Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/31/2020

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich bei all denjenigen bedanken, die es möglich gemacht haben, dass wir heute Morgen über Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sprechen. Denn nicht nur die Mittel, die wir dafür zur Verfügung stellen, sondern auch das Engagement, das in der Außenpolitik mittlerweile Kultur- und Bildungsfragen betrifft, insbesondere das, was Staatsministerin Müntefering tut, sind es wert, hier in diesem Hause einmal besprochen zu werden. Die Bedeutung der Kultur- und Bildungspolitik wird vielfach unterschätzt für eine nachhaltige Außenpolitik und damit auch für die Sicherung von Frieden in der Welt. ({0}) Das war eine gute Woche; denn es hat hier wichtige Reden gegeben, insbesondere die des Bundespräsidenten und die des Staatspräsidenten von Israel. Darin ging es um das Erinnern. Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir auch im Zusammenhang mit unserer Geschichte möglicherweise neue Formen des Erinnerns finden müssen, um das weiterzugeben, was wir aus unserer Geschichte gelernt haben. Das hat auch etwas mit Kultur- und Bildungspolitik zu tun. Denn eines zog sich durch viele der bewegenden Reden, die wir in den letzten Tagen gehört haben, nämlich dass es keinen Schlussstrich geben darf unter die deutsche Verantwortung für den Holocaust. ({1}) Und mehr noch: Wenn Antisemitismus und Rassenhass auf dem Vormarsch sind in Deutschland, in Europa und in der Welt, dann wächst auch unsere eigene Verantwortung, dagegen mit aller Geschlossenheit und Entschlossenheit vorzugehen. ({2}) Meine Damen und Herren, meine erste Botschaft gerade in dieser Woche lautet deshalb: Verständigung und Toleranz statt Rassismus und Antisemitismus – das ist ein zentraler Auftrag unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Das muss auch immer so bleiben. ({3}) Ein Drittel der jungen Menschen in Europa weiß laut einer Umfrage wenig oder gar nichts über den Holocaust. Um das zu ändern, haben wir unter anderem das Programm „Jugend erinnert“ ins Leben gerufen, weil wir wissen: Bildung ist die beste Immunisierung gegen dumpfe Vorurteile und Ressentiments. ({4}) Und wir werden auch unsere EU-Ratspräsidentschaft und unseren Vorsitz in der Internationalen Allianz für das Holocaustgedenken nutzen, um den Kampf gegen Antisemitismus ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen in Europa und auch weltweit. Meine Damen und Herren, die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren macht ja eben deutlich, wie wertvoll Europa und auch die Europäische Union sind. Für die Generation meiner Eltern und Großeltern, die den Krieg erlebt haben, war klar, warum Europa zusammenwachsen musste. Was fehlte, waren die Instrumente und Institutionen für ein geeintes, für ein friedliches Europa. Heute habe ich manchmal das Gefühl, dass es nahezu umgekehrt ist: Wir haben die Institutionen, wir sind enger vernetzt als je zuvor, Reisen innerhalb Europas sind selbstverständlich geworden, Hunderttausende Europäer studieren in einem anderen Mitgliedstaat, und wir zahlen mit derselben Währung. Aber je unvorstellbarer Krieg in Europa geworden ist – glücklicherweise –, desto mehr wird das Bekenntnis zu einem geeinten Europa mittlerweile nur noch zu einer Meinung unter vielen. Und deshalb: Europa zu stärken, das bedeutet vor allem, Europas kulturelle Werte zu stärken. ({5}) Umberto Eco hat das schon vor einigen Jahren erkannt, als er sagte: Es ist die Kultur, nicht der Krieg, die Europas Identität festigt. – Wir verstehen Zugang zu Kultur und Bildung heute deshalb als gemeinsame europäische Aufgabe. Viele Menschen in Europa verbinden das mit der Europäischen Union und mit den europäischen Werten. Unsere Programme zur Unterstützung der Zivilgesellschaft in Osteuropa haben wir ganz bewusst auch für unsere französischen und polnischen Freunde geöffnet. Und noch in diesem Jahr werden wir die ersten deutsch-französischen Kulturinstitute im Ausland eröffnen. ({6}) Auch während unserer EU-Ratspräsidentschaft setzen wir auf die soziale Kraft der Kultur, so zum Beispiel mit Projekten wie „Europe Talks“, bei denen Bürger in ganz Europa miteinander diskutieren, oft auch kontrovers. Denn nur so wächst Verständnis füreinander und Verständigung miteinander, die wir gerade heute in Europa so sehr brauchen. Mit Olafur Eliasson haben wir einen Künstler von Weltrang dafür gewonnen, unsere Ratspräsidentschaft künstlerisch zu begleiten. Und wer ihn kennt, der weiß: Das wird kein klassisches Kulturprogramm, sondern etwas, was Menschen auch jenseits von Brüssel, Straßburg und Berlin für Europa begeistern kann. Meine Damen und Herren, in den Zeiten von Bot-Armeen und Desinformationskampagnen setzen wir mit unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ganz bewusst auch auf Bildung und Information. Wir haben unsere strategische Kommunikation verstärkt, zum Beispiel beim Thema „Flucht und Migration“. Und wir werben aktiver als früher für unsere Werte und für die globale Ordnung, die gerade für unser Land so wichtig ist. Ein Beispiel sind die Deutschlandjahre in Mexiko und in den USA. Wir haben aber auch die Arbeit der Deutschen Welle verstärkt. Und wir haben gezielt erste regionale Kommunikationszentren aufgebaut im arabischen Raum, in Lateinamerika und auch in Afrika. Denn gerade in diesen Regionen stehen Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft immer mehr unter Druck, und die Räume der Zivilgesellschaft, sie schrumpfen. Das beste Gegenmittel dazu heißt: Zugang zu Kultur und Bildung! ({7}) Deshalb möchte ich gerade heute all denjenigen danken, die diese Zugänge schaffen. Das sind unsere Partnerschulen, unsere Goethe-Institute, unsere Universitäten, der DAAD, das ifa. Sie sind nicht nur die kulturelle Infrastruktur unseres Landes, nein, sie transportieren auch unsere Werte und Ideen in die Welt. Und das wird immer wichtiger in Krisenzeiten wie diesen, in denen wir leben. Wir haben deshalb Initiativen für bedrohte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ({8}) für gefährdete Künstlerinnen und Künstler ins Leben gerufen, und wir werden in Kürze ein neues Programm starten, das verfolgten Menschenrechtsverteidigern temporäre Forschungsaufenthalte in Deutschland ermöglicht. ({9}) Welchen Unterschied solche Initiativen machen, das habe ich vor einigen Wochen beim Globalen Flüchtlingsforum in Genf erlebt. Ich habe dort einen jungen Mann getroffen, der wie Millionen seiner Landsleute vor dem Krieg in Syrien geflohen ist. Aus dem Libanon bewarb er sich für ein Stipendium der Deutschen Akademischen Flüchtlingsinitiative Albert Einstein. Heute, fünf Jahre später, hat er sein Studium in Deutschland abgeschlossen und forscht am Helmholtz-Zentrum über die Auswirkungen des Klimawandels. Auf die Frage, woher er die Kraft für all das genommen hat, hat er mir nur geantwortet: Bildung. Bildung war mein Lebensretter. ({10}) Meine Damen und Herren, ich könnte mir kaum eine schönere Bestätigung vorstellen für unsere Arbeit und keinen besseren Ansporn, diesen Weg weiterzugehen, 87 Jahre nachdem Albert Einstein aus Deutschland fliehen musste. Und ich bin froh, dass die ganz große Mehrheit des Deutschen Bundestags das auch so sieht. Und deshalb: Vielen Dank für die inhaltliche und finanzielle Unterstützung über die letzten Jahre. Sie ist auch für uns ein Ansporn für die Zukunft. Ohne sie wären wir nicht in der Lage, das fortzuführen, was wir in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik tun. Wir haben auf diese Art und Weise viele Erwartungen auch im Ausland geschaffen, und vor allen Dingen haben wir viele Menschen zusammengeführt. Vielen Dank dafür. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lothar Maier, AfD. ({0})

Prof. Dr. Lothar Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004812, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen und Besucher auf den Tribünen! Es gibt viele Baustellen in der Auswärtigen Kulturpolitik, mit denen wir uns zu beschäftigen haben, alte und neue. Um die kulturelle Präsenz unseres Landes in der Welt aufrechtzuerhalten, ist fast jede Anstrengung gerechtfertigt, zumal Deutschland sich nicht auf eine große weltweite Gemeinde von deutschen Muttersprachlern stützen kann und sich damit von vornherein schwerer tut als etwa die Vereinigten Staaten, England, Frankreich oder Spanien in ihrem Bereich. Zu den neuen Herausforderungen gehört die Diversifizierung der verfügbaren Medien und alles, was man unter dem Begriff der Digitalisierung zusammenfassen kann. Dem widmet sich der Antrag der Koalitionsfraktionen intensiv. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn nicht auch hier Werkzeug und Produkt verwechselt würden. Digitalisierung erscheint in diesem Papier als Selbstzweck, losgelöst von den Inhalten. Sogar eine „digitale Diplomatie“ wird gefordert, ohne dass man erführe, was man darunter zu verstehen hätte. Wahrscheinlich wissen es die Erfinder des Begriffs selber nicht. ({0}) Zugleich wird die Auswärtige Kulturpolitik mit Aufgaben überladen, die sie keinesfalls erfüllen kann. Unter anderem wird ihr sogar der Auftrag gegeben, sie solle Konflikte und Krisen in der Welt verhindern oder zu deren Lösung beitragen. Vielleicht ist es ja so, dass jemand, der sich im Ausland jenen scharf sozialkritischen und alle Wendungen der politischen Korrektheit nachvollziehenden Fernsehspielen der GEZ-Sender oder dem deutschen Gender-Gaga aussetzt, keine Kraft mehr aufbringt für einen Konflikt. ({1}) Dementsprechend sehen auch die politischen Zielsetzungen aus, die der Auswärtigen Kulturpolitik zugewiesen werden. ({2}) – Ja, hören Sie gut zu. – Da heißt es: Populismus, Nationalismus und Abschottung ({3}) – Abschottung von wem gegen was auch immer; das bleibt offen – muss eine gemeinsame europäische Kultur entgegengestellt ... werden. ({4}) Die Stärke Europas ist aber die Vielfalt seiner Kulturen, nicht eine gemeinsame Kultur, ({5}) die es nicht gibt, auch wenn die europäischen Kulturen durch vielerlei Bande miteinander verknüpft sind. Liest man von einer breiten geschlossenen Front gegen Desinformation, dann weiß man, wes Geistes Kind die Verfasser dieses Papieres sind. ({6}) Da nimmt es dann auch nicht wunder, dass die Schwachstellen der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik nicht angegangen, ja nicht einmal erwähnt werden. Nehmen wir die deutschen Auslandsschulen. Sie bilden nicht nur Kinder von Deutschen im Ausland aus, sondern auch Zehntausende von Kindern aus den Gastländern, ({7}) ein für Deutschland unersetzliches Potenzial an Freunden und potenziellen Partnern in der Welt. Aber nach dem Schulabschluss geschieht kaum noch etwas, um ihre Anbindung an den deutschen Kulturkreis weiterhin zu fördern. ({8}) Alumniprogramme, die das gewährleisten könnten, sind viel zu wenig entwickelt. So kann es nicht überraschen, dass nicht wenige der Absolventen ihre akademische Zukunft eher in den USA und England suchen als in Deutschland. Auch die Tendenz, dass es an den deutschen Auslandsschulen immer weniger deutsche Lehrer und immer mehr inländische Lehrkräfte gibt, wird nicht angesprochen. Hier wäre mehr Druck auf die Landesregierungen nötig, die nicht genügend Lehrkräfte für den Auslandsdienst freistellen. Alles in allem ist dies ein substanzarmes Papier, das vor allem in der Reproduktion des politischen Mainstreams glänzt, aber einen Bogen um viele bestehende Probleme macht. ({9}) Note: bestenfalls vier minus. Die Versetzung ist gefährdet. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich erteile das Wort dem Kollegen Jürgen Hardt, CDU/CSU. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin dankbar, dass wir heute hier im Bundestag Gelegenheit haben, über die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zu reden. Sie macht rund 1,1 Milliarden Euro im Haushalt des Auswärtigen Amtes aus. Der größte Brocken ist das, was wir dem Goethe-Institut als institutionelle Förderung oder als Projektförderung zukommen lassen; das sind rund 400 Millionen Euro. Der zweitgrößte Brocken sind die Mittel für das Auslandsschulwesen mit knapp 300 Millionen Euro. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können. Damit leisten wir eine insgesamt hervorragende Bildungsarbeit im Ausland. Ich möchte deshalb meinen Redebeitrag darauf verwenden, mich den Zielen und den Herausforderungen etwas näher zuzuwenden. Ein Ziel der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist die Vermittlung und Prägung eines Deutschlandbildes im Ausland. Wenngleich natürlich das, was wir dort tun, nicht die einzige oder gar die maßgebliche Quelle sein kann, so ist es doch für viele Ausländer und Deutsche im Ausland ein Bezugspunkt der Orientierung. Ein wunderschönes Beispiel für das, was wir im Sinne der Prägung eines Deutschlandbildes leisten können, war das Deutschlandjahr in den USA „Wunderbar Together“ mit rund 3 000 verschiedenen Veranstaltungen und mit ganz vielen Partnern, die aktiviert wurden. Ich wünsche mir, dass dieses Deutschlandjahr in Amerika seine Fortsetzung findet, dass die Kontakte, die in diesem Deutschlandjahr geknüpft worden sind, auch weiterhin gepflegt werden, etwa wenn Schulen mit dem deutschen Konsulat vor Ort zusammengearbeitet haben; das sollte sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Ich finde es gut, dass wir uns alle gemeinsam einig sind, dass dafür im Zweifel Mittel bereitgestellt werden müssen. Denn ein ganz wichtiges Element der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist, dass sie eben auch nachhaltig ist, dass wir nicht einzelne Leuchtturmaktionen machen, sondern dass wir dafür sorgen, dass das, was wir anstoßen, anschließend eine Fortsetzung findet, eine sich selbst tragende Entwicklung. ({0}) Wir sind uns einig, dass das das Ziel ist. Das gelingt uns in einigen Punkten schon sehr gut, in anderen könnte es noch besser sein. Aber daran arbeiten wir gemeinsam. Es ist auch der Ort, wo Ausländer Zugang zu Deutschland finden können, zum Beispiel ganz konkret dann, wenn sie in Deutschland studieren oder arbeiten wollen. Das ist ein Thema, das immer wichtiger wird. Deswegen glauben wir, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sich verstärkt der Frage zuwenden soll: Wie können wir Menschen im Ausland, zum Beispiel durch die Vermittlung von Sprachkompetenz, qualifizieren, damit sie in Deutschland an Universitäten studieren oder auf dem Arbeitsmarkt einsteigen können? Dazu zählt natürlich auch das Auslandsschulwesen. Wir hatten eine von einer Boulevardzeitung angeheizte Diskussion über türkische Schulen in Deutschland. Ich kann dazu nur sagen: Wir haben selbstverständlich deutsche Schulen in der Türkei. Deswegen ist es gut, dass die Bundesregierung mit der Türkei darüber spricht, wie die Zukunft unserer Schulen in der Türkei gewährleistet ist und gleichzeitig gewährleistet ist, dass gegebenenfalls an türkischen Schulen in Deutschland natürlich deutsche Lehrpläne und deutsches Schulrecht zur Anwendung kommen. ({1}) Ein ganz wichtiges Element ist auch die kulturelle Zusammenarbeit, also dass wir Deutschland nicht nur in Einzelaktionen im Ausland darstellen, sondern dass wir mit Partnern zusammenarbeiten, dass wir möglicherweise auch mittels europäischer Kulturinstitute im außereuropäischen Ausland zusammenarbeiten. Ich finde, dann darf natürlich auch das Schwarz-Rot-Goldene leicht durchscheinen. Es muss ja nicht alles überstrahlen; aber natürlich muss ein spezifischer Aspekt dabei sein. Ich finde, es ist ganz entscheidend, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Freiheit, Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit leistet, dass die deutschen Kultureinrichtungen im Ausland immer auch ein Ort sind, an dem sich Menschen gut aufgehoben fühlen, die sich in ihrem Land hinsichtlich der Wissenschaftsfreiheit und der Meinungsfreiheit unterdrückt fühlen. Das, was wir beispielhaft in Deutschland und Europa an Kultur der Freiheit leben, wird durch diese Institute ins Ausland getragen. ({2}) Es gibt für mich noch einen wichtigen Träger der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, die nicht ausschließlich vom Auswärtigen Amt betrieben wird, sondern auch das Entwicklungsministerium, das Kanzleramt und viele andere Ministerien, zum Beispiel das Wirtschaftsministerium, wirken daran mit: Das ist die Deutsche Welle. Ich finde, dass die Deutsche Welle als staatlich finanzierter, aber nicht als staatlicher Auslandssender Deutschlands eine ganz wichtige Rolle hat. ({3}) Ich ärgere mich manchmal darüber, dass ich, wenn ich in einem ausländischen Hotel bin und die Programmliste durchgehe, dort gleichartige amerikanische, britische, französische Sender finde, aber die Deutsche Welle leider häufig nicht. Deswegen schlage ich vor, dass wir mal darüber nachdenken und mit dem Intendanten darüber reden, wie wir diesen Sender stärker bewerben können, sodass vielleicht auch die Deutsche Welle gleichberechtigt neben BBC in den Programmen empfangbar ist. ({4}) Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bijan Djir-Sarai, FDP, hat als nächster Redner das Wort. ({0})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut und richtig, dass wir heute und hier über die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik der Bundesregierung sprechen und diese nicht als nebensächlich, sondern als einen festen Bestandteil der deutschen Außenpolitik betrachten. Wir leben in einer Zeit, in der die außen- und sicherheitspolitische Lage weltweit so unsicher ist wie lange nicht mehr, in der neue Krisen entstehen und die Konflikte immer komplexer werden. Geopolitische Machtverhältnisse verschieben sich, und auch unsere Sicherheitsarchitektur verändert sich. Neben einer nachhaltigen und zielgerichteten Außen- und Sicherheitspolitik müssen wir auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als Instrument verstehen, um globale Transformationsprozesse mitzugestalten und Deutschland als regelbasierten und verlässlichen Partner in der Welt zu positionieren. ({0}) Es ist wichtig, meine Damen und Herren, unsere Werte und Positionen in einen globalen und gemeinschaftlichen Dialog einzubringen und uns auf allen Ebenen für freie und offene Gesellschaften einzusetzen. Kultur, Wissenschaft und Bildung müssen als Plattform verstanden werden, um offene und kritische Diskurse über globale Herausforderungen und gesellschaftliche Unterschiede führen zu können. Sie sollten ein Mittel sein, um zivilgesellschaftliche Akteure zu stärken und in schwierigen politischen Verhältnissen wichtige Kommunikationskanäle offenzuhalten. Besonders in einer Zeit, meine Damen und Herren, in der Kultur und Medien immer öfter von autoritären Staaten instrumentalisiert werden, in einer Zeit, in der kritische Künstler und Journalisten mehr und mehr in Gefahr sind, muss die deutsche Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik sich an die Seite der Menschen stellen, deren Freiheit bedroht ist. ({1}) Nehmen wir, meine Damen und Herren, ein aktuelles Beispiel. Nehmen wir das Beispiel Iran. Es gibt dort derzeit, Herr Minister, eine aktive Zivilgesellschaft. Es gibt dort gut ausgebildete junge Frauen und Männer. Sie haben es verdient, dass wir mit ihnen in einen Dialog treten, anstatt permanent mit dem Regime über das Atomabkommen zu diskutieren. ({2}) Herr Außenminister, erlauben Sie mir eine Bemerkung, weil Sie hier die Rede des israelischen Präsidenten erwähnt haben. An einer Stelle haben Sie nicht zugehört, Herr Minister: Der israelische Staatspräsident hat die Gelegenheit genutzt, um hier Ihre Iran-Politik offen zu kritisieren. ({3}) Den Teil lassen Sie komplett weg. ({4}) Sie können sich ja die Rede noch mal anhören. Genau das hat er gesagt. Sie müssen etwas genauer zuhören. ({5}) Europa wie kein anderer Kontinent steht für Menschenrechte, Demokratie, Meinungsfreiheit und Frieden. Gerade deshalb sollte die EU eine Vorreiterrolle in der wertebasierten Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik einnehmen, meine Damen und Herren. Der weitgehende fraktionsübergreifende Konsens über die Rolle der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist ein wichtiges Indiz für deren Relevanz. Auch wenn der Bericht der Regierung die richtige Richtung anstrebt und wichtige zukunftsweisende Themen beinhaltet – deswegen gab es auch mehrmals Beifall –, mangelt es wie so oft an Effizienz, Koordinierung und Umsetzung. Auch in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik braucht Deutschland endlich einen zeitgemäßen und vernetzten Ansatz, der die relevanten Ressorts und deren Instrumente wirkungsvoll koordiniert und deren Arbeit regelmäßig evaluiert; ({6}) denn nur so können wir global und effizient mitgestalten, meine Damen und Herren. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Diether Dehm, Die Linke. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das, was andere Kollegen hier gesagt haben und was richtig ist – mit der Ausnahme des Vorredners, was den Iran anbetrifft –, nicht wiederholen. Wir haben im Ausschuss darüber große Gemeinsamkeiten. Deswegen komme ich zu der Frage des Erinnerns, die uns nicht eint. Für die meist wehrlosen Opfer des Faschismus stehen und standen wir zwar gemeinsam – gegen Antisemitismus, Homophobie, Diskriminierung kultureller Minderheiten. Aber die Political Correctness endet meist, wo sich diese Opfer organisiert und als Arbeiterbewegung gewehrt haben. Gegen sie wirken dann – statt Meinungsvielfalt – plötzlich Gewerkschaftsfeindlichkeit und Antikommunismus modisch und akzeptiert. Genau deswegen nannte neben Einstein auch der große Dichter und Psychologe, dessen Exilvilla wir gemeinsam gerettet haben, der Nichtkommunist Thomas Mann, den Antikommunismus die „Grundtorheit der Epoche“. Recht hatte er, ({0}) weil Antikommunismus nicht nur Kommunisten trifft, sondern alle, die ihre Arbeitskraft und Kreativität gegen Ausplünderung organisiert verteidigen. Deswegen stehen wir als Linke auch mit der GEW bei denen, die im Goethe-Institut und bei den Auslandsschulen für ordentliche Tarifverträge eintreten. ({1}) Deswegen engagiert sich Die Linke für das Archiv des marxistischen Philosophen Georg Lukacs in Budapest ({2}) – jetzt halten Sie mal inne; Sie haben hier schon genug Unsinn verzapft – ({3}) gegen den Antikommunisten Orban, für Rosa Luxemburgs polnisches Geburtshaus gegen die antikommunistische PiS-Regierung. Deswegen legen wir bei der Geschichtsschreibung so großen Wert auf den Aufstand im Warschauer Ghetto und auf die Selbstbefreiung der Häftlinge im KZ Buchenwald am 11. April vor 75 Jahren. ({4}) Deswegen danken wir hier auch der Roten Armee und den 27 Millionen getöteten Sowjetmenschen dafür, dass wir hier jetzt so frei reden können. ({5}) Der Antikommunist Goebbels entfesselte die Demagogie von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung. ({6}) Diesem Antikommunismus sollten wir viel gemeinsamer entgegentreten – ({7}) ob in Brasilien gegen Bolsonaro, gegen Erdogan oder in der Geschichtsschreibung. Ja, es gab sie, die Spendenmillionen der Harzburger Front von Krupp, ({8}) Thyssen und den anderen Großkapitalisten für die Nazis, die Kredite der Deutschen Bank für den Bau der Baracken und Gaskammern in Auschwitz. Die Linke kämpft nicht für irgendwelche deutschen Interessen wie der GroKo-Antrag, sondern für die werktätige Bevölkerung und gegen die deutsche Bankenmacht und die deutschen Kriegskonzerne. ({9}) Nie wieder Faschismus! Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, ich freue mich auch sehr, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik heute den Platz hat, den sie verdient: Kernzeit im Deutschen Bundestag, sozusagen politische Primetime. Aber was mich nicht freut, ist, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und von der SPD, nicht einmal den Versuch gewagt haben, dem verbindenden Grundkonsens überzeugter Demokratinnen und Demokraten eine Chance zu geben. Will heißen: mit einem gemeinsamen Antrag über Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsame Sache in einem Bereich zu machen, der tatsächlich so viel Gemeinsames bietet. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was uns verbindet und verbinden muss, das haben die vergangenen Tage gezeigt; da stimme ich Heiko Maas explizit zu. Erst vorgestern standen hier unser Bundespräsident und sein israelischer Amtskollege, um an das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, an das dunkelste Kapitel deutscher Historie zu erinnern, vor allem aber auch an die Lehren zu erinnern, die wir daraus gezogen haben. Einmal mehr wurde deutlich, wohin Rassismus, Antisemitismus, wohin gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit führen, und das in einer Zeit, da aus hasserfüllten Worten wieder Taten werden, da auch einige in diesem Haus meinen, erneut bestimmen zu dürfen, wer dazugehört und wer nicht, ({1}) da sich gar die Versuche häufen, ebenjenes Erinnern ins Heute und Morgen umzudeuten, kleinzureden und zu entsorgen. ({2}) Je lauter aber die Rufe nach einer Unkultur des Vergessens ertönen, umso unnachgiebiger werden wir alle die Kultur des Erinnerns verteidigen ({3}) und umso vehementer sollten wir auch unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik verteidigen. ({4}) Sie nämlich ist Inbegriff wertegeleiteter Außenpolitik, ist Bindeglied und Botschafterin, ist Brücke über unzählige Gräben, die wieder ausgehoben werden, sie öffnet Türen, wenn andere Mauern errichten, sie schafft Gesprächsräume, wenn alle anderen Kanäle schweigen. Und wenn nichts mehr geht in einer Welt der Unordnung, geht Auswärtige Kulturpolitik eben doch, oft still und leise, aber stets mit der enormen Wirkungsmacht einer universellen Sprache namens Kultur. Und das gilt auch für den Iran. ({5}) Ohne unsere Mittlerorganisationen wäre all das nicht möglich. Ich möchte mich deshalb einmal mehr bedanken bei den Goethe-Instituten, bei unseren Auslandsschulen, bei DAAD und ifa, beim Deutschen Archäologischen Institut und, und, und. ({6}) Ihre Unabhängigkeit, ihre Netzwerke, ihre Aufrichtigkeit sind der Grundstein einer dritten außenpolitischen Säule, die doch so viel häufiger für die ersten beiden einspringt, als es die breite Öffentlichkeit wahrnimmt. ({7}) Die sicheren Räume, die Sie bieten, liebe Mittlerinnen und Mittler, sind kulturelles Lebenselixier in Regionen, in denen autokratische Regime künstlerischen Austausch und kreative Freiheit aus gutem Grund fürchten, fürchten müssen; Sie sind der Herzschlag, der den demokratischen Puls erst schlagen lässt. Und doch: Das enorme kultur- und bildungspolitische Potenzial unserer Außenpolitik ist noch lange nicht ausgeschöpft, ({8}) weder in den Metropolregionen noch dort, wo die Zugänge ohnehin gering sind. Wenn der US-amerikanische Präsident offen damit droht, Kulturstätten gezielt und völkerrechtswidrig zu zerstören, dann braucht es nicht weniger, sondern mehr Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. ({9}) Wenn in der viertgrößten Demokratie unseres Planeten, in Brasilien, ein regelrechter Faschist regiert, dann braucht es keine Zurückhaltung, sondern kulturpolitischen Vortrieb. ({10}) Und wenn dem türkischen Präsidenten trotz einer völkerrechtswidrigen Invasion Rüstungsgüter geliefert und Unterstützung zugesagt werden, ({11}) zugleich aber deutliche Worte zum systematischen Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat, auf Pressefreiheit und Kunst, auf Menschen wie Osman Kavala oder Taner Kilic ausbleiben, dann braucht es hierzulande kein Weiter-so, sondern Aufbruch und grundlegenden Wandel, dann braucht es vor allem auch Kohärenz zwischen den Ministerien, damit endlich Schluss damit ist, dass die Auswärtige Kulturpolitik die Scherben aufkehren muss, die an anderer Stelle verursacht werden. ({12}) Kurzum: Es braucht eine Außenpolitik, die sich in ihrem klassischen Wirken auf die Grundprinzipien der AKBP zurückbesinnt – nicht umgekehrt. Ohne neue Allianzen wird das nicht gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen, Herr Maas, begrüßen wir die Schaffung deutsch-französischer Kulturinstitute sehr. Ruhig mehr davon! ({13}) Und wir begrüßen, dass endlich auch unsere Kolonialgeschichte aufgearbeitet werden soll. Doch dafür braucht es nicht nur eine Museumsagentur, sondern Aufarbeitung, auch bei uns, Jugendaustausche mit antirassistischer Ausrichtung ({14}) und auch einer entsprechenden Visapolitik, aber auch postkoloniale Gedenkkultur in unseren Lehrplänen. Und noch etwas würden wir begrüßen – da spreche ich, glaube ich, für alle Kolleginnen und Kollegen, für die demokratischen Kolleginnen und Kollegen –: ({15}) wenn wir nicht jedes Jahr wieder aufs Neue um Haushaltsmittel kämpfen müssten, ({16}) wenn wir nicht jedes Jahr für Verstetigung eintreten müssten, sondern die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auch finanziell den Stellenwert erhielte, den ihr so mancher Minister in wohlklingenden Reden bescheinigt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Roth.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Letzter Satz. Ich wollte nur sagen, was wir gleich machen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Das rote Licht zeigt, dass die Redezeit abgelaufen ist. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stimmt. Das sage ich den anderen auch immer.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

So ist es, und jetzt sage ich es Ihnen. – Vielen Dank.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will nur sagen, dass wir dem Antrag zustimmen werden, und wir freuen uns auf Ihre Zustimmung zu unserem Antrag, wenn er dann vorgelegt wird. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat die Kollegin Ulla Schmidt, SPD, das Wort. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal danke schön dafür, dass die Grünen unserem Antrag zustimmen. Ich glaube, dass das richtig ist. Wir haben heute gehört, dass wir in Zeiten leben, die uns vor ganz neue Herausforderungen stellen, weil alte Ordnungen sich auflösen, weil vermeintlich universelle Wahrheiten plötzlich in Zweifel gezogen werden und mit gefühlten Fakten konkurrieren müssen und weil – das erschreckt uns besonders – Populismus und Nationalismus sich auf dem Vormarsch befinden, ({0}) und zwar nicht nur bei uns, in der Mitte Europas, sondern in vielen Teilen der Welt, auch bei unseren Partnern. Wir sind fest davon überzeugt – das hat der Außenminister eben erwähnt –, dass gegen all diese Strömungen nur hilft: Bildung, Bildung, Bildung. ({1}) Ich spreche von Bildung, die umfassend ist, die nicht nur Wissen vermittelt. Wir sind überzeugt, dass dagegen hilft, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken, dass gegen Nationalismus und Abschottung hilft, Sprachen zu lernen, Kulturen zu erleben, ({2}) sich zu öffnen gegenüber anderen Ländern dieser Welt; denn dadurch haben wir die Chance, unsere gemeinsame Humanität entdecken und leben zu können. ({3}) Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik trägt – das ist richtig – zur Lösung von Konflikten bei. Sie trägt dazu bei, dass präventiv gearbeitet werden kann und nach Konfliktsituationen überhaupt wieder zivilisatorische Fähigkeiten entwickelt werden können; denn die Welt mit den Augen der anderen zu sehen, Respekt vor der Tradition, der Religion und der Identität anderer zu haben, wie es die Kanzlerin einmal gesagt hat, ist Grundlage der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik seit mehr als hundert Jahren. Daran wollen wir als Koalition und als Ausschussvertreter festhalten. ({4}) Der vorliegende Antrag ist das richtige Zeichen. Er bietet die Grundlage dafür, dass wir die strategische Ausrichtung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik begleiten und wir unsere Mittlerorganisationen und damit unser Handwerkszeug weiter stärken können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Auslandsschulen vermitteln demokratische Werte, Offenheit und Toleranz. ({5}) Wir sind froh darüber, dass die Kinder, die eine unserer Auslandsschulen besuchen, daran partizipieren können, dass wir die Gelegenheit haben, gemeinsam mit den Schulen für eine gute Bildung in ihrem Land zu sorgen; denn Bildung ist das Fundament, das es ihnen vielleicht auch ermöglicht, den Aufbau im eigenen Land zu begleiten. Deshalb wollen wir Inklusion, deshalb wollen wir frühkindliche Bildung, und deshalb wollen wir auch die sozialen Komponenten in unseren Auslandsschulen stärken; denn sie bilden das Fundament für all das, was darauf aufbaut. Unsere Auslandsschulen bilden auch das Fundament dafür, dass wir als Deutsche im Ausland als Freunde wahrgenommen werden, dass man als Freunde mit uns kommunizieren will. Daran werden wir weiter arbeiten. ({6}) Wir werden auch im Rahmen der Evaluation des Auslandsschulgesetzes darauf achten, dass die guten Bedingungen gestärkt werden und die nötigen Haushaltsmittel bereitgestellt werden. Es würde mich nämlich freuen, wenn wir weiterhin gute Qualität von der frühkindlichen Bildung bis zum Abschluss bieten können. Wir wollen auch dafür sorgen, dass die Lehrerinnen und Lehrer, die wir aus Deutschland an die Auslandsschulen schicken, nicht benachteiligt werden gegenüber den Lehrern, die im Inland arbeiten, sondern dort gleiche Bedingungen haben. ({7}) Ausgehend davon wollen wir weiter in die Bildungsbiografien investieren: mit Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, mit der Exzellenzförderung durch die Humboldt-Stiftung, mit der Förderung verfolgter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch die Philipp-Schwartz-Initiative, die Martin-Roth-Initiative und die Deutsche Akademische Flüchtlingsinitiative, damit wir Geflüchteten ein Studium in Drittländern ermöglichen können. ({8}) Das sind unsere Ansätze, um humanitär tätig zu sein. Mir ist besonders wichtig, dass wir mit den Initiativen in den Flüchtlingslagern tun, was wir können, und so dazu beitragen, dass dort nicht nur verlorene Generationen aufwachsen. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, über das Goethe-Institut und all unsere Flaggschiffe möchte ich sagen: Wir sind sehr stolz, dass wir unsere Mittlerorganisationen haben. Wir würden sie gerne weiter fördern und ausbauen; denn sie sind ein wichtiges Instrument. Ihnen allen gebührt unser Dank und unsere Anerkennung. Ich bitte Sie, in den kommenden Haushaltsberatungen darauf zu achten, dass wir die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist ein Bereich, wo man mit relativ wenig Geld gemessen am Gesamthaushalt unheimlich viel erreichen kann, aber wenn Geld fehlt, dann kann man auch viel kaputtmachen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zum Antrag der Koalitionsfraktionen. Danke schön. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Martin Renner, AfD. ({0})

Martin Erwin Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004862, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Der vorliegende großkoalitionäre Antrag – geben Sie es zu – wurde sicherlich durch eine Phrasendreschmaschine automatisch fabriziert. ({0}) Ihr Antrag enthält Sätze gänzlich ohne Aussagen, Hauptsache, man hat ein paar Reizworte miteinander verquirlt und zu einem verbalen Kaiserschmarrn zusammengepanscht: ({1}) „Verantwortung“, „Transformationsprozesse“, „Geostrategie“ und viele andere bedeutungsschwangere Begrifflichkeiten. Aber am Schluss kommt im Grunde eine Fehlgeburt heraus. ({2}) So ist das halt, wenn man lieber nicht wissen lassen möchte, was man mit der Auswärtigen Kulturpolitik im Grunde bezwecken will. Ein Beispiel – ich zitiere –: Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik muss „als Instrument globaler politischer und auch geostrategischer Ziele begriffen und weiterentwickelt werden“. ({3}) Was sind denn konkret Ihre globalen geopolitischen Ziele? Etwa Ihr größenwahnsinniges kulturdiverses One-World-Wolkenkuckucksheim oder schön auf Neudeutsch gesagt: das Cultural Mainstreaming? Eigentlich sollten Sie echte deutsche kulturpolitische Interessen formulieren. Doch dazu sind Sie augenscheinlich leider nicht in der Lage, weder politisch, noch moralisch, noch intellektuell. ({4}) Manche von Ihnen meinen sogar, dass es so etwas wie eine deutsche Kultur gar nicht gibt. ({5}) Wie wichtig Ihnen deutsche Interessen tatsächlich sind, kann man an Ihrer stiefmütterlichen Förderung unserer deutschen Sprache im Ausland ablesen. ({6}) Schon im Herbst 2011 wurde das deutschsprachige Radioprogramm der Deutschen Welle eingestellt. Nun hört man von massiven Kürzungen im deutschsprachigen Onlinenachrichtenangebot der Deutschen Welle – Streichungen, die keinesfalls mit dem Deutsche-Welle-Gesetz vereinbar sind. Diese Ungeheuerlichkeiten beklagte jüngst eine Vielzahl von freien Mitarbeitern der Deutschen Welle anonym in einem offenen Brief an Frau Staatsministerin Grütters. Sinnvolle Auswärtige Kulturpolitik wäre es, darzustellen und in aller Welt zu bewerben, was als deutsche Kultur einen guten Namen in aller Welt hat: Musik, Philosophie, Literatur, Wissenschaft, unsere Kultur, die der Welt viele Ideen und geistige Wegmarken des Fortschritts geschenkt hat. Was aber machen Sie im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik? Sie wollen andere Völker über größenwahnsinnige globalstrategische und kulturmarxistische Zielsetzungen belehren. ({7}) Ist da etwa Frau Merkels große Transformation unserer Lebensart die Blaupause? Nur zur Erinnerung: Den großen Sprung nach vorne hatten wir schon einmal. Das war in China und hat ungefähr 50 Millionen Menschen das Leben gekostet. ({8}) Pax vobiscum! ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Thomas Erndl, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Alle Fraktionen sind eingeladen, im Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mitzuarbeiten und unsere Politik mitzugestalten. Aber wenn, Herr Kollege Renner, Ihre Fraktion nie anwesend ist, ist es natürlich etwas heuchlerisch, wenn man hier schlaue Ratschläge erteilt, sich aber einer Mitarbeit verweigert. ({0}) Die Verantwortung und das Nie-wieder, das in den Gedenkfeiern für die Opfer des Nationalsozialismus in dieser Woche zum Ausdruck gebracht wurde, erfordern ganz konkret, dass wir uns jeden Tag für eine starke Zivilgesellschaft, für Freiheit, für Demokratie, für Menschenwürde und für Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Diese Verantwortung ist auch Teil unserer Außenpolitik. Mit unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik haben wir wichtige Instrumente, mit denen wir uns global für diese universellen Werte einsetzen. Wir tun dies mit einem umfassenden Netzwerk an Institutionen, das sich schon im Ansatz von dem vieler anderer Länder unterscheidet, weil es eben keine den Botschaften unterstellten Institute sind, sondern es ist ein wertvolles Netzwerk von Mittlerorganisationen und Institutionen. Es ist eine ressortübergreifende Aufgabe, in die wir insgesamt über 2 Milliarden Euro pro Jahr investieren. Neben der Kulturmilliarde im Etat des Auswärtigen Amtes stehen zum Beispiel über 350 Millionen Euro für die Deutsche Welle in der Verantwortung der Beauftragten für Kultur und Medien, fast 400 Millionen Euro im Bereich Studenten- und Wissenschaftsaustausch im Bundesministerium für Bildung und Forschung, über 50 Millionen Euro für Bildungsprogramme im Bereich des BMZ und über 40 Millionen Euro im Familienministerium für die Jugendaustauschwerke zur Verfügung. Meine Damen und Herren, das sind sehr gut angelegte Mittel. ({1}) Denn in unserer fragilen und von alten und neuen Konflikten geprägten Welt, in der freiheitliche Werte zunehmend infrage stehen, sind Austausch, Kultur und Bildung wichtiger denn je, und zwar innerhalb wie außerhalb Europas. ({2}) Es ist unsere Aufgabe, dem zunehmenden Druck auf die freie Zivilgesellschaft etwas entgegenzusetzen und Freiräume zu schaffen. Und wir beantworten ganz konkrete Fragen: Können wir eine Rekordexportnation sein, wenn wir nicht überall auf der Welt Menschen haben, die durch die Kenntnis unseres Landes Vertrauen in unsere Fertigkeiten, in die Qualität unserer Produkte haben? Können wir global verbunden sein, wenn es nicht in vielen Ländern Menschen gibt, die unsere Sprache sprechen, die unsere Eigenheiten kennen? Können wir eine herausragende Kulturnation sein, ohne dass unsere Kulturschaffenden sich global verbinden können? ({3}) Und können wir eine Weltklassewissenschaftsnation sein, wenn wir nicht mit den Besten weltweit im Austausch sind? All diese Fragen zeigen: Es geht nicht ohne starke internationale Vernetzung. Und das Spannende ist, dass wir immer dann diese dritte Säule der Außenpolitik, neben Diplomatie und Außenwirtschaft, intensivieren, wenn das politische Klima schwierig wird. So läuft seit Dezember 2018 das Deutsch-Russische Themenjahr der Hochschulkooperation und Wissenschaft mit vielen hochklassigen Austauschprogrammen gerade im Bereich der Naturwissenschaften. Mit der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik kann man eben Kanäle schaffen und Kanäle erhalten in schwierigen oder auch in Krisenzeiten. Die Vielfalt und Leistungsfähigkeit unseres internationalen Netzwerkes, das über die letzten Jahrzehnte entstanden ist, ist durchaus auch wesentlich diesem Parlament zu verdanken. ({4}) So setzt ein schlagkräftiger Unterausschuss AKBP für eine entsprechende Mittelausstattung im Haushaltsverfahren alle Hebel in Bewegung, ({5}) meist im Konsens über Fraktionsgrenzen hinweg. Ich darf an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen danken, die sich hier konstruktiv einbringen. ({6}) Wir dürfen dankbar sein, dass uns die Haushaltssituation in den letzten Jahren eine Diskussion nach dem Motto „Wir müssen Prioritäten setzen“ ersparte. Vielmehr konnten wir regelmäßig über eine Ausweitung unseres Netzwerks diskutieren, und wir konnten regelmäßig eine Ausweitung unseres Netzwerks betreiben. Das ist eine gute Situation, und wir hoffen, dass das auch in der Zukunft so bleibt. Zum Schluss ein ganz konkretes Beispiel, das zeigt, wie gut wir aufgestellt sind. Wenn Anfang März unser Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft tritt, dann sind genau die Menschen die Hauptzielgruppe unserer Anwerbebemühungen, die zum Beispiel an einer der 140 deutschen Auslandsschulen einen Abschluss gemacht haben, oder die weltweit 15,4 Millionen Menschen – eine Zahl von 2018 –, die die deutsche Sprache und vieles über unser Land lernen, viele davon an einem der 160 Goethe-Institute, die in über 100 Ländern einen Anlaufpunkt für alle darstellen, die Interesse an unserem Land haben, die Freunde Deutschlands sein wollen, ({7}) oder die Tausenden von Studentinnen und Studenten, die über den DAAD, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, den Weg in unser Land finden und unsere Sprache zum Beispiel bei einem Austauschsemester kennenlernen. Ziel unserer auswärtigen Bildungspolitik muss sein, dass wir Kindern im Ausland einen kompletten Bildungsweg an deutschen Bildungseinrichtungen ermöglichen. ({8}) Das ist eben genau der Ansatz: dass die sprachliche, die kulturelle Qualifizierung bis hin zu einer grundständigen beruflichen Ausbildung bereits weitgehend im Herkunftsland stattfindet, und das nach unseren Standards. So findet sich das auch im Antrag der Koalitionsfraktionen, über den wir heute debattieren, wieder: Bildungsbiografien ermöglichen, Zivilgesellschaft stärken, Freiräume schützen, strategische Kommunikation ausbauen, den digitalen Raum einbeziehen, Jugendaustausch stärken, Wissenschaftsaustausch – Stichwort: Science Diplomacy – weiterentwickeln.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege!

