch mal die Gesundheitsämter ansprechen, die in den letzten Jahrzehnten zusammengespart wurden. Wenn wir wollen, dass auf der kommunalen Ebene gute Arbeit gemacht wird, dann müssen dort ausreichend Personal und Kompetenz vorhanden sein.
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Das Gleiche gilt für die Forschung im Bereich der Infektionskrankheiten. Auch hier müssen wir sehr viel konsequenter und verstärkt nachlegen.
Meine Damen und Herren, Viren machen nicht an Ländergrenzen halt. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir europa- und weltweit zusammen mit der WHO versuchen, die Erkrankung einzudämmen. Internationale Solidarität mit den betroffenen Menschen ist jetzt gefragt, nicht zuletzt auch in den Ländern, die keine gut entwickelten Gesundheitssysteme haben. Ich freue mich, dass das Robert-Koch-Institut schon angefangen hat, auch in diesen Ländern mehr Informationen zu verbreiten und auszubilden.
Was mir aber Sorgen macht, ist, dass die chinesische Regierung nach wie vor nicht ausreichend Informationen zur Verfügung stellt und immer noch nicht umfassend mit der WHO und den beteiligten Institutionen kooperiert. Das gilt auch für den Umgang mit Taiwan. Auch in Taiwan haben die Menschen ein Recht auf Infektionsschutz im Rahmen der internationalen Bekämpfung des Virus SARS-CoV‑2.
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Sachgerechte Informationen sind bei Infektionskrankheiten zentral; denn mit ihnen sind immer Verunsicherung und Angst verbunden. Die Kompetenzen sind hier in Deutschland im Robert-Koch-Institut gebündelt, und ich kann nur immer wieder empfehlen, wenn es zu Infektionskrankheiten Fragen gibt: Informieren Sie sich in Deutschland auf den Seiten des Robert-Koch-Instituts! Hier ist die wissenschaftliche Kompetenz gebündelt. Machen Sie das bitte, bevor Sie allen möglichen Leuten glauben – die mir nämlich auch Sorgen machen –, die Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten und mit Rassismus vorgehen. Auch hier die Empfehlung, meine Damen und Herren: Halten Sie sich an das, was das Robert-Koch-Institut empfiehlt, und glauben Sie nicht irgendwelchen falschen Botschaften!
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Viren machen nicht vor vernagelten Türen oder Grenzen halt. Verschwörungstheorien und Rassismus fördern die Verbreitung von Viren, und zwar nicht nur in China, sondern auch hier bei uns.
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– Ja, Herr Spangenberg, zu Ihnen komme ich noch.
Der WHO-Chef rief dieser Tage zur globalen Solidarität auf. Genau das ist die richtige Antwort zur Vermeidung einer Pandemie,
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und nicht, meine Damen und Herren von der AfD, Hass und Hetze; die sind genau das Gegenteil von einer vernünftigen Antwort.
Herr Spangenberg, dass Sie heute offensichtlich die falsche Rede dabei hatten, ist ein Zeichen dafür, wie wenig Sie geeignet sind, über solche Fragen wie einen wirklich kompetenten und umfassenden Infektionsschutz der Bevölkerung zu reden.
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– Was? Sie sind doch der Aufgeregte.
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Ach, Herr Brandner, so gut, wie Sie sich aufregen können, und so, wie Sie allein im Netz unterwegs sind, hoffe ich nur, dass Sie sich nicht weiter ausbreiten können mit dem, was Sie gerade an Hass und Hetze gegen bestimmte Personengruppen in unserem Land auslösen.
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Vielen Dank, Kordula Schulz-Asche. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Rudolf Henke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Welches Ziel verfolgen die Behörden in Deutschland mit ihren Infektionsschutzmaßnahmen? Ich glaube, es gibt eine klare Strategie. Erstens: die frühzeitige Identifikation von Verdachtsfällen. Hier ist es ein Riesenerfolg, mit welchem Tempo Testentwicklungen, Aufbau von Laborkapazitäten, Verfügbarkeit von Identifikationsmöglichkeiten und Klärung von Verdachtsfällen entstanden sind.Das ist ein Beleg für die hohe Leistungskraft des Forschungs- und Gesundheitswesens in Deutschland.
Zweitens: die konsequente Nachverfolgung von Kontaktpersonen. Es ist nicht so, dass der Pilot in einem Flieger durch die Reihen geht und die Patienten untersucht. Das ist nirgendwo das Ziel. Aber darauf vorbereitet zu sein, dass es bei jemandem im Flieger Symptome gibt, und dafür zu sorgen, dass jemand anhand des Sitzplanes identifiziert werden kann und man weiß, wo er sich nach dem Ausstieg aus dem Flieger aufhält, ist eine vernünftige Vorsorge und verdient Lob und Anerkennung. Das sind richtige Entscheidungen gewesen.
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Drittens: die Eindämmung der Ausbreitung. Ich finde, lieber Kollege Ullmann – vielleicht habe ich es aber auch falsch verstanden –, den an die Bundesregierung gerichteten Vorwurf, sie tue nicht genug,
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ein bisschen verkehrt.
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Die Frage, ob die deutsche Ärzteschaft auf dem Deutschen Ärztetag in die Weiterbildungsordnung der Ärzteschaft das Thema Infektiologie aufnimmt, hängt mehr davon ab, wie die Internisten, Chirurgen, Anästhesisten und Ärzte der anderen Fachrichtungen darauf vorbereitet sind, als mit dem, was sich der Bundesgesundheitsminister wünscht.
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Die Frage der Strukturreform der Krankenhäuser hat mehr mit dem zu tun, was sich mit der Krankenhausplanung Beschäftigte, auch FDP-Gesundheitsminister Herr Garg, als Plan vornehmen, wie die Krankenhäuser in Zukunft strukturiert werden sollen, als mit der Position der Bundesregierung.
Hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit – das haben Sie selber hervorgehoben – verdient die Bundesregierung jede Anerkennung dafür, wie sie sich dafür einsetzt, sie nach vorne zu bringen. Auch wenn die Chinesen mit der Teilung des Wissens sparsam umgehen, empfehle ich uns allen, jedenfalls in dieser Situation, Wege zu finden, die es den Chinesen ermöglichen, sich zu öffnen, dabei aber ihr Gesicht zu wahren, und nicht mit Verurteilungen zu arbeiten, sondern mit dem unablässigen Angebot der Kooperation. Ja, wir wissen über das Virus zu wenig. Ja, wir könnten wahrscheinlich mehr wissen, wenn wir beispielsweise, wie es heute schon im Gesundheitsausschuss gesagt wurde, Informationen bekommen würden über die Obduktion von Menschen, die in China dem Virus zum Opfer gefallen sind. Es gibt nicht einen einzigen Obduktionsbefund, den die Chinesen bis jetzt geteilt haben. Aber wir werden Befunde nicht dadurch bekommen, dass wir die Chinesen beschimpfen, sondern wir bekommen sie nur dadurch, dass wir versuchen, ihnen in Partnerschaft zu begegnen und sie für diese internationale Herausforderung zu gewinnen.
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Ich sage deswegen, dass es nicht viel Kritik an der Bundesregierung gibt.
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– Ein bisschen gibt es ja immer. – Ja, wir haben 350 Gesundheitsämter. Ich kann sehr gut verstehen, dass man sich über die Vielzahl der Akteure im föderalen System seine Gedanken macht. Im RKI – so der Chef des RKI – verbringen 150 Mitarbeiter in zwei Schichten den Tag damit, unsere Strategie aufrechtzuhalten. Ich glaube, deswegen werden wir, nachdem alles vorüber ist, die Aufgabe haben, Lehren daraus zu ziehen. Aber Panik ist nicht im Geringsten notwendig und Angst auch nicht. Angst muss man haben vor einer Wiederholung der Grippeepidemie 2017/18. Damals sind in Deutschland 25 000 Menschen an der Grippe gestorben. Das hatte auch etwas mit einer etwas zu geringen Wertschätzung der Grippeimpfung zu tun.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Rudolf Henke. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Robby Schlund.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Für uns Menschen in Deutschland ist das Thema Coronavirus von großer Wichtigkeit. Täglich werde ich von Bürgern angesprochen, die sich Sorgen darüber machen, was sie durch das Coronavirus zu befürchten haben. Sie wollen wissen, wie sie sich in Deutschland, aber auch auf Reisen davor schützen können. Da haben Sie, Herr Spahn, ohne viel Panik zu machen, tatsächlich bereits gute Aufklärungsarbeit geleistet. Dafür gilt es an dieser Stelle auch mal Danke zu sagen. Ich hoffe, Sie nehmen das von der AfD an.
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Was viele Bürger allerdings nicht wissen, ist, dass sich im Schatten des Coronavirus aktuell die Influenza wieder ausbreitet, so wie in jedem Jahr, mit wöchentlich steigender Zahl. Die Anzahl der Toten einer Influenzawelle übersteigt bei Weitem die Gefahr des Coronavirus. Im Vergleich zum Virus aus der Metropole Wuhan gibt es aktuell 900 Prozent mehr Influenzakranke in Deutschland. Aber aufgrund der hohen Infektionsrate des Coronavirus hat China strenge Quarantänemaßnahmen ergriffen, was übrigens nicht immer so war, wenn wir uns einmal an SARS erinnern. Diese sind aber unbedingt nötig, und denen sollten wir derzeit auch vertrauen.
Um die Ausbreitung der Epidemie oder gar einer Pandemie zu verhindern, empfehlen wir der Regierung in unserem Antrag, folgende zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen: erstens ankommende Personen mithilfe einer Wärmebildkamera auf Fieber zu untersuchen und Passagiere mit auffälliger Temperatur einer ärztlichen Beratung am Flughafen zu unterziehen,
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zweitens Fluggesellschaften mit sogenannten universellen Vorsorgekästen auszustatten, um Crewmitglieder zu schützen und potenziell Infizierten zu helfen, drittens eine ausreichende Anzahl von Isolierbetten sowie entsprechende Notfallmedikamente vorzuhalten, viertens alle Einrichtungen des Bundes bestmöglich bei der Impfstoffforschung zu unterstützen und natürlich sicherzustellen, dass der Bevölkerung der Impfstoff auch jederzeit zur Verfügung steht,
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und fünftens natürlich sofort eine nationale Hygieneaufklärungskampagne zu initiieren, um die Ausbreitung weiter einzudämmen. Durch diese Maßnahmen können wir helfen, die Menschen wirkungsvoll zu schützen.
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Dennoch: Was wir dringend für die Zukunft tun müssen, ist, einen langfristigen und nachhaltigen globalen Notfallplan für zukünftige Epidemien und Pandemien zu entwickeln. Deshalb sage ich Ihnen hier in diesem Hause: Gesundheitspolitik muss außenpolitischer werden, meine Damen und Herren. Das ist das Entscheidende; denn Gesundheitsfragen sind immer auch globale Fragen.
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Wir müssen die internationalen Standards der Gesundheitspolitik verbessern und gesundheitspolitische Konsenskonferenzen abhalten. Hier sind Sie als Bundesregierung gefordert. Ergreifen Sie zum Wohle der Menschen die Initiative und entwickeln Sie nachhaltige Strategien!
Warum beschäftigt sich eigentlich nicht die Münchner Sicherheitskonferenz mit diesem wichtigen Thema? Weil die Gesundheitspolitik nämlich nicht hip ist und gerade das Schmuddelkind, das viel Arbeit macht und wenig Aufmerksamkeit erzeugt. Es gibt dort immer nur ausgeleierte Fragen zur Sicherheitspolitik, meine Damen und Herren. Dabei gibt es genügend Herausforderungen und neue Horizonte.
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– Können Sie mal Ihre Klappe halten und einfach mal zuhören? Dann verstehen Sie die Symptomatik auch ein bisschen.
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Viele Länder – auch europäische – haben keine entsprechenden Standards – das wissen Sie von den Linken vielleicht nicht – für das pandemische Management bei biologisch gesundheitsrelevanten Katastrophen, sodass wir auch momentan wenige Statistiken und Zahlen über die Verbreitung des Coronavirus und anderer Erkrankungen erhalten. Auch hier gilt es, zu neuen Ufern zu gelangen, entsprechende internationale Standards und einen weltweiten Maßnahmenplan bei biologischen Katastrophen zu erarbeiten. Deswegen fordert die AfD eine Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik – für uns, für China und für die gesamte Welt.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Thomas Hitschler.
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Hochgeschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frei nach Gustav Heinemann zeigt sich die Stärke einer Gesellschaft daran, wie sie mit ihren schwachen Mitgliedern umgeht, mit ihren verletzlichen und verängstigten – mit Menschen, die sich mit ihren Familien in einem fremden Land wiederfinden, inmitten eines epidemischen Krankheitsausbruchs, mit Menschen, die die Ausbreitung eines bisher unbekannten Virus in ihrer Nachbarschaft erleben, ein Virus, gegen das es noch keinen Impfstoff gibt und an dessen Folgen Menschen sterben. Und dann kommt der erlösende Anruf aus der deutschen Botschaft: Man bereitet eine Evakuierung vor.
Auf der anderen Seite der Welt, in Germersheim, klingelt parallel auch ein Telefon. In der Südpfalz-Kaserne geht der Befehl ein, binnen drei Tagen eine Quarantänestation für etwa 100 Menschen einzurichten, für die Männer, Frauen und Kinder, die aus Wuhan evakuiert werden, deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und deren Familien.
In einer solchen Lage ist schnelles und entschiedenes Handeln gefragt. Die Bundeswehr allein kann diese Aufgabe nicht erfüllen. Sie muss sich abstimmen mit den Blaulichtorganisationen, dem Roten Kreuz, den kommunalen Behörden, den politischen Entscheidungsträgern aus der Region und dem Land. Die Bevölkerung muss eingebunden werden, um Panik und Misstrauen zu verhindern. Die Liegenschaften vor Ort müssen auf die Quarantäne vorbereitet werden. Eine große Herausforderung, die in kurzer Zeit bewältigt werden muss! Das geht nur mit guter Zusammenarbeit. Es geht in der Südpfalz.
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Kolleginnen und Kollegen, mir sei an dieser Stelle ein klein wenig Lokalpatriotismus gestattet. Als gebürtiger Südpfälzer, der diese Region hier vertreten darf, bin ich sehr stolz. Ich bin stolz auf die Soldatinnen und Soldaten der Kaserne, die unseren Namen trägt. Ich bin stolz auf die Kolleginnen und Kollegen in den örtlichen Behörden, die mehr als nur ihre Arbeit gemacht haben. Gut, dass wir uns auf die Strukturen in Rheinland-Pfalz verlassen können und dass die Landesregierung alles dafür tut, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten!
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Ich bin stolz auf die vielen Helferinnen und Helfer des Roten Kreuzes, der Malteser und all der anderen Organisationen, die seit zwei Wochen nun rund um die Uhr oft ehrenamtlich ihren Dienst leisten,
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und auf die Menschen der Region, die sich absolut anständig verhalten haben, die nicht in Panik verfallen sind, die sich nicht gegen die Unterbringung der Evakuierten gewehrt haben, die sogar Sachspenden für die betroffenen Familien gesammelt haben. Ihr seid alle großartig. Vielen Dank!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich kurz erläutern, was die Unterbringung der Evakuierten in der Südpfalz-Kaserne in der praktischen Umsetzung bedeutet. In der Kaserne gibt es glücklicherweise ein frisch renoviertes Unterkunftsgebäude auf dem modernsten Stand, das für die Unterbringung genutzt werden konnte. Aber Quarantäne heißt nicht nur: Soldaten raus, Evakuierte rein, Tür zu und warten. – Familien mit kleinen Kindern haben andere Bedürfnisse als Soldatinnen und Soldaten im Dienst.Der Führungsstab in Germersheim hat deswegen quasi über Nacht Kinderbetten in ausreichender Zahl angeschafft. Es wurde ein gesonderter Wäschekreislauf eingerichtet, damit die Kleidung der Evakuierten sich nicht mit der Kleidung der Bundeswehrangehörigen vermischt. Es wurden ein besonderer Versorgungskiosk und eine Anlaufstelle eingerichtet, um auf die Bedürfnisse von Familien, die ihren Hausstand zurücklassen mussten, eingehen zu können – alles binnen kürzester Zeit und mit allerhöchstem Einsatz.
Allein in der ersten Woche hat das Luftwaffenausbildungsbataillon fast 3 300 Stunden an Mehrarbeit geleistet. Das Rote Kreuz hat Medikamente in Apotheken beschafft, mit dem THW ein Warenlager eingerichtet und über 100 Logistiktransporte durchgeführt.
Vor Ort kümmern sich Rotkreuzler rund um die Uhr um die Menschen in Quarantäne. Sie untersuchen sie täglich, sie messen Fieber, bieten aber auch Beschäftigungsprogramme und psychosoziale Betreuung an. 22 dieser Helferinnen und Helfer sind sogar selbst in Quarantäne gegangen, um besser helfen zu können. Sie haben freiwillig diese Belastung und dieses Risiko auf sich genommen, um anderen zu helfen. Dafür gebührt ihnen unser Dank, unsere Anerkennung.
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Der Einsatz war erfolgreich: Gestern kam die Meldung, dass sich bisher niemand unter den in Germersheim Untergebrachten mit dem Virus infiziert habe. Hoffen wir, dass dies auch weiterhin so bleibt und dass diese Menschen bald ihr Leben wieder ganz normal leben können!
Kolleginnen und Kollegen, eine schwache Gesellschaft hätte ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nicht aus China zurückgeholt. Eine schwache Gesellschaft hätte sich gedacht: besser dort als hier. – Wir sind aber keine schwache Gesellschaft. Wir haben uns nicht von Angst und Vorurteilen, von Falschmeldungen und Panikmache verleiten lassen. Wir haben gezeigt, dass wir eine starke Gesellschaft sind, deren Institutionen funktionieren und deren Menschen solidarisch miteinander sind. Wir sind eine starke Gesellschaft, die zusammenhält. Darauf dürfen auch Nichtpfälzer stolz sein.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Thomas Hitschler. – Nächster Redner: für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der aktuelle Ausbruch des neuartigen Coronavirus, der seit gestern Covid‑19 heißt, verursacht viele Fragen und Sorgen der Menschen. Als Ministerium für Bildung und Forschung wissen wir, dass dies auch Forschung und Entwicklung vor immense Herausforderungen stellen wird.
Wir wollen konsequent einen Impfstoff entwickeln, um den Menschen eine zuverlässige Prävention anbieten zu können. Wir brauchen aber auch Medikamente und andere therapeutische Verfahren, um den bereits Infizierten helfen zu können. Zudem brauchen wir verlässliche Instrumente, um einen Ausbruchsverlauf sicherer vorhersagen zu können. Deutschland ist mit seiner starken Forschungscommunity in der Infektionsforschung international anerkannt und sofort aktiv geworden.
Eine ganz zentrale Herausforderung wird sein, dass die nun anlaufenden Entwicklungsarbeiten nicht in nationalen Silos erfolgen dürfen. Nationalismus ist auch hier falsch und führt in die Sackgasse. Die Ebolakrise hat uns nämlich gezeigt: Weil erst getrennt vorangegangen wurde, sind damals wertvolle Ressourcen und lebensrettende Zeit vergeudet worden.
Ja, Deutschland ist gut aufgestellt, um einen wichtigen Beitrag bei der Bekämpfung des neuartigen Coronavirus leisten zu können. Das zeigt sich auch daran, dass das weltweit erste etablierte diagnostische Verfahren für das neuartige Coronavirus hier an der Charité von Herrn Professor Drosten in kürzester Zeit entwickelt wurde. Im Rahmen des BMBF-geförderten Forschungsnetzes „Zoonotische Infektionskrankheiten“ leitet Herr Professor Drosten zudem einen Forschungsverbund zur Risikobewertung von Coronaviren. Das ist jetzt der Diagnostikentwicklung zugutegekommen.
Das BMBF ist Gründungsmitglied und Mitglied im Steuerungsgremium von CEPI, der internationalen Initiative zur Impfstoffentwicklung. Das BMBF fördert CEPI mit rund 90 Millionen Euro.
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In ganz enger Abstimmung mit der Weltgesundheitsorganisation will CEPI einen ersten Impfstoff binnen 16 Wochen in eine klinische Prüfung bringen. Das vom BMBF geförderte CEPI finanziert für den ersten Entwicklungsschritt bereits vier Entwicklungspartnerschaften, darunter übrigens eine Partnerschaft mit der CureVac AG, einer deutschen Firma.
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Bei allem Engagement: Im Bereich der Impfstoffentwicklung müssen wir uns aber auch vor Augen führen, dass ein wirksamer Impfstoff wohl nicht vor Ende dieses Jahres verfügbar sein wird. Ein Impfstoff schützt gesunde Menschen vor einer Ansteckung, hilft aber nicht unmittelbar bei der Behandlung von schon Erkrankten. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Entwicklung von neuen Medikamenten, aber auch von anderen Therapieverfahren und epidemiologischen Studien vorangetrieben wird. Wir führen hier bereits Gespräche mit verschiedenen internationalen Förderorganisationen, darunter der Europäischen Kommission, dem Wellcome Trust und der Bill & Melinda Gates Foundation.
Als Lehre aus den Erfahrungen der Ebolakrise wurde die internationale Plattform zur Zusammenarbeit von internationalen Forschungsförderern GloPID‑R gegründet. Das BMBF ist hier von Anfang an als Gründungsmitglied dabei. Das Ziel dieses Netzwerkes ist es, im Fall des Ausbruchs einer Epidemie schnell und unkompliziert koordinierte Forschungsantworten zu initiieren.
Meine Damen und Herren, die Weltgesundheitsorganisation spielt eine ganz entscheidende Rolle in globalen Gesundheitsfragen. Daher begrüßen wir es sehr, dass die WHO jetzt zu dieser Stunde ein Treffen mit Wissenschaftlern, öffentlichen Gesundheitsdiensten, Regulatoren und auch Forschungsförderern durchführt, um an einer konsolidierten Forschungsantwort zu arbeiten. Das Bundesforschungsministerium ist hier aktiv und hochrangig vor Ort beteiligt.
Lassen Sie mich, weil vorhin die Münchner Sicherheitskonferenz angesprochen wurde, auch darauf hinweisen: Ja, die Bundesregierung ist seit Langem dabei, das Thema „Gesundheit und Sicherheit“ – Gesundheitssicherheit – zu einem internationalen Thema zu machen. Das haben wir auf dem G‑7-Gipfel und auf dem G‑20-Gipfel deutlich gemacht, und auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird die Bundesregierung dieses Thema vertreten.
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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, seit dem Ausbruch des Coronavirus tragen wir mit deutscher Forschungs- und Entwicklungsexpertise zur Bewältigung dieser Krise bei. Lassen Sie uns gemeinsam unseren Forscherinnen und Forschern viel Erfolg bei ihrer wichtigen Aufgabe wünschen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Martina Stamm-Fibich, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Was glauben Sie, wer heute der weltgrößte Exporteur für pharmazeutische Wirkstoffe ist? Nein, es ist nicht Europa, und es sind nicht die USA, es ist die Volksrepublik China. Deutschland ist auf den Import von pharmazeutischen Wirkstoffen aus China angewiesen. Unsere medizinische Versorgung beruht darauf, dass wir im Ausland produzierte Wirkstoffe importieren können. Besonders abhängig ist Deutschland im Bereich der Antibiotika. Berechnungen gehen davon aus, dass etwa 80 Prozent der benötigten pharmazeutischen Wirkstoffe entweder aus China oder aus Indien stammen. In Deutschland existiert seit 2017 kein einziger Produktionsstandort für Antibiotika mehr.
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Letzte Woche war in der Berichterstattung mehrfach zu lesen, dass der Ausbruch des Coronavirus dramatische Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft hat. Fabriken stehen still, Lieferketten sind unterbrochen, und Handelswege sind abgeschnitten. Diese Probleme betreffen auch die pharmazeutische Industrie. Wir wissen nach jetzigem Stand, dass die Produktion von 48 versorgungsrelevanten Wirkstoffen betroffen ist. Es bahnt sich möglicherweise ein Engpass in der Arzneimittelversorgung in Deutschland an.
Das BfArM hat mitgeteilt, dass es bislang noch keine Lieferengpässe durch die Folgen des Coronavirus gibt. Angesichts der Informationen über Produktionsausfälle an mehreren chinesischen Standorten sollten wir nicht davon ausgehen, dass das so bleibt. Im Gegenteil: Das Virus ist noch lange nicht unter Kontrolle; es kann sich auf weitere Gebiete ausbreiten, die eine wichtige Rolle für die Arzneimittelproduktion spielen. Die Folgen würden wir mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Deutschland zu spüren bekommen.
