Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/20/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen schönen guten Morgen! Ich bin etwas überrascht über die Reihenfolge. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Parlament ist, glaube ich, noch ein bisschen müde. Wir waren gestern Abend lange hier. Man könnte sich wünschen, dass die eine oder andere Weihnachtsfeier vielleicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden könnte. Das würde der Gesundheit nicht abträglich sein. Woran, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, denken Sie, wenn Sie an künstliche Intelligenz denken? Vielleicht denken Sie an das autonome Fahren, daran, dass in einigen Jahren vielleicht etwas möglich sein wird, auch wenn es jetzt noch kompliziert ist, nämlich dass, wenn Sie die App drücken und sagen, Sie möchten in fünf Minuten von A nach B gebracht werden, ein Auto kommt und Sie mit Elektromobilität umweltfreundlich ans Ziel bringt, Sie keinen Parkplatz zu suchen brauchen und auch wieder abgeholt werden? Denken Sie bei künstlicher Intelligenz vielleicht an den Roboter, der Ihre Oma pflegen wird, so wie das in Japan in Teilen schon der Fall ist? Oder denken Sie an den Roboter, der Sie am Knie mit hoher Präzision operieren wird? Künstliche Intelligenz kommt nicht erst; sie ist schon da, sie durchdringt unsere Gesellschaft bereits. Es liegt tatsächlich an uns, ob wir die Chancen oder die Risiken überwiegen lassen und wie wir künstliche Intelligenz gestalten. Wir können wählen zwischen den Systemen, die es schon gibt. Künstliche Intelligenz dient in China dem Staat dazu, die Bürger zu überwachen; in den USA dagegen ist alles sehr unreglementiert. Ich glaube aber, dass hier Einigkeit besteht, dass wir ein europäisches, ein deutsches Modell von künstlicher Intelligenz haben: Künstliche Intelligenz soll den Menschen dienen, darf sie aber nicht überwachen und soll insgesamt einen gesellschaftlichen Fortschritt bewirken, der vernünftig ist. ({0}) Wir reden heute das erste Mal über die erste Phase der Arbeit der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“. Wir haben sie der Arbeit wegen in zwei Phasen aufgeteilt. Unter anderem waren in der ersten Phase Wirtschaft, Staat und Gesundheit Thema. Ich bin sehr davon überzeugt, dass im Bereich Gesundheit künstliche Intelligenz das Leben in vielen Bereichen viel besser machen wird, nämlich da, wo es gelingt, Diagnosen schneller zu ermitteln und Therapien schneller zur Verfügung zu stellen und zielgenauer zu arbeiten. Das geht am besten übrigens – das ist eine unserer Erkenntnisse – immer mit Menschen zusammen. Die Interaktion von Mensch und Maschine ist wichtig, wird zum Erfolg führen und wird dazu beitragen, dass Menschen besser gepflegt und gesund erhalten werden können. Aber: Für künstliche Intelligenz braucht es unglaublich viele Daten, die gesammelt werden müssen. Gerade im Gesundheitsbereich sind Daten hochsensibel und sehr persönlich. Deswegen sind wir sehr der Auffassung, dass bei der Freigabe von Daten und die Verwendung von Daten der betroffene Patient, der Mensch mitentscheiden muss und sogar widersprechen können sollte und dass mit den Daten sehr transparent und kontrolliert umgegangen und kein Missbrauch betrieben wird. Im Bereich der Pflege wie im Gesundheitsbereich insgesamt kann künstliche Intelligenz das Leben besser machen. Aber wir sind ausdrücklich der Auffassung, dass künstliche Intelligenz nicht menschliche Nähe und Zuwendung ersetzen darf, sondern sie muss die Freiräume schaffen, die es braucht, damit Pflege weiterhin menschlich bleibt. Das ist Zielsetzung künstlicher Intelligenz. ({1}) Die häufigsten Ängste und Sorgen, die ich jedenfalls höre, wenn ich mit anderen Menschen darüber diskutiere, was für sie künstliche Intelligenz ist, betreffen tatsächlich den Arbeitsplatz. Wird künstliche Intelligenz meinen Arbeitsplatz ersetzen? Wird künstliche Intelligenz zukünftig mich ersetzen? Wird künstliche Intelligenz vielleicht sogar über mich bestimmen oder mir sagen, wie ich mich verhalten soll? Tatsächlich wird künstliche Intelligenz im Bereich der Arbeit die Welt verändern. Viele Tausende Jobs, Hunderttausende Jobs werden wegfallen, neue werden entstehen. Wir werden in der Enquete-Kommission noch darüber diskutieren, wie die Bilanz aussehen wird. Ich glaube, dass sie positiv sein wird, also dass mehr Arbeitsplätze entstehen werden als wegfallen. Aber wir haben dabei einige Dinge zu beachten. Was bedeutet das für den einzelnen Arbeitnehmer, für die einzelne Arbeitnehmerin? Wird er oder sie den Wechsel schaffen? Wird er oder sie überfordert sein von neuen Anwendungen, von neuen Jobs? Deswegen ist es richtig, dass wir zusehen, dass Menschen schon heute qualifiziert, ausgebildet und vorbereitet werden auf neue Anforderungen, die über künstliche Intelligenz an sie herangetragen werden. Deswegen bin ich sehr froh, dass von Hubertus Heil als Arbeitsminister mit dem Qualifizierungschancengesetz der Großen Koalition der erste Schritt gemacht wird, Menschen bereits im Job zu qualifizieren, damit sie den nächsten Job bewältigen können. ({2}) Die wichtige Frage wird auch sein: Werden die Arbeitnehmerrechte, die Sozialsysteme, die wir jetzt haben, die darauf zugeschnitten sind, dass ein Mensch in einem Betrieb arbeitet, dort angestellt ist, Arbeitnehmer ist, eigentlich noch passen bei den Herausforderungen, bei den Anforderungen der künstlichen Intelligenz? Es wird noch eine spannende Diskussion werden: Was bedeutet künstliche Intelligenz für Mitbestimmung, für Arbeitnehmerrechte und für das Sozialversicherungssystem, und wie gelingt es, dass trotzdem eine solidarische Krankenversicherung und Rentenversicherung bezahlt werden wird? Wir als SPD sehen künstliche Intelligenz als Teil des Fortschritts. Aber Fortschritt ist kein Selbstzweck. Wir wollen, dass aus technologischem Fortschritt gesellschaftlicher und sozialer Fortschritt wird. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Ich danke ausdrücklich unseren Mitarbeitern für die tolle Arbeit. Ich habe gesehen, dass die Mitarbeiter des Sekretariats der Enquete-Kommission auf der Zuschauertribüne sind. Sie haben das Jahr mit viel Arbeit toll gemeistert. Ihnen dafür herzlichen Dank von dieser Seite aus! ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Joana Cotar, AfD. ({0})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Heute besprechen wir die Zwischenbilanz der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“. Es geht um gesellschaftliche Verantwortung, um wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale. Die einen sehen in der KI die großen Chancen für dieses Land, die anderen haben eher Angst davor. Was bringt uns die künstliche Intelligenz? Wo kann sie uns nutzen? Was passiert, wenn Millionen von Arbeitsplätzen wegfallen? Wie können neue entstehen? Wie kann die KI unser Alltagsleben erleichtern, in der Medizin helfen, bei der Verkehrssteuerung, in Unternehmen? Wie beeinflusst die künstliche Intelligenz die Demokratie, wenn lernende Algorithmen bestimmen, was wir online sehen und was nicht? Es liegt an uns, den Umgang mit der künstlichen Intelligenz aktiv zu gestalten. Es liegt an uns, die Chancen, die die KI uns bietet, zu nutzen. Und dabei steht immer eins im Mittelpunkt: der freie Mensch. Wir brauchen einen ideologiefreien Umgang mit der künstlichen Intelligenz. Sie soll den Menschen nicht erziehen, ihm keine Haltung antrainieren, sie soll ihm die Freiheit zum eigenständigen Denken und Handeln lassen. Wir müssen darauf achten, dass Algorithmen diskriminierungsfrei sind, und zwar in alle Richtungen. Wir brauchen die Medien- und die Meinungsvielfalt, auch wenn uns einige Meinungen nicht passen. Das ist Freiheit. ({0}) Und wir dürfen auch keine Panik schüren vor Wahlen, wie wir das in letzter Zeit so gerne tun: Social Bots, Mikrotargeting und angebliche Filterblasen würden die Demokratie zerstören. Wie wir in den letzten Vorträgen der Sachverständigen gehört haben, ist das durchaus nicht der Fall. Ein wenig mehr Gelassenheit würde uns hier guttun. ({1}) Thema Daten. Sie sind die Grundlage für die künstliche Intelligenz. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser kann man die KI trainieren. In China und in den USA ist der Zugriff auf Daten meistens kein Problem; hier können Forscher oft aus dem Vollen schöpfen. Anders ist das in der EU und in Deutschland. Hier macht vor allem die DSGVO den Forschern das Leben ein bisschen schwer. Verstehen Sie mich nicht falsch! Wir brauchen einen guten Datenschutz. Aber in Deutschland neigen wir dazu, das Sammeln und das Auswerten von Daten generell zu verteufeln. Wenn aber Datenerhebungen in Krankenhäusern dazu führen, dass die Zahl der Todesfälle zurückgeht, dass neue Behandlungsmethoden gefunden werden, dann ist das etwas Gutes. Wir müssen deutsche Firmen, die auf Kl-Lösungen setzen, die uns welterbringen, im globalen Wettbewerb stärken; das heißt, wir müssen die Datenschutz-Grundverordnung überarbeiten und das Thema Datenspende auf die Tagesordnung setzen. ({2}) Damit die Menschen die Angst davor verlieren, wichtige Daten anonymisiert oder pseudonymisiert zur Verfügung zu stellen, muss die Politik sie frühzeitig mitnehmen. Es fehlt an Aufklärungskampagnen, an koordinierten Bildungsangeboten. Es fehlt an Medienkompetenz. Hier ist dringender Handlungsbedarf geboten. Auch auf anderen Gebieten muss die Regierung handeln, damit uns China und die USA nicht endgültig abhängen. Wir brauchen mehr Investitionen. Allein die chinesische Stadt Tijan plant für die KI-Förderung 12,8 Milliarden Euro. Wir brauchen Bürokratieabbau. Wir brauchen mehr Sandboxes, in denen neue Ideen ausprobiert werden können. Wir dürfen nicht weiter zulassen, dass gut ausgebildete Fachkräfte und Entwickler Deutschland verlassen, weil die Bedingungen, die sie hier vorfinden, nicht passen. Wir müssen den Wissenstransfer von den Universitäten und der Forschung in die Wirtschaft besser unterstützen. Wir brauchen ein bis zwei Leuchtturmprojekte mit ordentlichem Budget zwecks internationaler Sichtbarkeit. Bei Plattformen und Co haben uns andere Länder abgehängt. Bei der Industrie 4.0 haben wir noch eine Chance, wenn wir es denn wollen. Die Enquete-Kommission wird ihren Teil dazu beitragen, auch wenn ich mir wünschte, dass wir manchmal mehr PS auf die Straße bringen und weniger über den Istzustand als über das reden, was sein könnte. Dann ist die Regierung gefragt. Sie muss endlich aus ihrem Dornröschenschlaf aufwachen. Sie muss in Sachen Digitalisierung und KI einen Sprint hinlegen, damit wir mit anderen Ländern gleichziehen können. Setzen Sie den richtigen Fokus, werte Regierungsvertreter! Denken Sie groß! Die Zeit drängt! Zum Schluss möchte ich mich noch bei meinen Enquete-Kollegen und bei den Sachverständigen für die gute Zusammenarbeit der letzten Monate bedanken, auch und gerade in der Projektgruppe „KI und Medien“, die ich leiten darf, ebenfalls natürlich bei den guten Geistern hinter den Kulissen, dem Sekretariat, das dafür sorgt, dass diese Enquete-Kommission überhaupt läuft. Vielen Dank und Ihnen allen ein fröhliches Weihnachtsfest! ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ronja Kemmer, CDU/CSU. ({0})

Ronja Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Künstliche Intelligenz weckt Hoffnungen, aber auch Ängste: selbstfahrende Autos, Krebsfrüherkennung, smarte Energiesysteme. Für den einen ist KI eine Technologie, die unser Leben verbessern kann. Die anderen warnen vor wegfallenden Jobs. Sie fürchten um die Entscheidungsmacht der Menschen. Zu den Bedenkenträgern gehören ich und meine Fraktion ausdrücklich nicht. Wir sehen die Chancen der künstlichen Intelligenz, und wir wollen diese nicht zerreden. ({0}) Die Entwicklung geht rasant voran. Intelligente Technologien sind bereits in vielen Bereichen im Alltag fest verankert: ob Navigation mit Verkehrsprognosen, Medizinroboter oder eben künftig autonome Fahrzeuge. Wir müssen jetzt schnell über kluge rechtliche und ethische Maßstäbe reden, um uns fit für die Zukunft zu machen. Und genau daran arbeiten wir in der Enquete-Kommission: Wir unterfüttern das mit zusätzlichem Wissen. Wir wollen differenzieren. Wir wollen Lösungsangebote unterbreiten. Deswegen möchte ich zunächst einmal den Sachverständigen, gerade weil sie heute persönlich leider nicht da sein können, an dieser Stelle recht herzlich für den tollen Einsatz und die große Unterstützung in der Enquete-Kommission danken. ({1}) Die Welt wartet nicht auf uns. Ob USA, China, Südkorea, andere Länder nehmen Milliardenbeträge in die Hand. Wir brauchen mehr Geschwindigkeit und Dynamik. In der Projektgruppe Wirtschaft haben wir uns genau deswegen über die Frage unterhalten: Wie schaffen wir es, einen eigenständigen europäischen Weg, einen nachhaltigen Weg zu beschreiten? Diesen Anspruch halte ich auch für gerechtfertigt. „AI made in Europe“ ist eine erfolgversprechende Marke. ({2}) Aber Vorreiter können wir nur sein, wenn wir auch den technisch-wissenschaftlichen Vorsprung haben, wenn wir eine robuste Infrastruktur haben, wenn wir vor allem aber auch zukunftsfähige und skalierbare Geschäftsmodelle entwickeln. Ohne das Training von großen Datenmengen, ohne konkrete Anwendungen werden wir keinen Erfolg haben. Deswegen möchte ich zumindest drei der Empfehlungen unserer Projektgruppe kurz herausgreifen. Zunächst: Wir wollen Unternehmen ermutigen, KI vielleicht noch stärker zu nutzen als bisher. Da sind Start-ups auf der einen Seite Treiber in der Entwicklung. Aber sie brauchen auf der anderen Seite gute Rahmenbedingungen. Sie brauchen Ökosysteme und vielleicht noch gezieltere Förderung an der einen oder anderen Stelle. Auch den Mittelstand wollen wir stärker unterstützen, wollen wir in der Transformation begleiten, zum Beispiel im Bereich des Technologiescoutings. Zum Zweiten wollen wir, dass der Transfer auch schnell in die Mitte der Gesellschaft kommt. Wir sind gut in der Grundlagenforschung, aber wir brauchen noch bessere praktische Regeln, was Datenpools angeht, was Experimentierräume und Testlabore betrifft. Nur wenn wir die Kräfte bündeln, können wir auch im internationalen Vergleich Schlagkraft und Sichtbarkeit generieren. Erst vor kurzem war ich mit unserem Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus bei mir im Wahlkreis an der Universität in Ulm unterwegs. ({3}) Dort wird am autonomen Fahren geforscht. Kluge Köpfe aus der Wissenschaft verbinden sich aber hier ganz stark mit Partnern aus der Wirtschaft. Der direkte Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft: Hier wird gezeigt, wie es funktionieren kann. Zum Dritten brauchen wir sicherlich auch eine Debatte über die Frage von Akzeptanz von künstlicher Intelligenz in unserer Gesellschaft. Wir brauchen eine breitere Vermittlung über das Wissen von Algorithmen, von neuen Technologien bereits in den Schulen. Und auch für diejenigen, die schon im Arbeitsleben sind, werden wir im Bereich der Fortbildungen sicherlich noch mehr tun müssen. Außerdem fordern wir mehr vertrauensbildende Maßnahmen, internationale Standards und Gütesiegel, wie wir sie zum Beispiel von Elektrogeräten kennen. Gerade angesichts der Debatten, vor allem auf der linken Seite in unserem Haus, muss ich sagen: Wenn wir am Ende jedes potenzielle Risiko, jeden möglichen Fehler eines KI-Systems zum Bremsklotz werden lassen, dann werden wir keine Innovationen verzeichnen, dann werden wir keine Sprünge machen, und vor allem werden wir dann ins Hintertreffen geraten. Diese Denke ist eine Sackgasse für den Fortschritt in unserem Land. ({4}) Aber der technische Fortschritt musste sich schon immer gegen Bedenkenträger durchsetzen. Gerade in meiner Heimat, in Baden-Württemberg, wissen wir das aus der Geschichte nur zu gut. Carl Benz war ein großer Erfinder und Techniker. Bereits im Jahr 1886 hatte er das erste Patent für einen Motorwagen angemeldet; das erste Automobil der Welt. Aber auch schon damals gab es große Skeptiker, die gefragt haben: Ist das nicht alles zu risikoreich? Kann das denn überhaupt funktionieren? Wollen wir nicht lieber beim sicheren Pferdegespann bleiben? Der große Beweis, er hat zunächst gefehlt. So verharrte die Erfindung in der Werkstatt, bis dann seine Frau Bertha als mutige Frau dieser Zeit die Initiative ergriff. ({5}) Sie packte im Sommer 1888 kurzerhand die Söhne ein und fuhr von Mannheim nach Pforzheim. Wie wir aus der Geschichte wissen: Die Fernfahrt verlief größtenteils problemlos. Diese Pioniertat, glaube ich, zeigt damals wie heute: Wir brauchen Mut! Wir brauchen Tatkraft! Wir brauchen aber vor allem weniger Bedenken, weniger Zaudern. Wir müssen einfach die Dinge auch mal ausprobieren. Deswegen lassen Sie uns mit Blick auf die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, gemeinsam mehr KI wagen! Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission. Ich will auch noch ausdrücklich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und dem Sekretariat danken, die uns tatkräftig unterstützen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Mario Brandenburg, FDP, ist der nächste Redner. ({0})

Mario Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004677, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte einen Teil meiner Redezeit darauf verwenden, dem Sekretariat und unseren Sachverständigen zu danken, die wirklich sehr viel Arbeit, aber auch private Zeit in uns investieren. Ich glaube, ohne sie wäre diese Kommission zum Scheitern verurteilt. Vielen Dank an dieser Stelle! ({0}) Nun aber zum Thema. Der Bundestag bespricht nun endlich zur Primetime ein Thema unserer Zeit: künstliche Intelligenz. Während Umfragen uns sagen, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern immer mehr der Optimismus überwiegt, werden in diesem Haus leider manche Debatten noch immer unter einem eher pessimistischen Vorzeichen geführt. Das ist schade; denn wer immer wieder die gleichen Beispiele von Diskriminierung oder Voreingenommenheit aus der Mottenkiste holt, macht es sich zu einfach. Weder Rassismus noch Sexismus sind Erfindungen von Algorithmen oder bestehen aus Einsen und Nullen. Es sind unsere gesellschaftlichen Probleme, mit der wir die KI füttern. Die Daten sind ein Spiegel unserer Gesellschaft, und KI ist eben doch nur ein Werkzeug ohne eigene Agenda und eigene Werte. ({1}) Leider haben diese teils in der Vergangenheit verhafteten Debatten in der Enquete-Kommission viel Zeit gefressen, die wir besser dafür aufgewendet hätten, um uns über ein positives, zukunftsgewandtes Gesellschaftsbild zu unterhalten. Da wir im Konsens entscheiden, was gut ist, gibt es in Berichten eben auch Passagen, die ich persönlich für nicht sonderlich hilfreich halte. Ich möchte ein Beispiel nennen. In einem Bericht steht: Es muss ein Recht geben, sich gegen KI-Anwendungen zu entscheiden. – Das mag faktisch richtig sein; es schürt aber auch subtil Ängste. Denn eine Forderung, dass ich eine KI-Anwendung einsetzen darf, findet sich eben nicht in diesem Text. ({2}) Wir müssen beide Seiten der Medaille betrachten. Denn wer hilft mir im Zweifelsfall, mich gegen eine voreingenommene oder diskriminierende menschliche Meinung vielleicht mithilfe einer KI wehren zu können? Wer die Debatte so einseitig führt, spielt damit, dass die Bevölkerung unnötige Ängste erleiden muss. ({3}) Es geht nicht darum, diese Ängste zu unterdrücken oder wegzuwischen. Denn die, die nicht wollen, dürfen wir natürlich nicht zum Fortschritt zwingen. Aber wir dürfen genauso wenig die, die etwas mehr wollen, durch andauernde Bedenkenträgerei oder sonstige Regularien ausbremsen. ({4}) Um diese Regularien eben nicht aufzustellen, bin ich froh, dass es in der Projektgruppe Wirtschaft, welcher ich angehören darf, durchaus sehr gute Handlungsempfehlungen gibt, nämlich zum Beispiel zu den schon angesprochenen regulatorischen Sandkästen, um die, die ein bisschen mehr wollen, ausbrechen zu lassen und ein bisschen nach vorne gehen zu lassen. Innovative Finanzierungsformen wie ein Dachfonds für Innovationen werden dort genannt. Wir diskutieren über Datenportabilität, Interoperabilität und Datentreuhänder. All diese Mittel können es schaffen, dass wir, dass Deutschland und Europa bei der KI unseren eigenen Weg gehen können. Zuletzt noch an die Große Koalition: Es freut mich sehr, dass wir laut einer Handlungsempfehlung jetzt auf einmal Messkriterien für Strategien brauchen. Ich freue mich schon, wenn Sie Ihre eher homöopathische KI-Strategie um ein paar Messkriterien erweitern. ({5}) Zum Schluss möchte ich noch sagen: Egal wie viele Kommissionen wir einberufen, egal wie viele Papiere wir schreiben – letztendlich beginnt die Veränderung mit uns. Wenn es uns als Politik und Gesellschaft nicht gelingt, ein positives Bild der Zukunft mit Technologie zu zeichnen und Bock auf morgen zu haben, wird es schwierig. Genau dafür, dass es gelingt, werden wir Freie Demokraten uns weiterhin einsetzen. Vielen Dank. Wir freuen uns auf die Rückrunde. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Anke Domscheit-Berg, Die Linke, hat als nächste Rednerin das Wort. ({0})

Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004703, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich mit wirklich großem Enthusiasmus in die Arbeit bei der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ gestürzt. Ich habe Transparenz und Bürgerbeteiligung erwartet; denn KI-Computerprogramme, die selbst lernen und Entscheidungen treffen können, werden unsere Gesellschaft sehr verändern. Deshalb sollte die Gesellschaft auch daran beteiligt sein, wenn diese Kommission Handlungsempfehlungen für die Politik erarbeitet, die sich ja auf uns alle auswirken werden. Stattdessen fand Transparenz nur sehr wenig statt, und Bürgerbeteiligung fand bisher überhaupt nicht statt. Die drei Projektgruppen – Wirtschaft, Gesundheit und Staat – tagten ausschließlich hinter geschlossenen Türen. Sitzungen der Gesamtkommission waren nur während der Kurzvorträge von Sachverständigen öffentlich. Für ihre anschließende Befragung wurde der Livestream einfach abgeschaltet, und die Gäste wurden rausgeschickt. Über Stunden hieß es: Gäste rein und raus, rein und raus. – Ein wirklich absurder Vorgang! ({0}) Unsere Anträge, die drei abgeschlossenen Teilberichte zu veröffentlichen, wurden abgelehnt. ({1}) Nur das jeweils erste Kapitel wurde gestern öffentlich. ({2}) Der Rest wird nun ein Jahr lang in der Schublade schmoren und dabei ganz bestimmt nicht an Aktualität gewinnen. Die Planung für die Bürgerbeteiligung wiederum zog sich so lange hin, dass es nur noch eine Feigenblattbeteiligung im Frühjahr 2020 geben wird, bei der die Zivilgesellschaft ausgewählte Ergebnisse der Enquete noch bewerten kann. Ihr Input kann zu diesem Zeitpunkt aber kaum noch einfließen. ({3}) So baut man kein Vertrauen auf, liebe GroKo, und ernstgemeinte Bürgerbeteiligung geht anders. ({4}) Eine der drei Arbeitsgruppen – Künstliche Intelligenz und Staat – habe ich geleitet. Da die Vorstellungen der Linksfraktion im Bericht der AG nicht ausreichend enthalten sind, werden wir für die Themenbereiche „Innere Sicherheit“ und „Militär“ ein Sondervotum veröffentlichen. ({5}) Nach unserer Überzeugung muss es rote Linien für den Einsatz von KI geben, nämlich immer dann, wenn Fehlentscheidungen der selbstlernenden Systeme einen unvertretbaren Schaden für Menschen oder die Gesellschaft als Ganzes nach sich ziehen. Diese roten Linien müssen mit einem Risikoklassenmodell gezogen werden und sind in jedem Fall zu respektieren, auch dann, wenn die Klassifizierung ein Einsatzverbot bedeutet. Bei Grundrechtseingriffen wie beim Einsatz biometrischer Gesichtserkennung im öffentlichen Raum oder beim Einsatz autonomer Waffen sehe ich diese roten Linien überschritten. ({6}) Der Bericht zum Thema „Künstliche Intelligenz und Staat“ ist so leider ein GroKo-Positionspapier geworden, das gerade bei sensiblen Fragen eine ausreichend klare Haltung vermissen lässt. Unser Anspruch als Linksfraktion ist ein anderer. ({7}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafgesetzbuch verloren haben. § 219a gehört abgeschafft. Vielen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich glaube, dass es uns mit dieser Form von Debatte noch nicht gelungen ist, die Menschen beim Thema „künstliche Intelligenz“ abzuholen; denn wir bleiben sehr an der Oberfläche. Frau Kemmer, wenn Sie sagen: „Mehr KI wagen“, dann fragen sich die Menschen natürlich, was Sie damit meinen. Meinen Sie „chinesische KI wagen, also den totalen Überwachungsstaat“? ({0}) Oder meinen Sie „schwedische KI wagen, also eine sozialökologische Form von Technologieeinsatz“? Das wäre etwas, worauf wir uns einigen könnten. ({1}) Herr Brandenburg, Sie sagen: Diskriminierung ist kein Thema bei KI. – Ich meine, die Daten müssen diskriminierungsfrei sein; denn sonst bilden wir plötzlich das ab, was es an Rassismus und Sexismus in der Gesellschaft, im Internet gibt. ({2}) Die Voraussetzung für gute Technologie ist, dass wir Antidiskriminierung haben. ({3}) Ich möchte die Diskussion nutzen, um auf die Anwendungen einzugehen. Ich war gestern auf einem Gipfel der Kommunen zum Thema „künstliche Intelligenz“. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort fragen: Wofür brauchen wir das? Das ist eine sehr berechtigte Frage. Es gibt Lösungen. Es gibt beispielsweise eine ganze Reihe von Anwendungen im Bereich Verkehr. Die Schweizer Bahn beispielsweise nutzt künstliche Intelligenz, um ihr Schienennetz besser auszulasten, sodass 30 Prozent mehr Züge darauf fahren können. Das ist ein gutes Beispiel für künstliche Intelligenz. ({4}) Wir diskutieren über das autonome Fahren. Wenn man sich ein bisschen mit der Technologie befasst, weiß man, dass sehr viel investiert wird. Es ist auch ein Zeichen, dass US-amerikanische Konzerne jetzt zu uns kommen und hier investieren. Aber die Nahzeitlösung wird nicht sein, dass jeder in München mit dem Auto zum Oktoberfest fahren, dort sein Bier trinken und mit dem Auto zurückfahren kann. Dann würde es auch sehr viel Stau geben. Das Modell, das wir brauchen, sind Kleinbusse an den Außenästen, um das zu ergänzen, was wir im öffentlichen Nahverkehr in der Fläche brauchen. ({5}) Auch dort wird geprobt, auch dort gibt es Beispiele. Bei mir in München gibt es den IsarTiger. Da fährt zwar noch der Mensch, aber die Routenplanung macht die künstliche Intelligenz. So kann man die Menschen besser im öffentlichen Raum abholen. Man kann das Netz besser auslasten. Man kann auch die Energiewende mit künstlicher Intelligenz besser steuern, sodass die vielen kleinen Produzenten und Konsumenten zusammenkommen und ein neuer Energiemarkt entsteht. Das alles sind sehr positive Anwendungen. Eine Debatte wird aufgrund des steigenden Energieverbrauchs im Zuge der Digitalisierung natürlich sehr wichtig werden: Wir müssen Technologie dafür einsetzen, die Klimakrise zu bekämpfen, und nicht dafür, sie zu verschärfen. ({6}) Wir brauchen für die Digitalisierung und insbesondere für die künstliche Intelligenz ganz klare nachhaltige Leitplanken. Es gibt auch eine ganze Reihe anderer Anwendungen, zum Beispiel Alexa von Amazon. Da möchte ich Ihnen kurz vor Weihnachten sagen: Schalten Sie es in Ihren Haushalten besser aus. ({7}) Denn das, was dort stattfindet, ist der Weg in den totalen Überwachungsstaat, ({8}) und zwar nicht nur technologisch auf der Produktseite, sondern auch in den Amazon-Werken, wo die Menschen beispielsweise überwacht werden, wenn sie auf die Toilette gehen. Das ist nicht die Form von künstlicher Intelligenz, die wir wollen. Das chinesische Modell ist nicht das, was wir wollen. Das europäische Modell muss sein: sozial, ökologisch, nachhaltig und die Freiheitsrechte der Bürger schützend. Dann wird ein guter Ansatz daraus. Ich freue mich auf die Debatte, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit in der Enquete. Danke schön. ({9})

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ja der letzte Sitzungstag vor der Weihnachtspause. Ich merke in den Gesprächen, dass viele diese Pause durchaus ein bisschen herbeisehnen. Als Vorsitzende der Enquete-Kommission sei mir die Bemerkung gestattet, dass das sicher für die Mitglieder der Enquete noch einmal ganz besonders gilt; denn die daran beteiligten Abgeordneten haben sich neben ihrer ganz normalen Wahnsinnsarbeit noch ganz tief in ein Thema hineingelesen, haben diskutiert, haben Besuche gemacht und sich in die Arbeit reingekniet. Die Lernkurve – ich kann das für mich sagen; ich schätze, für die anderen gilt das auch – war und ist dabei sehr steil. Die Arbeit ist auch ganz schön anstrengend, aber sie ist auch lehrreich und lohnend. Bei den Sachverständigen dürfte das ähnlich sein. Sie wissen zwar schon viel; aber für sie war dieses Jahr geprägt von sehr vielen Reisen quer durch die Republik und von einem Eintauchen in ein oft nicht ganz gewohntes politisches Umfeld. Ich habe mit einigen darüber gesprochen. Dabei höre ich, dass die Sachverständigen faszinierenderweise nicht abgeschreckt sind von diesem Eintauchen ins politische Geschäft. Viel zu wissen über ein Thema, ist das eine; das dann in gesellschaftliche und politische Handlungen umzusetzen, ist das andere. Es ist mühevoll, aber offensichtlich lohnt es sich auch für die Sachverständigen. An der Stelle will ich deswegen erst mal allen ganz herzlich danken, die sich, egal ob MdB oder Sachverständiger, hier eingebracht haben und richtig viel Zeit und Kraft und Intellekt aufgewandt haben. Vielen Dank dafür! ({0}) Es ist die zweite Enquete, bei der ich mitwirken darf. Aber das Besondere an dieser Enquete „Künstliche Intelligenz“ ist, wie konkret sie ist. Wir nehmen uns nämlich nicht nur die Metadebatte vor, sondern wir tauchen auch tief ein in konkrete Handlungsfelder. Wir haben uns mit Gesundheit, Wirtschaft und Staat befasst und arbeiten schon an den Bereichen Arbeit, Medien und Mobilität. Dieses Konkretsein ist extrem gut und hilfreich, wie ich finde. Denn je konkreter wir ausloten, was wir in bestimmten Politikbereichen tun wollen, umso weniger können wir in dem Schwarz-Weiß-Denken, können wir in dem Gut-Böse-Schema bleiben; denn es sind konkrete Probleme, die konkrete Antworten brauchen. Und je breiter der gefundene Konsens ist, umso einfacher machen wir alle miteinander es dem nächsten Bundestag, vielleicht auch diesem Bundestag, das umzusetzen, was wir beschließen. Etwas, was uns doch allen gemein ist, ist, dass wir ans Handeln kommen wollen, dass wir die Technologie nicht verschlafen wollen. Wir wollen KI nutzen. Diese Technologie ist da. Das Einzige, was keine Option ist, ist Nichthandeln. Wir müssen ans Handeln kommen, ({1}) sei es zum Beispiel im Gesundheitsbereich, in dem wir die riesigen Chancen für Therapie, für Diagnostik heben wollen. Deswegen finde ich es gut, dass wir konkrete Vorschläge zum Thema Datenfreigabe gemacht haben; denn wir brauchen viele Menschen, die sagen: Ja, damit KI im Gesundheitsbereich wirksam wird, gebe ich meine Daten freiwillig – natürlich geschützt – zu Forschungszwecken frei, damit wir vernünftige KI-Produkte auch aus Deutschland bekommen. Wir wollen die Chancen für die Pflege heben; auch da gibt es gewaltige Chancen. Herr Brandenburg, ich muss Ihnen sagen: Gerade deswegen ist es ja wichtig, dass wir auch über die Akzeptanz reden; denn Akzeptanz der KI in der Pflege wird es nur dann geben, wenn die zu Pflegenden auch sagen dürfen: Nein, bei mir bitte nicht. ({2}) Deswegen wäre ich hier wirklich vorsichtig mit Kritik. Wir haben eine ganze Menge geschafft. Was wir geschafft haben, können Sie in Veröffentlichungen auf unserer Homepage nachlesen. Frau Domscheit-Berg, ich finde die Art und Weise, wie Sie das hier kritisieren, schon bemerkenswert. Denn es gab eigentlich einen Beschluss, gar nichts zu veröffentlichen; wir sind aber ein ganzes Stück weitergegangen. Insofern: Informieren Sie sich gerne! Wenn ich einen Wunsch beim Weihnachtsmann frei hätte – ich habe bisher noch keinen Wunsch geäußert –, dann diesen: dass wir im nächsten Jahr noch ein bisschen mehr den Geist der Überparteilichkeit walten lassen. Die Sachverständigen machen uns das schon gut vor; denn wir arbeiten ja nicht an Parteibeschlüssen, sondern wir wollen einen parlamentarischen Konsens erarbeiten. In diesem Sinne freue ich mich auf das nächste Jahr. Ich möchte jedoch schließen mit einem ganz herzlichen Dank an das Sekretariat, ohne das wir nicht so weit gekommen wären, und möchte namentlich Claudia Bülter, unsere Sekretariatsleiterin, grüßen – sie ist trotz Urlaub heute hier – und mich herzlich für die tolle Arbeit bedanken. Auf ein gutes nächstes Jahr! ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Peter Felser, AfD. ({0})

Peter Felser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004714, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich möchte die Gelegenheit jetzt mal nutzen, ein paar selbstverständliche Voraussetzungen der KI-Nutzung anzusprechen, für die man eigentlich weder Strategiepapiere noch Expertenrunden braucht und an denen deutlich wird, wo eigentlich die Problematik in Deutschland und Europa liegt. Erstens: Sicherheit. Unter den Top Ten der Hardwarehersteller ist kein einziges europäisches Unternehmen. Unter den Top Ten der Internetunternehmen befindet sich auch kein einziges aus Europa. Und unter den Top Ten der Softwarehersteller ist nur ein einziges europäisches Unternehmen: das bekannte Unternehmen SAP aus Walldorf. Unsere zukünftigen Mobilfunknetze werden wohl chinesisch sein. Das ist die Situation. Wie wollen Sie denn, liebe Regierung, die Kontrolle über die Daten unserer Bürger, über die wir heute sprechen, behalten? ({0}) Generalleutnant Leinhos, Inspekteur des Bundeswehrkommandos Cyber- und Informationsraum, warnte mehrfach vor dem digitalen Verteidigungsfall und den Konsequenzen für unsere Gesellschaft. Gerade in den besonders vielversprechenden Anwendungsbereichen für künstliche Intelligenz – das haben wir heute auch schon gehört – ist Datensicherheit die wichtigste Grundvoraussetzung, zum Beispiel im Gesundheitswesen oder bei der Entbürokratisierung oder bei der Verschlankung der Behörden. Dazu brauchen wir schnell eigene europäische Datenräume. Zweitens: Bürgerrechte. Bei der möglichen Verarbeitung der Daten in der Verwaltung muss sichergestellt sein, dass weder Behörden noch Unternehmen dem Bürger einen Nachteil aus den erhobenen Daten erwachsen lassen können. Wir wollen keine chinesischen oder amerikanischen Verhältnisse, liebe Kollegen! ({1}) Die Politik darf nicht zulassen, dass Versicherungsbeiträge, Kreditbedingungen oder der Zugang zu medizinischer Versorgung so optimiert werden, dass Individuen oder ganze Gruppen systematisch benachteiligt sind. Unsere Demokratie braucht dazu unabhängige Kontrollgremien, Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen und Zwang zur Transparenz. Drittens: Bildung. Solide KI-Grundlagenforschung und breit aufgestellte Anwenderbildung sind Voraussetzungen einer gesellschaftlich nutzbringenden und vor allem gesellschaftlich akzeptierten Verwendung künstlicher Intelligenz. Wir brauchen einen zentralen KI-Campus und Versuchsräume für neue Technologien. Die Regierung hat sich aber auch hier als Meister der Ankündigungen erwiesen. Sie wollten mit Ihrer Strategie 100 KI-Professuren besetzen. Gewonnen haben Sie dafür bisher zwei. Liebe Kollegen, zwei KI-Professuren! Laut Fraunhofer-Institut fehlen in Deutschland 85 000 Akademiker im Bereich Datenanalyse und Big Data. Händeringend werden mehr als 10 000 IT-Experten mit Kenntnissen in Advanced Analytics und Data Science gesucht. Wie wollen wir in den nächsten Jahren diese Lücken schließen? Verbessern Sie endlich die Forschungsbedingungen! Wenn es am Geld fehlt: Streichen Sie doch die Gender-Studies-Professuren! Dann wird das vielleicht noch was. ({2}) – Musste kommen, ja. Viertens: KMU, Mittelstand. Wenn wir den großen Datensammlern wie Google, Amazon oder Tencent den ungebremsten Zugang zu den europäischen Zukunftsmärkten gestatten, wird vom deutschen Mittelstand nur eine vage Erinnerung zurückbleiben. Datenverfügbarkeit ist der alles begrenzende Faktor; das wissen Sie. Es ist für kleine und mittlere Unternehmen viel schwieriger, eigene Algorithmen zu trainieren, wenn die Trainingsdaten möglicherweise bei Google, AWS oder Citrix gespeichert sind. ({3}) Es ist eine Binsenweisheit des Digital Business: Es gewinnt immer der, der über die größere Datenmenge verfügt. Ich bezweifle sehr, dass das später der Tischler aus Kempten oder der Maschinenbauer aus Göppingen sein wird. Die Politik muss Rahmenbedingungen für eine europäische Open-Data-Lösung schaffen. Ich möchte, dass unsere Kinder sich noch eine handgeschnitzte Weihnachtskrippe aus dem Erzgebirge kaufen können und nicht nur das Kunststoffprodukt aus dem 3-D-Drucker in Shenzhen. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. – Danke schön. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Stefan Sauer, CDU/CSU, hat als Nächster das Wort. ({0})

Stefan Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf der Besuchertribüne! Künstliche Intelligenz, kurz KI, ist eine Basisinnovation, die die Gesellschaft grundlegend verändern wird. Im Zusammenhang mit der Frage „Wie wirkt KI auf die Gesellschaft?“ gibt es die, die schon sagen: „Es ist eine neue industrielle Revolution“, und es gibt die, die sich noch gar nicht damit befasst haben. Ich glaube, man kann feststellen, dass es ein Stück weit vom Persönlichkeitsprofil des Einzelnen, seiner Lebensphase, aber auch seinen Informationsquellen abhängt, wie er dazu steht. Es gibt jene, die mit Sorge und Unsicherheit dieser Welt entgegenblicken, und es gibt die, die die Chancen sehen, aus der KI was zu machen. Ich darf den Sachverständigen, die uns hierbei unterstützt haben, auch noch mal persönlich Danke sagen. Sie haben uns geholfen und waren dabei behilflich, Sachverhalte besser einzuordnen. Ich spreche heute zur Projektgruppe „KI und Staat“. Wir haben dort in drei Themenblöcken die Aufgabenstellungen schon sehr tief durchdrungen. Wir können grundsätzlich feststellen, dass der Staat bei der Entscheidung für den Einsatz von KI-Systemen einer besonderen Sorgfaltspflicht unterliegt. Insbesondere Transparenz und Nachvollziehbarkeit müssen uns hierbei wichtig sein. Denn das, was wir von den Unternehmen fordern und was wir an Erwartungen an sie stellen, müssen wir selbst erfüllen. Wir haben hier Vorbild zu sein. Für alle Bereiche gelten wiederkehrende Empfehlungen, die da lauten: Mitarbeiter müssen Kompetenzen aufbauen. Sie müssen die Funktionsweisen der KI verstehen. Wir müssen bei Systemen, die auf maschinellem Lernen aufbauen, die Risiken systematisch klassifizieren, und wir müssen vor allem sicherstellen, dass diese Systeme nicht diskriminieren, das Ganze vor dem Hintergrund einer aufgeklärten Gesellschaft. Hier müssen wir die Bevölkerung entsprechend mitnehmen und Vor- und Nachteile aufzeigen. Beim ersten Themenblock „KI in der öffentlichen Verwaltung“ wünscht man sich Leitlinien. Die aus meiner Sicht wohl maßgebliche Leitlinie lautet: KI-Anwendungen haben sich am Menschen zu orientieren und auf der Basis von Verwaltungsprinzipien zu erfolgen. Für den Bürger muss es nachvollziehbar sein, wann und wo KI zum Einsatz kommt, sodass er sich darauf einstellen kann. Für unsere Behörden gilt aber auch, dass sie gute Daten brauchen. In erheblichem Maße sind wir auf die Qualität und die Integrität der Daten sowie auf deren Struktur angewiesen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir möglichst vollständige und durchgehende Open-Data-Bestände brauchen, um hier erfolgreich sein zu können. Wir werden dadurch die Qualität und auch die Effizienz der Verwaltung deutlich steigern können. Ich bin davon überzeugt, dass auch die Bürgerzufriedenheit steigt, wenn wir KI vernünftig zum Einsatz bringen. ({0}) Beim zweiten Themenblock „Smart City und Open Data“ wurde eine interessante Wechselbeziehung erkennbar: Einerseits sind Smart Citys zentrale Quellen für Open Data; andererseits müssen sie von Open Data profitieren. – Wir wollen dieses Potenzial schöpfen. Es ist deshalb unausweichlich, dass wir operativ umsetzbare Rechtsrahmen schaffen, dass wir robuste digitale Infrastruktur generieren und – das muss allen klar sein; nicht nur uns, sondern der Gesellschaft insgesamt – dass wir nichtpersonenbezogene Daten öffentlich, frei verfügbar und ohne jegliche Nutzungseinschränkung bereitstellen; das betrifft auch Verwaltungsdaten. Von diesem Grundgedanken sind wir noch weit weg. Alles in allem werden wir Lebensqualität und Partizipationsmöglichkeiten deutlich steigern. Wenn ich von Lebensqualität spreche, dann ist das nicht nur die des Einzelnen, bei der es darum geht, dass wir vielleicht eine bessere Mobilität oder ein angenehmeres Leben im hohen Alter ermöglichen, sondern es geht auch um die kollektive Lebensqualität: saubere Umwelt, bessere Luft, weniger Verschmutzung. Es kommt uns gerade beim Thema Klimaschutz sehr entgegen, wenn wir uns dem öffnen. Beim dritten Block „Innere Sicherheit, Äußere Sicherheit, IT-Sicherheit“ – da mache ich keinen Hehl draus – verlief die größte Konfliktlinie, insbesondere zu den Linken; da haben wir einige Debatten geführt. ({1}) Ich freue mich dennoch, dass wir Pilotprojekte wie die Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz nüchtern betrachtet haben. So etwas gibt es; wir müssen nur schauen, wie wir es zum Einsatz bringen. Deshalb ist zusammenfassend die zentrale Handlungsempfehlung: Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte. Diese ist noch zu führen, damit wir hier vernünftig die Themen einsetzen. Beim Themenbereich „Äußere Sicherheit“ gibt es eine Vielzahl von Anwendungen mit positivem Effekt; diese sind allgemein auch unumstritten. Bei dem kritischen Bereich der tödlichen autonomen Waffensysteme haben wir den Konsens erzielt, dass diese Waffen international geächtet werden sollen. Ich glaube, das ist ein guter Konsens, auch wenn die Formulierungen zum Teil auseinandergingen. Bei der sicherheitsrelevanten Forschung gibt es bereits die Festlegung, dass wir europäische Positionen stärken müssen. Ich finde es wichtig – das gilt, glaube ich, für alle Gruppen –, dass stets gilt: Der Mensch steht bei allen Entscheidungen im Mittelpunkt. Als Kernaufgabe möchte ich formulieren: Wir blicken auf 70 Jahre erfolgreiche soziale Marktwirtschaft zurück. Die gesellschaftliche Transformation muss uns jetzt gelingen, um unter Nutzung der wirtschaftlichen, ökonomischen und sozialen Potenziale der KI die Welt für uns zu verbessern. Ich glaube daran, ich bin Optimist, und dabei unterstützt mich die CDU/CSU-Fraktion. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Kluckert, FDP. ({0})