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzter Satz. – Wir nehmen damit umfassend die zukünftigen Herausforderungen unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik im Wettbewerb der Narrative, den wir bestehen wollen, in den Blick. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung der Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte hiermit beantragen, dass wir die Sitzung des Deutschen Bundestages unterbrechen bis zu dem Zeitpunkt, an dem der zuständige Minister dieses Haus wieder betritt, und bis überhaupt sich Ministerinnen und Minister dieser Regierung in der Lage sehen, die Bundesregierung heute zur Kernzeit zu vertreten. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben bereits in der letzten Sitzungswoche im Kreis der Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer angemahnt und diskutiert, dass selbst in Kernzeitdebatten unseres Parlamentes am Donnerstag und Freitag manchmal die Situation eintritt, dass kein einziges Regierungsmitglied – kein Minister, keine Ministerin – die Bundesregierung hier vertritt, und das, wie gesagt, zu Kernzeiten des Parlamentes. Das ist ein absoluter Affront gegenüber dem Parlament, eine Geringschätzung uns gegenüber. ({1}) Das wurde gestern im Ältestenrat debattiert; denn gestern war es auch schon so, dass zu Kernzeiten kein Minister, keine Ministerin da war. Dort haben wir auf das Herbeizitieren verzichtet. Der Bundestagspräsident hat gestern gegenüber dem Kanzleramt diesen Zustand missbilligt. Dass der Herr Minister Maas heute Morgen um 9.40 Uhr nach seiner Rede wieder geht und kein anderer Minister, keine andere Ministerin da ist, ist ein inakzeptabler Zustand. Deshalb bitte ich, die Sitzung so lange zu unterbrechen, bis Abhilfe geschaffen ist. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die Kollegin Haßelmann hat den Antrag gestellt, die Sitzung so lange zu unterbrechen, bis das zuständige Mitglied der Bundesregierung anwesend und/oder die Bundesregierung vertreten ist. Wird dem Antrag widersprochen? – Dann stimmen wir über den Antrag ab. Wer für den Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag gegen wenige Stimmen aus der CDU/CSU und bei wenigen Enthaltungen aus der CDU/CSU angenommen. ({0})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Es tut mir leid; ich bin eben vorzeitig aus der Debatte verschwunden, weil zurzeit eine Kleinwaffenkonferenz im Auswärtigen Amt stattfindet, an der etwa zehn Außenminister des westlichen Balkans und anderer europäischer Staaten teilnehmen und bei der wir uns darum bemühen, die Verbreitung von Kleinwaffen aus dem westlichen Balkan in Europa zu verhindern. Das war der Grund, weshalb ich mich aus dem Bundestag entfernt habe. ({0}) Aber ich werde jetzt natürlich bis zum Ende der Debatte hierbleiben. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich erteile das Wort dem Kollegen Frank Müller-Rosentritt, FDP. ({0})

Frank Müller-Rosentritt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister Heiko Maas! Liebe Gäste! Da, wo schwierige Verhandlungen stocken oder gar zu scheitern drohen, wo Konflikte die Diplomatie ausbremsen, lässt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Dialogfenster offen. Wir werben durch sie weltweit für Werte wie Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Das kommende Jahrzehnt wird von einer Konfrontation der Gesellschaftssysteme gekennzeichnet sein. Wenn autokratische Staaten massiv versuchen, ihre Narrative zu verbreiten, sollten wir erst recht nicht nachlassen. Zeigen wir: Wir alle sind die Ansprechpartner, die für Freiheit und für diejenigen aufstehen, in deren Ländern die Freiheit bedroht ist, wie etwa in Hongkong, in Taiwan, dem Libanon, im Iran oder auch in Russland, um nur einige zu nennen. ({0}) Die uns vorliegenden Berichte der Bundesregierung zeigen es: Die Auswärtige Kulturpolitik wandelt sich. Themen wie Fake News, Flucht, Frauenrechte, LGBTIQ-Rechte, Freiheit, Unfreiheit und auch der Klimawandel stellen uns vor neue Herausforderungen. Deswegen sollten wir in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik auch deutlich visionärer denken. Wenn wir notwendigerweise in Europa über eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik nachdenken, plädiere ich entschieden dafür – da schließe ich mich gerne Heiko Maas an –, künftig die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik viel mehr unter ein europäisches Dach zu stellen. Die ausgezeichnete Kooperation des Goethe-Instituts mit dem Institut Français ist doch wirklich vorbildlich. Wenn ich von einem gemeinsamen Dach spreche, meine ich keine Vereinheitlichung, sondern im Gegenteil: Ich denke dabei an unseren europäischen Leitspruch „in varietate concordia“, „in Vielfalt geeint“. Man stelle sich vor, wie großartig es wäre, wenn ein junger Mensch in Mumbai die Türen zu einem europäischen Institut öffnen und durch selbiges hindurchschreiten würde und Frankreich, Deutschland, Tschechien, Dänemark zugleich besuchen und damit Europa als echten Kontinent der vielfältigen Chancen erleben könnte – Chancen auch für diejenigen, deren Rechte in ihrem Land immer weiter eingeschränkt werden. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass wir mit der Philipp-Schwartz- oder der Martin-Roth-Initiative eine helfende Hand für die Wissenschaftler und Journalisten ausgestreckt haben, die von zunehmender politischer Repression in ihren Ländern bedroht werden. Wir sollten aber unbedingt – da bin ich sehr froh über die Signale, die aus dem Auswärtigen Amt kommen – zukünftig auch Menschenrechtsaktivisten entsprechend unterstützen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Ziel der AKBP ist es, im Ausland maximal Leidenschaft für Deutschland zu wecken. Doch spätestens beim Versuch, in Deutschland zu studieren oder eine Arbeit aufzunehmen, sinkt die Lust auf Deutschland meist ganz dramatisch. Es darf nicht sein, dass hochmotivierte Menschen, die nach Deutschland kommen wollen, in einigen unserer Auslandsvertretungen ein Dreivierteljahr auf einen Termin in der Visumsstelle warten und schlimmstenfalls noch einmal so lange bis zur Visumsentscheidung. Liebe Kollegen, das Ausstellen eines Visums darf nicht fast so lange dauern wie ein Bachelorstudiengang in Deutschland. ({1}) Andere Länder machen das an einem Tag. Das ist Benchmark; daran sollten wir uns orientieren. Wenn wir uns als Innovation Nation im Ausland präsentieren wollen, muss das auch vor Ort erlebbar sein. Mit digitalen Angeboten erreichen wir in der AKBP auch Menschen, die wir sonst nie erreichen würden. Die Anzahl der im Ausland Deutsch Lernenden wäre auch unendlich skalierbar. Meine Damen und Herren, abschließend ein Thema, das mir ganz besonders am Herzen liegt: Das ist der Jugendaustausch. Wie prägend war für viele Menschen im Westdeutschland der Nachkriegszeit der Kontakt mit jungen Franzosen. Angesichts der aktuellen Herausforderungen des offener zutage tretenden Antisemitismus ist es von herausragender Bedeutung, den Austausch mit Israel zu stärken. Viel mehr junge Deutsche, auch Menschen, die hierher geflohen sind, sollten die Chance haben, den Hort der Freiheit am Mittelmeer zu besuchen. Ich denke, nach der Wahl in Israel wird es sicherlich eine neue Basis für gemeinsame Regierungsverhandlungen für ein deutsch-israelisches Jugendwerk geben. ({2}) Die Freien Demokraten lehnen heute als Oppositionsfraktion den Antrag der Koalitionsfraktionen nicht ab, aber wir können ihm auch nicht uneingeschränkt zustimmen. Deshalb werden wir uns der Stimme enthalten. Es ist allerdings eine Enthaltung, die zu einer weiterhin so konstruktiven Zusammenarbeit bei diesem Thema die Hand reicht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Brigitte Freihold, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Brigitte Freihold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004717, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wesentliches Element der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist die Förderung erinnerungspolitischer Bildungsarbeit. Rechtspopulismus und Nationalismus in Europa fordern durch Relativierung und Verharmlosung der Shoah die Erinnerungsarbeit heraus und stellen die deutsche Verantwortung infrage. Unsere Erinnerungskultur ist in der Krise. Sie war schon immer brüchig. Sie musste mühsam von unten erkämpft werden. Der vermeintliche Konsens war das Resultat einer homogen gedachten Gesellschaft, die viele Perspektiven der NS-Verfolgten ausschloss. Es liegt an uns, Rahmenbedingungen für nachhaltige Erinnerungsarbeit zu schaffen. Die Wiederentdeckung des Totalitarismusparadigmas ist genau der falsche Weg. Es befördert die Banalisierung im deutschen wie im europäischen Gedächtnisdiskurs. Die universelle Bedeutung der Shoah und des Holocaust an Sinti und Roma kann nicht in der Meistererzählung einer zweifachen Diktaturüberwindung durch den Mauerfall reflektiert werden. Dies banalisiert Ausmaß und Singularität der NS-Menschheitsverbrechen, ({0}) stärkt die Betonung des Nationalen und befördert Erinnerungs- und Opferkonkurrenz. Demokratie muss qualitativ bestimmt werden, damit Erinnern und Gedenken als Quelle anhaltender gesellschaftlicher Irritation zu aktiver demokratischer Teilhabe motivieren kann. Die Bundesregierung sollte die Gefahren einer solchen verklärten Geschichtsgemeinschaft auf europäischer Ebene endlich erkennen. Die Deutschen dürfen sich nicht anmaßen, andere bei der Erinnerung an die deutschen Verbrechen zu belehren und sich bei der eigenen Verantwortung partiell zu entlasten, ({1}) wie jüngst anlässlich des Holocaustgedenktages geschehen. Die Aufarbeitung des NS ist in Deutschland weder vollendet noch bewältigt. Deutschland drückt sich um einen Beitrag für die Erweiterung und die Sanierung der Gedenkstätte des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers Treblinka, ähnlich bei der Unterstützung des Engagements der Rabbinerkommission in Polen bei der Identifizierung von Unbekannten-Grabstätten von Opfern der Massaker der Aktion Reinhardt. Es fehlt ein ganzheitliches Konzept zur Vertiefung des deutsch-polnisch-jüdischen wissenschaftlichen Austauschs und der Forschung im Erinnerungsbereich. Hier wären insbesondere Untersuchungen über die systematische Ermordung der Sinti und Roma während der Aktion Reinhardt notwendig. ({2}) Ein substanzieller Beitrag der Bundesrepublik wäre hier nicht nur eine angemessene außenpolitische Verantwortungsübernahme. Er wäre auch Zeichen einer Lehre aus der Vergangenheit, um Antisemitismus, Antiziganismus und die geschichtspolitische Wende von rechts zu bekämpfen. Deshalb wiederhole ich den Appell des polnischen Holocaustüberlebenden Marian Turski, den ich in Sobibor kennenlernen durfte: „Seid nicht gleichgültig!“ Danke schön. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ursula Groden-Kranich, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. ({0})

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Wichtigkeit von Außenpolitik bezweifelt gerade nach den letzten Wochen niemand. Aber Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, was ist das, wozu brauchen wir sie, was wollen wir damit? Sie wird in der Öffentlichkeit, auch hier im Bundestag, viel zu selten thematisiert. Da ist es sehr sinnvoll, dass wir heute Gelegenheit dazu haben. Wir haben zur Bedeutung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik schon einiges gehört. Ich möchte an dieser Stelle auch allen danken, die sich für unser Land im Ausland einsetzen; denn sie alle sind Botschafterinnen und Botschafter und vermitteln nach außen einen Eindruck, für was Deutschland steht und wer wir sind. Vielen Dank dafür! ({0}) Wie wichtig eine nachhaltige, ganz konkrete und praktische Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist, zeigt sich gerade in Afrika – derzeit wohl der Kontinent, der unsere Außenpolitik am meisten fordert. Hier müssen wir unbedingt dafür sorgen, dass die hervorragende Arbeit unserer Bundesministerien fortgesetzt und ausgebaut wird. Ja, unserer Bundesministerien: Es kam heute auch schon zur Sprache, dass da eben nicht nur das Auswärtige Amt tätig ist. Es ist beispielsweise die Afrika-Strategie von Entwicklungsminister Müller und Bildungsministerin Karliczek zu nennen. Es ist die Arbeit der vielen Jugendwerke, die durch das Familienministerium unterstützt wird, zu nennen. Es ist die Arbeit der Initiativen der Kulturstaatsministerin beispielsweise zur Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit zu nennen. Oder es sind die zahlreichen Projekte zur Bekämpfung von Fluchtursachen vor Ort zu nennen, bei denen Bildung buchstäblich das A und O ist. Die AKBP-Berichte zeigen die enorme Bandbreite der Projekte und Mittlerorganisationen: geografisch, inhaltlich, quantitativ. Das ist Fluch und Segen zugleich: Segen, weil wir damit ein Deutschlandbild vermitteln können, das so weltoffen, so demokratisch, freiheitlich und modern ist wie nie zuvor. Aber auch Fluch, weil natürlich auch eine Gefahr darin liegt, sich bei dieser enormen Breite und Vielfalt zu verzetteln, beliebig zu werden. Und das möchten wir nicht. Die positiven Auswirkungen unserer Politik konnte ich in ihrer ganzen Vielfalt letztes Jahr in Brasilien bei der Delegationsreise unseres Unterausschusses erleben. Hier seien nur ein paar Beispiele genannt. In Rio de Janeiro besuchten wir die Deutsche Schule, deren Schülerinnen und Schüler nach dem erfolgreichen Abitur in der großen Mehrheit in Deutschland studieren möchten und es auch tun. Selbiges gilt auch für die Absolventinnen und Absolventen der Humboldtschule in São Paulo, die zudem – im Zusammenwirken mit Unternehmen vor Ort – einen besonderen Schwerpunkt auf die berufliche Bildung und die duale Ausbildung legt – übrigens ein echter Exportschlager des deutschen Bildungswesens. Im Museu Nacional in Rio de Janeiro konnten wir die Sisyphusarbeit beim Wiederaufbau nach dem verheerenden Brand bewundern, die mit Mitteln des Auswärtigen Amtes maßgeblich unterstützt wird. Das Casa Europa wiederum zeigte als zukünftiger Sitz des Deutsch-Französischen Institutes die Brücke, die wir mit der AKBP nicht nur nach Deutschland, sondern auch zu unseren europäischen Nachbarn schlagen. In Salvador unterstützen wir mit dem Goethe-Institut und dessen Residenzprogramm Vila Sul unter anderem den Zugang sozialer Randgruppen zu Bildung und Kultur. Im Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus São Paulo erlebten wir höchstes Engagement und Kreativität in Forschung, Wissenschaft und Hochschulbildung, unter anderem durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und den Deutschen Akademischen Austauschdienst. Aber auch der Besuch einer Kolpingfamilie am Stadtrand von São Paulo hat gezeigt, wie mit deutscher Aufbauhilfe beispielsweise aus dem BMZ und vielen privaten Spendengeldern ehrenamtliche Arbeit gefördert und gestärkt wird und damit den Ärmsten vor Ort direkt geholfen werden kann. ({1}) Für mich ist wichtig, hier noch einmal zu sagen, dass Demokratie aus der Mitte der Gesellschaft heraus gefördert und Menschen vor Ort gestärkt werden müssen. Mein Wunsch ist, dass wir unsere bisherige erfolgreiche Politik fortsetzen und damit in anderen Ländern ein Bild von Deutschland zeigen, das für unser Land wirbt. Es ist auch eine Werbung für Deutschland, wenn alljährlich am ersten Sonntag im Dezember in der Symphony Hall von Osaka eine Aufführung von Beethovens Neunter mit einem Chor aus bis zu 10 000 Laiensängern stattfindet. Auch das ist Deutschland in der Welt. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Elisabeth Motschmann, CDU/CSU. ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Viel zu häufig tritt die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in den Hintergrund. Es ist ein völlig unterschätztes Feld der Politik. Vielleicht haben wir das heute auch anhand der Beteiligung auf der Regierungsbank gesehen, auch wenn Sie, Herr Minister, gesagt haben: Dieses Feld ist unterschätzt. – Deshalb bedaure ich auch, dass wir in einem Unterausschuss verortet sind. Das suggeriert, das Thema sei nicht so wichtig. ({0}) Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir sind in einem Ausschuss, wir brauchen Geld, und wir tun Enormes. ({1}) Stellen Sie sich nur mal einen Moment vor, es gäbe kein Goethe-Institut, es gäbe keine deutsche Partnerschulen in der Welt, es gäbe keine Villa Massimo oder Villa Tarabya, keine Residenzen, es gäbe keine Deutsche Welle, keinen Akademischen Austauschdienst, keine politischen Stiftungen, keine Künstler, Studenten, Journalisten, die durch die Welt reisen und Werte transportieren, es gäbe kein Deutschlandjahr der USA. – Das wäre ein Trauerspiel. All diese Player sorgen für ein positives Deutschlandbild in der Welt. Sie schaffen Vertrauen in unser Land. Sie erleichtern die Diplomatie – „Dialogfenster“ hat es der Kollege aus der FDP genannt; schönes Bild. Sie bauen Brücken. Kulturarbeit ist Friedenspolitik. ({2}) Drei Punkte greife ich aus dem großen Strauß der Aktivitäten heraus. Erstens. Wir stärken Freiheit und Demokratie in der Welt. Zweitens: Ausbau des Internationalen Netzwerkes der Bildung und Wissenschaft. Drittens. Gerade am heutigen Tag will ich noch etwas zu Europa sagen. Erstens: Freiheit stärken. Terror, Kriege und Krisen gefährden nicht nur die Freiheit der Demokratie, sondern sie gefährden leider auch die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Menschenrechte, und sie zerstören Kulturgut. Mit der internationalen Kultur- und Bildungspolitik bauen wir Brücken zwischen Kunst, Kultur, Bildung und Wissenschaft. Damit schaffen wir eine Dimension, die auch in die Krisenherde gelangt – dahin, wo es sehr schwer ist. Diese Brücken bauen wir zum Beispiel durch das große Netzwerk des Goethe-Institutes und durch das Deutsche Archäologische Institut. Wir setzen verstärkt auf Stipendien und Residenzprogramme, auf Künstleraustausche. Ganz wichtig übrigens, Herr Kollege Dehm: Die kommunistischen Länder haben an diesen Austauschprogrammen von Jugend und Künstlern nicht teilgenommen. ({3}) Das haben Sie ganz vergessen zu erwähnen. ({4}) Im Übrigen hat der Kommunismus sehr viel Leid über Europa und die Welt gebracht; auch das wollen wir nicht vergessen. ({5}) Auch mit zahlreichen Initiativen, wie zum Beispiel der Martin-Roth-Initiative, versuchen wir, Wissenschaftler und Intellektuelle vor Verfolgung zu schützen. Wir arbeiten auch daran, Journalisten und Menschenrechtsanwälte zu beraten und so zu schützen. Gemeinsam mit der Deutschen Welle bilden wir eine breite und geschlossene Front gegen Unfreiheit in der Meinungsäußerung, bewusste Irreführung und Manipulationsversuche. Die Deutsche Welle ist unser wichtigster Akteur und Garant für Meinungs- und Pressefreiheit. ({6}) Zweitens: die internationalen Netzwerke in Bildung und Wissenschaft. Es ist schon erwähnt worden: Wir eröffnen vielen jungen Menschen die Möglichkeit, zu reisen, in andere Länder zu kommen und unsere Werte zu transportieren. – Die deutschen Partnerschulen sind ein Herzstück unserer Arbeit. Wir bauen dieses Netzwerk weiter aus: 68 neue Schulen werden ins PASCH-Netzwerk aufgenommen. – Aktuell gibt es 15,4 Millionen Deutschlernende weltweit, davon 87 Prozent an Schulen. Das Goethe-Institut trägt dazu erheblich bei. Da meine Redezeit zu Ende ist, möchte ich – drittens – noch sagen, dass gerade wegen des Brexits unsere Aktivitäten in Europa und natürlich auch in Großbritannien sehr wichtig sind und auch in Zukunft sehr wichtig sein werden. Fazit: Unterschätzt nicht die Auswärtige Kulturpolitik! Kultur ist der Kitt für Frieden und Freiheit in der Welt. Danke schön. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich diese im Verlauf hoffentlich außergewöhnlich bleibende Debatte schließe, möchte ich die Bundesregierung bitten, darauf Rücksicht zu nehmen, dass sich das möglichst nicht wiederholt. ({0}) Wir, die Fraktionen des Bundestages, nehmen bei der Vereinbarung unserer Tagesordnung selbstverständlich jede Rücksicht auf die terminlichen Verpflichtungen jedes Mitglieds der Bundesregierung; aber die Kabinette der Minister sollten bei ihren Terminplanungen auch darauf achten, dass der Bundestag den Anspruch haben muss, dass wir der Vertreter des Souveräns sind. ({1}) Damit schließe ich die Aussprache.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank für das mir erteilte Wort. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jetzt sehe ich auf der Regierungsbank auch wieder keinen Minister. ({0}) – Ach so, Entschuldigung, nehme ich zurück. Zum Thema. Willkommen im Tollhaus Deutschland! Der Irrsinn regiert in unserem Land. Die Regierung schädigt mit dem Kohleausstieg die eigene Volkswirtschaft; circa 100, 150 Milliarden Euro werden den Bürgern aus der Tasche gezogen in Form von Steuergeldern und Strompreisen. Das allein schon ist Irrsinn; aber irrsinnig ist auch, dass es eigentlich gar keinen Grund dafür gibt und die eigene Zielsetzung gar nicht erreicht werden kann. Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie will die Bundesregierung nun also aus einem zweiten heimischen und preiswerten Energieträger aussteigen. Sie will die Hälfte der gesicherten Stromerzeugung, die Hälfte der gesicherten Leistung zerstören – 43 Gigawatt – ohne gesicherten Ersatz. Das bedeutet, dass wir bald keine ausreichende Stromversorgung mehr haben werden. Die Folgen werden verheerend sein, meine Damen und Herren. ({1}) Der Kohleausstieg ist ein Produkt einer infantilen Politik: überhastet, impulsgesteuert und ohne Verstand. Er ist unbegründet; er ist in Bezug auf seine Zielsetzung völlig ungeeignet; er ist unsozial und gefährlich, meine Damen und Herren. ({2}) Der deutsche Kohle-CO2-Ausstoß hat weltweit gerade mal einen Anteil von 0,6 Prozent, ist also zu vernachlässigen, und ob durch eine Verringerung die Temperaturerhöhung wirklich wirksam bekämpft werden kann, sei dahingestellt. Das können wir gar nicht wissen; das hat kein Wissenschaftler je bewiesen. Die Klimamodelle können ja noch nicht einmal das vergangene Klima nachempfinden oder erklären. ({3}) Der Kohleausstieg ist also nicht begründbar und trägt nicht zur Erreichung der genannten Ziele bei. Er wird aber dazu beitragen, dass die Strompreise unsozial weiter steigen: 30 Cent pro Kilowattstunde für Haushalte sind Weltspitze. Herzlichen Glückwunsch, Frau Merkel, an dieser Stelle! Dabei steht noch im Regierungsprogramm der CDU/CSU für 2005 bis 2009 – ich zitiere –: Fast nirgends in Europa ist Energie so teuer wie in Deutschland. Das ist das Ergebnis von ideologischer Energiepolitik. Also, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, teure Strompreise und die Energiewende sind ideologische Politik. Richtig! Das haben Sie erkannt; aber diese ideologische Politik betreiben Sie heute selbst. ({4}) Unter Ihrer Regierung ist der Strompreis um weitere 50 Prozent gestiegen. Merken Sie bitte was an dieser Stelle! Im Übrigen: Sie sollten sowieso mal Ihre älteren Programme hervorkramen, ({5}) da mal reinschauen. Da steht durchaus das eine oder andere noch Richtige drin. ({6}) Machen Sie das bitte mal. Die unsoziale Politik belastet Geringverdiener überproportional und schädigt den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ein Zitat der bayerischen Chemieverbände: Sie – also die Strompreise – müssen zurückgehen. Sonst ist eine international wettbewerbsfähige Produktion in Deutschland … bald nicht mehr möglich. … Die Reinvestitionsquote der energieintensiven Industrie in Deutschland liegt bereits seit dem Jahr 2000 unter den Abschreibungen. Eine schleichende Deindustrialisierung ist hier bereits seit Jahren in Gang … ({7}) Oder nehmen wir Wacker Chemie, einen der größten Stromabnehmer. Ich zitiere: Die Frage nach einer sicheren, vor allem auch störsicheren Stromversorgung in großem Ausmaß und zu wettbewerbsfähigen Preisen schiebt sich als existenzbedrohende Sorge in den Vordergrund. Und eine Produktionsverlagerung in die USA wird erwogen. Bitte noch mal zum Mitschreiben: ({8}) Kohleausstieg, Energiewende gleich Deindustrialisierung und Wohlstandsverlust. Die Übertragungsnetzbetreiber prognostizieren für 2021 eine Unterdeckung der Leistung von 5,5 Gigawatt. Es bleibt völlig unklar, wie diese Lücke geschlossen werden kann. Es gibt keine Strategie, kein Konzept. In Spitzenzeiten werden wir auch nichts vom Ausland bekommen können; denn dort sind die Kapazitäten ebenfalls ausgelastet. Gaskraftwerke sind zu teuer, müssen subventioniert werden und kommen frühestens in zehn Jahren. Dem Bürger werden Kosten aufgebürdet: Kosten ohne Ende, meine Damen und Herren. Der instabile Strom aus Erneuerbaren hat keine gesicherte Leistung, das heißt, es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Strom zu einem benötigten Zeitpunkt X zur Verfügung steht: Wind weht nicht immer, nachts ist es dunkel, und Strom kann industriell nicht gespeichert werden. Ausweichtechnologien wie Wasserstoff oder Brennstoffzellentechnik sind nicht wettbewerbsfähig. Brennstoffzellentechnik gibt es seit 180 Jahren, und das will man uns hier als Zukunft servieren; aber wäre das die Zukunft, hätte sich das schon längst durchgesetzt. Hat es aber eben nicht, weil die Wettbewerbsfähigkeit fehlt. Die Stromversorgung wird unsicherer; die Netzeingriffe werden mehr und länger. Energieintensive Unternehmen können sich nicht mehr zu 100 Prozent auf die Stromversorgung verlassen. Strom wird Mangelware, die deutsche Energiepolitik zur sozialistischen Mangelwirtschaft, meine Damen und Herren. ({9}) Und was bei einem flächendeckenden Stromausfall alles passieren kann, das können Sie durchaus im Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung von 2011 nachlesen: Nach wenigen Tagen kann es die ersten Toten geben. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz – wir erinnern uns – ist ein planwirtschaftliches Gesetz, führt zu Verwerfungen. Industriebetriebe und solche, die exportieren, sind von der EEG-Umlage teilweise befreit. Und so kommt es, dass zum Beispiel der nicht exportorientierte Bäckereihandwerksbetrieb die EEG-Umlage zahlen muss, das exportorientierte Industrieunternehmen mit den gleichen Waren und gleichen Zielkunden aber nicht. Teigwaren der entlasteten Industriebetriebe – um bei diesem Beispiel zu bleiben – können also preiswerter angeboten werden als die des Handwerkbetriebes. Und das, meine Damen und Herren, ist staatlich verordnete Verzerrung des Wettbewerbs. Noch ein Wort zur Kernenergie. Wir sollten die Hysterie der vergifteten und ideologischen Diskussionen herausnehmen und jenseits der links-grünen Untergangsfantasien neue Konzepte für neue Reaktoren prüfen und entwickeln. Teile der CDU sind ja ebenfalls dafür. Zu beachten ist dabei, dass die schlimmen Beispiele Fukushima und Tschernobyl bei uns so gar nicht passieren können ({10}) und auch die Endlagerproblematik auf dem Weg der Lösung ist. ({11}) Auch für CO2-Einsparfantastiker ist das ja doch wohl der richtige Weg. Es ist also höchste Zeit für einen Politikwechsel für Deutschland. Keine planwirtschaftlichen sozialistischen Experimente mehr an dieser Stelle! Zurück zum gesunden Menschenverstand und zu Verantwortungsethik! Vielen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Andreas Lämmel, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Mittwoch hat das Bundeskabinett das sogenannte Kohleausstiegsgesetz verabschiedet, und am Nachmittag hatten wir schon drei AfD-Anträge zu diesem Gesetz auf dem Tisch liegen. Verehrte Kollegen von der AfD, schnell gearbeitet! Nur – jetzt kommt das Nur –: Zwischen schnellem Arbeiten und inhaltlich gutem Arbeiten ist leider ein großer Unterschied. Ich will Ihnen das am Beispiel des Antrags „Versorgungssicherheit gewährleisten – Kohleausstieg ablehnen“ ganz kurz schildern. Da sind zwei Forderungen drin. Die erste Forderung ist: Die Bundesregierung soll den Empfehlungen der Kohlekommission nicht folgen. – Gut, darüber kann man ja diskutieren; das können Sie so fordern. In der zweiten Forderung steht – jetzt genau zuhören! –: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ... den Gesetzentwurf … Strukturwandel … abzulehnen.“ Na, das ist ja toll! Sie fordern die Bundesregierung auf, den Gesetzentwurf abzulehnen. Sie sitzen hier im Bundestag und müssten doch eigentlich wissen, dass überhaupt nur der Deutsche Bundestag Gesetze verabschieden kann. Wie kann denn die Bundesregierung ein Gesetz ablehnen? ({0}) Also, das müssen Sie mir mal erklären. Schon an diesem kleinen Detail kann man sehen, dass diese Anträge wirkliche keine geniale Leistung sind. ({1}) Dabei möchte ich Ihnen sagen: Das Thema Versorgungssicherheit ist ja wirklich von immenser Bedeutung; überhaupt kein Zweifel. Versorgungssicherheit ist auch für uns in der Koalition und in der CDU/CSU-Fraktion das Thema beim Kohleausstieg. ({2}) Meine Damen und Herren, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit sind für uns die Leitplanken in der Energiepolitik. Ich darf vielleicht an die Anhörung, die wir im Ausschuss für Wirtschaft und Energie zum Strukturstärkungsgesetz hatten, erinnern. Dort hat Frau Professor Kreuter-Kirchhof gesagt – das sollte man sich immer wieder ins Stammbuch schreiben; ich zitiere –: Eine verlässliche Energieversorgung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ein Gemeingut von Verfassungsrang … „Das Interesse an einer Stromversorgung ist heute so allgemein wie das Interesse am täglichen Brot“ … Und letzter Satz: Garant dieser Versorgungssicherheit ist der Staat. Das ist sehr wichtig, finde ich, weil ganz klar ist: Die Bundesregierung trägt hier die Verantwortung, dass die Versorgungssicherheit auch in den nächsten Jahren gewährleistet ist, und da sind die Aussagen, die wir zu diesem Thema bisher bekommen haben oder die während der Diskussionen in der Kohlekommission gemacht wurden, völlig ungenügend. ({3}) An diesem Thema müssen wir arbeiten. ({4}) Die Kommission hat ganz klar gesagt: 2023, 2026, 2029 kommt alles auf den Prüfstand. Frau Kreuter-Kirchhof hat gesagt: Das ist kein Spaß – diese sogenannten Haltepunkte. Vielmehr muss hier muss Bilanz gezogen werden, ob die Ziele im Bereich Strukturentwicklung – ich erinnere nur an die Aussage der Bundesregierung: erst Arbeitsplätze, dann Abschaltung –, im Bereich der Versorgungssicherheit, der Strompreisentwicklung und beim Klimaschutz erreicht werden. Alles steht unter Korrekturvorbehalt. Ich finde, die Bundesregierung irrt, wenn sie im Kohleausstiegsgesetz schreibt, dass an den Haltepunkten, die im Gesetz stehen, entschieden werden soll, ob man den Ausstieg vorziehen kann. Meines Erachtens sind diese Haltepunkte nicht eine Option nur in eine Richtung, sondern eine Option in beide Richtungen. ({5}) Wenn wir die Ziele nicht erreichen, müssen wir wieder über die Fragen des Ausstiegs diskutieren; das ist doch ganz klar. Wir können doch nicht heute ein Gesetz verabschieden, mit dem wir uns in zehn Jahren vielleicht die Basis entziehen. Das ist wichtig, festzustellen. Mit dem Kohleausstiegsgesetz haben die Betreiber jetzt erst mal Klarheit. Es gibt diesen Abschaltplan, und auch die Frage der Entschädigungen ist geregelt, auch wenn man sicherlich fragen muss, ob man dafür so viel Geld in die Hand nehmen muss. ({6}) Jetzt komme ich zu dem zweiten Antrag, den Sie eingebracht haben – es sind ja drei Anträge; die hatten Sie, Herr Kotré, gar nicht erwähnt –, in dem es um die Frage der Strompreiskompensation geht. Über die Strompreiskompensation für energieintensive Unternehmen sind wir uns relativ einig. Ich glaube, es wird sogar in Brüssel gesehen, dass man hier etwas tun muss, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und der europäischen Wirtschaft erhalten zu können. Ich glaube, es kann nicht angehen, dass durch das Kohleausstiegsgesetz Strompreiskompensationen für energieintensive Industrien weiter ausgebaut werden, aber das Handwerk und der Mittelstand die ganze Last tragen müssen. ({7}) Meine Damen und Herren, diese Kluft zwischen den energieintensiven Unternehmen und anderen Teilen der deutschen Wirtschaft darf einfach nicht größer werden. Das heißt: Wenn wir über Strompreiskompensationen sprechen, dann müssen diese für alle Verbraucher in Betracht gezogen werden. Das ist eine ganz klare Botschaft, die ich Ihnen heute noch mal mitgeben möchte. Sie, werte Kollegen von der AfD, haben ja eine Menge Daten zusammengetragen, ({8}) aber man muss diese auch in den richtigen Zusammenhang setzen. ({9}) Bei der Frage der Abhängigkeit von Gas vernachlässigen Sie völlig, dass im Moment über drei LNG-Terminals nachgedacht wird, dass also Möglichkeiten zum Import von Gas geschaffen werden. Sie vernachlässigen das Thema Wasserstoff ganz. Natürlich ist der Einsatz von Gas – auch das muss man deutlich sagen – preistreibend; keine Frage. Wenn man Kohlestrom durch Gasstrom ersetzen will, wird der Preis auf jeden Fall ansteigen. Das darf man bei der Diskussion auch nicht verschweigen. Die Frage der Wasserhaltung und die Frage des Gipses werden meine Nachredner genauer diskutieren. Ich glaube, wir haben genügend Diskussionsstoff. Aber wir brauchen eine Diskussion, in der es nicht nur um Ablehnung gehen darf, sondern wir müssen gemeinschaftlich hier Lösungen finden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Neumann, FDP. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat geht Deutschland bei der Energiewende nicht den einfachsten Weg; das ist völlig klar. Aber beim Kohleausstieg reden wir nicht mehr über das Ob, sondern über das Wie. Ich glaube, das ist der Kern der eigentlichen Debatte. ({0}) Herr Kotré, Sie wissen: In der Lausitz gibt es ein Revierkonzept. Es gibt auch in anderen Teilen dieser Republik Revierkonzepte. Das heißt, in der Gesellschaft ist die Diskussion schon viel weiter. Wir werden auch sehen, dass der Kohleausstieg schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen – Stichwort: CO2-Preis-Anstieg – längst im Gange ist. Ich will zwei Dinge noch mal hervorheben, weil immer wieder Falsches behauptet wird. Ich zitiere aus einem Antrag von Ihnen: Die erneuerbaren Energien können Kohle auch deshalb nicht kompensieren, weil sie nicht wettbewerbsfähig sind … Falsch; denn bei den Stromgestehungskosten sind erneuerbare Energien an geeigneten Standorten schon heute wettbewerbsfähiger als Kohlekraftwerke. Warum? Weil die Brennstoffkosten und der CO2-Preis die Kosten der Kohle nach oben treiben. ({1}) Zweiter Punkt: das Thema Energiedichte. Behauptet wird weiter: Erneuerbare Energien haben eine viel zu geringe Energiedichte. – Das ist einfach falsch. Warum? Die Energiedichte bezieht sich auf Primärenergiequellen und Energiespeicher. Man kann also zum Beispiel mithilfe von Sonnenenergie, die ja zur Verfügung steht, Kraftstoffe mit sehr hoher Energiedichte herstellen. Die kann man dann tatsächlich unbegrenzt einsetzen. Ich glaube, wir müssen genau hingucken, worüber wir diskutieren und welche Fragen gelöst werden müssen. Jetzt kommen wir zum Kern der Debatte. Teuer sind in der Tat die EEG-Kosten aus der Vergangenheit: Systemintegrationskosten für Netzausbau, für Systemerhalt und perspektivische Speicher. Das ist so. Das kann jeder Bürger in der Stromrechnung lesen. Aber der Kohleausstieg ist natürlich auch nicht völlig risikolos. Wer hat das behauptet? Wir müssen in Deutschland schauen, dass wir das Thema Versorgungssicherheit in den Vordergrund stellen. ({2}) Es gibt verschiedene Szenarien. In einem geht es um ein Risiko von 5,3 Gigawatt usw. Wir lösen das Problem Versorgungssicherheit durch Technologieoffenheit. Ich habe vorgestern darüber gesprochen. Wir müssen tatsächlich die Grenzen überschreiten. Technologieoffenheit bedeutet Wettbewerb emissionsarmer Energieträger, wie zum Beispiel der Einsatz marktwirtschaftlicher Elemente, Zertifikatehandel. ({3}) Energiewende – wir erinnern uns; es ist in Vergessenheit geraten – bedeutet doch, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Ich glaube, wir sind die einzige Fraktion, die tatsächlich darauf hinarbeitet, CO2-Emissionen zu senken. ({4}) Wir reden über intelligente Lösungen, also Lastmanagement. Hier gibt es unendlich viel zu tun. ({5}) Künstliche Intelligenz ist notwendig, um das Thema aufzubauen. Ich sage noch etwas: Natürlich schalten wir im Moment nur ab. Dagegen suche ich Einschalter. Wo schalten wir die Speicher ein? Wo schalten wir die Netze ein? Das bezieht sich auf diese ganzen Fragen, die da offen sind. ({6}) Ich hätte gerne Herrn Altmaier hier angesprochen; Herr Hirte, Sie nehmen es sicherlich mit. Ich sage mal so: Jetzt ist die Bundesregierung an der Reihe. Sie müssen jetzt handeln. Sie müssen liefern und dürfen nicht nur versprechen. Wo bleibt die lang angekündigte Wasserstoffstrategie? Wo bleibt die? ({7}) Auf die warten wir. Wir haben als FDP-Fraktion eine sehr gute Strategie vorgelegt. Jetzt möchte ich von der Bundesregierung wissen: Was passiert da? Was ist mit den EEG-Umlagen? Was ist mit den Netzentgelten? Wo bleibt die Speicheroffensive? ({8}) Wo bleibt die Fortführung des KWK-Dialogs? Er ist unterbrochen worden. Wo ist er? Wir brauchen KWK. ({9}) Der Wirtschaft und Industrie müssen quasi Wege aufgezeigt werden. Meine Damen und Herren, wir haben es erlebt: Ein Jahr und drei Tage hat es gedauert, um die Empfehlungen der WSB-Kommission endlich in politische Taten umzusetzen. Ich denke, hier haben wir genug zu tun. Liebe Bundesregierung, handeln Sie endlich! Danke schön. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat der Kollege Bernd Westphal, SPD, das Wort. ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute erneut die Gelegenheit haben, über Energiepolitik in diesem Hohen Hause zu sprechen. Allerdings ist das Antragssammelsurium der AfD ungeordnet, ohne System, weltfremd, nach hinten gewandt ({0}) und von geringer Qualität. ({1}) Deshalb geht es hier darum, dem Bedarf in der Gesellschaft an Orientierung und Diskussion über Zukunftsthemen nachzukommen. Das gibt uns die Chance, unsere Energiepolitik vorzustellen. Für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Energiepolitik haben wir gesetzliche Rahmenbedingungen zu gestalten. Um die wirklich großen Themen von globaler Tragweite lösen zu können, braucht es mutige Politik, es braucht Entschlossenheit, Zuversicht und vor allen Dingen auch Solidarität, nicht nur national und europäisch, sondern auch international. Das zeigt das Pariser Klimaabkommen. ({2}) Es braucht Ideen, wie eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft bis 2050 erreicht werden können. Es braucht einen sozialen und ökologischen Transformationskurs. Wir in der SPD nennen das Fortschritt. ({3}) Gestern hatten wir eine engagierte Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht. Alle konnten sich von der guten wirtschaftlichen Situation und der Prognose für die nächsten Jahre überzeugen. Deshalb will ich noch mal betonen: Wir sind nicht trotz, sondern wegen Klimaschutz wirtschaftlich so erfolgreich, meine Damen und Herren. ({4}) Das Klimaschutzgesetz setzt Investitionsimpulse für eine moderne Infrastruktur in der Energieerzeugung, für klimafreundliche Wärmeversorgung, zum Beispiel mit Kraft-Wärme-Kopplung – der Kollege Neumann hat eben darauf hingewiesen –, oder für eine CO2-freie Mobilität. Aber auch die klimaneutrale industrielle Produktion, wie zum Beispiel die chemische Industrie sie mit ihrer „Roadmap Chemie 2050“ vorgelegt hat, zeigt, dass auch die Unternehmen dem Weg dieser Politik folgen. Zum ersten Mal hat eine Bundesregierung einen klaren Pfad für einen Kohleausstieg vorgelegt. Das Kohleausstiegsgesetz macht mit der Energiewende ernst. Jetzt wird es sehr konkret, dabei, wie man es gestalten kann. Das ist weit mehr als das, was vor drei Jahren, nach der letzten Bundestagswahl, FDP, Grüne und Union in Koalitionsverhandlungen versucht haben zu gestalten. Es ist weit mehr als das, was die angeblichen Koalitionspartner, die versucht haben, eine Regierung zu bilden, zur Lösung dieser Fragen angeboten haben. Es ist diese Koalition aus SPD und Union, die die politische Kraft hat, diese Energiewende endlich umzusetzen. Damit der Wandel sozial gerecht wird, flankieren wir ihn mit wirksamen Maßnahmen ({5}) und schaffen neue Beschäftigungsperspektiven. Deshalb ist es jetzt Zeit, die Deckel abzuräumen, damit neue Arbeitsplätze entstehen können. ({6}) Wir brauchen keine Begrenzung des Ausbaus der Photovoltaik mehr, sondern der 52-GW-Deckel für die Photovoltaik muss schleunigst weg. ({7}) Wir brauchen endlich den Schub auch für den Mieterstrom. Das ist etwas, was die SPD mit einem Gesetzentwurf nach vorne bringen will. Wir haben ihn vorgelegt. An dem kann man weiter arbeiten. Wir brauchen vor allen Dingen in der tragenden Säule der zukünftigen Energieversorgung, der Windenergie, endlich einen klaren Ausbaupfad. Wir dürfen für diese Energieerzeugung keine ausbaubeschränkenden Maßnahmen, sondern müssen unterstützende Maßnahmen vereinbaren. An diesen Rahmenbedingungen müssen wir arbeiten. ({8}) Wir werden zumindest keiner Regelung zustimmen, die eine ausbaubegrenzende Bestimmung beinhaltet. Deshalb ist es klar, dass wir als SPD auch dafür stehen, dass wir einen Ausbaupfad klar definieren, um Investitions- und Planungssicherheit zu schaffen, damit wir den Ausbauanteil von 65 Prozent für erneuerbare Energien am Bruttostromverbrauch erreichen. Wir müssen im Bereich Wasserstoff dringend raus aus den Reallaboren und rein in industrielle Maßstäbe. Nur dann kann es gelingen, dass wir mit diesen Anlagen auch die Lernkurve erreichen, dass wir die Skaleneffekte und die kostengünstige Produktion von Wasserstoff erreichen. ({9}) Wasserstoff wird die Grundlage bilden für die zukünftige Industrie in Deutschland. Deshalb müssen wir dieser Technologie auch den Pfad ermöglichen, dass die Industrie hier im Land bleibt. Das schaffen wir nur, wenn wir eine klimaneutrale Wasserstoffversorgung aufbauen. ({10}) Durch mehr Finanzmittel ist auch im Bereich der Speichertechnologie Bahnbrechendes zu erreichen. Wir haben mit der Digitalisierung das Potenzial nicht mehr nur des Einbaus von Smart-Meter-Gateways in den Haushalten und den Unternehmen, sondern auch der Steuerung, die die volatile Erzeugung mit dem Verbrauch in Einklang bringen kann. Es ist also die Herausforderung, dies zu nutzen und die Impulse, die wir durch Digitalisierung bekommen, auch in der Energiewende einzusetzen, nicht nur bei den Speichern, sondern auch beim Transport. Hybride Netze zu nutzen, heißt: nicht nur Elektronen zu transportieren, sondern auch Moleküle in der Infrastruktur. Wir haben im Gebäudebereich ein enormes Potenzial. Wir werden auch sehen, dass mit Gebäudetechnologie effiziente Bereiche in der Energieversorgung zu organisieren sind. Beim Verkehr sind sicher auch klimaneutrale Antriebe für Verkehrssysteme notwendig. Aber es muss auch die Mobilität im 21. Jahrhundert insgesamt anders organisiert werden, sodass sie klimaneutral erfolgen kann. Sie sehen, meine Damen und Herren, die Energiewende in Deutschland verleiht dem Wirtschaftswachstum Flügel. Lassen Sie uns gemeinsam und entschlossen mit einem klaren Kurs und verlässlichen Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass sie zum Erfolg wird und dass die Menschen Vertrauen in diese Politik gewinnen. Den nachfolgenden Generationen eine Energieversorgung aufzubauen, die auf fossile Energien verzichtet, ist unsere Verpflichtung und unsere Verantwortung. Wir werden nicht nur das Klima schützen, sondern Arbeitsplätze schaffen und die Gesellschaft zusammenhalten. Willy Brandt hat einmal gesagt: „Die Zukunft wird nicht gemeistert von denen, die am Vergangenen kleben.“ Herzlichen Dank und Glück auf! ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Kohleausstieg handelt die Bundesregierung so, wie sie immer handelt: Einigen wenigen wird der Ausstieg vergoldet, andere müssen sehen, wo sie bleiben. Und das ist unfair. ({0}) Der Wirtschaftsminister – er ist gerade gekommen; gut, dass Sie es persönlich hören – verhält sich so, als stünde er jetzt schon auf der Gehaltsliste des Energieriesen RWE. Das ist unwürdig, Herr Altmaier. ({1}) Die Gewinner des Kohleausstiegs sind die großen Energiekonzerne. Sie bekommen für museumsreife Kraftwerke das Geld noch hinterhergeworfen. ({2}) Insgesamt sind Zahlungen von 4,35 Milliarden Euro aus der Staatskasse geplant, und eine wesentliche Summe davon dürfte an RWE gehen. Das sei leistbar für den Staat, meinte Bundesfinanzminister Scholz gegenüber der „Tagesschau“. Ich sage: Nein, das können und wollen wir uns nicht leisten. Wir fordern: Keine Entschädigung für Kraftwerke, die älter als 25 Jahre sind! ({3}) Wir wollen das Geld nämlich lieber für eine soziale und gerechte schnelle Energiewende einsetzen. Das wollen wir uns leisten. ({4}) Der MDR, der Mitteldeutsche Rundfunk, berichtete über Gerhard Borufke. Er hat 40 Jahre im Braunkohlewerk Espenhain in Sachsen gearbeitet. 2004 musste er mit 60 Jahren in die Arbeitslosigkeit gehen. Statt einer schwerverdienten Bergmannsrente bekommt er 450 Euro weniger, als ihm zusteht.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von dem Kollegen Neumann von der FDP?