Aber ich möchte hier keine Panik verursachen. Davon haben wir in den letzten Tagen in den sozialen Medien genug gesehen und gelesen. Die unsäglichen diskriminierenden und rassistischen Vorfälle gegenüber den Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit asiatischen Wurzeln verurteilen ich und auch meine Fraktion zutiefst.
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Ich will lediglich die Situation nutzen, um die Diskussion über Lieferengpässe und Versorgungssicherheit im Arzneimittelbereich weiter voranzutreiben.
Deshalb sage ich: Es ist gut, dass wir noch in dieser Woche mit dem Entwurf eines Fairer-Kassenwettwerb-Gesetzes Maßnahmen zur Bekämpfung von Lieferengpässen beraten und abstimmen. Ich bin mir sicher, dass dieses Gesetz die Situation punktuell verbessern wird. Es wird jedoch keine Abhilfe schaffen hinsichtlich der Tatsache, dass Europa in Bezug auf die Produktion von Arzneimitteln am Tropf von China und Indien hängt. Nach Valsartan und Piperacillin ist die aktuelle Situation nur ein weiterer Schuss vor den Bug. Sie demonstriert uns eindringlich unsere Abhängigkeit.
Hinzu kommt die Informationspolitik der chinesischen Regierung, die ein einziges Desaster ist.
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Hilfe wird abgelehnt, und Informationen sind auch auf höchster Ebene nur schwer zu bekommen. Wir müssen uns wirklich überlegen, wie stark wir in Fragen der Gesundheit von einem Land abhängig sein wollen, das mit der Wahrheit über eine nationale Gesundheitskatastrophe nur häppchenweise herausrückt. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese Abhängigkeit zumindest reduzieren können. Doch ein nationaler Alleingang ist auch hier nicht angebracht.
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Deshalb bin ich sehr froh, dass dieses Thema weit oben auf der Prioritätenliste für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft steht.
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Ein Satz zum Schluss. Ich glaube, wir haben heute viel über das gehört, was sich in Deutschland im ganzen Umfeld des Coronavirus getan hat. Ich glaube wirklich, man muss dem BMG, den Mitarbeitern und allen Beteiligten, wie es der Kollege Hitschler getan hat, ein großes Dankeschön sagen. Denn meiner Meinung nach, unserer Meinung nach haben wir bisher vorbildlich gehandelt, sind gut damit umgegangen. Die Leute, die auf mich zukommen, sagen: Wir sehen, dass in Deutschland etwas funktioniert.
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Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Georg Kippels, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Seuchen, Epidemien, Pandemien sind seit Jahrhunderten die Geißeln der Menschheit. Die Liste der Krankheitsbilder ist lang, und sie ist vor allen Dingen – trotz intensivster Forschungsmaßnahmen, gerade auch aus Deutschland – noch lange nicht geschlossen.
Bei den Pocken ist es gelungen, durch eine systematische Bekämpfung und Impfaktion die Ausrottung herbeizuführen. Bei Polio sind wir auf der Zielgeraden; es wird möglicherweise nur noch wenige Jahre dauern, bis dieser Gesundheitsbefund abgeschlossen ist.
Aber die Liste verlängert sich immer wieder: SARS, MERS, die Schweinegrippe. Immer wieder entsteht etwas durch die Veränderung von Genkonstellationen. Die Natur ist in diesem Zusammenhang außerordentlich erfinderisch, stellt uns vor neue Herausforderungen.
Ich glaube, es ist heute in den Redebeiträgen zunächst einmal ziemlich deutlich geworden, dass trotz aller theoretischen Vorbereitung leider immer wieder ein Überraschungseffekt eintreten kann. In Westafrika kam es in den Jahren 2014 und 2015 durch nicht funktionierende Basisgesundheitssysteme und eine unzureichende Diagnostik zu einem verheerenden Ausbruch von Ebola. Aber auch ganz andere Problemstellungen wie beispielsweise unzureichende Kommunikation, unzureichende Diagnostik spielen eine Rolle dafür, ob man diesen Gefahren begegnen kann oder ob dies nicht gelingt.
Mit einer gewissen Verwunderung nehme ich allerdings heute zur Kenntnis, dass der eine oder andere, der sich offensichtlich aufgrund der Aktualität jetzt mit der Materie „globale Gesundheit“ beschäftigt, den Eindruck erweckt, diese Thematik sei in der Arbeit der Bundesregierung erst seit wenigen Wochen, seit Anfang Dezember verankert. Das ist keineswegs der Fall. Insofern, lieber Kollege Ullmann: Ich weiß, dass Ihr Herz als Infektiologe für dieses Thema brennt. Aber den Eindruck zu erwecken, dass wir uns seit Jahr und Tag mit der Materie und der Systematik nicht auseinandersetzen, spiegelt ein vollkommen falsches Bild wider.
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Schon bei G 7 und G 20 in der letzten Legislaturperiode war es der Kanzlerin zu verdanken, dass diese Thematik Eingang in die Tagesordnung gefunden hat. Und unter Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe wurde das International Advisory Board on Global Health, das Internationale Beratergremium zur globalen Gesundheitspolitik, unter Leitung von Ilona Kickbusch, installiert, um sich mit der Methodik, mit der Art und Weise der Zusammenarbeit und natürlich auch mit einer Verbesserung der Arbeitsweise der Weltgesundheitsorganisation konstruktiv auseinanderzusetzen.
Es ist auch das Verdienst der Zusammenarbeit der Großen Koalition, dass zu Beginn dieser Legislaturperiode der Unterausschuss Globale Gesundheit gegründet wurde, dass wir seit Beginn der Legislaturperiode in unseren Sitzungen ununterbrochen die Themen analysieren, die Formate der Zusammenarbeit zusammentragen und dass daraus dann die entsprechenden Lehren für die Arbeit der Regierung gezogen werden können.
Deutlich geworden ist, glaube ich, dass eine Einzelleistung durch die Bundesrepublik in diesem Zusammenhang keinesfalls ausreichend ist, wenngleich unser Beitrag unverzichtbar ist und auf hohem wissenschaftlichem Niveau stattfindet.
Es nützt aber auch nichts, dass wir jetzt mit besonders aggressivem Tonfall versuchen, China auf ein Einlenken und auf einen besseren Informationsfluss hin zu bewegen,
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weil China schlicht und ergreifend – Kollege Henke hat es eben beschrieben – eine besondere Mentalität im Umgang mit Fehlerbewältigung hat und es eben nicht gelingt, durch Druck oder durch das Aufbauen eines Drohszenarios an die für uns in der Arbeit so wichtigen Informationen zu gelangen.
Noch heute Morgen hat Professor Wieler vom Robert-Koch-Institut dezidiert dargelegt, wie wichtig es ist, wissenschaftliche Basisinformationen zu bekommen, und es gibt kein einziges Sanktionsmittel der Weltgesundheitsorganisation, um diesen Prozess zu beschleunigen. Es ist für den Erfolg der Arbeit allerdings ungeheuer wichtig, dass unsere wissenschaftlichen Institutionen möglichst schnell an diese Informationen kommen, um durch die Isolierung der Viren entsprechende Untersuchungen durchzuführen, die Diagnostik zu verbessern, eine explizit auf dieses Gesundheitsproblem ausgerichtete Therapie zu konzipieren und dann natürlich auch Vorkehrungsmaßnahmen gegen die internationale Ausbreitung zu ergreifen.
Ich glaube, das wichtigste Fazit dieser Aktuellen Stunde muss sein, dass wir in Deutschland unsere Beiträge hervorragend leisten, dass wir teamfähig sind, dass wir mit der Europäischen Union konstruktiv zusammenarbeiten, dass wir aber auch noch sehr viel Überzeugungsarbeit im internationalen Kontext leisten müssen, damit alle diese Herausforderung der globalen Gesundheit gleichermaßen zur Kenntnis nehmen und konstruktiv an der Lösung mitarbeiten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Die letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde ist die Kollegin Emmi Zeulner, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viel zu oft schauen wir nur darauf, was nicht funktioniert, wo wir noch Mängel haben, wo wir noch Handlungsbedarf sehen. Doch gerade wenn es um den Umgang mit dem Coronavirus in Deutschland geht, wird eines klar: Unsere Strukturen und Maßnahmen funktionieren – und das auch im Ausnahmefall.
Dennoch bleibt es ein Kraftakt, den die Helfer vor Ort in den Bundesländern in den letzten Wochen gestemmt haben und immer noch stemmen. Deswegen möchte ich allem voran den Dank an die Helfer vor Ort richten, die hier eine beeindruckende Arbeit leisten. Diese verdient unseren großen Respekt und Dank sowie unsere große Anerkennung.
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Man muss sich das einmal vorstellen: Da kommt ein Anruf vom Bund an den Landrat: „Wir brauchen euch jetzt“, und dann wird – namentlich durch unseren Landrat Dr. Fritz Brechtel – von null auf hundert die Lage vor Ort gewuppt. Innerhalb kurzer Zeit wurden eine Quarantäneinfrastruktur in Germersheim aufgebaut und 122 Rückkehrer aus China aufgenommen und versorgt – organisiert durch unsere Bundeswehr. Diese Zone steht unter der Verantwortung der Kreisverwaltung des Landrats und wird von 22 Helfern des Roten Kreuzes unterstützt, die sich zum größten Teil ehrenamtlich in Quarantäne begeben haben, um zu helfen, ohne zu wissen, wie lange diese Quarantäne andauern wird.
Im Gespräch mit dem Landrat macht dieser deutlich, was der Kern der guten Arbeit ist: ein fachkompetentes und hochengagiertes Team rund um den Amtsarzt Dr. Jestrabek. Der Landrat selbst beschreibt es als humanitäre Selbstverständlichkeit, den Rückkehrern zu helfen. In jedem Wort merkt man, wie viel Engagement hier vor Ort vorhanden ist und mit wie viel Herz alle Beteiligten dabei sind.
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Der ganze Landkreis hat sich gefreut, als die Nachricht kam, dass bei der zweiten Testung auf das Coronavirus alle Tests negativ waren und es somit keinen neuen Ansteckungsfall bei den Rückkehrern und den Helfern gab.
Die Bewunderung und der Dank vonseiten der Bundesebene gelten der Kreisverwaltung Germersheim, der Stadt Germersheim, dem Roten Kreuz, der Luftwaffe, den Bundeswehrsoldaten vor Ort, dem THW, der Feuerwehr, der Polizei, den Ärzten, den Pflegekräften und allen Helfern, die an der Rückkehr und der aktuellen Versorgung beteiligt sind.
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Deswegen ist auch klar von Bundesseite – und damit beschäftigt sich aktuell der Haushaltsausschuss –: Jede Unterstützung, die wir geben können, müssen wir geben. Anhand des Vorgehens des Bundesgesundheitsministeriums und auch des Gesundheitsministeriums in Bayern, das als erstes Bundesland von dem Virus betroffen war, zeigt sich ein hervorragendes Krisenmanagement. Sowohl unser Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als auch unsere bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben von Anfang an die richtigen Maßnahmen in die Wege geleitet und dadurch eine Verbreitung wie in China bisher verhindern können. Gerade auch die Maßnahmen, die auf Länderebene ergriffen wurden, tragen hier zum Erhalt der gesicherten Lage bei.
Besonders hervorzuheben ist hier zum Beispiel die Spezialeinheit Task-Force Infektiologie, die in Bayern eingesetzt wird. Sie verfügt über jahrelange Erfahrung, ist jederzeit einsatzbereit und am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, LGL, angesiedelt. Die Task-Force kümmert sich unter anderem um die Identifikation und Betreuung möglicher Kontaktpersonen von Coronavirusfällen. Mit dem LGL haben wir eine sehr gute Stelle, die das Ausbruchsgeschehen in Bayern leitet und überwacht. Erprobte Alarmpläne werden angewendet und sichern eine zügige Kommunikation der Akteure.
Auch das Robert-Koch-Institut – das wurde mehrmals erwähnt – unterstützt hier mit einem Team. Auch diese Zusammenarbeit zwischen Land und Bund funktioniert reibungslos und im Sinne der Sicherheit der Bevölkerung.
Aufklärung durch Transparenz schafft eine direkte Hotline des Landesamts und auch des Bundesgesundheitsministeriums, bei der die Bürger sich jederzeit informieren und Fragen stellen können. Auch die Informationen wissenschaftlicher Arbeit sind selbstverständlich auf der Homepage des Robert-Koch-Instituts und geben Unterstützung.
Neben den kurzfristigen Maßnahmen zeigt sich aber auch in den langfristigen Maßnahmen und Ankündigungen die Stärke unseres Systems. Wir lernen aus Krisen und sind bereit, die Strukturen zu verbessern. So hat unser Bundesgesundheitsminister bereits angekündigt, dass man sich im Nachgang noch einmal ganz genau anschauen wird, wo wir im Infektionsschutzgesetz nachjustieren müssen, um die Verantwortlichkeiten und damit auch die Lasten besser zu verteilen. Wir als Parlament werden ihn dabei unterstützen.
Es lässt sich also festhalten: Wenn alle Ebenen – Kommune, Land, Bund, Europa und die Weltgemeinschaft – mit Herz, Verstand und kühlem Kopf zusammenarbeiten, meistern wir auch Ausnahmesituationen zum Wohle der Menschen in unserem Land. Wir werden nicht müde, an weiteren Verbesserungen zu arbeiten.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Kollegin Emmi Zeulner. – Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Nord-Süd-Bericht von Willy Brandt ist ein Schlüsseldokument globaler Entwicklung. Das Überleben sichern – eine Welt: Mit diesem Titel leitete Willy Brandt einen Paradigmenwechsel in der internationalen Politik ein. Es ging nicht mehr um Entwicklungshilfe der Industrieländer, sondern um eine Politik und Bedingungen des gemeinsamen Überlebens. Willy Brandt entwickelte eine Strategie zur Gestaltung der Globalisierung. Man bedenke: Das war 1980, vor 40 Jahren. Ich erinnere mich. Das war damals unser Einstieg in die Politik.
Ich zitiere aus der Einleitung Willy Brandts zum Nord-Süd-Bericht:
Ob es uns passt oder nicht: Wir sehen uns mehr und mehr Problemen gegenüber, welche die Menschheit insgesamt angehen, so dass folglich auch die Lösungen hierfür in steigendem Maße internationalisiert werden müssen. Die Globalisierung von Gefahren und Herausforderungen – Krieg, Chaos, Selbstzerstörung – erfordert eine Art „Weltinnenpolitik“, die über den Horizont von Kirchtürmen, aber auch nationale Grenzen weit hinausreicht. Dies vollzieht sich bisher nur im Schneckentempo.
Zitat Ende. Willy Brandt: Einleitung des Nord-Süd-Berichtes.
Willy Brandt wollte den Nord-Süd-Ausgleich voranbringen. Die Einleitungsworte von Willy Brandt könnten und müssten heute zum Beispiel bei der Münchner Sicherheitskonferenz oder hier im Plenum Leitschnur sein.
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Meine Damen und Herren, deswegen freue ich mich, dass ich hier als Auftaktredner sprechen darf.
So beauftragte Willy Brandt Minister Erhard Eppler bereits 1971 mit der Vorlage einer ersten entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesregierung. Erhard Eppler war ein Vordenker deutscher Entwicklungspolitik.
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Seine Anstöße sind auch für mich bis heute grundlegend für die deutsche Entwicklungspolitik. Ich hatte vor seinem Tod Gott sei Dank Kontakt mit ihm. Es ist mir als derzeitigem deutschen Entwicklungsminister sehr wichtig, ihm als langjährigem Entwicklungsminister ein ehrendes Gedenken, Respekt und Anerkennung des Parlaments zu erweisen.
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Der Nord-Süd-Bericht machte klar: Um Überleben zu sichern, geht es um eine stärkere Integration der armen Länder in die Weltwirtschaft – das liegt alles 40 Jahre zurück! –, es geht gleichwertig um ein stärkeres finanzielles Engagement der reichen Nationen. Die Ausgaben für Entwicklung – so steht es im Nord-Süd-Bericht – sollten bis 1985 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens steigen – 0,7 Prozent bis 1985 – und bis 2000 auf 1 Prozent. Das war damals, vor 40 Jahren, die Vorgabe. Wenn die Unterstützung in diesen Feldern, auch die politische Unterstützung, auch noch heute genauso stark wäre wie diejenige in anderen Feldern – ich nenne die Verteidigungspolitik –, dann hätten wir das 1-Prozent-Ziel längst erreicht.
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Willy Brandt forderte – ich zitiere ihn –, weniger Geld für Rüstung und deutlich mehr für Entwicklung auszugeben.
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Denn für ihn war Entwicklungspolitik Friedenspolitik. Ich zitiere: „Wo Hunger herrscht, ist auf Dauer kein Friede.“ So Willy Brandt in seiner Rede 1973 vor den UN. Wissen Sie, ich komme gerade aus dem Sudan und war im Nordosten Nigerias. Dort herrscht Hunger, und das ist der Auslöser für Bürgerkrieg, für Terror, für Instabilität. Wie recht Willy Brandt doch hatte und hat!
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Sein Nord-Süd-Engagement entfaltete nachhaltige Wirkung. Es folgte die von Olof Palme geleitete Unabhängige Kommission für Abrüstungs- und Sicherheitsfragen, und es folgte die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung mit dem sogenannten Brundtland-Bericht.
40 Jahre sind seitdem vergangen. Die weltweite Bilanz heute ist leider ernüchternd. Die Ausbeutung von Mensch und Natur in globalen Lieferketten geht weiter. Heute vor einer Woche, am Mittwoch, stand ich im Nigerdelta: Tausende von Hektar verseuchte Mangroven, verseuchte Böden. Dort beginnt die Lieferkette Öl. Wenn Sie in Deutschland, etwa in Berlin, an die Tankstelle fahren, wollen Sie solche Verhältnisse nicht am Anfang, an der Quelle der Ölausbeutung.
75 Millionen Kinder arbeiten heute für uns in Minen, auf Plantagen, in der Textilwirtschaft. Die Rüstungsausgaben steigen weltweit – entgegen dem, was Willy Brandt damals als Ziel hatte –, zwischenzeitlich auf 1 700 Milliarden. Die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit stagnieren bei weltweit 170 Milliarden. 1 : 10 beträgt dieses Missverhältnis, das es zu ändern gilt.
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Ja, 40 Jahre später steigt die Zahl der Hungernden wieder an.
All dies muss uns motivieren. Wir alle, meine Damen und Herren, sind gefordert, den Kampf gegen Hunger und Armut, für Frieden und Gerechtigkeit im Sinne von Willy Brandt, Erhard Eppler, Gro Harlem Brundtland, Olof Palme als moralische, politische und menschliche Verpflichtung ein Leben lang zum Grundanliegen unserer Politik zu machen.
Vielen herzlichen Dank.
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Der nächste Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Dietmar Friedhoff.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Es geht um 40 Jahre Nord-Süd-Kommission, 40 Jahre Brandt-Brief – nicht zu verwechseln mit Brandmauer. Willy Brandt hatte die Kinder und ihre Zukunft im Blick, als er 1977 begann, sein Team und die Inhalte für diese Kommission zusammenzustellen. Ich war damals elf Jahre alt und bin eines dieser Kinder. Und ich stelle fest: Nach 60 Jahren fehlgeleiteter Entwicklungspolitik ein weiterer Versuch, die Welt, die Kulturen und ihre Menschen zu verstehen, zu verbiegen und anzupassen.
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Grund des Scheiterns sind die falsche Sicht, die falsche Brille und falsche Annahmen.
Zur Anpassung. „Anpassung“ ist ein Wort für die Natur, die es immer wieder schafft, sich neu zu sortieren und damit überlebensfähig zu machen. In der Geschwindigkeit unterscheidet das die Natur vom Menschen, dessen Eigen es ist, einen freien Willen, eine freie Identität und einen freien Glauben zu haben sowie kulturelle Eigenheiten, die bei aller Gleichheit Ungleichheit schaffen. Und genau diese Punkte sind es, die den Menschen in Obhut nehmen und eben nicht gleichsetzen lassen.
Deswegen hat die Nord-Süd-Kommission 40 Jahre versucht, eine Anpassung zu schaffen, die gar nicht zu erreichen ist. Man war durchdrungen von guten Gedanken, aber es reichte wieder einmal nicht zur Lösung, weil es eben keine allumfassende Lösung gibt. Und immer wieder bleiben die Fragen: Anpassung an wen, an was und vor allen Dingen warum?
Afrika ist und bleibt ein Kontinent mit eigener Identität, eigener Sinnhaftigkeit und eigener Natürlichkeit, in Grenzen gezwungen durch westlichen Formungswahn, der Afrika in keiner Weise gerecht wird. Afrika erlebt im Zuge eines Helferleintums und Fremdbestimmungswahns Ausbeutung, Terror und Bevölkerungswachstum wie nie und damit einhergehend Ungleichheit, Armut und Umweltzerstörung wie nie.
Was wir wirklich brauchen, wären Einsicht und Weitsicht und ein sofortiges Beenden einer Entwicklungshilfeindustrie, die sich selbst erhält.
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Afrika braucht eine ernstgemeinte wirtschaftliche Zusammenarbeit, gerade auch im deutschen Interesse. Wer Afrika wirklich fördern will, wer Afrika wirklich auf einen besseren Weg der Nachhaltigkeit und Teilhabe bringen will, dem muss klar sein: Afrika ist Afrika und nicht Europa.
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Wir müssen, sollten und wollen alles tun, die Afrikaner auf ihrem eigenen afrikanischen Weg – der afrikanischen Agenda 2063 – zu unterstützen.
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Werte Kollegen, wir schauen doch gerne nach Afrika und prangern die demokratischen Missverhältnisse zum Beispiel in Eritrea und in Ägypten an, erkennen verliehene Preise ab und erkennen Teilhabende nicht als Preisträger an. Lassen Sie uns doch mal in uns gehen. Können wir als Deutschland es wagen, Demokratie und Opposition im Ausland zu fordern, wenn unser eigener moralischer Kompass, egal wo man steht, immer nach links zeigen muss, um zum Ziel zu kommen?
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Nehmen wir als Beispiel doch mal Thüringen.
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Da wird demokratisch gewählt, und die deutsche Kanzlerin sagt – ich zitiere –: Dieser Vorgang ist unverzeihlich, und das Ergebnis muss rückgängig gemacht werden.
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Die anderen Parteien rufen auf, eine Brandmauer innerhalb eines frei gewählten Parlamentes aufzubauen.
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In vielerlei Hinsicht haben wir es wirklich geschafft, 40 Jahre nach Willy Brandts Nord-Süd-Kommission selber zum förderungsfähigen politischen Entwicklungsland zu werden.
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Im Übrigen war Willy Brandt immer bemüht, Mauern einzureißen, weil er immer für Offenheit und Dialog war, auf Augenhöhe. Leider fehlt uns das mittlerweile in unserer eigenen Demokratie.
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Wer es verpasst, ergebnisoffen mit Respekt und Würde miteinander zu reden – das betrifft uns alle hier im Haus, ausnahmslos –, sollte nochmals über Demokratieverständnis, im wahrsten Sinne des Wortes, nachdenken.
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Übrigens: Wer Brandmauern willentlich aufstellt, sollte sich genau überlegen, ob er auch auf der richtigen Seite steht. Wer hingegen Afrika und Deutschland in Einklang bringen will, braucht nicht nur Verstand, sondern auch Herz, Respekt für Afrika und Liebe zu Deutschland.
Danke schön.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Das Überleben sichern“: Der Nord-Süd-Report – der Brandt-Report – hat vor 40 Jahren viele Menschen mobilisiert. Dieser Anspruch – jedes Land hat das Recht, sich zu entwickeln –, diese Idee von globaler Solidarität und von Frieden – das faszinierte damals. Viele engagierten sich dann auch in diversen entwicklungspolitischen Initiativen.
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Schon vor 40 Jahren hat man gewusst: Wer die Herausforderungen dieser einen Welt meistern will, der kommt um globale Solidarität nicht herum. Die funktioniert aber nur durch internationale Zusammenarbeit aller Staaten.
Der Nord-Süd-Bericht nahm vieles von dem vorweg, was wir heute als SDGs kennen, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Diese Ziele gelten für Nord und für Süd. Sie sind gleichermaßen Aufgabe für Industrieländer, für Schwellenländer und Entwicklungsländer. Und nur wenn wir diese Ziele gemeinsam erreichen, kann es uns gelingen, dass alle Menschen ein Leben in Würde führen können unter der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen.
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Meine Damen und Herren, die treibenden Kräfte der Globalisierung können wir nicht alleine – national – zähmen, und die negativen Auswirkungen betreffen uns alle: Umweltzerstörung und Klimawandel, zügellose Finanzmärkte und hemmungslose Börsenspekulationen auch mit Nahrungsmitteln, das Gegeneinander-Ausspielen von Arbeitskräften weltweit mit der Folge rücksichtsloser Ausbeutung und Lohnsenkung.