Daniela Kluckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004784, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den ganzen Themen „Social Media“, „Plattformen im Consumer-Bereich“ und bei der Kommunikation schauen wir hier aus Deutschland und Europa zu, wie andere Standards setzen und eben auch das Geld verdienen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir bei den neuen Technologien ganz weit vorne sind. Wir müssen uns dem Thema KI positiv stellen, so wie uns das die Japaner vormachen, so wie uns das auch die Südkoreaner vormachen. Doch wir halten uns hier im Haus und auch in der Gesellschaft viel zu oft mit negativen Diskussionen über Phänomene auf, die in die Bereiche „höchst unwahrscheinlich“ oder „überhaupt nicht wahrscheinlich“ gehören. Wenn etwas nicht gewünscht ist, dann wird über Ethik gesprochen, dann wird über das Verfahren diskutiert. Doch die KI geht nicht weg; sie geht genauso wenig weg wie die Digitalisierung. Übrigens befinden wir uns nicht in einer Zeit vor der Digitalisierung, sondern wir sind mittendrin. ({0}) Für unseren Wohlstand, für unser Fortkommen ist es unheimlich wichtig, dass wir bei der KI wieder auf dem Driver Seat sitzen und nicht nebendran. Eines dieser ständig genannten negativen Themen ist das Verhalten von KI bei Entscheidungen beim autonomen Fahren. Doch sind diese Fragen tatsächlich real? Nein, sie sind es nicht! Denn während wir hier theoretisch diskutieren, da schaffen die anderen Fakten. Während Google in Kalifornien 50 000 Testmeilen fährt, haben wir noch nicht einmal richtig angefangen. Während in anderen Ländern Kindern mit KI Bildungschancen eröffnet werden, pflegen wir hier immer noch den Overheadprojektor; denn der ist definitiv nicht vernetzt. ({1}) KI kann helfen, unsere Gesellschaft gerechter und auch effizienter zu machen. Eine Idee wäre doch – mein Kollege hat es schon gesagt – das Recht auf KI bei Behördenentscheidungen, also unabhängige Entscheidungen bei Standardfragen, mit einem transparenten Algorithmus, bei dem klar ist, auf welcher Grundlage die Entscheidungen gefällt werden und wie sie gewichtet sind. Also nur das Foul wird sanktioniert und nicht alles, was Innovation bedeutet, im Vorhinein schon verboten. ({2}) Ich finde – ganz ehrlich –: Wir hier in Deutschland, in Europa haben die feinsten Gesellschaften. Wir haben das beste Gesellschaftssystem. Dann wäre es doch richtig, wenn wir von hier aus Standards setzen für eine faire und wertvolle Zukunft. Doch das passiert weder mit dem Fuß auf der Bremse noch im Schlafwagen. Unsere Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission war bisher gut und vertrauensvoll, und das liegt sicherlich auch an unserer Vorsitzenden Daniela Kolbe und dem richtig starken Team vom Sekretariat. ({3}) Wenn wir jetzt noch größer denken, wenn wir die Infrastruktur schaffen, die für KI gebraucht wird, wenn wir mehr wollen und schneller sind, wenn wir vertrauen statt misstrauen, dann wird es auch einen richtig erfolgreichen Abschluss geben. Vielen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Jessica Tatti, Die Linke. ({0})

Jessica Tatti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004911, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag hatte beschlossen, dass sich eine Enquete-Kommission mit den Potenzialen von KI, künstlicher Intelligenz, also mit selbstlernenden Computersystemen, befassen soll, um wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt zu erreichen. Nun konnte man von einer Projektgruppe „KI und Wirtschaft“ unter Leitung der CDU/CSU wohl nicht erwarten, unter Fortschritt mehr zu verstehen als Wachstum und Wettbewerb. Die Verteilung von Einkommen und Vermögen, ({0}) ökologische Aspekte und die Frage, wie eine gemeinwohlorientierte KI aussieht, spielte bei Ihnen höchstens eine untergeordnete Rolle und das finden wir unangemessen. ({1}) Es wurde auch nicht hinterfragt, ob das prognostizierte Wachstum durch KI realistisch ist. Das erinnert an den Hype um Industrie 4.0. Auch sie wurde zum zentralen Wachstumstreiber erklärt; aber weltweit ist in Industrienationen trotz fortschreitender Digitalisierung eine Verlangsamung des Produktivitätswachstums zu beobachten. Doch für CDU und FDP scheint nichts wichtiger zu sein, als dass Deutschland in Sachen KI die weltweite Innovationsführerschaft einnimmt. ({2}) Als wäre KI die Lösung all unserer Probleme und als würde sich gesellschaftlicher Nutzen allein an der Anzahl von Start-ups bemessen. ({3}) Die meisten KI-Geschäftsmodelle aus den USA zielen allein darauf, massenhaft persönliche Nutzerdaten zu sammeln und für Werbezwecke einzusetzen. ({4}) Das produziert keinen wirtschaftlichen Mehrwert, sondern ist digitale Wegelagerei. ({5}) Fakt ist, dass solche Geschäftsmodelle die ungleiche Verteilung des Reichtums weiter vorantreiben. Wir haben derzeit ein Wirtschaftssystem, das den Planeten zerstört und unsere Gesellschaft spaltet. ({6}) Die Linke fordert: Wir müssen weg von der marktradikalen Ideologie des Wachstums allein um des Wachstums willen. ({7}) Stattdessen brauchen wir massive Investitionen in die Technologien, mit denen wir das Wirtschaftssystem ökologisch und sozial nachhaltig umbauen können. ({8}) Künstliche Intelligenz kann dabei eine wichtige Rolle spielen, Herr Brandenburg. Dazu muss die öffentliche Hand gezielt in gemeinwohlorientierte Projekte investieren, auch wenn sie keinen schnellen Gewinn versprechen, zum Beispiel in smarte Stromnetze, in KI-gesteuerte Recyclinganlagen, in Rollstühle, die barrierefreie Wege finden. Investieren müssen wir aber nicht nur in Technik, sondern vor allem in die Menschen. ({9}) Bildung und Weiterbildung sind die Grundlage, um die Beschäftigten im technologischen Wandel zu stärken. Sie müssen in ihren Betrieben über den Einsatz von KI-Systemen mitentscheiden können. ({10}) Das A und O ist eine starke betriebliche Mitbestimmung. Das Anliegen der Enquete sollte die Klärung der Frage sein, welche Regeln wir brauchen, damit Technik dem Menschen dient. Eine Antwort hierauf ist die Enquete-Kommission bislang im Wesentlichen schuldig geblieben. Daher mussten wir den Teilbericht „KI und Wirtschaft“ in dieser Form ablehnen. Wir hoffen trotzdem auf gute Zusammenarbeit für die nächste Projektgruppe. Ich wünsche schöne Weihnachten. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. ({0})

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch von meiner Seite erst einmal ganz herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen, die Sachverständigen und vor allen Dingen an das Sekretariat für die Zusammenarbeit insbesondere in der Projektgruppe „KI und Staat“. An der einen oder anderen Stelle hätten wir uns aber vielleicht eine kooperativere Zusammenarbeit gewünscht. Es ist sicher für alle Beteiligten nicht besonders hilfreich, wenn kurz vor der Deadline für den Zwischenbericht zig Änderungsanträge mit zum Teil weitreichenden Änderungen eingehen. Ich denke auch, dass der Umgang miteinander in der Projektgruppe „KI und Staat“ für die Vorsitzende nicht immer ganz leicht war. Ich würde mich daher freuen, wenn wir in der zukünftigen Arbeit noch stärker an einem Strang ziehen würden. ({0}) Beim Einsatz von KI in der Hoheit des Staates ist die Wahrung der Grundrechte ja das zentrale Thema – Dieter Janecek hat eben schon auf China verwiesen; Kollege Sauer, es reicht nicht, nur Transparenz herzustellen –, gerade in so sensiblen Bereichen wie Gesichtserkennung oder Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen, bei Predictive Policing, also der Vorhersage von Straftaten, oder eben auch beim Einsatz von tödlichen autonomen Waffen. Daher hätten wir uns im Zwischenbericht ein deutlicheres und konsequenteres Bekenntnis zur Ächtung von tödlichen autonomen Waffen gewünscht oder auch klare verfassungsrechtliche Vorgaben bei Überwachung und innerer Sicherheit. Da wäre sicherlich einiges mehr drin gewesen. ({1}) Nun hat die zweite Arbeitsphase begonnen, in der wir uns zum Beispiel in der Projektgruppe „KI und Medien“ mit der Frage beschäftigen, wie künstliche Intelligenz den freien Meinungsbildungsprozess bestimmt. Das sind sehr komplexe Fragestellungen. Da gibt es schon unter den Sachverständigen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob es Social Bots überhaupt gibt und wie man diese gegebenenfalls regulieren muss. Da müssen wir uns fokussieren, und zwar auf Kl-Anwendungen, die bereits heute oder in Zukunft angewendet werden und einerseits einen konkreten Nutzen für die Menschen bringen, andererseits aber eben auch Risiken für den Meinungsbildungsprozess und damit für unsere Demokratie bergen; die müssen dann aber auch reguliert werden. Für die Regulierung – daran müssen wir die eine oder den anderen vielleicht noch einmal erinnern – sind eben wir als Gesetzgeber zuständig. ({2}) Die Zusammenfassungen der ersten Zwischenberichte sind jetzt online abrufbar, und wir freuen uns natürlich auf die Debatte mit der interessierten Öffentlichkeit. Es nagt an mir aber schon die Frage: Was passiert denn jetzt eigentlich mit den ganzen Ergebnissen? Der Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ aus der 17. Wahlperiode ist damals nämlich direkt in der Schublade verschwunden, und die Handlungsempfehlungen, die damals interfraktionell im Konsens erarbeitet und beschlossen wurden, werden bis heute geflissentlich ignoriert. Von Öffentlichkeit und Transparenz der Ausschusssitzungen bis zu Green IT: Wir warten immer noch auf ihre Umsetzung. Ich will es einmal unverblümt sagen: Wenn die Empfehlungen einer Enquete-Kommission nicht in Gänze veröffentlicht und mit der Öffentlichkeit diskutiert, geschweige denn umgesetzt werden, dann ist diese ganze Veranstaltung doch nur eine Fortbildungsmaßnahme für Abgeordnete; und das kann nicht der Sinn der Sache sein. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Andreas Steier, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Andreas Steier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004903, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, wenn man sich die Debatte anhört, dann stellt man fest, dass es gut ist, dass wir uns hier im Bundestag Zeit genommen haben, um mit Experten über künstliche Intelligenz zu reden und dieses Thema aufzuarbeiten. Wir stoßen damit den Dialog mit der Gesellschaft an, um eben das Wissen über künstliche Intelligenz in der Gesellschaft zu erweitern, um Vertrauen in eine neue Technologie zu schaffen, um die Gesellschaft mitzunehmen, um Ängste zu reduzieren und um eben auch ein Regelwerk hier im Bundestag anzustoßen. Deshalb ist es gut, dass wir diese Debatte hier heute führen. ({0}) Wenn man sich die Reden anhört, stellt man aber auch fest, dass viele Dinge kontrovers diskutiert werden. Das hängt damit zusammen, dass viele einzelne Dinge einfach in einen Topf geworfen werden, und je nachdem, welcher politische Nutzen daraus gezogen werden kann, wird das entweder in die eine Richtung zu Ängsten oder in die andere Richtung zu positiven Hoffnungen umdefiniert. Daher ist es richtig, dass wir in der Enquete-Kommission die Themen getrennt voneinander betrachtet haben, dass wir uns Zeit genommen haben, verschiedene Projektgruppen zu gründen, und dass wir das Thema „künstliche Intelligenz“ in den einzelnen Anwendungsgebieten im Detail besprochen haben. Ich persönlich war ja in der Projektgruppe „KI und Gesundheit“. Da sieht man auch, wie man gemeinsam an einem Thema arbeiten kann, ({1}) wie man gemeinsam Fragen aufwerfen kann, ohne ideologisch vorgeprägt zu sein, ({2}) sodass man eben auch darüber diskutieren kann: Was kann künstliche Intelligenz dem Menschen bringen? Der Mensch stand in unserer Projektgruppe im Zentrum der Debatte; an dieser Festlegung haben wir die technischen Fragen ausgerichtet. ({3}) Wir haben uns folgende Fragen gestellt: Was kann KI im Bereich Gesundheit konkret bewirken? Wie kann der Patient unterstützt werden? Wie können Diagnosen effizienter gestellt werden? Wie kann der Arzt, wie kann das Pflegepersonal da unterstützt werden? Da haben wir sehr gute Handlungsempfehlungen erarbeitet. Dafür noch mal meinen herzlichsten Dank an alle, die dort mitgearbeitet haben. ({4}) Lassen Sie mich zwei Themen ansprechen, die wir auch in der Projektgruppe „KI und Gesundheit“ besprochen haben. Ein zentrales Thema ist das Thema Daten. Gerade im Gesundheitsbereich können über Daten natürlich viele Diagnoseverfahren beschleunigt werden. In der Bildgebung können wir schneller Diagnosen erhalten. Wir können in der Forschung schneller Zusammenhänge herstellen. Und im Bereich der Robotik kann KI natürlich auch dem Pflegepersonal und den Ärzten sehr gut zu Hilfe kommen. Beim Thema „Daten im Gesundheitsbereich“ müssen wir aber auch aufpassen; denn es handelt sich hier um sensible Daten. Gerade an dem Kompromiss zwischen der Sensibilität beim Umgang mit persönlichen Daten und dem Nutzen, den sie bringen, haben wir unsere Handlungsempfehlungen ausgerichtet und gute Vorschläge erarbeitet. Wenn man über Daten spricht, stellen sich natürlich auch die Fragen: Müssen wir die DSGVO im Hinblick auf personalisierte Daten entsprechend weiterentwickeln? Müssen wir das Regelkonstrukt, das wir in Deutschland schon haben, gezielt vielleicht auch auf den Bereich der Pseudonymisierung ausweiten und dafür Regeln und Handlungsempfehlungen aufstellen? Wie können wir mit anonymisierten bzw. pseudonymisierten Daten umgehen? Denn letztendlich hilft es dem Patienten vielleicht mehr, wenn er pseudonymisierte Daten von sich mit neuen Erkenntnissen aus der Wissenschaft abgleichen kann, um später Rückschlüsse auf seine persönliche Gesundheit zu ziehen. Da gilt es, das zielgenau entsprechend regulativ weiterzuentwickeln. In diesem Kontext müssen wir uns natürlich auch darüber unterhalten, wie wir die verschiedenen Datenschutzgesetze der Länder, die verschiedenen Landeskrankenhausgesetze harmonisieren; auch dazu haben wir etwas geschrieben. Da gilt es, entsprechend weiterzumachen. ({5}) Lassen Sie mich kurz als letzten Punkt etwas zur Pflege sagen. Im Bereich der Pflege erhoffe ich mir viele Verbesserungen, um das Pflegepersonal entsprechend zu unterstützen. Ich freue mich schon auf die nächste Debatte, die hier gleich ansteht. Ich freue mich auch auf den weiteren Dialog. Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Falko Mohrs, SPD, ist der nächste Redner. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch von mir erst mal einen Dank an die Sachverständigen der Enquete-Kommission und das Sekretariat, die unsere Arbeit wirklich maßgeblich bereichert haben – einige sitzen da oben; wir haben es gehört –: Vielen lieben Dank für die Beteiligung an unserer Arbeit. ({0}) Wenn wir über künstliche Intelligenz in der Wirtschaft reden – das war ja die Projektgruppe, die ich begleiten durfte – und an die Szenarien denken, die auf den Covern der Magazine oder in den Köpfen entstehen, dann sehen wir eine große Bandbreite: angefangen von „Die Roboter ersetzen die Menschen“ über „Alle Welt wird arbeitslos“ bis hin zu den Potenzialen, die an vielen Stellen mit Sicherheit auch übertrieben werden. Ich glaube, unsere Aufgabe in der Enquete-Kommission und auch in der Projektgruppe ist es, eben nicht, in den absolute Hype der positiven Überhöhung zu verfallen, aber eben auch nicht, den dramatischen Bilder zu folgen, die von manchen gezeichnet werden. Unsere Aufgabe, auch von denjenigen, die hier im Parlament Verantwortung tragen, ist es, einen guten, realistischen Weg aufzuzeigen, welche Vorteile künstliche Intelligenz bringen kann und gleichzeitig aber auch Grenzen zu ziehen und gegebenenfalls zu sagen: Das ist eine Art von KI, die wir nicht wollen. – Darin, meine Damen und Herren, besteht unsere gemeinsame Verantwortung hier in diesem Haus. ({1}) Deswegen war unser Ansatz in der Projektgruppe Wirtschaft, in Szenarien zu denken. Wir haben gesagt: Wir wollen weder dem Hype noch der Dramatik hinterherlaufen, sondern wir wollen für uns Szenarien beschreiben, wie wir uns künstliche Intelligenz im Jahr 2030 oder 2040 vorstellen. Wir wollen vom Ende her denken und sagen: Wenn das das Ziel ist, das wir erreichen wollen, dann sind das die Maßnahmen, die wir heute ergreifen müssen. – Ich glaube, das sind die richtige Erwartungshaltung und die richtige Herangehensweise, wenn wir über eine Zukunftstechnologie sprechen. Dann geht es natürlich um die Frage: Wie normieren wir eigentlich KI? Wie schaffen wir Transparenz? Wie schaffen wir es – und das ist unser Ziel –, dass künstliche Intelligenz Menschen und ihre Fähigkeiten ergänzt und erweitert, nicht aber ersetzt? Das ist doch die wesentliche Frage, die uns bei der Ausgestaltung von künstlicher Intelligenz in den nächsten Jahren leiten soll. ({2}) Es geht auch darum, zu sagen: Wir wollen keinen Vertrauens- oder Kontrollverlust. Wir wollen aber auch keine überbordende Kontrolle, wie wir es in totalitären Staaten erleben. Wir erleben beispielsweise in China, dass über ein „Social Scoring System“ – das war hier in den letzten Monaten an verschiedensten Stellen Thema – mithilfe von Gesichtserkennung und künstlicher Intelligenz ein gesellschaftlich und politisch meinungskonformer Bürger erzogen werden soll. Das, meine Damen und Herren, ist nicht unser Freiheitsbild, das ist nicht unser Bild einer demokratischen Grundordnung. Das ist auch nicht unsere Vorstellung, wie wir künstliche Intelligenz in Deutschland und im Speziellen in der Wirtschaft gestalten wollen. ({3}) Wir wollen auch eine künstliche Intelligenz, die nicht diskriminiert, die negative Entwicklungen aus der Vergangenheit nicht einfach auf die Zukunft überträgt. Wir wollen auch keine Reden oder Hypes über künstliche Intelligenz, die von einer reinen Sauerstoffübersättigung geprägt sind. Nein, meine Damen und Herren, wir wollen künstliche Intelligenz, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, die das Leben der Menschen in diesem Land konkret verbessert. Das ist unser Leitmotiv: Vom Ende her denken. Es liegt an uns, wie wir ein realistisches, ein gutes und ein verantwortungsvolles Bild von künstlicher Intelligenz in der Zukunft gestalten. Es ist auch unsere Verantwortung, heute die richtigen Rahmenbedingungen dafür zu setzen. Dabei, meine Damen und Herren, können Sie sich auf die SPD verlassen. Ich wünsche allen – hoffentlich bald – frohe Feiertage. Danke sehr. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Hansjörg Durz, CDU/CSU, ist der voraussichtlich letzte Redner in dieser Debatte. ({0})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch einen halben Tag Debatte, dann verabschieden wir uns in die Weihnachtsferien. Wenn wir als Politiker mit Blick auf die Digitalwirtschaft Datenmonopole kritisieren, so wird wohl niemand auf die Idee kommen, in diesen Tagen eines der erfolgreichsten Monopole der Menschheit zu kritisieren; denn die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum kommen auf der ganzen Welt fast ausschließlich von einem einzigen Anbieter: dem Weihnachtsmann. Wer an diesen nicht mehr glauben mag, kann ihn auch durch Jeff Bezos ersetzen. Diejenigen in diesem Haus, die in der christlichen Theologie bewandert sind, werden uns sagen: Das stimmt nicht. Die Geschenke bringt das Christkind. ({0}) Dem würde ich mich übrigens auch anschließen. ({1}) Doch die Monopolstellung des Weihnachtsmannes ist so groß, dass das Christkind als Lieferant für die Weihnachtsgeschenke immer weiter zurückfällt und an Marktanteil verliert. ({2}) Ähnlich verhält es sich zurzeit mit den Digitalunternehmen und deren Möglichkeiten, KI zum Einsatz zu bringen. Mal angenommen, Weihnachtsmann und Christkind wären solche Digitalunternehmen: Warum bringt dann der Weihnachtsmann als amerikanisch geprägtes Monopol heutzutage die meisten Geschenke? ({3}) Das liegt auch daran, dass er die Wünsche der Menschen mithilfe von KI prognostiziert und somit ziemlich treffsicher voraussagen kann, was sie sich wünschen. Das europäisch geprägte Christkind setzt auf hohe Datenqualität, jedoch auch auf den guten alten handgeschriebenen Wunschzettel. Wie können wir als Politiker dem Christkind unter die Arme greifen? Antworten auf diese Frage werden sich auch im Bericht dieser Enquete finden. Frei nach Helmut Kohl gilt bei der Nutzung von KI nämlich die Regel: Entscheidend ist, was vorne reinkommt. – Der Zugriff auf einen großen und qualitativ hochwertigen Datenschatz ist Voraussetzung für die KI-Nutzung. Deshalb müssen wir die Empfehlungen der Wettbewerbskommission umsetzen. Der Weihnachtsmann muss deshalb wie andere Marktbeherrscher auch seinen Datenpool – da, wo er seine Marktmacht ausnutzt –, teilen, damit auch kleinere Anbieter darauf zugreifen und Innovationen vorantreiben können; denn Daten sind ein unverbrauchbares Gut, weshalb wir hier faire Wettbewerbsbedingungen brauchen. ({4}) Zudem müssen wir europäische Cloud-Strukturen schaffen, in denen die Daten nach europäischen Datenschutzstandards gespeichert und verwertet werden. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat mit seinem Projekt Gaia-X einen Aufschlag gemacht, der große Beachtung gefunden hat. Diesen Weg müssen wir nun konsequent weitergehen. So können wir die Datensilos in Deutschland und Europa verknüpfen. In China werden große Datenmengen durch den Staat gesammelt, in den USA durch Monopole. Europa muss hier einen anderen Weg gehen, einen Weg, der die Rechte der Datenemittenten wahrt und schützt. Deshalb ist das Projekt Gaia-X mit der Idee des Datentreuhänders verbunden. Diesen benötigen nicht nur Unternehmen, sondern auch jeder einzelne Bürger; denn jeder von uns besitzt im Schnitt rund 200 digitale Nutzerkonten. Das klingt viel; aber wenn man mal überlegt, wo man sich überall angemeldet hat – die meisten hat man bereits vergessen –, dann kommt es hin. Um den Überblick zu behalten, soll es jedem möglich sein, einfach zu bestimmen, welches Unternehmen welche Daten nutzen darf. Die Zustimmung kann dabei ebenso leicht mit einem Klick gegeben oder entzogen werden. So schaffen Datentreuhänder echte Datensouveränität. Wir müssen außerdem den Transfer von der Wissenschaft in Geschäftsmodelle stärken. Dazu braucht es auch gute Rahmenbedingungen für Start-ups und eine bessere Wagniskapitalförderung. Mit all dem wollen wir die Unternehmen dann in regulatorische Sandkästen setzen, also Experimentierräume, in denen sie neue Geschäftsmodelle ausprobieren können. Übrigens muss auch der Staat dabei sein; denn auch für ihn gilt lebenslanges Lernen. In den Diskussionen der Enquete, insbesondere in der Projektgruppe „KI und Wirtschaft“, haben wir uns größtenteils darauf konzentriert, wie wir Unternehmen in Deutschland und Europa das Aufholen in Sachen künstlicher Intelligenz ermöglichen können. Weniger haben wir uns über die Veränderungsprozesse der Wirtschaft als solche unterhalten. Denn die Digitalisierung und technische Entwicklungen wie das Machine Learning haben das Potenzial, unsere Wirtschaftsstruktur grundlegend zu verändern. Wie können wir beispielsweise das Rückgrat unserer Wirtschaft, die KMUs, in Zukunft befähigen, weiterhin bestehen zu können? Dieses Haus sollte sich als Vorsatz für das kommende Jahr auch vornehmen, uns verstärkt diesen Fragen zu widmen. Wünsche und Vorsätze haben auch Sie sicherlich viele in diesen Tagen. Als Wirtschaftspolitiker und Christ empfehle ich: Lassen Sie uns Monopole aufbrechen und den Wettbewerb stärken. Deshalb würde ich mich freuen, wenn bei Ihnen dieses Jahr das Christkind die Geschenke bringt. In diesem Sinne: Ein frohes Weihnachtsfest! ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Wenn Sie Kinder haben, können Sie sicher nachempfinden, wie es sich anfühlt, dem eigenen Kind die naheliegendsten Grundbedürfnisse nicht erfüllen zu können. „Mama, ich will auch ein Kinderzimmer“, sagt Julia. Sie ist jetzt sechs Jahre alt. Gemeinsam mit ihrer Mutter wohnt Julia momentan in einem 20-Quadratmeter-Zimmer im Stuttgarter Süden ohne Heizung in Küche und Bad, mit einem alten Kachelofen. Seit anderthalb Jahren ist ihre Mutter auf Wohnungssuche und schreibt über 300 Bewerbungen pro Jahr. Das ist das Deutschland, in dem anscheinend alle so gut und gerne leben. Und nein, es ist kein Einzelfall. In Stuttgart kommen auf eine bezahlbare Wohnung über 1 400 Bewerber. In Berlin sind es über 1 700 und in München sogar mehr als 2 000. Laut Hans-Böckler-Stiftung fehlen 2 Millionen Wohnungen in Deutschland. 678 000 Menschen in unserem Land haben überhaupt keine Wohnung, und viele Millionen Haushalte müssen fast die Hälfte ihres Nettoeinkommens für die Miete ausgeben. Und die Mieten steigen fast doppelt so schnell wie die Einkommen. Es wird nicht besser. Nein, der Konkurrenzkampf um Wohnraum wird schlimmer. In den letzten Jahren ist die Bevölkerung in Deutschland durch Zuwanderung um über 3 Millionen Menschen gestiegen. Jedes Jahr kommen netto eine halbe Million Neubürger dazu. Wir leben in einem der Länder mit der höchsten Bevölkerungsdichte, so dicht bevölkert, dass Carola Rackete in naher Zukunft Deutschland verlassen will, weil ihr hier zu viele Menschen auf zu engem Raum leben. Aushalten müssen diese Situation also sicherlich nicht Carola Rackete oder Sie, die Entscheidungsträger hier in Berlin, sondern die Menschen vor Ort in den Städten und Gemeinden. ({0}) Viele Städte sind mit diesem Zustrom hoffnungslos überfordert. In vielen Kommunen werden bereits 90 Prozent der Gelder für Pflichtaufgaben, die ihnen vom Bund und Land aufgebürdet werden, benötigt. ({1}) Ihr grüner Tübinger Oberbürgermeister Palmer bringt die ganze Absurdität auf den Punkt, indem er klarstellt: Ich bin rechtlich verpflichtet, für die Flüchtlinge zu bauen, aber ich bin nicht verpflichtet, für die schon länger hier Lebenden eine Wohnung bereitzustellen. Das ist die Rechtslage. ({2}) Das führt dann dazu, dass zum Beispiel ein Vermieter in Berlin 20 Prozent mehr bekommt, wenn er an einen Flüchtling vermietet statt an einen einheimischen Bedürftigen. In Stuttgart, wo Julia nach anderthalb Jahren immer noch auf ihr Kinderzimmer wartet, kommt ein Asylbewerber sofort auf die Warteliste für eine Sozialwohnung, während Einheimische dafür mindestens drei Jahre in Stuttgart gemeldet sein müssen. ({3}) In Rheinland-Pfalz bekommt ein Vermieter zehn Jahre ein zinsloses Darlehen und 10 Prozent des Kredits geschenkt, wenn er an Asylbewerber vermietet, während er nichts bekommt, wenn er die gleiche Wohnung an Einheimische vermietet. Es ist unverantwortlich und unsozial, in Städten, in denen bereits akute Wohnungsnot herrscht, die Situation durch Zwangszuweisung von Asylbewerbern weiter zu verschlimmern. ({4}) Der Deutsche Städte- und Gemeindebund empfiehlt den Kommunen in solchen Notlagen, die Aufnahme weiterer Flüchtlinge zu verweigern. Genau hier setzt unser Antrag an. Entscheidungen sollen dort gefällt werden, wo sie auch ausgebadet werden müssen. ({5}) Wer die Rechnung bezahlt, der soll auch mitbestimmen. Städte und Gemeinden sollen ein Vetorecht bekommen. Sie müssen die Möglichkeit haben, Zwangszuteilungen von Asylbewerbern abzulehnen, wenn nicht genügend Wohnungen zur Verfügung stehen oder in angemessener Zeit gebaut werden können. ({6}) Wir sorgen damit dafür, dass in Zukunft die Kommunen nicht mehr gezwungen werden, verschiedene Bevölkerungsgruppen auf dem Wohnungsmarkt gegeneinander auszuspielen. ({7}) Heute haben Sie mit uns zusammen die Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass auch Kinder wie Julia zukünftig in unserem Land gut und gerne leben können. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Torsten Schweiger, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Torsten Schweiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Lieber Marc Bernhard, Unfug bleibt Unfug. Da hilft es auch nicht, wenn man es wiederholt. ({0}) Aber ich will hier die Polemik mal ein bisschen beiseitelassen. Der Antrag ist nämlich eigentlich zu ernst, um darüber in dieser Art und Weise zu reden. ({1}) Der Antrag trägt den Titel „Anpassung des öffentlichen Baurechts zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit“. ({2}) Er basiert im Wesentlichen auf den Angaben der BAG Wohnungslosenhilfe. Aus Sicht unserer Fraktion ist er aber nicht geeignet, die Problematik, die hier aufgeworfen wird, auch nur ansatzweise zu ändern. Warum das so ist, will ich gerne erläutern. ({3}) Schauen wir uns zunächst die Datenlage an, die hier benutzt wird, um den Antrag zu begründen. Es wird überhaupt nicht sauber differenziert. Aber nach den einschlägigen Definitionen, die die BAG übrigens selber anwendet, ist Wohnungslosenhilfe stark differenziert. Nicht alle wohnungslosen Menschen sind gleichzeitig obdachlos. Das muss man wirklich unterscheiden. Immer dann nämlich, wenn der Staat, aus welchen Gründen auch immer, die Bereitstellung und Finanzierung der Wohnungen oder Unterkünfte übernimmt, gelten die Personen als wohnungslos, nicht aber zwangsläufig als obdachlos. Dass hier gehandelt werden muss, ist unstrittig. Darauf werde ich aber später noch einmal eingehen. Von den im Antrag der AfD genannten 860 000 betroffenen Personen im Jahr 2016 sind nach Angaben der BAG circa 52 000 tatsächlich obdachlos. Diese Differenz zeigt, dass wir hier nicht pauschal über alle urteilen können. Alle anderen gelten nämlich als wohnungslos, weil sie in staatlich finanzierten Wohnheimen, Notunterkünften oder bei Freunden übernachten. So die Auskunft der zitierten BAG. Allein die erstmalige Aufnahme von 440 000 Flüchtlingen im Jahr 2016 zeigt, dass diese Statistik einer Differenzierung bedarf. Im Rahmen der föderalistisch verteilten Aufgaben stellen Kommunen Notunterkünfte bereit – auch das muss man festhalten; es ist keineswegs so, dass hier keine Pflicht besteht –, die allerdings zunehmend mit den Wohnungsangeboten insbesondere natürlich in den Ballungsräumen konkurrieren. Folgerichtig ist die Schaffung von neuen Wohnungen. Das ist auch erklärtes Ziel unserer Regierungskoalition. Und die umfassende Wohnraumoffensive mit 1,5 Millionen neuen Wohnungen, die wir gestartet haben, die Stärkung des sozialen Wohnungsbaus mit Bundesmitteln in Milliardenhöhe –, das sind die sogenannten Kompensationsmittel, das Baukindergeld, die Sonderabschreibung etc. – sind richtige Schritte. Über die Weiterführung der Städtebauförderung auf Rekordniveau haben wir gestern gesprochen. Das ist die richtige Reaktion auf diese Problematik. ({4}) Der Antrag der AfD geht meiner Meinung nach auch aus einem anderen Grund am Problem vorbei. Er isoliert nämlich die Betrachtung auf die Änderung des Baugesetzbuches, und das wird der Problemlage nicht gerecht, erst recht nicht – und das ist hier das eigentlich Perfide daran –, wenn man versucht, Flüchtlinge und Obdachlose gegeneinander auszuspielen. ({5}) Auch formell erfüllt der Antrag in keiner Weise die Anforderungen. Zuerst will man die Unterkünfte von Obdachlosen den Unterkünften für Flüchtlinge gleichstellen, dann will man die Privilegierung der Flüchtlingsunterkünfte aufheben, obwohl diese ja bereits im BauGB befristet ist. Spätestens hier würde sich die Frage stellen: Was ist denn mit der Gleichstellung, die man wollte? Bedeutet das die Gleichstellung in der Abschaffung der Privilegierung? Die heiße Nadel, mit der dieser Antrag gestrickt wurde, ist meiner Meinung nach sehr deutlich erkennbar. ({6}) Ich fasse zusammen: Problematische Faktenrecherche verbunden mit ungenügender Reichweite des Vorschlages und das Ausspielen von Obdachlosen und Flüchtlingen gegeneinander sind die wesentlichen Inhalte des Antrages. Der Vorschlag der Regierungskoalition reicht hier wirklich weiter. Es bleibt leider nur bei dem Resümee: Ablehnung des Antrags! ({7}) Im neuen Antrag – es sind ja zwei – wird es noch perfider. Es wird schon mit dem Titel suggeriert, Migration sei die alleinige Ursache der Wohnungsnot. Dabei kommt das Wort „Migration“ – und das will ich hier mal deutlich sagen; ich habe nämlich nachgeschaut –, im zitierten Artikel des „Handelsblattes“ nicht ein einziges Mal vor. ({8}) Man spricht dort von „Zuzug“, der „Binnenwanderungsverluste“ ausgleicht. Das ist richtig. Dass man eigentlich Asylsuchende und nicht Migranten meint, wird später im Antrag der AfD deutlich. Es bleibt auch hier leider nur ein Fazit: Ablehnung! ({9}) Vielen Dank und ein frohes Weihnachtsfest! ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP, ist die nächste Rednerin. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschen in Deutschland zieht es aus vielen Gründen immer mehr in die Städte. Das Lebensmodell, dass man in der Stadt lebt, dort gegebenenfalls ausgebildet wird und spätestens nach der Geburt des ersten Kindes aufs Land zieht, gehört der Vergangenheit an. Das Gegenteil ist richtig: Gerade junge Familien bevorzugen das urbane Leben. Man kann bestenfalls in der Nähe der Arbeitsstätte wohnen, man kann auf sein Auto verzichten und hat alles, was man zum Leben braucht, gewissermaßen vor der Tür. Je nach Regionen kann man in der Tat von Landflucht sprechen. Die Urbanisierung hat in Deutschland vor Jahren eingesetzt, und die Bundesregierung hat nicht nur viel zu spät darauf reagiert –, obwohl es kein deutsches Phänomen ist, sondern seit Jahrzehnten weltweit stattfindet –, sondern auch erst einmal nur eine Kommission gegründet und über ein Jahr lang darüber diskutiert und analysiert, was erfahrene Kommunalpolitiker und ‑politikerinnen ihr in 15 Minuten auf ein Blatt Papier geschrieben hätten. Der Wohnraum in den Städten wird entsprechend der Nachfrage und der steigenden Bodenpreise immer knapper und daher teurer. Die steigende Zahl von Haushalten und der Anspruch an die Größe einer Wohnung verschärfen das Problem, und in den Städten sind die Mieten deshalb in den letzten Jahren rasant gestiegen. Für viele Menschen bleibt der Kauf einer eigenen Immobilie leider ein Traum. Ja, die Städte müssen mehr bauen. Hilfreich wäre es, wenn Baugenehmigungen zügiger erteilt würden. Vor allem müssten die Voraussetzungen, Häuser zu errichten, erleichtert werden. Zur Wahrheit gehört auch, dass alleine die Energieeinsparverordnung die Baupreise rasant ansteigen lässt, und dann kommen noch die hohen Nebenkosten dazu. Es gibt Bewohner, die bewegen sich frei auf dem Markt, können viel Geld in die Hand nehmen, können bauen oder kaufen, was immer sie wollen. Es gibt aber eben auch Menschen, die einen hohen Bedarf an Sozialwohnungen haben. Für diejenigen müssen wir da sein und entsprechende Unterstützung gewähren. Wir brauchen aber vor allem mehr bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit mittlerem Einkommen, die zu wenig verdienen, um sich unbeschwert auf dem freien Markt zu bewegen, und zu viel monatlich zur Verfügung haben, um Anspruch auf eine staatliche Leistung zu haben. ({0}) Meine Damen und Herren, was fehlt, ist bezahlbarer Wohnraum für Familien mit Kindern, für die Mitte der Gesellschaft, für die Menschen im Land, die den normalen Alltag am Laufen halten: Erzieherinnen und Erzieher, die sich um unsere Kinder kümmern, Menschen, die sich um unsere Sicherheit sorgen, Männer und Frauen aus Gastronomie, Handwerk, Einzelhandel, Pflegerinnen und Pfleger, die eben nicht immer in die Städte einpendeln wollen. Wir müssen einen anderen Rahmen setzen. Wir müssen mehr bauen und gesetzliche Erleichterungen schaffen. Dieses gesellschaftlich relevante Thema von fehlendem und zu teurem Wohnraum an Flüchtlingen festzumachen, beweist einmal wirklich mehr, meine Damen und Herren von der AfD, Ihre intellektuelle Mittelmäßigkeit. ({1}) Wenn man das Wort „platt“ steigern könnte, dann könnte man sagen: platt, platter, am plattesten. Und es nervt ungemein, weil wir ganz anders ansetzen müssen, um Wohnraum zu schaffen. Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie mal die Statistiken lesen würden. ({2}) – Ja, lassen Sie stecken. – Dass Sie die Zuwanderung für diese Problematik verantwortlich machen, ist ein entlarvendes Weltbild. Und natürlich wird das Thema festgemacht an bestimmten Gruppen aus Zuwanderern, ({3}) an Leuten, die aus Afrika oder dem Nahen bzw. Mittleren Osten kommen. Wissen Sie was? Sie wollen Bilder kreieren. Sie wollen Ihre kruden Ideen in die Köpfe der Menschen bringen – nicht mehr und nicht weniger. Lesen Sie Statistiken, gehen Sie in die Kommunen, und sehen Sie die Realität! ({4}) – Ja, was Sie wissen, ist gut; wir wissen mehr. Das Schlimme ist – bei allem Respekt, Herr Präsident, vor dem Hohen Haus –: Ihre Ressentiments sind schlichtweg einfach nur zum Kotzen. Frohe Weihnachten! ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Helge Lindh, SPD, ist der nächste Redner. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es naht Weihnachten, das Fest der Liebe; es ist der Zeitpunkt des Verzeihens. ({0}) Ich wollte versöhnlich sein. Ich hörte diese Rede, ich las die Anträge. Es geht nicht! ({1}) Ich beginne aber versöhnlich, indem ich meinem Innenausschusskollegen Herrn Herrmann ausdrücklich meine Hochachtung für den konsequenten und mutigen Schritt ausdrücken will, die AfD-Fraktion und die AfD verlassen zu haben. Herzlichen Glückwunsch! ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt werde ich aber unversöhnlich – und das nicht polemisch, sondern realistisch. Spätestens, wenn man vor Weihnachten solche Anträge stellt, definiert sich die AfD selbst als Antichristen für Deutschland – AfD gleich „Antichristen für Deutschland“. ({3}) Das ist ein moralischer Offenbarungseid. Wenn ich daran denke, dass Sie hier zigmal – ich kann es Ihnen belegen – das christlich-jüdische Abendland beschworen haben: Sie sind die personifizierte Bankrotterklärung, wenn es um das christlich-jüdische Abendland geht. ({4}) Wenn man – erst recht zu diesem Zeitpunkt – die soziale Frage des Wohnens und der Obdachlosigkeit nutzt, um das Asylrecht aushebeln zu wollen, um ein solches perfides Spiel zu spielen, dann ist das nichts anderes als eine Schändung der christlichen Botschaft, und das muss als solches benannt werden. ({5}) Wir kommen zur Beweisführung hinsichtlich Ihrer großen christlichen Tugenden. Man gucke mal in die Bibel und in das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Wie ist Barmherzigkeit definiert? Es gibt zwei Kriterien: Gottesliebe und Nächstenliebe. Punkt 1: Gottesliebe. Gottesliebe fällt bei Ihnen schon mal aus; denn Sie beten heute als Götzen wieder – es war zu hören – den Hass und die Missgunst an. Gottesliebe? Fehlanzeige! ({6}) Punkt 2: Nächstenliebe. Es heißt übrigens Nächstenliebe und nicht Deutschenliebe, nicht Männerliebe, nicht Weißenliebe, nicht Christenliebe. ({7}) In der Bibel heißt es: „Liebe den Nächsten wie dich selbst“. – Da Sie sich selbst nur hassen und jeden Tag mehr Grund haben, sich selbst zu hassen, fällt das auch aus. Beweisführung erbracht! „Antichristen für Deutschland“ ist die Definition von AfD. ({8}) Sie verhöhnen aber nicht nur die Geflüchteten und Fremden, Sie verhöhnen doch auch die Obdachlosen. Menschen brauchen Wohnungen, Stabilität, Essen. ({9}) Was geben Sie ihnen? Sie geben ihnen Hass. Von Hass kann man aber nicht satt werden, Hass schafft keine Wohnungen. Das ist Ihre Antwort. Sozialpolitik? Fehlanzeige! ({10}) Aber nicht nur das! Sie schaffen es ja auch, nicht nur die Moral, das Christentum, den Islam und das Judentum zu verhöhnen, sondern Sie verhöhnen auch noch die Logik. Warum? Gucken wir mal in meinen Wahlkreis Wuppertal. Ganz viele, die nach dem Ablaufen der Dreijahresfrist gemäß Wohnsitzauflage nach Wuppertal kommen, kommen deswegen, weil sie es nicht mehr ertragen, in AfD-Hochburgen im Osten wie im Westen zu leben. ({11}) Folglich ist Fluchtursache die AfD, und Fluchtursachenbekämpfung ist AfD-Bekämpfung. ({12}) Ich werde meine Kommune Wuppertal auffordern, Sie in Regress zu nehmen für die zusätzlichen Kosten. ({13}) Und noch was: Sie wollen doch Wohnungsnot bekämpfen. Wir brauchen Facharbeiter im Wohnungsmarkt. Viele Facharbeiter wollen aber nicht in ein rassistisches Deutschland der AfD. Folglich verhindern Sie, dass Facharbeiter nach Deutschland kommen. Wohnungsnot ist AfD; um es mal deutlich zu sagen. ({14}) Sehr geehrte Damen und Herren, Sie werden gemerkt haben: Versöhnlich konnte ich heute nicht sein. ({15}) Aber es reicht nicht, zu sprechen. Deshalb möchte ich Sie alle bitten – ich kann nur eine Bitte formulieren, eine Aufforderung, vielleicht im Sinne einer stillen Übereinkunft –: Es wäre mal eine gute Geste angesichts eines so niederträchtigen Antrages vor Weihnachten, die drehbaren Stühle zu nutzen, um sich demonstrativ abzuwenden von der AfD-Fraktion ({16}) und sich aus Achtung vor den Obdachlosen, den Wohnungslosen und den Geflüchteten und Migranten in diesem Land diesen zuzuwenden. Vielen Dank. ({17})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Caren Lay, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bravo, AfD! Zum ersten Mal nach über zwei Jahren setzen Sie hier eine wohnungspolitische Debatte im Plenum auf. ({0}) Doch, oh Wunder, es ist immer die gleiche Leier. Kurzfassung: Die Migranten sind schuld. ({1}) Diese Leier ist wie eine Schallplatte, die einen Sprung hat. Das ist wenig originell. Es ist die immer gleiche rassistische Hetze, und die kann kein Mensch mehr hören. ({2}) Davon abgesehen, dass bei Ihnen ja immer an jedem Problem „die Migranten“ schuld sind, ({3}) verkennt Ihre Analyse einfach die Fakten. Sie haben ja gar keine Ahnung von der Geschichte der Wohnungspolitik der Bundesrepublik. ({4}) Ich kann Ihnen da vielleicht mal auf die Sprünge helfen. Die Misere begann nämlich bereits 1990, als die Wohngemeinnützigkeit abgeschafft wurde. Seither befindet sich der soziale Wohnungsbau im Niedergang. Die Zahl der Sozialwohnungen hat sich seither auf nunmehr fast 1,2 Millionen Sozialwohnungen halbiert. Sämtliche Bundesregierungen haben seither das Tafelsilber verscherbelt, Wohnungen privatisiert. ({5}) Die meisten Wohnungen wurden im Bund privatisiert – von Schwarz-Gelb. ({6}) Sie haben das Mietrecht geschliffen. Sie haben Zwangsräumungen erleichtert. Da liegt der Hase im Pfeffer. Es sind die Fehler der Politik, und es ist nicht die Schuld der Migrantinnen und Migranten. ({7}) Sie spalten die schwächsten Gruppen in der Gesellschaft. Sie wollen Wohnungslose nach Pässen sortieren ({8}) und deutsche und migrantische Obdachlose gegeneinander ausspielen. Das ist doch rassistisch und unsozial, was Sie hier vorschlagen. ({9}) Ihrem Ansatz liegt einfach ein ganz großer Trugschluss zugrunde: Nicht der Zuzug ist die Ursache für die Mietenkrise, sondern die Geschäftemacherei mit Wohnraum. Nicht Migration, sondern Spekulation ist die Mutter der Mietenexplosion. ({10}) Für Immobilieninvestoren rangieren vier deutsche Städte unter den Top Ten. Das mögen ja einige ganz toll finden. Mir macht es Sorge; denn die versprochenen Gewinne der Anleger bedeuten höhere Mieten für die anderen. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Aber sich mit dem internationalen Finanzkapital anlegen – Fehlanzeige! Sie machen es natürlich auch den Regierungen leicht, indem Sie nicht ihre Verantwortung benennen, sondern die Schuld auf die Schwächsten, auf die Migranten schieben. ({11}) Der Volksmund hat dafür eine schöne Formulierung: Nach oben buckeln und nach unten treten. – Das können Sie, aber das erfordert keinen Mut, meine Damen und Herren. ({12}) Die Migrantinnen und Migranten sind übrigens nicht die Ursache für die Wohnungsnot, sondern sie sind die Leidtragenden. Sie stellen unter den Wohnungslosen die größte Gruppe, und sie sind auf dem Wohnungsmarkt am meisten diskriminiert. Deswegen brauchen wir endlich einen mutigen Neustart im sozialen Wohnungsbau, und zwar für alle; denn das Recht auf Wohnen muss für alle gelten – unabhängig von Pass und von Herkunft. ({13}) Liebe Mieterinnen und Mieter in diesem Land, die AfD versucht heute, sich als Partei für eine soziale Wohnungspolitik zu inszenieren. ({14}) Was macht denn die AfD tatsächlich hier im Bundestag in Bezug auf die Wohnungspolitik? Sie waren es, die im Haushalt die Gelder für den sozialen Wohnungsbau kürzen wollten. ({15}) Sie waren die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die gegen die Verlängerung des sozialen Wohnungsbaus gestimmt hat. Sie sind gegen die Mietpreisbremse, ({16}) gegen den Mietendeckel. Sie sind gegen den besseren Schutz von Mieterinnen und Mietern und stehen stramm an der Seite von Immobilienhaien und des Finanzkapitals. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({17}) Wenn ich mir Ihre Anträge anschaue, stelle ich fest: Sie haben gar keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Sie fordern hier die Rücknahme von Standards, die schon längst ausgelaufen sind. ({18}) Und dann tun Sie so, dass irgendwelche Sonderkonditionen für Geflüchtete eingerichtet wurden; das sei so eine Art Privileg. Also, ehrlich gesagt, das Gegenteil ist richtig. Es ging darum, dass Geflüchtete in Massenunterkünften und in Gewerbegebieten untergebracht werden konnten. Wir fanden das als Linke damals schon falsch. Denn egal ob Geflüchtete oder Obdachlose, wir wollen nicht, dass Menschen in Massenunterkünften leben müssen. ({19}) In meinem Wahlkreis – das ist der Landkreis Bautzen; die AfD war dort bei der Bundestagswahl die stärkste Kraft – ({20}) stehen Tausende Wohnungen leer, und trotzdem müssen dort nach wie vor Asylbewerber in Massenunterkünften leben. Ich finde, dort, wo Wohnungen leer stehen, soll kein Mensch mehr unter Brücken schlafen müssen, soll kein Mensch mehr in Massenunterkünften schlafen müssen. ({21}) Ich bin mal gespannt, ob Sie mit Ihrer großen Fraktion im Kreistag diese Forderungen unterstützen würden. ({22})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der AfD?

