Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Wald lehrt uns Denken und Handeln in Generationen. Ein Baum, der heute gepflanzt wird, kann uns 80 Jahre und mehr zum Wohle dienen. Und der Wald ist ein Multitalent: Tieren und Pflanzen bietet er Lebensraum, Nahrung und Schutz. Er liefert uns Holz, Erholung und frische Luft. Der Waldboden nimmt den Regen auf. Er verhindert so, dass Hochwasser entstehen. Im Waldboden wird das Wasser gefiltert und gespeichert. Wälder sind schlichtweg unsere grüne Lunge. Sie speichern CO2 langfristig. Ohne unsere Wälder wären die CO2-Emissionen um 14 Prozent höher. Jeder Baum, liebe Kolleginnen und Kollegen, den wir heute nicht pflanzen, ist deshalb ein Versagen, ein Versagen, das die kommende Generation ausbaden muss.
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Wir brauchen den Wald heute, und wir brauchen ihn morgen. Knapp ein Drittel der Landfläche Deutschlands ist bewaldet. Er gibt mehr als 1 Million Menschen, gerade auf dem Land, Arbeit und Einkommen. Wir brauchen den Wald.
Aber der Wald braucht auch uns. Wir stehen am Ende eines schwierigen Jahres; das wissen wir. Wetterextreme und Klimawandel haben massive Spuren hinterlassen. Die Bäume sind nachhaltig gestresst und anfällig für Schädlinge. Stürme, Trockenheit, Wassermangel, Waldbrände, Befall durch Borkenkäfer oder Eichenprozessionsspinner – 180 000 Hektar Wald sind geschädigt. Das entspricht umgerechnet rund 250 000 Fußballfeldern.
Millionen Festmeter an Schadholz sind angefallen. Dadurch ist der Holzmarkt zusammengebrochen, die Preise sind eingebrochen, es gibt Probleme mit Lagerstätten, die Aufarbeitungskosten sind hoch. Unsere Waldbesitzer durchleben schwierige Zeiten. Ich bin allen, die im und mit dem Wald arbeiten, dankbar für ihren Einsatz. Danke für Ihren Einsatz für uns alle hier in Deutschland!
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Mein Dank gilt ganz explizit allen Waldbesitzern; denn 48 Prozent unseres Waldes sind im Privatbesitz. Unsere Waldbesitzer haben viel Geld investiert, und sie haben auch viel Geld verloren. Deshalb finde ich – das will ich hier an dieser Stelle sagen – das Gerede mancher Grünen wirklich unerträglich, die den Waldbesitzern Ausbeutung der Wälder und Holzplantagenbau vorwerfen.
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Wer nämlich heute den Waldbesitzern die Unterstützung verweigert, versündigt sich an den Kindern und Kindeskindern. Einfach die Hände in den Schoß zu legen und allein auf Naturverjüngung oder Verurwaldung zu warten, das ist unverantwortlich.
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Denn wer dem Wald jetzt nicht aktiv hilft, liebe Kolleginnen und Kollegen, der schiebt den Klimaschutz auf die lange Bank. Und das sind häufig diejenigen, denen es mit dem Klimaschutz nicht schnell genug gehen kann.
Wir als Bundesregierung und die Große Koalition haben umgehend pragmatisch, unideologisch und vorausschauend gehandelt.
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Ich will elf Punkte nennen:
Erstens. Wir haben bereits Ende 2018 eine neue Maßnahmengruppe zur Bewältigung von Extremwetterfolgen im Wald im Förderbereich Forsten eingeführt. So konnten schon sehr früh Unterstützungsmittel in den Ländern für Schadensbeseitigung, für Prävention und für Anpassung abgerufen werden.
Zweitens. Wir haben sehr schnell, auch mit den Kollegen anderer Ausschüsse, für steuerliche Erleichterungen gesorgt bei Schadholz und für sehr stark betroffene Forstbetriebe.
Drittens. Wir haben bei der Landwirtschaftlichen Rentenbank Kredite für Waldeigentümer zu günstigen Konditionen in einer neuen Fördersparte gebündelt und erweitert.
Viertens. Für Erleichterungen bei Abtransport und bei Lagerung von Kalamitätenholz haben wir auch gesorgt.
Fünftens. Ich will ganz klar Danke sagen: Danke an unsere Bundeswehr und an unsere Bundesverteidigungsministerin;
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denn mithilfe der Bundeswehr konnten an vielen Orten Käferholz abtransportiert und die Ausbreitung verhindert werden.
Sechstens. Wir alle wissen, dass das bis dahin vorgesehene Geld nicht reichen würde. Deshalb danke ich allen, die uns geholfen haben. Ich habe mich massiv dafür eingesetzt, dass wir Gelder aus dem Klimafonds erhalten – mit Erfolg. Wir werden jetzt über eine halbe Milliarde Euro für den Wiederaufbau und den Umbau unserer Wälder haben. Zusammen mit den Ländern werden das über die Kofinanzierung in der GAK etwa 800 Millionen Euro sein. Das ist Arbeit der Großen Koalition. Das ist nicht Reden. Das ist Handeln. Das ist Nachhaltigkeit. Das ist Zukunft.
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Mit dem Geld, liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen wir die Räumung von Schadholz. Im Übrigen will ich auch sagen: Es geht nicht um die Totalräumung von Totholz, wie immer wieder behauptet wird – das wäre auch ökologisch nicht sinnvoll –, sondern es geht darum, das Käferholz rauszuholen. Mit dem Geld unterstützen wir auch Lagerhaltung, den Waldumbau, die Aufforstung, die Wiederbewaldung, aber auch die Prävention.
Siebtens. Unsere Waldforschung geht weiter. Wir sind führend in Europa mit unserer deutschen Waldforschung. Wir wollen die Erhöhung der Kohlenstoffspeicherung.
Achtens. Es war ein guter und ein wichtiger Erfolg: unser Nationaler Waldgipfel. Wir haben alle Beteiligten an einen Tisch geholt und darüber entschieden, was bei der Wiederbewaldung unsere Leitlinien sind – unideologisch.
Neuntens. Es geht darum, unsere heimischen Bäume zu pflanzen, aber standortangepasste Mischwälder weiter so umzubauen, dass wir dort, wo es sinnvoll ist, auch auf andere Hölzer zurückgreifen können – ohne dabei ideologische Debatten gegeneinander zu führen. Sachlichkeit, Fachlichkeit, Wissenschaftlichkeit spielen hier eine Rolle. Das sind wir unserer kommenden Generation schuldig.
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Zehntens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Prozess begleiten wir engmaschig. Im Übrigen ist der Waldumbau nicht etwas, was jetzt neu erfunden wird. Über Jahrzehnte hinweg sind unsere Forstleute dabei, den Wald standortangepasst umzubauen, naturnah umzubauen. Das ist eine Generationenaufgabe. Aber ich meine, der Wald eignet sich nicht für parteipolitische Querelen und den Vorwurf, man würde den Wald nur ausnutzen.
Deshalb, sage ich, war es gut und richtig – letzter Punkt –, dass wir uns jetzt im PLANAK, in dem Ausschuss, der für die Verteilung der GAK-Mittel zuständig ist, auf wichtige Punkte geeinigt haben. Es wurden die Punkte des Waldgipfels aufgegriffen und umgesetzt. Wir haben uns unter anderem dafür entschieden, dass kleine Waldbesitzer höhere Fördersätze bekommen, dass die Entnahme von befallenen und befallsgefährdeten Bäumen förderfähig ist – genauso wie die Wiederbewaldung aus Naturverjüngung. Es geht auch um die standortangepasste Wiederbepflanzung.
Wir brauchen eines – das will ich abschließend sagen –: eine gemeinsame nationale Kraftanstrengung, um unsere Wälder wiederaufzubauen, um heute den Grundstein dafür zu legen, Klimaschutz nicht nur heute, sondern auch morgen zu machen, um Nachhaltigkeit – dieser Begriff kommt aus der Forstwirtschaft – aufleben zu lassen. Dazu gehört unsere Forschung. Dazu gehört auch das Bauen mit Holz. Dazu gehört eine nachhaltige Waldbewirtschaftung. Dazu gehört Augenmaß. Dazu gehören Planen, Handeln und der kommenden Generation mit Erfolg etwas in die Hände zu legen.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Peter Felser, AfD.
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Vielen Dank. – Guten Morgen! Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Zunächst möchte ich einmal kurz in Erinnerung rufen: Wenn wir heute über den deutschen Wald sprechen, wenn wir heute über den Zustand und die Zukunft des deutschen Waldes sprechen, dann geht es nicht um irgendein randständiges, zweitrangiges Politikfeld. Vielmehr ist eine erfolgreiche Forstpolitik ebenso wie eine zukunftsfähige Agrarpolitik von elementarer Bedeutung für die dringend erforderliche Revitalisierung des ländlichen Raumes in Deutschland.
Im ländlichen Raum ist unser Mittelstand verankert. Im ländlichen Raum finden wir das, was wir als „Heimat“ definieren, was ein ganz wichtiger Baustein unserer eigenen Identität ist. Wenn wir den ländlichen Raum stärken wollen, dann müssen wir gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Waldschäden zukünftig vor allem die Kleinwaldbesitzer wesentlich stärker als bisher unterstützen. Die Kleinwaldbesitzer brauchen wir auch für den dringend notwendigen Waldumbau.
Knapp ein Viertel der Waldfläche in Deutschland ist Kleinstprivatwald. Da reden wir von 1 bis 2 Hektar Wald, den die Menschen besitzen. Hier müssen wir es jetzt schaffen, diese Waldeigentümer zu einer aktiven Bewirtschaftung ihrer Bestände zu motivieren.
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Daher fordern wir in unserem Antrag ganz klar: Für Bund und Länder brauchen wir eine Initiative, eine Offensive. Die Klein- und Kleinstwaldbesitzer brauchen jetzt eine Vereinfachung der Förderrichtlinie nach dem Motto: schnell, gerecht und einfach. Weg mit bürokratischen Hürden! Schnelle Hilfe im und für den Wald!
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Aber, Frau Ministerin, es muss in diesem Zusammenhang auch endlich mal geklärt werden, wann und wie die auf dem Nationalen Waldgipfel, den Sie angesprochen haben, zugesagten Fördergelder auf die Fläche kommen sollen. Das muss man doch jetzt auch endlich mal den Waldbesitzern gegenüber transparent kommunizieren. Ein paar Mittel sind schon abgeflossen. Wann kommen die nächsten Mittel? Wird es März 2020? Oder wird es doch wieder verschoben? Auch die forstlichen Zusammenschlüsse, die forstlichen Gemeinschaften müssen jetzt unterstützt werden. Lassen Sie uns doch die bürokratischen Hemmnisse endlich abbauen! Lassen wir doch die Mittel endlich dorthin fließen, wo sie auch verwendet werden können!
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Förderung der Kleinwaldbesitzer: In den Anträgen der Linken und der Grünen findet man zu diesem Thema nicht sehr viel. Das war aber absehbar. Es mangelt doch bei Ihnen von der Linken traditionell an einem deutlichen Bekenntnis zu Grundeigentum.
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Sie, liebe Kollegen von den Grünen, machen mit Ihrem Antrag Ihrem Image als Verbotspartei wieder einmal alle Ehre. Sie wollen doch am liebsten jedem privaten Waldbesitzer vorschreiben, was er zu denken hat, welche Bäume er zu pflanzen hat und was er zu tun hat.
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Nicht mit uns!
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Mit Ihrer Urwald-Offensive – Sie nennen sie selber so – können Sie vielleicht Greta Thunberg und Rotkäppchen begeistern, aber mit Sicherheit nicht diejenigen Förster und Waldbesitzer, die jahrzehntelange Erfahrung in unserem Wald gesammelt haben und die das jetzt auch richtig umsetzen können.
Den gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD haben wir im Ausschuss aus sachlichen Erwägungen unterstützt. In Ihrem Antrag „Unser Wald braucht Hilfe – Waldumbau vorantreiben“ beschreiben Sie aber ein Problem, das Sie in den vergangenen Jahren selber verursacht haben. Sie fordern jetzt, im Jahre 2019, tatsächlich allen Ernstes, strukturelle Nachteile für Kleinwaldbesitzer auszugleichen, also das, was wir auch fordern, indem eine flächendeckende Beratung durch Forstämter sichergestellt werden soll. Also jetzt doch endlich!
Sie waren doch selbst jahrzehntelang für den Personalabbau und die Überalterung in den Landesforstbetrieben maßgeblich verantwortlich gewesen. Jetzt rufen Sie wieder nach dem Förster, den es so flächendeckend gar nicht mehr gibt. Aber ja: Genau diese Beförsterung müssen wir den Privatwaldbesitzern als Dienstleistung wieder zur Verfügung stellen. Ja, in dem Punkt haben Sie recht.
Aber lassen Sie mich zum Abschluss noch einen Appell an die Waldbesitzer richten: Lasst euch bitte die zugesagten Finanzhilfen von der Ministerin nicht als Danaergeschenk überreichen! Es kann nicht sein, dass mit diesen Fördermitteln jetzt auch in das Eigentum, in das Jagdgesetz eingegriffen wird. Sie wollen die Jagdgesetze ändern, Frau Ministerin. Jetzt ist plötzlich wieder das Wild schuld. Aber: Wald mit Wild, damit können wir den Wald umbauen. Dafür steht die AfD.
Ich bedanke mich.
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Nächster Redner ist der Kollege Dirk Wiese, SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2018: 32,4 Millionen Kubikmeter Schadholz. Eine Fläche von 3 300 Fußballfeldern – das als Vergleichsgröße – war von Waldbränden betroffen. 2019: ungefähr 105 Millionen Kubikmeter Schadholz. Abstrakte Zahlen! Aber jeder von uns, der momentan die Bilder aus dem Harz, aus Brandenburg und auch aus dem Sauerland bei mir in Nordrhein-Westfalen sieht, der weiß, dass die klimatischen Veränderungen, die wir haben und die durch die Borkenkäferkalamität verstärkt werden, massive Auswirkungen auf den Baum haben.
Alleine die Zahl, dass 11 Millionen Bäume in Nordrhein-Westfalen abgestorben sind oder teilweise vom Borkenkäfer befallen sind, zeigt die dringende Notwendigkeit, dass gehandelt werden muss. Es ist gut – das sage ich ganz zu Beginn –, dass diese Koalitionsfraktionen sich darauf geeinigt haben, fast 1 Milliarde Euro an Hilfsgeldern für den Wald zur Verfügung zur stellen.
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Wir können auch nicht mehr sagen, dass nur das Nadelholz betroffen ist. Wir sehen die massiven Schadauswirkungen auch beim Laubholz. Wir sehen in den Regionen unterschiedliche Kalamitätsbefälle. Es ist richtig, dass die schnelle Hilfe, die wir auf den Weg bringen, jetzt ankommt.
Es ist gut, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion bereits im Frühjahr ein Fachgespräch geführt haben mit Experten des Deutschen Forstwirtschaftsrats, der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft, des Bunds Deutscher Forstleute und anderen, in dem viele der Punkte, die wir in unserem Antrag aufgelistet haben – aber auch welche darüber hinaus –, zur Sprache kamen: Initiative zum Waldumbau, aber auch zur Stärkung des Holzbaus. Das wird jetzt auf den Weg gebracht. Das ist richtig.
Die Forderungen, die wir in unserem Antrag stellen, gehen in die richtige Richtung und sind teilweise schon jetzt in der Umsetzung. Wir fordern, Waldschäden zu beheben, Käferholz aus dem Wald herauszubringen und den Waldumbau hin zu klimatoleranten Mischwäldern über die GAK finanziell zu unterstützen und auf den Weg zu bringen. Wir fordern ebenfalls, das nationale Waldmonitoring auszubauen, um zukünftig bei Großschadensereignissen schneller handeln zu können, gerade in den Abstimmungsprozessen zwischen Bund und Ländern. Hinzu kommt die Forderung, eine Waldbrandpräventionsstrategie auf den Weg zu bringen und – auch das will ich gerne einräumen – gemeinsam mit den Bundesländern darauf hinzuwirken, dass wir mehr qualifiziertes Forstpersonal in den Landeseinrichtungen vorhalten. Das Personal muss dann auch vernünftig bezahlt werden. Ich glaube, hier ist einiges zu tun. Genauso müssen wir gemeinsam mit den Bundesländern daran arbeiten, den Holzbau zu stärken. Das ist gut für das Handwerk. Das ist gut für die Wirtschaft im ländlichen Raum. Hier gehen wir voran.
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Ich will mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen dafür bedanken, namentlich bei Alois Gerig, bei Hans-Georg von der Marwitz und bei Rainer Spiering.
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Ich glaube, uns ist es gelungen – an diesem Punkt möchte ich die Ministerin etwas korrigieren –, das BMEL vor uns herzutreiben. Denn als wir das Thema in den Koalitionsfraktionen erkannt haben, Alois Gerig, da war die Handlungsoption im Ministerium noch nicht so ausgeprägt.
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Darum ist es gut, dass das Parlament – hier die Koalitionsfraktionen – das Ministerium auf den richtigen Weg gebracht hat.
Was gibt es jetzt noch zu tun? Ich glaube, wir müssen den Blick dahin richten, dass es auch auf europäischer Ebene Gelder gibt, die wir zusätzlich für den Wald akquirieren können. Das bedeutet, dass wir möglicherweise Gelder aus der GAP, aus der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, für eine europäische Krisenreserve und gleichzeitig für die Förderfähigkeit von Agroforstsystemen bereitstellen können. Hier, glaube ich, müssen wir sehr intensiv schauen, dass wir diese Gelder auch für die heimischen Wälder akquirieren.
Auf nationaler Ebene, glaube ich, gibt es eine wichtige Baustelle, wo wir vorankommen müssen. Wir als SPD wollen das. Bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ müssen wir Verbesserungen hinbekommen. Es kann nicht sein, dass seit 2015 rund 440 Millionen Euro an Bundes- und Landesmitteln nicht abgerufen wurden. Wenn wir jetzt die Gelder für den Wald, Frau Ministerin, aus der GAK in die Fläche bringen wollen, müssen wir schauen, dass das Geld vor Ort ankommt. Es kann nicht sein, dass zum Beispiel Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren 95 Millionen Euro an Geldern nicht abgerufen hat. Wenn das Geld liegen bleibt, ist keinem geholfen. Das Geld muss in die Fläche kommen. Hier müssen wir gerade bei der GAK sehr intensiv hinschauen.
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Wir müssen es hinbekommen, dass die Gelder übertragen werden können, dass wir eine Überjährigkeit des Mittelabflusses haben. Ich bin sehr froh, dass einige Landesminister wie Reinhold Jost hier schon die Initiative ergriffen haben, sodass wir hier gemeinsam vorankommen.
Wir sind in diesem Jahr bei den Haushaltsverhandlungen – ich lasse es noch einmal Revue passieren – ursprünglich mit einem Haushaltsansatz von 76 Millionen Euro für den Bereich Wald gestartet; Uli Freese weiß das. Rausgekommen sind wir aber bei fast 1 Milliarde Euro. Da bedarf es einmal des Dankes an das Bundesfinanzministerium, das diese Gelder zur Verfügung gestellt hat, und auch an die Haushälter der Koalitionsfraktionen, die das möglich gemacht haben. Das ist ein Mittelaufwuchs um fast 920 Millionen Euro. Das ist richtig, und das ist gut.
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Umso wichtiger ist es natürlich, die Notfallmaßnahmen jetzt einzuleiten und den Waldumbau voranzubringen. Aber es ist auch wichtig – das will ich noch mal eindeutig erwähnen –, das Bauen mit Holz zu stärken. Es ist gut, dass gerade im Haushaltsansatz fast 55 Millionen Euro für die Förderung der Holzverwendung enthalten sind. Das stärkt die Wertschöpfungskette Holz. Das stärkt die Arbeitsplätze auch im ländlichen Raum, vor allem im Handwerk. Es ist gut, dass wir das geschafft haben und dass gerade auch das Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion zu Bewegung im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geführt hat.
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Nichtsdestotrotz: Die Aufgaben werden nicht kleiner werden. Wir müssen bei der Reform der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ noch einmal genau hinschauen, damit die Gelder im ländlichen Raum ankommen. Ich glaube, das ist gerade für diejenigen entscheidend, die davon profitieren wollen. Das ist der Klein- und Kleinstprivatwald, aber auch der Kommunalwald, den man nicht unterschätzen darf und nicht unerwähnt lassen sollte; er hat die gleiche Unterstützung verdient. Das sage ich als jemand, der aus der waldreichsten Stadt Deutschlands kommt: Brilon im Sauerland ist der größte kommunale Waldbesitzer. Auch hier sind die Herausforderungen enorm. Darum ist es gut, dass auch der Kommunalwald von diesen Geldern profitieren wird.
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Frau Bundesministerin Klöckner, ich will gerne noch einen Punkt ansprechen. Sie haben gerade in Ihrer Rede gesagt, dass es wichtig ist, jetzt unideologisch heranzugehen, und dass man bei der Wiederaufforstung das Nadelholz nicht vergessen darf. Das betrifft gerade die Douglasie. Ich habe eine Bitte aus nordrhein-westfälischer Perspektive: Reden Sie bitte mit der nordrhein-westfälischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerin.
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Denn die Förderrichtlinien Ihrer CDU-Kollegin in Nordrhein-Westfalen sehen vor, dass das Nadelholz nicht förderfähig ist und nicht unterstützt wird. Das ist genau die Ideologie einer CDU/FDP-Landesregierung, die gegen das Nadelholz ist.
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Das ist genau das, was Sie gerade kritisiert haben. Rufen Sie bitte bei Ihrer Ministerin in Nordrhein-Westfalen an,
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und stehen Sie an der Seite derjenigen, die Wald wirtschaftlich nutzen wollen, die Wald nicht stilllegen wollen. Ich bin überrascht, dass CDU und FDP das in Nordrhein-Westfalen machen.
Herzlichen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Frank Sitta, FDP.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die bedeutendsten Forstschäden der letzten 30 Jahre zu verzeichnen. Der anhaltende Befallsdruck mit Schaderregern und Krankheiten lässt befürchten, dass wir das Schlimmste noch nicht mal hinter uns gebracht haben. Der Agrarausschuss im Deutschen Bundestag hat schon vor eineinhalb Jahren vor den Folgen der Trockenheit gewarnt und uns auf das aufmerksam gemacht, was sich hier anbahnt und wie viele Hundert Millionen Euro Schulden inzwischen zum Tragen kommen.
Immerhin – das ist gut gewesen – gab es im Herbst den Waldgipfel. Toll war auch, dass Fachleute mit eingebunden waren. Aber viel mehr, liebe Ministerin Klöckner, wäre es doch angebracht gewesen, zur Abwechslung mal Ihre SPD-Amtskollegin Frau Schulze zu einer Einigung zu bewegen. Denn sie hat ihre Mission darin gesehen, in dieser Situation Waldstilllegungen zu fordern. Das ist doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, völlig abstrus.
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Wir schaffen so Wellnessoasen für den Borkenkäfer und verhindern eine aktive Waldbewirtschaftung.
In meinem Heimatland Sachsen-Anhalt sind die Schäden zum Beispiel im Harz immens. Die Nationalparkverwaltung des Harzes wirbt gar verniedlichend mit Berti Borkenkäfer, der nun endlich den verhassten Fichtenwäldern den Garaus machen soll. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine solche Politik ist ein Schlag ins Gesicht für jeden, der in Deutschland weiterhin versucht, nachhaltig Wald zu bewirtschaften.
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Waldschutz – das klang auch hier schon an – ist eben auch effektiver Klimaschutz. Aktiv bewirtschaftete Wälder binden nachweislich mehr CO2, gerade wenn Holz als Baustoff genutzt wird. Aber auch diese Klimaschutzleistung muss honoriert werden. Mehr als warme Worte finden die Waldeigentümer im Klimapaket der Bundesregierung aktuell nicht.
Es ist auch bezeichnend, dass die Koalition jetzt mit ihrem Antrag die Landwirtschaftsministerin zum Handeln auffordert; das hat man gerade gut mitbekommen. Aber, ehrlich gesagt, viele Maßnahmen hätten längst umgesetzt sein können, und viele der zahlreichen Prüfaufträge in Ihrem Antrag passen zur Weihnachtszeit; denn sie erinnern eher an einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann.
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Die Ministerin inszeniert sich hier heute – so kennen wir sie – als große Spendenverteilerin zu Weihnachten: 800 Millionen Euro für den Wald. Aber keiner weiß so richtig, wie das Geld effizient eingesetzt werden soll.
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Unsere Wälder zukunftsfit und klimaresistent zu machen, das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Die Forstwirtschaft möchte Wälder nachhaltig bewirtschaften. Dazu braucht es biotechnologische Innovationen und die Entwicklung robuster Sorten durch neue Züchtungsmethoden. Das alles muss endlich als Chance für den Wald erkannt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, „nachhaltig“ ist ein Begriff aus der Forstwirtschaft. Was die Koalition jetzt hier auf den Tisch legt, wird dem nicht wirklich gerecht, auch wenn manches in die richtige Richtung geht. Schon deshalb bin ich mir sicher, dass wir ähnliche Debatten hier recht bald wieder führen werden.
Herzlichen Dank und Ihnen allen frohe Weihnachten!
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Ministerin! Liebe Gäste! Die Situation im Wald ist in vielen Regionen in der Tat dramatisch. Das dokumentiert auch der gestern vorgestellte Waldzustandsbericht aus meinem Bundesland Brandenburg. 37 Prozent der Waldfläche sind deutlich geschädigt. Das ist gut ein Viertel mehr als im vergangenen Jahr. Nur noch 14 Prozent aller Probenbäume zeigten keine Kronenschäden. Diese Situation übertrifft übrigens noch das Anfang der 90er-Jahre beschriebene Waldsterben wegen Luftverschmutzung. Die Lage ist also wirklich ernst.
Dabei hatten noch 2014 die Ergebnisse der dritten Bundeswaldinventur positive Nachrichten gegenüber dem Berichtszeitraum zehn Jahre zuvor verkündet: Der Anteil der Laubbäume war gestiegen, die Wälder waren vielfältiger und naturnäher strukturiert. Die Waldfläche war konstant geblieben – davon kann man bei landwirtschaftlichen Flächen nur träumen –, und es war mehr Holz nachgewachsen, als genutzt wurde. Die Ende 2011 verkündete Waldstrategie 2020 schien also auf einem guten Weg. Auch der nun ebenfalls vorgelegte turnusmäßige Waldbericht für die Jahre 2009 bis 2017 liest sich heute wie aus einer anderen Welt. Denn nach mehreren Orkanen, zwei Dürrejahren und Waldbränden mit nicht gekanntem Ausmaß ist nichts mehr, wie es war, zumal die geschwächten Wälder auch noch gefundenes Fressen für diverse Forstschädlinge sind. Im Ergebnis ist also der scheinbar gerade erst gerettete heimische Wald nun wieder in Gefahr, und zwar in beängstigender Geschwindigkeit.
Ich bin mir leider überhaupt nicht sicher, ob wir dieses Mal die Ursachen wirklich schnell genug behoben bekommen. Denn eine Ursache ist auch der beginnende Klimawandel. Dem Wald droht, dass er jetzt die Zeche zahlt für unseren Lebensstil. Deshalb ist ein einfaches Weiter-so keine Option.
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Wer den Wald schützen will, muss zwingend das Klima schützen. Es gilt auch umgekehrt: Wer das Klima schützen will, braucht zwingend den Wald, und zwar nicht nur in Brasilien.
Deshalb muss jetzt auch schnell gehandelt werden, und leider auf sehr vielen verschiedenen Baustellen. Denn das gehört auch zur Wahrheit: Der Wald muss jetzt die Probleme ausbaden, die über längere oder kürzere Zeit einfach ausgesessen wurden. Spätestens seit dem Frühjahr ist die dramatische Entwicklung völlig klar. Die Linke hatte deswegen ein Soforthilfeprogramm beantragt. Leider wurde das vor der Sommerpause noch abgelehnt – verschenkte Zeit; denn die Maßnahmen, die unstrittig sind, könnten längst auf dem Weg sein.
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Aber gut, nun kommt relativ viel Geld. Ob das ausreichen wird, werden wir sehen. Aber es muss eben auch schnell kommen, und zwar nicht nur im Interesse des Waldes, sondern auch, weil ohne schnelle Hilfe viele Klein- und Kleinstwaldbesitzer und ‑besitzerinnen möglicherweise ihren Wald verkaufen müssen. Wer also weiter ein breit gestreutes Waldeigentum möchte und sichern will, der muss jetzt zwingend zügig handeln.
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Der erhöhte Fördersatz von 90 Prozent für Waldbesitz unter 20 Hektar ist ein richtiges Signal.
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Aber dass alles vorfinanziert werden muss, konterkariert dieses richtige Anliegen.
Und ohne einen Paradigmenwechsel in der Personalpolitik wird eben auch der Wald nicht gerettet werden. Denn der Personalabbau bei den Forstleuten über viele Jahre hinweg gehört in das Sündenregister der Vergangenheit. Der Wald braucht mehr und gut ausgebildete Forstleute, und diese müssen anständig bezahlt werden.