Das heißt aber auch, dass der Wandel zuerst bei uns selber anfangen muss. Wir brauchen entschlossenes Handeln, damit die SDGs noch stärker Leitlinie der Politik in Deutschland werden, bei uns zum Beispiel im Bereich Armutsbekämpfung und Armutsprävention, bei Bildung und Gleichstellung der Geschlechter und natürlich beim Klimawandel. Und unsere Politik darf die nachhaltige Entwicklung in anderen Ländern nicht gefährden. Wir brauchen gute und faire Handelsabkommen
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zur Gestaltung der Globalisierung; Verträge, die Umweltschutz, Klimaschutz, Arbeits- und Sozialstandards, Gleichstellung und Menschenrechte nicht nur festschreiben, sondern auch wirkungsvoll um- und durchsetzen können.
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Ein wichtiger Teil, die SDGs zu fördern, muss ein ambitioniertes Lieferkettengesetz werden. Für deutsche Unternehmen muss es selbstverständlich sein, dass die Menschen, die in den Entwicklungsländern für sie produzieren, von ihrer Arbeit leben können und dass die Umweltstandards eingehalten werden. Dieser Verantwortung sind sich viele Unternehmen durchaus bewusst, und sie befürworten auch eine gesetzliche Regelung. Denn es darf kein Wettbewerbsvorteil sein, Menschen in Entwicklungsländern auszubeuten.
Ich freue mich jetzt auf den Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil in Zusammenarbeit mit Entwicklungsminister Gerd Müller. Herr Minister, vielleicht darf ich das sagen: Wir freuen uns als SPD, dass Willy Brandt und Erhard Eppler Ihnen als Vorbild für Ihre Entwicklungspolitik dienen.
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Nachhaltige Entwicklung zu fördern, heißt auch, Frieden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weltweit zu unterstützen. Das ist Teil sowohl unserer Entwicklungszusammenarbeit als auch unserer Außenpolitik, und dafür suchen wir weltweit Verbündete. Entwicklung hat nur eine Chance, wenn Konflikte befriedet statt immer wieder angeheizt werden. Deswegen haben wir auch die Politischen Grundsätze für Rüstungsexporte geschärft und als SPD-Bundestagsfraktion ein Positionspapier vorgelegt, um Waffenexporte einzuschränken.
Sehr geehrte Damen und Herren, der vollständige Titel des Nord-Süd-Berichts lautete: „Das Überleben sichern. Gemeinsame Interessen der Industrie- und Entwicklungsländer“. Das – das wissen wir alle – ist aktueller denn je: Die Klimakatastrophe können wir nur gemeinsam aufhalten, für das Artensterben und die Vermüllung der Meere gilt das gleichermaßen, und es gilt natürlich auch für Krisen und Konflikte. Diese Herausforderungen gemeinsam anzugehen, dafür steht der Nord-Süd-Bericht, dafür stehen die SDGs. Für uns als SPD sind die SDGs auch so etwas wie „social democratic goals“, sozialdemokratische Ziele für eine nachhaltige Entwicklung weltweit.
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Christoph Hoffmann.
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Herr Präsident! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Liebe Zuhörer auf den Rängen! Vor 40 Jahren hat Altkanzler Willy Brandt den Nord-Süd-Bericht den Vereinten Nationen vorgelegt. Der Bericht forderte unter der Überschrift „Das Überleben sichern“ ein stärkeres finanzielles Engagement von den Industrieländern. Zur damaligen Zeit hieß der Entwicklungsminister Rainer Offergeld, SPD, späterer OB in Lörrach in meinem Wahlkreis und jetzt Ehrenbürger dort, weil er auch dort gute Entwicklungsarbeit geleistet hat.
Populisten behaupten heute – wir haben es gerade wieder gehört –, die Entwicklungshilfe würde verschwendet, sie würde nichts erreichen. Aber das Gegenteil ist richtig.
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Die Entwicklungsarbeit hat vieles geschafft, aber nicht nur mithilfe staatlicher Mittel, sondern vor allem wegen vieler privater Initiativen, Spenden und Organisationen. In Deutschland werden jährlich ungefähr 10 Milliarden Euro von privaten Bürgern für die Entwicklungszusammenarbeit gespendet; das ist genauso viel, wie der Staat gibt. Ihnen möchte ich heute an dieser Stelle dafür ganz herzlich danken.
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Die staatliche Entwicklungspolitik hat allerdings auch die Illusion genährt, dass staatliche finanzielle Mittel diese Welt retten könnten. Es ist ein paternalistischer Wunsch, der letztlich aber ein bisschen realitätsfern ist. Für die immensen Herausforderungen der Entwicklung im globalen Süden braucht es Trillionen. Nein, nur die Menschen und die Staaten selbst können mithilfe einer sozialen Marktwirtschaft und guter Regierungsführung sich zum Wohlstand bewegen. Zwingende Rahmenbedingungen dafür sind Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Eigentumsgarantie, Demokratie, Meinungsfreiheit, kurz gesagt: wirtschaftliche und persönliche Freiheiten und Garantien.
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Deshalb muss auch die Despotenhilfe in der Entwicklungszusammenarbeit, also Entwicklungsgelder für despotische Regimes zum Beispiel in Kamerun und Brasilien, aufhören, Herr Minister, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Leider ist es in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit nach wie vor das wichtigste Credo, das Geld auszugeben. Der Mittelabfluss wird also gewürdigt, aber die Ergebnisse vor Ort, am Boden, werden zu wenig gewürdigt oder analysiert. Das führt dann eben auch zu Missverständnissen in der Bevölkerung.
Ein Beispiel. Wir geben 375 Millionen Euro für die Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ aus; das wird bejubelt – zu Recht. Im September 2019 bittet die FAO, die Weltorganisation für Nahrung und Landwirtschaft, um 2 Millionen US-Dollar, um eine Heuschreckenplage zu bekämpfen. Nur 2 Millionen! Da hat die Bundesregierung nicht reagiert. Die Heuschrecken vermehren sich weiter ungestört. Im November waren es dann schon 6 Millionen, die die FAO brauchte, und im Januar dieses Jahres waren 75 Millionen nötig, um die Heuschreckenplage zu bekämpfen. Und es passierte einfach nichts.
Das heißt, wir produzieren eine Hungerkatastrophe und hätten diese mit 2 Millionen US-Dollar eigentlich verhindern können. Das ist weder effizient noch vertretbar in der Entwicklungszusammenarbeit hier in diesem Hause.
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Die Entwicklungspolitik ist auch viel zu viel auf innenpolitische Wirkung angelegt. So wurde der Haushalt des Entwicklungsministeriums mit dem Credo „Migration verhindern“ – das ist ein innenpolitisches Argument – aufgefüllt. Man erfand den Marshallplan mit Afrika und unzählige weitere Initiativen, die alle gut gemeint sind.
Das jüngste Beispiel unseres Ministers ist eine neue Strategie für den Sahel – mal eben so am Rande. Er will ein Aussteigerprogramm für die Terroristen von Boko Haram auflegen. Ich zitiere aus der „Berliner Morgenpost“ vom 7. Februar 2020:
Ich werde ein Aussteigerprogramm auflegen, um Waffen einzusammeln und ihnen eine echte Alternative zu geben mit Cash for Work, beruflicher Ausbildung und langfristigen Jobs.
Das ist sicherlich gut gemeint, aber es ist geradezu eine Fata Morgana für die Wähler in Deutschland unter der Verkennung der Realitäten von Volkswirtschaft, dynamischer Bevölkerungsentwicklung und dem afrikanischen Kontinent. Es ist bestenfalls eine gut gemeinte Selbstüberforderung.
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Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.
Noch ein Satz. Gute Regierungsführung und Investitionen schreiben die Erfolgsgeschichte von Staaten. Nehmen wir zum Beispiel Thailand: 1980 hatte Thailand ein Pro-Kopf-Einkommen von 700 Dollar. Sie haben es in 40 Jahren verzehnfacht. Also: Investitionen der privaten Wirtschaft und gute Rahmenbedingungen lösen die Probleme.
Herzlichen Dank.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Helin Evrim Sommer für die Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Wir feiern heute das 40. Jubiläum des Berichts der Nord-Süd-Kommission. Willy Brandt war damals deren Vorsitzender. Und so feiern wir nicht nur den Geburtstag des Berichts, sondern würdigen damit einen Politiker für seinen politischen Scharfsinn und seinen Weitblick, und das über die Parteigrenzen hinweg.
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Die von Willy Brandt verfasste Einleitung zum Nord-Süd-Bericht gibt einen authentischen Einblick in das Denken des Friedenspolitikers. Der Bericht ist eine Aufforderung zum politischen Handeln. Er benennt die zentralen Bedingungen und die globalen Zusammenhänge, die für das Überleben der Menschheit notwendig sind. Mehr geht nicht.
Aber was würde Willy Brandt sehen, wenn er heute die Ergebnisse seines Nord-Süd-Berichts betrachten könnte? Fast nichts.
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- „Fast nichts“, habe ich gesagt.
Meine Damen und Herren, liebe Bundesregierung, ich will kurz drei Punkte ansprechen.
Erstens. Den Anteil der öffentlichen Entwicklungsgelder sollten wir endlich auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens anheben –
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das ist übrigens die Vorgabe der Vereinten Nationen –, das haben wir nämlich in fast 50 Jahren immer noch nicht erreicht. Die Bundesregierung frisiert die eigenen Zahlen ganz geschickt: Sie rechnet die Kosten für die Unterbringung von Geflüchteten in die Entwicklungsausgaben mit ein und feiert sich dafür ab, dass sie näher an die 0,7-Prozent-Quote rankommt.
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Tatsächlich bedeutet das aber, dass das reiche Deutschland zeitweilig selbst der größte Empfänger von deutschen Entwicklungsgeldern ist. Wie absurd ist das bitte schön?
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Punkt zwei. Wir Linke fordern, dass mindestens 0,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die armen Länder bereitgestellt werden. Dass die unterstützt werden sollten, ist sogar inzwischen der Bundesregierung aufgefallen. Die Armut südlich des Äquators will sie bekämpfen, auch um die Migrationsbewegung zu stoppen. Das wäre eigentlich eine tolle Idee, nur kürzt die Koalition gleichzeitig die Mittel für die ärmsten Länder, die sogenannten LDC.
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Das ist paradox, und das konnte mir auch noch keiner aus der GroKo erklären.
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Der Anteil der Gelder für die LDC in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit liegt jetzt schon unter 10 Prozent. Die Bundesregierung arbeitet stattdessen mit privilegierten Reformpartnern, eine beschönigende Umschreibung für das, was das tatsächlich heißt: Staaten, die sich kooperativ zeigen bei der Migrationsabwehr und dem Grenzmanagement, bekommen mehr Unterstützung. Auf der anderen Seite fallen nicht privilegierte ärmere Partnerländer einfach hinten runter. Das sind aber ausgerechnet diejenigen, die am stärksten unsere Unterstützung brauchen.
Drittens. Wir Linke fordern deutlich mehr Geld für die zivile Konfliktbearbeitung und Konfliktprävention.
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Und was macht die Bundesregierung? Sie will die friedliche Entwicklung fördern, wie sie sagt. „Prima, ganz in unserem Sinne“, denken sich zum Beispiel die Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, und merken dann: Ein einziger Eurofighter kostet mehr, als die Organisation für ihren Haushalt pro Jahr zur Verfügung hat. Das ist ein Rohrkrepierer und keine Friedenspolitik, liebe Koalition.
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Mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit oder mehr Geld für Verteidigung? Das ist eine einfache Frage, die sich hier stellt. Was jetzt benötigt wird, ist der politische Wille. Die SPD hat es selbst in der Hand und muss sich wieder auf ihre Wurzeln als Friedenspartei besinnen.
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Denn wie Willy Brandt schon im Nord-Süd-Bericht richtig erkannte: „Entwicklungspolitik von heute ist die Friedenspolitik von morgen.“
In diesem Sinne: Vielen Dank.
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Der nächste Redner: für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Uwe Kekeritz.
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Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auch sehr darüber, dass das Thema Nord-Süd-Bericht heute auf der Agenda steht. Das geschieht sicherlich auch in der Anerkennung der persönlichen Leistungen der Person Willy Brandts. Sein Bericht, der Brandt-Bericht, wird zu Recht zu den bahnbrechenden Weltberichten zur globalen Entwicklung gezählt. Er ist ein intellektueller Meilenstein und ein Schlüsseldokument der internationalen Politik und könnte auch heute noch in vielerlei Hinsicht als ein politisches Lehrbuch gewertet werden. Herr Müller hat ja gesagt: Die Regierung wird demnächst mehr und mehr in dieses Buch reinschauen.
Die heutige globale Situation zeigt uns, wie weitsichtig dieser Bericht eigentlich war. Klimawandel, Erderwärmung, Aufrüstung, Verarmung und Reichtumskonzentration, alles in noch nie dagewesenem Ausmaße, und genau davor warnt der Bericht. Dieser Bericht sollte von uns als ein Vermächtnis begriffen werden, das uns einen klaren Handlungsauftrag erteilt. In der Nachschau wirkt der Bericht wie der Gegenentwurf zum Marktfundamentalismus der 80er- und 90er-Jahre. Diese Jahre waren für den globalen Süden düster, und zwar sehr düster. Ich erinnere nur an die damalige Schuldenkrise. Die lateinamerikanischen Staaten waren die ersten, die die bitteren Pillen des Internationalen Währungsfonds in Form von Strukturanpassungsmaßnahmen verschrieben bekommen hatten. Für sie war es ein Desaster. Die verschuldeten Staaten sollten glauben, dass der freie Markt alles richten, der Trickle-down-Effekt Armut bekämpfen und das Privat-vor-Staat-Dogma zu einer nachhaltigen Entwicklung und zu inklusivem Wachstum führen würde – heute wie damals schlicht Unsinn.
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Heute ist die weltweite Verschuldung der Staaten auf einem historischen Rekordniveau, und wir sind da nicht vorbereitet. Wir haben immer noch kein Staateninsolvenzverfahren.
Auch das Wiederaufflammen der Ideologie des Washington Consensus mit den einfältigen Investitionsinitiativen, den erzwungenen Marktöffnungen oder auch mit der europäischen Handelspolitik, die Ökologie und Menschenrechte weit aufs Abstellgleis stellen, gefährdet die dringend nötige soziale und ökologische Transformation.
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Wir brauchen eine Gemeinwohlökonomie und keine stoische Wachstumsideologie. Dann würden sich Investitionen auch als sinnvoll erweisen.
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Der Nord-Süd-Bericht forderte damals zu Recht eine Weltinnenpolitik, und er forderte auch strukturelle Veränderungen. Zu den strukturellen Veränderungen wissen wir, dass diese Regierung nichts davon hält. Im Gegenteil: Sie blockiert national, auf EU- und auf UN‑Ebene. Und nicht nur im Agrar- und im Handelsbereich wären strukturelle Änderungen dringend nötig. So wäre zum Beispiel das Lieferkettengesetz unbedingt notwendig. Es müsste schon längst da sein.
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Es wird aber vom Kanzleramt und auch vom Wirtschaftsminister torpediert.
Das damalige Einfordern einer Weltinnenpolitik hat Größe und Weitsicht bewiesen. Wir können an diesem Punkt, 40 Jahre später, sogar tatsächlich einen kleinen Erfolg vorweisen. Dieser Erfolg besteht leider nur in internationalen Verträgen, die allerdings der Umsetzung harren. Die Agenda 2030 und das Klimaabkommen von Paris sind Zeugnisse einer neuen Weltinnenpolitik, und sie beinhalten den Auftrag, Hunger und Armut weltweit abzubauen, Wohlstand gerechter zu verteilen und so zu wirtschaften, dass unsere Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Allerdings wird diese Regierung dem Auftrag und ihrem eigenen Anspruch bei Weitem nicht gerecht.
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Die Regierung verwechselt den Begriff „Weltinnenpolitik“ immer mit innenpolitisch getriebener Weltpolitik. Das ist aber etwas ganz anderes. So wird zum Beispiel Entwicklungspolitik zur Außenwirtschaftsförderung, zur Migrationskontrolle oder zur Grenzsicherung weitgehend zweckentfremdet.
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Genau das widerspricht der Idee Willy Brandts.
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Willy Brandt hat die dramatischen Folgen des Kalten Krieges und eines unsinnigen Wettrüstens stets verurteilt. Ich möchte ihn an dieser Stelle zitieren. Willy Brandt sagte:
Es kann sehr wohl sein, längst dabei sind, uns zu Tode zu rüsten … Nur langsam wird den Menschen klar, welche Aussichten sich eröffnen könnten, wenn es gelänge, auch nur einen Teil der unproduktiven Ausgaben für Waffen in produktive Aufwendungen für Entwicklung umzulenken.
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40 Jahre müssten für solch einen Erkenntnisgewinn reichen. Stattdessen eifert diese Regierung blindlinks dem 2-Prozent-NATO-Ziel nach und verbucht Rüstungsexporte in Rekordhöhe – ein Offenbarungseid. Und der SPD sei gesagt: Wenn Willy das wüsste, was würde er von dieser SPD halten?
Herr Präsident, ich möchte aber hoffnungsvoll schließen. Denn tatsächlich glaube ich, wie es Brandt selbst formulierte, dass Probleme, die von Menschen geschaffen wurden, auch von Menschen gelöst werden können. Es braucht nur den ehrlichen politischen Willen und Mut dazu. „Das Überleben sichern“, so der Titel des Reports, verlangt eben politischen Willen und Mut. Beides sehe ich in der Koalition und in dieser Regierung nicht ausreichend vorhanden.
Ich danke.
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Der nächste Redner ist der Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU-Fraktion.
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Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gewissermaßen eine historische Debatte. Wir denken 40 Jahre zurück. Wir denken an den wichtigen Impuls – das ist ausgeführt worden –, den Willy Brandt gegeben hat. Vielleicht noch ein paar Jahre zurück: in das Jahr 1973. Willy Brandt war Kanzler. Zu diesem Zeitpunkt ist Deutschland in die Vereinten Nationen aufgenommen worden. Es ist ein ganz bedeutender Zeitpunkt gewesen. Er hat damals – ich zitiere – gesagt: „Wir sind … gekommen, um … weltpolitische Mitverantwortung zu übernehmen.“ Über diesen langen Prozess auf einem Weg Deutschlands, weltpolitische Verantwortung zu übernehmen, können wir in diesem Jahr, in dem wir 30 Jahre Wiedervereinigung feiern, noch einmal neu nachdenken. Aber der erste Impuls, den Willy Brandt 1973 bei der Aufnahme Deutschlands in die UN gegeben hat, ist sehr wichtig.
Diesen Impuls für diesen Nord-Süd-Bericht, über den wir noch sprechen werden, hat der Weltbankpräsident gegeben. Ich weiß nicht genau, ob erinnerlich ist, wer damals der Weltbankpräsident war: Robert McNamara, der vorherige amerikanische Verteidigungsminister, der eine sehr schwierige und natürlich auch sehr schwere Verantwortung im Vietnam-Krieg getragen hatte, sich dieser Verantwortung nicht mehr gewachsen zeigte, zurücktrat und später Weltbankpräsident wurde und eine ganz andere Perspektive hinsichtlich der Verantwortung für die Entwicklung der Welt hatte. Unter verschiedenen Staatsmännern führte es dann Willy Brandt, den damaligen Altkanzler, an die Spitze dieser Gruppe, die international zusammengesetzt war.
Heute – darauf ist hingewiesen worden – haben wir einen wirklichen Paradigmenwechsel. Wenn wir von dem Begriff, um den es geht, „Nord-Süd-Bericht“ reden, dann sieht man daran, dass wir von einer zweigeteilten Welt sprechen, von einer Welt, die in Nord und in Süd, in Arme und in Reiche zerfällt und die auch noch so begriffen worden ist. Das ist heute mit dem, was wir in den globalen Nachhaltigkeitszielen verabreden, nämlich eine Begegnung auf Augenhöhe, eine wechselseitige Verantwortung füreinander, ein ganz neues Modell. Ich bin sehr dankbar, dass sich Deutschland diesen globalen Nachhaltigkeitszielen mit großem Engagement, lieber Minister Müller, stellt und dass wir versuchen, diese anspruchsvolle Agenda mit der Verantwortung, die wir hier in Deutschland haben, auch umzusetzen.
Dazu gehört auch ein Bekenntnis zu den Klimaschutzzielen, die ein wesentlicher Teil der internationalen Zusammenarbeit sind. In unserem Ministerium macht der globale Klimaschutz einen ganz beträchtlichen Anteil der Investitionen aus.
Wenn ich von Investitionen spreche – darauf ist vonseiten der Liberalen hingewiesen worden –, dann sollten wir noch einmal deutlich machen, worum es uns eigentlich geht. Wir haben – es ist sehr viel Negatives gesagt worden – in diesen 40 Jahren Großes erreicht. Die absolute Armut auf der Welt ist unglaublich stark zurückgegangen. Wir hatten im Jahr 1980 4,5 Milliarden Menschen und fast 2 Milliarden davon in absoluter Armut. Bei einer jetzt auf 7,5, 7,7 Milliarden Menschen angestiegenen Bevölkerung ist der Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen dramatisch zurückgegangen. Es sind nur noch 700 Millionen Menschen. Wir haben also die Zahl absolut verringert, mehr als halbiert, prozentual sind es überhaupt nur noch 10 Prozent der Menschen. Das ist ein gewaltiger Erfolg. Insofern sollten wir dankbar sein für diesen Impuls von 1980 und auch einmal positiv über das sprechen, was wir erreicht haben.
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Das gilt übrigens auch für viele andere Bereiche. Ich nenne nur einen Bereich, über den wir vorhin debattiert haben: die Gesundheit. Auch die Sterblichkeit von Kindern ist ganz stark zurückgegangen, hat sich in dieser Zeit halbiert. Auch das ist ein Riesenerfolg.
Die Sache ist schwierig – deswegen muss man auch differenziert schauen –, wenn man den Blick auf Afrika richtet. Wir haben einen wahnsinnigen Erfolg, eine wahnsinnige Entwicklung in Asien, in China, in Indien, in Südostasien erlebt. Große Mittelschichten sind entstanden. Afrika – das muss man sagen – ist unser Sorgenkind. Deswegen muss unser Augenmerk auch auf Afrika gerichtet sein. Das tut auch Herr Minister Müller. Da geht es genau um zwei Dinge. Da geht es zum einen um die Verbesserung in der Regierungsführung, auf Englisch Good Governance. Das heißt, wir müssen die Staaten, die dazu gewillt sind, ertüchtigen, gegen Korruption und für gute Regierungsführung zu arbeiten. Dabei unterstützen wir sie, vor allen Dingen mit unserer GIZ. Das heißt auch, dass Staaten sich selbst in die Lage versetzen, Steuern in ihren Ländern zu erheben, um so einigermaßen auf eigenen Füßen zu stehen, was ihre Finanzkraft angeht.
Dann geht es zum anderen darum – das sollte die Folge von Bemühungen um Good Governance sein –, dass wir die Investitionsbedingungen in den betreffenden Ländern verbessern, sodass unsere Unternehmen Lust und Rechtssicherheit haben, dort zu investieren. Was die Menschen dort brauchen, das sind Jobs, das sind Arbeitsplätze. Wir sollten die Begegnung mit den Menschen in Afrika, mit den Staatenlenkern auf Augenhöhe suchen. Wenn wir das gemeinsam tun – die EU und die Afrikanische Union –, dann bin ich positiv gestimmt, dass wir in Zukunft unsere Zusammenarbeit auf einen guten Weg bringen.
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Zum Abschluss will ich noch einen wichtigen Punkt ansprechen. All das ginge nicht ohne Engagement, ohne Engagement von Zivilgesellschaft, von Kirchen und vor allen Dingen von jungen Menschen, die in der Begegnung auf diesem Erdball voneinander lernen. Wenn ich an die vielen „weltwärts“-Programme denke, die stark auch von kirchlichen Einrichtungen getragen werden und durch die junge Menschen in die Welt hinaus gesandt werden, wo sie in der Begegnung mit anderen jungen Menschen auf der ganzen Welt voneinander lernen und die sie auch zu uns holen, sodass junge Menschen aus anderen Ländern hier bei uns lernen können, dann stelle ich fest, dass wir der wirklichen Bedeutung der globalen Nachhaltigkeitsziele nahekommen, nämlich einer gemeinsamen Entwicklung in wechselseitiger Verantwortung auf Augenhöhe.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege von Marschall. – Der nächste Redner ist der Kollege Markus Frohnmaier, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor genau 40 Jahren forderte Willy Brandt im Nord-Süd-Bericht die Einführung einer globalen Steuer für Industrieländer. Durch eine globale Umverteilung von Geld sollte der Norden für den Süden bezahlen. Damit wurde der Grundstein für die Probleme der deutschen Entwicklungspolitik gelegt.