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, danke. – Zu guter Letzt: Sie monieren die Landflucht. Ja, auch ich kenne viele junge Menschen, die aus meinem Wahlkreis in der Lausitz nach Dresden, nach Leipzig, nach Berlin ziehen. Warum? Das eine: weil die Löhne zu niedrig sind, weil die Jugendklubs, die Kitas, die Schulen geschlossen wurden, weil kein Bus mehr fährt. Klar, wer will da eine Familie gründen? Das andere: weil es zu viele Nazis gibt ({0}) und weil viele junge Leute auf dem Heimweg einfach nicht mehr sicher sind und fürchten, verprügelt zu werden, und weil sie diese bornierte Haltung einfach nicht mehr ertragen können, seitdem die AfD dort die Lufthoheit über die Stammtische erobert hat. Deswegen kann ich nur sagen: Weniger AfD wählen, mehr Weltoffenheit – und schon werden ländliche Räume für junge Menschen auch wieder attraktiver. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Kollegen Karsten Hilse, AfD. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, ganz ruhig. – Wenn die Frau Lay schon explizit unseren Landkreis anspricht, dann möchte ich dazu gern Stellung nehmen. ({0}) Es wäre schön gewesen, wenn Sie die Zwischenfrage zugelassen hätten. Ich möchte Sie einfach nur darauf hinweisen, dass die Asylbewerber in unserem Landkreis deswegen in großen Unterkünften untergebracht sind, weil der Landrat das so entschieden hat, und der ist von der CDU. Der Leerstand kommt, zumindest in Hoyerswerda, auch dadurch zustande, dass die Wohnungsgesellschaft die Fördergelder für den Abriss abgreifen und deswegen leerstehende Wohnungen nicht wieder beziehen lassen will. Das ist der Grund für den Leerstand von Wohnungen. Es gibt noch eine Wohnungsgenossenschaft; dort gibt es überhaupt keinen Leerstand. Also, das, was Sie hier erzählen, ist absoluter Blödsinn, Entschuldigung. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Mögen Sie erwidern, Frau Kollegin Lay? – Bitte.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist erst mal die Wahrheit, dass der Landkreis Bautzen der Landkreis in ganz Sachsen ist, wo die meisten Asylbewerberinnen und Asylbewerber weiter in Massenunterkünften untergebracht werden und nicht dezentral in Wohnungen, wie wir als Linke es seit Langem gefordert haben. Wir wollen, dass Menschen, egal ob sie deutscher Herkunft sind oder ob sie Migrantinnen und Migranten sind, zuerst in Wohnungen untergebracht werden. „Housing First“ heißt dieser Ansatz; das ist ein progressiver Ansatz. ({0}) Das ist ganz was anderes als Ihre Hetze: Immer nur die Schuld auf Migrantinnen und Migranten schieben. – Das ist nicht die Lösung. Es gibt genug Wohnungen in diesem Landkreis für Deutsche und Migranten, und es wird höchste Zeit, dass sie endlich in diese leerstehenden Wohnungen einziehen dürfen. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei Wohnungs- und Obdachlosigkeit geht es um nicht weniger als das Grundrecht auf Wohnen. ({0}) Deswegen kann ich Ihnen von der AfD heute nur zurufen: Dieses Recht, dieses Grundrecht, kennt kein Geschlecht, keine Religion, keine Nationalität. Dieses Recht ist unteilbar und steht allen Menschen in diesem Land zu, ({1}) egal wann sie zu uns gekommen sind und egal woher sie gekommen sind. Weil Sie dieses Grundrecht ganz grundsätzlich infrage stellen, stehen Sie mit diesen Anträgen heute nicht mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz. ({2}) Sie wollen sich heute das Mäntelchen der Kümmererpartei umhängen; nichts anderes wollen Sie mit diesen Anträgen machen. Denn Sie sagen: Wir als AfD kümmern uns um die Obdachlosen und Wohnungslosen ({3}) und um die Explosion der Mieten in unseren Städten. Jetzt schauen wir uns Ihre Anträge doch einfach mal an. Sie wollen die Standards für die Obdachlosenunterbringung in Deutschland absenken und Obdachlose an den Rand der Städte drücken; das ist der eine Vorschlag. Der andere Vorschlag sind Änderungen im Aufenthaltsrecht. Das sind Ihre Vorschläge zur Wohnungspolitik. Das ist bitter, bitter, bitter. Mit solchen Vorschlägen würden Sie in keiner anderen Fraktion einen Antrag genehmigt bekommen, weil das so dünn ist und mit der wohnungspolitischen Diskussion in Deutschland nichts – null, nada – zu tun hat. ({4}) Sie könnten ja einen guten Antrag schreiben. Dafür müssten Sie mal aufschreiben: Wie stehen Sie zum sozialen Wohnungsbau? Wie stehen Sie denn zum Mietrecht? Wie wollen Sie das Mietrecht in Zukunft ausrichten? Was wollen Sie denn machen bei den Mietspiegeln? Dann müssten Sie eben nicht Stadt und Land gegeneinander ausspielen. Dann müssten Sie nicht Obdachlose gegen Flüchtlinge ausspielen. Das wollen Sie mit Ihren Anträgen tun. Aber substanzielle Vorschläge machen Sie nicht, Herr Bernhard, und deswegen schreien Sie auch hier nur so rum, ({5}) weil Sie eben genau wissen, dass Ihre Anträge in der Substanz gar keine Auswirkungen in Deutschland haben. ({6}) Ihre Vorschläge sind eiskalt. Obdachlose in Massenunterkünfte in Industriegebiete zu bringen, bedeutet weitere Obdachlosigkeit und Deintegration. Housing First, den Menschen eine Sozialwohnung zu geben, das ist die Aufgabe der Stunde, und nicht, sie zu stigmatisieren, wie Sie es in Ihren Anträgen vorschlagen. ({7}) Ich glaube, wir haben alle im Deutschen Bundestag eine Aufgabe: uns klar zu distanzieren von Gewalt gegen Obdachlose. ({8}) Die hat nämlich in unserem Land massiv zugenommen. 2011 gab es 602 Angriffe, 2017 waren es 1 389 Angriffe. Jetzt schauen wir mal in die Kriminalstatistik rein, woher diese Anschläge kommen: Sie kommen von rechter Gewalt. ({9}) Dazu müssen Sie Stellung beziehen. ({10}) 85 Prozent der Hasskriminalität in diesem Land, auch gegen Obdachlose, kommt von rechts. Dass Sie dazu schweigen, zeigt, wes Geistes Kind Sie sind. Deswegen sage ich Ihnen eins ganz klar: Bringen Sie endlich mal substanzielle Vorschläge, und verhalten Sie sich endlich mal zu den Fakten, anstatt hier Menschen gegeneinander auszuspielen! Danke schön. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Detlef Seif, CDU/CSU. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bei dem Wohnungsmarkt oder, besser gesagt, den Wohnungsmärkten gibt es große, ganz große, regionale Unterschiede. Während in wachsenden Städten und Regionen eine hohe Nachfrage besteht, die Preise durch die Decke gehen und bezahlbares Wohnen Mangelware ist, haben andere Städte, auch viele ländlich gelegene Regionen, einen Bevölkerungsrückgang hinzunehmen, verbunden mit Wohnungsleerständen und stagnierenden Mieten. Die Gründe für die regional bestehende Knappheit von bezahlbarem Wohnraum sind vielschichtig. Es gibt aber einen Trend zu Single- und Zweipersonenhaushalten. Die Studentenzahlen bewegen sich seit Jahren auf einem hohen Niveau, und jeder Student braucht Wohnraum. Die Niedrigzinsphase führt dazu, dass Wohnungen zunehmend Spekulationsobjekt werden und Investitionen getätigt werden, mit der Folge, dass der Markt heißläuft, dass hier eine Übernachfrage besteht, natürlich verbunden mit massiver Preiserhöhung für Wohnraum und Bautätigkeit. Wenn es nach der AfD geht, ist der Schuldige dafür schnell gefunden: ({0}) Dies sei fast ausschließlich durch direkte Zuwanderung aus dem Ausland entstanden. Die Sache ist für Sie noch einfacher, ja: Die Bundesregierung schützt die Grenzen nicht, und es gibt immer noch keine Asylzentren in Afrika. ({1}) Aha! Schuld sind also die Menschen, die zu uns kommen und einen Asylantrag stellen. ({2}) Dabei verschweigt der AfD-Antrag gleich mehrere wichtige Punkte. Der hohe Druck entsteht nämlich zunächst durch ein hohes Maß an Binnenmigration. Es gibt eine Binnenwanderung von ländlichen Bereichen, von der Peripherie in die Ballungszentren. ({3}) Was den Wanderungsüberschuss vom Ausland nach Deutschland angeht, verschweigen Sie zudem, dass die Hälfte der Menschen aus den anderen EU-Mitgliedstaaten zu uns kommt. Niemand in diesem Hause – na ja, bei Ihnen bin ich mir nicht so sicher – käme auf die Idee, deshalb die EU-Mitgliedschaft zu kündigen und den Binnenmarkt aufzulösen, meine Damen und Herren. ({4}) Im Jahr 2015 und 2016 bestand in der Tat eine Ausnahmesituation. 745 000 Menschen haben einen Erstasylantrag gestellt. Seitdem sind die Zahlen deutlich zurückgegangen. In diesem Jahr sind es voraussichtlich 145 000. Das ist ein gutes Ergebnis. ({5}) Deutschland hat hier eindeutig seine Hausaufgaben gemacht. ({6}) Aber jetzt ist die EU am Zuge. Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das funktioniert. ({7}) Die Idee einer verbindlichen Vorprüfung an den EU-Außengrenzen ist sehr gut und sollte verfolgt werden. 2015/2016 herrschten teils katastrophale Zustände; das ist uns allen noch bekannt. Wir sind teilweise über die Belastungsgrenze hinausgegangen. Aber jetzt haben wir eine ganz andere positive Entwicklung. ({8}) Zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen: „Wir brauchen hier eine Steuerung“, ({9}) ist nur populistisch. Meine Damen und Herren, es ist schon gesagt worden, aber ich sage es noch mal deutlicher: Ich finde es schäbig, dass Sie hier Menschen gegeneinander ausspielen, ({10}) die in schwierigen Situationen sind und bezahlbaren Wohnraum suchen. Schäbig, schäbig, schäbig! ({11}) Ein Wort an Frau Lay: Frau Lay, es wurden – das haben Sie richtig dargestellt – Fehler gemacht; der soziale Wohnungsbau wurde nicht ausreichend gefördert. Aber im Land Berlin, wo, wenn ich mich richtig erinnere, über zehn Jahre kein sozialer Wohnungsbau stattgefunden hat und wo über 320 000 Wohnungen privatisiert wurden, waren doch nun mal die Linken in der Regierung, meine Damen und Herren. ({12}) Der AfD-Antrag – jetzt kehre ich zu Ihnen zurück – ist jedenfalls handwerklich mehrfach fehlerhaft. ({13}) Sie verkennen, dass nach § 47 Asylgesetz im Regelfall die Asylbewerber verpflichtet sind, bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. In Nordrhein-Westfalen – als Beispiel – bedeutet das, dass der Aufenthalt in einer zentralen Unterbringungseinrichtung vorgeschrieben ist, bis zu 24 Monate. Eine Verteilung von Asylbewerbern findet nach dem Gesetz überhaupt nicht statt. ({14}) Wenn das in einem Bundesland anders sein sollte, dann wenden Sie sich bitte an die jeweiligen Landesregierungen; sie haben das Bundesgesetz umzusetzen. ({15}) Die AfD will bei der Einschränkung der Verteilung aus wohnungspolitischen Gründen § 12a des Aufenthaltsgesetzes entsprechend anwenden. Auch hier verkennen Sie, dass sich die Vorschrift auf die Verteilung der Menschen bezieht, deren Asylanspruch bereits anerkannt ist oder die einen Duldungsanspruch haben. Das hat nichts mit Asylbewerbern zu tun. Das ist inhaltlich-fachlich fehlerhaft und falsch und handwerklich nicht ordnungsgemäß aufbereitet. Meine Damen und Herren, der AfD-Antrag – wie soll ich es sagen? – ist aus diesem Grund bar jeder Kenntnis und hingeschissen. ({16}) Aber mit Exkrementen, insbesondere mit Vogelschiss, kennen Sie sich ja bestens aus. Vielen Dank. ({17})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist unsere letzte Sitzung vor Weihnachten. – Jetzt hat der Kollege Udo Hemmelgarn, AfD, das Wort.

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tribünen! Es ist unbestreitbar, dass wir in unseren Großstädten zum Teil mit massiver Wohnungsnot konfrontiert sind. Ebenso unbestreitbar ist, dass die Politik der Altparteien ({0}) diese Zustände zu verantworten hat. ({1}) Mit unseren Anträgen machen wir zwei Forderungen geltend, die eigentlich selbstverständlich sind. ({2}) Erstens. Nehmen Sie die Realität und die Ursachen der Wohnungsnot zur Kenntnis! Wenn man in diesem Haus darauf hinweist, dass die Migrationspolitik der Regierung Merkel eine wesentliche Ursache für die bestehende Wohnungsnot ist, wird man wahlweise als Nazi oder Rassist beschimpft. ({3}) Freundliche Kollegen erklären einem von oben herab, dass man keine Ahnung hat. Richtig ist, dass die Städte und Gemeinden immer noch schwer unter der Last von fast 2 Millionen Migranten zu leiden haben. Die werden ihnen zugewiesen, egal ob die einheimische Bevölkerung angemessen mit Wohnraum versorgt ist oder nicht. Deshalb: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die sogenannte Politik der offenen Grenzen eine wesentliche Ursache der bestehenden Wohnungsnot in den Städten und Gemeinden ist! ({4}) Geben Sie den Kommunen das Recht, die weitere Zuweisung von Migranten abzulehnen! Nur so kann die Selbstverwaltung der Kommunen mit Substanz gefüllt werden. Unsere zweite Forderung: Handeln Sie, um wenigstens die größte Not zu bekämpfen! ({5}) Als man sich 2015 den einströmenden Menschenmassen gegenübersah, musste man diese Menschen, die davon überzeugt waren, man hätte sie nach Deutschland eingeladen, irgendwie unterbringen. Mit beeindruckender Präzision und Schnelligkeit wurden die Regelungen des Baugesetzbuchs und der Energieeinsparverordnung angepasst. Es wurde eine Sonderregelung für Flüchtlingsunterkünfte geschaffen, die die Errichtung auch dort ermöglichte, wo Wohngebäude oder Wohnheime bislang nicht zulässig waren. Die Energieeinsparverordnung wurde für die Heime komplett ausgesetzt. All die Schritte, die wir zur Bewältigung der Wohnungsnot gefordert haben – Förderung des seriellen Bauens, Vereinfachung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, Aussetzung der Energieeinsparverordnung –, waren für die zum größten Teil illegal eingereisten Zuwanderer plötzlich möglich. ({6}) Wir fordern nicht mehr und nicht weniger, als dass diese Sondervorschriften auch auf die Wohnheime für Wohnungs- und Obdachlose ausgeweitet werden. ({7}) Nach derzeitiger Rechtslage können Flüchtlingsheime, die nach den Sondervorschriften errichtet wurden, selbst dann nicht für Obdachlose genutzt werden, wenn sie leer stehen. Abenteuerlich! Wir fordern Sie deshalb auf: Schützen Sie auch das Menschenrecht der schon länger hier Lebenden auf ein Dach über dem Kopf. Frau Lay, Herr Schweiger, jetzt kommen wir zur Befristung der Sondervorschriften. Als wir unseren Antrag das letzte Mal diskutierten, wurde uns entgegengehalten, dass die betreffenden Regelungen ja zum Jahresende 2019 auslaufen würden. Es würde sich schon deshalb nicht lohnen, die geforderten Angleichungen vorzunehmen. Mittlerweile wurde im Bundesrat der Antrag gestellt, die Sonderregeln bis 2022 zu verlängern – übrigens von der CDU NRW. Wir dürfen gespannt sein, mit welchen Argumenten man die baurechtliche Privilegierung der Flüchtlingsheime dann noch aufrechterhalten will. Ich wünsche allen Menschen in Deutschland, insbesondere den Wohnungs- und Obdachlosen, eine frohe Weihnacht! Danke schön. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulli Nissen, SPD. ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab eine Bemerkung zu den Anträgen der AfD: Sie sollten sich schämen, so einen Schmodder auch noch direkt vor Weihnachten hier einzubringen. ({0}) Mir persönlich ist es vollkommen egal, welche Hautfarbe, Herkunft, Religion oder sexuelle Orientierung ein Mensch hat. Ich will, dass jeder eine gute, bezahlbare Wohnung bekommt. Das einzig Positive an Ihren Anträgen ist: Wir können erneut über bezahlbares Wohnen reden. Natürlich ist es sehr bedrückend, dass wir Menschen in Deutschland haben, die wohnungs- und obdachlos sind. ({1}) Besonders jetzt im Winter mit Kälte, Nässe und Wind ist es für die Betroffenen noch schlimmer. Die Beseitigung von Armut ist eines der wichtigsten Nachhaltigkeitsziele, also der SDGs, die wir bis 2030 erreichen wollen und müssen. Dazu gehört auch, dass wir bis 2030 den Zugang zu angemessenem, sicherem und bezahlbarem Wohnraum und zur Grundversorgung für alle sicherstellen. Bezahlbares Wohnen ist ein elementares Grundbedürfnis, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Wohnen ist auch ein Menschenrecht. Das Menschenrecht auf Wohnen, wie im UN-Sozialpakt formuliert, zielt darauf ab, dass der Staat allen Menschen in ihrem Land eine angemessene Unterkunft ermöglicht, dass er das gewährleisten kann durch eine soziale Wohnungsbaupolitik, guten Mieterschutz, Sozialleistungen und auch durch eine kurzfristige Notunterbringung. Auf dem Wohngipfel 2018 haben wir uns auf ein Maßnahmenpaket geeinigt, das investive Impulse für den Wohnungsbau vorsieht und die Bezahlbarkeit des Wohnens sichern soll. Wir haben inzwischen viel erreicht und an vielen Stellschrauben gedreht. Die Modernisierungsumlage haben wir abgesenkt und gedeckelt. Das Herausmodernisieren haben wir mit einem hohen Ordnungsgeld belegt. Die Menschen in meinem Frankfurter Wahlkreis waren dafür sehr dankbar; denn für einige kam unser Gesetz genau zum richtigen Zeitpunkt. Die Vermieter mussten sich an den Deckel halten. Ich bin sicher, dass wir durch unsere Veränderungen bei der Modernisierungsumlage auch Obdachlosigkeit verhindert haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Wohngeld wird zum 1. Januar 2020 kräftig steigen. Es ist uns gelungen, dass es künftig alle zwei Jahre automatisch angepasst wird. ({3}) Die nächste Erhöhung ist schon in Sicht. Zum 1. Januar 2021 soll das Wohngeld pauschal um 10 Prozent steigen – zum Ausgleich für Klimaausgaben. In dieser Woche haben wir allein drei Gesetzentwürfe beraten, die das Wohnen bezahlbar halten sollen: die Verschärfung der Mietpreisbremse mit Anspruch auf Rückzahlung von zu viel gezahlter Miete – das finde ich ganz großartig –, das Bestellerprinzip bei den Maklerkosten und die Verlängerung des Betrachtungszeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete von vier auf sechs Jahre. Wir halten fest: Bezahlbares Wohnen ist ein Kernthema der Großen Koalition. Wir arbeiten permanent daran, Mieterinnen und Mieter vor überhöhten Mietforderungen zu schützen. ({4}) Letzte Woche haben wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung debattiert, mit dem eine Wohnungslosenberichterstattung eingeführt werden soll. Eine bundesweite Statistik untergebrachter wohnungsloser Menschen soll erstellt werden. Diese soll dazu beitragen, vor Ort passende Maßnahmen und Präventionsprogramme zur Vermeidung und Bewältigung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit auf den Weg zu bringen. Mit der Einführung einer Statistik ist nur ein erster Schritt getan. Weitere Maßnahmen müssen veranlasst werden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat die Wohnungslosigkeit in Deutschland untersucht. Es kritisiert in seinem jüngsten Bericht die Qualität der kurzfristigen Notunterbringung. Die Bandbreite dieser Unterkünfte ist groß. Sie reicht von Normalwohnraum bis zu Mehrbettzimmern in Sammelunterkünften, von hygienisch einwandfrei bis an die Grenze der Verwahrlosung. Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert, dass vonseiten des Bundes und der Länder Empfehlungen für Mindeststandards entwickelt werden. Dazu gehört auch die rechtliche Klarstellung, dass der Auftrag zur ordnungsrechtlichen Unterbringung unabhängig von Aufenthaltsstatus und Nationalität der Betroffenen gelten soll. Das hat meine große Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg, wenn wir uns um bezahlbaren Wohnraum und bezahlbare Mieten kümmern. Die Anträge der AfD sind gar keine Lösung. Sie tragen nur zur Spaltung der Gesellschaft bei. Deshalb werden wir sie natürlich mit großer Freude ablehnen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam alles tun, um möglichst alle Menschen aus der Obdachlosigkeit zu holen! Noch besser ist es, wenn sie ihre Wohnung und damit ihr Zuhause gar nicht erst verlieren. Ich denke, das ist ein schöner Weihnachtswunsch. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erhält das Wort der Kollege Hagen Reinhold, FDP. ({0})

Hagen Reinhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004229, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wieder einmal liegen uns Anträge der AfD vor, die beim Lesen sofort offenbaren: Es geht nicht um die Sache; sonst hätten Sie weder Widersprüchliches noch Nichtumsetzbares aufgeschrieben. Da braucht es Ruhe. Jeder, der das liest, wird so wie ich feststellen: So führt Ihr Weg nur in die Bedeutungslosigkeit. Warum Sie das freiwillig machen, verstehe ich zwar nicht, aber aufhalten werde ich Sie nicht. ({0}) Jetzt haben wir viel über Anträge gehört, die Hass, Missgunst und Egoismus in sich tragen. Da wird es Zeit, eine Geschichte zu erzählen, die ich gehört habe. Viele bringen Geschichten hierher. Ich bringe offensichtlich eine ganz andere Geschichte als Herr Bernhard mit. Es geht um ein Mädchen, das man in den Zeitungen heute als bildungsfern bezeichnen würde. Ob der junge Mann, um den es geht, in Deutschland seinen Berufsabschluss anerkannt bekäme, bezweifle ich. Ich möchte über einen Ort mit einem sehr angespannten Wohnungsmarkt sprechen. Ich möchte darüber sprechen, was diese junge Familie erlebt hat. Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa, ({1}) aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. ({2}) Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in der Krippe liegen. Diese Geschichte ist 2 000 Jahre alt. Wie unsere Geschichte ausgeht, in den nächsten Tagen, in den nächsten Jahren, das haben wir selbst in der Hand. Wenn Menschen bei uns klopfen, egal ob an das Stadttor unserer Kommune oder an die Haustür bei uns selbst, dann liegt es an uns, wie die Geschichte ausgeht. ({3}) Sie kann düster, blau auf schwarzem Grund geschrieben werden, oder sie kann kunterbunt sein. Ich für meinen Teil mag es bunt. Ich wünsche uns allen eine frohe und besinnliche Weihnachtszeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Rede eben, die gezeigt hat: So muss man mit Menschen umgehen. ({0}) Die AfD hat mal wieder gezeigt, wie man das nicht macht. Artikel 1 des Grundgesetzes heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Sie haben den Artikel 1 mal wieder mit Füßen getreten, ({1}) und zwar auf übelste Art und Weise. ({2}) – Jetzt fangen die ruhigen Tage an, Tage der Besinnlichkeit. Beruhigen Sie sich. Kommen Sie ein bisschen zur Besinnung. ({3}) Wir haben hier einen Antrag, in dem die AfD argumentiert, dass in Deutschland zu viele Menschen leben und wir deswegen Wohnungsnot oder sogar Obdachlosigkeit hätten. Albert Einstein wird zugeschrieben, dass er gesagt haben soll: Auf jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Antwort, und die ist falsch. – Die Antwort, die die AfD auf alle Probleme hat, ist Migration. ({4}) Migration ist die Ursache aller Probleme. ({5}) Diese Antwort ist gerade bei der Wohnungsnot falsch, eindeutig falsch. ({6}) Der Kollege Seif hat vorhin schon beschrieben, dass die Ursachen vielfältig sind, ganz vielfältig. Es liegt an der Privatisierung der letzten Jahrzehnte, es liegt daran, dass es Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands gibt, vom Land in die Stadt, es liegt daran, dass viele bei mir im Rhein-Main-Gebiet Wohnungsmieten zahlen können, Bodenpreise bezahlen können, die enorm hoch sind. Wer also über Wohnungsnot redet, muss auch über Reichtum in diesem Land reden. All das sind ganz vielfältige Ursachen für die Schwierigkeiten, die wir auf dem Wohnungsmarkt haben. Die Migration ist es nicht. Im Gegenteil: Migration macht unser Land reicher, ökonomisch und auch gesellschaftlich reicher. ({7}) Wenn Sie argumentieren, dass wir hier in Deutschland zu viele Menschen haben, wie passt das eigentlich zu Ihrer Forderung, die Sie ja manchmal erheben, dass wir die Geburtenrate steigern sollen? ({8}) Ganz abgesehen davon, wie wir das politisch machen sollten, heißt das ja: Sie wollen mit der Steigerung der Geburtenrate die Bevölkerungszahl erhöhen. Damit würde man ja in Ihrer verqueren Logik dann auch die Wohnungsnot erhöhen. Das ist ja völliger Unsinn. Das macht aber deutlich: Ihnen geht es gar nicht darum, dass wir hier zu viele sind, sondern Ihnen geht es darum, wer hier ist. ({9}) Damit unterteilen Sie Menschen in unterschiedliche Kategorien. Es gibt gute Menschen, es gibt schlechte Menschen. Das war eine Denke, die hatten wir in den 30er- und 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Da dürfen wir nie wieder hin. ({10}) Der Antrag, den Sie hier gestellt haben, ist schlicht und einfach rassistisch, ({11}) weil Sie die Menschen in unterschiedliche Kategorien stecken. Es gibt gute Menschen, die hier leben, und es gibt schlechte Menschen. Es sind diejenigen aus anderen Ländern, aus dem Süden dieses Kontinents, aus Afrika, Araber, die Sie als Untermenschen kategorisieren, ({12}) die für Sie weniger wert sind als die Menschen, die hier geboren sind. ({13}) Das ist das Problem, das Sie haben. Sie haben einen rassistischen Antrag gestellt, und das kurz vor Weihnachten. Das ist schäbig. ({14}) Ich will die Gelegenheit aber noch mal nutzen, um Ihnen allen frohe Weihnachten zu wünschen, Besinnlichkeit, Zeit, um noch mal nachzudenken. Kommen Sie noch mal zur Ruhe. ({15}) Weihnachten ist das Fest der Liebe. ({16}) – Sie hetzen, Herr Gauland! ({17}) – Sie hetzen die ganze Zeit! ({18}) – Sie sind eine Gefahr für diese Gesellschaft! ({19}) – Sie spalten!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

So.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist das, was Sie machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ein Hinweis, Herr Strengmann-Kuhn: Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich rede gerade über Liebe. – Ich wünsche uns allen viel Liebe. ({0}) – Ihr Schrei ist nur ein Schrei nach Liebe, Herr Gauland. ({1}) In dem Sinne wünsche ich Ihnen frohe Weihnachten – auch Ihnen, Herr Gauland. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Karsten Möring für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Wohnungsknappheit, Mietenbremse“ hatten wir ja eigentlich gestern. Ich frage mich, warum die AfD die Gelegenheit nicht genutzt hat, ihre Anträge mit diesem Tagesordnungspunkt zu verbinden. ({0}) Ich glaube, die Antwort ist einfach: Sie wollten unbedingt noch einmal dieses Thema aufwerfen, um Ihre Hauptbotschaft loszuwerden: Die Flüchtlinge sind schuld an allem Elend. ({1}) Die Flüchtlinge sind schuld. ({2}) – Ja. Gut, gut, gut. – Die Flüchtlinge sind schuld. Sie ignorieren dabei, dass wir eine erhebliche Zuwanderung in unseren Arbeitsmarkt haben, eine Zuwanderung, die wir wollen und die wir brauchen. ({3}) Sie ignorieren dabei, dass wir ein erhebliches Maß an Binnenwanderung haben, aus ländlichen Räumen in die Städte, und damit eine zusätzliche Nachfrage generiert wird. ({4}) Wir schreiben den Menschen doch nicht vor, wo sie leben müssen. Wir wollen ihnen Gelegenheit bieten, dort leben zu können, wo sie wollen. ({5}) Wenn es da Anpassungsprobleme gibt wie im Wohnungsbau, dann müssen wir, wie wir das gestern gemacht haben, darüber diskutieren, was wir machen, um das zu überbrücken, und was gemacht werden muss, um den Markt wieder auszugleichen. Das will ich hier jetzt nicht wiederholen. Das sind alles Gründe. Aber „Die Flüchtlinge sind schuld“, das ist Ihre Hauptbotschaft. ({6}) Und dann kommen Sie und argumentieren auch noch, die Kommunen seien überfordert. ({7}) Und an anderer Stelle sagen Sie dann im Zweifelsfall auch noch, eine Kommune kann die Schultoiletten nicht sanieren, weil die Flüchtlinge das ganze Geld, das für die Kommune ist, verbrauchen. Nehmen Sie doch mal zur Kenntnis, welche Hilfe der Bund den Kommunen leistet, um diese Überforderung nicht entstehen zu lassen. ({8}) Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz! ({9}) Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir die Kosten der Unterkunft in erheblichem Umfang finanzieren, ({10}) und nehmen Sie zur Kenntnis, dass von den nicht mit Wohnungen versorgten Menschen in unseren Kommunen 440 000 Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften leben, eben weil ihnen keine Wohnung zugewiesen worden ist. ({11}) Und wenn Sie dann behaupten, dass es eine Privilegierung in Form von Zusatzmieten für Vermieter gibt, weil sie an einen Flüchtling vermieten, dann hätte ich dafür gerne mal den Beleg. ({12}) Denn wenn ein Sozialamt die Kosten der Miete übernimmt, dann gibt es dafür Sätze, und die hängen nicht davon ab, wer dort einzieht, sondern die hängen davon ab, was es für eine Wohnung ist, wie groß sie ist und wie viel Platz eine Einzelperson, eine Familie oder ein Ehepaar braucht. ({13}) Erzählen Sie hier nicht solche Märchen. Sie wollen, dass die Kommunen eine Art Notwehrrecht bekommen, um Aufnahmen abzulehnen. ({14}) Ich habe Ihnen gerade eben gesagt, warum die Kommunen das nicht brauchen. Und selbst wenn, beantworten Sie mal die Frage, wie Sie sich das denn vorstellen in der Praxis. Unser Staatsgebiet ist in lauter Kommunen aufgeteilt, und wenn Sie in der einen Kommune keine Menschen unterbringen, müssen die in eine andere Kommune. Dann sagen Sie der mal, dass sie diese Leistungen erbringen soll, weil eine andere Kommune das nicht kann, ({15}) und das vor dem Hintergrund, den ich eben dargestellt habe, dass der Bund in erheblichem Umfang Hilfen dafür bereitstellt. Der Bund zahlt. ({16}) Dann kommen wir zu dem absurdesten Teil Ihrer Anträge, nämlich zu der Forderung nach der Änderung von Bauvorschriften und Energieeinsparverordnungen. Wir haben diese Regelungen in einer Situation getroffen, in der wir in kurzer Zeit eine große Zahl von Menschen unterbringen mussten, für die es nur Gemeinschaftsunterkünfte – um nicht zu sagen: Notunterkünfte – geben konnte. ({17}) Um die Plätze dafür zu schaffen, haben wir das Baurecht geändert und gesagt: Das geht auch in Gewerbegebieten. – Wir haben die Energieeinsparverordnung geändert, um sagen zu können: Da kann man auch wohnen. – Wissen Sie, wo die Leute damals gewohnt haben? Ich habe das bei mir im Wahlkreis erlebt. Wir haben in einem leerstehenden Baumarkt Kojen aufgebaut, ohne Decke, ohne Tür, nur mit einer kleinen Schleuse, wo die Menschen monatelang leben mussten. Das war die Art von Unterkunft, die wir durch diese Bauvorschriften ermöglicht haben. Dann kommen Sie und sagen, das sei ein Privileg ({18}) und so müsste mit den Wohnungslosen in Deutschland umgegangen werden. Das ist doch absurd. ({19}) Sie wollen doch wohl nicht im Ernst eine solche Notlösung zur Dauerlösung für Wohnungslose in Deutschland machen. Das kann doch wohl nicht wahr sein. ({20}) Damit ist völlig klar, dass das, was Sie uns vorgelegt haben, blanker Unsinn, blanker Populismus ist und nichts anderes zum Zweck hat, als Ihnen die Gelegenheit zu bieten, hier Ihre Botschaften von Hass, von Neid, von Ungleichbehandlung und die Botschaft, dass die Flüchtlinge schuld sind, unter die Leute zu bringen. ({21}) Das machen wir nicht mit. Ich will gar nicht auf Weihnachten verweisen: Das ist zu jeder Jahreszeit gleich unsinnig, gleich unverschämt, spaltet unsere Gesellschaft und löst keine Probleme. ({22}) Es ist nur dazu geeignet, Ihre Botschaften unter die Leute zu bringen. Diese Botschaften heißen: Wir wollen nicht zusammen sein, und wir wollen auch keine Probleme lösen. – Das machen wir nicht mit. Dass wir Ihre Anträge ablehnen, muss ich gar nicht betonen. Das können wir mit all Ihren Anträgen machen; denn sie sind alle gleich: substanzlos oder Hassbotschaften. Wir können sie nicht teilen. Wir lehnen Ihre Anträge ab. ({23})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Klaus Mindrup für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist wie immer bei der AfD: Migrantinnen und Migranten müssen als Sündenböcke herhalten. ({0}) Es werden Scheinlösungen präsentiert. Es wird gelogen, dass sich die Balken biegen. ({1}) Es werden Menschen gegeneinander ausgespielt; in diesem Fall Obdachlose gegen Flüchtlinge. Sie reden unser Land schlecht. Das ist schäbig. ({2}) Das Thema Wohnungslosigkeit ist zu ernst für populistische Spielchen. ({3}) – Herr Bernhard, ich mache mir langsam Sorgen um Ihre Gesundheit, nicht dass wir gleich noch einen Arzt brauchen. ({4}) Ich mache weiter. Der beste Schutz gegen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit sind die Sicherung und der Neubau guten und bezahlbaren Wohnraums, nicht die Absenkung von Baustandards. ({5}) In einer alternden Gesellschaft wie Deutschland brauchen wir Zuwanderung in fast alle Berufe, um unseren Wohlstand zu sichern. Zuwanderung sichert den Wohlstand in unserem Land, ganz anders, als Sie das behaupten. ({6}) Der Wohnungsmarkt ist kein normaler Markt, weil Boden nicht vermehrbar ist. Das gilt für Berliner Boden genauso wie für Münchener Boden. Ich muss Ihnen sagen: Dass Sie sich nicht einmal mit deutschem Boden auskennen, kennzeichnet Sie auch. ({7}) Für die soziale Wohnraumversorgung sind nach dem Grundgesetz die Länder zuständig. Das haben Sie auch nicht verstanden. Wir haben das Grundgesetz extra geändert, damit wir den Bundesländern weiterhin Hilfe geben können. Es hat keine Kürzung gegeben, es gibt mehr Geld. Wir fördern auch den ländlichen Raum. Es ist zu Recht gesagt worden, dass wir auf der einen Seite, in den Städten, einen Wohnungsmangel haben, auf der anderen Seite, im ländlichen Raum, haben wir noch freie Wohnungen. Deswegen ist das Grundgesetz geändert worden, damit wir Geld an die Länder unter anderem für Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr geben können. Wir geben mehr Geld für die Digitalisierung und den Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs; ({8}) denn es geht um gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland für alle. Wir brauchen mehr Versöhnen statt Spalten und nicht Spalten, Spalten, Spalten. ({9}) Wir können durchaus auch auf andere Länder schauen. Tatsächlich war es ein Fehler – die SPD hat damals dagegen gekämpft –, 1988 mit Wirkung zu 1990 die Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft abzuschaffen. ({10}) In Wien haben wir noch die Gemeinnützigkeit. Da ist das Problem nicht so groß wie bei uns. Das heißt, wir brauchen auch – darüber müssen wir diskutieren – einen Konsens für eine Investition in sozialen Wohnungsbau. Wir brauchen eine neue Gemeinnützigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Darüber müssen wir auch in der Koalition reden; denn die Bindungen auf Zeit helfen uns nicht weiter. Wir brauchen ein dauerhaftes Segment. ({12}) Das schafft auch Frieden in diesem Land. Frieden brauchen wir. Wir brauchen Wohnen für alle, liebe Kolleginnen und Kollegen. In Deutschland gibt es auch gute Beispiele. Hamburg geht gut voran. Die städtischen Gesellschaften und die Genossenschaften leisten viel. Lassen Sie uns gemeinsam in diesem Land die Aufgaben angehen und nicht populistische Scheinlösungen diskutieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. Gute Arbeit bringt uns voran, Populismus nicht. Danke schön. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine gute Pflege ist von zentraler Bedeutung für unsere alternde Gesellschaft. Deswegen haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode die Pflegeversicherung reformiert und die Leistungen der Pflegeversicherung deutlich ausgeweitet, und zwar insbesondere zugunsten der pflegenden Angehörigen – und das aus gutem Grund. Der wichtigste Bestandteil dieser Leistungsausweitung war die Kurzzeitpflege. Auch in dieser Legislaturperiode lassen wir nicht nach, die Pflege in unserem Land zu verbessern. Wir haben bereits das Pflegestärkungsgesetz beschlossen, andere Dinge stehen an. Es steht aber auch an, dass wir das Leistungsversprechen aus der letzten Legislaturperiode, die Kurzzeitpflege an sich deutlich auszuweiten, nun auch erfüllen und wirkliche Pflegeplätze schaffen, deren Zahl mit dem Bedarf, den wir haben, auch mitwachsen muss. ({0}) Pflegende Angehörige können nicht 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag pflegen. Damit sind sie überfordert. Sie müssen einmal in Urlaub gehen können, sie müssen vielleicht einmal selber in Reha gehen und brauchen dann einen Kurzzeitpflegeplatz. Oder sie werden von jetzt auf gleich krank und müssen selber ins Krankenhaus, dann können sie nicht wochenlang nach einem Kurzzeitpflegeplatz suchen. Der Kurzzeitpflegeplatz muss sofort zur Verfügung stehen. Das ist leider bis jetzt noch nicht der Fall. Die Menschen wollen ihren letzten Lebensabschnitt zu Hause verbringen, wollen auch zu Hause sterben. Das wissen wir. Deswegen haben wir für diese Leistungsverbesserungen gesorgt. Dieses Versprechen können wir aber nur erfüllen, wenn wir Kurzzeitpflege deutlich ausweiten. Neben dieser ideellen Ebene hat das auch ganz klare Auswirkungen auf den Haushalt, auf das Geld. Viele sind – das wissen wir – finanziell überfordert, was die Eigenanteile in der Langzeitpflege betrifft. ({1}) An dieser Stelle müssen wir etwas tun. Das Naheliegende, was wir da tun können, ist, die Kurzzeitpflege auszuweiten. Wenn wir Kurzzeitpflegeplätze in ausreichendem Maße anbieten, dann können wir Langzeitpflege verhindern oder zumindest verkürzen. Damit sind dann auch die Eigenanteile für die Angehörigen und die pflegebedürftigen Menschen deutlich geringer. ({2}) Dann hat dies auch noch einen personellen Aspekt. Wir haben Personalknappheit in den Pflegeheimen. Wenn wir durch Kurzzeitpflege Aufenthalte in der Langzeitpflege verkürzen oder vermeiden können, dann sparen wir auch Pflegepersonalressourcen in den Pflegeheimen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode nicht nur den Anspruch auf Kurzzeitpflege von vier Wochen auf acht Wochen ausgeweitet, wir haben sozusagen auch einen neuen Anspruch geschaffen, und zwar für Menschen, die aus dem Krankenhaus entlassen werden und nicht in eine Pflegestufe eingestuft sind. Auch diese Menschen brauchen einen Anspruch auf einen Kurzzeitpflegeplatz. Wer ist dafür verantwortlich, wer hat den entsprechenden Sicherstellungsauftrag? Dieser ergibt sich bezüglich der Pflegeversicherung, also für uns, in erster Linie aus den §§ 12 und 69 SGB XI. Aber auch für die Länder und die Kommunen ergibt sich ein Sicherstellungsauftrag, und zwar aus den §§ 8 und 9 SGB XI. Nun kennen wir das Spiel zwischen Bund und Ländern aus vielen abstrakten Dingen wie dem Finanzausgleich und anderem mehr. Aber hier geht es nicht um irgendeine abstrakte Angelegenheit, hier geht es um Konkretes, hier geht es um Menschen, hier geht es um pflegebedürftige Menschen. Da kann man nicht lange ein solches Spiel spielen und den Schwarzen Peter hin und her schieben. Wir müssen ganz klar adressieren, dass die Sicherstellungsaufträge bezüglich der Pflegeversicherung vom Bund und von den Ländern erfüllt werden. ({3}) Die Pflegeheime brauchen eine auskömmliche Finanzierung, um die Pflegeplätze zur Verfügung stellen zu können. Die Finanzierung ist zurzeit nicht auskömmlich. Das ist der Kern des Problems. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass in dieser Legislaturperiode eine auskömmliche Finanzierung sichergestellt werden muss. Insbesondere darauf zielt dieser Antrag heute ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss: Ein besseres Weihnachtsgeschenk können Sie den pflegenden Angehörigen und den pflegebedürftigen Menschen überhaupt nicht machen, als an dieser Stelle zusammenzustehen und alles dafür zu tun, gemeinsam das Ziel zu erreichen, im nächsten Jahr zu mehr Kurzzeitpflegeplätzen zu kommen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Robby Schlund für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Robby Schlund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004875, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Wir sehen, es ist kurz vor Weihnachten, es sind kaum mehr Gäste da. Aber gerade so kurz vor Weihnachten möchte ich es nicht versäumen, den circa 2,6 Millionen Mitmenschen in Deutschland zu danken, die täglich zum Teil bis zur Selbstaufgabe ihre Angehörigen pflegen. ({0}) Selbst in der stillen und heiligen Zeit ist oft keine Minute für sich selbst, um einfach einmal – ganz kurz – loslassen zu können. Respekt, was sie für ihre Familie, ihre Nächsten und vor allem für unsere Gesellschaft mit Selbstaufopferung tun. Und wer zu Hause pflegt, der kennt bestimmt die Situation, vorübergehend Angehörige eben nicht zu Hause versorgen zu können. Dafür gibt es die Möglichkeit der Kurzzeitpflege. Diese tritt dann ein, wenn eine pflegebedürftige Person für eine begrenzte Zeit einer vollstationären Pflege bedarf, zum Beispiel nach einem Krankenhausaufenthalt. Genau dafür brauchen unsere pflegenden Söhne und Töchter durch die Kurzzeitpflege eine Unterstützung. Doch die dafür vorgesehenen Kurzzeitplätze sind teilweise nicht verfügbar, ihre Zahl sank in den letzten Jahren sogar um mehr als 30 Prozent – trotz steigender Nachfrage. Das Problem liegt wie so oft in der ausufernden Profitorientierung und Deckelung der Kosten auf niedrigstem Niveau. ({1}) Die tägliche Erstattungspauschale für die Kurzzeitpflege liegt bei sage und schreibe 20,15 Euro und damit bei einem Stundensatz von 84 Cent pro Stunde für 24 Stunden. Dies, meine Damen und Herren, ist ein Schlag ins Gesicht für die Menschen in unserem Land, die jeden Tag pflegen müssen. ({2}) Die Erhöhung der Kurzzeitpflegeplätze, wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der SPD, das wollen, ist ein klassischer Rohrkrepierer, da er zum finanziellen Desaster für die Kommunen werden wird. Dabei wissen Sie doch genau, dass ungefähr jede fünfte Kommune unter Kommunalaufsicht und Haushaltssicherungskonzept arbeitet. Eine weitere milliardenschwere Belastung ist durch die Kommunen nicht mehr zu stemmen. Nehmen Sie doch Geld aus Ihren ideologischen Prestigeobjekten, und geben Sie es den Menschen, die für einen Hungerlohn von 84 Cent wichtige gesellschaftliche Aufgaben meistern! Lösen Sie bitte dieses Problem! ({3}) Denken Sie bei Ihren Anträgen auch einmal an die Menschen und daran, dass bald Weihnachten ist. In einem persönlichen Gespräch sagte eine Pflegefachkraft zu mir, die in der Kurzzeitpflege arbeitet: Die Menschen, die krank sind, sind Menschen zweiter Klasse. Das Personal wird überall ausgebeutet und ist verbrannt. Oft kommen 25 zu Pflegende auf einen Pfleger. – Da könnte man ja fast meinen, dass der FDP-Antrag in diesem Zusammenhang einen Glück verheißenden weihnachtlichen Segen verspricht mit Lösungsanspruch. Aber, meine Damen und Herren, haben Sie einmal darüber nachgedacht, dass die aktuelle Personalmangelsituation in der Pflege eine Erhöhung der Zahl der Kurzzeitpflegeplätze in unseren Krankenhäusern, eine Erhöhung der Zahl der Kurzzeitpflegebetten praktisch absolut unmöglich macht? ({4}) Wissen Sie, was dann passiert? Ein weiterer Teil an Stationen müsste aufgrund der prekären Pflegesituation geschlossen und kranke Menschen müssten abgewiesen werden. ({5}) Nun möchte ich Ihnen als Arzt gern noch etwas für das neue Jahr mitgeben. Denken Sie bitte immer daran, was Gertrud von le Fort einmal gesagt hat – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: Kein noch so genialer Arzt kann seine Patienten heilen, wenn die treue Pflegerin fehlt. Nach 74 Sitzungen im Gesundheitsausschuss – ich glaube, wir sind im Gesundheitsausschuss die Spitzenreiter unter den Workaholics im Bundestag – wünsche ich Ihnen allen und besonders den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses ein schönes Weihnachtsfest, und sammeln Sie viel Kraft für eine qualitativ hochwertige und gute Debatte im Gesundheitsausschuss. Wir stimmen den Überweisungen zu. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Heike Baehrens für die SPD-Fraktion. ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich einmal vor: Sie haben einen schweren Unfall. Nach mehreren Operationen und einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt dürfen Sie nach Hause. Sie leben aber alleine und kommen zu Hause nicht klar. Sie können auch noch nicht in die Rehabilitation. Was dann? Dann brauchen Sie einen Platz für eine Kurzzeitpflege. Vor fünf Jahren schilderte mir die frühere Vorsitzende des Stadtseniorenrats Geislingen dieses Schicksal ihrer Tochter. Diese fand keine Kurzzeitpflegeeinrichtung. Sie musste lange suchen, um einen Kurzzeitpflegeplatz in einem Altenpflegeheim zu finden – mit der Folge von hohen Kosten. Lothar Riebsamen hat recht: Genau darum haben wir in der letzten Legislaturperiode im Rahmen der Krankenversicherung einen Anspruch auf Überleitungspflege geschaffen. ({0}) Aber die beste Leistung der Krankenversicherung läuft ins Leere, wenn sie nicht eingelöst werden kann, weil es dafür kein Angebot gibt. Bundesweit sinkt die Zahl der Pflegeeinrichtungen, die Kurzzeitpflege anbieten. Diesen Trend müssen wir umkehren. Darum dieser Antrag: Wir ändern die Rahmenbedingungen, um es den Einrichtungen zu ermöglichen, solche Pflegeplätze tatsächlich anzubieten. ({1}) Nach dem völligen Unsinn, den mein Vorredner zu diesem Thema gesagt hat, möchte ich einfach Folgendes ergänzen: Wer seine Pflegeeinrichtung übers Jahr zu 98 Prozent belegt haben muss, der kann keinen Platz freihalten, um diesen Platz zum Beispiel bei einer plötzlichen Krankenhausentlassung zur Verfügung zu stellen. Wer seine Einrichtung zu 98 Prozent belegt haben muss, der kann auch für eine Familie, die ihren Urlaub früh buchen muss, aber Sicherheit braucht, dass der pflegebedürftige Großvater zuverlässig versorgt wird, keinen Platz vorhalten. Darum müssen wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Kurzzeitpflege verändern. Nur wenn Einrichtungen nicht das Risiko haben, ins Defizit zu laufen, werden sie in die Kurzzeitpflege investieren und Pflegeplätze schaffen. Wir fordern die Bundesländer auf, tatsächlich das, was wir jetzt an wirtschaftlichen Rahmenbedingungen organisieren, dann auch durch eine Investitionsoffensive für die Kurzzeitpflege zu unterstützen. ({2}) Gleichzeitig sorgen wir auch dafür, dass Pflegebedürftige und ihre Familien die Kosten der Kurzzeitpflege besser stemmen können. Darum setzen wir noch einen zweiten Punkt aus unserem Koalitionsvertrag um, indem wir nämlich die Leistungen der Pflegeversicherung für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege und den Entlastungsbetrag von monatlich 125 Euro zusammen in einem Entlastungsbudget bündeln, das die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen dann flexibel nutzen können und bei dem sie selbst entscheiden können, ob sie dieses Geld monatlich einsetzen oder eben für eine Entlastung durch Kurzzeit- oder Verhinderungspflege nutzen. ({3}) Wir in der SPD wollen die Menschen in schwierigen Situationen nicht alleinlassen. Wir wollen pflegende Angehörige entlasten. Es freut mich, dass die Union mit uns an einem Strang zieht ({4}) und dass wir mit diesem Antrag einen Neustart in der Kurzzeitpflege auf den Weg bringen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Abgeordnete Nicole Westig das Wort. ({0})