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Die vielen sterbenden oder toten Bäume sind aber auch ein großes Unfallrisiko. Die Berufsgenossenschaft hat gerade Alarm geschlagen. Auch deshalb brauchen wir für das viele Totholz Antworten. Es ist natürlich ökologisch wichtig und zwingend für den naturgemäßen Wald. Aber Unfall- und Brandrisiken müssen eben auch vermieden werden. Gleichzeitig muss das zusätzlich anfallende Holz verwertet werden, am besten als Baustoff. Aber auch bei diesem Thema sind wir meilenweit hintenan. Insbesondere bei den Bauordnungen müssen hier dringend die Bremsklötze gelockert werden.
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Aber auch die Holzindustrie ist aus meiner Sicht dringend in der Pflicht. Sie kann nicht weiter immer nur Nadelholz verarbeiten wollen, wenn aus ökologischen Gründen der Umbau zu Mischwälder notwendig ist.
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Aber in jeder Krise steckt ja auch eine Chance, und zwar so lange, wie sie nicht zur Katastrophe wird. Also: Wir müssen trotz des erheblichen Zeitdrucks wichtige Weichenstellungen und Neuausrichtungen vornehmen. Wälder zum Beispiel mit nur einer Baumart und einer Altersklasse sind eigentlich Baumplantagen und erhöhen das Risiko von Großschadenslagen. Aber welche Baumarten werden in welcher Mischung den zukünftigen Herausforderungen eigentlich gerecht und gewachsen sein? Offensichtlich ist selbst die Forstwissenschaft überrascht, welche Baumarten doch nicht so hitze- oder trockenresistent sind wie vermutet. Die Forderung nach standortangepassten Mischwäldern ist und bleibt selbstverständlich richtig. Aber was heißt denn das konkret?
Angesichts der hohen Schalenwildbestände stellt sich jetzt noch dringender die Frage, wie man den so wichtigen Baumnachwuchs vor dem Verbiss schützt. Ohne andere Jagdregimes – zumindest zeitweise – wird das nicht funktionieren.
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Und alles zu zäunen, ist ja schon finanziell keine Option. Laut Waldstrategie 2020 sollte in einem breiten Dialog ein neues Leitbild Jagd erarbeitet werden. Ich habe seitdem nie wieder was davon gehört, und die angekündigte Novelle zum Bundesjagdgesetz liegt auch nicht vor. Ja, ich weiß: Das ist ein heftig diskutiertes Thema, und die Wildforschung ist leider auch ein vernachlässigtes Gebiet. Aber es gibt Beispiele, in Brandenburg zum Beispiel, wie das funktionieren kann. Wissens- und Erfahrungstransfer ist also möglich und auch dringend nötig. Nur eins geht auf gar keinen Fall: Einfach so weitermachen und aussitzen.
Vielen Dank.
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Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Redner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ja, 80 Jahre sind viel. Aber mit 80 Jahren hat eine Eiche noch nicht mal ihre Pubertät erreicht. Und ja, wir brauchen den Wald. Wald ist Leben, Wald ist Klimaschutz. Aber dazu muss er intakt sein.
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Durch die Klimakrise mit Dürrejahren und Stressfaktoren sind unsere Wälder aber massiv bedroht. Viele haben das vorhin bedauert. Aber viel zu viele hier im Haus haben jahrelang den Klimaschutz verschlafen und verschleppt, und das wider besseres Wissen. Und dann rufen Sie jetzt hier: Haltet den Dieb!
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Das nehmen wir Ihnen nicht ab.
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Die beste Hilfe für unseren Wald bleibt wirksamer Klimaschutz. Der Wald braucht aber auch akut Hilfe. Sie, Frau Ministerin, schütten jetzt das Füllhorn aus. Ob das aber dem Wald hilft, das ist offen. Denn die Bundesgelder gibt es erst, wenn die Länder mitfinanzieren. Der Wald in Ländern mit knapper Kassenlage droht leer auszugehen. Sie haben mir schriftlich bestätigt, dass dann die Gelder in liquidere Länder umgeleitet werden sollen. Das, Frau Ministerin, ist doch ein schlechtes Bekenntnis zum Wald im ganzen Land.
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Der Geldsegen wird ohnehin nicht alle Probleme lösen. Ja, die Holzpreise sind im Keller, und viele Betriebe bangen um ihre Existenz. Aber allen Klagen und allen Reden zum Trotz tut die Bundesregierung viel zu wenig, um den Holzmarkt tatsächlich zu entlasten. Bauen mit Holz ist unbestritten eine Win-win-win-Situation: für den Holzmarkt, für den Klimaschutz und für die schnelle Schaffung von günstigem Wohnraum. Aber von einer umfassenden Holzbaustrategie wie in Baden-Württemberg oder wie in Schweden ist auf Bundesebene noch überhaupt nichts zu sehen, und es ist eine Schande, dass die Bundesregierung hier weiter mit Ressortgerangel Zeit verplempert. Legen Sie endlich los, Frau Ministerin! Setzen Sie sich durch gegen die Bremser in Ihren Reihen! Sorgen Sie für einen fairen Wettbewerb von Holz und auch für die Abschaffung der Steuervorteile für fossile Baustoffe!
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Bauen mit Holz setzt aber auch und unbedingt nachhaltige und naturverträgliche Waldbewirtschaftung voraus. Wir brauchen vielfältige standortangepasste Wälder als möglichst stabile Ökosysteme. Niemand kann mit Sicherheit sagen, welche Baumart in 50 oder 100 Jahren funktionieren wird. Niemand!
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Wunderbaumarten gibt es nicht. Jetzt panisch alles zu pflanzen, was einem vor den Spaten kommt, ist das Gegenteil von vernünftig.
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Also: Neuanpflanzungen sind teuer, und sie sind unsicher.
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Deshalb: Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass naturverjüngte Wälder widerstandsfähiger sind gegenüber Trockenheit und Schädlingsdruck. Sie sind genetisch vielfältiger. Deshalb müssen wir das Potenzial der Naturverjüngung, wo es irgend geht, nutzen, und wir müssen es maximal ausschöpfen.
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Unsere Bäume können viel mehr, als sie in der Baumschule gelernt haben.
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Geben wir ihnen die Chance dazu!
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Naturverjüngung, Frau Ministerin, heißt eben nicht, den Wald sich selber zu überlassen. Aber es geht eben darum, dass wir bei der Holzaufbereitung den Boden schonen, dass Jungwuchs auch aufkommen kann und dass das schnell geht. Denn wenn es schnell geht, Frau Ministerin, haben wir bald wieder schöne Waldbestände.
Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Sorgen Sie für eine faire und gezielte Verteilung der Waldhilfen für ökologisch intakte Wälder! Bringen Sie endlich eine Holzbaustrategie auf den Weg! Machen Sie Naturverjüngung zum Schwerpunkt der Waldpolitik! Verringern Sie den Wildverbiss! Und sorgen Sie für eine bodenschonende Waldwirtschaft! Dann kommen wir auf einen richtigen Weg. Was Sie bisher machen, ist ein Anfang. Die echten Aufgaben müssen Sie noch angehen.
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Alois Gerig, CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tannenbaum, gute Luft, Erholung, heimeliges Holzfeuer – es gibt unzählige Beispiele, die wir positiv mit dem Wald verbinden. Der Wald ist überall, und er ist frei zugänglich. Somit ist der Wald ein Stück Heimat für alle Bürgerinnen und Bürger bei uns in Deutschland.
Ja, schade, dass wir diese heutige Debatte unter einem negativen Aspekt führen müssen. Sie hat einen traurigen Anlass. Der Titel des Antrages der Koalitionsfraktionen lautet: „Unser Wald braucht Hilfe“. Nutzen Sie die Besinnung der Vorweihnachtszeit, liebe Kollegen, insbesondere von der Opposition: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Es ist ein richtig guter Antrag.
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Ich danke meinen Kollegen Wiese und von der Marwitz, dem ich gute Genesungswünsche von hier übersende, für die konstruktive Zusammenarbeit bei der Erarbeitung dieses guten Antrags.
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Ich danke unserer Bundesforstministerin Julia Klöckner und unserer Bundeskanzlerin dafür, dass sie sich so vehement dafür eingesetzt haben, dass wir dem Wald jetzt echt helfen können. Gemeinsam mit den Bundesländern geben wir annähernd 1 Milliarde Euro und die Hilfsmaßnahmen sind angelaufen. Es ist falsch, zu behaupten, da tue sich noch nichts. Es passiert ganz viel draußen in der Praxis.
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Herr Kollege Gerig, die Kollegin Leidig würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte, tun Sie das.
Vielen Dank, Kollege Gerig, dass Sie mir das ermöglichen. – Ich möchte Ihren Appell sozusagen auch gar nicht abschwächen, weil ich ihn sehr, sehr wichtig finde. Aber ich möchte eine Gegenbitte äußern. Sie haben ja gerade darum gebeten, dass wir den Schutz des Waldes unterstützen. Ich komme aus Hessen, und da ist gerade ein 100 Hektar großes Stück über 300 Jahre alter Wald akut in Gefahr, weil der Bundesverkehrsminister und leider auch das Landesverkehrsministerium darauf bestehen, dass die Autobahn A 49 weitergebaut wird,
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die schon lange von verschiedenen Bürgerinitiativen für überflüssig gehalten wird. Ich möchte Sie einfach bitten, dass Sie sich mit uns gemeinsam dafür einsetzen, dass alter wertvoller Wald nicht weiter geschlagen wird für Autobahnen,
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die wir, wenn wir die Klimaschutzziele ernst nehmen, in Zukunft nicht in größerer Zahl brauchen werden.
Diese Wortmeldung, liebe Kollegin, hat überhaupt nichts mit unserer heutigen Thematik zu tun.
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Ich will das hier auch nicht näher kommentieren, weil ich die Örtlichkeit und die Umstände überhaupt nicht kenne.
Mehr als 100 Millionen Festmeter Schadholz sind in unseren Wäldern. 180 000 Hektar sind allein in Deutschland geschädigt. Es braucht den engen Schulterschluss. Das geht nur, wenn der Bund und die Bundesländer zusammenstehen. Die Hilfsgelder müssen schnell und praxisbezogen dorthin kommen, wo sie dringend gebraucht werden: an die Basis.
Erste Priorität: Schadholzbeseitigung. Der Preisverfall ist eklatant. Wir müssen die Waldbesitzer und die Forstleute unterstützen, damit sie das Schadholz möglichst schnell aus den Wäldern bekommen. Es braucht Aufarbeitungshilfen. Nasslager müssen finanziert werden. Neue Absatzmärkte müssen geschaffen werden, zum Beispiel im Export.
Ja, wir brauchen die Holzbauoffensive. Das ist Bundesländersache. Baden-Württemberg zeigt, wie es geht. Lieber Kollege Wiese, Baden-Württemberg beispielsweise hat keine GAK-Mittel zurückgegeben. Bei uns wurden alle diese Mittel vom Forstminister ordentlich eingesetzt, wo sie gebraucht werden. Bauholz ist der beste CO2-Speicher. Wir müssen die energetische Nutzung von Schadrestholz ins Auge fassen. Es ist wichtig, dass auch dieses Holz genutzt werden kann.
Die Union hat dafür gekämpft, dass die Beiträge für die Unfallversicherung wiederum erhöht wurden. Es ist höchst riskant, was unsere Forstleute draußen leisten müssen. Auch ihnen möchte ich ein herzliches Dankeschön sagen.
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Wir müssen sie unterstützen, wo immer das machbar ist. Die Union ist ganz eng an ihrer Seite.
Die besondere Unterstützung der Kleinwaldbesitzer wurde angesprochen. Das ist in der Tat wichtig. Wir brauchen jetzt mehr Personal auch für das Schadmonitoring, damit die Waldbesitzer überhaupt darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihre Wälder krank sind und Bäume gefällt werden müssen.
Es braucht dringend einen Motivationsschub für die Wiederaufforstung. Allein mit Naturverjüngung, lieber Kollege Ebner, geht das eben nicht.
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Vor einem Jahr hätte sich noch niemand vorstellen können, dass sich gar Buche und Eiche mancherorts wegen Trockenschäden von uns verabschieden. Deswegen braucht es mehr Forschung. Es braucht Aufforstung. Es braucht ein enges Zusammenspiel. Populistische Sprüche bringen uns hier überhaupt nicht weiter.
Schützen durch Nützen geht nirgendwo besser als im Wald. Wald ist das Sinnbild für die Nachhaltigkeit. Es wäre ökologischer und ökonomischer Unsinn, wenn wir unsere Wälder verbuschen lassen. Dann helfen sie uns nämlich auch nicht beim Klimaschutz.
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Auch deswegen bitte ich darum, uns auch in diesem Bemühen zu unterstützen.
Welche Baumarten brauchen wir? Ich bin gespannt, was uns die Forschung da vorlegen wird.
Wir brauchen eine Förderung der Ökosystemleistung. Stichwort „CO2-Bepreisung“ – das Wort ist in aller Munde. Wir müssen diese auch in Bezug auf den Wald honorierend umsetzen.
Ich will, dass unsere Enkel noch Freude am Wald haben. Beide, unsere Enkel und der Wald, sind unsere Zukunft. Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Wilhelm von Gottberg, AfD.
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Herr Präsident! Frau Ministerin Klöckner! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute fünf Anträge, die alle das gleiche Ziel haben: Hilfe für den Wald. Über die Diagnose besteht also Einigkeit. Der Wald ist notleidend und bedarf einer Therapie. Die in den einzelnen Anträgen genannten Therapievorschläge sind zu einem erheblichen Teil ähnlich. Über das Ziel sind wir uns also auch einig: Wir wollen zukünftig und langfristig gewährleisten, dass der Wald seine positiven Funktionen für die Menschen sowie für die Tier- und Pflanzenwelt weiterhin erfüllen kann.
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Da sind zu nennen:
Erstens. Der Wald ist ein unverzichtbarer Klimaschützer.
Zweitens. Er ist ein unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor.
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Drittens. Er ist unverzichtbar für eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt.
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Viertens. Er ist Erholungsfaktor für die Menschen.
Fünftens. Er ist Bestandteil einer durch Menschen gestalteten, lebenswerten und abwechslungsreichen Kulturlandschaft.
Bei so viel Gemeinsamkeit muss es möglich sein, die erforderlichen Mittel aufzubringen, um den Wald gesund zu pflegen. Pflege kostet Geld. Wer wüsste das hier im Hause nicht? Die Herren Schirmbeck und von der Marwitz, beides Herren mit hoher Kompetenz für den Wald,
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sprechen von 2,3 Milliarden Euro, die kurzfristig bereitgestellt werden müssen. 2,3 Milliarden Euro! Wofür? Für zwei vorrangige Maßnahmen: erstens für das zeitnahe Herausschaffen des Käfer- und Sturmholzes aus dem Wald und zweitens für die Wiederaufforstung von 110 000 Hektar Kahlflächen. Ministerin Klöckner hat im September ein Wiederaufforstungsprogramm angekündigt. Wo bleibt es, Frau Ministerin? Nur ein lebender Wald und wachsende Bäume erfüllen die Klimaschutzfunktion des Waldes.
Das Schadholz muss schleunigst aus dem Wald entfernt werden. Ab 12 Grad plus wird der Borkenkäfer wieder aktiv und befällt weitere gesunde Bestände, wenn das befallene Holz nicht bis zum 1. April entfernt ist. Das meiste Schadholz liegt oder steht noch im Wald. Um diese eminent wichtige Aufgabe rasch zu realisieren, fordert die AfD-Fraktion eine Soforthilfe in Höhe einer kleinen zweistelligen Eurosumme pro Festmeter Schadholz für die Waldbesitzer.
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Es muss endlich etwas ankommen bei den Forstbetrieben – analog der Dürrehilfe im vorigen Jahr. Georg Schirmbeck, der Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates, sprach bereits am 12. April 2019 von einer Soforthilfe für den Wald und die Waldbesitzer von jährlich 100 Millionen Euro. Das war vor dem trockenen Sommer 2019, der die Schäden am Wald drastisch vergrößerte. Armin Laschet, Ministerpräsident in NRW, hat diesen Appell aufgegriffen. Er hat schon für 2019 10 Millionen Euro als Soforthilfe für die Waldbesitzer in NRW bereitgestellt. Er hat ausdrücklich vermerkt, dass diese Finanzhilfe in gleicher Höhe in den nächsten Jahren fortgeführt wird.
Herr Kollege von Gottberg, achten Sie bitte auf die Zeit. Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. – Möge die Bundesregierung sich an diesem Beispiel orientieren.
Danke.
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Nächster Redner ist der Kollege Rainer Spiering, SPD.
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Herr Präsident! Frau Ministerin! Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beschäftigen uns heute, ja, auch in Teilen mit unserem innenliegenden Bewusstsein, mit dem deutschen Wald. Zumindest die Menschen, die vom Lande kommen, haben einen starken inneren Zugang zum Wald, und er gehört zu unserer Lebenserfahrung dazu. Das ist natürlich gut, dass wir da Betroffenheit haben.
Bei der Vorbereitung der Rede habe ich noch mal darüber nachgedacht, was da eigentlich passiert. Die Fotosynthese ist ja ein unglaubliches Geschenk, das wir bekommen, und ist ja der Hintergrund des Ganzen, über das wir sprechen. Was passiert bei der Fotosynthese? Aus Kohlendioxid und Wasser werden Sauerstoff und Kohlenstoff. Das ist ja der Prozess, der überhaupt alles das, worüber wir reden, möglich macht. Ich möchte alle bitten, anzuerkennen, dass wir in diesem Prozesskreislauf denken müssen. Das bedeutet, dass wir Holz wahrnehmen als etwas, das gewachsen ist, das uns geschenkt worden ist. Dieser natürliche Prozess ist ja ein Geschenk. Ich persönlich glaube, dass wir Holz gegenüber anderen natürlichen Bestandteilen nicht wertschätzen. Genau wie wir häufig Wasser, weil hier genügend davon da ist, nicht wertschätzen, schätzen wir auch Holz nicht wert, und wir bepreisen über Märkte etwas, was wir so gar nicht bepreisen können.
Ich glaube, wir haben zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der CDU
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– der CDU/CSU – ein ordentliches Papier geschrieben. Das ist auch der richtige Ansatz. Und genau wie bei der Digitalisierung ist die Idee aus dem Parlament entstanden und nicht aus der Regierung.
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Was die Finanzmittel angeht, haben wir einen Zuwachs von 850 bis 900 Millionen Euro in diesen Haushalt möglich gemacht und konnten das der Ministerin vorlegen.
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Die Ministerin kann jetzt exekutiv damit umgehen. Ich finde, dieses Parlament darf auch ruhig selbstbewusst und stolz auf sich sein, dass es das als Parlament geleistet hat.
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– Ja, man muss das unterscheiden: Wir sind der Souverän, die Ministerin darf ausführen.
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Wenn ich jetzt aber dem Kreislaufgedanken folge und Holz als das wahrnehme, was es im Naturkreislauf leisten kann, dann würde ich Sie alle bitten, dass wir zwei Faktoren im Auge behalten. Den einen Faktor haben wir jetzt beschrieben, nämlich den Versuch, den Waldholzanbau wieder zu regenerieren. Und ich sage Ihnen: Das ist eine extrem schwierige Aufgabe. Harald Ebner, so einfach, wie du das hier darstellst, und mit diesen einfachen Tricks läuft es nicht. Da braucht man einen längeren Atem.
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Wir haben ergänzend zu dem gemeinsamen Antrag mit der CDU/CSU einen weiter gehenden Vorschlag gemacht, und zwar den, Holz in den Kreislauf zu bringen.
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Das bedeutet, dass wir den CO2-Speicher Holz möglichst lange im Verkehr halten. Das heißt, es darf nicht verrotten, es darf nicht energetisch verwertet werden, sondern es muss im Holzbau verwendet werden. Ich glaube, da ist die ganz große Chance. Ich kenne zurzeit kein Land auf der Welt, das besser ausgebildete Handwerker hat als dieses Land.
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Alle Zimmerleute, alle Schreiner, alle Tischler, alle Dachdecker sind dazu in der Lage, Holz im Bau einzusetzen,
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und es ist unsere Aufgabe, per Gesetzgebung möglich zu machen, dass Holz einen ganz anderen Stellenwert auf dem Bau bekommt.
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Holz ist auch von der Statik her extrem belastbar, und wir schaffen uns einen Zeitpuffer von 50 bis 100 Jahren, wenn wir das Holz im Baubereich langfristig einsetzen. Ich habe gelesen, ein Einfamilienhaus ist, wenn Holz eingesetzt wird, dazu in der Lage, 80 Tonnen CO2 zu speichern. Das wird unsere Aufgabe sein.
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Kolleginnen und Kollegen, wir sind dazu in der Lage. Wir haben die handwerkliche Ausbildung, wir haben das duale Berufsausbildungssystem, um das zu machen. Dafür müssen wir aber aktiv werden. Wir müssen das Baugesetzbuch verändern. Wir müssen mehr Holzbau möglich machen. Harald Ebner, einfach in den Antrag der SPD reingucken, den wir geschrieben haben, lernen, akzeptieren und bei uns mitmachen!
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Wir werden das umsetzen. Die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU waren ja auch willens, bei dieser Waldumbauinitiative mitzumachen. Also ganz gemach!
Ich glaube in der Tat, wenn wir dort deutlich besser werden, wenn wir dem Handwerk die Chance geben und wenn wir das zusammen mit der Waldwirtschaft und der Forstwirtschaft machen, dann haben wir eine reelle Chance, Wald und vor allen Dingen Holz den Stellenwert zu geben, den sie verdienen, und endlich klarzumachen: Holz ist grundsätzlich etwas, was uns von der Natur geschenkt wird und was wir auch entsprechend honorieren und achten müssen, genauso wie alle anderen Produkte der landwirtschaftlichen Erzeugung, denen wir Achtung entgegenbringen müssen, Kolleginnen und Kollegen. Hiermit haben wir die Möglichkeit, dem eine Wertschätzung materieller Art zu geben.
Herzlichen Dank.
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Jetzt hat der Kollege Karlheinz Busen, FDP, das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur der Wald in Deutschland ist in Gefahr. Die Klimaveränderung ist der eine Faktor, der den Wald stresst und schädigt. Aber eine viel größere Gefahr ist was anderes, und zwar die ideologische grüne Politik.
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Da wird auf einem Kongress der Grünen-Bundestagsfraktion tatsächlich gefordert, Maschinen abzuschaffen und durch Rückepferde zu ersetzen.
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Statt auf Innovationen zu setzen, statt Investitionen in bodenschonende Maschinen zu fördern, wollen selbsternannte grüne Experten zurück ins letzte Jahrtausend.
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Dagegen soll der Bau von Windrädern im Wald nahezu grenzenlos hingenommen werden. Da werden Tausende Tonnen Beton als Fundament in den Wald gelassen. Und spätestens hier zeigt sich, was grüne Politik bedeutet – nur eines: Ideologie.
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Die Grünen fordern in ihrem Antrag eine Urwaldoffensive und wollen von jetzt auf gleich 600 000 Hektar Wald stilllegen, eine Fläche so groß wie das Saarland, Berlin, Hamburg und Bremen zusammen. Schon die ganzen Umweltverbände von BUND bis NABU nutzen Millionen von Spendengeldern, um Flächen anzukaufen und brachliegen zu lassen. Viele Privatwaldbesitzer, große und kleine, bewirtschaften ihre Wälder vorbildlich und tragen damit zur Unterstützung der vielfältigen Funktionen des Waldes bei.
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Aber auf diesen Zug der Stilllegungen ist auch unsere Bundesumweltministerin Svenja Schulze aufgesprungen. Mehr und mehr Waldflächen sollen vor sich hin rotten.
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Wer unsere Wälder aber kennt, weiß, dass genau die stillgelegten Wälder am schlimmsten aussehen.
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Ich habe mir persönlich ein Bild davon gemacht.
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Die Bundesumweltministerin hat wahrscheinlich zu viel im „Dschungelbuch“ gelesen.
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Auch für das Klima ist ein stillgelegter Wald schädlich.
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Viel langsamer werden Treibhausgase der Luft entzogen, und viel schneller werden Treibhausgase beim Verrotten wieder freigesetzt.
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Am 16. Oktober sagte der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Pronold, hier – mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich –:
Es ist richtig, dass ein bewirtschafteter Wald einen höheren CO2-Speichereffekt haben kann als ein unbewirtschafteter Wald.
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Der Mann hat recht. Doch statt dem Urwaldirrsinn ein Ende zu setzen, belastet die Bundesregierung weiter unsere Wälder.
Belastetes Käferholz soll nach Auffassung der Bundesregierung in stillgelegten Wäldern liegen bleiben. Oder anderes gesagt: Die Bundesregierung unterstützt die weitere Ausbreitung von Schädlingen wie dem Borkenkäfer, indem sie beste Brutstätten für sie schafft.
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Das rächt sich im kommenden Jahr, wenn die Schädlinge wieder ausschwärmen.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen schreiben im Titel ihres Antrages: „Unser Wald braucht Hilfe“.
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Mit ihrer Kassenbonpflicht machen sie ihren eigenen Antrag zur Makulatur.
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Nach neuesten Berechnungen des EHI sorgt die Belegausgabepflicht dafür,
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dass Jahr für Jahr zusätzlich 8 500 Fichten gefällt werden müssen.
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Diese große Menge an Papiermüll kann sofort mit einem Federstrich im Gesetzblatt eingespart werden. Wenn Sie es mit dem Waldschutz ernst meinen,
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dann stoppen Sie diese Kassenbonpflicht.
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Meine Damen und Herren, unsere Wälder brauchen Innovationen, damit wir sie schützen. Konkret brauchen unsere Wälder eine Wiederaufforstung mit klimarobusten Baumarten,
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die Zulassung neuer Züchtungsmethoden, eine Reform des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes und schnellere Verfahren bei forstlichen Pflanzenschutzmitteln, um im Notfall gerüstet zu sein.
Sehr viele gute Ansätze sind im Antrag von Union und SPD enthalten. Es fehlen noch einige Punkte, die für einen gesunden Wald notwendig sind. Wir haben Ihnen in unserem Antrag ein Angebot gemacht. Nutzen Sie das! Das wäre gute konstruktive Zusammenarbeit.
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Artur Auernhammer, CDU/CSU.
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Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Bundesministerin Klöckner hat vollkommen recht, wenn sie sagt: Wir brauchen den Wald. – Die heutige Diskussion zeigt auch, dass der Wald wieder in der politischen Diskussion ist, und vor allem, dass der deutsche Wald in die Herzen und die Köpfe unserer Bürgerinnen und Bürger gelangt ist. Das ist ein gutes Signal.
Wir haben auch – es ist schon mehrmals erwähnt worden – zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt, um den Waldumbau zu gestalten, um den Waldumbau klimaschutzgerecht zu machen und um eine Zukunft für den deutschen Wald zu haben. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das funktioniert auch nur, wenn wir Menschen haben, die bereit sind, im Wald etwas zu tun, im Wald zu arbeiten, und die nicht nur hier kluge Worte sagen. Deshalb gilt mein ganz besonderer Dank all den Menschen, die täglich im Wald arbeiten, die beratend unterwegs sind und die mit der Motorsäge, mit der Pflanzaxt draußen im Wald arbeiten. Ihnen gilt unser Dank.
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Ich habe fast den Verdacht, dass die Grünen den Wald deswegen zu einem Urwald umbauen wollen, weil sie selbst nicht gerne zum Arbeiten in den Wald gehen. Aber das ist nur ein Verdacht.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten bei der ganzen Walddiskussion auch darüber nachdenken:
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Wie können wir die Fläche unseres Waldes erweitern? Können wir dazu beitragen, dass wir auch Grenzstandorte, die landwirtschaftlich nicht mehr genutzt werden, wiederaufforsten? Auch eine Aufforstungsstrategie sollten wir hier voranbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wald schützen ist das eine, Holz nutzen ist das andere. Der Holzbau – das ist heute schon vielfach erwähnt worden – ist einer der wichtigsten CO2-Speicher, den wir haben. Hier können wir durch innovative Bauverfahren das CO2 speichern und deshalb auch Klimaschutz betreiben. Aber es gilt auch: Irgendwann ist das Holz nicht mehr im Bau einsetzbar, und es fällt bei der Holzherstellung auch Abfall an. Wir müssen die Holzenergie stärker nutzen. Ich bin dankbar, dass wir mit dem Klimaschutzpaket, das wir jetzt durch den Vermittlungsausschuss haben, auch den Weg weg von der Ölheizung hin zur regenerativen Heizung – dazu gehört auch die Holzheizung – gehen. Es ist ein guter Weg.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muss auch der Grundsatz gelten: Wald vor Wild. Aber es darf nicht sein, dass wir quasi in den Wald rennen und alles totschießen, was an Schalenwild herumrennt.