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, danke. – Mittlerweile ist er schwer erkrankt. Sein Vertrauen in die Politik hat er längst verloren. Es geht hier – so sagt er – um eine Lebensarbeitsleistung, die nicht gewürdigt wird. Das ist es, was uns alle sehr deprimiert. Seit der Wende kämpfen die Bergmänner und ‑frauen aus Espenhain um ihre Zusatzrente. Als Arbeiter in der Braunkohleveredlung steht sie ihnen zu. Wir als Linke hatten bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen Antrag mit dem Titel „Keine Kumpel zweiter Klasse – Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren“ gestellt. Dieser Antrag wurde von diesem Haus abgelehnt. Das war ignorant und ungerecht. Wir als Linke halten an dieser Forderung fest. ({0}) Wer über den Kohleausstieg reden will, der muss auch über die Treuhand, das Rentenunrecht und eine arrogante Bundesregierung sprechen. Die Bundesregierung wird 30 Jahre nach der Wende von ihren Fehlentscheidungen und falschen Versprechungen eingeholt. Wenn der Wirtschaftsminister jetzt meint, mit der Ankündigung von mehr Geld für Ostdeutschland über 30 Jahre Fehlentwicklungen hinweglächeln zu können, dann kann ich nur sagen: Herr Altmaier, so wird das nicht funktionieren; ({1}) denn Vertrauen muss man sich hart erarbeiten, und der erste Schritt ist die Ehrlichkeit. Der Bergmann und Liedermacher Gerhard Gundermann schrieb 1992 das Lied „Brigitta“. Die erste Strophe möchte ich hier zitieren: Ich wurde Bergmann wie mein Vater und fuhr einAber mein Sohn wird hier kein Bergmann mehr seinDie Gleise rosten und das Förderband ist leerDie braune Kohle von hier will jetzt keiner mehr Keiner sollte die Bergleute für dumm verkaufen; denn sie wissen sehr genau, dass die Braunkohle keine Zukunft hat. Die Bergleute glauben auch nicht den Klimaleugnern, aber sie sind zutiefst empört über die Bundesregierung, die ihre Probleme nach der Wende nicht ernst genommen hatte. Wir Linke wollen, dass die Bergleute eine Zukunft haben und nicht mit falschen Versprechungen wieder betrogen werden. ({2}) Dabei geht es natürlich auch um Geld, aber vor allen Dingen geht es um eine weitsichtige Strukturpolitik. Doch für viele hier in diesem Haus – wir haben das in einigen Reden schon wieder gehört – bedeutet das Wort „Strukturpolitik“ schon wieder sozialistische Planwirtschaft. Sie überlassen unsere Gesellschaft lieber chaotischen Marktmechanismen. Das Ergebnis ist doch sichtbar: kapitalistische Mangelwirtschaft. ({3}) Schauen Sie sich doch die desolate Deutsche Bahn, die mangelhafte ärztliche Versorgung auf dem Land und die überfüllten Schulklassen an! Das Land darf nicht dem Selbstlauf überlassen werden; denn das ist hoch gefährlich. Wir sehen ja das Ergebnis. So haben Rechtspopulisten ein leichtes Spiel, und das darf in unserer Demokratie nicht sein. ({4}) Es ist doch verrückt, dass die Bundesregierung den Ausstieg aus der Kohle erklärt und gleichzeitig ein neues Kohlekraftwerk in Nordrhein-Westfalen ans Netz geht. So darf das nicht sein. Das ist nicht gerecht, und das ist nicht überzeugend. ({5}) Meine Damen und Herren, unsere Fraktion, die Fraktion Die Linke, hat einen Aktionsplan Klimagerechtigkeit beschlossen. Wir fordern, dass die 20 ältesten und dreckigsten Kohlekraftwerke zügig abgeschaltet werden. Für die Beschäftigten in der Kohleindustrie wollen wir eine verlässliche Weiterbeschäftigungs- und Einkommensgarantie. ({6}) Wir fordern eine Absenkung der Stromsteuer um 2 Prozent pro Kilowattstunde. Kein privater Stromkunde soll wegen des Kohleausstiegs mehr für Strom zahlen, und das ist möglich. ({7}) Der Unterschied zu einigen anderen hier in diesem Haus ist folgender: Unser Aktionsplan setzt eben nicht auf die Spaltung der Gesellschaft. Keiner soll sich auf Kosten anderer eine goldene Nase verdienen können. Wir sind fest davon überzeugt, dass eine vernünftige, gut geplante Energiewende unsere Gesellschaft solidarischer, gesünder und glücklicher machen kann. ({8}) Der Strukturwandel muss mit allen und für alle geplant und umgesetzt werden; sonst scheitert er. Und das Scheitern dürfen wir nicht zulassen; denn wir haben nicht nur die Verantwortung für uns selbst, sondern auch für unsere Kinder und Enkelkinder. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Martin Neumann, FDP-Fraktion.

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Lötzsch, Sie hatten meine kleine Zwischenfrage nicht zugelassen. Ich möchte jetzt nachfragen, weil ich das, was Sie hier gesagt haben, einfach nicht verstehe. ({0}) Wenn Sie mit Ihren Brandenburger Genossen, die in der letzten Landesregierung waren, gesprochen hätten, dann wüssten Sie: Die haben genau das Gegenteil von dem gemacht, was Sie jetzt hier erzählt haben. ({1}) Ich kann das nicht nachvollziehen. Sprechen Sie miteinander, oder machen Sie unterschiedliche Politik? Machen Sie hier diese Politik und auf der Landesebene eine andere Politik? Das kann ich nicht nachvollziehen. Klären Sie mich bitte auf, damit alle hier wissen, was Sie eigentlich vorhaben!

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Herr Präsident, dass Sie mir das Wort erteilen. – Ich kann Ihnen sagen: Es gibt keinen Widerspruch zwischen der Landes- und der Bundespolitik. ({0}) Es gibt in Brandenburg den ganz klaren Beschluss – damals in der Opposition vorbereitet, in der Regierung weitergeführt und jetzt wieder in der Opposition weiterverfolgt –, dass aus der Braunkohle ausgestiegen werden muss. Ich habe in meiner Rede darauf hingewiesen, dass auch die Bergleute wissen, dass die Braunkohle keine Zukunft mehr hat; das wissen die. Der entscheidende Punkt ist – den dürfen wir ihnen als Politik nicht nur vermitteln, sondern wir müssen ihnen auch Angebote machen –, dass wir einen Strukturwandel brauchen. Es müssen dort Angebote gemacht werden, und es muss dort Niederlassungen von zukunftsträchtiger Industrie – also nicht irgendwelche kleinen Beschäftigungsgesellschaften – geben. Das ist der Punkt, und auch dafür haben sich meine Kolleginnen und Kollegen in der Landesregierung von Brandenburg eingesetzt. ({1}) An diesem Kurs werden wir auch weiter festhalten. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Der Kollege Oliver Krischer hat das Wort für Bündnis 90/Grüne. ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem interessanten, eher die Vergangenheit betreffenden Scharmützel sollten wir uns, glaube ich, wieder den aktuellen Fragen zuwenden. Da muss man sich einfach vor Augen führen, dass wir uns hier ein Jahr lang haben anhören müssen: Das Ergebnis der Kohlekommission wird eins zu eins umgesetzt. – Es gab keine energiepolitische Debatte, in der der Minister und Vertreter der Koalitionsfraktionen das nicht immer wieder mantrahaft gesagt haben. Wir als Grüne haben gesagt: Gut, das ist nicht unser Kompromiss gewesen – wir waren auch gar nicht für diese Kommission; wir waren als Fraktion auch gar nicht darin vertreten –, aber wir tragen das mit – wir haben das hier sogar eingebracht –, weil wir es als richtig und notwendig erachtet haben, dass 28 Vertreter gesellschaftlicher Gruppen den Kohleausstieg einleiten. ({0}) Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen das an dieser Stelle jetzt nicht ersparen: Das, was da im Kabinett beschlossen worden ist, ist bei Weitem nicht die Eins-zu-eins-Umsetzung. Das kann niemand abstreiten; das ist objektiv so. Vor allen Dingen bezogen auf den Klimaschutz, um den es hier geht, erfolgt keine Eins-zu-eins-Umsetzung. Herr Vassiliadis bekommt fast 5 Milliarden Euro für die Beschäftigten. Ich gönne ihnen das; das ist alles richtig und gut. Die Länder bekommen 40 Milliarden Euro an Strukturhilfe. Das ist notwendig und richtig. Die vier betroffenen Länder haben am Abend bei der Kanzlerin noch ein Fraunhofer-Institut als Zuckerli obendrauf bekommen. Auch das ist gut; dagegen habe ich nichts. RWE und LEAG bekommen aber fast 4 Milliarden Euro an Entschädigung. Im Fall der LEAG weiß man gar nicht wofür, weil die Kraftwerke so stillgelegt werden, wie es das Unternehmen selber einmal geplant hat. Das sind Geschenke, die unverantwortlich sind. ({1}) Wenn man das macht, dann muss man einen Kompromiss – das war ein Kompromiss der 28 – auch insgesamt umsetzen; denn pacta sunt servanda. Da bin ich knochenkonservativ. Es kann nicht sein, dass die Umweltseite, die Klimaseite an dieser Stelle ein Stück weit hintenüberkippt. Ich finde es völlig richtig, wenn die Vertreter der Klimaschutzorganisationen in der Kohlekommission sagen: Das ist die Aufkündigung des Kompromisses. – Denn das ist eben nicht die Eins-zu-eins-Umsetzung. ({2}) Ich werde Ihnen das auch deutlich machen: Die Abschaltungen der Kraftwerke schieben Sie um Jahre nach hinten. ({3}) Das führt gegenüber dem Kommissionsvorschlag zu zusätzlichen Emissionen von 180 Millionen Tonnen – 180 Millionen Tonnen! Das ist kein Klimaschutz. Das ist das Gegenteil von Klimaschutz. ({4}) Eines – das ist eben schon angesprochen worden – muss man sich vor Augen führen: Die Kommission hat empfohlen, das Kraftwerk Datteln nicht in Betrieb zu nehmen. Sie hat nicht Datteln genannt; aber es gibt nur einen Fall, auf den es überhaupt zutrifft, dass ein Kraftwerk gebaut, aber nicht in Betrieb genommen worden ist. Was passiert? Die Bundesregierung verständigt sich darauf, dieses Kraftwerk in Betrieb zu nehmen. ({5}) Wie irre ist das denn? ({6}) Zur Feier des Kohleausstiegs nehmen Sie erst einmal ein Kohlekraftwerk in Betrieb. Das ist genau so, als wenn ein Alkoholiker sich zu Beginn des Entzugs erst einmal eine Palette Schnaps kommen lässt. Meine Damen und Herren, das geht an dieser Stelle nicht. ({7}) Mal ganz ehrlich: In meiner Heimat erklären Sie jetzt plötzlich den Tagebau Garzweiler im Gesetz als energiewirtschaftlich notwendig. ({8}) Das hat es in Deutschland noch nie gegeben, dass eine einzelne Anlage, dass ein Tagebau im Gesetz für energiewirtschaftlich notwendig erklärt wird. Es ist völlig klar, worum es geht: Das ist ein Geschenk an RWE, damit sie die letzten Leute – die 120, die noch umgesiedelt werden müssen – vertreiben und enteignen können. ({9}) Das kann doch nicht sein! Das ist das Gegenteil von Kohleausstieg, meine Damen und Herren. ({10}) Ich hätte gerne hier gesagt: Es ist gut, dass wir das jetzt anpacken. Es ist gut, dass Sie auch richtige Dinge tun in diesem Kohleausstieg. – Aber es ist bedauerlich – das ist das größte Problem an dem, was Sie hier machen –, dass Sie damit nicht nur dem Klima schaden, sondern dass Sie auch das Vertrauen zerstören. Denn welcher Umweltverband, welcher Erneuerbaren-Verband lässt sich denn noch einmal auf eine solche Kommission ein, um gemeinsam gesellschaftliche Probleme zu lösen? ({11}) Die fühlen sich doch jetzt verkackeiert. Das ist das Hauptproblem: dass Sie nicht nur dem Klima schaden, sondern auch Vertrauen zerstört haben. ({12}) Bei der ganzen Geschichte muss man etwas erwähnen, was auch ein sehr wesentlicher Punkt in der Kohlekommission war. Die haben gesagt: Wir müssen nicht nur aussteigen; wir müssen auch irgendwo einsteigen. – Und das ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie haben jetzt zwar schöne Ziele; aber Sie wissen selber ganz genau, dass das nichts mit der Realität zu tun hat. Wasserkraft und Biogas haben Sie schon lange hinter sich gelassen. Die Photovoltaik dümpelt vor sich hin. Der Windenergieausbau an Land geht kaum voran. Was letzte Woche in der öffentlichen Debatte fast untergegangen ist, ist die Windkraft auf dem Meer. Sogar da wird es nächstes Jahr keinen Zubau mehr geben. Herr Altmaier hat das gestern beim Bundesverband Erneuerbare Energie zu hören bekommen: Sie treiben in allen Sparten die komplette Branche aus dem Land. Es hat noch kein Wirtschafts- und Energieminister geschafft, das komplett zu beenden. Wir werden ab dem nächsten Jahr sinkende Anteile erneuerbarer Energien haben, und damit werden wir den Einstieg als Ersatz für die Kohle nicht schaffen. Deshalb sage ich hier ganz klar: Es braucht eine klare Botschaft für die Erneuerbaren. Das heißt als Allererstes: Der PV-Deckel muss weg, und zwar nicht in drei Wochen, nicht in drei Monaten. ({13}) Nein, bringen Sie das in der nächsten Sitzungswoche endlich ein, damit das gestrichen wird, und kündigen Sie es nicht immer nur an! ({14}) Das Zweite ist: Hören Sie mit diesen unsäglichen Abstandsregelungen für die Windenergie auf! Wir brauchen ein Entfesselungsprogramm für die Windenergie und keine neuen Schikanen, wenn wir Energiewende und Klimaschutz machen wollen. ({15}) Das ist unsere Aufgabe, und die erfüllen Sie nicht. Sie machen hier eine Antienergiewende- und Antiklimaschutzpolitik. ({16}) Darüber kann auch ein Einstieg in den Kohleausstieg nicht hinwegtäuschen. Ich danke Ihnen. ({17})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Klaus Peter Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004406, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zum Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes komme, möchte ich, da ich einige kritische Bemerkungen machen muss, auf den Antrag der AfD eingehen: Sie dürfen den Bürgerinnen und Bürgern in den drei Revieren nicht erzählen, dass es mit der Kohle unendlich weitergeht. ({0}) Wir haben uns in der letzten Sitzungswoche mit dem Antrag der FDP auseinandergesetzt, und da ist deutlich gesagt worden – der Kollege Neumann hat es heute auch gesagt –, dass über die Zertifikatpreise die Kohle aus dem Markt gedrängt wird. Wenn man einen so unkontrollierten Strukturbruch möchte, wie wir ihn in Ostdeutschland – Sie behaupten immer, dass Sie die Partei für den Osten sind – nach 1990 erlebt haben, dann passiert das wieder. Ich bin sehr froh, dass wir uns auf den Weg eines geordneten Kohleausstieges geeinigt haben und dass wir uns geeinigt haben, Geld in die Regionen zu geben, damit man dort eine gewisse Strukturentwicklung voranbringen und neue Arbeitsplätze schaffen kann. Das ist ganz wichtig. ({1}) Mir wäre es also lieb, wenn die Kollegen von der AfD vielleicht auch mit konstruktiven Vorschlägen in der Region auffallen würden, um den einen oder anderen Weg, den wir jetzt hier beschließen werden, mit zu unterstützen. Zu Ihnen, Herr Krischer, möchte ich nur eines sagen: Die Landesregierung Brandenburg, die jetzt rot-schwarz-grün ist, hat sich auf 1 000 Meter Abstand bei den Windkraftanlagen verständigt. ({2}) Dann kann man nicht hier immer sagen: „Das brauchen wir nicht“, wenn man sich dort, wo die Grünen mit in der Regierung sitzen, auf 1 000 Meter einigt. Und wenn ich mir anschaue, wie flott der Ausbau der regenerativen Energien in Baden-Württemberg unter einem grünen Ministerpräsidenten geht, habe ich natürlich auch meine Fragen. ({3}) Jetzt komme ich zu zwei Punkten, bei denen ich ehrlich sagen muss, dass das im Entwurf zum Kohleausstiegsgesetz aus meiner Sicht völlig vergessen wurde, obwohl die Kommission sich dazu geäußert hat. Das finde ich sehr bedauerlich. Ich fange mit dem ersten Punkt an: Gipsversorgung in Deutschland. Ich habe dieses Thema am 1. Juni 2017 hier schon einmal angesprochen. Da kamen Zurufe aus der Fraktion der Grünen. Denen war bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bekannt, dass es zwischen der Kohleverstromung und der Gipsversorgung in Deutschland eine enge Verbindung gibt. ({4}) Im Abschlussbericht der Strukturkommission steht – ich zitiere –: Um die Wertschöpfungsketten der Gipsindustrie zu erhalten, sind Maßnahmen zu ergreifen, um den fortschreitenden Wegfall an REA-Gips durch eine zusätzliche umweltverträgliche Gewinnung von Naturgips auszugleichen. Das heißt: Wir brauchen Bergwerke, um 6 Millionen Tonnen Gips in den nächsten Jahren zusätzlich bergmännisch zu gewinnen, es sei denn, alle anderen 15 Bundesländer machen das nach, was Berlin gestern vorgemacht hat. Dann wird natürlich der Bedarf an Baustoffen in Deutschland deutlich zurückgehen. Dann brauchen wir vielleicht doch nicht so viel Gips. ({5}) Ich habe in den vergangenen Monaten einen intensiven Schriftverkehr mit dem Bundesumweltministerium zu diesem Problem gehabt. Mit dem, was mir mit Schreiben vom 29. März vergangenen Jahres auf den Tisch gekommen ist, kann ich mich natürlich auch nicht einverstanden erklären. Ich zitiere: Ich sehe daher die Notwendigkeit, mittelfristig Gips durch alternative Baustoffe zu ersetzen. Hier gibt es einige Alternativen wie zum Beispiel Lehmbauplatten, Strohbauplatten, Vollholzplatten, Holzwerkstoffe … Meine Damen und Herren, wir haben natürlich eine historische Erfahrung mit Lehm und Stroh aus dem Mittelalter. Aber wir haben inzwischen Brandschutzordnungen in Deutschland, die vorschreiben, dass beim Ausbau beispielsweise der Brandwiderstand F90 eingehalten werden muss, was bei einer Gipskartonplatte der Fall ist. Stroh hat die Widerstandsklasse F30. Das geht also auf diesem Weg nicht. Es gibt nur eine Lösung: Wir benötigen schnelle Verfahren, um die Gipslagerstätten, die wir in Größenordnungen in Deutschland an verschiedensten Stellen haben, auch abbauen zu können. ({6}) Zweiter Punkt: Wasser. Zum Wasser – das ist eigentlich mehr ein Problem in der sächsischen und in der brandenburgischen Lausitz – ist von der Kommission gesagt worden – ich zitiere wieder –: Es ist verbindlich zu regeln, dass bei einem vorfristigen Ausstieg aus der Braunkohleförderung das Wassermanagement insbesondere für die Spree abgesichert wird. Ein Trockenfallen der Spree muss, auch im Hinblick auf den Tourismus im Spreewald, unbedingt verhindert werden. Wenn man in den Archiven des Bundestages nachliest, stellt man fest, dass dieses Thema am 12. Juli 1994 in der Bundestagsdrucksache 12/8270 bereits umfangreich bearbeitet wurde. Damals ist untersucht worden, was passiert, wenn 90 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden – zurzeit werden 60 Millionen Tonnen gefördert –, und was, wenn 30 Millionen Tonnen gefördert werden. Die Nullvariante ist gar nicht untersucht worden. Die Nullvariante wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu erheblichen Problemen führen, auch deshalb, weil wir ab 2027 die Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union umsetzen müssen. Zwischen Cottbus und dem Stadtrand von Berlin gibt es mindestens 30 Kläranlagen, die in das Flusssystem einleiten. Die Einleitwerte, die die Behörde einer Kläranlage vorgibt, bemisst sich am Abflussverhalten des Gewässers. Am Rhein beispielsweise, wo 2 000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde hinunterfließen, ergeben sich andere Einleitwerte als an der Spree, wo es nur 14 Kubikmeter Wasser pro Sekunde sind. Wenn sich die 14 Kubikmeter mehr als halbieren werden, dann heißt das für 30 kommunale Kläranlagen, dass diese nachzurüsten sind. Wir müssen dann den Abwasserentsorgern natürlich sagen, was in den nächsten Jahren auf sie zukommen wird; denn in einen trockenfallenden Fluss darf kein gereinigtes Abwasser eingeleitet werden. Das ist aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Punkt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schulze. – Jetzt kommt der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vorliegenden Anträgen fordert die AfD, den Kohleausstieg „zum Wohle der Bevölkerung“ zu stoppen. ({0}) In Ostfriesland sagt man: Prooten doon de an meesten, de an minsten to seggen hebben. – Abgesehen davon, dass die Anträge das Ergebnis der sogenannten Kohlekommission völlig ignorieren, also das Ergebnis einer breit aufgestellten Kommission, die einen gemeinsamen Konsens gefunden hat, sind unsere Quellen offensichtlich völlig unterschiedlich. Wissenschaft und Industrie – Sie denken vielleicht an irgendwelche Nischenindustrien; ich nenne hier den BDI – bestätigen uns in unserem Weg hin zur Klimaneutralität. Was, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, sagen Sie eigentlich Hunderttausenden von jungen Menschen, die jeden Freitag auf der Straße sind und sich – zu Recht – Angst um ihre Zukunft machen? ({1}) Und was sagen Sie eigentlich den Menschen, die an der Küste leben und die die Sorge haben, dass ihr Eigentum irgendwann unter Normalnull liegen und nichts mehr wert sein wird? Es geht auch um Planungssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen. Es geht darum, ob wir zum Konsens der Kohlekommission stehen. Ich glaube, es gehört zur Verantwortung der Politik, zu unserer direkten Verantwortung, das Ergebnis der Kohlekommission auch umzusetzen. Wir wollen die Kohleverstromung spätestens bis 2038 in Deutschland beendet haben. Wir wollen zwischendurch auch prüfen, ob wir nicht sogar eher aussteigen können. Denn wenn wir eines in den letzten Jahren gelernt haben, dann das, dass die Welt hinsichtlich der Energiepolitik unglaublich dynamisch ist. Wir wollen mit dem Gesetz, soweit es geht, aber auch soziale Härten in den betroffenen Regionen ausgleichen bzw. deren Entstehen vermeiden. ({2}) Ich weiß, was Strukturwandel bedeutet. Ostfriesland hat nahezu komplett die Werftenindustrie verloren, ganz zu schweigen vom schleichenden Strukturwandel in der Landwirtschaft. Wir wissen, was Solidarität mit den Beschäftigten bedeutet. Wir wissen, was Solidarität mit den Regionen bedeutet, die vom Strukturwandel betroffen sind. Ja, und es gehört auch zur Glaubwürdigkeit der Politik, die Ergebnisse einer solchen Kommission so gut wie möglich umzusetzen. Wenn man solch eine gesellschaftliche Frage in eine Kommission gibt, damit sie Lösungen erarbeitet, dann müssen diese Lösungen auch umgesetzt werden, keine Frage. ({3}) Ich finde sogar, dass die Kommission als Modell für andere schwierige gesellschaftliche Herausforderungen gelten könnte, die wir noch vor uns haben und auf die wir in einem Findungsprozess Antworten finden müssen. ({4}) Festzustellen ist, dass die vorliegenden Anträge die Kostenfrage natürlich völlig unvollständig beantworten. Klar ist doch, dass Nichtstun das Allerteuerste ist: durch Strafzahlungen aus internationalen Verpflichtungen heraus, die wir eingegangen sind, durch die Kosten des Klimawandels, durch die Kosten, um es klar zu sagen, der Überhitzung der Erde, durch Kosten in der Landwirtschaft – da müssen Sie nur einmal die Landwirte fragen –, durch Kosten für Versicherungsschäden aufgrund zunehmender Unwetterereignisse, durch Kosten im Zusammenhang mit dem Küstenschutz. Fahren Sie einmal an einen Deich in diesem Land und fragen dort die Deichachten, welche Kosten auf uns zukommen werden. Einen ganz wichtigen Baustein bildet die Kraft-Wärme-Kopplung; Kollege Martin Neumann hat in seiner guten Rede darauf hingewiesen, wie wichtig sie ist. ({5}) Die gleichzeitige Produktion von Strom und Wärme ist derzeit am effektivsten. Hier müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass der Umstieg von Kohle auf Gas gelingt. Wir müssen die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen an den Markt bringen. Selbstverständlich muss dabei mitgedacht werden, dass wir das Gas zukünftig auch aus erneuerbaren Quellen bekommen. Auch eine Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes werden wir im Kontext des Kohleausstiegs beraten müssen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer aus Kohleenergie aussteigt, muss auch einsteigen, einsteigen in die Produktion der erneuerbaren Energien. ({6}) Mein Kollege Bernd Westphal hat darauf hingewiesen. Wenn wir in die erneuerbaren Energien einsteigen, dann vor allem in die Windenergie als Zugpferd der erneuerbaren Energien. Denn die SPD ist überzeugt: Wir brauchen mehr Windenergie, auch und gerade in Süddeutschland. Da sei an dieser Stelle auch noch einmal gesagt: Wer in Süddeutschland Netzausbau verhindern möchte, der muss eigene erneuerbare Energien zubauen. ({7}) Die von der AfD geforderte Entprivilegierung von Windenergieanlagen ist genau der falsche Weg, einmal abgesehen davon, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, dass die von Ihnen gewünschte Wirkung gar nicht eintreten wird, weil die allermeisten Windenergieanlagen eben nicht privilegiert erstellt werden, sondern im Rahmen von Bebauungsplänen. Das ist auf jeden Fall das falsche Instrument. Aber Ihre Absicht ist klar: Sie wollen Windenergie verhindern. Wir wollen das nicht. Das ist mit der SPD nicht zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Wir wollen den Ausstieg aus der Kohleverstromung. Wir wollen mehr Windenergie in Deutschland. Wir wollen mehr Sonnenenergie in Deutschland. Deswegen sind wir auch für die Abschaffung des PV-Deckels. ({9}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern haben wir schon eine energiepolitische Debatte gehabt. Ich fand es richtig, was der Kollege Theurer zum Thema Wasserstoff gesagt hat und dazu, welche Rolle Wasserstoff im Zuge des Kohleausstiegs und des Einstiegs in erneuerbare Energien spielen wird. ({10}) Was mir besonders gut gefallen hat, ist, dass er dem Minister ein Buch überreicht hat, nämlich ein Buch zur Wasserstofftechnik. Herr Minister, ich glaube, das haben Sie heute Nacht gelesen. ({11}) Damit Sie nicht aus dem Genuss von Literatur herausgeraten, habe auch ich Ihnen ein Buch mitgebracht. Zur Vorbereitung der Debatten, die wir in den nächsten Wochen haben werden, habe ich Ihnen das Buch „Der energethische Imperativ“ von Hermann Scheer mitgebracht. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist für die FDP-Fraktion die Kollegin Sandra Weeser. ({0})

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Linke und Grüne stellen sich hierhin und stellen steile Thesen auf, die diametral dem widersprechen, was sie in Brandenburg in der Landesregierung mit unterschrieben und mit beschlossen haben. ({0}) Ich frage mich: Welche Nachricht wollen Sie denn hier an die Bürger schicken? Aber zurück zum Antrag der AfD zur Strompreisdiskriminierung. Er suggeriert an manchen Stellen zwar ein ernsthaftes energiepolitisches Anliegen, doch schon im ersten Satz fällt der Schleier, in dem Sie von „sogenannten erneuerbaren Energiequellen“ schreiben. Sie glauben also gar nicht daran. Das zeigt, es geht Ihnen hier gar nicht um die Beschäftigung mit Sachfragen oder um eine ernsthafte Debatte. Sie lehnen Klimaschutz grundsätzlich ab. Deshalb leisten Sie hier weder einen würdigen noch einen sinnvollen Beitrag zur energiepolitischen Diskussion. ({1}) Wenn ich in meinem Wahlkreis mit Menschen und mit mittelständischen Unternehmern spreche, dann wird ganz schnell klar, wo der Schuh drückt. Die Menschen haben das Gefühl, dass der Staat vom privaten Verbraucher und vom kleinen Mittelständler immer nur nimmt, immer mehr verlangt, dass von allen Seiten nur Druck kommt, aber nie Entlastung. Das beste Beispiel sind hier die Energiekosten. Die Stromkosten sind in den letzten zehn Jahren um 35 Prozent gestiegen – 35 Prozent! Eine Familie mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 4 000 Kilowattstunden bezahlt dadurch für Haushaltsstrom mittlerweile jährlich 320 Euro mehr. Die Kosten für Haushaltsstrom betragen in Frankreich nur die Hälfte. Wenn man für energieintensive Unternehmen, die keine Ermäßigung bekommen, die Energiekosten einmal als Standortfaktor betrachtet, so stellt man fest, dass sie im Ausland abschreckend wirken. In Deutschland will auch niemand mehr investieren. ({2}) Denn sie wissen ganz genau: Seit 20 Jahren findet hier in Deutschland eine schleichende Deindustrialisierung statt. Zwar will die Bundesregierung die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung für eine Senkung der EEG-Umlage nutzen – dies ist zu begrüßen –, aber das ist auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. An die Stromsteuer möchte die Bundesregierung überhaupt nicht ran. Von der geplanten Reform der Netzentgelte, die in Ihrem Koalitionsvertrag steht, haben Sie sich schon komplett verabschiedet. ({3}) Der Bundeszuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten ist im Kohleausstiegsgesetz als eine Kannformulierung integriert. Gleichzeitig werden durch den Kohleausstieg weitere teure Tatbestände geschaffen. Mit Ihren Maßnahmen doktern Sie an den Symptomen herum, aber Sie gehen nicht an die Ursache des Problems. ({4}) Wir Freien Demokraten fordern eine umfassende Reform von Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie. Es braucht endlich wieder mehr Markt und weniger Staat in der Energiepolitik. Die 52 Prozent auf den Strompreis bieten sich hier hervorragend zum Handeln an. Liebe Bundesregierung, lösen Sie endlich vom Hals des Verbrauchers den gefräßigen Kraken namens Staat mit seinen Fangarmen, ({5}) die da heißen: EEG, Netzentgelte und Stromsteuer. Reden Sie nicht nur, handeln Sie! Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen Anträge der AfD-Fraktion vor. Über diese wurde schon ausgiebig diskutiert. Trotzdem möchte ich zunächst einmal betonen, dass wir im letzten Jahr so viel Strom aus erneuerbaren Energien produziert haben wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, nämlich 46 Prozent der Nettostromerzeugung. Das ist mehr, als alle fossilen Energieträger zur Stromerzeugung beigetragen haben. Es gibt immer die einen, die sagen: „Deutschland hat sowieso keinen Einfluss auf das Weltklima“, und die anderen, die sagen: „Wir allein retten das globale Klima“. Beide Lager liegen natürlich falsch. Wir haben mit dem Klimaschutzpaket die Grundlagen dafür gelegt, dass wir weitere Fortschritte bei der Energiewende und beim Klimaschutz erreichen. Wir haben auch die Grundlagen dafür gelegt, die EEG-Umlage und damit die Stromkosten zu senken. In einem ersten Schritt wird die EEG-Umlage 2021 um circa 2 Cent gesenkt; das entspricht immerhin insgesamt circa 7 Milliarden Euro. Das ist die größte Entlastung seit Einführung des EEG. ({0}) Insgesamt werden wir dieses Jahr die Klimaschutzziele beinahe erreichen. Wir stehen jetzt bei 35 Prozent Einsparungen gegenüber 1990. Wir haben im letzten Jahr weitere knapp 5 Prozent eingespart. Wenn sich das so fortsetzt, sind wir nahe dran an den 40 Prozent gegenüber 1990. Wir haben die Erneuerbaren durch die Ausschreibungen marktreif gemacht. Mittlerweile haben wir Gebote bei Photovoltaik von knapp 5 Cent. Wir haben Gebote bei Wind an Land von knapp über 5 Cent und bei Offshore zu 0 Cent. Das zeigt auch: Wettbewerb ist gut, auch in diesem Bereich. Das ist ein Erfolg. Das ist unser Erfolg. Daneben wurden Investitionen im ländlichen Raum gefördert. Im Bereich der Erneuerbaren sind mittlerweile über 400 000 Menschen beschäftigt, meist in mittelständischen Strukturen. Die Erneuerbaren finden mittlerweile auch im Ausland Nachahmer. Aber natürlich gibt es keine Blaupause für die Energiewende. Es muss immer wieder nachjustiert werden. Es muss immer wieder optimiert werden. Natürlich ist auch die Frage der Kosten relevant. Auch deshalb wird ab 2023 ein Zuschuss auf die Netzentgelte für private, aber auch für gewerbliche Verbraucher erfolgen. Die WSB-Kommission hatte ja einen Zuschuss in Höhe von circa 2 Milliarden Euro vorgeschlagen. Zusätzlich wird eine weitere Maßnahme im Kohleausstiegsgesetz dafür sorgen, dass die energieintensiven Verbraucher weiter entlastet werden. Wir müssen außerdem weiterkommen, wenn es darum geht, einen Industriestromtarif einzuführen. Das EuGH-Urteil vom letzten Jahr bietet da große Chancen. Wir brauchen langfristige Planungssicherheit, damit unsere Unternehmen und unsere Industrie auch zukünftig international wettbewerbsfähig sind. Wir als CDU/CSU werden das Thema eines europäischen Industriestromtarifs auch weiterhin verfolgen. ({1}) Durch die Senkung der EEG-Umlage profitiert auch und gerade der Mittelstand, auch das Handwerk. Davon werden alle profitieren. Sie thematisieren die Versorgungssicherheit. Das machen wir natürlich auch. Sie berechnen die Lücke, die durch den Ausstieg aus der Kohle entsteht, aber lediglich mit Blick auf den vermeintlich notwendigen Zubau von erneuerbaren Energien. Das eint Sie von der AfD übrigens mit den Grünen. Zum System der volatilen Erneuerbaren gehört aber auch, dass am besten komplementär natürlich hier schwarzstartfähige Gaskraftwerke wirken. Sie sind hier besser geeignet als jede andere Art der Stromerzeugung. Was Sie von der AfD übrigens bei Ihrer Kostenaufstellung überhaupt nicht berücksichtigen, sind mögliche Rückbaukosten, gerade auch beim Braunkohletagebau. Wir fördern gezielt die Kraft-Wärme-Kopplung, im Süden übrigens mit einem Sonderbonus. Das KWK-Gesetz wird nunmehr bis mindestens 2029 gelten. Das bringt zusätzliche Planungssicherheit. Zudem sind einzelne Kraftwerke im Süden zunächst von den Auktionen, die bestimmen, welches Kraftwerk zuerst vom Netz geht, ausgeschlossen. Auch ich bin dafür, dass wir bei den Steinkohleanlagen durchaus über Fuel Switch sprechen. Einige Steinkohlekraftwerke können also zukünftig durch Biomasse betrieben werden. Das wird beispielsweise in Holland so gemacht. Das kann durchaus ein Weg in die Zukunft sein. Die Versorgungssicherheit wird außerdem durch Überprüfungszeitpunkte adressiert: 2022, 2026, 2029 und 2032 erfolgen sogenannte Checkpoints, die genau das Thema der Versorgungssicherheit betrachten. Liebe AfD, in Deutschland wird das Licht nicht ausgehen. Darüber hinaus werden wir weitere Investitionen in Gaskraftwerke brauchen; das ist überhaupt keine Frage. Wir brauchen eine gesetzliche Definition von Versorgungssicherheit. Dies kann natürlich nicht nur europäisch adressiert werden. Wir brauchen auch national eine Vorhaltung von Kapazitäten; das ist für mich überhaupt keine Frage. Über all das werden wir im Zuge der Beratungen zum Kohleausstiegsgesetz ausgiebig diskutieren. Ich freue mich natürlich auf die Diskussion und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich erteile jetzt das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Steffen Kotré.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Dr. Lenz, Herr Kretschmer, Ministerpräsident in Sachsen, Ihrer Partei auch angehörig, hat letztens gesagt, dass er es für denkbar hält, wieder in die Kernenergie einzusteigen. Vor allen Dingen hat er auch gefordert, dass im Bereich der Kernenergie weiterhin massiv geforscht werden soll. Das Gegenteil passiert ja jetzt gerade leider. 2008 hat Frau Angela Merkel gesagt – ich zitiere jetzt einmal sinngemäß –: Ich halte es für nicht sinnvoll, dass ausgerechnet das Land mit den sichersten Atomkraftwerken die friedliche Nutzung der Atomenergie einstellt. ({0}) Deutschland macht sich lächerlich, wenn es sich dadurch ein gutes Gewissen machen möchte, dass Atom- und Kohlekraftwerke stillgelegt werden und gleichzeitig Strom, der aus denselben Energieträgern erzeugt worden ist, aus den Nachbarländern importiert wird. Seit 2008 haben sich eigentlich keine neuen Fakten ergeben. ({1}) Wie interpretieren Sie jetzt die 180-Grad-Wende in Ihrer Politik? ({2})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kotré, herzlichen Dank für Ihre Frage bzw. für Ihre Anmerkung. – Ich denke, Fukushima ist ein Fakt, den wir gewichten müssen. ({0}) Es ist Realität, was da passiert ist. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt. Mich wundert es, dass Sie in Ihren Anträgen überhaupt nicht auf die Kernkraft eingehen. Es ist erstaunlich, wenn Sie jetzt Fakten bringen, an die Sie beim Schreiben der Anträge gar nicht gedacht haben. Der dritte Punkt. Ich bin nicht Angehöriger der CDU wie Herr Kretschmer, sondern der CSU. Eine kleine Aufklärung auch an dieser Stelle. ({1}) Es ist so, dass der Ausstieg aus der Kernenergie natürlich beschlossen ist, auch gesamtgesellschaftlich beschlossen ist. Auch die Endlagerung wurde in einer Kommission beschlossen. Letztlich stehen wir natürlich auch für Forschung in diesem Bereich. Schauen Sie sich einmal die Beschlüsse an. Wir als CDU/CSU sind immer für Forschung und Technologie. Beispielsweise hinsichtlich des Forschungsreaktors ITER sind wir der Meinung, dass die Gelder natürlich weiterhin investiert werden sollen. Wir vertreten dies auch. Wir werden dies auch weiterhin unterstützen. Herzlichen Dank.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Liebe Kollegen, ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Andreas Scheuer (Minister:in)