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe pflegende Angehörige an den Bildschirmen! Ich weiß, dass viele von Ihnen unsere Debatte heute verfolgen. 76 Prozent der Pflegebedürftigen werden in ihrer Häuslichkeit gepflegt. Rund 4,7 Millionen Menschen kümmern sich dauerhaft um einen Menschen mit Pflegebedarf. Deshalb ist es ungeheuer wichtig, dass wir uns noch in diesem Jahr um dieses Thema kümmern und einen ersten Aufschlag machen; denn die pflegenden Angehörigen brauchen dringend unsere Aufmerksamkeit und mehr Unterstützung. ({0}) Viele von ihnen sind physisch und psychisch am Ende. Die Kurzzeitpflege kann Entlastung schaffen. Sie ist entscheidend, damit Angehörige eine Auszeit von der Pflege nehmen können, sei es für den wohlverdienten Urlaub, sei es für Rehabilitation im Krankheitsfalle. Den Maßnahmen im vorgelegten Antrag der Koalitionsfraktionen schließen wir uns an. Besonders wichtig sind die wirtschaftlich tragfähige Vergütung und mehr Flexibilität durch Zusammenführung der Leistungen für Kurzzeit- und Verhinderungspflege. ({1}) Aber uns Freien Demokraten geht das nicht weit genug. Wir haben zusätzliche Forderungen. Wir wollen zum Beispiel die Sperrfrist von sechs Monaten für die erstmalige Inanspruchnahme der Verhinderungspflege abschaffen. ({2}) Die Krankheit, die einen Angehörigen an der Pflege hindert, fragt schließlich nicht danach, ob dieser vorher auch sechs Monate gepflegt hat. ({3}) Außerdem gibt es häufig Versorgungsprobleme – die Kollegin Baehrens hat es angesprochen –, wenn Menschen – dabei geht es nicht nur um ältere Menschen – aus dem Krankenhaus entlassen werden. Oft sind sie zu fit fürs Krankenbett, aber noch nicht fit genug für die eigene Häuslichkeit. Deshalb wollen wir es Krankenhäusern erleichtern, nicht belegte Betten zur Kurzzeitpflege anbieten zu können. In meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen laufen dazu gerade Modellversuche. Wir wollen sie bundesweit befördern. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unbürokratisch und niedrigschwellig: So wünschen sich pflegende Angehörige die Kurzzeitpflege. Für uns Freie Demokraten gehört dazu ein digitales Portal, das bundesweit verfügbare Kurzzeitpflegeplätze übersichtlich anzeigt. ({5}) Ich freue mich auf die konstruktive Beratung im Ausschuss. Eine bessere Kurzzeitpflege ist dabei nur ein erster Schritt. Ich denke, wir sind uns alle einig, dass weitere Schritte folgen müssen, um pflegende Angehörige wirksam zu entlasten. Es bleibt noch viel zu tun. Wir werden es beherzt angehen. Ich wünsche allen ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Jahreswechsel. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für Die Linke. ({0})

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es hier mit einem bemerkenswerten Vorgang zu tun, wie ich finde. Die Koalitionsfraktionen stellen einen Antrag an die Regierung, also an ihre eigene Regierung, dass sie das umsetzt, was ja bereits im Koalitionsvertrag steht. Das ist schon bemerkenswert, muss ich sagen. ({0}) Warum ist das so? Ich nehme an, es ist deswegen so, weil der Problemdruck in der Frage der Kurzzeitpflege so außerordentlich groß geworden ist und Sie reagieren mussten. Sie haben bei der Problembeschreibung ja absolut recht: Wir haben zu wenige Kurzzeitpflegeplätze. Auch Kurzzeitpflege muss anders finanziert werden, um gut und für alle verfügbar zu sein. Der Aufwand ist unter anderem durch die hohe Fluktuation sehr hoch. Das System, so wie es ist, wird dem nicht gerecht. Auch der Bedarf an Teilpflegekräften steigt. Es ist immerhin ein Schritt, dass Sie als Koalitionsabgeordnete nun Ihre Regierung auffordern, endlich zu handeln. Aber konkrete Politik ist das immer noch nicht. Von einem festen Zeitplan und einer konkreten Zielvorgabe für mehr Plätze in der Kurzzeitpflege spricht der Antrag nicht. Auch über die Finanzierung findet sich kein Wort. ({1}) Ich denke, es muss um mehr gehen als um eine gute PR für die versprochene Reform der Pflegeversicherung aus dem Hause Spahn. ({2}) Da geht ja der Antrag der Kolleginnen und Kollegen von der FDP weiter. Vor allem schlägt die FDP Mittel, wie etwa die Abschaffung der Sperrfrist, vor, die unbürokratisch und schnell eine Entlastung bedeuten, auch wenn sie aus unserer Sicht noch nicht weit genug gehen. Aber immerhin: Es ist ein wesentlicher Schritt. Sie aber bleiben vage. Nun heißt es bei Ihnen, man müsse nach einem Krankenhausaufenthalt – Zitat – „neue Versorgungsformen in den Blick nehmen“. Das klingt fast schon poetisch. Aber was soll das denn heißen? Gestehen Sie damit ein, dass Menschen zu früh aus dem Krankenhaus entlassen werden? Dann sollten wir da ansetzen und uns nicht in der Kurzzeitpflege von den angeblichen Erfordernissen des unsäglichen DRG-Systems treiben lassen. Das verstärkt nur den Druck auf die Pflege insgesamt. ({3}) Sie wollen die Vergütung verbessern. Das ist wesentlich, schafft aber keinen einzigen zusätzlichen Pflegeplatz. Haben Sie deshalb den angekündigten Rechtsanspruch auf einen Kurzzeitpflegeplatz freiwillig aufgegeben? Aus unserer Sicht muss ein überarbeiteter Sicherstellungsauftrag auch eine finanzielle Verantwortung des Bundes enthalten. ({4}) Hinzu kommt: Bei Ihren Überlegungen kommen die Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen kaum vor. Sie bereiten den Weg für eine einseitige Besserstellung der Leistungserbringer, ohne zu sichern, dass die Kosten für die Menschen mit Pflegebedarf nicht immer weiter über die Eigenanteile steigen. Im Sommer hat der Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf einen Lagebericht abgegeben. Dort ist ein klares Programm beschrieben. Ein Gesamtkonzept zur finanziellen und sozialen Absicherung pflegender Angehöriger wird gebraucht, Stichwort „Lohnersatzleistung“, Stichwort „Altersabsicherung“. Daran gemessen ist es unverständlich, warum Ihr Antrag freiwillig das Entlastungsbudget verkleinern will, auch wenn das Entlastungsbudget nur ein Baustein ist. Warum fehlt die Tages- und Nachtpflege, die im Koalitionsvertrag noch genannt wurde? Am Ende beschleicht einen das Gefühl, dass die Versprechen, die Sie im Koalitionsvertrag zur Kurzzeitpflege gemacht haben, über den Antrag vielleicht ein Stück weit relativiert werden sollen. ({5}) Natürlich dauert das Verfahren, das Sie gewählt haben – das muss man in aller Deutlichkeit sagen –, länger, als wenn ein Gesetzentwurf vom Bundesministerium käme. Auch das ist aus unserer Sicht ein großes Problem. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Kordula Schulz-Asche für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist vermutlich meine letzte Rede in einem Jahrzehnt, in dem sich die Situation in der Pflege immer weiter verschlechtert und zugespitzt hat. Das gilt auch für die Kurzzeitpflege. Die Pflege durch Angehörige ist eine wesentliche Säule der Pflegeversorgung. Rund 5 Millionen Menschen in Deutschland kümmern sich um ihre Partner, um ihre Eltern, um ihre Kinder, um die Nachbarn oder Freunde mit Zuwendung und Solidarität. Unsere Gesellschaft darf pflegende Angehörige nicht länger allein lassen. Verbessern wir endlich die Situation dieser Menschen, und zwar spürbar und schnell. ({0}) Warum ist Kurzzeitpflege so unglaublich wichtig? Beispiele aus dem Leben: Pflegende Angehörige arbeiten 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, und das Woche für Woche und Monat für Monat. Wenn der zu pflegende Angehörige einmal schläft, dann rennt man los, geht schnell einkaufen und macht Besorgungen. Das ist der Alltag von Angehörigen, die pflegebedürftige oder schwerstpflegebedürftige Menschen bei sich zu Hause pflegen. Deswegen ist klar: Pflegende Angehörige brauchen nicht nur mehr und gute professionelle Unterstützung bei der Pflege, sondern sie brauchen auch Auszeiten, um ihre eigene Gesundheit zu schützen, um selber wieder zu Kraft zu kommen. ({1}) Kurzzeitpflege ist ein wichtiges Angebot der Entlastung von pflegenden Angehörigen. Warum aber wird die Kurzzeitpflege so wenig in Anspruch genommen? Erstens. Viele pflegende Menschen wissen gar nicht, dass es diese Angebote gibt. In den Kommunen gibt es sie auch zum Teil gar nicht. Zweitens. Es gibt zu wenige Plätze in der Kurzzeitpflege. Die Zahl der Plätze ist in den letzten Jahren sogar gesunken. Wir brauchen eine solide Finanzierung der Kurzzeitpflege – da setzt der Antrag an; das finde ich gut –, und wir brauchen eine Beteiligung der Kommunen an der Planung dieser Plätze. Drittens. Die heutige Finanzierung der Kurzzeitpflege ist absurd. Es gibt einen Zuschuss in Höhe von 1 612 Euro, der unabhängig vom Pflegegrad ist. Das hat zur Folge: Je höher der Pflegegrad, umso geringer die Entlastung der pflegenden Angehörigen. Das ist doch eine absurde Konstruktion. Dies müssen wir schnell ändern. Deswegen zum Beispiel ist unser Vorschlag der doppelten Pflegegarantie richtig. Wir müssen die Eigenanteile senken, und wir müssen sie deckeln. Das ist auch im Bereich der Kurzzeitpflege eine Lösung. ({2}) Der hier vorgelegte Antrag geht in die richtige Richtung. Allerdings hätte ich mich gefreut, wenn es in 21 Monaten das 22. Gesetz dieser Bundesregierung im Gesundheitsbereich gewesen wäre. Denn das hätte zur Folge, dass jetzt schnell gehandelt wird. Der Antrag ist eine Vertagung; das muss man einfach sagen. Wir fordern von Ihnen ein Gesetz. ({3}) Wir müssen jetzt gemeinsam und schnell dafür sorgen, dass die pflegenden Angehörigen in diesem Land entlastet werden. Ich wünsche Ihnen allen eine frohe Weihnacht. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Roy Kühne für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Roy Kühne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004334, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Schulz-Asche, der Antrag ist ein klares Signal dafür, dass wir Kurzzeitpflege ernst nehmen, dass wir das, was in den letzten zwei, drei Jahren nicht gut gemacht wurde, jetzt besser machen. Man muss der Politik zubilligen, etwas zu verbessern. Natürlich muss man sich fragen, wieso im Titel des Antrags gefordert wird, eine wirtschaftlich tragfähige Vergütung sicherzustellen. Natürlich ist die Frage berechtigt: Konnte das nicht von Anfang an gemacht werden? Aber es gibt viele Umstände, jedenfalls in der Bund-Länder-Problematik, warum das so ist. Ich denke, das ist ein Vorteil. Als Politiker muss man das durchaus mal eingestehen und fragen: Wie können wir es besser machen? Was können wir voranbringen? Ich bin unserem Minister und vor allen Dingen auch meinen Kollegen Lothar Riebsamen und von der SPD Heike Baehrens sehr dankbar, dass das Thema jetzt vorangetrieben wurde. Wir alle wissen um die Problematik in ländlichen Regionen, wenn pflegende Angehörige einmal Urlaub machen wollen, und wir kennen die Probleme in der Überleitungspflege. Einige Dinge funktionieren dort eben nicht, und die Menschen müssen zum Beispiel auf einen Urlaub verzichten, weil wir die Pflege dort nicht im Griff haben. Aber ich sage noch einmal: Solch ein Gesetz, solch eine Korrektur ist gut und auch ein Signal der Politik: Ja, wir wissen, dass da etwas besser gemacht werden muss. Ja – ich wiederhole es noch einmal –, wir müssen hier eine wirtschaftlich tragfähige Vergütung sicherstellen. Ich finde es richtig, dass dieses einfache wirtschaftliche Prinzip, das sonst überall in der Wirtschaft gilt, auch hier angewendet wird; das wurde eben ein bisschen angedeutet. Immer wieder wird über die Bedeutung der Pflege gesprochen und dass Plätze in der Kurzzeitpflege fehlen und warum. Aber man muss ehrlicherweise auch zugeben, dass die Anreize für die Installation einer Kurzzeitpflege nicht vorhanden waren. Schlichtweg: Es hat sich nicht gelohnt. Man muss ebenfalls die Unternehmerinnen und Unternehmer verstehen, die wir auffordern, etwas zu tun und in Kurzzeitpflege zu investieren, die uns aber dann signalisieren: Sorry, es zahlt sich nicht aus, es lohnt sich nicht. – Das billigen wir VW, Mercedes und auch der Bäckerei um die Ecke zu. Das billigen wir der Wirtschaft zu, nur der Gesundheitswirtschaft nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass gesagt wird: Pfui, es ist nicht gut, dass jemand mit der Krankheit und Pflege von Menschen Geld verdient. – Aber, Leute, wir haben auch in der Gesundheitswirtschaft Unternehmer. Auch dort müssen wir entsprechend zahlen. ({0}) Es lohnt sich nicht, drum herumzureden. Letztendlich finde ich diese Maßnahme auch deshalb gut, weil wir durchaus einmal darüber nachdenken: Wo sind wir unterfinanziert? Welche Bereiche unserer Gesundheitsversorgung in Deutschland sind unterversorgt? Wo müssen wir nachbessern? Das impliziert aber dann auch die Frage: Wo sind wir vielleicht überfinanziert oder falsch finanziert? Auch diese Frage muss man ehrlich stellen. Da, denke ich, sind wir mit unserem Minister auf einem guten Weg, das Korrektiv herzustellen und zu gucken, was wir wo verbessert einsetzen können, sodass zum Schluss – das ist, glaube ich, der Auftrag, den wir haben – der Patient im Mittelpunkt all unseres Denkens steht. Das habe ich heute Morgen zufälligerweise auf der Homepage einer Krankenkasse gelesen. Also, irgendwas muss da dran sein. Deshalb sage ich abschließend – man darf ja zu Weihnachten einen kleinen Wunsch äußern –: Lassen Sie uns kritischer mit unseren eigenen Gesetzen umgehen. Lassen Sie uns nachverfolgen, was mit denen in der Realität passiert. Zum Schluss: Lassen Sie uns gucken, dass das dabei herauskommt, was wir für die Menschen wollen. Das ist hier unsere Aufgabe. Ihnen allen schöne Weihnachten. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Claudia Moll für die SPD-Fraktion. ({0})

Claudia Moll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen wunderschönen guten Morgen! ({0}) – Ja, Mahlzeit. – Ich habe einige Jahre in der Kurzzeitpflege gearbeitet, und ich weiß, wie schwierig es ist, wenn man dringend einen Platz für die Kurzzeitpflege benötigt. Leider kann die Kurzzeitpflege häufig nicht in Anspruch genommen werden, zum einen, weil es kaum Kurzzeitpflegeplätze gibt, zum anderen, weil man sich als Angehöriger durch einen Dschungel von Formalitäten kämpfen muss. An dieser Situation muss sich dringend etwas ändern. ({1}) Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, dass wir alle hier gut zusammenarbeiten müssen. Ich stehe auf alle Fälle mit all meiner Energie bereit, und davon habe ich ganz, ganz viel. ({2}) Es gibt Situationen, in denen für kurze Zeit eine stationäre Betreuung erforderlich ist. Ein stationärer Aufenthalt überbrückt die Zeit für die Angehörigen, die die Pflegebedürftigen sonst betreuen, weil sie selbst erkrankt sind oder dringend eine Auszeit von der Pflege benötigen. Die Kurzzeitpflege macht in vielen Fällen die häusliche Pflege überhaupt erst auf Dauer möglich. Zwar wurde die Kurzzeitpflege durch einige Reformgesetze der letzten Jahre ausgeweitet und flexibilisiert, nur: Die Nachfrage steigt kontinuierlich an, allein im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 um rund 35 Prozent. Aber die Zahl der Plätze, die zur Verfügung stehen sollten, ist zurückgegangen. Außerdem ist wichtig: Pflegebedürftige müssen den erforderlichen Kurzzeitpflegeaufenthalt finanzieren können. Die geforderten Maßnahmen zum Ausbau der Kurzzeitpflege verursachen Kosten. Diese dürfen aber nicht zulasten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen gehen. ({3}) Deshalb ist es dringend erforderlich, den Leistungsbetrag entsprechend zu erhöhen. Wir wollen die Leistungen, die pflegende Angehörige entlasten, zu einem jährlichen Entlastungsbudget zusammenfassen. Dieses muss flexibel in Anspruch genommen werden können. Dazu gehört der Anspruch auf Kurzzeit-, Verhinderungs- und Tagespflege. ({4}) In der Kurzzeitpflege besteht ein höherer Pflegeaufwand aufgrund des spezifischen Bedarfs der zu Pflegenden und auch ein höherer Verwaltungs- und Organisationsaufwand für die Einrichtungen aufgrund des häufigen Wechsels. Ebenso entstehen höhere Kosten aufgrund der schwankenden Auslastung der Belegung. Diese Kosten dürften aber nicht nur die Pflegeversicherungen tragen. Die Bundesländer müssen ihre Verantwortung zur Investitionskostenförderung bei der Kurzzeitpflege stärker wahrnehmen, liebe Opposition, ({5}) und damit Anreize für neue Anbieter schaffen. Vielerorts haben sich die Bundesländer aus der öffentlichen Förderung der Einrichtungen zurückgezogen. Investitionskosten werden derzeit hauptsächlich von den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen oder Sozialhilfeträgern bezahlt. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Kurzzeitpflege auf eine wirtschaftlich tragfähige Struktur zu stellen, um besonders auch die Angehörigen zu unterstützen, damit dieser Anspruch leichter wahrgenommen werden kann. – Ich glaube, ich muss zum Ende kommen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich wollte Sie gerade darauf aufmerksam machen. Ich weiß, Sie haben viel Energie; aber die müssen Sie jetzt in andere Dinge stecken. ({0})

Claudia Moll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut. – Dann wünsche ich allen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr. Ich freue mich auf das nächste Jahr. ({0}) Ach so: Herr Dr. Schlund, wenn Sie einen Rohrkrepierer haben, benutzen Sie eine Rohrzange! ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben 3,4 Millionen Menschen, die pflegebedürftig sind, und wir haben 2,5 Millionen Menschen, die ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu Hause pflegen. Das ist eine Riesenleistung. Es ist gleichzeitig für uns ein Auftrag, dass wir diesen Menschen auch Auszeiten gewähren. Kurzzeitpflege ist ein Instrument, pflegende Angehörige zu stabilisieren und ihnen unter die Arme zu greifen. Deshalb sind wir dabei, Verbesserungen vorzunehmen. ({0}) Wir arbeiten den Koalitionsvertrag in aller Sachlichkeit und in aller Ruhe ab. Wir müssen auch hier Anreize schaffen. Ich glaube, dass es notwendig ist, den Einrichtungen zu sagen, dass Kurzzeitpflege nicht nur ein Kostenfaktor ist, weil es keine laufende Belegung gibt. Wir müssen klar sagen, dass Kurzzeitpflege ihre Berechtigung und Notwendigkeit hat und dass man mit ihr auch Geld verdienen kann. ({1}) Ich glaube, dieses Signal ist sehr wichtig. Deswegen ist es für uns notwendig, dass wir hier die Systematik ändern und dass wir die notwendigen Gelder zur Verfügung stellen. Der Koalitionsvertrag sieht das auch vor. Deshalb sehen wir den Antrag, den wir heute stellen, als Auftaktsignal an alle pflegenden Angehörigen, ein Versprechen einzulösen. Wir werden es im nächsten Jahr auch durchziehen und den Menschen die Leistungen spürbar zugutekommen lassen. Ich möchte in dieser Großen Koalition den Initiatoren danken, Heike Baehrens und Lothar Riebsamen, die das ganze Vorhaben initiiert haben. Vielen Dank für euren Einsatz! ({2}) Ich möchte aber auch die Opposition bitten, hier aktiv mitzumachen. ({3}) Wir brauchen hier volle Unterstützung. Die FDP hat sie konstruktiv geleistet. ({4}) Ich glaube, man kann einige Punkte herausnehmen, die man zur Verbesserung anbringen kann. Die Grünen sind ganz nah bei uns. Wenn wir den Bereich der Kurzzeitpflege wirklich erfolgreich gestalten wollen, ist es notwendig, dass wir Familien stärken. Dass die Familien jetzt schon viel in der Pflege leisten, ist der Beweis, dass Familie 2019 und auch in Zukunft einen Wert in Deutschland hat. Sie ist uns wichtig. Deshalb gehört ihre Leistung unterstützt. ({5}) Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die diese schwierige, heikle Aufgabe erfüllen. Dabei kommen Sie sicher auch an Ihre Grenzen; aber Ihre Antwort sind auf jeden Fall Liebe, Nächstenliebe und Menschlichkeit. Danke für Ihre Leistung und dafür, was Sie erbringen! Wir wissen, was Sie leisten. Deshalb unterstützen wir Sie. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Kommune ist, wo wir leben und arbeiten und unsere Kinder groß werden. Wir sind Bundesrepublik. Wenn Städte und Dörfer in Deutschland abgehängt werden, 2 500 Kommunen überschuldet sind, Turnhallen, Schultoiletten und Bibliotheken vergammeln, kaum ein Bus fährt oder es kein Internet gibt, dann stirbt auch ein Stück von diesem Land. Die Linke will das nicht zulassen. ({0}) Immer wenn wir zu Recht mehr Zukunftsinvestitionen in Deutschland fordern, antwortet die Bundesregierung, das Geld fließe nicht ab. Ein Grund dafür ist die Situation der Kommunen. Sie haben kaum noch Leute, um Investitionen zu planen, und kein Geld, diese Investitionen mitzufinanzieren. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Ankündigung des Finanzministers Olaf Scholz, Kommunen in Deutschland mit einem Altschuldenfonds zu entlasten. ({1}) Wir wissen, dass dies ein steiniger Weg ist, weil es dafür die Zustimmung von reicheren Ländern und Kommunen braucht. Der Bundestag sollte daher einen Altschuldenfonds unterstützen. Die Linke wirbt dafür. ({2}) Wir möchten die Debatte aber auch nutzen, um endlich eine zukunftsfeste Finanzierung für die Kommunen einzufordern; denn es bringt nichts, wenn wir alle wieder auf Los gehen und wir in ein paar Jahren wieder in derselben Sackgasse stecken. Die Linke will die Finanzen unserer Städte und Dörfer stärken. ({3}) Der Investitionsstau bei den Kommunen beträgt 138 Milliarden Euro. Seit 16 Jahren verzeichnen wir negative Nettoinvestitionen; das heißt, die Kommunen leben von der Substanz, und ihre Infrastruktur schrumpft. Die Altschulden betragen über 40 Milliarden Euro. Davon sind etwa 37 Milliarden Euro kommunale Kassenkredite. Diese sollen eigentlich wie ein Dispo auf dem Konto nur überbrücken, wenn Ausgaben kurzfristig höher sind als Einnahmen. Viele Kommunen stecken aber knietief in diesem Dispo. Zwei Drittel der Kassenkredite entfallen auf Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Eine Zinserhöhung von 1 Prozent würde allein in NRW zu Mehrausgaben von 250 Millionen Euro führen. Schon heute werden viele Kommunen unter Aufsicht von Sparkommissaren gestellt. Diese kommunale Troika untergräbt die kommunale Selbstverwaltung. ({4}) So stirbt auch unsere Demokratie, weil Menschen vor Ort nichts mehr entscheiden können, wenn es nichts mehr zu entscheiden gibt. Die Sparkommissare verordneten einen Anstieg des Gewerbesteuersatzes, um wenigstens die gesetzlichen Pflichten weiter erfüllen zu können. Steueroasen wie Monheim werben jedoch Firmen und Arbeitsplätze mit Niedrigsteuern ab. Dadurch sinken die Gewerbesteuern der ärmeren Kommunen weiter, die Infrastruktur verrottet, reichere Familien ziehen weg. Warum ist das ein Problem? Weil soziale Spaltung, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch bedeutet, dass Menschen in Deutschland nicht mehr wissen, wie es ihren Nachbarn aus einer anderen sozialen Schicht geht, und das ist brandgefährlich, verehrte Damen und Herren. ({5}) Wer trägt aber Schuld für die Situation der Kommunen? Der Chef der Thüringer Staatskanzlei Benjamin Hoff bemerkte dazu – ich zitiere –: Das Ruhrgebiet u. a. Regionen sind sicherlich nicht für Konzentration an Spaßbädern mit goldenen Wasserhähnen bekannt. Denn Ruhr und Pfalz haben die geringsten Sachinvestitionen pro Einwohner. – Ich finde, da hat er recht. ({6}) Die verfehlte Steuerpolitik der letzten 20 Jahre – Steuersenkungen für Konzerne und Spitzenverdiener – hat die Situation der Länder und somit auch der Kommunen verschärft. Denn es gibt auch Zeiten, in denen Steuern eben nicht wie Milch und Honig fließen. Der Kern des Problems ist aber: Der Bund hat Kommunen durch Gesetze die Kosten für Sozialleistungen untergeschoben, aber kein Geld auf den Tisch gelegt. Das widerspricht dem Konnexitätsprinzip, wonach gilt: Wer bestellt, bezahlt. Das gilt in Deutschland in jeder Kneipe und muss auch in der Politik gelten. ({7}) Die Sozialausgaben der Kommunen sind zwischen 2003 und 2013 um 50 Prozent gestiegen. Besonders NRW, Rheinland-Pfalz und das Saarland hat dies wegen des Strukturwandels hart getroffen. Kohle und Stahl im Ruhrgebiet und die Textilindustrie in der Pfalz sind weggebrochen. Der Finanzminister will, dass der Bund bis zu 50 Prozent der Altschulden übernimmt. Dies kann nicht nur Sache der Länder sein – Stichwort: „Hessenkasse“ –, weil der Strukturwandel etwa NRW besonders hart trifft. Die „FAZ“ zitiert den Geschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy, so: Dass der Bund den Braunkohlerevieren beispringe, werde von den Kritikern … akzeptiert, sagt Dedy. „Dass aber der Bund nicht für die Zukunftsfähigkeit der gesamten Republik zuständig sein soll, kann mir niemand erzählen.“ Ich finde, er hat recht. ({8}) Die Linke meint: In Zukunft muss wieder gelten: Wer bestellt, bezahlt. Dazu braucht es die Entlastung der Kommunen bei sozialen Leistungen durch den Bund. Wir wollen die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer entwickeln, damit die Kommunen unabhängiger von der Konjunktur werden. Auch Steuerberater oder Architekten sollten Gewerbesteuer zahlen. Kleine Gewerbebetriebe und Freiberufler müssen aber über höhere Freigrenzen entlastet werden. Mieten, Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren sollten in voller Höhe bei der Ermittlung der Steuerbasis berücksichtigt werden. Die Linke will starke Städte und Dörfer für starke Menschen in einem gerechten Land. ({9}) Wenn ich ein bösartiger Mensch wäre, würde ich jetzt sagen – wie die Kanzlerin zu Andi Scheuer in der Fragestunde –: dass Olaf Scholz einen sehr guten Job macht. Ich meine aber ein ernstgemeintes Lob an dieser Stelle. Bei allem, was ich an Olaf Scholz immer kritisiere: Er hat eine wichtige Debatte angestoßen, und er kann auf die Unterstützung der Linken bei der Entschuldung der Kommunen zählen. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Christian Haase für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christian Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004286, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mich an die Vorgaben halten: Ich wünsche Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest und danke allen für alles. Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über einen Antrag, der den Anschein erweckt, der Bundestag wäre jetzt am Zug. Die Linke preist in ihrem Antrag den Altschuldenfonds als Allheilmittel für Kommunalfinanzen. Doch damit arbeitet man ausschließlich an den Symptomen und geht nicht an die Wurzeln. Wir sollten immer skeptisch sein, wenn uns einfache Lösungen für komplexe Probleme vorgeschlagen werden. Das ist viel zu kurz gedacht. Allein die mangelnde Begründung des Antrags zeigt doch, dass man hier sehr populistisch mit einem ernsten Problem umgeht. ({0}) Das wird den Sorgen der betreffenden Kommunalpolitiker in Deutschland in keinster Weise gerecht. Doch erst einmal zur Analyse der Situation. Die Finanzlage der Kommunen ist heterogen, und man kann wirklich keine allgemeinen Schlüsse ziehen. Insgesamt profitieren natürlich auch die Kommunen von der guten Lage der öffentlichen Haushalte und erzielten in den letzten Jahren Überschüsse. Das ist aber nicht überall so und führte nicht dazu, dass es gerade in den Kommunen, über die wir heute sprechen, möglich war, die angehäuften Kassenkredite abzubauen. Auch die Ursachen für die Verschuldung sind sehr unterschiedlich. Das hat die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ in ihrer Arbeitsgruppe auf vielen Seiten festgestellt und gezeigt, dass Bund und Länder und die kommunalen Spitzenverbände unterschiedliche Meinungen haben. Kommen wir nun zu diesen Ursachen. Das fängt mit dem Kommunalisierungsgrad und den dafür im kommunalen Finanzausgleich zur Verfügung gestellten Mitteln an. Wie ich bereits mehrfach erwähnt habe: Die Situation ist in jedem Bundesland anders. Leider fehlt trotz der Grundlage im Grundgesetz und der Ausgestaltung in den Landesverfassungen der konkret durchsetzbare Anspruch auf eine aufgabenangemessene Finanzausstattung gegenüber den Ländern. Ich hoffe sehr, dass die rheinland-pfälzische Stadt Pirmasens und der Kreis Kaiserslautern nun vor dem Bundesverfassungsgericht in dieser Frage gegenüber ihrer rot-gelb-grünen Landesregierung recht bekommen und die Landesregierung ihre Versäumnisse nachholt. ({1}) Der zweite Ansatz bei den Ursachen betrifft die hohen sozialen Ausgaben, die einerseits auf einen nicht bewältigten Strukturwandel zurückzuführen sind und zum anderen wiederum mit dem Kommunalisierungsgrad dieser Aufgaben zusammenhängen. Das trifft insbesondere mein Heimatland Nordrhein-Westfalen – soweit mir bekannt, das Land mit dem höchsten Kommunalisierungsgrad in ganz Deutschland. Den roten und später rot-grünen Landesregierungen ist es nicht gelungen, den Strukturwandel insbesondere in den Ruhrgebietsstädten intensiver zu begleiten. Die Wirtschaftsschwäche des Landes hat deren Einnahmen geschmälert und damit auch den vertikalen Finanzausgleich. Im Gegenteil: Es lässt sich gut nachvollziehen, dass der Kassenkreditbestand stieg, nachdem das Land 1986 – ja, 1986 fing es an – den kommunalen Anteil an den Steuereinnahmen von 28 auf 23 Prozent gekürzt hat. Das Gift der Kassenkredite hat sich dann schleichend über das ganze Land breitgemacht, ohne dass die damaligen Landesregierungen lange Zeit bereit waren, hier gegenzusteuern. Hier kann ich den betroffenen Städten aktuell selbst keine großen Vorwürfe machen. Diese haben sich ja gegen diese Situation gestemmt, als deren Kassenkreditbestand langsam anstieg. Ähnliches gilt für andere Landesteile, zum Beispiel für ländliche strukturschwache Regionen. Bei denen ist zwar das Kassenkreditproblem in der Regel nicht so groß; aber nur größte Sparanstrengungen haben ein solches verhindert. Eine Zahl, die das Ausmaß klarmacht: 2015 – und damit schon nach einiger Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs einerseits und einem Stärkungspakt des Landes andererseits – schafften nach den Zahlen der NRW-Landesregierung nur 29 der 430 Kommunen einen echten Haushaltsausgleich. Die Lage bessert sich nun mit der kommunalfreundlicheren Politik der schwarz-gelben Regierung deutlich; aber es ist nun mal schwer, einen Tanker herumzureißen. ({2}) Und wenn auf die Sozialgesetze gezeigt wird, die auf Bundesebene beschlossen wurden, so kann ich nur sagen: Das war schon immer so. Die Länder kriegen Ausgleich über Umsatzsteuerpunkte oder andere Dinge, und im Bundesrat wird dann auch zugestimmt. Aber es wäre dann ihre Pflicht gewesen, diese finanziellen Vorteile auch tatsächlich an die Kommunen weiterzuleiten. ({3}) Das ist in den betroffenen Ländern leider oft nicht geschehen. Aber um das im Einzelnen nachzuweisen, bräuchte man sicherlich eine aufwendige Studie. Wir haben also drei Ursachen; denn wir müssen fragen: Erhalten die Kommunen von ihren Ländern entsprechend dem Kommunalisierungsgrad aufgabenangemessene Finanzmittel? Haben die Länder Entlastungen vollständig weitergeleitet? Und wie sieht die wirtschaftliche Lage in einem Bundesland, einer Region oder letztlich einer Kommune aus? Es ist eine Binsenweisheit: Eine gute Wirtschaftspolitik ist die beste Finanzpolitik. ({4}) Für mich als Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Bürgermeister ist klar: Hier gibt es keine einfachen Lösungen. Wir müssen strukturell ran. Und wenn wir das sagen, müssen wir als Erstes fragen: Wer ist dafür verantwortlich? Da liegt der Ball wieder bei den Ländern. Sie sind – man kann es nicht oft genug wiederholen – für eine aufgabenangemessene Finanzausstattung der Kommunen verantwortlich, und das sollten Sie, Herr De Masi, eigentlich auch wissen. ({5}) Da an dieser Stelle oft von Essen gesprochen wird: Es ist einerseits richtig, dass Essen mit 2,2 Milliarden Euro die höchsten Kassenkredite hat. Aber ich glaube, es muss andererseits auch mal erwähnt werden, dass der CDU-OB Kufen es in kurzer Zeit mit solider Haushaltspolitik in Unionsmanier geschafft hat, diesen Haushalt auszugleichen. Das ist eine tolle Leistung; das müssen wir auch mal anerkennen. ({6}) Aber in Essen ist, wie auch in vielen Städten in Rheinland-Pfalz, die Notlage mittlerweile so groß, dass zu wenig Personal da ist, um vernünftig Förderanträge auszufüllen und die Bundes- und Landesmittel, die zur Verfügung stehen, entsprechend abzugreifen; gleichzeitig hat man die Altschulden im Rücken. Das ist keine Situation, die die Länder ruhig schlafen lassen kann. Wir haben auf Bundesebene die Probleme erkannt und die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ eingesetzt. Ich glaube, unsere Aufgabe ist es, in der Strukturpolitik etwas draufzulegen. Damit meine ich die Aufstockung der Mittel für die GAK und die GRW. Ich glaube, darüber sollten wir uns in den nächsten Jahren vorrangig unterhalten. ({7}) Lassen Sie mich kurz das eine oder andere zu den Sozialkosten erwähnen. Wir haben die Kommunalinvestitionsprogramme auf den Weg gebracht: 7 Milliarden Euro. Wir haben den DigitalPakt auf den Weg gebracht: 5 Milliarden Euro. Und da wir bei den Sozialkosten sind: Für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit stehen jährlich 7 Milliarden Euro zur Verfügung. Auf der anderen Seite leisten wir kommunale Unterstützung mit 5 Milliarden Euro jährlich; das sind frei zu verwendende Mittel. Für die U3-Betreuung stehen 4 Milliarden Euro und für die Ganztagsbetreuung 2 Milliarden Euro zur Verfügung, zur Steigerung der Qualität in den Kitas 5,5 Milliarden Euro. Hier zu behaupten, der Bund habe an dieser Stelle nichts getan, ist in meinen Augen komplett falsch. ({8}) Letzter Punkt: die Flüchtlingskosten. Hier entlasten wir die Kommunen in zwei Jahren alleine mit 6 Milliarden Euro. Also, ich glaube, es gibt an dieser Stelle gute Beispiele; man kann nach Hessen oder ins Saarland schauen. Das sind Länder, die etwas gemacht haben. Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, dass die Länder ihre Hausaufgaben erst mal selbst machen; das ist auch in den Beschlüssen der Bundesregierung niedergelegt. Liebe Länder, gucken Sie in die anderen Länder, wie die es gemacht haben. Stärken Sie die Wurzeln der Demokratie. Stärken Sie die kommunale Selbstverwaltung. Lassen Sie auch gerade zu Weihnachten Ihre Kommunen nicht im Stich. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Keuter für die AfD-Fraktion. ({0})

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Wir reden heute über die Finanzsituation der Kommunen. Herr Haase hat es gerade richtig gesagt: Wir beschäftigen uns hier insbesondere mit dem Ruhrgebiet, einer strukturschwachen Region, mit Essen. Ich komme aus Essen. Viele Haushalte von Kommunen im Ruhrgebiet sind Nothaushalte, oder die Kommunen sind in der Haushaltssicherung. Herr De Masi hat es richtig erkannt: Die Probleme bestehen sehr häufig darin, dass zu viele Sozialleistungen von den Kommunen gezahlt werden, dass zu viele Sozialleistungsempfänger existieren. Da frage ich mich: Wo kommen die her? ({0}) – Da gebe ich Ihnen recht. Über die RWE-Aktien können Sie mit dem Oberbürgermeister Kufen diskutieren, der auch gerade eben angesprochen worden ist. ({1}) – Hallo? Ich bin von der AfD, nicht von der SPD. ({2}) Da haben Sie sich gerade vertan. Die FDP läuft hier völlig neben der Spur. ({3}) – Ja. Sie können das später kommentieren. Sie liegen gerade voll daneben. ({4}) Kommen wir zurück zu Herrn De Masi. Wo kommen diese überbordenden Sozialleistungen her? Insbesondere von den links-grünen Bahnhofsklatschern, die eine ungezügelte Migration befördern, ({5}) den „sicheren Häfen“, die von den Gemeinderäten ausgerufen werden, und den Klimanotständen, die außer Kosten keine Wirkung zeigen. ({6}) Sie alle kennen den Schlager „Wer soll das bezahlen?“. Jetzt kommt es: „Wer hat das bestellt? Wer hat so viel Pinke-Pinke, wer hat so viel Geld?“ ({7}) Wir müssen unterscheiden: Sind es selbstverschuldete Fehlleistungen, selbstverschuldete Defizite oder unverschuldete, verursacht durch Strukturwandel oder Sondereffekte? Wir dürfen hier keine Kommunen belohnen, die Misswirtschaft betrieben haben. Das wiederum wäre Sozialismus, und das ist mit uns nicht zu machen. ({8}) Wie entstehen diese Schulden? Insbesondere durch Kassenkredite; wir haben es eben gehört. Landesbanken gewähren den Kommunen großzügig Gelder. ({9}) Das ist sehr verlockend, gerade bei dem aktuellen desaströsen Zinsniveau. Wenn die Zinsen irgendwann steigen, sind die Kommunen pleite – ein Riesenproblem. ({10}) Der Bundesfinanzminister hat es jetzt angedeutet: Kassenkredite sollen unter gegebenen Umständen vom Bund übernommen werden. Der Antrag der Linken zielt darauf ab, das jetzt auch so umzusetzen. Der Bund soll das ausgleichen, was die Kommunen zum Teil selbst verschuldet haben. Das nennen die Linken Solidarität. Wir rufen Ihnen entgegen: Das ist nicht Solidarität; wir brauchen hier Subsidiarität! ({11}) Kommunale Selbstverwaltung steht schon im Grundgebiet. ({12}) – Im Grundgesetz. ({13}) Verantwortung für eigenes Handeln heißt auch Verantwortung für eigenes Misswirtschaften. Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, ausgeglichen zu haushalten; da sind wir ja einer Meinung. Wir müssen die strukturellen Probleme lösen – insbesondere das der ungezügelten Migration –, die ungeahnte Kosten für die Kommunen verursachen, und wir müssen die kommunalen Steuern neu ordnen. ({14}) Das geht nur zusammen mit den Ländern. Wir haben schon interkommunale Systeme, beispielsweise die Hessenkasse oder den Stärkungspakt NRW. Der Kommunalisierungsgrad staatlicher Leistungen liegt bei 50 Prozent – gegenüber dem Steuerverbundsatz von nur 23 Prozent. Wir sehen: Hier klafft ein riesiger Spalt. Die Finanzkraft der Kommunen muss gestärkt werden. Wir brauchen mehr Geld für die Gemeinden und Kommunen. Überlegenswert wäre aus AfD-Sicht auch ein Hebesatz auf den Einkommensteueranteil. Jetzt möchte ich noch ganz kurz zu dem Grünenantrag kommen, der überhaupt nicht der Diskussion wert ist. ({15}) – Hören Sie mir doch erst mal zu! – Sie haben hier geschrieben, dass Staatsimmobilien übergeben worden sind und damit auch die Altlasten. Ja, natürlich: Keiner bekommt was geschenkt, ohne auch die Verbindlichkeiten mit zu übernehmen. Sie fordern jetzt einen Fonds im Umfang von 10 Millionen Euro. Ich habe das nicht verstanden: ({16}) Haben Sie eine oder zwei Nullen vergessen? 10 Millionen Euro, um Immobilien umzubauen, abzureißen, zurückzubauen – das reicht noch nicht mal für 100 Wohneinheiten, insbesondere mit Blick auf die Situation in Ostdeutschland. Also, Ihr Antrag ist mit der heißen Nadel gestrickt; darauf möchte ich jetzt auch nicht weiter eingehen. ({17}) Ziehen Sie den am besten zurück.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Keuter, Sie müssen auch einen Punkt setzen.