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Keine Hilfe zur Selbsthilfe, keine Unterstützung der Eigenverantwortlichkeit, stattdessen ewige Alimentation! Heute gibt es zwar keine bedingungslose Umverteilungsteuer. Dafür gibt es aber häufig eine Entwicklungshilfe ohne Bedingungen. Heute feiern wir nicht nur 40 Jahre Nord-Süd-Bericht. Heute feiern wir 40 Jahre Entwicklungshilfe mit der Gießkanne. Wir feiern, dass von 84 Empfängerländern deutscher Entwicklungshilfe „nur“ 70 hochgradig korrupt sind. Eine schöne Leistung, Herr Minister Müller!
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Heute feiern wir auch die Bundeskanzlerin, die 1 Milliarde Euro deutsches Steuergeld an Indien verschenkt, Indien, eine Wirtschaftsmacht mit eigenem Raumfahrtprogramm. Wir feiern heute auch die kreativen Programme von Entwicklungsminister Müller. Wenige Bürger wissen, dass Minister Müller durch die tatkräftige Unterstützung von Germany’s-Next-Topmodel-Kandidatinnen überlebenswichtige Projekte wie gendersensible Männerarbeit in Nicaragua oder mobile Trainingszentren für Friseurinnen in Kooperation mit L’Oréal Paris auf Kosten des Steuerzahlers finanziert. Vom Nord-Süd-Bericht über die Millenniumsziele bis zur Agenda 2030 zieht sich eine rote Linie: Umverteilung, Umverteilung, Umverteilung!
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Linke weiße Männer mittleren Alters möchten die ganze Welt zwangsbeglücken. Dabei helfen sie den Entwicklungsländern nicht, sondern fördern nur Korruption und Abhängigkeit. Was würde den Entwicklungsländern wirklich helfen?
Erstens: Keine Entwicklungshilfe mehr für potente Wirtschaftsmächte wie China und Indien!
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Wir müssen die Zahl der Partnerländer reduzieren und uns auf die ärmsten Länder der Welt konzentrieren.
Zweitens. Stoppen Sie endlich die Bevölkerungsexplosion in Afrika!
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Auf die ungezügelte Geburtenrate in Entwicklungsländern hinzuweisen, ist kein Rassismus.
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Das ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.
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Drittens: Die Abwanderung junger Männer aus den Entwicklungsländern stoppen! Das geht nur mit robustem Grenzschutz
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und keinen Wassertaxen im Mittelmeer.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Sascha Raabe, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute über den Nord-Süd-Bericht von Willy Brandt aus dem Jahr 1980, der am 12. Februar vorgelegt wurde. Daraus wurde schon oft zitiert. Willy Brandt hat gesagt:
Wo Hunger herrscht, kann Friede nicht Bestand haben. Wer den Krieg ächten will, muß auch die Massenarmut bannen.
Im moralischen Sinn macht es keinen Unterschied, ob ein Mensch im Krieg getötet wird oder durch die Gleichgültigkeit anderer zum Hungertod verurteilt ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts von fast 20 000 Menschen, die pro Tag an Hunger und Armut sterben müssen, werde ich jetzt nicht auf meinen Vorredner eingehen,
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weil ich der Meinung bin, dass man Willy Brandts Satz abwandeln könnte – Herr Frohnmaier, Sie sind doch schon so lange mit uns im Ausschuss –: Wo Dummheit und Ignoranz herrschen, haben Argumente keinen Bestand. – Deswegen nützt es gar nichts, mit Ihnen darüber zu reden.
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Sie sprechen angesichts von Menschen, die ertrinken, von Wassertaxen, die über das Meer fahren, und behaupten immer wieder, wir würden an China und an Indien Entwicklungsgelder geben,
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obwohl wir Ihnen im Ausschuss schon hundertmal erklärt haben, dass das nicht stimmt. Ich sage es noch einmal für die Öffentlichkeit – nicht wegen Ihnen –: Nein, es gibt keine Entwicklungszusammenarbeit mit China,
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für die Steuergelder eingesetzt werden, und auch in Indien sind es in der Regel Kredite
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für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien, die zurückgezahlt werden müssen.
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Natürlich werden wir weiterhin mit globalen Partnern zusammenarbeiten, damit wir das Klima schützen können. Aber wir helfen nicht mit Steuergeldern, sondern mit Know-how-Transfer oder, wenn überhaupt, mit Krediten, die zurückgezahlt werden müssen.
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Die Kolleginnen und Kollegen wissen das – Sie wollen es nicht wissen. Aber ich wollte es einmal gesagt haben.
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Ich bin froh, dass es uns, anders als denen rechts außen, nicht gleichgültig ist, ob Menschen den Hungertod sterben.
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Sie kennen mich – ich bin seit 2002 im Parlament –: Ich hätte mir auch gewünscht, dass wir das, was Willy Brandt 1980 wollte, nämlich, wie Herr Minister Müller es auch schon gesagt hat, eine ODA-Quote von 0,7 Prozent bis 1985, schon früher erreicht hätten. Es ist aber auch wahr, dass der Etat des Entwicklungsministeriums, nachdem wir unter Entwicklungsminister Niebel die berühmte Niebel-Delle hatten und der Entwicklungsetat vier Jahre stagniert hatte,
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bei etwa 6 Milliarden Euro lag, als die SPD zusammen mit der CDU/CSU an die Regierung gekommen ist.
Jetzt sind wir bei fast 11 Milliarden Euro. Wir haben die ODA-Mittel allein in den letzten drei Jahren um jeweils 1 Milliarde Euro erhöht, also dreimal hintereinander gesteigert. Ich finde, das ist etwas, worauf wir stolz sein können. Aber es geht nicht darum, dass wir stolz sind, vielmehr haben wir damit ganz vielen Menschen geholfen
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und haben auch Menschen vor dem Hungertod gerettet, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Das machen wir nicht allein aus einer humanitären Verantwortung heraus – das würde schon reichen –, sondern es ist das, was Willy Brandt gesagt hat: Es geht auch um gemeinsame Interessen. – Er hat 1980 schon erkannt, dass wir nur so unsere natürlichen Ressourcen schützen können, dass wir auch ökonomisch ein Interesse daran haben müssen – das steht da wörtlich drin –, dass die Kaufkraft in den Entwicklungsländern steigt und sie einen größeren Anteil am Weltmarkt haben. Er hat auch gesagt: Höhere Löhne in den Entwicklungsländern helfen auch uns, helfen dabei, auch hier Arbeitsplätze zu sichern. Denn wenn Menschen auch von uns etwas kaufen können, hilft das auch hier bei der Sicherung von Arbeitsplätzen. Deswegen geht es nicht nur darum, dass wir helfen wollen, sondern es ist in unserem gegenseitigen Interesse, die Globalisierung fair zu gestalten. Deswegen brauchen wir in der Tat auch ein Lieferkettengesetz, das jetzt schnell kommen muss.
Wir haben gerade in diesen Tagen die Diskussion über das Durchführungsgesetz zur EU-Konfliktminerale-Verordnung. Wir Sozialdemokraten können stolz darauf sein, dass wir es waren, die am Ende mit Wirtschaftsminister Gabriel in Brüssel dafür gesorgt haben, dass es erstmals eine verpflichtende Regelung gibt. Unternehmen müssen jetzt verantwortlich nachweisen, dass nicht mehr mit Kinderhänden blutig in Minen geschuftet wird, und das ist auch gut, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Das müssen wir jetzt in einem Lieferkettengesetz auf alle Bereiche ausweiten. Ich bin Gerd Müller und Hubertus Heil sehr dankbar, dass sie das voranbringen. Aber ich sage auch: Es darf nicht sein, dass Peter Altmaier, dass das Wirtschaftsministerium gemeinsam mit Funktionären vom BDI versucht, die Regeln aufzuweichen und am Ende das Gesetz immer weiter nach hinten zu schieben.
Ehrbare Unternehmer – es gibt Gott sei Dank viel mehr verantwortungsvolle Unternehmer als schwarze Schafe – wollen die gleichen Wettbewerbsbedingungen haben.
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Wenn sie sich fair verhalten, wollen sie auch verbindliche Regelungen. Deswegen brauchen wir gesetzlich verpflichtende Regeln. Es muss selbstverständlich sein, dass es keine Ausbeutung durch Kinderarbeit und keine Zwangsarbeit gibt. Das ist eine Frage, die eigentlich längst überfällig ist. Es ist doch klar, dass so etwas auch gesetzlich geregelt werden muss.
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In diesem Sinne: Willy Brandt, du hast recht gehabt. Wir werden das jetzt umsetzen, meine Damen und Herren.
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Der Kollege Till Mansmann ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Vor 40 Jahren wurde unter Willy Brandt die Entwicklungszusammenarbeit global neu definiert. Wo stehen wir heute, gerade vor dem Hintergrund der Erkenntnis der gemeinsamen Interessen? Die OECD und die Welthandels- und Entwicklungskonferenz UNCTAD schätzen, dass jedes Jahr weltweit mehr als 2 000 Milliarden US-Dollar gebraucht werden, um die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die Agenda 2030, zu erreichen.
Bei der UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung im Sommer 2015 in Addis Abeba haben die weltweiten Entwicklungsbanken dafür das Schlagwort „From Billions to Trillions“ geprägt. Es geht also nicht mehr nur um ein paar Milliarden Euro oder Dollar, es geht um Tausende Milliarden. Nur einen Bruchteil davon können wir aus staatlichen Mitteln aufbringen.
Lieber Kollege Uwe Kekeritz, man muss einfach sehen, dass die Summen nicht ausreichen, die wir als Staaten alleine zur Verfügung stellen können. Es gehört zu unseren ganz wesentlichen Aufgaben, diese Mittel zu hebeln und bei der freien Wirtschaft für Investitionen zu werben und den Staaten zu helfen, entsprechende Rahmenbedingungen aufzubauen, die eine freie Entfaltung der Kräfte in ihren Ländern ermöglichen.
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Denn auch das ist eine Erfahrung der letzten 40 Jahre: In dieser zurückliegenden Zeit ist es uns weltweit vielfach gelungen, die schlimmste Armut massiv zurückzudrängen und die wachsenden Gesellschaften auf eine höhere Lebensqualität zu heben. Weltweit sinkt die Kindersterblichkeit und steigt die durchschnittliche Lebenserwartung. Ich danke dem Kollegen Matern von Marschall für die entsprechenden Hinweise. Wir müssen aber erkennen, dass dies vor allem da der Fall war, wo sich freie Märkte mit rechtstaatlicher Setzung der Rahmenbedingungen entwickeln konnten.
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Wir sollten beim Rückblick auf 40 Jahre der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bei allen Erfolgen auch kritisch prüfen, was wir besser machen können. Dort, wo staatliche Willkür, schlechte Regierungsführung, Planwirtschaft und Korruption herrschen, geht es vielen, vielen Menschen weltweit weiter schlecht. Dort versickert investiertes Geld in den falschen Taschen. Wir müssen Druck aufbauen im Interesse der Menschen dort. Es ist wirklich eine spannende Frage der nächsten Monate, ob ein Lieferkettengesetz oder vielleicht auch Freihandelsabkommen nicht die besseren Instrumente auf dem Weg dahin sind.
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Aber wie sieht es bei uns aus, was die Entwicklungszusammenarbeit angeht? Heute ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit auf 15 Ministerien verstreut. Die Reibungsverluste, vor allem zwischen Entwicklungsministerium und Auswärtigem Amt, sind inzwischen leider traurige Tradition.
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Wir fordern immer multilaterale Zusammenarbeit, haben aber unsere eigenen nationalen Strukturen noch nicht wirklich im Griff.
Vielleicht noch ein letzter Hinweis: Es liegt endlich ein Entwurf der viel diskutierten Länderliste vor – wir haben jetzt ganz viel über andere Kontinente gesprochen –; dort sind auch europäische Länder drauf. Ich will nur darauf hinweisen, gerade als Mitglied der Parlamentariergruppe Südkaukasus: Armenien ist dort zum Beispiel als ein Land gelistet, das wir nicht mehr direkt unterstützen wollen. Das ist eigentlich traurig, weil gerade in diesem Land wichtige demokratische Entwicklungen stattgefunden haben. Auch auf solche Länder sollten wir bei unserer Arbeit schauen.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte ist schon sehr viel gesagt worden, doch der Grundtenor vieler Reden, insbesondere der Opposition, war – das muss man ehrlich sagen – doch eher negativ. Von daher möchte ich den Blick auf den Chancenkontinent Afrika richten.
Ich bin davon überzeugt, dass unser Nachbarkontinent Afrika wirklich herausragende Chancen bietet. Die Bevölkerung Afrikas orientiert sich, so wie ich sie kennengelernt habe, sehr stark an Europa. Die Afrikanische Union ist nach dem Vorbild der Europäischen Union gegründet worden. Man versucht, mit Freihandel, mit Handelsabkommen, mit freien Handelswegen innerhalb des Kontinents zu arbeiten – nach dem Vorbild Europas.
Selbstverständlich brauchen viele Staaten Unterstützung; selbstverständlich haben viele Länder mit dem Bevölkerungswachstum zu kämpfen. Das kann ich hier kritisieren und bedauern, oder ich kann versuchen, den Menschen durch Aufstiegsmöglichkeiten, durch Bildung, durch gesicherte Einkommen Hoffnung und Perspektive zu bieten. Wenn wir uns beispielsweise Äthiopien anschauen, dann sehen wir, welch positive Auswirkungen Bildung auf die Bevölkerungsentwicklung hat.
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Ich möchte heute den Blick vor allem auf die Chancen lenken, die Afrika für die Wirtschaft bietet, und zwar für die afrikanische Wirtschaft, aber auch für unsere Wirtschaft; das wird nämlich häufig vergessen. Ich darf darauf hinweisen, dass es in Afrika 600 Millionen Haushalte gibt, die bis heute keine einzige Steckdose haben. Sollten die Afrikaner in den nächsten Jahren diesen Bedarf an Energie mit Kohlekraftwerken decken wollen, dann brauchen wir uns über die Klimaziele überhaupt nicht mehr zu unterhalten. Hier ist doch unser Know-how, das deutsche Know-how gefordert, um die Energieversorgung auf erneuerbare Energieträger umzustellen.
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Wir haben die große Chance – das ist auch eine Chance für die deutsche Autoindustrie –, grüne Energie in Afrika auf den Weg zu bringen. Ich denke an Ethanol und Wasserstoff. Ich bin unserem Entwicklungsminister Gerd Müller, unserem Verkehrsminister Andi Scheuer und auch der Bildungsministerin Anja Karliczek sehr dankbar dafür, dass sie eine Wasserstoffinitiative aufgelegt haben, mit der wir versuchen, diesen Bereich zu unterstützen und zu fördern; denn viele afrikanische Staaten haben die große Chance, in Zukunft Energielieferant der Industriestaaten zu werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen Afrika beim Thema Klimawandel, aber nicht nur Afrika, sondern auch Indien, China, Russland und viele andere Länder. Man kann den Klimawandel natürlich bedauern, man kann auch dagegen demonstrieren, aber wichtig ist, dass wir mit Forschung und Innovationen Lösungen entwickeln, und zwar gemeinsam mit Afrika. Welcher Kontinent ist denn inzwischen am stärksten vom Klimawandel betroffen? Afrika. – Da können wir sehr viel lernen. Dieses Know-how sollten wir nutzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Partnerschaften mit Unternehmen erleichtern. Diesbezüglich sind viele Initiativen angestoßen worden. Wir haben einen Wirtschaftsinvestitionsfonds aufgesetzt. Wir wollen die Ausbildung unterstützen, und zwar nicht nur die globalen Bildungspartnerschaften, sondern wir versuchen auch, mit unserem Know-how im Bereich der beruflichen Bildung voranzugehen, mit unserer Initiative für Jobs und Bildung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Beziehungen zu unserem Nachbarkontinent insgesamt auf eine neue Grundlage stellen. Deswegen bin ich dankbar für die vielen Afrika-Gipfel, die bereits stattgefunden haben. Wir müssen dabei auch über Absatzmärkte für Afrika in Europa sprechen. Wir müssen über faire Handelsbeziehungen sprechen. Wir müssen auch über unsere Verantwortung – das ist schon angesprochen worden – in den globalen Lieferketten sprechen. Selbstverständlich müssen wir auch über die Verantwortung der einzelnen Länder sprechen.
Deswegen ist der Reformansatz von Gerd Müller sehr richtig. Wir brauchen einen Pakt zwischen Europa und Afrika, der erstens Armut und Hunger bekämpft, sich zweitens dem Thema „Lebensgrundlagen und Klima“ widmet, drittens den fairen Handel auf eine neue Grundlage stellt und viertens das Thema „Sicherheit und Migration“ angeht.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Stefinger. – Die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Heike Baehrens, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich noch einmal Willy Brandt: Im moralischen Sinn macht es keinen Unterschied, ob ein Mensch im Krieg getötet oder durch Gleichgültigkeit anderer zum Hungertod verurteilt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn Menschen sterben, weil sie zu arm sind, um einen Arzt aufzusuchen, weil das Medikament, das geholfen hätte, zu teuer ist – oder es wegen mangelnder Renditeerwartung gar nicht entwickelt wurde –, es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn Menschen sterben, weil es dort, wo sie leben, schlicht keine medizinische Versorgung gibt.
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Ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung hat keinen angemessenen Zugang zu Gesundheitsversorgung. Was Willy Brandt schon vor über 40 Jahren erkannte: In der einen Welt können wir das gemeinsame Überleben nur sichern, wenn wir erträgliche und würdevolle Lebensbedingungen für alle Menschen herstellen.
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Darum wurde schon im Jahr 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert: Gesundheit ist ein Menschenrecht.
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Gesundheit ist auch notwendige Voraussetzung für gute Entwicklung; denn nur gesunde Menschen können lernen, können ihre Fähigkeiten und Talente einsetzen, eine Arbeit ausüben, mit der sie ihre Familie ernähren können. Dass wir das Nachhaltigkeitsziel 3 – Gesundheit und Wohlergehen für alle – politisch stark machen, ist darum für Staaten des globalen Südens von elementarer Bedeutung.
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Willy Brandt wollte die Nord-Süd-Beziehungen neu ausrichten auf der Grundlage gemeinsamer Interessen und gleicher Rechte für Industrie- wie Entwicklungsländer. Auch Gesundheit ist ein gemeinsames Interesse aller Staaten. Das Menschenrecht auf Gesundheit ist die Basis für ein faires und partnerschaftliches Handeln im internationalen Feld. Vor diesem Hintergrund sollte insbesondere die Partnerschaft mit der Afrikanischen Union verstärkt auch zur Kooperation im Bereich der globalen Gesundheitspolitik genutzt werden.
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Darum, Herr Minister Müller, verfolgen wir als SPD im Moment sehr aufmerksam die Pläne im BMZ, Gesundheit ausschließlich als Thema der multilateralen Zusammenarbeit zu definieren. Als SPD-Bundestagsfraktion ist uns wichtig, dass die erfolgreichen Projekte der bilateralen Zusammenarbeit im Gesundheitssektor weitergeführt werden können. Wir erkennen sehr wohl die Chancen, die in einer Neuausrichtung liegen können. Im Sinne des Global Action Plan müssen und wollen wir unsere Anstrengungen bündeln und aufeinander abstimmen. Insbesondere bei der Stärkung der Gesundheitssysteme sind noch größere Anstrengungen nötig; das habe ich vorhin in der Aktuellen Stunde am Beispiel des Coronavirus auch schon deutlich machen können.
Zum Schluss, Herr Präsident, will ich noch eine Replik auf den grünen Redner vorhin loswerden: Wir als SPD werden weiterhin mit Mut und politischem Willen auf die Erreichung der SDGs hinarbeiten. Denn 40 Jahre nach dem Nord-Süd-Bericht sind eben 10 Jahre vor 2030, dem Zeitpunkt, wo wir die 17 Nachhaltigkeitsziele erreicht haben wollen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin.
Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Der Antrag der AfD will mehr Parlament und weniger Direktive durch die Bundesregierung, mehr Gewissensentscheidung und weniger Fraktionszwang. Der Antrag der AfD will die Rolle des Bundestages beim Einsatz unserer Streitkräfte stärken.
Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Enhanced Forward Presence ist keine Kleinigkeit, kein simpler Verwaltungsakt, keine geringfügige Gesetzesänderung. Wir reden hier über die höchste Verantwortung der Politik: den Einsatz von jungen Männern und Frauen unserer Bundeswehr, die ihre Gesundheit und in letzter Konsequenz ihr Leben riskieren.
Die Entsendung deutscher Truppen ins Baltikum geht aber auch weit über die Verantwortung der Politik für das Leben unserer Soldaten hinaus. Wir sprechen hier über eine Entscheidung der Bundesregierung von höchster sicherheitspolitischer Tragweite; denn die Stationierung deutscher Panzergrenadiere kurz vor der russischen Grenze hat enorme Auswirkungen auf die Beziehungen Deutschlands und des gesamten Westens zur Russischen Föderation.
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Da die Bundesregierung diesen Militäreinsatz bis heute mit keinen vertrauensbildenden Maßnahmen flankiert, ist das deutsch-russische Verhältnis dadurch schlechter statt besser und sicherer geworden.
Die AfD will, dass Einsätze der Bundeswehr von solcher Tragweite zukünftig vom deutschen Parlament überprüft und kontrolliert werden können.
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Die AfD steht zur Bundeswehr als Parlamentsarmee.
Meine Damen und Herren, der EFP-Einsatz der Bundeswehr in Litauen zeigt eine große militärische Unwucht auf, ein grobes Missverhältnis zwischen den mandatierten Einsätzen und dieser sogenannten einsatzgleichen Verpflichtung:
Gleich im Anschluss wird der Bundestag über den Einsatz im Südsudan debattieren. Dort sind aktuell 13 Soldaten stationiert. Ihre Hauptaufgabe: beobachten und Ansprechpartner sein. Morgen das Gleiche mit dem Einsatz im nördlichen Sudan! Dort sind lediglich vier deutsche Soldaten stationiert. Insgesamt debattiert der Deutsche Bundestag volle drei Stunden über diese zwei Kleinsteinsätze mit 17 Soldaten, und er stimmt im Anschluss darüber ab. Das ist Parlamentskontrolle. In Litauen sind aber über 600 deutsche Soldaten mit Schützenpanzern und Kampfpanzern stationiert, und der Bundestag kann dies lediglich zur Kenntnis nehmen. Das ist nicht in Ordnung.
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Der Einsatz in Litauen hat im schlimmsten Fall das Potenzial, die NATO in einen Krieg mit Russland zu verwickeln.
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Strategen sprechen von einer Stolperdrahtfunktion durch die eingesetzten Kräfte. Wer die parlamentarische Kontrollfunktion respektiert, der bringt einen solchen Einsatz zur Abstimmung.
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Ich möchte hier ausdrücklich nicht über Sinn oder Unsinn des Bundeswehreinsatzes im Baltikum sprechen.
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Ich möchte, dass unser Parlament die Möglichkeit zur Entscheidung darüber erhält.
Meine Damen und Herren, seit einigen Tagen diskutieren die Parteien in Deutschland hitzig, teilweise hysterisch über die Rolle von Parlamenten und die Rechte von Abgeordneten.
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Wir sehen eine hasserfüllte Welle der Diffamierung des politischen Gegners.
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Und wir erlebten einen einmaligen Angriff der Bundeskanzlerin auf die Unabhängigkeit eines deutschen Landesparlaments.
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Sehr geehrte Kollegen von CDU bis Linkspartei,
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Demokrat ist man nicht, weil man sich so nennt. Bestes Beispiel ist die DDR, die Deutsche Demokratische Republik. Demokrat ist man, wenn man Entscheidungen zur Abstimmung bringt und das Ergebnis akzeptiert.
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Wer dem vorliegenden Antrag auf Abstimmung über den Einsatz der Bundeswehr in Litauen zustimmt, stärkt die Rechte des Bundestages, bringt Sicherheitspolitik ins Parlament –
Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.
– und handelt als echter Demokrat.
Danke schön.
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Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Roderich Kiesewetter.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ist es nicht absurd, vom Thema abzuweichen, hier einen Antrag einzubringen und dann gar nicht darüber zu reden?
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso absurd ist es, in Ihrem Antrag die erweiterte NATO-Präsenz anzuführen und als Provokation Russlands zu erwähnen, indem man russische Sprache verwendet, ohne diesen russischen Vorwurf einzuordnen. Und: Es ist absurd, Luftraumverletzungen verharmlosend als „Zwischenfälle“ zu bezeichnen.