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Wir brauchen eine gewisse Waidgerechtigkeit,
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wir brauchen eine Ausgewogenheit unserer Wildbestände im Wald. Das geht nur in Zusammenarbeit von Waldbauern und Jägern. Es funktioniert dort, wo Jäger und Waldbauern in die gleiche Richtung arbeiten. Wir wissen allerdings auch, dass es die einen oder anderen Reviere gibt, in denen die Verbisse noch zu hoch sind und in denen man mit der Jagd die Bestände noch besser regulieren muss. Eins ist wichtig: Ein klimatoleranter Wald muss auch wachsen können. Da gilt es auch, die Wildbestände in der einen oder anderen Region zu reduzieren. Dazu ist der bestehende gesetzliche Rahmen auch ausreichend.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, so kurz vor Weihnachten möchte ich einen Appell aussenden. Jeder hat die Möglichkeit, an Weihnachten etwas für den Wald zu tun: Zum einen kann er sich einen Tannenbaum, eine Fichte aus dem Wald kaufen, die der Waldbauer gezogen hat, um damit eine Wertschöpfung für den Wald zu erreichen. Zum anderen ist für jeden, der an Weihnachten gern gut isst, ein guter Rehbraten aus den deutschen Wäldern ein willkommenes Weihnachtsessen. Damit schützt er auch den deutschen Wald.
In diesem Sinne, meine sehr verehrten Damen und Herren: Guten Appetit und schöne Feiertage!
Danke schön.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich wegen meiner zweiminütigen Redezeit nicht an Weihnachtsessendiskussionen beteiligen. Aber ich möchte daran erinnern, dass Weihnachten 2017 niemand von uns eine solche Debatte geführt hat, wie wir sie jetzt führen. Zwei Jahre, zwei trockene Sommer und vor allem die trockenen Winter haben ausgereicht, um hier eine Debatte über den deutschen Wald zu erzeugen, von der ich mir wünschen würde, dass wir sie etwas zukunftsgerichteter und vor allem gemeinschaftlicher im Interesse des Waldes führen würden.
({0})
Frau Klöckner, deswegen kann ich es Ihnen nicht ersparen: Sie haben mit Ihrer Aussage heute, dass uns Bäume 80 Jahre Schatten spenden, bewiesen, was im Bundeslandwirtschaftsministerium falsch läuft. 80 Jahre ist ungefähr das Hiebalter von Kiefern und Fichten, aber es ist nicht das Alter von Bäumen in einem Wald. Wir reden von 300-jährigen, 400-jährigen Buchen oder von Eichen, die über tausend Jahre alt werden können. Ich glaube, dass wir in dieser Diskussion – der Wald ist nach zwei trockenen Sommern und Wintern massiv geschädigt – über den Wald als Ökosystem reden müssen.
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Frau Kollegin Lemke, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der FDP?
Ja.
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Sie haben gerade davon gesprochen, dass Sie Buchenwälder mit Umtriebszeiten von etwa 300 Jahren betreiben wollen.
Nein, falsch.
Ich kann Ihnen als einziger Förster im Deutschen Bundestag sagen: Das geht nicht. Die Buche zerfällt vorher. Normale Zeiten bei der Buche sind 120 bis 140 Jahre. Dann können Sie noch anständiges Möbelholz ernten
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oder daraus Furnier machen. Also, wir müssen schon realistisch bleiben.
Es ist auch nicht richtig, was die Bundeslandwirtschaftsministerin gesagt hat, dass wir beim Wald am Ende bei 80 Jahren sind. Das ist natürlich auch falsch. Bei der Eiche haben Sie Umtriebszeiten von etwa 200 bis 220 Jahren.
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Ich danke Ihnen für die Frage. – Es geht mir wirklich darum, dass wir als Gesellschaft in diesem Diskurs vorankommen. Ich habe nicht über Buchenforsten mit einem Umtriebsalter von 120 Jahren geredet, sondern ich habe beispielsweise über Wälder mit ihrem ökologischen Wert wie die Heiligen Hallen in Mecklenburg-Vorpommern geredet,
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die durch die Klimakrise massiv beschädigt sind; ein Totalreservat, das seit 1850 existiert, und nach meinem Wissen war da an die Grünen noch nicht zu denken.
({1})
Der Gedanke, Wälder unter Schutz zu stellen, Wildnis und Totalreservate zuzulassen, um Biodiversität zu schützen und um gesunden, intakten Wald als Naturdenkmal zu haben, das ist eine andere Diskussion als die über die Waldnutzung.
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Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass wir diese beiden Dinge besser zusammendenken müssen, dass wir uns in der Diskussion vom Wald als Nutzfaktor lösen und über die Wasserspeicherfähigkeit des Waldes und der Waldböden reden müssen.
Ich komme aus Sachsen-Anhalt, einer der schon jetzt trockensten Regionen. Ich bin im Frühjahr 2018 bei einem Förster im Norden Sachsen-Anhalts gewesen, der früher Förster im Staatswald war und jetzt für eine kleine Forstbetriebsgemeinschaft tätig ist. Er war verzweifelt und fragte: Was soll ich machen? Was soll ich in diesem knistertrockenen Wald pflanzen? Ich habe kein Wasser, weder von oben noch von unten; das ist mein Problem. – Und er will nicht aufforsten. Er hat sich für die natürliche Verjüngung dort entschieden und sich über jeden kleinen Sämling, der von allein hochgekommen ist, gefreut. Die Frage ist: Investieren wir jetzt Steuergelder in Höhe von 1 Milliarde Euro in Aufforstung und Schadholzberäumung, oder halten wir kurz mal inne und überlegen, was wir jetzt machen? Natürliche Verjüngung an der einen Stelle, an anderer Stelle möglicherweise forsten und pflanzen – das ist kein Entweder-oder.
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Wir müssen kurz innehalten und darüber nachdenken, was wir jetzt tun, statt weiter zu polemisieren gegen Naturreservate und gegen den Wald, den wir auch schützen und nicht nur nutzen müssen. Wir müssen darüber diskutieren, dass er auch andere Leistungen erbringt, als Holz zur Verfügung zu stellen. Wald speichert Wasser – das habe ich bereits gesagt –, und er sorgt für Abkühlung. 10, 20 Grad Temperaturunterschied – das macht bei 40 Grad Außentemperatur einen relevanten Effekt aus.
Den Wald als Ökosystem zu betrachten und die Ökosystemleistungen in den Mittelpunkt unserer Diskussion in der Politik zu rücken, das ist mein Anliegen.
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Ich hoffe, dass wir in der Weihnachtszeit gemeinsam ein Stück vorankommen.
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Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Gitta Connemann, CDU/CSU.
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„Von drauß’ vom Walde komm ich her.“
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Dieses Gedicht kennt bei uns jedes Kind. Seit jeher spielt der Wald in Deutschland eine besondere Rolle als Heimat. Aber ich sage auch: Er ist mehr als mythologischer Sehnsuchtsort. Denn er ist Lunge des Landes, er ist Klimaanlage und Luftfilter, er ist der Erholungsraum, und er ist ein harter Wirtschaftsfaktor, ein Multitalent.
Bis 2017 war dieses Multitalent auf allerbestem Wege. Wir haben den sauren Regen in den Griff bekommen durch Luftreinhaltemaßnahmen, durch Waldumbau und durch Kalkungen. Es hat sich gezeigt: Politik wirkt, und diese Politik ist gemacht worden immer unter der Federführung der CDU und der CSU.
({1})
Aber dann kamen Stürme, Dürre, Schädlinge und Brände. Der Wald leidet. Heute ist die Lunge unseres Landes krank. Wir wissen: Der Wald braucht Hilfe. Diese Erkenntnis eint uns alle in diesem Haus, uns unterscheiden allerdings die Methoden.
Wir als CDU/CSU setzen auf Wissenschaft und nicht auf Emotionen;
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denn mit Urwaldromantik kann man den Wald nicht vor Klimawandel oder Borkenkäfern retten.
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Wir setzen auf das Miteinander mit Waldeigentümern, mit Förstern und mit der Holzwirtschaft – das sind mehr als 2 Millionen Menschen –; denn sie stehen für Nachhaltigkeit wie keine andere Branche, und das seit 1713.
({4})
Deshalb ist es bitter, wenn jetzt selbsternannte Fachleute, wenn Populisten ein Bild reiner Monokulturen zeichnen und eine ganze Branche an den Pranger stellen. Das machen wir nicht mit.
({5})
Fakt ist: Der Waldumbau findet seit Jahren statt. Was wir jetzt brauchen, sind Solidarität und umfassende Walderneuerungsprogramme. Unsere Bundeslandwirtschaftsministerin, die weitaus mehr ist als Exekutive, hat durch die Einrichtung des Nationalen Waldgipfels die Initiative ergriffen. Gemeinsam mit ihr stellen wir rund eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung, damit Schadholz beseitigt wird, damit die Wälder wieder klimagerecht aufgeforstet werden und damit die vielen kleinen Waldeigentümer in der aktuellen Krise Unterstützung bei der Bewirtschaftung erhalten. Doch das kann nur der Anfang sein – das sagt die Große Koalition.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wer Klimaschutz fordert, darf für Deutschland nicht nur Urwälder fordern;
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denn Totholz emittiert CO2 und Methan. Schadholz ist übrigens eine Brutstätte für Borkenkäfer. Wer wirklich Ökologie will, muss Wälder bewirtschaften, und zwar nachhaltig;
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denn Holz ist der beste Rohstoff, den es gibt. Wer neue Wälder will, muss übrigens Ja zur Jagd sagen;
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denn ohne angepasste Wildbestände können junge Triebe nicht wachsen.
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Wer nachhaltige Wälder will, muss in den Ländern vorsorgen mit mehr Studienplätzen für Förster und durch mehr Personal in der Fläche.
Lieber Harald Ebner, das waren eben schon Krokodilstränen, als es darum ging, Holzinitiativen zu ergreifen. Ihr stellt in mehr als zehn Ländern die Regierung. Ihr hättet längst tätig werden und die Landesbauordnung entsprechend ändern können. Darauf warten wir heute noch.
({10})
Wer gesunde Wälder will, muss den Medikamentenschrank öffnen; denn der Borkenkäfer lässt sich nicht totstreicheln.
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Er muss aktiv mit Insektiziden bekämpft werden, übrigens streng nach den Regeln der Wissenschaft.
({12})
– Gehen Sie in den Harz, liebe Frau Künast. Blicken Sie auf die kahlen Gipfel, kahlgefressen vom Borkenkäfer. Ist das für Sie ökologisch?
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Meine Damen und Herren von der Opposition, ich bitte Sie: Geben Sie sich einen Ruck, damit auch Ihre Kinder und Enkel in 30 Jahren sagen können: Von drauß’ vom Walde komm ich her.
Frohe Weihnachten.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das Innenressort konnte es in den letzten Jahren durchaus mit allen anderen Ressorts aufnehmen, was Reformen anbelangt. Ich würde sogar behaupten: Wir sind mit an der Spitze.
Aber ja, eine Reform der deutschen Sicherheitsarchitektur würde ich mir gleichwohl wünschen,
({0})
in einigen fundamentalen Punkten, ja, gerne im Rahmen einer Föderalismuskommission und, ja, auch mit den Inhalten, die die FDP in ihrem Antrag beschrieben hat.
({1})
– Sie hoffen schon auf abweichendes Wahlverhalten von Armin Schuster.
({2})
Da muss ich euch leider enttäuschen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, das ist Copy-and-paste
({4})
bei Otto Schily, Wolfgang Schäuble, Thomas de Maizière, aus Handlungsempfehlungen von Untersuchungsausschüssen. Es gibt auch weniger prominente Innenpolitiker der Union,
({5})
bei denen ihr abgeschrieben habt. Das, meine Damen und Herren, reicht nicht.
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Eigentlich bin ich mittlerweile sogar sauer; ich will das gar nicht humorvoll machen, liebe Kollegen.
Die deutsche Sicherheitsarchitektur zu reformieren, ist ein ernstes Vorhaben, das mir sehr am Herzen liegt. Ich arbeite wirklich Woche für Woche daran, auch mit denen, auf die es ankommt. Hier eine Mehrheit für eine Reform der Sicherheitsarchitektur zu finden – ich gucke Herrn Grötsch oder Frau Mihalic oder wen auch immer an –, ist nicht schwer.
({7})
Unser Problem ist doch in Wirklichkeit ein anderes – machen wir uns doch ehrlich; das dürfte jeder Fraktion so gehen –: Wie sehen das denn Ihre Ministerpräsidenten
({8})
und Innenminister und Regierungsmitglieder in den Ländern?
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Das ist doch die Herausforderung.
Machen wir doch mal eine Nagelprobe oder eine Feuerprobe bei den Freien Demokraten: Sie regieren in Rheinland-Pfalz, Sie regieren in Schleswig-Holstein, und Sie regieren in Nordrhein-Westfalen. Ich habe von den Herren Stamp, Pinkwart, Wissing oder – nehmen wir Ihre Granden – Kubicki und Lindner nie gehört, dass sie das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum reformieren wollen,
({10})
die Zentralstellenfunktion des BKA oder des BfV stärken wollen, das Anker-Zentren-Projekt für ganz Deutschland mit umsetzen wollen. Sie haben sich nie dafür eingesetzt, dass wir endlich eine zentrale Ermittlungsführung in Deutschland bei Fällen wie NSU oder Amri haben. Ich habe von Ihnen nicht gehört, dass Sie anstelle der föderalen Doppelstrukturen das BSI stärken wollen. Herr Höferlin, das habe ich nie gehört von den Freien Demokraten.
Stattdessen hat sich Herr Lindner dafür eingesetzt, dass in Nordrhein-Westfalen keine Schleierfahndung stattfindet.
({11})
Stattdessen haben Sie es zugelassen, dass Thomas de Maizières Vorschläge aus dem Januar 2017 diskreditiert wurden – von Herrn Kubicki und Herrn Lindner.
({12})
Vorratsdatenspeicherung, Quellen-TKÜ, Onlinedurchsuchung
({13})
sind mit Ihnen nicht machbar.
({14})
Meine Damen und Herren, Sie klagen gegen das Polizeiaufgabengesetz in Bayern.
({15})
Sie klagen beim Verfassungsgericht gegen jede Form moderner Sicherheitsaufgabenwahrnehmung. Wie sollen wir denn mit Ihnen dieses Land im Bereich Sicherheit reformieren?
Deswegen lehne ich Ihren Antrag ab. Während Sie Anträge kopieren, arbeitet dieser Innenminister
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mit seiner Fraktion und der GroKo daran, dieses Land zu reformieren.
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Ich werde mir Ihr Abstimmungsverhalten anschauen, wenn wir demnächst eine Novelle zum Bundespolizeigesetz vorlegen, wenn wir demnächst eine Novelle zum Verfassungsschutzgesetz vorlegen, wenn wir eine Novelle zum Telekommunikationsgesetz und zum IT-Sicherheitsgesetz vorlegen. Das sind alles Reformen der Sicherheitsarchitektur. Ich werde mir Ihr Abstimmungsverhalten dazu anschauen.
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Während Sie sich mit Schaufensteranträgen beschäftigen, reformieren wir dieses Land.
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Meine Damen und Herren, solltet ihr echt aus dem Quark kommen: Ich stehe 24/7 bereit.
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Aber dafür möchte ich wirklich Beweise sehen, und die habt ihr bisher nicht geliefert. Deswegen empfehle ich meiner Fraktion dringend und mit Herzblut, diesen Klamauk abzulehnen.
Danke schön.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Wirth, AfD.
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Herr Präsident! Werte Kollegen! Herr Schuster, Sie haben dankenswerterweise viele Probleme angesprochen, die wir unterstreichen.
Der Anschlag auf dem Breitscheidplatz jährt sich heute das dritte Mal. Wir gedenken der Opfer. Aber bis heute zeigt die Bundesregierung keinen geeigneten Handlungsansatz, die stetig steigenden Gefahren durch islamische Gefährder und damit den Terrorismus präventiv zu bekämpfen; denn hierzu müsste man erst mal Fehler in der Migrations- und Grenzpolitik einräumen.
Ja, die derzeitige Verteilung der Zuständigkeiten in der Terrorabwehr ist reformbedürftig. Terrorabwehr gehört genauso wie die Bekämpfung der Clankriminalität und die Abschiebung in die Hände des Bundes. Gerade die rot-rot-grün regierten Länder – das sehen wir beispielsweise hier in Berlin – haben keine Kompetenz in Sicherheitsfragen. Lieber verhindern sie Abschiebungen völlig und hätscheln Drogendealer, statt Maßnahmen zu ergreifen, um die Bürger zu schützen.
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Deswegen hatten wir, als der vorliegende Antrag hier im Februar zum ersten Mal besprochen wurde, zum selben Tagesordnungspunkt zwei eigene Anträge vorgelegt. Im ersten Antrag wollte die AfD dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz zur Abwehr terroristischer Gefahren geben. Im zweiten Antrag forderte die AfD Änderungen des Aufenthaltsgesetzes, die bis zum Abschluss dieser Verhandlungen den Bund unmittelbar handlungsfähig machen könnten. Natürlich haben alle übrigen Fraktionen beide Vorschläge abgelehnt. Die politische Trotzphase gegenüber der AfD ist wichtiger als die Sicherheit der Bürger in unserem Land.
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Sie alle haben damit verhindert, dass der Bund jetzt schon konkrete Maßnahmen umsetzen kann und zugleich ein stabiles Fundament für unsere zukünftige Sicherheit baut.
Die FDP wiederum hat keine Eile. Sie will sich erst einmal Zeit nehmen, eine Kommission zu bilden, ein ganzes Jahr mindestens.
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Dann muss natürlich alles umgesetzt und eingerichtet werden. Ob unsere Enkel und Urenkel dann noch sicher in diesem Land leben können, ist mehr als fraglich.
Auch heute noch wandern allein über die deutsch-österreichische Grenze monatlich unkontrolliert circa 15 000 illegale Migranten ein – Jahr für Jahr wieder eine Großstadt voller Sozialmigranten, vom deutschen Steuerzahler in der Regel lebenslang alimentiert. Unter den echten und falschen Flüchtlingen werden auch wieder jene sein, die uns und unserer Freiheit schaden wollen.
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Denn wohin wollen zum Beispiel die flüchtigen ehemaligen IS-Kämpfer, die derzeit aus den kurdischen Lagern fliehen? Natürlich in das Land, in dem kaum kontrolliert wird und in dem Milch und Honig fließen. Wer kommt, das wissen die Behörden bestenfalls bei den Resettlement-Migranten, mit denen unser schon lang überstrapaziertes Einwanderungssystem zusätzlich belastet wird. Weiterhin ohne jede Kontrolle wird die deutliche Mehrheit der sogenannten Flüchtlinge sein, die durch sichere Transitländer ins deutsche System einwandern.
Es droht ein weiteres Jahr mit Anschlagsplänen, bei denen jedes Mal die Wahrscheinlichkeit steigt, dass einer durch das Netz unserer motivierten Sicherheitsbehörden rutscht. Allein der von den Behörden aufgedeckte Anschlagsplan von Köln des islamischen Ehepaars hätte aufgrund von Rizin das Potenzial für mehr als 25 000 Todesopfer gehabt. Es droht ein weiteres Jahr mit Messerattacken und Übergriffen gegen Leib und Leben, ein weiteres Jahr, in dem, um Frau Özoğuz von der SPD zu paraphrasieren, friedliche und unbescholtene Bürger auf einmal das Zusammenleben mit ihren neuen Nachbarn täglich neu aushandeln sollen.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass früher in Deutschland alles möglich war, und dieses Früher liegt noch gar nicht so lange zurück. Aber diese Botschaft ist gerade für die jüngeren Bürger wichtig, die diese Zeit nicht mehr erlebt haben. Vor 20 Jahren, 1999, zog nur wenige Meter von diesem Hohen Haus entfernt die Love-Parade durch die Hauptstadt. In diesem Jahr waren es 1,5 Millionen Teilnehmer – keine Absperrungen, keine Betonklötze; ja, niemand kam auf die Idee, so etwas einzufordern. Die Polizisten, die die größte Party Berlins begleiteten, achteten auf Drogendealer und Taschendiebe, aber nicht auf Terroristen.
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Ja, Deutschland hat sich verändert, und das ist nicht gut so, Frau Göring-Eckardt. Wie sieht es denn heute aus? Selbst die kleinsten Weihnachtsmärkte brauchen ein Sicherheitskonzept. Viele gibt es nicht mehr, da das Geld hierzu fehlt. Jede öffentliche Veranstaltung wird zur Festung; jeder Gast wird durchleuchtet. Und das Ganze wird noch getoppt mit der Einrichtung von Frauenschutzzonen, was ein implizites Eingeständnis ist, dass der Rest unseres öffentlichen Raumes für Frauen nicht mehr sicher ist.
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Das wollen Sie natürlich nicht hören. Wir leben ja im „besten Deutschland aller Zeiten“. Es gibt für Sie keine Warnungen mehr, nur noch Hetze. Sie leben in einer Welt der Widersprüche, in der die Bürger angeblich so sicher sind wie nie zuvor, aber zugleich auf allen Ebenen neue Schutzkonzepte für sie eingeführt werden müssen.
Der erste Schritt aber zur Lösung des offensichtlichen Problems ist es, anzuerkennen: Die Sicherheitslage wurde eindeutig durch die Masseneinwanderung verschlechtert. Die EU-Außengrenzen zu schützen, scheint unmöglich oder politisch nicht gewollt zu sein. Damit ist das zentrale Sicherheitsversprechen von Schengen gebrochen. Trotzdem weigern Sie alle sich, die deutschen Grenzen zu schützen.
Wenn es aber darum geht, Politiker zu schützen, dann gehen Grenzkontrollen doch, so beim G-7-Gipfel in Bayern und beim G-20-Gipfel in Hamburg. Allein beim G-20-Gipfel sind in etwa einem Monat 4 546 unerlaubte Einreisende abgefangen worden; 782 per Haftbefehl gesuchte Personen wurden festgenommen. Horst Seehofer brüstet sich heutzutage mit der kürzlich verstärkten Schleierfahndung, fast so, als gäbe es dadurch tatsächlich einen Sicherheitsgewinn durch geschützte Grenzen.
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben sich seit Anfang der Legislaturperiode als Serviceopposition bezeichnet. In der Tat, das sind Sie mit diesem Antrag. Käme dieser Antrag durch, dann ist er ein Freibrief für die Bundesregierung zum Nichtstun und Verschleppen.
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Es wird eine Kommission eingesetzt, dann wird ewig verhandelt und nachverhandelt, und dann, ja dann sind schon wieder Bundestagswahlen. Das ist so wie bei Frau Merkel und ihren Ministern, die seit Jahren jede konkrete Maßnahme unter Hinweis auf diesen und jenen EU-Gipfel oder irgendwelche ineffektiven, bilateralen Abkommen in die ferne Zukunft verschieben. Das ist Serviceopposition für die Regierung, in die man nicht eintreten wollte, und nicht für Bürger.
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Nein, diesem Antrag können wir nicht zustimmen.
Wir hatten vor zehn Monaten die Chance, eine sinnvolle Lösung für dieses Problem auf den Weg zu bringen. Sie haben hier alle dagegengestimmt, was Sie immer tun, egal was die AfD vorschlägt. Aber das hat der Bürger längst durchschaut. Das waren zehn verlorene Monate, und es wird Zeit, konkrete Lösungen umzusetzen, statt mal wieder einen Arbeitskreis zu gründen.
Die einfachste und wirksamste Maßnahme wäre, vorab endlich wieder geltendes Recht durchzusetzen, nämlich Artikel 16a Grundgesetz, das Aufenthaltsgesetz und EU-Recht – ja, auch EU-Recht. Denn auch nach EU-Recht darf kein Nicht-EU-Ausländer ohne Ausweispapiere und ohne EU-Visum eine EU-Grenze übertreten.
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Uli Grötsch, SPD.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun wieder zurück zum eigentlichen Thema in dieser Debatte, nämlich zur Frage der Notwendigkeit der Reform der deutschen Sicherheitsbehörden. Lieber Herr Schuster, ich muss mit einer schlechten Nachricht für Sie beginnen: Ich bin der Falsche, wenn Sie auf der Suche nach einer Mehrheit für eine Reform der Sicherheitsarchitektur in Deutschland sind.
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Ich bin nämlich der Meinung, dass die Sicherheitsarchitektur in Deutschland gut ist, dass wir sie nicht verändern müssen,
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sondern dass wir sie schlicht und ergreifend fortwährend weiterentwickeln müssen und dass wir sie stärken müssen, was wir in den letzten Jahren ja auch ganz ausführlich getan haben.
Ich fahre fort mit einer auch für Sie schlechten Nachricht so kurz vor Weihnachten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP; denn niemand außer Ihnen will in diesem Haus eine dritte Föderalismuskommission.
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Das ist die bittere Wahrheit, mit der Sie über Weihnachten und den Jahreswechsel hinaus umzugehen lernen müssen. Vor etwas weniger als einem Jahr – Sie erinnern sich bestimmt –, als Sie das zuletzt beantragt hatten, habe ich Ihnen das schon mal prophezeit. Ich hoffe, dass meine Worte diesmal überzeugender auf Sie wirken. Ich möchte Ihnen aber selbstverständlich auch heute erläutern, wieso wir Ihren Antrag ablehnen.
Erstens dauert so etwas Jahre, bis Ergebnisse vorliegen. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass eine Föderalismuskommission innerhalb eines Jahres errichtet werden und am Ende sogar noch Ergebnisse vorlegen kann.
Zweitens – das wissen wir aus Erfahrung – gibt es überhaupt keinen Automatismus, dass Deutschland nach einer Föderalismuskommission III sicherer wird. Ich zweifle sogar mehr als stark daran. Also, hören Sie nach dieser Debatte damit auf, den Menschen zu suggerieren, Ihr Vorschlag könne Terroranschläge verhindern! Das ist schlichtweg Unsinn. Er löst kein einziges Problem.
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Er ist genauso wenig eine Lösung wie die regelmäßige Forderung der Linken nach der Abschaffung von Nachrichtendiensten. Für beide Fraktionen gilt, dass der Wunsch nach Sicherheit der Vater ihrer Gedanken ist. Das glaube ich schon, und das können Sie für sich in Anspruch nehmen.
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Aber ich sage Ihnen: Wenden Sie sich gerne vertrauensvoll an die deutsche Sozialdemokratie, wenn Sie Fragen zur inneren Sicherheit haben.
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Zum Thema der Sicherheitsarchitektur möchte ich Ihnen noch Folgendes sagen: Der Terroranschlag vom Breitscheidplatz, der eben auch schon Thema war, hat uns natürlich alle zutiefst getroffen. Es ist etwas schiefgelaufen in der Kommunikation zwischen den Behörden im Bund und in den Ländern, im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum namentlich. Das darf nie wieder passieren; darin sind wir uns einig. Deshalb ist es richtig, dass die Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund auf dem Prüfstand ist. Das ist ja auch Gegenstand des Untersuchungsausschusses hier im Bundestag.
Aber auch eine komplett veränderte föderale Sicherheitsarchitektur kann nicht verhindern, dass, wo Menschen sind, auch Fehler gemacht werden und Fehleinschätzungen passieren. Es gibt eben keine hundertprozentige Sicherheit, nirgends. Wir haben im BKA-Gesetz aber ganz genau geregelt, wer wann wofür zuständig ist.
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Auch im Bundesverfassungsschutzgesetz haben wir nach dem NSU-Untersuchungsausschuss die sogenannte Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz geregelt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den Sie vielleicht meinen. Danach ist nämlich der Bund auch für besonders gelagerte regionale Fälle in den Ländern zuständig, kann sich also aufgrund seiner Zentralstellenfunktion dort mit einbringen, wo das Bundesamt es für notwendig hält oder die Länder den Bedarf dafür sehen. Es gibt also in diesem Zusammenhang keine Regelungslücke. Und bei keiner erdenklichen Sicherheitsarchitektur – ich glaube, auch daran besteht kein Zweifel – hätte der rechtsextremistische Mord an Walter Lübcke oder der Terroranschlag von Halle verhindert werden können – leider, aber das gehört zur Wahrheit dazu.
Eine Sache ist mir noch wichtig zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich finde, es geht nicht, dass jedes Mal, wenn etwas passiert, nach Zentralisierung oder nach Verschärfung von Gesetzen gerufen wird. Gewöhnen Sie sich diese Reflexe ab! Sie erzielen damit genau das Gegenteil von dem, was Sie letztendlich, wahrscheinlich oder mit Sicherheit wollen:
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nämlich mitarbeiten, wenn es um die innere Sicherheit in Deutschland geht.
Aber glauben Sie mir: So ein Antrag wie der heute hier gestellte ist der falsche Ansatz. Auch in den Ländern nämlich, in denen Sicherheit zentral organisiert ist – Beispiel Frankreich –, gehen Dinge schief.
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Es gibt keinerlei Beleg dafür oder auch keinen Grund, anzunehmen, dass – Sie kritisieren, dass wir in Deutschland 40 Behörden haben, die für Sicherheit zuständig sind – 10 oder 15 Behörden mehr Sicherheit produzieren. Ich wiederhole: Dafür gibt es keinen Beleg.
Und noch was: Warum schweigen Sie eigentlich in Ihrem Antrag und auch hier im Plenum,
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wenn es darum geht, was unsere Sicherheitsbehörden, diese 40 Behörden, alles Gutes getan haben, wenn es um die innere Sicherheit und die Verhütung von Terroranschlägen geht?