Stefan Keuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004778, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, den Punkt setze ich jetzt. – Ich hatte Ihnen allen in der letzten Woche schon frohe Weihnachten gewünscht. ({0}) Ich wusste nicht, dass ich aufgrund dieser Anträge heute, wie das im Ruhrgebiet heißt, noch mal „an die Schippe“ musste. Deshalb mache ich das jetzt: Ich wünsche den Zuschauern und auch den Kollegen hier frohe Weihnachten. Glück auf! Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die SPD-Fraktion. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Christian Haase und ich kennen uns eigentlich gut genug, um sozusagen auch mal ein offenes Wort auf offener Bühne miteinander zu reden. Ich will sagen: Ich rede heute hier im Interesse einer Lösung. Wenn wir aber so diskutieren, dass wir erstens sagen: „Wir prüfen die eigene Unzuständigkeit!“, zweitens: „Das ist Aufgabe der Länder“ und drittens: „Schuld haben wieder mal alle anderen, bloß nicht die CDU“, dann kommen wir nicht zusammen. Und das stimmt auch so nicht; das weißt du ja auch. Da, glaube ich, müssen wir etwas anders diskutieren. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir uns der Altschuldenproblematik angenommen haben, dass im Koalitionsvertrag eine Lösung angeboten worden ist und dass Olaf Scholz sich dieser Frage angenommen hat. Darüber sollten wir gemeinsam als Koalition sehr froh sein. Das sollten wir nicht einfach nur Fabio De Masi überlassen, bei dem mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanke. ({0}) Die Kommunen, die sich im Bündnis „Raus aus den Schulden – Für die Würde unserer Städte“ zusammengeschlossen haben, sprechen von einer „Vergeblichkeitsfalle“. Damit wollen sie sagen, dass trotz dramatischer eigener Sparanstrengungen ihre Situation auf Dauer nicht besser wird. Ich will Ihnen das beispielhaft an den Kommunen der Metropole Ruhr – das ist übrigens nicht mein Wahlkreis; ich komme aus dem Münsterland, und da sind die Probleme nicht so groß –, einer Region mit elf kreisfreien Städten, vier Landkreisen und gut 5,1 Millionen Menschen – das ist mehr, als manche Bundesländer Einwohner haben –, etwas näherbringen. Dort werden aktuell übrigens Überschüsse erzielt, und die Liquiditätskredite konnten um fast 700 Millionen auf 14,3 Milliarden Euro gesenkt werden. Die Steuereinnahmen sind gestiegen, aber sie liegen um 12,5 Prozent unter dem westdeutschen Bundesdurchschnitt, während die Hebesätze bei den Realsteuern um 23,5 Prozent darüberliegen; bei der Grundsteuer sind es sogar über 50 Prozent. Die Sozialausgaben in dieser Region liegen um 50 Prozent über dem westdeutschen Durchschnitt, während gleichzeitig die Investitionen um fast 50 Prozent unter dem westdeutschen Durchschnitt liegen. Das ist eine Region, die aufgrund von Strukturproblemen nicht an Globalisierungsvorteilen, an Investitionsüberschüssen aus Exporten und an wirtschaftlicher Entwicklung hat teilhaben können. Das ist die wirtschaftliche Situation. Deswegen ist die Arbeitslosenquote dort mit 9,1 Prozent doppelt so hoch wie im westdeutschen Durchschnitt und übrigens auch höher als in Ostdeutschland, wo es im Mittel nur noch 6,1 Prozent sind. Diese Zahlen lassen sich auch auf andere Teile übertragen, beispielsweise auf Pirmasens oder Cuxhaven. Sie zeigen, wie das Land auseinanderdriftet. Das sollten wir gemeinschaftlich nicht akzeptieren. ({1}) Denn das hat nicht nur zur Folge, dass die Personalausstattung in den Rathäusern sinkt, sondern auch, dass die Lebenschancen der Menschen in diesen Städten, dass die Würde dieser Städte beeinträchtigt wird. ({2}) Wie kommt das? Ja, der Strukturwandel bei Kohle und Stahl spielt eine Rolle. Ungleiche Ausgangsvoraussetzungen, wenn es um eine fortschrittliche Wirtschafts- und Strukturpolitik geht, spielen eine zweite Rolle. Die überproportional steigenden Sozialausgaben spielen auch eine Rolle. Mein lieber Kollege Haase, dieser Umstand ist nicht sozialdemokratisch verursacht, und dafür sind nicht nur die Länder verantwortlich. Der Hinweis auf die Unterfinanzierung durch die Länder stimmt, aber das betrifft eben auch den Bund. Wir haben bei der Steuerverteilung längst einen dreistufigen Staatsaufbau, und Aufgaben und Ausgaben im Strukturwandel sind eben nicht deckungsgleich. Das ist das Problem. Ich bin froh, dass die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ das auch akzeptiert hat. Sie hat drei Probleme festgestellt: erstens die Altschulden, zweitens die Begrenzung der Sozialausgaben und drittens die Förderung wirtschaftlichen Wachstums in diesen Regionen. Nur wenn wir diesen Dreiklang bedenken, können wir die Probleme lösen. ({3}) Es nutzt überhaupt nichts – das sagt übrigens auch das Institut der deutschen Wirtschaft, keine sozialdemokratische Kaderschmiede –, auf die verfassungsrechtliche Zuständigkeit der Länder hinzuweisen. Sie sind zweifellos – das ist richtig und wurde mehrfach gesagt – für eine bessere Grundfinanzierung zuständig. Das ist in der Tat wahr. Dabei hat der Bund geholfen. Die Landesregierungen sind ihre Aufgaben durchaus angegangen. Unter Rot-Grün war es, dass es den ersten Stärkungspakt gab. ({4}) Null Fortsetzung hat es durch die Laschet-Regierung gegeben, null Fortsetzung, kein Stück, überhaupt nicht. Ich finde auch, dass man über Landesregierungen reden muss. Dann gehört aber auch dazu, zu sagen: Der Attentismus der schwarz-gelben Landesregierung in dieser Frage ist unglaublich. ({5}) Nordrhein-Westfalen wäre der größte Profiteur dieser Situation. ({6}) – Nein, Nordrhein-Westfalen war immer ein kommunalfreundliches Land. Da weiß ich aber, wovon ich spreche, mein Lieber. ({7}) Aber hallo! Mit jedem anderen Bundesland konnten wir mithalten. Ich sage nur mal: Die Haltung, die Nordrhein-Westfalen heute einnimmt, ist wie bei „Mikado“: Nicht bewegen, mal gucken, was andere machen. – So gestaltet man Politik nicht. ({8}) -- Lassen Sie doch die Düsseldorfer Luft raus! – Was müssen wir jetzt eigentlich machen angesichts der gesamtstaatlichen Finanzlage? Angesichts der Tatsache, dass die Zinsen uns ein Fenster der Gelegenheit ermöglichen, müssen wir jetzt handeln. ({9}) Eine Zinserhöhung um 1 Prozent – das ist eben gesagt worden – macht in der Gesamtheit der Kassenkredite mit einer Größenordnung von 42 Milliarden Euro 400 Millionen Euro aus. Das können wir doch so nicht akzeptieren. Ich bin Olaf Scholz dankbar, dass er das Problem erkannt und ein Angebot gemacht hat. ({10}) Aber es ist mit einer Frage verbunden, und die richtet sich an uns alle: Sind wir unter den Ländern, wie in der Aufbauphase der BRD, zu Solidarität bereit und fähig? So wie im Einigungsprozess gegenüber den neuen Ländern, so wie ursprünglich gegenüber den süddeutschen Ländern, so wie wir es gegenüber einzelnen Bundesländern sind: Sind wir zu einer solchen Form von Solidarität fähig, ja oder nein? Das ist, glaube ich, eigentlich die entscheidende Frage. ({11}) Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Die westdeutschen Kommunen haben seit 1991 bis heute für die Finanzierung des Solidarpaktes sowie für die Tilgung des Fonds „Deutsche Einheit“ insgesamt 70 Milliarden Euro durch die erhöhte Gewerbesteuerumlage gezahlt – 70 Milliarden Euro von westdeutschen Kommunen! Vor diesem Hintergrund verliert doch die Summe von 42 Milliarden Euro bei den Kassenkrediten, von denen der Bund nur die Hälfte übernehmen soll, angesichts eines Zeitraums von 30 Jahren nun wahrlich ihren Horror und ihren Schrecken. Man muss sich dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung doch stellen und kann nicht sagen: Wir sind nicht zuständig. – Wo gibt’s denn so was? ({12}) Ich will an dieser Stelle noch mal ausdrücklich sagen: Wir helfen ja auch. Das gesamtdeutsche Fördersystem ist angesprochen worden, Investitionsprojekte sind angesprochen worden, die Städtebauförderung ist angesprochen worden. Das alles ist richtig; aber der Hinweis darauf und die Litanei vereinzelter Haushälter über fehlenden Mittelabfluss und das Eigenlob sind nicht genug, wenn wir das Problem lösen wollen. ({13}) Wenn sich Bund und Länder einig sind, dass denjenigen geholfen wird, die Hilfe benötigen, dass dies auch mitgetragen wird von denjenigen, die nicht betroffen sind, wenn Länder und Kommunen sicherstellen, dass die Hilfe auch wirkt –

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Daldrup, Sie können weitersprechen, aber auf Kosten Ihrer Kollegen.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– nein, tue ich nicht; ich höre auf, Frau Präsidentin –, dann werden wir jedenfalls viel für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen und für den Zusammenhalt in unserem Land tun. Das ist die Aufgabe der Zukunft. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulla Ihnen für die FDP-Fraktion. ({0})

Ulla Ihnen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Laufe des Jahres hatte Bundesfinanzminister Scholz angeboten, einen Teil der Altschulden an Kassenkrediten der Kommunen zu übernehmen. Damit will er knapp ein Viertel der Kommunen in Deutschland mit Steuermitteln entlasten. Dabei heißt es im Monatsbericht des Bundesfinanzministers vom April dieses Jahres: „Die Finanzsituation der Kommunen ist – insgesamt betrachtet – sehr gut.“ ({0}) Die kommunale Ebene verzeichnet mittlerweile erhebliche Haushaltsüberschüsse. ({1}) Eine allgemeine strukturelle Unterfinanzierung besteht bei den Kommunen also nicht. Die kommunalen Kassenkredite sinken im Moment auch ohne Bundeshilfe. Laut aktueller Steuerschätzung werden die Einnahmen des Bundes für 2020 stagnieren, während die Einnahmen der Länder um 3 Prozent und die der Gemeinden um 3,5 Prozent zunehmen werden. Erstmals werden die Länder gemeinsam mehr Steuereinnahmen erzielen als der Bund. Die Gleichgewichte verschieben sich also etwas. Dass es dennoch Kommunen gibt, die sich in arger Finanznot befinden, ist völlig unstrittig. ({2}) So richtig es ist, Altschulden der kommunalen Ebene abzubauen, so ist es doch auffällig, dass die Kassenkredite, die heute noch 35 Milliarden Euro ausmachen, überwiegend auf Kommunen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland entfallen. ({3}) In unserem Staatsaufbau sind für die angemessene Finanzausstattung ihrer Kommunen in allererster Linie die Länder in der Verantwortung. ({4}) Und aus dieser Verantwortung dürfen wir die Länder auch nicht entlassen. Richtig wäre, wenn die Länder ihre Spielräume nutzten und insbesondere durch ihre Kommunalaufsichten die überschuldeten Kommunen gezielt bei Zins- und Tilgungslasten unterstützten. ({5}) Die Mittel, die die Länder aufgrund des Konnexitätsprinzips vom Bund erhalten, sollten sie auch wirklich fair an die Kommunen weiterleiten. ({6}) Niedersachsen zum Beispiel hat das mit seinem Hilfsprogramm in den letzten Jahren vorgemacht und die Bestände der Kassenkredite seiner überschuldeten Kommunen um zwei Drittel reduziert. Hessen ist mit seiner Hessenkasse dabei. Ich selbst habe viele Jahre in einem Landkreis in Niedersachsen gearbeitet, der, als ich dort anfing, nur noch den Mangel verwaltet hat. Aber der Landkreis hat es heute dank dieser Hilfe des Landes geschafft. Eine solche Entschuldung ist keineswegs einfach für alle Beteiligten und gelingt nur mit schmerzhaften Einschnitten und unter größten Anstrengungen, aber eben auch ohne Hilfe des Bundes. ({7}) Der Kollege Haase hat sehr ausführlich vorgetragen – ich will es nicht wiederholen –, mit wie viel Milliarden Euro dennoch der Bund die Kommunen entlastet, zum Beispiel über den Kommunalinvestitionsförderungsfonds und vieles andere mehr. Was der Bund jetzt nicht tun darf, ist, Altschulden punktuell für einige Kommunen zu übernehmen. Das setzt falsche Anreize und wäre verantwortungslos gegenüber den Kommunalaufsichten, den Kommunalpolitikern und den Kämmerern, die unter schwierigsten Bedingungen Jahr für Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. ({8}) Bei dem jetzigen Vorschlag zur Altschuldenübernahme wären die Kommunen, die sich mithilfe ihrer Länder und mit zum Teil drastischen Einsparmaßnahmen selbst geholfen haben, die Dummen. Das darf nicht sein. ({9}) Deshalb lehnt zum Beispiel auch der Landkreistag zu Recht einen solchen Vorschlag ab. Im Übrigen: Die Frage der Solidarität der Länder untereinander können wir an dieser Stelle sicherlich nicht lösen; man blicke nur zur Bank des Bundesrates. ({10}) Als Serviceopposition noch unser Rat zu Weihnachten: Lieber nichts schenken als das Falsche schenken! ({11}) Herzlichen Dank. Ich wünsche allen frohe Weihnachten! ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stefan Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Stefan Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004877, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Große Erwartungen, herbe Enttäuschung: So kann man die Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ zusammenfassen. Einziger Lichtblick – Herr Haase, ich sage das ganz gezielt in Ihre Richtung – war die Ankündigung des Bundes eines einmaligen solidarischen Beitrags zum Abbau kommunaler Altschulden. Der Zeitpunkt ist günstig. Die konjunkturelle Lage ist gut – noch –, die Steuereinnahmen sind hoch – noch –, und die Zinsen sind niedrig. Herr Daldrup hat es bereits angesprochen. Jetzt gilt es also, den finanzschwachen Kommunen aus der Schuldenfalle zu helfen. Der Bund muss sich an den Altschulden der Kommunen beteiligen, damit sie wieder auf eigenen Beinen stehen und die Zukunft ihrer Bürgerinnen und Bürger vor Ort positiv gestalten können. ({0}) Die Linke macht es sich mit ihrem Antrag dann allerdings ein bisschen einfach: drei Sätze insgesamt. Die Fragen zur Ausgestaltung der Altschuldenhilfe bleiben unbeantwortet: Welche Schulden genau? Wie soll die Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen aussehen? Wie soll getilgt werden? Über welchen Zeitraum? Welche Höhe? Wie soll der Umgang mit bereits bestehenden Länderprogrammen wie beispielsweise die Hessenkasse sein, wo ein Land schon mit der Entschuldung vorangegangen ist? ({1}) Auf all diese Fragen geben Sie keine Antwort. Wir Grünen sind da ein gehöriges Stück weiter. Es ist ja auch nicht erst die Idee von Herrn Scholz, dass man jetzt endlich einmal einen Altschuldenfonds auflegen könnte. Wir haben ein umfangreiches Gutachten in Auftrag gegeben; das können Sie alle öffentlich nachlesen. Darin stehen kluge, gangbare Wege. Wir haben eine doppelte Aufgabe. Zum einen müssen wir die hohen Kassenkredite abbauen, zum Beispiel durch eine Drittellösung: Bund, Länder und Kommunen. Das bedeutet für jeden der Akteure 600 Millionen Euro jährlich über 30 Jahre. Das ist kein Pappenstiel – das will ich gar nicht in Abrede stellen –, aber es ist eine unverzichtbare Investition in unsere Zukunft. ({2}) Zum anderen gilt es, die Aufnahme neuer Kassenkredite zu vermeiden. Dazu müssen wir sicherstellen, dass jede Kommune einen ausgeglichenen Haushalt erreichen kann. Das ist eben aktuell nicht der Fall. Ein möglicher Vorschlag wäre eine höhere Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft ({3}) und ein sozialer Verteilungsschlüssel für den kommunalen Umsatzsteueranteil. ({4}) Im Zuge einer Altschuldenlösung für überschuldete Kommunen sollten wir zusätzlich auch einen Altschuldenfonds für ostdeutsche Wohnungsunternehmen auflegen; ({5}) denn sie leiden unter einer doppelten Belastung: einerseits durch die wendebedingten Altschulden, andererseits durch die hohen demografisch bedingten Leerstände. Der Bund muss sie also entlasten, damit Leerstand zurückgebaut und Investitionen in bewohnte Gebäude getätigt werden können. Darum bitte ich Sie: Unterstützen Sie hierzu unseren Antrag! ({6}) Warum müssen wir überhaupt die Kommunen bei ihren Altschulden entlasten? Die Frage wurde gerade aufgeworfen. Ja, wir lesen häufig: Unseren Städten und Gemeinden geht es doch ganz gut. Ja, viele Kommunen verzeichnen aktuell tatsächlich Rekordüberschüsse. Aber es gibt viele Kommunen, die auch für 2020 keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können, und das, obwohl sie jetzt schon jeden Euro zweimal umdrehen. Jeder und jede Vierte von uns lebt in einer Kommune unter Haushaltssicherung. Hier ist der Investitionsbedarf nach wie vor hoch. Ich war letzte Woche im Petitionsausschuss. Es ging um den Erhalt kommunaler Schwimmbäder. Immer mehr solcher Schwimmbäder müssen schließen. Das gilt genauso für Bibliotheken, Theater und Spielplätze. Hier herrscht also ein ausgedünntes Angebot, und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort zahlen gleichzeitig auch noch höhere Steuern und Abgaben. Da müssen wir ansetzen. Denn nur so schaffen wir überhaupt die Grundlage für gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland. ({7}) Zum Schluss möchte ich auf ein Argument der Gegner einer Altschuldenlösung kommen. Mit dem bayerischen Finanzminister Albert Füracker, der klar dagegen ist, und meinem Kollegen Alois Karl teile ich den Heimatlandkreis Neumarkt, aber nicht deren Positionen. Herr Karl, ich will Ihre Rede jetzt nicht spoilern. ({8}) Aber Sie haben schon in der Pressemitteilung angekündigt, was Sie sagen werden – aus meiner Sicht mit ein bisschen viel Eigenlob – und als einziges Argument angeführt, dass verschuldete Kommunen selber schuld sind. An dieser Stelle muss ich Ihnen deutlich widersprechen. Die Ursachen für Altschulden sind doch meist struktureller Natur. Diese Kommunen leiden unter dem Niedergang ganzer Wirtschaftszweige: im Ruhrgebiet die Kohle- und Stahlindustrie, in der Pfalz die Textil- und Schuhindustrie. Die Folge sind hohe Sozialausgaben und niedrige kommunale Steuereinnahmen. Um ihre Pflichtaufgaben zu finanzieren, ist diesen Städten und Gemeinden schlicht und ergreifend kein anderer Weg geblieben, als Kredite aufzunehmen, notfalls auch Kassenkredite. Das Problem hatten und haben wir in Bayern in dieser Form nicht. Aber ich stelle mir vor – und ich bitte auch Sie, sich das einmal vorzustellen –, der Export von Maschinen und Autos würde dauerhaft stocken. Dann hätten wir auch in Bayern massive Verwerfungen, und die CSU würde garantiert als Erste rufen: Hier muss der Bund helfen und zusätzliche Finanzmittel beisteuern. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben wir den verschuldeten Kommunen ihre Würde zurück! Sorgen wir dafür, dass nachfolgende Generationen nicht für Krisen, Umbrüche und Fehler der Vergangenheit büßen müssen! Bringen wir eine Bundesbeteiligung an den Altschulden unserer Kommunen jetzt endlich auf den Weg! Ich danke Ihnen ganz herzlich und wünsche frohe Festtage! ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. – Das Wort hat der Kollege Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Volkmar Uwe Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht als Erstes allen denjenigen gesagt, die neue Schulden machen wollen: Schulden engen den Handlungsspielraum sehr ein, insbesondere dann, wenn man nicht in der Lage ist, den Schuldendienst zu leisten. Viele Kommunen können ein Lied davon singen, und oft sind die Kassenkredite bis zum Anschlag ausgeschöpft. Aber es waren auch manchmal die Länder, die dieser Entwicklung nicht rechtzeitig Einhalt geboten und dafür gesorgt haben, dass diese Situation gar nicht erst zustande gekommen ist. Die ostdeutschen Städte und Kommunen sind sehr dankbar für die Solidarität, die sie erfahren haben – insbesondere in den 90er- und 2000er-Jahren –, aber es waren auch damals die meistens CDU-geführten Aufsichtsbehörden der Länder, die dafür gesorgt haben, dass sich die Kommunen nicht überschulden. Davon können wir bis zum heutigen Tag profitieren. Das ist ein guter Ansatzpunkt. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz alledem: Schauen wir uns die Situation an, und schauen wir auch in die Zukunft. Wenn wir hier über Entschuldung reden, dann muss meiner Meinung nach an erster Stelle eine klare Analyse stehen, wie die Situation im Einzelfall zustande gekommen ist und welche Maßnahmen richtig und sinnvoll sind, dass sie sich nicht wiederholt. Ich gebe hier uns allen und allen Beteiligten auch das Altschuldenhilfe-Gesetz und dessen § 6 a mit der Ermächtigung, per Verordnung eine Härtefallregelung festzulegen, zur Orientierung. Ich finde, das ist ein gelungenes Beispiel für die Entschuldung ostdeutscher Wohnungsunternehmen, und die Erfolge, die sich daraus ergeben, können sich sehen lassen. Sie können sich nicht nur sehen lassen, sondern man kann auch in diesen Erfolgen wohnen. Ich kann nur allen, die heute zuhören – es werden hoffentlich noch einige sein –, zurufen: Es gibt gerade in den ostdeutschen Klein- und Mittelstädten hervorragenden Wohnraum, bestens saniert, modernisiert und mit einem entsprechenden energetischen Standard, zu moderaten Preisen. Das sind die stillen Stars, über die wir nicht reden, aber wo es gut läuft. Auch Arbeitsplätze sind mittlerweile vorhanden. In diesen Regionen gibt es ein starkes Handwerk. Es gibt viele kleine und mittelständische Unternehmen, die innovativ sind und auch jungen Familie eine Perspektive bieten können. Aber wenn ich das so lobe, dann muss ich auch sagen: Es ist nicht von alleine gekommen. Es war sehr harte Arbeit aller Akteure. Es ging mit Bestandsverkäufen einher. Es waren schmerzliche Mietanpassungen notwendig. Es gab Rückbau und Umgestaltung von ganzen Gebäudekomplexen bis hin zur Umstrukturierung von ganzen Quartieren. Der Weg war mit Sicherheit kein leichter, und es sollte an dieser Stelle denjenigen, die ihn gegangen sind, herzlich gedankt sein. Was noch dazugehört: Die Schuldenlast der Unternehmen damals war unverschuldet. Es war also keine Eigenverschuldung. Diese Differenzierung ist, finde ich, ganz wichtig. Denn ich sage auch ganz klar: Wenn wir über eine Entschuldung von Kommunen reden, ungeachtet wie sie zustande gekommen ist, dann muss auch die Strukturförderung der Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland nachgebessert werden. Altschulden sind ein Teil des Problems, aber nicht das Einzige. Vielmehr ist es so, dass auch wieder Wolken am Himmel zu erkennen sind, insbesondere wenn wir über den Leerstand oder über die demografische Entwicklung reden. Diese Notwendigkeit – das wurde bereits gesagt – zeigen zum einen die Evaluierung unserer Stadtumbauprogramme und zum anderen die Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Koalition handelt. Wir sind, was das anbetrifft, auf dem richtigen Weg. Ich sage nur: Städtebauförderung auf sehr hohem Niveau, insbesondere Stadtumbau! Wir haben die Kostenpauschale vonseiten des Bundes auf 55 Euro erhöht; mit der Kofinanzierung durch die Länder sind das 110 Euro. Wir haben das Baukindergeld eingeführt und Sonderabschreibungen für Wohnungsneubau ermöglicht. All das sind Maßnahmen, die wirken. Daneben stellen wir für den sozialen Wohnungsbau 1 Milliarde Euro pro Jahr auch über 2021 hinaus zur Verfügung. Ich muss sagen, es ist nicht richtig, wenn der amtierende Bauminister von Thüringen von den Linken sagt, wir hätten die Mittel gekürzt. Richtig ist, dass mit der Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen den Ländern insgesamt 10 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich zur Verfügung stehen. Richtig ist deswegen auch der Appell, den ich hier an die Länder richten möchte: Diese 10 Milliarden Euro müssen zweckgebunden in die Kommunen fließen – ja, wo notwendig, auch zur finanziellen Entlastung, aber vor allen Dingen in die Bildungsinfrastruktur, in die kommunale Infrastruktur, in den ÖPNV und natürlich auch in die Wohnungswirtschaft. Hier steht aus unserer Sicht ganz vorne die Kofinanzierung der Städteumbauprogramme und des sozialen Wohnungsbaus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Koalition steht dazu: Wir werden auf diesem Weg weitergehen – nicht nur an Weihnachten, aber auch. Deswegen von dieser Stelle: ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins nächste Jahrzehnt! Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke sehr. – Das Wort hat der Abgeordnete Udo Hemmelgarn für die AfD-Fraktion. ({0})

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tribünen! Vor einigen Wochen wurden die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag des Mauerfalls begangen. Umso interessanter ist es, dass wir hier und heute Probleme diskutieren müssen, die sich daraus ergeben, dass einige Aufgaben im Rahmen der Wiedervereinigung nicht oder nicht richtig gelöst wurden. Altschulden der ostdeutschen Wohnungsunternehmen sind ohne Zweifel eine vereinigungsbedingte Sonderlast. Schulden, die zu DDR-Zeiten aufgenommen wurden, mussten von den Unternehmen mit einem Kurs von eins zu zwei übernommen werden. Damit fiel den Unternehmen auch die Zins- und Tilgungslast zu. Abwanderung und zunehmende Leerstände in den strukturschwachen ostdeutschen Regionen machten es den Wohnungsunternehmen in der Folgezeit schwer, den Verpflichtungen aus den übernommenen Verbindlichkeiten nachzukommen. Die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl ging fälschlicherweise davon aus, dass überall in den neuen Bundesländern blühende Landschaften entstehen würden. Die Frage der Altschulden kommunaler Wohnungsunternehmen hängt dabei eng mit den vielbeschworenen gleichwertigen Lebensverhältnissen zusammen. Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat in ihrem Bericht empfohlen, das Altschuldenhilfe-Gesetz neu aufzulegen. Auch die Erhaltung und Wiederbelebung ländlicher Räume wird nur dann gelingen, wenn diese Frage nachhaltig gelöst wird. Die Lösung kann aus unserer Sicht nicht darin bestehen, dass der Bund die Rückbauförderung den Ländern überlässt. Nicht nur, dass der Bund sich hier aus seiner Verantwortung stiehlt! Die Rückbauförderung allein wird das Problem nicht lösen. Alles in allem wird man um ein neues Altschuldenhilfe-Gesetz nicht herumkommen. Welche Voraussetzungen muss ein solches Gesetz erfüllen, um das Problem nachhaltig zu lösen? Ein neues Altschuldenhilfe-Gesetz soll sich an den Realitäten und den tatsächlichen Problemen orientieren, und es muss frei sein von ideologischen Vorgaben. Dafür ist es unerlässlich, dass die betroffenen Unternehmen an der Ausarbeitung von Lösungsmöglichkeiten beteiligt werden. Die Kriterien einer neuen Altschuldenhilfe müssen einfach und klar geregelt werden. Die bürokratischen Hürden müssen möglichst niedrig gehalten werden. Es macht keinen Sinn, wenn die Regelungen derart kompliziert sind, dass sie von den Berechtigten nicht verstanden werden. Das alte Altschuldenhilfe-Gesetz scheint in dieser Hinsicht kein leuchtendes Vorbild gewesen zu sein. Die Möglichkeiten der neuen Altschuldenhilfe müssen flexibel ausgestaltet sein. So muss die Rückbauförderung auch für den Teilabriss von Gebäuden und vielleicht sogar für deren Umnutzung gewährt werden. Alles andere ist städtebaulich absurd. Wenn vier von fünf Plattenbauten abgerissen wurden, wird im fünften auch niemand wohnen wollen. ({0}) Die Förderung hat so weit wie möglich durch sinnvolle ökonomische Anreize zu erfolgen. Die Wohnungsgenossenschaften müssen genauso zum Kreis der Berechtigten zählen wie die kommunalen Wohnungsunternehmen. Es müssen Konzepte erarbeitet werden, die die Bildung von Wohneigentum fördern. Was spricht dagegen, Mieter zu Eigentümern zu machen, wenn sie einen Teil der Verbindlichkeiten übernehmen? Die ostdeutschen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften, die zu klein zum Überleben sind, müssen von der Grunderwerbsteuer befreit werden, wenn sie fusionieren wollen. Durch Rückbau und Leerstände können insbesondere kleine Wohnungsunternehmen schnell in einen Bereich rutschen, in dem ein wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr sinnvoll ist. Der Zusammenschluss kleinerer Wohnungsunternehmen wird dann nicht zuletzt durch die hohe Grunderwerbsteuer nachhaltig behindert. Ja, das alles wird Zeit und Geld kosten, aber ich versichere Ihnen, dass es in einigen Jahren noch deutlich teurer werden wird, wenn wir dieses Problem weiter ignorieren. Ich wünsche allen Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung, des Fahrdienstes dieses Hohen Hauses und natürlich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, frohe Weihnachten. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Kaiser für die SPD-Fraktion. ({0})

Elisabeth Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eines der zentralen Ziele der Bundesregierung, ein gutes Leben in ganz Deutschland zu ermöglichen, und ob ich gut lebe, hängt maßgeblich davon ab, wo ich lebe. Wenn es Gemeinden und Städten gut geht, dann spüren wir das; denn für diese Kommunen ist es überhaupt gar kein Problem, neben den Sozialkosten und den Kosten für den öffentlichen Nahverkehr, den Brandschutz und die Schulen noch Geld für die sogenannten freiwilligen Leistungen aufzubringen, wie Bibliotheken oder Jugendklubs. Bürgerinnen und Bürger, die in sogenannten strukturschwachen Regionen oder in Kommunen mit Finanznot leben, spüren das genauso. Dort stehen die freiwilligen Leistungen, wie Jugendklubs oder Freibäder, auf der Kippe. Die Gründe für die unterschiedlichen Entwicklungen der Kommunen in Deutschland sind zahlreich. Fakt ist aber, dass Altschulden eine wesentliche Ursache sein können, warum Kommunen trotz strengen Haushaltens nicht auf die Füße kommen; Bernhard Daldrup hat das sehr gut beschrieben. Die Entschuldung von Kommunen mit hohen Kassenkrediten ist deshalb eine Maßnahme, um die Handlungsfähigkeit vor Ort sicherzustellen und gleichwertige Lebensverhältnisse im Sinne von gleichen Chancen auf ein gutes Leben zu ermöglichen. Wenn wir aber von gleichwertigen Lebensverhältnissen sprechen, dann müssen wir auf ganz Deutschland schauen, und da fällt auf, dass die Situation in den neuen Bundesländern noch eine andere ist als in den alten Bundesländern. Altschulden sind auch dort ein Problem, allerdings weniger eines der Kommunen an sich als vielmehr eines der kommunalen Wohnungsgesellschaften und der Wohnungsgenossenschaften. Ich beschäftige mich schon eine Weile mit dieser Altschuldenproblematik, und manche meinen, das sei eher ein marginales Problem und vielleicht nicht der Rede wert. Doch wer das glaubt, der irrt sich gewaltig. ({0}) Denn nimmt man alle fünf neuen Bundesländer – ohne Berlin – zusammen, dann kommt man auf insgesamt über 4 Milliarden Euro Altschulden, die auf den kommunalen Wohnungsgesellschaften und Wohnungsgenossenschaften lasten. Diese Altschulden sind vor allem beim Übergang in die Bundesrepublik entstanden, als die mit den Krediten der DDR-Staatsbank belasteten Gebäude auf die heutigen kommunalen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften übertragen wurden. Mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz von 1993 wurde die kommunale Wohnungswirtschaft zumindest teilweise von diesen Schulden entlastet. Auch das Städtebauförderprogramm „Stadtumbau Ost“ hat einen großen Beitrag dazu geleistet, leerstehende Wohnungen vom Markt zu nehmen und die kommunale Wohnungswirtschaft von laufenden Kosten zu entlasten, und auch das hat gewirkt. Aber es reichte eben noch nicht aus; denn in einigen Regionen hat der demografische Wandel, die Überalterung und der Wegzug von jungen Menschen eben nicht aufgehört, und die Wohnungsleerstände steigen somit weiter an. In der Folge steigen eben auch die Kosten bei ausbleibenden Mieteinnahmen. Demgegenüber stehen allerdings wichtige Investitionen, zum Beispiel eben für die energetische Sanierung von Gebäuden. Investiert werden muss trotzdem; denn die Mieterinnen und Mieter erwarten natürlich auch attraktiven Wohnraum. ({1}) Das alles führt am Ende zu einer finanziellen Schieflage der Wohnungsunternehmen und Genossenschaften, die nach wie vor zu den wichtigsten Akteuren der Stadt- und Regionalentwicklung in vielen Orten Ostdeutschlands gehören. Durch die mitgeschleppte Altschuldenbelastung war und ist es jedoch vielfach kaum möglich, die Wohnungsbestände schneller attraktiv zu machen, also zum Beispiel mehr Fahrstühle einzubauen, Türschwellen zu entfernen oder den Zuschnitt von Plattenbauwohnungen so anzupassen, dass auch die Erfordernisse für altersgerechtes Wohnen erfüllt werden. Es gilt also, zu handeln. Das haben wir bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, und wir haben auch schon einiges auf den Weg gebracht. Auch die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat hier erneut Lösungen angemahnt. Deshalb hätte es jetzt nicht unbedingt den Antrag der Grünen gebraucht, aber ich finde es gut, dass die Opposition hier Handlungsbedarf erkennt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ihr Vorschlag reicht meiner Meinung nach noch nicht aus; denn ein Altschuldenfonds von 10 Millionen Euro ist einfach zu wenig. Das könnte ein Anfang sein. Aber fraglich ist: Wer soll nachhaltig davon profitieren? Das bleibt unklar. Für uns ist ein neues Altschuldenhilfe-Gesetz oder ein Altschuldenfonds keine Antwort auf die ostdeutsche Altschuldenproblematik. ({2}) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen für eine ziel- und zukunftsorientierte Politik statt einer Politik des Tropfens auf den heißen Stein. Kommunale Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften wollen wir in die Lage versetzen, ihre Bestände zukunftsfähig und attraktiv zu machen. Wir glauben, da braucht es drei Bausteine. Erstens. Ein Investitionsprogramm, durch das die von Altschulden betroffenen Wohnungsunternehmen und ‑genossenschaften Investitionshilfen erhalten, wenn sie energetisch modernisieren und ihre Bestände altersgerecht umbauen. Förderfähig könnten zum Beispiel Unternehmen und Genossenschaften in Regionen mit vergleichsweise sehr hohem Leerstand sein. Der zweite Baustein liegt ganz klar in der Städtebauförderung. Hier braucht es ein passgenaues Instrument, das auch finanziell gut ausgestattet ist, ({3}) das genau die Probleme des demografischen Wandels und der Strukturschwäche adressiert und zum Beispiel auch ermöglicht, dass Teilabrisse in den Quartieren möglich sind. ({4}) Aktuell sind wir in der Koalition dabei, die Städtebauförderung grundlegend zu reformieren. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, den Fördersatz für Rückbaumaßnahmen im künftigen Programm „Wachstum und nachhaltige Erneuerung“ zugunsten der neuen Länder auszugestalten. Wichtig war auch, dass der Bund die Förderhöchstgrenze beim Abriss von 70 Euro pro Quadratmeter auf insgesamt 110 Euro anhebt und so eben auch auf die spürbaren Kostensteigerungen eingeht. ({5}) Der dritte Baustein liegt in der langfristigen Stärkung der kommunalen Wohnungswirtschaft und der Wohnungsgenossenschaften, zum Beispiel durch gezielte Anreize sowohl für die Neugründung als auch für die Beteiligung von bestehenden Genossenschaften. Auch hier hat die SPD Maßnahmen vorgelegt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Viele Punkte aus Ihren Anträgen sind bereits in der Umsetzung, oder wir arbeiten daran. Deshalb werden wir heute die vorliegenden Anträge ablehnen. Wir freuen uns aber über die Unterstützung, das gemeinsame Ziel zu erreichen, nämlich gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu schaffen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein wunderbares Weihnachtsfest und alles Gute fürs neue Jahr. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, wir brauchen starke Kommunen, die nicht nur ihren Pflichten nachkommen, sondern auch Gestaltungsverantwortung übernehmen und in die Zukunft investieren können. Das geht aber nur, wenn sie ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Da würde es schon helfen, wenn die Kommunen nicht auf den Rechnungen sitzen blieben, für die der Bund verantwortlich ist. ({0}) Aktuell überweist der Bund das Geld zur Erfüllung kommunaler Aufgaben an die Länder, aber die geben es in äußerst seltenen Fällen zu 100 Prozent weiter. Vor allen Dingen – das weiß ich –, als wir in NRW noch Rot-Grün hatten, sah es echt traurig aus. ({1}) Diese Kommunen verschulden sich immer mehr, erhöhen dann in der Regel die Steuern, dann gehen die Unternehmen, dann gehen die Einwohner, und der Teufelskreis nimmt seinen Lauf. Deswegen fordern wir als Freie Demokraten nicht nur das konsequente Anwenden des Konnexitätsprinzips, nämlich: „Wer bestellt, der bezahlt auch“, sondern auch, dass der Bund das Geld direkt an die Kommunen überweist. ({2}) In diesem Fall wäre sichergestellt, dass die nötigen Mittel auch wirklich in den Rathäusern ankommen. Aber es gehört auch zur Wahrheit dazu, meine Damen und Herren, dass auch in den Kommunen unvorstellbar viel Geld ausgegeben wird für Wahlgeschenke, Prestigeobjekte. Da wird wirklich viel Geld verbrannt. Ich erinnere mich, wie einige Städte im Ruhrgebiet, die sich an der STEAG beteiligt haben, glänzende Augen bekommen haben. Die STEAG hat Kohlekraftwerke in der Türkei und in Kolumbien. ({3}) Das ist definitiv nicht die Daseinsvorsorge für Kommunen. ({4}) Meine Damen und Herren, intakte Kommunen bilden das Fundament unserer Demokratie. Dort werden Menschen sozialisiert, dort übernehmen sie Verantwortung, dort leben Familie und Freunde. Und dort lernt man auch, wie bedeutend es ist, in einem Rechtsstaat zu leben, der es einem erlaubt, nach der eigenen Fasson nicht nur selig zu werden, sondern auch sicher und frei zu leben und, ja, sein persönliches Glück zu finden. Meine Damen und Herren, wenn dieses Fundament bröckelt, gibt auch die dickste Mauer nach. Wenn die Kommunen nicht dazu kommen, ihre Haushalte zu konsolidieren, weil sie immer mehr Aufgaben übernehmen müssen und die auch noch aus eigener, leerer Kasse zahlen müssen, führt das zu einem Investitionsstillstand und zwangsläufig zu Frust und Unzufriedenheit bei den Bürgerinnen und Bürgern. ({5}) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir haben gestern in Düsseldorf, meiner Heimatstadt, den Haushalt verabschiedet – 3,1 Milliarden Euro, ohne einen Kredit aufzunehmen, das heißt ohne Zinsen, die uns in Grund und Boden zwingen. Wir hatten noch einen Überschuss. ({6}) So kann man das auch machen, wenn der Kernhaushalt schuldenfrei ist. Das ist er seit 2007. Ja, das hören Sie nicht gerne, aber wenn 20 Jahre die FDP am Ruder ist, dann hat man auch gute Nachrichten zu verkünden. ({7}) Meine Damen und Herren, wir sollten in Zukunft nicht über Entschuldung nachdenken. Wir sollten vor allem sicherstellen, dass in Zukunft das Schuldenmachen nicht mehr erforderlich ist. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen war der Festtag des heiligen Nikolaus. In vier Tagen ist Heiligabend. Vor zwei Wochen gab es Geschenke, in vier Tagen wird es Geschenke geben. Den Linken reicht das noch nicht; sie möchten heute auch einen großen Schluck aus der Pulle nehmen und Geschenke verteilen in nicht unerheblichem Ausmaß. Unklar ist, was als Geschenk denn überhaupt vergeben werden soll, lieber Kollege De Masi. Sind es die 138 Milliarden Euro, die Sie als Investitionsstau genannt haben, oder die 36 Milliarden Euro Kassenkredite? Oder die Hälfte davon, wie einer der betroffenen Oberbürgermeister formuliert hat: 18 Milliarden Euro? Oder sind es 21 Milliarden Euro, wie Kollege Daldrup vorhin gesagt hat? Der Wert, die Höhe des Geschenkes ist noch nicht ausgemacht. Jedenfalls: Es wird teuer für den Bund; das steht fest. ({0}) Wir sollen Milliarden und Abermilliarden dafür bezahlen, und das, meine Damen und Herren, für einige – nicht viele – Kommunen in Westdeutschland, die erheblich verschuldet sind. Die Linken haben es nicht für wert gefunden, auch die Diagnose zu stellen. Sie stellen bloß Forderungen. Wenn man diese Forderungen erfüllt, dann befindet man sich auf dem Holzweg. Es ist doch so, dass ich, bevor ich etwas saniere, eine richtige Diagnose stellen und dann auch eine richtige Therapie wählen muss. Ansonsten, lieber Kollege De Masi, nehmen Sie nicht bloß den Tod des Patienten, sondern auch noch den Tod des Arztes in Kauf, und das ist doch der völlig verkehrte Weg. ({1}) Meine Damen und Herren, es ist schon gesagt worden: Für die Finanzausstattung der Kommunen sind die Länder zuständig. Im Grundgesetz steht das so. Die Kommunen haben natürlich auch ein eigenes kommunales Steuerrecht. Sie haben eigene kommunale Hebesätze, die sie nutzen könnten. Der Bund ist eigentlich nicht zuständig. Dennoch haben wir in den letzten zehn Jahren deutlich mehr als 200 Milliarden Euro ausgegeben, um für Kommunen tätig zu sein. Das ist – das ist teilweise hier schon gesagt worden – unendlich viel Geld für die verschiedenen Maßnahmen – das soll jetzt nicht alles wiederholt werden –: den Kommunalen Investitionsfonds, den DigitalPakt Schule, die Städtebaufördermittel, die Kinderbetreuung, die Grundsicherung, die Kosten der Unterkunft. Unendlich viel Geld! Es ist doch verwunderlich, lieber Herr Kollege Daldrup – Sie sind doch ein tüchtiger und gut und alt gedienter treuer Sozialdemokrat –, ({2}) dass neun der zehn am meisten verschuldeten, am meisten mit Kassenkrediten belasteten Städte aus Nordrhein-Westfalen kommen. Warum ist das so? ({3}) Die Frage ist noch nicht beantwortet. Es ist schon diskutiert worden, dass die Städte und Gemeinden, die Kommunen in Nordrhein-Westfalen von ihrem Bundesland viel zu wenig Geld aus dem kommunalen Finanzausgleich erhalten haben. ({4}) Lesen Sie doch nach, zum Beispiel bei Professor Henneke, dem Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, der gesagt hat, dass über Jahrzehnte hinweg die Gemeinden vom Land Nordrhein-Westfalen finanziell viel zu lasch und viel zu wenig ausgestattet worden sind. Da, meine Damen und Herren, liegt doch der Hase im Pfeffer, da liegt doch der Hund begraben, und nicht irgendwo anders. ({5}) Meine Damen und Herren, wir haben natürlich viel Geld ausgegeben. Es ist vorhin von einem der Vorredner gesagt worden: Wir müssten eine Analyse machen, wie viel an den klebrigen Fingern der Länderfinanzminister hängen geblieben ist, wie viel Geld nicht weitergegeben worden ist, wie viel Geld zwar weitergegeben worden ist, aber die Länderfinanzausgleiche damit zurückgenommen worden sind. Meine Damen und Herren, es ist auch falsch, was die Linken sagen. Lieber Kollege De Masi, du bist ein guter Fußballer. Aber hier bringst du manchmal links und rechts und richtig und unrichtig durcheinander. ({6}) Es ist nicht so, dass in den nächsten Jahren die Gemeinden schrumpfende Steuereinnahmen haben. Wir werden als Bund in den nächsten Jahren 15 Prozent mehr Steuereinnahmen haben, und die Kommunen werden über 21 Prozent mehr Steuereinnahmen haben. ({7}) Also ist das doch nicht richtig. ({8}) Das ist leeres Gerede und leeres Stroh, was du hier aufgetischt hast. Das möchten wir hier durchaus einmal ganz deutlich sagen. ({9}) Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland die kommunale Selbstverwaltung. Sie ist ein Glanzstück unserer Verfassung und nur noch vergleichbar mit den Erfolgen aus der französischen Revolution mit der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit. Mit den Errungenschaften in den Vereinigten Staaten von seinerzeit 1776, wo sie die Demokratie und den Grundrechtekatalog eingeführt haben, ist unser Glanzstück in der demokratischen Verfassung die kommunale Selbstverwaltung. Da müssen wir diejenigen natürlich anders behandeln – und nicht bloß mit ein paar hingeworfenen Milliarden einen Schlussstrich darunter ziehen –, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht so gewirtschaftet haben wie andere Städte in unserer Heimat. Lieber Herr Schmidt, Sie können sich doch glücklich schätzen, im Landkreis Neumarkt zu leben. Sie zieht es nach Regensburg. ({10}) Was finden Sie denn da vor? Wären Sie doch in unserem Landkreis geblieben. Sie könnten noch viel mehr dazu beitragen, dass wir weiterhin diesen guten Weg beschreiten. Das will ich allen anderen Städten und Gemeinden natürlich auch gönnen. Die Linken agieren hier wie häufig in Robin-Hood-Manier: Den Armen soll gegeben werden, den Reichen soll vorher weggenommen werden. ({11}) Sie fragen aber nicht, warum das so ist. Warum sind die einen reicher und die anderen ärmer? Das alles hat seinen Grund.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Karl, eine Errungenschaft, die es auch gibt, ist, dass wir die Redezeiten einhalten.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Oh! Ich bin schon wieder drüber? ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich will Sie nur mal daran erinnern. Sie sind ein bisschen drüber. Weihnachtlich habe ich Ihnen schon etwas geschenkt.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich bin neulich schon einmal unrühmlich aufgefallen. Ich habe gedacht, das sei alles Plus, was ich habe; dabei war das Minus. ({0}) Darf ich noch zum Schluss –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, bitte.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– den Kollegen Olaf Scholz hier ins Feld führen? Er ist ja verschiedentlich angesprochen worden. Ich habe großen Respekt vor Olaf Scholz – Sie haben das auch so ähnlich gesagt –, ({0}) und zwar deswegen, weil er auch gegen Ihren Widerstand die schwarze Null verteidigt hat. In diesem Fall verhält sich Olaf Scholz allerdings mehr wie früher Bubi Scholz. Bubi Scholz, der Europameister, war –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das führen wir jetzt aber nicht mehr aus. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– für seine gezielten Attacken bekannt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, ich kann auch gezielt attackieren. Ich habe eine harte Linke; ich sag es Ihnen. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen linken Aufwärtshaken. – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. ({0}) Ich danke Ihnen herzlich für die Geduld.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wünsche frohe Weihnachten. Alles Gute! ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Begrüßen wollte ich Sie auch noch, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Damit schließe ich diese schöne Aussprache.

