Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist die erste Regierungsbefragung im neuen Jahr. Insofern wünsche auch ich Ihnen im Namen der Bundesregierung und auch ganz persönlich ein frohes neues Jahr. Es gibt Menschen, die behaupten, es sei die erste Regierungsbefragung in einem neuen Jahrzehnt.
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Ich will mich jetzt nicht auf die Diskussion einlassen, ob 2020 wirklich schon ein neues Jahrzehnt beginnt. Es gibt auch einige, die sagen: Die 20er-Jahre beginnen am 1. Januar 2021. – Ich erwähne das deshalb, weil es die Gelegenheit ist, darauf hinzuweisen, dass wir an der Schwelle zu einem neuen Jahrzehnt, zu den 20er-Jahren, schon jetzt, in diesem Jahr, bereit sein müssen, in Zeiten rasanter Veränderungen die Dinge anzupacken – nach dem Motto „Wer morgen sicher leben will, muss heute für Veränderungen sorgen“. Das betrifft Wirtschaft, Arbeitswelt und auch soziale Sicherheit.
Es gibt große Treiber des Wandels, über die wir nicht nur reden sollten: Wir müssen sie zur Kenntnis nehmen, wir müssen sie begreifen, und wir müssen politische Antworten auf sie finden. Das betrifft zum Beispiel die Frage, welche Folgen unsere Politik, die darauf abzielt, dem menschengemachten Klimawandel entgegenzuwirken, für Wirtschaft und Arbeitsplätze hat. Wir haben heute, also tagesaktuell, eine Zusammenkunft mit Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Automobilwirtschaft, mit Beschäftigtenvertretern, mit Betriebsräten, mit Gewerkschaften, um den Strukturwandel, den wir zum Beispiel in diesem wichtigen Industriezweig haben, beschäftigungspolitisch zu begleiten.
Im Kern geht es darum, jetzt dafür zu sorgen, dass wir in Zeiten des Wandels, des technologischen Wandels, der Digitalisierung gewährleisten, dass die Beschäftigten von heute auch die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen. Wir werden als Bundesregierung das Notwendige tun, um diesen Prozess zu begleiten. Wir haben damit begonnen, zum Beispiel mit dem Qualifizierungschancengesetz im letzten Jahr; aber wir werden weitere Instrumente entwickeln und auch durchsetzen, um dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten von heute die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen.
Wir werden in den 2020er-Jahren erhebliche Veränderungen auch des Altersaufbaus unserer Gesellschaft haben, Stichwort „demografischer Wandel“. Die gute Nachricht ist, dass die Lebenserwartung im Schnitt gestiegen ist. Aber wir haben seit dem Pillenknick der 1960er-Jahre, seit der Generation der Babyboomer, einen Altersaufbau, der dazu führt, dass Mitte der 2020er-Jahre viele Menschen, die heute noch im Arbeitsleben sind, dann in großer Zahl in Rente gehen werden. Deshalb ist für uns als Bundesregierung ein weiteres wichtiges Projekt neben der Zukunft der Arbeit, dafür zu sorgen, dass es eine verlässliche Absicherung im Alter gibt. Das betrifft in diesem Jahr die Umsetzung der politisch vereinbarten Grundrente, die Einbeziehung der Selbstständigen in das System der Alterssicherung und im Ergebnis der Vorschläge der Rentenkommission auch Entscheidungen über das Jahr 2025 hinaus, was die drei Säulen der Alterssicherung und insbesondere das Rentenniveau und die Finanzierung der Alterssicherung betrifft.
Einen Punkt möchte ich noch ansprechen, meine Damen und Herren. In diesem Jahr wird Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehaben. Wir haben viel vor. Die Erwartungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 sind in Europa sehr groß.
Wir wollen eine ganze Menge bewegen, auch im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Europa. Es geht um ein soziales Europa, zum Beispiel um einen Rahmen für Mindestlöhne und Grundsicherungssysteme in Europa. Ich bin froh, dass die neue Kommission, dass Frau von der Leyen und der zuständige Kommissar Nicolas Schmit in dieser Richtung Initiativen ergreifen. Es geht um die Frage der Zukunft der Arbeit in Europa, Stichwort „Strukturwandel auch über unsere Grenzen hinaus“, um die Qualität der Arbeit, zum Beispiel in Bezug auf faire Regeln für die Plattformökonomie, und es geht um Europas Beitrag zu einer fairen Gestaltung der Globalisierung, zum Beispiel, was Fairness in globalen Lieferketten angeht.
All das wollte ich Ihnen mitteilen. Ich freue mich auf Ihre Fragen und will jetzt noch mal persönlich sagen: Ihnen allen ein frohes, gesundes und gesegnetes 2020! Ich bedanke mich für die parteiübergreifende Zusammenarbeit im letzten Jahr, in dem es viel Arbeit im Bereich A und S gab. Die gute Nachricht für meinen Bereich lautet: Ihnen und uns wird die Arbeit im Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auch 2020 und 2021 nicht ausgehen. Ich freue mich auf Weiteres und vor allem jetzt auf Ihre Fragen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Ich bedanke mich namens des ganzen Hauses für Ihre guten Wünsche und will zu der Frage, ob das nur für das Jahr oder für das Jahrzehnt gilt, nur die Bemerkung machen: Bisher war unstreitig, dass das 20. Jahrhundert am 1. Januar 1900 begonnen hat.
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Von daher ist es, auch wenn man zählt, meistens so – aber wie auch immer.
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Jetzt jedenfalls beginnen wir mit der Befragung und fangen mit den Fragen zu den Ausführungen des Bundesministers und seinem Geschäftsbereich an.
Der Kollege Axel Springer, AfD, hat die erste Frage.
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– René Springer. Axel Springer wäre auch schön.
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Aber Sie heißen nun mal René.
Herr Minister, danke für die Neujahrswünsche. Auch Ihnen alles Gute im neuen Jahr!
Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr den EU-Mitgliedstaaten den Vorschlag unterbreitet, das Einstimmigkeitsprinzip in einigen Bereichen der Sozialpolitik durch das Mehrheitsprinzip zu ersetzen. Das heißt, Entscheidungen auf europäischer Ebene würden zukünftig unter Umständen auch gegen die Interessen nationaler Mitgliedstaaten gefällt werden, unter Umständen auch gegen die Interessen Deutschlands, wenn andere Mitgliedstaaten uns überstimmen.
Es wird Sie nicht überraschen, wenn wir als AfD-Fraktion sagen, dass wir dagegen sind, noch mehr staatliche Souveränität an die Europäische Union abzugeben. Meine Frage und sicherlich auch die Frage vieler Bürger an Sie ist: Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen des Vorschlages der EU-Kommission mehr Kompetenzen im Bereich der Sozialpolitik an die Europäische Union abzugeben?
Vielen Dank für Ihre Frage. – Sehr geehrter Herr Kollege, wenn ich richtig informiert bin, ist es im Unionsrecht insgesamt so, dass es sehr unterschiedliche Abstimmungsmodi gibt. Es gibt Bereiche, in denen vergemeinschaftetes Recht eben nicht zum Prinzip der Einstimmigkeit führt. In anderen Bereichen gibt es das Einstimmigkeitsprinzip. Es gibt in jedem Fall die vereinbarte Säule der europäischen Rechte, die dazu führt, dass wir in Europa auch zu Lösungen gemeinschaftlicher Natur kommen können. Das führte beispielsweise dazu, dass wir uns darauf verständigt hatten, zum letzten Jahr die Europäische Arbeitsbehörde einzurichten, um dafür zu sorgen, dass in Zeiten der Arbeitnehmerfreizügigkeit sich auch alle an Recht und Gesetz halten. Ich glaube, das ist im gemeinschaftlichen Interesse.
Gegenstand in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird nicht die von Ihnen angesprochene, im Grunde nach stattfindende Veränderung von Abstimmungsprinzipien der Europäischen Union sein. Alles Weitere wird sich klären. Meine persönliche Haltung spielt hier keine Rolle. Die Bundesregierung hat im deutschen EU-Ratspräsidentschaftsbereich andere Ziele.
Mögen Sie eine Zusatzfrage stellen? – Bitte, Herr Springer.
Herr Minister, völlig überraschend haben Sie die Frage nicht beantwortet. Deshalb werde ich noch konkreter.
Es geht hier nicht darum, was der Plan zur EU-Ratspräsidentschaft ist, sondern es geht darum: Was ist die Position der Bundesregierung zum Vorhaben der Europäischen Kommission, das Einstimmigkeitsprinzip durch das Mehrheitsprinzip zu ersetzen?
Ich werde Ihnen ein bisschen auf die Sprünge helfen. Ihr eigenes Ministerium hat in einer internen Bewertung festgehalten: Das muss noch sorgfältig geprüft werden. – Nun haben wir dort aber auch den Europa-Staatsminister sitzen, ebenfalls ein Mitglied der Bundesregierung. Er hat im vergangenen Jahr gegenüber der „Welt“ geäußert, dass er ganz klar für das Mehrstimmigkeitsprinzip sei, das heißt für zukünftig weniger Souveränität Deutschlands in der Europäischen Union in Fragen der Sozialpolitik. Noch mal meine Nachfrage an Sie: Was ist die Position der Bundesregierung dazu?
Die Position der Bundesregierung ist die, die Sie aus einem internen Papier zitiert haben, nämlich dass man diese Frage sorgfältig prüfen wird.
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Das werden wir auch miteinander tun.
Ich habe eine persönliche Position; sie deckt sich mit den Äußerungen meines sehr geschätzten Kollegen Michael Roth. Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn wir in einer globalisierten Welt bestehen wollen, die Antwort in einer Zeit, in der viele Staaten den Weg des von Ihnen präferierten Unilaterialismus gehen wollen, also Ihren Trumpʼschen Weg, nicht „Deutschland first“ ist, sondern „Europe united“. Das ist aber meine persönliche Auffassung. Als Mitglied der Bundesregierung – das wissen Sie – kann ich hier nur konsolidierte Auffassungen vertreten. Aber Sie haben ja das interne Papier zitiert, das unsere Haltung wiedergibt. Wir werden es im Einzelfall sorgfältig erwägen, wo es sinnvoll ist, natürlich im Rahmen dessen, was unser Grundgesetz vorsieht.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Antje Lezius, CDU/CSU.
Danke sehr. – Sehr geehrter Herr Minister, auch von mir alles Gute und Gesundheit für das neue Jahr! Auch ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit in den nächsten zwei Jahren.
Sie haben das Qualifizierungschancengesetz angesprochen, das wir im Januar letzten Jahres auf den Weg gebracht haben. Meine Frage wäre: Haben Sie dazu schon Erkenntnisse? Jetzt ist das Gesetz ja schon ein Jahr am Start. Welche Erkenntnisse haben Sie dazu?
Man muss kurz beschreiben, was das Qualifizierungschancengesetz zum Gegenstand hat. Seit 1. Januar letzten Jahres – das haben wir vereinbart – ist es möglich, dass bei Investitionen von Unternehmen, die im Strukturwandel sind oder die eine Fachkräfteklemme haben, Investitionen vor allen Dingen von kleinen und mittelständischen Unternehmen in Weiterbildung auch öffentlich, aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit, unterstützt werden können. Das betrifft die Kosten der Qualifizierung, und das betrifft auch den Arbeitsentgeltausfall. Es geht nicht darum, unternehmerische Weiterbildungsinvestitionen zu ersetzen – sie sind erst mal Aufgabe der Unternehmen selbst –, sondern denen, die im Strukturwandel sind und die es brauchen, unter die Arme zu greifen.
Die Erkenntnisse sind positiv. Wir haben eine signifikante Steigerung der Weiterbildung auch in Unternehmen; an dieser Stelle ist noch viel Luft nach oben. Aber die Bundesagentur für Arbeit hat uns insgesamt einen prozentualen Anstieg mitgeteilt, der auch durch dieses Gesetz, aber natürlich nicht nur dadurch, zustande kommt. Ich kann Ihnen einzelne Branchen nennen, in denen dieses Mittel zum Einsatz kommt: Das betrifft die Automobilwirtschaft, die Versicherungswirtschaft und den Bereich der Pflege.
Mein Ziel ist allerdings auch, dass wir in diesen Zeiten prüfen, ob wir von der Einzelfallbetrachtung dieses Gesetzes bei Unternehmen, die auf einen höheren Qualifizierungsbedarf von größeren Teilen der Belegschaft kommen, zu anderen, weiterentwickelten Regelungen kommen, um das noch handhabbarer zu machen. Denn auch das ist eine Rückmeldung aus den deutschen Unternehmen: dass wir da ein bisschen weniger Bürokratie brauchen.
Vielen Dank. – Nachfrage? – Bitte, Frau Lezius.
Vielen Dank. Herr Minister. – Vor dem Hintergrund des technologischen Wandels und neuer Tätigkeitsprofile bekommen Weiterbildung und lebensbegleitendes Lernen eine neue und wichtigere Bedeutung. Das Qualifizierungschancengesetz ist ja ein Teil der Nationalen Weiterbildungsstrategie. Können Sie uns bitte etwas über den Stand dieser Nationalen Weiterbildungsstrategie sagen?
Ja, ganz herzlichen Dank, liebe Frau Kollegin. – Unter Federführung meiner Kollegin Karliczek und von mir haben wir im letzten Jahr mit den Sozialpartnern, mit der Wirtschaft, den Gewerkschaften und den Ländern zusammen eine umfassende Nationale Weiterbildungsstrategie auf den Weg gebracht. Das Qualifizierungschancengesetz ist, wie Sie es zu Recht beschrieben haben, ein Baustein, aber wirklich nur ein Baustein, dieser Strategie. Es geht im Kern – das will ich in dieser kurzen Zeit sagen – um drei Elemente:
Es geht darum, dass Unternehmen mehr selbst in Weiterbildung investieren – das ist die Finanzfrage –, und wir unterstützen das.
Es geht aber auch um die Frage der Qualität von Weiterbildung und der Orientierung; das wird unsere Institutionen verändern und dazu führen, dass sich berufliche Schulen, Universitäten und Fachhochschulen stärker öffnen.
Es geht in diesem Land auch um eine Kultur der Weiterbildung. Das ist kein labbriger Begriff. Ich will es mal etwas zugespitzt sagen: Es gibt Menschen, die eine ordentliche Ausbildung haben, für die der Begriff des lebenslangen Lernens, den wir alle immer so gern im Munde führen, erst mal nicht wie eine Verheißung, sondern eher wie eine Drohung daherkommt. Wir müssen die Menschen ermutigen, auch in der Mitte eines Arbeitslebens, beispielsweise mit 40 oder 50, noch mal neu starten zu können.
Das ist die richtige Antwort, um dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten von heute die Arbeit von morgen machen können, dass wir Arbeitslosigkeit in diesem Wandel verhindern, bevor sie entsteht, und dass wir auch die richtigen Fachkräfte in diesem Land haben. Das ist das Ziel der Nationalen Weiterbildungsstrategie. Dass wir das mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Staat gemeinsam auf den Weg gebracht haben, ist ein gutes Zeichen.
Danke sehr. – Johannes Vogel, FDP, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Die guten Wünsche fürs neue Jahr und neue Jahrzehnt auch von mir zurück!
Herr Minister, eine Frage zum Thema Arbeitszeitgesetz; das diskutieren wir ja vor dem Hintergrund des digitalen Wandels der Arbeitswelt, und es wird auch in der Regierungskoalition und der Regierung diskutiert. Eine der Fragen, die diskutiert werden, ist die Frage, ob die zwingende Ununterbrochenheit der elfstündigen Ruhezeit noch in die heutige Zeit passt. Vor diesem Hintergrund eine Nachfrage zur aktuellen Praxis, die uns aus Bundesministerien, inklusive des Arbeitsministeriums, berichtet wurde: Ist es korrekt, dass es möglich ist, wenn man als Beschäftigter des Arbeitsministeriums am Abend tätig war, am nächsten Morgen schon vor Ablauf der elfstündigen Ruhezeit die IT wieder zu nutzen, aber die Arbeitszeiterfassung erst nach Ablauf der elfstündigen Ruhezeit einsetzt? Gibt es also Beschäftigte in Ihrem Ministerium und in anderen Ministerien, die dann schon wieder tätig sind, was von der Arbeitszeiterfassung aber nicht erfasst wird?
Ich will Ihre letzte Frage konkret beantworten. Wir haben eine Dienstvereinbarung zum ortsflexiblen Arbeiten – vorbildlicherweise ist das Arbeitsministerium da sehr flexibel –,
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und ich werde Ihnen schriftlich beantworten, wie wir die umsetzen. Ich gehe davon aus, dass wir das natürlich im Rahmen der bestehenden Gesetze tun werden. Ich bitte um Verständnis, dass wir das nachreichen werden.
Zu Ihrer grundsätzlichen Frage, die anklang, will ich nur sagen, dass wir uns in diesem Jahr mit den Themen Arbeitszeit und Arbeitszeitgesetz dem Grunde nach auseinandersetzen müssen, zum einen, weil es Vorhaben im Koalitionsvertrag gibt – Stichwort: Experimentierräume für tarifgebundene Unternehmen; das ist ein Vorhaben, das wir in der Koalition miteinander zu diskutieren haben –, zum anderen aber auch, weil es eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zum Thema Arbeitszeiterfassung gibt. Das heißt, das Thema Arbeitszeit wird uns beschäftigen.
Ich will aber grundsätzlich darauf hinweisen, dass das Arbeitszeitgesetz ein Arbeitnehmerschutzgesetz ist. Das muss flexibel gehandhabt werden und sieht auch nicht den starren Achtstundentag vor, wie viele denken. Da gibt es zig Möglichkeiten in der Praxis, und wir werden darüber diskutieren, wie wir das weiterentwickeln. Aber in erster Linie dient das Arbeitszeitgesetz dem Schutz der psychischen und körperlichen Gesundheit der Beschäftigten.
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Danke sehr. – Dr. Martin Rosemann, SPD, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben es angesprochen: Die Unterstützung der Beschäftigten im technologischen und digitalen Strukturwandel ist eine der größten Herausforderungen für die 20er-Jahre – jetzt mal unabhängig davon, wann sie genau beginnen. Ich will Sie, anschließend an die Frage der Kollegin Lezius, fragen: Wie bewerten Sie denn den Beitrag, den das Qualifizierungschancengesetz, das wir im letzten Jahr beschlossen haben, dabei leisten kann, und wo sehen Sie darüber hinaus Handlungsbedarfe? Welche Initiativen wollen Sie selbst ergreifen?
Ich glaube, Herr Kollege Rosemann, dass es sich lohnt, einen Blick auf den Zustand des Arbeitsmarktes und die Veränderungen zu werfen, um zu erkennen, dass wir einen sehr differenzierten Baukasten bzw., wenn Sie so wollen, einen Werkzeugkasten für die Veränderungen brauchen. Deshalb: Das Qualifizierungschancengesetz ist ein Instrument. Ich glaube, wir werden mehrere differenzierte Instrumente brauchen, um diesen Wandel zu begleiten.
Wir haben zum Beispiel im Moment eine sehr robuste Lage auf dem Gesamtarbeitsmarkt. Wir haben bei der Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen den höchsten Stand seit der deutschen Einheit. Aber das ist die Gesamtstatistik; sie verwehrt zum Beispiel den Blick darauf, dass in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen aus der Automobilindustrie und dem Maschinenbau jetzt schon ein paar schwierige Signale kommen, die zum Teil konjunkturell und zum Teil strukturell bedingt sind. Darauf brauchen wir Antworten. Dazu habe ich im Arbeit-von-morgen-Gesetz Vorschläge erarbeitet, die wir in der Koalition und auch mit den entsprechenden Industrien und Gewerkschaften zu besprechen haben.
Mein Ziel sind differenzierte Instrumente, um den Strukturwandel der Arbeit adressieren zu können. Es geht darum, wo immer es geht, Belegschaften an Bord zu halten durch Qualifizierung, wo immer es notwendig ist, mit Transfergesellschaften zu arbeiten – beispielsweise Dinge zu ändern oder die veränderten Regelungen zur Kurzarbeit in Kraft zu setzen, die wir im Zweifelsfalle brauchen – und, wo immer es geht, Qualifizierung mit Kurzarbeit zu verbinden. Also keine Same-size-fits-all-Lösung, sondern sehr differenzierte Instrumente, die einzig und allein dazu dienen, dass die Beschäftigten von heute die Arbeit von morgen machen können.
Nachfrage?
Ich würde gerne noch nachfragen – ich komme ja selber aus Baden-Württemberg, also einer Region, die besonders betroffen ist; wir beobachten ja jetzt schon bei den Automobilzulieferern, aber auch im Maschinen- und Anlagenbau einen zunehmenden Anteil an Kurzarbeit –: Wie wollen Sie Instrumente wie Kurzarbeit, aber auch Transfergesellschaften konkret weiterentwickeln, um das mit Weiterbildung im Hinblick auf die Anforderungen einer zukünftigen Arbeitswelt in stärkerem Maße zu verbinden, als das bisher der Fall ist?
Wir als Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben sehr differenzierte Instrumente entwickelt, die zum Teil der Umsetzung der Nationalen Weiterbildungsstrategie und des Koalitionsvertrages entsprechen. Aber es sind auch neue Ideen entstanden, die noch nicht im Koalitionsvertrag vereinbart waren. Zu diesen Instrumenten werde ich jetzt erst mal in der Koalition das Gespräch suchen. Ich glaube, dass wir da zukünftig zu gemeinsamen Lösungen kommen. Beispielsweise dient der „kleine Autogipfel“, den wir heute haben, dem Gespräch mit den Sozialpartnern darüber, welche Instrumente gebraucht werden.
Ich will nur darauf hinweisen, dass mir die Wirtschafts- und Arbeitsministerin aus Ihrem Heimatland Baden-Württemberg einen Brief geschrieben hat, der von allen Wirtschaftsverbänden in Baden-Württemberg und den Gewerkschaften unterschrieben ist, die uns dringend auffordern, im Zweifelsfall auch veränderte Regelungen zur Kurzarbeit parat zu halten und zum Beispiel die Weiterbildung in Kurzarbeit zu intensivieren, indem wir, wenn Kurzarbeit mit Weiterbildung verbunden wird, die Sozialversicherungsbeiträge übernehmen; um ein Beispiel zu nennen.
Aber, wie gesagt, es geht um einen Werkzeugkasten. Ich bitte um Verständnis, dass die Fragestunde zeitlich nicht ausreicht, um alle Instrumente vollständig in die Antwort aufzunehmen. Aber wir werden in den nächsten Wochen das Parlament dazu umfassend informieren.
Danke sehr. – Susanne Ferschl, Die Linke, stellt die nächste Frage.
Herr Minister, das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit stellt in 2018 fest, dass rein rechnerisch 600 000 Beschäftigte umsonst gearbeitet haben, und zwar das ganze Jahr, aufgrund von unbezahlten Überstunden. Eine wesentliche Ursache ist die mangelnde Dokumentation der Arbeitszeit. Der Europäische Gerichtshof hat das Urteil, von dem Sie gesprochen haben, gefällt, mit dem letztendlich ein eindeutiger Handlungsauftrag für die Bundesregierung dahin gehend verbunden ist, dass jede Arbeitsstunde zu erfassen ist. Das von Ihnen selbst in Auftrag gegebene Gutachten besagt, dass zumindest Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit zu erfassen sind. Wie gehen Sie damit um, auch im Hinblick auf die internen Auseinandersetzungen in der Bundesregierung? Der Wirtschaftsminister fordert mehr Flexibilität. Bis wann ist mit der aus unserer Sicht dringenden Umsetzung dieses EuGH-Urteils zu rechnen?
Herzlichen Dank für die Frage. – Es ist tatsächlich so, dass wir als Bundesministerium für Arbeit und Soziales in einem Rechtsgutachten dieses EuGH-Urteil und die Begründung ausgewertet haben. Im Grunde sind wir der Auffassung, dass es auch zu Veränderungen im deutschen Recht kommen muss, weil wir im Moment nur Aufzeichnungspflichten in schwarzarbeitsgeneigten Bereichen haben. Angesichts der Tatsache, dass sich das EuGH-Urteil nicht auf die Arbeitszeitrichtlinie bezieht, sondern sogar auf europäische Grundrechte, sind wir der Meinung, dass wir dem Urteil in Deutschland Rechtstaten folgen lassen müssen. Das Gutachten liegt jetzt vor. Wir reden mit den Sozialpartnern über die Frage, wie wir das umsetzen.
Mir ist eins wichtig – das EuGH-Urteil ist richtig –: Wir müssen gucken, dass es ein Arbeitnehmerrecht ist, dass es ein Bürgerrecht von Beschäftigten ist, dass sie fair behandelt werden, ihre Arbeitszeiten verlässlich überprüfbar sind. Aber ich sage auch: Wir müssen gucken, dass wir dieses Recht verhältnismäßig umsetzen, das heißt, nicht überall die Stechuhr einführen. – Da finden wir, glaube ich, auch etwas Moderneres; darüber werden wir reden.
Es gibt ein zweites Gutachten, von dem ich gehört habe; das hat der Bundeswirtschaftsminister auf den Weg gebracht. Das ist noch nicht veröffentlicht, wird nach den Regeln aber sicherlich genauso veröffentlicht werden wie das Gutachten meines Hauses. Wir werden die Rechtsauffassungen nebeneinanderlegen. Wir werden mit den Sozialpartnern reden. Wir werden natürlich europäisches Recht einhalten.
Danke sehr. – Nachfrage, Frau Kollegin.
Herr Minister, Sie haben selber darauf hingewiesen: Das Arbeitszeitgesetz ist ein Schutzgesetz für Arbeitnehmer. – Aber insbesondere die tägliche Höchstarbeitszeitgrenze stößt auf Widerstand. Auch Sie haben meiner Meinung nach fälschlicherweise von dem starren Achtstundentag gesprochen, der es ja nicht ist, weil er flexibel ist –
Ja, klar.
– und auf zehn Stunden ausgeweitet werden kann. Meine Frage ist: Wollen Sie diesen Schutz zugunsten all der Flexibilisierungswünsche, die jetzt geäußert werden, aufweichen?
Nein, das will ich nicht. Dann habe ich mich vielleicht falsch ausgedrückt, oder es ist akustisch nicht richtig rübergekommen. Ich habe vorhin gesagt, dass es eben keinen starren Achtstundentag mehr gibt; vielmehr haben wir vor allen Dingen mit tarifvertraglichen Lösungen schon heute zig differenzierte Möglichkeiten, davon abzuweichen. Im Koalitionsvertrag ist allerdings vereinbart, dass man in Experimentierräumen Dinge ausprobiert. Wie wir das umsetzen, ist miteinander zu besprechen. Aber ich bleibe dabei: Wer glaubt, dass diese Bundesregierung oder ich persönlich das Arbeitszeitgesetz dem Grunde nach schreddern will, der hat sich geirrt. Denn im Vordergrund der Arbeitszeitgesetzgebung muss der Schutz der Beschäftigten stehen.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich möchte beim Thema Weiterbildung nachhaken; denn auch aus unserer Sicht ist das eine der großen Herausforderungen für die 20er-Jahre.
Sie haben das Qualifizierungschancengesetz schon angesprochen; das haben wir als Grüne unterstützt. Es ist vor einem Jahr in Kraft getreten. Wir haben aber schon damals gesagt: Das reicht nicht. – Wenn man sich die Entwicklungen im Land anschaut, kriegt man mit: So richtig läuft das noch nicht. Wir müssen da unbedingt nachlegen. – Wir Grünen haben dazu Ende des Jahres ein umfassendes Papier mit Vorschlägen erarbeitet, in dem wir einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung, eine bessere soziale Absicherung durch ein Weiterbildungsgeld und Qualifizierung während der Kurzarbeit fordern. Sie kündigen schon seit einiger Zeit das Arbeit-von-morgen-Gesetz an – gerade eben auch wieder –; aber es ist noch nicht da. Wo hakt es denn? Wann wird es kommen? Offenbar gibt es dazu in der Regierung noch unterschiedliche Positionen. Vielleicht können Sie da ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Glauben Sie, dass das dann wirklich ausreicht, um der großen Herausforderung gerecht zu werden? Was müsste danach aus Ihrer Sicht noch kommen?
Also, um das aufzuklären: Es gibt nicht nur ein Eckpunktepapier, sondern es gibt auch einen Referentenentwurf meines Hauses zu diesem Thema, der seit Anfang November im Vorhaben-Clearing im Bundeskanzleramt ist. Wir sind dazu in Gesprächen.
Ich will Ihnen auch sagen, warum das ein bisschen dauert – daraus müssen wir kein Geheimnis machen; das sieht, glaube ich, das Bundeskanzleramt auch so –: Teile meines Gesetzentwurfs sind im Koalitionsvertrag angelegt; es handelt sich also um eine Umsetzung des Koalitionsvertrags. Wir haben den Koalitionsvertrag aber 2018 beschlossen, und die Welt dreht sich manchmal schneller, und manchmal kommt man zu neuen Ideen. Und wenn diese Ideen nicht vom Koalitionsvertrag abgedeckt sind, muss man in einer Koalition darüber reden und sich fragen, ob man sich da gemeinsam noch Zusätzliches vornimmt. Diese Gespräche laufen im Moment, nicht nur in der Koalition, sondern auch mit den Sozialpartnern.
Mein Ziel ist – ich habe vorhin darauf hingewiesen –, dass wir uns bald politisch einigen und dann zügig das Kabinett und das Parlament erreichen, um einen umfassenden Instrumentenkasten zur Umsetzung dieser von mir genannten Ziele zu haben. Dann wird man immer nachjustieren. Auch die Grünen werden Ende nächsten Jahres möglicherweise ein neues Papier mit Vorschlägen vorlegen, weil sich die Dinge so rasant verändern. Das ist ja auch gut so. Ich habe das Papier noch nicht ganz gelesen; schicken Sie es mir ruhig, wenn es gute Ideen enthält.
Herr Bundesminister, die rote Ampel zeigt an, dass Ihre Redezeit eigentlich abgelaufen ist.
Herr Präsident, ich habe Ihr Räuspern überhört. Entschuldigen Sie bitte.
Ich bekomme zu viele Mitleidsbekundungen wegen meiner permanenten Erkältung.
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Ich würde bitten, im Regelfall die Ampel zu beachten.
Gute Besserung, Herr Präsident!
Herr Kollege, eine Nachfrage?
Auch von mir noch gute Besserung an den Präsidenten!
Ich räuspere mich, um den Redner auf das Ablaufen der Redezeit aufmerksam zu machen. Ich bin gar nicht krank. – Jetzt läuft Ihre Redezeit.
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Gut, prima. – Ich will jetzt konkret nachhaken. Ich habe vorhin den Rechtsanspruch auf Weiterbildung angesprochen, die bessere soziale Absicherung von Beschäftigten, aber auch von Arbeitslosen, die sich weiterbilden möchten. Sind das Forderungen, die Sie unterstützen werden? Sind das Forderungen, die vielleicht auch schon in dem Gesetz vorkommen können?
Ja. Aber wenn Sie die Chiffre „Recht auf Weiterbildung“ benutzen, dann müssen Sie sehr genau sagen, was Sie damit meinen. Es gibt landesgesetzliche Regelungen, zum Beispiel im Bundesland Bremen, zu Rechtsansprüchen auf Weiterbildung, die sich auf Weiterbildungszeiten beziehen. Es gibt Rechtsansprüche, was die Förderung von Weiterbildung betrifft.
Die politische Forderung nach einem Recht auf Weiterbildung kann ich also jederzeit unterschreiben; aber wir müssen doch die richtigen Instrumente entwickeln, um das zu erreichen. Wenn Sie zum Beispiel Kurzarbeit mit Weiterbildung verbinden, dann ist das ein Beitrag, um ein solches Ziel zu erreichen. Also: Das Ziel finde ich politisch super; aber es reicht nicht, es plakativ zu propagieren, sondern man muss es mit Leben erfüllen.
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Danke sehr. – Ulrike Schielke-Ziesing, AfD, stellt die nächste Frage.
Guten Tag, Herr Minister! Wie wir den Medien entnehmen konnten, könnte es wirklich in der nächsten Zeit einen Kabinettsbeschluss zum Thema Grundrente geben. Sie selbst haben dieses Projekt als sehr sportlich bezeichnet. Im Hinblick auf Finanzierung und Umsetzbarkeit eines solchen Beschlusses sehe ich den Ausdruck „sportlich“ auch als sehr starke Untertreibung an. Beispielsweise sollen die Ansprüche von der Rentenversicherung automatisch ermittelt werden. Dafür müssen alle Bestandsrenten überprüft werden. Eine automatische Überprüfung ist aber in vielen Fällen nicht möglich. Ein Worst-Case-Szenario geht davon aus, dass 10 Millionen Akten händisch überprüft werden müssen. Glauben Sie, dass die Rentenversicherung personell in der Lage ist, diese Aufgabe innerhalb des nächsten Jahres zu stemmen? Und ist hier schon ermittelt worden, wie hoch die Verwaltungskosten dafür wären? Denn das muss dann ja auch in den Haushalt eingestellt werden.
Herzlichen Dank für Ihre Frage. – Wenn Sie den Begriff „sportlich“ nicht mögen, sagen Sie ruhig: ambitioniert.
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In der Politik gilt ja, dass man sich nicht immer nur Leichtes vornehmen darf. Und wir machen das mit der Grundrente nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist. Es geht nämlich um die große Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Menschen, die ihren Lebtag gearbeitet haben, im Alter auch die Ansprüche haben, die ihnen zustehen – damit sich Lebensleistung lohnt.
Wir haben im letzten Jahr eine politische Verständigung im Koalitionsausschuss zu diesem lang diskutierten Thema erreicht. Diese werden wir jetzt gesetzgeberisch umsetzen. Ich sage das auch tagesaktuell, weil es jetzt Aufforderungen an mich gibt, endlich einen Gesetzentwurf vorzulegen. Dafür gibt es entsprechende Entwürfe, die in der Koalition abgestimmt sind. Sie sollen zeitnah, wie Sie es beschrieben haben, das Kabinett erreichen. Wir haben auch einen Dialog mit der Rentenversicherung und den Finanzverwaltungen der Länder, was den automatischen Datenabgleich betrifft.
Ich bleibe dabei: Unser Ziel ist ein bürgerfreundliches automatisiertes Verfahren, das das, was Sie befürchten oder an die Wand malen, vermeidet. Wir werden im Gesetzentwurf die entsprechende verwaltungsmäßige Umsetzung darstellen. Der Gesetzentwurf ist das eine, die technische Umsetzung das andere.
Also, alle sagen: Das ist schwierig. – Ich sage: Ja, es ist schwierig, aber wir wollen es hinbekommen.
Danke sehr. – Nachfrage?
Ja.
Bitte, Frau Kollegin.
Es geht mir ja nicht darum, dass wir ein automatisiertes Verfahren haben. Es geht vielmehr darum, dass bestimmte Akten – Worst-Case-Szenario: 10 Millionen – nicht in dieses automatisierte Verfahren hineinkommen und sich für die Rentenversicherung die Aufgabe stellt, das innerhalb dieses Jahres zu machen. Okay, das würde ich dann wahrscheinlich die Rentenversicherung fragen.
Meine andere Frage betrifft die Finanzierung. Finanzminister Scholz wollte ja eine Finanztransaktionsteuer innerhalb der Europäischen Union umsetzen. So,wie sich das jetzt darstellt,
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wird das in dem Maße, wie er das braucht, nicht passieren. Eine solche Umsetzung wird es wahrscheinlich nicht geben, sodass wir dann diese mindestens 1,5 Milliarden Euro, die wir für die Grundrente brauchen, nicht haben werden. Haben Sie hier einen Plan B, wie die Grundrente finanziert werden könnte?
Frau Schielke-Ziesing, ähnlich wie bei Ihrer ersten Frage kann ich nur sagen: Ich weiß gar nicht, warum Sie immer auf Worst-Case-Szenarien, auf Weltuntergangsvorstellungen setzen.
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Wir wollen das technisch hinbekommen, und wir haben eine politische Vereinbarung zur Finanzierung. Sie mutmaßen Dinge, die nicht der Fall sind.
Wir haben Plan A, und ich will Plan A umsetzen – mit dem Finanzminister gemeinsam in der Regierung. Und dazu ist es richtig, dass wir in der Koalition vereinbart haben, dass eine Finanztransaktionsteuer einen wesentlichen Finanzierungsbeitrag leistet. Sie, die ich im Ausschuss als eine Kollegin erlebt habe, die selbst bei der Rentenversicherung gearbeitet hat und die immer fordert, dass wir die Dinge aus Steuern und nicht aus Rentenversicherungsbeiträgen finanzieren sollen, sollten uns dabei unterstützen. – Herzlichen Dank.
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Danke sehr. – Kai Whittaker, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, die deutsche Wirtschaft wächst zum zehnten Mal in Folge, wenn auch – das haben Sie anklingen lassen – unter erschwerten Bedingungen. Unter anderem deshalb findet ja heute der Autogipfel statt. Allein in meinem Wahlkreis, Rastatt in Baden-Württemberg, arbeiten über 16 000 Beschäftigte bei einem Automobilhersteller und weitere 10 000 bei Automobilzulieferern. Diese Menschen machen sich in der Tat Sorgen. Wir haben Kommunen, die bereits Haushaltssperren verhängt haben.Und deshalb möchte ich noch mal die Frage aufgreifen, die auch Kollege Rosemann schon gestellt hat: Welche dieser vielen Maßnahmen, die Sie derzeit planen, möchten Sie als Erste umsetzen, welche sind die wichtigsten, und bis wann wollen Sie das machen?
Sehr geehrter Kollege Whittaker, ich bin Ihnen sehr dankbar für die Frage, weil sie auch Gelegenheit gibt, zu einer Konsensbildung innerhalb der Koalition beizutragen. Das Erste ist – nicht von der Wertigkeit, sondern in der Reihenfolge, wie ich es vorhin gesagt habe –: Wir brauchen ein Set von Instrumenten, weil ein Instrument nicht ausreicht.
Ich habe vorhin gesagt: Das Qualifizierungschancengesetz stellt einen großen Schritt dar, aber es geht noch besser. Wenn zum Beispiel größere Teile einer Belegschaft in einem Automobilzulieferunternehmen in Ihrem Wahlkreis und nicht nur Einzelfälle Qualifizierung brauchen, wäre es besser, wenn wir statt einer Einzelfallbetrachtung, zum Beispiel bei Betriebsvereinbarungen, mit der BA auch in größerem Umfang ins Geschäft kommen könnten.
Das Zweite sind die veränderten Regeln zur Kurzarbeit. Ich möchte nicht alle jetzt schon in Kraft setzen müssen. Aber wir wollen als Bundesregierung darüber reden und Sie als Parlament bitten, uns zu ermöglichen, per Rechtsverordnung Dinge schneller in Kraft setzen zu können. Das beinhaltet auch, dass Voraussetzung für dieses Inkraftsetzen der Verlängerung von Kurzarbeit nicht mehr eine Gesamtstörung des deutschen Arbeitsmarktes ist. Die haben wir nicht. Wir haben einen robusten Arbeitsmarkt. Wir haben Teilstörungen.
Der dritte Punkt ist, dass wir, wo immer es geht, Kurzarbeit mit Qualifizierung verknüpfen.
Das sind die drei wichtigsten Instrumente jenseits der Tatsache, dass es manchmal beispielsweise auch Transfergesellschaften gibt, bei denen wir mehr für Weiterbildung tun müssen. Ich würde das jetzt mal so stehen lassen. Das ist ein Set von Instrumenten, –
Danke sehr.
– und ich bitte, dass wir darüber zügig miteinander reden, auch in Ihrer Fraktion.