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Ich möchte ganz kurz vier Beispiele aufzählen:
Zuletzt wurde am 19. November diesen Jahres ein 26-jähriger Syrer, der nach Anleitungen für einen Bombenbau recherchiert und sich in Chatgruppen dazu ausgetauscht hatte, in Berlin festgenommen.
Oder die Festnahme von drei IS-Anhängern in Offenbach, die mutmaßlich einen Anschlag geplant haben.
Im Juni letzten Jahres haben unsere Sicherheitsbehörden mit der Festnahme eines islamistischen Terrorverdächtigen in Köln den ersten Anschlagsversuch mit einer Biowaffe verhindert.
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Und Anfang diesen Jahres wurden drei Iraker in Schleswig-Holstein festgenommen, die einen Terroranschlag planten.
All das ist Grund genug, um unseren Sicherheitsbehörden und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich für ihre Arbeit zu danken.
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Zum Ende möchte ich sagen: Am sichersten wird Deutschland natürlich nur, wenn Menschen sich erst gar nicht radikalisieren oder erst gar nicht kriminell werden. Deshalb bin ich froh, dass unser Bundesprogramm „Demokratie leben!“ auf hohem Niveau weitergeführt wird und Projekte gegen Extremismus niedrigschwellig und vor Ort fördert. Aber: Demokratiearbeit ist heute mehr denn je eine Daueraufgabe, die sich nicht mit einem Modellprojekt erledigt. Hier will die SPD den eingeschlagenen und erfolgreichen Weg weitergehen und mit einem Demokratiefördergesetz erfolgreiche Projekte auf dauerhafte, feste Füße stellen, weil Prävention der wichtigste Weg ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich lade Sie herzlich dazu ein, uns auch im neuen Jahr darin zu unterstützen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Jetzt hat das Wort der Kollege Benjamin Strasser, FDP.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor drei Jahren hat ein islamistischer Attentäter auf dem Berliner Breitscheidplatz 12 Menschen das Leben genommen und 67 Menschen so schwer verletzt, dass sie teilweise bis heute Pflegefälle sind. Wir arbeiten seit März 2018 an einer Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss – unter erschwerten Bedingungen.
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Bei vielen offenen Fragen, die sich stellen, können wir heute, glaube ich, ein Fazit ziehen: Mit einem System von 40 Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, mit einem System aus den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts können wir nicht nachhaltig und wirksam Terrorismus in Deutschland bekämpfen.
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Wir brauchen weniger Behörden, die mehr Sicherheit organisieren.
Das zeigt sich in vielen Bereichen: bei Cyber-, bei Clankriminalität, aber auch und insbesondere beim Terrorismus, bei dem wir es mit hochmobilen kleinen terroristischen Zellen zu tun haben, die sich ganz natürlich über Ländergrenzen hinweg bewegen. Wir erleben, dass dann, wenn etwas schiefläuft, immer viele zuständig sind, aber wenn es darauf ankommt, keiner verantwortlich sein will. Diesen Zustand müssen wir dringend beenden.
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Wir haben ein grundlegendes Struktur- und Kommunikationsproblem in den Behörden. Dieser Vorwurf trifft weniger die Beamtinnen und Beamten. Er trifft in allererster Linie uns Parlamentarierinnen und Parlamentarier, weil wir offenkundig in der Vergangenheit nicht willens und nicht in der Lage waren, diese organisierte Verantwortungslosigkeit zu beenden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Eins ist doch klar: Der Deutsche Bundestag allein kann hier nicht entscheiden, sondern wir brauchen die Länder an unserer Seite, um ein neues System der Sicherheitsarchitektur zu finden. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir eine Föderalismuskommission III einsetzen, die den gordischen Knoten in diesem Bereich durchtrennt. Denn eins erleben wir doch, Kollege Schuster: dass gute Vorschläge, auch von Ihnen, immer wieder von den Ländern ausgebremst werden, nicht aus fachlichen Gründen, sondern weil man offensichtlich nicht bereit ist, Kompetenzen abzugeben. Diese Kommission entscheidet auch mal und diskutiert nicht nur.
Wo gibt es in diesem Parlament denn Verbündete? Die SPD? Das haben wir erlebt: Herr Grötsch, das ist ja ein Totalausfall.
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Sie klinken sich komplett aus dieser Debatte aus.
Was mich ein bisschen traurig macht, Herr Schuster, ist, dass Ihr eigener Bundesinnenminister bereits zum Amtsantritt gesagt hat, mit ihm gebe es keine grundlegende Reform der Sicherheitsarchitektur in Deutschland, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum arbeite ganz prima. Ich lade ihn gern mal als Besucher in den Untersuchungsausschuss ein, um zu sehen, ob er diese Analyse dann noch teilt.
Aber mich freut es, dass es hier eine Fraktion gibt, die sich auch von guten Argumenten überzeugen lässt, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen. Sie hatten in der ersten Lesung durchaus noch berechtigte Zweifel. Aber ich glaube, Sie sind auch aufgrund der Debatte im Innenausschuss zu der Ansicht gekommen, dass es hier nicht um die Frage geht: „Wie sehen unsere Ideen aus?“, sondern dass es jetzt eine Kommission braucht, die diese Ideen auf den Tisch legt und vor allem dann auch entscheidet. Deswegen freuen wir uns, dass Sie heute zustimmen.
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Herr Schuster, ein bisschen Hoffnung habe ich auch noch bei Ihnen; denn es gibt deutliche Fortschritte. In der ersten Lesung haben Sie eine Föderalismuskommission noch abgelehnt; das haben Sie heute nicht mehr gemacht. In der ersten Lesung haben Sie noch darauf verwiesen, dass es eine Ministerpräsidentenrunde und eine IMK gebe; die sollten das für uns entscheiden.
Zwei Fragen an Sie. Erste Frage: Warum wird denn da nicht entschieden? Zweite Frage: Was für ein Selbstverständnis von Parlament ist es, dass wir uns als Bundestag von Ministerpräsidenten eine Grundgesetzänderung aufschreiben lassen und die hier nur noch abnicken? Das ist unser Anliegen, und das müssen wir hier tun.
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Abschließend: Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht Ihrem Fraktionsvorsitzenden der Union, der CDU/CSU, Ralph Brinkhaus, der in der Vereinbarten Debatte zu „70 Jahre Grundgesetz“ hier meinte – Zitat –:
Wir als Union stehen zum Föderalismus ohne Wenn und Aber, doch wenn wir nicht bereit sind, ihn immer wieder zu überprüfen, zu reformieren und weiterzuentwickeln, wird er keine gute Zukunft haben. Wir brauchen daher ganz dringend eine dritte Föderalismuskommission.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
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Springen Sie über Ihren Schatten! Stimmen Sie dem zu!
Vielen Dank.
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Dr. André Hahn, Die Linke, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor genau drei Jahren geschah der schreckliche Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Der Bundestagspräsident hat vorhin an die 12 getöteten Menschen und die mehr als 70 Verletzten erinnert. Deshalb und auch wegen der jüngsten rechtsextremistischen Anschläge ist die Frage nach einer gut funktionierenden Sicherheitsarchitektur in Deutschland aktueller denn je.
Doch bevor ich auf den dazu vorliegenden Antrag der FDP eingehe, komme ich nicht umhin, festzustellen, dass der Staat, dass staatliche Behörden im Vorfeld dieser und anderer schwerer Gewalttaten leider immer wieder in unverantwortlicher Weise versagt haben. Im Umfeld der rechten Mörder des NSU waren Dutzende V-Leute im Einsatz. Nicht eine der Taten wurde dadurch verhindert. Der Aufenthalt der Gesuchten wurde über Jahre hinweg nicht ermittelt, und auch die Aufklärung der Verbrechen wurde massiv erschwert, weil der Verfassungsschutz wichtige Akten rechtswidrig schredderte.
Damals wie auch bei den jüngsten Anschlägen versprach die Bundesregierung, versprach auch die Kanzlerin persönlich vollständige und rückhaltlose Aufklärung. Dieses Versprechen ist bislang nicht eingelöst worden, und den daraus resultierenden Unmut, ja, auch die Wut der Hinterbliebenen können wir als Linke gut nachvollziehen. Hier muss die Regierung endlich handeln.
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Auch im Falle des Anschlags vom Berliner Breitscheidplatz sind nach wie vor viele Fragen ungeklärt. Warum konnte vor drei Jahren ein Attentäter, den Landeskriminalämter aus Berlin und Nordrhein-Westfalen, den das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und, wie wir erst vor wenigen Tagen erfahren haben, auch der Bundesnachrichtendienst auf dem Schirm hatten – mindestens ein Dutzend Mal war dieser Mann Thema im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum, GTAZ –, nicht rechtzeitig vor seiner Tat gestoppt werden?
Das LKA Berlin stellte Mitte 2016 die Beobachtung des späteren Attentäters mit der fadenscheinigen Begründung ein, dass sich Drogenhandel und Salafismus ausschließen. Mindestens zweimal verzichtete das Bundeskriminalamt auf eine koordinierende Rolle und lehnte Ersuchen aus Nordrhein-Westfalen ab, die Ermittlungen zu Amri an sich zu ziehen, weil es der Person des späteren Attentäters offensichtlich nicht die tatsächliche Relevanz beimaß. Und kurz nach dem Anschlag wird ein Freund Amris, mit dem sich dieser noch am Vorabend der Tat getroffen hatte und bei dem die Frage einer Mittäterschaft im Raum steht, auf Betreiben der Bundesregierung eiligst nach Tunesien abgeschoben, von wo aus er kaum noch zur dringend erforderlichen Aufklärung beitragen kann. Über die Hintergründe herrscht bis heute eisiges Schweigen. Nicht nur für die Opfer und Hinterbliebenen ist das schlichtweg unerträglich.
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Meine Damen und Herren, die Untersuchungen zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz sind noch nicht abgeschlossen; aber man kommt doch jetzt schon zu einer wichtigen Erkenntnis – womit ich auch den Bogen zum vorliegenden FDP-Antrag schlage –: Wenn Behörden aus vorhandenen Informationen falsche Schlüsse ziehen, womöglich auch aus mangelnder interkultureller Kompetenz, wenn das Bundeskriminalamt den Fall nicht an sich zieht, obwohl dies geboten gewesen wäre, und wenn der BND, der ja offenbar gut informiert war, seine Erkenntnisse möglicherweise aus zweifelhaften Opportunitätsgründen nicht an die Polizei weiterreicht, dann haben wir es doch ganz offensichtlich nicht mit Problemen in der föderalen Struktur zu tun, wie die FDP unterstellt, sondern mit eklatanten Mängeln beim Vollzug geltender Gesetze.
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Wir als Linke haben erhebliche Zweifel, ob eine zigste Reformkommission die vorhandenen Probleme lösen kann. Uns würde es fürs Erste schon reichen – und damit wären wir schon sehr, sehr weit –, wenn die Bundesregierung und die Landesregierungen die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse endlich vollständig umsetzen würden.
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Meine Damen und Herren, seitdem wir im Januar das erste Mal über diesen Antrag beraten haben, haben sich zwei weitere erschütternde Anschläge ereignet. Mit dem Attentat in Halle und der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wurde die Bedrohung durch den rechtsextremen Terror, dem seit der Wiedervereinigung fast 200 Menschen zum Opfer fielen, für weite Teile der Gesellschaft sichtbar, und sie wurde endlich, muss man sagen, auch durch den Bundesinnenminister als Problem erkannt.
Meine Damen und Herren, rechter Terror kommt nicht aus dem Nichts. Rechter Terror entsteht durch ein gesellschaftliches Klima, in dem ethische, ethnische oder religiöse Minderheiten zu Sündenböcken gemacht werden und die Grenze des Sagbaren Stück für Stück nach rechts verschoben wird. Dieses üble Geschäft betreibt hier im Land derzeit vor allem die AfD.
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Daher sind alle Demokratinnen und Demokraten gefordert, rechter Hetze entschieden zu widersprechen:
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ob im Netz, auf der Straße oder eben auch hier im Deutschen Bundestag. Wir brauchen eine kontinuierliche Unterstützung all jener Initiativen, die sich Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus entgegenstellen.
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Diese Initiativen benötigen dringend eine langfristige finanzielle Planungssicherheit.
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Auch das, meine Damen und Herren, war eine Forderung des NSU-Untersuchungsausschusses. Das, nämlich diese Planungssicherheit für die Initiativen, ist aus Sicht der Linken definitiv wichtiger als eine neue Föderalismuskommission.
Herzlichen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Heute vor drei Jahren ereignete sich der bisher schlimmste islamistische Terroranschlag in Deutschland, und wir gedenken der Opfer und der vielen Verletzten heute in einem Gottesdienst in der Gedächtniskirche. Gemeinsam sprechen wir auch hier in dieser Debatte den Hinterbliebenen unser tief empfundenes Mitgefühl aus.
Dieser Anschlag lässt sich nicht rückgängig machen. Das Einzige, was wir tun können, ist, entschlossen aufzuklären und vor allem die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen.
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Das wollen wir tun. Und ich verspreche Ihnen: Wir werden nicht lockerlassen, den vielen offenen Fragen nachzugehen und die Aufklärung nach Kräften voranzutreiben. Dabei stellt sich schon heute die Frage, ob bereits notwendige Veränderungen vorgenommen wurden. Da sagen wir Grüne klipp und klar: Nein. Die entscheidenden Lehren für die bundesrepublikanische Sicherheitsarchitektur sind eben noch nicht gezogen worden. Da müssen wir jetzt ran.
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Sitzung für Sitzung arbeiten wir im Untersuchungsausschuss den massiven Reformbedarf in der föderalen Sicherheitszusammenarbeit heraus. Ein Beispiel dafür ist die fatale Fehleinschätzung Anis Amris im GTAZ, maßgeblich vorgenommen vom Bundeskriminalamt im Februar 2016, also zehn Monate vor dem Anschlag. Eine Quelle des LKA NRW hatte sehr detailliert über seine konkreten Anschlagsplanungen berichtet, das BKA hat der Quelle aber nicht geglaubt und auch den Bewertungen aus NRW nicht vertraut, ohne das allerdings fachlich zu begründen. Durch diese Einschätzung des BKA wurden die Weichen im Fall Amri falsch gestellt. Das BKA hat den Fall damals nicht übernommen, obwohl es die gesetzliche Kompetenz dazu gehabt hätte. Der entsprechende § 4a ist ja vor einigen Jahren extra ins BKA-Gesetz geschrieben worden, damit die Bundesebene in länderübergreifenden Fällen die Koordination übernehmen kann. Wenn die Voraussetzungen dafür im Fall Amri nicht vorlagen, dann fragt man sich doch: Wann denn dann?
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Anstatt ihn zu übernehmen, hat man den Fall Amri einfach laufen lassen, und jede betroffene Landespolizei hat weiter vor sich hin gearbeitet. Wie das ausging, ist bekannt. Wenn die Rahmenbedingungen so etwas zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen wir die Rahmenbedingungen ändern.
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Auch die Rolle der zweiten Säule unserer Sicherheitsarchitektur, des Verfassungsschutzes, war im Fall Amri alles andere als rühmlich. Das BfV hat mit einigen V-Leuten die beiden Moscheen, die Amri am häufigsten besuchte und in denen er wichtige Kontakte knüpfte, praktisch umstellt; der Output war gleich null. Keine der Quellen will Amri wirklich gekannt haben. Details, Berichte, Informationen – alles Fehlanzeige. Das alles erinnert in erschreckender Weise an das NSU-Desaster.
Auch die Bund-Länder-Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes hat nicht funktioniert, obwohl der damals verantwortliche Verfassungsschutzpräsident Maaßen im September 2015 die neuen Kompetenzen für seine Behörde in den höchsten Tönen gelobt hat. Damals hat nämlich das BfV eine Zentralstellenfunktion bekommen – der Kollege Grötsch hat gerade darauf hingewiesen –, um die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu koordinieren. Aber, Herr Grötsch, auch sie ist nicht angewandt worden. Nur fünf Monate später, als Amri auf die Bühne trat, hätte sich diese neue Kompetenz bewähren müssen. Sie hätte sich bewähren können; aber das ist leider nicht passiert.
Nicht nur am Beispiel des verheerenden Anschlags vom Breitscheidplatz oder am Beispiel der schrecklichen NSU-Verbrechen, sondern auch an vielen, vielen weiteren Fällen sieht man: Der Schlüssel zu einer guten Sicherheitsarchitektur liegt eben nicht im wilden Ändern von Gesetzen oder in der Ausweitung von Befugnissen. Das alles ist Stellschraubenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Der Schlüssel liegt darin, die föderale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Grund auf neu aufeinander abzustimmen und aus den Organisationszusammenhängen der Nachkriegszeit endlich ins 21. Jahrhundert zu führen. Wir müssen die ineffektive Kleinstaaterei überwinden und Zuständigkeiten und Kompetenzen insgesamt neu regeln. Wir leisten uns immer noch 17 Inlandsnachrichtendienste – eine überflüssige Fragmentierung der Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen, die wir dringend überwinden müssen.
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Dabei geht es eben nicht um Zentralisierung, sondern um eine Verbesserung des Föderalismus.
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Auch bei der Kriminalitätsbekämpfung braucht es Bund-Länder-übergreifende Standards für die Qualifizierung von Personal, für die Ausstattung sowie für die Aufgabenwahrnehmung. Über Verwaltungsvereinbarungen können sich Bund und Länder wechselseitig verpflichten, bestimmte Ressourcen bereitzustellen, und sich gegenseitig über Ländergrenzen hinweg unterstützen. Das gilt auch für die Arbeit im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum oder in den anderen gemeinsamen Zentren; denn das sogenannte GTAZ ist doch schon lange viel mehr als eine schlichte Informationsbörse. Hier müssen wir aus einem Provisorium eine effektive Struktur machen, mit klaren rechtsstaatlichen Leitplanken zur Informationsweitergabe und für die Übernahme von Verantwortung in der Fallbearbeitung. Ob bei der Gefahrenabwehr oder bei der Kriminalitätsbekämpfung: Ländergrenzen dürfen der Sicherheitszusammenarbeit nicht im Wege stehen.
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Ich möchte der FDP für ihre Initiative danken, auch wenn Sie nicht das Copyright auf diese Idee haben. Wir stimmen Ihrem Antrag heute zu; denn wir teilen das Grundanliegen, dass wir eine solide Reform unserer Sicherheitsarchitektur brauchen.
Noch ein Wort an Sie gerichtet, Herr Schuster: So etwas abzulehnen mit der Begründung, dass das ja sowieso am Widerstand der Länder scheitert, das ist doch nur eine Ausrede; wenn Sie ganz ehrlich sind.
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Wie soll denn die Bundesebene den Ländern gegenübertreten, wenn sie es nicht schafft, eine einheitliche Position in dieser Frage zu formulieren? Heute haben Sie die Gelegenheit dazu. Wir werden dem Antrag zustimmen, und ich kann an alle hier im Haus appellieren, das auch zu machen.
Danke.
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Nächster Redner ist der Kollege Christoph de Vries, CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe FDP, in vielen Themenfeldern sind wir ja durchaus ähnlicher Auffassung; aber bei der inneren Sicherheit muss ich leider wiederholt feststellen, dass wir da auf keinen gemeinsamen Nenner kommen.
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Ich frage mich schon, was Sie mit dem vorliegenden Antrag inhaltlich eigentlich bewirken wollen. Wenn wir die Prosa außen vor lassen, stelle ich fest: Ihr Antrag ist in der Sache reichlich dünn. Von den neun Punkten, die Sie vorgelegt haben, sind acht ausschließlich organisatorischer und verfahrenstechnischer Art. Bei dem einzigen Punkt, in dem Sie konkrete inhaltliche Forderungen erheben, nehmen Sie selbst als Antragsteller, als Partei, als FDP überhaupt keine eigene Positionierung vor. Sie sagen uns nicht, was Sie eigentlich wollen.
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Ich will es Ihnen gerne erklären. Sie thematisieren beispielsweise die Zuständigkeiten für die Abschiebung ausreisepflichtige Gefährder. Sie lassen uns aber nicht wissen, ob Sie wollen, dass die Zuständigkeit beim Bund liegt oder ob Sie eine andere Lösung wollen.
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Sie fordern etwas nebulös Regeln für das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. Sie lassen uns aber nicht wissen, ob Sie das aufweichen wollen, ob Sie es abschaffen wollen oder was auch immer.
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Dieses Vorgehen zieht sich munter durch Ihren gesamten Antrag.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen auch: Wer Änderungen in unserer föderalen Sicherheitsarchitektur in Deutschland will, muss auch politisch mal ansatzweise Farbe bekennen, wohin die Reise eigentlich gehen soll. In Hamburg würden wir sagen: Da muss man endlich mal Butter bei die Fische geben.
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Solche inhaltlichen Tiefflüge sind wir von Ihrer Fraktion eigentlich nicht gewohnt;
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das kennen wir in der Regel von der benachbarten Fraktion.
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Dass Sie hierfür jetzt auch noch eine namentliche Abstimmung beantragen, setzt dem Ganzen die Krone auf.
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In Ihrem Antrag stehen ja ein paar substanzielle Forderungen, zum Beispiel die Schaffung einer digitalen Infrastruktur. Aber da ist doch schon viel passiert: Sie kennen das Projekt PIAV und andere.
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Die Werthebach-Kommission, eingerichtet von Thomas de Maizière, hat viele Vorschläge vorgelegt.
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Ich will Ihnen gerne sagen, was Ihr stellvertretender Bundesvorsitzender Wolfgang Kubicki am 5. Januar 2017 dazu gesagt hat:
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Das ist kompletter Nonsens. Wir haben doch schon ein FBI, es heißt nur Bundeskriminalamt. Noch mehr Konzentration führt zu noch mehr Fehlern. – Also, bei dieser Vielstimmigkeit innerhalb der FDP frage ich mich erst recht, was Sie denn nun eigentlich in der Sache wollen. Vielleicht fehlt da auch etwas Expertise; vielleicht bräuchte man auch mal wieder einen Innenminister in einem Bundesland.
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Das ist nur Spekulation.
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– Das stimmt; da sind wir durchaus beieinander.
Aber nun zum Vorschlag selbst. Es ist doch völlig klar: Wir haben kein Erkenntnisdefizit, wir haben ein Handlungsdefizit. Und zur Wahrheit gehört: Die Länder wollen schlichtweg keine Abgabe von Kompetenzen; das wissen wir alle. Nun können Sie doch nicht ernsthaft glauben, dass eine Kommission, die ähnlich heterogen zusammengesetzt ist wie die Innenministerkonferenz, auf einmal zu substanzielleren Ergebnissen kommen würde; das ist doch naiv. Ich will Ihnen das mit den Worten von Albert Einstein sagen:
Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.
Genau das machen Sie mit Ihrem Antrag.
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Ich will Ihnen aber auch sagen, was wir machen. Wir machen das Notwendige und das Machbare. Mit dem Pakt für den Rechtsstaat haben wir 2 000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte geschaffen, 7 500 neue Stellen für die Sicherheitsbehörden des Bundes, 7 500 Stellen bei den Länderpolizeien, die gemeinsamen Terrorabwehrzentren GTAZ und GETZ, das Nationale Cyber-Abwehrzentrum und vieles mehr. Und wir bleiben aktiv. Bundesminister Seehofer hat gestern wieder konkrete Vorschläge geliefert, wie unsere obersten Sicherheitsbehörden besser zusammenarbeiten können und sollen, um den Rechtsterrorismus in unserem Land zu bekämpfen. Also, kurz gesagt, um es mit Ihren Worten zu sagen: Die Union ist die Servicekraft für die Sicherheit der Menschen in Deutschland. Ich glaube, das können wir guten Gewissens sagen.
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Ein gut gemeinter Rat am Ende: Statt solche wenig zielführenden Forderungen immer wieder zu erheben, wäre es vielleicht doch besser, wenn Sie Ihre Position zum Verhältnis zwischen Sicherheit, Freiheit und Datenschutz etwas neu justieren würden; der Kollege Schuster hat es angesprochen. Denn wer ist bei allen wichtigen staatlichen Befugnissen, über die wir hier reden – Onlineuntersuchung, Quellen-TKÜ, Videoidentifizierung an Bahnhöfen –, regelmäßig nicht dabei? Das ist Ihre Partei. Sie sollten das mal überdenken während der Feiertage. Denn eins ist auch klar: Freiheit ohne Sicherheit gibt es nicht.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Susanne Mittag.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherheit an Leib und Leben ist ein Grundrecht. Dass der Staat dafür sorgt, dass alle Bürgerinnen und Bürger sich sicher fühlen und sich frei entfalten können, ist seine grundlegendste Aufgabe. Und wir als Abgeordnete sorgen für das gesetzliche Rüstzeug, damit das auch so bleibt. Gerade heute am dritten Jahrestag des Anschlags auf dem Breitscheidplatz in Berlin – es ist schon mehrfach erwähnt worden – werden wir schmerzlich an diese Aufgabe erinnert. Unser Mitgefühl gehört allen Angehörigen, die dort Verluste erlitten haben.
Doch anders, als die FDP es darstellen möchte, ist die nationale Sicherheitsarchitektur keinesfalls in Gefahr. Seit den 50er-Jahren hat sich schon einiges verändert. Ich hoffe, dass das auch irgendwann die FDP mitkriegt.
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Ja, es gibt Bedrohungen durch Terror, sei es von Rechtsradikalen oder von Islamisten. Wir alle haben die NSU-Mordreihe ebenso wenig vergessen wie den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Und ja, es wurden offensichtlich Fehler gemacht bei der Aufklärung dieses Verbrechens. Diese wurden zum großen Teil benannt und werden noch benannt, und es wird Abhilfe geschaffen. Aber: Zum einen haben wir bereits rechtliche Konsequenzen daraus gezogen, und zum anderen ist die von Ihnen vorgeschlagene Kommission ganz sicher nicht der Weg, auf vielfältige und komplexe und sich immer wieder ändernde Bedrohungslagen zu reagieren.
Sie stellen in Ihrem Antrag „grundlegende Struktur- und Kommunikationsmängel“ bei den Sicherheitsbehörden fest.
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Die Tatsache, dass die NSU-Morde trotz vieler Ähnlichkeiten nicht in einen Zusammenhang gebracht wurden, beruht allerdings zum Teil auf einem Ermittlungsmangel, im Rahmen der Bandbreite der Möglichkeiten nicht ausermittelt zu haben. Daher haben wir bereits 2015 erste und deutliche Konsequenzen gezogen. So kann der Generalstaatsanwalt früher und schneller Ermittlungen übernehmen. Schon bei Anhaltspunkten auf eine staatsfeindliche Tat, die dafür sprechen, dass der Staatsanwalt zuständig sein könnte, sind die Länder zur Vorlage des Falles verpflichtet. Außerdem haben wir das Strafgesetzbuch geändert: Nun wirken rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende Motive strafverschärfend. Das macht deutlich, dass jetzt auch immer in diese Richtung ermittelt werden muss.
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Natürlich haben wir auch auf das Attentat auf dem Breitscheidplatz reagiert. Die dort im Vorfeld und während der Ermittlungen erfolgten Unterlassungen werden derzeit, wie schon erwähnt, in einem Untersuchungsausschuss untersucht. Aber eines war auch schnell klar, ein hochrangiger Beamter aus Berlin fasste es zusammen: Es mangelt uns nicht an Gesetzen; wir haben ein Vollzugsdefizit – sprich: zu wenig Leute – und Abstimmungsprobleme.
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Daher haben wir seitdem die Sicherheitsbehörden auch beispiellos gestärkt, wenn ich das noch mal kurz erwähnen darf: Polizei, Justiz und Nachrichtendienste haben Tausende zusätzliche Stellen bekommen. Allein für das nächste Jahr sind 600 neue Stellen für das BKA und den Verfassungsschutz und rund 2 150 neue Stellen bei der Bundespolizei geplant. Die Informationsvernetzung wird schon seit Jahren forciert und darin investiert. Außerdem haben wir bundesweit vereinheitlicht, was ein Gefährder überhaupt ist. Bis dahin konnte jedes Bundesland selbst entscheiden, was ein Gefährder ist. Im Übrigen war einige Jahre zuvor diese Art von Gefährdern überhaupt noch nicht bekannt.
Auch das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, GTAZ, beschäftigt sich mittlerweile mit Gefährdern; das war auch nicht immer so. Bis 2016 wurden dort lediglich Sachstände erhoben, keiner hatte am Ende den Hut auf. Das weitere Vorgehen und auch, wer dafür verantwortlich ist, muss jetzt festgelegt werden. Es wurden also erste Lehren gezogen, und weitere werden noch folgen.
All diese beispielhaft genannten Schritte hin zu einer stärker abgestimmten Sicherheitspolitik haben wir längst unternommen, und das ohne jedes politische Showmanöver.
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Genauso auf europäischer Ebene – die darf man dabei nicht ganz außen vor lassen –: Dort wurde und wird der Tatsache, dass wir neue und sehr bewegliche Bedrohungslagen haben, Rechnung getragen und gehandelt, zum Beispiel durch SIRENE oder die Prümer Beschlüsse. Sie regeln im Kern den besseren und automatisierten Informationsaustausch der EU-Länder, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu verbessern.