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Allein aus diesen Gründen können wir diesem Antrag nicht zustimmen.
Aber ich möchte weitergehen. Enhanced Forward Presence, um die es hier geht, ist ein hauchdünner Stolperdraht, den die NATO im Rahmen der Rückversicherung gezogen hat, um den baltischen Staaten und Polen Rückhalt zu geben und ihr Bedrohungsgefühl ernst zu nehmen.
Was heißt das? Diese Vornepräsenz gibt es seit 2016, seit dem Gipfel von Warschau. Seit 2017 ist die Bundesrepublik Deutschland verantwortlich für eine der vier Einsatzgruppen. Sie führt sie seither. Es geht um insgesamt 5 000 Soldaten, etwa ein Viertel davon führt die Bundeswehr.
Worauf geht das zurück? 2007: Cyberangriff auf Estland – durch Russland. 2008: ein spalterischer Krieg, der Georgien bis heute geteilt hält – durch Russland.
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2014: völkerrechtswidrige Annexion der Krim und ein Krieg im Osten der Ukraine, der bis heute andauert,
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ein Krieg, der 2 Millionen Binnenvertriebene zur Folge hatte, über 10 000 Tote und über 30 000 Verletzte.
All das hat natürlich zu Sorge geführt, und dann Luftraumverletzungen als „Zwischenfälle“ zu bezeichnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das geht gar nicht.
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Es geht darum, dass wir Völkerrechtsverstöße ansprechen und dass wir maßvoll reagieren. Es ist eine maßvolle Reaktion.
Wenn wir vom Vorredner hören, dass es keine vertrauensbildenden Maßnahmen seitens der Bundesrepublik gegeben hat, so halte ich entgegen: Während der OSZE-Präsidentschaft der Bundesrepublik gab es Angebote für einen strukturierten Dialog in der OSZE. Wer hat es nicht angenommen? Russland.
Es geht also darum, dass wir sehr klar herausarbeiten müssen: Russland möchte zwei Dinge nicht: erstens eine Annäherung seiner unmittelbar westlichen Staaten an NATO und EU. Zweitens akzeptiert Russland nicht die Charta von Paris, sondern provoziert vielmehr durch fortgesetzte Völkerrechtsverstöße, nicht zuletzt auch in Syrien, wohin der Antragsteller ab und zu gerne reist: zu Assads Schergen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich deshalb sagen: Wir müssen diesen Antrag nicht nur aus diesen Gründen ablehnen, sondern es gilt, herauszustellen, dass Enhanced Forward Presence seit drei Jahren eine maßvolle Antwort des Westens auf diese Provokation ist.
Ich möchte abschließend einen Punkt herausgreifen, den der Vorredner angesprochen hat. Es geht um die Frage der Gewichtung der Einsätze im Parlament. Wir hatten vor drei oder vier Jahren im Rahmen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes aufgrund der Ergebnisse der sogenannten Rühe-Kommission eine Reformdebatte. Wir sollten das schon ernst nehmen und sicherstellen, dass wir die hochsensiblen Einsätze mit einem robusten Mandat wesentlich intensiver behandeln als Einsätze wie den, den wir gleich im Anschluss mit großer Ernsthaftigkeit behandeln werden. Wir müssen hier schon gewichten, sonst entsteht in der Bevölkerung ein falscher Eindruck.
Ich glaube, es steht uns als Parlament gut an, wenn wir die Fragen der niedrigschwelligeren Beobachtereinsätze etwas anders behandeln und als informationspflichtige Einsätze ansehen,
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aber uns umso stärker darum kümmern, dass wir jährlich über außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Punkte debattieren, so wie wir das gerade in der Debatte vorher getan haben, dass wir zeigen: Wir sind in einem vernetzten Ansatz.
In diesem Sinne greift der Antrag, den wir hier gerade beraten, viel zu kurz und nutzt nicht die Möglichkeiten, die wir uns als Parlament aufbauen könnten.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Marcus Faber, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über den Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Ausland, außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland, und dafür gibt es viele Beispiele. Wir haben beispielsweise Bundeswehrsoldaten in Frankreich in Évreux, wir haben Bundeswehrsoldaten in den USA in El Paso. Wir haben häufiger über Bundeswehrsoldaten im Einsatz in Mali oder in Afghanistan diskutiert. Hier geht es heute um Bundeswehrsoldaten in Litauen.
Manche dieser Stationierungen sind mandatiert, andere nicht. Es gibt zwei Kriterien, die unterscheiden, welche Einsätze mandatiert werden und welche nicht. Das erste Kriterium ist: Sind diese Soldaten im Bündnisgebiet der NATO, sind sie innerhalb unseres Bündnisgebietes eingesetzt?
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Deswegen mandatieren wir auch nicht den Einsatz in Frankreich oder in den USA. Wenn Sie hier behaupten, wir müssten den Einsatz in Litauen mandatieren, implizieren Sie eigentlich, dass Litauen kein vollwertiges NATO-Mitglied ist.
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Das finde ich, ehrlich gesagt, eine Frechheit.
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Ich war vor gut einem Jahr in Litauen. Ich habe dort mit Litauern gesprochen, mit Militärangehörigen, aber auch Zivilisten. Die Litauer sind froh, dass sie Mitglied der NATO sind, weil sie sich sicher sind, dass ihr Staat ansonsten nicht mehr existieren würde.
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Die Litauer haben gesehen, dass die Russen in Georgien einmarschieren. Die Litauer haben gesehen, dass es eine russische Invasion in der Ostukraine gab. Die Litauer haben auch gesehen, dass die Krim von Russland besetzt wurde.
Die Litauer leben in einem sehr kleinen Land, ähnlich wie die Esten und die Letten, und die Litauer möchten gern, dass es ein demokratischer Rechtsstaat bleibt.
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Bei dieser russischen Außenpolitik sind sie sich da nicht so sicher.
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– Ich habe ihn sogar dabei.
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Zweites Kriterium: Befindet sich die Region, in die wir Soldaten schicken, derzeit in einem bewaffneten Konflikt, oder steht ein solcher Konflikt unmittelbar bevor?
Litauen ist zum Glück ein sehr friedliches Land. Wenn es nach uns geht, dann bleibt es übrigens auch dabei. Sie hingegen tun hier so, als würde ein bewaffneter Konflikt in Litauen unmittelbar bevorstehen, und das wundert mich doch sehr; denn sowohl vom rechten Rand als auch vom linken Rand höre ich doch immer wieder, wie nett der Putin doch eigentlich ist
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und dass er es doch gar nicht so ernst meint, dass der doch eigentlich nur ein bisschen kuscheln will.
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Das beißt sich mit Ihrem Antrag. Deswegen sage ich: Beide Kriterien werden hier nicht erfüllt.
Solche Übungen wie die Enhanced Forward Presence in Litauen sind deswegen sinnvoll, genauso wie die Übung „Defender 2020“, eine Verlegeübung, die wir dieses Jahr in Deutschland durchführen.
Weil Sie gerade den Antrag angesprochen haben, sage ich Ihnen: Ich habe ihn nicht nur gelesen, ich habe ihn sogar dabei.
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Das ist der gesamte Antrag; der inhaltliche Teil sind drei Absätze.
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Ich bitte Sie – Sie sind ja seit zwei Jahren hier –, sich doch einfach mit der Materie ein bisschen intensiver auseinanderzusetzen und vielleicht etwas mehr Gedankengänge zu investieren.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Dirk Vöpel.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Antrag der AfD, der uns schon gestern Abend erreicht hat, liest, entsteht der Eindruck, die NATO habe die Russische Föderation im Jahr 2016 ohne jeden Anlass als möglichen Gegner benannt und hierdurch unnötig provoziert. Historische Erinnerungslücken Ihrer Fraktion überraschen uns nicht; dass sie bereits die letzten sechs Jahre umfassen, allerdings schon – Erinnerungslücken, die man sonst nur aus Untersuchungsausschüssen kennt.
Zur Erinnerung: Im März 2014 hat Russland durch die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine Grundprinzipien des Völkerrechts verletzt und seine militärischen Aktivitäten an der Grenze zur NATO erheblich intensiviert.
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Die NATO hat auf dieses Verhalten reagiert. Beim Gipfel 2014 in Wales wurde der sogenannte „Readiness Action Plan“ beschlossen, der unter anderem eine verstärkte Luftraumüberwachung, mehr Übungen und die Aufstellung einer schnell verlegbaren NATO-Eingreiftruppe beinhaltete. Auf dem Gipfel in Warschau im Juli 2016 wurde als weiter gehende Maßnahme die Einrichtung einer Vornepräsenz in der Stärke von jeweils einem multinationalen Gefechtsverband in den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie in Polen beschlossen.
Seit Januar 2017 ist ein solcher Verband unter deutscher Führung im Rahmen der Enhanced Forward Presence – auf Deutsch: verstärkte vorgeschobene Präsenz – in Litauen stationiert. Dieser besteht aus bis zu 1 200 Soldatinnen und Soldaten, darunter ungefähr 500 deutsche. Zusammen mit Deutschland engagieren sich neben den Niederlanden und Norwegen auch Belgien, Frankreich, Kroatien, Luxemburg, die Tschechische Republik und Island. Die beteiligten Nationen rotieren mit ihrem Personal, ihrem Material und ihrer Ausrüstung in regelmäßigen Abständen. Sie sind eben nicht, wie im Antrag irrtümlich behauptet wird, dauerhaft stationiert. Von Deutschland aus geschieht dies zweimal jährlich. Wir befinden uns mittlerweile in der siebten Rotation. Das Panzergrenadierbataillon 371 aus Marienberg hat Anfang Februar seinen Dienst zum zweiten Mal in Litauen aufgenommen.
Sollen solche Übungen durch den Deutschen Bundestag mandatiert werden? Aus Sicht unserer Soldatinnen und Soldaten, die für mich als Mitglied des Verteidigungsausschusses an erster Stelle stehen, macht dies in der Praxis keinen Unterschied. Sie sind durch die Anwendung des Auslandsverwendungszuschlags endlich den Kameradinnen und Kameraden in mandatierten Einsätzen finanziell gleichgestellt.
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Was die Beschaffung von Ersatzteilen für die Instandsetzung der Fahrzeuge und Waffensysteme angeht – ein Problem, das sich durch die gesamte Bundeswehr zieht und dringend behoben werden muss –: Ich hoffe, dass die von der Ministerin kürzlich angekündigte „Initiative Einsatzbereitschaft“ bei unseren Soldatinnen und Soldaten schnell für spürbare Verbesserungen sorgt.
Vielen Dank.
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Der nächste Redner: der Kollege Dr. Alexander Neu, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Der Antrag der AfD fordert die parlamentarische Beteiligung bei der Entsendung der Bundeswehr an die russische Grenze. Ich bin zunächst einmal davon ausgegangen: „Das könnte auch ein Antrag der Grünen sein“, habe dann aber darauf geschaut und festgestellt: Nein, das ist ein Antrag der AfD. – Ich habe mich gefragt, warum denn nicht die Forderung nach dem Abzug der Bundeswehr und des NATO-Militärs aus dem Baltikum und aus Polen erhoben wird. Die AfD rühmt sich doch sonst ihrer russlandfreundlichen Politik. Zugleich unterstützt sie aber den NATO-Expansionismus. Beides zusammen schließt sich aber aus, sehr geehrte Damen und Herren.
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Meine Schlussfolgerung ist: In der AfD-Fraktion bestimmen nach wie vor die Kalten Krieger die Außen- und Sicherheitspolitik. Bei den Linken hingegen gibt es eine eindeutige Position, dass wir die sogenannte Enhanced Forward Presence der NATO in Osteuropa ablehnen. Warum? Die behauptete Bedrohungslage für osteuropäische NATO-Staaten ist schlichtweg nicht existent. Niemand Geringeres als die Bundesregierung räumt auf eine Kleine Anfrage der Linken aus dem Jahre 2018 genau das ein. Ich zitiere die Frage und zitiere die Antwort.
Die Frage lautet:
Existieren nach Kenntnis der Bundesregierung … konkrete Hinweise … auf eine tatsächlich bevorstehende militärische Invasion oder zumindest Invasionspläne bzw. ‑absichten seitens Russlands in die baltischen Staaten und Polen?
Die Antwort der Bundesregierung war für uns Linke angesichts der NATO-Propaganda doch sehr überraschend. Die Bundesregierung sagte nämlich:
Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.
Interessant. Also: Seit Jahren wird die Bevölkerung in Deutschland und in den anderen NATO-Staaten mit NATO-Propaganda zugeschüttet. Dann kommt das Eingeständnis: Wir wissen nichts von einer Bedrohung und von Angriffsabsichten Russlands. – Nun ja. Aber die Menschen glauben auch nicht mehr an diese NATO-Propaganda von einer russischen Aggression gegenüber den NATO-Staaten in Osteuropa. Mehr noch: Die westlichen Regierungen haben auch keine gesellschaftliche Unterstützung für eine Konfrontation mit Russland. Die transatlantisch indoktrinierte Bundesregierung
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spricht nicht für ihre Bevölkerung, im Gegenteil. – Ihnen wird das Lachen noch vergehen.
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Eine Meinungsumfrage des European Council on Foreign Relations von 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass 70 Prozent der Befragten in Deutschland im Konfliktfall zwischen den USA und Russland eine neutrale Position von Deutschland erwarten. Nur 12 Prozent wollen an der Seite der USA sein, sogar 7 Prozent an der Seite Russlands. Interessant!
Aber es kommt noch schlimmer für die US-hörigen Parteien in diesem Hohen Hause. Eine Meinungsumfrage des Pew Research Center aus den USA aus dem Jahre 2018 besagt, dass 49 Prozent der Befragten in Deutschland in den USA eine größere Bedrohung gegenüber Deutschland sehen. Zum Vergleich: Nur 30 Prozent der Befragten in Deutschland sehen in Russland eine große Bedrohung.
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Kurzum: Die Menschen in Deutschland sehen in den USA eine größere Gefahr für den Weltfrieden als in Russland. Das sind die Meinungsumfragen.
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Sehr geehrte Damen und Herren, das Fazit ist: Die NATO braucht Russland als Feind für ihren Zusammenhalt und für ihre Aufrüstungsorgien.
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Die Linke fordert hingegen erstens die sofortige Beendigung der Teilnahme an der NATO Enhanced Forward Presence im Baltikum und in Polen,
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zweitens den Stopp des US-Manövers „Defender 2020“ und aller weiteren US- und NATO-Manöver über deutschem Staatsgebiet und abschließend die Kündigung des NATO-Stationierungsvertrages.
Vielen Dank.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Jürgen Trittin.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann doch nicht so tun, als hätte es die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine, die Annexion der Krim, die anhaltende militärische Verwicklung der Ostukraine nicht gegeben. Wenn in einer solchen Situation Mitglieder der NATO sagen: „Wir stehen zusammen“, dann, finde ich, ist das genau der Zweck der NATO. Und wenn man in dieser Situation dann sagt: „Wir halten uns trotzdem an die NATO-Russland-Akte; wir wollen nicht, dass aufgekündigt wird; wir wollen auch weiterhin den Dialog mit Russland führen“, dann ist diese Präsenz dort über wechselnde Kontingente eine maßvolle, eine kluge und im Rahmen der NATO eben auch eine solidarische Antwort.
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Ich füge ein Zweites hinzu. Mich würde es allerdings freuen, wenn auf das Gerede: „Wir machen auf der einen Seite Abschreckung und suchen auf der anderen Seite den Dialog“ auch mal Handlungen folgen würden.
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Das ist der Punkt, wo ich glaube, dass diese Bundesregierung, der Bundesaußenminister, die Kanzlerin, einen erheblichen Nachholbedarf hat. Man kann doch nicht einfach abwarten, ob zum Beispiel in Europa weiter atomare Mittelstreckenraketen stationiert werden. Wo bleibt eigentlich die Initiative der Bundesregierung zu einem europäischen Vorschlag für Abrüstung? Das ist nämlich der andere Teil einer solchen Bündnissolidarität, die wir in diesem Lande brauchen.
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Letzte Bemerkung. Meine rechtspolitische Sprecherin hat mich gerade darauf hingewiesen, man könnte eigentlich zum Antrag der AfD einfach das Parlamentsbeteiligungsgesetz vorlesen. Das besagt klar, dass Fragen kollektiver Selbstverteidigung nicht dem Vorrang des Bundestages unterliegen. Ich hätte mich allerdings gefreut, wenn Sie an dieser Stelle gesagt hätten, wie Sie denn abstimmen würden bei einer solchen Abstimmung. Das ist nämlich offen geblieben. Ich habe da so eine Idee:
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Sie sind sich da nicht ganz einig.
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Aber Ihr Fraktions- und Parteivorsitzender – und Ehrenvorsitzender inzwischen – ist da völlig klar. Der hat nämlich gesagt – ich zitiere Alexander Gauland –: „Die Begründung für die Sanktionen, Russland habe durch die Annexion der Krim die … entstandene Friedensordnung … zerstört, ist falsch.“ Diese Ordnung sei Russland aufgezwungen worden.
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Hört! Hört!
Also, wenn das ernst gemeint ist, dann haben Sie an dieser Stelle den Versuch gemacht, sich in diesem Fall mit Alexander Neu zu verbrüdern, um das als Vorwand zu nehmen, diese Präsenz abzulehnen. Das hätten Sie dann auch sagen sollen, Herr Lucassen.
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Die Kollegin Elisabeth Motschmann hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liest man den Antrag der AfD, spürt man die Absicht und ist verstimmt. Unter dem Vorwand, dieses Parlament zu stärken – das ist ja schon merkwürdig; Sie chaotisieren doch Parlamente; Sie stärken Parlamente mit Ihren Initiativen doch nicht –, fordern Sie eine Abstimmung über die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der NATO-Battlegroup. In Wahrheit – da bin ich etwas weiter als der Kollege Trittin – lehnen Sie doch diesen Einsatz der NATO in Litauen ab.
Sie bezeichnen die NATO-Präsenz als Provokation für die russische Staatsführung. Meine Damen und Herren, 45 000 russische Soldaten stehen vor den Toren der baltischen Länder in Weißrussland, 20 000 Soldaten stehen in der Region Kaliningrad. Das ist doch die eigentliche Provokation.
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Das ist die Provokation für die baltischen Staaten, für Europa und für die NATO.
Sie betrachten Putin als Ihren Freund. Unsere Freunde sind die baltischen Länder, und meine ganz besonders.
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Die baltischen Staaten sind stolz, glücklich, dankbar für ihre Freiheit, für ihre demokratische Entwicklung. Sie sind stolz auf ihre wirtschaftliche, auf ihre digitale Entwicklung, stolz auf die Integration in die EU und in die NATO, und genau das wollen sie nicht aufs Spiel setzen. Deshalb müssen wir die Außengrenzen schützen oder bereit sein, sie im Ernstfall zu schützen.
Sie von der AfD haben ein gebrochenes Verhältnis zur NATO; das gilt übrigens auch für die Linken.
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Wir sind froh und dankbar, dass wir sie haben und wollen genau diese NATO stärken. Seit mehr als 70 Jahren ist die NATO Garant für Freiheit und Wohlstand. Sie ist das Rückgrat der europäischen Sicherheit. Seit der gewaltsamen, völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland und dem andauernden Krieg in der Ostukraine – es ist gesagt worden – hat sich die sicherheitspolitische Landschaft in Europa natürlich verändert.
Die aggressive Außenpolitik Russlands – man kann sie übrigens überall in der Welt beobachten – empfinden die baltischen Staaten als existenzielle Bedrohung. Wenn Sie sich dort aufhalten – ich tue das regelmäßig und sehr gerne –, dann werden Sie sehen, dass sie Sorge haben, teilweise Angst haben und dass sie diese Bedrohung ganz anders empfinden als wir hier. Es ist immer leicht, aus seinem Sessel heraus zu sagen: Das alles ist überflüssig. – Insofern erhoffen und erwarten sie zu Recht die Verteidigungsbereitschaft und die Handlungsfähigkeit der NATO an der Ostflanke der EU.
Deutschland hat in Litauen die Führung der Battle Group übernommen, aktuell mit 638 Soldaten – und das ist gut so, Herr Lucassen. Da bin ich anderer Meinung als Sie.
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Unser Ziel ist Abschreckung, ja, aber natürlich keine Konfrontation. Natürlich müssen alle Gesprächskanäle mit Russland offengehalten werden, und das geschieht auch. Dass es keine militärische Eskalationen geben darf, obwohl sie von der anderen Seite ausgehen, ist auch allen klar. Immer muss die Diplomatie das erste Wort und den Vorrang haben; das ist unbestritten. Aber im Gegensatz zu Ihnen bekennen wir uns zu Artikel 5 des NATO-Vertrags.
Damit schließe ich. Wir müssen erstens dafür sorgen, dass wir ohne Wenn und Aber politisch hinter unseren Soldaten stehen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir müssen ihnen zweitens die bestmögliche Ausrüstung geben. Und drittens und letztens: Wir wissen, dass sie im Ernstfall ihr Leben einsetzen; deshalb haben wir allen Grund,
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ihnen zu danken und die Mission zu würdigen.
Ihren Antrag lehnen wir natürlich ab.
Vielen Dank.
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Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Dr. Eberhard Brecht.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am gestrigen 11. Februar, genau um 20.41 Uhr, stand uns ein Antrag der AfD-Fraktion zur Verfügung.
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Ich schließe aus der uns vergönnten nur sehr kurzen Vorbereitungszeit, dass die AfD mit ihrem Vorgehen keinen Wert auf eine fachlich niveauvolle Debatte gelegt hat.
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Nach Lesen des AfD-Antrages denke ich sogar, dass man ihn auch schadlos erst nach unserer heutigen Debatte hätte verteilen können.
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Denn der Antrag der AfD ist nicht nur spät ausgereicht worden, er ist auch überflüssig und beruht auf falschen Annahmen.
Zunächst handelt es sich bei der Präsenz von NATO-Streitkräften im Baltikum und in Polen eben nicht um eine dauerhafte Stationierung, da Material und Personal halbjährlich gewechselt werden. Damit sind auch die Bestimmungen der NATO-Russland-Grundakte formal erfüllt. Sie von der AfD werden nun einwenden: Na gut, wenn sie rotieren, dann läuft es ja auf eine dauerhafte Stationierung heraus. – Dabei blenden Sie die Sicherheitssituation im östlichen Europa völlig aus. Da fühlen sich Millionen von Polen und Balten durch einen hochgerüsteten Nachbarn bedroht, der die Krim annektiert hat und mit Soldaten in Fantasieuniformen die Ostukraine besetzt hält. Wie einfach ließe sich eine vermeintliche Unterdrückung der russischen Minderheiten als Vorwand für eine militärische Besetzung der früheren Teilrepubliken der Sowjetunion anführen?
Und wie reagiert nun die NATO? Sie schickt einen Gefechtsverband, der nicht ansatzweise offensiver Natur ist. Militärexperten würden sogar voraussagen, dass er auch für defensive Zwecke gar nicht ausreichen würde.
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Diese zurückhaltende Reaktion der NATO kann Russland also nun wirklich nicht provozieren, soll aber den Menschen in den baltischen Staaten signalisieren, dass wir an ihrer Seite stehen, dass wir sie notfalls auch verteidigen können.
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Gleichzeitig sind wir natürlich an einem Dialog mit Russland interessiert. Wir sind daran interessiert, friedliche und freundschaftliche Beziehungen mit unserem großen Nachbarn im Osten zu haben.
Noch etwas anderes im Antrag der AfD ist verstörend. Der Duktus des Textes ist ziemlich eindeutig: Der Deutsche Bundestag möge die Provokation der NATO gegenüber Russland durch den Abzug deutscher Soldaten aus Polen und den baltischen Staaten unverzüglich beenden. Gleichzeitig findet sich am Ende Ihres Antrags die Formulierung, ein Parlamentsbeschluss würde – Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung – „das öffentliche Interesse am Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen der EFP deutlich erhöhen“. Was also will uns nun die AfD sagen, wenn sie die Mission EFP fachlich als Einsatz definiert, das Parlamentsbeteiligungsgesetz damit irrtümlich bemüht und uns am Ende einen kuriosen Widerspruch präsentiert?
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion wird diesen Antrag selbstverständlich ablehnen.