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. – Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) Dies ist ein wichtiges Thema, das wir ebenso beherzt diskutieren müssen wie das Thema der vorherigen Debatte. Die Anträge der Oppositionsfraktionen geben uns die Gelegenheit, zum Ende des Jahres eine sehr wichtige Debatte zu führen: Braucht die Bundeswehr bewaffnete Drohnen, ja oder nein? Wir sagen als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ganz klar Ja, meine Damen und Herren. ({1}) Die vorliegenden Anträge allerdings verfehlen das Ziel und sind eher ein Placebo. ({2}) Sie verkennen die rechtlichen und realen Sachverhalte. Sie vermischen beispielsweise die KI-Debatte mit der Debatte über bewaffnete Drohnen, oder Regierungshandeln wird ignoriert, oder die Linken würden am liebsten die Bundeswehr ganz abschaffen. ({3}) Ich sage: Wir müssen diese Debatte vielmehr auf einer seriösen Ebene führen. Meine Damen und Herren, als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprechen wir uns klar für die Beschaffung bewaffneter Drohnen aus, ({4}) weil sie unseren Soldatinnen und Soldaten im Bedarfsfall im Einsatz eine nicht vorzuenthaltende Schutzwirkung bieten. Bewaffnete Drohnen können das Leben unserer Soldatinnen und Soldaten retten. Deswegen sagen wir nochmals ganz klar Ja dazu. ({5}) Bereits jetzt nutzen wir in Afghanistan und in Mali die Beobachtungsdrohne Heron, um optimales Lagebild zu bekommen. Allerdings können wir nur beobachten und nicht wirken. Was bedeutet das beispielsweise? Szenario eins: Eine deutsche Patrouille gerät in einen Hinterhalt, wird unter Feuer genommen, und über die Beobachtungsdrohne wird erkannt, dass hinter einer Mauer die Schussquelle sitzt. Also: identifiziert, über eine Drohne einsehbar, aber nicht im direkten Feuer wirkend. Mit einer bewaffneten Drohne allerdings kann der Beschuss abgewendet werden. Ohne eine bewaffnete Drohne fehlt unserer Truppe eine lebenswichtige Wirkmöglichkeit. ({6}) Szenario zwei: Dies geschah in Kunduz vor zwei Wochen. Mit der Reise in Begleitung unserer Bundesverteidigungsministerin wurde von unseren Soldaten klar und eindrucksvoll geschildert: Mit einer Beobachtungsdrohne wurde gesehen, dass sich eine Raketenstellung aufstellte. Sie war identifiziert. Von dieser Raketenstellung wurde unmittelbar das Feuer in das deutsche Lager gerichtet. Mit einer bewaffneten Drohne hätte der Beschuss abgewendet werden können. Ohne eine bewaffnete Drohne allerdings fehlte diese lebenswichtige Schutzmöglichkeit. Die Rakete schlug direkt ins deutsche Lager ein. Verletzt wurde glücklicherweise niemand. Meine Damen und Herren, ich frage hier im Deutschen Bundestag: Gibt es ein Mitglied des Deutschen Bundestages, das unseren Soldatinnen und Soldaten – Frauen und Männer, Ehe- und Lebenspartner, Väter und Mütter, Töchter und Söhne – diese überlebenswichtige Schutzmöglichkeit tatsächlich vorenthalten möchte? Der möge sich melden. ({7}) Wir als CDU/CSU-Fraktion nehmen die Verantwortung an. Wir sagen deswegen Ja zu bewaffneten Drohnen. ({8}) Wir als Unionsfraktion wollen unseren Soldaten diese Schutzmöglichkeit bieten, und zwar unverzüglich. Wir schützen die, die uns schützen. Wir haben im Koalitionsvertrag mit der SPD die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Drohne festgelegt. Sie steht voraussichtlich im Jahr 2025 zur Verfügung. Bis dahin wollen wir die Heron TP als Übergangslösung nutzen, ein israelisches Modell, auf dem deutsche Soldaten ausgebildet werden. Es muss jetzt die Entscheidung getroffen werden, ob wir diese Drohne auch bewaffnen. Im Koalitionsvertrag sind die Voraussetzungen dafür klar geschildert: Es soll eine Debatte geben, die die ethischen und rechtlichen Voraussetzungen abbildet, die die Einsatzgrundsätze abbildet. ({9}) Das Bundesverteidigungsministerium hat in Aussicht gestellt, dass diese Debatte vom Ministerium aus geführt und organisiert wird und im nächsten Jahr stattfinden wird. Ich danke unserer Verteidigungsministerin herzlich für diese Initiative und dafür, dass sie aus dem Lagebild von Kunduz diese klare Schlussfolgerung gezogen hat. Es liegt beim Verteidigungsausschuss und beim Haushaltsausschuss, dafür zu sorgen, dass wir diese 25-Mio-Vorlage hier gemeinsam beschließen können. ({10}) Ich stelle hier für alle Zweifler, auch auf der linken Seite dieses Hauses, klar: Eine bewaffnete Drohne ist das Gleiche wie ein Flugzeug mit einer Waffe. Immer entscheidet ein Mensch, ({11}) hier aber mit einer noch besseren Beobachtungsmöglichkeit. Die Wirkmöglichkeit ist viel genauer. Die Gefahr kann zielgerichtet ausgeschaltet werden, durch Zerstörung oder auch durch einen gezielten Warnschuss, immer im Rahmen der mandatierten Einsätze und des Völkerrechts. Meine Damen und Herren, ich stelle klar: Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass die Bundeswehr an diesen Grundsätzen festhalten wird. Wir gemeinsam tragen Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten, die wir in den Einsatz entsenden. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wir müssen für die finanziellen und materiellen Voraussetzungen Sorge tragen, ({12}) damit die Bundeswehr gemeinsam mit befreundeten Nationen ihren Auftrag erfüllen kann. Und dazu gehört eben auch eine wirksame Schutzmöglichkeit. Wir als CDU/CSU fordern dazu auf, dass wir als Deutscher Bundestag zu dieser Verantwortung stehen. Wir bekennen uns klar zu dieser Verantwortung. Wir stehen an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten. Wir danken ihnen für den Einsatz im Heimatbetrieb und in den Einsatzgebieten. Wir wünschen allen Soldatinnen und Soldaten eine gute Heimkehr und insbesondere allen Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest. Das wünsche ich auch Ihnen. Alles Gute für das neue Jahr! Herzlichen Dank. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Henning Otte. – Herr Otte, ich darf Sie darauf hinweisen, dass Sie mich als Ministerin begrüßt haben. ({0}) Es mag sein, dass der Wunsch Vater des Gedankens war. ({1}) Ich bin mir nicht sicher, aber man weiß ja nie. Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Gerold Otten. ({2})

Gerold Otten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004846, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nun knapp zwei Monate her, da wurde unser Antrag zur Beschaffung bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge vom Verteidigungsausschuss abgelehnt. ({0}) Die Union unterstellte dabei Desinteresse am Schutz der Soldaten in Afghanistan. Die SPD prüft bereits seit Jahren die völkerrechtliche Vereinbarkeit und möchte immer noch eine breite gesellschaftliche Debatte zu diesem Thema anstoßen. Linke und Grüne lehnen sowieso jede Beschaffung von bewaffneten UAVs ab. ({1}) Interessant war allerdings die Begründung der FDP für die Ablehnung unseres Antrags. ({2}) Sie meinte, es handle sich dabei um eine kurzfristige, übereilte Maßnahme. Nun aber wollen Sie selber eine – ich zitiere – schnellstmögliche Beschaffung von bewaffneten UAVs. Daraus kann man nur schlussfolgern: Die AfD wirkt. ({3}) Der vorliegende Versuch der FDP, einen eigenen Antrag zu formulieren, offenbart allerdings einen eklatanten Mangel an Fachkenntnissen; denn dieser beinhaltet eine Vielzahl von sachlichen Fehlern. ({4}) So verfügt die Bundeswehr nach deren Kenntnisstand angeblich erst seit 2010 über Aufklärungsdrohnen. Ein aufgeweckter Praktikant hätte sicher nach kurzer Recherche herausgefunden, dass die Bundeswehr bereits seit Anfang der 90er-Jahre über mehrere UAV-Systeme zur Aufklärung verfügt. ({5}) Von der CL-289, von LUNA oder der KZO scheinen FDP-Verteidigungspolitiker noch nie etwas gehört zu haben. ({6}) Auch liest man im Antrag, die Entwicklung der Eurodrohne solle im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit, PESCO, mit Nachdruck verfolgt werden. Dumm nur, dass PESCO nichts mit der trinationalen Entwicklung zu tun hat; denn im Rahmen von PESCO werden nur Konzeptstudien hinsichtlich einer gemeinsamen Ausbildung und Nutzung der Eurodrohne erstellt. Weiter heißt es im Antrag, das Aufgabengebiet der Aufklärungs-UAV sei die Überwachung der eigenen Soldaten. Meine Damen und Herren, im militärischen Sprachgebrauch versteht man unter „Überwachung“, ein bestimmtes Gebiet oder einen Raum über einen langen Zeitraum ununterbrochen zu beobachten, nicht die eigenen Soldaten im Dienst. Im Mittelpunkt unseres Antrags wie auch des Antrags der FDP steht der Schutz unserer Soldaten. Nun, wenn der FDP der Schutz der Soldaten angeblich so am Herzen liegt, warum fordern Sie dann erst jetzt dieses Waffensystem? Das hätten Sie bereits vor zwei Legislaturperioden tun können, als Sie mit in der Regierung saßen ({7}) und die Bundeswehr in schwerste Gefechte in Afghanistan verwickelt war. ({8}) Und wenn der Union der Schutz der Soldaten im Einsatz so wichtig ist, wie wir hier gerade vom Kollegen Otte gehört haben, wo bleibt dann der im Koalitionsvertrag versprochene Antrag zur Beschaffung bewaffneter UAVs? ({9}) Darauf warten wir seit zwei Jahren. ({10}) Oder opfern Sie etwa aus Rücksicht auf die implodierende SPD die Sicherheit unserer Soldaten zugunsten lebensverlängernder Maßnahmen für die marode und abgewirtschaftete Koalition? Ein bewaffnetes unbemanntes Luftfahrzeug ist in erster Linie ein Einsatzmittel, das in der Lage ist, Räume zu überwachen, gegnerische Kräfte aufzuklären, sie zu verfolgen und nach klarer Zielansprache wirkungsvoll zu bekämpfen. Dadurch verbessern bewaffnete UAVs die Wirkmöglichkeiten der Bundeswehr im Einsatz. Das schreckt potenzielle Angreifer ab, steigert die Kampfkraft unserer Soldaten auf dem Gefechtsfeld und trägt so und nur so zu ihrem Schutz und zur Erfüllung des Auftrags bei. ({11}) Das ist die Begründung für die Notwendigkeit einer Beschaffung bewaffneter UAVs. Das muss man aber auch verstehen, um es den Bürgern vermitteln zu können. Und man muss den Mut haben, Kritik bei einer Beschaffungsentscheidung auszuhalten. Doch dazu sind Sie alle nicht in der Lage, vor allen Dingen nicht Sie in der Koalition. ({12}) Meine Damen und Herren, die Bundeswehr garantiert die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands. Dazu muss sie aber auch bestens ausgerüstet sein. Daher muss es der Ansatz sein, die Bundeswehr mit den effizientesten Waffensystemen auszustatten. Dies zu gewährleisten, ist unsere Aufgabe als Abgeordnete. ({13}) Der Antrag der FDP wird dem nicht gerecht. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen ({14}) und die Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses abzulehnen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen ein frohes Fest. ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Nächste Rednerin: Siemtje Möller für die SPD-Fraktion. ({0})

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bewaffnung von Drohnen ist sicherlich ein Thema, das unglaublich emotionalisiert diskutiert und unglaublich unterschiedlich bewertet wird. Bewaffnung von Drohnen macht vielen Menschen Angst. ({0}) Es verbreitet sich eine große Sorge vor dem sich verselbstständigenden technologischen Fortschritt, vor allen Dingen im Bereich Kriegswaffen. Bewaffnung von Drohnen macht aber auch vielen Menschen Hoffnung, beispielsweise denjenigen, die sich mehr Sicherheit wünschen, beispielsweise unseren Soldatinnen und Soldaten oder auch deren Angehörigen. Aber auch Angehörige der Zivilbevölkerung könnten sich mehr Schutz und Sicherheit von der Bewaffnung von Drohnen versprechen. Das ist die kontroverse Situation, in der sich unsere Debatte verorten lässt – quasi zwei Pole, die sich gegenüberstehen. Auf der einen Seite steht das schwerwiegende Argument von mehr Schutz. Ich als Parlamentarierin spüre diese besondere Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten jedes Mal, wenn ich mich zu einem Antrag auf Verlängerung eines Einsatzes belese und darüber abstimme und wenn ich die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz besuche. Ich bin mir dieser Verantwortung sehr bewusst; ich bin mir sicher, das sind auch Sie alle sich. Das ist tatsächlich ein schwerwiegendes Argument. ({1}) Bewaffnete Drohnen könnten beispielsweise bei Patrouillen mehr Sicherheit und Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten bieten, ({2}) beispielsweise wenn sie in einen Hinterhalt geraten. Dann könnte dieses Wirkmittel, das in der Luft unmittelbar vor Ort wäre, wirken und müsste eben nicht erst angefordert werden, um dann mit 30-minütiger Verzögerung Schutz zu gewähren. Es könnte sogar möglicherweise besser sein für den Schutz der Zivilbevölkerung durch lange Stehzeiten dieses exzellenten Wirkmittels. Stellen wir uns nur mal vor, dass ein entlegenes Dorf einer ethnischen Minderheit, das von marodierenden Banden angegriffen wird, durch bewaffnete Drohnen besser geschützt wäre. – Das ist die eine Seite. Die andere Seite – ich empfinde die als ebenso schwerwiegend – ist die Sorge und auch die Angst vor einer Entgrenzung durch Technik, die Angst vor dem Kontrollverlust und möglicherweise, in die Zukunft gerichtet, auch die Angst vor einem Kampf der Maschinen, der manche Menschen, die sich nicht so sehr damit beschäftigen wollen, umtreibt. Es ist auch das Unbehagen, das viele Menschen umtreibt, mit denen ich spreche, bei größer werdender Entfernung zwischen Pilot oder Pilotin und dem Luftfahrzeug, sozusagen die Entfernung zwischen Knopf und Wirkmittel, sodass das, was tatsächlich ausgelöst wird, nämlich das Töten von Menschen, nicht mehr so unmittelbar verortet ist in der Person, die das zu verantworten hat. Es ist meine Überzeugung, dass Politik genau hier ausloten muss und dass wir hier alle begleiten und abwägen müssen. Genau deshalb haben wir in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben: Über die Beschaffung von Bewaffnung wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden. ({3}) Hierzu wird die Bundesregierung eine gesonderte Vorlage erstellen und dem Deutschen Bundestag zuleiten. Genau um diese Würdigung – Würdigung heißt nicht eine schnelle Entscheidung, sondern heißt unter Berücksichtigung all dieser genannten Aspekte – vornehmen zu können, benötigen wir eine umfassende Ausarbeitung, beispielsweise der Rules of Engagement und auch der Operationsszenarien. ({4}) Diese müssen vom Verteidigungsministerium vorgelegt werden, um dann zu einer abgewogenen Entscheidung kommen zu können.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Siemtje Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. – Aber Sie, beispielsweise von der FDP, wollen es ja andersrum machen. Sie wollen ja die Entscheidung und danach einen Konsens und eine breite Diskussion herbeiführen. ({0}) Das ist falsch herum. Wir müssen erst darüber diskutieren, um dann zu einer abgewogenen Entscheidung zu kommen. Genau das machen wir als Koalition. ({1}) Sie wollen auch jetzt eine Entscheidung, weil Sie behaupten – das tun Sie in Ihrer Begründung –, dass die Regierungsfraktionen seit Jahren verzögern ({2}) und eine nicht hinnehmbare Situation entstehe und die Soldatinnen und Soldaten auf eine Schutzfähigkeit verzichten müssen, obwohl sie seit Jahren verfügbar ist. ({3}) Meine Damen und Herren, auch von der FDP, wir haben die Heron TP 2018 beschlossen. Diese Heron TP ist bewaffnungsfähig. Sie läuft zu zum Jahre 2025. Ich verstehe die Eile nicht. Sie verbreiten hier eine Hysterie, und Sie verbreiten auch ein Unsicherheitsgefühl bei den Soldatinnen und Soldaten, das nicht gerechtfertigt ist. ({4}) Gleichzeitig müssen wir ja sagen: Bis 2025 werden wir die Heron 1 einsetzen. Die Heron 1 ist nicht bewaffnungsfähig. Das heißt doch: Wir haben eine Aufklärungsdrohne, und das, was Sie uns hier suggerieren, trifft überhaupt nicht zu. ({5}) Es gibt weitere Schwachstellen in Ihrem Antrag, beispielsweise die Beschaffung von bewaffnungsfähigen Drohnen. ({6}) Ich wiederhole mich: Wir haben das 2018 beschlossen. Auch dass die Eurodrohne vorangetrieben wird, haben wir als Koalition erledigt, oder dass extralegale Tötungen weiterhin geächtet werden sollen. Das tun wir jeden Tag, und ich hoffe, das tun wir alle hier in diesem Hohen Haus nicht nur in Bezug auf die Drohnen, sondern auch in Bezug auf alle Kriegswaffen, wenn sie benutzt werden, um Tötungen außerhalb des Völkerrechts durchzuführen. ({7}) Ich bin überzeugt: Es ist unsere Aufgabe, Soldatinnen und Soldaten bestmöglich zu schützen, und es ist unsere Aufgabe, gesellschaftlichen Frieden herzustellen. ({8}) Das geht nur, wenn man sich die Ruhe nimmt, miteinander alle Aspekte zu beleuchten. Dafür braucht man eine Debatte genau hierzu. Dazu braucht man die Vorlagen, um darüber entscheiden zu können, und keine hysterieverbreitenden Anträge. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. Vielen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Siemtje Möller. – Es gab gerade die Frage nach einer Kurzintervention. Ich habe sie nicht zugelassen. Ich lasse aber auch keine weiteren oder anderen Kurzinterventionen zu, weil ich weiß, dass einige Kollegen aus gegebenem Anlass heute Züge bekommen wollen. ({0}) Dr. Marcus Faber für die FDP-Fraktion ist der nächste Redner. ({1})

Dr. Marcus Faber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004712, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! „CDU-Chefin will bewaffnete Drohnen“, so stand es um den Nikolaustag in der „Bild“-Zeitung. So hat es auch der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Herr Otte, zum Nikolaustag in die Presse eingebracht. ({0}) Ich habe mich über diese Ankündigung sehr gefreut. Ich finde das nämlich richtig. Wir haben es eben gehört: Es ist richtig für den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. ({1}) Es ist richtig, um die Verteidigungsfähigkeit im Einsatz zu gewährleisten. Wir haben hier heute eine unhaltbare Situation. Beispiel Camp Pamir, Afghanistan. Wenn das Camp beschossen wird, gehen unsere Soldaten in den Bunker, teilweise Stunden, und warten darauf, dass andere die Taliban zurückschlagen. Das kann nicht nur nicht das Selbstverständnis Deutschlands sein, sondern auch nicht das Selbstverständnis eines deutschen Soldaten. Wir haben als Deutscher Bundestag die Verpflichtung gegenüber einer Parlamentsarmee, die Bundeswehr optimal auszustatten und alles für den Schutz unserer Soldaten zu tun. Dafür sind wir den Soldaten gegenüber verantwortlich, aber auch ihren Angehörigen. ({2}) Ich verstehe nicht den Unterschied, der hier in der Debatte gemacht wird, beispielsweise zwischen der Panzerhaubitze und der bewaffneten Drohne. Der Soldat in der Panzerhaubitze ist 40, 50 Kilometer von seinem Ziel entfernt. ({3}) Er bekämpft sein Ziel. Er ist geschützt, weil er weiter weg ist. Der Drohnenpilot ist 50, vielleicht auch 500 Kilometer von seinem Ziel entfernt, und er ist geschützt, weil er von seinem Ziel entfernt ist. Die Panzerhaubitze haben wir 2010 nach Afghanistan gebracht. Das war eine richtige Entscheidung, ohne jahrelange Debatte im Vorfeld. ({4}) Sie hat dort zum Schutz unserer Soldaten beigetragen. Warum soll das, was mit der Panzerhaubitze geht, mit der bewaffneten Drohne nicht gehen? ({5}) Ich habe mich deshalb über das Nikolausgeschenk der Ministerin, die heute leider nicht anwesend ist, sehr gefreut, und ich halte es für an der Zeit, dass wir als Parlament dem ein Weihnachtsgeschenk entgegensetzen, nämlich heute eine Mehrheit für eine bewaffnete Drohne. Wir haben, glaube ich, lange genug darüber debattiert. ({6}) Im Koalitionsvertrag 2013 stand schon, dass die Große Koalition eine gesellschaftliche Debatte anstrengen möchte, die alle moralischen, ethischen, sicherheitspolitischen, völkerrechtlichen Aspekte beleuchtet. Im Koalitionsvertrag 2017 stand das Gleiche. Der Kollege Gädechens hat 2014 schon völlig zu Recht gesagt, dass wir hier eine Fähigkeitslücke haben, die wir schnellstens beheben müssen. ({7}) Heute ist nicht das Jahr 2014. Heute ist das Jahr 2019. Angekündigt wurde viel – auch heute wieder –, getan wurde bisher nichts. ({8}) Es ist an der Zeit, dass wir Entscheidungen treffen. Dafür haben wir als FDP-Fraktion heute diesen Tagesordnungspunkt aufgesetzt. Wir haben heute diesen Antrag gestellt, damit wir nach vielen Ankündigungen auch zu Entscheidungen kommen. Das ist, glaube ich, der richtige Anlass heute am letzten Plenartag dieses Jahres. Wenn wir dann eine solche bewaffnete Drohne beschaffen – jeder hier im Raum weiß, dass zwischen der Entscheidung darüber und der Auslieferung der bewaffneten Drohne Jahre liegen –, dann werden wir bei jedem Einsatz darüber reden, mit welchen Einsatzregeln wir sie in den Einsatz schicken. Ob mit oder ohne Drohne: Das machen wir bei jedem Einsatz. Das haben wir bei der Panzerhaubitze gemacht. Das werden wir auch bei der bewaffneten Drohne machen. Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie uns dafür sorgen, dass aus der Ankündigungsministerin Frau Kramp-Karrenbauer und ihrem Flugzeugträger ({9}) jetzt vielleicht die Umsetzungsministerin wird mit ihrer bewaffneten Drohne. Dafür haben wir heute die Gelegenheit. Lassen Sie uns diese nutzen. Vielen Dank. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Faber. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Tobias Pflüger. ({0})

Tobias Pflüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004852, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! FDP und AfD legen Anträge vor, dass bewaffnete Drohnen bzw. die Bewaffnung für bestehende und geplante Drohnen angeschafft bzw. freigegeben werden sollen. Ich will es klipp und klar sagen: Wir halten das für völlig falsch. ({0}) Es gibt eine Vereinbarung der Koalitionsfraktionen, dass eine gesellschaftliche Debatte stattfinden soll. Jetzt sagen Sie: Wir haben genügend debattiert. – Nein, das haben wir nicht. ({1}) Ich will, dass diese gesellschaftliche Debatte tatsächlich stattfindet. Ich will, dass die Probleme, die eine Drohnenkriegsführung mit sich bringt, in der Gesellschaft endlich einmal offen diskutiert werden. Was Sie mit Ihrem Antrag machen, ist, diese Debatte totzumachen und zu sagen: Jetzt lasst uns beschließen. – Das werden wir nicht mitmachen. ({2}) Sie wissen ganz genau: Drohnenkriegsführung verändert Kriegsführung an sich. Das ermöglicht das Töten aus sicherer Distanz per Joystick. Zusammen mit künstlicher Intelligenz können Drohnen zu autonomen Waffensystemen mutieren. Mit bewaffneten Drohnen werden sogenannte gezielte Tötungen durchgeführt, ({3}) bei denen es sich in Wahrheit um außergerichtliche, willkürliche, völkerrechtswidrige Hinrichtungen handelt. Und diese Entwicklung ist höchst bedenklich. Genau die wollen wir nicht. ({4}) Die Bundeswehr sollte keine bewaffneten Drohnen bekommen. ({5}) Menschenrechtsorganisationen ({6}) wie Amnesty International und Human Rights Watch kritisieren seit Jahren die völkerrechtswidrigen Drohnenangriffe der USA in Afghanistan, bei denen alle Getöteten pauschal zum „enemy killed in action“ erklärt werden. Auf jeden Fall ist bei dieser sicheren Distanz die Hemmschwelle für den Einsatz tödlicher Gewalt geringer. Ich habe mich mit US-Drohnenpiloten unterhalten. Ich habe mich mit Bundeswehrdrohnenpiloten unterhalten, die Überwachungsdrohnen steuern. Der Einsatz von Drohnen ist nicht harmlos. Der Einsatz von bewaffneten Drohnen ist eine neue Art der Kriegsführung, und die lehnen wir ab. ({7}) 2014 wurde im ARD-DeutschlandTrend gefragt: Was halten Sie von bewaffneten Drohnen? 64 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik haben dazu Nein gesagt, ({8}) 30 Prozent haben Ja gesagt. ({9}) Hören Sie auf mit dem Mythos, es würde nur um den Schutz der eigenen Soldaten gehen! Das ist Unsinn, und das wissen Sie. Bewaffnete Drohnen sind dazu da, militärische Gegner zu töten. ({10}) Die Gefahr der Tötung von Zivilisten ist enorm. Genau das ist der Punkt, warum wir sagen: Es darf diese bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr nicht geben. ({11}) Ich glaube, dass mit der Kriegsführung mit Drohnen grundsätzlich ein Tabu gebrochen würde. Wir sagen, es braucht die Debatte. Wir wollen, dass diese Form der Kriegsführung nicht passiert. Wir lehnen die Bewaffnung und bewaffnete Drohnen ab. Vielen Dank. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tobias Pflüger. – Nächste Rednerin: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen. ({0}) Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu nehmen und Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen? Katja Keul, Sie haben das Wort.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr führen wir schon mindestens zehn Jahre lang; so lange bin ich jedenfalls dabei. ({0}) Es bleibt dabei: Nutzen und Risiken stehen bei diesem Waffensystem außer Verhältnis. ({1}) In einer konkreten Gefechtssituation kann die Bundeswehr sowohl auf Aufklärungsdrohnen als auch auf bemannte Luftunterstützung zurückgreifen. Andererseits wird der Stützpunkt für Drohnenpiloten, wenn sie denn in Deutschland stationiert sind, zu einem legitimen militärischen Angriffsziel. ({2}) Das können Sie doch nicht ernsthaft wollen. Bewaffnete Drohnen sind gerade nicht zum Schutz von Leib und Leben entwickelt worden, sondern zur Hinrichtung von Verdächtigen ohne Gerichtsverfahren. Sie werden bis heute mehr von Geheimdiensten als von regulären Streitkräften eingesetzt. Die Bundesregierung würde so etwas natürlich nie tun; das glaube ich dieser Bundesregierung sogar. ({3}) Allerdings zeigt die Erfahrung: Verfügbarkeit führt zur Versuchung. Als Israel im Jahr 2000 als erstes Land bewaffnete Drohnen für Hinrichtungen einsetzte, kritisierte die US-Administration dies noch als völkerrechtswidrig. Als sie dann selbst bewaffnete Drohnen hatte, änderte sie ihre Rechtsauffassung. Inzwischen verfügen nicht nur Iran und China über diese Systeme, sondern auch islamistische Terroristen. Diesem Rüstungswettlauf muss Einhalt geboten werden. ({4}) Bewaffnete Drohnen treiben eine Entgrenzung der Kriegsführung voran. ({5}) Sie verursachen eine hohe Zahl an zivilen Opfern bei jedem Einsatz und sind keine saubere Lösung, weil es eine solche nicht gibt. Das Londoner Bureau of Investigative Journalism geht von 1 725 getöteten Zivilisten, davon 397 Kinder, bei US-Operationen außerhalb der eigentlichen Kriegsgebiete aus. Der FDP-Antrag ignoriert völlig das Gerichtsurteil des OVG Münster vom 19. März dieses Jahres, mit dem der Klage jemenitischer Drohnenopfer gegen die Bundesrepublik Deutschland teilweise stattgegeben worden ist: Es sei offenkundig und damit auch der Bundesregierung bekannt, dass die USA unter Verwendung der Air Base Ramstein bewaffnete Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger durchführten, so das Oberverwaltungsgericht. ({6}) Die bisherige Annahme der Bundesregierung, es bestünden keine Anhaltspunkte für Verstöße der USA bei ihren Aktivitäten in Deutschland gegen deutsches Recht oder Völkerrecht, beruhe auf einer unzureichenden Tatsachenermittlung und sei rechtlich nicht tragfähig. Die Bundesregierung sei daher verpflichtet, wirksame amtliche Ermittlungen vorzunehmen. ({7}) Sehr geehrte Damen und Herren, die Welt ist durch den Einsatz bewaffneter Drohnen nicht sicherer geworden; im Gegenteil. Die Bundesregierung sollte sich dringend Gedanken machen, wie sie ihrer Verpflichtung zur Durchsetzung des Rechts auch in Ramstein nachkommt. Für die Glaubwürdigkeit dieses Anliegens wäre es wenig hilfreich, selbst bewaffnete Drohnen zu beschaffen. Meine Fraktion lehnt die Bewaffnung von Drohnen ab und damit auch den vorgelegten FDP-Antrag. Vielen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katja Keul. – Letzter Redner in dieser Debatte: Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Dienstag ist Heiligabend, und rund 4 000 Soldatinnen und Soldaten verbringen die Feiertage in Auslandseinsätzen von Mali bis Afghanistan. Darüber hinaus versehen viele Tausende auch im Inland ihren Dienst über die Feiertage. Sie alle zusammen verdienen unseren Respekt und unsere Aufmerksamkeit, unseren herzlichen Dank; denn sie alle verteidigen zusammen mit unseren Verbündeten unser aller Freiheit und unsere Art, zu leben. Dafür möchte ich mein herzliches „Vergelts Gott!“ sagen. ({0}) Aber was steht nicht nur zu Weihnachten auf dem Wunschzettel unserer Soldaten? Wenn man das Gespräch mit ihnen sucht, hört man sehr schnell wichtige Punkte: mehr Anerkennung, eine optimale Ausstattung und Ausrüstung. Dies haben sie auch verdient; denn sie wären bereit, ihr Leben für unser Land und unsere Demokratie zu geben. An der Erfüllung ihrer Wünsche arbeiten wir auch ständig. Dass Bundeswehrsoldaten in Uniform ab Januar kostenlos Bahn fahren können, ist ein wichtiges Zeichen des Respekts und der Anerkennung. Ich bedanke mich beim Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und bei unserer Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ganz herzlich, ({1}) dass sie dieses Anliegen der CSU und der gesamten CDU/CSU-Bundestagsfraktion so schnell umgesetzt haben. ({2}) Wenn man sich – wie die Verteidigungsministerin in Afghanistan Anfang Dezember – direkt bei den Soldaten umhört, was für sie zur bestmöglichen Ausstattung gehört, dann ist die Antwort eindeutig: bewaffnete Drohnen. Deshalb kommt diese Debatte genau zur richtigen Zeit. Unsere Drohnen dienen bisher nur der Aufklärungsarbeit und zum Selbstschutz unserer Truppen. Die Bundeswehr hat mit der Drohne des Typs Heron TP eine optimale Aufklärungsdrohne gefunden und mit ihrer Anschaffung einen richtigen Schritt gemacht. Heron TP verfügt nämlich auch über die Möglichkeit, bewaffnet zu werden. Dies ist der nächste folgerichtige Schritt. ({3}) Für mich steht außer Frage, dass wir unseren Soldaten im Auslandseinsatz alles zur Verfügung stellen müssen, was ihr Leben schützt, auch bewaffnete Drohnen. Leider sind wir mit unserem Koalitionspartner bei diesem Thema in der laufenden Legislaturperiode noch nicht richtig vorangekommen. ({4}) Aber ich bin zuversichtlich, dass wir nach einer, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, ausführlichen Debatte gemeinsam zu der vernünftigen Einsicht kommen, ({5}) dass ein unbemanntes, aber von Menschenhand ferngesteuertes Luftfahrzeug kein autonomes Waffensystem ist, sondern eine Fähigkeit, die denselben Einsatzregeln unterliegt wie jedes andere Waffensystem auch. ({6}) Lassen Sie mich noch kurz etwas zu den vorliegenden Anträgen sagen. Der Antrag der FDP ist inhaltlich richtig. Ich hoffe, dass die Liberalen die kommende Debatte in diesem Sinn positiv mitgestalten. ({7}) Zustimmen können wir diesem Antrag natürlich nicht; denn für uns ist Vertragstreue ein wichtiges Gut. Dafür sollte gerade die FDP Verständnis haben. Das gilt auch für Koalitionsverträge. Anträge zu Nikolaus zu schreiben, lieber Herr Faber, ist schön und gut. Aber vielleicht sollten Sie, wenn Sie ernsthaft Dinge umsetzen wollen, beim nächsten Mal einfach mehr Mut zum Regieren haben. ({8}) Vielleicht haben Sie beim nächsten Mal wieder die Gelegenheit dazu. ({9}) Der Antrag der AfD ist schlicht abzulehnen. Sie fordern in Ihrem Antrag, auf die Beschaffung und den Betrieb der unbewaffneten Heron TP zu verzichten. Das ist blanker Unsinn und höchst gefährlich. Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen in jedem Fall die Aufklärungsfähigkeit der Heron TP, ob bewaffnet oder unbewaffnet. ({10}) Zum Antrag der Linken, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Linke lehnt die Beschaffung einer bewaffnungsfähigen Drohne schlichtweg ab. ({11}) – Sehen Sie! – Sie will in Wahrheit auch gar keine Diskussion darüber führen, sondern – das verwundert nicht – sie will keine Beschaffung, weil sie nie einer Beschaffung von militärischer Ausrüstung für unsere Bundeswehr zugestimmt hat. Sie will die Bundeswehr schlicht nicht. ({12}) Dass Sie ihre Ideologie haben – geschenkt; dieses Recht haben Sie. Aber was ich Ihnen nicht durchgehen lasse, ist, in welches Licht Sie unsere demokratische Armee und unsere Soldatinnen und Soldaten stellen. ({13}) Sie schreiben in Ihrem Antrag: „Bewaffnete Drohnen dienen nicht dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten, sondern dem Angriff“ und auch, dass eine Drohne bei den befehlshabenden Militärs zu einem hemmungslosen Einsatz tödlicher Gewalt führen würde. Damit verunglimpfen Sie bewusst unsere Truppe ({14}) und alles wofür der Staatsbürger in Uniform und die Innere Führung stehen. Das ist schäbig und unanständig. ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Fest steht: Die Beschaffung bewaffneter Drohnen zum Schutz unserer Soldaten ist notwendig. Wir alle hier, denen das Wohl unserer Soldaten wirklich am Herzen liegt, sollten deshalb diese Debatte anstoßen, offen und ehrlich, aber auch realistisch führen und entsprechend argumentieren. Das kann meiner Meinung nach am Ende nur zu einem Ergebnis führen. Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen, unseren Soldatinnen und Soldaten und Ihnen allen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr! ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Florian Hahn. – Damit schließe ich die Aussprache.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stuxnet 2010, die Snowden-Veröffentlichungen 2013, der Angriff auf die IT des Deutschen Bundestages 2015, WannaCry 2017, der Regierungs-Hack, anhaltende Datenskandale: Seit vielen, vielen Jahren wissen wir um die eklatanten Gefahren. Sie bedrohen auch den anstehenden Ausbau des 5G-Netzes. In einer der wichtigsten sicherheitspolitischen Fragen unserer Zeit ist diese Große Koalition, ist die Bundesregierung, ist Ihre verfehlte, teils nicht existente IT-Sicherheitspolitik ein ganz relevanter Teil des Problems, meine Damen und Herren. ({0}) Die Diskussion um Huawei steht für all Ihre eklatanten Versäumnisse exemplarisch. ({1}) Ihr Umgang mit diesem Thema ist – man kann es leider nicht anders sagen – hochnotpeinlich. Vor vielen Monaten versprachen Sie vollmundig über die Medien: Noch vor Weihnachten, am besten interfraktionell, wird hier ein Antrag vorgelegt. – Was haben Sie bis heute vorgelegt? Gar nichts! Das ist blamabel, meine Damen und Herren. ({2}) Mittlerweile kursieren drei unterschiedliche dünne Papierchen in den Regierungsfraktionen, zwei der CDU/CSU und eins der SPD. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie sind weder mit dem Koalitionspartner abgestimmt noch mit der Bundesregierung – von der Opposition mal ganz zu schweigen. Sie haben noch was gemeinsam: Sie beziehen sich ausschließlich auf das Thema 5G. Damit kratzen Sie nur an der Oberfläche des Gesamtproblems. ({3}) Die Zeit, Herr Grosse-Brömer, des Erkenntnisgewinns und des Schreibens von Besinnungspapieren ist lange vorbei. Diese Themen sind einfach zu drängend und zu wichtig, als dass sie auf die lange Bank geschoben werden könnten, meine Damen und Herren. ({4}) Diese Debatte darf sich eben nicht um einzelne Anbieter und Länder drehen. ({5}) Das Thema ist zu ernst für diese Spielchen: Wer ist der beste Transatlantiker, wer der größte China-Fresser? ({6}) So befeuert man Wirtschaftskriege und Protektionismus. Es geht um harte rechtsstaatliche Kriterien und um klare sicherheitspolitische Standards, an die sich alle halten müssen. Es ist völlig klar: Nach unseren Kriterien wäre Huawei draußen. Aber genauso klar ist: Es müssen sich alle nach der Decke strecken. Nur so bekommen wir den notwendigen Wettbewerb für mehr Rechtsstaatlichkeit und mehr Sicherheit, meine Damen und Herren. ({7}) Revidieren Sie Ihre bisherige IT-Politik, das anlasslose Massendatenspeichern und das Hehlen mit Sicherheitslücken, die uns alle bedrohen! Schaffen Sie vielfältige digitale Ökosysteme! Setzen Sie auf Resilienz, Redundanzen und Eigenentwicklungen auf der Basis von offener und freier Software! Legen Sie endlich das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 vor, das sich eben nicht bloß auf den notwendigen Schutz kritischer Infrastrukturen bezieht, sondern auch auf Mindeststandards für Endgeräte des Internet of Things, Vorgaben für verpflichtende Sicherheitsupdates und klare Haftungsregelungen, meine Damen und Herren. ({8}) Schaffen Sie unabhängige Aufsichtsbehörden, die Verstöße auch tatsächlich sanktionieren! All das ist lange, lange überfällig. Unseren Antrag mit all den guten Dingen, die darin stehen, legen wir Ihnen zum Fest der Liebe als Geschenk unter den Weihnachtsbaum. – Ein frohes Fest wünsche ich Ihnen allen. Herzlichen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Hoffentlich ist noch ein Stollen dabei. – Vielen herzlichen Dank, Konstantin von Notz. – Nächster Redner in der Debatte: Christoph Bernstiel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christoph Bernstiel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Herr von Notz, vielen Dank, dass Sie uns hier die Möglichkeit geben, dieses wichtige Thema anzusprechen. Ich muss aber auch sagen: Ich finde es schon bemerkenswert, dass wir als CDU auf unserem Bundesparteitag einen Beschluss fassen, der natürlich das Ergebnis eines sehr langen Prozesses ist, den wir auch sorgfältig abwägen, und drei Oppositionsfraktionen, die AfD, die FDP und die Grünen, das zum Anlass nehmen, um genau unseren Standpunkt hier zu diskutieren. ({0}) Erst mal herzlichen Dank, dass Sie unser Thema hier mit Ihren Anträgen zusätzlich aufwerten! ({1}) Aber in der Tat: Es geht natürlich um ein sehr ernstes Thema. Herr von Notz, so gut ich Ihren Antrag auch finde – ich muss leider sagen: In Ihrer Rede sind ein paar inhaltliche Fehler. Sie beschränken sich zum Beispiel auf einen Hersteller von Telekommunikationstechnik, nämlich einen chinesischen. ({2}) Gucken Sie sich den Markt an, dann wüssten Sie, es sind vier. Und wenn schon, dann müssten Sie auch noch den zweiten chinesischen Hersteller nennen. Sie sagen, die Bundesregierung tue nichts, wir müssten einen Kriterienkatalog aufstellen. Genau das machen wir in diesem Moment. Aber was in Ihrem Antrag wirklich fehlt: Sie hangeln sich an technischen Kriterien entlang. ({3}) Richtig wäre, zu sagen: Wir müssen selbstverständlich auch politische Kriterien mit einbeziehen. ({4}) Da geht es um die Frage der Vertrauenswürdigkeit, ({5}) und da – hier kann ich auch zu den anderen Antragstellern schauen – ist natürlich die Frage ganz entscheidend: Können wir den Unternehmen, die wir am Ausbau unseres Netzes beteiligen, vertrauen oder nicht? Jetzt erkläre ich Ihnen den Unterschied zwischen Regierung und Opposition. Sie können sich hinstellen und sagen: „Ja, wir schließen mal den aus“, „Wir machen dieses“, oder: „Das und jenes wäre richtig.“ ({6}) Aber in der Realität – und das ist das, was die Regierung macht – ({7}) müssen Sie sehr wohl abwägen, auch zwischen legitimen Interessen, zum Beispiel: „Wie schnell können wir den Ausbau unseres Netzes vorantreiben?“, und: „Ist es überhaupt realisierbar, solche Klauseln durchzusetzen?“ Genau daran arbeiten wir gerade, lieber Herr von Notz. ({8}) – Das werden Sie sehen. Im Januar können wir Sie mit einem wunderbaren Antrag überraschen. ({9}) – Jetzt hören Sie doch mal zu, seien Sie doch nicht so aufgeregt! ({10}) Wir sind an diesem Thema dran. Wir machen das aber in einer Sorgfältigkeit, die dem Thema auch angemessen ist. Wenn Sie sagen: „Wir diskutieren hier nur über 5G“, ({11}) dann wird das der Debatte nicht gerecht. Denn 5G ist keine einfache Evolution des 3G- und 4G-Netzes. 5G ist nicht nur ein Kommunikationsnetz, sondern der integrale Bestandteil unserer digitalen Wirtschaft in den nächsten 10 bis 15 Jahren. Dinge wie das autonome Fahren, die Telemedizin, die Entwicklung künstlicher Intelligenz oder die sogenannten Campuslösungen für Industrie-4.0-Fabriken – das alles läuft in Zukunft über das 5G-Netz. Deshalb ist es natürlich in unser aller Interesse, dass 5G so sicher und manipulationssicher wie möglich ist. Da möchte ich noch auf einen Punkt hinweisen, der in Ihren Anträgen nicht zur Geltung kommt. Sie sprechen immer von Sicherheit. Sie reden von Datensicherheit. Sie missachten aber oder unterschätzen ein wenig das Risiko der Sabotage, zum Beispiel durch das Erzeugen von künstlichen Lieferengpässen oder durch das Erzeugen von Latenzen. ({12}) Das hat nichts mit Datensicherheit zu tun, das hat etwas damit zu tun, wer diese Infrastruktur kontrolliert. Genau an diesem Punkt setzen wir an. ({13}) Zum Schluss noch: Wir können Ihrem Antrag so nicht zustimmen, auch wenn er über weite Strecken unsere Standpunkte übernimmt, wie ich schon gesagt hatte. Also: Gut zugehört in den letzten Wochen. ({14}) Ein Grund dafür ist – ich möchte das aus Ihrem Antrag zitieren –, dass Sie die IT-Sicherheit aus der Zuständigkeit des BMI herauslösen möchten. Nicht einmal zwei Absätze später sagen Sie, dass Sie eine ministeriell-koordinierende Zuständigkeit für hybride Bedrohungen möchten. Hybride Bedrohungen sind Angriffe aus dem Cyberraum und natürlich auch mit klassischen Spionagewerkzeugen. Da müssen Sie sich wirklich einmal entscheiden, in welche Richtung das nun gehen soll: entweder die Cybersicherheit beim BMI verankern oder aus dem BMI herauslösen. Das alles macht natürlich keinen Sinn. Deshalb werden wir die Anträge ablehnen. Wir freuen uns aber, dass es zu dem Thema einen großen Konsens gibt. Wenn wir dann im Januar mit unserem Antrag kommen, ({15}) werden wir Sie alle beim Wort nehmen. Wir hoffen, dass Sie unserem Antrag dann zustimmen. Auch ich möchte Ihnen natürlich frohe Weihnachten wünschen. ({16})