Die nächste Frage stellt der Kollege Johannes Vogel, FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe eine Frage zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, konkret zu den Sozialabgaben. Im Rentenversicherungsbericht 2019 der Bundesregierung wird für das Jahr 2022 für die Krankenversicherung der Rentnerinnen und Rentner ein Beitragssatz von 8 Prozent genannt. Da das ja nur die Hälfte ist, geht die Bundesregierung also von einem Beitragssatz von 16 Prozent aus. Wenn wir bei allen anderen Sozialversicherungen von unveränderten Beitragssätzen ausgingen, dann läge der Beitragssatz aller Sozialversicherungen im Jahre 2022 bei exakt 40,05 Prozent. Somit liegt dieser Wert ein Jahr nach Ende dieser Legislaturperiode über der Marke, die sich diese Koalition gesetzt hat. Laut Koalitionsvertrag hatte sie ja das Ziel, die Sozialversicherungsbeiträge so zu stabilisieren, dass sie nicht über 40 Prozent steigen. Da ich ahne, dass Sie diesen Anspruch der Stabilisierung über die Legislaturperiode, in der Sie Verantwortung haben, hinaus vertreten, frage ich, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen will, um die Sozialversicherungsbeiträge bei unter 40 Prozent bzw. jedenfalls bei 40 Prozent zu stabilisieren.
Lieber Herr Kollege Vogel, aus Erfahrung weiß ich, dass es natürlich Wechselwirkungen zwischen Sozialversicherungsbeiträgen gibt, dass sie unterschiedlichen Bedingungen unterliegen und dass man mit Prognosen ganz vorsichtig sein muss. Im Jahre 1998, nach 16 Jahren der Regierungsbeteiligung Ihrer Partei, hatten wir einen Rentenversicherungsbeitrag, der bei über 20 Prozent lag.
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Heute sind wir bei 18,6 Prozent, und wir haben Rücklagen, die uns Gott sei Dank helfen, diesen Wert trotz der Absicherung des Rentenniveaus eine Strecke lang so zu halten. Dafür wird die Rentenkommission ja Vorschläge haben. Wir haben Bereiche, in denen die Sozialversicherungsbeiträge erhöht werden, beim Kollegen Spahn zum Beispiel wegen der Pflegekosten. In anderen Bereichen hatte ich den Spielraum, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, beispielsweise bei der Arbeitslosenversicherung.
Es ist richtig, dass wir auf die Stabilität der Sozialversicherungsbeiträge insgesamt gucken und auch gucken, wie sich Systeme untereinander bewegen. Mein Ziel ist nicht, Sozialversicherungsbeiträge in die Höhe zu treiben, sondern mein Ziel ist, differenziert zu gucken, welche Sicherungssysteme welche Finanzierungsgrundlagen brauchen. Das werden wir zum Beispiel im Lichte der Ergebnisse der Rentenkommission auch über 2025 hinaus zu betrachten haben.
Danke sehr. – Nachfrage, Herr Kollege Vogel?
Ja, gerne. – Das sind ja die Prognosen der Bundesregierung selber, die ich zitiert habe. In der Tat fallen Prognosen immer schwer. Ich schließe aber aus Ihrer Antwort, dass es zwei Jahre vor Eintritt dieses Zeitraums, zur Hälfte der Legislaturperiode, bisher keinerlei konkrete Pläne gibt, sondern dass Sie auf das Prinzip Hoffnung setzen.
Nein, ich setze darauf, dass die Rentenkommission uns beispielsweise für dieses Sicherungssystem Vorschläge machen wird, die wir auch noch in dieser Legislaturperiode angehen können.
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– Nein, die zur Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge und – das ist ein Auftrag – auch zur Finanzierung insgesamt beitragen. Ich habe nur ein Sicherungssystem genannt. Wir sind natürlich auch mit dem Gesundheitsminister im Gespräch, was die Entwicklung der Krankenversicherungsbeiträge betrifft. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir zeitlich befristet, aber dem Grunde nach auch den Arbeitslosenversicherungsbeitrag gesenkt haben. Es hängt am Ende des Tages an der Frage – Herr Kollege, das wissen Sie als Arbeitsmarktspezialist –, wie viel Menschen in Arbeit sind und welche Lohn- und Gehaltsentwicklungen es gibt. Da können innerhalb von zwei Jahren noch eine ganze Menge Stellschrauben bewegt werden.
Danke sehr. – Michael Gerdes, SPD, stellt die nächste Frage.
Zunächst einmal möchte ich dem ganzen Haus ein frohes neues Jahr wünschen, verbunden mit viel Gesundheit und persönlichem Erfolg, aber auch Erfolg für unsere politischen Entscheidungen.
Nun zu meiner Frage, Herr Minister Heil: Was plant die Bundesregierung bzw. wie weit sind die Gespräche gediehen, um Sozialstandards in den Lieferketten fest zu verankern?
Herr Kollege Gerdes – ich darf das auch aus persönlichen Gründen sagen, Herr Präsident –, schön, dass Sie wieder da sind. Gute Gesundheit!
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Wir haben uns in der Bundesregierung vorgenommen, nicht nur das Thema „Sozialstandards“, sondern auch das Thema „menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten“ zu einem wesentlichen Thema zu machen. Das ist bisher ein Thema, das unter Corporate Social Responsibility fällt, also unter Freiwilligkeiten fällt. Es gibt auch Verpflichtungen. Die Frage ist aber: Ist das zureichend? Deshalb gibt es einen Monitoringprozess zusammen mit der deutschen Wirtschaft, um zu sehen, welche Unternehmen entsprechende Sorgfaltspflichten durch etablierte Systeme einhalten und welche nicht. Daraus gibt es Zwischenergebnisse, die im Dezember vorlagen, die ein bisschen ernüchternd sind, und es gibt ein weiteres Monitoring. Deshalb haben der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und ich gesagt: Unsere Prognose ist, wenn die Zahlen nicht besser werden, dass wir zu gesetzlichen Verpflichtungen kommen müssen. – Ich wünsche mir das anders, aber wenn das so ist, müssen wir wie in anderen europäischen Ländern auch zu gesetzgeberischen Verpflichtungen kommen. Das ist, glaube ich, das, was auch die CDU auf ihrem Parteitag beschlossen hat. Deshalb werden wir darüber zu reden haben, wie wir das ausgestalten.
Ich will diesen einen Satz sagen: An menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, an Verantwortung geht kein Weg vorbei. Wer einmal Kenntnis davon erlangt, unter welchen Arbeitsbedingungen Kaffee aus Äthiopien, den wir bei uns haben, hergestellt wird, dass wir in diesem Land Textilprodukte haben, die unter schlimmsten Arbeitsbedingungen hergestellt werden, dass es Kinderarbeit gibt, der weiß, dass es unsere Verantwortung ist, unseren Wohlstand, unseren Konsum nicht durch Ausbeutung in anderen Teilen der Welt dauerhaft auszubauen.
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Herr Kollege, noch eine Nachfrage?
Ja, ich habe noch eine Nachfrage. – Sie haben selber schon darauf hingewiesen, dass es Regelungen geben wird. Deshalb meine Nachfrage dahin gehend: Welche Regelungen bzw. Sanktionen außer dem Monitoringverfahren plant die Bundesregierung, damit sich im Rahmen der Wettbewerbsfähigkeit schwarze Schafe an die Vorgaben halten werden?
Ich danke Ihnen für den Hinweis. Wir haben nämlich gerade eine Initiative von vielen deutschen Unternehmen, die eine gesetzgeberische Verpflichtung wollen. Es sind ganz renommierte mittelständische und große Unternehmen dabei. Die sagen: Wir haben solche Systeme, und wir wollen nicht, weil wir uns an solche Dinge halten, einen Wettbewerbsnachteil gegenüber denen, die sich nicht daran halten. Das ist also auch eine Frage von Level Playing Field, von fairem Wettbewerb. Das Beste wäre, dass wir diese Frage nicht nur in Deutschland klären, sondern in Europa. Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass das Thema „Fairness in Lieferketten“ ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird. Das hat Weitungen bis hin zu dem Bereich, wie wir zukünftig mit Nachhaltigkeitskapiteln in Handelsverträgen umgehen und wie wir sie wirksam durchsetzen.
Ich sage noch einmal: Wer sich darum nicht kümmert, wird erleben, dass wir Regionen nicht stabilisieren können – außen- und sicherheitspolitisch –; der wird Fluchtbewegungen erleben. Ich sage das unter dem Eindruck dessen, was ich mit dem Kollegen Müller in Äthiopien im Dezember gesehen und erlebt habe. Es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, uns um Fairness und Menschenrechte auch in anderen Teilen der Welt zu kümmern. Das betrifft uns auch. Es ist unsere Verantwortung.
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Danke sehr. – Zu diesem Thema möchte der Kollege Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, eine Nachfrage stellen.
Danke schön. – Herr Minister, Sie haben gerade donnernden Applaus bekommen ob Ihrer Aussage. Ich schließe mich dem voll und ganz an. Es ist auch grüne Position, die Sie hier vertreten. Aber Sie wissen auch: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Deswegen meine ganz konkrete Frage: Sie haben mit Ihrem Kollegen Gerd Müller angekündigt, ein Eckpunktepapier zu erstellen, das einst das Lieferkettengesetz bilden soll. Wann verkünden Sie denn diese Eckpunkte? Wir warten darauf.
Etwas schockiert war ich über Ihre Aussage, Sie seien im Monitoringprozess des NAPs und wollen den auch durchziehen. Das heißt, Sie wollen in dieser Legislaturperiode nichts mehr machen; denn dieser NAP wird wahrscheinlich erst am Ende dieses Jahres abgeschlossen. Ich glaube nicht, dass Sie im Wahljahr 2021 wirklich noch etwas auf den Weg bringen.
Also: Wann veröffentlichen Sie die Eckpunkte? Wie schaut überhaupt ein geplanter Zeitablauf zur Erstellung eines Gesetzentwurfs, also Referentenentwurf, Stellungnahmeverfahren und Kabinettsbeschluss, aus?
Herr Kollege, herzlichen Dank für Ihre Frage, weil ich bei Ihnen ein paar Irrtümer aufklären kann.
Tatsache ist, wir haben im Dezember die ersten Zahlen bekommen. Wir rechnen damit, dass wir in der ersten Hälfte dieses Jahres die endgültigen Zahlen haben. Ich halte mich in einer Koalition – das machen die Grünen ja auch, wenn sie in einer Koalition sind – an getroffene Vereinbarungen. Die Vereinbarung dieser Koalition ist, dass wir die Ergebnisse auswerten wollen und dann Entscheidungen treffen, ob wir gesetzgeberisch vorgehen oder nicht.
Der Prognose, die der Entwicklungsminister und ich haben, liegen die Zahlen, die wir kennen, zugrunde, und danach ist es nicht nur sportlich, sondern eher unwahrscheinlich, dass die Zahlen, die dann kommen werden, es hergeben, uns an der Frage vorbeizuschummeln, ob es nicht zu gesetzgeberischen Verpflichtungen kommen müsste. Damit wir dann zügig zur Gesetzgebung kommen können – falls die Zahlen so sind, wie der Kollege Müller und ich sie erwarten –, bereiten wir jetzt die Eckpunkte zwischen den Häusern vor. Sie werden in den nächsten Wochen fertig sein.
Sie werden übrigens auch bestimmte Vorbehalte in Teilen der Wirtschaft bzw. der Verbändelandschaft, die jetzt schon anhand von Kampagnen Unsinn über das erzählen, was wir machen, entkräften. Ich nenne mal ein Beispiel: Es gibt einige, die laufen rum und behaupten, dass sich dann jeder Elektriker darum kümmern muss, dass sein Kupferkabel im Kongo fair gefördert wurde.
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Nein, es geht um größere Unternehmen. Es geht um Sorgfaltspflichten. Es geht um Systeme. Es geht nicht darum, von Unternehmen Dinge zu verlangen, die sie nicht erfüllen können, sondern darum, das Menschenmögliche zu tun, damit auf Sorgfaltspflichten geachtet wird.
Danke sehr. – Noch eine Nachfrage? – Bitte.
Ich hätte noch eine Nachfrage: Sie haben vorhin angesprochen, dass immer mehr Industrieunternehmen dieses Lieferkettengesetz einfordern; BMW, Mercedes, Nestlé und viele andere gehören dazu. Die wollen endlich Klarheit bezüglich ihrer langfristigen Planung haben. Das ist notwendig, und das muss man als politische Instanz einfach berücksichtigen. Sie sagten aber auch: Um tatsächlich ein Lieferkettengesetz umsetzen zu können, brauchen sie zukünftig mehr Zertifikate, auf die man sich – und das ist entscheidend – verlassen kann. Wir wissen, dass der Zertifikatemarkt inzwischen ein Multimilliardenmarkt geworden ist und dass hier sehr viele schwarze Schafe unterwegs sind. Planen Sie in Ihrem Eckpunktepapier bzw. Gesetzentwurf auch, die Haftung für Zertifizierungsunternehmen einzuführen?
Das werden wir im Rahmen der Erarbeitung des Eckpunktepapiers zwischen den Ressorts zu besprechen haben. Neben dem BMAS sind, wie Sie wissen, das BMZ, das Wirtschaftsministerium, das Justizministerium und das Auswärtige Amt an diesem Prozess beteiligt. Das werden wir zu klären haben. Ich möchte einfach ein Gesetz, das wirkt und nicht ein Placebo ist.
Ich muss fairerweise auch sagen, dass man bei aller Freude darüber, dass andere europäische Länder sich auf den Weg gemacht haben, auch mal ein bisschen kritisch gucken muss, was in diesen Ländern in der Praxis aus diesen Gesetzen geworden ist. Das viel gerühmte Frankreich hat einen Schwellenwert von 1 000 Beschäftigten. Da sind wir im Koalitionsvertrag ein bisschen sportlicher.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Matthias Birkwald, Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister Heil, für die Renten sind Niedriglöhne Gift. Mein Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch hat kürzlich bei Ihnen nachgefragt, wie hoch denn der gesetzliche Mindestlohn sein müsste, um nach 45 Jahren Erwerbsarbeit bei einer 38,5-Stunden-Woche im Alter nicht auf Sozialhilfe, also auf die Grundsicherung im Alter, angewiesen zu sein. Ihr Ministerium antwortete ihm, dass dazu ein Bruttostundenlohn von 12, 13 Euro nötig sei. Nun haben Sie am vergangenen Wochenende in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ gesagt, Sie könnten sich perspektivisch einen solchen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro vorstellen. Die Mindestlohnkommission ist aber bedauerlicherweise bei ihren Entscheidungen an die Entwicklung der Tariflöhne gekettet worden.
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Deswegen jetzt meine Frage: Bei dem derzeitigen Tempo würden wir bis 2037 brauchen, bis der gesetzliche Mindestlohn 12 Euro erreichen wird; das wäre erst in 17 Jahren. Wie konkret wollen Sie schneller zu einem gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro kommen?
Sehr geehrter Herr Kollege Birkwald, die Zahlen sind korrekt. Man muss aber fairerweise sagen, dass der ursprüngliche Begründungszusammenhang für die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland nicht das Niveau der Alterssicherung war, sondern der Lohnabstand zur Grundsicherung,
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und das auch immer nur bei Vollzeit. Sie haben ja vorhin darauf hingewiesen: Selbst wenn wir zu 12,13 Euro und Ähnlichem kommen, gilt das, was Sie beschrieben haben, nur, wenn man ein Leben lang Vollzeit gearbeitet hat. Das muss man immer fairerweise dazusagen; Sie wissen das auch.
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Ich beantworte Ihnen jetzt die Frage, wie sich das weiterentwickelt: Seit dem 1. Januar sind wir bei 9,35 Euro auf Basis des geltenden Rechts. Die Mindestlohnkommission ist eingesetzt. Sie wird in der ersten Jahreshälfte Vorschläge machen; im Mai oder Juni könnte das der Fall sein. Wir gucken uns dann an, wie diese Erhöhungen ausfallen werden; da ist ein gewisser Spielraum. Ich habe ohnehin den gesetzgeberischen Auftrag – seit 2015 gibt es ja das Gesetz –, in diesem Jahr das Mindestlohngesetz zu evaluieren. Die Evaluierung ist angelaufen, und die wissenschaftlichen Aufträge sind da, sodass wir im Sommer wissen, wie hoch der Mindestlohn ist. Dann haben wir die Evaluationsergebnisse und können gemeinsam miteinander diskutieren und hoffentlich auch entscheiden, wie wir zu einer massiven Weiterentwicklung kommen.
Meine persönliche Auffassung ist – das entspricht auch der Beschlusslage meiner Partei –, dass perspektivisch 12 Euro ein vernünftiges Ziel sind. Wie wir dahin kommen, das müssen wir in diesem Jahr miteinander klären.
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Nachfrage, Herr Birkwald?
Ja, bitte. Vielen Dank, Herr Präsident. – Nun erreichte uns ja gestern die Nachricht, dass die Europäische Kommission, also auch konkret die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sagt, dass der deutsche Mindestlohn zu niedrig sei, und der zuständige Kommissar zählt Deutschland zu den Ländern, in denen der Mindestlohn nicht ausreiche, um vor dem Armutsrisiko zu schützen, ebenso wie Tschechien, Malta und Estland. Wir sind in der OECD mit bei den Schlechtesten. Bei uns erreicht der Mindestlohn nämlich nur 47,8 Prozent des Niveaus eines mittleren Einkommens. Die Europäische Kommission strebt hier 60 Prozent an.
Meine Frage ist jetzt: Werden Sie die Kommission darin unterstützen, dass wir in Deutschland mit großen Schritten in Richtung 60 Prozent kommen? Das wäre nach heutigem Stand ein gesetzlicher Mindestlohn von 11,74 Euro, also ganz nah bei den 12 Euro. In welchem Zeitraum sehen Sie entsprechende Initiativen vor?
Erst einmal freue ich mich, dass die Kommissionspräsidentin – ich sehe es andersrum – uns unterstützt;
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denn meine Amtsvorgängerin als Arbeitsministerin, Ursula von der Leyen, war damals noch nicht für den gesetzlichen Mindestlohn.
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Deshalb freue ich mich über diese Weiterentwicklung.
Aber Spaß beiseite und ganz ernsthaft: Wir haben eine Sache zu beachten – und da bitte ich um Differenzierung –: Mein Ziel ist nicht, die Frage der Lohn- und Gehaltsentwicklung allein über Lohnuntergrenzen, also Mindestlöhne, zu regulieren. Denn der Mindestlohn ist, so hoch er ist, immer nur eine Lohnuntergrenze. Unser Ziel muss doch sein, durch höhere Tarifbindung dafür zu sorgen, dass wir dauerhaft wieder eine anständige Lohnentwicklung bekommen.
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Ich bin ein Anhänger von Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft.
Zweitens gibt es ein großes Vorhaben; da decken sich Frau von der Leyens Antrittsrede, das Kommissionsbriefing sowie die Äußerungen und Aktionen wie der Sozialpartnerdialog des neuen Kommissars Nicolas Schmit mit dem Koalitionsvertrag dieser Großen Koalition. Wir wollen einen Rahmen für Mindestlöhne und Grundsicherungssysteme in Europa schaffen. Das wird ein Thema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sein. Denn Sie haben recht: Einen einheitlichen europäischen Mindestlohn haben zu wollen, ist Quatsch; aber es ist vernünftig, einen Rahmen dafür zu haben, wie sich Mindestlöhne und Grundsicherungssysteme in Europa entwickeln.
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Danke sehr. – Jetzt möchte dazu der Kollege Kai Whittaker eine Nachfrage stellen.
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– Nein, es wurde schon die Zusatzfrage gestellt. Es ist leider so: In der Fragestunde kann man eine zweite Nachfrage stellen. In der Regierungsbefragung gibt es immer nur eine Nachfrage.
Ein anderer Kollege kann aber eine weitere Nachfrage stellen. Die stellt jetzt der Kollege Kai Whittaker.
Vielen Dank, Herr Präsident. So geht es dem Kollegen Birkwald auch im Ausschuss ab und zu.
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Herr Minister, ich möchte gerne zum Thema Mindestlohn nachfragen; denn Sie wollen ja das Mindestlohngesetz evaluieren. Bleiben Sie nach wie vor bei der Aussage, dass der Mindestlohn nicht politisch festgelegt werden soll, also nicht vom Deutschen Bundestag,
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sondern weiterhin von den Tarifparteien, also Arbeitgebern und Arbeitnehmern?
Herr Kollege, ich darf einfach mal sagen, dass ich persönlich diese Begriffswahl für eine sehr akademische Debatte halte. Wissen Sie auch, warum? Weil der Ausgangspunkt, der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro, durchaus erst mal politisch festgelegt worden ist.
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Richtig ist, dass es jetzt einen Mechanismus gibt, um über die Mindestlohnkommission, deren Geschäftsordnung bestimmte Maßgaben enthält, die Weiterentwicklung zu organisieren. Aber der Gesetzgeber, also Sie, hat 2015 – nicht wissend, dass ich Arbeitsminister werde, aber jetzt bin ich es nun mal – mit aufgegeben, dass ich in diesem Jahre das Gesetz evaluieren soll. Das tun wir; wir gucken, wie sich das entwickelt hat, wie die Mechanismen sind, haben dann im Sommer empirische Grundlagen dafür und werden dann uns darüber zu unterhalten haben, wie und in welcher Form sich das Ganze weiterentwickelt.
Aber wissen Sie was? Ich habe gelernt, dass jede Form von Gesetzgebung irgendwie politisch ist.
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Danke sehr. – Jetzt stellt die nächste Frage der Kollege Sven Lehmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie sind ja nicht nur Arbeits-, sondern auch Sozialminister. Ihre Kabinettskollegin Julia Klöckner hat neulich dazu aufgerufen, die Deutschen sollten mehr Geld für Essen und Trinken ausgeben.
Sehe ich so aus, als würde ich mich nicht daran halten?
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Genau. Ich wollte gerade sagen: Sie kommen der Aufforderung vielleicht nach – das kann sein –, aber sehr vielen Menschen, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen und die am Ende des Monats zur Tafel müssen, muss diese Aufforderung wie Hohn vorkommen.
Im Hartz-IV-Regelsatz sind derzeit etwa 5 Euro am Tag für Essen und Trinken vorgesehen – 5 Euro pro Tag für erwachsene Menschen für Essen und Trinken! Die Bundesregierung hält ja seit Jahren an diesen Armutsregelsätzen fest.
Sie werden demnächst ein neues Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vorlegen. Meine Frage an Sie: Halten Sie an der jetzigen Berechnungsmethode fest, oder ermöglichen Sie endlich eine Grundsicherung, die Teilhabe ermöglicht und verhindert, dass Menschen am Ende des Monats zur Tafel müssen?
Herr Kollege, ich bitte, ehrlich gesagt, bei Ihrer Frage um ein wenig Fairness und Ausgewogenheit. Ich finde es völlig in Ordnung, dass man über die Angemessenheit der Höhe der Grundsicherung und über deren Weiterentwicklung redet. Aber die Kollegin Klöckner hat doch etwas anderes gemeint, was die Grünen auch wollen, nämlich dass gutes Essen diesem Land auch was wert sein sollte. In anderen Ländern Europas, wo es auch keine höheren Sozialleistungen gibt, geben die Menschen mehr Geld aus ihrem Einkommenstopf für Essen aus. Wir können doch nicht glauben, dass, wenn wir in Deutschland das billigste Essen haben, dieses fair und nachhaltig produziert wird. So habe ich die Grünen jedenfalls immer verstanden, und so habe ich auch meine Kollegin Klöckner verstanden.
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Die Frage zur Berechnungsmethode, die Sie gestellt haben, muss man ernsthaft im Lichte der Ergebnisse der beauftragen Evaluation betrachten. Erst dann kann man über die Entwicklung und eventuell über eine Anpassung der Regelsätze reden. Die Zahlen werden gemäß Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz in diesem Jahr ermittelt – das wird uns, ich glaube im Juni, hier im Parlament beschäftigen –, und dann werde ich Ihre Frage besser beantworten können.
Und die Nachfrage.
Mir ging es vor allem um die Berechnungsmethode. Derzeit ist es ja so: Es werden die untersten 15 Prozent der Haushalte als Grundlage herangezogen, die verdeckten Armen werden nicht herausgerechnet, die Grundsicherungshaushalte werden nicht herausgerechnet. Und dann werden noch sehr viele Positionen gestrichen, die für Erwerbslose sozusagen nicht vorgesehen sind: Alkohol, Tabak, Schnittblumen usw. Das heißt, der Regelsatz wird politisch seit sehr vielen Jahren kleingerechnet. Meine sehr konkrete Frage lautet daher: Halten Sie an der bisherigen Berechnungsmethode fest, oder verändern Sie die Berechnungsmethode, wenn Sie demnächst das neue Gesetz vorlegen?
Ich will noch mal deutlich machen: Die Debatte über das, was Sie eben beschrieben haben, ist mir bekannt. Sie ist nicht ganz neu. Die Berechnungsmethode wurde übrigens auch mal beklagt, aber wurde nicht als verfassungswidrig beschrieben. Man kann hinsichtlich Berechnungsmethode, Quantilen und der Frage, was rein- oder herausgerechnet wird, sehr unterschiedlicher Meinung sein – darin sind wir uns einig –, aber verfassungswidrig ist die Berechnungsmethode nicht. Ich würde bitten, das auch nicht zu unterstellen. Bevor es um die Weiterentwicklung der Regelsätze geht, ist es unsere Aufgabe, erst mal auf Basis der Voraussetzungen, die wir haben, zu gucken. Dann werde ich auch Ihre Frage beantworten, wie sich das weiterentwickelt.
Mir ist eines wichtig: Ja, wir haben die Verpflichtung, ein sozioökonomisches und übrigens auch ein soziokulturelles Existenzminimum über die Grundsicherung abzudecken. Die Debatte darüber, wo das liegt, wird nie aufhören.
Danke sehr.
Aber das eigentliche Ziel muss es sein, Menschen aus dieser Situation herauszuholen. Darauf konzentriere ich mich als Arbeitsminister.
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Die nächste Frage stellt der Kollege Uwe Witt, AfD.
Liebe Kollegen, ich wünsche uns allen ein frohes neues Jahr und viel Kraft für die kommenden Ereignisse, die demnächst auf uns zumarschieren. Damit bin ich bei meinem Ansatz.
Ich möchte mich gerne mit Ihnen über das Ergebnis der Expertenkommission, die von der Regierung beauftragt wurde, unterhalten. Es war ja der Presse zu entnehmen, dass 420 000 Arbeitsplätze in der Automobil- und Zuliefererindustrie massiv gefährdet sind. Was mich dabei interessiert, ist: Sie haben in den letzten Haushaltsdebatten deutlich gemacht, in welch blühenden Verhältnissen wir leben und dass im Prinzip alles kein Problem sei. Erst bei Ihrer letzten Rede haben Sie ein wenig auch auf die Veränderungen, die Ihre Politik in der Automobilindustrie herbeigeführt hat, reagiert. Wie ist es also möglich, dass Sie und Ihr Ministerium eine derartig krasse Fehleinschätzung der derzeitigen Situation vorgenommen haben, und was gedenken Sie zu tun, damit derartige Ereignisse nicht noch mal passieren? – Danke schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Witt, das entspricht nicht den Tatsachen. Tatsache ist, dass die Entwicklung in der Automobilindustrie unterschiedliche Gründe hat.
Zum Teil hat das etwas mit weltwirtschaftlichen Entwicklungen zu tun. Darf ich Ihnen das nachweisen? Volkswagen beispielsweise setzt bisher ungefähr die Hälfte der Personenwagen, glaube ich, auf dem chinesischen Markt ab. Es gibt eine zwar nachlassende, aber immer noch sehr hohe Nachfrage aus China. Diese ist also weltwirtschaftlich getrieben.
Es gibt auch Handelsunsicherheiten, weil Menschen wie Herr Trump oder auch andere Rechtspopulisten auf der Welt glauben, dass die Abschottung von Märkten eine besonders gute Idee sei. Das heißt, es gibt konjunkturelle Risiken, die zu dieser Entwicklung führen.
Es gibt zudem den strukturellen Wandel. Es gibt politische Entscheidungen, etwa dass die Verkehrswende einen Beitrag zum Klimaschutz leisten soll – das haben wir in Europa miteinander vereinbart, und das wird in Deutschland auch Folgen haben –, zum Beispiel durch neue Antriebe und emissionsärmere Autos. Aber es gibt auch so etwas wie Digitalisierung der Produktion. Das haben wir nicht unterschätzt. Wir wissen um dieses Thema. Ich habe stets in Haushaltsreden darauf hingewiesen, dass wir trotz der guten Lage am Arbeitsmarkt und trotz des höchsten Stands an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung seit der deutschen Einheit – Herr Witt, darüber könnten Sie sich doch mal freuen – nicht den Blick davor verschließen dürfen, dass es viele Bereiche gibt, die vor einem massiven Strukturwandel stehen. Das betrifft zum Beispiel die Flaggschiffindustrie Deutschlands, die Automobilindustrie. Ich habe vorhin mit den Hinweisen auf das Qualifizierungschancengesetz und das Arbeit-von-Morgen-Gesetz darauf verwiesen, mit welchen Instrumenten wir den Wandel begleiten wollen.
Vielen Dank. – Der Kollege Witt möchte eine Nachfrage stellen.
Das Rot steht übrigens nicht für Ihre Partei, sondern dafür, dass Sie Ihre Redezeit überziehen. Ich unterstütze da den Präsidenten.
Danke für die Belehrung.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet; das habe ich aber auch so erwartet. Ich habe Sie gefragt, was Sie zu tun gedenken, damit Ihr Ministerium zukünftig in der Lage ist, die Zahlen vorher analytisch aufzuarbeiten. Eine derartig eklatante Abweichung konnten Sie ja gar nicht berücksichtigen. Sie konnten ja nicht erwarten, dass es um 400 000 Arbeitsplätze geht. Sie müssen als Regierung doch wissen, was auf Sie zukommt, wenn Sie derartige Maßnahmen einleiten. Das ist eine Schande!
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Entschuldigung, wenn ich Ihre eigenen Worte verwende, mit denen Sie uns das letzte Mal betitelt haben. – Danke.
Herr Kollege, ganz ernsthaft – ich bin bereit, das auch mal länger mit Ihnen zu erörtern –:
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Ich glaube, dass in Ihren Gedanken ein bisschen was durcheinandergeht. – Wir haben vorhin auf Folgendes hingewiesen:
Erstens. Die Studie, die jetzt veröffentlicht worden ist, bildet ein Worst-Case-Szenario ab, und zwar auf Basis der ELAB-Studie der Fraunhofer-Gesellschaft und der Studie des IAB: Wenn es keine Batteriezellenproduktion in Deutschland gibt, wenn wir nicht zu neuer Produktion in Deutschland kommen, dann ist das das Schlimmste, was uns in zehn Jahren passieren kann. Aber wir haben Spielraum, um das zu verhindern.
Zweitens. Das ist eine aktuelle Studie. Es gibt übrigens auch andere.
Ich weise Ihren Vorwurf, dass wir die Entwicklung unterschätzt haben, mit Entschiedenheit zurück, wünsche Ihnen aber hinsichtlich Ihrer Auffassung gute Besserung.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPD. – Mag er nicht? – Wollen Sie nicht?
Er steht schon.
Er wirkt so verwirrt.
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Nein. Überrascht.
Ich habe gar nicht mehr damit gerechnet, noch eine Frage stellen zu können.
Ach, Herr Schummer wäre der Nächste gewesen.
Jetzt stehe ich schon.
Entschuldigung, aber ich konnte nicht erwarten, Ihnen das Wort zu erteilen. – Herr Schummer, Sie kommen dann nachher dran.
Herr Minister, vor einem Jahr ist das Teilhabechancengesetz in Kraft getreten, mit dem der soziale Arbeitsmarkt in Deutschland eingeführt wurde. Meine Frage an Sie: Wie sind Ihre Erfahrungen nach einem Jahr?
Die Entwicklung ist sehr, sehr positiv. Das Teilhabechancengesetz – andere nennen es den sozialen Arbeitsmarkt – beinhaltet vor allem zwei neue Regelinstrumente, die wir eingeführt haben, um arbeitsmarktferne Menschen, vor allem langzeitarbeitslose Menschen, nicht in irgendwelche Maßnahmen, sondern in dauerhafte sozialversicherungspflichtige Arbeit zu bringen. Wir haben in einem Jahr 40 000 Menschen in Arbeit gebracht. Ich finde, darauf können wir stolz sein.
Das ist aber nur eine Zahl. Wenn man jemanden kennenlernt, der das erlebt, dann weiß man, wie gut das wirkt. Das sagen uns alle Rückmeldungen, nicht nur die der Fachleute, sondern auch die der betroffenen Menschen. Ich habe einen Mann in Heidelberg kennengelernt, der über 20 Jahre beschäftigungslos war, er war sogar obdachlos. Er hat auf diesem Weg eine Arbeit als Hausmeister in einer Schule gefunden. Wer erlebt hat, welch positive Folgen das in kürzester Zeit für sein Leben hatte, der weiß, dass das der richtige Weg ist; und wir werden ihn konsequent fortsetzen. Arbeit ist für die meisten Menschen mehr als Broterwerb. Das zeigt das Teilhabechancengesetz.
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Vielen Dank. – Sie haben eine Nachfrage, wie ich sehe. Bitte schön.
Herr Minister, haben Sie nach einem Jahr auch Regelungen im Gesetz erkannt, bei denen Sie sagen würden: „Da könnte man Änderungen anbringen“?
Die gibt es immer; hier aber nicht dem Grunde nach. Ich glaube, wir haben als Koalition an dieser Stelle ein ganz ordentliches Gesetz gemacht. Es hat sich gezeigt, dass das Coaching ein ganz wichtiger Punkt ist. Überraschend erfreulich ist übrigens die hohe Zahl privatwirtschaftlicher Arbeitsplätze, die auf diesem Weg besetzt werden. Viele haben ja gemunkelt, dass das ein Beschäftigungsprogramm für irgendwelche Träger sei. Träger und Kommunen haben auf diesem Weg Beschäftigung geschaffen, aber in vielen Bereichen, auch in Regionen, in denen ich das nicht vermutet hätte, haben privatwirtschaftliche Arbeitgeber langzeitarbeitslosen Menschen, also Menschen, die ganz lange aus dem Erwerbsleben draußen waren, mit dieser Form der Unterstützung die Chance auf Arbeit im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gegeben. Das freut mich sehr.
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Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion.
Verehrtes Präsidium! Herr Minister, vor 100 Jahren hat der Priester und Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns die betriebliche Mitbestimmung über das Betriebsrätegesetz eingeführt. Wir sehen heute, dass die betriebliche Mitbestimmung bröckelt. Wir haben im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart, dass diese Bindung an die betriebliche Mitbestimmung wieder gestärkt werden soll.
Wir haben es mit zwei Welten zu tun, mit der klassischen Welt der betrieblichen Mitbestimmung und mit der Welt der Plattformökonomie, in der es keine Fabrikhalle, kein schwarzes Brett und keinen Wahlvorstand gibt, sondern in der zum Beispiel ein Fahrrad und eine App den Betrieb definieren. Wie können wir beide Welten, die Plattformökonomie, die als Folge der Digitalisierung entstanden ist, und die klassische Welt der betrieblichen Mitbestimmung zusammenführen? Ist die Aufnahme der Onlinewahl in die Betriebsverfassung ein Weg?
Lieber Kollege Schummer, wir feiern tatsächlich 100 Jahre Betriebsverfassungsgesetz. Es ist von 1920. Wir wissen, dass Mitbestimmung bedeutet, dass Demokratie nicht vor Unternehmen haltmacht. Wir wissen, dass Mitbestimmung ein wesentlicher Erfolgsfaktor unserer Wirtschaft ist. Das gilt für viele Unternehmen; das muss man sagen. Es ist an der Zeit, das Betriebsverfassungsgesetz zu erneuern; das haben wir uns miteinander vorgenommen.
Ich werde zwei Antworten geben. Das eine ist: Wir werden Vorschläge für den Bereich Plattformökonomie, vor allen Dingen für die Plattformen, die menschliche Arbeit vermitteln, machen. Da geht es um die, die abhängig beschäftigt sind, deren Chancen, aber auch deren Mitbestimmungsrechte. Es wird auch um neue Formen von Selbstständigkeit gehen; denn nicht alle werden wie die bei den Plattformen Arbeitenden abhängig beschäftigt sein. Trotzdem geht es auch um deren sozialen Schutz und deren Rechtsposition.
Das Zweite ist, was wir für die Erneuerung des Betriebsverfassungsgesetzes gemeinsam tun können. Da sind Onlinewahlen ein Thema, was man diskutieren kann, aber, ehrlich gesagt, nicht das wichtigste.
Die Frage ist zum Beispiel, ob wir die Unterdrückung von Betriebsräten – das ist heute schon ein Straftatbestand – von einem, ich gebe das mal mit, Antragsdelikt zu einem Offizialdelikt machen. So etwas ist schon heute strafbewehrt,
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aber Sie haben noch nie erlebt, dass eine Staatsanwaltschaft tätig wurde – weil die Menschen zum Teil Angst haben in diesem Bereich.
Oder es geht um die Frage von Mitbestimmungsrechten zum Beispiel beim Einsatz von künstlicher Intelligenz. Oder es geht um die Frage eines vereinfachten Wahlverfahrens. Das sind alles Themen, die wir aus guten Gründen zur Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes miteinander besprechen können in diesem Jahr.
Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Schummer? – Keine weitere Nachfrage. Dann ist der nächste Fragesteller der Kollege Till Mansmann, FDP-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Heil, es geht noch einmal um das Lieferkettengesetz, nicht um die grundsätzliche Frage, die wir vorhin ja schon geklärt haben – wo wir uns, glaube ich, alle ganz einig sind, nämlich die internationalen Menschenrechte zu stärken –, sondern es geht um das Instrumentarium, also um die Rechtssystematik.
Halten Sie es wirklich für richtig, angesichts dieser Frage, die ja den Außenhandel betrifft und damit eigentlich auch außenhandelsrechtlich geklärt werden müsste – Mittel der Wahl wäre dann ja eigentlich ein Handelsabkommen oder möglichst ein internationales Freihandelsabkommen –, diese Aufgabe dann den privaten Unternehmen in Deutschland zu übertragen, zumal der Staat aus seiner Kontrollpflicht ohnehin nicht herauskommt? Denn wenn ein Rechtsverstoß vorliegt, muss dieser Rechtsverstoß ohnehin rechtssicher nachgewiesen werden.
Dem Grunde nach, Herr Kollege, teile ich die liberale Auffassung von Montesquieu, dass, wo ein Gesetz nicht notwendig ist, kein Gesetz notwendig ist. Aber in diesem Fall brauchen wir das eine und das andere, aus meiner persönlichen Sicht; denn es geht auch um die Rechtssicherheit deutscher Unternehmen. Sie haben nach Rana Plaza erlebt, dass es auch Klagen aus dem Ausland gegen deutsche Unternehmen gegeben hat, die ja durchaus zugelassen werden. Es entsteht die Frage der unternehmerischen Haftung. Wenn Unternehmen nachweisen können, dass sie all ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen sind, um Menschenrechte tatsächlich auch einzuhalten, geht es, wenn trotzdem etwas passiert, auch um Rechtssicherheit und Enthaftung der Unternehmen.
Das, was Sie angesprochen haben – Handelsabkommen, Nachhaltigkeitskapitel im zwischenstaatlichen Bereich –, muss zusätzlich kommen. Aber wenn wir uns miteinander verständigen – ich sage das jetzt einmal von Sozialdemokrat zu Liberalem –, dass die Frage von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten eine gemeinschaftliche Aufgabe von Staat, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft – auch Verbrauchern – ist, sind wir, finde ich, schon einen Schritt weiter.
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Vielen Dank. – Herr Kollege Mansmann, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte. Das ist auch die letzte jetzt.