Aber – hier kommt wieder ein Aber –: Bis jetzt funktioniert das nur unvollständig, weil viele EU-Länder diese Systeme nicht mit Daten füttern, und dann kann man sich schlecht austauschen.
Als Mitglied der Europol-Kontrollkommission kann ich nur sagen: Wir müssen noch sehr viel mehr Werbung machen, damit alle EU-Länder diese Systeme nutzen.
Das Plädoyer der FDP für mehr Informationsaustausch auf europäischer Ebene in allen Ehren, aber wenn man immer wieder neue Strukturen erfindet, müssen sie auch belebt werden. Das funktioniert nicht.
Apropos verbesserter Datenaustausch: Dass ausgerechnet Sie von der FDP jetzt eine Lanze dafür brechen, finde ich wirklich ironisch. Ihre Partei war es doch, die es Sicherheitskräften schon vor Jahren vor lauter Datenschutz fast unmöglich gemacht hat, sich ein umfassendes Bild zu verschaffen. Als ehemalige Polizeibeamtin weiß ich sehr wohl, wie frustrierend es ist, keine Informationen über mutmaßliche Täter zusammenführen zu können, weil aufgrund übermäßigen Datenschutzes kein Zugang zu den Datenbanken anderer Behörden besteht.
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Und erwarten Sie ernsthaft, dass je 16 Mitglieder von Bundesrat und Bundestag sich so weit in die komplexen Abläufe der Sicherheitsbehörden einarbeiten können – oder wollen –, dass die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit optimiert werden kann? Trauen Sie eigentlich unseren Sicherheitskräften gar nichts mehr zu?
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Damit schwächen Sie nur die Bund-Länder-Beziehungen, was nicht Sinn der Sache sein kann. Schließlich sollten sich Bund und Länder auch gegenseitig kontrollieren.
Es ist eine Mär, dass eine zentralistische Organisation besser funktioniert. Das Beispiel Frankreich zeigt: Sie war eher schlechter organisiert.
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Deswegen meine ich zu Ihrem Antrag: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gekonnt, und deswegen werden wir ihn ablehnen.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP der Kollege Konstantin Kuhle.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute jährt sich der Anschlag am Berliner Breitscheidplatz zum dritten Mal, und wir danken dem Herrn Bundestagspräsidenten, dass er heute der Opfer gedacht hat. Es ist aber nicht nur der dritte Jahrestag des Anschlags am Berliner Breitscheidplatz; ich erinnere auch an die schreckliche Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes. Es ist jetzt ungefähr acht Jahre her seit ihrer Entdeckung.
Ich glaube, dass manche hier im Haus immer noch zwei Fragen unterschätzen, die sich viele Opfer und viele Hinterbliebene stellen. Das ist die Frage: Wie konnte das passieren? Und es ist die Frage: Wie können wir verhindern, dass so etwas in Zukunft wieder passiert?
Wer die zweite Frage mit einer Stärkung unserer Sicherheitsbehörden beantworten will, der kann das auf drei Arten tun. Er kann die Sicherheitsbehörden mit mehr Personal und finanziellen Mitteln ausstatten. Ich glaube, da gibt es einen breiten Konsens im Haus.
Er kann die Sicherheitsbehörden in ihren Befugnissen stärken. Auch darüber wird hier regelmäßig diskutiert.
Und der dritte Weg: Er kann die Sicherheitsbehörden strukturell stärken. Wer sich immer noch einer strukturellen Reform der Sicherheitsbehörden auch beim Thema Föderalismus verweigert, der nimmt die Sorgen und die offenen Fragen auch der Opfer dieser beiden terroristischen Ereignisse nicht ernst.
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Deswegen legen wir Ihnen heute ein Konzept vor, mit dem wir in eine Reform des Sicherheitsföderalismus in Deutschland einsteigen wollen.
Meine Damen und Herren, es ist spannend, zu beobachten, aus welchen unterschiedlichen Gründen die beiden Koalitionsfraktionen heute gegen unseren Antrag stimmen werden. Auf der einen Seite ist die CDU/CSU, Herr Schuster. Sie werden heute gegen den Antrag für eine Föderalismusreform im Bereich der inneren Sicherheit stimmen. Aber Sie tun das wenigstens mit schlechtem Gewissen,
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weil Sie eigentlich wissen, dass wir eine Reform der Sicherheitsarchitektur im Bereich des Föderalismus brauchen.
Dagegen wird die SPD – und das ist das eigentlich Schlimme an der Sache – aus voller innerer Überzeugung gegen diesen Antrag stimmen. Meine Damen und Herren, das versteht draußen kein Mensch.
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Dass wir nach dem NSU und nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz immer noch 16 Landesämter für Verfassungsschutz haben, dass die Daten an verschiedenen Stellen gesammelt, aber nicht miteinander geteilt werden, dass es keine gesetzliche Grundlage für das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum gibt, dass Sie immer noch nicht die Lehren daraus gezogen haben, was da passiert ist, und dass Sie das auch noch im Brustton der Überzeugung als eine Verteidigung der deutschen Sicherheitsarchitektur darstellen, das ist wirklich schwach. Da hätte ich mir mehr gewünscht.
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Ich darf kurz aus den Beschlüssen der aktuellen Innenministerkonferenz vom 4. bis 6. Dezember 2019 zitieren. Die Innenministerkonferenz hat beschlossen: „Stärkung der Zentralstelle … in den Bereichen Analysekapazitäten“ usw. zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, „Aufbau einer Zentralstelle im Bundesamt für Verfassungsschutz … zur Erfassung von Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst …“ Beim Thema „Mobilisierung über das Internet“: Konzept für eine „Ausdehnung des Aufgabenbereichs der im BKA eingerichteten Service- und Clearingstelle … auf eine Zentralstellenfunktion …“
Die Innenminister machen das also längst. Fernab von dem, was hier im Deutschen Bundestag beschlossen wird, werden am lauschigen Kaminfeuer der Innenministerkonferenz die Befugnisse und Kompetenzen hin und her geschoben, und der Deutsche Bundestag hat rein gar nichts damit zu tun. Das ist nicht unser Verständnis von Innenpolitik.
Es braucht einen großen Wurf: mehr programmatische Kreativität, mehr politisches Engagement für eine Reform der Sicherheitsarchitektur. Deswegen: Stimmen Sie unserem Antrag heute zu!
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Philipp Amthor für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP leidet seit Beginn der Legislaturperiode an einem zentralen Problem: Sie können sich nicht entscheiden.
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Wir haben gestern eine FDP gesehen, die uns vorwirft, dass wir die Bürgerrechte schleifen und dass das, was wir mit den Kompetenzen der Sicherheitsbehörden machen wollen, ganz schlimm ist. Heute sehen wir eine FDP, die uns vorwirft, dass wir nicht beherzt genug in der Innenpolitik vorgehen. Das passt alles nicht zusammen.
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Deswegen will ich noch mal Ihren Frontphilosophen in Erinnerung bringen. Christian Lindner würde sagen: Es ist besser, keinen Populismus zu betreiben, als schlechten Populismus zu betreiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Gleichwohl ist das Anliegen „Reform der Sicherheitsarchitektur“ ein richtiges. Das haben wir schon zu Beginn in der ersten Debatte darüber gesagt.
Ich sage ganz offen: Reformdiskussionen über den Föderalismus sind nicht populär, und es wird nicht als das größte Problem gesehen. Aber es ist für die Handlungsfähigkeit unseres Staates eine zentrale Herausforderung.
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Und ja, für uns ist klar: Sicherheit und die größten Gefahren für unseren Staat – Terrorismus und Cyberkriminalität – nehmen keine Rücksicht auf die Grenzen von Ländern und erst recht nicht auf die Grenzen von Bundesländern. Deswegen ist es notwendig und richtig, dass wir über eine Föderalismusreform reden.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es ist nicht so, wie Konstantin Kuhle gesagt hat, dass wir hier mit einem schlechten Gewissen ablehnen, sondern aus der guten und richtigen Überzeugung, dass Ihr Antrag einfach zu kurz greift.
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Denn Sie verkennen einen wesentlichen Punkt: Wir könnten uns hier in der Frage einer Reform der Sicherheitsarchitektur gerade unter Innenpolitikern relativ schnell einig werden. Mit den Ländern sieht das allerdings komplizierter aus. Das hat auch damit zu tun, dass die Ministerpräsidenten solche Diskussionen zwar mit dem Grundgesetz auf dem Tisch, aber eher mit dem Taschenrechner unter dem Tisch führen.
Denn die große Diskussion, um die es hier geht, betrifft auch die Frage der Staatsfinanzen. Deswegen müssen wir vielleicht an dieser Stelle auch auf das große Problem hinweisen, das wir haben: dass seit Jahren die Leistungen von Ländern und Kommunen zunehmend vom Bund finanziert werden.
Um die Zahlen zu nennen: 85 Millionen Euro wird der Bund den Ländern allein im Jahr 2020 zur Verfügung stellen, und in den nächsten Jahren, konkret von 2019 bis 2023, geben wir Umsatzsteuermittel in Höhe von 72,5 Milliarden Euro an die Länder. Das führt dazu, dass die Länder erstmals ein Umsatzsteueraufkommen haben, das höher ist als das des Bundes. Und es führt dazu, dass wir ein klassisches Prinzip haben: Die Länder verkaufen Kompetenzen gegen Geld.
Das ist nicht überzeugend, liebe Kollegen. Es führt dazu, dass Wolfgang Schäuble recht hat: Wenn wir mit dem Föderalismus so weitermachen, dann sind alle für alles zuständig, aber niemand ist für irgendetwas verantwortlich. Das finden wir falsch, liebe Kollegen.
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Deswegen müssen wir es schaffen, dass wir als Bund hier klar zu unserer Verantwortung gegenüber den Ländern kommen. Und ja, da ist im Bereich der inneren Sicherheit einiges zu tun. Darauf wurde in der Debatte richtigerweise hingewiesen.
Wir wollen eine stärkere Zentralstellenfunktion unserer Sicherheitsbehörden des Bundes, insbesondere des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Wir wollen bessere und klarere Entscheidungswege gerade im Kampf gegen die übergreifenden Gefahren von Cyberterrorismus und Extremismus. Und ja, wir wollen auch den Weg zu einem Musterpolizeigesetz gehen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von der FDP, das, was wir uns unter einem Musterpolizeigesetz vorstellen,
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geht eher in die Richtung eines bayerischen Gesetzes, das State of the Art ist und gegen das Sie Hand in Hand mit der Antifa demonstriert haben.
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Wir wollen da lieber einen guten Standard erreichen. Die Gefahr für den Rechtsstaat sind nicht die Politiker, die für Kompetenzen auf der Höhe der Zeit werben, die Gefahr für den Rechtsstaat sind vielmehr die Politiker, die den Sicherheitsbehörden diese Kompetenzen verweigern wollen.
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Man muss feststellen: Jenseits einer großen Föderalismusreform stehen jetzt konkrete Diskussionen an. Es laufen Gesetzgebungsverfahren, bzw. es stehen Gesetzgebungsverfahren bevor zum Bundesverfassungsschutzgesetz, zum Bundespolizeigesetz, zur Cyberabwehr, auch zu einer aktiven Cyberabwehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die jetzt hier für die Sicherheitsbehörden gesprochen haben, Ihnen sage ich: Ihnen steht die Prüfung konkret bevor, wenn es darum geht, ob Sie bei diesen Gesetzgebungsvorhaben an unserer Seite stehen. Darauf setzen wir. Dann können Sie Ihre Lippenbekenntnisse in konkrete Taten umsetzen. Wir sagen: Es ist wichtig, es ist richtig, der Sicherheitsarchitektur unseres Landes ein Update zu geben. Gerade drei Jahre nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz sind wir dies den Opfern und unserem Land schuldig.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Michael Kuffer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, den Lautstärkepegel Ihrer Gespräche etwas zu senken und auch dem letzten Redner in der Debatte vor der namentlichen Abstimmung Gehör zu schenken.
Herr Kuffer, Sie haben das Wort.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ja, das Verbrechen und die Kriminalität machen nicht an den Landesgrenzen halt. Es ist nicht zu bestreiten, dass sich unsere Sicherheitsbehörden angesichts sich wandelnder Gefährdungslagen, angesichts der zunehmenden internationalen Vernetzung von Terroristen und Straftätern, angesichts der rasend schnellen Entwicklungen im Bereich von Cyber Crime und vielem anderen jeden Tag aufs Neue fortentwickeln und stetig anpassen müssen. Das steht außer Frage. Das betrifft die personelle Ausstattung, die technischen Kapazitäten und Fähigkeiten, die Befugnisse genauso wie die Arbeitsweise und die Vernetzung untereinander.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Kommissionen sind ja eine gute Idee, gerade auch den Föderalismus betreffend; ich knüpfe an die Vorschläge des Kollegen Brinkhaus an. Allerdings sind Kommissionen nur dann eine gute Idee, wenn man weiß, wo man hinwill. Sie aber haben es sich heute wieder einmal einfach gemacht und haben eine Kommission gefordert, nicht weil sie wissen, wo Sie hinwollen, sondern aus dem Grund, den man sozusagen im Handbuch für den kleinen Abgeordneten in Kapitel 1 finden kann. Auf die Frage: „Wie kannst du politische Aktivität vortäuschen, wenn du nix weißt?“, heißt die Anleitung: Wenn du gar nix weißt, stell einen Prüfantrag, wenn du wenig weißt, fordere eine Kommission. – Aber so, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir in der Regierung halt nicht arbeiten.
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Beruhigend ist zumindest, dass überall dort, wo Ihr Antrag dann doch noch – zumindest ein bisschen – konkret wird, die Ansätze dazu von uns stammen. Das ist etwas, worüber ich mich als Sicherheitspolitiker wirklich freue. Diese Art von Erkenntnisgewinn kann ich nur begrüßen.
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Ich hoffe nur, dass Ihr Erkenntnisgewinn auch dann noch andauert, wenn es demnächst um die konkrete Umsetzung weiterer Strukturreformen und ‑verbesserungen bei unseren Sicherheitsbehörden geht. Ich hätte jetzt fast gesagt: dass er auch dann noch andauert, wenn Sie eines Tages wieder einmal mitregieren wollen. Nur wollen Sie neuerdings ja nimmer regieren. Von daher bleibt das im Theoretischen.
In der Vergangenheit jedenfalls, liebe Kolleginnen und Kollegen, waren Sie in der Sicherheitspolitik nicht so dienstbeflissen, wie Sie das jetzt in Ihrem Antrag vorspielen wollen. Ich habe die Gnade des späten Eintritts in den Deutschen Bundestag, aber die Kolleginnen und Kollegen, die schon 2013 dabei waren, haben da horrible Erinnerungen, das kann ich Ihnen sagen. Sie sagen: Nahezu jede Initiative ist damals an der FDP gescheitert. Deshalb freue ich mich über diesen Erkenntnisgewinn bei Ihnen und hoffe, dass wir Sie jetzt auch beim Wort nehmen können. Im letzten Jahr jedenfalls – das ist schon angeklungen – war es, als es um das bayerische Polizeigesetz gegangen ist, damit noch nicht so weit her. Schauen wir mal, ob das in Zukunft besser klappt.
Vieles, was verbesserungswürdig war, ist in der Vergangenheit erkannt worden, und Verbesserungen sind auch umgesetzt worden. Deswegen gehen Ihnen da ja auch die Vorschläge und Argumente aus. Die Regierungskoalition, die Bundesregierung und unsere Sicherheitsbehörden sind Tag für Tag aktiv dabei, die Dinge weiterzuentwickeln und voranzubringen. Das gilt auch für unseren Bundesinnenminister, der bei diesen Themen bekanntermaßen nicht zu bremsen ist.
Ich weise nur auf die Ergebnisse der Werthebach-Kommission, die Vorstöße der Vorgänger im Bundesinnenministerium, der Bundesminister Schäuble und de Maizière, und die Handlungsempfehlungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss hin. Vieles davon konnte bereits umgesetzt werden, zum Beispiel: Die Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund wurde intensiviert. Die Koordination von länderübergreifenden Gefährdungssachverhalten wurde ausgebaut. Der Austausch zwischen den Polizeien des Bundes und der Länder wurde vertieft. Die Zentralstellenfunktion des BfV wurde gestärkt. Der Maßnahmenkatalog zur Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund wurde vorgestellt. Es wurde ein erheblicher Stellenaufwuchs realisiert;
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darauf ist bereits hingewiesen worden.
Abschließend möchte ich Ihnen noch eines sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn Sie uns bei der noch engeren Vernetzung von Bund und Ländern unterstützen wollen, ist uns das herzlich willkommen. Aber wenn Sie weiterhin die Länder als Deppen abstempeln wollen, dann sind und bleiben wir anderer Meinung.
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Bei aller Vernetzung sind und bleiben es die Länder, die am nächsten am Geschehen sind, die die speziellen Begebenheiten vor Ort am genauesten kennen und deshalb auch am gezieltesten handeln können.
Der beste Beweis dafür ist die erfolgreiche Arbeit der bayerischen Grenzpolizei, die der Freistaat im vergangenen Jahr – übrigens unter großem Gefeixe auch von Ihrer Fraktion – eingeführt hat. Seitdem wurden in den letzten zwölf Monaten 66 Schleuser festgenommen, 1 396 unerlaubte Einreisen unterbunden, in der Schleierfahndung wurden erhebliche Erfolge erzielt.
Sie können sich in Zukunft einbringen, wenn Sie das wollen. Sie sind uns herzlich willkommen. Eine weitere Kommission brauchen wir an dieser Stelle aber sicher nicht.
Vielen herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Angela Merkel im Jahr 2008 die große Ehre zuteilwurde, in der Knesset in deutscher Sprache eine Rede halten zu dürfen, da hat sie zwei ganz zentrale Sätze gesagt, die ich nur frei zitieren kann. Zum einen: Die historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson unseres Landes. Zum anderen: Daraus folgt, dass die Sicherheit Israels für uns nicht verhandelbar ist.
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Das bedeutet im Klartext, liebe Kolleginnen und Kollegen: Diese zwei Sätze sind erstens auch elf Jahre nach der Rede immer noch so aktuell wie damals. Es bleibt zweitens unsere Verantwortung, die zwei programmatischen Sätze jeden Tag auch immer wieder mit Leben zu erfüllen.
Wir als Koalitionsfraktionen haben gemeinsam mit der FDP diesen Antrag zur Hisbollah vorgelegt, weil wir der Auffassung sind, dass wir es nicht tatenlos hinnehmen können, dass eine terroristische Organisation, die zum einen das Existenzrecht Israels bestreitet und zum anderen eben auch mit terroristischen Mitteln das Land bekämpft, Deutschland als Rückzugsort, als Logistikraum, als Finanzierungsraum missbrauchen kann. Dem müssen wir uns mit aller Kraft entgegenstellen. Das machen wir mit dem vorliegenden Antrag deutlich.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN],
Es ist auch nicht so, dass es sich um ein kleines Problem handeln würde. Der Bericht des Verfassungsschutzes geht davon aus, dass die Hisbollah hier im vergangenen Jahr 1 050 Anhänger hatte. Das ist auch im Vergleich zu den vergangenen Jahren ein hohes Niveau. Es ist eine erneute Steigerung gegenüber den letzten Jahren gewesen. Wir haben Schwerpunkte in Berlin und in Hamburg. Alles deutet darauf hin, dass es wichtig ist, dass wir dem einen klaren und entschiedenen Riegel vorschieben.
Das hat die Bundesregierung im Übrigen auch in der Vergangenheit gemacht. Ich denke etwa daran, dass der Fernsehsender al-Manar-TV im Jahr 2008 durch Innenminister Wolfgang Schäuble mit einem Betätigungsverbot versehen worden ist. Ich denke auch an das Jahr 2014, als der damalige Innenminister Thomas de Maizière das Waisenkinderprojekt Libanon als Verein verboten hat. Dieses Verbot ist übrigens ein Jahr später vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden. Das waren richtige Entscheidungen. Auf diesem Weg wollen wir weiter vorgehen und dafür auch die Voraussetzungen schaffen.
Deswegen plädieren wir dafür, die Hisbollah mit einem Betätigungsverbot in Deutschland zu belegen, um damit auch ganz deutlich zu machen, dass wir alles tun möchten, damit von dieser Organisation in Deutschland keine Gefahr mehr ausgeht.
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Das hilft beispielsweise, gegen Kennzeichnungen vorzugehen. Das hilft vielleicht auch, um zukünftig den unsäglichen Al-Quds-Marsch, den auch der Innensenator Geisel hier in Berlin gerne verbieten möchte, zu verhindern. Ein Betätigungsverbot hätte also wirklich Folgen.
Der zweite Punkt, der uns ganz wichtig ist, ist, dass wir auf europäischer Ebene die sehr künstliche Trennung der Hisbollah in einen terroristisch-militärischen Arm einerseits und einen politischen Arm andererseits aufgeben. Ich weiß, dass die Bundesregierung im Jahre 2013 dabei nicht das Problem war, sondern sich genau darum schon bemüht hat. Aber wir sollten unsere Anstrengungen weiter intensivieren, hier zu einer klaren Haltung zu kommen. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat das so klar geäußert. Deshalb ist das ein richtiger Ansatz.
Nachdem ich schon etwas zu dem Koalitionsantrag gesagt habe, vielleicht noch ein Wort an die AfD. Sie hat hier zum wiederholten Mal einen Antrag vorgelegt, der sich auf den ersten Blick gegen Antisemitismus richtet und sich für Israel einsetzt. Ich frage mich nur, warum Sie hier einen Antrag gegen die Hisbollah verabschieden wollen, während drei oder vier Wochen zuvor Ihre Abgeordneten erneut in Syrien waren,
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dem Land, in dem Baschar al-Assad seinen Vernichtungskrieg nicht führen könnte, wenn er nicht von Hisbollah unterstützt würde. Das gehört zur Klarheit und zur Wahrheit mit dazu. Wir machen den richtigen Antrag und bitten dafür um Unterstützung.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion der AfD die Kollegin Beatrix von Storch.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor sechs Monaten hat die Alternative für Deutschland hier in der Tat den Antrag vorgelegt, die Hisbollah zu verbieten. Damals haben Sie alle hier diesen Antrag lautstark abgelehnt und blockieren ihn seitdem im Ausschuss.
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Jetzt, sechs Monate später, drehen Sie bei und gehen durch die Tür, die wir politisch geöffnet haben.
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Wenn Sie dieses Vorgehen bei mehreren AfD-Forderungen an den Tag legten, würde es in Deutschland wieder aufwärts gehen.
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Nur zu! Fühlen Sie sich von uns ruhig ermutigt!
Sie geben endlich und auch ausdrücklich die bis dahin gefühlte abstruse Unterscheidung zwischen einem legalen politischen Arm und einem illegalen militärischen Arm der Terrororganisation auf und fordern nun also ein Betätigungsverbot für beide Arme. Das geht in die richtige Richtung.
Noch im Juni bei der letzten Debatte zu diesem Thema hat Kollege Grötsch von der SPD hier an dieser Stelle gesagt: Die Hisbollah ist im Libanon „ein relevanter gesellschaftlicher Faktor“. Deswegen könne man sie in Deutschland nicht verbieten. – Mit der gleichen Logik müsste man auch die Mafia oder die Taliban hier politisch legal agieren lassen. Das ist vollständig absurd.
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Es freut uns, dass Sie diese Absurdität nun erkennen und in die richtige Richtung marschieren.
Aber Ihr Antrag weist zwei zentrale Schwächen auf. Sie wollen nur ein Betätigungsverbot. Wir wollen ein Vereins- oder Organisationsverbot. Nach dem Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 ist das Betätigungsverbot das mildere Mittel im Vergleich zu unserem Organisationsverbot. Es gibt doch keinen Grund in der Welt, gegen eine Terrororganisation mit dem milderen und nicht mit dem härteren Mittel vorzugehen.
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Sie machen den Seehofer: Sie bellen nur laut, aber Sie beißen nicht.
Der zweite schwere Mangel ist die Begründung Ihres Antrages. Sie schreiben – ich zitiere –:
Der Hisbollah zuzurechnende Vereinsstrukturen, die ein vereinsrechtliches Organisationsverbot begründen könnten, sind ... nicht feststellbar.
Das ist objektiv falsch. Das steht im Verfassungsschutzbericht – wortgleich 2017 und 2018; ich zitiere –:
In Deutschland pflegen die Anhänger der „Hizb Allah“ den organisatorischen und ideologischen Zusammenhalt unter anderem in örtlichen Moscheevereinen ...
Lesen Sie eigentlich Ihren Verfassungsschutzbericht? Falls er Ihnen zu lang ist: Es steht im Bericht von 2018 auf Seite 214. Schauen Sie dort einfach einmal nach.
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Frau von Storch, gestatten Sie eine Zwischenfrage von der FDP?
Nein, die gestatte ich jetzt nicht. – Wenn Sie die Moscheevereine der Hisbollah nicht antasten wollen, dann betreiben Sie reine Symbolpolitik. Es darf eben keine Symbolpolitik bleiben. Es geht um die konkrete Umsetzung. Die Propaganda der Hisbollah in Deutschland und die Terrorfinanzierung aus Deutschland müssen gestoppt werden. Die Moscheevereine, die es gibt, müssen aufgelöst werden, und – das ist besonders wichtig – die Hisbollah-Anhänger müssen ausgewiesen werden.
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Das, im Übrigen, entspricht auch der Forderung der Antisemitismusresolution des Bundestages. Sie fordert ausdrücklich aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Antisemitismus.
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Wenn das nicht auf die Hisbollah-Anhänger zutrifft, die Juden ins Gas schicken und Israel vernichten wollen, auf wen denn dann?
Das abscheuliche antisemitische Spektakel der Hisbollah am sogenannten Al-Quds-Tag müssen wir hier in Berlin seit 1996 ertragen, jedes einzelne Jahr. Damit muss endlich Schluss sein. Wir erwarten, dass Sie das Hisbollah-Problem bis zum nächsten Al-Quds-Tag in einem halben Jahr, der dann ausfallen wird, gelöst haben. Die Bürger sind Ihre Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden leid. Hören Sie endlich auf, nur Ankündigungen zu machen. Handeln Sie bitte.
Gesegnete Weihnachten.
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Der Kollege Müller-Rosentritt von der FDP erhält Gelegenheit zu einer Kurzintervention.
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Sehr geehrte Frau von Storch, können Sie mir die Frage beantworten, wie Sie dazu stehen, dass Mitglieder Ihrer Fraktion zum Regime von Assad reisen, dessen Land sich immer noch im Kriegszustand mit Israel befindet und dessen Regierung quasi Seite an Seite mit der Hisbollah kämpft?
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Meine Kollegen und ich machen uns ein eigenes Bild davon, was in dem Land los ist.
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In Ihrer eigenen Logik sollten Sie einmal überlegen, was das für Ihre Frage eigentlich bedeutet. Das Gegenteil dessen, was Sie insinuieren, ist richtig.
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Vielen Dank.
Vielen Dank. – Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächste spricht für die Fraktion der SPD die Kollegin Dr. Eva Högl.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut und wichtig, dass es uns gelungen ist, dem Deutschen Bundestag hier heute einen sehr ausgewogenen und trotzdem klaren und deutlichen Antrag vorzulegen. Den Antrag haben wir abgestimmt zwischen Innen- und Außenpolitikerinnen und ‑politikern. Das ist nicht immer ganz einfach. Ich denke, uns ist hier vor Weihnachten etwas Gutes gelungen.
Besonders wichtig sind für uns – ich glaube, das vertreten wir hier alle in großer Einigkeit – das Existenzrecht und die Sicherheit Israels. Das gehört zur deutschen Staatsräson.
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Deshalb haben wir hier im Deutschen Bundestag eine ganz besondere Verantwortung: einerseits für Israel und andererseits für die Jüdinnen und Juden, die glücklicherweise in Deutschland leben. Deswegen sagen wir mit diesem Antrag auch ganz klar: Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz.
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Das sind die beiden Ausgangspunkte, weswegen wir uns mit der Hisbollah beschäftigen und ganz klar sagen, dass wir die Hisbollah nicht dulden, sondern bekämpfen. Wir haben das alles schon mehrfach zum Ausdruck gebracht. Wir haben im Januar 2018 einen großen und umfassenden Antrag zur Bekämpfung von Antisemitismus beschlossen. Wir haben uns hier im April 2018 positioniert und die Staatsgründung Israels vor 70 Jahren begrüßt und einen entsprechenden Antrag einmütig im Deutschen Bundestag beschlossen. Nicht zuletzt dieses Jahr im Mai haben wir einen Antrag – er war umstritten, aber ein richtiges Signal – zur BDS-Bewegung formuliert, in dem stand, dass wir diese ablehnen und ihr keinen Platz einräumen.
Jetzt als vierten Schritt geht es um die Hisbollah. Die Hisbollah ist eine Terrororganisation. Sie bedroht Israel. Sie hetzt gegen Jüdinnen und Juden. Sie nutzt Deutschland als Rückzugsraum. Sie finanziert und unterstützt Terror. Sie ist auch weit verzweigt im Bereich der organisierten Kriminalität. Als Berliner Bundestagsabgeordnete sage ich hier deutlich: Es ist widerlich und unerträglich, wie die Hisbollah und ihre Mitglieder jedes Jahr zum Al-Quds-Tag aufrufen und auftreten. Das ist nicht zu ertragen.