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Herzlichen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 70 Jahre NATO ist 70 Jahre ein Erfolgsprojekt, ein Garant für Frieden und Freiheit. Grundlage für diesen Erfolg waren immer Verteidigungsbereitschaft und Abschreckung. Im Kalten Krieg standen die Verbündeten, Amerikaner, Briten und viele andere, deswegen direkt am Eisernen Vorhang, mitten in unserem Land, jederzeit bereit, uns zu verteidigen, unsere Freiheit zu verteidigen. Das sollten wir auch an dieser Stelle noch mal sagen und nicht vergessen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs waren wir der Meinung, dass wir diese Art der Abschreckung so nicht mehr brauchen und mussten leider 2014, als die Russische Föderation beschlossen hat, mit militärischen Mitteln ihre Interessen durchzusetzen, uns wieder eines anderen besinnen.
Seit dieser Zeit sind es vor allem die baltischen Staaten, die sich durch diese neue Situation dramatisch bedroht fühlen. Deswegen ist es ein richtiges und notwendiges Zeichen, Entschlossenheit zu zeigen, unseren Partnern beizustehen, wenn sie bedroht sind. Nur wer im Frieden übt, kann im Krisenfall als glaubwürdige Abschreckung zur Verfügung stehen.
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Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, läuft diese Übung, und deswegen beteiligen wir uns an ihr. Sie wird auch in Litauen und im gesamten Baltikum wahrgenommen.
Wenn man unsere Soldaten in Litauen oder Estland besucht, bekommt man schnell ein Bild davon, wieso man sich im Baltikum bedroht fühlt. Cyberattacken, vorsätzliche Luftraumverletzungen und Desinformationskampagnen sind an der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund mutet es geradezu grotesk an, wenn die AfD von „NATO-Provokationen“, „Kriegstreiberpolitik der USA“ oder „Drohgebärden gegen Russland“ schwadroniert. Übrigens: Die Ähnlichkeiten zwischen AfD und Linke in Sprache und Argumentation sind da frappierend und einmal mehr ein Praxisbeispiel für die Hufeisentheorie, bei der sich die Extremisten links und rechts inhaltlich treffen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss drei Argumente für unser Engagement im Baltikum: Unsere Soldaten stehen voll und ganz hinter diesem Einsatz; denn hier können sie mit ihren Verbündeten unter besten Bedingungen üben. Die baltischen Staaten sind überaus dankbar, dass wir uns hier engagieren. Und unser Beitrag zur NATO-Battlegroup unterstreicht unsere Bündnistreue und unsere Verlässlichkeit, einen mutigen, einen wichtigen Beitrag in diesen Zeiten zu leisten.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage.
Herzlichen Dank.
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Ach, Sie sind fertig. – Das ist leider nicht mehr möglich. Tut mir leid, Herr Lucassen.
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– Sie wollen eine Kurzintervention? Diese müsste eigentlich von Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer beantragt werden; aber um die Geschwindigkeit zu erhöhen: Sie haben die Gelegenheit zur Kurzintervention. Bitte.
Danke schön. – Um bei den vielen Fehlinformationen, die meine Nachredner hier im Deutschen Bundestag gegeben haben, nur mit einer, die eben sowohl der Kollege Hahn als auch vorher, ich glaube, ein Kollege von der FDP erwähnt hat, aufzuräumen: Es handelt sich hier um eine einsatzgleiche Verpflichtung und mitnichten um eine Übung. Sie sollten unsere Soldaten, die Sie in diesen gefährlichen Einsatz entsenden, nicht in dieser ungewissen Situation, es handelte sich hier nur um eine Übung, lassen. Das zeugt von wenig Respekt und Verantwortung gegenüber dem Einsatz unserer deutschen Soldaten.
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Herr Kollege Hahn, wollen Sie antworten? – Bittte.
Herr Lucassen, Sie haben ja in Ihrer Rede schon deutlich gemacht, dass Sie auch keinen Unterschied zwischen dem Südsudan und Litauen sehen. Insofern verwundert mich Ihre Argumentation nicht.
Ich kann Ihnen nur sagen: In den Gesprächen mit den Soldatinnen und Soldaten konnte ich erfahren, dass sie sich der Situation im Baltikum sehr bewusst und deswegen auch sehr motiviert sind, hier einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit Europas zu leisten. Davon lasse ich mich auch durch Ihre Argumentation nicht abbringen.
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Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aussprache geschlossen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Südsudan spielt sich nichts anderes als eine humanitäre Tragödie ab. Von den 12 Millionen Einwohnern sind aktuell 7,5 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 4 Millionen mussten ihre Heimat bereits verlassen, und nach den heftigen Regenfällen und den Überflutungen im Vorjahr bedroht aktuell auch noch eine verheerende Heuschreckenplage die Ernten.
Hinzu kommen die menschengemachten Leiden. Gewalt ist leider nach wie vor an der Tagesordnung. Der Waffenstillstand, den es gibt, hat daran nicht genug geändert, auch wenn er vor Kurzem noch einmal ausdrücklich von allen Seiten bestätigt wurde. So ist zwar die sogenannte politische Gewalt zwischen den Konfliktparteien deutlich zurückgegangen, aber das gilt leider nicht für das Gewaltniveau insgesamt. Dieses steigt sogar wieder an. Das Friedensabkommen von 2018 muss deshalb zügig und vollständig umgesetzt werden, und das Geschachere um Posten und Geld, das wir dort immer wieder sehen, muss endlich aufhören. Es muss endlich das Wohl der südsudanesischen Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit wird wieder einmal knapp. Dabei sind die offenen Fragen zur internen Grenzziehung und zum Aufbau eines neuen Sicherheitssektors mit gutem Willen, mit Kompromissbereitschaft und auch unter politischer Führung der Region durchaus lösbar. Das Schlüsselelement des internationalen Engagements, das es gibt, ist und bleibt die VN-Friedensmission UNMISS. Sie bündelt die militärischen, die zivilen und die humanitären Ansätze unter einem Dach, und sie hat viele Zivilisten schon vor dem Schlimmsten bewahrt und zumindest ein Grundgerüst von Ordnung erhalten. Politisch unterstützt UNMISS den Friedensprozess, auch durch die Überwachung der Waffenruhe. Oft sind es die Berichte von UNMISS, die es den Vereinten Nationen und uns überhaupt erst erlauben, politischen Druck auf die einzelnen Parteien auszuüben. UNMISS ist zudem für die Menschenrechtslage im Land von großer Bedeutung. Der Menschenrechtsrat in Genf greift auf die Berichte von UNMISS zurück, und in Zukunft müssen diese Berichte auch die Grundlage sein, um Kriegsverbrecher, von denen es dort viel zu viele gibt, zur Rechenschaft zu ziehen, so wie das im Friedensabkommen auch vorgesehen ist.
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Dafür brauchen wir diese Mission auch in Zukunft.
Aber auch angesichts der humanitären Notlage ist UNMISS unverzichtbar. Dafür will ich nur zwei Beispiele nennen: Auf den Versorgungsschiffen auf dem Nil sind Militärbeobachter, die bei jeder Fahrt an den Checkpoints der verschiedenen Parteien über die sichere Durchfahrt verhandeln. Nach wie vor leben knapp 200 000 Menschen in von UNMISS geschützten Camps.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so umfangreich die Herausforderungen sind, vor denen die Mission steht, so umfassend ist aber auch unsere Unterstützung. Ob in New York oder von den Vertretern der Vereinten Nationen im Feld: Wir hören immer wieder, wie sehr der Beitrag unserer Soldatinnen und Soldaten geschätzt wird. Als Militärbeobachter sind sie nichts anderes als die Augen und Ohren der gesamten Mission, und sie vermitteln lebenswichtige Zugänge für die Menschenrechtsbeobachter oder auch für zivile Helfer. Deshalb möchte ich auch von dieser Stelle unseren Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien alles Gute wünschen und mich für diesen außerordentlichen Einsatz, oft auch unter äußerst schwierigen psychischen und physischen Bedingungen, für die wichtige Arbeit, die sie dort leisten, die keine einfache ist, ganz herzlich bedanken.
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Meine Damen und Herren, wir flankieren die Ziele von UNMISS zudem politisch, gegenüber den Verantwortlichen in Juba, aber auch bei den Mandatsverhandlungen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. 2019 haben wir erneut den Trust Fund der UNMISS unterstützt. Er finanziert das, was wir die Friedensdividende nennen, zum Beispiel die Wiedereingliederung von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen oder auch die Instandsetzung zerstörter Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Aber auch Hilfsangebote für Überlebende sexueller Gewalt werden mit Mitteln dieses Fonds gezielt gefördert. Schließlich gehört Deutschland auch bilateral zu den größten Gebern humanitärer Hilfe im Südsudan. Allein in den letzten drei Jahren haben wir dafür 235 Millionen Euro bereitgestellt. Auch die Übergangshilfen und Entwicklungsprojekte in Höhe von 185 Millionen Euro richten sich an der humanitären Notlage aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Menschen im Südsudan zeigen wir mit dieser Mission und dieser Unterstützung: Wir lassen sie nicht alleine auf dem langen Weg in Richtung Frieden. Unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Helferinnen und Helfern zeigen wir mit der Zustimmung zu dem vorliegenden Mandatsentwurf, um die ich Sie bitte: Wir stärken euch den Rücken bei eurer schwierigen Aufgabe.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Lothar Maier, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Südsudan war vor seiner Abspaltung vom Sudan oder ist auch jetzt noch ein von jahrzehntelangen Kämpfen geplagtes Land. Auch nach der Unabhängigkeit des Landes ist das Verhältnis zum Sudan alles andere als konfliktfrei. Die Grenzziehung zwischen beiden Ländern ist umstritten. Zudem bestehen Territorialkonflikte mit Äthiopien, und Stammeskriege im Inneren verschärfen die Situation noch weiter.
Die endlosen Jahre des Krieges verhinderten jede nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Große Teile der in der Vergangenheit aufgebauten Infrastruktur sind zerstört. Von den geschätzt 11,3 Millionen Einwohnern des Landes sind nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens 5 Millionen auf ausländische Lebensmittelhilfe angewiesen. Daran dürfte sich in naher Zukunft auch nicht viel ändern, zumal die Einnahmen aus dem Öl – das ist praktisch das einzige Exportgut des Landes – durch den Preisverfall an den Weltölmärkten drastisch gesunken sind und die Erträge großteils wegen grassierender Korruption in der Verwaltung nicht der Entwicklung des Landes zugutekommen.
Das Bildungsniveau ist eines der niedrigsten in der Welt, zugleich gibt es einen sehr hohen Bevölkerungszuwachs: eine fatale, sich gegenseitig verstärkende Korrelation, die auch anderswo in Afrika die Entwicklungsperspektiven verdüstert. Die innere Schwäche des Landes und sein Rohstoffreichtum haben es zum Schauplatz zahlreicher ausländischer Interventionen gemacht, die bis heute andauern und die das Elend des Südsudans zu perpetuieren drohen.
Dabei wären alle natürlichen Grundlagen für eine gute wirtschaftliche Entwicklung gegeben. Neben dem Erdöl gibt es Vorkommen an Eisenerz, Chrom, Kupfer, Zink, Wolfram, Silber und Gold. Reichlich vorhandene Wasserreserven würden auch die Entwicklung einer produktiven Landwirtschaft ermöglichen. Mit Ausnahme des Öls wird aber keine dieser Ressourcen effektiv genutzt.
Auf die Beine kommen kann der Südsudan nur dann, wenn er im Inneren befriedet ist und wenn die ausländischen bewaffneten Interventionen ein Ende finden. Genau dies ist nun das Ziel der konfliktpräventiven und konfliktdämpfenden Maßnahmen der Vereinten Nationen, deren Teil auch das kleine militärische Detachement ist, das die Bundeswehr im Südsudan unterhält. Und klein ist es nun wirklich: Von maximal 50 möglichen Dienstposten sind meines Wissens derzeit lediglich 14 besetzt; Kollege Lucassen hat die Zahlen vorhin genannt. Kampfaufgaben haben unsere Soldaten dort keine. Ihre Hauptfunktion besteht in der Informationsgewinnung, in der Sicherung des Zugangs zu humanitärer Hilfe und, ja, auch im Flaggezeigen.
Wie immer bei langanhaltenden Konflikten werden nach dem Ende und bei Beginn des wirtschaftlichen Wiederaufbaus diejenigen begünstigt sein, die friedenstiftend gewirkt haben. Deutschland wird aber leider nicht an erster Stelle stehen. China hat in die südsudanesische Erdölförderung Milliarden Dollar investiert und unterstützt UNMISS nicht mit 14 Dienstposten, sondern mit einem Bataillon.
Wir unterstützen den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Mission, aber wir hoffen, dass die Regierung bei der Förderung deutscher Investitionen im Südsudan nicht genauso knausert wie bei UNMISS. Man muss nicht warten, bis China alle Rohstofflager dieser Welt an sich gebracht hat. Gebot der Stunde wäre, die deutsche Entwicklungspolitik im Südsudan und anderswo mit den Investitionen der Privatwirtschaft zu verzahnen, statt sie sich in ideologisch motivierten Kleinprojekten verzetteln zu lassen.
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Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Auf diesem Weg werden wir Sie unterstützen, aber nicht bei der Verteilung von Entwicklungskrediten nach dem Gießkannenprinzip.
Ich danke Ihnen.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Florian Erndl, CDU/CSU-Fraktion.
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– Entschuldigung: Thomas Erndl. Doppelte Erwähnung im Protokoll ist immer gut.
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Danke für die Korrektur. – Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir können an verschiedenen Stellen in Ostafrika einen positiven Wandel beobachten, aber natürlich mit noch offenem Ausgang. Wir haben eine Phase der Öffnung und Demokratisierung in Äthiopien. Wir haben im Sudan die Situation, dass das Volk erfolgreich gegen das autoritäre Regime aufbegehrt hat, und im Südsudan haben wir zumindest eine Beruhigung der kriegerischen Auseinandersetzungen.
Aber wenn man zurückblickt, zeigt sich ein anderes Bild: Zwei Jahre nach der Unabhängigkeit 2011 versank der Südsudan in einem blutigen Bürgerkrieg mit 400 000 Opfern. Die Sicherheitslage ist nach wie vor fragil, aber das Friedensabkommen hält so einigermaßen. Das ist vielleicht eine kleine positive Nachricht für die leidende Bevölkerung.
Es ist aber trotzdem unklar, ob, wie vereinbart, eine Übergangsregierung gebildet werden kann, so wie es das Friedensabkommen vorsieht. Die Frist wurde – jetzt schon zum zweiten Mal – bis Ende dieses Monats verlängert. Umstritten ist nicht nur die Frage über die Reform des Sicherheitssektors, sondern vor allem auch die Frage der Neuordnung der Bundesstaaten.
Wir sehen zwei zentrale Herausforderungen im Südsudan:
Erstens die katastrophale humanitäre Versorgungslage. 2019 gab es massive Regenfälle und Überschwemmungen. Seit Anfang dieses Jahres – wir vernehmen es in den Medien – befällt eine dramatische Heuschreckenplage weite Teile Ostafrikas, die vor allem in dieser Region die arme Landbevölkerung existenziell bedroht. Von den 12 Millionen Einwohnern sind 7 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen, und 6 Millionen leiden unter extremer Ernährungsunsicherheit.
Zweitens ist die Sicherheitslage immer noch fragil. Es kommt nach wie vor zu ethnischer Gewalt. Erst im Dezember kamen bei Kämpfen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen 80 Menschen ums Leben. Insgesamt haben wir 4 Millionen Vertriebene, davon 1,5 Millionen Menschen, die innerhalb des Südsudans auf der Flucht sind.
Meine Damen und Herren, eine Verbesserung der Lage der Menschen vor Ort – um die geht es uns – geht nur mit internationaler Unterstützung. Dabei ist die VN-Mission UNMISS eine wichtige Stütze, weil die humanitäre Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsgütern gesichert wird; andererseits ist die Präsenz der Blauhelmsoldaten wichtig für die Verhinderung von weiterer Gewalt und zum Schutz der Zivilbevölkerung. Das sind Kernaufgaben, die wir weiterhin massiv unterstützen müssen. Warum? Weil es natürlich in unserem eigenen Interesse liegt, Frieden und Sicherheit in der Region zu schaffen. Wir müssen die Sahel-Sahara-Region stabilisieren, um letztendlich Gewalt, Terrorismus, Migration und humanitäre Katastrophen bekämpfen und verhindern zu können. Die Entwicklungen in der Region haben direkte Auswirkungen auf Europa und unsere Sicherheit.
Wir als Unionsfraktion stehen, wie die meisten Fraktionen in diesem Hause, für einen funktionierenden Multilateralismus. Wir wollen, dass internationale Organisationen funktionieren. Dafür müssen wir natürlich unseren Beitrag leisten: finanziell – selbstverständlich –, aber auch durch aktives Engagement, sprich: durch aktive Beteiligung. Als Mitglied im Sicherheitsrat sollten wir unser Engagement nicht zurückfahren, sondern mindestens beibehalten und vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch ausweiten. Das machen für uns viele Soldatinnen und Soldaten. An dieser Stelle möchte ich ihnen allen für ihren Einsatz danken, den sie bei den unterschiedlichen Einsätzen für unser Land leisten. Herzlichen Dank!
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Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Jawohl, ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir wollen den Multilateralismus verteidigen. Wir wollen unserer außenpolitischen Verantwortung gerecht werden, und wir wollen für Sicherheit und Stabilität in der Region sorgen. Daher müssen wir UNMISS verlängern. Herzlichen Dank für die Zustimmung zu diesem Antrag.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist Christian Sauter, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Mandat zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an der UN-Mission im Südsudan, abgekürzt: UNMISS, soll nun um ein weiteres Jahr verlängert werden, nachdem es Ende März auslaufen wird. Erneut steht die Behandlung der Mandatsverlängerung zeitlich recht knapp an. Derzeit sind ein gutes Dutzend deutsche Soldaten der Bundeswehr bei einer Mandatsobergrenze von 50 in die Mission im jüngsten Staat der Welt involviert. Dies erscheint, gemessen an den anderen Mandaten, klein, ist aber, gemessen an den humanitären Aufgaben, ein sehr wichtiger und wirkungsvoller Beitrag.
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Jedem Einzelnen von ihnen gebührt unser Dank.
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Die humanitären Dimensionen sind groß. So leiden Millionen Menschen dort akut an Hunger bei zugleich steigenden Bevölkerungszahlen. Im Kern übernehmen die Soldaten dort Führungs-, Unterstützungs- und Koordinierungsaufgaben sowohl innerhalb der als auch zwischen den beteiligten Nationen. Hinzu kommen technische Hilfestellung und Ausbildungsaufgaben. Sie arbeiten in Stäben und als Militärbeobachter. Damit unterstützen sie zentrale Ziele von UNMISS: das südsudanesische Volk zu beschützen, spätere Rückkehr von Menschen in die Heimat zu fördern, den Zugang zu humanitärer Hilfe und weiterhin die Beteiligung von internationalen Kräften an der UN-Mission zu sichern, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und aufzuklären. Dies sind unabdingbare Voraussetzungen dafür, einen funktionierenden Staat in einer immer noch zerbrechlichen Sicherheitslage aufzubauen. Besonders ein ordentliches und funktionierendes Justizwesen und Sicherheitsstrukturen müssen geschaffen werden.
Die Sicherung des weitestgehend eingehaltenen Waffenstillstandes ist eine weitere Aufgabe dabei. Hierzu ist die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft für den Südsudan dringend notwendig. Diese muss zugleich den Druck auf die Regierung und die anderen Konfliktparteien hochhalten, den Waffenstillstand vollumfänglich umzusetzen. Deutschland ist aktuell nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates und hiermit besonders gefordert. Die Bundesrepublik hat also auch nationales Interesse an der Stabilisierung dieser Region. Die UN-Mission im Südsudan ist daher als Teil einer langjährigen Bemühung um Konfliktbewältigung und Friedensförderung in Afrika zu verstehen. Circa 900 000 Euro, das sind die Kosten für die Fortsetzung des deutschen Mandates insgesamt. Dieser Betrag ist, so finde ich, auch sehr angemessen,
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und er kann ein wirkungsvoller Beitrag dazu sein, Freiheit und Menschenrechte weltweit zu sichern.
Der Ausschussüberweisung stimmen wir als Fraktion der Freien Demokraten daher selbstverständlich zu.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kollege Sauter. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will erneut die Beteiligung der Bundeswehr am UN-Militäreinsatz UNMISS im Südsudan verlängern. Wir hingegen halten das für nicht richtig, und ich will begründen, warum.
Im Südsudan gibt es seit der Unabhängigkeit 2011 ja immer wieder Kämpfe zwischen der Regierungsarmee und Milizen konkurrierender Politiker. Es geht dabei im Wesentlichen um die Frage, wer sich und seine Anhänger am besten am Erdöl des Landes bereichern kann. Inzwischen gibt es ein neues Friedensabkommen – das ist auch gut – und einen Waffenstillstand. Wenigstens dieser Waffenstillstand wird weitgehend eingehalten. Aber ansonsten kommt das Friedensabkommen nicht voran.
Was sind die Aufgaben von UNMISS? Laut Bundesregierung sind es der „Schutz von Zivilpersonen“, die „Schaffung förderlicher Bedingungen für die Bereitstellung humanitärer Hilfe“, die „Beobachtungs- und Untersuchungstätigkeit auf dem Gebiet der Menschenrechte“ und die „Unterstützung der Umsetzung des Friedensabkommens und des Friedensprozesses“. Meine Damen und Herren, das sind aber alles keine militärischen Aufgaben. Deshalb sagen wir Nein zu diesem Mandat.
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Ich nenne Ihnen mal ein paar Beispiele, die aufzeigen, was da so alles gemacht wird. Zum Beispiel wurden zwischen August und November letzten Jahres 42 Workshops, Gemeindedialoge und Friedenskampagnen durchgeführt. Über 18 000 Menschen überall im Südsudan profitierten davon. Und das ist gut so.
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In Kuajena zum Beispiel wurden Bauern und Viehhirten zusammengebracht, um Konflikte um die Landnutzung gewaltfrei zu bearbeiten. Fantastisch! Oder: Es gibt ein Forum für alle politischen Parteien im Südsudan, das dazu beitragen soll, dass die Wahlen, die für 2022 geplant sind, gewaltfrei, fair und transparent stattfinden. Auch das ist völlig in Ordnung, aber das sind keine Aufgaben für Soldatinnen und Soldaten.
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Es gibt noch jede Menge anderer Bereiche, in denen das UN-Expertenpanel angeregt hat, ziviles Handeln zu nutzen. Zum Beispiel finanzieren sich verschiedene Konfliktparteien darüber, dass sie illegal eingeschlagenes Holz im Ausland verkaufen. Die Nachbarstaaten tun viel zu wenig, um diesen Raubbau einzudämmen. Gleichzeitig kommen über die Grenzen zu den Nachbarstaaten Waffen an die verschiedenen Konfliktparteien im Südsudan. Auch hier müsste der politische Druck größer werden, dass damit Schluss gemacht wird.
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Die politische Bearbeitung des Konflikts im Südsudan und die humanitäre Situation im Land bieten genug anspruchsvolle zivile Herausforderungen für Deutschland, für die wir Friedensfachkräfte, Mediatoren, Juristinnen, Entwicklungshelfer, Zollbeamtinnen usw. entsenden könnten. Deshalb sagt Die Linke: Frieden mit friedlichen Mitteln – keine Soldatinnen und Soldaten in den Südsudan!
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Agnieszka Brugger, CDU – nein, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In keinem anderen Land auf dem afrikanischen Kontinent haben so viele Menschen ihre Heimat verloren wie im Südsudan: 2,5 Millionen sind in die Nachbarländer geflohen, 1,5 Millionen sind Binnenvertriebene, und es sind vor allem Frauen und Kinder. Das ist doch eine Katastrophe, die uns nicht kaltlassen und gleichgültig lassen darf.
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Präsident Salva Kiir und sein früherer Stellvertreter Riek Machar sind verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen, für schreckliche Verbrechen und auch für sexualisierte Gewalt, und all das, um seit Jahren ihren brutalen Machtkampf auf dem Rücken der Menschen auszutragen. Und in ein paar Tagen wird einmal mehr eine Frist für die Bildung einer Übergangsregierung wahrscheinlich folgenlos verstreichen.
Meine Damen und Herren, ich will an dieser Lage nichts schönreden. Und auch das ist klar: Die Friedensmission der Vereinten Nationen hat ihre Schwächen und hat ihre Probleme, und sie konnte der Gewalt im Land in der Vergangenheit nur unzureichend begegnen. Aber Resignation darf doch nicht die letzte Antwort auf diese schwierige Situation sein.
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Nach wie vor sind es 190 000 Menschen, die in den UNMISS-Camps Zuflucht gefunden haben. Für diese Menschen bietet UNMISS damit ein Mindestmaß an Hilfe und an Schutz. Wer diese Mission ersatzlos beenden will, der muss auch erklären, wie eigentlich die Sicherheit dieser Menschen in Zukunft gewährleistet sein soll.