Politiker ID: 11003625

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich für diese gute Woche für die Mobilität in Deutschland bei Ihnen herzlich bedanken: ({0}) Gestern haben wir das Dritte Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz beschlossen und die Regionalisierungsmittel erhöht. Heute geht es um zwei Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung. ({1}) Die Zahl der Woche ist 17,9 Milliarden. Bei den Mitteln für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz gab es eine Versechsfachung, einen Anstieg von 1,7 Milliarden Euro. Bei den Regionalisierungsmitteln kommen zu den 8,6 Milliarden Euro jährlich aufwachsend 5,2 Milliarden Euro drauf. 11 Milliarden Euro, das ist die Vereinbarung, die wir heute mit der Bahn unterzeichnen, also die Umsetzung der Beschlüsse aus dem Klimakabinett: die Stärkung der Bahn, die Stärkung des Eigenkapitals der Bahn. Wir gehen da vor allem in drei Bereiche, nämlich robustes Netz, digitale Schiene und attraktive Bahnhöfe. Das ist eine gute Botschaft aus dieser Woche für die Bundesrepublik Deutschland, wenn wir dies so beschließen. ({2}) Jetzt ist es aber so, dass bei den Investitionen und beim Geld – das ist der eine Teil – noch ein entscheidender Punkt fehlt, nämlich die Beschleunigung, die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung; ein Anliegen dieser Bundesregierung, dieser Koalition, denn Geld alleine reicht nicht. Ich erinnere an Planfeststellungsbeschlüsse für große Bauprojekte aus dem Jahr 1971: Da hat der ganze Wust an Dokumenten und die Ausarbeitung dieser Pläne sage und schreibe 23 Seiten umfasst. Heute umfassen die Ausarbeitungen der Gutachter, der Planer, der Projektentwickler selbst für kleinere Maßnahmen 2 500 Seiten. Ich habe unlängst mit dem Donau-Ausbau eine Maßnahme bei mir in der Heimatregion starten können. 30 Jahre lang wurde dafür gekämpft und ein Kompromiss erzielt, ({3}) auch mit den Umweltverbänden. Aber trotzdem ist der Planfeststellungsbeschluss, ich glaube, mehr als 3 000 Seiten lang. Das heißt, wir haben da einiges zu tun: Wir müssen neben der Bereitstellung von Geld und Investitionen vor allem in die Beschleunigung der Genehmigungen und der Planungen gehen. Das ist der Inhalt der zwei heute vorliegenden Vorschläge. Nach unserem Planungsbeschleunigungsgesetz I, das zum 1. Dezember 2018 in Kraft getreten ist, haben wir heute zwei weitere Gesetze eingebracht, mit denen wir einen Investitions- und Modernisierungsschub in die Beschleunigung geben. Es darf nicht mehr so sein, dass der größte Kampf des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur ({4}) ist, dass man vor Ort das Geld ankommen lassen will, dass also das Geld abgerufen wird. Wir haben Pakete geschnürt, aber wir haben in den Haushaltsmitteln keinen Abruf, weil die Bauprojekte vor Ort kein Baurecht bekommen. Herr Gelbhaar, ich habe mir gestern Ihren Beitrag angesehen. So sind zum Beispiel in dem Betrag von 11 Milliarden Euro für die Deutsche Bahn, den wir heute in der Vereinbarung fixieren, speziell der Bau von attraktiven Bahnhöfen und der Aspekt der Barrierefreiheit enthalten. Es war gestern Ihr Thema neben dem Radverkehr, für den wir jetzt 1,45 Milliarden Euro haben, das wir auch bei den einfacheren Projekten schneller Baurecht bekommen. ({5}) Es sind zwei Gesetze, das eine mit ganz konkreten Maßnahmen, das heißt, über Deutschland verteilt, Projekte der Schiene und der Wasserstraße, Projekte, die alle als Maßnahmen im Bundesverkehrswegeplan stehen. Diese dürfen – das muss klargestellt werden – von ihrer Konfiguration her nicht verändert werden, sondern es geht um die Maßnahmen, die der Bundestag beschließt, um eine Beschleunigung zu erzielen, ohne die erforderlichen Umweltprüfungen, ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit, der Bürger, einzuschränken, sondern die Bürger müssen schon vor der Einleitung des Verfahrens einbezogen werden. Wir wollen durch die Beschlussfassung durch den Deutschen Bundestag die wichtigen Maßnahmen für unsere Infrastruktur beschleunigen. Das ist eine gute Botschaft und geschieht nach dem Vorbild auch anderer europäischer Länder, beispielsweise Dänemark. Da funktioniert das gut. Die Akzeptanz bei den Bürgern ist da, wenn das Hohe Haus für diese Maßnahmen den Turbo einlegt. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass wir für diese großen Projekte bei Schiene und Wasserstraße jetzt mit diesem Maßnahmengesetz Klarheit schaffen. Das ist das Erste, was wir heute beschließen. ({6}) Das Zweite ist ein Gesetzentwurf, in dem wir die Modalitäten für vor allem einfache Projekte verändern. Es versteht zum Beispiel doch keiner, dass selbst der Ersatz einer Brücke, die über einen Schienenweg oder über eine Autobahn verläuft und in den 60er- oder 70er-Jahren gebaut wurde, ein großes Planungsvorhaben mit riesigen Verfahren wie der Planfeststellung nach sich zieht, dass wir also selbst für einen Ersatzneubau, der nichts an der Farbe der Geländer ändert, der nichts an den Bemessungen ändert, der am Ganzen nichts ändert, sondern nur ein Ersatzbau ist, große und lange Planfeststellungsverfahren benötigen. Es geht darum, die Brücke wieder eins zu eins herzustellen. Mit diesem Gesetzentwurf beschleunigen wir vor allem den Bau der Ersatzneubauten. Die Kommunen können sich freuen. Wir haben immer Stress mit dem Eisenbahnkreuzungsgesetz gehabt. Der Anteil der Kommunen, der immer wieder dazu geführt hat, dass wir länger brauchen, wurde nie richtig aufgebracht. Deswegen übernehmen der Bund und das Bundesland die Kosten, um vor allem diese Kreuzungsbauwerke schneller umzusetzen. Damit können wir deutlich schneller Brücken und Unterführungen bauen, die Schienen kreuzen. ({7}) So können wir auch die Bahnstrecken sicherer machen. ({8}) Als drittes Thema ist die Stärkung des ÖPNV zu nennen. Es versteht doch keiner, dass wir auf der einen Seite über Klimaschutz reden und über das Umsteigen von Bürgerinnen und Bürger auf die öffentlichen Verkehrsmittel und wir auf der anderen Seite für den Bau von Straßenbahnlinien und U-Bahn-Linien, die in den politischen Entscheidungsgremien völlig unstrittig sind, so lange Zeit brauchen. Wir setzen da auch auf Beschleunigungen und auf unkompliziertere Verfahren, beispielsweise auch bei Straßenbahnlinien. Teilweise müssen Verkehrsunternehmen über Jahre auf die Realisierung warten und somit auch der Bund warten, bis das Geld abgerufen wird. Jetzt können wir das Ganze viel schneller machen, sodass das nicht mehr vier, fünf oder sechs Jahre dauert, sondern sofort umgesetzt werden kann. ({9}) Ich möchte Ihnen sehr herzlich danken: Wir haben gestern erlebt, dass einige Oppositionsparteien sich entweder enthalten haben oder den zwei Vorschlägen aus dem Bundesverkehrsministerium sogar zustimmen konnten. Jetzt haben wir ein Maßnahmengesetz, das von der Koalition getragen wird. Herzlichen Dank dafür. Ich nenne auch den zweiten Baustein, das Planungsbeschleunigungsgesetz III, bei dem wir sogar die schöne Situation haben, dass nicht nur die Koalition diesem Gesetzentwurf zustimmt, sondern auch – das erwarte ich nach den Gesprächen in den Ausschüssen – die FDP, die Grünen und die AfD zustimmen. Sie alle haben unseren Vorschlag angenommen. Das ist somit ein schöner Wochenabschluss. ({10}) – Herr Krischer, vielen Dank, dass auch Sie heute Zeit finden, einem Gesetzentwurf zuzustimmen, den ich vorlege. ({11}) Diesen Tag werde ich mir im Kalender deutlich anstreichen; der Tag, an dem Sie das BMVI so sehr unterstützen. ({12}) Wir wollen die Großprojekte von der Standspur auf die Beschleunigungsspur bringen. Das ist ein guter Tag für den Mobilitätsstandort und Investitionsstandort Deutschland. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Minister Scheuer. – Der nächste Redner ist der Kollege Leif-Erik Holm für die AfD-Fraktion. ({0})

Leif Erik Holm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004761, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Liebe Bürger! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte diese Woche eine nette Taxifahrt. Der Taxifahrer war felsenfest davon überzeugt, so erzählte er mir, dass der Berliner Flughafen in diesem Jahr fertig wird. Ich war ein bisschen verblüfft, weil man sonst immer andere Dinge hört. Dann sagte er: Ja, und zwar genau am 32. Oktober. ({0}) Da war er wieder, der typische Hohn und Spott der Bürger über das Versagen der Politik auf allen Ebenen, wenn es um den Erhalt unserer Infrastruktur geht. Und dieser Spott ist wirklich leider mehr als berechtigt. Eines der Flaschenhalsprobleme ist die Dauer der Planungsverfahren. Das nimmt die Bundesregierung jetzt endlich in den Blick. Wir finden den Weg über die Maßnahmengesetze, also über Projekte, die per Gesetz vom Bundestag verabschiedet werden, richtig, und wir werden das heute auch unterstützen. Aber wir sind mit der Ausgestaltung nicht zufrieden. Wir befürchten erstens, dass die Beschleunigungswirkung nicht sehr groß sein wird, und wir befürchten zweitens, dass neue Rechtsunsicherheiten geschaffen werden. Wir bringen deshalb heute einen eigenen Antrag ein, um auf diese Mängel hinzuweisen. Aus Sicht der AfD-Fraktion reicht eine Straffung der Einspruchswege allein nicht aus. Wir müssen gleichzeitig die Bürgerbeteiligung an der Ausgestaltung des Projektes stärken. ({1}) Wir müssen möglichst früh dafür sorgen, dass die Bürger beteiligt sind und dass Klagegründe vorab ausgeräumt sind. Das führt dann tatsächlich zu mehr Akzeptanz und damit zu echter Beschleunigung der Planung. ({2}) Genau das ist der Weg der Dänen, von denen wir uns die Idee abgeguckt haben. Aber auf diesem Weg gehen Sie nicht konsequent weiter. Wir müssen die Bürger transparent und frühzeitig in die Planung einbinden. Erst auf Basis dieser konstruktiven Ideen, die von den Bürgern kommen, sollte dann die konkrete Planung erfolgen. Das verbessert nicht nur die Planung, sondern das stärkt auch die Demokratie in unserem Land. ({3}) Und das stärkt die Rechtssicherheit. Wir wissen doch, dass die EU hier klare Vorgaben setzt. Sie fordert bei Bauprojekten ausreichend Beteiligungs- und Einspruchsmöglichkeiten für die betroffenen Bürger. Ob das mit Ihrem Gesetzentwurf gewährleistet ist, scheint, wie wir in der Anhörung erfahren haben, zumindest fraglich zu sein. Es sind also schnell Verbesserungen notwendig. Es muss Verbesserungen geben. Wir denken, dass bald eine Novellierung notwendig sein wird. Da muss etwas passieren; denn es nützt die schönste Idee nichts, wenn die EU-Gerichte das Ganze wieder abräumen und Minister Scheuer nach der Maut schon wieder auf die Nase fällt. ({4}) Außerdem gibt es ein weiteres rechtliches Problem: Der Gesetzentwurf enthält keine klaren Regeln, nach denen entschieden wird, welche Projekte im normalen behördlichen Verfahren laufen und welche per Gesetzgeber verabschiedet werden. Die bisherigen Formulierungen sind da viel zu schwammig. Das begünstigt Willkürentscheidungen. Auch hier arbeiten die Dänen nach klaren Regeln. Das brauchen wir auch in Deutschland. Noch einmal zur Bürgerbeteiligung. Damit Betroffene und Interessierte mitreden können, müssen die Planungsunterlagen für die Bürger verständlich sein. Nicht jeder kann das Verwaltungskauderwelsch nachvollziehen. Nicht jeder kann Tausende Seiten Papier studieren. Wir brauchen also eine zuständige unabhängige Stelle, die sich darum kümmert, das für die Bürger aufzuarbeiten, und die öffentlichen Anhörungen durchführt. Es muss einen Dienstleister als Ansprechpartner vor Ort geben, der Bürgerbeteiligung durch transparente Aufarbeitung erst möglich macht. ({5}) Meine Damen und Herren, das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz geht in die richtige Richtung. Wir werden dem Gesetzentwurf deshalb zustimmen. Allerdings sehen wir, dass die Beschleunigungswirkung der dänischen Baugesetze hier nicht erreicht wird. Die entscheidenden Punkte haben wir für Sie in unserem Antrag verewigt. Zur Entfesselung der Kräfte zum wirklich schnellen Ausbau unserer Infrastruktur – Straßen, Schienen, Wasserwege, Flughäfen, digitale Netze – brauchen wir noch mehr und deutlich entscheidendere Schritte als diese kleinen Trippelschritte, die wir jetzt gehen. Vielen Dank. Schönes Wochenende! ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat als nächster Redner der Kollege Mathias Stein das Wort. ({0})

Mathias Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ob die Elbvertiefung, der Weiterbau der A 20 in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein oder gar die Sanierung des Kanaltunnels in Rendsburg, oft vergehen Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte vom politischen Beschluss, bis am Ende ein Bauwerk steht oder saniert wird. Die Ursachen für dieses lange Warten sind vielschichtig und komplex: von Bau- und Planungsbehörden mit viel zu wenig Personal über immer neue Normen und Regeln bis hin zu Rechtsstreitigkeiten mit Bauunternehmen über Nachträge. Ein weiterer wichtiger Baustein für die langen Verfahren sind die Planfeststellungsbehörden und die anschließenden Klageverfahren vor Verwaltungsgerichten. Wir als Koalition packen hier Schritt für Schritt an. Mit den vorliegenden Gesetzen werden wir dafür sorgen, dass Ersatzbauten weitgehend ohne Genehmigung realisiert werden können, dass es beim öffentlichen Nahverkehr künftig einfache Plangenehmigungen und vorgezogene Maßnahmen gibt, die das Bauen schneller machen. Und wir werden die Kommunen bei höhengleichen Eisenbahnkreuzungen von den finanziellen Belastungen befreien. ({0}) Und wir werden dafür sorgen, dass bei acht Bahnstrecken und sechs Wasserstraßen mit Maßnahmengesetzen angepasst, ausgebaut oder elektrifiziert wird. Wir Abgeordnete übernehmen damit eine ganz besondere Verantwortung, gerade für diese Baumaßnahmen. Beim Bundesverkehrsministerium werden wir künftig drängeln und immer wieder nachfragen, wann endlich die vorgezogene gute Bürgerbeteiligung kommt. Wir werden auch darauf achten, dass beim Vorhabenträger genügend Menschen arbeiten, damit diese Projekte vorankommen. ({1}) Die wichtigste Aufgabe, die wir als Abgeordnete haben, ist, bei den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort für Akzeptanz und Verständnis zu werben. Wir tun dabei gut daran, die Wünsche, Anregungen und Proteste ernst zu nehmen und als demokratische Herausforderung anzusehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir in der Begründung noch einmal klargestellt haben, was gute Bürgerbeteiligung bedeutet. Ich bin davon überzeugt, dass mehr und bessere Bürgerbeteiligung eine größere Akzeptanz der Projekte mit sich bringt und bei größerer Akzeptanz schneller gebaut wird. Wir wollen auch nicht davor zurückschrecken, dass mehr und bessere Bürgerbeteiligung im ersten Schritt teurer ist; denn wir werden das am Ende durch weniger Klageverfahren, weniger Planergänzungen und eine schnellere Realisierung einsparen können. ({2}) Für die betroffenen Regionen bedeuten diese Maßnahmenprojekte die Chance auf besseren übergesetzlichen Lärmschutz, bessere Verkehrsanbindung und mehr alternative Möglichkeiten als bisher gesetzlich vorgesehen. Den Betroffenen, auch denjenigen, die gestern am Brandenburger Tor gegen dieses Gesetz demonstriert haben, sage ich: Nutzen Sie diese Chance für sich und Ihre Region; Sie können eine ganze Menge erreichen. ({3}) Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben wir auch die Beschäftigten im Blick, die an diesen Baumaßnahmen mitarbeiten: bei der Bahn, bei der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung und beim Eisenbahn-Bundesamt. Über viele Jahre wurde hier Personal eigespart und zu wenig auf die neuen Herausforderungen gesetzt. Dies korrigieren wir seit einigen Jahren. In den beiden letzten Großen Koalitionen haben wir den sozialdemokratischen Dreisatz unseres Haushälters Johannes Kahrs durchgesetzt: Stellen schaffen, Stellen entfristen und Stellen heben. ({4}) Dies werden wir fortsetzen. Mit einem starken, zugewandten Staat werden wir erfolgreich Infrastrukturprojekte realisieren. Sehr geehrter Herr Minister Scheuer, als Norddeutscher hat man ja gewisse Vorbehalte gegen bayerische Bundesverkehrsminister. ({5}) Manchmal hat man den Eindruck, dass Sie von Berlin aus nur Bayern im Blick haben. Aber seien Sie gewiss: Die norddeutschen Parlamentarier werden Ihnen jetzt verstärkt auf die Pelle rücken; denn wir wollen zügig die Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenweser, die Vertiefung des Nord-Ostsee-Kanals und den Ausbau der Eisenbahnstrecke von Niebüll nach Westerland in die Tat umsetzen. Ab heute werden wir Sie verstärkt in die Pflicht nehmen Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Torsten Herbst ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Torsten Herbst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004746, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns erstaunt schon etwas, dass die SPD den Verkehrsminister erst ab heute in die Pflicht nehmen will. Wir machen das schon länger. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. ({0}) Es gab Zeiten, da hat die Welt auf Deutschland geschaut. Wir waren absoluter Innovationspionier im Verkehrsbereich. Hier ist das erste Auto gerollt, hier fuhren die erste Straßenbahn, die erste Magnetschwebebahn. Und heute? Heute haben wir größte Mühe, Straßen und Schienenwege zu bauen; vom Flughafendrama etwas südlich von hier will ich gar nicht reden. Es gibt bei der Bahn Stellwerke aus der Kaiserzeit, die eigentlich ins Museum gehören und nicht mehr in den operativen Zugbetrieb. Unser Land ist international leider kein Vorbild mehr, sondern erregt eher Mitleid. Wir finden, das muss sich dringend ändern. ({1}) Wir hatten ja auch schon andere Zeiten. Nach der Wiedervereinigung wurden hier im Bundestag die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ beschlossen. Es ging um ein richtig hohes Volumen: 2 000 Kilometer Autobahn, 2 000 Kilometer Bahnstrecke, die neu ausgebaut werden mussten, 300 Kilometer Wasserstraßen. Damals haben wir gezeigt, dass es geht: Man kann beim Infrastrukturausbau schneller vorankommen. Daran sollten wir uns wieder orientieren. ({2}) Wir schauen oft neidisch auf Großprojekte in Asien, nach Dänemark oder in die Schweiz. Jeder kennt Projekte bei sich vor Ort, die in der Luft hängen. Ein Beispiel aus Sachsen; es geht um die Elektrifizierung der Strecke von Chemnitz nach Leipzig. Es geht schlichtweg darum, dass man irgendwann mal wieder Fernverkehr in eine Stadt wie Chemnitz bekommt. Die Elektrifizierung gliedert sich in zwei Abschnitte. Der Abschnitt zwischen Chemnitz und Geithain umfasst gerade einmal 40 Kilometer. Bereits 2009 wurde intensiv über das Vorhaben diskutiert. ({3}) Es gab erste Anstöße zur Vorplanung. Jetzt haben wir 2020. Raten Sie mal, wie viele Kilometer bisher elektrifiziert wurden? Null. Und wann soll es fertig werden? Im Optimalfall, wenn es hervorragend läuft, im Jahr 2028. Über zwei Jahrzehnte für 40 Kilometer Elektrifizierung, meine Damen und Herren, das ist einfach zu viel. Das verstehen die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nicht mehr. ({4}) Wenn wir als Deutschland im globalen Wettbewerb unseren globalen Wohlstand verteidigen wollen, dann brauchen wir eine leistungsfähige Infrastruktur, dann brauchen wir den Beschleunigungsturbo. Ansonsten werden wir als Verkehrsmuseum Europas enden. Die beiden Gesetzentwürfe, die das Bundesverkehrsministerium vorgelegt hat, sind kleine Schritte in die richtige Richtung. Wir hätten uns noch etwas mehr gewünscht, Stichwort: frühere Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung, Stichtagsregelungen für Prüfungen, um das Verfahren nicht immer wieder öffnen zu müssen, schlankere Genehmigungsverfahren mit der Vermeidung von doppelten Umweltprüfungen, die materielle Präklusion und eine Mitwirkungspflicht für Umweltverbände, um die Zahl der Blockadeklagen zu verringern. Diese Punkte hätten für eine weitere Beschleunigung gesorgt. Wir bedauern, dass diese in den Gesetzentwürfen nicht enthalten sind. ({5}) Wir reden hier sehr viel – auch der Verkehrsminister hat es getan – über das Thema Schiene und ÖPNV. Aber, wenn wir uns die Zahlen anschauen, stellen wir fest: Rund 80 Prozent des Personentransports in unserem Land findet über die Straße statt, über den motorisierten Individualverkehr, über das Auto. Deshalb reicht es nicht, wenn wir bei Beschleunigung nur an Schienenprojekte und Wasserstraßen denken, sondern es muss auch darum gehen, beim Straßenbau den Turbo einzuschalten. ({6}) Für uns als Freie Demokraten sind die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe in der Debatte um die Planungsbeschleunigung nicht die Endpunkte, sondern der Anfang. Wir können bei dieser nicht ganz so ambitionierten Koalition allerdings auch nicht zu wählerisch sein. Deshalb werden wir beiden Gesetzentwürfen zustimmen. Danke schön. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Jörg Cezanne. ({0})

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lange Planungs- und Bauzeiten bei Großprojekten sind ein Problem. Ja, sie sind vor allen Dingen deshalb ein Problem, weil wir den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der öffentlichen Infrastruktur so dringend für die Abwendung des Klimanotstands brauchen. ({0}) Welche Maßnahmen sind dafür notwendig? Ich nenne vier Maßnahmen. Erstens. Die mit der Planung befassten Ämter und Institutionen in den Kommunen, bei den Ländern und beim Bund müssen personell und finanziell so ausgestattet werden, dass sie ihre Aufgaben auch erfüllen können. ({1}) Die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung ist ein besonders trauriges Beispiel dafür, wie man durch überzogene Vorstellungen von Bürokratieabbau, indem man Stellen kürzt, eine Verwaltung einfach kaputtsanieren kann. ({2}) Zweitens. Insbesondere für die finanziell schwachen Kommunen müssen die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Eine Entschuldung dieser Kommunen ist dringend anzustreben. ({3}) Drittens. Für die Baufirmen und Ingenieurbüros, die die Planungen umsetzen, muss eine langfristige Investitionsverpflichtung, insbesondere des Bundes, erkennbar sein. ({4}) Sie müssen wissen: Es lohnt sich, Personal einzustellen und Kapazitäten bereitzuhalten. DGB und BDI haben vor einigen Wochen ein Zehnjahresinvestitionsprogramm über 450 Milliarden Euro zusätzlich vorgeschlagen. Das wäre ein wichtiges Signal. ({5}) Viertens. Der Bundesverkehrswegeplan ist bislang nur eine Zusammenstellung von Verkehrsprojekten. Wichtig wäre, daraus eine Netzplanung zu erarbeiten, durch die der Wildwuchs von unverbundenen Planungsvorhaben durch eine zielgerichtete Netzplanung ersetzt wird. In deren Mittelpunkt muss die Verlagerung vom Straßenverkehr auf die umweltschonenden Verkehrsträger stehen. ({6}) Mit den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen wird all das nicht erreicht. ({7}) Stattdessen soll der Bundestag jetzt selber Baurecht schaffen und beschließen. Der Verkehrsausschuss wird zur Planungsbehörde. ({8}) Sie setzen damit ein Verfahren wieder ein, das bei den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ schon einmal nicht geklappt hat. ({9}) Nur ganze zwei Projekte sind überhaupt in diesem Gesetzgebungsverfahren durchgeführt worden. Alles andere hat man dann doch wieder auf dem herkömmlichen Wege gemacht. Das ist also kein kluger Weg. ({10}) Die Bundesländer haben eine Vielzahl von Einwänden vorgebracht, die relativ weitreichend sind. Sie sehen das Gemeinwohlverständnis einseitig ausgelegt. Die Naturschutzverbände, denen eine gerichtliche Prüfung der Gesetze untersagt wird, sehen keine besondere Ausnahmesituation, die eine Beschneidung des Rechtsschutzes für Dritte bei den vorgeschlagenen 12 bis 14 Projekten – inzwischen sind wir ja bei 14 Projekten – rechtfertigen würde. Sie weisen auch darauf hin, dass vor allen Dingen die Planungsbehörden personell und finanziell besser ausgestattet werden müssen, damit die Planungsverfahren beschleunigt werden können. ({11}) Positiv ist an dem Gesetzentwurf einzig die angestrebte frühe Öffentlichkeitsbeteiligung. Allerdings bleibt sie im Gesetz mehr Absichtserklärung als verbrieftes Recht. Entscheidend wird sein, dass in den vorbereitenden Beteiligungsverfahren nicht nur das Wie eines bereits beschlossenen Verfahrens beraten werden kann, sondern auch bereits das Ob: Ist das eine sinnvolle Maßnahme? Ohne das wird es keine Akzeptanzverbesserung bei den Bürgerinnen und Bürger geben. ({12}) Jetzt zu der eigentlichen Frage: Ist die vorgebliche Klagewut der Verbände überhaupt ein relevantes Problem? Nach Vortrag eines Sachverständigen in der Anhörung hat es zwischen 2008 und 2018, also in zehn Jahren, überhaupt nur sechs Klagen bei Bahn- und fünf Klagen bei Wasserstraßenprojekten gegeben. Das Umweltbundesamt bestätigt, dass nur bei jedem 58. Verfahren mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung eine Klage eingereicht wird. Das sind weniger als 2 Prozent aller Verfahren. Dabei sind diese wenigen Klagen auch noch überdurchschnittlich erfolgreich. Fast die Hälfte der Klagen hat vor Gericht Erfolg, im Gegensatz zu anderen Verwaltungsverfahren, wo lediglich 12 Prozent Erfolg beschieden wird. Die hohe Zahl macht deutlich, dass die Klagemöglichkeit für Verbände ein wichtiges Korrektiv für umweltfachlich unzureichende Planungen ist. ({13}) Während wir das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz – wer auch immer sich diesen Namen ausgedacht hat – aus den genannten Gründen ablehnen, sind im Planungsbeschleunigungsgesetz zumindest einzelne sinnvolle Punkte zu nennen. Insbesondere begrüßen wir, dass der Bund in den Ausbau und Unterhalt von Kreuzungen von Bahnstrecken und Straßen einsteigt. Bisher waren die Städte und Gemeinden verantwortlich. In vielen Fällen kam es zu erheblichen Verzögerungen, weil die Städte und Gemeinden die Finanzmittel einfach nicht hatten. Das ist immerhin ein Fortschritt. Dafür: Danke schön. ({14})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Stephan Kühn hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz ist neuer Wein in alten Schläuchen und wird Vorhaben nicht beschleunigen. Um Projekte schneller baureif zu bekommen, soll Baurecht wie einst bei den schon genannten Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ per Gesetz erwirkt werden; statt einem Verwaltungsakt soll also der Deutsche Bundestag entscheiden. Was vernünftig klingt – mehr Verantwortung für das Parlament –, ist bei genauerer Betrachtung lediglich ein Instrument, um den Rechtsschutz von Bürgerinnen und Bürgern und von Umweltverbänden einzuschränken; denn gegen ein per Gesetz genehmigtes Verkehrsprojekt kann nur eine Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. Doch das ist ein eklatanter Verstoß gegen europäisches Recht und gegen die Århus-Konvention, eine völkerrechtliche Vereinbarung, die den Zugang zu Gerichten bei Umweltangelegenheiten sicherstellt. ({0}) Offenbar will der Minister ein zweites Mal vor dem EuGH scheitern. Bei den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ hat dieses Verfahren – das ist schon gesagt worden – übrigens zu keinerlei Beschleunigung geführt. Deshalb ist man davon wieder abgerückt. Welchen Beitrag eine stärkere Parlamentsbefassung zur Beschleunigung leistet, sehen wir aktuell: Bei Schienenprojekten ist der Bundestag bereits jetzt stärker einbezogen. Die Vorplanung für die Ausbaustrecke Hanau–Gelnhausen liegt seit Juni 2019 vor, die der Strecke Hamburg–Lübeck–Puttgarden seit Oktober. Bis heute fand keine Beratung im zuständigen Ausschuss statt. Meine Damen und Herren, das ist keine Be-, sondern das ist eine Entschleunigung. ({1}) Ich bin überzeugt: Wir schaffen keine Akzeptanz für Infrastrukturprojekte, wenn wir die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern und Verbänden beschneiden. Wir brauchen mehr Kooperation statt Konfrontation in der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Umweltverbänden. Man sieht sie oft als Gegner und nicht als Gesprächspartner auf Augenhöhe. Wenn die Belange des Naturschutzes von Anfang an berücksichtigt werden, kommt man zu besseren und damit auch zu schnelleren Planungen; davon bin ich überzeugt. ({2}) Bürgerinnen und Bürger werden nicht oder oft zu spät an Verfahren beteiligt, oft erst dann, wenn die Grundsatzentscheidung längst gefallen ist und es nur noch um Details geht, wie beispielsweise die Höhe einer Lärmschutzwand. Dadurch wird die Akzeptanz von Planung aber systematisch geschwächt, organisieren sich Widerstände und werden Klagen gegen Projekte geradezu provoziert. Notwendig ist eine verbindliche, umfassende und frühzeitige Bürgerbeteiligung – auch das ist schon gesagt worden –, bei der auch Alternativen zur Sprache kommen müssen. ({3}) Beim Bundesverkehrswegeplan durften die Bürgerinnen und Bürger Alternativen zu Projekten vorschlagen. Aber bei weit über 1 000 Straßenprojekten ist keine einzige dieser Alternativen wirklich berücksichtigt worden. Meine Damen und Herren, das ist nichts anderes als Pseudobeteiligung. ({4}) Es fehlt an Standards, was echte, transparente Bürgerbeteiligung bedeutet. Im Gesetz findet man dazu leider gar nichts. Es gibt vom Bundesverkehrsministerium ein Handbuch zur Bürgerbeteiligung bei Großprojekten – eine sehr gute Sache –; es ist nur nie verbindlich zum Standard gemacht worden – das ist das Problem –, und es wird auch heute nicht dazu gemacht. Es verstaubt also weiter in der Vitrine und kommt nicht zur Anwendung. Das Verkehrsministerium trägt auch selber die Verantwortung für erhebliche Planungsverzögerungen. Die Datengrundlagen für die Ermittlung der Kosten von Verkehrsprojekten und die dazugehörige Nutzen-Kosten-Untersuchung sind oftmals nicht belastbar und nicht transparent. Das kritisiert der Bundesrechnungshof bei der Bundesverkehrswegeplanung seit Jahren. Deshalb gab es immer wieder erfolgreiche Klagen gegen diese Datengrundlage. Das kann man besser machen. Dafür ist das Verkehrsministerium verantwortlich. Hauptgrund für Verzögerungen ist – auch das ist schon genannt worden; man muss es aber betonen – fehlendes Personal in den Planungs- und Genehmigungsbehörden, die unter dem Credo eines schlanken Staates in den vergangenen Jahren kaputtgespart wurden. Was wir brauchen, ist eine Einstellungsoffensive. Wir müssen mehr in Ausbildung und Qualifizierung investieren. Nur dann kommen wir schneller voran. ({5}) Es ist vollkommen richtig, dass viele Verfahren schlanker werden können und müssen. Bei Neubauvorhaben werden zahlreiche im üblichen vorgeschalteten Raumordnungsverfahren geprüfte Aspekte im sich anschließenden Planfeststellungsverfahren erneut geprüft, was Zeit kostet. Hier könnten Doppelprüfungen vermieden werden. Es fehlt eine bundesweite Standardisierung von Umweltuntersuchungen. Die Bewertung von Natur- und Umweltschutzbelangen könnte durch Leitfäden deutlich einfacher und auch gerichtsfester und damit zuverlässiger gemacht werden. Im zweiten Gesetz, über das wir heute abstimmen, wird geregelt, dass für Ersatzneubauten wie Brücken keine umfangreichen Planfeststellungsverfahren mehr nötig sind. Gleiches sollte gelten, wenn Bahnstrecken elektrifiziert, mit digitaler Technik oder mit Lärmschutzwänden ausgestattet werden. Mir ist durchaus bewusst, dass das kein einfaches Unterfangen ist. Aber wir sollten diesen Weg zumindest genauer prüfen. Das zweite Gesetz, das wir heute verabschieden, ist das Gesetz zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dem stimmen wir zu – das hat sich ja schon beim Verkehrsminister herumgesprochen –, ({6}) weil richtigerweise die Kommunen von der Mitfinanzierung bei Schieneninvestitionen befreit werden und auch weil – das ist ein wesentlicher Grund für die Zustimmung – dieses Gesetz durch Änderungen der Koalitionsfraktionen auf die ÖPNV-Infrastruktur ausgeweitet wurde, damit es dort zu zügigeren Planungen kommt. Wir freuen uns, dass Sie da unsere alten Vorschläge aufgegriffen haben. Wir haben vor einem Jahr beim ersten Entwurf eines Planungsbeschleunigungsgesetzes kritisiert, dass Sie den Nahverkehr, den Problemlöser für den Klimaschutz, bei der Planungsbeschleunigung vergessen haben. Ihre Einsicht würdigen wir heute mit einer Zustimmung. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Reinhold Sendker hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Reinhold Sendker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004153, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende November haben wir mit dem Verkehrshaushalt 2020 einen weiteren großen Schritt in Richtung Planungsbeschleunigung gemacht. Neben Rekordinvestitionen in unsere Infrastruktur – lieber Herr Kollege Kühn, das sollten Sie würdigen – ist deutlich mehr Personal für die zentralen Genehmigungsbehörden, also für das Eisenbahn-Bundesamt und für die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung – vorgesehen. ({0}) Ich stelle fest: Das ist ein sehr gutes Fundament für leistungsfähige Verkehrswege und ein Erfolg unserer Koalition. Problematisch ist aber, dass Projekte, die für das Gesamtnetz von hoher Bedeutung sind, zu langsam vorankommen. Wenn sich unser Land als führender Wirtschaftsstandort behaupten soll und wir vor allem auch die Klimaziele für 2030 erreichen wollen, dann müssen gerade diese wichtigen Verkehrsprojekte schneller realisiert werden, meine Damen und Herren. ({1}) Dabei kommt es vor allem auf den Ausbau von Schienen- und Wasserwegen an. Die Gesetzentwürfe, über die wir gleich abstimmen werden, zielen genau auf diesen Punkt. Das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz – ich nenne besser die Kurzform, wir wollen ja beschleunigen: das MgvG – schafft die notwendigen Voraussetzungen für nunmehr 14 Verkehrsprojekte. Unter diesen 14 Verkehrsprojekten befinden sich auch fünf Wasserstraßen, bei denen dringender Handlungsbedarf besteht. Beispielhaft dafür nenne ich den Wesel-Datteln-Kanal. Er ist 60 Kilometer lang, seit 1930 in Betrieb. Dort werden jährlich von 20 000 Schiffen 18 Millionen Tonnen Güter transportiert. Neben dem Rhein ist das die meistbefahrene Wasserstraße Deutschlands und eine der wichtigsten Schlagadern der NRW-Wirtschaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir hier nicht bald sanieren, dann könnte es dort sogar zu einem Kanalkollaps kommen. Ein solcher Totalausfall oder Teilausfall würde uns 1 Million bis 2 Millionen Lastwagen mehr auf die Straße bringen und einen volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe bescheren. Das wollen wir nicht. ({2}) Deshalb brauchen wir diese gesetzlichen Grundlagen. Was wir jetzt vor allem brauchen – ich sage es laut und deutlich –: deutlich mehr Planungsbeschleunigung! ({3}) Die vorliegenden Gesetzesvorhaben verkürzen langwierige Genehmigungsverfahren und beschleunigen Gerichtsentscheidungen. Das spart Zeit, bürokratischen Aufwand und Doppelprüfungen – im Unterschied zu den vielen Projekten, bei denen über Jahrzehnte hinweg geplant, geprüft, geklagt und notgedrungen gewartet wurde und noch gewartet wird. Schließlich geht es bei derartigen Verkehrsprojekten, liebe Kolleginnen und Kollegen, immer auch um die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen, also letztendlich um Wachstum und Wohlstand. Es ist unsere Aufgabe – dafür wollen wir uns weiter einsetzen –, das zu stärken. ({4}) Der Gesetzentwurf zur Planungsbeschleunigung enthält weitere sehr positive Ansätze, die ja auch in der Ausschussberatung auf breite Zustimmung gestoßen sind. Ja, damit tun wir auch heute Gutes für unsere Kommunen. So werden die Städte und Gemeinden von Finanzierungsbeiträgen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz entlastet. Die Neuregelung bewirkt im Ergebnis, dass Kreuzungsbauwerke schneller realisiert werden können. Verehrte Damen und Herren, das ist ohne Zweifel ein Riesenthema für die Kommunen. ({5}) Da ist ferner die Planungsbeschleunigung – der Minister hat davon gesprochen – im ÖPNV-Bereich. Auch sie ist mit Blick auf unsere Klimaziele – das muss hier gesagt werden – von ganz hoher Bedeutung. Ja, Herr Minister, diese Woche ist weiß Gott eine sehr ertragreiche Woche – für die Verkehrsinvestitionen in Deutschland, für weitere Entlastungen der Kommunen, mit einem starken Signal für den schnelleren Ausbau dringender Verkehrsprojekte. Vielen Dank dafür! Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, danke ich für eine zielführende und gute Beratung im Ausschuss. Ich darf aber noch anregen, in Zukunft die Diskussion um geeignete Optionen bei der Planungsbeschleunigung weiterzuführen. Ich bitte Sie heute darum, den vorliegenden Gesetzentwürfen zuzustimmen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Dirk Spaniel, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieses Land bremst sich selber aus. Es gibt den Stau nicht nur auf Straßen und Autobahnen, sondern auch bei den Investitionen in neue Verkehrsinfrastrukturprojekte. Während in China innerhalb von vier Jahren einer der größten Flughäfen der Welt gebaut wird, ({0}) versenken wir hier Milliarden für eine Ruine vor den Toren Berlins. Dieser gescheiterte Flughafen ist ein Symbol für Ihr planungspolitisches Versagen. ({1}) Weil Sie es gerade angesprochen haben: Die schnelle Durchführung von Infrastrukturprojekten geht auch in europäischen Demokratien. Das zeigt das Beispiel Dänemark anhand der Fehmarnbeltquerung. Aber auch das ist, wie gesagt, nur ein Beispiel. Es ist zwar weniger populär, aber das eigentliche Übel sind der fehlende Ausbau und die fehlende Instandhaltung von neuen Straßen und Brücken für unseren Verkehr. Seit Jahren erleben wir, wie unser Straßennetz unter dem zunehmenden Verkehr leidet und nicht mehr funktioniert. Der Verkehr hat seit den 70er-Jahren drastisch zugenommen; aber die Fahrbahnlänge hat da bei Weitem nicht mitgehalten. Da habe ich mir bei dem vorgelegten Planungsbeschleunigungsgesetz der Bundesregierung erhofft, dass wir nun dringende Investitionen gerade für die Straße einfacher und schneller umsetzen können. Doch hinter dem Slogan „Mehr Tempo für die Infrastruktur“ steckt eine Mogelpackung. ({2}) Gefördert werden ausgewählte Pilotprojekte, mal wieder für die Schiene und ein paar Wasserstraßen. ({3}) Während Schienenprojekte nun Gesetzesrang erhalten, versumpft der Straßenneubau weiterhin auf der Verwaltungsebene. ({4}) Ihren Gesetzentwurf kann man auch so interpretieren: Die Regierung will per Gesetz klimaideologisch die Bahn noch stärker bevorzugen, obwohl die Straße mit weitem Abstand den Hauptteil des Personen- und Güterverkehrs in unserem Land abdeckt. ({5}) Noch mal: Über 80 Prozent des Personen- und Güterverkehrs werden auf der Straße abgewickelt. ({6}) Und hat denn die Regierung überhaupt ein Verkehrskonzept, wie man diese Zahlen signifikant ändern könnte? Dass Sie kein Verkehrskonzept haben, weiß ich. Aber wer die Bahn aus ideologischen Gründen zum Hauptverkehrsmittel machen will, kämpft nicht gegen die AfD, sondern kämpft gegen die Realität. ({7}) Ja, wir brauchen eine deutliche Beschleunigung der Infrastrukturplanung. Was wir jedoch nicht brauchen, ist eine esoterisch basierte klimaneutrale Verkehrswende. Über die Finanzierung von Verkehrsprojekten muss auf Grundlage von Kosten-Nutzen-Kalkulationen entschieden werden. Dort, wo viele Bürger ihre Autos nutzen, braucht es den Ausbau von Straßen ({8}) und keine staatlichen Umerziehungsmaßnahmen hin zu alternativen Verkehrsmitteln, wie Sie es immer propagieren. ({9}) Wir werten die Anträge von Koalition und FDP als einen ersten Schritt aus ihrer selbstverschuldeten Lähmung. Ausreichend ist dieser Schritt aus unserer Sicht jedoch nicht. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Kirsten Lühmann. ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Für die Realisierung unserer Verkehrsinfrastrukturvorhaben muss sich eine Planungs- und Beteiligungskultur etablieren, die sich auf allen Seiten durch ein offenes und vor allem lösungsorientiertes Miteinander auszeichnet. Vorbehalte betroffener Bürgerinnen und Bürger müssen ernst genommen werden. Zugleich lohnt es sich im Sinne der Projektoptimierung, den vor Ort artikulierten Sachverstand zu nutzen. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das steht im Vorwort des „Handbuches für eine gute Bürgerbeteiligung“, und das gibt es bereits seit 2014 – ein hervorragendes Werk; ich empfehle es jedem und jeder zur Lektüre. Aber was ist das Problem? Es wurde hier schon angesprochen: Die Anwendung dieses Handbuches ist nicht verpflichtend. Warum wird es so selten angewandt? Zum einen kostet gute Bürgerbeteiligung Geld. Zum anderen glauben immer noch viele Planer und Planerinnen, gute Bürgerbeteiligung koste zu viel Zeit. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein gravierender Fehler. ({0}) Wir brauchen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, einen verstärkten Ausbau von Bahn und Wasserstraßen. Wir haben in diesem Haus für alle Verkehrsträger, aber insbesondere für diese beiden sehr viel Geld zur Verfügung gestellt. Ich glaube, dass die Menschen in diesem Lande von uns nicht nur erwarten, dass wir das Geld zur Verfügung stellen, sondern auch, dass wir dafür sorgen, dass damit die dringend benötigte Infrastruktur auch gebaut werden kann. ({1}) Aber jede Baumaßnahme belastet die Anwohnenden durch Lärm, durch Erschütterungen, durch Flächenverbrauch. Natürlich: Wer davon betroffen ist, wird sich auch mit einer Klage zur Wehr setzen. Unsere Idee ist jetzt: Wenn wir diese vorgezogene Bürgerbeteiligung machen und die ganzen Bedenken jetzt schon im Vorfeld aufnehmen, dann wird es später, bei den Erörterungsterminen, weniger Probleme geben. Das heißt, wir können schneller bauen und nicht langsamer. Aber die Frage ist: Was ist gute Bürgerbeteiligung? Gute Bürgerbeteiligung ist nicht das, was ich eben gehört habe; es geht nicht um die Frage, ob wir bauen oder nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ob haben wir im Bundesverkehrswegeplan geklärt. Das ist erledigt. Gute Bürgerbeteiligung heißt aber, dass man sich über das Wie Gedanken macht, und zwar nicht so, dass einem die Varianten eins und zwei hingeschmissen werden, und dann kann man wählen, und das war’s. Gute Bürgerbeteiligung heißt vielmehr: Die Menschen werden von Anfang an bei der Entwicklung dieser Varianten einbezogen. Das wollen wir mit diesem Gesetz realisieren. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Keul?