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Wir waren aber bisher nicht tatenlos. Wir fangen jetzt nicht bei null an. Unsere Polizei, unsere Staatsanwaltschaften und nicht zuletzt aufgrund der allgemeinen Strafverfolgungsermächtigung der Generalbundesanwalt haben die Hisbollah und ihre Anhängerinnen und Anhänger im Blick. Auch unsere Nachrichtendienste beobachten die Hisbollah. Die Verbote des Fernsehsenders al-Manar und des Vereins Waisenkinderprojekt Libanon e. V. zeigen, dass wir nicht nur wachsam sind, sondern dass unser Rechtsstaat auch handelt.
Wir werden auch weiterhin mit allen Mitteln und Möglichkeiten des Rechtsstaates gegen die Hisbollah und ihre Unterstützer und Unterstützerinnen vorgehen. Das betrifft Geldwäsche, das betrifft organisierte Kriminalität und die Terrorfinanzierung. Wir wollen jetzt ein Betätigungsverbot auf den Weg bringen. Das ist zentraler Gegenstand unseres Antrages. Das wird ein ganz wichtiger Baustein sein, damit wir noch konsequenter gegen die Hisbollah vorgehen können.
Wir werden die Strukturen auch weiterhin beobachten. Denn am Ende steht immer noch die Frage, ob es nicht für ein Vereinsverbot reicht. Zurzeit sind die Strukturen noch nicht so gefestigt,
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aber das werden wir weiter im Blick haben.
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Wir bleiben dabei nicht stehen. In dem Antrag steht viel Gutes drin, aber wir werden auch noch weitere Dinge auf den Weg bringen. Zum Beispiel haben wir geplant – das werden wir auch vorlegen –, dass § 46 im Strafgesetzbuch in dem Sinne verschärft wird, dass wir Antisemitismus als Strafverschärfungsmöglichkeit aufnehmen. Das ist geplant. Die Bundesjustizministerin hat bereits Vorschläge vorgelegt, die vorsehen, dass wir auch das Verbrennen von Flaggen unter Strafe stellen. Das betrifft insbesondere die israelische Flagge, die an dem genannten Al-Quds-Tag häufig verbrannt wird. Das sind zwei wichtige Bausteine im Strafrecht, die wir in der nächsten Zeit angehen werden.
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Alle, die unsere Demokratie bedrohen, alle, die unseren Rechtsstaat bedrohen – dazu gehört die Hisbollah auch und insbesondere in Deutschland –, werden wir mit allen Mitteln und Möglichkeiten des Rechtsstaates bekämpfen. Dieser Antrag ist ein Beitrag dazu. Deswegen bitte ich Sie um Unterstützung.
Vielen Dank.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für jüdisches Leben in Deutschland, und es ist ein guter Tag im Kampf gegen Antisemitismus. Wir bezeichnen die Hisbollah als das, was sie ist: eine terroristische Organisation. An dieser Initiative haben wir als Freie Demokraten einen nicht unwesentlichen Teil.
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Wir unterhalten uns seit über einem Jahr sehr intensiv mit beteiligten Behörden, aber auch mit jüdischen und israelischen Organisationen darüber, welcher der richtige Weg im Kampf gegen die Hisbollah ist. Wir haben aus diesen Ideen im November einen Antrag formuliert und sind mit dem Antrag auf Sie, auf die Koalitionsfraktionen, mit dem Ziel zugegangen, hier einen gemeinsamen Antrag vorzulegen. Es erfüllt mich mit Stolz und Freude, dass es uns gelungen ist, unsere Kernpunkte mit in diesem Antrag zu verankern. Das sind nämlich europäische Gespräche, und das ist ein Betätigungsverbot gegenüber der Hisbollah. Vielen Dank für die Zusammenarbeit und für dieses starke Zeichen!
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Es ist ein starkes Zeichen für Jüdinnen und Juden in Deutschland, für Israel, aber auch für Europa. Denn der Deutsche Bundestag verabschiedet sich heute endlich von dieser künstlichen Trennung innerhalb der Hisbollah, die die Hisbollah selber ja beschreitet. Und: Wir haben weiterhin das Ziel einer europaweiten Listung der Hisbollah als terroristische Organisation. Ja, die Gespräche mit Frankreich werden schwierig. Aber die deutsch-französische Freundschaft muss und die deutsch-französische Freundschaft wird das aushalten, weil wir gute Argumente haben.
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Die weltweite Verwicklung der Hisbollah in Drogen- und Waffenschmuggel sichert ihr ja neben der direkten Finanzierung über den Iran hinaus die politische und militärische Grundlage im Libanon im Kampf gegen Israel und im Kampf gegen Jüdinnen und Juden hier in Europa. Das geht auch aus dem Europol-Bericht aus dem Jahr 2018 hervor, der die Verbindung zwischen organisierter Kriminalität und der Hisbollah offenlegt, beispielsweise aus Einkünften aus Geldwäsche zum Mittel der Terrorfinanzierung. Es ist beschämend, dass Deutschland hier der Rückzugsraum in Europa für die Finanzierung und die Logistik der Hisbollah ist.
Deswegen ist es richtig, dass wir diese Organisation mit einem Betätigungsverbot belegen, und es ist richtig, dass die Bundesregierung endlich eine generelle Strafverfolgungsermächtigung erlassen hat. Herr Staatssekretär Lange, es war ja ein bisschen schwierig für Sie, meine Frage zu beantworten, ob und wann die Bundesregierung diese Strafverfolgungsermächtigung erlassen hat. Nach erneutem Nachfragen haben Sie dann zugegeben, dass es jetzt so weit ist.
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Ich kann Ihnen zusagen als Fraktion der Freien Demokraten: Wir werden mit Argusaugen darauf achten, dass diese generelle Strafverfolgungsermächtigung in Deutschland mit Leben erfüllt wird und dass diese auch Konsequenzen für die Hisbollah hat.
Wir haben als Deutscher Bundestag, als Bundesrepublik Deutschland eine Verantwortung für Israel, nicht nur aus historischen Gründen aufgrund der Shoah, sondern auch weil Israel die einzige freie Demokratie im Nahen Osten mit Grund- und Menschenrechten ist. Deswegen gilt es, dieses Land zu schützen. Am Israel Chai! Frohe Weihnachten! Frohes Chanukka!
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Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. – Wir reden hier heute über ein sehr wichtiges, ein komplexes und auch sehr emotionales Thema. Es geht um Antisemitismus, aber es geht auch um Außenpolitik. Ich finde es nicht akzeptabel, dass hier ein Antrag der Koalitionsfraktionen kurz vor Weihnachten in drei Tagen durch den Deutschen Bundestag gepeitscht wird, der weitgehende Implikationen hat, auf die ich jetzt eingehen werde.
({0})
Der Antrag der Koalitionsfraktionen ist mit heißer Nadel gestrickt. Es sind nicht nur sachliche Fehler darin, sondern er widerspricht sich auch selbst. Sie schreiben:
Gleichzeitig ist sie
– die Hisbollah –
ein zentraler Akteur in der politischen, militärischen und gesellschaftlichen Landschaft Libanons, insbesondere für die Belange der schiitischen Bevölkerungsteile. Bei einer Gesamtbewertung der komplexen Gemengelage muss berücksichtigt werden, dass die Hisbollah im libanesischen Parlament vertreten und aktuell Teil der Regierung … ist.
Was bedeutet das denn dann für die Beziehungen, wenn – das ist auch im Antrag beabsichtigt – die Hisbollah auf die EU-Terrorliste gesetzt wird? Heißt das Abbruch der diplomatischen Beziehungen?
({1})
Heißt das Sanktionen? Wie wird man damit umgehen? All das ist ungeklärt und hätte diskutiert werden müssen.
({2})
Deswegen finde ich es nicht akzeptabel, das hier ohne Ausschussüberweisung einfach so abzustimmen.
({3})
Herr Hunko, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin von Storch?
Ja.
Ist Ihnen bewusst, dass es zahlreiche Länder gibt, die die Hisbollah auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt haben, so die USA oder Großbritannien, und dass diese trotzdem diplomatische Beziehungen dahin unterhalten? Oder wissen Sie das einfach nicht?
Mir ist sehr bewusst, dass es fünf Länder gibt, die die Hisbollah als Gesamtorganisation auf die Terrorliste gesetzt haben. Das sind die USA, Großbritannien, Argentinien, die Niederlande und Israel.
({0})
Aber die große Mehrheit, auch der europäischen Staaten, tut es nicht, sondern hat nur die Hisbollah-Miliz auf die Terrorliste gesetzt,
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um eben auch politische und auch diplomatische Beziehungen zur Regierung im Libanon aufrechterhalten zu können.
({2})
Um es ganz klar zu sagen: Vorstellungen, die auf die Vernichtung Israels abzielen, die Antisemitismus befördern oder die Terroranschläge befürworten, lehnt Die Linke immer und überall entschieden ab.
({3})
Aber nicht alles, was gut gedacht ist, ist auch gut gemacht. Wir müssen auch darüber diskutieren, was es bedeutet, wenn die Hisbollah auf die EU-Terrorliste kommt; Sie haben das vorhin angedeutet, Herr Strasser. Frankreich sieht das zum Beispiel ganz anders. Viele europäische Staaten sehen das ganz anders. Ich hätte mir gewünscht, dass wir hierüber eine Diskussion führen, und zwar auch über die außenpolitischen Auswirkungen eines solchen Antrages.
({4})
Das ist nicht möglich. Deswegen kann die Linke Ihrem Antrag nicht zustimmen.
Ein letzter Gedanke: Es ist aufgrund der Situation im Nahen und Mittleren Osten, auch im Libanon, ausgesprochen wichtig, dass dort diplomatisch vermittelt werden kann. Deutschland sollte dazu einen Beitrag leisten. Ich fürchte, Sie gehen mit diesem Antrag einen Weg, in dem so eine Vermittlung in Zukunft nicht mehr möglich sein wird. Deswegen werden wir nicht zustimmen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Irene Mihalic.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Presse war zu lesen, dass man sich innerhalb der Bundesregierung auf ein Betätigungsverbot der Hisbollah in Deutschland geeinigt hat. Das begrüßen wir, und wir erwarten auch eine schnelle Umsetzung des Verbots. Die CDU/CSU hat das ja dann auch gleich aufgegriffen und schickte uns letzten Freitagnachmittag den Antrag der Großen Koalition zu: Die FDP sei schon an Bord, und wir Grüne könnten den Antrag ja auch unterstützen; aber am Text könne man jetzt bedauerlicherweise nichts mehr ändern.
({0})
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auf so eine Weise lassen wir uns nicht mit ins Boot zerren, nach dem Motto: Friss oder stirb.
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Wir wollen uns auch nicht in Lobes- und Dankeshymnen gegenüber der Regierung ergehen für Maßnahmen, die sie ja noch nicht einmal getroffen hat. Vorauseilende Ergebenheit entspricht jetzt nicht unserem Parlamentsverständnis.
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Oder haben Sie das mit „Serviceopposition“ gemeint, liebe FDP?
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Zum Inhalt: Wir teilen wesentliche Passagen Ihres Antrags. Ja, wir wollen Betätigungsverbote für die Hisbollah in Deutschland. Ja, wir wollen das Rekrutierungs- und Finanzierungsnetzwerk der Hisbollah konsequent und lückenlos zerschlagen. Denn die Hisbollah ist eine Terrororganisation. Sie nutzt Deutschland als Rückzugsraum, aber auch für kriminelle Aktivitäten wie Menschenhandel und Geldwäsche. Deshalb ist es richtig, eine allgemeine Strafverfolgungsermächtigung nach § 129b zu erteilen.
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Wir hätten uns wahrscheinlich sehr schnell auf einen gemeinsamen Antrag einigen können.
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Hätten Sie uns beteiligt, hätten wir Ihnen aber auch klar gesagt, dass die fünfte Forderung Ihres Antrags für uns in keiner Weise tragbar ist. Mich wundert es schon, liebe SPD – und Sie wurden ja hoffentlich beteiligt –, dass Sie auch weiterhin jede Chance auslassen, sozialdemokratisches Profil zu zeigen. Denn der Punkt 5 ist doch nichts anderes als ein Blankoscheck für eine militärische Intervention im Nahen Osten, und das geht auf gar keinen Fall.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Punkt hat es uns leider unmöglich gemacht, dem Antrag der Koalition und der Service-FDP zuzustimmen, auch wenn wir uns im Kern einig sind. Deshalb werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten und stellen einen eigenen Antrag hier zur Abstimmung. Ich kann alle Kolleginnen und Kollegen hier in diesem Haus nur auffordern: Wenn Sie die Hisbollah konsequent mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen, sich aber nicht pauschal für einen Militäreinsatz im Nahen Osten aussprechen wollen,
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dann sollten Sie unserem Antrag zustimmen.
Ganz herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Johann Wadephul.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte für meine Fraktion und, ich glaube, auch für den Koalitionspartner zunächst einen Dank an die Freien Demokraten dafür richten, dass wir Unterstützung für den Antrag bekommen. Ich möchte die grüne Fraktion insofern ansprechen, als ich die wesentlichen Passagen der Unterstützung dankbar zur Kenntnis nehme und deshalb festhalte: Die Mitte dieses Hauses steht hinter der Aussage der Bundeskanzlerin, dass die Existenz eines Staates Israel zur Staatsräson Deutschlands gehört und dass alle, die das bekämpfen – und die Hisbollah bekämpft die Existenz Israels –, wissen müssen: Sie richten sich damit gegen uns. Wir stehen an der Seite Israels; das ist die zentrale Aussage.
({0})
Das muss man erkennen, und daraus muss man entsprechende Konsequenzen ziehen.
Ich möchte zu den außenpolitischen Implikationen, die hier seitens der Linken-Fraktion zu Ausflüchten geführt haben, noch etwas sagen: Die Hisbollah ist durch ihren Einsatz in Syrien – dazu haben Sie jetzt gar nichts gesagt – nicht nur zu einer Bedrohung Israels geworden, sondern auch zu einer Bedrohung des Friedensprozesses in Syrien. Sie destabilisiert den Libanon, und sie verfügt über ein Waffenpotenzial, das sie zu einer ernsthaften Gefährdung des gesamten Friedensprozesses in der Levante macht.
Hunderttausend Raketen, die hauptsächlich gegen Israel gerichtet sind, müssen wir als militärisches Faktum zur Kenntnis nehmen. Das erwartet eine internationale Antwort von uns. Frau Kollegin Mihalic, selbstverständlich ist mit dem, was wir hier aussagen, auf keinen Fall eine militärische Intervention gemeint.
({1})
Es ist völlig abwegig, das zu unterstellen.
({2})
Aber wir sind alle aufgefordert, die Hisbollah auch international zu isolieren. Sie bedroht Israel. Sie bedroht den Friedensprozess im gesamten Nahen Osten. Deswegen müssen wir der Hisbollah entgegentreten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Die Hisbollah ist im Übrigen auch kein guter und ernstzunehmender Anwalt der Schiiten im Libanon. Sie verhindert einen politisch friedlichen, stabilen und wirtschaftlich prosperierenden Libanon. Generalsekretär Hassan Nasrallah hat in der aktuellen Staatskrise im Libanon gerade noch einmal deutlich gemacht, wie die Hisbollah sich verhalten wird: Sie will das dysfunktionale, also krisenanfällige, System erhalten, und sie will weiterhin ein Staat im Staate sein. Die Hisbollah ist keine aufrichtige Vertreterin der schiitischen Interessen im Staate Libanon, sondern sie ist der verlängerte Arm des iranischen Regimes im Libanon. Das müssen wir erkennen. Auch im Sinne einer vernünftigen Libanon-Politik muss man sich von der Hisbollah distanzieren.
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Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, brauchen wir an dieser Stelle keine Belehrungen von Fraktionen, die es für richtig halten, sich mit dem Schlächter Assad zu zeigen.
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Man muss nicht mit dem syrischen Regime gemeinsam in der Öffentlichkeit auftreten, Frau Kollegin von Storch, um zu wissen, was dort geschehen ist; das braucht man nicht.
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Assad ist ein Schlächter, der mit offensichtlichem Giftgaseinsatz sein eigenes Volk bekämpft hat.
Ich will Ihnen auch sagen: Wenn Sie sich zum Staat Israel bekennen wollen und wenn Sie sich zur Verantwortung Deutschlands bekennen wollen – Deutsche haben im vergangenen Jahrhundert in einer schrecklichen Art und Weise versucht, das jüdische Volk zu vernichten –, dann sind Sie gut beraten, in den eigenen Reihen dafür zu sorgen,
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dass nicht gewisse Flügel zu einer Relativierung der deutschen Verantwortung gegenüber Israel beitragen. Das wäre Ihre Aufgabe.
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Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der SPD der Kollege Dr. Nils Schmid.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der guten Ordnung halber will ich darauf hinweisen: Die Große Koalition hat einen Antrag vorbereitet, die FDP eingeladen, mitzumachen – sie macht mit, vielen Dank –, und die Grünen eingeladen, mitzumachen. Sie machen nicht mit.
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Sie haben Ihre Argumente vorgetragen.
Aber ich bin froh, dass wir uns in der Sache einig sind, dass nämlich die Hisbollah mit terroristischen Mitteln gegen Israel kämpft und dass wir deshalb an der Seite Israels stehen, um das Existenzrecht Israels als jüdischer und demokratischer Staat in gesicherten Grenzen im Nahen Osten aufrechtzuerhalten. Das ist die Haltung der großen Mitte des Hauses. Dafür herzlichen Dank.
({1})
Wir sind auch der Überzeugung, dass der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern auf friedlichem Wege, durch eine politische Lösung, gelöst werden muss. Deshalb haben wir in dem Antrag noch mal ausdrücklich festgehalten, dass wir auf der Basis der Resolution der Vereinten Nationen eine Zweistaatenlösung anstreben. Auch das ist wichtig; denn genau das unterscheidet uns von den Kräften im Nahen Osten, unter anderem von der Hisbollah, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennen und die unter dem Vorwand der vermeintlichen palästinensischen Interessenvertretung aktiv gegen Israel kämpfen. Das halten wir für nicht akzeptabel. Gerade deshalb halten wir an der Zweistaatenlösung als Grundlage für nachhaltigen Frieden in Israel und Palästina fest.
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Wir haben auch gar nichts, was Kollege Grötsch oder andere in der Vergangenheit gesagt haben, zurückzunehmen. Ohne Zweifel ist die Hisbollah ein relevanter politischer, sozialer und auch militärischer Faktor im Libanon. Deshalb haben wir auch immer darauf hingewiesen, dass man das nicht einfach verdrängen kann. Aber die gedankliche Trennung in einen militärischen und einen politischen Arm war immer politischen Überlegungen geschuldet.
Wir können unsere Augen nicht davor verschließen, dass die Hisbollah in den letzten Jahren deutlich aggressiver geworden ist, was Aktivitäten gegenüber Israel anbelangt. Die Aufrüstung durch hochmoderne Raketentechnologie mit iranischer Unterstützung ist vom Kollegen Wadephul genannt worden. Auch das Eingreifen in den syrischen Krieg an der Seite Irans verdeutlicht ja, dass die Hisbollah kein rein libanesischer Akteur ist, sondern dass sie zu einem Partner Irans in der regionalen Politik geworden ist. Deshalb ist es richtig, dass wir unter Ziffer 5 des Antrags dies auch festhalten und dagegen vorgehen wollen – natürlich mit politischen Mitteln; von militärischen Mitteln ist ja gar keine Rede.
Ich denke zum Beispiel an die Syrien-bezogenen Sanktionen, die es international gibt, die natürlich auch auf Hisbollah-Akteure in Syrien ausgedehnt werden können. Genau das wollen wir mit den internationalen Partnern besprechen. Deshalb ist dieser Antrag auch in diesem Punkt richtig.
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Ich will noch mal festhalten: Es ist uns gelungen, mit diesem Antrag deutlich zu machen, dass wir innenpolitisch alles dafür tun, um Hisbollah-Aktivitäten in Deutschland trockenzulegen, und dass wir außenpolitisch nach wie vor die richtige Balance gefunden haben, aber gerade auch mit den europäischen Partnern darüber reden wollen, wie angesichts der Ausweitung der militärischen und terroristischen Aktivitäten der Hisbollah im Libanon und darüber hinaus vorgegangen werden kann. Deshalb bitte ich um breite Zustimmung zu diesem Antrag.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält das Wort der fraktionslose Abgeordnete Mario Mieruch.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wäre ich Israeli und würde heute hier stehen, würde ich mich fragen, ob ich lachen oder weinen soll. Die AfD stellt einen Antrag, das längst überfällige Verbot der Hisbollah zu beschließen. Jeder normal denkende Bürger wird jetzt sagen: Eine Terrororganisation zu verbieten, völlig richtige Sache! – Ja, das sage ich auch.
Dann schaut man aber auf die namentliche Aufzählung der Antragsteller und findet die Leute, die von sich sagen, dass zwischen sie und Höcke kein Blatt Papier passt, die der Meinung sind, die NPD vertrat bisher als einzige Partei die Interessen Deutschlands, die mit der Hand auf dem Herzen an der „Wolfsschanze“ standen, deren Autos Kennzeichen wie „AH 1818“ oder „GD 3345“ haben oder die ihre lustigen Wehrmachtsbilder an ihre Büroleiter zu Recherche- und Archivierungszwecken schicken. Aufschrei, Empörung. Konsequenzen? Keine.
({0})
Nicht doch! Im Gegenteil: Wer den Björn kritisiert, der fliegt hochkant aus der Landesgruppe. Ich habe das schon mal gesagt: Wer es wirklich ernst meint – und ich weiß: Es gibt da noch ein paar, die es wirklich ernst meinen –, der sollte endlich die Konsequenzen ziehen und sich klar distanzieren.
({1})
Denn Israel hat zuletzt nicht umsonst deutlich gemacht – auch hier in der Vertretung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft –, dass es auf solche falschen Freunde verzichten möchte.
({2})
Wäre ich Israeli, würde ich aber auch die anderen Fraktionen tadeln.
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Denn die vielgepriesene deutsche Staatsräson, die aus partei- und fraktionstaktischen Spielchen hier monatelang verschleppt wird, ermöglicht es, wie es heute schon angesprochen wurde, in Berlin antisemitische Veranstaltungen zuzulassen und hier ganz schön rumzueiern. Deutschland hat Israel an den Iran verraten. Es erkennt Israels Recht auf Benennung seiner Hauptstadt nicht an. Es stimmt in der UN gegen Israel ab. Unserem dortigen Vertreter brachte das den Titel, für die schlimmsten antisemitischen Vorfälle mitverantwortlich zu sein, ein.
({4})
Und Heiko Maas nimmt ihn daraufhin in Schutz und sagt, er vertrete bei sämtlichen Abstimmungen die Haltung der Bundesregierung. Ja, das haben wir leider alle befürchtet. Das kann es auch nicht sein.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Dr. Reinhard Brandl für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Mieruch, vielen Dank für den ersten Teil Ihrer Rede.
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Es war ein deutliches Signal gegen die falschen Freunde Israels und gegen diesen falschen Populismus, den die AfD heute hier aufführt. Herzlichen Dank für diesen Teil Ihrer Rede.
({1})
Meine Damen und Herren, von der heutigen Debatte wird ein Signal ausgehen. Das Signal wird sein, dass der berühmte Satz, dass die Sicherheit und das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson gehören, nicht nur ein Satz ist, den die Bundeskanzlerin mal vor elf Jahren in einer Rede vor der Knesset gebracht hat, sondern dass er auch von der breiten Mehrheit dieses Deutschen Bundestags geteilt wird.
Meine Damen und Herren, die Hisbollah ist eine Terrororganisation. Sie bestreitet das Existenzrecht Israels. Sie ist eng mit dem Iran verbunden, und – der Kollege Wadephul hat es eben erwähnt – sie destabilisiert die eh schon fragile Situation im Nahen Osten. Man kann die Aufzählung fortsetzen: Sie ist weltweit dem Drogen- und Waffenschmuggel verbunden. Sie hat im Libanon einen Staat im Staate etabliert. Ihr militärischer Arm, die militärischen Kapazitäten, die Waffen sind eine unmittelbare Bedrohung für Israel. Und dass sie entgegen ihrem eigenen Friedensabkommen im Libanon, das eigentlich eine Nichteinmischung in die Angelegenheiten von Nachbarstaaten vorsieht, bereit ist, ihre Waffen auch in Nachbarstaaten zum Einsatz zu bringen, zeigt sie in Syrien.
Das alles sind Gründe genug für diesen Antrag und die Aufforderung an die Bundesregierung, in Deutschland ein Betätigungsverbot für die Hisbollah zu erlassen. Die Hisbollah ist in Deutschland zum Teil offen, in Berlin, aktiv, zum großen Teil aber verdeckt. Aber sie ist hier. Allein im Jahr 2018 hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof 36 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Hisbollah angestoßen, und es ist gut, dass unsere Sicherheitsbehörden diese Umtriebe im Blick haben und dass sie mit allen Mitteln des Rechtsstaats dagegen vorgehen. Wir müssen natürlich damit rechnen, dass die Hisbollah Anschläge in Israel oder gegen israelische Interessen plant. Wir müssen natürlich damit rechnen, dass solche Anschläge, terroristische Aktionen, nicht nur im Nahen Osten selbst geplant werden, sondern dass auch Rückzugsräume, logistische Plattformen, zum Beispiel in Deutschland, genutzt werden, um Anschläge vorzubereiten, zu planen oder finanziell zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, das dürfen wir nicht zulassen. Wir dürfen es nicht zulassen in Deutschland, wir dürfen es aber auch nicht zulassen in Europa. Insofern ist unser Antrag ein erster Schritt. Als nächster Schritt muss eine gemeinsame Bewertung der Hisbollah in Europa erfolgen, und es müssen auch europaweite Maßnahmen zur Unterbindung von solchen Aktivitäten erfolgen.
In diesem Sinne bitte ich Sie alle um Zustimmung zu unserem Antrag und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({2})
Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land gerät aus dem Lot: zwischen Stadt und Land, aber auch immer mehr innerhalb der Städte. Lebenswerte Stadtviertel sind bedroht. Wer ein Beispiel braucht, braucht sich nur anzuschauen, wie die Zalando-Brüder in Berlin investiert haben, sodass am Ende durch die Spekulationen das älteste Ärztehaus der Stadt weichen musste. Das sind Zustände, die wir nicht dulden können.
({0})
Es darf nicht sein, dass unsere Städte nur noch überteuerte Fassaden sind für Touristinnen und Touristen oder für Wohlhabende, die hier eine Teilzeitbleibe brauchen. Am Ende gehen sie auch noch, weil die Klubs und Galerien verschwinden. Wir müssen unsere Heimat gegen Ausverkauf verteidigen. Bodenspekulationen und Land Grabbing in Stadt und in Land – das ist heute Realität. Bei mir in Ostdeutschland sind die Preise für Ackerland seit 2010 um fast 150 Prozent gestiegen. Das darf uns nicht in Ruhe lassen, meine Damen und Herren.
({1})
Das ist Entfremdung, und das ist auch Kontrollverlust. Eine Baugesetznovelle, meine Damen und Herren, kann ja wohl nicht so schwierig sein.
Vor allem in den großen Städten explodieren die Preise. Hans-Jochen Vogel hat berechnet, dass es in München seit 1950 eine Steigerung von 34 000 Prozent gab. Liebe SPD, das muss doch für Sie besonders bitter sein. Ihr ehemaliger, fast 94-jähriger Vorsitzender macht darauf aufmerksam. Mietpreisbremse und alles andere, was Sie gemacht haben, wirken leider überhaupt nicht.
({2})
Ich will Ihnen aber auch ein Beispiel aus dieser Stadt nennen, Berlin-Mitte: Eine Kita in der Stadt sucht händeringend Erzieherinnen und Erzieher. Tolle Kita, nette Kolleginnen und Kollegen und kaum Bewerbungen und häufig die Situation, dass die Erzieherin nach einem halben Jahr wieder geht. Warum? Weil sie am Stadtrand ein Angebot hat, Erzieherin zu werden, und weil sie sich dort die Miete noch leisten kann. Das ist die Situation, die wir heute schon hier in dieser Stadt haben. Ich sage noch mal: Das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren.
({3})
Umgekehrt: In den Kleinstädten schließen die Geschäfte, Preise verfallen, und es gibt keinen vernünftigen Anschluss im öffentlichen Nahverkehr. Es geht um den sozialen Frieden, es geht um den Zusammenhalt und um Wohnungen für Familien wie für Rentnerinnen und Rentner, für Studis, aber auch um Räume für Gewerbe, für Arztpraxen, für Kitas, für Schulen und nicht zuletzt für Kinos und Theater. Wem gehört die Stadt eigentlich? Wo ist der öffentliche Raum? Wo sind Orte, an denen man sich treffen kann, ohne dass es etwas kostet, wo Freifläche ist, wo Grün ist, wo Raum für Menschen ist und nicht für Autos, die parken oder im Stau stehen? Es geht um mehr als um Mieten, die Sie auch schon nicht gedeckelt kriegen. Es geht um Heimat. Und die darf kein Spekulationsobjekt sein. Darum geht es, und deswegen legen wir Ihnen heute ein sehr umfassendes Konzept vor, meine Damen und Herren. Es ist dringend notwendig, weil Sie vergessen haben, zu handeln. Viele Kommunen bemühen sich, die Bundesregierung leider nicht. Deswegen ist das so nötig. Es geht in diesen Zeiten um die soziale Frage in dieser Stadt, in diesem Land.