Sie sagen damit, dass Handelsabkommen es nicht erlaubten, das zu klären. Diese Einschätzung finde ich gerade vor dem Hintergrund, dass wir den Multilateralismus stärken wollen, ein bisschen schwierig.
Aber wenn wir es jetzt konkret auf die EU beziehen, muss man doch feststellen, dass Sie damit mit dem Prinzip brechen, dass für handelsrechtliche Fragen die EU zuständig ist. Sie haben im Prinzip angekündigt – in Ihren Anträgen –, dass, wenn es zu keiner EU-Regelung kommt, nationale Gesetzgebung stattdessen kommen wird. Wie wollen Sie dann verhindern, dass Unternehmen aus EU-Staaten, die diese Lieferkettengesetze nicht einhalten müssen und die sich also gerade nicht an die Regeln halten, deutschen Unternehmen, die sich an die Regeln halten müssen, im Binnenmarkt Konkurrenz machen?
Herr Kollege, da geht ein bisschen was durcheinander. Ich habe vorhin gesagt, dass wir erstens, wenn wir die Monitoringberichte haben, national handeln werden und es auf die Tagesordnung der Europäischen Union setzen werden, dass es zweitens europäische Staaten gibt, die schon Lieferkettengesetze haben – das ist Ihnen hoffentlich bekannt –, und dass drittens die Frage der Wirksamkeit von Handelsverträgen mit der Ausgestaltung der Handelsverträge zu tun hat.
Ich sage, da haben wir europäisches Recht. Aber wir haben auch eine deutsche Pflicht, dafür zu sorgen, dass, wenn die Europäische Union für uns Handelsverträge verhandelt, diese zukünftig so mandatiert sind, dass Nachhaltigkeitskapitel und ILO-Kernarbeitsnormen berücksichtigt werden und auch entsprechende Sanktionen vorgesehen sind. Das ist das, was ich als Freund von freiem Handel will: dass es auch fairer Handel an dieser Stelle ist. Das eine tun, das andere nicht lassen.
Aber Sie haben recht: Für die Unternehmen, die sich heute schon in Deutschland an Sorgfaltspflichten halten, darf es kein Wettbewerbsnachteil sein, wenn Unternehmen in anderen europäischen Ländern oder andere deutsche Unternehmen sich nicht daran halten. Das ist auch ein Grund dafür, warum ich der Meinung bin: Im Sinne eines Level Playing Fields ist es vernünftig, dass alle die gleichen Verpflichtungen haben – erst einmal in Deutschland und dann auch in Europa. Es gibt schon Länder in Europa, in denen für die Unternehmen solche Verpflichtungen gelten.
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Vielen Dank, Herr Minister Heil. – Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man kann sich bei diesem Thema lange Vorreden sparen. Das neue Jahr hat im Krisenmodus begonnen, und zwar in einer Art und Weise, wie wir das selten erlebt haben. Nach mehreren iranischen Provokationen und der Tötung von General Soleimani durch die USA befand sich die Region vor wenigen Tagen am Rand eines Krieges – nicht mehr und nicht weniger.
In dieser Lage standen und stehen für uns nach wie vor drei Dinge im Vordergrund: erstens die akute Krise – denn wir befinden uns nach wie vor in einer Krise – diplomatisch zu entschärfen, zweitens die Nuklearvereinbarung mit dem Iran zu erhalten und drittens die Stabilität und die Einheit des Iraks zu sichern. Sie ist eng mit der Fortsetzung des Kampfes gegen den IS verbunden, und dabei geht es um ureigene europäische Sicherheitsinteressen.
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Zur Deeskalation. Auch wenn, meine sehr verehrten Damen und Herren, die akute Gefahr eines militärischen Konfliktes für den Moment gebannt zu sein scheint, bleibt die Lage nach wie vor ernst. Das ist mir vorgestern bei einem Besuch in Jordanien noch einmal deutlich geworden, und zwar sowohl in den Gesprächen mit unseren Soldatinnen und Soldaten als auch mit dem jordanischen Kollegen, dem Außenminister Ayman Safadi.
Dass alle Beteiligten nach dem Blick in den Abgrund – nichts anderes war das in den letzten Tagen – inzwischen einen Schritt zurückgegangen sind, verdanken wir – da bin ich mir sicher – auch denjenigen, die sich in den letzten Tagen gemeinsam mit uns für die Deeskalation in diesem Konflikt eingesetzt haben. Seit Tagen sind wir nahezu ununterbrochen in Kontakt mit den europäischen Kollegen, mit Mike Pompeo, mit dem NATO-Generalsekretär, mit Josep Borrell, dem Außenbeauftragten der Europäischen Union, mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und mit vielen Amtskollegen aus der Region, im Übrigen auch mit dem iranischen Außenminister Javad Zarif.
Zugute kommt uns Europäern dabei – das ist in den letzten Tagen auch sehr deutlich geworden –, dass wir belastbare Gesprächskanäle zu allen Seiten haben. Die haben wir genutzt, und die werden wir auch in den kommenden Tagen und Wochen weiter nutzen. Zugute kommt uns auch, dass Europa in diesem Konflikt von Anfang an mit einer Stimme gesprochen hat. Wichtig war dafür der Sonderrat der EU-Außenminister am Freitag, den der EU-Außenbeauftragte Borrell auf unsere Bitte hin einberufen hat. Wir haben ihm ein klares Mandat gegeben, in den nächsten Tagen in der Region, insbesondere in Bagdad, weiter auf Deeskalation hinzuwirken, und zwar im Namen der Europäischen Union insgesamt.
Bereits am nächsten Montag werden wir uns erneut im Kreis der EU-Außenminister treffen, um die weiteren Schritte miteinander abzustimmen. Ich kann Ihnen sagen: Auch die am Sonntag geplante Berliner Libyen-Konferenz werden wir nutzen, um am Rande mit allen wichtigen Akteuren aus der Region die Lage am Golf zu besprechen und nach weiteren Schritten und Möglichkeiten der Deeskalation zu suchen.
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Meine Damen und Herren, der zweite Handlungsstrang betrifft die Nuklearvereinbarung mit dem Iran. Unser oberstes Ziel ist und wird bleiben, dass der Iran keinen Zugang zu Nuklearwaffen erhalten darf. Deshalb mussten wir handeln, als der Iran am 5. Januar angekündigt hat, auch noch die letzten Beschränkungen für die Urananreicherung aufgeben zu wollen. Deshalb haben wir gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien den im Nuklearabkommen vorgesehenen Streitschlichtungsmechanismus aktiviert, wohlgemerkt, nicht um aus der Vereinbarung auszusteigen, sondern um innerhalb der vorgegebenen Verfahren den Iran dazu zu bringen, vollständig zu seinen Verpflichtungen zurückzukehren. Der Streitschlichtungsmechanismus ist genau für diese Fälle geschaffen worden. Er gibt uns jetzt den nötigen Verhandlungsspielraum. Es gibt keinen Automatismus hin zur Befassung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen oder zum Wiedereinsetzen der Sanktionen. Klar ist aber ganz genauso: Wir werden uns nicht ewig von Teheran hinhalten lassen.
Diejenigen, die jetzt unseren endgültigen Ausstieg aus der Nuklearvereinbarung fordern – die gibt es auch –, muss man ganz offen fragen: Was wäre dadurch gewonnen? In keinem Land der Welt werden mehr Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde durchgeführt als im Iran. Die Zeit, die der Iran zur Entwicklung von Nuklearwaffen bräuchte, ist heute trotz der Verletzungen des Iran immer noch deutlich länger als vor Inkrafttreten der Nuklearvereinbarung. Auch die Gespräche über die destabilisierende Rolle des Iran in der Region oder über sein ballistisches Raketenprogramm werden keinen Deut leichter, wenn wir durch den Wegfall der Nuklearvereinbarung ein zusätzliches Problem schaffen.
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Letztlich wird sich der Iran entscheiden müssen, ob er kooperiert oder ob er sich immer weiter in die Isolation begibt. Das gilt übrigens auch mit Blick auf den schrecklichen Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine durch die iranische Flugabwehr. Der Iran schuldet den Opfern und den betroffenen Ländern nicht nur eine Entschuldigung, die er auch ausgesprochen hat, sondern er schuldet vor allen Dingen Transparenz und volle Kooperation, damit alles bis zum letzten Deut aufgeklärt wird.
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Den Menschen, die nun im Iran auf die Straße gehen, schuldet die iranische Führung, dass sie ihr Recht auf friedliche Demonstration und Meinungsfreiheit achtet. Niemand, der dort auf die Straße geht, nur um seine Meinung zu sagen, hat es verdient, von den dortigen Sicherheitskräften diskriminiert oder angegriffen zu werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der dritte Punkt betrifft den Irak. Wenn wir in Europa ein Interesse haben, dann vor allen Dingen ein erhebliches Sicherheitsinteresse daran, dass das Land durch den jüngsten Konflikt nicht wieder in Krieg und Chaos zurückgeworfen wird. Das droht aber gerade. Schließlich sind die Folgen der IS-Terrorherrschaft noch lange nicht überwunden. Nach wie vor können über 1,5 Millionen Binnenvertriebene nicht in ihre Heimatorte im Irak zurückkehren. Der IS stellt weiterhin eine reale Gefahr für die Sicherheit des Irak und der ganzen Region dar. Das haben die Anschläge, die es in den letzten Wochen gegeben hat, durchgeführt vom IS im Irak, noch einmal eindrücklich unter Beweis gestellt.
Wir haben in den letzten Jahren im Irak viel erreicht: beim Kampf gegen den IS und bei der Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte, aber vor allen Dingen auch im zivilen Bereich durch ein wirklich hohes Maß an humanitärer Hilfe, an Stabilisierung und an Wiederaufbau. Jetzt gilt es, diese Erfolge zu sichern. Bei allen Überlegungen, wie das gelingen kann, hat – das will ich noch einmal für die Bundesregierung festhalten – die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten höchste Priorität. Deshalb war es richtig, die Kontingente vorübergehend aus den besonders gefährdeten Gebieten im Irak zu verlegen. Deshalb habe ich auch den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die ich vorgestern in al-Asrak, in Jordanien besucht habe, unsere Wertschätzung überbracht.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie sehr dieser Einsatz geschätzt wird, das haben uns gerade unsere jordanischen Gesprächspartner erneut bestätigt. Er wird nicht nur geschätzt, sondern auch in Zukunft für notwendig erachtet. Nach allem, was unsere Soldatinnen und Soldaten in den letzten Tagen erlebt haben – und das ist alles andere als einfach gewesen –, aber auch im Kampf gegen den IS zuvor schon geleistet haben, sollten wir ihnen auch heute von dieser Stelle aus ein herzliches Dankeschön sagen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel bleibt, unsere Unterstützung und die Ausbildung fortzuführen, damit der IS nicht wieder Fuß fassen kann im Irak oder auch in der Region. Wenn der IS im Irak neue Spielräume bekommt, um sich in dieser Region wieder auszubreiten und sie zu destabilisieren, dann ist im nächsten Schritt die Sicherheit in Europa gefährdet. Deshalb liegt das in unserem ureigenen Sicherheitsinteresse.
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Die Vertreter des Auswärtigen Amtes und der gesamten Bundesregierung, die in den letzten Tagen im Irak waren, um mit der dortigen Regierung, aber auch mit den Vertretern des Parlaments zu sprechen, haben gestern den irakischen Premierminister Abdul Mahdi getroffen, um über das internationale Engagement gegen den IS zu sprechen. Der Premierminister – das kann ich Ihnen berichten – hat bestätigt, dass Bagdad an der Fortsetzung dieses internationalen Engagements großes Interesse hat, und hat sich in den Gesprächen mit uns für einen Verbleib der Bundeswehr im Irak ausgesprochen.
Meine Damen und Herren, es gibt eine Resolution des Parlamentes, und an der wird man nicht vorbeikommen. Deshalb ist es richtig, dass die Verantwortlichen in Bagdad nicht nur mit der Regierung sprechen, sondern die Regierung auch mit dem Parlament. Wir haben den Verantwortlichen deutlich gesagt: Wir werden die Souveränität des Irak immer respektieren. Das heißt, wir werden jede Entscheidung, die dort getroffen wird, akzeptieren. Aber wir werben dafür, dass wir die Unterstützung, die wir bisher geleistet haben, fortsetzen können, weil wir alles andere für einen Beitrag zur Instabilität im Irak halten. Daran kann im Irak niemand ein Interesse haben, und wir haben daran auch kein Interesse.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb sollten wir Europäer insgesamt weiter Kurs halten. Dieser Kurs lautet: Wir wollen keine weiteren Eskalationen – wir werden diplomatisch alles aufbieten, um dem entgegenzuwirken. Wir wollen konsequent den Kampf gegen den IS fortführen. Und wir setzen auf vernünftige Diplomatie statt maximalen Druck.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der Kollege Armin-Paulus Hampel, AfD-Fraktion.
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Danke schön, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucher im Deutschen Bundestag und daheim an den Bildschirmen! Wir greifen das auf, was Sie sagten, Herr Minister. Es ist natürlich zu begrüßen, dass die Lage leicht deeskaliert ist. Wir wollen keinen Konflikt im Nahen Osten. Er liegt insbesondere nicht im deutschen Interesse, weil jeder Konflikt im Nahen Osten wieder neue Flüchtlingsströme nach Deutschland bedeuten würde, und das wollen wir nicht, Herr Außenminister.
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Es ist schön, dass Sie jetzt mit allen sprechen und die auch mit Ihnen. Besser wäre es gewesen, man hätte vorher miteinander gesprochen. Es ist auch zu beklagen, dass die Vereinigten Staaten bei ihrem Anschlag auf Herrn Soleimani die deutsche Regierung und die anderen westeuropäischen Regierungen nicht konsultiert haben. Warum ist das wichtig? Weil es bei der Frage, ob diese Aktion der Amerikaner nun völkerrechtswidrig war oder nicht, immer noch eine Eierei gibt. Die SPD-Fraktion, Herr Mützenich hat das eindeutig erkannt und spricht von „völkerrechtswidrig“. Aus Ihrem Hause vernimmt man einen Wackelkurs. Ich habe heute im Ausschuss von Ihnen, Herr Minister, gelernt, dass Herr Soleimani auf der Terrorliste der Europäischen Union stand. Jetzt wüssten wir gerne: Warum ist er da gelandet? Mit welchen Gründen ist er auf dieser Liste registriert?
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Das wäre erhellend für uns alle, um die Völkerrechtswidrigkeit erklären oder auch verneinen zu können.
Auch beim Atomabkommen mit dem Iran, meine Damen und Herren, gibt es wieder Realpolitik, und zwar Realpolitik im deutschen Interesse. Geben wir es zu: Es funktioniert nicht nur nicht, es ist schon gescheitert. Auch der Versuch, einen Handel unabhängig von den USA über ein eigenes Finanzsystem zu entwickeln – wir haben es heute gelernt: mit einem 10-Millionen-Geschäft ist noch kein Handel gemacht –, funktioniert nicht. Wir sind auch nicht bereit, Russland oder China in diese Zahlungssysteme einzupflegen, was vielleicht noch erfolgversprechend wäre. Da stimmen wir als AfD-Fraktion dem amerikanischen Präsidenten zu: Weil es im Interesse Europas ist, eine zivile oder militärische Nutzung von Atomtechnologie im Iran zu stoppen – wir können das nicht haben wollen –, muss es eine Neuverhandlung über ein Abkommen zwischen dem Iran und allen westlichen Ländern einschließlich der USA geben. Das wäre der richtige Weg. Unsere Verweigerungshaltung ist dort falsch, Herr Minister.
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Überraschend ist für mich, dass Sie auch in dem Falle, in dem es um die Entscheidung des irakischen Parlamentes geht, wiederum einen Eiertanz machen, Sie wackeln hin und her: Der Regierungschef Mahdi sei ja nur ein kommissarischer Premier, man müsse abwarten, bis eine neue Regierung gebildet sei und, und, und. – Nein, dieses Haus hier ist quasi der Dienstherr bzw. der Auftraggeber der Bundeswehr, einer Parlamentsarmee. Wenn die Bundesrepublik Deutschland – mit einer Parlamentsarmee – die Entscheidung des irakischen Parlamentes, die fremden Truppen nach Hause zu schicken, ablehnt, ist das ein Armutszeugnis für die Bundesrepublik Deutschland. Wir sollten dieser Entscheidung folgen, meine Damen und Herren.
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Das ist eine Frage des Respekts dem irakischen Parlament gegenüber.
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– Letzter Punkt, lieber Herr Schmidt: Es war schon eindrucksvoll, dass Ihre Kanzlerin im Libyen-Konflikt und in anderen Fragen nicht, wie man hätte annehmen können, erst einmal nach Paris flog, um sich mit Herrn Macron zu besprechen, und dann, spätestens, nach Washington, sondern genau in die andere Richtung, nach Osten, um den Libyen-K onflikt mit Herrn Putin zu diskutieren, den Sie ja alle, mehrheitlich, mit Sanktionen zu belegen beschlossen haben.
Jetzt kommt der deutsche Außenminister mit der Erkenntnis, dass die Lösung der libyschen Probleme maßgeblich nicht in Washington, sondern in Moskau liegt und dass ein mögliches Abkommen mit dem Iran vielleicht auch nur mit Unterstützung Moskaus zu haben ist – wenn man die Russen und die Amerikaner gemeinsam ins Boot holen könnte.
Ich habe den Eindruck: Die deutsche Kanzlerin hat dort eines unter Beweis gestellt: ihren Machtinstinkt. Auch wenn sie ansonsten vieles verloren hat – an Sympathie, an Stimmen, vielleicht auch an Zuneigung in ihrer Fraktion; ich weiß es ja nicht –, eines hat sie behalten: ihren Machtinstinkt. Sie hat klar gemerkt, dass sie die Entscheidung nicht in Washington oder anderswo zu holen hat, sondern sie holt sich die Entscheidung in Moskau. Das sollte der Mehrheit dieses Hauses zu denken geben, meine Damen und Herren.
Auch hier wieder unsere Forderung: Beenden wir die Sanktionen gegen Russland, arbeiten wir kooperativ auch mit dem russischen Präsidenten Putin zusammen! Das hilft uns, in vielen Problemfragen – nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in anderen Bereichen, zum Beispiel in Venezuela –
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eine Lösung zu finden. Das wäre der richtige Weg.
Fahren Sie wieder nach Moskau, Herr Maas, nehmen Sie Frau Merkel mit, beenden Sie die Sanktionen und starten Sie eine erfolgreiche und gute Kooperation mit Russland! Das ist die Erfolgsgarantie für eine friedliche Politik in Europa, meine Damen und Herren.
Danke schön.
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Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland ist nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion aufgefordert, weiterhin jeden Beitrag zur Deeskalation, aber auch zur Stabilität im Irak und in der gesamten Region zu leisten.
Dazu gehört entgegen zahlreicher Aufforderungen aus den Oppositionsfraktionen, dass wir verantwortbar militärisch im Einsatz auch im Irak bleiben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist kein einfacher Einsatz. Ich bin dem Außenminister und insbesondere auch der Verteidigungsministerin dankbar, dass sie vor Ort bei den Soldatinnen und Soldaten sind. Ich möchte sagen, dass wir als Bundestag in dieser Situation unseren Soldaten wirklich Dank schulden, dass wir uns hinter sie stellen sollten und ihnen sagen sollten, sie haben die politische Unterstützung für diesen schwierigen Einsatz; denn sie halten für die europäische, für die deutsche Sicherheit, aber auch für die Humanität vor Ort ihren Kopf hin und sorgen dafür, dass nicht weiterer IS-Terrorismus sich ausbreiten kann.
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Deswegen möchte ich ganz deutlich sagen: Ich weiß, dass wir über viele Fraktionen hinweg auch im Kampf gegen all den IS-Terror verbunden sind, der sich dort ausprägt, und dass sich viele Sorgen machen, beispielsweise um die Jesiden. Ich habe die Initiative auch aus den Reihen der Grünenfraktion gemeinsam mit Volker Kauder und anderen zur Aufnahme von Jesiden hier in Deutschland durchaus verstanden. Aber den Kampf gegen den IS-Terror, der die Jesiden bedroht, führt man nicht nur, indem man die Menschen hier humanitär aufnimmt – das ist auch eine gute Sache –, sondern den führt man ganz praktisch vor Ort, indem man sich eben auch militärisch im Irak engagiert.
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Deswegen sind all diejenigen, die sich wirklich ernsthaft um diese Menschen sorgen, aufgefordert, das weiterhin zu unterstützen.
Abzug der deutschen Soldaten, Rückzug und Wegschauen sorgen nicht für mehr, sondern für weniger Humanität, für weniger Schutz gerade dieser Volksgruppen im Irak. Deswegen sollte Deutschland hier weiter engagiert bleiben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Deswegen führen wir diese Auseinandersetzung – der Herr Außenminister hat das vollkommen richtig gesagt – auch auf der Grundlage der Genehmigung und Akzeptanz des Irak. Und das möchte ich nur sagen, Herr Hampel: Das fußt darauf, dass die irakische Regierung nach der Verfassung des Irak für die Außenpolitik verantwortlich ist, und wenn die irakische Regierung – das tut sie bisher – zum Ausdruck bringt, dass sie unsere Präsenz dort vor Ort wünscht, dann sind wir dort präsent. Wenn sie sagt, wir seien nicht mehr dort erwünscht, dann werden wir daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen.
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Aber wir sagen, dass wir zu diesem Einsatz weiterhin bereit sind. Denn Verfassungsrecht und Völkerrecht sind für uns wichtig. Das möchte ich an der Stelle sagen. Der getötete General ist ja nicht irgendein iranischer Militärattaché in Bagdad gewesen, sondern er ist einer der wirklich brutalsten Militärführer des Iran in der Vergangenheit gewesen. Er verantwortet die Schlacht um Aleppo, und er hat auf Völkerrecht keine Rücksicht genommen. Auch das muss man in dieser Diskussion einmal sagen.
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Das ist nicht irgendjemand gewesen. Und der Iran hat eine Politik gemacht und macht nach wie vor eine Politik – wir fordern den Iran auf, davon abzukehren –, die sich um Völkerrecht nicht kümmert und nur der Vergrößerung der Einflusszone dient, die insbesondere Israel, und da ist Deutschland besonders verpflichtet, existenziell bedroht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser iranischen Hegemonialpolitik, die mit militärischer Gewalt durchgesetzt wird, müssen auch wir entgegentreten.
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Aber das bedeutet nicht – wir sind für eine regelbasierte Weltordnung –, dass dazu jedes Mittel und jedes anarchische Mittel und jede Wortwahl auch in der Qualifizierung der Akteure und auch dieses Generals richtig wären. Deswegen sagen wir auch unseren Verbündeten in den Vereinigten Staaten von Amerika, dass sie selbstverständlich aufgefordert sind, ihr Handeln – auch ihr militärisches Handeln – in der Region zu rechtfertigen. Es ist keine Petitesse. Wer hier Artikel 51 der UN-Charta in Anspruch nimmt, der muss das entsprechend belegen.
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Wir glauben nicht, dass anarchisches Handeln in dieser Situation richtig ist. Wir sollten alle gemeinsam nicht in Verhaltensweisen und Wortwahl des Mittelalters zurückkehren. Der Westen hat eine andere Grundlage. Das westliche Bündnis hat eine andere Wertegrundlage, und ich finde, es gehört in dieser Situation dazu, dass wir dies auch unseren amerikanischen Partnern deutlich sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Abschließend gilt: Es ist vollkommen richtig, dass jetzt der Schlichtungsmechanismus hinsichtlich des Atomabkommens ausgelöst worden ist; denn das darf keine Einbahnstraße sein. Der Iran hat sich jetzt an mehreren Stellen von einzelnen Punkten verabschiedet, und er muss in dieser Situation wissen: Das ist jetzt die letzte Chance, gemeinsam mit Europa dafür zu sorgen, dass das Atomabkommen, das eine große Errungenschaft ist, beibehalten wird und wirksam ist. Der Iran muss jetzt umkehren.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident, ich danke für die Promotion ehrenhalber, muss sie aber zurückweisen. Das ist gefährlich in der Politik. Ich habe keinen Doktortitel erworben. Ich habe nicht promoviert, habe das auch nicht vor. – Ich wollte das nur ganz kurz fürs Protokoll festgehalten haben.
Meine Damen und Herren! Wir haben gerade eine Rede des Bundesaußenministers gehört. Wenn man ihm zugehört hat: Es war viel Richtiges in dem, was er gesagt hat.
Ich finde aber, wenn man seine drei Punkte mal auseinandernimmt – die akute Krise, den Erhalt des Atomabkommens und die Einheit des Irak –, interessanter, was der Bundesaußenminister hier nicht gesagt hat. Er hat nicht gesagt, welche Schritte denn die europäischen Außenminister beschlossen haben, was jetzt von der Europäischen Union getan werden soll. Er hat auch nicht gesagt, wie der Iran im Nuklearabkommen gehalten werden soll. Und er hat vor allen Dingen nicht gesagt, wie der Kampf gegen den IS fortgesetzt werden soll, über den er richtigerweise sagt, das müsse konsequent geschehen.
Lassen Sie uns die Punkte durchgehen. Am Anfang hieß es: Es hat ein paar Provokationen des Iran gegeben, und dann hatten wir die Krise. – Nein, meine Damen und Herren, es sind mehr als ein paar Provokationen, mit denen uns der Iran seit vielen, vielen Jahren konfrontiert. Der Iran ist eines der schlimmsten Terrorregime der Welt. Wir sehen es jetzt gerade wieder bei den Demonstrantinnen und Demonstranten, deren Mut man nur bewundern kann. Dass sich in diesem Land noch Menschen trauen, auf die Straße zu gehen, ist für Demokraten wirklich unglaublich. Was die an Mut aufbringen!
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Wir sehen auf der anderen Seite, nach außen gerichtet, den Iran als Aggressor im Libanon mit der Hisbollah, im Gazastreifen mit dem Islamischen Dschihad. Von beiden Seiten werden Raketen auf Israel geschossen. Ähnliches gilt für Syrien und für den Irak. Soleimani ist ja nicht im Iran angegriffen worden. Er war im Irak unterwegs. Was hat der Mann da eigentlich getan?
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Schauen wir doch bitte mal nur aufs letzte Jahr. Da haben die Iraner Tanker in der Straße von Hormus angegriffen. Sie haben eine Raffinerie in Saudi-Arabien angegriffen.
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Sie haben eine Militärbasis der Amerikaner im Irak angegriffen. Sie haben eine Drohne abgeschossen. Und am Schluss, ganz zum Schluss, hat der Iran mit Hunderten, ja Tausenden Teilnehmern eine Angriffswelle auf die amerikanische Botschaft in Bagdad organisiert. Das ging bis hin zu einer möglichen Besetzung.
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Jetzt, meine Damen und Herren, denken wir mal eine Sekunde an die Geschichte der Region zurück, an die Geschichte der USA und der Region. Wer sich an 1979 erinnert, der weiß, was in Washington die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran ausgelöst hat. Dass die Amerikaner dann reagiert haben, kann ich nachvollziehen. Wie sie reagiert haben, kann man mit Fug und Recht kritisieren, sowohl im Hinblick auf die völkerrechtlichen Grundlagen als auch im Hinblick auf die politischen Konsequenzen. Nur, nachdem sich die Amerikaner 2019 die ganze Zeit zurückgehalten haben, war diese Reaktion in meinen Augen jedenfalls nicht überraschend.
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Was haben die Außenminister der Europäischen Union beschlossen? Josep Borrell wurde ein Mandat erteilt, allerdings ohne Hinweis darauf, wie sich Europa jetzt einbringen will.
Meine Fraktion begrüßt, dass die Bundesregierung versucht, das Atomabkommen mit dem Iran zu erhalten. Wir halten es auch für richtig, den Streitschlichtungsmechanismus ausgelöst zu haben. Aber die Frage, um die jetzt gestritten wird, ist: Wie soll ein solches Zusatzabkommen erreicht werden? Da sagen die Amerikaner, wir sollten das Abkommen aufkündigen. Wir Europäer sind der Meinung, es wäre besser, ein Zusatzabkommen zu verhandeln, das auch das ballistische Raketenprogramm einschließt.
Ich bin der Meinung: Es ist richtig, den Versuch zu machen, das Abkommen zu erhalten – aus einem ganz einfachen Grund. Wie haben wir Möglichkeiten, zu kontrollieren, was der Iran tut? Mit Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation in den Anlagen im Iran oder ohne diese Inspektoren? Natürlich nur mit Inspektoren. Wird das Abkommen aufgekündigt, müssen die Inspektoren das Land verlassen. Es ist besser, auf diesem Abkommen aufzusetzen, anstatt alles abzureißen und völlig neu anzufangen. Diplomatie funktioniert – das muss Donald Trump vielleicht mal verstehen – anders als die Immobilienbranche.
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Meine Damen und Herren, es ist genauso richtig, für die Einheit des Irak zu streiten, sich für die Einheit des Irak einzusetzen. Der Irak ist nicht irgendein Land. Er liegt zwischen der Türkei, dem Iran und Saudi-Arabien in der Mitte einer geopolitisch hoch heiklen Region. Und der IS ist das schlimmste Element, die schlimmste Bedrohung für die staatliche Einheit des Irak, vor allem für die Menschen dort. Wenn wir deswegen in der Fortsetzung im Kampf gegen den IS konsequent sein wollen, dann frage ich mich, warum Sie, Herr Minister, eben mit keinem Wort erwähnt haben, dass der wichtigste Beitrag, den Deutschland leistet, nämlich die Aufklärungsflüge unserer Tornados, eingestellt werden soll. In zehn Wochen wollen die Deutschen, will die Bundesrepublik Deutschland sich von dieser Aufgabe zurückziehen.
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Die Basis in al-Asrak ist genau die Basis, auf die die Soldaten aus Bagdad und Tadschi verlegt werden konnten. Wer die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten in der Region ernst nimmt, auch derer in Erbil, der kann die Basis in al-Asrak nicht allen Ernstes aufgeben.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Es wäre richtig, meine Damen und Herren, wenn die Bundesregierung uns ein verändertes Mandat vorlegen würde,
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in dem Deutschland einen wirklichen Beitrag im Kampf gegen den IS, nämlich die Fortsetzung der Aufklärungsflüge durch unsere Tornados, leisten würde.
Herr Kollege, kommen Sie bitte wirklich zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich wünsche der Bundesregierung namens meiner Fraktion für die Libyen-Konferenz hier am Sonntag alles Gute. Wir wünschen gutes Gelingen. Wenn es gelingen sollte, in dem Land Stabilität zu erzeugen, würden wir alle davon etwas haben.
Herzlichen Dank.
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Das war jetzt großzügig wegen der Promotion. – Herr Kollege Graf Lambsdorff, ich bitte um Verzeihung für die Promovierung; aber Sie hätten es verdient.
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Die nächste Rednerin ist die Kollegin Heike Hänsel.
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– Frau Dr. Hänsel, Sie können jetzt zu uns sprechen.
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Professorin. – Ich nehme den Titel an. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir müssen noch mal festhalten: Im Fall der Ermordung des iranischen Generals Soleimani weigert sich die Bundesregierung erneut, gegen einen gravierenden Bruch des Völkerrechts eines NATO-Staates Position zu beziehen; wir haben das ja schon gesehen bei dem türkischen Einmarsch in Syrien. Die Bundesregierung erklärt schlicht – ich möchte zitieren –:
Eine umfassende völkerrechtliche Bewertung erfordert die detaillierte Analyse aller tatsächlichen Umstände des Falls. Diese liegen der Bundesregierung nicht vor.
So wollen Sie sich also hier offenbar rauswinden.
Obwohl es offensichtlich ist, dass die US-Administration keine Beweise für eine unmittelbare Bedrohung durch den Iran vorlegen kann, verstecken Sie sich hinter den Fake News von Donald Trump, und das, muss ich sagen, ist ein Armutszeugnis ohnegleichen.
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Während der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich – wir haben es gehört – den Angriff als völkerrechtswidrig bezeichnet, ich jetzt auch gelernt habe, dass der Kollege Wadephul Herrn Trump eher als Anarchisten sieht, und auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in seinem Gutachten die Rechtmäßigkeit des US-Angriffs klar anzweifelt, lavieren Sie herum. Ich kann für meine Fraktion sagen: Die Linke verurteilt das Attentat auf Soleimani als präzedenzlosen Fall des Staatsterrorismus durch die USA.
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Sie beschädigen durch diese blinde Gefolgschaft gegenüber Donald Trump das Völkerrecht insgesamt, Herr Maas. Während nämlich die US-Demokraten in den USA davon sprechen, Trump habe eine Brandfackel in ein Pulverfass geworfen, ducken Sie sich einfach weg. Sie haben aber im Gegensatz dazu den Gegenschlag des Iran sofort verurteilt. Wir haben ihn auch verurteilt; aber wir haben eben alle Angriffe in dieser Region verurteilt. Sie diskreditieren sich mit dieser Haltung selbst als diplomatischer Vermittler in der Region.
Und dann weigern Sie sich auch, die deutschen Soldaten aus dem Irak abzuziehen. Dabei ist die Situation weiter äußerst gespannt. Wir haben auch erst gestern Nacht wieder Angriffe auf US-Basen durch Raketenbeschuss erlebt. Es ist ungeheuerlich, muss ich sagen, dass Sie die deutschen Soldaten wie bei einem Schachspiel als Bauernopfer einsetzen, um Ihren geopolitischen Einfluss in der Region zu wahren.
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So ist es.
Und dann ignorieren Sie auch noch den Beschluss des irakischen Parlaments, dass alle ausländischen Truppen abziehen sollen. So laufen die Bundeswehrsoldaten nämlich Gefahr, zu Besatzungssoldaten zu werden.
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Das ist unverantwortlich. Wir fordern, dass die Bundeswehr sofort abgezogen wird aus der Region.
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Wir haben auch gehört, was Herr Maas gesagt hat zu der Aktivierung des Streitschlichtungsmechanismus. Nach unserer Ansicht legen Sie damit die Axt an das Atomabkommen generell. Sie sagen: Wir wollen ja nicht, dass es zu einem Ende dieses Abkommens kommt. – Aber erstens wundert mich, warum Sie eigentlich nicht alle Signatarstaaten, auch Russland und China, einbezogen haben, und zweitens wissen Sie ganz genau, dass es natürlich die Möglichkeit gibt, dass, wenn Sie zu keiner Einigung kommen, jeder Staat für sich den UN-Sicherheitsrat anrufen kann. Sie sind offenbar bereit, jetzt gezielt dieses Risiko einzugehen, vor allem mit dem Trump-Freund Boris Johnson an Ihrer Seite, dass das Atomabkommen, wenn man sich nicht einigen kann, am Ende tot ist. Das ist eine schwarze Stunde der deutschen Diplomatie, muss ich sagen.
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Wer so mit einem wichtigen Abrüstungsabkommen umgeht, ist nicht in der Lage, den USA bei einem Krieg gegen den Iran etwas entgegenzusetzen.
Willy Brandt hat einmal gesagt: Von deutschem Boden darf kein Krieg mehr ausgehen. – Das ist die Verpflichtung des Grundgesetzes, die die Bundesregierung sträflich missachtet, –
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
– wenn sie die für Drohnenmorde wichtigen US-Stützpunkte wie Ramstein und den von US-AFRICOM weiter offenlässt. Es stellt sich ja die Frage, ob dieser Drohnenmord über Ramstein gesteuert wurde.
Frau Kollegin, Sie haben jetzt noch einen Satz, bitte.
Genau deswegen fordern wir endlich die Schließung von Ramstein und der US-Militärbasen, die den USA für ihre völkerrechtswidrigen Kriege und Drohnenmorde dienen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Agnieszka Brugger.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Den Preis für den verheerenden Machtkampf zwischen Donald Trump und der iranischen Führung zahlen gerade vor allem die Menschen in Iran und im Irak. Wir gedenken der Opfer des tragischen Flugzeugabschusses und fühlen mit ihren Angehörigen. Und wir sind auch in Gedanken bei den Menschen in Iran, die gerade mutig auf der Straße gegen das Regime und seine Vertuschungsstrategie Farbe bekennen.
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Donald Trump hat 2018 in seiner typisch verantwortungslosen Art das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt und harte Sanktionen erlassen. Er spielte damit genau den iranischen Hardlinern in die Hände, die eigentlich nach der Atomwaffe streben und sich nun Stück für Stück aus diesem Abkommen verabschieden wollen. Der Iran hat dies dann noch mit weiterer militärischer Machtdemonstration in der Straße von Hormus und Angriffen auf US-Stützpunkte beantwortet, die durch schiitische Milizen verübt worden sind, woraufhin dann Anfang des Jahres die gezielte Tötung von General Soleimani durch die USA folgte. Damit ist doch das Kalkül der Hardliner auf allen Seiten voll aufgegangen. Aber eine Politik, die den Radikalen in die Hände spielt und diplomatische Lösungen kaputtschlägt, ist das komplette Gegenteil von Sicherheitspolitik, und das kann niemals im europäischen Interesse sein.
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Meine Damen und Herren, diese Krise hat sich mit Ansage über Monate zugespitzt. Es ist so schade: Deutschland hat so gute Kanäle in alle beteiligten Hauptstädte und hätte einen wichtigen Beitrag zur Krisendiplomatie leisten können. Aber was hat diese Bundesregierung getan? Die Verteidigungsministerin hat innenpolitische Debatten über unabgestimmte Militäreinsätze vom Zaun gebrochen und sich darüber öffentlich mit dem Außenminister gestritten. Das ist doch in einer solchen Lage völlig unverantwortlich.
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Auch Ihre unengagierte Rede heute, Herr Außenminister, war, fand ich, wieder einmal ein Beleg für den fehlenden Handlungswillen, den Sie in dieser schweren und schwierigen Krise gezeigt haben.
Frankreich, Großbritannien und Deutschland haben gemeinsam mit Russland und China versprochen, das Atomabkommen auch gegen den Willen der USA zu schützen. Das europäische Instrument INSTEX, das Geschäfte mit dem Iran ermöglichen sollte, hat nach eineinhalb Jahren nur eine Handvoll Angestellte und gerade einmal die erste kleine Minitransaktion durchgeführt. Was ist das eigentlich für ein Trauerspiel für europäische Handlungsfähigkeit?
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Jetzt schafft die Bundesregierung, indem sie den Streitbeilegungsmechanismus auslöst, einen immensen Zeitdruck, ohne einen echten Plan zu haben, wie sie diesen Konflikt lösen will. Der Iran wird die Europäer zu Recht an ihre Zusagen erinnern.
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Wenn ich zusammennehme, was wir heute im Auswärtigen Ausschuss von der Bundesregierung gehört haben, dann ist es doch so: Sie haben nach einer ewig langen Zeit INSTEX endlich technisch zum Laufen gebracht, aber Sie wollen es jetzt politisch nicht nutzen. Hören Sie auf, nur zuzuschauen! Scheuen Sie in dieser Frage die Auseinandersetzung mit den USA nicht, machen Sie Ihre Versprechen wahr, und lassen Sie INSTEX endlich eine Wirkung entfalten!
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Gleichzeitig will die Verteidigungsministerin, aber wollen auch Sie, Herr Außenminister, den Bundeswehreinsatz im Irak einfach fortsetzen, als sei nichts geschehen, obwohl gerade das irakische Parlament einen Beschluss in einer wirklich neuen Qualität gefasst hat. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse der Gespräche der Ministerin in der Region. Aber eigentlich ist doch längst offensichtlich, dass unter diesen politischen Rahmenbedingungen eine erfolgreiche Reform des Sicherheitssektors so jedenfalls nicht gelingen kann. Beenden Sie deshalb diesen Bundeswehreinsatz!
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Meine Damen und Herren, damit Sie mich aber auch nicht missverstehen: Es braucht eine starke gemeinsame, am besten europäische Antwort, die Vertrauen in der Region zurückgewinnt und den Menschen im Irak Sicherheit und Konfliktlösung ermöglicht.