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Frau Kollegin, Sie haben ja jetzt noch mal betont, wie wichtig Bürgerbeteiligung, Vertrauen und Akzeptanz sind. Das teile ich alles. Aber wieso meinen Sie, dass die Menschen, zum Beispiel auch in dem Gebiet zwischen Hannover und Bielefeld, jetzt mehr Vertrauen in die Bürgerbeteiligung haben sollten, wenn man ihnen von vornherein klarmacht, dass sie keine Klage mehr gegen einen Verwaltungsakt erheben können, und man ihnen den Rechtsweg abschneidet, indem jetzt der Bundestag anstelle einer Planungsfeststellungsbehörde entscheidet, was jedoch überhaupt nicht unsere Aufgabe ist und was die Experten überwiegend als verfassungswidrig bezeichnet haben? Warum soll ausgerechnet dieses Gesetz das Vertrauen der Bürger in die Prozesse erhöhen? ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank für die Frage. – Ich glaube, wir können das Vertrauen gerade dieser, aber auch anderer Bürgerinnen und Bürger dadurch erlangen, dass wir ihnen sagen, was in diesem Gesetz wirklich steht. In diesem Gesetz steht nicht, dass wir die Bürgerbeteiligung beim möglichen Bau einer neuen Bahnstrecke Hannover–Bielefeld mit einem Maßnahmengesetz dieses Bundestages beenden werden; das steht da ausdrücklich nicht. ({0}) – Nein, das steht da nicht. Da steht etwas drin, was für die Bürgerbeteiligung sehr von Vorteil sein wird, insbesondere bei dieser Strecke, nämlich dass eine frühzeitige Bürgerbeteiligung verpflichtend ist, also nicht eine nette Geste der Bahn oder von uns. Die Bürgerinnen und Bürger haben also ein Recht darauf. Sie haben auch ein Recht auf eine bestimmte Qualität der Bürgerbeteiligung. Das haben wir ja gerade in unserem Änderungsantrag festgeschrieben. Auch dass diese Bürgerbeteiligung zusätzlich ist, es also eine weitere Bürgerbeteiligung in dem normalen, anschließenden Planfeststellungsverfahren gibt, haben wir im Änderungsantrag festgeschrieben. Das heißt, wir weiten Bürgerbeteiligung aus; wir schränken sie nicht ein. Und Sie haben recht: Am Ende dieses Planungsverfahrens steht nicht automatisch das Maßnahmengesetz im Bundestag – Sie haben ja die verfassungsrechtlichen Bedenken angesprochen –, sondern dann muss abgewogen werden, auch für das Projekt Hannover–Bielefeld: Kann man ein Maßnahmengesetz machen? Sind die Vorteile der Beschleunigung dieser Maßnahmen so groß, dass die Nachteile, die Sie angesprochen haben – dass man nur noch einen Klageweg hat –, dadurch aufgehoben werden? Das ist ein Abwägungsprozess, den uns das Verfassungsgericht aufgegeben hat. Der wird auch bei Hannover–Bielefeld zwingend sein. Bei diesem Verfahren kann durchaus herauskommen, dass man sagt: Nein, mit einem Planfeststellungsverfahren geht es genauso schnell. – Dann übrigens ist das Maßnahmengesetz verboten. Dann können wir nicht sagen: Wir wollen das, das ist hübscher. – Dann dürfen wir es nicht, und dann wird es auch nicht kommen. Ich glaube, wenn wir den Menschen klarmachen, dass dieses Maßnahmengesetz für Hannover–Bielefeld nur kommt, wenn alle Bedingungen des Verfassungsgerichtsurteils erfüllt sind – das heißt, wenn der Vorteil für die Allgemeinheit den Nachteil, dass man nur einen Klageweg hat, überwiegt –, dann wird es kommen. Der Vorteil dabei ist, dass sie eine bessere Bürgerbeteiligung haben. Ich glaube, dann können wir das – wie Sie zu Recht ansprechen: verlorengegangene – Vertrauen wiedergewinnen. ({1}) Jetzt habe ich schon viel dazu gesagt, wie das Verfahren laufen wird. Es wird nicht nur bei Hannover–Bielefeld so laufen, sondern es wird bei allen Verfahren so laufen. Das heißt, zusammenfassend kann ich feststellen: Wir haben erstens nicht weniger Bürgerbeteiligung, sondern wir haben mehr Bürgerbeteiligung. Das legen wir mit unserem Änderungsantrag noch mal fest. Das Zweite ist: Nicht alle diese 14 Projekte, die jetzt auf der Liste stehen, werden mit einem Maßnahmengesetz beendet werden – davon bin ich fest überzeugt –, sondern nur wenige: die, die geeignet sind. Das Dritte ist aber: Für alle diese 14 Projekte wird es einen sofortigen Einstieg in die vorgezogene Bürgerbeteiligung geben. Wir haben aus dem Ministerium gehört, dass das gemacht wird. Das heißt, für diese 14 Projekte gibt es nicht nur eine bessere Bürgerbeteiligung, sondern auch eine Beschleunigung des Verfahrens. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich glaube, die Menschen in diesem Land erwarten von uns, dass wir uns kümmern, damit wir einen schnelleren Ausbau von klimaneutralen Verkehrswegen haben, dass wir neue Verfahren testen, dass wir Erfahrungen sammeln und dass wir beim Verfahren Verbesserungen vornehmen. In diesem Sinne rufe ich Sie auf: Lassen Sie uns gemeinsam aktiv werden, im Sinne der Menschen, im Sinne der Mobilität und im Sinne des Klimaschutzes! Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion der Kollege Oliver Luksic. ({0})

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind Exportland, Transitland in der Mitte Europas. Unsere Infrastruktur ist in der Tat an vielen Ecken und Enden marode. Deswegen ist es richtig, dass wir heute einen Schritt in die richtige Richtung gehen. Das Problem ist ja der Abruf der Mittel in allen Gebietskörperschaften, auch beim Bund. Deswegen ist es richtig: Wir brauchen Planungsbeschleunigung. Der Ruf nach neuen Konjunkturpaketen geht an der Sache vorbei. ({0}) Wir hätten uns noch weitere Schritte gewünscht. Das gilt für die Maßnahmen – Straßenbau fehlt; die Moselschleusen wären wichtig gewesen –, aber es fehlt auch das gesamte Thema des Umweltrechtes. Die Präklusion war ja Teil des Gesetzgebungsverfahrens; sie wurde herausgenommen. Sie wäre wichtig gewesen, und wir müssen das Thema angehen. Einige Kollegen der Union haben das in einem Elf-Punkte-Papier aufgeschrieben, wie zum Beispiel der Kollege Ploß. Wir müssen das angehen. Schauen Sie mal zum Brenner! Schauen Sie zum Fehmarnbelttunnel! Die Nachbarn warten auf uns. Wenn wir die Bahnverbindungen wirklich ausbauen wollen, dann müssen wir das Thema angehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, was Sie hier angesprochen haben, auch mit der Frage eben, zeigt ganz klar: Sie stehen beim Thema „Beschleunigung bei der Bahn“ auf der Bremse. Sie müssten mal beschleunigen. Das wäre wichtig für unser ganzes Land. ({1}) Die Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion zum Thema „Zustand der Brücken“ hat klar gezeigt, dass die Lage an ganz vielen Stellen in Deutschland wirklich dramatisch ist. Dafür steht leider sinnbildhaft die Lage in Ludwigshafen, wo die Hochstraße Süd die gesamte Innenstadt lahmlegt. Das ist eine Brücke, die jetzt gesperrt werden musste. Es braucht ein Planfeststellungsverfahren nur für den Abriss, dann noch mal eins für den Bau. Das kann wirklich nicht sein! Die Bürgerinnen und Bürger in Ludwigshafen leiden. Die BASF hatte erst das Niedrigwasser; jetzt kann sie jahrelang nicht angefahren werden. Das soll jetzt etwas schneller gehen: 2025, wenn das kommt, was wir heute beschließen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind der festen Überzeugung: Der Industriestandort Deutschland kann es sich nicht leisten, so lange zu warten. ({2}) Ja, das ist eine gute Woche für den Verkehr. Deswegen werden wir beiden Gesetzentwürfen zustimmen. Aber auch in dieser guten Woche gehört es zur Betrachtung dazu, auf den Bundesrechnungshof zu hören und auch mal die eigenen Fehler aufzuarbeiten, Herr Minister Scheuer. Wer von einer grün-gelben Hetzkampagne redet, sollte im Kopf haben, dass der Bundesrechnungshof keine Vorfeldorganisation von FDP und Grünen ist. ({3}) Herr Minister Scheuer, Ihr Auftritt bei Herrn Lanz war wirklich bemerkenswert. Herr Lanz hat ja von albanischen Hütchenspielertricks gesprochen. ({4}) Kennen Sie Belinda Balluku? Das ist die albanische Verkehrsministerin. Der wirft man übrigens nicht vor, Haushaltsrecht, Vergaberecht und Europarecht gebrochen zu haben. Deswegen hat die albanische Regierung zu Recht protestiert. ({5}) Auch das Mobilfunknetz in Albanien ist mindestens so gut wie das in Deutschland, wie Studien belegt haben. ({6}) Deswegen: „Hütchenspielertricks“ ist wohl leider angemessen, „albanische Hütchenspielertricks“ ist wirklich unfair gegenüber Albanien und der Regierung von Albanien. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Christoph Ploß, CDU/CSU. ({0})

Dr. Christoph Ploß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004854, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist schon seit Langem klar, dass wir bei Infrastrukturprojekten in unserem Land schneller planen und bauen müssen. Deswegen ist es für uns heute ein sehr, sehr guter Tag: Mit diesen Gesetzen machen wir einen großen Fortschritt, um dieses Ziel zu erreichen. Denn Minister Scheuer hat es in seiner Rede völlig zu Recht dargelegt: Jeder von uns kennt doch Beispiele, bei denen es teilweise Jahre oder Jahrzehnte gedauert hat, bis ein Infrastrukturprojekt endlich fertig war, egal ob im Norden, Süden, Westen oder Osten unseres Landes. Man kann die Autobahnstrecke A 20 als Beispiel nehmen. Ich als Hamburger kenne natürlich in erster Linie die Elbvertiefung. Man kann aber auch die Bahnstrecke Berlin–München nehmen: Als man mit der Planung begonnen hat, bin ich noch nicht mal in die Grundschule gegangen. Sie ist vor zwei Jahren fertiggestellt worden. Unser geschätzter Kollege Philipp Amthor war bei Planungsbeginn noch nicht einmal geboren. ({0}) Insofern sieht man, wie lange das gedauert hat. Solche Beispiele findet man zuhauf in unserem Lande. Die Gesetze heute sind auch deswegen so wichtig, weil sie eng mit der Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland in Verbindung stehen. Viele Logistiker, viele Unternehmer klagen völlig zu Recht, dass die Autobahnen, die Schienen, die Wasserstraßen teilweise sanierungsbedürftig sind und dass wir neue Bahnverbindungen brauchen. Deswegen wollen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion das beschleunigen, gemeinsam mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und dem zuständigen Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann. ({1}) Aber die Gesetze heute sind auch wichtig für alle Bürger dieses Landes. Denn wahrscheinlich kennt jeder im Bekanntenkreis die Klagen: „Die Bahn kam mal wieder zu spät“ oder „Die Bahnen fahren nicht regelmäßig“ oder „Es stockt irgendwo im Schiffsverkehr“. Auch diese Probleme werden wir mit den Gesetzen heute anpacken. Diese Gesetze sind aber nicht nur deswegen so wichtig, weil sie für den Wirtschaftsstandort Deutschland oder für die Mobilität insgesamt von Bedeutung sind, sondern auch, weil sie eng mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung verbunden sind. Wir wollen die Klimaschutzziele von Paris erreichen. Dafür brauchen wir aber auch einen Ausbau der Bahnverbindungen. Lieber Kollege Spaniel, das ist enorm wichtig; denn nur wenn es gute Bahnverbindungen gibt, werden Menschen umsteigen und mehr Logistiker die Güter von der Straße auf die Schiene verlagern. Auch das packen wir heute an. Deswegen sind die Gesetze so gut: weil wir damit den Ausbau der Schieneninfrastruktur deutlich verbessern. ({2}) Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch das ist angeklungen –, ist das Problem natürlich vielschichtig. Deswegen ist das heute, wenn wir über die Planungsbeschleunigung in Deutschland reden, der Start. Wir müssen aber auch auf der europäischen Ebene ansetzen. Ich würde mir wünschen, dass das auch ein Thema der deutschen Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union wird. Wir müssen auch an die Einschränkungen des Verbandsklagerechts ran. Wir haben nämlich viele Verbände, die Infrastrukturprojekte in unserem Land einfach nur blockieren. ({3}) Wir müssen auch über so etwas wie eine stärkere Digitalisierung der Verwaltung reden. Denn es kann nicht sein, dass in einigen Behörden Planunterlagen teilweise nur von 10 Uhr bis 15 Uhr zugänglich sind. Wichtig ist auch eine frühzeitige Bürgerbeteiligung. All das wollen wir in den nächsten Monaten weiter anpacken. ({4}) Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehören aber wichtige Infrastrukturprojekte natürlich auch in die Hände gewählter demokratischer Parlamente. Das ist ein entscheidender Kern der Gesetzentwürfe, die wir heute verabschieden. Wir werden mit ihrer Hilfe die Projekte um Jahre beschleunigen und die Verfahren verbessern. Wenn wir nach Dänemark schauen, sehen wir, wie man es machen kann: Bei der Fehmarnbeltquerung sind die Dänen bereits mit all ihren Planungen fertig, während bei uns noch Tausende Klagen anhängig sind. All das ist heute mit Blick auf die Stärkung der Wirtschaftspolitik, der Verkehrspolitik und der Umweltpolitik von Bedeutung. Wir als CDU/CSU-Fraktion wollen nicht länger akzeptieren, dass der Umbau von Kreuzungen in unserem Land länger dauert als der Bau neuer Flughäfen in anderen Ländern der Welt. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Johann Saathoff. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stau auf der Autobahn ist ärgerlich. Der Begriff „Stau“ steht sinnbildlich für die Planung und den Bau von Verkehrsanbindungen in Deutschland. Dabei will ich nicht – wie das hier geschehen ist – auf die Probleme bei der Abwicklung von Bauvorhaben eingehen, die oft viel länger dauern und viel teurer werden als geplant. Dem einen oder anderen Bürger muss man erklären, dass es einen Unterschied zwischen Exekutive und Legislative gibt. Das kann man ihnen nicht übel nehmen. Dass es aber Mitglieder des Bundestages gibt, die den Unterschied zwischen Exekutive und Legislative in diesem Zusammenhang nicht darstellen können – wie wir es heute insbesondere von der rechten Seite gehört haben –, ist inakzeptabel. ({0}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Fokus des heute zu beschließenden Gesetzes liegt auf dem Zeitraum vor dem ersten Spatenstich. Man muss feststellen: Planungen und Genehmigungen für Infrastrukturprojekte in Deutschland dauerten oft viel zu lange. Wie es nicht funktioniert, wissen wir jetzt also. Deswegen haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir die Planung beschleunigen wollen. Wir wollen mit diesem Gesetz mal bewusst einen ganz neuen Weg ausprobieren. Dabei geht es eben nicht darum, betroffene Bürgerinnen und Bürger in ihren Mitspracherechten einzuschränken. ({1}) Wichtig ist uns die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung. Der Änderungsantrag, den wir im Ausschuss eingebracht haben, zeigt, dass wir genau dies gestärkt haben. ({2}) Projekte dürfen nicht ohne oder gar gegen die Menschen geplant werden. Im Gegenteil: Die Menschen müssen miteinbezogen werden; denn sie kennen sich mit den Verhältnissen vor Ort am besten aus. Man muss an der Stelle allerdings auch sagen: Die Menschen dürfen nicht einfach nur Nein sagen dürfen. Wenn sie miteinbezogen werden, können sie zwar Nein sagen, aber dann stellt sich auch die Frage: Wie denn sonst? – Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt, ({3}) der auch in dem Handbuch steht, auf das sich meine Kollegin Frau Lühmann zu Recht bezogen hat. Als Bürgermeister einer Gemeinde in Ostfriesland habe ich selber erfahren, wie es ist, wenn man zum Beispiel von einem Stromnetzbetreiber so behandelt wird, wenn nicht auf die Menschen vor Ort gehört wird und man sich einfach über sie hinwegsetzt. Die Bürgerinnen und Bürger werden nur formal beteiligt und nicht mitgenommen. Am Ende sind lange Klageverfahren die Folge, und das ist für alle Beteiligten nicht gut. Wenn aber die Planung mit den betroffenen Menschen erarbeitet wurde, wird es für die wenigen im Gesetz aufgeführten Maßnahmen keine Klagen durch viele Instanzen mehr geben. Künftig ist nur noch die Verfassungsklage gegen das spezielle Maßnahmengesetz möglich. Wir werden dieses Verfahren bei wenigen Maßnahmen ausprobieren, und es wird sich zeigen, ob dieser Weg ein sinnvoller sein wird. Lüttje Stappen brengen uns mennigmaal wiede. Der Ausbau von Stromnetzen ist zwar nicht Gegenstand dieses Gesetzes, bringt aber die gleiche Diskussion mit sich. Verzögerungen im Stromnetzausbau, die insbesondere von Süddeutschland ausgehen, haben auch negative Auswirkungen auf Süddeutschland. Herr Minister, für die alpin sozialisierten Kollegen in Ihrem Umfeld will ich das an dieser Stelle noch mal ausdrücklich betonen: Widerstand gegen Stromnetze wird für Süddeutschland teuer. Planungsbeschleunigung ist auch hier nötig, zum Beispiel mit einem neuen Netzausbaubeschleunigungsgesetz. ({4}) Herr Scheuer, auch für den, der keine Leitungen will, habe ich eine Lösung; Sie können sie Ihren Kollegen im Kabinett gerne mitgeben: Wer in Süddeutschland keine neuen Leitungen haben will, der muss einfach die Windenergie ausbauen. Denn wenn man Energie produziert, dann braucht man keine Leitungen, die die Energie dahin bringen, wo keine Energie produziert wird. ({5}) Wenn wir das alles machen, gibt es bei der Planung und beim Bau von Stromleitungen, aber auch bei der Planung und beim Bau von Infrastruktur- und Verkehrsleitungen keinen für alle Deutschen ärgerlichen Stau, und genau das wollen wir mit diesem Gesetz erreichen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: der Kollege Alois Rainer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir alle kennen doch die Kritik, dass große Bauvorhaben, insbesondere im Verkehrsbereich, oft viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Kritik ist auch berechtigt. Zu lange Verfahren sind nicht nur schädlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland, sie sind auch eine Belastung für die betroffenen Anwohner. Wir sind der Meinung: Das muss sich ändern. Es kann doch nicht sein, dass eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt sich so schwer damit tut, Verkehrsprojekte schnell und vernünftig zu realisieren. ({0}) Dies können wir uns auch im internationalen Wettbewerb so nicht weiter erlauben. Diese Koalition hat sich deshalb vorgenommen, hier entschieden gegenzusteuern. Schon 2018 wurde mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz I der erste Schritt gemacht. Heute gehen wir mit dem Beschluss der vorliegenden Gesetzentwürfe die nächsten Schritte: Wir verschlanken die Planungsverfahren für Ersatzneubauten bei Straße und Schiene. Wir entlasten die Kommunen von Finanzierungsbeiträgen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz. Und wir stärken den ÖPNV, indem wir die Regelungen aus dem Planungsbeschleunigungsgesetz I auch auf die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Straßen- und U-Bahnen nach dem Personenbeförderungsgesetz übertragen. ({1}) Letzteres haben unter anderem auch die Bundesländer immer gefordert. Dies setzen wir jetzt um. ({2}) Wir gehen noch einen Schritt weiter: Wir ermöglichen die Genehmigung von Verkehrsprojekten durch Gesetz. Dafür benennen wir mehrere verkehrlich besonders bedeutsame Projekte aus den Bereichen Schiene und Wasserstraße. Dazu gehören auch die Wasserstraße Unterweser (Nord) und die Verbindung nach Sylt, die sogenannte Marschbahn. Beide Projekte waren im ursprünglichen Gesetzentwurf nicht enthalten. Sie haben für uns, für die Koalition, aber eine besondere Bedeutung und sind aus unserer Sicht für die Zulassung durch das Maßnahmengesetz geeignet. ({3}) Konkret, meine Damen und Herren, geht es nun darum, zu erproben, inwieweit eine Genehmigung von Verkehrsprojekten durch den Deutschen Bundestag, also durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber, erstens zu einer größeren Akzeptanz der Projekte beiträgt und zweitens zu einer Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren führt. Ganz wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dabei spielt natürlich – heute schon oft angesprochen – die Bürgerbeteiligung eine sehr große Rolle. ({4}) Es ist nämlich nicht so, wie manche immer behaupten, dass Verfahrensbeschleunigung nur mit Einschränkung der Beteiligungsrechte funktioniert; das Gegenteil ist der Fall, und das machen wir: Durch verschiedene Maßnahmen gewährleisten wir die Durchführung einer aktiven Bürgerbeteiligung im offenen Dialog. Im Ergebnis stärken wir damit sogar die Bürgerbeteiligung im Vergleich zum regulären Planfeststellungsverfahren. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, beide Gesetzentwürfe, um die es heute geht, sind gut für unser Land, für unsere Bürger, für den Wirtschaftsstandort Deutschland und nicht zuletzt für den Klimaschutz. Wir beschleunigen Investitionen insbesondere in das Schienennetz, und wir stärken den so wichtigen ÖPNV. Abschließend, meine Damen und Herren, vielen herzlichen Dank an all diejenigen, die an diesen beiden Gesetzentwürfen beteiligt waren: den Berichterstattern, den Mitgliedern im Ausschuss. Aber vor allem ein herzliches Dankeschön an das Ministerium: Herr Minister, Herr Staatssekretär, vielen herzlichen Dank für die immer gute Zusammenarbeit. Und abschließend noch eines, Herr Kollege Stein: Es ist schön, wenn Sie dem Minister auf die Pelle rücken wollen. Ich würde mich aber noch mehr freuen, wenn Sie den Minister und das Ministerium unterstützen, wenn es um die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen geht. In diesem Sinne: Alles erdenklich Gute! Vielen herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Alois Rainer. – Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitswelt ist mitten in einem tiefgreifenden Wandel, und der muss sozial gestaltet werden. ({0}) Durch Digitalisierung, Klimawandel und eine schwächer werdende Konjunktur gibt es massive Umbrüche am Arbeitsmarkt, und viel zu viele Unternehmen sichern sich unter dem Deckmantel der Transformation ihre Profite und lassen Beschäftigte schamlos über die Klinge springen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Unternehmen Stellenabbau oder Standortschließungen verkünden, allein in Bayern: der blanke Wahnsinn! Audi: 10 000 Arbeitsplätze. Standortschließung von Voith in Sonthofen: 420 Arbeitsplätze. Standortschließung von Harman in Straubing: 600 Arbeitsplätze. Standortschließung von Danone in Rosenheim: 160 Arbeitsplätze. Ich könnte weitermachen mit Fujitsu, Kuka, Osram, Aerotec usw. Für mich als Betriebsrätin sind das tägliche Horrormeldungen; denn hinter diesen Zahlen verbergen sich Kolleginnen und Kollegen und ihre Familien. Und anstatt sich um das Problem zu kümmern, brummt man ihnen jetzt eine höhere CO2-Steuer auf und suggeriert ihnen Flugscham, weil sie einmal im Jahr nach Malle oder sonst wohin in den Urlaub fliegen. So erreicht man sicher keine Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz. ({1}) Es waren nicht die Beschäftigten, die den ÖPNV kaputtgespart haben oder entschieden haben, spritfressende Monsterkarren zu bauen. Und die sollen jetzt den Gürtel enger schnallen? Das ist nicht Ihr Ernst. Bei der Bankenrettung wurde innerhalb von einer Woche – ich betone: einer Woche – in diesem Haus ein Rettungsschirm in Milliardenhöhe aufgespannt. Wo ist der Rettungsschirm für die Beschäftigten? ({2}) Die Linke hat konkrete Vorschläge, um den Wandel sozial zu gestalten. Das ist etwas anderes, als sich hierhinzustellen und platt zu sagen: „Rettet den Diesel!“ oder „Kohleausstieg stoppen!“, wie es immer von der rechten Seite des Hauses kommt. Das bringt keinem Kollegen den Arbeitsplatz wieder und suggeriert, es könne alles so bleiben, wie es ist. Aber das ist keine Antwort; das ist eine Lüge. ({3}) Nötig sind Maßnahmen in drei Bereichen: Erstens. Um die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen, brauchen wir höhere Löhne, Investitionsprogramme für Bahn, Bildung, soziale Bereiche und Forschung und eine Industriepolitik, die auf Zukunftstechnologien setzt. ({4}) Vielleicht sollte sich der Bundeswirtschaftsminister mal lieber darum kümmern, anstatt am Arbeitszeitgesetz herumzudoktern, darüber zu philosophieren und das dazugehörende Gutachten vor der Öffentlichkeit und dem Parlament zu verstecken. Und eines muss auch klar sein: Kredite und Subventionen gibt es nur mit Tarif- und Arbeitsplatzgarantien. Geld vom Steuerzahler kassieren und Beschäftigte rausschmeißen ist mit der Linken nicht zu machen! ({5}) Zweitens: Sicherheit am Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen. Der Wandel in der Arbeitswelt darf nicht zu einem Wandel hin zu schlechter Arbeit führen. Es kann nicht sein, dass gutbezahlte Arbeitsplätze in tarifgebundenen Unternehmen verloren gehen und durch das Erpressungssystem Hartz IV durch prekäre, schlechtbezahlte Jobs ersetzt werden. ({6}) Deswegen muss Schluss sein mit Deregulierung und Flexibilisierung! ({7}) Ich bin jetzt seit zwei Jahren Abgeordnete, und wie oft habe ich hier schon etwas zur Stärkung der Tarifbindung gehört! Sie ist aber weiter im Sinkflug; passiert ist nichts. Oder Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen: keine Initiative weit und breit. ({8}) Oder Abschaffung oder wenigstens Einschränkung der sachgrundlosen Befristung: steht zwar im Koalitionsvertrag, aber Fehlanzeige. Ich habe es echt so satt! Wie muss es da erst meinen Kolleginnen und Kollegen gehen? ({9}) Jetzt haben Sie im Koalitionsausschuss wenigstens mal über Kurzarbeitergeld und Qualifizierung gesprochen – aber ohne Rechtsanspruch für Beschäftigte und ohne erzwingbare Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte. Und über wirksamen Schutz bei Arbeitslosigkeit haben Sie wieder nicht gesprochen. Wir haben Konzepte vorgelegt mit einem höheren Arbeitslosengeld und einem Arbeitslosengeld Plus, sodass man eben nicht nach zwölf Monaten Hartz IV beantragen muss. Und das Einzige, was Ihnen dazu einfällt, ist, dass man sich künftig auch elektronisch arbeitslos melden kann? Das zeigt echt, wie fertig diese Große Koalition ist. ({10}) Nun zum dritten und wichtigsten Punkt: mehr Demokratie wagen. Jetzt geht es ans Eingemachte: Wer das Klima retten und Beschäftigung sichern will, der muss sich mit den Mächtigen und den Konzernen anlegen! ({11}) Ja, mir war klar, dass Sie da wieder schreien, aber der unregulierte Markt und die unternehmerische Freiheit haben uns doch erst dahin gebracht, wo wir jetzt stehen; ich sage nur: Stichwort „Schummelsoftware“. Und die Politik der Konzerne ist auf kurzfristigen Profit ausgelegt. Beschäftigte und Betriebsräte wollen im Gegensatz dazu ihr Unternehmen langfristig erhalten. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie bitter es ist, wenn man tatenlos den Fehlentscheidungen des Managements zusehen muss – und gefragt ist man erst dann wieder, wenn es um die Verhandlung des Sozialplans geht. ({12}) Deswegen müssen Belegschaften und Betriebsräte über die strategische Ausrichtung ihres Unternehmens mitentscheiden können. ({13}) Meine Damen und Herren, nachhaltiges Wirtschaften, soziale Sicherheit und mehr Demokratie – das sind die Antworten der Linken auf den Wandel in der Arbeitswelt. ({14}) Vielen Dank. ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Ferschl. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrtes Präsidium! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Ferschl, das war ja eine Menge Ideologie und ein Sammelsurium dessen, was in der Programmatik der Linken vorhanden ist, aber mit wenig Substanz und wenig Praxisbezug. ({0}) Gleich zu Beginn des Antrags der Linken geht es um die Frage aller Fragen und um den Schlüssel für alle Türen, die wir öffnen wollen. Er wirft nämlich einen vermeintlichen Widerspruch auf zwischen einer schwarzen Null, also einer soliden Haushaltsführung, auf der einen Seite und notwendigen Investitionsprogrammen auf der anderen Seite. Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Regierung kann beides, solide Haushaltsführung und Investitionsprogramme. ({1}) Wir können beides miteinander verbinden; das ist kreative Politik, statt das eine gegen das andere auszuspielen. Wir haben heute hier im Plenum auch über ein Beispiel debattiert: die aktive regionale Strukturpolitik in den Kohleregionen. Diese werden wir unter anderem mit 40 Milliarden Euro unterfüttern, damit der Wandel Hand in Hand geht, nicht nur der Ausstieg gelingt, sondern auch der Einstieg in moderne und perspektivische Unternehmen. Es fehlt auch nicht an Geld, es fehlt an Fachkräften. Wir haben Genehmigungsverfahren – auch darüber haben wir heute bereits diskutiert –, die zu langsam sind. Bei Verkehrs- und Energietrassen haben wir im Schnitt eine Wartezeit zwischen 15 und 20 Jahren. Da müssen wir beschleunigen. Der Zeitfaktor ist das Problem, das wir angehen müssen. Da sind wir als Regierung hier im Parlament auch tätig, wie die heutigen Debatten zeigen. Wir hatten im Ausschuss für Arbeit und Soziales ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Arbeitsagentur Detlef Scheele. Seine Botschaft an uns: Der Arbeitsmarkt bleibt stabil. Die Betriebe halten weitgehend an den Beschäftigten fest, weil sie wissen, dass aufgrund der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels die Menschen, die Beschäftigten, das Gold in den Unternehmen sind. Was wir angesichts der Schnelligkeit, mit der sich Berufe verändern, aufbauen müssen, ist eine lebensbegleitende Berufs- und Qualifizierungsberatung; auch da sind wir miteinander dran. ({2}) Die Arbeitsagentur hat insgesamt – ich war etwas verwirrt durch das Klatschen – ({3}) Rücklagen in Höhe von 25 Milliarden Euro gebildet. Das heißt, mit diesen Rücklagen ist die Arbeitsagentur so gut gerüstet, dass sie auch auf Krisen reagieren kann. Sie hat einen Instrumentenkasten, und dieser Instrumentenkasten ist finanziert. Auch das ist eine Botschaft, die wichtig ist und für die man mal Beifall klatschen kann. ({4}) Die Koalitionsrunde hat vor gut einem Tag beschlossen, das Kurzarbeitergeld neu zu regeln – das kommt gerade der Metallwirtschaft zugute –, sodass der Bezug des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate verlängert werden kann. Auch ich bin der Meinung, dass man Kurzarbeitergeld generell immer mit Qualifizierung verbinden sollte, dass Qualifizierung und Kurzarbeit zusammengehören, damit nicht Untätigkeit, sondern immer und immer wieder Qualifizierung finanziert wird. Denn das ist der Schlüssel, um eben nicht nur eine konjunkturelle, sondern auch eine strukturelle Krise zu bekämpfen, die länger andauern wird als die des Jahres 2008, aus der wir nach zehn, elf Monaten – auch mit einer Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und dem Festhalten an den Beschäftigten – herauskamen. Angesichts des Strukturwandels wird die Bewältigung dieser Krise natürlich längere Zeit benötigen, und da sind Bildung und Qualifizierung der Schlüssel. Beides müssen wir weiter stärken. ({5}) Wir wissen: Nichts ist beständiger als der Wandel. 1810 war die Schlüsseltechnologie die Dampfmaschine, 1850 die Eisenbahn, 1900 die Elektrifizierung, 1950 die Automobilindustrie, 1995 die Computerisierung und heute die Digitalisierung. Aber noch nie gab es eine Politik, die den Wandel so intensiv mit vorausschauender Struktur- und Arbeitsmarktpolitik begleitet hat. Das ist das Entscheidende bei dieser Großen Koalition: die vorausschauende Struktur- und Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen den Wandel, aber wir wollen ihn menschlich gestalten. Wir wollen nicht nur perfekte Technik, wir wollen auch, dass das Soziale, dass das Gemeinschaftliche weiter erhalten bleibt. ({6}) Zum Antrag der Grünen. Ich finde es spannend, dass vor 100 Jahren, 1920, in der Weimarer Zeit das Betriebsrätegesetz durch einen katholischen Priester, den Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns, durchgesetzt wurde. Er wurde „der Eiserne Heinrich“ genannt, weil er 16 Regierungsumbildungen in der Weimarer Zeit überstanden hat. Wir haben also im Grunde ein Jubeljahr, nämlich 100 Jahre betriebliche Mitbestimmung. Ich bin dabei der Überzeugung, dass das Betriebsrätegesetz und die betriebliche Mitbestimmung insgesamt ein Update benötigen, dass wir hier auf den Stand der Zeit kommen müssen. ({7}) Die Union und die Sozialdemokraten werden dieses Jubeljahr der Mitbestimmung auch nutzen, um entsprechende Maßnahmen in das Parlament einzubringen. Wir wissen: Dort, wo sie existiert, funktioniert die betriebliche Mitbestimmung. Wir haben in erster Linie kein Qualitätsproblem, wir haben aber in vielen Unternehmen ein Quantitätsproblem. Derzeit sind 41 Prozent der Beschäftigten in nur 9 Prozent der Unternehmen überhaupt durch einen Betriebsrat vertreten, und wir sehen, dass die Erosion zunimmt. Deshalb wollen und werden wir Initiatoren besser schützen. ({8}) Wir werden Onlinewahlen ermöglichen, auch ein einfacheres Wahlrecht schaffen und das Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung stärken. Das wird noch in diesem Jahr kommen; denn 2020 ist das Jubeljahr der betrieblichen Mitbestimmung. Ich freue mich von daher auf konstruktive Diskussionen. Alles Gute! Bleibt tapfer! ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schummer. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Uwe Witt, AfD-Fraktion. ({0})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste des Hohen Hauses! „Arbeit in der Transformation zukunftsfest machen“ – ein Titel für eine Bündelung von Maßnahmen, Vorschlägen und ideologischen Ideen, ({0}) wie er schwammiger nicht sein könnte. ({1}) Anwesende Kollegen der Linksfraktion, ich habe mich schon immer gefragt, woher Die Linke ihren Namen hat. Von links, dem Gegenteil von rechts? Nein, man gewinnt den Eindruck, wenn man sich diesen Antrag anguckt: eher von linkisch, also unbeholfen und ungeschickt. ({2}) Zumindest in der parlamentarischen Arbeit treten Sie leider häufig so auf. Änderungen am Grundgesetz, an den Sozialgesetzbüchern II und III, Abschaffung der betrieblichen Selbstbestimmung sowie Eingriffe in die Tarifautonomie packen Sie unter dem Deckmantel von Digitalisierung und Klimawandel in einen Antrag und hoffen auch noch auf Zustimmung der Abgeordneten des Hohen Hauses. ({3}) So funktioniert parlamentarische Arbeit nicht. ({4}) Richtig ist, Deutschland stehen harte Zeiten bevor. Die Digitalisierung in der Wirtschaft und damit im Arbeitsmarkt allgemein wird eine der Herausforderungen der nächsten Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte sein. Das größere Problem wird allerdings der Klimawandel sein, ({5}) falsch, genauer gesagt, die Folgen der politischen Entscheidungen der Regierung, die im Zuge der Klimahysterie bereits getroffen wurden und noch getroffen werden. ({6}) Nicht Klimawandel vernichtet in Deutschland Hunderttausende Arbeitsplätze, sondern fatale Fehlentscheidungen wie das Klimaschutzprogramm 2030 mit der CO2-Steuer, die Diabolisierung des Verbrennungsmotors und der ideologische Zwang zur krampfhaften Einführung der Elektromobilität. ({7}) Könnte man zusammenfassen unter dem Titel: Maßnahmen zur Deindustrialisierung Deutschlands. ({8}) All das sind Signale an die deutsche Wirtschaft, die nur eine klare Aussage haben: Die Linksideologen, auch die der Regierungsparteien, ({9}) wollen euch nicht mehr in Deutschland haben und wenn doch, dann nur zwangsenteignet wie bei SPD-Kevin. ({10}) Mit Ihren Formulierungen sind Sie doch wieder zurück in finstersten DDR-Zeiten, zurück bei Enteignung, VEBs und Planwirtschaft. Ihr Antrag liest sich wie eine Anleitung zur Abschaffung der im Grundgesetz verankerten sozialen Marktwirtschaft. ({11}) Wie zum Beispiel: Konkurrenz am Arbeitsmarkt verbieten, Arbeitszeiten unflexibel auf maximal 40 Stunden festschreiben, 450-Euro-Jobs zwangsweise sozialversicherungspflichtig machen, und das, obwohl alle Gutachter in den letzten öffentlichen Anhörungen zu dem Thema dagegen waren, auch Ihre Gewerkschaften. Ihr Ziel, die gute alte DDR wiederzubeleben, kommt hier ganz augenscheinlich mal wieder zum Ausdruck. Sie scheinen vergessen zu haben, wem Deutschland Wohlstand und sozialen Frieden zu verdanken hat: nicht den Genossen um Walter Ulbricht, sondern den Vätern des Grundgesetzes durch Einführung der sozialen Marktwirtschaft. ({12}) Wir kennen es ja eigentlich immer von den Linken, dass keinerlei Aussagen zur Finanzierung ihrer ideologischen Utopien getroffen werden. ({13}) Zur Finanzierung Ihres Antrages haben Sie endlich einmal die Katze aus dem Sack gelassen. Aufgabe der sogenannten schwarzen Null heißt: Neuverschuldung. Überwindung der Schuldenbremse heißt: Neuverschuldung. ({14}) Sie wollen Ihr Konzept zulasten der kommenden Generation umsetzen. Schämen Sie sich! ({15}) Trotz alledem findet man auch in Ihrem Antrag einige positive Ansätze, die wir bereits seit Jahren selber verfolgen: Die Abkehr von sachgrundlosen Befristungen steht schon lange auf unserer eigenen Agenda. Das Prinzip „gleiche Arbeit, gleicher Lohn“ für Leiharbeiter unterstützt die AfD auch seit Jahren. Wohingegen das Transformationskurzarbeitergeld eine unterstützenswerte, aber in der vorgelegten Form nicht ausgereifte Idee ist. Wo ich gerade bei nicht ausgereiften Ideen bin, möchte ich Ihren Vorschlag der Umwandlung des Arbeitslosengeldes II in ein sanktionsfreies bedingungsloses Grundeinkommen ansprechen. ({16}) Das ist ein sehr komplexes kontroverses Thema für sich und gehört doch nicht in Ihren Kessel Buntes. Arbeiten Sie parlamentarisch sauber, dann klappt es auch mit der Zustimmung. Nun schieben die Kollegen der Bündnisgrünen ({17}) noch einen Antrag nach, der in dieselbe Kerbe schlägt. Sie müssen in der linken Ecke langsam eng zusammenrücken; denn dort ist gar kein Platz mehr. Ihr Gedanke der Abschaffung unternehmerischer Freiheiten zugunsten einer Stärkung der Betriebsräte ist nicht nur von der Betrachtung her einseitig, sondern scheint fast von alten Anträgen der Linken abgeschrieben. Mitbestimmung, gerade in Großunternehmen, ist eine wichtige Errungenschaft des letzten Jahrhunderts, die niemand infrage stellen kann und will und sollte. Jedoch riskieren Sie, linke Grüne, das Yin und Yang zwischen Betriebsräten und Unternehmensführungen zu gefährden. Durch eine überproportionale Erweiterung der Mitbestimmungsrechte und damit der Machtausweitung der Betriebsräte gerät das Gleichgewicht bei der Betriebsführung im Sinne der sozialen Marktwirtschaft völlig aus den Fugen. Ihre Vorschläge führen zu Dauerstreitigkeiten zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung und lähmen damit die Produktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland noch mehr. ({18}) Es besteht zudem die Gefahr, dass diese Form von Mitbestimmung eine Digitalisierung und damit technologischen Fortschritt ausbremst und gegebenenfalls komplett verhindert. Eine Anpassung des Betriebsverfassungsgesetzes sehen auch wir als längst überfällig an. Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer, wie zum Beispiel das Recht auf Nichterreichbarkeit, ist ein guter Ansatz, Datenschutz für Arbeitnehmerdaten im Zuge der Digitalisierung unverzichtbar. ({19}) Allerdings darf so eine Anpassung nicht als Schnellschuss im Nachgang zum Resozialismusgesetz der Linken erfolgen, ({20}) sondern bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung unter Einbeziehung der betroffenen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter. ({21}) Mit Ihren beiden Anträgen, werte Kollegen der Linken und der Grünen, verfolgen Sie sicherlich aus Ihrer Sicht gute Absichten, schießen bei der Umsetzung aber nicht nur weit über das Ziel hinaus, sondern vor allem missachten Sie unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. ({22}) Daher lehnen wir Ihre Anträge als solche ab, erklären Ihnen im Ausschuss aber gerne, wie man vernünftige Politik macht, die frei von links-grüner Ideologie ist und auch unseren Bürgern zugutekommt. Vielen Dank. ({23})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen am Beginn der 20er-Jahre. Schon heute ist klar: Dieses Jahrzehnt wird ein Jahrzehnt des Wandels werden. Die Stichworte sind genannt: technologische Veränderungen, Energiewende, Mobilitätswende und Digitalisierung. Für mich und für uns alle ist das in allererster Linie eine Chance auf eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft, auf zukunftsfähige Arbeit, eine Chance, bestehende Arbeit besser zu machen, und eine Chance auf ein besseres Leben. Meine Damen und Herren, ich finde, wir müssen diese Chance nutzen. Das können wir nur, wenn wir auf Innovationen setzen und die Veränderungen auch annehmen. ({0}) Wir müssen diesen Wandel auch gestalten. Transformation heißt für mich: gestalteter Wandel. Deshalb wollen wir diese Veränderungen zu einem gesamtgesellschaftlichen Projekt der Wirtschafts- und Strukturpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Umwelt- und Verkehrspolitik, der Innovations- und Bildungspolitik machen. All diese Politikbereiche gehen über alle Ebenen hinweg: Europa, Bund, die Länder und die Kommunen sind gefragt, aber auch die Akteure in unseren Betrieben und in den Branchen. Deshalb brauchen wir für die Gestaltung des Wandels in allererster Linie eine starke Sozialpartnerschaft, meine Damen und Herren! ({1}) Dies gilt umso mehr, weil gerade die Betriebe von den demografischen Veränderungen betroffen sind und gefordert sind, diesen Wandel zu gestalten. Wir werden in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge verlieren, das heißt, die Betriebe werden netto etwa 400 000 Arbeitskräfte jedes Jahr verlieren. Gleichzeitig werden die Belegschaften älter. Auch das müssen wir gestalten. Dazu brauchen wir vor allem mutige Antworten. Das heißt für mich als Erstes gute Bedingungen für Innovationen und Investitionen, also Investitionen in eine gute und zukunftsfähige Infrastruktur, in schnelles Internet, in 5G-Netze, in Bildung, in nachhaltige Energieerzeugung und in moderne Mobilität. Mit dem Bundeshaushalt 2020 investieren wir als Koalition genau da. Die Investitionen sind auf Rekordniveau. Jetzt wird es darauf ankommen, dafür zu sorgen, dass wir diese Investitionen auch in den nächsten Jahren verstetigen und unabhängig von der Haushaltslage dafür sorgen, dass wir nachhaltige Investitionen in moderne und zukunftsfähige Infrastruktur in Deutschland sicherstellen. ({2}) Als Zweites gehört dazu eine Struktur- und Industriepolitik, die ganz konkret in den Regionen neue Perspektiven eröffnet. Mit den im Strukturstärkungsgesetz vorgesehenen 40 Milliarden Euro sorgen wir in den nächsten Jahren in den Kohleregionen genau dafür. Gleichzeitig fördern wir Elektromobilität und unterstützen damit neue Perspektiven in den Automobilregionen. Als Drittes brauchen wir eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die Schutz und Chancen im Wandel bietet. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen auf das Recht auf Arbeit; denn wir wissen: Auch im Wandel geht uns die Arbeit nicht aus. Wir wissen: Wir brauchen alle, und wir müssen allen auch eine Perspektive geben. ({3}) Deshalb setzen wir auf eine Arbeitsmarktpolitik, die jeden Einzelnen unterstützt, auf den Sozialstaat als Partner, der schon im Arbeitsleben eine individuelle Unterstützung ermöglicht und Arbeitslosigkeit verhindert. Es ist klar: Weiterbildung ist der Schlüssel dafür, dass die Beschäftigten von heute die Arbeit von morgen machen können. Deshalb haben wir das Qualifizierungschancengesetz auf den Weg gebracht, und diesen Weg wollen wir in diesem Jahr weitergehen, indem wir den Zugang noch mal vereinfachen, indem wir dafür sorgen, dass das Qualifizierungschancengesetz einfacher in Anspruch genommen werden kann, wenn große Teile ganzer Belegschaften betroffen sind, und indem wir Anreize für Qualifizierungsvereinbarungen zwischen den Sozialpartnern in den Betrieben setzen. ({4}) Wir müssen dort, wo Beschäftigung ganz konkret in Gefahr ist, Brücken bauen. Ja, wir haben keine Wirtschaftskrise, und wir sollten die Situation auch nicht schlechtreden. Noch immer ist in weiten Teilen unserer Wirtschaft der Fachkräftemangel das größte Hindernis für Wachstum, aber in einzelnen Bereichen sieht es anders aus. Im Maschinen- und Anlagenbau und bei den Automobilzulieferern hat Kurzarbeit zugenommen, Stellenabbau ist in Teilen angekündigt worden. Darauf müssen wir flexibel reagieren und Kurzarbeit und Transfergesellschaften stärker für Weiterbildung nutzen. Wir müssen die konjunkturelle Schwäche nutzen, um die strukturelle Weiterbildung, die notwendig ist, auch zu ermöglichen. ({5}) Deshalb ist es gut, wichtig, richtig und vorausschauend, dass unser Bundesarbeitsminister Hubertus Heil das Arbeit-von-morgen-Gesetz angekündigt und auf den Weg gebracht hat. Es ist gut, dass der Koalitionsausschuss in dieser Woche den Weg dafür freigemacht hat. Das müssen wir jetzt gemeinsam schnell umsetzen. Das zeigt: Die SPD handelt in diesem Land, und die Koalition ist handlungsfähig. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Rosemann. – Nun hat das Wort der Kollege Pascal Kober, FDP-Fraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie erwähnen in Ihrem Antrag, ({0}) dass Sie die Themen Digitalisierung und Klimawandel als große Herausforderungen für unsere Gesellschaft ansehen. Das ist richtig, aber wie so oft nehmen Sie die Wirklichkeit doch recht selektiv wahr. ({1}) Deshalb muss ich mein Lob für Ihren Antrag schon an dieser Stelle beenden; denn zwei ganz wesentliche Faktoren haben Sie nicht in den Blick genommen. Das ist einmal die Herausforderung, vor der unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft durch den demografischen Wandel stehen. Der demografische Wandel führt einerseits dazu, dass die Kosten unserer sozialen Sicherungssysteme steigen werden. Der demografische Wandel bedeutet aber auch, dass uns immer mehr Fachkräfte fehlen – gerade auch im sozialen Bereich, in der Pflege – und dass deshalb natürlich auch die Einnahmen der sozialen Sicherungssysteme zurückgehen werden. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das erwähnen Sie in Ihrem Antrag nicht, obwohl das ein ganz wichtiger Faktor ist. ({3}) Das Zweite, was Sie nicht erwähnen, ist der sich verschärfende internationale Wettbewerb. Es ist ja gut, dass Menschen in anderen Regionen unserer Welt zunehmend am gesellschaftlichen Wohlstand partizipieren werden und das jetzt auch schon tun. Sie reden aber nicht darüber, dass der Wettbewerb schärfer wird und was das auch für unsere Unternehmen bedeuten wird. Spannend wird es dann, wenn man sich Ihre Forderungen anschaut. Sie fangen damit an, die Schuldenbremse infrage zu stellen. Die schwarze Null soll nicht mehr gelten. ({4}) Was bedeutet das? Das muss man den jungen Menschen, die heute dort oben eine ganze Tribüne füllen, auch mal in aller Deutlichkeit sagen. ({5}) Sie wollen Ihre Politik von heute auf Kosten dieser jungen Menschen finanzieren. ({6}) Sie wollen die politischen Möglichkeiten dieser Generation einschränken. Das ist die Folge der Aufgabe der schwarzen Null, und das ist eine Politik, die wir nicht unterstützen werden. Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit müssen auch finanzpolitisch möglich sein. ({7}) – Lieber Klaus Ernst, ich lasse eine Zwischenfrage nicht zu. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir tatsächlich brauchen – Sie haben schon einen Punkt genannt – – ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Kober, Sie können weiterreden. Er möchte nur eine Kurzintervention anmelden.