Eines muss in dieser Woche vor Weihnachten noch gesagt werden: Immer mehr Familien in diesem Land werden obdachlos und wohnungslos. Sie haben keinen Raum in der Herberge. Dass darüber so wenig geredet wird, verstärkt dieses Drama. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten, aber vor allen Dingen diesen Familien auch tatsächlich einen Raum, in dem sie sein und feiern können.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Emmi Zeulner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Fraktionsvorsitzende der Grünen sagt, dass sie Land und Stadt näher zueinander bringen möchte, dann frage ich mich schon, was es dann soll, dass Sie 21 Cent mehr für den Liter Heizöl fordern, was eine Rentnerin an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten bringt. Hier sieht man wieder ganz klar: Auf der einen Seite das Fordern nach einem Mehr an Gesellschaft, nach mehr Zusammenrücken und auf der anderen Seite die Politik, die Sie in der Realität machen – das ist einfach ein Widerspruch in sich. Deswegen haben wir als Union andere Antworten darauf.
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Wir versuchen, den Klimawandel nicht mit Verboten, sondern mit Anreizen zu gestalten. Wir versuchen auch, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesem Bereich zu fördern.
Wir beraten heute verschiedene Anträge der Oppositionsfraktionen. Mir geht es vor allem persönlich nahe, wenn uns Untätigkeit vorgeworfen wird. Wir haben in dieser Legislatur verschiedenste Maßnahmen auf den Weg gebracht, unter anderem – ich möchte das einfach nur mal aufzählen, weil immer wieder so getan wird, als hätten wir nicht gehandelt –: Wir haben über die Sonder-AfA eine steuerliche Begünstigung für den Mietwohnungsbau auf den Weg gebracht. Damit kann auch der Dachgeschossausbau gefördert werden.
Wir haben zweitens eine Baulandkommission eingerichtet, um diesen gesellschaftlichen Konsens im Baugesetzbuch widergespiegelt zu bekommen; denn dafür braucht es Beratungen mit allen gesellschaftlichen Akteuren und auch mit Bund und Ländern. Die Baugesetzbuchnovelle werden wir entsprechend auf den Weg bringen.
({1})
Als Drittes haben wir das Bundeseisenbahnvermögen. Wir werden Grundstücke für den sozialen Wohnungsbau verbilligt an die Kommunen abgeben. Das Gleiche machen wir auch über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Auch das ist bereits beschlossene Sache. Wir werden zukünftig für die Bediensteten des Bundes, beispielsweise für unsere Bundespolizisten, Wohnraum zur Verfügung stellen. Wir haben das Wohngeld ab 2020 erhöht. Wir haben das Baukindergeld eingeführt. Entgegen allen Unkenrufen stärkt das tatsächlich gerade Familien, die ein mittleres Einkommen haben, dabei, zu Wohneigentum zu kommen. Wir geben nächstes Jahr 1 Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau aus, zusammen mit den Ländern. Hier wollen wir nicht nachlassen.
({2})
Unser Bundesbauminister, Horst Seehofer, hat bereits angekündigt, dass er dafür noch weiter kämpfen wird.
Auch im Bereich Mietrecht haben wir etwas getan. Es ist zum Beispiel eine Verlängerung der Mietpreisbremse angedacht. Wir werden zukünftig dafür sorgen, dass das Herausmodernisieren – auch das ist schon in Gesetz gegossen – erschwert wird. Wir sorgen dafür, dass zukünftig die Maklerkosten aufgeteilt werden; denn wir wollen, dass mehr Menschen zu Wohneigentum kommen. Wir wollen die Zugangsmöglichkeiten dafür erleichtern.
Auch im Bereich Städtebauförderung sind Vereinfachungen angedacht. Ich möchte kurz darauf eingehen, weil gerade die Städtebauförderung eine Erfolgsgeschichte ist. Die Städtebauförderung ist uns wirklich wichtig. Es kommt auf die Instrumente an, die wir anbieten, und die Städtebauförderung ist ein wichtiges Instrument. Sie ist sowohl für die Städte als auch für die ländlichen Räume ein wesentliches Instrument, um für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen.
Im Zuge der Sonder-Bauministerkonferenz haben wir die Verwaltungsvereinbarung für die Städtebauförderung für das Jahr 2020 zwischen Bund und Ländern abgestimmt. Vonseiten der Kommunen ist immer wieder an uns herangetragen worden, dass es vor allem darum geht, Flexibilität zu wahren. Die Kommunalpolitiker vor Ort wollen eine strategische Ausrichtung der Städtebauförderung, aber innerhalb des Systems soll Flexibilität möglich sein.
Sie vonseiten der FDP fordern in Ihrem Antrag, dass man die Vorgaben des BBSR zugrunde legt, um verschiedene Regionstypen einzurichten. Das geht aber genau entgegen der Forderung der Kommunalpolitiker. Die sagen: Wir wollen größtmögliche Flexibilität. – Außerdem gibt es bei den Regionstypen – das sind fiktive Zahlen – in der BBSR-Betrachtung faktisch Unterschiede, und die können tatsächlich nur unsere Bürgermeister vor Ort erkennen. Sie wissen, was ländlicher Raum ist und was städtisch geprägt ist. Ich glaube, wir als Koalition geben eine gute Antwort darauf. Wir sagen: Wir wollen keine Regionstypen. Wir reduzieren die Programme auf drei. Das ist die strategische Ebene. Wir wollen ganz gezielt Rahmen bzw. Leitplanken setzen, um die Möglichkeiten vor Ort flexibel zu halten.
Auch die Digitalisierung ist ein Thema. Wir wollen nicht zwingend vorschreiben, wie Digitalisierung auszusehen hat. In meinem Bundestagsbüro ist es so, dass ich ab und zu mit Petenten zu tun habe, die noch keine E-Mail haben, aber ich möchte diese Menschen nicht ausschließen. Die Information zum Beispiel über Städtebaukonzepte muss auf der einen Seite gegebenenfalls über das Internet abrufbar sein, aber auf der anderen Seite muss auch eine Broschüre zur Verfügung gestellt werden, die ganz konkret helfen kann. Auch darüber muss vor Ort entschieden werden.
Die verschiedenen Maßnahmen, die wir in allen Bereichen des Städtebaus, aber auch in allen Bereichen der Wohnungsbaupolitik auf den Weg gebracht haben, sind gute Maßnahmen. Ich hoffe, dass die Grünen sich ihrer Verantwortung in den Ländern – da fallen mir viele Beispiele ein: geringe Förderung von studentischem Wohnungsbau in Baden-Württemberg beispielsweise, dort gibt es einiges nachzuholen – bewusst werden und dass sie vor Ort entsprechend unterstützen.
({3})
Denn klar ist: Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Deswegen arbeiten wir hart daran, viele Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um eine Antwort auf sie zu geben.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. – Inzwischen liegt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat, 4. Ausschuss, zum Antrag der Abgeordneten Beatrix von Storch, Marc Bernhard und Stephan Brandner sowie weiterer Abgeordneter der Fraktion der AfD zum Verbot der Hisbollah vor: abgegebene Stimmen 649. Mit Ja haben gestimmt 569, mit Nein haben gestimmt 77, Enthaltungen 3. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen und der Antrag der AfD abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 649;
davon
ja: 569
nein: 77
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Dr. Michael von Abercron
Stephan Albani
Norbert Maria Altenkamp
Philipp Amthor
Artur Auernhammer
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Melanie Bernstein
Christoph Bernstiel
Marc Biadacz
Steffen Bilger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Michael Brand (Fulda)
Dr. Reinhard Brandl
Silvia Breher
Sebastian Brehm
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Dr. Carsten Brodesser
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Thomas Erndl
Hermann Färber
Uwe Feiler
Enak Ferlemann
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Eckhard Gnodtke
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Matthias Heider
Thomas Heilmann
Frank Heinrich (Chemnitz)
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Marc Henrichmann
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Andreas Jung
Ingmar Jung
Alois Karl
Anja Karliczek
Torbjörn Kartes
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Michael Kießling
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Alexander Krauß
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Michael Kuffer
Dr. Roy Kühne
Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Jens Lehmann
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Nikolas Löbel
Bernhard Loos
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Dr. Saskia Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Dr. Astrid Mannes
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Axel Müller
Sepp Müller
Carsten Müller (Braunschweig)
Stefan Müller (Erlangen)
Petra Nicolaisen
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Josef Oster
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Joachim Pfeiffer
Stephan Pilsinger
Dr. Christoph Ploß
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Stefan Rouenhoff
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Stefan Sauer
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Dr. Claudia Schmidtke
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Felix Schreiner
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster (Weil am Rhein)
Torsten Schweiger
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Björn Simon
Tino Sorge
Jens Spahn
Katrin Staffler
Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Andreas Steier
Peter Stein (Rostock)
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Dr. Peter Tauber
Dr. Hermann-Josef Tebroke
Hans-Jürgen Thies
Alexander Throm
Dr. Dietlind Tiemann
Antje Tillmann
Markus Uhl
Dr. Volker Ullrich
Kerstin Vieregge
Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Christoph de Vries
Kees de Vries
Dr. Johann David Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)
Sabine Weiss (Wesel I)
Ingo Wellenreuther
Marian Wendt
Kai Whittaker
Annette Widmann-Mauz
Bettina Margarethe Wiesmann
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Oliver Wittke
Emmi Zeulner
Paul Ziemiak
Dr. Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Nezahat Baradari
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Eberhard Brecht
Leni Breymaier
Katrin Budde
Dr. Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Esther Dilcher
Sabine Dittmar
Dr. Wiebke Esdar
Saskia Esken
Yasmin Fahimi
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Timon Gremmels
Kerstin Griese
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Eva Högl
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Elisabeth Kaiser
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Elvan Korkmaz-Emre
Anette Kramme
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)
Dr. Karl Lauterbach
Sylvia Lehmann
Helge Lindh
Kirsten Lühmann
Heiko Maas
Isabel Mackensen
Caren Marks
Katja Mast
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Falko Mohrs
Claudia Moll
Siemtje Möller
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Josephine Ortleb
Mahmut Özdemir (Duisburg)
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Martin Rabanus
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Axel Schäfer (Bochum)
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Nils Schmid
Uwe Schmidt
Ulla Schmidt (Aachen)
Dagmar Schmidt (Wetzlar)
Carsten Schneider (Erfurt)
Johannes Schraps
Michael Schrodi
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Amalie Steffen
Mathias Stein
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Markus Töns
Carsten Träger
Ute Vogt
Marja-Liisa Völlers
Dirk Vöpel
Dr. Joe Weingarten
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
FDP
Grigorios Aggelidis
Renata Alt
Christine Aschenberg-Dugnus
Jens Beeck
Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar)
Mario Brandenburg (Südpfalz)
Sandra Bubendorfer-Licht
Dr. Marco Buschmann
Karlheinz Busen
Carl-Julius Cronenberg
Britta Katharina Dassler
Bijan Djir-Sarai
Christian Dürr
Hartmut Ebbing
Dr. Marcus Faber
Otto Fricke
Thomas Hacker
Reginald Hanke
Peter Heidt
Katrin Helling-Plahr
Markus Herbrand
Torsten Herbst
Katja Hessel
Dr. Gero Clemens Hocker
Manuel Höferlin
Dr. Christoph Hoffmann
Reinhard Houben
Ulla Ihnen
Olaf In der Beek
Gyde Jensen
Dr. Christian Jung
Karsten Klein
Daniela Kluckert
Pascal Kober
Dr. Lukas Köhler
Wolfgang Kubicki
Konstantin Kuhle
Alexander Kulitz
Alexander Graf Lambsdorff
Ulrich Lechte
Christian Lindner
Michael Georg Link (Heilbronn)
Oliver Luksic
Till Mansmann
Dr. Jürgen Martens
Christoph Meyer
Alexander Müller
Frank Müller-Rosentritt
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Hagen Reinhold
Bernd Reuther
Dr. Stefan Ruppert
Dr. h. c. Thomas Sattelberger
Christian Sauter
Frank Schäffler
Dr. Wieland Schinnenburg
Matthias Seestern-Pauly
Frank Sitta
Judith Skudelny
Bettina Stark-Watzinger
Benjamin Strasser
Katja Suding
Linda Teuteberg
Michael Theurer
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Dr. Andrew Ullmann
Gerald Ullrich
Johannes Vogel (Olpe)
Sandra Weeser
Nicole Westig
Katharina Willkomm
DIE LINKE
Doris Achelwilm
Gökay Akbulut
Simone Barrientos
Dr. Dietmar Bartsch
Lorenz Gösta Beutin
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm-Förster
Michel Brandt
Dr. Birke Bull-Bischoff
Jörg Cezanne
Fabio De Masi
Dr. Diether Dehm
Anke Domscheit-Berg
Klaus Ernst
Susanne Ferschl
Brigitte Freihold
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Matthias Höhn
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Dr. Achim Kessler
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Pascal Meiser
Amira Mohamed Ali
Cornelia Möhring
Norbert Müller (Potsdam)
Zaklin Nastic
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Sören Pellmann
Victor Perli
Tobias Pflüger
Martina Renner
Bernd Riexinger
Eva-Maria Schreiber
Dr. Petra Sitte
Helin Evrim Sommer
Kersten Steinke
Friedrich Straetmanns
Dr. Kirsten Tackmann
Jessica Tatti
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Andreas Wagner
Harald Weinberg
Katrin Werner
Hubertus Zdebel
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Lisa Badum
Annalena Baerbock
Margarete Bause
Dr. Danyal Bayaz
Canan Bayram
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Dr. Anna Christmann
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Stefan Gelbhaar
Katrin Göring-Eckardt
Erhard Grundl
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Bettina Hoffmann
Dr. Anton Hofreiter
Ottmar von Holtz
Dieter Janecek
Dr. Kirsten Kappert-Gonther
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)
Christian Kühn (Tübingen)
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Sven Lehmann
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Dr. Irene Mihalic
Claudia Müller
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Manuela Rottmann
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Frithjof Schmidt
Stefan Schmidt
Charlotte Schneidewind-Hartnagel
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Margit Stumpp
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Fraktionslos
Marco Bülow
Uwe Kamann
Nein
AfD
Dr. Bernd Baumann
Marc Bernhard
Andreas Bleck
Peter Boehringer
Stephan Brandner
Jürgen Braun
Marcus Bühl
Matthias Büttner
Petr Bystron
Tino Chrupalla
Joana Cotar
Dr. Gottfried Curio
Siegbert Droese
Thomas Ehrhorn
Berengar Elsner von Gronow
Dr. Michael Espendiller
Peter Felser
Dr. Anton Friesen
Markus Frohnmaier
Dr. Götz Frömming
Dr. Alexander Gauland
Albrecht Glaser
Franziska Gminder
Wilhelm von Gottberg
Kay Gottschalk
Armin-Paulus Hampel
Mariana Iris Harder-Kühnel
Jochen Haug
Martin Hebner
Udo Theodor Hemmelgarn
Waldemar Herdt
Dr. Heiko Heßenkemper
Karsten Hilse
Martin Hohmann
Dr. Bruno Hollnagel
Leif-Erik Holm
Johannes Huber
Fabian Jacobi
Jens Kestner
Stefan Keuter
Norbert Kleinwächter
Enrico Komning
Jörn König
Dr. Rainer Kraft
Rüdiger Lucassen
Jens Maier
Dr. Lothar Maier
Dr. Birgit Malsack-Winkemann
Corinna Miazga
Andreas Mrosek
Hansjörg Müller
Volker Münz
Sebastian Münzenmaier
Christoph Neumann
Jan Ralf Nolte
Ulrich Oehme
Gerold Otten
Tobias Matthias Peterka
Paul Viktor Podolay
Stephan Protschka
Martin Reichardt
Martin Erwin Renner
Roman Johannes Reusch
Ulrike Schielke-Ziesing
Uwe Schulz
Thomas Seitz
Detlev Spangenberg
Dr. Dirk Spaniel
René Springer
Beatrix von Storch
Dr. Alice Weidel
Dr. Harald Weyel
Wolfgang Wiehle
Dr. Heiko Wildberg
Dr. Christian Wirth
Fraktionslos
Lars Herrmann
Mario Mieruch
Enthalten
AfD
Frank Pasemann
Jürgen Pohl
Dr. Robby Schlund
Wir fahren fort in der Debatte. Als Nächster spricht der Kollege Marc Bernhard für die Fraktion der AfD.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Wahnsinn! Einsteins Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun, aber ein anderes Ergebnis zu erwarten. In der buntesten aller bunten Republiken geht die Definition von Wahnsinn sogar noch weiter: Sozialismus wählen, aber Wohlstand erwarten. – Auf Ihrem links-grünen Rezeptblock stehen immer die gleichen giftigen Zutaten sozialistischer Quacksalberei, zum Beispiel der Mietendeckel. Jeder, der Tag für Tag außerhalb der Filterblase des Bundestages
({0})
seinen Lebensunterhalt verdient, kennt das kleine Einmaleins der Wirtschaft.
Deshalb waren die fatalen Folgen des Mietendeckels in Berlin wirklich keine Überraschung.
({1})
Wenn heute Einnahmen wegfallen, werden morgen weniger Wohnungen gebaut.
({2})
Ihr Mietendeckel führt dazu, dass hier in Berlin 1,1 Milliarden Euro weniger in neue Wohnungen investiert werden. Dadurch werden 12 000 dringend benötigte Wohnungen nicht gebaut.
({3})
Ihre Politik führt also dazu, dass weitere 12 000 Familien keine bezahlbare Wohnung finden.
({4})
Wer geglaubt hat, es könnte nicht schlimmer kommen,
({5})
wird heute durch die Anträge der Grünen und der Linken eines Besseren belehrt. Bodenpreisdeckel, Enteignung, Verstaatlichung: Welche Sau wollen Sie noch durch Deutschland treiben?
({6})
In Ihren Anträgen beschreiben Sie zwar das Problem, leugnen aber die wahren Ursachen.
({7})
Dabei sind es ganz einfache, banale wirtschaftliche Zusammenhänge, die Ihnen jedes Schulkind erklären könnte: Boden und Grundstücke sind begrenzt und nicht beliebig vermehrbar.
({8})
Sie können jeden Quadratmeter nur einmal bebauen. In den meisten Ballungszentren sieht es aus wie in meinem Wahlkreis Karlsruhe, wo in den nächsten zehn Jahren 300 Hektar Baufläche benötigt werden, jedoch unter Ausnutzung aller Reserven für den Bau von Wohnungen künftig überhaupt nur 90 Hektar zur Verfügung stehen. Und was passiert, wenn sie ein begrenztes Angebot haben, aber eine unbegrenzte Nachfrage? Der Preis steigt ins Unermessliche, so wie die Mieten in München, Stuttgart, Frankfurt oder Berlin.
Seit 2011 ist die Bevölkerung in Deutschland durch Zuwanderung um über 3 Millionen Menschen gestiegen. Jedes Jahr kommen 525 000 Neubürger – also eine Stadt wie Hannover oder Dresden – zusätzlich auf unseren Wohnungsmarkt,
({9})
und das, obwohl wir bereits eines der Länder mit der höchsten Bevölkerungsdichte sind.
({10})
Als ob das nicht genug wäre, müssen die Menschen auch noch mit der von Ihnen allen hier befeuerten Kapitalflucht um Grund und Boden konkurrieren und, wenn es nach den Grünen geht, in Zukunft auch noch mit sogenannten Klimaflüchtlingen.
({11})
Wir können hier im Bundestag noch tagelang debattieren, um den heißen Brei herumreden und über Schaufensteranträge diskutieren, mit denen Sie mit untauglichen Mitteln an den Symptomen herumdoktern wollen. Solange Sie sich aber weigern, die wirklichen Ursachen anzugehen, wird sich nichts, aber auch gar nichts an der Wohnungsnot in Deutschland ändern.
({12})
Schützen Sie endlich unsere Grenzen, sorgen Sie dafür, dass mehr Wohnungen gebaut werden, und hören Sie endlich auf, von den wirklichen Ursachen, die das direkte Ergebnis Ihrer verfehlten Politik sind, abzulenken!
({13})
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der SPD der Kollege Bernhard Daldrup.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bernhard, Sie bleiben sich treu. Ich finde, wenn Sie über Einstein reden, dann ist das Zynismus, aber wenn Sie über Wahnsinn reden, dann sind Sie in Ihrem Element.
({0})
Ich will an dieser Stelle sagen, liebe Kollegin Göring-Eckhardt, das allgemeine Lamento hilft so richtig auch nicht weiter.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen haben wir einen ausführlichen Antrag vorgelegt!
Aber ich verstehe schon, dass kritisch eingefordert wird, dass nun endlich eine BauBG-Novelle vorgelegt werden soll. Im Ausschuss hat es dazu einen Zeitplan gegeben. Wir werden das Baugesetzbuch im ersten Halbjahr des nächsten Jahres novellieren. Sie sind eingeladen, sich daran zu beteiligen.
({1})
Ich will der Forderung von Chris Kühn folgen und etwas zu den Anträgen sagen; das ist nicht das Schädlichste. Wir haben es mit sechs ganz unterschiedlichen Anträgen zu tun. Ich will darauf hinweisen, dass die Anträge der FDP und der Grünen zur Städtebauförderung im Fachausschuss abgelehnt worden sind, der Antrag zur Bauflächenoffensive wurde seinerzeit von allen Fraktionen außer den Grünen abgelehnt, und der Antrag zur BImA wurde am 13. November von allen Fraktionen außer den Linken und den Grünen abgelehnt. Wir debattieren heute also über zwei verbleibende Anträge zum Bau- und Bodenrecht. Darauf wird sicherlich meine Kollegin Claudia Tausend gleich eingehen.
Ich will an dieser Stelle unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität – was kommt eigentlich dabei heraus? – darauf hinweisen, dass sich die Bauministerkonferenz jetzt darauf verständigt hat, wie die zusätzlichen Mittel für den sozialen Wohnungsbau von 1 Milliarde Euro eingesetzt werden können. Das sind alles sehr praktische Auswirkungen unserer Politik. Das ist, finde ich, eine ganz gute Sache und widerlegt die These, es passiere eigentlich nichts.
({2})
Städte, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Orte der Wahrheit, weil sie Orte der Wirklichkeit sind – das hat hier einmal ein Kommunalpolitiker, der auch Bundestagsabgeordneter gewesen ist, gesagt. Ich will ein bisschen über Städtebauförderung reden; denn tatsächlich, wie in einem Brennglas, sind gesellschaftliche Herausforderungen zuerst in den Städten und Gemeinden unseres Landes erkennbar und für die Menschen erfahrbar. Demografischer Wandel, Klimaschutz, Wachstum, Schrumpfung, Digitalisierung, Zuwanderung, nahezu alle Veränderungen sind in den Städten und Gemeinden für die Menschen erfahrbar. Die Kommunen sind sozusagen Seismografen des Wandels, und deswegen ist ihre Unterstützung wichtig, ist die Förderung des Zusammenhalts in den Kommunen wichtig.
Bei dieser Aufgabe hilft die Städtebauförderung den Kommunen, und zwar unabhängig von ihrer Größe. Die Städtebauförderung – ich will daran erinnern, weil das 1969 war – ist ein Kind der sozialliberalen Koalition und wurde nach Modellprojekten von 1969 ab 1971 eingeführt. Deshalb sind wir Sozialdemokraten auch ein bisschen stolz darauf, dass es das gibt und dass das eine solche Tradition hat.
Es ist in der Tat so, dass die Städtebauförderung seit 50 Jahren eine Erfolgsgeschichte ist.
({3})
Seit Beginn der Städtebauförderung 1971 profitierten in allen Bundesländern über 3 700 Kommunen von insgesamt rund 8 800 Maßnahmen. Aktuell sind 3 000 Maßnahmen in der Förderung. Ziel ist es grundsätzlich, eine ausgewogene Verteilung der Mittel zwischen Stadt und ländlichen Räumen zu erreichen. Die Projekte kennen die Bürgerinnen und Bürger zu einem großen Teil. Sie werden am Tag der Städtebauförderung ausdrücklich öffentlich gemacht, zum Thema gemacht. Dafür geht der Dank an die vielen Kommunen, die sich daran beteiligen.
({4})
Nicht nur das örtliche Baugewerbe, sondern auch das Handwerk profitiert von den hohen wirtschaftlichen Investitionen und Anstoßeffekten. Jeder Euro aus der Städtebauförderung löst rund 7 Euro weitere Investitionen aus.
Mit der Städtebauförderung wurde im Übrigen auch sehr viel für die deutsche Einheit geleistet. Der Verteilungsschlüssel zwischen den Bundesländern hat die besonders hohen Investitionsbedarfe der neuen Bundesländer berücksichtigt. Die Städtebauförderung ist gelebte Solidarität im Föderalismus, meine Damen und Herren.
({5})
Ich will darauf besonders hinweisen, weil hier gewissermaßen Solidarität durch Verzicht geleistet wird; wir kommen darauf in den nächsten Tagen noch zurück.
Einen wirklichen Rückschlag hat die Städtebauförderung eigentlich nur in einer Phase erlitten, nämlich 2009/2010, als Schwarz-Gelb glaubte, zum Beispiel das Programm „Soziale Stadt“ von 107 Millionen Euro auf 28 Millionen Euro zusammenstreichen zu müssen, was auch der Bundesrat nur begrenzt aufhalten konnte. Es gab damals eine ähnliche Tonlage wie im heute vorliegenden Antrag der FDP-Fraktion: Stadt wird gegen Land aufgestellt; es wird natürlich mit Bürokratie, Administration usw. usf. argumentiert. – Das sind Leerformeln. Deshalb hat sich der Antrag der FDP inhaltlich erledigt.
({6})
Wo stehen wir eigentlich heute? Die Kollegin Zeulner hat darauf hingewiesen: Seit Jahren – dafür hat diese Große Koalition gesorgt – befindet sich die Städtebauförderung auf Rekordniveau, was die finanzielle Unterstützung angeht. 2020 flossen 692 Millionen Euro als direkte Zuweisung an die Länder, die kofinanzieren. Hinzu kommen der Investitionspakt „Soziale Integration im Quartier“ mit 60 Millionen Euro und die Förderung des Programms Nationale Projekte des Städtebaus mit auch knapp 60 Millionen Euro. Ich will auch auf die 200 Millionen Euro für die Sanierung kommunaler Einrichtungen in diesem Kontext hinweisen; die zähle ich dazu. Aber auch ohne diese Mittel sind über 800 Millionen Euro für die Städtebauführung da. Zusätzlich gibt es Modellvorhaben in Erfurt, in Duisburg, in Plauen und Rostock zu der Frage, wie es konzeptionell weitergehen soll.
Wie geht es weiter? Städtebauförderung ist ein gemeinsamer Prozess und wird nicht von einem Ministerium verordnet. Bis zur Vorlage und Entscheidung über Inhalte sind zahlreiche Diskussionen unter Beteiligung von Ländern, kommunalen Spitzenverbänden usw. erforderlich. Das alles ist in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen ausführlich dokumentiert.
Wir haben entsprechend dem Koalitionsvertrag die Kriterien für die Städtebauförderungsweiterentwicklung neu konzipiert. Sie sind schlanker, sie sind effizienter, sie sind flexibler – wenn die FDP das wahrnehmen würde, wüsste sie, dass sie auf ihren Antrag verzichten kann –: drei Förderprogramme statt sechs, hohe Umschichtungsmöglichkeiten, Flexibilität also unter der Berücksichtigung regional unterschiedlicher Bedarfe. Wir haben eine inhaltliche Weiterentwicklung dadurch vorgenommen, dass wir das Programm konzentriert haben auf lebendige Zentren, auf den sozialen Zusammenhalt und auf Wachstum und nachhaltige Erneuerung. Stadtbegrünungsmaßnahmen sind zwingender Bestandteil eines jeden Förderprojekts. Ich will darauf hinweisen, dass die Förderung interkommunaler Zusammenarbeit sowie die Stadt-Umland-Partnerschaften Fördergegenstand sind, dass der städtebauliche Denkmalschutz in allen Programmen förderfähig ist. Mit anderen Worten: Das ist eine ganz konkrete Maßnahme praktischer Politik, um die Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden für die Menschen zu verbessern. Das gilt auch für die Kommunen in Haushaltsnotlagen; denn auf ihren 10-prozentigen Anteil kann unter Umständen verzichten werden. Mit anderen Worten: Wir haben an ganz vielen Stellen in der Städtebauförderung Hilfestellungen formuliert.