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Aber das kann doch nicht in einer Koalition der Willigen gelingen, in der zahlreiche Staaten nur ihre eigenen egoistischen Interessen verfolgen und sich eben nicht um Staatsaufbau und Sicherheit kümmern.
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Meine Damen und Herren, wer vermitteln will, der muss auch eine klare Haltung haben. Wir sind uns einig: Das iranische Regime muss für vieles scharf kritisiert und verurteilt werden. Zu einer klaren Haltung gehört doch aber auch, dass man nicht schweigt, wenn das Völkerrecht von einem Partner gebrochen wird.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Trauen Sie sich endlich, diese Politik von Donald Trump mit den gezielten Tötungen, mit denen Völkerrecht gebrochen wird, die die Kriegsgefahr massiv erhöht, zu kritisieren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit schließen:
Ja, wirklich jetzt, bitte.
Annegret Kramp-Karrenbauer und Heiko Maas haben in den letzten Monaten nicht geliefert. Sie haben so viele Chancen verpasst. Deshalb muss jetzt die Kanzlerin in dieser Frage übernehmen, –
Frau Kollegin, bitte.
– das zur Chefinnensache machen und so wie in der Ukraine und in Libyen eine offensive Vermittlerrolle Deutschlands anbieten.
Ich will Ihnen äußerst ungern das Wort entziehen, bitte.
Vielen Dank.
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Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Christoph Matschie, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist zu Beginn der Debatte noch mal deutlich gemacht worden: Am Anfang dieses Jahres haben auch hier in Deutschland viele die Luft angehalten, weil klar wurde, dass wir am Abgrund stehen, dass die Möglichkeit besteht, dass ein neuer großer Krieg im Nahen Osten ausbricht, zusätzlich zu der Auseinandersetzung, die wir in Syrien schon sehen.
Ich will an dieser Stelle noch mal sagen: Ich bin der Bundesregierung, dem Außenminister, der Verteidigungsministerin und der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie sich gemeinsam mit vielen anderen europäischen Partnern in den letzten Tagen so engagiert haben, dass es gelungen ist, diesen Konflikt zunächst mal zu vermeiden und eine Eskalationsspirale zu verhindern. Vielen Dank dafür!
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Nun ist hier von einigen Abgeordneten die Frage gestellt worden: Wie ist es jetzt eigentlich mit der Völkerrechtswidrigkeit des Drohnenschlags der Amerikaner? Ich glaube, da die US-Regierung bisher keine eindeutigen Beweise für ihre Behauptungen vorgelegt hat, kann man politisch sagen: Solange das nicht passiert, muss man davon ausgehen: Dieser Angriff war völkerrechtswidrig,
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übrigens genauso wie der Angriff der Iraner auf die irakische Militärbasis völkerrechtswidrig war.
Nun muss man aber auch wissen: Für das Auswärtige Amt steht nicht einfach die Möglichkeit im Raum, das politisch mal so mit einem Federstrich zu beurteilen, sondern das Auswärtige Amt muss das, was die Amerikaner vorlegen, prüfen. Bisher liegt nichts vor. Deshalb eiert der Außenminister nicht hier rum, sondern er verhält sich so, wie sich ein Außenminister in dieser Frage verhalten muss.
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– Herr Hampel, zu Ihnen komme ich vielleicht auch gleich noch.
Die Frage, die wir hier diskutieren, lautet: Wie reagieren wir auf die Situation, die im Irak entstanden ist? Ich halte übrigens – das will ich vorausschicken – den Schritt der Amerikaner nicht nur für völkerrechtswidrig. Ich halte ihn auch für einen großen politischen Fehler;
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denn er führt einerseits dazu, dass sich im Iran die Reihen hinter dem Regime wieder schließen, trotz der Demonstrationen gegen das Regime, die wir im Moment sehen. Er führt dazu, dass der Irak weiter destabilisiert wird. Das irakische Parlament hat einen Beschluss gefasst, dass ausländische Truppen abziehen sollen. Aber das Parlament hat die Regierung beauftragt, auszuloten, wie das umzusetzen sei. Deshalb gibt es jetzt intensive Gespräche mit der Regierung; denn es gibt aus dieser Regierung eben auch Signale, die besagen: Wir wollen aber gar nicht, dass die ausländische Truppenpräsenz komplett beendet wird; wir brauchen internationale Truppen, um den Irak zu stabilisieren und dafür zu sorgen, dass der IS nicht wieder erstarken kann. – Deshalb ist es richtig, dass wir jetzt dazu Gespräche führen und erst am Ende dieser Gespräche und wenn die irakische Regierung eine Entscheidung getroffen hat, auch unsere Entscheidung treffen. Dabei ist klar: Deutsche Bundeswehrsoldaten werden dort nicht sein, wenn die irakische Regierung es nicht will.
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Zum Schluss, weil Sie das zum Anti-IS-Einsatz erwähnt haben, Herr Kollege Lambsdorff: Die Bundeswehr macht sich nicht einfach aus dem Staub. Schon im letzten Jahr war vereinbart, dass ein anderer Staat diese Aufgabe übernimmt. Es ist damals nicht gelungen, einen Nachfolger zu finden. Jetzt haben die Italiener die Bereitschaft erklärt.
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Also: Im Falle, dass die irakische Regierung entscheidet: „Internationale Truppen bleiben; das IS-Mandat wird fortgesetzt“, ist dafür gesorgt, dass die Aufklärung weitergeht und die internationale Gemeinschaft hier gemeinsam handelt. Das ist wichtig in dieser Frage. Dass Europa zusammensteht und dass wir etwas erreichen können, zeigt nicht nur die Deeskalation in diesem Konflikt, sondern auch die Libyen-Konferenz, die am Sonntag hier in Berlin stattfinden wird. Europa kann etwas erreichen, wenn es zusammensteht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Matschie. – Nächster Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Rüdiger Lucassen.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! In der letzten Woche konnte man sehen, was passiert, wenn die Sicherheitspolitik der Bundesregierung auf die reale Welt trifft. Ein regelrechter Zusammenprall der Kulturen: auf der einen Seite kühle Realpolitik, strategische Ziele, durchsetzungsstarkes Militär, wirtschaftspolitische Kraft und Klarheit über die eigenen nationalen Interessen, auf der anderen Seite: Heiko Maas und Annegret Kramp-Karrenbauer.
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Die erneute Eskalation im Mittleren Osten führte uns wieder einmal die Ohnmacht dieser Bundesregierung vor Augen. Es begann mit der Ausschaltung eines iranischen Terrorgenerals durch die USA. Wurde die Bundesregierung in diese Operation in irgendeiner Weise eingebunden? Nein. Sie hat davon aus den Nachrichten erfahren. Dann die erste Reaktion der Verteidigungsministerin am Folgetag: Die Lage sei stabil; die Irakis wollen weiterhin die Hilfe durch die Bundeswehr; kein Abbruch des Einsatzes. – Nur zwölf Stunden später dann die Resolution des irakischen Parlaments. Darin die unmissverständliche Forderung: Abzug aller ausländischen Truppen aus dem Irak. – Die Lagebeurteilung der Bundesregierung hielt keine 24 Stunden.
Danach bricht Hektik aus. Die 30 in Tadschi und Bagdad eingesetzten Soldaten werden evakuiert. Mit Stolz berichtet der Generalinspekteur später im Ausschuss, er habe dafür ein funktionierendes Flugzeug in der Nähe gehabt.
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Meine Damen und Herren, am zufriedensten ist der, der die geringsten Ansprüche stellt.
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Am letzten Mittwoch dann der Gegenschlag der Mullahs: 16 hochpräzise Mittelstreckenraketen auf militärische Einrichtungen im Irak, zwei davon auch auf das nordirakische Erbil, wo unsere Soldaten ebenfalls eingesetzt sind. Reaktion der Bundesregierung: Sie prüft eine Teilevakuierung aus Erbil. Ist diese Prüfung eine Woche später eigentlich abgeschlossen? Man weiß es nicht.
Verehrte Kollegen, die Bundesregierung zeigt seit Beginn des Irak-Mandats im Januar 2015, dass sie nicht in der Lage ist, eine strategische Planung auf der Grundlage nationaler Interessen zu erstellen.
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Das gilt übrigens für fast alle Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das Motto lautet: Irgendwie dabei sein, nur um Bündnisfähigkeit zu simulieren. Nach diesem Prinzip schickte die Regierung die Bundeswehr auch in den Irak – als politische Ausgleichszahlung für ihre Vertragsbrüchigkeit gegenüber der NATO. Dafür schloss sich die Bundesregierung einer Koalition der Willigen an und verzichtete auf ein Mandat der UNO genauso wie auf eine integrative NATO-Mission. Wer aber die UNO selbst missachtet, wenn ihm die Beschlusslage nicht passt, kann sich später nicht hinstellen und die Konfliktparteien an den UNO-Tisch rufen.
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Das ist keine Diplomatie, das ist hohles Geschwätz mit leeren Taschen. Ich kann es weder den Amerikanern noch den Russen oder dem Irak verdenken, diese Bundesregierung nicht ernst zu nehmen; ich tue es auch nicht.
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Meine Damen und Herren, die Verzwergung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik schadet unserem Land. Das Gute ist: Sie ist selbst verschuldet und kann deswegen auch verändert werden – nicht durch diese Regierung, aber durch eine andere. Der Tag wird kommen.
Danke.
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Vielen Dank, Herr Kollege Lucassen. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Debatten der letzten zwei Wochen konnte man hier und da den Eindruck gewinnen: Die USA und der Westen werden als Hauptaggressor in der Region betrachtet. – Ich möchte an dieser Stelle feststellen: Wir hätten die ganzen Probleme in der Region nicht, wenn nicht der Iran als der entscheidende Störer des Friedens in der Region
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seine Position versucht auszubauen durch Terrorunterstützung in der Nachbarschaft, durch Unterstützung von Bürgerkriegen im Jemen, in Syrien und anderswo, durch Planung des Baus einer Atombombe, durch Raketentests und nicht zuletzt durch eine grausame, brutale Rhetorik, die darauf abzielt, der Staat Israel müsse zerstört werden. Der Aggressor der Region ist der Iran, und es ist gut, dass wir uns dem entgegenstellen.
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Was sind unsere Interessen mit Blick auf die Situation im Iran und Irak? Unser erstes und oberstes Interesse ist, dass sich der Iran nicht kurzfristig atomar bewaffnet. Deswegen hat Deutschland an der Seite der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates lange an diesem Atomabkommen gearbeitet. Es ist gut, dass wir es nicht leichtfertig aufgeben. Wenn wir aber sehen, dass der Iran gegenwärtig durch Bestand an Uran, der weit über das erlaubte Maß hinausgeht, durch Bestand an schwerem Wasser, der weit über das Maß hinausgeht, durch entsprechend stärkere Anreicherung des Urans – mehr, als nach dem Vertrag erlaubt ist – und auch durch die Erprobung neuartiger Zentrifugen, mit denen man sehr schnell kernwaffenfähiges Uran anreichern könnte, massiv gegen das Abkommen verstößt und das im Übrigen auch mehrfach angekündigt hat, dann können wir nicht tatenlos zusehen. Es nützt nichts, das Atomabkommen am Leben zu erhalten, wenn im Ergebnis der Iran durch dieses Abkommen nicht daran gehindert wird, die Bombe zu bauen. Deswegen sind die Schritte, die die drei europäischen Partner des Abkommens eingeleitet haben, richtig.
Gleichzeitig brauchen wir als zusätzliche Perspektive für mehr Frieden in der Region eine weitere, neue diplomatische Initiative, die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und andere zusammenzubringen, um den Iran zu zwingen, in Verhandlungen zu weiteren Zugeständnissen im Hinblick auf sein Verhalten bereit zu sein. Ich sehe es so, dass die Telefonate der Bundeskanzlerin mit dem amerikanischen Präsidenten, die Gespräche der Bundeskanzlerin und des Außenministers in Moskau und auch die vielen Gespräche in Europa zum Ziel haben, hier eine Gemeinschaft zu bilden, die in der Lage ist – ähnlich wie das bei dem JCPoA war –, mit dem Iran in taffe Verhandlungen einzutreten, in denen die Ziele von uns erreicht werden.
Zweitens wollen wir vermeiden, dass der Irak zum Vasallenstaat des Iran wird. Was ich an der Entscheidung des amerikanischen Präsidenten zur Tötung des Generals zu kritisieren habe, ist, dass ich den Eindruck habe, dass die Stellung des Iran im Irak gegenwärtig stärker ist, als es noch vor wenigen Wochen der Fall war. Wir müssen die irakische Regierung unterstützen, dass dies nicht geschieht. Deswegen ist unser Ausbildungseinsatz, den wir dort ausüben, ganz wichtig. Es wäre ein großer Fehler, diesen Ausbildungseinsatz der deutschen Bundeswehr und anderer Nationen gegenüber den Kurden und der irakischen Regierung aufzugeben. Selbstverständlich respektieren wir das Votum des irakischen Parlaments. Aber, ich glaube, die irakische Regierung weiß selbst, welches Risiko sie eingeht, wenn sie die ausländischen Truppen nach Hause schickt.
Drittens. Wir müssen dafür sorgen, dass der Irak weiter Partner im Kampf gegen den IS ist. Der Kampf gegen den IS ist in der Region nicht beendet. Deswegen ist unsere Beteiligung am Anti-IS-Einsatz enorm wichtig. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, dass wir unsere Mandatsentscheidungen der Vergangenheit und der Zukunft auch vor dem Lichte wägen, dass wir jetzt möglicherweise eine neue Dimension erreichen und eine neue Situation haben, wo wir das ein oder andere, das wir entschieden haben, neu überdenken müssen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Gyde Jensen für die Fraktion der FDP.
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Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die Menschen im Iran nach den Geschehnissen der letzten Tage und Wochen zu Tausenden auf die Straße gehen, zeugt von einem unglaublichen Mut. Ich denke, das können wir in diesem Hohen Hause auch anerkennen und an die Menschen im Iran die Botschaft senden, dass wir an ihrer Seite stehen.
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Anders als noch bei den vorherigen Protesten demonstrieren die Iraner jetzt nicht mehr nur gegen Misswirtschaft ihrer eigenen Regierung. Sie fordern nun Transparenz und Grundrechte ein und riskieren dafür willkürliche Inhaftierung und ihr eigenes Leben. Das zeigt ihre Wut; das zeigt ihre Verzweiflung, aber auch die Hoffnung auf eine Chance, etwas Grundlegendes in ihrem Land zu verändern.
Jetzt wurde hier schon viel über die Lage allgemein im Nahen Osten gesprochen; Graf Lambsdorff hat für uns ein Bild gezeichnet. Ich möchte gerne über die Menschenrechte im Iran sprechen. Auf der Rangliste für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Iran auf Platz 170 von 180. Allein im Jahr 2018 vollstreckte das Regime nach offiziellen Angaben 253 Todesurteile, teilweise an Baukränen. Die Liste der Menschenrechtsverletzungen geht weiter. Wenn Iranerinnen sich öffentlich für ihre Rechte einsetzen, drohen ihnen Haft und Folter. Erst im August wurden drei Frauenrechtlerinnen zu 16 und 23 Jahren Haft verurteilt, weil sie keinen Schleier trugen. Jüngstes Beispiel ist Shohreh Bayat, die erste Frau an der Spitze eines iranischen Sportverbandes, die als Schiedsrichterin bei der Schach-WM nach Meinung der iranischen Staatsmedien und der Offiziellen ihr Kopftuch zu locker trug. Aus Protest legte sie es vollständig ab und möchte jetzt nicht nach Hause zurückkehren, weil sie um ihre Sicherheit fürchten muss.
Menschenrechte gelten auch im Netz; doch im Iran herrscht Internetzensur. Während der Proteste gegen steigende Benzinpreise schaltete das Mullah-Regime einfach für mehrere Tage Internet und Mobilfunknetze ab. Damals wie heute gehen Polizisten im Iran hart gegen Demonstranten vor. 2019 blieb es auch nicht bei dem Einsatz von Tränengas, sondern das Regime schlug den Widerstand mit brutaler Gewalt nieder, und es kam Schätzungen zufolge zu über 1 500 Toten. Schon damals hätte sich meiner Meinung nach die Bundesregierung an die Seite der Demonstranten stellen müssen.
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Herr Außenminister, Sie gestalten leider keine Außenpolitik, sondern – das haben wir in der Debatte gehört – Sie rennen den Ereignissen hinterher. Es soll 15 Stunden gedauert haben, bis Sie auf die Tötung von General Soleimani reagiert haben. Nachdem immer klarer wurde, dass das Flugzeug tatsächlich abgeschossen wurde, haben Sie nur beschwichtigt. Erst jetzt mahnen Sie an, dass die iranische Führung die Meinungsfreiheit ihrer Bevölkerung respektieren soll.
Meine Damen und Herren, wir brauchen keine Außenpolitik, die immer nur bedauert, ermahnt, bittet oder Sachverhalte zusammenfasst. Wir brauchen eine Außenpolitik, die die Wahrung der Menschenrechte gewährleistet.
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Wir brauchen eine Pendeldiplomatie à la Hans-Dietrich Genscher. Wir brauchen einen Chefdiplomaten, der häufiger auch einmal ins Flugzeug steigt und nicht immer nur zum Hörer greift oder mit geringer Resonanz twittert.
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Wir brauchen wieder eine echte Diplomatie mit Fingerspitzengefühl, die mit unseren internationalen Partnern eine langfristige Stabilisierung in der Region erreichen möchte.
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Die Auslösung des Streitschlichtungsmechanismus des Atomabkommens mit dem Iran war deswegen überfällig –
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das haben wir gehört –; aber es darf auf gar keinen Fall zu einer Beendigung des JCPoA-Abkommens kommen.
Meine Damen und Herren, Deutschland ist gerade Mitglied im UN-Sicherheitsrat – eine historische Chance, nicht nur mahnender, twitternder Zaungast bei der Lösung der Situation im Nahen und Mittleren Osten zu sein, sondern aktiv mitzugestalten. Warum gab es immer noch keine Sondersitzung des Weltsicherheitsrates? Wer gegenüber Terrorstaaten selbstbewusst auftreten will, braucht klare Haltung und eine durchdachte Strategie. Beides lässt die Bundesregierung momentan leider vermissen. Stattdessen beobachten wir Visionslosigkeit und Gestaltungsunwillen.
Lieber Herr Minister, die Menschen im Iran zeigen momentan diesen Gestaltungswillen und den Willen zu Veränderung. Ich denke, das sollten auch wir, das sollten Sie für die Bundesregierung tun. Streben Sie an, dass das JCPoA-Abkommen weiterhin eingehalten wird, und bringen Sie alle Verhandlungspartner wieder an einen Tisch.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege Stefan Liebich.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte meine wenigen Minuten Redezeit nutzen, um über die Lage im Iran zu sprechen; ich kann daran anknüpfen, was meine Vorrednerin gesagt hat. Bei uns im Land ist es ziemlich einfach, zu demonstrieren. Es können Zehntausende Menschen gegen die Politik der Bundesregierung und für eine Seebrücke über das Mittelmeer auf die Straße gehen oder auf der politisch anderen Seite gegen Ausländer und Migration demonstrieren. Man kann sogar „Merkel muss weg“ rufen, und das Schlimmste, was einem passiert, ist, dass man in der „heute-show“ veralbert wird. Es ist relativ einfach.
Im Iran ist die Lage vollständig anders. Der deutsche Schriftsteller und Iran-Kenner Navid Kermani hat darüber im ZDF gesprochen, und ich will nur einen Satz zitieren:
Und das sind ... einige Tausend, die sich trotz Lebensgefahr auf die Straße begeben, die ihre soziale Existenz gefährden, die als Studenten ihr Studium gefährden, ihre berufliche Zukunft. Jeder Einzelne tut das unter Lebensgefahr.
Das, meine Damen und Herren, ist Mut.
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Deshalb fordern wir als Linke in unserem Antrag die iranische Regierung auf, die friedlichen Proteste zuzulassen.
Die Proteste im Iran haben übrigens – auch wenn er selber das anders sieht – relativ wenig mit Sympathie für Donald Trump zu tun. Die Protestierenden der Amirkabir-Universität in Teheran haben das sogar selbst gesagt. Sie haben gesagt, dass das amerikanische Abenteurertum in der Region nicht als Entschuldigung für die Unterdrückung im eigenen Land dienen darf. Und schon vor den Lügen der iranischen Regierung über den Abschuss des ukrainischen Flugzeugs, die aktuell das Fass zum Überlaufen gebracht haben, waren die Menschen im ganzen Land auf der Straße. Ja, sie haben für Freiheit demonstriert, aber auch für Arbeit und auch für Brot. Hier gehört es zur Ehrlichkeit dazu, darauf hinzuweisen, dass es nicht nur die Korruption der iranischen Regierung ist, nicht nur die Geldverschwendung durch die iranischen Kriege in der Region, sondern natürlich auch die Sanktionspolitik der USA – Maximum Pressure –, die zu einer Verarmung und Verelendung der Menschen im Iran führt. Das darf nicht sein.
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Hunderte haben den Protest gegen diese Lage mit ihrem Leben bezahlt, darunter ein 14-jähriges Mädchen, das von den iranischen Revolutionsgarden erschossen wurde. Als wir hier friedlich Weihnachten gefeiert haben, hat das Regime die Proteste gewaltsam erstickt. Aber die Iranerinnen und Iraner lassen sich das nicht länger bieten. Ich finde das gut.
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Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt keinen sinnvollen Grund, nur weil man die iranische Regierung schlimm findet, Trumps Abenteurertum zu unterstützen, und es gibt ebenfalls keinen sinnvollen Grund, nur weil man gegen Trump ist, die Mullahs zu verteidigen. Wir werden beides nicht tun.
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Omid Nouripour.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da in den letzten Tagen so wenig über dieses Land gesprochen wurde, möchte ich gern über den Irak sprechen; denn die Menschen im Irak leiden. Sie leiden schon so lange. Sie haben unter Saddam Hussein, einem Massenmörder, 24 Jahre lang gelitten. Sie haben acht Jahre lang im iranisch-irakischen Krieg mit über 1 Million Toten auf beiden Seiten gelitten. Sie haben im Golfkrieg, der auf die Besetzung Kuwaits folgte, gelitten. Sie haben unter den Sanktionen, die danach verhängt wurden, gelitten. Es gab in den 90er-Jahren über 1 Million Tote im Irak aufgrund der Sanktionen, die gegen das Land verhängt worden sind.
Zwischen 2003 und 2011, während der amerikanischen Präsenz, sind 600 000 Menschen im Irak ums Leben gekommen, und dann kamen auch noch ISIS und der massive iranische Einfluss dazu. Schiiten, Sunniten, Kurden – alle haben gelitten. Bei den Kurden kommt hinzu, dass sie beispielsweise massiv vom Einsatz von Giftgas betroffen waren. In Halabdscha gab es den ersten Einsatz von Massenvernichtungswaffen nach Ende des Zweiten Weltkrieges.
Die Menschen im Irak leiden. Deshalb gehen sie seit Wochen und Monaten gegen Korruption, gegen Missmanagement und gegen Einflussnahme von außen, gegen den iranischen Einfluss auf die Straße. Sie kämpfen um Würde, so wie es die Menschen im Iran auf den Straßen auch tun.
Die Menschen im Iran gehen auch auf die Straße, um für ihr Anrecht auf Trauerarbeit zu kämpfen. Wenn ein General stirbt, wird eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Wenn 176 Menschen als zivile Passagiere abgeschossen werden, wird Tränengas gegen diejenigen eingesetzt, die auf die Straße gehen. Das ist ein Kampf um Würde, und dieser Kampf gehört unterstützt.
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Aber der Kampf der Menschen im Irak gehört genauso unterstützt, und das geht leider viel zu oft unter. Die vielen Demonstrationen, die es gegen den Iran gegeben hat, sind zu Ende. Sie sind an einem Freitag, am 3. Januar, zu Ende gegangen, weil zahlreiche Leute sich jetzt auf die andere Seite geschlagen haben. Einer der Anführer der Proteste hat dieser Tage gesagt: Der Protest gegen den Iran hat keinen Vorrang mehr, sondern der Widerstand gegen die Amerikaner. – Trotzdem gehen in Basra dieser Tage wieder Menschen auf die Straße – nicht gegen den Iran, aber gegen die eigene Regierung. Auch das zeugt von sehr großem Mut, der aus unserer Sicht dringend belobigt gehört und der ganz dringend unsere Solidarität und Aufmerksamkeit braucht.
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Die Menschen im Irak leiden auch darunter, dass durch diese völkerrechtswidrige und massiv unüberlegte Aktion der Amerikaner die schiitische Einheitsfront wieder da ist und die Leute, die auf die Straße gehen, als Agenten des Auslands delegitimiert. Diese Einheitsfront wird dazu führen, dass ISIS, ursprünglich eine irakische Organisation, jetzt wieder Zulauf haben wird. Diese schiitische Einheitsfront hat auch immer wieder auf friedliche Demonstranten geschossen, die in Anbar, in Falludscha, in Ramadi auf die Straße gegangen sind. Wir haben jetzt 800 000 schiitische Milizen unter Waffen, die weiterhin Rache schwören, auch für ihren eigenen Anführer al-Muhandis. Das heißt, die Eskalationsspirale wird von diesen Leuten noch weiter gedreht, auch auf Kosten der Menschen, die dort leiden.
Die Sicherheitskräfte des Landes waren in den letzten Jahren kein Teil der Lösung, weil die Befehlskette nicht stimmt. Deshalb wäre es notwendig, dass man daran arbeitet, und das ist eine politische Aufgabe. Wenn ich jetzt die Reden hier höre, die mir erklären, wie denn die Bundeswehr dort ISIS bekämpft, dann verstehe ich eine Sache nicht: Wir bilden Soldatinnen und Soldaten aus, die aber in der Befehlskette am Ende des Tages gegen die Sunniten eingesetzt werden. Deshalb: Hören Sie um Gottes willen auf, eine Aufgabe der Politik der Bundeswehr zu übertragen, die die Bundeswehr nicht leisten kann!
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Das ist schlicht ein –
Jetzt müssen Sie Ihren letzten Satz sagen.
– Sichverstecken hinter der Bundeswehr.
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Wir brauchen weit mehr Beiträge aus der Politik, weit mehr Engagement, weit mehr Investitionen politischer Art im Irak, damit die Reform des Sicherheitssektors dort vorangetrieben werden kann. Wir sollten nicht immer so tun, als könnte die Bundeswehr diese Probleme, die nicht im Sicherheitsbereich liegen, sondern in der Politik des Landes, lösen.
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Peter Tauber.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bundestag diskutiert die aktuelle Lage im Mittleren und Nahen Osten. Gemeint sind damit die aktuellen Ereignisse: die Tötung Soleimanis, die Reaktion des Iran und auch der Parlamentsbeschluss im Irak. Es muss auch die Frage gestellt werden: Haben diese drei Ereignisse, die eine Diskussion wert sind, zu einer grundlegenden Lageänderung geführt?
Die Lage in der Region vom Iran über den Irak nach Syrien bis hin zum Libanon ist volatil. Das war sie vorher schon. Im Osten entzieht sich der Iran den Verpflichtungen des Nuklearabkommens. Das hat er vorher schon getan. Der IS ist nach wie vor präsent, nicht endgültig besiegt. Es gibt keine Grenze zwischen Irak und Syrien, die diese Bezeichnung verdient, und es ist anzunehmen, dass der IS sein Operationsgebiet erweitert und seine Aktivitäten erhöht. Das hat er vorher schon getan. Und in Syrien regiert Assad, der mithilfe des Irans weite Teile des Landes verwüstet hat, um es unter Kontrolle zu halten oder wieder unter Kontrolle zu bringen. Auch diese Situation bestand bereits vor den Ereignissen, die zu der heutigen Diskussion geführt haben.
Keine dieser Herausforderungen, über die wir diskutieren, können wir im eigenen und im europäischen Interesse ignorieren. Wozu das führen kann, haben wir 2015 und in der Zeit danach in Deutschland und in Europa erlebt. Wahr ist natürlich auch, dass die Konfrontation der letzten Tage zwischen den USA und dem Iran ein weiterer Höhepunkt der Konflikte, der Krisen, die wir uns vergegenwärtigen, ist. Aber noch einmal: Das große Ganze und die Herausforderungen insgesamt dürfen bei der Bewertung der singulären Ereignisse nicht aus dem Blick geraten.
Das gilt auch für unser deutsches Engagement in der Region. Wir reden über die deutschen Soldaten im Irak. Wahr ist: Auch im Libanon, bei UNIFIL, sind deutsche Soldaten im Einsatz, um einen Beitrag für Frieden und Stabilität in der Region zu leisten. Wahr ist auch: Auch in Syrien unterstützen wir mit der Luftaufklärung und der Luftbetankung den Kampf gegen den IS.
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Und im Irak dienen unsere Soldatinnen und Soldaten seit Jahren im Rahmen der Ausbildung der irakischen Streitkräfte und leisten einen Beitrag zur Stabilisierung des Landes. An der Notwendigkeit dieses Beitrags Deutschlands in der Region hat sich auch nach den jüngsten Ereignissen nichts Wesentliches geändert. Man könnte im Umkehrschluss sogar sagen: Sie sind notwendiger denn je.
Dass die Lage auch für unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz dort brisant und per se gefährlich ist, ist auch nichts Neues. Deswegen schicken wir Soldatinnen und Soldaten in diese Region und nicht vorrangig zivile Aufbauhelfer und ‑kräfte. Es ist auch richtig, dass wir nicht nur jetzt, sondern immer wieder fragen: Haben wir ausreichende Schutzmaßnahmen ergriffen, um die Gefahren für Leib und Leben unserer Soldatinnen und Soldaten zu minimieren, wohl wissend, dass es Teil ihres Einsatzes und ihrer Aufgabe ist, dass wir sie nie gänzlich ausschließen können? Das wissen unsere Soldatinnen und Soldaten auch, und sie sind deswegen auch zu Recht stolz auf den Beitrag, den sie leisten, auf den Dienst, den sie jeden Tag tun. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass das Hohe Haus mehrheitlich zum Ausdruck gebracht hat, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten für diese Bereitschaft, zu dienen, und für den Beitrag, den sie ganz konkret leisten, entsprechend dankbar sind.
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Dass die Ministerin im Irak auch heute wieder Gespräche führt und dass sie auch bei den Soldatinnen und Soldaten ist, um das persönlich zum Ausdruck zu bringen, um die Erfahrungen mit unseren Soldatinnen und Soldaten auszutauschen und aufzunehmen, was sie dort erleben, und hier in unsere weitere Diskussion einzubringen, ist selbstverständlich und ein richtiger Schritt.
Deutschland war und ist ein verlässlicher Partner des Iraks, und das wollen wir bleiben. Die Fortsetzung dient nicht nur der Stabilität im Irak, sondern unserer eigenen Sicherheit. Bei aller unterschiedlichen Bewertung der jüngsten Ereignisse, die ich eingangs noch einmal genannt habe, bleibt am Ende die Frage: Wo stünden wir heute ohne den Einsatz bis zu diesem Zeitpunkt? Was wäre gewonnen, wenn wir uns unserer Verantwortung und Verpflichtung an dieser Stelle entziehen und die Soldaten einfach nach Hause holen, ohne mit Verbündeten und Partnern zu sprechen, ohne mit dem Irak über die Situation zu sprechen und zu klären, ob es einen gemeinsamen Ansatz gibt, für Frieden und Stabilität in dieser Region zu sorgen?
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Das ist der Auftrag und der Anspruch. Die Ernsthaftigkeit der Debatte ist deswegen geboten. Gut, dass wir sie so ernsthaft führen. Das können unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz auch erwarten.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächste erhält das Wort die fraktionslose Abgeordnete Dr. Frauke Petry.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir debattieren heute hier die Lage im Mittleren und Nahen Osten. Herr Bundesminister Maas, Sie präsentieren uns leider einen diplomatischen Scherbenhaufen. Früher nannte man ihn „deutsche Außenpolitik“.
Trotz mehrfacher Warnungen, trotz der iranischen Einmischungen in Syrien und im Libanon hat die Bundesregierung auf das falsche Pferd gesetzt. Donald Trump und Benjamin Netanjahu hatten die Lage bereits vor zwei Jahren erkannt, während Sie sich für den sogenannten Iran-Deal entschieden, ein Nichtvertrag – eben nicht ein Abkommen –, der nicht einmal das Papier wert war, auf dem er geschrieben stand. Das, Herr Maas, geben Sie zwischen den Zeilen inzwischen sogar zu; sonst würden Sie wohl kaum ein Zusatzabkommen fordern.
Sie haben die Mullahkratie von Teheran hofiert, Sie haben den Bündnispartner Israel verprellt, und Sie haben das zerstörerische Potenzial der Türkei maßlos unterschätzt. Während sich die Bundeskanzlerin über die Tötung Osama Bin Ladens freute, kritisieren Sie heute die Ausschaltung Soleimanis. Dabei war Soleimani in den Augen der Amerikaner und Israelis nicht weniger ein Terrorist und Sicherheitsrisiko als Osama Bin Laden. Das geopolitische Vakuum des Nahen Ostens haben Sie bisher nur mit moralischen Appellen, mit Absichtserklärungen und einer mantraähnlichen Heiligung des Iran-Deals erfüllt. Einen Plan B hatten Sie nie. Die Verwerfungen des Arabischen Frühlings dauern bereits ein ganzes Jahrzehnt. Erst jetzt haben es Kanzlerin und Außenminister für sinnvoll gehalten, mit Putin ins Gespräch zu kommen. Dass eine stabile Lösung im Nahen Osten ohne die Russen und Amerikaner unmöglich ist, hätte Ihnen jeder Erstsemesterstudent für internationale Beziehungen sagen können.
Nicht Trumps vermeintliche Verantwortungslosigkeit, sondern seine harte Linie hat den Iran dazu getrieben, sein wahres Gesicht zu zeigen und auch seine Instabilität zu offenbaren. Beim Streitschlichtungsmechanismus droht der Iran nun den Europäern Konsequenzen an, wenn wir nicht im Sinne der Mullahs entscheiden – schöne Partner haben Sie sich da ausgewählt. Ich appelliere daher an Sie: Lösen Sie sich aus der Geiselhaft dieses Deals. Sprechen Sie sich mit den USA ab. Hören Sie auf die Erfahrungen der Israelis. Handeln Sie einen Vertrag, einen echten Vertrag aus, der den Namen verdient. Trump wird Ihnen dabei sicher die Hand reichen. Und vielleicht können Sie dabei sogar etwas über internationale Politik lernen. Es ist nie zu spät.
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Norbert Röttgen.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Irak, im Iran eine neue Lage, und wir haben es dort mit neuen Realitäten zu tun. Die Situation ist unberechenbar geworden. Ich persönlich bin darum immer sehr zurückhaltend mit den Voraussagen. Ich bin auch beeindruckt, wer alles glaubt zu wissen, was nun passiert. Ich glaube, wir wissen gar nicht, was alles passiert und passieren kann. Die Lage ist brüchiger geworden – sehr brüchig –, sie ist gefährlich, und wir haben in dieser Form eine neu zugespitzte, unmittelbare Konfrontation zwischen Iran und USA. Das macht die Lage völlig neu.
Jetzt kann man natürlich richtigerweise zurückschauen: Wie konnte es dazu kommen? Wie bewerten wir das im Einzelnen? Ich möchte nach vorne schauen und mich mit einer Frage beschäftigen, nämlich der Frage: Was bedeutet die neue Lage für uns,
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wie gehen wir damit um, was ist unsere Antwort, was können wir tun? Ich möchte dazu fünf kurze Anmerkungen machen.
Meine erste Anmerkung ist: So anders die Lage ist – die Ziele, die wir dort verfolgen, sind die gleichen geblieben, nämlich die Terrororganisation des IS zu bekämpfen und den Irak als Land nachhaltig zu stabilisieren und ihm dabei zu helfen, dass er die Selbstständigkeit erwirbt. Das sind die Ziele, die bleiben, die geblieben sind. Und all diejenigen – ich glaube, es ist eine große Mehrheit hier im Haus –, die diese Ziele unterschreiben, die müssen auch die Frage beantworten: Was ist denn unser Vorschlag, wie wir die Ziele erreichen? Meine Damen und Herren, die Ziele allein reichen nicht, sondern wir brauchen jetzt auch Instrumente und Mittel.
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Meine zweite These ist, dass durch die neue Lage unsere Verantwortung dafür, diese Ziele zu erreichen, gewachsen ist. Das mag uns nicht gefallen; es ist aber Teil der neuen Realität, dass wir mehr Verantwortung haben. Unsere Verantwortung erwächst zunächst einmal aus unserer Pflicht, die Sicherheitsinteressen unserer eigenen Bürger zu schützen. Wenn die Lage im Irak, im Iran, im Mittleren Osten gefährlicher wird, dann wird sie auch für unsere Bürgerinnen und Bürger, für Deutschland, in Europa gefährlicher. Wir müssen es einmal verstehen und sagen: Wir können unsere Sicherheit in unserem Land, in unseren Städten nicht von der Unsicherheit im Mittleren Osten abkoppeln, meine Damen und Herren. Wir sind miteinander verknüpft.
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Und wir haben durch die Aktion und Entscheidung der USA wahrscheinlich einen geringeren politischen Gestaltungsspielraum der USA, vielleicht auch geringere Akzeptanz der USA für Diplomatie in der Region. Wer, wenn nicht wir, soll die geschwundenen politischen Möglichkeiten ausgleichen und ersetzen? Wir haben mehr Verantwortung durch die jüngsten Ereignisse.
Dritte Anmerkung. Wer ist denn eigentlich „wir“? „Wir“ sind nach meiner Auffassung die E 3 zusammen mit der Europäischen Union. Nicht wir, Deutschland, nicht wir, die EU-27, sondern die E 3, also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, sind zusammen mit der Europäischen Union diejenigen, die jetzt in der Handlungsverantwortung stehen. Wann, meine Damen und Herren, wenn nicht in dieser Situation, die uns unmittelbar angeht, soll denn diese Form europäischen außenpolitischen Handels entstehen? Ich glaube, jetzt ist es dabei.
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Viertens. Gibt es Voraussetzungen zur Wahrnehmung unserer Verantwortung? Ja, die gibt es – vor allem die, dass wir gewollt sind im Irak. Natürlich wird jetzt der innerirakische Machtkampf zwischen proiranischen und prowestlichen, offenen Kräften entschieden. Den müssen wir abwarten. Wenn wir nicht gewollt sind, wenn die USA nicht gewollt sein sollten, dann können wir nicht da sein.
Und das Allerletzte – fünftens –: Wodurch werden wir unserer Verantwortung gerecht? Ich bin zutiefst davon überzeugt – ich meine, darüber müssen wir hier diskutieren –: Wir werden unserer Verantwortung nur durch einen umfassenden Einsatz, der zivilen Aufbau beinhaltet, einen Einsatz, der diplomatische Arbeit beinhaltet, das Nuklearabkommen fortzuentwickeln, und, drittens, durch einen Einsatz, der auch militärische Präsenz vor Ort beinhaltet, nachkommen können. Zu glauben, wir könnten einen wirksamen Einsatz leisten und ein Element von den dreien wegnehmen, ist eine Illusion. Zu den Realitäten gehört, dass wir einen umfassenden europäischen Beitrag im Irak leisten müssen, meine Damen und Herren. Das ist unsere Verantwortung, und wir müssen ihr gerecht werden.
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der SPD der Kollege Thomas Hitschler.