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Was richtig ist, ist, dass wir mehr Investitionen in Bildung brauchen, dass wir mehr Investitionen in die Infrastruktur brauchen und dass wir mehr Investitionen in die Forschung brauchen. Ihnen kann aber doch nicht entgangen sein, dass wir im Moment im Geld schwimmen. Die Große Koalition wird in den Jahren 2013 bis 2021 insgesamt 380 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung gehabt haben. Allein im letzten Jahr gab es zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 50 Milliarden Euro auf den Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden. Gleichzeitig erleben wir beispielsweise, dass 15 Milliarden Euro – das beklagt übrigens auch der Finanzminister Olaf Scholz – gar nicht abgerufen werden. Warum ist das so? Weil bei uns die Planungsverfahren so kompliziert sind, dass Infrastrukturprojekte nicht geplant werden können, dass das Geld nicht abfließen kann. Warum ist das so? Weil uns Fachkräfte fehlen – von der Pflege bis zu den Baustellen. Deshalb können die Mittel, die jetzt schon zur Verfügung stehen, nicht abgerufen werden, und deshalb macht es überhaupt keinen Sinn, den jungen Menschen ihre Zukunft zu rauben. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bescheiden Sie sich mit dem, was diese Generation im Moment an Einnahmen generieren kann, und machen Sie Schluss mit dieser generationenfeindlichen Politik! ({1}) Auch an einer anderen Stelle springen Sie zu kurz. Wenn man Ihren Antrag genau liest, dann stellt man fest, dass das Thema Bildung nur in zwei Unterpunkten vorkommt und dass Bildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Ihnen nur dann einen Wert hat, wenn der Betriebsrat das entsprechend entschieden und in Auftrag gegeben hat. ({2}) Wo ist aber die selbstbestimmte Bildung? Wo ist die Freiheit der Menschen, vielleicht auch eine Bildung zu erwerben, die ihnen einen Job in einem anderen Unternehmen ermöglicht? Davon steht in Ihrem Antrag nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Deshalb werden wir ihn ablehnen. Das ist eine falsche Politik. Sie ist nicht nachhaltig und nicht generationengerecht. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe: Die Fraktion Die Linke hat eine Kurzintervention für den Kollegen Ernst beantragt. Dem gebe ich statt. – Herr Kollege Ernst, Sie haben das Wort.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. – Herr Kollege Kober, zur Schuldenbremse, zu der Sie gerade Stellung genommen haben: Ist Ihnen entgangen, dass selbst Herr Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft, also ein arbeitgebernaher Mensch – sehr nah sogar –, ({0}) nun ebenfalls für die Aufhebung der Schuldenbremse plädiert? Warum macht er das? Vielleicht sollten Sie sich damit mal beschäftigen. Er macht das deshalb, weil er offensichtlich der Auffassung ist, dass es, wenn es eine Nullzinspolitik gibt, für den Staat günstig ist, sich zu verschulden. Die nächste Zeit wird höchstwahrscheinlich auch keine enorme Steigerung der Zinsen bringen. Darüber jammert ja auch die Versicherungswirtschaft. Es ist für den Staat also eigentlich sehr sinnvoll, zum jetzigen Zeitpunkt Schulden aufzunehmen. Jetzt sagen Sie berechtigterweise, dass es natürlich ein Problem ist, dass Gelder nicht abgerufen werden. Aber warum werden sie nicht abgerufen? Weil wir in den Kommunen inzwischen die Situation haben, dass keine Planungen mehr vorgenommen werden können, allerdings nicht deshalb, weil es einen Fachkräftemangel gibt, sondern weil die Menschen, die Planungen vornehmen könnten, entlassen wurden, weil sie nicht mehr da sind, weil gespart wurde. Wäre es da nicht sinnvoll, das zu tun, was zum Beispiel vorgeschlagen wurde, nämlich die Kommunen zu entschulden, damit wieder Leute in den Ämtern vorhanden sind, um das tun zu können, wofür sie benötigt werden? ({1}) Wäre es nicht gerade für die junge Generation insgesamt viel besser, jetzt tatsächlich begünstigt zu werden, indem sie Bildung erhält, indem für funktionierende Infrastruktur gesorgt wird, indem Planungen umgesetzt werden, anstatt an einer schwarzen Null festzuhalten, die genau das, nämlich eine vernünftige Zukunft, den jungen Leuten verwehrt? ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Kober, Sie haben das Recht, zu antworten.

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter, lieber verehrter Herr Kollege Klaus Ernst, jetzt haben Sie schon wieder den gleichen Denkfehler gemacht. Sie haben mit der Feststellung anfangen, dass wir mehr Geld brauchen. Dann haben Sie die Frage gestellt, wie dieses Geld ausgegeben werden kann, und geben zu, dass das Geld im Moment nicht abfließt, ich also recht habe. Die richtige Reihenfolge wäre aber doch, dass man zunächst einmal fragt: Könnten wir das Geld, das durch Ihre Politik möglicherweise hereinkäme, tatsächlich in Infrastruktur, in Bildung und in Forschung investieren? – Das wird nicht funktionieren. Erst einmal müssen also die Planungsverfahren verbessert und ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz erlassen werden. Das ist die richtige Reihenfolge. ({0}) Ich sage Ihnen noch was: Die Schulden – ganz egal, ob die Zinsen niedrig sind oder nicht – werden die künftigen Generationen zu bezahlen haben. Noch ein Wort zu Ihrem Gewährsmann, Herrn Hüther: Er sagt unheimlich viele kluge Dinge, aber da wir eine unabhängige Partei sind, ({1}) bilden wir uns unser Urteil durchaus auch unabhängig. Deshalb, lieber Kollege Ernst, folgen wir in diesem Fall nicht dem Ratschlag von Herrn Hüther und erst recht nicht Ihrer Politik. Deshalb bleiben wir dabei: Wir lehnen Ihren Antrag ab. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Die heutige Debatte zur Transformation der Arbeitswelt ist wichtig. Ich bedanke mich erst mal bei der Fraktion Die Linke, dass sie das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat. Uns treibt der Strukturwandel auch um, vor allem auch die Veränderung durch die Digitalisierung. Deshalb haben wir einen eigenen Antrag dazu gestellt. Dieser ist auf die Mitbestimmung fokussiert; denn wir brauchen starke Betriebsräte im digitalen Wandel. ({0}) Ich beginne aber erst einmal mit der ökologischen Transformation; denn die ist dringend notwendig. Wir müssen die Klimaziele erreichen. Es geht immerhin um unsere Lebensgrundlagen. Die Wirtschaft muss klimaneutral werden, und das muss schnell gehen. Es muss eine sozialökologische Transformation sein. Deshalb verbinden wir Klimapolitik mit einer Politik für mehr soziale Gerechtigkeit. ({1}) Ein Beispiel: Wenn sich die Arbeitsplätze verändern, dann müssen natürlich Weiterbildung und Qualifizierung ganz oben auf der Agenda stehen. Deshalb fordern auch wir ein neues Qualifizierungskurzarbeitergeld. Das wollen wir konsequent mit der Qualifizierung der Beschäftigten verbinden und eng an die Sozialpartnerschaft koppeln, und zwar durch tarifliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen. Denn die ökologische Transformation muss natürlich unbedingt mit Chancen für die Beschäftigten verbunden werden. ({2}) Andere Forderungen aus dem Antrag der Fraktion Die Linke wurden hier schon häufiger diskutiert. Wir sind uns einig, dass die Arbeitsplätze heute, aber natürlich auch in einer klimaneutralen Wirtschaft gut sein müssen, also mitbestimmt und tarifgebunden. Deshalb muss die Tarifbindung gestärkt werden. In der Leiharbeit soll es gleichen Lohn für gleiche Arbeit geben, und zwar ab dem ersten Tag. ({3}) Auch wir wollen die sachgrundlose Befristung abschaffen. ({4}) Denn die Transformation ist nur dann sozialökologisch, wenn sie auch mit neuen Perspektiven für gute Arbeit verbunden wird. ({5}) Alle anderen Aspekte werden wir im Ausschuss diskutieren. Damit komme ich jetzt zu unserem eigenen Antrag. Die Digitalisierung verändert nicht nur die Prozesse in den Unternehmen, sondern auch die Tätigkeiten und Anforderungen. Sie hat auch Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation. Wenn sich die Beschäftigten an diesem digitalen Wandel aktiv beteiligen können, wenn sie ihr Wissen einbringen können, werden Risiken minimiert und Chancen besser genutzt. Die Mitbestimmung orientiert sich aber nach wie vor an einer analogen Arbeitswelt und muss deshalb an die digitale Arbeitswelt angepasst werden. Denn der digitale Wandel gelingt zusammen mit den Beschäftigten besser. ({6}) Drei Punkte möchte ich kurz ansprechen: Erstens. Durch die Digitalisierung werden neue Arbeitsplätze entstehen; aber vor allem werden sich die Tätigkeiten verändern. Damit werden auch hier Qualifizierung und Weiterbildung enorm wichtig. Deshalb fordern wir ein starkes Mitbestimmungsrecht bei der Weiterbildung und bei der qualitativen Personalentwicklung. Es muss vorausschauend und gut überlegt sein, wie sich die Anforderungen durch den digitalen Wandel im Unternehmen verändern. Notwendig ist ein Plan, der zeigt, wer und in welcher Form qualifiziert werden muss. Hier müssen die Interessenvertretungen aktiv eingebunden werden. Denn unser Anspruch ist, im digitalen Wandel alle mitzunehmen und niemanden zu vergessen. ({7}) Zweitens. Durch die Digitalisierung ist Arbeit häufig nicht mehr an Ort und Zeit gebunden, und so entstehen neue Freiheiten, beispielsweise um Arbeit und Familie besser zu vereinbaren. Aber gleichzeitig kann Arbeit auch mehr entgrenzen. Die psychischen Belastungen können zunehmen. Es geht also um die Menge der Arbeit und um die Themen: Erreichbarkeit, Homeoffice, mobiles Arbeiten. Und auch dafür muss die Mitbestimmung gestärkt werden. Denn von der Digitalisierung sollen alle profitieren: sowohl die Wirtschaft als auch die Beschäftigten. ({8}) Drittens: Persönlichkeitsrechte und Datenschutz. Durch den Einsatz von Software und künstlicher Intelligenz kann Arbeit erleichtert werden. Aber optimal vernetzte Prozesse können auch zu optimal überwachten Beschäftigten führen. Auch wenn es um neue Formen der Interaktion von Mensch und Maschine, wenn es um Verhaltens- und Leistungskontrolle geht, brauchen wir starke Personal- und Betriebsräte. ({9}) In unserem Antrag geht es noch um andere Aspekte: um eine zeitgemäße Ausstattung, um Weiter- und Fortbildung, um die Unterstützung von Sachverständigen und um die Frage, wie die Mitbestimmung ausgeweitet werden kann, beispielsweise auf arbeitnehmerähnliche Personen und auch auf Clickworker auf Plattformen. Das werden wir alles im Ausschuss ausführlich diskutieren. Diese Diskussion passt auch in die Zeit; denn nächste Woche feiern wir ja 100 Jahre Betriebsrätegesetz. Seither können die Beschäftigten ihre Arbeitswelt aktiv mitgestalten. Wichtig dafür ist Augenhöhe, auch und gerade in der digitalen Arbeitswelt. Deshalb ist es jetzt Zeit für ein Update bei der Mitbestimmung, und genau das fordern wir mit unserem Antrag. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Gemmeke. – Ich muss vielleicht für unsere Fernsehzuschauerinnen und Fernsehzuschauer, die besorgt anfragen, ob die mangelnde Präsenz auf der Regierungsbank auf Krankheitsfälle zurückzuführen ist, sagen: Uns ist von krankheitsbedingten Ausfällen der Regierung nichts bekannt. ({0}) Nächster Redner ist der Kollege Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und vor den Bildschirmen! Lieber Klaus Ernst, ich habe genau zugehört: Sie wollen die Kommunen entschulden. Ich bitte Sie darum: Geben Sie das auch Ihren Kollegen im Bundesland Thüringen zur Kenntnis; denn dort wurden die Kommunen seit dem Beginn der Arbeit der linken Landesregierung finanziell immer weiter nach unten getrieben, und der Gürtel musste immer enger geschnallt werden. Also noch mal die Bitte: Sagen Sie das bitte dem Kollegen Ramelow. Ich freue mich, als Bürgermeister mehr Geld zu bekommen. Danke schön! ({0}) Meine Damen und Herren, erst am Mittwoch in dieser Woche präsentierte uns der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit im Ausschuss einen soliden Haushalt für 2020. Obwohl wir mit mehreren Beitragssenkungen viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber entlastet haben, steht die BA trotzdem finanziell ordentlich da, und die Rücklagen bieten weiterhin ausreichend Sicherheiten – was sie auch müssen. Leider ist der Opposition eine solide Haushaltsführung, glaube ich, nicht wichtig. Entweder haben Sie das Rechnen verlernt, oder es ist Ihnen wirklich unwichtig. Denn Sie wollen diese Sicherheiten wegkatapultieren. Die Plünderung der Rücklagen der BA und der öffentlichen Kassen ist das, was ich in den Anträgen der Opposition sehe, und das können wir natürlich als Regierungsparteien nicht mitmachen. Sie fordern unter anderem ein Investitionsprogramm. ({1}) Sie fordern öffentliche Kredite. Sie fordern den erheblichen Ausbau des Kurzarbeitergeldes. Sie fordern eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes I, und Sie fordern eine Verlängerung der Bezugsdauer. Fordern, fordern, fordern, meine Damen und Herren. ({2}) Sie verstecken hinter der Fassade der Digitalisierung und des Klimaschutzes große populistische Forderungen, bieten aber leider kein ausgereiftes Gesamtkonzept, und das ist schade. Vor allem über die Finanzierung Ihrer Vorschläge lese ich in Ihren Anträgen überhaupt nichts. ({3}) Sie fordern hier grenzenlos Leistungen, aber interessieren sich scheinbar nicht für Lösungen. Das ist für mich unseriöse Politik. ({4}) – Danke schön. Meine Damen und Herren, wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Die von Ihnen aufgeführten Herausforderungen hat die Bundesregierung schon lange im Blick und bereits konkrete Instrumente vorgelegt. Das Qualifizierungschancengesetz bietet schon heute umfangreiche Instrumente zur Unterstützung der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber bei der Bewältigung von Transformationsprozessen. Wir fördern Weiterbildung, wenn berufliche Tätigkeiten durch Technologien ersetzt werden können. Wir fördern Arbeitnehmer, die in sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen sind oder wenn sie in einem Engpassberuf arbeiten wollen. Mit der Förderung der Weiterbildung und Zuschüssen für Arbeitsentgelt während der Weiterbildung unterstützen wir alle Beschäftigten grundsätzlich unabhängig von Ausbildung, Lebensalter oder Betriebsgröße. Wir bieten so Anreize für Unternehmen, noch stärker in Weiterbildung zu investieren und sich für die Zukunft fit zu machen. Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass der Koalitionsausschuss in dieser Woche umfangreiche Maßnahmen zur Stärkung des Qualifizierungschancengesetzes sowie des Kurzarbeitergeldes beschlossen hat, die wir nun so schnell wie möglich umsetzen werden. Künftig können in kleinen und mittleren Unternehmen während des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld bis zu 75 Prozent der Weiterbildungskosten durch die Bundesagentur für Arbeit übernommen werden. Wir werden in Zukunft auch längere Weiterbildungsmaßnahmen über das Ende der Leistung hinaus fördern. Damit Gruppen von Beschäftigten mit vergleichbarer Fördernotwendigkeit gemeinsam qualifiziert werden können, werden wir Sammelanträge anstatt der Ausgabe eines Bildungsgutscheines ermöglichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, während Sie das Geld der Beitragszahler sinnlos mit der Gießkanne verteilen wollen, verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, ({5}) der eben alle Akteure einschließt, sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber. Die Kosten unserer Instrumente sind im Gegensatz zu Ihren Vorschlägen seriös kalkuliert, und viele Maßnahmen laufen bereits heute sehr erfolgreich. Ich würde mir wünschen, dass Ihre Anträge in Zukunft konzeptionell durchdacht und auch finanziell untersetzt würden. ({6}) Dann können wir auch gemeinsam konstruktiv an Lösungen arbeiten und Vorschläge diskutieren. Solange das nicht der Fall ist, meine Damen und Herren, müssen wir Ihre Anträge leider ablehnen. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Weiler. – Nächster Redner ist der Kollege Carl-Julius Cronenberg, FDP-Fraktion. ({0})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Umbruch, Strukturwandel, schöpferische Zerstörung, Transformation: All diese Begriffe beschreiben, was in der Arbeitswelt seit über 100 Jahren selbstverständlich ist – Uwe Schummer hat es erwähnt –, nämlich die stetige Veränderung von Technologie, Arbeitsplätzen und Geschäftsmodellen. Die vielen erfolgreichen Mittelständler im Sauerland und in ganz Deutschland können Ihnen ein Lied davon singen. Transformation war und ist immer. Motor für erfolgreichen Strukturwandel ist dabei unternehmerische Kreativität, Fleiß und hohe Ausbildung der Beschäftigten sowie verantwortungsvolle Tarifpolitik der Sozialpartner. Was noch nie geholfen hat, sind Eingriffe des Staats. ({0}) Das möchte ich als Unternehmer wie als Liberaler hier deutlich betonen. Deutschland hat in der Vergangenheit schon oft bewiesen: Wir können Strukturwandel. Was wir nicht können, ist Strukturbruch. Deshalb bereitet der Blick auf die Automobilbranche in der Tat Sorgen. Erst verunsichert die Bundesregierung Verbraucher und Industrie, statt in Brüssel für technologieoffenere Formen der Flottengrenzwerte zu streiten, um dann festzustellen: Huch, es gibt Verwerfungen; wir müssen eingreifen. – Das setzt eine Interventionsspirale in Gang, die mit kluger Ordnungspolitik herzlich wenig zu tun hat. ({1}) Die Fraktion Die Linke schreibt: Vollbeschäftigung muss wesentliches Ziel nachhaltiger Wirtschaftspolitik sein. ({2}) Richtig! So ist das. Stattdessen folgen aber elf Forderungen, die nicht zu Vollbeschäftigung, sondern zu steigender Arbeitslosigkeit führen. Sie fordern ein höheres Arbeitslosengeld. ({3}) Damit steigen die Lohnzusatzkosten. Das schwächt die Wettbewerbsfähigkeit. ({4}) Sie fordern die Aushöhlung von Tarifautonomie durch politischen Mindestlohn. Das schwächt die Wettbewerbsfähigkeit. ({5}) Sie fordern Einschränkungen bei Arbeitszeit, Arbeitnehmerüberlassung und Befristung. Das schwächt die Wettbewerbsfähigkeit, besonders den Export. ({6}) Gerade in Zeiten schneller Veränderung ist doch mehr Flexibilität das Gebot der Stunde und nicht weniger. ({7}) Weiterhin fordern Sie die Generalisierung von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen. Das schwächt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. ({8}) Wer Löhne und Gehälter nicht mehr frei verhandeln kann, der investiert nicht gerne in Maschinen. Schließlich Ihre Forderung, Betriebsräten und Gewerkschaften Mitentscheidungsbefugnisse bei Investitionen zu geben. Schlagen Sie das mal Elon Musk vor, der in Brandenburg eine Tesla-Fabrik bauen will; der wird Ihnen weglaufen. Die FDP schlägt was ganz anderes vor: Machen Sie aus Betroffenen Beteiligte. Befreien Sie die Mitarbeiterkapitalbeteiligung von unnötiger Bürokratie und massiven Steuernachteilen für Beschäftigte. Das bringt Schwung in die Start-up-Szene in Deutschland. ({9}) Und bevor die Bundesregierung mit öffentlichen Krediten marode Unternehmen finanziert, soll sie bitte die längst überfällige Unternehmensteuerreform anpacken. In Zeiten schneller Veränderung ist es falsch, Unternehmen und Beschäftigte an Ketten zu legen. Vielmehr sollten wir eines nicht ändern, nämlich Tarifautonomie, Subsidiarität und soziale Marktwirtschaft. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Schülerinnen und Schüler der Ernestinenschule zu Lübeck! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Martin Rosemann hat bereits in seiner Rede die Vorstellungen der SPD sehr deutlich dargelegt, wie Menschen auch in Zukunft unter guten Bedingungen arbeiten können. Ich unterstreiche das ausdrücklich. Wir wollen auch in Zukunft sichere Rahmenbedingungen und den nötigen Schutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Meine Damen und Herren, die SPD hat dafür die richtigen Konzepte. ({1}) Kämpfen für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht die SPD bereits seit 1863 überaus erfolgreich. ({2}) Ich freue mich, dass sich nun auch die Kolleginnen und Kollegen der Linken Gedanken über den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern machen. Ich greife einige Punkte aus Ihrem Antrag heraus. Sie fordern einen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro. ({3}) Das ist genau die Position der SPD. ({4}) Wir wollen einen Mindestlohn, der vor Armut schützt, und das geht halt nicht unter 12 Euro. ({5}) Ich hoffe, dass auch unser Koalitionspartner erkennt, wie wichtig ein gerechter Mindestlohn für die Menschen in Deutschland ist. Sie wollen unbefristete Arbeitsverhältnisse wieder zur Regel machen ({6}) und befristete Verträge ohne Sachgrund abschaffen. ({7}) Auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ist exakt SPD-Position. ({8}) Wir haben es geschafft, die Eindämmung der Befristungen ohne Sachgrund im Koalitionsvertrag zu verankern. Ich bin mir sicher, dass wir mit der CDU/CSU zu einem Ergebnis kommen werden, das die Situation von vielen Beschäftigen in Deutschland deutlich verbessern wird. ({9}) Sie fordern die Abschaffung von Kettenbefristungen. Auch hier habe ich große Hoffnungen, mit unserem Koalitionspartner zu einer guten Lösung zu kommen. ({10}) Denn diese Forderung konnten wir ebenfalls erfolgreich im Koalitionsvertrag verankern. ({11}) Sie wollen den Achtstundentag schützen. ({12}) „Bravo!“, sage ich. Das ist SPD-Position. – Wir erleben zurzeit immer wieder massive Angriffe auf das Arbeitszeitgesetz; ich schaue auf die FDP. Das Arbeitszeitgesetz ist ein Arbeitsschutzgesetz. Deshalb werden wir das Arbeitszeitgesetz gegen diese Angriffe verteidigen. ({13}) Gerade auch in der Arbeitswelt von morgen ist der Schutz vor körperlicher Ausbeutung und Überforderung wichtig. Menschen sind nun mal keine Roboter. ({14}) Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir uns auch über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Messung der täglichen Arbeitszeit gefreut. Denn eines ist klar: Eine konsequente Arbeitszeiterfassung schützt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und sichert das Recht auf die Einhaltung der so wichtigen täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten. ({15}) Deshalb kämpfen wir dafür. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie sehen: In vielen Punkten sind wir gar nicht so weit voneinander entfernt. Was uns dann aber doch unterscheidet, ist eine wichtige Sache: Wir schreiben die Forderungen nicht nur auf Papier wie Sie, ({16}) sondern wir setzen sie Stück für Stück für die hart arbeitenden Menschen in unserem Land um. ({17}) So sichern wir gute Arbeitsbedingungen für heute und für die Arbeitswelt der Zukunft. Das machen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit über 150 Jahren überaus erfolgreich. ({18})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. Sie sind zwar 15 Sekunden drüber, ist aber egal. Wir vermuten als Präsidium, dass Sie die Schülerinnen und Schüler auf der Tribüne rechts haben begrüßen wollen – diejenigen auf der Tribüne in der Mitte sehen eher aus wie ehemalige Schüler. ({0}) Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Axel Knoerig. ({1})