Uwe Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004888, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits vor zehn Monaten forderte die AfD die Bundesregierung auf, endlich Maßnahmen für die Sicherheit unserer Kommunikationsnetze zu ergreifen. Im Gegensatz zu den meisten in diesem Haus war uns schon damals klar, dass bei 5G in puncto Sicherheit Handlungsbedarf besteht. Auf der einen Seite muss der Gesetzgeber den rechtlichen Rahmen überprüfen und anpassen. Vor allem muss politisch garantiert sein, dass im 5G-Netz nur Komponenten von vertrauenswürdigen Unternehmen verbaut werden. Für die AfD ist klar: Unternehmen, die unter massivem Einfluss undemokratischer Staaten stehen und zur Spionage gezwungen werden können, sind keine Partner für uns. ({0}) Sie alle haben unseren Antrag vom 13. Februar abgelehnt, es gab keine Änderungsanträge, nichts. ({1}) Aber jetzt kommen Sie mit ähnlichen Forderungen um die Ecke. Ihnen, liebe Kollegen von FDP und Grünen, ist Deutschlands Sicherheit offensichtlich nur dann wichtig, wenn es in Ihr parteipolitisches Konzept passt. ({2}) Meine Damen und Herren, es ist ein Trauerspiel. Obwohl 5G längst in den Startlöchern steht, zeigt die Regierungskoalition keine klare Haltung. In Ihrer ach so offensiven 5G-Strategie von 2017 kam das Thema „Sicherheit der Netzausrüster“ nicht vor, und bei den Frequenzversteigerungen waren für Sie, für die Bundesregierung, die Erlöse wichtiger als alle Sicherheitsaspekte. ({3}) Dabei müsste doch auch die Bundesregierung verstanden haben, um was es geht: Das 5G-Netz wird in Zukunft die zentrale kritische Infrastruktur für wesentliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Funktionen sein. Daher haben Ihre verantwortungsvollen Beamten in die Risikobewertung hineingeschrieben, dass die Kernkomponenten des 5G-Netzes beherrschbar sein müssen und Netzlieferanten im Zweifel auszuschließen sind. So weit die Theorie; denn wieder scheint die Arroganz der Kanzlerin die Oberhand zu gewinnen. Frau Merkel weiß zwar ganz genau, dass unsere Nachrichtendienste dringend davor warnen, auf den chinesischen Netzausrüster Huawei für das deutsche 5G-Netz zurückzugreifen. Aber die Bundeskanzlerin sendet trotzdem positive Signale nach China aus. Während Frau Merkel an ihre eigene Unfehlbarkeit glaubt, verfällt der Wirtschaftsminister in Angst und befürchtet Sanktionen Chinas, wenn Huawei nicht zum Zuge kommt. Die Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren, lässt sich also von einem Land erpressen, an das wir jährlich mehr als eine halbe Milliarde Euro an Entwicklungshilfe überweisen. ({4}) Merken Sie was? Sie wissen doch auch – die Bundesregierung, die nicht vorhanden ist –, dass China zur Stärkung der eigenen Wirtschaft einen extrem harten Kurs fährt: Das Verbannen ausländischer Computertechnik aus chinesischen Behörden ist da nur ein Beispiel. Sieht so Vertrauen aus, meine Damen und Herren? Sieht so Partnerschaft aus? Ich meine: Nein. Es geht hier um die Frage, ob wir als Bundesrepublik Deutschland die Reste unserer digitalen Souveränität in die Hände der Kommunistischen Partei Chinas legen oder ob wir eine selbstbewusste Außen- und Wirtschaftspolitik machen wollen, die unsere Souveränität verteidigt oder sogar zurückbringt. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihr peinliches Versteckspiel zu beenden und sich endlich eindeutig zu positionieren. ({5}) Aber vielleicht, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, wird Ihr Blick etwas klarer, wenn Sie sich endlich aus der Abhängigkeit von Huawei als Sponsor Ihrer Parteitage verabschieden; ({6}) denn das ist längst überfällig. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Falko Mohrs. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden also über die Sicherheit einer der kritischen Infrastrukturen schlechthin. Auf der einen Seite wird 5G, die fünfte Mobilfunkgeneration, kritische Infrastrukturen wie die Energieversorgung steuern, Industrieprozesse steuern, auf der anderen Seite stellt 5G selbst eine kritische Infrastruktur dar. Das macht deutlich, warum Sicherheit ein immens wichtiges Thema ist, wenn wir über 5G reden. Auch wenn das manche hier behaupten: Wir reden natürlich nicht erst in den letzten Wochen über die Sicherheit bei 5G, sondern schon seit Jahren. Herr Kollege Schulz, wenn Sie schon von Ihrer Fraktion, der AfD, als Redner ans Pult geschickt werden, dann tun Sie uns doch wenigstens den Gefallen und machen sich vorher mit den Fakten vertraut. Denn bei der Frequenzvergabe Anfang dieses Jahres haben beispielsweise die Kriterien – der Kollege Bernstiel hat es erwähnt –, die jetzt gerade formuliert werden, bereits eine Rolle gespielt, und die Referenz darauf war doch in der Frequenzversteigerung da. Also bitte: Faktenwissen hilft, wenn man hier im Bundestag redet. ({0}) Herr Kollege von Notz, Sie referieren hier, über Jahre zurückblickend, warum Sie dieses Thema schon immer als so wichtig angesehen haben; ({1}) das will ich Ihnen gar nicht abstreiten, vor allem ich persönlich nicht. Dann tun Sie hier aber so, als ob Sie mit dem Antrag irgendwie maßgeblich gewesen wären. Der Antrag – ich habe noch mal nachgeguckt – datiert vom 17.12. Da hatten übrigens andere Fraktionen schon längst einen Tagesordnungspunkt angemeldet. Es ist schon ein bisschen durchschaubar, hinterher so kurz vor knapp auf ein Thema zu setzen, das andere auf die Tagesordnung gebracht haben. Das ist doch ein bisschen arm. ({2}) Aber sehen wir nach vorne. Wir haben drei wichtige Dimensionen der Sicherheit, die wir jetzt in den Blick nehmen müssen. Wir reden eindeutig über den Schutz vor Spionage, wir reden über den Schutz vor Sabotage, und wir reden über eine eigenständige europäische technische Souveränität. Das sind die drei Dimensionen, meine Damen und Herren, die wir als Bundesregierung in den Blick nehmen. ({3}) Das tun wir am Ende übrigens nicht nur mit Blick auf ein Land oder einen Hersteller; vielmehr geht es darum, Kriterien aufzustellen, bei denen nicht nur technische Aspekte eine Rolle spielen, sondern eben auch politische Vertrauenswürdigkeit. Die Unabhängigkeit von nicht rechtsstaatlichen Eingriffen gehört ausdrücklich dazu, meine Damen und Herren. Das sind die wichtigen harten Kriterien, die aus unserer Sicht am Ende für alle gelten, unabhängig von der Herkunft, unabhängig vom Namen des Herstellers, meine Damen und Herren. ({4}) Parallel dazu muss es – das ist doch völlig klar – auch um technische Sicherheit gehen, also um offene Source Codes. Es muss um eine Zertifizierung gehen. Da haben wir mit dem BSI einen guten Partner an der Seite. Aber noch mal in aller Deutlichkeit: Die technische Sicherstellung alleine, meine Damen und Herren, wird es nicht regeln. ({5}) Deswegen: Wir brauchen einen schnellen, einen zuverlässigen, einen sicheren Ausbau. Dafür brauchen wir schnell Klarheit. Das werden wir hinbekommen. Das werden wir leisten, meine Damen und Herren. Sichere 5G-Netze sind notwendig. Danke schön. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Falko Mohrs. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Manuel Höferlin. ({0})

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege von Notz, natürlich haben wir über den großen Bereich der Sicherheit zu sprechen, aber heute geht es um 5G-Netze und um die Sicherheit darin. Deswegen will ich mich auf diesen Punkt konzentrieren. Das Entscheidende ist doch, dass Sie um den Elefanten im Raum herumreden. Reden wir doch mal Klartext. Es geht darum: Wem wollen wir wie vertrauen in den 5G-Netzen? Das ist nichts Neues, sondern darüber wird schon lange gesprochen. Jetzt höre ich von der GroKo: Na ja, wir haben schon darüber gesprochen, vom CDU-Parteitag gibt es eine Haltung. ({0}) Aber es ist letztendlich nicht so klar. Es ist so unklar, dass unser Antrag, der heute eigentlich abgestimmt werden sollte, am Mittwoch im federführenden Ausschuss von der Großen Koalition von der Tagesordnung genommen wurde – gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen –, weil Sie nämlich keine abgestimmte Meinung haben. Sie wissen nicht genau, was Sie wollen; sonst hätten Sie unseren Antrag heute hier nämlich entscheiden lassen, meine Damen und Herren. ({1}) Es ist auch nicht klar, was CDU-Linie ist, Kollege Bernstiel. Sie sagen: Na, da gibt es einen Beschluss. – Nur, Ihre Kanzlerin hat eine ganz andere Meinung. Es ist völlig unklar, wohin eigentlich die Reise gehen soll. ({2}) Also einigen Sie sich doch einmal! Und die Frau Kanzlerin sollte mal überlegen, was ihre eigenen Nachrichtendienste zu ihr sagen, und vielleicht ein bisschen darauf hören. Es geht nämlich im Kern um die Frage: Vertrauen wir eigentlich zum Beispiel Unternehmen wie Huawei, aber auch anderen Unternehmen aus China? Es gibt natürlich auch andere Unternehmen. Deswegen sollte man klar sagen, wie man für die IT-Sicherheit in den 5G-Netzen sorgen möchte. Und Sie, liebe GroKo, sollten sich auch mal auf eine gemeinsame Position einigen. Es gibt zwar schon innerhalb der CDU Probleme, aber dann sollten Sie sich mal gemeinsam einigen. Es sind nämlich nicht nur die Gefahren der IT-Sicherheit da. Vielmehr ist die GroKo im Moment selbst eine Gefahr für die IT-Sicherheit mit dem, was sie an Verfahren auf den Weg bringt. ({3}) Sie wollen nämlich auch selbst Sicherheitslücken in den 5G-Standard einbauen. Sie wollen, dass Behörden weiter abhören können; Sie wollen, dass die Verschlüsselung, die darin eigentlich enthalten sein könnte, unterwegs abgebaut wird, zwischendurch nur für den Bruchteil einer Sekunde mal die Daten entschlüsselt werden. ({4}) Jeder, der IT kennt, weiß, das ist albern: Egal wie kurz Sie das entschlüsseln, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung macht nur Sinn, wenn sie wirklich von Ende zu Ende besteht. Sie wollen Messenger-Dienste gesetzlich zur Entschlüsselung zwingen. Gleichzeitig behaupten Sie aber, Sie wollen Verschlüsselungsland Nummer eins sein. Und Sie wollen – darüber haben wir diese Woche auch schon diskutiert – Provider gesetzlich zwingen, Passwörter von Nutzerkonten auszuhändigen. ({5}) Gleichzeitig reden Sie aber darüber, bei 5G-Netzen alles sicher zu machen, nur vertrauenswürdige Partner das 5G-Netz aufbauen zu lassen. Fangen Sie doch mal bei sich selbst an! Einigen Sie sich mal innerhalb der CDU, wohin die Reise gehen soll, vielleicht mit Ihrer Kanzlerin. Einigen Sie sich doch mal untereinander! ({6}) Herr Bernstiel, Sie haben versucht, uns zu erklären, was der Unterschied zwischen Regierung und Opposition ist. Das kann ich Ihnen auch sagen: ({7}) Die Opposition hat zu diesem Thema eine Haltung. ({8}) Es geht kaum mehr Widerspruch bei diesem Thema, meine Kollegen. Klären Sie Ihr Verhältnis zwischen den Überwachungsfantasien, die Sie haben, und der IT-Sicherheit! Der Rest des Parlaments hat es offensichtlich getan. Man kann sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Aber finden Sie bitte Ihre Haltung! Herzlichen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Manuel Höferlin. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Petra Pau. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Aktuellen Stunde vom Mittwoch, den Debatten gestern und dem ersten Tagesordnungspunkt heute Morgen befassen wir uns nun zum wiederholten Mal mit dem Thema „Digitalisierung und Datenschutz“. Das unterstreicht den Stellenwert dieses Themas, wie ich namens der Fraktion Die Linke finde. ({0}) Dazu sind mehrere Anträge im parlamentarischen Gang bzw. liegen heute hier auf dem Tisch. Der Antrag der Linken dazu stand schon im Sommer hier auf der Tagesordnung. Die einzige Leerstelle besteht tatsächlich bei den Fraktionen, die die Große Koalition tragen. Ich will über den Antrag der Grünen reden. Er beschreibt unter anderem den Nachholbedarf in der Bundesrepublik. Wir als Linke stimmen Ihrer mahnenden Kritik zu. Bei alledem geht es übrigens nicht um Themen für Netz- oder Datenfreaks, sondern um Grundsätzliches, uns alle im Alltag Betreffendes. Deshalb möchte ich hier an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1983 erinnern, allgemein als Volkszählungsurteil bekannt. Darin heißt es sinngemäß: Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder wissen können, wer was über sie weiß, sind nicht mehr souverän. Eine Demokratie ohne Souveräne ist aber undenkbar. ({1}) Neben dieser politischen Dimension geht es zunehmend auch um ganz Alltägliches, ob Verkehr und Transport, Energie- und Wasserversorgung, Gesundheit oder Ernährung: Zunehmend sind all diese Bereiche vernetzt. Die Debatte heute Morgen zur KI hat uns das noch einmal sehr deutlich gemacht. Das heißt aber auch: Unser ganzes Leben ist störanfällig, sofern nicht ein hinreichender Netz- und auch Datenschutz gewährleistet wird. Nun reden wir aktuell über 5G, also die fünfte Generation nicht nur von Mobilfunknetzen, sondern insgesamt von Datennetzen. Dabei wird der Finger gern mahnend Richtung China als technischem Anbieter gestreckt. Das mag berechtigt sein; aber genauso gut können wir in Richtung USA schauen, deren Überwachungsmaschinerie riesig ist, wie wir spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden wissen. Und mancher hier im Saale könnte sich auch an die eigene Nase fassen, wenn es um Befugnisse für unsere Sicherheitsbehörden geht. Die Gier nach persönlichen, also eigentlich geschützten Daten, ist auch bei deutschen Sicherheitsbehörden groß. Der Kollege Höferlin hat den ganzen Katalog von Fragen aufgezählt, die hier zu klären sind. Also lassen Sie uns endlich über eine Strategie reden und Maßnahmen miteinander treffen! ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Petra Pau. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Stefan Rouenhoff. ({0})

Stefan Rouenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004867, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der CDU-Bundesparteitag hat am 23. November beschlossen: Über den 5G-Netzausbau muss im Deutschen Bundestag entschieden werden. Wir debattieren heute hier im Bundestag. Das ist ein erster Schritt. ({0}) Weitere Schritte werden folgen. Das 5G-Mobilfunknetz wird im kommenden Jahrzehnt zum zentralen Nervensystem unseres Staates. Es wird alle Bereiche unserer Wirtschaft und Gesellschaft eng miteinander verzahnen. Das unterstreicht auch die völlig neue Dimension des 5G-Mobilfunknetzes. Umso wichtiger ist: Fremde oder gar undemokratische Staaten dürfen keinen Zugriff auf unsere 5G-Infrastruktur erlangen. Das erfordert eine sicherheitspolitische Bewertung; eine rein sicherheitstechnische Bewertung reicht hier bei Weitem nicht aus. ({1}) Dieser Punkt muss sich deshalb auch im zu überarbeitenden IT-Sicherheitsgesetz und in der Novelle zum Telekommunikationsgesetz wiederfinden. Meine Damen und Herren, in unserem Land höre ich häufig die Klage: Deutsche und europäische Spitzentechnologien wandern immer stärker ins Ausland ab. – Wenn das auch unsere Sorge hier im Bundestag ist, dann sollten wir beim 5G-Ausbau in Deutschland und Europa jetzt einen strategischen Ansatz verfolgen. Von den weltweit fünf Mobilfunkausrüstern, die derzeit für den 5G-Ausbau infrage kommen, stammen zwei Unternehmen aus der Europäischen Union – noch, muss man an dieser Stelle sagen; denn der Markt ist hart umkämpft, und nicht jeder Marktakteur unterliegt rein betriebswirtschaftlichen Kriterien. Das heißt im Umkehrschluss: Europäische 5G-Ausrüster können in nur wenigen Jahren aus dem Markt gedrängt werden. Das heißt, dass wir die europäische Industriepolitik auf den Plan rufen sollten. Denn wo, wenn nicht bei dieser kritischen Infrastruktur, sollten wir einen industriepolitischen Ansatz verfolgen? ({2}) Dabei geht es nicht darum, die Subventionsgießkanne auszupacken und staatliche Gelder an die 5G-Ausrüster in Europa zu verteilen. Es geht darum, europäische Anbieter beim 5G-Ausbau durch entsprechende gesetzliche Regelungen verstärkt zu berücksichtigen – im Interesse unserer inneren Sicherheit und Ordnung und im Interesse einer stärkeren technologischen Souveränität unseres Landes und der Europäischen Union. Meine Damen und Herren, wir müssen das 5G-Netz so sicher wie möglich machen. Ich bin mir sicher, dass die Fraktionen von Union und SPD hier schon sehr bald einen gemeinsamen Weg finden werden. ({3}) Ich lade alle anderen Parteien ein, an der Debatte weiter teilzunehmen ({4}) und den Antrag, der dann kommen wird, entsprechend mit auf den Weg zu bringen. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten! ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in der Debatte: Christoph Matschie für die SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte hat es jetzt noch mal klargemacht: Wenn es um die digitale Souveränität Deutschlands und Europas geht, steht das Thema 5G-Netzausbau ganz oben auf der Tagesordnung. Das ist auch nicht verwunderlich. Denn dieses Netz, das hier aufgebaut wird, wird so etwas wie das Nervensystem der modernen Wirtschaft und Gesellschaft. Die allermeisten Kommunikationen werden darüber abgewickelt werden, sei es unsere persönliche Kommunikation, sei es die in den Bereichen Verwaltungen, Dienstleistungen und Industrie bis hin zum autonomen Fahren. Das heißt: Wir haben es hier mit einer extrem kritischen Infrastruktur zu tun, und deshalb muss für diesen Bereich gelten: Oberste Sicherheit hat Priorität, und technologische Beherrschbarkeit durch uns selbst hat ebenso Priorität. ({0}) Was heißt das im Einzelnen? Die EU-Mitgliedstaaten haben eine gemeinsame Risikoanalyse zum 5G-Ausbau vorgenommen, und diese Risikoanalyse kommt zu einem sehr klaren Schluss, nämlich dass eine rein technische Sicherheit beim Ausbau von 5G nicht herstellbar ist. 5G ist einfach nicht nur ein ein bisschen schnelleres LTE, sondern eben eine grundsätzlich deutlich verbesserte Technologie mit einem sehr hohen Anteil an Software, der dabei eine Rolle spielt. Deshalb muss es neben technischen Sicherheitsanforderungen, die natürlich für alle Anbieter gelten, auch andere Sicherheitsanforderungen geben. Und da ist die gemeinsame Empfehlung der europäischen Mitgliedstaaten auch eindeutig: Es muss die Vertrauenswürdigkeit der Ausrüster für dieses Netzwerk geprüft werden. ({1}) Für die Vertrauenswürdigkeit gibt es sehr klare Kriterien. Dazu gehört zum Beispiel, dass kein anderer Staat unmittelbar Einfluss auf ein solches Unternehmen ausüben kann. Dazu gehört zum Beispiel, dass das Unternehmen rechtsstaatlich kontrollierbar sein muss. Dazu gehört unter anderem, dass die Eigentümerstruktur klar sein und das Unternehmen seine Beziehungen diesbezüglich offenlegen muss. ({2}) Das sind alles sehr klare Kriterien. Wenn man die anlegt, dann kommt man zu einem deutlichen Ergebnis, und das will ich auch aussprechen: nämlich dass chinesische Anbieter am Ausbau von 5G nicht beteiligt werden sollten. ({3}) Damit bin ich beim zweiten Punkt, nämlich der technologischen Souveränität. Europa muss selbst in der Lage sein, diese kritische Infrastruktur herzustellen und zu betreiben. Wir erleben in der letzten Zeit einen massiven Verdrängungswettbewerb. Ja, China hat sich vorgenommen, bis zur Mitte des Jahrhunderts die führende Kraft auf diesem Globus zu sein, und es unternimmt auch technologisch alles, um diese Führungsrolle auszubauen. Wir dürfen aber nicht einfach zuschauen, sondern wir müssen unsere eigene Strategie dagegensetzen und dafür sorgen, dass Europa technologisch unabhängig bleibt. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Matschie, kommen Sie bitte zum Schluss.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Und damit bin ich beim Schluss, Frau Präsidentin. – Einige sind ja der Meinung: Wenn man die chinesischen Anbieter ausschließt, dann kommen wir nicht schnell genug ans Ziel. – Wenn man in andere Technologiestaaten wie die USA oder Japan schaut, stellt man fest: Die bauen mit europäischen Anbietern ihr 5G-Netz aus und sind zum Teil schon weiter als wir. Also daran kann es nicht liegen. ({0}) Lassen Sie uns jetzt handeln! Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Christoph Matschie. – Letzter Redner in dieser Debatte: Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im nächsten Jahrzehnt wird die Frage der Cybersicherheit mit das bestimmende Thema werden. Digitalisierung und KI bringen große Chancen, die wir aber auch absichern müssen. Wir brauchen Sicherheit für den Einzelnen. Der Kernbereich der Persönlichkeit muss geschützt werden, also wenn es um digitale Krankenakten, E-Mails und das Einkaufsverhalten geht. Die Persönlichkeit kann vollständig vermessen werden. Deswegen ist die Frage des Schutzes eine der zentralen der Cybersicherheit. Es geht aber auch um die kritische Infrastruktur, nicht nur um Strom- und Versorgungsnetze, sondern auch um Nahrungsmittelketten, um Zulieferung und um unser Gesundheitswesen. Deswegen brauchen wir hier eine Fortschreibung des IT-Sicherheitsgesetzes, um das grundlegende Zusammenleben in unserem Land absichern zu können, und deswegen brauchen wir übrigens auch eine klare Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Es war falsch und es ist nicht in Ordnung, wie auch hier über unsere Sicherheitsbehörden gesprochen wird. Wir brauchen gerade aufgrund der Herausforderungen durch Terrorismus und Kriminalität einen Abgleich zwischen Freiheit und Sicherheit und rechtsstaatliche Befugnisse für unsere Behörden, um schwere Straftaten aufzuklären und zu verhindern. ({0}) Und ja, wir müssen auch über 5G reden. Es ist klar, dass dieses Netz mit das wichtigste Infrastrukturprojekt der nächsten Jahre werden wird. Es geht darum, ob wir als Industriegesellschaft den Anschluss schaffen oder den Anschluss verlieren. Das hängt auch vom Netzausbau ab; das ist gar keine Frage. Aber ich glaube, wir sollten über diese Frage sehr differenziert und besonnen sprechen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir zwischen dem Zugangsnetz und dem Kernnetz aufteilen. Je intensiver und sensibler die jeweilige Netzinfrastruktur wird, desto klarer muss ein Schutz gewährleistet sein: vor Zugriffen, vor Sabotage und vor dem Abfluss von Daten. Aber es geht nicht allein um die Frage, wie wir unser Netz vor Zugriffen schützen können, sondern auch darum, dass wir uns nicht in eine einseitige Abhängigkeit begeben dürfen. ({1}) Eine Monopolstruktur in diesem Bereich kann dazu führen, dass wir verwundbar werden. Das müssen wir unter allen Umständen vermeiden. ({2}) Es gibt aber noch weitere Fragen, meine Damen und Herren. Wir müssen uns fragen: Welche Fähigkeiten haben wir in Deutschland und in Europa selbst? Es geht um die Frage, ob wir imstande sind, ein Netz selbst zu bauen und zu betreiben, und zwar nicht in Abhängigkeit von einem Unternehmen, sondern durch technologische und intellektuelle Souveränität in Europa. Diese Frage werden wir in den nächsten Jahren noch deutlicher zu diskutieren haben. Wir müssen uns fragen: Welche industriepolitische Strategie braucht es, um Europa im Bereich der 5G-Netze – und perspektivisch auch der 6G- und 7G-Netze – zu einem Weltmarktführer zu machen? Welche Fähigkeiten brauchen wir dafür? Was müssen wir heute im Bereich Wirtschaft, aber auch in den Bereichen Bildung und Forschung tun, um hier deutlich vorne zu liegen? Das wird die große industriepolitische Frage des kommenden Jahrzehnts sein, und die müssen wir für uns positiv beantworten. Das gelingt nicht mit kurzfristigem Denken, sondern wir müssen klar und deutlich machen, dass wir bei diesem Thema nicht naiv sein dürfen, meine Damen und Herren. ({3}) Insgesamt gilt: Wir müssen das Thema 5G im Gesamtzusammenhang diskutieren. Wir müssen über Zertifizierung, über Verschlüsselung, über Softwarecodes sprechen, aber insgesamt eine klare Haltung haben, dass die digitale Souveränität unseres Landes im Mittelpunkt steht. Herzlichen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Volker Ullrich. – Damit schließe ich die Aussprache.

Martin Hebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004740, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Jahr ist es her, dass wir hier über den Globalen Pakt für Migration diskutiert haben; ({0}) Sie erinnern sich, auch wenn es einigen von Ihnen unangenehm sein dürfte. ({1}) Im Windschatten dieses Globalen Pakts für Migration ist auch der Globale Pakt für Flüchtlinge verabschiedet worden. Gerade erst diese Woche fand das Globale Flüchtlingsforum in Genf statt. Es ist ein von Deutschland – genauer gesagt: vom Auswärtigen Amt, von Herrn Maaßen – veranstaltetes Forum. ({2}) – Herr Maas. Entschuldigung. Danke, danke. – Herr Maas, der nun leider nicht da ist, hat hier weder vorab freiwillig über seine Aussagen und seine Zustimmung berichtet, noch würde er jetzt hier einen Bericht abgeben. Wir haben in Deutschland massive Probleme mit Migration. Gerade heute haben wir wieder gehört, dass durch einen statistischen Trick 350 000 Ausreisepflichtige, die sich illegal hier aufhalten, nicht als solche geführt wurden. Kann in deutschen Behörden ja mal passieren, dass man eine Großstadt übersieht. ({3}) Herr Maas stellt sich jetzt in Genf hin und bejubelt die Migration als komplett alternativlos. Und er bejubelt sie gemeinsam mit NGOs, mit Nichtregierungsorganisationen. Ohne die entsprechenden Zielländer einzubeziehen, ohne den Bundestag einzubeziehen, wird hier von NGOs und Herkunftsländern über die Zukunft der Zielländer wie Deutschland bestimmt. Denn es ging in Genf auch um ganz klare Verantwortlichkeiten, die dem Bundestag zukommen, und deswegen ist die Notwendigkeit einer Debatte im Bundestag gegeben. Es ging in Genf mal wieder um die Verwaltung der Migration. Es ging nicht um die Ursachenbekämpfung; es ging nicht um die Bevölkerungsexplosion gerade in Afrika; es ging nicht um die Geburtenkontrolle in Afrika – unter anderem dort –, nicht um die Bekämpfung afrikanischer Korruption und nicht um Waffenhandel. Nein, es ging definitiv wieder nur um die „begrüßenswerte“ Vorgehensweise bei der Migration. Jetzt gibt es Verpflichtungen im Rahmen von Projekten, die sich damit beschäftigen, wie die Lage der migrierenden Menschen zu verbessern ist, wie ihr Aufenthalt zu verbessern ist, wie auch die weiteren Fluchtrouten zu gestalten sind. Wieder gibt es keine Lösung für das Problem. Dafür werden 15 000 neue Stellen für NGOs finanziert, unter anderem natürlich mit unserer, mit Deutschlands Mithilfe. Meine Damen und Herren, ich war Ende letzten Monats auf einer der Fluchtrouten auf dem Balkan. Ich habe mir die Lage in Bihac an der Grenze zu Kroatien angeschaut. Dort sieht man Tausende junger Männer, deren einziges Ziel ist, nach Deutschland zu gelangen, Tausende junge Muslime, die unbedingt nach Deutschland kommen wollen, ({4}) die durch sechs bis sieben Staaten reisen, nur um ins deutsche Sozialsystem zu fliehen. Was hier veranstaltet wird, ist untragbar, ({5}) und es ist untragbar, dass so etwas auch in Genf nicht zur Sprache kam. ({6}) Es wurde keinerlei Lösungsansatz von Herrn Maas in Genf vorgestellt. Komplette Fehlanzeige! Stattdessen haben wir – deswegen der zweite Teil des Titels der Aktuellen Stunde – auch noch groben Unfug vom EU-Parlament vorliegen; denn aufgrund eines fehlerhaften juristischen Verständnisses gibt es eine Entscheidung des EU-Parlaments vom März 2019, veröffentlicht im Oktober, die ganz klar besagt, dass Grundrechte für Menschen afrikanischer Abstammung in Europa eingefordert werden. Das ist eine Entschließung, die ganz klar der bei uns geltenden Menschenrechtslage – laut Grundgesetz haben alle Menschen, gleich welcher Herkunft und Hautfarbe, gleiche Menschenrechte – widerspricht. ({7}) Warum um alles in der Welt braucht Europa extra Grundrechte für Afrikaner mit Gesetzeskraft für Schwarze? Man kann auch gleich sagen: Das ist ein rassendiskriminierendes Gesetz. Das ist doch grober Unfug, was das Europaparlament hier verabschiedet hat. ({8}) Und vor allem, meine Damen und Herren, wurde die Entschließung vom Deutschen Bundestag nicht behandelt und bisher keineswegs zurückgewiesen. Das ist das große Problem; das ist das Erschreckende, was hier passiert. ({9}) Unter Punkt 23 dieser EU-Entschließung steht – ich zitiere –: … unter Berücksichtigung der bestehenden Rechtsvorschriften und Verfahren [ist] … – von den Mitgliedstaaten, somit auch von Deutschland – … dafür zu sorgen, dass Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber auf sicherem und legalem Wege in die EU einreisen können. Unvorstellbar! Hier wird komplett negiert, welche Probleme momentan schon existieren. Kein Wort zur Integration. Ganz im Gegenteil: Dort wird noch postuliert, dass die Beziehung zwischen Minderheitengemeinschafen, besonders schwarzen Gemeinschaften und Menschen afrikanischer Abstammung, und Sozialbehörden zu verbessern ist. ({10}) Das steht wörtlich in diesem Antrag. Meine Damen und Herren, das ist unzuträglich. Es besteht die dringende Notwendigkeit, dass dieser Deutsche Bundestag im Interesse Deutschlands seiner Pflicht nachkommt und dieses Vorgehen der EU zurückweist. ({11}) Vielen Dank. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Ursula Groden-Kranich. ({0})

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben soeben zum wiederholten Male ein Sammelsurium der kruden Vorstellungen der AfD gehört. ({0}) Trotz aller Antworten, die Sie geben: Obwohl Sie im Juni eine Einladung erhalten haben, um als Abgeordnete der AfD beim Flüchtlingsforum mitzudiskutieren, war kein einziger Vertreter Ihrer Fraktion vor Ort. ({1}) Also, es kann Ihnen ja gar nicht wirklich um die Sache gehen. Sie vertun jedes Mal die Chance, das Thema aktiv mitzudiskutieren und mitzuentscheiden; aber das sind wir ja von Ihnen gewöhnt. ({2}) Inhaltlich hat Bundesaußenminister Heiko Maas in seiner Eröffnungsrede des Globalen Flüchtlingsforums am Dienstag alles Wichtige gesagt. Ich kann mich seiner Kernaussage nur anschließen: Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen. ({3}) Wir brauchen mehr internationale Zusammenarbeit und mehr Multilateralismus. ({4}) Statt dass diejenigen Mitglieder Ihrer Fraktion, die einen Migrationshintergrund haben und die Freiheit und Sicherheit unseres Landes schätzen, dies auch anderen Menschen gönnen würden, schotten Sie sich ab. ({5}) 70 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt ist Frau Groden-Kranich dran.

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber nur 20 Prozent der 193 Staaten beteiligen sich an deren Versorgung. Eine Lösung dieses Dilemmas wäre im Prinzip so simpel wie naheliegend: Wenn mehr Nationen an mehr Punkten mit Hilfe ansetzten, wären die Lasten insgesamt für alle leichter zu tragen. ({0}) Vorschläge wie zum Beispiel neue regionale Unterstützungsplattformen und mehr Resettlement-Plätze sind daher absolut unterstützenswert. ({1}) – Was schreien Sie denn so? Komisch, es gibt zwei Themen, bei denen Sie wie wild reinschreien. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt reicht es aber. Jetzt sind Sie mal ganz still da in der ersten Reihe. Wir werden uns das im Protokoll ansehen. Sie halten sich jetzt zurück. – Jetzt ist Frau Groden-Kranich dran. ({0})

Ursula Groden-Kranich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004280, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein erklärtes Ziel des Globalen Pakts für Flüchtlinge ist, die Eigenständigkeit von Flüchtlingen zu fördern. Für mich die sinnvollste Art, dies zu tun, ist, Perspektiven zu bieten, und zwar durch Bildung. Dieses Thema haben wir auch im Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik immer wieder auf der Agenda; aber bei der so wichtigen Sitzung am 9. Dezember, als Bundesminister Gerd Müller gerade zum Thema Afrika da war, haben Sie ebenfalls mit Abwesenheit geglänzt. Wir haben gehandelt; daher nimmt Bildung auch im Haushalt 2020 zu Recht einen wichtigen Raum ein: unter anderem 13 Millionen Euro für die Deutsche Akademische Flüchtlingsinitiative Albert Einstein, über 10 Millionen Euro für die Philipp-Schwartz-Initiative der Humboldt-Stiftung, ({0}) die Aufstockung um 16 Millionen Euro für das Programm „Education Cannot Wait“ für Kinder und Jugendliche in Konfliktgebieten. Zum Schluss. Es ist doch bemerkenswert, dass gerade heute vor Weihnachten das Thema Flüchtlinge in mehrfacher Weise von Ihnen ins Plenum gebracht wurde. Ist das nicht ein Fall von unfreiwilliger Ironie? Maria und Josef waren Flüchtlinge. ({1}) Jesus wurde als Flüchtlingskind geboren. In Bethlehem im heutigen Westjordanland, in Palästina ist die Flüchtlingsproblematik auch 2 000 Jahre danach leider immer noch genauso aktuell. Das Christentum und die Botschaft des Neuen Testaments beginnen mit und beruhen auf einer Flüchtlingsgeschichte. Ich empfehle das Lesen der heutigen Ausgabe der „FAZ“, die unter der Überschrift „Das Licht der Erkenntnis“ die Fluchtbewegung von Beamten in der AfD zum Thema macht. ({2}) Uns allen wünsche ich besinnliche Weihnachten. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Ursula Groden-Kranich. – Nächster Redner in der Debatte: Ulrich Lechte für die FDP-Fraktion. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste oben auf den Rängen! Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe. Daher ist es eigentlich schön, dass wir uns beim letzten Tagesordnungspunkt vor Weihnachten mit dem Schutz von Flüchtlingen beschäftigen, also jenen Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, weil sie dort nicht sicher sind, Menschen, die unserer Hilfe bedürfen. Das könnte eigentlich ein schönes Zeichen für Nächstenliebe zum Weihnachtsfest sein. ({0}) Nur leider hat die AfD ganz andere Ziele mit der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes. Sie hat den Titel gewählt – wir alle können ihn hier lesen – „Das Globale Flüchtlingsforum in Genf und ein Grundrechtekatalog für Menschen mit afrikanischer Abstammung“. Der Kollege, der vorhin gesprochen hat, hat natürlich auch gleich wieder den Global Compact angeführt. Wir alle erinnern uns: Darüber haben wir hier genau vor einem Jahr diskutiert. Sie haben damals einen Riesenzirkus veranstaltet; das hat die Menschen in der Republik ganz kirre gemacht. Und am Ende ist es in diesem Jahr nicht so gekommen, wie Sie es vorhergesagt haben. ({1}) Was machen wir also heute hier? Eine weitere parlamentarische Märchenstunde auf Antrag der AfD. Wie schön! ({2}) Was es gibt, ist eine Internationale Dekade für Menschen Afrikanischer Abstammung. Diese wurde 2013 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen, um rassistische Diskriminierung zu bekämpfen. Dabei wurde der Fokus auf eine Gruppe gelegt, die besonders von rassistischer Diskriminierung betroffen ist; denn Menschen afrikanischer Abstammung sind in vielen Teilen der Welt häufig die Nachfahren von Sklaven. Und dieses Unrecht der Sklaverei in der Vergangenheit hat allzu oft noch Nachwirkungen bis in die Gegenwart. Wer sich in den USA auskennt, weiß, dass es dort noch immer Unterschiede zwischen schwarz und weiß gibt. ({3}) – Du hast völlig recht, Kathrin: Die Wiege der Menschheit liegt in Afrika. Wir kommen alle dorther. Diese Nachwirkungen der Sklaverei gibt es in vielen Teilen der Welt. Deshalb gibt es einen Beschluss des Europäischen Parlamentes zu den „Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung in Europa“ vom 26. März 2019. Auch in diesem Beschluss gibt es keinen „Grundrechtekatalog für Menschen mit afrikanischer Abstammung“. ({4}) Es geht darum, dass Menschen mit afrikanischer Abstammung in Europa genau die gleichen Grundrechte haben wie alle anderen Europäer auch. ({5}) Aber sie sind besonders stark Rassismus ausgesetzt. Daher ist es völlig berechtigt, besondere Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus zu ergreifen. Das lasse ich mir von Ihnen nicht als umgekehrte Diskriminierung zerreden. ({6}) Daher freut es mich, dass beim Globalen Flüchtlingsforum Finanzierungszusagen in Höhe von insgesamt 5 Milliarden US-Dollar gemacht wurden. Dazu zählen auch Zusagen in Höhe von 250 Millionen US-Dollar von der Privatwirtschaft. Die Bundesregierung weiß – ich thematisiere das immer wieder; Frau Müntefering ist leider gerade nicht da, aber sie kann es ja im Protokoll nachlesen –: Wir haben auf dem Humanitären Weltgipfel in Istanbul die Zusage gemacht, dass wir den Anteil der flexiblen Gelder für humanitäre Hilfe auf 30 Prozent der Gesamthilfen erhöhen. Das haben wir aber nach wie vor nicht gemacht. Das ist aber wichtig, weil in Krisen oftmals nicht genügend Zeit für lange Verhandlungen von Finanzierungen auf Geberkonferenzen ist. Stattdessen müssen Gelder flexibel verfügbar sein, um schnell und unbürokratisch zu helfen. ({7}) Aber leider haben wir zuletzt nur 15 Prozent unserer Mittel an das Flüchtlingshilfswerk UNHCR als flexible Mittel gezahlt. Der Änderungsantrag der FDP zur Flexibilisierung der Mittel für das UNHCR wurde in den Haushaltsberatungen – welche Überraschung – 2018, 2019 und 2020 jedes Mal abgelehnt. Somit liegt es jetzt wieder in der Hand des Auswärtigen Amtes – hallo, Frau Müntefering! –, das im Rahmen der Haushaltsdurchführung in die Hand zu nehmen. Deshalb ist heute mein Wunsch an den Weihnachtsmann, das Christkind oder an Heiko Maas – einer von ihnen muss ihn erfüllen; deswegen bitte ich Sie, ihnen das zu überbringen –, dass Deutschland endlich das 30-Prozent-Ziel für flexible humanitäre Hilfe einhält. Damit wünsche ich Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen im gesamten Haus, ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahrzehnt. ({8}) Ich freue mich auf spannende Debatten nächstes Jahr. Prost! ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Prost! Vielen herzlichen Dank, Ulrich Lechte. – Nächster Redner: Dr. Lars Castellucci, SPD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein Mann und eine Frau aus dem Nahen Osten sind auf der Flucht mit ihrem neugeborenen Kind. Hinter ihnen wüten die Mörder, die alle Kinder töten sollen, die den falschen Glauben haben. Sie erreichen das Nachbarland, sie finden dort keine Sicherheit. Es treibt sie weiter, beinahe geraten sie zwischen die Kämpfe, die dort gerade wieder aufflammen. Es geht nicht vor, und es geht nicht zurück. Da vertrauen sie sich Leuten an, die ihnen die Überfahrt über das Meer versprechen. Als das überfüllte Boot kentert, ist keine Rettung in Sicht, nicht in dieser Jahreszeit und auch deshalb nicht, weil die europäische Mission unterbrochen wurde und weil die privaten Helfer in ihrer Arbeit behindert werden und nicht überall gleichzeitig sein können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob es die Heilige Familie im Jahr 2019 schaffen würde, sich in Sicherheit zu bringen, ({0}) das können wir nicht wissen. Aber wir können wissen, was unsere Aufgabe ist, nämlich dafür zu sorgen, dass sich Menschen, die verfolgt sind, die in Not sind und die bedrängt sind, in Sicherheit bringen können. In dieser Aufgabe dürfen wir nicht nachlassen. ({1}) Kardinal Marx hat das am Wochenende in fünf Prinzipien zusammengefasst. Erlauben Sie, dass ich sie kurz nenne: An unseren europäischen Außengrenzen kommt niemand zu Tode. Jeder, der an die Grenze kommt, wird menschenwürdig behandelt. Jeder Asylsuchende bekommt ein faires Verfahren. Niemand wird zurückgeschickt, wo Tod und Verderben drohen. Und wir tun alles in den Herkunftsländern der Migranten, dass dort Perspektiven für die Menschen sind. Ich finde, wenn man schon das christliche Abendland bemüht, dann kommt man an diesen Sätzen nicht vorbei. Denn sie drücken klar und einfach aus, was die Werte sind, die uns in dieser Weltregion, in Europa, leiten. ({2}) Gestern habe ich mit einem Teilnehmer des Globalen Flüchtlingsforums telefoniert. Er stammt aus meinem Wahlkreis, aus Sinsheim, und ist dort seit Jahrzehnten in der Integrationsarbeit engagiert. Als Mitglied eines weltweiten evangelischen Netzwerks war er einer von 3 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Er hat mir berichtet, wie er das Forum empfunden hat und was seine Erfahrungen waren. Ich habe ihn am Ende gefragt: Was ist das Wichtigste, das du mitnimmst? – Er hat gesagt, dass wir eine Verantwortung haben, zu unterstützen, dass wir nicht immer nur die Zahlen nennen dürfen. Wir müssen vielmehr auch immer daran denken, dass es Menschen sind, die sich ihr Schicksal nicht ausgesucht haben, und – das ist das Wichtigste – dass wir endlich legale Wege eröffnen müssen, damit sich die Menschen nicht zu todbringenden Reisen auf den Weg machen müssen. ({3}) Ich bin der Auffassung, dass die breite Mehrheit in diesem Haus den Forderungen dieses Teilnehmers zustimmen und sie unterstützen kann. Weil er in der Integrationsarbeit engagiert ist, will ich die Gelegenheit nutzen, noch etwas zu sagen. In Sinsheim sind beispielsweise ein Café für alle Menschen und ein Wohnhaus für Geflüchtete und Einheimische eröffnet worden. Das sind Orte, an denen man sich begegnet, an denen die Ängste heruntergefahren werden und wo Beziehungen wachsen können. Manche dieser Initiativen unterstützen wir in Form eines Projektes mit einer Anschubfinanzierung. Aber danach sind sie auf sich alleine gestellt und auf Spenden und ehrenamtliches Engagement angewiesen. Ich bin der Auffassung, die Menschen zusammenzubringen und Beziehungen zu fördern, ist kein Projekt; es ist eine Daueraufgabe in diesem Land, und wir müssen Wege finden, damit wir sie auch dauerhaft unterstützen können. ({4}) Das ist heute absehbar die letzte Debatte und auch der letzte Debattentag dieses Jahres, und ich frage mich und uns: Was soll eigentlich die Botschaft dieser letzten Debatte sein? ({5}) Soll sie Schreierei, Hass, Trennung oder Angst sein? Bitte nicht. Ich glaube, vier Tage vor Weihnachten können wir wissen, was die Botschaft dieser Stunde sein muss: nämlich niemanden zurücklassen, an der Seite der Schwachen, der Bedrängten, der Verfolgten stehen, egal wo sie herkommen, egal wer sie sind, und dass Frieden, Versöhnung und Verständigung möglich sind, wenn wir uns dafür einsetzen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein frohes Fest. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Castellucci. – Nächste Rednerin: Gökay Akbulut für die Fraktion Die Linke. ({0})