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Hochgeschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Zweistromland hat ein langes Gedächtnis. Seit Jahrtausenden leben dort Menschen, entstehen und enden Zivilisationen. Manchmal, so scheint mir, sind wir im Vergleich dazu sehr vergesslich. Wir scheinen vergessen zu haben, wie sich die Lage in der Region fortlaufend verändert. Mir scheint, wir haben sehr schnell vergessen, dass vor nicht allzu langer Zeit der selbsternannte „Islamische Staat“ kurz vor Erbil stand, wie er Städte im Norden des Irak erobert und dort Leid und Schrecken verbreitet hat.
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Ich erinnere mich an Kämpfe rund um das Sindschar-Gebirge, wo Zehntausende vom Tode bedroht flüchten mussten und nur unter massiven Anstrengungen befreit werden konnten.
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Mir scheint, wir haben vergessen, was wir den staatlichen und nichtstaatlichen Sicherheitskräften im Irak zu verdanken haben. Ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin sehr dankbar, dass die kurdischen Peschmerga und andere Akteure sich dem IS entgegengestellt haben, auch wenn sie dafür einen hohen Preis bezahlt haben.
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Warum ist dieses Vergessen gefährlich? Weil der Nahe und Mittlere Osten auch uns etwas angeht; viele Vorrednerinnen und Vorredner haben das betont. Er ist Europas globale Nachbarschaft. Konflikte in der Region haben direkte Auswirkungen auf uns. Auch deswegen ist es nicht egal, ob man die Region einfach nur sich selbst überlässt oder versucht, die Lage dort zum Positiven zu verändern. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein weiterer Zerfall des Irak und eine zusätzliche Destabilisierung in der Region direkte Auswirkungen auf unser Land und auf Europa hätten. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns der Verantwortung für die Stabilität im Nahen und Mittleren Osten jederzeit bewusst sind.
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Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten einen Ruf der Verlässlichkeit in der Region erarbeitet. Wir sind unverdächtig, territoriale Interessen zu vertreten unverdächtig, religiöse Interessen zu vertreten, und unverdächtig, eigene wirtschaftliche Interessen mit sicherheitspolitischen Interessen gleichzusetzen. Im Gegenteil: Wir stehen für die Herrschaft des Völkerrechts, wir stehen für Stabilität und Ordnung. Das macht uns zu einem gerngesehenen Partner, und das soll auch so bleiben.
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Dafür leisten die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vor Ort einen wichtigen Beitrag mit der Stärkung der irakischen Armee genauso wie im Vorgehen gegen den selbsternannten „Islamischen Staat“. Und auch der Einsatz, die Verbindlichkeit gegenüber den lokalen Partnern und die Leistungsbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten haben dem deutschen Engagement seinen guten Ruf gegeben. Im kollektiven Gedächtnis der Region werden sie unserem Land einen besonderen Platz sichern. Dafür gebühren ihnen unser Dank, unser Respekt und unsere Anerkennung.
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Meine Damen und Herren, genau deshalb darf uns nicht gleichgültig sein, was dort passiert. Genau deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam mit den Partnern der internationalen Mission weiter Verantwortung in der Region übernehmen. Auch das ist aber an eine grundsätzliche Voraussetzung geknüpft, nämlich an den Willen des irakischen Volkes. Das ist die Maßgabe für unser Engagement. Daran werden wir die Entscheidung über die Fortsetzung des Einsatzes ausrichten. Wir werden sie nicht ausrichten an außenpolitischen Reflexhandlungen, wie wir sie heute gehört haben, und auch nicht an dem Verlangen, weltpolitisch den Kopf in den Sand zu stecken. Lassen Sie uns die Menschen im Irak weiterhin unterstützen, Kolleginnen und Kollegen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Henning Otte.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vereinbarte Debatte heute zeigt sehr deutlich, dass wir uns Sorgen über die Entwicklung in der Region machen müssen und dass wir die Lage neu bewerten müssen. Es ist angesagt, dass wir Deeskalation betreiben, dass die Diplomatie einen hohen Stellenwert bekommt. Diese Debatte führt uns vor Augen, wie schnell sich die Lage dort verändern und verschärfen kann. Es ist aber falsch, zu glauben, dass sich die Lage verbessern würde, wenn man das Mandat beenden würde, wenn man diese Politik einstellen würde. Deshalb müssen wir der Fraktion Die Linke und der Fraktion der AfD, die hier Hand in Hand arbeiten
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und sagen: „Wir sollen das Mandat beenden; dann würde sich die Lage verbessern“, entgegnen: Genau das würde zur Destabilisierung und wahrscheinlich zu einer Eskalation führen. – Deshalb ist es wichtig, dass wir uns dieser Debatte heute mit Sachargumenten stellen.
Wir jedenfalls sind dafür, dass wir unsere Verantwortung als Deutschland weiterhin wahrnehmen;
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denn es geht auch um die Sicherheit unseres Landes, es geht um die Stabilität in Europa, und es geht darum, dass wir den Irak als Stabilitätsanker weiterentwickeln. Wir haben dieses Land im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative als wichtiges Land erkoren. Wir haben bisher 18 000 irakische Streitkräfte ausgebildet, um den Irak in die Lage zu versetzen, selbst für Stabilität und Sicherheit zu sorgen. Wir sind auch der größte zivile Unterstützer. Die GIZ und die KfW leisten dort herausragende Arbeit.
Das alles darf jetzt nicht einfach infrage gestellt oder gar abgebrochen werden. Aber wir müssen uns an der Sicherheitslage orientieren. Eines ist wichtig: Es darf nicht passieren, dass der IS-Terror wieder Fuß fasst, dass er zurückkommt. Diese große Sorge habe ich. Dieser IS-Terror würde weiterhin auch Europa bedrohen.
Meine Damen und Herren, es gibt circa 1,5 bzw. 1,6 Millionen irakische Binnenvertriebene, die in ihre Heimat zurückkommen möchten. Auch deswegen ist es wichtig, dort weiter für Stabilität zu sorgen und dies auch deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Es ist gut, dass unsere Bundesverteidigungsministerin zurzeit im Irak ist, um sich dort ein eigenes Bild zu verschaffen, Gespräche zu führen und in Erbil und Bagdad deutlich zu machen: Wir stehen zu unserer Verantwortung; aber wir wollen auch, dass die irakische Regierung eine klare Aussage trifft, weil das für unser Mandat eine Grundvoraussetzung ist. Wir leisten Ausbildung, und wir leisten unseren Beitrag zum Kampf gegen den IS mit den sogenannten Aufklärungstornados. Es ist wichtig, dass wir ein eigenes Lagebild bekommen, dass unsere Informationen dazu beitragen, Sicherheit vor Ort zu generieren.
Eines ist klar: Dort, wo ein vermeintliches Vakuum entsteht, gehen andere rein. Gibt es überhaupt ein machtpolitisches Vakuum? Insbesondere Russland ergreift in solchen Fällen die Initiative – das wird immer wieder deutlich –, um seinen Einfluss zu vergrößern, nicht nur in Nordafrika, in Libyen, sondern auch in dieser Region. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass Die Linke und die AfD mit ihrer außerordentlichen Vasallentreue zur russischen Führung falsch liegen. Wir müssen als CDU/CSU zusammen mit der SPD als Koalition deutlich machen: Unsere Politik ist werteorientiert, sie ist interessengeleitet, sie ist vom Gedanken der Freiheit und der Sicherheit geprägt.
Es ist gut, dass wir diese Politik heute in dieser Debatte zum Ausdruck gebracht haben. Wir sind überzeugt, dass wir unseren Beitrag zur Stabilität des Iraks leisten müssen, um deutlich zu machen: Der Iran darf nicht weiter an Einfluss in dieser Region gewinnen.
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Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Christian Schmidt.
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Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist die Situation nicht grundlegend anders. Sie entwickelt sich weiter. Ich danke dem Kollegen Graf Lambsdorff dafür, dass er die Funktion und die Taten von Herrn Soleimani dargestellt und uns noch einmal in Erinnerung gerufen hat. Wir haben in den Ausschüssen und im Plenum darüber diskutiert, wie wir mit der Hisbollah umgehen. Wir haben über die terroristischen Qualitäten dieser Organisation gesprochen und festgestellt – siehe da –, dass Herr Soleimani und die Hisbollah immer eine enge Partnerschaft gepflegt haben. Wir merken – das ist für uns eine der drei wesentlichen Problemstellungen im Zusammenhang mit dem Iran –, dass die Destabilisierung der Region damit verbunden ist.
Wir haben mit dem Nuklearabkommen einen wesentlichen Schritt verhandelt, erreicht, der jetzt infrage gestellt wird. Es ist völlig richtig, dass wir jetzt den Mechanismus zur Kontrolle und zur Überprüfung eingefädelt haben, begonnen haben.
Aber hinzu muss kommen, dass die Stellvertreterkriege in der Region, die im Wesentlichen durchaus mit der Politik al-Quds und Soleimani zu verknüpfen sind, dass diese Destabilisierung jetzt aufhört und wir zudem die ballistischen Systeme, die der Iran hat, im Blick behalten.
So heißt das, dass die Lagedarstellung relativ schwierig ist, die Lagebeurteilung uns aber dazu führen wird, dass wir uns viel stärker politisch-diplomatisch, aber dort, wo notwendig, gemeinsam auch mit militärischen Mitteln zur Stabilisierung bewegen und bereit erklären müssen.
Vielen Dank, dass die Initiative hinsichtlich des Abkommens von den drei europäischen Partnerstaaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland gemeinsam stattgefunden hat. Bleiben Sie dabei! Das ist ein ganz wichtiges Pfund.
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Nebenbei nur bemerkt: Herr Oberst im Generalstab a. D. Lucassen – wo ist er denn? da ist er –, ich denke schon, dass ein Oberst im Generalstabsdienst in der Lage sein sollte, zwischen Lagebewertung und Lagebeurteilung Unterscheidungen zu treffen. Das habe ich bei Ihnen nicht gespürt. Ich will einmal sagen, Sie haben hier noch nachzuarbeiten.
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Denn die Lagebeurteilung führt uns gerade dazu, dass wir in solch einer Situation – – hören Sie mir zu, dann lernen Sie etwas!
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– Aufruhr bei der AfD, Herr Präsident. – feststellen werden, dass wir im Sinne der Stabilität gerade deswegen – mit aller Sorgfalt für unsere Soldatinnen und Soldaten, aber auch unserem Auftrag entsprechend – weiter Präsenz im Irak zeigen sollten.
Deswegen – ich wage es kaum zu sagen – noch eine kleine Korrektur – wo ist denn jetzt der erste Redner der AfD? –: Der Hinweis, dass das Parlament in Bagdad so entschieden hat, ist richtig. Allerdings hat nach der irakischen Verfassung die Regierung das letzte Wort. Und wir müssen feststellen, dass im Parlament in Bagdad nicht die Sunniten und nicht die Kurden letztendlich mitentschieden haben, sondern vor allem die schiitischen Abgeordneten. Ich hoffe, dass eine Möglichkeit besteht, dass sich das gesamte Parlament mit dieser Frage noch einmal gestaltend befasst und unterscheidet zwischen dem, was man nicht haben will – zum Beispiel eine invasive iranische Komponente –, und denjenigen, die der Stabilität in der Region helfen wollen. Der Weg ist nicht einfach; wir müssen ihn aber beschreiten. Es hat sich jetzt jedenfalls – dadurch, dass die USA, gewollt oder ungewollt, wieder stärker in der Region präsent sein müssen und engagiert sein müssen –, gezeigt, dass die Wege durchaus auch zum Frieden führen können.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vom Bundesrat vorgelegten Gesetzentwurf soll der strafrechtliche Schutz bei Verunglimpfung der Europäischen Union und ihrer Symbole verbessert werden. Konkret soll ein neuer § 90c in das Strafgesetzbuch eingeführt werden, der die Verunglimpfung der Flagge und Hymne der Europäischen Union unter Strafe stellt. Diesem Vorschlag stimmt die Bundesregierung zu.
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Die Bundesregierung hat darüber hinaus am 11. Dezember letzten Jahres eine Formulierungshilfe zu dem vorliegenden Gesetzentwurf beschlossen. Mit der Formulierungshilfe soll § 104 des Strafgesetzbuches, der die Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten unter Strafe stellt, ergänzt werden. Künftig soll auch das öffentliche Zerstören oder Beschädigen einer ausländischen Flagge, etwa im Rahmen einer Demonstration, unter Strafe gestellt werden. Dies war nach geltendem Recht nicht der Fall, da § 104 nur solche Flaggen erfasst, die aufgrund von Rechtsvorschriften – wie etwa bei Botschaften oder Konsulaten – oder nach anerkanntem Brauch – etwa bei Staatsbesuchen, Sportveranstaltungen oder in einem Kurort – gezeigt wurden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab verschiedene Anlässe, die dazu geführt haben, diese Formulierungshilfe einzubringen. Ich möchte zwei Beispiele nennen.
Infolge der Entscheidung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 6. Dezember 2017, die Botschaft der USA von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, fanden in Berlin im Dezember 2017 mehrere Demonstrationen statt, bei denen unter anderem Flaggen des Staates Israel demonstrativ verbrannt wurden. Deutlicher kann nicht ausgedrückt werden, dass man das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, und das wollen wir nicht hinnehmen.
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Oder, liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz aktuell: Im November 2019 wurde in Nürnberg anlässlich einer Demonstration gegen die türkische Militäroffensive in Nordsyrien die türkische Flagge verbrannt.
Diese symbolischen Akte von Verachtung und Hass wollen wir nicht weiter zulassen.
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Durch solche Vorgänge kann nicht nur das Ansehen des ausländischen Staates beschädigt werden. Auch die guten Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zum Flaggenstaat können hierdurch beeinträchtigt werden. Aus diesem Grund soll das öffentliche Verbrennen von ausländischen Flaggen künftig strafbar sein.
Über diese materiellen Rechtsänderungen hinaus wollen wir die Voraussetzungen der Strafverfolgung des § 104a StGB verändern. So kann die Strafbarkeitsbedingung der Gegenseitigkeit nach § 104a StGB entfallen, da die guten und ungestörten Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Staaten auch dann betroffen sein können, wenn der ausländische Staat in seinem Recht keine den §§ 102 und 104 vergleichbaren Sonder- bzw. Qualifikationstatbestände aufweist.
Ebenso entfallen kann die in § 104a StGB vorgesehene Ermächtigung der Bundesregierung zur Strafverfolgung nach den §§ 102 und 104 StGB. Auch bei einer unmittelbaren Befassung von Staatsanwaltschaften und Gerichten können gute und ungestörte Beziehungen der Bundesrepublik zu ausländischen Staaten gewährleistet werden, sodass es dieser Voraussetzung nicht mehr bedarf. Zudem werden damit künftig schwierig zu lösende Interessenkonflikte – wie sie etwa bei der Erteilung der Strafverfolgungsermächtigung im Fall Böhmermann aufgetreten sind; wir erinnern uns sicherlich – vermieden. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der AfD der Kollege Fabian Jacobi.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor uns liegt ein Gesetzentwurf des Bundesrates, mit dem man die Verunglimpfung der EU-Fahne zur Straftat machen möchte. Zum Vorbild nimmt man sich den bereits bestehenden § 90a des Strafgesetzbuchs. § 90a stellt die Verunglimpfung des deutschen Staates und seiner Symbole unter Strafe. Liest man den § 90a, so nennt er als geschützte Objekte erst die Republik und ihre Verfassung, sodann die in der Verfassung bestimmten Symbole der Republik: Flagge, Farben und Hymne.
Legt man daneben diesen Gesetzentwurf zu einem neuen § 90c, fällt eines sofort ins Auge: Dort, wo der § 90a erst die Republik und die Verfassung nennt und anschließend deren Symbole einbezieht, da beschränkt sich der Entwurf auf das Letztere. Dort, wo in der existierenden Vorschrift zum Schutz des deutschen Staates deren Schutzgüter stehen, nämlich die Republik und die Verfassung, ist in der neuen Vorschrift eine große Leerstelle. Sie nennt allein die Symbole, Flagge und Hymne der EU.
Für was aber stehen dann die Symbole, die nun mittels des Strafrechts geschützt werden sollen? Die Begründung des Gesetzentwurfs gibt Aufschluss. Die neue Vorschrift dient der „Autorität der Hoheitsmacht“, welche die EU in Deutschland ausübt. Auf eine Ebene mit der Existenz und der Verfassung unserer Republik soll die Autorität der Hoheitsmacht der EU gestellt werden: eines Gebildes, das nicht unser Staat ist, das überhaupt kein Staat ist und auch nicht werden kann noch darf;
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eines Gebildes, das dabei ist, das eigentliche und liebenswerte Europa, die Vielfalt seiner Völker und Kulturen einzuebnen, sie in das Gehäuse uniformer, bürokratischer Hörigkeit zu sperren; eines Gebildes, das die in den europäischen Staaten verwurzelte Demokratie nach und nach aushöhlt und als leere Hülle zurücklässt, in der die Völker zwar weiter Parlamente wählen, die Parlamente aber nichts mehr entscheiden dürfen;
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eines Gebildes mit einem sogenannten Parlament, das nach den Maßstäben unseres Grundgesetzes alles Mögliche ist, aber keine demokratische Volksvertretung;
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eines Gebildes mit einem obersten Gerichtshof, der sich selbst als Instrument zur Machterweiterung der EU versteht und den früheren Bundespräsidenten Roman Herzog schon vor Jahren zu dem verzweifelten Ausruf: „Stoppt den EuGH!“, veranlasste, der aber folgenlos verhallte.
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Zugunsten der Autorität der Hoheitsmacht dieses Gebildes die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst durch das Strafrecht einzuschränken, das kommt für uns überhaupt nicht infrage.
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Nun möchte der Gesetzentwurf beschwichtigen: Es sei alles halb so wild. Der brave Bürger dürfe doch weiter nach Herzenslust räsonieren und kritisieren. Nur in ganz seltenen und krassen Fällen müsse er zukünftig gewärtigen, durch Äußerungen gegen die EU zum Kriminellen zu werden. Richtig ist zwar, dass das Bundesverfassungsgericht zum Schutz der Meinungsfreiheit der bestehenden Vorschrift des § 90a StGB fast alle Zähne gezogen hat und Gleiches dann auch für einen neuen § 90c StGB gelten müsste. Darum geht es aber gar nicht.
Bereits die Gefahr, sich wegen einer gegen die EU gerichteten Äußerung unversehens als Angeklagter vor Gericht wiederzufinden, verbunden mit der ungewissen Aussicht, ob am Ende ein Gericht die Meinungsfreiheit höher hält oder doch die Autorität der Hoheitsmacht, wird die meisten zweimal nachdenken lassen, ob sie es wagen, die EU zu kritisieren.
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Genau das dürfte ja auch der Sinn der ganzen Aktion sein.
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Wir werden den Gesetzentwurf jetzt in den Rechtsausschuss überweisen und uns dort anhören, was dazu noch gesagt werden mag. Unsere Haltung allerdings ist klar: Wir lehnen das in Bausch und Bogen ab – aber so was von!
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Ingmar Jung.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren zwei Themen. Ich will auch mit der vorgeschlagenen Einführung von § 90c StGB anfangen, der Bundesratsinitiative. Wir haben aus gutem Grund die Tradition, dass unsere Bundesflagge, Schwarz-Rot-Gold, und die Symbole unseres Staates vor bestimmten Verunglimpfungen geschützt sind.
Ich weiß nicht, ob es meinem Vorredner schon mal aufgefallen ist: Wir haben gelegentlich auch noch andere Symbole vor unseren Ministerien, vor dem Kanzleramt und auch mitten im Herzen unserer Demokratie,
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hier im Plenarsaal des Deutschen Bundestages.
Man muss in Zeiten wie diesen und in Zeiten, in denen solche Reden wie eben gehalten werden, Folgendes sagen. Sie haben selbst gefragt, Herr Jacobi: Wofür steht die Flagge der Europäischen Union? Sie haben dann gesagt: Sie steht für die Autorität der Herrschaftsmacht oder irgendetwas Ähnliches.
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Es geht bei dem strafrechtlichen Schutz um etwas ganz anderes. Es geht darum, die dahinterstehenden Werte zu verteidigen. Was sind denn die Werte, für die Schwarz-Rot-Gold und auch die Europaflagge stehen?
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Da geht es um Demokratie. Da geht es um Freiheit. Da geht es um Rechtsstaatlichkeit
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und um die längste Periode des Friedens, die wir in Europa jemals hatten. Die sollten wir nicht verunglimpfen,
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das sollten wir hier gelegentlich so deutlich sagen, meine Damen und Herren.
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Deshalb will ich nicht, dass das passiert, was wir letztes Jahr erleben mussten: dass eine Partei, die sich „Der dritte Weg“ nennt, einen Aufmarsch macht und bei diesem Aufmarsch auf der Europaflagge marschiert. Sie wissen, was das für eine Partei ist.
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Es mag sein, dass Sie denen näher stehen.
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Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Wir wollen solche Verunglimpfungen nicht.
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Deswegen bin ich absolut sicher, dass es der richtige Weg ist, auch die Symbole der Europäischen Union unter Schutz zu stellen.
Im Übrigen: Sie haben ja selbst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zitiert; ich will das gar nicht näher kommentieren. Aber wer nach diesem Antrag erklärt, der Antrag verbiete, in Zukunft die Europäische Union zu kritisieren, der hat unsere Verfassung wirklich nicht verstanden, meine Damen und Herren – wirklich nicht verstanden.
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Deshalb glaube ich, dass wir dort auf dem richtigen Weg sind. Wir unterstützen die Initiative, und wir unterstützen auch den zweiten Punkt, die Änderung beim § 104 StGB. Herr Staatssekretär, Sie haben die Anlässe benannt und schon umfassend dargestellt, worum es geht.
Man muss, auch wenn es um ausländische Staaten geht, vielleicht auch
deutlich sagen, dass man in Deutschland im Rahmen der Meinungsfreiheit aus gutem Grunde und zu Recht alles sagen darf, was man will, dass man auch für alles und gegen alles demonstrieren darf. Das ist eine Errungenschaft, die wir erst seit einigen Jahrzehnten in Deutschland haben, und da will auch kein Mensch ran.
Aber ich sage Ihnen – auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte –: Dass ausgerechnet unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit ausgerechnet die Flagge des Staates Israel ausgerechnet vor dem Brandenburger Tor verbrannt wird, ohne dass wir dort strafrechtlich reagieren können, das wollen wir nicht hinnehmen, meine Damen und Herren.
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So wehrhaft muss eine Demokratie an der Stelle sein können. Deshalb begrüßen wir diese Initiative.
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Ich sage ganz offen: Wir hätten uns ursprünglich auch noch eine etwas engere Fassung vorstellen können. Wir müssen im parlamentarischen Verfahren und auch in der Anhörung, glaube ich, noch ein bisschen genauer hinschauen, wo wir Abgrenzungen vornehmen können. Im Bereich des Strafrechts muss man immer besonders vorsichtig sein, dass man am Ende nicht zu weit geht. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie eine Definition von „Flagge“ dann eigentlich passiert. Wann wird eigentlich eine Flagge zur Flagge? Wann wird ein Bild zur Flagge? Welche Staaten können da alle erfasst sein?
Das sind aber alles Dinge, die im parlamentarischen Verfahren genau und sorgfältig betrachtet werden können und auch interessante Themen für die Anhörung sind. Auf die freuen wir uns. Das grundsätzliche Anliegen unterstützen wir sehr.
Und: Herr Staatssekretär, wie immer können Sie sich auf die Unterstützung der Unionsfraktion verlassen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Martens für die Fraktion der FDP.
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Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Frage der Beschädigung, des Verbrennens der Flaggen anderer Staaten, namentlich der israelischen Flagge, möchte ich nicht eingehen, weil das im Moment gar nicht Gegenstand der heutigen Beratung und der Drucksache ist. Das werden wir in den Ausschussberatungen nachholen. Ich sage jetzt mal: Das ist etwas, dem wir uns aus Sicht der Liberalen sicherlich eher nähern können als dem hier auf dem Tisch liegenden Vorschlag der Einführung eines Strafschutzes zugunsten der Flagge und der Hymne der Europäischen Union.
Die Tathandlung, die hier beschrieben wird, reicht bereits weiter als die Regelungen, mit denen die Symbole und Flaggen ausländischer Staaten geschützt werden sollen: Neben dem Zerstören und Entfernen soll auch das Unbrauchbarmachen, das Unkenntlichmachen oder sogar das bloße Verunglimpfen der Symbole einschließlich der Hymne ausreichen.
Mit der Ausweitung von Strafrecht, dem inflationären Gebrauch von Strafnormen noch nicht genug, meine Damen und Herren: Auch der Versuch soll bereits strafbar sein, also das unmittelbare Ansetzen zur Verunglimpfung. Irgendjemand hat gerade eben gespottet, dass könne auch schon der Fall sein, wenn in manchen Männergesangsvereinen der Liedtext der Hymne verteilt wird.
Die Begründung des Gesetzentwurfes weist darauf hin: „Wegen der fortwirkenden … Verantwortung der Bundesrepublik als Gründungsmitglied“ der EU sei es erforderlich, den Schutz der EU-Symbole „stärker auszugestalten“ als denjenigen von Flaggen ausländischer Staaten. – Eine Begründung ist das nicht wirklich, meine Damen und Herren.
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Was wäre denn, wenn Deutschland kein Gründungsmitglied der EU gewesen wäre? Bräuchten wir dann keinen Strafschutz, oder müsste er anders aussehen? Das müssen Sie uns im Rahmen der weiteren Ausschussberatungen noch erklären.
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Genauso ist die Frage nach dem Rechtsgut, das hier geschützt werden soll, zu beantworten. Hier heißt es: „ ... im Interesse des Ansehens der Europäischen Union und der Aufrechterhaltung des europäischen Friedens ...“ Ich glaube nicht, dass der europäische Frieden wirklich gefährdet werden kann, wenn man eine EU-Fahne beschädigt oder zerstört.
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Es geht nicht um die Frage der Aufrechterhaltung wirklich interessanter und wirklich wichtiger Rechtsgüter wie des öffentlichen Friedens – das wäre ja einzusehen –, analog etwa der Vorschrift zur Volksverhetzung in § 130 Strafgesetzbuch.
Okay, die Europäische Union hat als Friedensprojekt ohne Zweifel eine bisher beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben und als Raum der Freizügigkeit für Menschen und Waren einen nie gekannten Wohlstand in Europa ermöglicht. Ich glaube, die überwältigende Mehrheit des Hauses sieht dies auch so.
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Aber dieser historische Wert und das mit ihm verbundene Ansehen der Europäischen Union wird durch einen Strafrechtsparagrafen weder gesteigert noch auch nur geschützt.
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Das Ansehen der Europäischen Union hängt nicht von dem Einsatz engagierter Staatsanwälte ab; das Ansehen der Union hängt ganz maßgeblich von unserer Tätigkeit in diesem Haus ab.
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Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie an die Auseinandersetzung um den sogenannten Majestätsbeleidigungsparagrafen erinnert haben, Stichwort „Böhmermann“, Stichwort „Erdogan“. Die Bundesregierung hat dann sehr stolz erklärt, dass sie diesen Paragrafen abgeschafft hat, dass sie das Strafrecht von solchen Paragrafen entrümpelt hat. Ich glaube, all die Argumente, die damals genannt worden sind, gelten auch für die heutige Debatte.
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Wir diskutieren über die Einführung eines neuen Strafrechtsparagrafen, eines § 90c StGB. Er zielt ab auf die Verunglimpfung der Flagge, der Hymne, der Symbole der Europäischen Union. Zusätzlich soll jetzt noch durch eine mediale Begleitung – uns liegen die entsprechenden Anträge nicht vor – die Verschärfung der Strafbarkeit von Verunglimpfung ausländischer Flaggen eingeführt werden. Das kommt wahrscheinlich dann in Ihrem Ausschuss zur Sprache.
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– Genau, auch der von Venezuela; das ist richtig.
Aber wir halten es für grundfalsch – darin stimme ich meinem Vorredner zu –, die Frage der Achtung von Flaggen, von Symbolen durch das Strafrecht zu regeln. Hierfür reicht nach unserer Auffassung eindeutig das Ordnungsrecht. Das sind Ordnungswidrigkeiten, aber keine Tatbestände gemäß Strafrechtsparagrafen.
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Ich habe ganz aktuell mal den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages befragt, wie viele europäische Staaten
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die Verunglimpfung von EU-Symbolen, der Flagge, überhaupt unter Strafe stellen. Das ist eine kleine Minderheit. 20 Staaten, drei Viertel aller Staaten, stellen das nicht unter Strafe. In diesen Staaten hält die Demokratie auch mögliche Einzelfälle von Verunglimpfung aus. Ich finde, auch unsere Demokratie ist stabil genug, um es auszuhalten,
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wenn einige Leute irgendetwas an einer Fahne verändern. Dann stellt sich ja schon die Frage: Wann fängt dann die Verunglimpfung an?
Ich kenne in der ganzen Debatte um die Europäische Union viele zivilgesellschaftliche Initiativen, die schon darauf hingewiesen haben, dass zum Beispiel die Eurosterne durch Euro-Zeichen oder vielleicht auch durch Panzer ersetzt wurden, dass natürlich auch innerhalb der Europäischen Union hier manches in die falsche Richtung läuft. So etwas muss möglich sein und darf nicht sozusagen unter dem Gefühl der Androhung von Strafe künstlich zensiert werden.
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Zusammengefasst: Die Linke lehnt in diesem Fall die weitere Einführung von Strafrechtsparagrafen ab. Die Demokratie muss das aushalten. Ich finde, für die Einzelfälle, die es hier gegeben hat, ist das Ordnungsrecht völlig ausreichend.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Grünen die Kollegin Canan Bayram.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tatsächlich stellt sich hier in erster Linie die Frage, ob durch das Unter-Strafe-Stellen von Meinungsäußerungen in welcher Form auch immer das Problem sich lösen lässt und inwieweit wir der Meinungsfreiheit den Vorrang vor dem Schutz von Flaggen, von Symbolen von Staaten, hier insbesondere der EU, geben wollen. Ich würde meinen, schon vor dem Bundesverfassungsgericht würde das hier nicht bestehen können. Deswegen sollten wir uns das auch unter dem Aspekt anschauen.
Hier steht: „Verunglimpfung der Europäischen Union“. Was heißt das eigentlich in der Praxis, wenn hier alle das beschließen, entspannt nach Hause gehen und denken, sie hätten ein großes Werk geleistet? Was heißt das eigentlich für diejenigen, die dann in einer Versammlung oder in einer Situation, in der man das auslegen muss, entscheiden müssen, was es bedeutet? Das sind dann eben die Polizisten bzw. die Versammlungsbehörde oder die Ermittlungsbehörden, die damit befasst sind. Da kann ich Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Denen dürfen wir das nicht vor die Füße knallen, was wir hier nicht gelöst bekommen.
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Deswegen bin ich der Ansicht: Wir lösen es so nicht, und wir helfen so nicht.
Dennoch will ich deutlich machen: Ich finde es widerlich, was Der dritte Weg dort in Sachsen mit der europäischen Fahne veranstaltet hat. Ich würde mich fragen: Warum kann man die nicht verbieten? Das wäre vielleicht eine Option. Warum gibt es nicht die Möglichkeiten, mit dem Versammlungsrecht dagegen vorzugehen?
Was ich aber wirklich nicht angemessen finde, ist, die Wahrnehmung des Versammlungsrechts und der Meinungsfreiheit hier faktisch mit Unsicherheiten so zu behaften, dass weder derjenige, der auf der Versammlung ist, sicher sein kann: „Mache ich hier noch von meinem Meinungsfreiheits- und Versammlungsrecht Gebrauch, oder ist das schon strafbar?“, noch der jeweilige Beamte, sei er von der Polizei oder von der Staatsanwaltschaft, der prüfen muss, inwieweit man jetzt eingreifen muss, obwohl man vielleicht deeskalieren will, statt dort weiter gegen eine Straftat vorzugehen.
Deswegen lautet mein Resümee – gerne unterhalten wir uns dazu auch im Ausschuss –: Erst nachdenken, bevor man Strafrechtsverschärfungen auf den Weg bringt.
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Insoweit will ich nur noch sagen: Gestern hat beim Empfang des Deutschen Anwaltvereins die Justizministerin gesagt, sie hätte sich auch nicht gewünscht, dass sie hier so viel verschärfen muss; aber die Menschen seien ja so unanständig geworden. Dazu kann ich nur sagen: Das Strafrecht ist nicht dafür da, den Anstand im alltäglichen Verhalten zu regulieren, sondern ist eine Ultima Ratio, um gegen wirklich strafbares Handeln vorzugehen.
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der SPD der Kollege Dr. Johannes Fechner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich möchte zunächst klarstellen, liebe Frau Kollegin Bayram: Zu keinem Zeitpunkt, auch gestern nicht beim DAV, hat die Justizministerin gesagt, dass sie über das Strafrecht für mehr Anstand sorgen will, oder Ähnliches. Das ist falsch.
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Ebenso falsch ist es, dass das Anzünden einer israelischen Flagge eine Meinungsäußerung ist. Jedenfalls nach meiner Ansicht ist das eine klare Attacke gegen den israelischen Staat
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und eine Einschüchterung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, und das müssen wir stoppen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das Bundeskriminalamt hat rund 1 800 Angriffe gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger und Einrichtungen festgestellt. Und wir erleben es doch täglich: Jüdische Mitbürger werden auf der Straße belästigt und im Netz übel angegriffen. Als trauriges Extrem haben wir alle den Angriff auf die Synagoge in Halle sehr bedauert, bei dem nur durch viel Glück Schlimmeres verhindert wurde. Das zeigt uns doch eins: Wir müssen in Deutschland stärker gegen Antisemitismus vorgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Dazu gehört, dass antisemitische Straftaten schneller und konsequent verfolgt werden. Dazu gehört, dass wir eine Straferhöhungsmöglichkeit im Strafgesetzbuch schaffen. Für mich und die SPD-Fraktion gehört auch dazu, dass wir es verbieten, israelische Flaggen in Deutschland öffentlich anzuzünden und zu verbrennen.
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Ja, der Gesetzesvorschlag des Bundesrates dient natürlich dem Schutz des Ansehens aller Staaten und auch der Europäischen Union. Es geht uns, wie gesagt, aber insbesondere darum, zu verhindern, dass es in Deutschland erlaubt ist, israelische Flaggen zu verbrennen. Ich finde, vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verbrechen und 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz müssen wir sagen: Das müssen wir stoppen. Das können wir in Deutschland nicht erlauben.
({4})
Die Bundesratsinitiative, die Europäische Union und deren Ansehen dadurch zu schützen, dass ihre Flagge in Deutschland nicht verunglimpft werden darf, finde ich, ist eine sehr gute Initiative; denn es geht doch nicht, dass die Symbole der Institution, die seit Jahrzehnten für Frieden, Freiheit und Wohlstand auf unserem Kontinent sorgt und sogar den Friedensnobelpreis verliehen bekommen hat, verunglimpft werden. Deswegen ist es ein starkes Zeichen für Europa, dass wir die Symbole der Europäischen Union jetzt auch strafrechtlich schützen,
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wenn wir dieses Gesetz so beschließen, wozu ich ausdrücklich aufrufe.
Daneben streichen wir mit diesem Gesetzentwurf auch die Regelung des § 104a StGB, wonach Straftaten gegen ausländische Staaten nur dann in Deutschland verfolgt werden können, wenn die Bundesregierung dem zustimmt. In der Tat hat diese Vorschrift ja Berühmtheit in der Affäre um die Anzeige des türkischen Präsidenten Erdogan gegen Böhmermann erlangt. Wir haben Vertrauen in die Justiz, dass sie verantwortungsvoll mit Strafanzeigen aus dem Ausland umgeht und dass verantwortungsvoll entschieden wird, ob ein Strafverfahren wegen einer Straftat gegen ausländische Staaten eingeleitet wird. Eine Mitwirkung der Bundesregierung ist hier schlicht nicht nötig.
Deshalb: Beraten wir sorgfältig die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, und beschließen wir sie dann. Ich glaube, das ist wichtig für das demokratische Klima in Deutschland.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Volker Ullrich.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute einen Gesetzentwurf des Bundesrates, der vorsieht, einen neuen Paragrafen in das StGB, § 90c, einzuführen und damit die Verunglimpfung der Symbole und auch der Flagge der Europäischen Union unter Strafe zu stellen.
({0})
Ich will vorausschicken, dass bislang die Symbole des Bundes und der Länder geschützt sind, weil wir unsere eigene Verfasstheit, den eigenen Staat und die den Staat ausmachenden Werte besonders schützen wollen und müssen. Ich kann zumindest staatsrechtlich jedem beipflichten, der sagt, dass die Europäische Union kein Staat ist. Sie ist auch kein Bundesstaat. Aber sie ist mittlerweile mehr als nur irgendeine internationale Organisation. Sie ist ein Staatengebilde sui generis, welches mittelbare Hoheitsgewalt ausübt, welches wie kein anderes internationales Organisationsformat für Frieden, Freiheit, Sicherheit und Grundwerte steht.
Aber es geht noch weiter. Ihre Flagge hängt nicht umsonst auch hier im Plenarsaal des Deutschen Bundestages.
({1})
Sie hängt deswegen dort, weil wir nicht nur in der Präambel des Grundgesetzes, sondern auch in Artikel 23 Grundgesetz eine besondere Integrationsverantwortung innerhalb der Europäischen Union formuliert haben. Mit dem Schutz der Symbole der Europäischen Union schützen wir diese Integrationsverantwortung
({2})
und sagen, dass all die Werte, die mit der Europäischen Union verbunden sind, auch in besonderem Maße schützenswert sind, meine Damen und Herren.
({3})
Herr Ullrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?
Ja.
Ich danke Ihnen, Herr Ullrich, für die Zulassung der Frage; es sind eigentlich zwei Fragen. – Was glauben Sie, was Herr Gessler im Stück „Wilhelm Tell“ von Schiller zum Unterschied zwischen der Fahne und dem Hut gesagt hätte?
({0})
Zweite Frage: Wenn das so ist, warum ist dann die Fahne der UNO, die uns so wichtig ist und bisher viel mehr für den Frieden bedeutet und gebracht hat, nicht geschützt?
({1})
Das Spannende ist, Herr Kollege Dr. Dehm, dass Sie mir die Frage zum Gesslerhut – ich glaube, es war eine Debatte zum Thema Böhmermann – als Zwischenruf schon mal gestellt haben. Vielleicht sollten Sie sich etwas Neues einfallen lassen.
({0})
Der Gesslerhut ist aus „Wilhelm Tell“ von Schiller; um das noch mal deutlich zu sagen.
Aber es geht hier nicht um irgendwelche Symbole,
({1})
sondern es geht darum, wie wir unsere staatliche Ordnung und die Symbole, die Respekt verdient haben, organisieren.
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– Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen; aber jetzt ist die Beantwortung der Frage des Kollegen Dr. Dehm an der Reihe. – Es geht darum, dass wir die Symbole, die diese Qualität der Europäischen Union besonders ausmachen, vor Verunglimpfung schützen wollen. Denn all das, was mit der Europäischen Union zu tun hat, insbesondere mit der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Freiheit und Sicherheit, wollen wir auch in unserem Staatswesen besonders vor Verunglimpfung geschützt wissen.
({3})
Deswegen legen wir diesen Gesetzentwurf vor, Herr Kollege Dehm.
({4})
Ich will außerdem darauf hinweisen, dass diese Flagge auch die Flagge des Europarats ist
({5})
und sich dementsprechend der strafrechtliche Schutz zukünftig auf beide Organisationen erstrecken wird und muss.
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Das bedeutet, dass die Menschenrechte und die Frage der Geltung des Rechtsstaats damit auch in einer besonderen Art und Weise geschützt werden.