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Linken gibt vor, die Arbeit zukunftsfest zu machen. Doch das entscheidende Stichwort, die Digitalisierung, kommt darin gar nicht weiter vor. Man findet hier keine innovativen Ideen für die Arbeitswelt von morgen, keine konkreten Konzepte, wie sich Beschäftigte auf den Wandel der Berufe besser vorbereiten können, und es gibt auch keine Vorschläge, wie die Unternehmen die Digitalisierung stemmen können, um letztendlich wettbewerbsfähig zu bleiben und Arbeits- und Ausbildungsplätze auch wirklich zu sichern. Sie stellen stattdessen Forderungen auf, die in die unternehmerische Freiheit eingreifen. So sollen Fördermittel an eine Garantie von Arbeitsplätzen geknüpft werden. Wenn man aber – und das ist doch die Regel – die Auflagen erhöht, führt man die Unternehmen doch erst recht in die Krise. Deswegen sagen wir für die Arbeitnehmergruppe der Union – und auch für die Sozialausschüsse der CDA halte ich fest –: Wir setzen uns für gute Arbeit ein ({0}) und sehen mit Blick auf die Zukunft immer Arbeit und Wirtschaft zusammen. ({1}) Neben der Digitalisierung sind der demografische Wandel und auch die Fachkräftesicherung die größten Herausforderungen. Es gilt, Beschäftigte und Unternehmen rechtzeitig auf diese Veränderungen vorzubereiten, und zwar branchenspezifisch. Meine Damen und Herren, wir haben gezielte Strategien für die wichtigsten Schwerpunkte entwickelt: für Industrie, Mittelstand, Fachkräfte, Weiterbildung und Digitalisierung; hier haben wir ganz gezielte Strategien eingeleitet. Und wir haben in den vergangenen 15 Jahren Rekordsummen in Bildung und Forschung und Infrastruktur investiert. Wenn Die Linke ein Investitionsprogramm für diese Bereiche fordert, kann ich also nur sagen: Es ist weitestgehend längst erledigt. ({2}) Auch fördern wir den Mittelstand bereits bei der Umstellung auf moderne Technologien. Es gibt viele Programme, wie zum Beispiel „Mittelstand 4.0“, und für dieses Jahr ist ein weiteres Zuschussprogramm gerade für kleinere Betriebe geplant. Meine Damen und Herren, der Antrag der Linken erweckt den Anschein, als ob der Wandel der Arbeitswelt von oben gestaltet würde. Sie setzen auf staatliche Intervention und die Verteilung mit der Gießkanne. Die Kosten sollen auf die kommenden Generationen übertragen werden. Wir aber schauen in die Betriebe; dort entwickeln Arbeitgeber und Arbeitnehmer passgenaue Zukunftsmodelle. Unternehmen, Sozialpartner, Berufskammern, Innungen und Politik kooperieren bei der Gestaltung neuer Berufsbilder. Daher wird der Wandel erfolgreich von unten gestaltet. Bei uns im Bundestag gibt es seit zwei Jahren die Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“. Dort haben wir festgestellt, wie verschieden die regionalen Bildungsmärkte und wie wichtig sie für die Fachkräftegewinnung sind. Um Fachkräfte zu binden, brauchen die Betriebe in Zukunft eine gute Unternehmenskultur, flache Hierarchien, innerbetriebliche Weiterbildung und neue Mitbestimmungsmodelle. An dieser Stelle stimme ich den Grünen zu, die in ihrem Antrag ein Update – wie Sie es gerade formuliert haben, Frau Müller-Gemmeke – bei der Mitbestimmung fordern. Allerdings ist das Sache der Tarifpartner – umso mehr, als die Branchen sehr unterschiedlich stark digitalisiert sind. Wir als Politik müssen die Rahmenbedingungen für alle Bereiche der Arbeit anpassen. ({3}) Die größte Veränderung ergibt sich in dem Dreieck Mensch–Maschine–Arbeitsorganisation; hier werden sich die Arbeitsabläufe zu fast hundert Prozent verändern. Die Digitalisierung ist also als Erstes eine Frage der Organisation. Das heißt, wenn man die Arbeit neu organisiert, kann man sie auch zukunftsfest machen. Dabei fördern wir gezielt die Weiterbildung von Beschäftigten. Der Kollege hat unser Qualifizierungschancengesetz erwähnt, das seit 2019 gilt und von der Wirtschaft gut angenommen wird. ({4}) In dieser Woche hat die Koalition höhere Zuschüsse und flexiblere Regeln beschlossen, wovon gerade kleine und mittelständische Unternehmungen profitieren werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat der Kollege Bernd Rützel, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir beraten heute auch einen Antrag der Grünen, der sich mit einem Update der Mitbestimmung bezüglich der Digitalisierung beschäftigt. Natürlich brauchen wir dieses Update. Wir brauchen es politisch und gesetzlich. Lieber Kollege Knoerig, die Tarifautonomie ist wichtig. Aber wir sind hier nicht im politikfreien Raum, wir müssen schon auch Bereiche und Leitplanken bearbeiten und setzen. Deswegen bin ich froh, dass dieser Punkt auf der Tagesordnung steht, und ich bin auch froh, dass wir im Ausschuss darüber beraten. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst mich bitte drei Punkte ansprechen, die mir sehr wichtig sind. Der erste Punkt ist, den Vorteil der mitbestimmten Arbeit herauszustellen. Wenn wir an die Finanzkrise 2008/2009 denken, dann erkennen wir, dass es den Menschen in den Betrieben und Unternehmen, die mitbestimmt waren, am besten ging. Dort waren die Menschen am besten geschützt. Zugleich waren in diesen Betrieben die Aktienrenditen am höchsten. ({1}) Es ist also eine Mär, zu glauben, Mitbestimmung sei schlecht für das wirtschaftliche Wachstum. ({2}) Das Gegenteil ist der Fall. Beides zusammen, die Menschen zu schützen und wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ist wichtig; daher Mitbestimmung. Die Mitbestimmung bindet die Menschen auch besser ans Unternehmen, sie kündigen weniger oft. Detlef Scheele hat diese Woche im Ausschuss ausgeführt, dass es das Kapital der Unternehmen ist, die Menschen zu halten. Martin Rosemann hat es vorhin sehr schön skizziert. Es ist Gold wert, das Personal zu haben und zu halten. Wir haben einen Fachkräftemangel. Wir haben ein demografisches Problem. Von daher sind die Tarifbindung und die Mitbestimmung ein Qualitätssiegel, ein zukunftsgerichtetes Qualitätssiegel für die Betriebe. Schlaue Betriebe, schlaue Unternehmen wissen das und machen das. ({3}) In mitbestimmten Betrieben ist auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf am besten gegeben. Aber eines möchte ich doch noch herausarbeiten, was mir an dieser Stelle wirklich am wichtigsten erscheint: Die Mitbestimmung im Betrieb – ob das die Jugendvertretung, der Personalrat, der Betriebsrat, die Behindertenvertretung ist – stabilisiert unser politisches System. Ich glaube, diese Debatte müssen wir auch gesellschaftlich führen. Die Mitbestimmung im Unternehmen ist sozusagen Schule für die Demokratie. ({4}) Ich glaube, es ist in dieser Woche ganz wichtig, das noch einmal zu betonen. Mit welcher Erfahrung kann ich das sagen? Ich habe selber erlebt – als Jugendvertreter, bei der Bahn, 15 Jahre alt –, wie es ist, für Ziele einzutreten, zu argumentieren, diese Ziele zu verfolgen, Kompromisse zusammenzubekommen und Gesellschaften zusammenzubinden und nicht zu spalten; das ist wichtig. Der zweite Punkt, den ich ansprechen will, ist die Digitalisierung. Sie bietet Chancen, sie bietet viele Chancen, weil zeitlich und räumlich eine Entgrenzung stattfindet. Es ist nicht alles schlecht. Aber die Frage ist, ob wir das einfach so laufen lassen können oder ob wir Leitplanken brauchen, ob wir Wegweiser brauchen. Leitplanken und Wegweiser brauchen wir in unserem Leben; sonst verirrt man sich. Deswegen ist es wichtig, dass wir hier auf der einen Seite Freiraum lassen, auf der anderen Seite aber klar skizzieren, wohin die Reise geht. Denn die Menschen brauchen Rechte; diese Rechte darf man ihnen nicht wegnehmen, im Gegenteil, die muss man schützen. ({5}) Der dritte Punkt, den ich ansprechen will: Wir haben uns in der Koalition viel vorgenommen, nicht nur das, was wir schon erledigt haben, sondern auch das, was noch kommt. Wir werden das vereinfachte Wahlverfahren ausweiten. Lieber Kollege Schummer, ich freue mich, wenn ihr eure Partei überzeugt. Dann werden wir auch den Kündigungsschutz ausweiten, wenn Betriebsräte gegründet werden; denn das ist auch ein wichtiger Punkt, das müssen wir tun. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Rützel. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Linken beschäftigen sich mit der Transformation auf dem Arbeitsmarkt und den Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Die Chancen, die damit verbunden sind, werden leider ausgeblendet. Ich glaube nicht, dass wir die entsprechende Transformation bzw. den Umbau des Arbeitsmarktes dadurch erreichen können, dass wir die Menschen von der Arbeit entwöhnen. ({0}) Denn all die Vorschläge, die Sie unterbreitet haben, zielen auf eine Entwöhnung von der Arbeit. ({1}) Der längere Bezug von Arbeitslosengeld ist Entwöhnung von der Arbeit. Die Erhöhung einer sanktionsfreien Mindestsicherung ist Entwöhnung von der Arbeit. ({2}) – Doch, natürlich. – Alles, was Sie hier unterbreiten, auch die Forderung nach einem hohen gesetzlichen Mindestlohn, bedeutet, dass Einstiegschancen in manche Arbeiten verringert werden. Auch das gehört mit dazu. ({3}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich glaube nicht, dass dies die Rezepte für die Zukunft sind, sondern das sind die Rezepte der Vergangenheit. Das hatten wir schon. ({4}) Sie fordern auch: Die Strangulierung des Arbeitsmarktes muss wieder vorangetrieben werden. ({5}) Auch das hatten wir schon mal. Das hat zu höherer Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft geführt. Wir hatten ja schon mal eine linke Regierung. Unter ihr hatten wir 5 oder 6 Millionen Arbeitslose. ({6}) – Die waren seinerzeit auch linksorientiert. ({7}) Diese Entwicklung haben wir als unionsgeführte Regierung umgekehrt. Wir haben jetzt nur noch gut 2 Millionen Arbeitslose. Wir stehen für Vollbeschäftigung. ({8}) Diese Vollbeschäftigung erreichen wir ({9}) einmal dank der guten Rahmenbedingungen vonseiten des Staates und außerdem dank der Sozialpartnerschaft von Betrieben und Gewerkschaften. Das ist eindeutig. Dafür steht auch die Union. ({10}) Ich begrüße ausdrücklich das Angebot der IG Metall in dieser oder der vergangenen Woche, mit den Arbeitgebern darüber zu reden, die neuen Herausforderungen, insbesondere in der Metallindustrie, bei anstehenden Lohnverhandlungen zu berücksichtigen, möglicherweise dann auch Zurückhaltung im Sinne des Erhalts von Arbeitsplätzen zu üben. Das ist doch gelebte und großartige Sozialpartnerschaft, die wir anerkennen und die wir begrüßen, verehrte Damen und Herren. ({11}) Beim Schreiben Ihres Antrags haben Sie offensichtlich alle Maßnahmen der Bundesregierung ausgeblendet, die wir im Bundeshaushalt niedergelegt haben. Wir haben den Bundeshaushalt für 2020 ohne Nettoneuverschuldung verabschiedet und trotzdem die Investitionen auf einen Höchststand von 42,6 Milliarden Euro ausgeweitet – der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Vor allen Dingen haben wir in zukunftsorientierte Projekte investiert, ohne dass wir den jungen Menschen, die heute auf der Tribüne sitzen, einen Schuldenberg hinterlassen; das wäre letztendlich das Ergebnis Ihrer Politik. ({12}) Damit würden Sie die jungen Menschen ihrer Zukunftschancen berauben. Das ist ja Ihre Politik, die wir hier nicht unterstützen und auch nicht Wirklichkeit werden lassen. ({13}) Wir haben auch auf den geringen Schatten reagiert, der derzeit auf den Arbeitsmärkten in einzelnen Bereichen zu beobachten ist, vor allen Dingen in der Automobilindustrie. Dies gilt insbesondere für unsere Koalitionsbeschlüsse zur Bezugsdauer und Ausweitung des Kurzarbeitergeldes. Entscheidungen sollen schneller fallen. Die Bundesregierung kann dies fachspezifisch und branchenspezifisch auf den Weg bringen, ohne dass man dafür ein parlamentarisches Verfahren braucht. Vielmehr kann man dies mit Verordnungen ermöglichen. Aber vor allen Dingen ist auch das nötige Geld bereitgestellt. In den Etat der Bundesagentur für Arbeit wurden für das Kurzarbeitergeld 100 Millionen Euro mehr eingestellt. Das zeigt sehr deutlich: Wir haben entsprechend reagiert und uns den Herausforderungen gestellt. Diese haben wir auch in unserem politischen Handeln berücksichtigt. Deshalb, verehrte Damen und Herren: Der Antrag hat zwar eine schöne Überschrift, aber die falschen Rezepte. Diesen falschen Rezepten werden wir nicht die Zustimmung geben. Herzlichen Dank. ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Straubinger. – Damit schließe ich die Aussprache.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2005 sind die Löhne in Deutschland pro Kopf um 20 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum sind die Einnahmen für den Bundesfinanzminister aus der Einkommensteuer um 84 Prozent in die Höhe geschnellt. Wer in den 60er-Jahren gearbeitet hat, der musste das 18-Fache des Durchschnittseinkommens verdienen, um an den Spitzensteuersatz heranzukommen. Heute, im Jahr 2020, liegt die Zahl beim 1,5-Fachen. ({0}) Es sind nicht mehr Millionäre, die den Spitzensteuersatz zahlen. Es sind Millionen von Menschen in der Mitte in Deutschland, die Leistungsträger unseres Landes, die spitzenbesteuert werden. Das ist ungerecht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Die Steuereinnahmen steigen in Deutschland. Die Steuer- und Abgabenquote steigt in Deutschland. Die Bundesvorsitzende der SPD sagt: Steuersenkungen sind gefährlich. – So geht die Parteispitze der SPD, nicht die Fraktion – dazu komme ich gleich –, mit der hart arbeitenden Mitte der Gesellschaft um. Dazu sage ich Ihnen in aller Klarheit: Vor diesem Hintergrund auf Steuersenkungen zu verzichten, das ist in Wahrheit gefährlich. Sie bringen die Menschen gegen den Staat auf. ({2}) Aber in den letzten Tagen – das will ich positiv feststellen – hat sich in der Bundespolitik etwas verändert. Es gibt ja – das merken wir, das spüren wir, heute war es in der „WirtschaftsWoche“ zu lesen – wirklich einen „mind change“, würde man sagen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert die Verschiebung der Einkommensgrenze beim Spitzensteuersatz. ({3}) Die Union fordert das. Auch die Linkspartei will das. ({4}) Ich bin dem Kollegen Dietmar Bartsch ausdrücklich dankbar, dass er dieses Thema adressiert hat. Sogar Teile der SPD-Bundestagsfraktion fordern Selbiges. Auffallend still sind die Kolleginnen und Kollegen der Grünen an dieser Stelle. ({5}) Ich will sagen: Seit 20 Jahren hat es das in der deutschen Politik in Wahrheit nicht gegeben. Ich glaube, wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier eine historische Chance. Das war lange Jahre nicht der Fall. Wir haben die Chance auf eine Mehrheit zur Entlastung der Mitte der Menschen in Deutschland im Bundestag und im Bundesrat. Diese historische Chance müssen wir nutzen. ({6}) Zwei Drittel der Menschen sind dafür. Selbst die größere Mehrheit, die zurzeit noch nicht den Spitzensteuersatz in Deutschland zahlt, ist dafür, die jetzige Einkommensgrenze, die leistungsfeindlich ist, zu verschieben. Die Mehrheit der Menschen ist dafür. Es gibt dafür eine politische Mehrheit in Deutschland. Diese Mehrheit muss jetzt genutzt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Mit dem, was wir hier vorschlagen, werden alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlastet, weil die Kurve flacher wird. Zusätzlich machen wir einen Vorschlag, wie auch der Mittelstandsbauch verringert werden kann. Dass das finanzierbar ist, hat die Fraktion der Freien Demokraten bei den Haushaltsberatungen 2020 gezeigt, wo wir Ihnen deutlich gemacht haben, liebe Bundesregierung, dass 20 Milliarden Euro im Haushalt, die Sie ausgeben wollen, nicht ausgegeben werden müssten. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dürr, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Binding aus der SPD-Fraktion?

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit größter Freude. – Herr Kollege Binding. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Frage zu Ihrem Konzept. Es gibt ja einen Einkommenspunkt in Ihrem Konzept, ab dem die Steuerentlastung maximal ist. Ab welchem Einkommen ist die Steuerentlastung nach Ihrem jetzt vorgelegten Konzept maximal?

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Binding, wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie auf ein Phänomen hinaus, das die SPD seit Langem kritisiert. Ja, es ist wahr: Diejenigen, die viel Steuern zahlen, werden natürlich auch entlastet. ({0}) Im Übrigen empfehle ich Ihnen eins. Ich empfehle mehr Kommunikation innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion. ({1}) Ich bin dem Kollegen Johannes Kahrs außerordentlich dankbar, dass er mit uns der Meinung ist, dass die Einkommensgrenze auf 90 000 Euro verschoben werden müsste. Es gibt gute Kollegen bei Ihnen. Hören Sie auf diese Kollegen, Herr Kollege Binding. Das würde mich ausdrücklich freuen. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Binding, die Frage ist nicht dialogfähig. ({0}) Sie können sich gerne zu einer Kurzintervention melden, die ich vielleicht sogar zulassen werde. Aber ein Dialog mit dem Redner ist bei einer Frage jedenfalls nicht zulässig. ({1}) – Jeder Redner beantwortet Fragen so, wie er sie beantworten kann. Ob Ihnen das gefällt oder nicht, entzieht sich auch der Bewertung des Präsidiums. Der Kollege Dürr hat dazu das Notwendige gesagt. – Herr Kollege Dürr, Sie können fortfahren.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Binding, ich will daran anknüpfen. Ich bin vor allen Dingen für eines dankbar – das sage ich in aller Ernsthaftigkeit –: Ich bin dankbar dafür, dass die FDP-Bundestagsfraktion mit dieser Forderung nicht mehr alleine dasteht. Wir haben ja kein Copyright darauf. Uns freut es doch, dass Haushaltspolitiker Ihrer Fraktion hier ein klares Bekenntnis abgegeben haben; denn die jetzige Einkommensteuer ist ungerecht. Diese Erkenntnis muss sich doch auch in der Breite der SPD-Bundestagsfraktion endlich durchsetzen. ({0}) Ein Satz, der hier schon vor zehn Jahren gesagt worden ist, gilt immer noch: Es geht um Leistungsgerechtigkeit; auch Leistungsgerechtigkeit ist eine Form der Gerechtigkeit. – Der Spitzensteuersatz hat sich in den letzten Jahren – das ist das große Problem – immer mehr in die Mitte der Gesellschaft hineingefressen, im wahrsten Sinne des Wortes. ({1}) Ich glaube, folgender Satz sollte uns alle einen – ich sage ihn, auch wenn ich weiß, dass FDP-Fraktionskollegen ihn hier früher oft gesagt haben und nicht auf sie gehört wurde –: Leistung muss sich in Deutschland endlich wieder lohnen. – Das Jahr 2020 ist der richtige Zeitpunkt, sich genau darum zu kümmern. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. – Nächster Redner ist der Kollege Olav Gutting, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen des Deutschen Bundestages! Das ist ein wirklich interessanter Gesetzentwurf der FDP. Ein fairer Tarif bei der Einkommensteuer – wer möchte dieser Forderung widersprechen? Ich muss eingestehen, dass ich dem heute vorliegenden Gesetzentwurf eine große Sympathie entgegenbringen kann. ({0}) Insbesondere die Begründung des Gesetzentwurfs klingt charmant und unterstützenswert: ({1}) den Mittelstandsbauch abflachen, den Tarif leistungsgerecht und chancenorientiert umgestalten, strecken, abflachen, die Mitte der Gesellschaft entlasten, damit die Bezieher mittlerer Einkommen nicht schon mit einem Teil ihres Einkommens den Spitzensteuersatz zahlen. – Ich finde das richtig. Wir in der Union betrachten die schrittweise Entlastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler als unsere Aufgabe, und dieser Aufgabe stellen wir uns. ({2}) Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied: Bei Ihnen in der Opposition ist es möglich, Luftschlösser zu bauen. ({3}) In der Regierungskoalition müssen wir hingegen auf dem Boden der Tatsachen arbeiten. ({4}) Gestern wurde hier behauptet, liebe Kollegin Stark-Watzinger, der GroKo falle alle elf Minuten eine neue Steuer ein. Ich habe den Eindruck, der FDP fällt alle elf Minuten ein neues Steuersenkungskonzept ein. ({5}) Aber verantwortungsvolle Politik achtet immer darauf, den Gesamtzusammenhang zwischen bereits erfolgten, zwingend umzusetzenden und wünschenswerten Steuererleichterungen für die Menschen in diesem Land deutlich zu machen. ({6}) Wir haben vor wenigen Wochen in diesem Haus beschlossen, die Belastung durch den Solidaritätszuschlag in einem Umfang von über 10 Milliarden Euro zu reduzieren. Das sind 10 000 Millionen Euro jährlich. Das ist die größte Steuerentlastung auf einen Schlag seit über zwei Jahrzehnten. ({7}) Wir wollen so schnell wie möglich auch den Rest des Solis abschaffen. Für uns in der Union bleibt es dabei: Dieser Zuschlag muss für alle entfallen. Mit dem Familienentlastungsgesetz – Ende 2018 – haben wir die Familien über das Kindergeld und über den Kinderfreibetrag deutlich entlastet. Wir sind mit Maßnahmen wie der Erhöhung des Grundfreibetrages weit über die verfassungsrechtlich gebotenen Maßgaben hinausgegangen, um einen Beitrag zur finanziellen Stärkung unserer Familien zu leisten. Auch hier ging es um Steuerentlastungen mit einem Volumen von über 10 Milliarden Euro jährlich. ({8}) Wir haben die kalte Progression neutralisiert. Grundlage dafür war übrigens ein Beschluss, den wir in der vorletzten Legislaturperiode gefasst haben. Damals, in der christlich-liberalen Koalition, haben wir die Bundesregierung dazu gezwungen, immer regelmäßig einen Progressionsbericht vorzulegen. Das ist damals klug gewesen. ({9}) Deswegen ist es gelungen, die kalte Progression zu neutralisieren. Wir haben noch im alten Jahr im Zuge des sogenannten Jahressteuergesetzes mehrere Maßnahmen beschlossen, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer direkt entlasten. Jetzt ist das eine Frage der Addition, des Plusrechnens, das man schon in der Grundschule lernen konnte: Summa summarum haben wir mit den von uns beschlossenen Maßnahmen – ab nächstem Jahr – eine Gesamtentlastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler um über 21 Milliarden Euro pro Jahr erarbeitet. Kolleginnen und Kollegen, wir haben weitere Projekte vor der Brust. Wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft erhalten wollen, dann brauchen wir eine Reform unseres Unternehmensteuerrechts. ({10}) Das bedeutet, wir brauchen eine Vielzahl von weiteren steuerlichen Maßnahmen: bei der Körperschaftsteuer, bei der Gewerbesteuer, bei der Gewerbesteueranrechnung, beim Außensteuerrecht. Das alles gibt es doch nicht zum Nulltarif; das muss man doch wissen. Die Vorschläge der FDP, die uns heute vorliegen, würden die bisher schon erfolgte Entlastung von 21 Milliarden Euro verdoppeln. Dann soll noch der Soli komplett weg, und die Unternehmensteuerreform soll kommen. Dann sind wir bei einer Entlastung um irgendwas über 60 Milliarden Euro jährlich, und das bei gleichzeitig steigenden Investitionen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kriegen selbst wir nicht hin, leider. ({11}) Aufgabe der Regierungskoalition und ganz besonders der Union ist es, dafür zu sorgen, dass wir einen ausgeglichenen Haushalt haben; und das nicht zum Selbstzweck, sondern weil wir fest daran glauben, dass stabile Finanzen die Grundlage für nachhaltiges, stabiles, gesundes Wachstum sind. Deswegen stehen wir mit beiden Füßen auf dem Boden der haushaltspolitischen Tatsachen, und deswegen können wir heute diesen Gesetzentwurf der FDP nicht mittragen. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gutting. – Als nächster Redner hat der Kollege Albrecht Glaser, AfD-Fraktion, das Wort. ({0})

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Satz vorweg, Herr Gutting: Die 21-Milliarden-Euro-Entlastung nächstes Jahr gibt es nicht; die 9-Milliarden-Euro-Neutralisation der heimlichen Steuererhöhungen ist keine Entlastung, sondern nur die Vermeidung von heimlichen Steuererhöhungen. – Ich sage das jetzt zum fünften Mal. ({0}) Diese Form von Grundschulmathematik, von der Sie gesprochen haben, haben Sie leider wieder einmal mit Füßen getreten. ({1}) Die Fraktion der FDP hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir alle schon einmal unter anderem Namen vor einem Jahr gesehen haben. Das ändert allerdings nichts daran, der Tendenz des Entwurfs zuzustimmen. Der Entwurf zielt darauf ab, die Tarifeckwerte der Einkommensteuer nach rechts zu verschieben. Dadurch soll die Progression abgeflacht werden, und zwar in einem Bereich zwischen dem Grundfreibetrag von 9 408 Euro und 90 000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen. In diesem Korridor befindet sich die überwiegende Mehrheit der Steuerpflichtigen. Insgesamt würden alle Einkommensteuerzahler – natürlich nur diejenigen, die wirklich Steuern zahlen – von dieser Entlastung profitieren. Die steuerliche Entlastung würde zusammengerechnet 21 Milliarden Euro ausmachen. Das ist eine sinnvolle Maßnahme, weil damit der Spitzensteuersatz dahin verschoben wird, wo er hingehört, nämlich in die Zone der wirklich richtig gut Verdienenden. ({2}) Vom linken Lager wird an dieser Stelle stets an die höheren Spitzensteuersätze früherer Zeiten erinnert. Das ist immer dieselbe Diskussion, wie bei Loriot. Dazu zwei Anmerkungen: Erstens. Ende der 50er-Jahre musste man das 20-Fache des Durchschnittseinkommens eines Vollzeitbeschäftigten verdienen, um mit dem Spitzensteuersatz belastet zu werden. Das 20-Fache! Zweitens. Als die Schröder-Administration den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt hat, wurde zugleich der Betrag für den Eintritt in die Spitzenbelastung von 61 000 Euro auf 52 000 Euro Jahreseinkommen gesenkt. Dort blieb er numerisch bis 2015. Er liegt zwischenzeitlich inflationsbereinigt, also in Wahrheit, noch mal 25 Prozent unter den 52 000 Euro, also 25 Prozent unter dem Betrag, den die Schröder-Administration für den Einstieg in den Spitzensteuersatz vorgesehen hat. Was die Abgabenlast generell betrifft, liegt Deutschland im internationalen Vergleich an der Spitze. ({3}) Nach einer Studie der OECD hat Deutschland mit 49,5 Prozent die zweithöchste Belastung des Bruttolohns aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit Steuern und Sozialbeiträgen, meine Damen und Herren. ({4}) Selbst Familien mit einer deutlich geringeren Belastung von 21,7 Prozent in Deutschland liegen immer noch deutlich über dem entsprechenden OECD-Schnitt von 14,2 Prozent Belastung der Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkommen. Neben der hohen Steuerlast für Unternehmen ist die private Abgabenbelastung eines der wichtigsten Kriterien im internationalen Wettbewerb, und zwar nicht nur um unternehmerische Investitionen, sondern auch um die klügsten Köpfe aus Wirtschaft und Wissenschaft. Die Steuerquote in Deutschland 2018 hat mit 23,6 Prozent den höchsten Wert seit 30 Jahren erreicht, und sie steigt weiter an. ({5}) Auch dies ist ein Argument für eine Kurskorrektur in der Steuerpolitik. ({6}) Dasselbe gilt für den zögerlichen Abbau des Solidarzuschlags. Er ist nur zur Hälfte abgeschafft worden, was bekanntermaßen verfassungsrechtlich höchst strittig ist. Es gilt für den Negativzins bei Geldvermögen, der steuerlich nicht angerechnet werden darf, und es gilt für Steuererleichterungen zugunsten der Mittelschicht, einem Bevölkerungssegment, das dieses Land wirtschaftlich trägt. Es bleibt dabei: Das alles wird durch diese Zielgruppe geleistet, und das kann dieser Zielgruppe nicht weiter zugemutet werden.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss bitte?

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir müssen uns steuerpolitisch in diesem Land in die von mir aufgezeigte Richtung bewegen, sonst blockieren wir die weitere wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Dr. Wiebke Esdar. ({0})

Dr. Wiebke Esdar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens. Ich will zunächst einmal klarstellen – im Gesetzentwurf der FDP heißt es, „im Portemonnaie“ der Menschen kommt nichts an –: Wir entlasten bereits um 10 Milliarden Euro durch die Abschaffung des Soli für 90 Prozent der Menschen, die ihn bis jetzt gezahlt haben. ({0}) Wir entlasten um weitere 10 Milliarden Euro durch das Familienentlastungsgesetz. Durch die Wiederherstellung der Parität in der Krankenversicherung sowie durch die Senkung des Arbeitslosenbeitrages entlasten wir um weitere fast 6 plus fast 7 Milliarden Euro. Das wird spürbar bei den Menschen ankommen. Darum ist der Eindruck, den Sie in Ihrem Gesetzentwurf erwecken, falsch. ({1}) Zweitens. Ich wünsche mir etwas mehr Ehrlichkeit in der Debatte. Herr Dürr, Sie haben darüber gesprochen, ab wann der Spitzensteuersatz einsetzt, und ihn mit dem aus den 60er- und 70er-Jahren verglichen. Für mehr Ehrlichkeit in der Debatte gehört es dazu, darauf hinzuweisen, dass wir zu der Zeit einen um 14 Prozentpunkte höheren Spitzensteuersatz gehabt haben. ({2}) – Sie haben verschwiegen, dass es damals einen wesentlich höheren Spitzensteuersatz gab. Wir müssen auch darüber sprechen, dass es nicht um den Grenzsteuersatz, sondern um den Durchschnittssteuersatz ging. Wenn wir uns anschauen, wie hoch die Einkommen derer sind, die den Spitzensteuersatz zahlen, dann stellen wir fest: Es betrifft die oberen 9 Prozent der Einkommen. An dieser Stelle muss man ehrlich sagen: Die zahlen wirklich den Spitzensteuersatz. Wir können darüber reden, ob es statt die oberen 9 Prozent vielleicht die oberen 5 Prozent sein sollen und in welcher Höhe wir sie belasten, aber den Eindruck zu erwecken, einfache Facharbeiter würden ständig den Spitzensteuersatz zahlen, ist einfach falsch. ({3}) Zu einer soliden Finanzpolitik gehört drittens auch, dass wir die gesamten Aufgaben des Staates in den Blick nehmen und nicht nur von Steuersenkungen sprechen. Sie machen folgende Rechnung auf: Wir haben 13,5 Milliarden Euro Steuerüberschuss, darum können wir ab 2020 die Einnahmen um 21 Milliarden Euro senken. Sie sind hoffentlich darüber informiert, dass es einen Investitionsstau gibt und dass es Aufgaben gibt, die der Staat finanzieren muss. Wenn wir sagen – das können wir uns durchaus vorstellen, das hat Norbert Walter-Borjans bereits gesagt –, ({4}) der Spitzensteuersatz soll später greifen, dann müssen wir auch darüber sprechen, wie die wegfallenden Einnahmen kompensiert werden sollen oder wie viel wir finanzieren wollen. Wir müssen auch darüber sprechen, wie der Spitzensteuersatz erhöht oder wie besonders hohe Vermögen oder besonders hohe Erbschaften stärker besteuert werden können. ({5}) Wir müssen die gesamten Aufgaben des Staates in den Blick nehmen. Es geht auch um Familienfreundlichkeit. Ihr Ansatz von Familienfreundlichkeit ist Steuersenkung, unser Ansatz ist: Wir finanzieren einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Wir sorgen für eine gute Kitabetreuung. Wir werden die Aspekte abwägen. Ich freue mich auf die Beratungen, kann mir zu diesem Zeitpunkt aber nicht vorstellen, dass die SPD-Fraktion diesem halbgaren Gesetzentwurf zustimmen wird. Danke schön. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Fabio De Masi, Fraktion Die Linke. ({0})

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linke fordert einen nationalen Steuerkonsens zur Entlastung der Mitte. Die spannende Frage ist: Wer ist eigentlich Mitte? Die FDP hat das motiviert, ein Steuerentlastungsgesetz vorzulegen. Das ist gut. Wir sind für mehr politischen Wettbewerb. 3,5 Millionen Deutsche zahlen den Steuersatz von 42 Prozent auf einen Teil ihres Einkommens, darunter 1,7 Millionen Beschäftigte mit Bruttoeinkommen zwischen 5 000 und 7 000 Euro. Das heißt nicht, dass man 42 Prozent von 5 000 Euro abführt, sondern nur auf die Euros darüber. Wer Steuerwahrheit will, sollte über durchschnittliche Steuersätze reden. ({0}) Ich zahle als Bundestagsabgeordneter, also als Spitzenverdiener, etwas über 30 Prozent auf mein gesamtes Einkommen. ({1}) Dennoch ist es ein Problem, wenn jene, die hart arbeiten, auf keinen grünen Zweig kommen. Die Linke will den Grundfreibetrag anheben und Einkommen bis 7 100 Euro brutto im Monat entlasten. Der Spitzensteuersatz muss später greifen, aber wieder so hoch sein wie unter Helmut Kohl. ({2}) Die FDP will keine Erhöhung des Grundfreibetrags, ab dem man überhaupt erst Steuern zahlt. ({3}) Sie wollen den Bereich im Steuertarif, in dem man mit bis zu 24 Prozent besteuert wird, leicht abflachen. Auf Deutsch: keine Entlastung der geringsten Einkommen und eine kleine Entlastung mittlerer Einkommen. Die größte Entlastung von über 3 000 Euro – der Kollege Binding hatte danach gefragt, und ich übernehme die Antwort – soll bei der FDP bei einem zu versteuernden Einkommen von 90 000 Euro greifen, also etwa 102 000 Euro brutto bei einem alleinstehenden Beschäftigten. ({4}) Inklusive der vollständigen Abschaffung des Soli nimmt die Steuerentlastung von der FDP bei den Reichsten aber ständig zu. So entlasten Sie zu versteuernde Einkommen von 5 Millionen Euro im Jahr um 126 000 Euro. Das ist unanständig. ({5}) Ihr Antrag kostet inklusive Abschaffung des Soli 30 Milliarden Euro im Jahr. 30 Milliarden Euro: Das sind 1 Million Euro für jede Schule in Deutschland. ({6}) Das ist so teuer wie der Cum/Ex- und Cum/Cum-Skandal jedes Jahr und 60-mal so teuer wie der Mautskandal von Andi Scheuer. Wenn man mehr investieren und wie die FDP auch die Steuern für Konzerne senken will, gibt es dafür nur eine Lösung: Man muss Renten und Sozialausgaben kürzen. Das macht Die Linke niemals mit. ({7}) Ich muss mich beeilen, weil Herr Kubicki hinter mir sitzt. – Die FDP will Bundestagsabgeordnete entlasten, Die Linke Bäcker, Krankenschwestern und Polizisten. Das ist der Unterschied. Wer die Mitte entlasten will, muss die Reichsten in die Pflicht nehmen. Die FDP darf anrufen, wenn sie mitmachen will. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege De Masi, Sie müssen sich nicht beeilen, weil ich hinter Ihnen sitze, sondern weil die Zeit weiterläuft. Das ist das Entscheidende. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP stellt regelmäßig Anträge, die mit der Einkommensteuer zu tun haben. Bei zwei Punkten kann man sich immer sicher sein: Erstens. Bundestagsabgeordnete sollen weniger Steuern zahlen. ({0}) Und zweitens: Es wird teuer. Sie schreiben in Ihren Gesetzentwurf nicht rein, wie viel es kostet. Da steht nur der lapidare Satz, es werde „zu Mindereinnahmen im Bundeshaushalt oder in den Haushalten von Ländern oder Kommunen führen“ – dabei müsste es nicht „oder“, sondern „und“ heißen, weil es bei Bund, Ländern und Kommunen zu geringeren Steuereinnahmen führt –, aber eine Zahl nennen Sie nicht. Das ist gänzlich unseriös für einen Gesetzentwurf. ({1}) 10 Milliarden Euro sind es bestimmt, um die Sie entlasten wollen, oder sogar 30 Milliarden Euro mit Solidaritätszuschlag, wie der Kollege De Masi eben gesagt hat. Klar ist: Es wäre weniger Geld vorhanden für Investitionen, weniger Geld für Bildung und weniger Geld für sozialen Zusammenhalt. Schon deswegen ist der Gesetzentwurf ein Problem. ({2}) Jetzt komme ich dazu, wer wie entlastet wird, und das alles, weil Sie Bundestagsabgeordnete entlasten wollen. 3 000 Euro weniger Steuern sollen wir nach Ihrem Gesetzentwurf jedes Jahr zahlen. Rechnen Sie das einmal selber aus! 250 Euro im Monat wollen Sie jedem von uns schenken. Trotzdem werden wir dem nicht zustimmen. ({3}) Nun sagen Sie: Es sollen auch Bezieher kleiner Einkommen entlastet werden. – Richtig, jemand mit 10 000 Euro zu versteuerndem Einkommen wird auch entlastet, und zwar um 71 Cent pro Jahr. 71 Cent pro Jahr! Das sind fast 6 Cent im Monat. Bei 20 000 Euro ist das schon ein bisschen mehr. Dann sind es schon 7 Euro im Monat. Bei 30 000 Euro – dann sind wir schon in der Mitte der Gesellschaft – ist es nach Ihrem Gesetzentwurf eine Entlastung um 25 Euro im Monat. Das ist ein Zehntel dessen, was nach Ihrem Gesetzentwurf ein Bundestagsabgeordneter weniger zahlen soll. ({4}) Das ist nicht gerecht. Das werden wir so nicht unterstützen. ({5}) Wenn man entlasten will – und wir müssen entlasten –, dann ist es wichtig, sich die Realität anzuschauen. Dazu gibt es ein schönes Schaubild des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Es zeigt den sogenannten Wal in der Badewanne. ({6}) Was sagt uns dieser Wal? Der Wal sagt, dass schon bei unteren Einkommen die Belastung tatsächlich relativ hoch ist. Dagegen machen Sie fast nichts. Bei hohen Einkommen sinkt die Belastung mit steigendem Einkommen. Da müsste man eigentlich herangehen. Aber da wollen Sie noch stärker entlasten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Es ist nicht erwünscht, dass Sie mit solchen Schaubildern arbeiten, vor allem deshalb nicht, weil die Protokollführer Schwierigkeiten haben, das, was Sie zeigen, stenografisch festzuhalten.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe schon andere Schaubilder gesehen. – Aber Sie haben den Wal jetzt sicherlich im Kopf. Bei den unteren Einkommen sieht man: Mit geringerem Einkommen steigt die Entlastung. Auch da müsste man herangehen. ({0}) Wenn man entlasten will – genau, das ist unser Vorschlag –, dann reicht es nicht, zu sagen: „Mehr Netto vom Brutto“, sondern man muss weitergehen und bei denen im unteren Einkommensbereich noch etwas drauflegen. ({1}) Man muss dazu kommen, dass die Menschen im unteren Einkommensbereich nicht Geld an das Finanzamt zahlen, sondern Geld vom Finanzamt bekommen. Mehr netto als brutto! ({2}) Das ist die Lösung und nicht mehr Netto vom Brutto. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Sebastian Brehm. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich mich bei der FDP bedanken, dass sie heute den Gesetzentwurf auf die Tagesordnung gesetzt hat; denn das gibt uns wieder einmal die Möglichkeit, über die wichtige Modernisierung der Unternehmensbesteuerung und damit auch über die notwendige Anpassung der Einkommensteuer zu reden. Herzlichen Dank dafür! Es könnte auch nicht aktueller sein als genau in dieser Woche. Mein Kollege Fritz Güntzler und ich haben in dieser Woche das Papier, das wir in der CDU/CSU zur Modernisierung der Unternehmensbesteuerung beschlossen haben, um einkommensteuerrechtliche Vorschläge ergänzt. Ich kann Ihnen nur empfehlen, die in dieser Woche erschienene Ausgabe der „WirtschaftsWoche“, Seite 26, zu lesen. Dort stellen wir auf fünf Seiten unser Konzept detailliert vor. Ich empfehle Ihnen dringend, sich das anzuschauen. ({0}) Ich weiß nicht, ob der Kollege Binding heute noch seinen Zollstock auspackt. Wahrscheinlich tut er es nicht. Sie hätten auf jeden Fall das Werkzeug, wir haben die Literatur. Also muss es doch funktionieren, dass wir gemeinsam einen Vorschlag zu einer großen Steuerreform machen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum sind steuerliche Reformen notwendig? Wir sind im internationalen Steuerwettbewerb. In der Tat ist Deutschland im OECD-Vergleich zu einem Höchststeuerland geworden. Steuerwettbewerb ist immer auch Standortwettbewerb. Es ist falsch, zu sagen, dass wir Steuersenkungen zum Beispiel gegen Investitionen in Schulen ausspielen. Wenn wir die Steuern senken – das geht aus einer ifo-Studie hervor –, gehen über 40 Prozent mehr Investitionen in Deutschland voran. Damit würde sich eine solche Reform fast selbst finanzieren. Es ist notwendig, dass wir die Investitionen in unserem Land voranbringen. Deswegen brauchen wir eine Senkung der Unternehmensteuerbelastung. Wir haben – das ist richtig dargestellt – bei den mittleren Einkommen eine hohe Einkommensteuerbelastung. Über 4 Millionen Arbeitnehmer unterliegen inzwischen dem Spitzensteuersatz, auch der deutsche Facharbeiter. Das war so gar nicht vorgesehen. Wir haben aber auch eine unverhältnismäßig hohe Belastung der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen im Einkommensteuertarif. Deswegen fordern wir eine Verknüpfung der Modernisierung der Unternehmensbesteuerung mit einer breiten Entlastung der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen im Einkommensteuerrecht. Über 20 Jahre ist die letzte große Steuerreform her. Wir haben viel in den Bereichen Bekämpfung der Steuerumgehung, Transparenz und Offenlegung gemacht. Das war richtig und notwendig, und das haben wir gemeinsam durchgesetzt. Deutschland war hier Vorreiter. Der Kollege Gutting hat schon gesagt, was wir alles in vielen kleineren Bereichen geschafft haben. Sicherlich bringen uns auch diese vielen kleinen Schritte voran. Aber wir müssen jetzt auch Vorreiter mit einem klug durchdachten und sinnvollen Ansatz für ein umfassendes, großes Steuerreformpaket werden. Darüber müssen wir gemeinsam sprechen. ({2}) Wir diskutieren fast jede Woche über einen anderen Teilaspekt. Heute ist es ein Teilaspekt im Gesetzentwurf der FDP. Ich möchte Sie bitten, nicht mehr über veraltete Ideen zu reden wie die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Sie setzen sich eine politische Brille auf ({3}) und wollen aus politischem Kalkül gewinnen. Wir müssen uns aber zurücknehmen und sollten uns zusammensetzen, um die Steuervorschläge, die wir jetzt vorgelegt haben, sachlich zu besprechen. Wir brauchen nicht das Klein-Klein, sondern angesichts des internationalen Steuerwettbewerbs einen großen Wurf. Ansonsten geraten wir mit unserem Land im internationalen Steuerwettbewerb ins Abseits. Das wollen wir nicht. Wir wollen gemeinsam kämpfen. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen. Ich lade Sie herzlich ein, miteinander zu sprechen. Sie haben recht: Im Jahr 2020 besteht eine große Chance. Jeder von Ihnen hat Steuerreformvorschläge gemacht. Wenn wir das alles zusammenfügen, wenn wir uns zusammensetzen und ohne Ideologie, auf rein steuerfachpolitischer Ebene miteinander sprechen, dann müssten wir doch etwas hinbekommen, was Deutschland voranbringt. Wir haben ein Modell vorgeschlagen. In diesem Zusammenhang möchte ich drei Dinge skizzieren. Wir brauchen bei den Unternehmensteuern eine Belastungsgrenze von 25 Prozent. Das schaffen wir durch die Abschaffung des Soli – natürlich auch bei Kapitalgesellschaften –, durch eine Anrechnung der Gewerbesteuer und durch ein Optionsmodell, übrigens immer nur für thesaurierte Gewinne, also für Unternehmensgewinne, die im Unternehmen verbleiben und dann reinvestiert werden. Wir müssen aber auch bei der Einkommensteuer etwas tun. Deswegen haben wir ein Modell vorgeschlagen, das eine Verschiebung der Steuerkurve und des Spitzensteuersatzes auf 80 000 Euro vorsieht. Damit geht einher, dass wir bei der Einkommensgrenze für den Reichensteuersatz von 270 000 Euro auf 250 000 Euro zurückgehen. Wir müssen selbstverständlich auch darüber sprechen, wie wir die Steuersätze im oberen Bereich ausgestalten wollen. Lassen Sie uns das machen. Aber das geht nur, wenn wir die Unternehmensteuerreform und die Einkommensteuerreform zu einem großen Paket verknüpfen. Ich lade Sie herzlich dazu ein. Lassen Sie uns gemeinsam diskutieren. Wenn wir es schaffen, dann haben wir 2020 für unser Land viel vorangebracht. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie können zu Ihrem Platz gehen. Der Kollege Dürr hat eine Kurzintervention beantragt, die ich zulasse. Aber Sie gehen zuerst zu Ihrem Platz. Dann machen wir das. Wunderbar! Herr Kollege Dürr, Sie dürfen trotzdem schon die Frage stellen. Der Kollege Brehm ist in der Lage, auf dem Weg zu seinem Platz zuzuhören.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrter Herr Kollege Brehm, das war eine runde Rede und das Gegenteil dessen, was der Kollege Gutting gesagt hat. ({0}) Das kann man zunächst einmal feststellen. Herr Gutting hat gesagt, die Union trage staatspolitische Verantwortung und das alles sei sehr schwierig zu finanzieren. Deswegen interessiert mich persönlich und die Öffentlichkeit eines: Das, was Sie in der „WirtschaftsWoche“ vorgestellt haben, ist aller Ehren wert. Ich stelle mir nur die Frage, was die Bundeskanzlerin dazu sagt. Denn wir haben eines in den vergangenen Jahren festgestellt: Immer dann, wenn es in Wahlkämpfe geht – in Hamburg steht ein Wahlkampf im Februar bevor –, ist die Union gut dabei, Steuerentlastungsvorschläge zu machen. Für Sie ist es in aller Regel ein Wahlkampfthema, aber nie ein Regierungsthema. Deswegen lautet die erste Frage: Inwiefern ist das, was Sie dort vorschlagen, innerhalb der Union durchsetzbar? Die zweite Frage: Was ist mit der SPD? Ich interessiere mich dafür, ob Sie die SPD einbinden; denn dort gibt es sehr unterschiedliche Stimmen. Frau Esdar hat eben das eine gesagt. Herr Kahrs sagt das genaue Gegenteil. Es reicht leider nicht, ausschließlich Diskussionen – so wie es Herr Altmaier macht – über Steuerentlastungen oder die vollständige Abschaffung des Soli zu führen. Tragen Sie endlich gerade als größte Partei Deutschlands Verantwortung! Steuersenkungen dürfen nicht nur Wahlkampfthema sein. Sie müssen endlich Regierungsthema bei Ihnen werden, Herr Kollege Brehm. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Brehm, Sie haben jetzt das Wort.