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben gehofft, dass die AfD uns diese Woche nicht ihren völkischen Nationalismus und Rassismus auf die Tagesordnung setzt, ({0}) aber dann haben Sie doch eine Aktuelle Stunde zum Globalen Flüchtlingsforum in Genf beantragt. Ihnen fällt einfach nichts Neues mehr ein, um im Grunde genommen Ihre Hetze und Ihre Verschwörungstheorien unterzubringen. Ihre Methoden sind uns ja bekannt. Denn schon Ende letzten Jahres haben Sie in Ihrer Aktuellen Stunde zum Globalen Flüchtlingspakt Ihre Kampagne mit Falschinformationen, Lügen und persönlichen Denunziationen verbreitet. Damals haben Sie über Drohszenarien Ihre Verschwörungstheorien propagiert. Herr Friesen von der AfD sprach von einem gigantischen Umverteilungsprogramm, mit dem weitere Flüchtlinge nach Deutschland und Europa umgesiedelt werden sollen. ({1}) Und was passierte? Nichts von dem, was Sie an Hetze und Fake News verbreitet haben. ({2}) Ich muss Ihnen sogar sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Es kommen nicht mehr Schutzsuchende nach Deutschland, sondern sogar sehr viel weniger – weniger als die Bundesregierung in ihrem eigens angelegten sogenannten Korridor für Zuwanderung festgelegt hat. Deutschland hat dementsprechend sogar noch Aufnahmekapazitäten. Dabei wäre es gut und wichtig, dass Deutschland Verantwortung übernimmt, so wie wir als Linksfraktion das mit unserem Antrag zur Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Schutzsuchender aus den Hotspots in Griechenland fordern. ({3}) Kapazitäten für eine Aufnahme gäbe es, und wie wir in den letzten Tagen und Wochen gesehen haben, wird die Situation vor Ort in Griechenland immer schlechter. Laut Berichten von Ärzte ohne Grenzen verletzen junge Menschen sich selber oder versuchen sogar, sich umzubringen. Diese Zustände sowohl in den Hotspots als auch an den Grenzen der Europäischen Union sind schlichtweg eine Schande für die EU. ({4}) Hotspots, die wie Gefängnisse aufgebaut sind, wo Menschen keine medizinische Versorgung erhalten und teilweise sogar in Schichten schlafen müssen, dürfen nicht Standard europäischer Flüchtlingspolitik sein. Wir haben jetzt Winter, und es gibt keine festen Unterkünfte vor Ort. Dabei besteht die reale Gefahr, dass Menschen sterben werden, so wie schon in den letzten Jahren. Gerade diejenigen, die am meisten unter diesen desaströsen Bedingungen leiden, also die unbegleiteten minderjährigen Schutzsuchenden, sollten hier aufgenommen werden. ({5}) Sehr geehrte Damen und Herren, das Globale Flüchtlingsforum dient dem Ziel, Flüchtlingsschutz international besser zu gestalten. Das begrüßen wir als Linke natürlich. ({6}) Es ist aber auch ein Schritt in die richtige Richtung, wenn Außenminister Heiko Maas in Genf auf dem Globalen Flüchtlingsforum mitteilt, dass Staaten sich solidarisch zeigen sollen und dass es insgesamt mehr Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen geben soll. Derzeit ist allerdings das Gegenteil der Fall, egal wo wir hinschauen. Immer mehr Staaten verweigern eine humanitäre Aufnahme und handeln häufig sogar völkerrechtswidrig, wenn Menschen ihre Grenzen überqueren. Da brauchen wir nicht weit zu schauen. Das kann man sogar innerhalb der EU beobachten. Blicken wir auf die Situation auf dem Balkan. Kroatien beispielsweise hat massive Völkerrechtsbrüche begangen, indem es Schutzsuchende gewaltvoll und unrechtmäßig im Rahmen illegaler Push-backs nach Bosnien-Herzegowina zurückgewiesen hat. ({7}) Und die kroatische Präsidentin gibt das in einem Interview sogar öffentlich zu. Das müssen Sie sich mal vorstellen: Das Land, das jetzt die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, begeht an den EU-Außengrenzen offen massive Menschenrechtsverletzungen, und Deutschland und alle anderen EU-Staaten schweigen einfach dazu. Wenn es um Flüchtlingspolitik geht, macht sich die EU auch weiterhin von Staaten wie der Türkei erpressbar. Das darf einfach nicht sein. Wir als Linke haben den EU-Türkei-Deal von vornherein kritisiert; denn er ist nichts anderes als ein Instrument, um Abschottungspolitik zu betreiben. ({8}) Deutschland und die EU dürfen in der Flüchtlingsfrage nicht weiter mit autoritären Regimen, wie dem der Türkei, das selbst völkerrechtswidrige Kriege führt und Menschen zur Flucht zwingt, zusammenarbeiten. ({9}) Aber nicht nur durch die Türkei, sondern auch durch Griechenland gibt es Rechtsbrüche. Im Rahmen dieses Deals sollen inzwischen von Griechenland über 60 000 Menschen illegal in die Türkei zurückgewiesen worden sein. Das, was wir brauchen, sind wirksame Mittel, um diese Rechtsbrüche von Staaten zu verhindern. ({10}) Deshalb brauchen wir eine Stärkung der individuellen Rechte von Schutzsuchenden auf europäischer Ebene, aber auch auf internationaler Ebene. Der Global Compact on Refugees und das Engagement im Rahmen des Globalen Flüchtlingsforums sind dabei wichtige Bausteine, und wir hoffen natürlich, dass sich die Situation für die betroffenen Menschen in den nächsten Jahren verbessern wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und eine schöne Weihnachtszeit. ({11})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Filiz Polat, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. ({0})

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Migration ist eine Tatsache; sie ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Flucht und Vertreibung prägten und prägen den Verlauf der Geschichte auf der ganzen Welt – auch die Europas und nicht zuletzt die des Abendlandes. Es gibt viele Flucht- und Migrationserzählungen. Am bekanntesten sind die Weihnachtsgeschichte und die Flucht der hungernden Israeliten nach Ägypten ins pharaonische Reich mit dem späteren Auszug des Volkes Gottes aus Ägypten. Deshalb stellt sich nicht die Frage, ob, sondern nur, wie wir Migration und Flucht begleiten, gestalten und leben. Meine Damen und Herren, weil Migration eine Tatsache ist, haben wir den Global Compact for Migration genauso begrüßt wie den Global Compact on Refugees; ({0}) denn erstmals haben sich die Länder auf einen umfangreichen Katalog von Maßnahmen zur Stärkung der Rechte von Migrantinnen und Migranten und auf ein erneuertes Bekenntnis zum Schutz der Rechte von Geflüchteten weltweit verständigt. Das ist ein wichtiger Meilenstein gewesen – und ein wirklich großer Erfolg. Wir Grüne stehen zu diesen Zielen und Maßnahmen und wollen, dass sich die Bundesregierung nicht nur zu den Compacts bekennt, sondern auch ihre Politik, Frau Müntefering, danach ausrichtet. Beispielsweise ist der Familiennachzug eine gute Möglichkeit, Menschen auf sicherem und legalem Weg Schutz vor Krieg und Verfolgung zu bieten, Herr Dr. Castellucci. Nicht einmal die zugesagten 1 000 Plätze monatlich für den Familiennachzug zu subsidiär Geschützten – wir haben es diese Woche im Innenausschuss noch mal gehört – können wegen der selbstgeschaffenen bürokratischen Hürden – vielleicht auch: bewusst selbstgeschaffenen bürokratischen Hürden – ausgeschöpft werden. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die Kontingentierung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten wieder abschafft. ({1}) Meine Damen und Herren, angesichts der zunehmend rassistischen und rechten Stimmung in Deutschland bin ich umso dankbarer, dass ich gemeinsam mit dem Kollegen Karamba Diaby über 40 Organisationen der Schwarzen in Deutschland zur Konferenz zur UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft, zur „PAD WEEK Germany – Anerkennung. Empowerment. Gerechtigkeit.“, im Deutschen Bundestag begrüßen durfte. ({2}) Trotz der wirklich erschütternden Berichte über Rassismuserfahrungen und des auslaugenden Kampfes um Anerkennung und Gerechtigkeit waren das große Engagement und die ansteckende Energie in Form klarer politischer Forderungen – auch an den Deutschen Bundestag – wirklich inspirierend und anspornend. Die gilt es jetzt, meine Damen und Herren, im Deutschen Bundestag umzusetzen. Meine Fraktion wird da engagiert vorangehen. ({3}) Auch vor dem Hintergrund dieser populistischen Stimmungsmache und Angstmacherei – das haben wir heute wieder erlebt – ist aber die Bundesregierung in besonderer Verantwortung, das Versprechen der pluralen Demokratie, die von Einwanderung geprägt ist und von Einwanderung profitiert hat, einzulösen. Es gilt, den Perspektiven und Erfahrungen der Menschen afrikanischer Abstammung, die seit Jahrhunderten zu Deutschland gehören, ({4}) mehr Beachtung zu schenken und die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft ambitionierter umzusetzen. ({5}) Meine Damen und Herren, abschließend zur Weihnachtszeit – einige sind ja noch nicht dazu gekommen, Geschenke zu kaufen – eine Buchempfehlung: Das Buch von Professor Thomas Söding, katholischer Theologe, trägt den Titel „Das Flüchtlingskind in Gottes Hand – Die Aktualität der Weihnachtsbotschaft“. ({6}) Vielleicht ein kleiner Auszug aus einem Interview mit Herrn Professor Söding, weil ich die Worte so treffend finde, auch für die Debatte, die heute von der rechten Seite hier angestoßen wurde – ich zitiere –: Wer vom christlichen Abendland redet und das als politische Parole verwendet, hat ja oft überhaupt keine Vorstellung davon, was zum christlichen Abendland gehört. ({7}) Das christliche Abendland lebt religiös und kulturell vom Morgenland. In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten! ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU. ({0})

Matern Marschall von Bieberstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004349, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man darf der AfD dankbar sein, dass sie zu dieser letzten Debatte vor dem Weihnachtsfest dieses wichtige Thema – die Situation der Flüchtlinge in der Welt – aufgerufen hat. Ich bin sehr froh, dass das auch die Gelegenheit eröffnet, an dieser Stelle einmal all denjenigen sehr ausdrücklich zu danken, die sich dort in der Vergangenheit und in der Gegenwart hilfreich und nützlich engagiert haben. ({0}) Das sind nicht nur die Organisationen der Vereinten Nationen – das ist nicht nur der UNHCR –, sondern das sind auch die UN-Blauhelme und insbesondere hier in Deutschland unsere christlichen Hilfswerke – Caritas international, Misereor, Brot für die Welt; um nur einige zu nennen. Was die Unterstützung von Flüchtlingen im Inland angeht, sind das aber insbesondere auch Menschen vor Ort, in unseren Gemeinden, die sich seit Jahren ungeheuer engagiert dafür einsetzen, dass Flüchtlinge, Menschen, die hier Schutzrecht beanspruchen können, hier auch Integration, Bildung und Entwicklungschancen erfahren. Auch all diesen Menschen möchte ich heute sehr herzlich danken. ({1}) Die allermeisten Menschen, die sich auf der Flucht befinden, sind ja in der Nähe ihrer ursprünglichen Heimatländer. Der UN-Flüchtlingspakt hat zum Ziel, diese Menschen dort zu unterstützen, und das ist ganz wichtig, auch deswegen, weil unsere Möglichkeiten endlich sind, wie Joachim Gauck ja zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit gesagt hat. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch andere dazu ermutigen, ermuntern und auch befähigen, ihren Anteil an der Unterstützung von Flüchtlingen zu leisten. Auch dazu will der UN-Flüchtlingspakt beitragen. Auch das finde ich sehr bedeutend, weil das nämlich zeigt, dass einzelne Länder diese gewaltige Aufgabe selbstverständlich nicht alleine schultern können. Ich will aus diesem Grunde, Frau Kollegin von der Linken, auch noch auf Ihren Hinweis eingehen. Es ist selbstverständlich wichtig, auch Länder in der Umgebung der Europäischen Union zu ertüchtigen, ihre Unterstützung von Flüchtlingen weiterzuführen. Ich nenne hier einen schwierigen Nachbarn, die Türkei, die in den vergangenen Jahren entsprechend der Vereinbarung, die sie mit der Europäischen Union geschlossen hat, über 3,6 Millionen syrischen Flüchtlingen in ihrem Land Schutz gewährt hat – auch mit Unterstützung von UNICEF. Da geht es auch um die Einschulung und die Ausbildung der Kinder dieser Flüchtlinge. Hunderttausende können davon profitieren. Dieses Programm – da bin ich ganz sicher – müssen wir auch in der Zukunft weiter stärken, weil wir gesehen haben, wie stark der Druck ist, der sich auch im Augenblick wieder in Richtung Ägäis zeigt. Deswegen müssen wir den Menschen dort auch eine Perspektive geben, damit sie irgendwann hoffentlich in ihre Heimat zurückkehren können. Wir haben darüber gesprochen, dass wir – das ist in vielen Debattenbeiträgen angeklungen – hier auch über Werte sprechen. Wenn wir über Werte sprechen, dann, glaube ich, dürfen wir als Christdemokraten schon sagen, dass unsere Werte aus dem christlichen Menschenbild heraus entwickelt werden. Ich bin relativ sicher, dass auch der eine oder andere Kollege oder die eine oder andere Kollegin aus der AfD christliche Werte für sich in Anspruch nimmt. ({2}) Ich bin nicht ganz sicher, ob diejenigen, die glauben, christliche Werte zu vertreten, oder die das gerne würden, aus den Debattenbeiträgen, die wir bisher gehört haben oder die wir nachfolgend noch von der AfD hören werden, die Überzeugung ableiten werden, dass diese Partei christliche Werte glaubhaft vertritt. ({3}) Ich möchte einmal anregen, dass all diejenigen, die sich vertieft damit befassen, vielleicht einmal einen Blick nach Schnellroda werfen, um sich mal das sogenannte Institut für Staatspolitik anzuschauen, eine rechtsradikale Einrichtung, aus deren Vorstand Herr Lehnert unterdessen in Ihre politische Stiftung gewechselt ist. Beides sind Einrichtungen, die offensichtlich dem völkischen Flügel Ihrer Partei nahestehen. ({4}) Ich frage mich, ob all diejenigen, die glauben, dass Ihre Partei christliche Werte vertreten kann, diese Überzeugung weiter teilen, wenn sie sich damit befassen. ({5}) In diesem Sinne wünsche ich auch Ihren Wählern besinnliche Feiertage und ein wenig Zeit zum Nachdenken. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Gottfried Curio, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Globalen Flüchtlingspakt sollen wesentliche Fehlentscheidungen des Jahres 2015 für Deutschland in Stein gemeißelt werden. Er will Flüchtlinge international gerecht verteilen durch vermehrte Neuansiedlung, er will legale Aufnahmewege, und er will die Schaffung legaler Arbeitsmöglichkeiten für „Menschen, die unterwegs sind“. Ziel ist, jeden Binnenflüchtling in Innerafrika zum Problem Europas zu erklären. Resettlement meint die Aufnahme von Personen aus einem Staat, in dem sie schon sicheren Schutz genießen – ein Umsiedlungsprogramm nach Deutschland und Europa. Zunächst denkt UNHCR an knapp anderthalb Millionen Personen. Allerdings: Wenn Flüchtlinge nach Deutschland umgesiedelt werden, überweisen sie Geld nach Hause. Was macht man dort am besten mit dem Geld? Richtig, nach Deutschland migrieren. Da das Verteilungsprinzip, wie seit Jahren in Europa erprobt, nicht funktioniert, ist das Fazit: statt Verteilung wieder Aufnahme, vor allem durch Deutschland. Dem entspricht Heiko Maas’ Zusage einer fortschreitenden Ausweitung des Aufnahmeprogramms für die nächsten Jahre. Dabei sollte nicht vergessen werden: Unter den westlichen Industrieländern führt Deutschland – betreffend milliardenteure Flüchtlingsaufnahmen – bereits jetzt mit weitem Abstand das Ranking an. ({0}) Die Betroffenen sollten also nicht etwa heimatnah in einem Nachbarland unterkommen oder gar Binnenflüchtlinge bleiben, ({1}) sondern sie sollen aus ihrer kulturellen Gemeinschaft herausgelöst und über den Globus verteilt werden. Eine Rückführung nach Beendigung des Konflikts wird damit erheblich erschwert. Nicht Menschenmassen aber sollten über den Globus verschoben werden, sondern bestenfalls Hilfsgelder. ({2}) Denn solche Umsiedlung ist eine zutiefst inhumane bevölkerungspolitische Klempnerei. Sie bedeutet eine kulturelle und sprachliche Entheimatung der Betroffenen. Für die Aufnahmegesellschaft bedeutet sie soziale Nachteile, Gefährdung von innerer Sicherheit und innerem Frieden, Identitätsverlust, eine psychologische und materielle Überforderung. Es ist ein Wahnsinn an willkürlichen, unnötigen Belastungen für Deutschland – dieses reiche Deutschland, wo es keine Wohnungen gibt, keine Lehrer, keine Kitaplätze, aber Schulden und EU-Haftungen, marode Brücken, Straßen, Schulen, und unsere Alten ernähren sich an der Tafel. ({3}) Gegenwärtig wollen über 50 Prozent der jungen Menschen im arabischen Raum auswandern; 53 Millionen Menschen. Mehrere Millionen Menschen warten in syrischen Lagern auf ihre Umsiedelung nach Europa. Bei einer zu erwartenden Verdopplung der afrikanischen Bevölkerung auf 2,4 Milliarden Menschen bis 2050 dürfte allerdings als prominenter Fluchtgrund bald Überbevölkerung hinzukommen. Sicher wird auch die gerecht über den Globus zu verteilen sein. Diese Personen sollen umfassende Rechte in den Gastländern haben, Integration auf dem Arbeits- und Bildungssektor, Teilhabe am Bildungswesen, am Gesundheitswesen, Stipendien, Studentenvisa. Zitat: Gemeinsam können wir Ergebnisse erzielen, die das Leben von … Aufnahmegemeinschaften grundlegend ändern werden. In der Tat. Das steht wohl schon fest aufgrund der Überforderung von Schulen, Polizei, Justiz, von Wohnungsmarkt und Sozialsystemen, und das schon nur aufgrund der bereits hier befindlichen Flüchtlinge. ({4}) Und: Flüchtlinge und Aufnahmegesellschaft sollen sich gegenseitig anpassen. Wohlgemerkt: Auch wir sollen uns anpassen. Integration sei ein in beide Richtungen verlaufender Prozess, der von allen Parteien Anstrengungen erfordert – auch die Bereitschaft der Aufnahmegemeinschaft, den Bedürfnissen einer diversen Bevölkerung zu entsprechen. ({5}) Ein wahrlich pervertiertes Verständnis von Integration, was tatsächlich Egalisierung und Unkenntlichmachung der eigenen Kultur meint. ({6}) Dieser Pakt offenbart eine tiefe Nichtachtung der Demokratie – nicht überraschend bei „no nations, no borders“. Autonome Staaten stehen diesem Pakt im Wege, ebenso traditionsstarke Gesellschaften, die sich einer diesem Pakt inhärenten Unterordnung der eigenen Kultur widersetzen. ({7}) Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sagen: Wir haben wirklich genug von diesem ewig großtuenden, unstillbaren Spendierhosenkomplex einiger deutscher Gemüter, die auf ihren eingebildeten moralischen Feldherrenhügeln permanent mit anderer Leute Geld rettende Weltenlenkung betreiben wollen, statt sich um die wahren Probleme ihres eigenen Landes zu kümmern. Wir werden uns kümmern um die Probleme unserer deutschen Bürger und Steuerzahler, Autofahrer und Mieter, Schüler und Kitaeltern, Mütter und Rentner. Das, meine Damen und Herren, ist rechtes Gedankengut. Wir werden uns kümmern, und zwar in der Regierung – und das bald. Deutschland hat es verdient! ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben eigentlich das Parlament, damit wir mit Wortbeiträgen und Argumenten unterschiedliche Standpunkte austauschen. Wir führen keine Demonstrationen, ({0}) und wir fotografieren uns auch nicht gegenseitig. Wenn wir das jetzt für die letzten vier Wortbeiträge vor Weihnachten auch noch zustande bringen, dann sind die Wünsche für gesegnete Weihnachten, die jeder am Schluss seiner Rede ausspricht, auch ganz ehrlich gemeint. In diesem Sinne erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Karamba Diaby, SPD, das Wort. ({1})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kennen Sie Dr. Anton Wilhelm Amo? ({0}) – Ah ja, eine kennt ihn. – Der ghanaische Philosoph war der erste Mensch afrikanischer Abstammung, der an einer deutschen Universität – zufällig auch noch in meiner Heimatstadt Halle – studiert, promoviert und als Dozent gelehrt hat. In seiner Doktorarbeit untersuchte er die Rechte von schwarzen Menschen in Europa. Und: Ich spreche hier über das 18. Jahrhundert! Abgeordnete der AfD, alleine der Titel dieser Aktuellen Stunde verrät: Sie sind immer noch nicht in der Realität unseres Landes angekommen. ({1}) In Deutschland leben mehr als 1 Million Menschen afrikanischer Abstammung, und das nicht erst seit gestern. Menschen afrikanischer Abstammung gehören schon seit über 400 Jahren zu Deutschland und sind somit auch Teil der langen deutschen Einwanderungsgeschichte. ({2}) – Sie sollen zuhören, damit Sie verstehen, was ich sage. Ich weiß ganz genau, wovon ich rede. – Als Bildungspolitiker kann ich Ihnen nur empfehlen: Machen Sie Ihre Hausaufgaben, und belesen Sie sich. ({3}) Ungerechtigkeiten gegen Menschen afrikanischer Abstammung, also Versklavung und der Völkermord während des deutschen Kolonialismus, sind nicht nur die Ursachen für viele aktuelle Konflikte in Afrika, sondern auch für den Fortbestand rassistischer Ausgrenzung von Menschen afrikanischer Herkunft. Historische Ereignisse bilden immer auch Bezugspunkte, um heutige Auseinandersetzungen zu Ideologien der Ungleichwertigkeit zu verstehen und dagegen vorzugehen. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir insbesondere die Aufarbeitung des Kolonialismus verstärken wollen. ({4}) Dass die Vergangenheit Auswirkungen auf das Hier und Jetzt hat, belegen auch die Zahlen der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und unserer Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Menschen afrikanischer Abstammung sind besonders häufig Opfer rassistischer Gewalt. Bei vielen fehlt es an Rechtshilfe und finanzieller Unterstützung. Auch auf staatlicher Ebene berichten Verbände häufig von Missbrauch von Befugnissen in den Bereichen Strafverfolgung, Verbrechensverhütung und Einwanderungskontrolle. Unter anderem aus diesen Gründen wurde 2013 die Internationale Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft von der UN-Generalversammlung unter dem Motto „Menschen Afrikanischer Abstammung – Anerkennung, Gerechtigkeit und Entwicklung“ verabschiedet. Ich begrüße ausdrücklich, dass zur Umsetzung des Beschlusses in Deutschland einiges geschehen ist. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat in Kooperation mit der Zivilgesellschaft zum Auftakt der Dekade feierlich ins Familienministerium eingeladen. Einige Organisationen wie EOTO oder der Zentralrat der Afrikanischen Gemeinde in Deutschland werden vom Bund gefördert. Und: Erst im letzten Monat – das wurde von meiner Kollegin Filiz Polat angedeutet – habe ich im Rahmen der UN-Dekade zum Auftakt der „People of African Descent“-Week in den Bundestag eingeladen. Bei dieser Woche drehte sich alles um Menschen afrikanischer Abstammung. Zum ersten Mal haben über 150 schwarze Menschen ihren Forderungen hier im Bundestag Gehör verschafft. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist unerträglich, dass die einzige Antwort der AfD auf globale Herausforderungen immer Ausgrenzung ist. ({6}) Diese rassistische Ausgrenzung werden wir niemals zulassen. ({7}) Wir brauchen in Deutschland eine Gesamtstrategie der Umsetzung der UN-Dekade „Menschen Afrikanischer Abstammung“. Diese Dekade muss in diesem Haus und auch auf der Regierungsebene besser platziert werden. Wir müssen schwarze Menschen in Deutschland als Gruppe anerkennen, die der spezifischen Form des Antischwarzenrassismus ausgesetzt ist. ({8}) Alle demokratischen Parteien sind aufgefordert, Initiativen zur Förderung der politischen Beteiligung von Menschen afrikanischer Abstammung zu unterstützen und zu entwickeln. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Europäische Parlament hat im März 2019 die Resolution zu den Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung in Europa verabschiedet. 300 Jahre nach Anton Wilhelm Amo sollten wir das auch im Bundestag tun. Ihnen wünsche ich schöne Weihnachten und schöne Feiertage! ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vereinten Nationen haben am 17. Dezember 2018 den Globalen Pakt für Flüchtlinge mit übergroßer Mehrheit beschlossen, übrigens 94 Prozent aller UN-Staaten. Das ist deswegen geschehen, weil wir wissen, dass Flucht und Vertreibung weltweite Phänomene sind, bei denen eine Bekämpfung und eine Linderung der Not nicht möglich ist, wenn jedes Land nur für sich arbeitet. Der Schlüssel liegt vielmehr in der Kooperation. ({0}) Wenn ich jetzt hier, auch von der Seite der AfD, höre, was dieser Globale Pakt für Flüchtlinge alles sein soll, dann muss ich Ihnen zurufen: Sie sagen hier dem Deutschen Bundestag nicht die Wahrheit. Der Globale Pakt für Flüchtlinge umfasst nämlich vier Punkte, von denen Sie allenfalls einen Punkt genannt haben. Die vier Punkte sind: Erstens. Druck auf die Aufnahmeländer mindern. Zweitens. Eigenständigkeit von Flüchtlingen fördern. Drittens. Zugang zu Drittstaatenlösungen, sogenanntes Resettlement. Viertens. Bedingungen für eine Rückkehr in Sicherheit und Würde ermöglichen. Alle vier Punkte sind notwendig. ({1}) Es geht nämlich darum, dass wir wissen, dass wir eine globale Verantwortung haben. Dort, wo Menschen flüchten, müssen diese Menschen Schutz und Zuflucht finden, und zwar in Würde und Sicherheit. Aber Flüchtlinge brauchen auch Unterstützung: Sie brauchen Bildung. Wir brauchen mehr Investitionen in das UN-Food-Programm und in die UN-Flüchtlingshilfe. Wir müssen aber auch deutlich machen, dass natürlich bei aller Empathie die Aufnahmestaaten auch vor großen Problemen stehen. ({2}) Auch das sagt dieser Globale Pakt: Es geht nur zusammen, indem man nämlich diese Punkte gemeinsam und mit Empathie löst, und nicht, indem man die Menschen gegeneinander ausspielt. ({3}) Wenn Sie über Flüchtlingspolitik sprechen, dann muss auch erwähnt werden, dass die größte Herausforderung der letzten Jahre im Bereich der Flüchtlingspolitik eindeutig der schlimme Bürgerkrieg in Syrien war. Über 5 Millionen Menschen mussten sich auf die Flucht machen: in die Türkei, in den Libanon, nach Jordanien, und das alles, weil das mörderische Regime von Assad seine eigenen Bürger verfolgt, in Folterkeller sperrt und sein eigenes Volk mit Giftgas bombardiert. Das hat zur Flüchtlingsbewegung in Europa geführt. Dann ist es nur zynisch, wenn Sie zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren mit einer Parlamentsdelegation nach Syrien fahren und diesem Regime die Aufwartung machen. ({4}) Es geht Ihnen nicht darum, über Flüchtlinge und deren Schicksal zu sprechen. Es geht Ihnen auch nicht um die Aufnahmegesellschaft. Es geht Ihnen darum, durch eine falsche Erzählung Gift in die Gesellschaft zu spritzen. Aber wir sind dagegen immun, weil wir deutlich machen, dass wir eine humanitäre Grundhaltung haben. Wir wissen, dass wir die Probleme der Welt nicht dadurch lösen, dass die Menschen alle zu uns kommen. Deswegen müssen wir auch den Menschen vor Ort helfen: durch Bildung, durch Ernährung, durch die UN-Flüchtlingshilfe; das ist gar keine Frage. Aber die Menschen, die hier bei uns sind, die haben Würde und Anstand und Respekt verdient, und das ist das, was Ihnen den Menschen gegenüber fehlt. ({5}) Das gilt übrigens auch für die Diskussion um einen Grundrechtekatalog oder um die Wahrnehmung von Grundrechten von Menschen afrikanischer Abstammung. Da kann ich Ihnen nur eines sagen: Ich bitte, dass Sie sich über Weihnachten, wenn Zeit ist, einige wichtige Rechtstexte zu Gemüte führen. ({6}) Sie sollten beginnen mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Menschenrechte sind universell und nicht teilbar. ({7}) Das ist die Botschaft, die auch von dieser Debatte ausgeht: dass dieser Deutsche Bundestag sich hinter diese Menschenrechte stellt: hinter Würde, Respekt und einen toleranten und friedlichen Umgang. Herzlichen Dank und ein gutes neues Jahr! ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Frank Schwabe, SPD. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Eigentlich dachte ich, dass es fünf Punkte gibt, die uns hier einen sollten. Ich glaube, die gute Botschaft des heutigen Tages ist, dass diese Punkte den größten Teil des Hauses auch einen. Das Erste ist, dass das Asylrecht gilt, und zwar ohne Wenn und Aber. Das hat was mit unserer Geschichte zu tun, mit schlimmsten Zeiten, in denen Menschen aus diesem Land woanders, in anderen Ländern, Zuflucht gesucht und gefunden haben. Deswegen ist es für uns jenseits der internationalen Abkommen eine Verpflichtung, dieses Asylrecht zu gewährleisten. Das Zweite ist, dass wir alles tun sollten, um Konflikte auf der Welt zu minimieren. Denn das ist natürlich die Grundlage dafür, dass Menschen auf der Flucht sind. Derzeit sind 70 Millionen Menschen auf der Flucht: aus Syrien, aus Afghanistan, aus Venezuela und aus vielen anderen Ländern. Das Dritte, was uns eigentlich einen sollte, ist die Frage, dass wir im Sinne der Menschen und im Sinne der Minimierung von Konflikten natürlich wollen, dass die Menschen nahe an ihrer Heimat bleiben können, wenn sie fliehen. Die Menschen wollen ja gar nicht in andere Kontinente der Welt fliehen, wenn sie denn da bleiben könnten, wo sie sind. ({0}) – Diejenigen, die jetzt am meisten schreien, sind ja interessanterweise diejenigen, die die humanitäre Hilfe ablehnen, weil sie das als Regime Change verunglimpfen. – Also, insofern: Wenn wir wollen, dass Menschen in der Nähe des Ortes, aus dem sie flüchten mussten, bleiben können, müssen wir dafür sorgen, dass diese Menschen ordentliche Bedingungen haben. ({1}) Wir haben die Mittel für die humanitäre Hilfe gemeinsam, Opposition und Koalition gemeinsam, in den letzten sechs Jahren vervierfacht: auf 1,6 Milliarden Euro. Viertens. Allen, egal welche Meinung man zu Migration und Flucht hat, muss völlig klar sein: Wir wollen, dass die Menschen verteilt werden, weltweit und innerhalb der EU. Es ist nicht so, wie es immer wieder suggeriert wird, dass die Mehrheit der Menschen nach Deutschland kommt. 84 Prozent der flüchtenden Menschen flüchten in andere Entwicklungsländer, in Schwellenländer. Uganda, Äthiopien, Bangladesch, der Libanon, die Türkei, Kolumbien, das sind die Hauptaufnahmeländer von Flüchtlingen weltweit. Deswegen geht es darum, für eine vernünftige und gerechtere Verteilung zu sorgen. Fünftens. Es geht in der Tat darum, die individuelle Lage der Geflüchteten zu verbessern, sie in die Lage zu versetzen, ihre persönliche Entwicklung eigenständig gestalten zu können. Das ist eben nicht eine anonyme Masse von Menschen mit Gewalttäterfantasien oder Ähnlichem, sondern es geht um individuelle Schicksale. Wenn man sich diese individuellen Schicksale anguckt, wenn man wirklich den einzelnen Menschen anguckt, dann sieht man, welche erfolgreichen und sehr bewegenden Geschichten mit diesen einzelnen Menschen verbunden sind. Aus diesen fünf Gründen und weil darüber im größten Teil dieses Hauses Einigkeit besteht, sind wir als Bundesrepublik Deutschland in der Lage, diese Fragen international zu adressieren, und es ist richtig, das zu tun. Deswegen ist es gut, dass es das Globale Flüchtlingsforum gibt und Deutschland dabei eine führende Rolle gespielt hat. ({2}) Ich finde, diese Aktuelle Stunde bietet Gelegenheit, das gemeinsam zu würdigen. Welch Geistes Kind Sie von der AfD sind, sieht man an dem Themenmix, den Sie heute als Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung gesetzt haben. ({3}) Sie können ja alles auf die Tagesordnung setzen, aber was haben diese beiden Themen eigentlich miteinander zu tun? Das ist so, als würden Sie die Themen „5G“ und „Grundrente“ zusammen in eine Aktuelle Stunde packen. ({4}) Sie haben es vielleicht noch nicht verstanden – Sie haben ja schon einige Hinweise erhalten, dass Sie das mal nachlesen sollten –; aber wir reden darüber, dass wir Gruppen von Menschen auf der Welt helfen müssen, weil es eben gruppenbezogene Benachteiligung auf der Welt gibt: von Frauen, von Menschen mit Behinderungen und eben auch von Schwarzen. Deswegen ist es richtig, sich um die Grundrechte dieser Menschen, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte mit Füßen getreten wurden, besonders zu kümmern. Es ist begrüßenswert, dass sich das Europäische Parlament damit beschäftigt und der Bundestag eben auch. ({5}) Zum Schluss. Es hilft ja doch, weil der eine oder andere von Ihnen Ihre Fraktion und Ihre Partei verlässt, weil er vielleicht doch auf den richtigen Weg kommt. ({6}) Das bietet die Chance, über Weihnachten in sich zu gehen und zu überlegen, wie das mit Ihnen so ist. Ich überlege ja: Was ist bei dem einen oder anderen von Ihnen passiert? Was ist das für ein Hass, den Sie in sich tragen? ({7}) Es gibt die Weihnachtsbotschaft: Es gibt Erlösung, auch bei Hass im Herzen. ({8}) Deswegen wünsche ich in der Tat allen in diesem Hause, ({9}) allen Menschen, unabhängig von Religion, unabhängig von Hautfarbe, unabhängig von Gender, unabhängig von sexueller Orientierung, frohe Weihnachten. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frank Heinrich, CDU/CSU, ist der letzte Redner ({0}) in dieser Aktuellen Stunde. ({1})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemanden zurücklassen – das hat schon unser Kollege Castellucci vorhin gesagt –, das ist das Ziel der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Wir haben die Zahlen hier jetzt schon mehrfach ausgetauscht – diese Debatte wird ja weit erregter geführt, als ich gehofft hatte so kurz vor Weihnachten –: Weltweit sind 70 Millionen Menschen unterwegs, mehr noch, die meisten davon in ihren eigenen Ländern. Aber mindestens 25 Millionen verlassen ihre Heimat wegen Krieg, wegen Verfolgung, wegen Verletzung von Menschenrechten, und in ersten Fällen auch wegen der Folgen der Klimakatastrophe. ({0}) Es wurde gerade schon gesagt: Am 17. Dezember letzten Jahres wurde das globale Flüchtlingsabkommen abgeschlossen, mit dem die internationale Zusammenarbeit in Flüchtlingsfragen verbessert und eine bessere Verantwortungsteilung erreicht werden soll. In diesem Compact wurde ein ganz neuer Ansatz verfolgt: Geflüchtete sind in die Aufnahmegemeinschaften einzubinden, ihnen ist Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt zu bieten, ihnen ist die Möglichkeit zu geben, sich einzubringen, sich ein eigenständiges, neues Leben aufzubauen. Man beschloss, sich alle vier Jahre zu treffen, um die Erfahrungen miteinander auszutauschen. – Darum geht es in dem ersten Teil des Titels dieser Aktuellen Stunde, den Sie von der AfD gewählt haben. In den letzten Tagen fand das Globale Flüchtlingsforum in Genf statt, mit dem Ziel, alle Staaten, aber auch Vertreter von Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft an einen Tisch zu bringen, um konstruktiv zu werden. Es ging um den Austausch von Ideen, von Erfahrungen, von Konzepten, wie Flüchtlingen in den Erstaufnahmeländern geholfen werden kann. Es ging um Integration zum Nutzen der Geflüchteten wie auch der Gastländer, um das Ziel zu erreichen: Niemanden vergessen, niemanden zurücklassen. Denn die Gefahr des Zurückgelassenwerdens ist für Geflüchtete besonders hoch. In dem Weltbildungsbericht 2019 steht, dass besonders Kindern von geflüchteten Menschen das Recht auf hochwertige Bildung oft nur unzureichend gewährt wird; natürlich, weil das eine vulnerable Situation ist. Im Bereich Bildung haben wir in Deutschland sehr viel erreicht. In den zehn, zwölf besten Ländern, zum Beispiel in Australien, Ungarn oder Mexiko, wird längst nicht so viel investiert für Menschen, die migriert sind. Wir brauchen aber nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Vorhin wurde zweimal Lesbos angesprochen, eine Region in Europa, ein Hotspot der EU. Ein Mitarbeiter in meinem Büro hat gestern mit einem Sozialarbeiter in dieser diesbezüglich wirklich schwierigen Region Europas gesprochen und erfahren, dass trotz einer Kapazität für nur 3 000 Menschen die 18 000er-Grenze überschritten wurde. Rund 7 000 Menschen leben im Moment in Sommerwurfzelten in den Olivenhainen um das eigentliche Hotspotgelände herum, meist nicht mal mit einer Europalette drunter. Besonders schwer haben es die unbegleiteten Jugendlichen. Wir haben den Sozialarbeiter gefragt, welchen Weihnachtswunsch er hat: sich um diese Gruppe besonders zu kümmern. Niemanden zurücklassen! Aber davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Deshalb braucht es solche Konferenzen, um das zu untermauern und um uns gegenseitig zu überprüfen. Wir haben in Deutschland Geflüchtete aufgenommen. Wir haben einiges erreicht, und vieles läuft gut; aber es braucht das Benennen von Missständen, den internationalen Austausch, das Voneinanderlernen und eine Solidarisierung mit den Ländern, die viele Geflüchtete aufnehmen. In dem Text steht – das hat mein Kollege gerade vorgelesen –, dass es um die Hilfe vor Ort geht, damit die Not der Flucht gar nicht erst zutage tritt. In diesem Sinne hat das Globale Flüchtlingsforum in Genf diese Woche gute Arbeit geleistet, auch im Hinblick auf Länder, die gerade große Flüchtlingslager schließen wollen – ich denke an Dadaab in Kenia, das auf Ersuchen von Äthiopien schließen will –, weil wir unsere Tantiemen, unsere Anteile nicht bezahlt haben, wie schon 2015 im Zusammenhang mit Syrien; Deutschland übrigens ausgeschlossen. Wir müssen doch sagen, was international passieren muss. Wir müssen das doch einfordern. Sonst kommt das, was wir versprochen haben, nicht zustande. Dann gerät uns das außer Kontrolle. Wir müssen dafür sorgen, dass in Zukunft niemand zurückgelassen wird. Meine Damen und Herren Abgeordnete von der AfD, ich bedanke mich ebenso wie mein Kollege gerade dafür, dass Sie dieses Thema jetzt, kurz vor Weihnachten, auf die Tagesordnung gesetzt haben. Wir feiern hier – gestern haben wir das gemeinsam im Paul-Löbe-Haus gefeiert – die Geburt von Jesus als Mensch, der im Umfeld von Armut aufgewachsen ist, von Jesus, der bereits als Kleinkind Verfolgter war – immerhin sind Hunderte Gleichaltrige umgebracht worden –, von Jesus, der zum Flüchtling wurde – übrigens zum Flüchtling nach Afrika –, von Jesus, der sich Zeit seines Lebens für die Schwächsten und Ärmsten der Gesellschaft eingesetzt hat und dabei nicht nach Nationalität und Volkszugehörigkeit gefragt hat, von Jesus, der eben keinen zurückgelassen hat. Ist es nicht auch für Sie, die Sie das christliche Abendland so oft im Munde führen, an der Zeit, darüber nachzudenken, wie die Haltung Jesu war? ({1}) Auch uns geht es nicht in erster Linie darum, alle aufzunehmen. Es geht um die Haltung, mit der wir argumentieren, in der auch die Flüchtlingsdebatte in Genf geführt wurde.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege.

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen besinnliche und friedliche Weihnachten und Gottes reichen Segen, nicht nur dieses und nächstes Jahr, sondern auch im nächsten Jahrzehnt. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die Aktuelle Stunde ist beendet.