Das heißt übrigens nicht, dass deswegen Kritik nicht möglich ist. Gerade weil es sich um ein Ausdrucks- und Meinungsdelikt handelt, wird auch der zukünftige Tatbestand sehr restriktiv auszulegen sein. Es geht nicht darum, dass Kritik verboten wird, sondern es geht um die Verächtlichmachung. Es geht darum, dass der Diskurs verroht wird, dass letzten Endes aus solchen Taten böse Worte werden und dass aus bösen Worten Gewalttaten werden.
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Wir wollen nicht das Bild in die Welt setzen, dass hier in Deutschland Demonstrationen mit brennenden Flaggen möglich sind, meine Damen und Herren.
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Das Gleiche betrifft übrigens auch Flaggen von ausländischen Staaten.
Wir müssen darüber sprechen, inwieweit hier hinsichtlich der Meinungsfreiheit ein Spannungsfeld entsteht, was „Flagge“ bedeutet, ob das Ganze auch Symbole betrifft. Das werden wir in der Anhörung diskutieren.
Auslöser war in der Tat das Verbrennen der israelischen Flagge vor dem Brandenburger Tor. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn hier, mitten in Berlin, die israelische Flagge verbrannt wird, ist das schlichtweg unerträglich. Darauf muss der wehrhafte Rechtsstaat auch mit den Mitteln des Strafrechts reagieren, meine Damen und Herren.
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Es geht neben der Frage des Strafrechts aber auch um eine insgesamt wichtige gesellschaftliche Debatte: Wie verhindern wir die Verrohung im politischen Diskurs? Die Meinung zu äußern, ist wichtig. Wenn einem die Meinung nicht gefällt, muss man Widerspruch ertragen. Aber Hass und Hetze, Anfeindungen, Worte, die in Gewalt münden, sind eines Rechtsstaats unwürdig und erschüttern das politische Klima. Dagegen müssen wir uns wehren.
Dieser Gesetzentwurf ist ein kleiner Bestandteil einer Gesamtstrategie, die wir aufstellen, um den wehrhaften Rechtsstaat zu schützen, meine Damen und Herren. Lassen Sie uns damit zügig beginnen, und lassen Sie uns insgesamt sehr konstruktiv über diese Frage diskutieren.
Herzlichen Dank.
({10})
Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Geehrte Kollegen! Das Irak-Mandat der Bundesregierung war von Beginn an eine Fehlkonstruktion. Im Mandatstext schmückt sich die Bundesregierung mit der militärischen Zerschlagung des IS – ein Erfolg, der durch regionale Kämpfer und die US-Luftwaffe erreicht wurde.
({0})
Dann malt die Bundesregierung die Zukunft des Vielvölkerstaates Irak in den buntesten Farben, als ob es ein Wohnprojekt der AWO sein würde.
({1})
Ist es aber nicht! Der Irak ist ein Staatskonstrukt ohne funktionierende Regierung, in dem sich Dutzende Milizen um die Macht balgen und Regionalmächte einen Stellvertreterkrieg führen, ein Konstrukt, in dem die irakische Staatsbürgerschaft nichts zählt, die Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung und zum Clan aber alles. Ein Mandat, das so unehrlich die Lage vor Ort beschreibt, kann nicht funktionieren.
({2})
Dann nimmt die Bundesregierung neunmal Bezug auf die Bitte der irakischen Regierung und des irakischen Parlaments, die Bundeswehr möge lokale Sicherheitskräfte ausbilden. Es ist die zentrale und auch die einzige rechtliche Legitimation, auf die sich die Bundesregierung bei ihrem Mandat beruft; denn ein Mandat der UNO oder wenigstens ein gemeinsamer Einsatz der NATO kamen nicht zustande. Diese Legitimation wurde nun vom irakischen Parlament widerrufen. Deshalb muss der Bundestag den Irak-Einsatz unserer Soldaten sofort beenden.
({3})
Im Ausschuss haben Regierung und CDU/CSU-Fraktion bereits gezeigt, was sie vom irakischen Parlament halten. Den Beschluss interpretierte die Bundesregierung zu einer „Empfehlung“ um. Ferner sei das Parlament gar nicht zuständig, sondern die irakische Notregierung. Und überhaupt waren für den Geschmack der CDU/CSU zu wenige Abgeordnete bei der Abstimmung zugegen – eine Tatsache, die Sie hier im Bundestag meistens nicht stört.
({4})
Meine Damen und Herren, das Parlamentsbeteiligungsgesetz erlaubt es dem Deutschen Bundestag, der Regierung das Mandat für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr zu entziehen. In diesem Fall ist es nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht: die Pflicht, unsere Soldaten nur in rechtlich gesicherte Einsätze zu entsenden.
({5})
Meine Fraktion stimmte bereits vor drei Monaten geschlossen gegen den Irak-Einsatz, ebenso die Grünen und die Linken; auch die FDP stimmte einheitlich dagegen und zehn Abgeordnete der SPD.
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Die Lage im Irak hat sich seitdem dramatisch verschlechtert. Der Iran hat letzte Woche Mittelstreckenraketen auf Militärstützpunkte der Koalition geschossen. Abfangsysteme sind nicht vorhanden. Lokale Terrorkommandos können jederzeit Anschläge auf die ausländischen Truppenkontingente verüben. Dafür aber sind unsere Soldaten vor Ort nicht gerüstet.
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Jetzt ist die Stunde für unser Parlament, seine Kontrollfunktion wahrzunehmen.
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Wenn die Haushaltsfreigabe das Königsrecht des Parlaments ist, dann ist die Kontrolle der Regierung bei Auslandseinsätzen unserer Soldaten die Königspflicht.
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Wir dürfen nämlich eines nicht vergessen: Es sind junge Männer und Frauen in Uniform, die letzte Woche im Irak in die Bunker laufen mussten, weil sie sich vor iranischen Raketen schützen mussten. Es sind junge Männer und Frauen in Uniform, die das Risiko tragen, von Innentätern oder Milizen angegriffen zu werden. Und dieses Parlament muss dann die Frage beantworten: War es das wert? – Das geht weit über eine gelbe Schleife am Revers hinaus.
({10})
Ich fordere Sie also auf, Ihre Pflicht als Abgeordneter zu tun, unsere Soldaten nach Hause zu holen
(Henning Otte [CDU/CSU]: Das müssen Sie gar nicht! Das wissen wir schon!
und der Regierung das Mandat zu entziehen.
Danke.
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Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Roderich Kiesewetter für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten heute einen Antrag auf Beendigung des Irak-Mandats. Der Antragsteller begründet das wie folgt: Erstens. Es gebe keine ausreichende Legitimität mehr für diesen Einsatz aufgrund der irakischen Parlamentsentscheidung. Zweitens sei die Sicherheitslage durch die Eskalation so, dass wir die deutschen Soldaten aus Sicherheitsgründen abziehen sollten.
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Der Antrag, meine sehr geehrten Damen und Herren, berücksichtigt zwei entscheidende Punkte nicht:
Erstens. Die internationale Gemeinschaft hat sehr klug auf die Eskalation in der Region reagiert und den Ausbildungseinsatz vorübergehend eingestellt, um der irakischen Regierung Zeit für eine Orientierung und uns selbst Zeit für eine Lagebeurteilung zu geben.
Zweitens. Was die Legitimation angeht, ist sehr klar – das ist auch durch das internationale Recht und auch durch die Verfassung des Irak festgestellt –: Zuständig ist die irakische Regierung. Durch die Zurückhaltung unseres Engagements im Moment geben wir der irakischen Regierung auch ausreichend Zeit für eine Bewertung der Parlamentsentscheidung, die nur vom schiitischen Teil des Parlaments getroffen wurde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Unionsfraktion ist das kein Grund, das Mandat zu beenden. Im Gegenteil: Wir lehnen einen deutschen Sonderweg ab – und damit auch diesen Antrag.
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Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen und diese Debatte dafür verwenden, über unser europäisches Interesse nachzudenken. Wir Europäer – wer sind wir? das sind die Europäische Union und die E3, nämlich Frankreich, Großbritannien und die Bundesrepublik – haben ein sehr hohes Interesse, in dieser Region an der Stabilität mitzuwirken. Ich möchte fünf Gründe dafür nennen:
Erstens. Es ist der Irak selbst, der aus einer schiitischen, sunnitischen und kurdischen Bevölkerungsgruppe besteht. Unser Interesse ist es doch, dass diese drei Gruppen verbunden mit vielen anderen Religionen friedvoll zusammenleben. Unser Beitrag ist, dafür zu sorgen, dass der Irak als Land zusammenhält und eine friedvolle Zukunft hat; deswegen sind wir dort.
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Zweitens haben wir ein Interesse, das vom IS-Terror geschüttelte Land zu stabilisieren. Wir sind mit über 60 Staaten und 4 internationalen Organisationen in der Region, um den IS einzudämmen, der schon wieder in regionalen Bereichen sehr intensiv tätig wird. Wir müssen einen Flächenbrand verhindern und deshalb den IS gemeinsam auf der Basis des UN-Mandats bekämpfen.
Unser drittes Interesse ist, dass der Iran die Bedingungen des Nuklearabkommens wieder einhält, und es ist unsere Aufgabe, über das Abkommen hinaus darauf hinzuwirken, dass der Iran die vom Potenzial seiner ballistischen Raketen ausgehende Bedrohung offenlegen muss, dass der Iran öffentlich an den Pranger gestellt wird für die Art und Weise, wie er in einigen Staaten, im Libanon, insbesondere in Syrien, aber auch im Jemen, für Destabilisierung sorgt.
Und wir müssen alles tun – das ist wirklich Ausdruck einer intensiven Sorge –, dass der Iran nicht eskaliert; denn wird er zur Nuklearmacht, werden wir ein nukleares Wettrüsten in der Region haben. Denn auch Saudi-Arabien oder die Türkei oder Ägypten haben ein Interesse daran.
Unser viertes Interesse ist sehr klar, das Existenzrecht Israels zu schützen und den Nahostfriedensprozess voranzutreiben. Diesen werden wir nicht vorantreiben, wenn wir uns aus der Region zurückziehen.
Und unser fünftes Interesse, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist, als Europa dafür zu sorgen, dass die USA wieder mitwirken, ihre risikoreiche Politik aufgeben und die regelbasierte internationale Ordnung unterstützen. Dieses Interesse müssen wir als Europäer unserem engsten Verbündeten, den USA, näher bringen als bisher. Deswegen begrüßen wir als CDU/CSU-Fraktion auch die Initiative der E3.
Von daher führt dieser Antrag bei Weitem nicht in die von uns geforderte politische Richtung eines starken europäischen Engagements. Wir lehnen den Antrag ab und sind für eine stärkere europäische Präsenz, wenn Irak es wünscht.
Danke schön.
({3})
Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Alexander Müller.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen zur Befähigung der irakischen und kurdischen Kräfte zur Bekämpfung des IS. Heute sprechen wir über ein Mandat, welches die FDP abgelehnt hatte, weil es nicht mit der NATO koordiniert ist. Die Ausbildung der lokalen Armee macht im internationalen Verbund viel mehr Sinn, wenn sie konzeptionell miteinander abgestimmt wird – anstatt isolierter und unabgestimmter Aktionen.
({0})
Die Resolution des irakischen Parlaments ist für das Mandat rechtlich nicht bindend; denn es handelt sich um eine reine Empfehlung an die Regierung. Jeder Satz beginnt mit den Worten: „Wir appellieren an die Regierung …“, und diese Regierung bat uns um Ausbildungsunterstützung. Ausgerechnet die AfD-Fraktion, die uns hier ständig mit Hammelsprüngen ärgern will, die mit überraschenden namentlichen Abstimmungen nach Mitternacht provoziert, die die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages bis zur Grenze ausreizt,
({1})
will nicht in der Lage sein, die rechtliche Bedeutung dieser Resolution zu erkennen? Das ist bemerkenswert.
({2})
Es war richtig von der Bundesregierung, unsere Truppen aus Tadschi und Bagdad nach Jordanien zu verlegen und dort die weitere Entwicklung zu beobachten. Es hat sich dabei wieder gezeigt, wie wichtig der Stützpunkt in Jordanien ist – gerade für die schnelle Evakuierungsoperation, die wir auch anderen verbündeten Soldaten anbieten konnten. Über genau diesen Jordanien-Anteil, den die Bundesregierung Ende März beenden will, müssen wir uns unterhalten und nicht darüber, die Menschen im Irak und in Kurdistan jetzt mit einem wieder erstarkenden IS alleine zu lassen.
({3})
Es war und ist ein Fehler der Bundesregierung, den Fokus jetzt auf die gefährlichen Bodenaktivitäten in Tadschi und Bagdad zu setzen und die überaus erfolgreiche Luftaufklärung und ‑betankung vom sicheren Standort in Jordanien in Kürze ohne Not einstellen zu wollen. Die Verteidigungsministerin sagte letzte Woche, dass sie mit der Union zu einer Verlängerung des Jordanien-Anteils bereit wäre, es allerdings am Koalitionspartner scheitere. Derweil sagte Außenminister Maas zur gleichen Zeit, dass auch er es für überlegenswert hält, weiterhin mit deutschen Soldaten in Jordanien präsent zu sein und die Luftaufklärung fortzusetzen.
({4})
Der Außenminister und die Verteidigungsministerin sind also beide der Meinung, dass dieses Engagement sinnvoll ist. Und doch schaffen sie es beide nicht, die Koalitionsfraktionen davon zu überzeugen.
Frau Ministerin, Herr Minister, hier könnten Sie Vorbildliches für die Sicherheit im Nahen Osten erreichen.
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Stattdessen werden mehr und mehr Einsätze auf der ganzen Welt ins Gespräch gebracht. Und robuster sollen sie künftig sein, so die Frau Ministerin. Kümmern wir uns doch erst mal um die Einsätze, bei denen wir für die Bevölkerung und für die Sicherheit sehr viel erreichen können – ohne große Risiken für unsere Soldaten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Irak-Mandat in dieser Form haben wir Freie Demokraten abgelehnt. Wir sehen aber auch: Dieses Haus hat dem Mandat eine parlamentarische Mehrheit gegeben, und das respektieren wir als Demokraten. Wir werden heute keinen überstürzten Abzug unterstützen.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. – Nächster Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Dr. Daniela De Ridder.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Lage im Irak ist sehr ernst. Und wer kann es dem irakischen Parlament verdenken, dass es dort große Irritationen gibt, wenn Soleimani auf irakischem Boden durch die USA ermordet wird? Das sind die Tatsachen. In der Tat war ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folge daraus, dass das Parlament sich entschied, den sofortigen Abzug der Mission zu fordern.
Nun muss man aber der AfD sagen: Wir haben Bündnispartner, Herr Lucassen, im Irak. Sich einfach zu verdrücken, wenn es brenzlig wird, ist unsere Sache nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Vielmehr hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie den Soldatinnen und Soldaten, die dort mutig ihren Dienst verrichten, einmal mehr danken; denn das ist das, was hier in diesem Hause ausgesprochen werden muss.
({1})
Und gegen die Mythen, die Sie verbreiten – auch in Ihrem Antrag, den wir selbstverständlich ablehnen werden –, helfen Fakten. Worum, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es hier eigentlich? Ja, es geht um eine Ausbildungs- und Trainingsmission, um ein Mandat, das den irakischen Streitkräften als Hilfe zur Selbsthilfe dienen soll. Auch das ist ein Teil der Sicherheitspolitik, die wir in diesem unserem Lande benötigen. Es ist ein Teil der Anti-IS-Missionen, die umso wichtiger sind, je größer die Terrorgefahr im Nahen und Mittleren Osten ist. Das ist etwas, was wir sehr ernst nehmen sollten und hier nicht mit Lügenanträgen in Abrede stellen sollten.
Im Übrigen sind wir dort auch nicht alleine. Das Anti-Daesh-Mandat wird nicht nur gestützt von den USA und Deutschland; es sind dort auch Länder wie Großbritannien, Kanada und Spanien vertreten. Es ist richtig, dass Heiko Maas, um auch hier den Mythen der FDP nicht den Boden zu bereiten, gesagt hat – das ist eine der Kernaussagen –, dass wir selbstverständlich, wenn uns die irakische Regierung dort nicht haben will und den Beschluss des Parlamentes nachvollzieht – auch das gehört dazu; Sie haben ja gesagt, es hat einen starken Appellcharakter –, unsere Soldatinnen und Soldaten von dort abziehen. Wir werden nirgendwo Mandate erhalten, wo wir nicht willkommen und nicht erwünscht sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das hat der Außenminister in aller Deutlichkeit betont.
({2})
Es ist aber auch richtig, dass wir, wenn wir über die Situation im Nahen Osten nachdenken, insbesondere auch über die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten nachdenken müssen. Und es sind auch – das hat die Bundesregierung deutlich gemacht – schon Soldatinnen und Soldaten aus Sicherheitsgründen nach Jordanien und Kuwait verlegt worden.
Uns hier Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen, meine Herren und Damen von der AfD, ist ein ungeheuerlicher Anwurf, der mit Sicherheitspolitik seriöser Natur nichts im Sinne hat.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. Alexander Neu.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Linke fordert den unverzüglichen Abzug der Bundeswehr aus dem Nahen und Mittleren Osten.
({0})
Von Anfang an haben wir erkannt, dass der Kampf gegen den IS immer auch den Willen Deutschlands beinhaltet, sich in der Region dauerhaft festsetzen zu wollen. Die ständigen Erklärungen – auch heute wieder –, der IS sei nicht hinreichend besiegt, dienen nämlich als Begründung, um dort bleiben zu können. Die Einschätzung des Westens steht konträr zu den Einschätzungen Iraks, Syriens und Irans. Auch die Resolution des irakischen Parlaments besagt, dass der IS besiegt sei. Diese drei Staaten verneinen vehement die Gefahr eines behaupteten Machtvakuums, wenn der Westen abzöge. Im Gegenteil: Der Abzug des Westens als Chaosverursacher Nummer eins in der Region erhöhe vielmehr die Chancen auf eine Stabilisierung der Region. So diese drei Staaten.
Was machen die USA? Die USA verweigern den Abzug und drohen dem Irak offen mit Konsequenzen. Die Bundesregierung macht es etwas subtiler: Sie übt Druck auf die irakische Regierung hinter verschlossenen Türen aus, damit die Bundeswehr bleiben kann. Ich kann nur sagen: Es ist unfassbar, wie hier mit dem Irak umgegangen wird.
({1})
Fakt ist doch: Verbleiben ausländische Streitkräfte im Irak gegen den Willen des Iraks, so wäre das eine militärische Besetzung des Iraks – so auch das Ergebnis eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. Ein weiteres Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages stimmt auch unserer Position zu, dass die Tötung Soleimanis nicht vom Völkerrecht gedeckt ist und somit einen heimtückischen Mord darstellt.
({2})
Was macht die Bundesregierung? Die Bundesregierung äußert ständig ein an Zustimmung heranreichendes Maß an Verständnis für diesen Mord.
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Zur Erinnerung: Deutschland ist gegen die Todesstrafe und gegen den Terrorismus. Was macht die Bundesregierung? Sie liefert eine politische und rechtliche Bankrotterklärung.
Dieser Mord, sehr geehrte Damen und Herren, ist Staatsterrorismus erster Klasse, begangen durch die USA.
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Vieles spricht dafür, dass der US-Militärstützpunkt Ramstein dabei eine wesentliche Rolle spielt. Wir fragten die Bundesregierung, und sie erklärte, sie habe die USA gefragt, aber die USA antworte nicht. Fällt der Bundesregierung irgendetwas auf? Fällt ihr auf, dass der Gast USA die Auskunft gegenüber dem Gastland Deutschland verweigert, was sie auf deutschem Territorium treiben? Nein, es fällt nicht auf. Stattdessen spricht die Bundesregierung ihr vollstes Vertrauen gegenüber den USA aus. Wie naiv kann man nur sein?
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Das ist ein Armutszeugnis deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, sehr geehrte Damen und Herren. Ich möchte an dieser Stelle nur mal an den Amtseid der Kanzlerin erinnern. Er lautet nicht: Deutschland dient den USA.
Sehr geehrte Damen und Herren, Die Linke fordert daher neben dem Abzug der Bundeswehr aus der Region die Schließung aller US-Militärstützpunkte in Deutschland. Beginnen wir mit Ramstein!
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Die Linke hat auch einen Abzugsantrag gestellt. Leider hat die AfD verhindert, dass unser Antrag ihrem Antrag beigelegt wird. Das ist ein Eingeständnis der AfD, dass unser Antrag der bessere ist.
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Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Dr. Tobias Lindner.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grüne haben uns immer dazu bekannt, den Bürgerinnen und Bürgern im Irak zu helfen. Dazu hat für viele in meiner Fraktion auch gehört, dass es sinnvoll sein kann, militärische Ausbildung zu unterstützen. Aber Sie haben den Sonderweg gewählt, in eine Koalition der Willigen einzutreten und ein Mandat zu verabschieden, das weder verfassungsrechtlich noch völkerrechtlich gedeckt ist. Nach dem, was in den letzten Tagen passiert ist, fällt Ihnen dieses Mandat jetzt auf die Füße, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Um es klar und deutlich zu sagen: Wir werden auch in Zukunft den Irak unterstützen müssen. Dazu gehört auch eine Reform des Sicherheitssektors im Rahmen des Staatsaufbaus. Aber wenn eines klar geworden ist, dann ist es doch, dass die militärische Ausbildung bei der Reform des Sicherheitssektors im Irak nicht an erster Stelle steht. Sie ist doch nicht das Allerdringendste, sondern vielleicht – unter gewissen Umständen – das letzte Element einer Kette von Dingen, die man angehen muss, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was man in erster Linie machen muss, sind politische Reformen. Was man in erster Linie wieder hinbekommen muss, ist, die fragile Balance zwischen Kurden, Sunniten und Schiiten im Irak auszutarieren, statt jetzt einfach so zu tun, als gäbe es hier nur ein paar Sicherheitsbedenken und man könne mit der Ausbildung so weitermachen, als wäre in den letzten Wochen im Irak nichts geschehen.
({1})
Insofern störe ich mich, ehrlich gesagt, auch an den Interpretationen, die es jetzt zu der Resolution des irakischen Parlaments gibt. Erstens. Das Parlament war beschlussfähig. Zweitens. Dieser Beschluss ist gültig.
({2})
Und drittens, liebe Kolleginnen und Kollegen
({3})
– das ist politisch noch viel wichtiger –: Wenn im Ergebnis eine nicht irrelevante Volksgruppe im Irak, vertreten durch die schiitischen Abgeordneten, sagt: „Wir erwarten, dass die ausländischen Truppen das Land verlassen“, dann entzieht das auch die politische Grundlage für ein weiteres Engagement der Bundeswehr in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wenn die Bundesregierung ihre eigene Position ernst nimmt, dass der Irak ein Land ist, und weiter dafür arbeiten will und die Ausbildung ohnehin ausgesetzt ist, dann kann man nicht aus Tadschi abziehen und in Erbil bleiben. Man muss sich vielmehr klarmachen: Die Ausbildung ist ausgesetzt; es gibt im Moment keinen vernünftigen Grund, mit Bundeswehrangehörigen in Erbil zu bleiben. Unsere Sicherheitsverantwortung für die Angehörigen der Bundeswehr gebietet es auch, sie von dort zu evakuieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Nun ein letzter Punkt zum Antrag der AfD. Ich glaube, Sie wissen gar nicht so recht, was Sie wollen, um ehrlich zu sein.
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Sie überschreiben diesen Antrag mit „Erneute Abstimmung über das Mandat“ – Sie kündigten ja auch letzte Woche vor der Presse an, Sie wollten eine erneute Abstimmung –, gleichzeitig haben Sie, Herr Lucassen, dieses Mandat gerade in Bausch und Bogen abgelehnt und schreiben im Antrag ja auch, dass die Zustimmung zurückgezogen werden solle. Ihnen geht es doch gar nicht um die Lösung irgendwelcher Probleme;
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Ihnen geht es um das, was Sie in diesem Haus ständig wollen, nämlich Chaos stiften.
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Daran werden wir uns nicht beteiligen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Erndl für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich feststellen, dass wir in der Region vieles gut auf den Weg gebracht haben. Wir haben auf der einen Seite die Anti-IS-Koalition mit Aufklärungsflügen und Luftbetankung unterstützt sowie Ausbildungsmissionen durchgeführt. Auf der anderen Seite haben wir knapp 2 Milliarden Euro in den letzten fünf Jahren in humanitäre Hilfe, Ausbildung und Wiederaufbau investiert. Ich danke allen Soldatinnen und Soldaten und auch den zivilen Kräften, die hier im Einsatz waren und im Einsatz sind.
Das Erreichte gilt es zu sichern, aber nun müssen wir selbstverständlich die sich aufgrund der jüngsten Entwicklungen ergebende neue Sicherheitslage entsprechend auswerten. Es war richtig, dass wir das Ausbildungskontingent aus Tadschi abgezogen haben. Lieber Kollege Lindner, ich glaube, es wäre ein fatales Signal, wenn wir uns jetzt auch voreilig aus Erbil zurückziehen würden.
({0})
Denn gleichzeitig bleibt es wichtig, der Verantwortung in der Region gerecht zu werden. Deswegen müssen wir die Situation genau bewerten und dürfen keine voreiligen und reflexhaften Beschlüsse fassen.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der AfD, einen Antrag mit ein paar Zeilen vorzulegen, das wird der Ernsthaftigkeit der Lage nicht gerecht. Sie müssen sich schon entscheiden: Sie wollen auf der einen Seite die Flüchtlinge, die hier in Deutschland untergekommen sind, in den Irak zurückschicken, aber wenn es um die Sicherheit vor Ort geht, dann stecken Sie auf der anderen Seite den Kopf in den Sand. Das ist keine Politik, sondern das ist billiger Populismus. Das hat mit seriösem Vorgehen wirklich nichts zu tun.
({1})
Selbstverständlich respektieren wir die Souveränität und Entscheidungsprozesse der irakischen Politik; das ist gar keine Frage. Das Votum des irakischen Parlaments haben wir zur Kenntnis genommen. Es zeichnet sich in diesen Stunden allerdings ab, dass die irakische Regierung unser Engagement weiterhin befürwortet, und das ist das Entscheidende. Ich glaube, dass die Gespräche unserer Bundesverteidigungsministerin vor Ort weitere Klarheit bringen. Deswegen stehen wir zu unseren Zusagen. Wir stehen zu dem Mandat, so wie es dieses Haus vor zwei Monaten beschlossen hat.
Deutschland hat klare Interessen in der Region. Wir wollen eine rasche Deeskalation, wir wollen langfristige Stabilität, wir wollen keine weiteren Fluchtbewegungen nach Europa. Es geht hier auch um unsere Sicherheit. Deshalb muss der „Islamische Staat“ weiter bekämpft werden. Deshalb müssen wir mit dem Iran ernsthaft über seine destabilisierende Rolle in der Region sprechen. Vor allem darf der Irak kein Vasall Teherans werden. Wir müssen jetzt die Regierung in Bagdad darin unterstützen, die Souveränität des Landes sicherzustellen, Reformen voranzutreiben und die Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung zu schaffen. Ein Abzug wäre wirklich ein fatales Signal an alle Partner in der Region.
Wir brauchen jetzt nicht weniger, sondern mehr deutsches und mehr europäisches Engagement; die E 3 sind schon mehrfach angesprochen worden. Mehr muss bedeuten: größeres diplomatisches Engagement, größeres wirtschaftliches Engagement und schließlich auch größeres sicherheitspolitisches Engagement. Lassen Sie uns hier eine verantwortungsvolle und ehrliche Debatte über unsere Rolle in der Region führen und keine populistischen Scheindebatten. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr. Der AfD-Antrag ist abzulehnen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion der SPD die Kollegin Siemtje Möller.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt ein Antrag der AfD-Fraktion vor, der so nützlich ist wie ein Kropf. Aber was will man von Ihnen auch sonst erwarten?
({0})
Nicht nur haben heute in der vorherigen Debatte alle Fraktionen in intensiven 75 Minuten die unterschiedlichen Meinungsfacetten zu diesem Thema dargestellt. Hinzu kommen auch noch die Sondersitzungen der befassten Ausschüsse, letzte Woche namentlich Verteidigungsausschuss und Auswärtiger Ausschuss, und diese Woche die regulären Sitzungen dieser Ausschüsse. Nein, es ist eigentlich gar kein Antrag, der, wenn wir ehrlich sind, in irgendeiner Form einen Beitrag zur Lösung leisten will, sondern der sich ausschließlich an irregeleitete AfD-Fans richtet, ja, Chaos, Angst und Leid in der Region für parteipolitische Zwecke benutzt.
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Er ist zudem hochgefährlich; denn nichts, wirklich gar nichts braucht der Irak weniger als zusätzliche Unsicherheit und Instabilität, nichts anderes bedeutet Ihr Antrag, und nichts anderes wären die Folgen, wenn wir jetzt Hals über Kopf abziehen würden.
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Unser Engagement im Irak basiert auf sogenannten Verbalnoten, also einem schriftlichen Austausch auf Regierungsebene. Das irakische Parlament hat in der mittlerweile berühmt gewordenen Resolution folgerichtig die irakische Regierung aufgefordert – wenn man so will –, ein Abzugsszenario für die internationalen Kräfte zu entwickeln, nicht mehr und auch nicht weniger. Die irakische Regierung sucht nun einen Weg zum Umgang mit dieser Resolution. Sie wird uns bzw. unsere Regierung über ihre Entscheidung informieren, ob wir gehen sollen oder bleiben dürfen.
Die Bewertung der Situation in der irakischen Bevölkerung und den unterschiedlichen staatlichen Behörden ist überhaupt nicht eindeutig, anders als Ihr Antrag suggeriert. Der kommissarische irakische Premierminister Al-Mahdi schließt sich der Resolution an, der Präsident hingegen befürwortet weiterhin die internationale Präsenz und Unterstützung im Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“, genauso wie der irakische Verteidigungsminister.
Ich möchte festhalten: Selbstverständlich werden wir unser Engagement beenden, sollte die Einladung erlöschen. Aus unserer Sicht allerdings sind der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und die Stabilisierung des Iraks weiterhin nicht vollendet. Unser Angebot zur Unterstützung des Iraks steht weiterhin.
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Zweitens. Uns alle hat die Sicherheitslage unserer Soldatinnen und Soldaten besorgt. Es war absolut richtig, unsere Kräfte aus Tadschi zu verlegen. Nichtsdestotrotz, die Situation in Erbil ist eine vollkommen andere. Die Erkenntnisse zu dem einen Raketenanschlag dort lassen keinen Schluss auf eine erhöhte Bedrohungslage zu, zumindest ist das im Moment so.
Auch wenn es schwerfallen mag, insbesondere angesichts der aufgeheizten und heiklen Lage: Kluges außenpolitisches Handeln erfordert Verlässlichkeit und Besonnenheit. Genau dafür steht die SPD, dafür steht unser Außenminister Heiko Maas, aber nicht der vorgelegte Antrag, den wir aus den genannten Gründen ablehnen.
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Vielen Dank. – Letzte Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Gisela Manderla.
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Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Antrag, mit dem wir uns heute befassen, bezieht sich auf das Mandat „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Irak“. Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen: Hierbei unterstützt die Bundesrepublik Deutschland den Irak, die internationale Anti-IS-Koalition und die regionalen Partner im Kampf gegen den IS gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen im Rahmen der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Ziel ist es, einen Beitrag zum Fähigkeitsaufbau des Iraks zu leisten – auf Bitten und im Einvernehmen mit der irakischen Regierung.
Zurzeit beteiligt sich die Bundeswehr an einer internationalen Ausbildungsmission in Erbil mit dem Ziel, den Irak zu stabilisieren. Diese Ausbildungsmission ist keineswegs ausgesetzt, sondern sie findet wegen des Angriffs zurzeit nur nicht statt. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie dieses internationale Camp in Erbil eröffnet wurde, zusammen mit der OASE, und weiß, dass die internationalen Partner dort wirklich sehr gut zusammenarbeiten.
Die rechtliche Grundlage für die Stationierung unserer Truppen im Irak war eine förmliche Einladung der irakischen Regierung im Jahr 2014. Und diese Einladung, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist bis jetzt nicht zurückgenommen worden. Der Beschluss des irakischen Parlaments, der heute hier schon mehrere Male angesprochen wurde, wurde von den meisten sunnitischen und kurdischen Abgeordneten boykottiert, und das Quorum wurde nur sehr knapp erreicht. Natürlich ist diese Resolution eine Resolution eines demokratisch legitimierten Parlaments, und diese Resolution muss auch respektiert werden. Aber die irakische Regierung muss einen entsprechenden Beschluss fassen. Das ist die derzeitige Situation.
Wir müssen uns jetzt damit befassen, wie es weitergeht. Darauf müssen wir uns konzentrieren.
({0})
Ein abrupter und unkoordinierter Abzug wäre kontraproduktiv, um es diplomatisch auszudrücken. Deshalb führt die Bundesregierung derzeit Gespräche mit allen unseren Partnern. Ich bin unserer Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sehr dankbar, dass sie auch heute wieder im Irak ist, um Gespräche zu führen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Anzahl der Terroranschläge des IS ist leider wieder gestiegen, und der Abzug aller ausländischen Truppen würde ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, welches der IS sofort füllen würde. Der IS wartet doch nur auf eine Gelegenheit, in solchen Räumen erneut nach territorialer Kontrolle zu greifen. Das wäre dann der Nährboden für die Wiederausbreitung der Terrororganisation. Auch die Auswirkungen in Europa, meine Damen und Herren, haben wir in den letzten Jahren sehr, sehr schmerzvoll erfahren müssen. Das kann auch nicht in Ihrem Interesse sein, liebe Antragsteller und Antragstellerinnen. Diese Gefahr dürfen wir nicht unterschätzen. Der IS darf nicht in den Nahen Osten zurückkehren; er muss zurückgedrängt werden. Deshalb werden wir heute Ihren Antrag ablehnen.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich freue mich, dass ich Ihnen heute den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rahmenbedingungen luftsicherheitsrechtlicher Zuverlässigkeitsüberprüfungen vorstellen kann. Schon in den ersten Tagen dieses noch sehr jungen Jahres 2020 ist uns in sehr eindringlicher und auch sehr brutaler Weise vor Augen geführt worden, welch schreckliches Ausmaß der Abschuss eines Passagierflugzeuges zur Folge hat: zum einen eine eminent große Opferzahl, zum anderen eine große Verunsicherung und die Verbreitung von Angst und Schrecken nicht nur in dem Land, in dem das Flugzeug abgeschossen wurde, sondern weltweit.
Dieses Ereignis zu Beginn dieses Jahres, der Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeuges durch den Iran, hat uns gezeigt, dass der zivile Luftverkehr nach wie vor ein hochattraktives Ziel auch für Terroristen bleibt. Deshalb war es richtig, dass der Deutsche Bundestag im Jahr 2004 das Luftsicherheitsgesetz verabschiedet hat, das im Januar 2005 in Kraft getreten ist. Denn auch wenn die Sicherheitsvorkehrungen sehr hoch sind, ist nach wie vor klar, dass auch die noch so guten und qualitativ hochwertigen Sicherheitsanforderungen umgangen werden können. Deshalb ist es richtig, dass seit Januar 2005 insbesondere Mitarbeiter an Flughäfen, aber auch Piloten luftsicherheitsüberprüft werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den letzten Monaten gesehen, dass es an der einen oder anderen Stelle noch durchaus Defizite gibt. Deshalb hat die Bundesregierung hier akkurat gehandelt und diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.
Ich habe es erwähnt: Gerade auch von Flughäfen geht eine abstrakte Gefahr aus. Sie sind ein hochsensibles Angriffsziel.Insbesondere von potenziellen Innentätern, also von Mitarbeitern, die über die Abläufe und über die Verfahren an Flughäfen bestens Bescheid wissen, geht natürlich eine gewisse Gefahr aus. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass Luftsicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden.
Wir haben aber ein Defizit dahin gehend festgestellt, dass in die Luftsicherheitsüberprüfungen, die durch die Luftsicherheitsbehörden der Länder durchgeführt werden, bislang noch nicht sicherheitsrelevante Informationen, beispielsweise der Bundespolizei oder auch des Zollkriminalamtes, mit einfließen. Deshalb sieht dieser Gesetzentwurf vor, dass in Zukunft in die Gesamtabwägung der Luftsicherheitsüberprüfung auch sicherheitsrelevante Informationen, beispielsweise der Bundespolizei, des Zollkriminalamtes, aber auch Erkenntnisse aus dem Erziehungsregister und aus dem Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister, mit einfließen können, um dann den Luftsicherheitsbehörden die Feststellung zu erleichtern, ob die Zuverlässigkeit gegeben ist oder eben auch nicht.
Ein zweiter, wesentlicher Inhalt dieses Gesetzentwurfes ist es, dass wir die Länder damit in die Lage versetzen, in Zukunft ein gemeinsames Luftsicherheitsregister zu schaffen. Was ist der Mehrwert dieses gemeinsamen Luftsicherheitsregisters? Dass zwischen den Luftsicherheitsbehörden der Länder ein ordentlicher Informationsaustausch stattfinden kann, beispielsweise darüber, dass Bescheinigungen der Zuverlässigkeit abgelaufen sind. Es gibt theoretisch natürlich auch die Möglichkeit, dass hier Missbrauch getrieben wird, dass Bescheinigungen gefälscht werden, dass Bescheinigungen, wie gesagt, nach ihrem Fristablauf weiterverwendet werden.
Mit diesem gemeinsamen Luftsicherheitsregister soll die Zusammenarbeit zwischen den Ländern erleichtert, modernisiert und verbessert werden. Wir versprechen uns gerade auch von diesem gemeinsamen Luftsicherheitsregister, das die Länder ins Werk setzen können, einen erheblichen Sicherheitsgewinn.
Ich weiß, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, dass diese Luftsicherheitskontrollen insbesondere bei Privatpiloten für Ärger und Unmut sorgen, dass diese Kontrollen teilweise nicht nachvollzogen werden können. Ich möchte aber an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass mit diesen Luftsicherheitsüberprüfungen natürlich kein Generalverdacht ausgesprochen wird. Ganz im Gegenteil: Das Ergebnis der Luftsicherheitsüberprüfungen ist bei dem überwiegenden Teil gerade der Privatpiloten so, dass die Zuverlässigkeit bestätigt wird.
Aber man muss natürlich auch im Auge haben, dass nicht nur von großen Passagierflugzeugen eine potenzielle Gefahr ausgeht. Auch von Kleinflugzeugen kann durchaus eine Gefahr ausgehen, beispielsweise wenn sie vollgetankt oder mit Sprengstoff beladen sind. Deshalb bin ich der festen Überzeugung – das hat ja auch die Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichtes als auch des Bundesverwaltungsgerichtes bestätigt –: Diese Luftsicherheitsüberprüfung ist auch bei den Privatpiloten sachgerecht. Wir ergänzen sie jetzt mit diesem Gesetzentwurf dahin gehend, dass die Luftsicherheitsüberprüfung nicht erst nach dem erfolgreichen Abschluss der Pilotenausbildung durchgeführt wird, sondern dass sie schon zu Beginn der Ausbildung von angehenden Privatpiloten stattfindet.
Das ist aus meiner Sicht im Sinne aller Beteiligten. Das ist im Sinne der Luftsicherheitsbehörden, um möglichst frühzeitig die Personen zu Gesicht zu bekommen, die vorhaben, Privatpiloten zu werden. Aber es ist aus meiner Sicht auch im Sinne der angehenden Privatpiloten, schon vor Beginn der Ausbildung zu wissen, ob sie für den Fall, dass sie die Ausbildung positiv und erfolgreich abschließen, auch die Zuverlässigkeitsüberprüfung bestehen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf sehr positiv geäußert hat. Ich erwarte mir von diesem Gesetz eine deutliche Steigerung des Sicherheitsniveaus im zivilen Luftverkehr und hoffe deshalb nicht nur auf konstruktive und gute Beratungen hier im Parlament, sondern am Ende auch auf eine breite Zustimmung im Deutschen Bundestag.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Thomas Ehrhorn für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Neben dem Regierungsentwurf müssen wir heute vor allen Dingen auch über den Antrag der FDP-Fraktion reden, der darauf ausgerichtet ist, Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz für Privatpiloten und Luftsportler abzuschaffen. Zur Information für die Zuschauer zu Hause: Der Gesetzgeber fordert sie zurzeit für alle Personen, die nicht nur gelegentlich Zugang zu den Sicherheitsbereichen eines Flughafens haben. Und dass das grundsätzlich erst einmal mehr als berechtigt ist, zeigen die Terroranschläge des 11. September.