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zuerst zu dem, was Sie am Anfang gesagt haben: Zwischen den Kollegen Gutting und mich passt nicht einmal ein Blättchen Papier. So eng stehen wir beieinander. Das muss man sagen. Natürlich kämpfen wir gemeinsam an der Steuerfront und versuchen, alles herauszuholen, was geht. Insofern werden wir natürlich über unseren Vorschlag diskutieren und auch in der eigenen Fraktion versuchen, Mehrheiten zu finden. Wir machen einen Aufschlag und setzen einen Impuls. So haben wir es auch bei der Modernisierung der Unternehmensbesteuerung gemacht. Man ist immer gut beraten, wenn man versucht, gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion – sie ist immer dabei – ein gutes Konzept zu finden, das mir bei Ihnen übrigens fehlt. Ihr Gesetzentwurf befasst sich nur mit einem Teilaspekt; Ihnen fehlt das große Konzept. Deswegen müssen wir auch Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Wir haben ein Konzept vorgelegt, und das diskutieren wir jetzt. Da gehen wir natürlich auch auf den Koalitionspartner zu. Aber auch da gibt es die eine oder andere Stimme, die sagt: Ja, eine Reform der Unternehmensbesteuerung ist notwendig, Standortsicherung ist notwendig, Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit ist notwendig. Jetzt haben wir einen Vorschlag vorgelegt, und den diskutieren wir jetzt. Und dann werden wir natürlich versuchen, eine Mehrheit dafür zu finden. Ich denke, dass wir im Jahr 2020 eine gute Gelegenheit haben, das durchzusetzen. Ich denke natürlich, dass auch die Bundeskanzlerin mit dabei ist. Wir werden versuchen, sie in allen Punkten zu überzeugen. Aber ich glaube, man muss sie nicht mal überzeugen, ({0}) weil sie selber immer sagt: Wir brauchen Entlastungen. Insofern glaube ich, dass wir gemeinsam ein gutes Konzept hinbekommen. Jetzt reden wir über die einzelnen Vorschläge. Sie können gern bei den Gesprächen mit dabei sein. ({1}) Wir können insgesamt eine offene Diskussion führen, und dann schließen wir als Koalition etwas Vernünftiges ab. Aber ich bitte Sie, dann auch zuzustimmen. Die Steuergesetze, die wir jetzt gemacht haben, haben Sie alle abgelehnt. Insofern wäre es gut, wenn Sie diesmal zustimmen. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Der Kollege Lothar Binding, SPD-Fraktion, ist jetzt der letzte Redner zu dem Tagesordnungspunkt, und wir werden jetzt Erhellendes von ihm hören. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im ersten Moment dachte ich, das Konzept der FDP wäre fast ein SPD-Konzept, bis ich mal genauer hingeguckt habe. Ich habe nämlich geguckt: Wer im Staat zahlt gar keine direkten Steuern, wer zahlt mittelmäßig viel Steuern, und wer zahlt richtig viel Steuern? – Jetzt kann man sagen: Ihr Konzept hilft denen, die keine Steuern zahlen, nicht. Sie zahlen allerdings indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer; die ärmeren Leute sind durch die Mehrwertsteuer sehr stark belastet. ({0}) Die Bezieher mittlerer Einkommen entlasten Sie. Das ist der Teil, den auch die SPD im Blick hat: Wir wollen bei den mittleren Einkommen entlasten, und zwar ungefähr bis zu dem Punkt, den auch Sie nennen, nämlich 90 000 oder 100 000 Euro. Und dann habe ich gefragt: Ab wann entlastet eigentlich Ihr Konzept maximal? ({1}) Kollege De Masi hat es gesagt: Ab 90 000 Euro werden die Menschen maximal entlastet, und zwar egal, wie viel darüber hinaus sie verdienen – sie werden immer stärker entlastet. Und jetzt kommen wir mit dem SPD-Konzept, das zu einer gewissen Gerechtigkeit führt. ({2}) Wir sagen: Wir entlasten in einer Größenordnung bis 100 000 Euro, wir verschieben aber auch den Punkt, ab dem der Spitzensteuersatz gilt, nach rechts. ({3}) – Ja, Hans, du sagst jetzt, das soll man nicht machen, weil du ja auch in der Kategorie liegst. ({4}) Wir wollen jedenfalls die Steuern der richtig Reichen anheben. In der Nachkriegszeit hatten wir schon Steuern von 93 Prozent – „93“ habe ich gesagt; das war kein Versprecher –, und alle haben es überlebt. Weil Sie von der FDP eine solche Antwort schuldig geblieben sind, war es wichtig, bei Wiebke Esdar hinzuhören, die erklärt hat, wie unser Konzept funktioniert. Auch der Kollege Strengmann-Kuhn hat erklärt, warum Ihr Konzept so sozial ungerecht ist: ({5}) weil Sie die Reichsten am stärksten entlasten. Wie kann man das nur machen? Vor allen Dingen kostet das alle anderen 21 Milliarden Euro. Ohne Gegenfinanzierung ein Gesetz vorzulegen, ist nicht in Ordnung. ({6}) Sie sagen noch etwas: Sie sagen, am Anfang sei der Anstieg des Durchschnittssteuersatzes am steilsten. – Ihr Gesetz hilft dagegen aber gar nicht; Ihr Gesetz belässt es dabei. Ich will Ihnen sagen: Das ist mathematisch auch gar nicht anders möglich. ({7}) Ihre Antwort, das mache halt die Mathematik, ist falsch. Das macht die Politik, nämlich Ihre Politik. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Binding, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Theurer?

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gern.

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Kollege Binding, Sie haben hier den Eindruck erweckt, das FDP-Konzept sei besonders unsozial. ({0}) Dabei rekurrieren Sie aber auf einen Effekt, der durch die Progression entstanden ist. Erstens. Sind Sie bereit, einzugestehen, dass der von Ihnen angesprochene Entlastungseffekt überhaupt nichts mit einer Parteipräferenz zu tun hat, sondern dem deutschen Steuersystem wegen der Progression immanent ist? Zweitens. Wo, an welchem Punkt, ist denn bei Ihrem Konzept der Belastungseffekt am höchsten? ({1})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erst einmal haben Sie recht: Die Progressionseffekte führen immer dazu, dass die Entlastungswirkung, wenn man Steuern senkt, bei den Reichen am größten ist. ({0}) – Schön langsam, immer schrittweise! Es ist immer gut, wenn man die einzelnen Rechenschritte mitverfolgt. – Sie können aber im SPD-Konzept nachlesen, wie man diesen Mangel heilt: indem man bei denen, die sehr viel verdienen, den Steuersatz erhöht ({1}) und möglicherweise sogar die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bemessungsgrundlage verkleinert. Weniger Gestaltung, höherer Steuersatz – und schon haben Sie die Reichen im gebotenen Maße am Gemeinwesen beteiligt. ({2}) Über diesen Weg kann man die Progressionswirkung, die Sie berechtigterweise beschreiben, kompensieren. Sozialpolitik heißt auch: Man muss ungleiche Verhältnisse kompensieren, das heißt zusammenführen; ({3}) denn eine Spaltung in der Gesellschaft ist kontraproduktiv, ja sogar wirtschaftsfeindlich. ({4}) Wo der Effekt unseres Konzeptes am größten ist, kann ich Ihnen sagen. Progression bedeutet ja nicht nur, dass jemand, der mehr verdient, mehr Euro bezahlt; das heißt es auch. Sie bedeutet auch: Je reicher man ist, desto höher ist der Grad der prozentualen Belastung des Einkommens, aber er bewegt sich asymptotisch zu einem oberen Wert. Der obere Wert in unserem Konzept liegt bei 49 Prozent. Jemand, der am Tag 50 000 Euro verdient, der kann auch durchaus knapp 25 000 Euro am Tag abgeben; denn mit 25 000 Euro am Tag müssen die Leute noch zurechtkommen, wenn sie sich anstrengen. ({5}) Sie sprechen im Zusammenhang mit der Steuerquote von einer „unaufhörlichen Steigerungsspirale“. Ich will Ihnen sagen: Die Steuerquote war ab 1960 mal ein bisschen höher, mal ein bisschen niedriger. 1980 lag sie bei 23,8 Prozent, ({6}) 2004 bei 20,6 Prozent, und heute ist sie so hoch wie 1980. Das ist also kein Problem. Zu den steuerlichen Entlastungen hat Wiebke Esdar schon vorgetragen. Ich will das aus Zeitgründen nicht wiederholen. ({7}) Ich will vielleicht nur der FDP sagen: Wer so eine Politik macht und mehr will, als wir jetzt tun, der muss eine korrekte Problembeschreibung vornehmen. Andernfalls kann er die Probleme nicht lösen, weil er sie falsch beschrieben hat. Das ist Ihrem Gesetzentwurf immanent, und deshalb lehnen wir ihn ab. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Mit diesen Worten beende ich die Aussprache.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grüne haben heute zwei abrüstungspolitische Themen aufgesetzt, mit den einprägsamen Namen EWIPA und LAWS. Das eine sind Explosive Weapons in Populated Areas. Da geht es, frei übersetzt, um die Bombardierung dicht besiedelter Gebiete. Das andere sind Lethal Autonomous Weapon Systems, die vollautonomen Waffensysteme, auch bekannt als Killer Robots. Hierzu finden jeweils im UN-Rahmen in Genf Verhandlungen zwischen den Staaten statt, bei denen wir uns eine konsequentere Verhandlungslinie der Bundesregierung wünschen. ({0}) Im Fall der vollautonomen Waffensysteme verhandelt eine Gruppe von Regierungsexperten bereits seit 2016 über das Ob und das Wie einer Regulierung. Es geht dabei nicht um eine bestimmte Waffenart, wie Streumunition oder Landminen, sondern um autonome Funktionen in unterschiedlichen Waffensystemen, die sich immer mehr der menschlichen Kontrolle entziehen. Wenn die Entscheidung über Leben und Tod aber nicht mehr durch einen Menschen, sondern durch einen Algorithmus getroffen wird, wirft das unter anderem die Frage auf, wer künftig verantwortlich im Sinne des humanitären Völkerrechts ist. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit der automatisierten Abläufe können Konfliktsituationen unnötig eskalieren, wenn keine ausreichende menschliche Kontrolle existiert; denn auch die sogenannte künstliche Intelligenz macht Fehler. Das Militär verliert immer mehr Entscheidungsmacht an private IT-Konzerne. Und letztlich verstößt es gegen die Menschenwürde, wenn ein Menschenleben zum Objekt einer maschinellen Entscheidung wird. ({1}) Die Risiken liegen also auf dem Tisch. 28 Staaten haben sich inzwischen für förmliche Vertragsverhandlungen und eine völkerrechtlich bindende Konvention ausgesprochen. Leider gehört dazu nicht die Bundesregierung, obwohl die Ächtung vollautonomer Waffensysteme sogar im Koalitionsvertrag steht. ({2}) Der Spielraum für sinnvolle Regeln schwindet zunehmend. Das erforderliche Maß an menschlicher Kontrolle muss definiert sein, bevor ein Waffensystem überhaupt designt wird. ({3}) Der Rüstungswettlauf um das technisch Machbare braucht dringend einen regulativen Rahmen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie mehr Druck ausübt, die progressiven Staaten unterstützt und sich nicht länger mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufriedengibt. Deswegen zeigt die internationale Kampagne, die heute draußen vor dem Reichstag war, Ihnen die Rote Karte. Auch bei den UN-Verhandlungen zum Einsatz von großräumig wirkenden Explosivwaffen in besiedelten Gebieten braucht es eine klare Sprache. ({4}) Das Leid der Zivilbevölkerung in Syrien und im Jemen hat diese Art der Kriegsführung inzwischen auch zum Thema von UN-Verhandlungen in Genf gemacht. Ziel ist es, dem humanitären Völkerrecht mehr Geltung zu verschaffen. Mittlerweile haben der Generalsekretär der Vereinten Nationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und andere die militärischen Akteure aufgerufen, den Einsatz solcher Waffen in besiedelten Gebieten zu vermeiden, im Original: „to avoid“. Dabei geht es eben nicht nur um nichtstaatliche Akteure, sondern gerade auch um staatliche Verantwortung. Aktive Unterstützer sind unter anderem Irland und Österreich. Zunächst hat auch die Bundesregierung die Initiative unterstützt und vorangebracht. Leider hat sie im November gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien ein Papier vorgelegt, das die ursprünglichen Forderungen massiv abschwächt und sich jetzt nur noch an nichtstaatliche Akteure richtet. ({5}) Darin wird nur noch von improvisierten Sprengkörpern gesprochen und nicht mehr von Explosivwaffen. Die Forderung des UN-Generalsekretärs, den Einsatz von Explosivwaffen in besiedelten Gebieten zu vermeiden, wird nicht mehr aufgegriffen. Das ist ein schwerer Rückschlag für die internationalen Bemühungen. Das kritisieren wir. ({6}) Lassen Sie sich nicht in einem derart frühen Stadium auf den niedrigsten gemeinsamen Level als Verhandlungslinie ein. Es ist ohnehin ein dickes Brett, das in Genf bei der UN-Abrüstungskonferenz zu bohren ist. Bleiben Sie daher an der Seite des UN-Generalsekretärs und an der Seite von Irland und Österreich. Wer sich für eine Konkretisierung des humanitären Völkerrechts zum Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen will, muss sich für eine klare Sprache einsetzen und die staatlichen Akteure in die Pflicht nehmen. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Keul. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Gisela Manderla, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Den Kern der heutigen Debatte bildet die Frage, ob wir uns dem technologischen Fortschritt im Bereich der Wehrtechnik kategorisch verschließen wollen oder nicht. ({0}) Wir als Union haben hierzu eine klare Haltung: Wir stehen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit neuen militärischen Technologien im Rahmen des geltenden humanitären Völkerrechts. ({1}) Der israelische Staatspräsident hat vorgestern an dieser Stelle in seiner beeindruckenden Rede unter anderem gesagt, dass der Staat Israel sich gegen seine Feinde zu verteidigen wisse und dies auch könne. ({2}) Genau darum muss es im Grundsatz auch uns gehen. Selbst wenn wir der möglichen Anwendung bestimmter bereits vorhandener oder künftiger Technologien kritisch gegenüberstehen, so müssen wir doch in der Lage sein, diese zu beherrschen. Dies betrifft sowohl den Bereich der künstlichen Intelligenz als auch den der autonomen Waffensysteme. Die Forschung zu zivilen wie zu militärischen Zwecken sollte nicht gesondert betrachtet werden, sondern gemeinsam und als Einheit. ({3}) Dies gilt gerade in Zeiten, in denen die Zahl der internationalen Konfliktherde zunimmt und asymmetrische kriegerische Auseinandersetzungen an der Tagesordnung sind. Ein breites Fähigkeitsspektrum und die Möglichkeit, flexibel auf Bedrohungslagen reagieren zu können, sind hier unabdingbar. ({4}) Denn Fakt ist: Nicht jede Kriegspartei beachtet Regeln, Gesetze und völkerrechtliche Grundsätze. Auch das gehört zur Wahrheit, liebe Kollegen und Kolleginnen. Zudem übersehen die Antragsteller einen wichtigen Punkt. Eine Definition des Begriffs „autonome Waffensysteme“ existiert bislang nicht. Von daher geht die erhobene Forderung, diesen Waffensystemen die Förderung zu versagen, mangels Bestimmung ins Leere. Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir als CDU/CSU-Fraktion setzen uns vielmehr dafür ein, die Fragen bezüglich einer Regulierung letaler autonomer Waffensysteme im internationalen Rahmen zu klären. ({5}) Eine Regulierung ausschließlich auf nationaler oder europäischer Ebene, wie sie der Antragsteller fordert, greift hier zu kurz, da sie den zukünftigen, zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbaren sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht gerecht wird. Vielmehr bedarf es einer international anerkannten rechtssicheren Definition, welche etwa im Rahmen der Konvention über bestimmte konventionelle Waffen vorgenommen werden könnte. Hierbei ist die Einbindung möglichst vieler Staaten sinnvoll, um im Falle völkerrechtlicher Abstimmungen über denkbare Ächtungen oder Beschränkungen solcher Technologien klare und verbindliche Ergebnisse zu erzielen. ({6}) Dies gilt genauso für den Bereich der künstlichen Intelligenz. Um hier die Vorreiterrolle bei schnellen militärisch-technischen Innovationen zu übernehmen, sollte auf europäischer Ebene unbedingt eine enge Forschungskooperation intensiviert werden. Nur so kann es gelingen, die europäische Position insbesondere gegenüber den USA, Russland oder China zu stärken. Denn auch im KI-Bereich sollten wir in der Lage sein, die technologischen Potenziale im Einklang mit dem Völkerrecht zu nutzen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Letztendlich geht es immer um den Schutz unserer Soldaten und Soldatinnen. Herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für die AfD-Fraktion der Kollege Jan Nolte. ({0})

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Die Anträge, mit denen wir uns heute befassen, drehen sich schwerpunktmäßig um den Einsatz letaler autonomer Waffensysteme. Obwohl wahrscheinlich jeder sich irgendwas unter diesem Begriff vorstellen kann, gibt es – meine Vorrednerin hat es eben angesprochen – noch keine genaue und von allen Fachleuten anerkannte Definition dessen, was letale autonome Waffensysteme nun eigentlich sind. Aber vollkommen unabhängig davon, ob eine solche Definition nun existiert oder nicht, kann ich für meine Fraktion das Folgende feststellen: Selbstverständlich brauchen wir Streitkräfte, die technisch auf der Höhe der Zeit sind. Aber die Soldaten, die in diesen Streitkräften dienen und Deutschland mit ihrem Leben verteidigen, sind doch vor allem deshalb dazu bereit, weil Deutschland ein Land ist, für dessen Ideale und Werte es sich zu kämpfen lohnt. ({0}) Damit das so bleibt, dürfen wir niemals zulassen, dass Maschinen in unserem Namen Menschenleben auf Datensätze reduzieren und dann über deren Auslöschung entscheiden. Selbstständig agierende Killerroboter lehnen wir ganz klar ab. Aber die vorliegenden Anträge werden auch der Komplexität der Lage nicht gerecht. Denn zunächst mal – ich habe es eben schon angedeutet – ist ja gar nicht klar, was die verschiedenen Antragsteller unter autonomen Waffensystemen eigentlich verstehen. Ohne solche trennscharfe Definitionen können wir Abgeordnete aber gar nicht absehen, was es für Folgen hätte, wenn das umgesetzt würde, was die Antragsteller sich heute wünschen. Wie stufen wir denn zum Beispiel Assistenzsysteme ein, die im zivilen Kfz längst gang und gäbe sind, die es aber auch im militärischen Bereich schon längst gibt? Hier werden Daten gesammelt, geordnet und gefiltert. Damit werden die Entscheidungen der menschlichen Bediener auch von vornherein in gewisse Bahnen gelenkt. Immer neue technische Fortschritte in der Zukunft werden die Datenmengen, die da anfallen, noch weiter vergrößern. Das werden ganz schnell Datenmengen, die ein Mensch alleine gar nicht mehr bewältigen kann. Da ist die Frage, wo wir jetzt die Grenzen ziehen. Ist ein autonom oder weitgehend autonom agierendes Assistenzsystem in einem Kampfpanzer jetzt ein Problem, oder nicht? Und wie gehen wir mit Dual-Use-Gütern um oder mit Forschung, die zu solchen führt? Unserer Meinung nach darf die Forschung an KI im militärischen Bereich auf gar keinen Fall eingestellt werden; zum einen natürlich, weil autonom agierende Raketenabwehr ein wichtiges Mittel zum Schutz eigener Kräfte sein kann, zum anderen aber auch, weil wir wissen müssen, wie wir autonomen Waffensystemen auf dem Gefechtsfeld begegnen sollen. Denn seien wir nicht so naiv, uns einzubilden, dass die ganze Welt darauf verzichten wird. ({1}) Wir müssen wissen, wie wir unsere Soldaten auf den Kampf gegen solche Waffensysteme vorbereiten können. Die vorliegenden Anträge blenden all diese Problematiken einfach aus und können deshalb mit einer Ausnahme unsere Zustimmung nicht finden. Die Ausnahme ist ein Antrag der Grünen, der verhindern möchte, dass der Europäische Verteidigungsfonds solche Waffensysteme finanziert. Wir lehnen jegliche Finanzierung durch diesen Europäischen Verteidigungsfonds ab. ({2}) Wir lehnen ihn in Gänze ab, weil er ein weiterer Schritt zur Europa-Armee und zum Superstaat Europa ist. Das ist nicht unser Weg. ({3}) Die AfD steht für eine enge zivile und militärische Partnerschaft souveräner europäischer Vaterländer. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir einmal mehr über Abrüstung, über Menschlichkeit, über Frieden und Sicherheit. Dies ist zu begrüßen, ausgesprochen zu begrüßen; denn es gibt kein wichtigeres, kein zentraleres Thema, das wir bearbeiten können. Ich freue mich, dass Sie, die Kolleginnen und Kollegen von Grünen und Linken, mit dem Konvolut an Anträgen, das wir heute zur Beratung haben, mit uns das Ziel teilen, unsere Welt menschlicher, unsere Welt friedlicher, unsere Welt sicherer zu machen, indem Sie zum Ersten die Vermeidung von Explosivwaffeneinsätzen in bevölkerten Gebieten vorantreiben möchten und zum Zweiten – das haben wir bereits im Koalitionsvertrag konkretisiert und festgeschrieben – eine weltweite Ächtung von autonomen Waffen anstreben. Explosivwaffen in bevölkerten Gebieten stellen immer eine enorme Gefahr für Leib und Leben von unbeteiligten Menschen dar. Es ist richtig, ausgesprochen richtig, dass der UN-Generalsekretär Guterres die Welt dazu auffordert, solche Angriffe verbindlich zu vermeiden; denn sie verursachen unermessliches Leid. Ebenso furchterregend ist es, was letale autonome Waffensysteme – wir sagen zu Deutsch „Killerroboter“, auch wenn dies ebenfalls kein deutsches Wort ist – anrichten können, wenn sie erst einmal zum Einsatz gebracht sind. ({0}) Ja, sie sind keine Science-Fiction mehr, sondern so gut wie Realität. Die Vorstellung, dass irgendeine Maschine ein Todesurteil über einen Menschen ausspricht oder gar vollstreckt, ohne dass ein anderer Mensch darauf Einfluss hat oder dafür verantwortlich gemacht werden könnte, ist für mich eine perverse Vorstellung. Es muss uns gelingen, diese Waffen zu ächten, ({1}) und zwar schon, bevor sie eingesetzt werden. Da muss ich sagen: Der Weg, den Sie mit Ihren Anträgen dafür vorschlagen, ist nicht zielführend. Offen gestanden: Für mich ist es erstaunlich, mit welch beharrlicher Ignoranz Sie hier so tun, als würde sich niemand um diese drängenden Probleme kümmern. Das stimmt nämlich gar nicht, und das wissen Sie auch. Die deutsche Außenpolitik unter Außenminister Heiko Maas unternimmt nämlich alle Anstrengungen, hier Fortschritte zu erzielen. Deutschland nimmt nicht nur an Verhandlungen teil. Wir sind federführend an vielen Verhandlungsrunden beteiligt, die von Deutschland, von Heiko Maas initiiert sind. ({2}) Der Außenminister hat vollkommen zu Recht die Abrüstung zur großen Maxime dieser Legislatur und deutscher Außenpolitik gemacht. Sie ignorieren die Initiative New START, die Technologiekonferenzen, Missile Dialogue Initiative, die Stärkung des NVVs, die Stockholm-Initiative, um nur einige zu nennen. Aber Außenpolitik heißt, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich mit anderen Menschen, mit anderen Ländern, mit anderen Vorstellungen auseinanderzusetzen. ({3}) Es ist schlimm, wie viel Rowdytum, wie viel Nationalismus, wie viel Egoismus und Kurzsichtigkeit hier mittlerweile herrschen. Umso trauriger ist es, dass ausgerechnet Grüne und Linke uns offensichtlich in der gleichen Rolle sehen wollen. Sie fordern, dass wir ohne Einbeziehung unserer Verbündeten, ohne unsere langjährigen Partner, eigenmächtig voranpreschen, quasi: German first. ({4}) Sie wollen nicht, dass wir beim Thema Explosivwaffeneinsatz Kompromisse mit unseren französischen Freunden eingehen. Sie wollen nicht, dass wir gemeinsam vorankommen. Sie wollen nicht, dass wir beim Thema Killerroboter erst einmal daran arbeiten, überhaupt einen internationalen Konsens darüber herzustellen, dass Regeln für sie gelten müssen. ({5}) Einen solchen Konsens haben wir 2019 erreicht; auch das ignorieren Sie. Auf diesen Konsens sollten wir nun weiter aufbauen. ({6}) Sie hingegen wollen direkt einen Verbotsvertrag, bei dem auch zweifellos alle Staaten mitmachen, die sowieso nie autonome Waffensysteme haben wollen, also quasi einen Vertrag der Blinden gegenüber den Sehenden. ({7}) Leider stehen dann aber all die Staaten, die gerne autonome Waffen hätten oder bereits schon haben, daneben und machen, was sie wollen. ({8}) Das ist keine kluge Außenpolitik, das ist keine kluge Sicherheitspolitik Deutschlands. Wir halten das für keinen guten Weg; denn diese Staaten gibt es. ({9}) Diese Staaten müssen wir überzeugen, nicht diejenigen, die keine Systeme haben; ({10}) wir dürfen nicht an ihnen vorbei irgendwelche Vereinbarungen treffen, die an der Realität überhaupt nichts ändern. Uns reicht es nicht, unsere Hände in Unschuld zu waschen, ({11}) uns als Moralapostel aufzuspielen, während nebenan Dinge passieren, die wir eigentlich ablehnen. ({12}) Wir wollen nämlich, dass sich wirklich etwas verbessert. Wir wollen uns dafür einsetzen, andere zu überzeugen. Denn Deutschland hat dazu das Potenzial: Wir sind international als Verhandlungspartner, als Moderator und Mediator geschätzt. ({13}) Diese Position haben wir nicht einfach so bekommen. Sie ist nämlich das Ergebnis unserer Zurückhaltung. Sie ist das Ergebnis unserer Mäßigung. ({14}) Genau deshalb stehen uns die Türen offen, auch mit Akteuren entgegengesetzter Meinungen ins Gespräch zu kommen. ({15}) Wenn wir uns nun aus dieser Mitte an den Rand der Positionierung bewegen, werden wir am anderen Rand die Türen zuschlagen, und das dürfen wir nicht. Kommen Sie doch mal zu uns in die Realität! Diplomatie ist keine Zauberei. Diplomatie ist harte, schrittweise Arbeit. ({16}) Fragen Sie mal Ihr Parteimitglied Joschka Fischer; der war Außenminister, der kann es Ihnen erklären. Lassen Sie unsere Diplomatinnen und Diplomaten und Heiko Maas, unseren Außenminister, ihren schwierigen Job anständig machen. ({17}) Überziehen Sie sie nicht ständig mit Misstrauen. Das wäre mal ein Anfang. Denn wer sich die Mühe macht, hinzuschauen, einfach hinzuschauen, sieht, wo Fortschritte erzielt werden – nicht einfach über Nacht, nicht mit dem großen Getöse und mit Feuerwerk, aber stabil, zukunftsfähig und vernünftig. Das ist deutsche und sozialdemokratische Außenpolitik. ({18})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Marcus Faber, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das, was uns die Grünen heute präsentieren, empfinde ich als Zumutung, weil es zwei Themen miteinander vermischt. Wir haben auf der einen Seite das Thema „Schutz der Zivilbevölkerung“, zu dem Herr Brunner dankenswerterweise schon einiges gesagt hat, und auf der anderen Seite das Thema „Autonomie in Waffensystemen“. Beide Themen haben nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun. ({0}) Das merkt man ganz deutlich, wenn man die Debatte verfolgt; denn der Schutz der Zivilbevölkerung beispielsweise vor Explosivwaffen oder vor dem Verhalten von Soldaten umfasst doch viel mehr als nur Autonomie in Waffensystemen. Die diskutieren wir hier häufig, beispielsweise unzulässigerweise bei Drohnen, bei Killerrobotern. Mir fehlt nur noch der Todesstern und Skynet. Das vermengt Themen, die für mich nicht zusammengehören. ({1}) Ich möchte mich deshalb an dieser Stelle auf ein Thema konzentrieren, zu dem Sie auch drei Anträge gestellt haben, nämlich der Autonomie in Waffensystemen. Die gibt es seit den 80er-Jahren, beispielsweise bei der Luftverteidigung mit dem System Patriot. Dieses ist in der Lage, einfliegende Raketen autonom abzuschießen. Es schützt damit unser Land, es schützt auch unsere Soldaten im Einsatz. Das möchte ich nicht ächten, das möchte ich auch nicht verbieten. ({2}) Das ist sehr sinnvoll, und das möchte ich erhalten. Es werden zusätzlich weitere Waffen im Zuge der Digitalisierung selbstständiger, autonomer werden. Das hat Technik heutzutage so an sich. Das gilt auch für den Kühlschrank, der in Zukunft Lebensmittel bestellen kann, und das gilt auch für den Fernseher, der heute andere Funktionen hat als vor 20 Jahren. Das wird auch für Waffen gelten. Wichtig ist hier, dass wir Autonomie nicht per se verteufeln, sondern dass wir fragen: Was darf denn nicht autonom sein? ({3}) Die Zielauswahl darf nicht autonom sein. Die Zielbekämpfung darf nicht autonom sein. Da sollten wir als Deutschland aber nicht an der Seitenlinie stehen und sagen: „Darüber reden wir nicht“, sondern wir müssen mitdiskutieren. ({4}) Deswegen ist das Entwicklungsverbot, das Verbot, selber Ergebnisse zu produzieren, das Sie in Ihren Anträgen fordern, falsch. Denkverbote sind hier an der falschen Stelle. ({5}) Wir müssen mitdiskutieren können, damit wir die Debatte in die von uns moralisch verantwortbare Richtung bringen. ({6}) Das war auch das Ergebnis der Expertenanhörung, die wir im Unterausschuss dazu gehabt haben – das einhellige Ergebnis.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Keul?

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Heute nicht, danke. – Zum Schluss möchte ich noch auf die Kollegen von der Linkspartei eingehen. Meine Damen und Herren, mit die ersten Waffensysteme mit autonomen Funktionen, die wir in Deutschland hatten, waren die Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze. ({0}) Wenn wir dieses Thema hier diskutieren, Frau Vogler, dann möchte ich gerne auch wissen, wie Sie zu dem stehen, was Ihre Vorgängerpartei dort getan hat. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was für eine Horrorvision: Maschinen töten Menschen, massenhaft, widerstandslos, selbstbestimmt und effizient. An der Verwirklichung dieser Horrorvision wird heute schon sehr konkret gearbeitet. Wenn die Befürworter automatisierter Kriegsführung behaupten, dass künstliche Intelligenz auch zwischen legitimen Zielen und Zivilisten unterscheiden könne, dann ist das doch sehr fragwürdig. Ich frage Sie vor allem: Dürfen wir die Entscheidung über Leben und Tod einer Maschine, einem Algorithmus anvertrauen? Ich sage dazu: Nein. ({0}) Der Schriftsteller Isaac Asimov hat schon 1942 erkannt, dass künstliche Intelligenz eine eigene Ethik braucht. Sein erstes Robotergesetz lautete – ich zitiere –: Ein Roboter darf kein menschliches Wesen … verletzen oder durch … Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. Aber heute werden Killerroboter entwickelt, deren eigentlicher Zweck es ist, menschlichen Wesen Schaden zuzufügen: in den USA, in Russland, in China, in Großbritannien, in Israel und in Südkorea. Der Rüstungswettlauf dabei ist schon in vollem Gange. Da müssen wir doch handeln. ({1}) Diese unheilvolle Entwicklung kann nur gestoppt werden durch ein Verbot. Das ist die Meinung von 160 internationalen Nichtregierungsorganisationen in der Kampagne für ein Verbot von Killerrobotern. Über 60 Prozent der Weltbevölkerung unterstützen diese Forderung. Mehr als 4 500 KI-Experten unterstützen ein völkerrechtlich bindendes Verbot. Und auch die Bundesregierung unterstützt das ja eigentlich. Nur Australien, Israel, Russland, Südkorea und die Vereinigten Staaten von Amerika blockieren jeden Schritt hin zu einer Beschränkung dieser Horrortechnologie. Also: Was muss, was kann die Bundesregierung tun? Erstens. Sie können ein Beispiel setzen und ein einseitiges Moratorium der Entwicklung und Anschaffung dieser Waffensysteme erklären. Ich freue mich, dass wir das mit den Grünen gemeinsam fordern können. ({2}) Zweitens muss sich die Bundesregierung international für ein Verbot solcher Waffensysteme einsetzen, wie Sie es im Koalitionsvertrag auch geschrieben haben. ({3}) Unverbindliche Erklärungen nützen gar nichts. Drittens. Setzen Sie sich in der EU dafür ein, dass der Beschluss des Europaparlaments zur Ächtung von autonomen Waffensystemen umgesetzt und nicht durch die Förderpolitik des Europäischen Verteidigungsfonds unterlaufen wird. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Zeitfenster droht sich zu schließen. Wir müssen jetzt handeln! Bitte stimmen Sie den vorliegenden Anträgen zu. Das wäre ein deutliches Zeichen gegen die Automatisierung des Tötens. ({5}) Zeigen wir Kampfrobotern und Killerdrohnen die rote Karte. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler. – Vorletzter Redner ist der Kollege Nikolas Löbel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Nikolas Löbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004805, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge von Grünen und Linken sind es der Sache nach wert, dass wir uns damit beschäftigen; denn es geht um den Spagat zwischen dem Einfluss von künstlicher Intelligenz auf unsere Sicherheitsarchitektur und der wesentlichen Frage: Wo muss auch in Zukunft der Mensch entscheiden? KI, künstliche Intelligenz, verändert alles: Sie verändert Mobilität, sie verändert unser Gesundheitswesen, und ja, sie verändert auch unsere Sicherheitsarchitektur. Allein ein Blick auf die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates zeigt diese Realität. Wir haben uns im Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ im November mit dieser Frage beschäftigt. Die Experten, die geladen waren, haben deutlich gemacht, dass allein schon eine einheitlich klare Definition von autonomen Waffen nicht existiert. Deswegen ist die Frage: Bis wohin lassen wir künstliche Intelligenz zu und bis wohin nicht? Für uns ist klar: Der Einsatz von autonomen Waffen soll immer dem Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten dienen. Mit Blick auf die Realität, wie ich sie beschrieben habe, ist auch klar, dass diese Waffen bereits ein nicht zu verhindernder, aber ein zu nutzender Bestandteil moderner Sicherheitsarchitektur sind und sein werden. Wenn wir uns ehrlich machen, dann ist klar, dass wir Weiterentwicklung, Innovation – auch KI – im Bereich der Sicherheitsarchitektur schon alleine aufgrund der demografischen Entwicklung, die sich auch auf die Bundeswehr auswirkt, nicht ausschließen können. Aber – das ist für uns als CDU/CSU klar – es gibt Grenzen, und es muss Grenzen des Einsatzes von KI geben. ({0}) Ich bin dem Kollegen Dr. Faber sehr dankbar, dass er darauf hingewiesen hat, dass es wichtig ist, zu definieren, wo wir keinen Einsatz von KI wollen. Es bringt uns nichts, pauschal die Debatte darüber und Forschung und Entwicklung zu verbieten; ({1}) vielmehr müssen wir wissen, was möglich ist, um dann zu sagen, wo wir es nicht eingesetzt haben wollen. Deswegen ist wichtig, dass unser Grundsatz gilt: Nicht alles, was technisch machbar ist, ist mit unseren Wertvorstellungen vereinbar. ({2}) Wichtig ist, dass der Mensch und keine Maschine die Entscheidung über Leben und Tod trifft. Moderne technologische Innovationen dürfen niemals unsere gesetzlichen oder ethischen Maßstäbe verrücken. Das ist ganz wichtig, und deswegen haben wir das im Koalitionsvertrag niedergeschrieben. Aber klar ist auch: Wer wissen will, welche Innovationen, welche technischen Erneuerungen möglich sind, muss selbst forschen; er muss entwickeln, er muss das gewonnene Wissen einsetzen, um Missbrauch zu verhindern. Nicht zu forschen, nicht zu entwickeln, bedeutet Unwissenheit. Unwissenheit schützt aber nicht vor Strafe, auch nicht vor moralischer Strafe. Deswegen wäre es falsch, einseitig national zu verbieten und damit die Chance zu verpassen, Teil von Diskussionen zu sein. Nur dann können wir den Einsatz von KI in einer Sicherheitsarchitektur richtig steuern. ({3}) Ich glaube, der Ansatz, den die Bundesregierung verfolgt, ist richtig; wir unterstützen ihn. Ein einfaches nationales Verbot mag uns vielleicht moralisch erhöhen, aber es verhindert, dass wir international den Einfluss ausüben, den Deutschland ausüben muss. Deswegen lehnen wir diese Anträge ab. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Löbel. – Wir kommen zum Schluss. Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind sehr wichtige und ernsthafte Fragen, die wir diskutieren. Ich möchte bei dieser Gelegenheit Ihnen, Kollegin Keul, danken, dass Sie insbesondere das Thema der Explosivwaffen angesprochen haben. Ich denke, wir sollten uns in den weiteren Ausschussberatungen möglichst fraktionsübergreifend damit beschäftigen. Es gibt weder rationale noch emotionale Gründe, um an dieser Thematik irgendetwas Positives zu sehen. Zivile Opfer sind zu vermeiden. Aber sie sind diejenigen, die am meisten unter diesen Waffen leiden. Bei den autonomen Waffensystemen sind wir an einem Punkt – das hat Kollege Brunner auch gesagt –, an dem noch sehr intensiv nachgedacht werden muss. Ich will allerdings auf etwas hinweisen. Bei der Frage „Was heißt das? Was wird unterschieden?“ gab es den Hinweis auf die Selbstschussanlagen. Das, was Kollege Faber gemeint hat, sind Defensivwaffen. SM-70, die unbescholtene Deutsche, die die Grenze von Deutschland nach Deutschland überwinden wollten, automatisch erschießen sollten, waren Offensivwaffen der NVA, der Grenztruppen der DDR und des sozialistischen Regimes der DDR. Da sind Unterscheidungen zu treffen. ({0}) Nach wie vor gilt: Wenn bei Offensivwaffen ein Algorithmus, eine vorgegebene Entscheidungsstruktur, entscheidet, dann ist das keine Entscheidung. Das ist inhuman, und das kann nicht sein. Unsere Aufgabe ist, dass wir das eine vom anderen auch technisch unterscheiden können. Ein Soldat des Ersten Weltkrieges hat seine Vorstellung von Ethos in der Schlacht wie folgt formuliert – ich darf zitieren mit Genehmigung des Herrn Präsidenten –: Es ist im Kriege immer mein Ideal gewesen, den Gegner unter Ausschaltung des Hassgefühls nur im Kampfe als solchen zu betrachten, und ihn als Mann seinem Mute entsprechend zu werten … So beschreibt das Ernst Jünger in seinen „Stahlgewittern“, in einer archaischen Vorstellung des Kampfes Mann gegen Mann. Das ist spätestens seit der Nutzung der Artillerie so nicht mehr möglich. Die ist zwar nicht autonom, aber auf so weite Entfernungen nutzbar, dass dieses Ethos natürlich nicht ausreicht. Wir brauchen ein anderes, ein stärkeres Ethos. ({1}) – Ja, der Begriff „Ethos“ ist zutreffend; so ist das. Ernst Jünger hat das als Ethos verstanden. Ob Sie das mögen oder nicht, ist ja etwas anderes. Aber wir müssen uns doch mit der Frage auseinandersetzen; denn am Beginn steht nicht die Ideologie, sondern das Denken. ({2}) Deswegen lade ich dazu ein, dass wir uns – trotz aller unqualifizierten Bemerkungen, die ich da höre – ganz ruhig und nüchtern im Sinne der Humanität dafür entscheiden, dass Waffensysteme sowieso die allerletzte Ratio sind, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– dass wir Offensivwaffensysteme überhaupt nicht einsetzen wollen, dass wir uns deswegen aber auch technologisch anpassen: weg von dem, was Ernst Jünger beschrieben hat, hin zu den Herausforderungen von heute. Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. – Damit schließe ich die Aussprache.