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Nicht nur vor diesem Hintergrund wollen wir all denjenigen, die Dienst in dieser Friedensmission leisten – ob in Uniform oder ohne –, wirklich noch einmal unseren herzlichen Dank aussprechen; denn es ist kein einfacher und auch kein ungefährlicher Dienst, der dort geleistet wird.
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Meine Damen und Herren, eins ist aber auch klar: Die Vereinten Nationen sind immer nur so stark, wie die Mitgliedstaaten sie unterstützen. Hier hat Deutschland mit seinem vorübergehenden Sitz im Sicherheitsrat eine besondere Verantwortung dafür, die Vereinten Nationen insgesamt, aber auch gerade ihre Friedensmissionen stärker zu unterstützen. Da verwundert eben – das haben ja auch schon viele Rednerinnen und Redner angesprochen – der Blick ins Mandat schon sehr.
Sie sehen eine sehr bescheidene Mandatsobergrenze von 50 vor. Laut der letzten Unterrichtung des Parlaments sind genau 13 Soldatinnen und Soldaten vor Ort. Die Obergrenze wird also nicht einmal annähernd erreicht. Dabei ist doch klar: Langfristige Sicherheit und überhaupt eine kleine Chance auf echten Frieden im Südsudan wird es nur geben mit handlungsfähigen Vereinten Nationen, mit einem belastbaren Friedensplan, mit einem breit angelegten Entwaffnungsprogramm und einer echten Reform des Sicherheitssektors. Dafür müssen wir uns doch stärker engagieren als nur mit 13 Leuten.
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Wir führen ja seit Jahren diese Debatte über eine größere deutsche Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik. Hier, bei den Vereinten Nationen, hätten Sie doch wirklich eine breite Unterstützung aus dem Parlament, aus der Koalition, aber auch aus der Opposition. Ergreifen Sie sie, und unterstützen Sie die Friedensmissionen der Vereinten Nationen endlich stärker – mit mehr Geld, aber auch mit mehr Personal, nicht nur mit militärischem.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Brugger. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege – – Ingo Gädechens steht bei mir.
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– Oh, Entschuldigung, Jürgen Hardt. Es ist heute offensichtlich nicht mein Tag.
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Herr Kollege Hardt.
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Herr Präsident Kubicki! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über den Inhalt unseres Mandates ist ja ausreichend vorgetragen worden. Ich unterstütze es nachdrücklich und finde es auch gut, dass der Bundesaußenminister es hier ausführlich persönlich begründet hat. Ich möchte einige wenige Aspekte ansprechen.
Ich hatte letztes Jahr die Gelegenheit, einen unserer Staatssekretäre in dieses Land zu begleiten. Wir sind im Übrigen kreuz und quer durch Afrika geflogen, 25 Stunden im A400M: ein super Leistungsnachweis für dieses tolle Flugzeug, das fast so schnell ist wie ein Jet. Ich glaube, es gibt kein schnelleres Propellerflugzeug als die A400M der Bundeswehr. Das war auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.
Juba, die Hauptstadt des Südsudan, ist vermutlich die einzige Hauptstadt der Welt, in der nachts kein Licht brennt. Das ist eine Stadt, in der lediglich die Hauptstraßen asphaltiert sind. Es gibt in dem gesamten Land im Übrigen nur rund 7 000 Kilometer Straßen, die wenigsten davon asphaltiert. Der Weiße Nil ist einer der wichtigen Transportwege. Allein der Schutz der humanitären Güter, die auf dem Weißen Nil durch die UN-Mission zu See transportiert werden, ist schon ein Argument, dieses Mandat zu unterstützen.
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Die Armut und der Zustand des Landes stehen im krassen Gegensatz zu den Ressourcen, die dieses Land in Form von Bodenschätzen hat. Wenn die Konfliktparteien endlich zusammenfinden würden und sich entscheiden könnten, einen leistungsfähigen Staat aufzubauen, wäre für alle viel mehr drin, als das heute der Fall ist. Das ist ein typisches Dilemma, wie wir es oft erleben. Man kann zusammen viel mehr erreichen, als wenn man nur auf seinen eigenen Vorteil achtet und dann versucht, sich irgendwo mühsam eine Scheibe abzuschneiden. Deswegen ist der Appell an die Konfliktparteien, jetzt doch endlich den Weg des Übergangs zu einer Zivilregierung freizugeben und natürlich auch die Wahlen 2022 durchzuführen.
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Ein ganz wichtiger Effekt dieser Mission ist – das habe ich dort auch so erfahren –, dass die Afrikaner selbst bei der Mission UNMISS eine starke Rolle spielen. Die afrikanischen Staaten der Region wachsen zunehmend in eine Rolle hinein, in der sie auch selbst positive Beiträge zu Frieden in der Nachbarschaft liefern können sowie bereit und in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen bis hinein in Führungspositionen, selbstverständlich auch der UN-Missionen. Ich finde: Das ist der richtige Ansatz. Wir müssen unseren Beitrag zu dieser Mission leisten, aber wir müssen sie auch als Teilbeitrag dafür sehen, die afrikanischen Staaten selbst in die Lage zu versetzen, durch eigene multilaterale Strukturen solche Konflikte einzuhegen und beizulegen. Wir haben in den letzten Jahren hierfür positive Ansätze entwickelt. Wir erleben es insbesondere in der Sahelzone. Wir erleben die Initiative des äthiopischen Präsidenten, der auch einer der Friedensstifter im Sudan ist. Ich glaube, darauf sollten wir politisch noch mehr Augenmerk lenken: die Befähigung Afrikas zur Selbstregulierung solcher Missstände auf dem eigenen Kontinent.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Hardt. – Aber jetzt der Kollege Ingo Gädechens, CDU/CSU-Fraktion, Schleswig-Holstein.
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Herr Präsident! Sie bemerken ja: Es ist immer gut, zweimal im Protokoll zu stehen, und von Ihnen als schleswig-holsteinischer Landsmann zweimal erwähnt zu werden, ist dann schon fast eine Ehre. Es ist auch eine Ehre, letzter Redner in dieser für mich sehr wichtigen Debatte zu sein und über die Verlängerung des UN-Mandats UNMISS zu reden.
Wir haben es gehört: Der Südsudan steht seit seiner Unabhängigkeit Mitte 2011 vor vielen riesigen, leider ungelösten Herausforderungen und Problemen. Der jahrzehntelange Befreiungskrieg hat das Land zermürbt. Der darauffolgende Bürgerkrieg und der immer wieder aufflammende Machtkampf zwischen dem Präsidenten und seinen Stellvertretern hat mehr als 2,3 Millionen Sudanesen in die Flucht getrieben, aus dem Land heraus. Unzählige Menschen sind diesem Konflikt zum Opfer gefallen.
Aufgrund einer Massenepidemie und dem hohen Infektionsrisiko von Cholera und auch Ebola erwartet UNICEF im Jahr 2020, also in diesem Jahr, einen Anstieg der Zahl von Kindern mit akuter Mangelernährung von 860 000 auf 1,3 Millionen. Laut UNO sind auch im Januar 2020 circa 7,2 Millionen Menschen, rund zwei Drittel der Bevölkerung, auf humanitäre Hilfe angewiesen. Hier leistet der Außenminister Deutschlands – er erwähnte es – einen erheblichen Beitrag. Wir zählen zu den größten Geberländern. Verschärft wurde die Situation zuletzt im Oktober letzten Jahres durch schwere Überschwemmungen im Osten und Nordosten des Landes.
Meine Damen und Herren, dieser Teil Afrikas bildet nach wie vor ein weiteres sehr trauriges Kapitel. Die andauernden Auseinandersetzungen haben viele Entwicklungserfolge des jungen Staates wieder kaputtgemacht. Besonders die mangelnde Infrastruktur, exorbitante Ausgaben an falscher Stelle für Militär, teilweise für Polizei, eine Hyperinflation, hohe Kosten für Güter und Dienstleistungen, insbesondere aber eine grassierende, nach wie vor vorhandene Korruption und ein extremer Bevölkerungszuwachs stellen das Land immer wieder vor neue und große Herausforderungen.
Das 2018 abgeschlossene Friedensabkommen ist ein wahrer Hoffnungsschimmer. Der Waffenstillstand wurde bislang weitgehend eingehalten. Die Sicherheitslage hat sich insgesamt verbessert. Allerdings wird nicht in allen Provinzen die Waffenruhe eingehalten. Lokale ethnische Konflikte und Verteilungskämpfe fordern weiterhin ihre Opfer. Der Friedensvertrag bietet dennoch nach Jahren der kriegerischen Auseinandersetzung endlich wieder einen Ansatzpunkt, der – bei aller gebotenen Vorsicht – einen Weg aus dem Konflikt aufweisen kann. Es ist allerdings von großer Bedeutung, die mit dem Friedensprozess eingeschlagene Roadmap stringent einzuhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt kann ich große Einigkeit im Parlament feststellen, aber auch, dass die Linken etwas verquere Sichtweisen haben. Wenn Sie die Jacke von oben falsch einknöpfen, dann können Sie am Ende nicht glücklich enden. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Natürlich können wir im Rahmen einer UN-Mission viele in ein geschundenes Land entsenden, die helfen können. Aber diese Menschen gehen in ein solches Land nur, wenn ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleistet ist. Deshalb entsenden wir natürlich im Rahmen dieser UNO-Mission bewaffnete Soldatinnen und Soldaten, die sich gegebenenfalls selbst beschützen können. Das macht Sinn,
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so wie das ganze Mandat Sinn macht. Deshalb erhoffe ich Ihrer aller Unterstützung.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Gädechens. – Mit diesen Worten schließe ich die Aussprache.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein historisch niedriges Zinsniveau. Immer mehr Banken geben Negativzinsen an die Bürger weiter. „Die Altersvorsorge für Millionen Menschen schmilzt wie Schnee in der Sonne“. Das sagt nicht irgendjemand, das sagt der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Helmut Schleweis. Ich meine, wir müssen diese Warnungen ernst nehmen. Was heute an Versorgungslücken entsteht, das wird uns über Jahrzehnte beschäftigen. Genau deshalb sollten wir es dazu gar nicht erst kommen lassen.
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Wir Freie Demokraten fordern, dass über die geldpolitischen Rahmenbedingungen politisch diskutiert wird. Wir halten für sinnvoll: eine Begrenzung der Anleihekäufe der Notenbank, hohe Hürden für unkonventionelle Geldpolitik und auch eine Diskussion darüber, ob die statistisch gemessene Inflation die Wirklichkeit wirklich so exakt abbildet, dass man darauf geldpolitische Entscheidungen mit solcher Tragweite stützen kann. Darüber muss gesprochen werden.
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Aber die Probleme rund um Vermögensaufbau und Altersvorsorge entstehen mitnichten ausschließlich in der Geldpolitik, sondern sie entstehen auch in der Bundesregierung. Bundesfinanzminister Olaf Scholz erklärt der Öffentlichkeit – Zitat –:
Ich lege mein Geld nur auf einem Sparbuch, also sogar auf dem Girokonto an …
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist selbstverständlich eine private Entscheidung;
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problematisch wird das aber, wenn man genau so Politik für das ganze Land macht, wie Olaf Scholz sein Geld privat anlegt.
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Und die von Olaf Scholz mitgetragene Bundesregierung macht Politik auf diese Art und Weise: eine neue Steuer auf Aktiengeschäfte, eine Begrenzung der steuerlichen Berücksichtigung von Verlusten bei Kapitalanlagen, vor allem bei Termingeschäften und bei Totalausfällen von Kapitalanlagen.
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Das ist gerade erst in Kraft getreten.
Die Negativzinsen werden in vielen Fällen steuerlich überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl es doch eindeutig Verluste sind, die ein Anleger eingeht. Ich meine, wenn der Staat bestimmte Vorgänge besteuert, wenn Gewinne entstehen, dann muss er in gleicher Weise, spiegelbildlich, Verluste, die bei denselben Vorgängen entstehen, anerkennen. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein.
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Aber es geht weiter: Anleger zahlen weiterhin den Solidaritätszuschlag. Anleger sollen einen neuen Topf für die Einlagensicherung füllen. Dieser Topf muss natürlich erst mal aufgefüllt werden. Wer zahlt das denn? Und die Beratung von Anlegern, die nun wirklich wichtig ist, gerade für die weniger erfahrenen Bürgerinnen und Bürger, wird durch Regelungen wie MiFID und andere immer bürokratischer, am Ende immer teurer, sodass sich das Produkt für den Einzelnen immer weniger lohnt. Also erhalten gerade diejenigen, die die meiste Beratung brauchen, immer schlechtere Angebote und immer schlechtere Renditen. Das ist sozialpolitisch völlig verfehlt.
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Deswegen wollen wir Freie Demokraten Vorfahrt für privaten Vermögensaufbau und Altersvorsorge: Kursgewinne von Wertpapieren nach fünf Jahren – das ist eine langfristig orientierte Anlage – steuerfrei, volle Anerkennung von Verlusten aus Kapitalanlagen; die jüngsten Einschränkungen müssen wieder rückgängig gemacht werden.
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Der Sparerpauschbetrag ist seit 2009 nicht mehr erhöht worden, es gab nicht einmal einen Inflationsausgleich.
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Wir fordern einen Sparerpauschbetrag von 920 Euro; das wäre gerade ein Inflationsausgleich, nicht mehr. Das sollten die Sparer doch bekommen.
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Wir wollen den Soli selbstverständlich auch für Anleger abschaffen. Und wir müssen über die Bürokratie bei der Anlageberatung dringend reden.
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Ansonsten beraten Google oder irgendein Chatroom die Leute, die eigentlich qualifizierte Beratung bräuchten.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Anlegerpolitik ist Gesellschaftspolitik. Es geht im Kern um die Frage: Wollen wir unseren Bürgern finanzielle Unabhängigkeit – vor allem, aber nicht nur im Alter – ermöglichen, oder wollen wir das nicht?
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Das ist eine Frage mit enormen gesellschaftlichen Auswirkungen.
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Genau diese Frage „Pro finanzielle Unabhängigkeit für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande?“ beantworten wir Freie Demokraten in diesem Antrag mit einem klaren „Ja, wir wollen es“.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Carsten Brodesser, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Besuchertribüne und vor den Bildschirmen! Der vorliegende Antrag „Sparer schützen, Vermögensaufbau und Altersvorsorge fördern“ ist ein regelrechter Rundumschlag
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zu den aktuellen Fragestellungen der europäischen und nationalen Finanzpolitik.
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Wenn wir derzeit nicht die fünfte Jahreszeit, also Karneval, feiern würden, so könnte man meinen, dass sich die FDP schon wieder in der Adventszeit wähnt,
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in der man seine Wunschliste schreibt.
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Von der geldpolitischen Präzisierung des EZB-Mandates über die korrekte Errechnung der Inflationsrate, die Verhinderung der europäischen Einlagensicherung, die Stärkung der Aktienkultur und Altersvorsorge in Deutschland bis hin zur Evaluierung der Anlegerinformation reicht diese Wunschliste.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, bei vielen dieser Wünsche bleiben Sie leider oberflächlich und stellen lieber populäre Forderungen zur Schau,
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als konkret zu werden. Auf zwei Punkte Ihres Papieres möchte ich in der Kürze der Zeit jedoch genauer eingehen, da diese das wichtige Politikfeld der Altersvorsorge betreffen: erstens die Stärkung der Aktienkultur im aktuellen Niedrigzinsumfeld und zweitens die geplante Übertragung der Beaufsichtigung von freien Finanzanlagenvermittlern und Honorarfinanzanlagenberatern auf die BaFin.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle müssen seit einigen Jahren mit sinkenden Zinsen leben. Die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und die demografisch bedingte Zunahme der Sparaktivitäten haben das Kapitalangebot ständig anwachsen lassen. Infolgedessen sanken die Zinsen auf bisher unbekannte Tiefstände, und dies wird auf absehbare Zeit auch leider so bleiben. Das ist vordergründig gut für die öffentliche Hand, weil niedrige Zinsen den Schuldendienst entlasten. Die Niedrigzinspolitik belastet aber in immensem Ausmaß die Sparerinnen und Sparer in unserem Land. Inflationsbereinigt frisst dies sogar an der Substanz der Ersparnisse, da die meisten Bürger hohe Bestände auf ihren laufenden Konten verwalten.
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Die Erzielung einer vernünftigen Rendite bei festverzinslichen Anlagen ist nahezu unmöglich und führt zu massiven Herausforderungen für die gesamte Finanzbranche.
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Folgerichtig sollten wir als Politik die richtigen Anreize zur Förderung der Vermögensbildung in Immobilien und Aktien setzen.
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Die Koalition hat in den letzten Monaten bereits wichtige Impulse zur Vermögensbildung auf den Weg gebracht: Wir haben das Baukindergeld eingeführt und ermöglichen damit vielen Familien den Erwerb einer selbstgenutzten Immobilie.
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Und wir haben die Wohnungsbauprämie deutlich verbessert. In Kürze werden also mehr Menschen mit höheren Prämiensätzen bei der Eigenkapitalbildung zum Erwerb von Wohneigentum gefördert – ein wichtiger, um nicht zu sagen der wichtigste Baustein einer guten privaten Altersvorsorge.
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Doch müssen wir auch gute Rahmenbedingungen für das Wertpapiersparen zur Altersvorsorge schaffen. Das bedeutet, dass wir eine zusätzliche Belastung von Aktienkäufen im Rahmen der Altersvorsorge, wie in der aktuellen Diskussion zur Finanztransaktionsteuer, vermeiden müssen.
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Es ist eben zu kurz gedacht, dass bei einem beispielsweise 30-jährigen Sparvorgang in Investmentfonds nur einmal eine Steuer in Höhe von 0,2 Prozent anfallen und diese nicht weiter ins Gewicht fallen würde. Richtig ist vielmehr, dass Investmentfonds und damit auch fondsgebundene Lebensversicherungen ihr Anlageportfolio mehrfach innerhalb eines Jahres umschichten, um gute Erträge für die Anleger zu erwirtschaften, und somit mehrfach diese Steuer entrichten müssten – Kosten, die am Ende der Sparer zu tragen hätte und die die Bildung von Altersvorsorgevermögen schmälern würden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir wollen, dass die Bürger unseres Landes mehr vorsorgen und diese Vorsorgeentscheidung auch an den Renditechancen ausrichten sollen, dann darf die Altersvorsorge nicht zusätzlich steuerlich belastet werden.
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Im Koalitionsvertrag haben wir die Einrichtung einer Rentenkommission vereinbart, die sich parteiübergreifend unter Einbeziehung von Wissenschaft und Sozialpartnern mit der Herausforderung einer nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung und der beiden weiteren Rentensäulen befasst. Ohne den Ergebnissen dieser Kommission vorgreifen zu wollen – eines dürfte aus Sicht der Union klar sein: Wir müssen die betriebliche und die private Altersvorsorge stärken und werden konkrete Verbesserungen zu den geförderten Altersvorsorgeprodukten auf den Weg bringen.
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Dies betrifft sowohl die Anpassung von Förderbeträgen als auch die stärkere Berücksichtigung von Anlagen in Aktien. So sollten die Sparer in Zukunft selber entscheiden, ob sie eine Beitragsgarantie im Rahmen eines geförderten Zulagenproduktes vereinbaren wollen oder eben nicht, um dadurch die Anlage in Aktien zu ermöglichen.
Die Altersvorsorge ist mit den drei Säulen und den vielfältigen Produkten am Markt für viele Menschen unübersichtlich, ja manchmal sogar ein Buch mit sieben Siegeln.
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Dem wollen wir abhelfen und eine übersichtliche Plattform schaffen, die dem Einzelnen jederzeit einen Überblick über seine individuelle Vorsorgesituation gibt.
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Dies ist zugegebenermaßen eine riesige technische Herausforderung, aber wir begrüßen ausdrücklich die Initiative des BMAS, eine säulenübergreifende Renteninformation einzuführen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine solche Altersvorsorge bedarf einer soliden Beratung. Annähernd 40 000 freie Finanzanlagenvermittler und Honorarfinanzanlagenberater tragen tagtäglich dazu bei, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger gute Vorsorgeentscheidungen treffen. Die Beaufsichtigung dieser Berater und Vermittler geschieht seit Jahren durch die Gewerbeämter sowie durch die Industrie- und Handelskammern in den Ländern.
({18})
Sie prüfen vor der Erlaubniserteilung die fachliche und persönliche Befähigung der Vermittler und fordern ohne Ausnahme von jedem Vermittler im Rahmen der Finanzanlagenvermittlungsverordnung einen jährlichen Prüfungsbericht ein. Dies geschieht dezentral, kostengünstig und lückenlos.
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Bei einer schrittweisen Übertragung dieser Aufsicht auf die BaFin muss man tatsächlich die Frage nach dem Mehrwert
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und der damit verbundenen Bürokratie sowie der zusätzlichen Kosten stellen.
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Wir als Union wollen weiterhin die Vielfältigkeit in der Altersvorsorgeberatung ermöglichen und gleichzeitig eine Aufsicht im Sinne des Verbraucherschutzes. Eine teilweise Übertragung der Aufsichtskompetenz auf die BaFin, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, sollte sich meines Erachtens auf die Einhaltung des Prüfungskataloges der dezentralen Aufsichtsbehörden beschränken.
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Die operative Begleitung und Beaufsichtigung der Vermittlungsaktivitäten könnte dadurch in den bewährten Händen der Gewerbeämter und IHKs verbleiben. Die BaFin würde hingegen den Qualitätsstandard dieser Aufsicht gewährleisten – ein Aspekt, den wir im Kreise der Koalition, aber selbstverständlich auch gerne mit allen anderen Fraktionen beraten wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, Sie sprechen in Ihrem Antrag viele wichtige Aspekte zur Förderung der Altersvorsorge an.
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Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Einen Satz noch. Danke. – Zu Ihrer adventlichen Wunschliste kann ich Ihnen nur sagen, dass die Koalition bereits wichtige Entscheidungen zur Altersvorsorgeberatung und Vermögensbildung auf den Weg gebracht hat. In Kürze werden weitere Menschen in unserem Land noch besser vorsorgen können. Die Punkte, die wir dazu diskutieren wollen, diskutieren wir gerne mit Ihnen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das waren zwar vier Sätze, aber das ist auch egal. Herzlichen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Albrecht Glaser, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat ein Sammelsurium an Vorschlägen vom Steuerrecht bis zur EZB-Zinspolitik, eine Art Schrotschuss für die Galerie.
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Es hat leider wenig Substanz. Man kann nicht alle elf Punkte behandeln, sondern nur ein paar Andeutungen machen.
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– Ja, ich gebe mir Mühe.
Zum Thema Steuern: Abschaffung des Solidaritätszuschlags – völlig neue Idee, ganz originell, das hat noch niemand beantragt. Sie gestatten mir, das Thema damit schon abgehandelt zu haben.
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Anpassung des Sparerpauschbetrags an die allgemeine Preisentwicklung. Wunderbar! Wir haben, glaube ich, 10 oder 20 Indexierungsanträge für alle Freibeträge. Wir müssen dann auch die Pauschbeträge, die Pauschalen und neben den Freibeträgen natürlich auch den Tarif indexieren. Das wäre eine Lösung, und das hätte Hand und Fuß. Jetzt nur den Sparerpauschbetrag herauszugreifen, macht keinen Sinn.
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Freistellung der Kursgewinne: Wer mit Aktien spekuliert, der soll für die Wertveränderung Steuern zahlen; die anderen sollen das nicht. Ja, das ist eine gute Idee. Sie wollen die Spekulationsfrist aber erst nach fünf Jahren enden lassen. Wir hatten schon mal eine Spekulationsfrist von einem Jahr. Auch das ist also nicht besonders anspruchsvoll.
Keine Finanztransaktionsteuer auf Aktien: Ja, das ist richtig. Der Entwurf der Bundesregierung trifft die völlig Falschen, nämlich den langfristig haltenden Anleger und nicht die Spekulanten. Die Spekulanten hatten etwas mit der Finanzkrise zu tun; diese trifft die Steuer gar nicht. Das ist in der Tat totaler Dilettantismus.
Negative Einlagezinsen: Das ist ein pikanter Punkt, klar. Die negativen Einlagezinsen sind negative Einkünfte aus Kapitalvermögen und müssen systematisch abgezogen werden; so systematisch, wie es gerade und krumme Zahlen gibt. Trotzdem hat der Bundesfinanzminister am 27. Mai 2015 einen Erlass an alle Welt geschickt – ich zitiere –:
Behält ein inländisches Kreditinstitut negative Einlagezinsen für die Überlassung von Kapital ein, stellen diese negativen Einlagezinsen keine Zinsen i. S. von § 20 Absatz 1 Nummer 7 EStG dar ...