Nun möchte die FDP die Privatpiloten von dieser Regelung ausnehmen. Die Frage, die sich erst einmal stellt, ist folgende: Warum nicht auch für die Flughafenfeuerwehr? Warum nicht für die Loader, die für die Urlaubsflieger die Koffer ein- und ausladen? Warum nicht für das Personal der Flugsicherung? Die Antwort wurde beim Lesen eines Artikels in einem Fliegermagazin sehr schnell klar. Dort gibt es in der Tat eine relativ hitzige Diskussion der Privatpiloten über Sinn und Unsinn dieser Überprüfungen. Und ja: Einige Privatpiloten fühlen sich durch diese Regelung, ich will mal sagen, ein wenig angegriffen oder halten sie für unsinnig.
An dieser Stelle wird dann auch klar, was sich wirklich hinter dem FDP-Antrag verbirgt. Die FDP tut das, was sie eigentlich immer tut und was sie am besten kann: Sie betreibt nämlich Klientelpolitik – gestern Vergünstigungen für Hoteliers, heute für Privatpiloten.
({0})
Die Begründung, man könne mit einem Sportflugzeug wegen des relativ geringen Gewichtes keinen wirklich erheblichen Schaden anrichten, gründet natürlich auf einem erschreckenden Maß von Unkenntnis.
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Ich habe in meiner jahrelangen Praxis als Vermessungspilot immer wieder erlebt, dass Sportflugzeuge teilweise mit ausgeschaltetem Transponder in Lufträume eingeflogen sind, in denen sie wirklich gar nichts zu suchen hatten
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und für teilweise dramatische Near-Miss-Ereignisse gesorgt haben. Und natürlich ist es möglich, mit einem Sportflugzeug zum Beispiel in den Anflugsektor eines Verkehrsflughafens einzufliegen und dort durchaus auch einen Airbus vom Himmel zu holen, sei es aus verantwortungslos schlechter Flugvorbereitung oder eben auch absichtsvoll.
Und deshalb: Leute, die Flugzeuge fliegen wollen, tragen ein besonderes Maß an Verantwortung.
({3})
Deswegen ist ihnen auch zuzumuten, in einem besonderen Maß zuverlässig zu sein. Leute, die zum Beispiel alkohol- oder drogenabhängig sind, Leute, die nicht unerhebliche Straftaten begehen oder die sich dem IS nahe fühlen, gehören weder in das Cockpit eines Luftfahrzeugs – auch nicht eines Sportflugzeuges –, und sie gehören schon gar nicht in den Sicherheitsbereich eines Flughafens.
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Deshalb – und das sage ich jetzt explizit den Kollegen der fliegenden Zunft –: Liebe Kollegen, eine Sicherheitsüberprüfung dieser Art alle paar Jahre, die zwischen 45 und 50 Euro kostet, ist durchaus zumutbar, und die Angst, man könnte danach die Lizenz verlieren, ist unbegründet. Ich habe Hunderte von Piloten im Laufe meiner Laufbahn kennengelernt, ich habe viele als Fluglehrer selbst ausgebildet, und mir ist nicht ein einziger Fall dieser Art bekannt geworden.
Deswegen, meine Damen und Herren, sage ich an dieser Stelle, dass wir uns entscheiden müssen, welche Art von Politikern dieses Land zukünftig regieren soll: diejenigen, die Lobbyisten sind und Klientelpolitik betreiben, oder diejenigen, die ihre Verantwortung für dieses Land und die Menschen ernst nehmen.
Vielen Dank.
({5})
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Drucksache 19/16482 bekannt: abgegebene Stimmkarten 632. Mit Ja stimmten 85 Abgeordnete, mit Nein 545. 2 Abgeordnete haben sich enthalten. Der Antrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 632;
davon
ja: 85
nein: 545
enthalten: 2
Ja
AfD
Dr. Bernd Baumann
Marc Bernhard
Andreas Bleck
Peter Boehringer
Stephan Brandner
Jürgen Braun
Marcus Bühl
Matthias Büttner
Petr Bystron
Tino Chrupalla
Joana Cotar
Dr. Gottfried Curio
Thomas Ehrhorn
Berengar Elsner von Gronow
Dr. Michael Espendiller
Peter Felser
Dietmar Friedhoff
Dr. Anton Friesen
Markus Frohnmaier
Dr. Götz Frömming
Dr. Alexander Gauland
Dr. Axel Gehrke
Albrecht Glaser
Franziska Gminder
Wilhelm von Gottberg
Armin-Paulus Hampel
Mariana Iris Harder-Kühnel
Dr. Roland Hartwig
Jochen Haug
Martin Hebner
Udo Theodor Hemmelgarn
Waldemar Herdt
Martin Hess
Dr. Heiko Heßenkemper
Karsten Hilse
Nicole Höchst
Dr. Bruno Hollnagel
Leif-Erik Holm
Johannes Huber
Fabian Jacobi
Jens Kestner
Stefan Keuter
Norbert Kleinwächter
Enrico Komning
Jörn König
Steffen Kotré
Dr. Rainer Kraft
Rüdiger Lucassen
Frank Magnitz
Jens Maier
Dr. Lothar Maier
Dr. Birgit Malsack-Winkemann
Corinna Miazga
Andreas Mrosek
Hansjörg Müller
Volker Münz
Sebastian Münzenmaier
Jan Ralf Nolte
Ulrich Oehme
Gerold Otten
Frank Pasemann
Tobias Matthias Peterka
Paul Viktor Podolay
Jürgen Pohl
Stephan Protschka
Martin Reichardt
Martin Erwin Renner
Roman Johannes Reusch
Ulrike Schielke-Ziesing
Dr. Robby Schlund
Jörg Schneider
Uwe Schulz
Thomas Seitz
Martin Sichert
Detlev Spangenberg
Dr. Dirk Spaniel
René Springer
Dr. Alice Weidel
Dr. Harald Weyel
Wolfgang Wiehle
Dr. Heiko Wildberg
Dr. Christian Wirth
Uwe Witt
Fraktionslos
Lars Herrmann
Dr. Frauke Petry
Nein
CDU/CSU
Dr. Michael von Abercron
Stephan Albani
Norbert Maria Altenkamp
Philipp Amthor
Artur Auernhammer
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Melanie Bernstein
Christoph Bernstiel
Peter Beyer
Marc Biadacz
Steffen Bilger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Michael Brand (Fulda)
Dr. Reinhard Brandl
Silvia Breher
Sebastian Brehm
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Dr. Carsten Brodesser
Gitta Connemann
Astrid Damerow
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Thomas Erndl
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Eckhard Gnodtke
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Thomas Heilmann
Frank Heinrich (Chemnitz)
Mark Helfrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Marc Henrichmann
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Erich Irlstorfer
Andreas Jung
Ingmar Jung
Alois Karl
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Michael Kießling
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Michael Kuffer
Dr. Roy Kühne
Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Jens Lehmann
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Nikolas Löbel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Saskia Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Dr. Astrid Mannes
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Axel Müller
Dr. Gerd Müller
Sepp Müller
Carsten Müller (Braunschweig)
Stefan Müller (Erlangen)
Dr. Andreas Nick
Petra Nicolaisen
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Josef Oster
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Joachim Pfeiffer
Stephan Pilsinger
Dr. Christoph Ploß
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Stefan Rouenhoff
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Stefan Sauer
Anita Schäfer (Saalstadt)
Dr. Wolfgang Schäuble
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)
Dr. Claudia Schmidtke
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Torsten Schweiger
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Björn Simon
Tino Sorge
Jens Spahn
Katrin Staffler
Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Andreas Steier
Peter Stein (Rostock)
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Dr. Peter Tauber
Dr. Hermann-Josef Tebroke
Hans-Jürgen Thies
Alexander Throm
Antje Tillmann
Markus Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Kerstin Vieregge
Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Christoph de Vries
Kees de Vries
Dr. Johann David Wadephul
Nina Warken
Kai Wegner
Albert H. Weiler
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)
Sabine Weiss (Wesel I)
Ingo Wellenreuther
Marian Wendt
Kai Whittaker
Annette Widmann-Mauz
Bettina Margarethe Wiesmann
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Oliver Wittke
Emmi Zeulner
Paul Ziemiak
Dr. Matthias Zimmer
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Nezahat Baradari
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Eberhard Brecht
Leni Breymaier
Dr. Karl-Heinz Brunner
Katrin Budde
Dr. Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Esther Dilcher
Sabine Dittmar
Dr. Wiebke Esdar
Saskia Esken
Yasmin Fahimi
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Timon Gremmels
Kerstin Griese
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Dirk Heidenblut
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Elvan Korkmaz-Emre
Anette Kramme
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)
Dr. Karl Lauterbach
Sylvia Lehmann
Helge Lindh
Kirsten Lühmann
Heiko Maas
Isabel Mackensen
Caren Marks
Katja Mast
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Falko Mohrs
Claudia Moll
Siemtje Möller
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)
Michelle Müntefering
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Josephine Ortleb
Mahmut Özdemir (Duisburg)
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post
Achim Post (Minden)
Florian Pronold
Martin Rabanus
Andreas Rimkus
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Axel Schäfer (Bochum)
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Nils Schmid
Uwe Schmidt
Ulla Schmidt (Aachen)
Dagmar Schmidt (Wetzlar)
Johannes Schraps
Michael Schrodi
Ursula Schulte
Martin Schulz
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Amalie Steffen
Mathias Stein
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Markus Töns
Carsten Träger
Ute Vogt
Marja-Liisa Völlers
Dirk Vöpel
Dr. Joe Weingarten
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
FDP
Grigorios Aggelidis
Renata Alt
Christine Aschenberg-Dugnus
Nicole Bauer
Jens Beeck
Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar)
Mario Brandenburg (Südpfalz)
Sandra Bubendorfer-Licht
Dr. Marco Buschmann
Karlheinz Busen
Carl-Julius Cronenberg
Britta Katharina Dassler
Christian Dürr
Hartmut Ebbing
Dr. Marcus Faber
Daniel Föst
Otto Fricke
Thomas Hacker
Peter Heidt
Katrin Helling-Plahr
Markus Herbrand
Torsten Herbst
Manuel Höferlin
Dr. Christoph Hoffmann
Reinhard Houben
Ulla Ihnen
Olaf In der Beek
Gyde Jensen
Dr. Christian Jung
Karsten Klein
Dr. Marcel Klinge
Daniela Kluckert
Pascal Kober
Dr. Lukas Köhler
Carina Konrad
Wolfgang Kubicki
Konstantin Kuhle
Alexander Graf Lambsdorff
Ulrich Lechte
Christian Lindner
Michael Georg Link (Heilbronn)
Oliver Luksic
Till Mansmann
Dr. Jürgen Martens
Christoph Meyer
Alexander Müller
Roman Müller-Böhm
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Hagen Reinhold
Bernd Reuther
Dr. h. c. Thomas Sattelberger
Christian Sauter
Frank Schäffler
Matthias Seestern-Pauly
Frank Sitta
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Bettina Stark-Watzinger
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Benjamin Strasser
Linda Teuteberg
Dr. Florian Toncar
Dr. Andrew Ullmann
Gerald Ullrich
Johannes Vogel (Olpe)
Sandra Weeser
Nicole Westig
Katharina Willkomm
DIE LINKE
Doris Achelwilm
Gökay Akbulut
Simone Barrientos
Dr. Dietmar Bartsch
Lorenz Gösta Beutin
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm-Förster
Michel Brandt
Christine Buchholz
Dr. Birke Bull-Bischoff
Jörg Cezanne
Sevim Dağdelen
Fabio De Masi
Dr. Diether Dehm
Anke Domscheit-Berg
Klaus Ernst
Susanne Ferschl
Brigitte Freihold
Nicole Gohlke
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Matthias Höhn
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Dr. Achim Kessler
Jan Korte
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Pascal Meiser
Amira Mohamed Ali
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Zaklin Nastic
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Victor Perli
Tobias Pflüger
Martina Renner
Bernd Riexinger
Eva-Maria Schreiber
Dr. Petra Sitte
Helin Evrim Sommer
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Jessica Tatti
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Andreas Wagner
Harald Weinberg
Katrin Werner
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann (Zwickau)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lisa Badum
Margarete Bause
Dr. Danyal Bayaz
Canan Bayram
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Stefan Gelbhaar
Katrin Göring-Eckardt
Erhard Grundl
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Bettina Hoffmann
Dr. Anton Hofreiter
Ottmar von Holtz
Dieter Janecek
Dr. Kirsten Kappert-Gonther
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)
Christian Kühn (Tübingen)
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Sven Lehmann
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Dr. Irene Mihalic
Claudia Müller
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Ingrid Nestle
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Manuela Rottmann
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Stefan Schmidt
Charlotte Schneidewind-Hartnagel
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Margit Stumpp
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Gerhard Zickenheiner
Fraktionslos
Marco Bülow
Uwe Kamann
Enthalten
FDP
Reginald Hanke
Dr. Wieland Schinnenburg
Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.
Wir fahren jetzt in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Özdemir für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zivile Luftfahrt des Landes und die dazugehörigen Flughäfen sind sensible Einrichtungen; das haben wir gerade schon gehört. Hier schützen wir die deutsche und die europäische Grenze. Um Angriffe auf sie zu verhüten, muss die Luftsicherheit ausschließlich in staatliche Hand.
({0})
Der Gesetzentwurf ist daher ein Schritt in die richtige Richtung und zeigt dem Innenministerium auch, an welchen Stellen es in der Vergangenheit Hausaufgaben vernachlässigt hat.
Wir können hier im Deutschen Bundestag über Zuverlässigkeitsüberprüfungen reden, um sogenannte Innentäter zu verhindern, aber können nicht gleichzeitig privaten Unternehmen mit höchst häufigem Personalwechsel die Gepäckkontrollen und Einblicke in die gesamte Sicherheitsarchitektur des Luftverkehrs anvertrauen.
Sicherheit ist das Versprechen des Staates, wenn jede und jeder darauf verzichtet, Recht selber durchzusetzen. Es ist der Kompromisslosigkeit von Sozialdemokraten bei den Koalitionsverhandlungen zu verdanken gewesen, dass die folgenden Sätze Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden haben – ich zitiere –:
Luftsicherheitskontrollen sind eine hoheitliche Aufgabe. Daher soll der Staat mehr strukturelle Verantwortung … übernehmen.
({1})
Im Geiste dieser Sätze erwarten wir in der laufenden Wahlperiode auch mehr Bewegung von der Unionsfraktion.
Die aktuelle Lage gibt uns recht: Private Dienstleister an Sicherheitskontrollen sind eben nicht so zuverlässig wie staatliche Kräfte. Private Dienstleister werfen uns gerade in Düsseldorf und Köln diese Aufgabe vor die Füße, weil sie eben keinen Gewinn mehr machen können, Gewinn, den sie bislang im Übrigen auf dem Rücken der Beschäftigten eingefahren haben.
Statt diese Aufgabe wieder in Staatshand zu überführen, verhandelt das Bundesinnenministerium jedoch mit dem Dienstleister in Köln nach und lässt ihn in Düsseldorf sogar vorzeitig aus dem Vertrag. Formelle Vergabeverfahren werden so lächerlich gemacht.
In Bayern ist die landeseigene Gesellschaft für alle Luftsicherheitsaufgaben zuständig und bündelt diese auch. Auf Bundesebene haben wir derzeit hingegen ein völlig zerfasertes Geflecht von Zuverlässigkeitsüberprüfungen bis hin zum Einsatz am Flughafen auf dem Rollfeld.
Seit sechs Jahren liegt unser Vorschlag, von den Sozialdemokraten gemeinsam mit der Gewerkschaft der Polizei entwickelt, zur sofortigen Umsetzung bereit. Wir schlagen eine öffentlich-rechtliche Anstalt nach bayerischem Vorbild für das gesamte Bundesgebiet vor.
({2})
Seit knapp einem Jahr warten wir auf Ergebnisse von drei Gutachten, von denen bis heute erst ein einziges vorliegt, wenn auch erst seit Kurzem, das unsere Kritik als Sozialdemokraten im Übrigen weiter stützt. Hier erwarten wir mehr Schnelligkeit, aber mit der notwendigen Gründlichkeit. Man muss einfach nur dem SPD-Vorschlag folgen, und man bekommt mehr Luftsicherheit.
({3})
Zuverlässige Sicherheit gibt es im Übrigen nur mit Beschäftigten, die einen Arbeitsvertrag mit der öffentlichen Hand haben und wissen, wem sie dienen, nämlich der Sicherheit des Landes, in dem sie leben, und der Europäischen Union. Niemand käme auf die Idee, eine Polizeiwache im Stadtteil einem privaten Dienstleister anzuvertrauen. So sollte man auch in der Luftsicherheit verfahren, sie nämlich wieder zurück in staatliche Hand geben.
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Kurzum: Mit der Sicherheit am Flughafen macht man keinen Gewinn. Man gewinnt aber an Sicherheit und an Zuverlässigkeit, wenn der Staat diese Aufgabe mit eigenen Kräften vollbringt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir Freie Demokraten sind selbstverständlich für ein höchstmögliches Maß an Sicherheit im Luftverkehr. Wir finden es auch richtig – wie es in dem Vorschlag beschrieben wird und allgemein im Bereich der Luftsicherheit gilt –, dass Unternehmen einschließlich Luftfahrtunternehmen, Betreiber von Flughäfen, Dienstleister an Flughäfen, Verkehrspiloten und Berufspiloten luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungen unterzogen werden. Aber mit einer Zuverlässigkeitsüberprüfung ohne Differenzierung zwischen der Reinigungskraft und dem Verkehrspiloten in jedem Ort, im Flughafen oder auf einem kleinen Segelfluggelände – denn der Motorsegler ist auch davon betroffen; das gilt auch für den Segelflieger, der eine Motorsegelflugberechtigung hat –, wird alles über einen Kamm geschert. Selbstverständlich macht das einen Riesenunterschied. Sie machen aber weiterhin dabei keinen Unterschied, und das ist nicht in Ordnung.
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Ich kann es eigentlich auch nicht fassen, dass immer noch von einer Gefahr gesprochen wird, die von diesen Luftfahrzeugen ausgeht. Das sind 60 Liter übrigens bleifreier Sprit, die sozusagen als Waffe dargestellt werden. Brüssel betreibt genau wegen dieser Sache ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland: weil wir eine auf europäischer Ebene harmonisierte Luftfahrerlizenz haben, aber Deutschland das einzige Land in Europa ist, in dem es diese Zulassungshürde gibt. Ich habe nicht den Eindruck, dass das im Sinne der europäischen EASA-Verordnung für die Luftfahrt gedacht ist.
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Sie gehen noch viel weiter: Sie wollen neue Register abfragen. Das mag alles Sinn haben, aber nicht für die Luftsportler und die Privatpiloten. Ist es wirklich sinnvoll, zum Beispiel das Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister abzufragen, wobei auch Strafverfahren, die zum Beispiel eingestellt wurden, abgefragt werden können? Das führt dann in Zukunft dazu, dass ein Strafverfahren – nehmen wir an, wegen eines Verstoßes gegen das NetzDG und Verleumdung –, das fallen gelassen wurde, möglicherweise später die Zuverlässigkeit eines Motorseglers infrage stellt. Ich finde, das ist wirklich unverhältnismäßig und auch nicht sinnvoll.
Herr Staatssekretär Mayer, ich finde es eigentlich unfassbar, wie Sie Ihre Rede begonnen haben. Sie fangen an mit einem Vergleich und ziehen eine Parallele zum Abschuss eines kommerziellen Luftfahrzeugs durch Militär eines anderen Staates, um dann auf die Überprüfung von Privatpiloten einzugehen. Das hat wirklich nichts miteinander zu tun. Sie bauen da Panik auf. Es geht nämlich überhaupt nicht um diese Sache.
Wir haben deshalb die Abschaffung verlangt, weil die Überprüfung einfach keinen Sinn macht. Wer in Deutschland einen Privatpilotenschein macht, muss die Zuverlässigkeitsüberprüfung durchlaufen. Wenn er das nicht möchte, macht er in Frankreich, Österreich, der Schweiz, Italien oder wo auch immer einen europäischen Luftfahrerschein, und zwar ohne Durchlaufen eines solchen Verfahrens. Jeder Pilot eines anderen Landes, der keine Zuverlässigkeitsüberprüfung durchlaufen hat, darf alle Sicherheitsbereiche betreten. Und Sie suggerieren hier, dass die Zuverlässigkeitsüberprüfung der Privatpiloten, die zumeist auf Segelfluggeländen und kleinen Sportflughäfen tätig sind, also auf Flugplätzen, auf denen es überhaupt keine Sicherheitsbereiche gibt und die abgesperrt sind, die Sicherheit herstellt. Das ist wirklich absurd.
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Deswegen ist das einfach ein untaugliches Mittel, das Sie seit Jahren hochhalten.
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Letztes Wort dazu: Wir sind nicht die Einzigen. Der Bundesrat hat auch schon die Abschaffung gefordert. Die SPD, die CSU und die CDU waren der Meinung: Wir brauchen das nicht. – Bitte nehmen Sie doch mal hier im Deutschen Bundestag Vernunft an und schaffen die ZÜP für die Privatpiloten und die Luftsportler ab.
Herzlichen Dank.
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Für die Fraktion Die Linke hat nun Dr. André Hahn das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf die Sicherheit im Flugverkehr erhöhen und hat dabei insbesondere die sogenannten Innentäter im Blick, also jene Personen, die auf Grundlage einer Zuverlässigkeitsüberprüfung einen besonderen Zugang zu Flughäfen und Flugzeugen haben und aus dieser privilegierten Situation heraus Anschläge verüben könnten.
Auch für meine Fraktion ist klar: Der zivile Flugverkehr ist selbstverständlich einer jener sensiblen Gebiete, in denen genau hingeschaut werden muss, wer Zugang zu sicherheitsrelevanten Bereichen erhält. Deshalb ist es richtig, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen der Überprüfung auf Zuverlässigkeit evaluiert werden sollen.
Zugleich gilt: Auch in diesem hochsensiblen Bereich des Luftverkehrs muss sich jeder Eingriff in die Grundrechte an den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Dazu teile ich durchaus die eben geäußerte Position. Ob diese Abwägung im vorliegenden Gesetzentwurf wirklich gelungen ist, darf zu Recht bezweifelt werden. So sehen wir etwa bei einem möglichen Zugriff der Luftsicherheitsbehörden auf das Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister noch erheblichen Erläuterungsbedarf. Auf diesen Punkt hatte bereits der Bundesrat hingewiesen und wegen des sensiblen Charakters der hier gespeicherten personenbezogenen Daten, aber auch im Interesse der Vertraulichkeit und der Integrität staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen vorgeschlagen, zumindest den betroffenen Personenkreis und die Anzahl der zu übermittelnden Daten einzuschränken.
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Denn, meine Damen und Herren, mit einem völlig freien Zugriff wird die strenge Zweckbindung, wonach die Daten des Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregisters nur für Strafverfahren gespeichert und verarbeitet werden dürfen, ganz klar durchbrochen. Von dieser gesetzlichen Zweckbindung darf nur ausnahmsweise und in außergewöhnlich sicherheitsrelevanten Konstellationen abgewichen werden. Ob diese Voraussetzungen jedoch bei der Tätigkeit etwa von Schülerpraktikanten, Warenlieferanten und Reinigungskräften gegeben sind, ist zumindest fraglich. Hier muss es im weiteren Gesetzgebungsverfahren unbedingt Korrekturen geben.
Meine Damen und Herren, abschließend noch kurz zum Antrag der FDP, die eine verpflichtende Zuverlässigkeitsprüfung bei den Privatpiloten entfallen lassen möchte. Wir als Linke sind ja durchaus dafür, die gegenwärtige Praxis dieser Prüfungen zu hinterfragen; denn natürlich werden hier personenbezogene Daten größerer Berufsgruppen, die als solche erst einmal keinen Anlass zur Überprüfung gegeben haben, einfach mal so zu präventiven Zwecken verarbeitet. Und – auch das sehen wir sehr kritisch – es wird hier regelmäßig das Bundesamt für Verfassungsschutz einbezogen, das zur umfassenden Offenlegung seiner Erkenntnisse nicht verpflichtet ist, die bei der Abfrage entstandenen Daten aber über einen langen Zeitraum speichern und verarbeiten darf.
Leider verzichtete die FDP darauf, dieses wichtige Anliegen in ihrem Antrag zu thematisieren, offenbar zugunsten eines einfachen Punktgewinns bei den glücklichen Männern und wenigen Frauen, die sich ein Privatflugzeug als Hobby leisten können.
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Zu einer grundsätzlichen und kritischen Bestandsaufnahme sind wir als Linke gern bereit.
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Eine solche Klientelpolitik à la FDP ist mit uns aber nicht zu machen.
Herzlichen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Irene Mihalic das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in Fragen der Luftsicherheit gibt es heiße Eisen, und da spreche ich nicht davon, dass die private Luftfahrt wirtschaftlich gesehen natürlich massiv davon profitiert, dass der Staat in erheblichem Umfang für die Sicherheit sorgt; denn die Gebühren sind da schon lange nicht mehr kostendeckend, meine Damen und Herren. So etwas packen Sie in Ihrem Gesetzentwurf natürlich nicht an. Aber auch die Frage, welche seit Nine Eleven eingeführten Bestimmungen zum Beispiel für mehr Sicherheit sorgen, sollte dringend untersucht werden.
Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzentwurf auf einen wichtigen Punkt hingewiesen, den Sie leider auch nicht behandeln. Denn kein Gesetz verpflichtet Fluggesellschaften, zum Beispiel beim Check-in oder beim Betreten eines Flugzeugs an einem deutschen Flughafen ein Ausweisdokument zu verlangen. Dass jemand sich unter falschem Namen also Zugang zu einem Flugzeug verschafft, ist daher grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Und wie sieht es eigentlich mit dem Sicherheitsbereich am Flughafen aus? Das sind meines Erachtens relevante Fragen, auf die Sie in Ihrem Gesetzentwurf leider nicht eingehen, auf die wir aber auf jeden Fall Antworten brauchen.
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Relevant ist auch die Frage der Qualitätssicherung bei privaten Anbietern im Sicherheitsbereich. Dazu hatten wir schon verschiedene Diskussionen, und trotzdem ist nicht zuletzt mit Blick auf die Qualität der Sicherheitskontrollen an Flughäfen noch vieles ungeklärt; darauf hat der Kollege Özdemir in seiner Rede vorhin auch schon hingewiesen. Das belegen auch die vielen Mängel, die regelmäßig im Rahmen von Überprüfungen von Sicherheitskontrollen festgestellt werden. Da ist es gut – das will ich ausdrücklich loben –, dass Sie wenigstens das Thema der Zuverlässigkeitsprüfungen des Sicherheitspersonals angehen. Es macht doch durchaus Sinn, diese auf das Niveau vergleichbarer Überprüfungen wie zum Beispiel im Sprengstoffbereich zu heben. Aber ob da tatsächlich alle Informationszugänge, die Sie hier beantragen, wirklich erforderlich sind, sollten wir im weiteren Verfahren noch klären.
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Das betrifft zum Beispiel auch das eben schon angesprochene Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister. Auch da hat der Bundesrat um eine Überprüfung gebeten, ob der Vollzugriff tatsächlich notwendig ist oder ob er nicht zumindest eingeschränkt werden kann; denn es sollte auch in unser aller Interesse sein, durch so einen Zugriff nicht unbeabsichtigt staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren zu gefährden.
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Auch was die Ausgestaltung des Luftsicherheitsregisters angeht, sind meines Erachtens noch viele Fragen offen.
Die FDP hat jetzt hier einen Antrag vorgelegt, in dem sie die Zuverlässigkeitsprüfung für Privatpiloten nicht mehr für nötig hält.
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Also mal ganz im Ernst: Wie man auf die Idee kommen kann, eine potenzielle Sicherheitslücke in der Luftfahrt zu erzeugen,
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obwohl gerade alle bemüht sind, solche Lücken zu schließen, erschließt sich mir nicht.
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Das können wir – das haben wir heute in der Obleuterunde im Innenausschuss schon besprochen – ja auch im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss klären. In diesem Sinne hoffe ich auf intensive und konstruktive Beratungen.
Ganz herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Christoph de Vries für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das letzte Jahr war laut Statistik des Weltluftverkehrsverbandes IATA das sicherste Jahr in der Geschichte der zivilen Luftfahrt. Das Risiko, Opfer eines Flugzeugabsturzes zu werden, war im letzten Jahr 60-mal geringer als noch im Jahr 1970. Eine gute Entwicklung – wie man sagen kann –, die auch Ausdruck des hohen Niveaus der Luftsicherheit in Deutschland, aber auch in weiten Teilen dieser Welt ist. Diese Entwicklung war nur möglich, weil die Sicherheitsmaßnahmen in allen Bereichen des Luftverkehrs immer weiter verbessert wurden, weil Technik optimiert wurde und weil die internationale Zusammenarbeit verbessert wurde.
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Gleichwohl gilt es – das hat der Staatssekretär Mayer gesagt –, in dieser Entwicklung nicht nachzulassen; denn seit Nine Eleven ist uns schmerzlich bewusst geworden: Der Luftverkehr ist weiterhin ein attraktives Anschlagsziel für den internationalen Terrorismus; aber nicht nur für den, sondern auch für Einzeltäter. – Die Möglichkeit, ein Flugzeug als Waffe zu verwenden, die potenziell hohen Opferzahlen, aber auch die verstörenden Bilder lassen den Luftverkehr immer wieder zum Ziel von Anschlagsplänen werden. Nur durch eine Vielzahl von Sicherheitsmaßnahmen konnten die allermeisten Anschlagspläne in der Vergangenheit überhaupt vereitelt oder Terroristen von vornherein abgeschreckt werden.
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Der vorliegende Gesetzentwurf zur Ausweitung und Verbesserung luftsicherheitsrechtlicher Zuverlässigkeitsüberprüfungen ist ein wichtiger Baustein, die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs weiter zu erhöhen und den Luftverkehr vor Bedrohung noch besser zu schützen, meine Damen und Herren.
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Wir sind der Überzeugung, dass die in § 7 Luftsicherheitsgesetz vorgeschriebene Zuverlässigkeitsüberprüfung durch diesen vorliegenden Gesetzentwurf weiter verbessert wird. Die Maßnahmen sind angesprochen worden: die Ausweitung der Regelanfrage auf Daten weiterer Behörden, die verstärkte Mitwirkung bei internationaler Kooperation mit ausländischen Stellen, aber eben auch die Einführung eines gemeinsamen Luftsicherheitsregisters. All das ist wichtig, um das Sicherheitsniveau im zivilen Luftverkehr weiter zu verbessern und den Schutz vor sogenannten Innentätern zu erhöhen.
Wir sind der Überzeugung, die Bundesregierung hat einen guten Gesetzentwurf vorgelegt, der ja auch von der Luftverkehrsbranche ausdrücklich unterstützt wird. Vor diesem Hintergrund unterstützen wir sämtliche Maßnahmen vollständig und werben für ihre rasche Umsetzung.
Nun zum Antrag der FDP, lieber Kollege Höferlin. Sie wollen erneut – das ist kein Antrag, den Sie zum ersten Mal vorgelegt haben – eine einzelne Personengruppe von der Zuverlässigkeitsüberprüfung ausnehmen; Frau Mihalic hat es eben schon gesagt. Bei allem Respekt, Herr Höferlin und liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, das ist klassische Klientelpolitik, die Sie dort betreiben.
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Und die lehnen wir ganz entschieden ab, insbesondere wenn es um die Gewährleistung der Sicherheit und den Schutz vor terroristischen Attacken geht.
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Es ist nicht so, wie Sie sagen. Von Privatflugzeugen kann sehr wohl eine Gefahr terroristischer Anschläge ausgehen. Ich habe es Ihnen eben gesagt.
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Mohammed Atta und seine Partner hätten nicht nur in ein Zivilflugzeug einsteigen können, sie hätten auch ein Privatflugzeug nehmen und es in ein Ziel steuern können. Denken Sie nur an ein voll besetztes Stadion oder an eine gezielte Kollision mit einem Verkehrsflugzeug. All das ist doch denkbar und möglich, und all das hätte auch verheerende Auswirkungen.
Eines ist auch klar: Die Inhaber von Pilotlizenzen haben Zugang zu allen Sicherheitsbereichen der Flugplätze inklusive des Vorfelds. Jetzt müssen Sie uns schon mal verraten, warum jeder Schülerpraktikant, jede Putzfrau sich einer ZÜP unterziehen muss, aber ausgerechnet ein Privatpilot nicht, obwohl er Zugang zu allen sensiblen Sicherheitsbereichen des Flughafens hat.
Kollege de Vries, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?
Gerne.
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie fragen mich, warum ein Privatpilot, der zu allen Sicherheitsbereichen Zugang hat, anders behandelt werden soll als ein Schülerpraktikant. Ich will die Frage mal so stellen: Erklären Sie mir doch bitte, worin der Unterschied zwischen einem deutschen Privatpilotenscheininhaber und jedem anderen Piloten, der aus jedem anderen Teil der Welt kommt, besteht – egal ob das ein Verkehrspilot oder ein Privatpilot aus Frankreich, Österreich oder aus einem der, ich sage mal, minderdemokratischen Länder dieser Welt, die eine ICAO-Lizenz ausstellen, ist – und warum er Zugang zu den gleichen Bereichen haben soll und warum ausgerechnet unsere ZÜP die Luftsicherheit weltweit herstellen soll, wo jeder andere Privatpilot weltweit zu den gleichen Bereichen Zugang hat und mit den gleichen wahnsinnig gefährlichen Luftverkehrsfahrzeugen über Deutschland fliegen darf ohne Einschränkung? Worin sehen Sie den Nutzen, oder sind Sie nicht auch der Meinung, dass das ein untaugliches Mittel ist?
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Lieber Kollege Höferlin, vielen Dank für diese Frage. Wenn es Sicherheitslücken in anderen europäischen Ländern gibt,
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dann sollten wir uns doch gemeinsam bemühen – das ist meine Meinung –, diese zu schließen, statt sie in Deutschland zu übernehmen. Es kann doch nicht unser politisches Handeln sein, dass wir uns daran ein Beispiel nehmen.
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Das ist auf jeden Fall nicht unser Kurs; das kann ich Ihnen sagen.
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Ich habe es Ihnen gesagt: Auch die Inhaber von Privatpilotlizenzen haben Zugänge zu allen sicherheitsrelevanten Bereichen. Das, was Sie fordern, ist im Sinne einer Gleichbehandlung völlig absurd,
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und es ist auch nicht zu Ende gedacht.
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Deshalb lehnen wir den Antrag der FDP entschieden ab, freuen uns aber trotzdem auf die weiteren Beratungen mit Ihnen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Susanne Mittag für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Luftverkehr ist besonders verletzlich – das ist mehrfach schon erwähnt worden – und unterliegt daher einer besonderen Gefährdung. Innentätern – das ist auch schon erwähnt worden –, also Menschen, die besonderen Zugang zu Flughäfen und ihren Einrichtungen haben, kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Denn: Wer kann besser sabotieren oder manipulieren als jemand, der sich richtig gut auskennt? Und wer ist dadurch für Attentäter ein besonders attraktiver Komplize? Er muss noch nicht mal selber der Attentäter sein. Wir reden hier aber nicht nur von der Gefahr terroristischer Anschläge, sondern auch von organisierter Kriminalität, die Kriminelle einschleust. Die Frage ist also, wie wir uns am besten vor Innentätern schützen können – und dies, ohne dass die ganze Branche unter den immer wieder erwähnten Generalverdacht gerät.
Der vorliegende Gesetzentwurf liefert mit der neuen Zuverlässigkeitsüberprüfung für Menschen, die in der Luftsicherheit arbeiten, erste überzeugende Antworten. Wir müssen doch wissen, wie verlässlich die Menschen sind, die für uns am Flughafen arbeiten,
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und ob sie in Sachen Sicherheit vorbelastet sind. Dafür brauchen wir umfangreiche und verlässliche Informationen. Diese Zuverlässigkeitsüberprüfung muss im Übrigen nach dem vorliegenden Gesetzentwurf zu dem Zeitpunkt abgeschlossen sein, an dem der oder die Überprüfte Zugang zu den Bereichen des Flughafens bekommt. Sie darf also nicht erst nach und nach erfolgen, wie derzeit noch möglich und auch praktiziert.
Unser Gesetz regelt außerdem, dass künftig bei der Überprüfung einer Person Daten der Bundespolizei, des Zollkriminalamts und des Zentralen Staatsanwaltlichen Verfahrensregisters abgefragt werden. Das ist teilweise kritisch gesehen worden. Die Daten werden dann im Luftsicherheitsregister zusammengefasst. Das ermöglicht endlich eine Systematisierung der Zuverlässigkeitsüberprüfung, den zentralen Zugang zu Informationen und – ganz wichtig – den Austausch auf Länderebene,
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ganz zu schweigen von dem vereinfachten europäischen und internationalen Informationsaustausch. In anderen Kriminalitätsbereichen ist diese Harmonisierung schon in Arbeit; hier ist sie längst überfällig.
Dieses Zentralregister ist auch im Sinne der Mitarbeiter der Luftverkehrssicherheit; denn der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin kann künftig den Arbeitgeber in der Branche wechseln, ohne jedes Mal neu überprüft zu werden. Das war bislang ein ziemliches Problem.
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Zu dem FDP-Antrag, die Zuverlässigkeitsüberprüfung für Privatpiloten und Luftsportler abzuschaffen – den Antrag hatten wir schon vor einer Weile; er ist nicht wirklich neu –,
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sage ich Ihnen: Das ist eben genau das, was wir im Ergebnis nicht wollen: ein Flickenteppich an Sicherheitsregelungen.
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Im Übrigen können auch Privatflugzeuge beträchtlichen Schaden anrichten, wenn sie zum Absturz gebracht werden; das hat nicht nur etwas mit dem Tankinhalt zu tun. Und auch die organisierte Kriminalität ist mit Kleinflugzeugen unterwegs; das ist auch nicht wirklich neu.
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Es gab in dieser Debatte einige Aspekte – Frau Mihalic hat das eine oder andere schon erwähnt –, die sicherlich noch debattiert werden müssen. Das vorliegende Gesetz ist nicht der letzte Stand, aber ein guter Einstieg, und deswegen bitte ich, es zu unterstützen, damit wir darüber weiter debattieren können.
Herzlichen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin selbst hat gemeinsam mit der Bundeslandwirtschaftsministerin Anfang Dezember anlässlich der Bauernproteste einen längst überfälligen Dialogprozess gestartet. Das begrüßen wir Freie Demokraten ausdrücklich; denn es ist wichtig, miteinander statt immer nur übereinander zu reden.
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Die Bundeskanzlerin und die Bundeslandwirtschaftsministerin haben zahlreiche Branchenvertreter eingeladen. Vielleicht waren es zu viele; man kann darüber diskutieren – geschenkt. Es wäre aber gut gewesen, wenn die Bundesumweltministerin auch mit am Tisch gesessen hätte,
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auch geschenkt. Es ist zu begrüßen, wenn bei zentralen politischen Entscheidungen – und die Entscheidungen, die in der Landwirtschaft anstehen, sind zentral – über die Zukunft eines Berufsstandes, aber auch über die Zukunft des gesamten ländlichen Raumes die Betroffenen miteingebunden werden.