Meine Damen und Herren, das ist eine Sünde wider den Geist. Das ist völlig absurd, ist mit Sicherheit verfassungswidrig. Ich hoffe, es wird geklagt. Diese Torheit muss in dem Fall dem Anwender – sprich: dem Bundesfinanzministerium, das es im Moment steuern kann – über das Verfassungsgericht ausgetrieben werden.
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Die Europäische Union – jetzt sind wir bei der Europäischen Union –, meine sehr verehrten Damen und Herren: Das ist ganz sensationell. Da sagen Sie, die Einführung einer europäischen Einlagensicherung sei keine gute Idee, man müsse eben die deutschen Kreditinstitute und ihre Sicherungsinstrumente schützen. Dazu haben wir in der Tat Anträge gestellt. Die haben Sie alle abgelehnt. Ja, wir sind gegen EDIS. Ja, wir glauben, dass Europa eine Selbstverantwortung der Staaten braucht und nicht die Poolung von Risiken. Völlige Übereinstimmung: völlig untaugliches Vorgehen.
Die EZB – das ist besonders delikat –: Man beklagt die ultralockere Geldpolitik. Sie kritisieren die mittelbare Staatsfinanzierung durch Anleihekäufe. Sie rügen eine Vermischung von auftragsgemäßer Geldpolitik und nationalstaatlichen Interessen. – Gut gebrüllt, Löwe. Alles richtig! Aber wo ist die Lösung?
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Als Lösung schreiben Sie – Zitat –: „… eine Initiative anzustoßen, das geldpolitische Mandat der EZB zu präzisieren …“. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie geht das? Entweder machen wir eine Dienstanweisung an die EZB. Das geht nicht, weil sie bekanntlich unabhängig ist.
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Oder wir ändern die Verträge. Wer ist bereit, die Verträge zu ändern? Ich weiß nicht, wo Sie da eine konzeptionelle Idee entwickelt hätten. Das wäre schön gewesen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich denke, wir werden uns mit dem Thema weiter befassen. Aber mit dieser Streumunition wird der Krieg nicht zu gewinnen sein.
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Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Michael Schrodi, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP hat ja derzeit gewisse Probleme bei der korrekten Verortung, was bzw. wo die gesellschaftliche Mitte ist. Das passiert ihr auch bei der gesellschaftlichen Verteilung von Einkommen und Vermögen. Da verortet sie auch, wenn man es auf einer X-Achse sieht, die Mitte leider ganz rechts, nämlich bei den Superreichen. Auch hier liegt die FDP falsch.
Sie benennen ein Problem, niedriges Medianvermögen, und haben eine relativ einfache Lösung für alle Probleme, nämlich eine Verbesserung der Aktienkultur. Sie wollen dafür alle vermeintlichen Hemmnisse abbauen und haben ein Sammelsurium an Vorschlägen vorgebracht. Übrigens wollen Sie auch die Altersvorsorge mit dazunehmen und privatisieren. Das ist natürlich Quatsch.
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Sie vergessen aber, eines zu erwähnen: eine weiter zunehmende Einkommens- und auch eine weiterhin sehr hohe Vermögensungleichheit in Deutschland. Wen Sie auch nicht erwähnen, sind die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung, die die Hälfte des Gesamtvermögens besitzen, und die 40 Prozent der Bevölkerung, die praktisch kein Nettovermögen haben.
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Diesen Menschen raten Sie, jetzt mal Aktien zu kaufen.
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Das ist frei nach Marie-Antoinette: Wenn sie kein Geld haben, sollen sie Aktien kaufen. – Das ist Quatsch an der Stelle.
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Wie sieht denn die Politik für die tatsächliche Mitte der Gesellschaft aus? Wie sieht sozialdemokratische Politik aus? Wir machen eine Mindestausbildungsvergütung für Auszubildende. Dieses Geld landet bei denen in der Tasche.
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Wir wollen die Tarifbindung erhöhen, damit ordentliche Löhne gezahlt werden. Den Mindestlohn wollen wir erhöhen.
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Eine Stärkung der gesetzlichen solidarischen Rentenversicherung hilft den Menschen
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und mehr Steuergerechtigkeit mit einem Spitzensteuersatz, der höher greift, aber Bezieher mittlerer und unterer Einkommen stärker entlastet. Das ist Politik für die Mitte der Gesellschaft.
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Diese guten Löhne sind dann auch die Basis für Vermögensbildung. Dann können wir auch über Aktienkultur sprechen.
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Da bin ich gar nicht weit weg.
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Herr Kollege, einen ganz kleinen Moment. – Ich bitte die Fotografen auf der Tribüne, davon Abstand zu nehmen, die Bänke der Abgeordneten zu fotografieren. Ansonsten muss ich Sie entfernen lassen.
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Herr Kollege, Sie haben weiter das Wort.
So aber ist es eine Politik für Superreiche, die Sie jedoch als Schutz der Kleinsparer oder als Politik für den kleinen Mann verkaufen wollen. Übrigens, genau so macht es die AfD. Die AfD hat im Ausschuss ja auch als Einzige diesem Antrag zugestimmt. Aber stimmt das? Ist das eine Politik für die Mitte der Gesellschaft? An zwei Punkten möchte ich klarstellen, dass dem nicht so ist.
Sie haben den Solidaritätszuschlag erwähnt. Sie fordern wie schon in Anträgen zuvor – auch die AfD übrigens – die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Wir werden ihn abschaffen, für 90 Prozent.
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Wenn Sie die restlichen 10 Prozent nun auch entlasten wollen: Über welche Einkommen sprechen wir denn da? Ein Alleinstehender muss erst ab einem Jahresbruttolohn von circa 109 000 Euro den Soli weiterhin voll bezahlen, eine Familie erst ab 221 000 Euro.
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Zum Vergleich: Das Medianeinkommen, die exakte Mitte, liegt bei 36 000 Euro. Das ist es, was Sie wollen: die Entlastung von Topverdienern um insgesamt zehn Milliarden Euro, aber nicht die der Mitte. Schauen Sie sich die Zahlen genau an. Das werden wir natürlich nicht mitmachen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Toncar?
Nein, ich führe das jetzt fort.
Genauso ist es übrigens bei der Finanztransaktionsteuer. Da müssen Sie nur das Gutachten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft anschauen. Die Finanztransaktionsteuer trifft vor allem große, professionelle Investoren, nicht die vielzitierten Kleinsparer. Auch hier gilt: Die Kleinsparer vorschieben, aber die Großinvestoren schützen – das ist die Devise von FDP und AfD, und auch das ist falsch.
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Damit sind wir bei einem Thema, das Sie ebenfalls immer wieder erwähnen, auch heute wieder, und mit dem Sie Schindluder treiben. Das sind die Niedrigzinsen. Die FDP wirft da mit Nebelkerzen, anstatt die Debatte über die langfristigen, volkswirtschaftlichen Ursachen von Niedrigzinsen zu führen, die jetzt auch von Ökonominnen und Ökonomen geführt wird. Clemens Fuest und Marcel Fratzscher tun das, und sie sagen übereinstimmend: Nicht die EZB ist der Grund dafür, dass es Niedrigzinsen gibt. Seit Jahrzehnten gibt es einen Abwärtstrend auch in den USA, auch in der Schweiz, ohne Euro-Zone, ohne Euro.
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Welche Ursachen werden benannt? Eine hohe private Sparquote, auch aufgrund der bestehenden Ungleichheit und aufgrund der demografischen Entwicklung – man sorgt für das Alter vor –, eine hohe Sparquote bei Unternehmen und auch eine hohe Sparquote des Staates, weil wir in Teilen nicht ausreichend investiert haben.
Nun, liebe FDP, eine kleine Rechnung: Wenn alle sparen, es also ein großes Angebot an Geld gibt, aber keiner da ist, der Kredite aufnimmt, also eine geringe Nachfrage nach Geld vorhanden ist, dann muss ich Ihnen, die Sie immer nach dem Markt schreien, sagen: Der funktioniert da.
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Ein Preis – in dem Fall die Zinsen – ist wegen des hohen Angebots und geringer Nachfrage so gering. Das ist der Markt, und das sagt Clemens Fuest beispielsweise und schreibt es Ihnen ins Stammbuch.
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Die Ökonomen schreiben auch, welche Maßnahmen es dann geben muss. Wir müssen etwas tun, um Ungleichheiten zu verringern. Da gehen wir mit so etwas wie der Vermögensteuer heran, mit einem ordentlichen Spitzensteuersatz und übrigens auch mit einer ordentlichen Erbschaftssteuer für hohe Erbschaften.
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Außerdem brauchen wir natürlich ein ordentliches Investitionsprogramm zusätzlich zu den hohen Investitionen, die wir schon haben,
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wie DGB und BDI feststellen, übrigens auch kreditfinanziert; denn eins muss klar sein: Staatsanleihen sind sichere Anlagen auch für Sparer. Das jedoch, was Sie machen, ist volkswirtschaftlich unsinnig.
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Es ist nicht durchdacht, und natürlich lehnen wir deshalb Ihren Antrag ab.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schrodi. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Toncar, FDP-Fraktion.
Ich bedanke mich, Herr Präsident. – Kollege Schrodi, ich möchte anhand von zwei Beispielen einmal aufzeigen, weshalb ich glaube, dass Sie doch sehr im Irrtum auch darüber sind, wie sich die steuerlichen Belastungen, die Ihre Fraktion und die von Ihnen mitgetragene Bundesregierung einführt, für Kleinsparer auswirken.
Sie haben gesagt, der Solidaritätszuschlag werde für 90 Prozent abgeschafft. Da haben Sie die Einkommensgrenzen aufgeführt. Das Entscheidende ist doch aber, dass der Solidaritätszuschlag auf die Abgeltungsteuer, also auf Kapitalerträge, für alle Einkünfte beibehalten bleibt.
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Da werden also alle Anleger, ganz egal, wie hoch das zu versteuernde Einkommen am Ende ist, den Solidaritätszuschlag weiter zahlen, nicht nur die Gruppen, von denen Sie hier gesprochen haben. Das geht natürlich in die Mitte der Gesellschaft hinein.
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Bei Ihrer Aktienstrafsteuer tun Sie übrigens auch so, als ob das ein Problem nur für die Großanleger sei. Aber ein ETF-Fonds zum Beispiel, ein Produkt, das sehr gut für die Anlage von ganz normalen Kleinanlegern geeignet ist, schichtet sein Portfolio jeden Tag um, weil er Indizes nachbaut, und da fallen natürlich nicht nur einmal, sondern zigmal am Tag diese Steuern an. Solche Produkte wären also genauso betroffen. Selbstverständlich hat das auch eine ganze Menge mit der Situation von Kleinanlegern zu tun, Herr Kollege.
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Vielen Dank. – Herr Kollege Schrodi, wollen Sie antworten? – Herr Kollege Toncar, Sie bleiben freundlicherweise stehen, auch wenn Herr Schrodi nicht gestanden hat.
Sie reden gerade wieder vom Kleinsparer. An einem Beispiel möchte ich hier mal darstellen, dass Sie da nicht richtig liegen. Sie haben von den Kapitalerträgen gesprochen und davon, dass der Kleinsparer betroffen ist. Es gibt den Sparerpauschbetrag; den haben Sie angesprochen – 801 Euro. Bei der derzeitigen Zinsphase sind es circa 80 000 Euro, die hier steuerfrei gestellt sind. Ich möchte mal den Kleinsparer mit 80 000 Euro sehen! Das widerlegt schon alles.
Sie machen Politik für diejenigen, die eben genau dieses „Kleingeld“ haben, um so viel anzulegen und über den Sparerpauschbetrag zu kommen. Das sind eben nicht die Kleinsparer, sondern das sind diejenigen, die Sie hier vertreten. Klientelpolitik für die Superreichen!
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Jörg Cezanne, Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP will die Altersvorsorge fördern. Aber Ihr Antrag ist so Kraut und Rüben, dass ich niemandem empfehlen kann, sich von Ihnen in Vorsorgefragen beraten zu lassen.
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So schreibt die FDP: „Wertpapiersparen hat sich … in den letzten Jahrzehnten immer als sicher wertsteigernde Anlageform erwiesen.“ Nur mal zur Erinnerung: Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 hat es fünf Jahre gedauert, bis die Kursverluste ausgeglichen waren. Nach dem Platzen der New-Economy-Blase im Jahr 2000 hat ein DAX-Portfolio sogar über sieben Jahre gebraucht, bis diese Verluste ausgeglichen waren. Die nächste Krise kommt bestimmt.
Unbestritten: Wer viel Geld übrig hat, um mit Wertpapieren zu spekulieren, der kann auch gewinnen. Aber wer angesichts solcher Risiken Aktiensparen als Altersvorsorge für Kleinsparer anpreist, der hat die Interessen der Finanzindustrie und der Fondsmanager im Blick, aber ganz sicher nicht die kleiner Sparerinnen und Sparer.
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Keine der von der FDP vorgeschlagenen elf Maßnahmen
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– mein Kollege Matthias Birkwald hat sich sehr darüber gefreut – hat irgendeinen praktischen Nutzen für Menschen, deren Rente zu niedrig ist, weil sie durch niedrige Löhne oder langjährige Leiharbeit nicht genug verdient haben. Auch für jene 40 Prozent der Bevölkerung, deren Einkommen seit der Jahrtausendwende kaum gestiegen oder sogar gesunken ist, sind Ihre Maßnahmen einfach nutzlos.
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Vielmehr liegt dem FDP-Antrag offensichtlich folgende Lagebeurteilung zugrunde: In Deutschland sind so viele Leute arm oder haben zu niedrige Renten, a) weil sie zu wenig mit Aktien und Immobilien spekulieren, b) weil sie für ihre Kapitaleinkünfte nicht genügend Steuerbefreiung erhalten und c) weil sie durch den finanziellen Verbraucherschutz von Anlagen am Finanzmarkt abgeschreckt werden. – Sorry, aber das ist einfach Unfug.
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Die finanzielle Unabhängigkeit im Alter stärkt man am besten mit der Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung,
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und zwar am besten in Form einer Erwerbstätigenrente, in die eben alle Erwerbstätigen einzahlen, also auch Freiberufler, Selbstständige, Beamtinnen und Beamte
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und eben auch Bundestagsabgeordnete.
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Der Beitrag sollte auch auf das gesamte Einkommen bezahlt werden und nicht nur auf das Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze.
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Das Rentenniveau, das im Moment stetig sinkt, ließe sich so wieder auf 53 Prozent erhöhen: eben eine solidarische Rentenversicherung für alle statt Wertpapierkultur für Besserverdienende.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Sparer schützen, Vermögensaufbau und Altersvorsorge fördern“ – das klingt sehr, sehr gut, aber leider ist das in diesem Antrag nicht drin. Stattdessen und ganz zuvorderst will die FDP mit diesem Antrag die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank einschränken. Aber das machen Sie nicht mit uns, meine Damen und Herren!
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Wie die AfD sagt die FDP: Schuld ist immer die EZB. – Da muss man ganz klar sagen: Das ist einfach zu viel Ehre für die EZB. Es ist richtig: Die EZB ist für die Geldpolitik zuständig, auch für den Zins. Aber wahr ist: Sie kann zwar etwas regeln, aber am Ende des Tages ermittelt sich der Zinssatz ganz normal, wie es sich für den Markt gehört, mit Angebot und Nachfrage.
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Da ist es so, dass wir in der Europäischen Union seit Langem das Problem haben, dass wir zu geringe Investitionen und zu hohe Ersparnisse haben. Es ist zwar wenig bekannt, aber trotzdem wahr, dass inzwischen in der Europäischen Union selbst die Unternehmen im Saldo Nettosparer sind. Wenn aber Unternehmen sparen, Haushalte sparen, öffentliche Haushalte sparen und niemand tatsächlich Kredite anfragt
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und investieren möchte, dann ist doch völlig klar, dass der Zinssatz niedrig sein muss. Wenn die, die Geld verleihen wollen, niemanden finden, der Geld leihen will, dann gibt es auch keinen hohen Zinssatz, meine Damen und Herren. Deswegen: Das ist das Problem, und dagegen müssen wir etwas tun.
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Das ist nämlich nicht nur schlecht für den Zins und für die Anleger, sondern das ist eben auch schlecht für die Wettbewerbsfähigkeit, für die Innovationskraft, für die Beschäftigung und auch für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union.
Außerdem ist es so, dass davon übrigens auch die Anteilseigner stärker profitieren. Damit nimmt die Ungleichheit in der Europäischen Union zu,
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und auch der Sprengsatz zwischen den europäischen Ländern, zwischen Deutschland und den anderen Mitgliedern der Euro-Zone, erhöht sich. Auch deswegen müssen wir etwas dagegen tun und eine Investitionsoffensive starten, meine Damen und Herren.
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Deswegen noch einmal meine eindringliche Bitte an diese Seite des Hauses: Lassen Sie endlich die EZB in Ruhe ihren Job machen, und sorgen Sie dafür, dass Sie und wir alle miteinander unseren Job machen! Wir sind nämlich zuständig für die Wirtschafts- und für die Finanzpolitik. Da liegt der Schlüssel zur Lösung, und da müssen wir ran, meine Damen und Herren.
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Schaffen wir endlich klare Leitplanken für die Wirtschaft,
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klare Leitplanken für Investitionen in die klimaneutrale Transformation, damit wir endlich die Unsicherheit, die wir alle miteinander spüren und haben, wie es genau gehen soll, was im Zuge der Transformation genau ansteht, zu einem kalkulierbaren Risiko umbauen, mit dem dann auch die Unternehmen umgehen können.
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Lassen Sie uns mit einer Reform der Schuldenbremse auch die öffentliche Infrastruktur hin zu einer klimaneutralen Infrastruktur transformieren. Ob das Ding jetzt „Green Deal“, „Green New Deal“ oder „Umbau in eine klimaneutrale Wirtschaft“ heißt, das ist uns egal; aber lassen Sie es uns gemeinsam tun.
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Kommen Sie bitte zum Schluss.
Und damit am Ende auch alle davon profitieren, –
Frau Kollegin.
– lassen Sie uns das mit einem staatlichen, öffentlich-rechtlichen Bürgerfonds verbinden, von dem dann tatsächlich alle Bürgerinnen und Bürger profitieren, der in genau diesen Umbau investiert –
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
– ich komme zum Schluss, Herr Präsident –, damit sich der Wohlstand auf alle verteilt und wir eine klimaneutrale gemeinsame Zukunft haben, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank. – Zum Schluss lauschen wir den Worten des Kollegen Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der FDP von Ende Januar 2020 hat einige gute Elemente, die Sie teilweise übrigens aus unserem Positionspapier von Anfang Januar, von der CSU-Klausur im Kloster Seeon, übernommen und mit eingebaut haben. Also herzlichen Dank dafür! Ich komme später noch mal darauf zu sprechen.
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Aber zum Bereich Vermögensaufbau, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört mehr als in Ihrem Antrag aufgeführt. Vermögensaufbau besteht aus drei Bereichen: zum Ersten Immobilien, selbstgenutzt oder vermietet; das Zweite sind die drei Säulen der Altersversorgung, also staatliche Rente, betriebliche Altersversorgung und private Altersversorgung; und der dritte Bereich ist natürlich das Sparen: Geld, Edelmetalle, aber selbstverständlich auch Aktien.
Im ersten Bereich haben wir einiges geleistet: Einführung des Baukindergeldes, Erhöhung der Wohnungsbauprämie – da waren Sie übrigens dagegen –,
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und wir schaffen gerade den im Koalitionsvertrag vereinbarten Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer. Hier sind wir im Gespräch und sind dran, damit wir auch hier liefern können.
Für den zweiten großen Bereich der Altersvorsorge haben wir die Rentenkommission eingesetzt. Die soll sich ja mit der Sicherung und Fortentwicklung der Alterssicherungssysteme ab dem Jahr 2025 beschäftigen. Es ist der richtige Weg, mit Wissenschaftlern und Menschen, die sich auskennen, hier eine Lösung zu erarbeiten.
Aber natürlich müssen wir unser Rentensystem über 2025 hinaus fit machen. Wir wollen Altersarmut verhindern; dazu brauchen wir ein Bündel von Maßnahmen. Eines ist wichtig – ich glaube, da sind wir uns alle einig –: Wer 30, 35, 40 Jahre arbeitet, muss von seiner Rente leben können.
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Deswegen verdient der, der so lange arbeitet, nicht nur unseren Respekt, sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass er für seine Lebensleistung auch das entsprechende Geld bekommt. Ich glaube, auch in diesem Bereich haben wir geliefert.
Auf der anderen Seite muss man erst mal sagen, dass die Renten derzeit so hoch sind wie noch nie zuvor und die Rentensteigerungen der letzten Jahre ebenfalls so hoch sind wie noch nie zuvor. Aber natürlich sind die Kosten gestiegen – auch das muss man sagen; Lebenshaltungskosten, Wohnungskosten etc. –, sodass letztlich die staatliche Rente gefühlt oftmals nicht ausreicht.
Deswegen haben wir wichtige Maßnahmen beschlossen. Wir haben die Mütterrente durchgesetzt; Sie waren dagegen.
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Wir haben jetzt einen guten Kompromiss beim Thema Grundrente erreicht. Das bedeutet eine Verbesserung für diejenigen, die im Niedriglohnsektor arbeiten.
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Natürlich müssen wir in der betrieblichen und privaten Altersvorsorge Gas geben und noch mehr tun.
Übrigens – da sind wir nicht einer Meinung –: Die rein nationale Aktiensteuer lehnen wir in der Form ab. Ich glaube nicht, dass das nur Großsparer betrifft, sondern jeder Kleinsparer, der einen Fonds hat, der viermal im Jahr umgeschichtet wird, hat über eine Laufzeit von 30 Jahren – es ist ganz üblich, bei einem normalen Fonds von der Sparkasse oder Raiffeisenbank viermal im Jahr umzuschichten – 24 Prozent Verlust. Insofern ist, glaube ich, die Rechnung, die Sie anstellen, definitiv falsch. Deswegen lehnen wir diese nationale Steuer ab.
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Im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge haben wir zwar noch nicht alles, aber vieles geleistet. Wir haben zum Beispiel in den Verhandlungen über die Grundrente eine deutliche Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge beschlossen. Zusätzlich – es steht auch in Ihrem Antrag – konnten wir für die betriebliche Altersvorsorge einen Freibetrag bei der Doppelverbeitragung der Krankenversicherung beschließen, sodass es für 60 Prozent der Betroffenen inzwischen keine Doppelverbeitragung mehr gibt. Auch das hat die Koalition umgesetzt oder wird es noch im Detail umsetzen. Ich glaube, das ist der richtige Weg.
Der dritte Bereich sind die Zinsen. Ich kann Ihnen allen recht geben: Wir müssen bei der EZB aus der Niedrig- bzw. aus der Negativzinspolitik raus. Eine Negativzinspolitik der EZB schadet letztlich nachhaltig der Wirtschaft und schadet auch den Sparern. Deswegen müssen wir die EZB auffordern – wir können es ja nicht beschließen –, aus der Negativzinspolitik auszusteigen. Das ist eine richtige Maßnahme, die in dem Antrag steht, und das unterstützen wir nachdrücklich.
Sie haben den Sparerpauschbetrag im Antrag genannt. Der Bundesfinanzminister hat bereits veröffentlicht, dass er angehoben werden soll.
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Wir haben in unserem CSU-Papier – das habe ich ja vorhin zitiert – auch die Steuerfreiheit für Aktien nach einer fünfjährigen Spekulationsfrist aufgenommen. Darüber müssen wir diskutieren. Ich denke, es ist ein wichtiger Ansatz, um auch die Aktienkultur in unserem Land nach vorne zu bringen.
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Deswegen sind wir auch hier im Gespräch.
Ein letzter Punkt. Wir müssen noch einen Aspekt betrachten im Zusammenhang mit § 20 Absatz 6 Einkommensteuergesetz. Wenn ein Aktiengeschäft mit Zinsen verbunden ist, das mit einem Zinssicherungsgeschäft abgesichert ist, dann müssen wir doch den Gewinn und den Verlust miteinander verrechnen können.
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Das ist derzeit, glaube ich, der Webfehler. Darüber müssen wir noch mal reden. Ich glaube, das ist ein Punkt, den wir so nicht gewollt haben. Lassen Sie uns da noch mal ins Gespräch kommen, damit wir solche verbundenen Geschäfte beseitigen und keine Scheingewinne besteuern.
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Insofern erst mal herzlichen Dank! Lassen Sie uns an den Punkten arbeiten.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Mit diesen Worten schließe ich die Aussprache.