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Doch während im Bundeskanzleramt der Dialog forciert wurde, wurden im Bundeslandwirtschaftsministerium bereits Tatsachen geschaffen. Der Referentenentwurf zur erneuten Verschärfung der Düngeverordnung wurde ohne Dialog vorgelegt. Mit diesem Prozess wurde die zarte Saat des Vertrauens im Keim erstickt. Mit diesem Prozess macht das Ministerium die Bundeskanzlerin unglaubwürdig.
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Es ist auch ein Schlag ins Gesicht all der Branchenvertreter, die ernsthaft mitwirken möchten, um unser gemeinsames Ziel, den Schutz des Wassers und die Praktikabilität der Düngeverordnung, zu erreichen.
Kollegin Konrad – –
Es ist vor allen Dingen auch ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die große Hoffnungen in diesen Dialogprozess gesetzt haben. Das treibt die Landwirte derzeit weiter auf die Straße – zu Recht, wie wir finden.
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Kollegin Konrad, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der Unionsfraktion?
Sehr gerne.
Liebe Frau Konrad, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade von Dialog gesprochen. Die Landwirtschaftsministerin hat zu zahlreichen Gesprächen eingeladen. Sie hat alle Landwirtschaftsminister eingeladen. Der einzige Landwirtschaftsminister der FDP, Volker Wissing, hat an diesen Gesprächen nie teilgenommen. Ich habe ihn dort nie gesehen. Ich habe an diesen Gesprächen auch teilgenommen.
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Er war nie da. Deswegen meine Frage: Ist dieses Thema der FDP vielleicht doch nicht so wichtig gewesen? Er hat sich nämlich noch nicht mal vertreten lassen. Oder wie stehen Sie dazu?
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Herr Stegemann, was mich wundert, ist, dass bei Gesprächsrunden der Landwirtschaftsminister Abgeordnete der Union anwesend sind. Abgeordnete der FDP werden dazu nicht eingeladen.
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Die FDP ist immer bereit, sich einzubringen.
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Vielen Dank.
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– Wir waren nicht eingeladen.
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– Keiner von uns war eingeladen.
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– Ich glaube, Sie haben den Ernst der Lage nicht verstanden.
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Es geht um die Existenz landwirtschaftlicher Betriebe, und es geht dabei gerade um die Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe, die familiengeführt sind. Es geht um die Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe, die nachhaltig wirtschaften, die ökologisch wirtschaften, die die Belastungen, die durch die Verschärfungen anstehen, einfach nicht mehr tragen können. Wenn Sie hier solche Zwischenfragen stellen, zeigen Sie mir damit eins: dass Sie überhaupt nicht verstanden haben, um was es hier geht. Es geht um die Existenz.
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Gehen wir mal zu den Details der Düngeverordnung. In diesem Referentenentwurf wird suggeriert, dass der Boden so eine Art homogener Kuchenteig wäre.
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Das Gegenteil ist der Fall: Boden ist sehr unterschiedlich, sehr divers. Wir können heute durch Ertragskartierung ganz genau feststellen, was wo wann gebraucht wird. Neue Sensortechnik kann das auch leisten. Aber wenn pauschal alles über einen Kamm geschert wird, so wie das versucht wird, leiden darunter nachher nicht nur Ertrag und Qualität, sondern auch die Landwirte selbst.
({8})
Kollegin Konrad, ich habe die Uhr schon wieder angehalten.
Das ist gut.
Ich sage aber auch gleich: Sollten Sie diese Frage oder Bemerkung, wiederum aus der Unionsfraktion, zulassen, ist das auch die letzte, die ich heute hier zulasse.
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Vielleicht ist sie fachlicher Art.
Lassen Sie sie zu?
Ja.
Vielen Dank, Frau Kollegin Konrad, dass auch ich meine Frage kurz loswerden darf. – Sie sagen, wir hätten nicht verstanden. Sie tun so, als ob die Bundesregierung willkürlich eine Novellierung der Düngeverordnung aufgelegt hat. Das ist ja überhaupt nicht so. Das kommt aus Europa. Alle Länder waren sich einig, dass es eine Novellierung geben muss. Ihr Parteikollege und Landesmann Wissing hat explizit eine Protokollerklärung herausgegeben, in der er eine Novellierung fordert, und sein Stellvertreter hat, weil Wissing nicht selber da war, gegen den Vorschlag unseres Bundesministeriums gestimmt,
({0})
in den roten Gebieten den Nitratgehalt, die Düngung um 10 Prozent zu reduzieren.
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Ihr Vertreter hat dafür gestimmt, die Düngung um 20 Prozent abzusenken,
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und jetzt tun Sie hier so, als ob die Bundesregierung schuld wäre. Was sagen Sie Ihrem Landwirtschaftsminister Wissing, liebe Frau Konrad?
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Lieber Kollege Alois Gerig, nach meinem Wissen steht die zweite Novellierung der Düngeverordnung jetzt an, und nach meinem Wissen haben zwei Bundesländer bereits angekündigt, dieser Novellierung in der Form nicht zuzustimmen. Das ist neben dem Bundesland Bayern, Ihrem Nachbarbundesland,
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das Bundesland Rheinland-Pfalz, in dem der von Ihnen angeführte Minister tätig und zuständig ist.
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Es geht bei dieser Sache darum, dass ein repräsentatives Messnetz geschaffen werden muss, um die tatsächlichen Einflüsse der Landwirtschaft dort zu ermitteln, wo sie stattfinden, um dann auch gezielt Maßnahmen zu ergreifen. Aber die Messstellen müssen auch ermitteln, wo Landwirtschaft nicht der Verursacher ist.
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Das ist die Kunst; denn die Landwirte und auch namhafte Vertreter der Wissenschaft empfinden diese 20-prozentige Kürzung als reine Willkür. Keiner weiß, wo diese Zahl überhaupt herkommt. Wenn ein Kind in einer Schulklasse übergewichtig ist, kommt ja auch kein Mensch auf die Idee, der ganzen Schulklasse pauschal die Kalorienzufuhr um 20 Prozent – Herr Gerig, ich versuche, es Ihnen zu erklären – zu reduzieren.
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Während bei dem Rest der Klasse dann Mangelernährung herrscht, kann es sein, dass das übergewichtige Kind immer noch nicht abnimmt; das ist doch der Punkt.
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Das ist Willkür. Das ist nicht logisch, wie das angelegt werden soll, und das versteht auch kein Mensch.
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Noch ein Punkt: Immer weniger Landwirte sind Tierhalter. Da ist es nicht logisch, eine Politik zu forcieren, die Landwirte dazu zwingt, immer mehr Futtergetreide zu produzieren. Auch das ist ein Punkt, der die Leute umtreibt. Deshalb ist das, was wir mit unserem heutigen Antrag fordern, eigentlich nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit. Führen Sie diesen Dialog mit den Branchenvertretern, den Sie begonnen haben, ehrlich weiter. Sie sind dazu bereit, sich einzubringen, um den Grundwasserschutz und die Praktikabilität unter einen Hut zu bringen.
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Angesichts der Dringlichkeit der Sache wollten wir als Fraktionen heute sofort namentlich abstimmen. Die Union jedoch hat dies im Vorfeld verhindert und will in den Ausschuss überweisen. Das finden wir sehr schade. Sie hätten heute die Chance gehabt, die Glaubwürdigkeit nicht nur Ihrer Bundeskanzlerin, sondern auch die Glaubwürdigkeit von Ihnen selbst bei den Landwirten wiederherzustellen. Dieses Thema treibt doch die Leute um.
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Es sind die Landwirte, die unser Land ernähren und die für ihre Arbeit den nötigen Respekt verdienen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Johannes Röring für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in diesen Tagen in einer überregionalen Zeitung gelesen: Die Bauern verstehen die Politik nicht mehr. – Das zeigt das ins Wanken geratene Verhältnis zwischen der Landwirtschaft und der Politik.
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Hier ist wohl die Düngeverordnung das deutlichste Beispiel.
Die Düngeverordnung beschäftigt uns bereits seit einiger Zeit. Die Handhabung und der ganze Prozess sind von außen schwer nachvollziehbar; dies macht die Bäuerinnen und Bauern unzufrieden. Immer wieder gibt es neue Wasserstandsmeldungen über kommende Regelungen, aber nichts weiß man konkret. Es gibt keine Planungsperspektiven. Und auch ich als gelernter Bauer bin unzufrieden mit der aktuellen Situation.
Die Düngeverordnung und die uns vorliegenden Anträge drehen sich vor allem um ein Thema: unser Grundwasser. Dieses zu schützen, besitzt für uns alle die höchste Priorität. Natürlich trägt die Landwirtschaft hierfür auch eine Verantwortung, aber nicht mehr und nicht weniger. Es gibt viele Faktoren, die zu erhöhten Werten führen.
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So müssen wir zum Beispiel bei den Oberflächengewässern auch die Kommunen mit in Verantwortung nehmen. Wir müssen auch über das Thema Kläranlagen reden. Die Anträge der Grünen und der Linken, die die Tierhaltung in Deutschland einseitig für die Nitratbelastungen durch die Landwirtschaft verantwortlich machen, sind daher faktisch falsch.
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Ich fordere hier Fachverstand statt Ideologie.
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Wir müssen realistische Ziele definieren, die umsetzbar sind, bei denen die Landwirtschaft weiterhin produktiv sein kann. Wir dürfen unseren Bäuerinnen und Bauern nichts versprechen, was hinterher nicht einzuhalten ist. Deswegen müssen wir alle ehrlich sein.
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Das heißt konkret: Die neue Düngeverordnung wird kommen. Der Druck aus Brüssel wird steigen. Aber wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass dies auf einer wissenschaftlich fundierten Basis passiert.
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Das betrifft vor allem das Messstellennetz. Die gemessenen Werte haben nämlich unmittelbar Konsequenzen für das Düngerecht und auch die Bilanz vieler Betriebe. Die Messstellen müssen daher über jeden Zweifel erhaben sein. Das sind sie heute definitiv nicht. Hier sind das Umweltministerium und besonders die Länder gefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die Werte einheitlich erhoben werden und für alle nachvollziehbar, transparent und damit inhaltlich richtig sind.
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Mein Bundesland Nordrhein-Westfalen ist hier vorangegangen. Ministerin Ulla Heinen-Esser hat in einem aufwendigen Prozess alle Messstellen des Landes nochmals auf Belastbarkeit geprüft und dabei schlechte Messstellen aufgedeckt und anschließend saniert.
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Zudem hat sie bei der Betrachtung und Bewertung der Grundwasserkörper eine Binnendifferenzierung entwickelt, die Beispiel sein könnte für andere Bundesländer. Das ist lobenswert und muss der Weg für die Zukunft sein. Dann werden sich Landwirtschaft und Politik wieder besser verstehen. Das ist mir als Bauer und als Politiker wichtig.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für die AfD-Fraktion.
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Habe die Ehre, Frau Präsidentin! Gott zum Gruße, liebe Damen und Herren! Stellen Sie sich, bitte schön, einmal vor, Ihre Frau liegt im Krankenhaus und ist schwanger, und Sie möchten unbedingt bei der Entbindung dabei sein. Sie sind unterwegs und müssen tanken und wissen, Sie benötigen noch genau 10 Liter, um es bis ins Krankenhaus zu schaffen und bei der Entbindung Ihres ersten Kindes dabei zu sein. Dann kommt der Tankwart – nennen wir ihn mal: Klöckner – raus und sagt: Sie dürfen nur 80 Prozent tanken. – Genau das ist die Düngeverordnung, meine Damen und Herren.
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Sie können deswegen nicht bei der Entbindung Ihres Kindes dabei sein. Genau darüber reden wir heute.
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Im Juni 2018 wurde Deutschland vom Europäischen Gerichtshof verurteilt, weil die Düngeverordnung aus dem Jahr 2006 die Nitratrichtlinie nur unzureichend umgesetzt hat. Obwohl die Düngeverordnung 2017 umfassend novelliert wurde, nimmt die Europäische Kommission dieses Urteil zum Anlass, um eine erneute Anpassung der Düngeverordnung zu fordern. Auf welcher Grundlage eigentlich?
Die Bundesregierung malt derweil Schreckensszenarien an die Wand und behauptet, dass ohne eine erneute Verschärfung Strafzahlungen von etwa 850 000 Euro pro Tag drohen würden. Die Bundesregierung legt hier einen hektischen Aktionismus und vorauseilenden Gehorsam gegenüber der heiligen Kuh EU an den Tag,
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der absolut unwürdig ist, meine Damen und Herren.
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Damit wollen Sie den Menschen nur Angst machen. Sie wissen doch ganz genau, meine Damen und Herren, dass vor einer Verurteilung in einem Zweitverfahren zunächst die wissenschaftlichen Fakten geprüft werden würden. Und die sind eben nicht so eindeutig, wie Sie es uns hier vorgaukeln.
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Ja, Sie wollen ja nicht einmal den Nitratbericht 2020 abwarten; Sie wollen es vorher ändern.
Zur Wahrheit gehört, dass Sie mit einer weiteren Verschärfung Tausende bäuerliche Familienbetriebe in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohen. Dieser drohende Strukturbruch wird vor allem die kleinen und mittleren Bauernhöfe hart treffen. Seien Sie also wenigstens so ehrlich und geben Sie zu, dass Ihnen die deutsche Landwirtschaft völlig egal ist, meine Damen und Herren.
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Ich bin ja mal gespannt, was die lieben Kollegen von der CSU machen, ob sie ihre großspurigen Ankündigungen von der Klausurtagung in Seeon zur Nachverhandlung der Düngeverordnung wahr machen werden. Im EU-Parlament haben ja alle CSUler zugestimmt. Jetzt wollen sie das ändern. Ich bin ja mal gespannt. Nach den großen Worten schauen wir mal auf die Taten.
Im Falle der Düngeverordnung gibt es aus unserer Sicht nur einen vernünftigen Weg. Ob schärfere Maßnahmen nötig sind, kann, wenn überhaupt, nur durch eine wissenschaftliche Evaluierung der Maßnahmen der 2017 geänderten Düngeverordnung festgestellt werden. Die von der Europäischen Kommission geforderte Verschärfung der Düngeverordnung, wie sie auch von den Grünen in ihrem Antrag gefordert wird, lehnen wir ab. Sie widerspricht der guten fachlichen Praxis und ist kontraproduktiv im Hinblick auf Umweltschutz und Wasserschutz.
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Meine Damen und Herren, wer Grün wählt, zerstört die Umwelt. Wer Schwarz wählt, zerstört die Landwirtschaft. Wer Blau wählt, wählt Vernunft.
Danke schön.
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Das Wort hat der Abgeordnete Carsten Träger für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie es auch gehört? Oder haben Sie es, besser gesagt, nicht gehört: irgendeinen Unterschied zwischen den Reden der FDP und der AfD?
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Gönnen Sie sich mal den Luxus und schließen Sie die Augen, wenn die Reden gehalten werden. Da gibt es keine großen Unterschiede mehr. Sie von der FDP sind auf einem Weg, den ich populistisch nenne, und Sie sollten sich wirklich fragen, ob Sie diesen Weg gehen wollen.
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Es ist zu hören, dass auf der FDP-Fraktionsweihnachtsfeier der große Vorsitzende Lindner die Parole ausgegeben hat, dass die FDP die einzig wahre Bauernpartei sei.
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Wenn das so ist, dann stellen Sie erst mal klar, was Sie überhaupt wollen. Früher war die FDP verbunden mit dem Begriff des Subventionsabbaus.
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Wenn es um Agrarsubventionen geht, dann sehen Sie die eigene Programmatik nicht mehr ganz so eng: Da soll alles so bleiben, wie es ist. Früher hatte die FDP als stolze liberale Partei Justizminister in ihren Reihen und einen gehörigen juristischen Sachvorstand vorzuweisen,
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und sie war eine Europa-Partei. Aber wenn es um ein rechtskräftiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Nitratrichtlinie geht, das innerhalb von zwei Jahren umzusetzen ist, dann sollen auf einmal die europäischen Verträge einfach ignoriert werden? Was sagen Sie dazu, Herr Lambsdorff?
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Wenn nun auch noch gefordert wird, dass man die aufgrund des Urteils des EuGH notwendige Reform des Düngerechts ruhen lassen soll und erst einmal auf wissenschaftlicher Basis die Fakten ermitteln soll, dann frage ich mich, wann für Sie eine wissenschaftliche Basis jemals gut genug sein wird.
Nur einmal eine kleine Auswahl zum Mitschreiben, was der wissenschaftliche Stand ist: Der Wissenschaftliche Beirat für Düngungsfragen hat mehrfach regional zu hohe Stickstoffeinträge durch die Landwirtschaft dargestellt.
Kollege Träger, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Skudelny?
Nein, vielen Dank.
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Die Universität Kiel hat nach der letzten Reform des Düngerechts eine fehlende Übereinstimmung mit den europarechtlichen Nitratvorgaben festgestellt. Das Rechtsgutachten der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder sieht das novellierte Düngerecht nicht ausreichend gewappnet, um dem Nitratanstieg Paroli zu bieten. Was soll also die Forderung nach mehr wissenschaftlichen Erkenntnissen? Wenn es nach 20 Jahren Diskussion über die Reform des Düngerechts an einem nicht mangelt, dann an Daten und Fakten.
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An diesem Punkt sage ich: Gehen Sie weg vom Kurs der Verdrehung der Fakten. Kommen Sie zurück zu einer seriösen Debatte, und stellen Sie sich der Wirklichkeit.
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Zu der unseligen Messstellendiskussion. Ja, auch wir als SPD sind für einen konsequenten Ausbau der Messstellen. Ihnen empfehle ich: Unterhalten Sie sich mit Vertretern der kommunalen Wasserwerke. Vielleicht haben Sie nicht so viele kommunale Mandatsträger, aber die Mühe ist es durchaus wert.
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Die kommunalen Wasserwerke verzeichnen in den tierintensiven Regionen die gleichen Ergebnisse, zum Teil aber auch gravierendere Messergebnisse als das EU-Messstellennetz. Wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass die kommunalen Wasserwerke falsche Erhebungen durchführen? Das kann alles nicht wahr sein.
Es besteht Handlungsbedarf. Eine Pause, wie Sie sie verlangen, können wir uns nicht leisten. Seien Sie mutig, kehren Sie um, und arbeiten Sie mit an einem modernen Agrarstandort Deutschland.
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Zu einer Kurzintervention erhält nun die Kollegin Skudelny das Wort.
Kollege Träger, auf die Beleidigung, die Sie aus meiner Sicht am Anfang Ihrer Rede von sich gegeben haben, möchte ich gar nicht eingehen. Ich möchte auf den Punkt der Wissenschaftlichkeit eingehen.
Wir haben beide heute Morgen im Umweltausschuss gehört, was im TAB-Bericht steht. Wir haben gehört, dass es 10 Jahre dauert, bis ein Nitrateintrag an der Oberfläche unten im Grundwasser ankommt. Es dauert etwa 20 Jahre, bis die Grundwassermengen ausgetauscht werden. Das heißt, die Maßnahmen, die Sie 2017 ergriffen haben, können heute noch gar nicht wirken.
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Das wiederum bedeutet, dass die verschärften Maßnahmen, mit denen Sie die Bauern geißeln, überhaupt keine Chance haben, Wirkung zu zeigen, und wiederum eine Verschärfung einer Verschärfung einer Verschärfung nach sich ziehen werden. Wie erklären Sie das im Hinblick darauf, dass Sie Wissenschaftlichkeit an den Tag legen möchten? Die Wissenschaft sagt, dass man mindestens zehn Jahre warten muss, bis man eine Wirkung sieht,
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Sie verschärfen alle zwei Jahre: Wie bitte bringen Sie diese beiden Punkte zusammen?
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Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Skudelny, ist Ihnen aufgefallen, wer gerade frenetisch Beifall geklatscht hat bei Ihrem Beitrag?
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Zum Thema Wissenschaftlichkeit. Seit dem Jahr 2003 läuft das erste Verfahren gegen Deutschland wegen mangelnder Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie.
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Das heißt, 2017 war es allerhöchste Eisenbahn, dass wir zu einem Kompromiss kommen. Nach harten Verhandlungen und nach langem Ringen haben wir einen Kompromiss gefunden, der postwendend von der EU-Kommission zurückgegeben wurde. Das heißt, es geht gar nicht darum, was 2017 in Kraft trat. Vielmehr geht es einzig und allein darum: Was wird in der Wasserrahmenrichtlinie gefordert? Der Eintrag von Nitrat in den roten Gebieten ist schlicht nicht zu leugnen.
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Die niedersächsischen Behörden sind der Frage nachgegangen: Woher kommen diese Einträge? Und ja, es gibt auch Einträge, die nicht von der Landwirtschaft stammen. Die Behörden haben ermittelt: 8 Prozent kommen aus Kläranlagen und Klärwerken der Kanalisation, und nur lediglich 92 Prozent stammen aus landwirtschaftlichen Einträgen ins Gewässer. Fragen Sie sich selbst, wo wir den Hebel ansetzen müssen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2020 hat gerade begonnen. Mit diesem Jahr beginnt auch ein neues Jahrzehnt, das vor allem für Klimaschutz und Nachhaltigkeit besonders wichtig ist. Hier hat auch die Landwirtschaft ihre Hausaufgaben zu machen; meine Vorrednerinnen und Vorredner haben das schon detailliert vorgetragen.
2020 muss endlich damit begonnen werden, die Probleme in der Landwirtschaft, die seit Jahrzehnten ausgesessen werden, zu lösen, natürlich im konstruktiven Dialog miteinander,
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zum Beispiel das Problem der zu hohen Nitratwerte im Grundwasser. 40 Jahre dauert es – nicht 30, sondern 40 Jahre –, bis das Grundwasser wieder in Ordnung ist, wenn ein Eintrag stattgefunden hat. Die Linke fordert schon lange, die zu hohen Nährstoffeinträge zu reduzieren; aber immer wieder wurden nur faule Kompromisse geschlossen. Die EU zwingt uns jetzt zum Handeln. Jetzt aber sollen die Betriebe unser agrarpolitisches Versagen ausbaden. Das kann nicht sein.
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Deshalb ist Die Linke offen für bessere Vorschläge zur Lösung der Probleme und setzt vor allem auf Ursachenbekämpfung. Daher haben wir unseren Antrag „Nutztierhaltung an Fläche binden“ eingebracht. Zu hohe Tierbestände tragen zu regionalen Nährstoffüberschüssen bei. Längst ist bekannt, dass in den nutztierintensiven Regionen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens die Grenzen der Umweltbelastung schon lange überschritten sind. Was wir brauchen, ist eine flächengebundene Nutztierstrategie.
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Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sollen nur so viele Tiere auf der Fläche stehen, wie aus der Region ernährt werden können und wie die Flächen im Landkreis an Wirtschaftsdünger unbedingt brauchen. Das ist ökologisch, tierschutzgerecht und im Sinne des Klimaschutzes, und vor allem wünschen sich das die Verbraucherinnen und Verbraucher. Selbst die Bundesregierung formulierte Anfang 2019 in ihrer Nutztierstrategie eine flächengebundene Tierhaltung als langfristiges Ziel. Wir fordern: maximal 1,5 Großvieheinheiten pro Hektar auf Landkreisebene.
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Gehen wir das endlich an. So können strukturelle Ursachen beseitigt, Nährstoffkreisläufe regional geschlossen, Ver- und Entsorgungsverkehr sowie Tiertransporte minimiert werden. Auch die Tierseuchenbekämpfung bekäme so eine Chance.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich muss dieser Umbau sozial verträglich gestaltet sein. Aber wir wissen – wer ehrlich ist, sagt das auch –, dass die Zahl der tierhaltenden Betriebe schon länger sinkt, weil niedrige Erzeugerpreise Selbstausbeutung sind.
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Das ist Enteignung über den Markt, und die passiert aktuell ohne jeden sozialen Ausgleich. Eine Agrarpolitik, die das in Kauf nimmt und den Schaden für Grundwasser und Gewässer gleich mit, will Die Linke nicht.
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Gebraucht wird ein Konzept dazu, wie Gewässer geschützt werden und landwirtschaftliche Arbeit anständig bezahlt wird. Lassen Sie uns das 2020 endlich mit den Bäuerinnen und Bauern gemeinsam angehen. Ich freue mich auf die Debatten im Ausschuss und auf die zweite und dritte Lesung hier im Plenum.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit markigen, oft populistisch unverantwortlichen Reden – leider auch von FDP- und CSU-Politikern –
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vor Bauern und Bäuerinnen, was bei der Düngeverordnung alles noch geändert werden kann, will man nur vom eigenen Versagen ablenken. Das sind durchsichtige Ablenkungsmanöver.
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Wo will uns die FDP mit ihrem Antrag heute eigentlich hinführen? Anstatt dass Sie sich wirklich mit den Ergebnissen der Krefelder Studie zum Insektensterben ausführlich beschäftigen,
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werden die Aussagen der Krefelder Studie verdreht, schlicht falsch wiedergegeben. Die Studie zeigt sehr wohl, wie die Situation in weiten Teilen Westeuropas ist.
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– Das ist in Ihrem Antrag nachzulesen, Herr Lambsdorff. Das hätten Sie lesen sollen.
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94 Prozent der ausgewerteten Standorte sind landwirtschaftlich genutzte Gebiete. Wenn man die Ergebnisse dieser Studie nicht korrekt wiedergeben kann oder will, sollte man lieber schweigen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
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Aber auch aberwitzige Diskussionen über Messstellen – das zeigt das Beispiel der CDU-Ministerin Otte-Kinast –, ohne zu verstehen, wie das Messstellennetz funktioniert – das muss eine Ministerin nicht wissen –, führen die Landwirtschaft immer mehr ins gesellschaftliche Abseits.
Immerhin hat die Kanzlerin beim Agrargipfel zum Grundwasserschutz Tacheles geredet, wie wir im Ruhrgebiet sagen. Sie hat, statt Märchenwunschzettel zu verteilen, die Wahrheit gesagt, Klarheit und Wahrheit walten lassen. Hier gibt es nichts mehr zu bereden.
Die Ursache der Misere liegt seit über zehn Jahren nicht bei der Kommission, sondern im Nichtstun der Union. Über Jahre wurde verschleppt – es wurde ignoriert –, was hätte gelöst werden müssen. Diese Düngeverordnung ist wahrlich nicht das, was uns die Wissenschaft eindringlich anriet. Der Düngepapst, Professor Taube – wahrlich kein Grüner, soweit ich weiß –,
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hat erklärt: Alles über 130 Kilo N pro Hektar ist staatlich legitimierte Wasserverschmutzung. – Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sagte er. Er ist Minister in dem Schattenkabinett in Kiel gewesen, das Sie dort aufgestellt hatten.
Erlaubt haben Sie aber 170 Kilo N; das ist die Realität. Das, was jetzt vorliegt, wird dem Wasser nur sehr bedingt helfen. Vor allem trifft es den ökologischen Landbau leider genauso wie extensive Tierhalter oder bäuerliche Betriebe, die Tierhaltung und Fläche im Gleichgewicht halten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, von Ihrer Politik des Nichtstuns und Vertagens haben viele Bäuerinnen und Bauern – das spürt man doch –, aber auch viele Bürgerinnen und Bürger, die sich um die Umwelt und die Zukunft der Landwirtschaft sorgen, endgültig genug.
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Die Verständnis- und Dialogbereitschaft – auch das spürt man – ist doch da, die Menschen wollen miteinander ins Gespräch kommen. Sie wollen aber einen faktenbasierten Austausch. Sie wollen nicht ständig hinter die Fichte geführt werden, wie Kollege Träger gerade zu Recht klargestellt hat, diese ewigen Ablenkungsmanöver mit irgendwelchen undichten Kanälen und was wir da alles so hören. Nein, es geht darum, zu klären, was bei uns auf dem Acker los ist, da liegt die Hauptlast, das müssen wir klären.
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Unsere Umwelt, unser Wasser werden wir nur schützen, wenn wir die Nährstoffeinträge deutlich reduzieren.
Kollege Ostendorff.
Das heißt weniger Tiere, flächengebunden in den roten Gebieten, vor allem in den Schweinehochburgen.
Schönen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion.
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Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das politische Jahr beginnt in Berlin immer sehr stark agrarpolitisch geprägt, weil eben die Internationale Grüne Woche vor der Tür steht. Aber ich merke immer mehr, dass diese Internationale Grüne Woche auch dazu instrumentalisiert wird, um agrarpolitisch zu skandalisieren und einseitige Schuldzuweisungen gegen die Landwirtschaft zu machen.
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Das sollten wir nicht durchgehen lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle haben ein Interesse an sauberem Grundwasser, wir alle, auch die deutsche Landwirtschaft, die Bäuerinnen und Bauern, haben ein Interesse an sauberem Grundwasser. Wenn es jetzt eine neue populistische Partei gibt, die aufgrund der Bauerndemonstrationen plötzlich die Landwirtschaft wiederentdeckt hat, obwohl sie jahrelang Subventionsabbau gepredigt hat,
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dann hat das wahrscheinlich mehr mit den Bauernprotesten zu tun und weniger mit der Sacharbeit.
Warum, frage ich mich, hat der FDP-Landesminister, der heute schon erwähnt worden ist, im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft noch keine Stellungnahme zur aktuellen Düngeverordnung abgegeben? Da liegt noch nichts vor. Bitte erst einmal liefern, bevor man hier Populismus an den Tag legt!
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Dieser Populismus wird noch unterstrichen, wenn man heute – zwei Tage vor der Eröffnung der Internationalen Grünen Woche – eine namentliche Abstimmung verlangt, ohne in dem Fachgremium des Deutschen Bundestages, wo wir fachlich miteinander diskutieren, diese Diskussion zuzulassen. Einfach nur hier die große Show machen und eine namentliche Abstimmung beantragen, das geht nicht, meine Damen und Herren.
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Bezeichnend ist für die FDP, dass sie immer noch diese, ja, Psychose hat – oder in was die stecken. Weil Sie jetzt doch nicht mitregieren dürfen,
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weil Sie die Jamaika-Verhandlungen verlassen haben, suchen Sie sich jetzt solche Auswege.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen Lösungen für unsere Grundwasserqualität, aber auch Lösungen für unsere Bäuerinnen und Bauern.
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Da darf es nicht sein, dass wir zu einseitigen überzogenen Auflagen kommen. Ich denke hier gerade an die kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe und auch an die Biobauern, Herr Kollege Ostendorff. Bei mir beschweren sich Biobauern, die mit der Ausbringtechnik, die jetzt vorgeschrieben wird, nicht mehr zurechtkommen.
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Deshalb ist es wichtig, dass wir sachorientierte Lösungen suchen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich möchte zum Beispiel die Herbstdüngung nennen, die vor allem für den Humusaufbau, den Klimaschutz und anderes wichtig ist.
Noch ein paar Sätze zu den zwei Großvieheinheiten pro Hektar: Es mag sein, dass es Regionen gibt, wo wir zwei Großvieheinheiten pro Hektar versorgen können. Es gibt aber auch Regionen, in denen zwei Großvieheinheiten vielleicht zu viel sind, oder Regionen, wo wir mehr als zwei Großvieheinheiten halten können. Es muss eben das Fachliche im Vordergrund stehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nutzen wir die bevorstehende Internationale Grüne Woche, um die deutsche Landwirtschaft und die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern ins rechte Licht zu rücken und eine sachlich orientierte Diskussion zu führen.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Johann Saathoff das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen geht es vor allen Dingen um Wertschätzung. Den Landwirten geht es um Wertschätzung. Die Landwirtschaft gibt es dabei nicht. Sie ist sehr diversifiziert. So wie es nicht die Politik gibt, wie wir jeden Tag erklären, gibt es auch nicht die Landwirtschaft.
Wertschätzung gegenüber der Landwirtschaft wird unterschiedlichst ausgedrückt. Da gibt es ganz lustige Beispiele auch hier im Haus; darauf will ich nicht weiter eingehen.
Wertschätzung erfolgt jedenfalls nicht dadurch, dass man den Kopf in den Sand steckt und gegenüber den Landwirten simuliert, es gäbe überhaupt kein Problem. Das ist keine Wertschätzung.
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Wertschätzung, liebe Kolleginnen und Kollegen, erfolgt, indem man mit den betroffenen Landwirten gemeinsam Lösungen erarbeitet. Wertschätzung erfolgt durch Benennung der Fakten, und Fakt ist: Wir haben ein Nitratproblem im Grundwasser – da beißt die Maus keinen Faden ab –, nicht überall in Deutschland, aber vielerorts.
Die Menschen in Deutschland haben verdient, dass wir uns diesem Problem widmen und auch eine Lösung herbeiführen. Die Landwirte haben verdient, dass wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und auch auf Augenhöhe mit ihnen zusammen Lösungen erarbeiten, die sie wirtschaften und überleben lassen.
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Carsten Träger hat darauf hingewiesen – in dem Antrag steht so etwas wie „Jetzt kommt nach kurzer Zeit schon wieder etwas“ –: Das Problem gibt es nicht erst seit gestern. 2003 hat es das erste Mahnschreiben der EU dazu gegeben. Passiert ist aber in der Zwischenzeit nichts: Kopf in den Sand.
2013 ist das Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet worden. Passiert ist aber nichts. Und jetzt drohen immense Strafzahlungen, die die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu zahlen haben.
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Allein deshalb haben wir jetzt schon wieder eine Novelle der Düngeverordnung.
In der Fischereipolitik, meine Damen und Herren, geht man vom Maximum Sustainable Yield aus; das heißt, der Ertrag in der Fischerei darf langfristig nicht die Reproduktion der Fischarten gefährden. Übertragen auf die Landwirtschaft bedeutet das: Die Böden dürfen nicht stärker gedüngt werden, als sie es benötigen. Eine einfache Lösung wäre, die Viehhaltung an die vorhandene Fläche zu binden und die Grenze dafür festzulegen bzw. sie in Deutschland auch unterschiedlich festzulegen.
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Ich will an dieser Stelle eine Lanze für das Bundesumweltministerium brechen. Es hat sich nämlich bei der 20-Prozent-Regelung in den roten Gebieten extrem konstruktiv verhalten. Das zeigt, dass dort nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden soll und dass der Dialog mit den Landwirten ausdrücklich gewollt ist.
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In Ostfriesland würde man sagen: „Eerst prooten, denn schkellen wenn dat mutt.“ Oder anders gesagt: Wertschätzung für die Landwirtschaft erreicht man, indem man mit den Landwirten Probleme erörtert und gemeinsam Lösungen mit ihnen sucht,
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beim Düngerecht wie bei allen anderen Herausforderungen, die in der Landwirtschaft auf uns zukommen.
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Dazu erhoffe und wünsche ich mir eine Debatte unter Kollegen, die konstruktiv ist – nicht nur zur Grünen Woche, sondern darüber hinaus auch im restlichen Jahr.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Astrid Damerow das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat es gezeigt: Niemand hier im Haus wird bezweifeln, dass Wasser eine Ressource von wirklich unschätzbarem Wert ist. Der Antrag der Grünen, der hier noch nicht so sehr besprochen wurde, hat die Überschrift: „Wasser muss sauber und bezahlbar bleiben“.
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Ich will an dieser Stelle nochmals wie übrigens bereits im Mai deutlich machen, dass wir das Ziel und das Anliegen der Antragsteller hier absolut teilen. Was wir allerdings nicht teilen, sind die Bewertungen und die Schlussfolgerungen, die Sie in Ihrem Antrag ziehen. Ich widerspreche hier nochmals ausdrücklich dem immer wieder erweckten Eindruck, dass wir bei der Wasserqualität in den vergangenen Jahren keine Fortschritte erzielt haben.
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Ganz im Gegenteil: Überall in Deutschland kann Wasser aus der Leitung getrunken werden. Das ist weiß Gott keine Selbstverständlichkeit.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Kernstück unseres Gewässerschutzes ist die europäische Wasserrahmenrichtlinie. Sie ist seit 20 Jahren in Kraft und ermöglicht ein zielgerichtetes Monitoring unserer Wasserqualität. Auch hier ist das Ergebnis übrigens eindeutig: Der Zustand unserer Gewässer hat sich in den letzten 20 Jahren verbessert.
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Natürlich können wir nicht zufrieden sein, weil wir noch nicht überall die Wasserqualität haben, die wir erwarten und die vor allem unsere Bürger mit Recht erwarten. Genau deshalb flankiert die Bundesregierung die Wasserpolitik in unserem Land durch zahlreiche weitere Maßnahmen: sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.
Schon heute nehmen wir im Rahmen des Nationalen Wasserdialogs die Wasserversorgung 2050 in den Blick. Der Spurenstoffdialog der Bundesregierung zeigt übrigens die gesamte Komplexität der Maßnahmen. Bis zum März letzten Jahres war das Bundesumweltministerium mit allen Beteiligten im Dialog, um Lösungen bei der Produktion, im Handel und im Übrigen auch bei der Abwasserbehandlung zu finden. Derzeit werden Maßnahmen getestet und evaluiert. Ergebnisse werden im Sommer vorliegen. Die Bundesregierung wird aus diesen Ergebnissen des Spurenstoffdialogs dann eine Spurenstoffstrategie erarbeiten. Zeitnah werden wir Neuregelungen im Abwasserabgabengesetz zu diskutieren haben.
Ich will an dieser Stelle einmal darauf hinweisen – das ist etwas, was immer ein bisschen vergessen wird –, dass die Substanzen, die heute in Gewässer eingebracht werden, mit den heutigen Messmethoden viel besser nachgewiesen werden können, was im Umkehrschluss natürlich dazu führt, dass die Anforderungen an die Wasserqualität immer wieder steigen. Auch das ist eine Herausforderung, mit der wir politisch umgehen müssen.
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Natürlich, meine Damen und Herren, denken wir Wasserpolitik auch global; denn die Belastungen unseres Wassers machen nicht an Landesgrenzen halt. Im Dialog mit der Schifffahrt, der Fischerei, dem Tourismus sowie anderen Akteuren reduzieren wir die Vermüllung unserer Meere. Wir fördern die Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern, in denen sauberes Wasser noch nicht selbstverständlich ist. – Ich könnte diese Liste noch sehr lange weiterführen. Ich habe das in meiner Rede im Mai hier bereits getan. Ich rede hier von der europäischen Trinkwasserrichtlinie, von Antibiotikaresistenzstrategien, von den Forschungen bei der Mikroplastikbelastung und, und, und.
In ihrem Antrag vermittelt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen leider den Eindruck – das ist natürlich als Opposition ihr gutes Recht –, dass die Bundesregierung nichts tut und wir alles laufen lassen. Das Gegenteil ist der Fall;
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das habe ich Ihnen hier an einigen Beispielen versucht deutlich zu machen.
Wir werden deshalb Ihren Antrag abschließend ablehnen, weil wir viele Maßnahmen, die Sie fordern, bereits umsetzen, weil Sie unserer Ansicht nach in Ihrem Antrag die Möglichkeit von freiwilligen Maßnahmen und im Übrigen auch die Erfolge, die mit freiwilligen Maßnahmen bereits erzielt wurden, viel zu wenig würdigen und weil es uns wirklich stört, dass Sie in Ihren Anträgen immer wieder den Eindruck erwecken, dass die Wasserqualität bei uns in Deutschland verheerend schlecht ist.
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Ich halte das für nicht richtig
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und im Übrigen auch unseren Bürgern gegenüber nicht in Ordnung. Wir wollen festhalten: Unsere Wasserqualität in Deutschland ist gut.
Kollegin Damerow, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Letzter Satz. – Sie ist in den letzten 20 Jahren erheblich besser geworden. Unsere CDU-geführte Bundesregierung wird mit unserer Unterstützung dafür sorgen, dass das auch so weitergeht.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich schließe die Aussprache.