Daher darf ich als Zwischenfazit sagen: Erstens. Die neuen Städtebauförderungsrichtlinien sind ganz konkrete Weiterentwicklungen in Abstimmung mit vielen Akteuren. Zweitens. Wir haben in dieser Legislaturperiode die Mittel für die Städtebauförderung auf Rekordniveau festgelegt. Das alles ist erfolgreiche Politik für die Kommunen.
Zu dem Antrag, den die Grünen jetzt vorgelegt haben – 3,2 Milliarden Euro –, will ich sagen: Das ist eine Form wohlfeiler Politik. Das, was dort formuliert worden ist, ist nicht falsch. Er ist aber hinsichtlich der Praktikabilität, der Vernetzung mit anderen Anträgen, der Umsetzbarkeit, der Kofinanzierung im Großen und Ganzen nicht abgestimmt. Doch die Anregungen sind positiv zu werten.
Zum Schluss will ich einen Sachverhalt ansprechen, den wir hier gemeinsam bedauerlicherweise nicht haben ändern können, weil es zu viele Widerstände gab, nämlich dass die Städtebauförderung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach dem Grundgesetz eine Finanzhilfe ist, die sozusagen auf andere Art und Weise abgesichert werden muss. Das ist besonders wichtig. Das ist eine zentrale Aufgabe, der wir uns widmen müssen, weil nur so sichergestellt werden kann, dass die Städtebauförderung eine latente und dauerhafte Verbesserung der Lebensbedingungen und der Lebensqualität der Menschen in Deutschland bewirkt. Darauf legen wir besonderen Wert.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Hagen Reinhold für die Fraktion der FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute reden wir über den Umgang mit Boden und die Städtebauförderung. Passend zur Weihnachtszeit wollte ich besinnlich und versöhnlich anfangen und zuerst einmal die Gemeinsamkeiten herausstellen, also das, was von der Mehrheit dieses Hauses geteilt wird.
Ja, die Städtebauförderung ist eine Erfolgsgeschichte. Das ist richtig so, und deshalb muss sie weitergehen. Nicht ohne Grund hat Herr Daldrup hervorgehoben, wer sie damals ins Leben gerufen hat. Aber wir müssen feststellen – ich glaube, auch das teilen wir gemeinsam –, dass sie Jahr für Jahr mit immer mehr Aufgaben belegt wurde und daher immer mehr Erwartungen an die Städtebauförderung herangetragen werden. Sie ist im Laufe der Zeit komplizierter und unflexibler geworden. Deshalb, Herr Daldrup, wird sich unser Antrag erst dann erledigt haben, wenn genau das nicht mehr der Fall ist. Ich weiß, dass Schritte in die richtige Richtung unternommen wurden – keine Frage –, aber es gibt noch viel zu tun.
Zunächst einmal ist herauszustellen – das zeigt gerade der Antrag der Grünenfraktion zur Städtebauförderung –: Wir brauchen die Anbindung all derer, die in der Stadt beteiligt sind. Das sind zum großen Teil Hausbesitzer und Hausbesitzerinnen,
({0})
genauso wie Wohnungsgesellschaften, Genossenschaften. Alle sind daran beteiligt; denn alle zusammen sind die Stadt. Deshalb darf ich sie nicht ausschließen.
Ich muss ein Denken in Quartieren, in Siedlungsstrukturen als Ansatz wählen. Das ist der richtige Ansatz für die Städtebauförderung.
Ich muss eine vereinfachte Programmstruktur haben. Ja, da geht es in die richtige Richtung. Aber ich brauche auch Antragsverfahren, die gerade kleinere Gemeinden meistern können. Doch davon sind wir zurzeit noch ein Stück entfernt.
({1})
Das Geld muss dorthin fließen, wo es gebraucht wird. Doch oftmals – so sehe ich das zumindest – fließt das Geld viel leichter in die Stadt, weil es viel interessanter ist, in Ballungsräumen zu investieren als im ländlichen Raum. Auch dem muss Städtebauförderung Rechnung tragen.
Insofern kann man sagen – ich glaube, dem kann man fraktionsübergreifend zustimmen –, dass viel Gutes in unserem Antrag steht. Deshalb sollten Sie Ihr Votum im Ausschuss noch einmal überdenken und heute zustimmen. Dann sind wir gemeinsam auf dem richtigen Weg.
({2})
Was darf Städtebauförderung nicht sein? Jetzt bin ich beim Antrag der Grünen. Sie darf nicht die kommunale Selbstverantwortung aushöhlen und die Eigenverantwortung ad absurdum führen. Wenn ich mit der Städtebauförderung tatsächlich Stadtumbau, Infrastrukturumbau, Personal im Citymanagement, energetische Sanierung bezahlen will, dann ist das für die Städtebauförderung schlicht zu viel. Damit nimmt man die aus der Verantwortung, die dafür eigentlich zuständig sind. Kommunen, Länder und private Eigentümer – so hat man fast den Eindruck – braucht es bald gar nicht mehr; denn der Bund bezahlt, und alles wird zur Staatsaufgabe. Nicht mit uns, meine Damen und Herren von den Grünen! Das kann nicht die Lösung sein.
({3})
Allein das in diesem Antrag der Grünen Geforderte soll 3,2 Milliarden Euro zusätzlich kosten, ohne dass Sie uns erklären, wo Sie das zusätzliche Geld hernehmen wollen. Wie inkonsequent das ist, zeigen Sie in einem anderen Antrag, der heute mitdiskutiert wird. In diesem Antrag fordern Sie nämlich, dass man sich aus dem Batzen für die Städtebauförderung 1 Milliarde Euro nimmt, um Boden zu kaufen. Und schon haben wir die Städtebauförderung um 1 Milliarde Euro erleichtert.
Kommen wir gleich zum nächsten Antrag, zum Antrag der Grünen zum Dachgeschossausbau. Dazu nur ein Wort: Sie fordern 10 Prozent Zuschuss bis zu einer Fördersumme von 150 Euro pro Quadratmeter. Das klingt erst einmal gut. Ich habe gestern im Internet geforscht, was denn zurzeit so ein Dachgeschossrohling kostet. In Berlin liegen wir im Schnitt – ich hatte erst 1 500 Euro geschrieben; damit lag ich viel zu weit darunter – bei 2 500 Euro! Der Käufer wird sich sicherlich freuen, dass er 150 Euro geschenkt bekommt, meinetwegen auch 500 Euro. Das löst aber überhaupt gar nicht das Problem, dass ich bei 2 000 Euro Einstiegspreis nie im Leben einen bezahlbaren Wohnraum oder ein bezahlbares Eigentum am Ende des Tages herausbekomme. Dafür braucht es ganz andere Maßnahmen, als staatliches Geld zu geben und die teuren Dachgeschossrohlinge zu bezuschussen. Absoluter Unsinn!
({4})
Was es braucht, sind genehmigungsfreie Dachgeschossausbauten, dort, wo dem nicht die Statik entgegensteht. Die GFZ muss überschritten werden. Wir müssen eine Absenkung der Standards haben beim Schall und bei der Barrierefreiheit. Wir brauchen schnelle Verfahren, vor allen Dingen auch schnellere B-Pläne, wo wir schon beim schnellen Bauen sind; denn die braucht es zuallererst. Denn wenn ich sehe, dass die Verwaltung gerade da, wo sie rot-grün besetzt ist, teilweise sieben, acht, neun Jahre für Bebauungspläne braucht – mein Gott! Wie wollen Sie denn Ihrem Auftrag überhaupt nachkommen, Wohnraum sicherzustellen?
({5})
Bauleitplanung: Eigentlich ist es rechtswidrig, so lange bei B-Plänen herumzuhängen.
({6})
Das sind Ihre Verwaltungen und Ihre Regierungen, die so handeln.
Ich will am Ende kurz etwas zum Erbbaurecht sagen. Erbbaurecht wird im Antrag der Linken aufgegriffen. Auch ich glaube, dass es Möglichkeiten für Erbbaurecht geben muss und dass Hemmnisse abgebaut werden müssen. Aber wenn gerade private Investoren – die brauchen wir in diesem Land – langfristig ein Wirtschaftsgut, in diesem Fall Häuser, auf Grundstücke bauen, dann muss ich auch zugestehen, dass sie vielleicht nicht 99 Jahre vorausdenken. Ein Grundstück zu haben, kann aber länger als 99 Jahre andauern. Mit zu viel Erbbaurecht – das lassen Sie sich gesagt sein – werden es Profis sein, die diese Grundstücke bebauen, und eben nicht die privaten Eigentümer. All der Geist, den Sie in Ihren Anträgen haben, zeigt, wen Sie ausschließen wollen: 20 Prozent nämlich, Genossenschaften und gemeinnützige Vereine, wollen Sie in Ihre Politik mit einbeziehen und 80 Prozent in diesem Land ausschließen, die den Wohnraum haben: Das sind die Privaten, die wir dringend brauchen. So sieht die neue Koalition in diesem Hause aus, lange nicht so, wie Sie annehmen.
({7})
Darüber sollten Sie sich bewusst werden, wenn Sie nach einem Rettungsboot für Ihre Regierungsarbeit suchen.
Schönen Dank.
({8})
Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion Die Linke die Kollegin Caren Lay.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Grund und Boden ist keine beliebige Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz. ... Jeder braucht ihn in jedem Augenblick seines Lebens wie das Wasser oder die Luft.
({0})
Dieses Zitat stammt vom ehemaligen SPD-Bauminister Hans-Jochen Vogel; ich hätte mich auch über den Applaus der SPD gefreut, denn seine Aussage hat bis heute nichts an Aktualität und Wahrheit eingebüßt.
({1})
Wie kaum jemand hat er um eine andere soziale Bodenordnung gekämpft – und ist bis heute leider gescheitert. Grund und Boden sind längst zum Spekulationsobjekt verkommen, und das darf einfach nicht sein.
({2})
Wenn in München ein Quadratmeter Boden heute 400-mal mehr kostet als vor 70 Jahren, dann läuft doch grundsätzlich etwas schief. In Hamburg muss man für einen Quadratmeter Bauland inzwischen bis zu 3 000 Euro hinblättern. Bei diesen Preisen lässt sich doch beim besten Willen keine bezahlbare Wohnung mehr bauen. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Immobilienpreise enorm gestiegen. Circa 80 Prozent dieser explodierenden Kosten gehen übrigens auf explodierende Bodenpreise zurück.
({3})
Deswegen – an die Damen und Herren von der FDP gerichtet – ist die ganze Rede davon, dass zu viele staatliche Vorschriften das Bauen teurer machen würden, doch nur ein Nebengleis der Debatte.
({4})
Wer die Kostenexplosion bei den Mieten, beim Bebauen stoppen will, der muss an die Bodenpreise heran, meine Damen und Herren.
({5})
Diese Koalition wollte eigentlich eine Enquete-Kommission unter Einschluss der Opposition einrichten, um das Thema anzugehen. Jetzt haben Sie daraus eine magere Regierungskommission gemacht mit entsprechend mageren Ergebnissen, von denen bis heute noch nichts vorliegt.
({6})
Deswegen bringen wir als Linke heute unseren eigenen Antrag ein. Für uns ist klar: Die Explosion der Bodenpreise muss endlich gestoppt werden.
({7})
Dazu brauchen wir erstens einen Privatisierungsstopp. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres hat die staatliche BImA trotz des vielfach betonten Mangels an Grundstücken 500 Grundstücke des Bundes weiter privatisiert. Damit muss endlich Schluss sein, meine Damen und Herren.
({8})
Zweitens. Bauland gehört in Gemeinschaftshand.
({9})
Die Vergabe von öffentlichem Grund und Boden sollte von nun an nur noch mittels eines sozialen Erbbaurechts erfolgen; denn dadurch können die Kommunen, dadurch kann die Allgemeinheit soziale Vorgaben für die Verwendung machen, und das wird höchste Zeit.
({10})
Es wäre also viel besser, sich die Stadt Ulm beispielsweise zum Vorbild zu nehmen: „Aufkauf statt Verkauf“ heißt dort das Motto einer sozialen Bodenbevorratungspolitik. Ankaufen statt Verscherbeln, das muss endlich auch für den Bund gelten.
({11})
Drittens. Grundstücke kaufen, Bauland bevorraten, dafür ist ein kommunales Vorkaufsrecht ein richtiges Instrument. Wir wollen, dass es gestärkt wird und dass es uneingeschränkt und zu vergünstigten Konditionen gilt; denn die Interessen der Kommunen müssen vor den Interessen der Spekulanten stehen.
({12})
Viertens. Wenn die Baulandpreise in einigen Städten in zehn Jahren um das Zehnfache steigen, dann muss diese Preisspirale irgendwann einmal gestoppt werden.
({13})
Deswegen brauchen wir nicht nur einen Mietendeckel; wir brauchen auch einen Bodenpreisdeckel, meine Damen und Herren.
({14})
Fünftens muss die Spekulation mit Grund und Boden gestoppt werden. Das fängt beim Kampf gegen Geldwäsche, aber auch bei der Steuervermeidung an. Eine Verkäuferin bei Aldi muss jeden Euro ihres Lohnes versteuern. Aber wer zehn Jahre sein Grundstück einfach liegen lässt, abwartet, auf höhere Mieten wettet und dann wartet, bis sich der Wert verdoppelt hat, der muss dann die Gewinne nicht versteuern. Das ist doch einfach ungerecht, meine Damen und Herren.
({15})
Genau an dieser Stelle wollte Vogel in den 70er-Jahren ansetzen. Er hat damals zum Beispiel eine Bodenwertzuwachssteuer ins Gespräch gebracht. Es träfe also in jedem Fall nicht die Falschen; denn ein Großteil der ungerechten Vermögensverteilung in diesem Land steckt in Grund und Boden. Den obersten 10 Prozent gehören hierzulande 70 Prozent der Immobilien; nur damit auch klar ist, über welche Leute wir an dieser Stelle sprechen.
Die FDP hat es damals als Koalitionspartner in der sozialliberalen Koalition verhindert,
({16})
unterstützt von der CDU, die damals in der Opposition war. Meine Damen und Herren, es wird höchste Zeit, dass wir die Debatte um eine Vermögensteuer, um eine Bodenwertzuwachssteuer, um einen Planwertausgleich für die Kommunen wieder aufgreifen; denn Spekulationsgewinne müssen abgeschöpft werden. Nur so schrecken wir die Spekulanten ab.
({17})
Meine Damen und Herren, selbst Franz Josef Strauß sagte 1970 auf einem Parteitag der CSU:
Die Grundstückspreise in der Bundesrepublik Deutschland steigen in einem Maße, dass es nicht zu verantworten ist, diese Gewinne unversteuert in die Taschen einiger fließen zu lassen.
Diese Aussage hat nichts an Aktualität verloren. Wir müssen endlich Spekulationsgewinne versteuern.
Vielen Dank.
({18})
Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Torsten Schweiger.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Nachdem wir von meiner Kollegin Emmi Zeulner schon etwas über die große Linie gehört haben, will ich etwas tiefer in die Anträge hineingehen.
Zunächst einmal haben wir einen Antrag der FDP. Darin wird natürlich gefordert, die Fördersystematik in einigen Teilen anzupassen bzw. neu zu denken. Ich glaube, das ist bereits umgesetzt; das wurde schon gesagt, aber ich will es wiederholen. Die Städtebauförderprogramme haben wir zusammengefasst, um gerade diese Abgrenzungsprobleme zu beheben. Die Forderung nach der Ausrichtung nach den siedlungsstrukturellen Regionstypen des BBSR kann unserer Meinung nach nicht allein mit dem ausschlaggebenden Ansatz belegt sein; denn besser ist es sicherlich, die Förderschwerpunkte nach den Defiziten im Städtebau zu setzen. Das machen die Kommunen bereits. Die angemahnten Aspekte der Stabilisierung, der Revitalisierung und der Aufwertung werden bereits heute in die Wichtung einbezogen. Der geforderten Eigenverantwortung der Kommunen wird bereits heute Rechnung getragen. Die Kommunen beantragen ihre Entwicklungsschwerpunkte oder für bestimmte Projekte die Förderung regelmäßig und fortwährend.
Eine grundlegende Neuausrichtung in der Städtebauförderung, wie im Antrag der Grünen gefordert, brauchen wir aus meiner Sicht hingegen nicht. Kaum ein anderes Programm weist über so viele Jahre Erfolg und Kontinuität auf. Die angeregten neuen Programme für „Lebendige Orte in Stadt und Land“, für den „Zusammenhalt in der Sozialen Stadt“, für eine „Nachhaltige Zukunftsstadt“ oder für ein „Gutes Klima im Quartier“ brauchen wir nicht, und zwar deshalb nicht, weil sie schon da sind. Sie heißen bei uns beispielsweise „Soziale Stadt“, sie heißen „Stadtumbau“, sie heißen „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“. Das Programm „Zukunft Stadtgrün“ wurde bei der aktuellen Zusammenfassung der Programme querschnittsübergreifend integriert.
Auch die geforderten Anreize zur interkommunalen Zusammenarbeit gibt es auf kommunaler Ebene schon, oftmals in Form von Zweckverbänden, die die Kommunen bilden, beispielsweise natürlich auch mit Förderungen, die dafür erhalten werden können.
Beim beschriebenen Donut-Effekt, also dem Flächenfraß von den Ortschaften am Rand, haben wir die gleiche Zielrichtung. Die Bauverwaltungen der Länder sind hier schon seit ein paar Jahren angehalten, die Innenentwicklung zu priorisieren. Insbesondere aus den neuen Bundesländern ist es mir sehr oft bekannt, dass das Planungsrecht von Bebauungsplänen, die auf Vorrat zielen, bereits in einer Vielzahl von Fällen zurückgeführt wurde und aus Wohnflächenausweisungen aus demografischen Gründen zurückgenommen wurden. Integrierte Konzepte, die eine Vielzahl von Kommunen erstellt haben, sind hier die Grundlage.
Beim geforderten verstärkten Ausbau von Dachgeschossen gegen die Wohnungsnot in Ballungsräumen stimmt die Zielrichtung. Die BauGB-Novelle, die wir gerade in der Regierungskoalition abstimmen und die im ersten Halbjahr nächsten Jahres kommen soll, soll neben anderen Aspekten auch darauf zielen. Ebenso wird es in der BauGB-Novelle Änderungen geben, die die Umnutzung oder Wiedernutzung leerstehender Häuser erleichtern werden. Auf die Diskussion in den Ausschüssen dazu, wie das am besten gelingt, freue ich mich bereits jetzt.
Für die angesprochene Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, BImA, gilt bereits heute, dass Städte und Kommunen bevorzugt und vergünstigt Angebote aus dem Grundstücksfonds der BImA erhalten können. Ein Verkaufsmoratorium jedoch, wie es gefordert wird, könnte unserer Meinung nach beim Bauland ein problematischer Aspekt sein. Insofern sollte hier eine ausführliche Abwägung der Erörterung erfolgen.
({0})
Schon der Titel des Antrags der Linken „Bauland in Gemeinschaftshand“ weckt zumindest bei mir problematische Assoziationen.
({1})
Das gab es schon einmal; das hieß damals allerdings ein wenig abgewandelt „Junkerland in Bauernhand“. Unter dieser und anderen Parolen führte die kommunistische Partei nämlich die Bodenreform im Bereich der Landwirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone durch.
({2})
Die Zwangskollektivierung durch die SED in der DDR war dann der Folgeschritt. Ich hoffe nicht, dass der im aktuellen Antrag der Linken unter anderem geforderte konsequente Stopp der Privatisierung bundeseigener Grundstücke in die gleiche Richtung zielt.
Auch die ausschließliche Vergabe von Grundstücken an Private über Erbbaurecht, wie sie im Antrag gefordert wird, ist ein komplettes Aushebeln von marktwirtschaftlichen Prozessen, und das wäre für den Wohnungsmarkt kontraproduktiv.
({3})
Deswegen werden wir das ablehnen.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Schweiger. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion ist der Kollege Udo Hemmelgarn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer auf den Tribünen! Die Städtebauförderung gibt es in Deutschland seit fast einem halben Jahrhundert. Es ist bekannt, dass 1 Euro Fördermittel durchschnittlich zu fast 8 zusätzlichen Euro privater Investitionen führt. Die Städtebauförderung ist also durchaus eine Erfolgsgeschichte. Aber wie überall im Leben bedarf es auch hier eines kritischen Blicks.
Nach wie vor sind die bestehenden Programme der Städtebauförderung durch viele Überschneidungen und Unklarheiten gekennzeichnet. Sie erfordern einen zu hohen administrativen Aufwand seitens der Kommunen, und die abschließende Bewertung – neudeutsch: Evaluierung – der Projekte bleibt mitunter vage.
Und: Auch die Städtebauförderung wird zu einem Fass ohne Boden, wenn der Rechtsbruch in unserem Land nicht gestoppt wird.
({0})
In den letzten Jahren, insbesondere seit 2015, hat die Politik der offenen Grenzen bis zu 2 Millionen Menschen – zum Großteil illegal – in unser Land geführt. Die Städtebauförderung war nie als Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Probleme dieser Art und dieses Ausmaßes gedacht. Das kann und soll sie nicht leisten.
({1})
Die Regierung Merkel hat jedoch nicht vor, die Rückkehr der sogenannten Flüchtlinge in ihre Heimatländer ins Auge zu fassen. Genau deshalb wird heute zusätzlicher Wohnraum für Menschen in der Größenordnung von etwa 20 großen Städten à 100 000 Einwohner benötigt.
({2})
Gerade deshalb erst ist die Schaffung von Wohnraum heute wieder zur sozialen Frage geworden. Mehr noch: Selbst Innenminister Seehofer hält sie, wie wir es von der AfD immer gesagt haben, für die soziale Frage unserer Zeit.
({3})
Aber kann die Städtebauförderung unter diesen Umständen überhaupt noch leisten, wofür sie ursprünglich gedacht war? Wenn es nach dem Antrag der Grünen geht, soll die Städtebauförderung die ganze Welt retten und wird dazu von 790 Millionen Euro auf 3,2 Milliarden Euro vervierfacht. Auch wenn der vorliegende Antrag rechnerisch nicht ganz stimmig ist, die Absicht dahinter ist klar: Die politische Instrumentalisierung der Städtebauförderung, die sozialistisch-ökologische Revolution macht auch hiervor nicht halt.
({4})
Die Ernährungswende oder die Bekämpfung des angeblich menschengemachten Klimawandels haben in der Städtebauförderung überhaupt nichts zu suchen, genauso wenig wie ein Programm „Zusammenhalt in der Sozialen Stadt“ mit einem Volumen von 220 Millionen Euro. Diese Mittel sollen nach den Vorstellungen der Grünen auch für nichtinvestive Maßnahmen verwendet werden.
({5})
Das Programm „Demokratie leben!“ reicht also nicht aus, unser Land umzukrempeln; da muss man wohl noch nachlegen. Das Steuergeld fremder Leute auf den Kopf zu hauen, macht natürlich Spaß.
Wir fordern, dass sich die Städtebauförderung wieder auf ihren eigentlichen Kern konzentriert. Dazu muss Folgendes geschehen:
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Erstens. Die Förderprogramme sind stärker auf konkrete Problemlagen auszurichten.
Zweitens. Die Fördersystematik ist zu vereinfachen, und Förderzwecke sind zu begrenzen. Insbesondere muss eine Beschränkung auf investive Maßnahmen erfolgen.
Drittens. Der ländliche und strukturschwache Raum ist stärker in den Fokus zu nehmen.
Viertens. Die Kommunen müssen in der Lage sein, die geförderten Projekte selbst zu managen, Stichwort „Entbürokratisierung“.
Fünftens. Haushaltsrechtliche Hindernisse bei der Realisierung mehrjähriger Projekte sind abzubauen.
In der Verwaltungsvereinbarung für das Jahr 2020 hat gegenüber den Vorjahren bereits eine Veränderung stattgefunden, nämlich die Konzentration von bisher sieben auf nunmehr drei Förderprogramme. Unter Berücksichtigung unserer eingangs geäußerten Vorstellungen könnte das ein erster Anfang sein.
Danke.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Claudia Tausend, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute ein buntes Potpourri verschiedener Anträge, die sich alle im Kern mit dem Thema Wohnungsbau befassen, aber nicht unbedingt in einem direkten Sachzusammenhang stehen; zumindest hat sich der mir nicht erschlossen. Dazu kommt, dass wir einen Großteil der Anträge bereits im Ausschuss diskutiert und auch behandelt haben.
Neu hinzugekommen ist allerdings ein Antrag der Grünen – recht kurzfristig, gestern Nachmittag, dafür umso umfänglicher. Ich möchte aber heute nachsichtig sein, nicht nur weil Weihnachten als Friedensfest vor der Tür steht, sondern weil Sie tatsächlich wichtige Fragen ansprechen, von denen Sie aber nicht wirklich wissen können, dass sie an anderer Stelle bereits intensiv diskutiert und viele der Anregungen bereits aufgegriffen worden sind.
Ich spreche nämlich von der Regierungskommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“, die heute schon zitiert worden ist und die ein Jahr lang unter Beteiligung der Regierungsfraktionen, der zuständigen Ministerien, der Fachöffentlichkeit und von ausgewiesenen Experten eine Baugesetzbuchnovelle vorbereitet hat, die wir im neuen Jahr hoffentlich zügig angehen werden können.
Ich bedaure durchaus – auch das wurde schon angesprochen –, dass diese Kommission als Regierungskommission getagt hat und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, als Enquete-Kommission des Bundestags. Denn so mussten wir nicht nur auf Ihren Sachverstand aus der Opposition verzichten, sondern wir konnten vor allem nicht die dringend notwendige Öffentlichkeit für diese Debatte herstellen. Diese werden wir aber jetzt im anstehenden Gesetzgebungsverfahren zur Baugesetzbuchnovelle herstellen und in diesem Rahmen auch unsere über die Handlungsempfehlungen des Abschlussberichts festgelegten Vorschläge noch einmal darstellen und dafür werben.
({0})
Wir werden in diesem Zusammenhang deutlich machen, dass wir nicht glauben, dem Wohnraummangel in Deutschland allein über das immer wieder ins Feld geführte Motto „Bauen, bauen, bauen“ Herr werden zu können.
({1})
Dies folgt einer reinen Marktlogik, die wir so nicht teilen können; denn im Gegensatz zu Gütern des täglichen Gebrauchs ist Grund und Boden nicht beliebig vermehrbar. Deshalb haben wir in der Kommission darauf geachtet, dass der Schwerpunkt nicht allein auf die Instrumente der Baulandmobilisierung gelegt wird, sondern dass in gleicher Intensität auch über die Frage einer sozialen und nachhaltigen Bodenpolitik nachgedacht wird.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst vor wenigen Tagen ist der neue Immobilienmarktbericht erschienen, der noch einmal ein eindrucksvolles Schlaglicht auf die Entwicklung der Immobilienpreise im Land wirft, die regional immer stärker auseinanderdriften. Das ist uns auch bewusst. Daher haben wir eine zweite Kommission eingesetzt, die sich mit der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse befasst; denn niemand soll seine Heimatregion aus Mangel an Zukunfts- und Lebenschancen verlassen müssen. Und – das sage ich ausdrücklich als Großstadtpolitikerin – wir müssen etwas für den ländlichen Raum tun, damit junge Menschen nicht zur Abwanderung in die Städte gezwungen werden.
({3})
Ein Artikel zu diesem Immobilienmarktbericht hatte die plakative Überschrift: Für ein Einfamilienhaus in München könnte man sich anderswo ein ganzes Dorf kaufen. – Aber: In München kann sich praktisch niemand mehr ein Einfamilienhaus kaufen, schon gar kein Normalverdiener. Der Preis für ein Reihenmittelhaus bewegt sich mittlerweile in einer Größenordnung von über 1 Million Euro, und auch im Geschosswohnungsbau zahlen Sie über 7 000 Euro den Quadratmeter; die Mieten sind entsprechend hoch.
Dies hat seine Ursache aber nicht in den Baukosten, sondern in der Knappheit von Grund und Boden. Denn, Kolleginnen und Kollegen, es ist klar: Bezahlbare Wohnungen können nicht auf unbezahlbarem Grund und Boden entstehen. In München liegt der Anteil der reinen Baukosten an den Gesamtkosten eines Vorhabens derzeit bei 20 bis 30 Prozent. Der Anteil des Grundstückspreises nähert sich den 80 Prozent. Und die Bodenpreise sind seit 1950, sehr verehrte Frau Göring-Eckardt, um 39 000 Prozent gestiegen; das ist die Zahl, die Hans-Jochen Vogel immer wieder ins Feld führt.
Deswegen können wir uns immer wieder an den Vorschlägen der Baukostensenkungskommission abarbeiten: Wir werden nur etwas für bezahlbaren Wohnraum tun können, wenn wir an das Thema „Grund und Boden“ herangehen. Darauf weist Hans-Jochen Vogel immer wieder unermüdlich hin und hat dazu kürzlich ein Buch mit dem Titel „Mehr Gerechtigkeit!“ verfasst. Dort werden diese Gedanken noch einmal ausgeführt und präzisiert. Er fordert nichts anderes als eine neue soziale Bodenordnung.
({4})
Ich kann Ihnen dieses Buch als Weihnachtslektüre nur ans Herz legen.
({5})
– Kolleginnen und Kollegen, dieses Buch sollten wir alle durcharbeiten; ich lege es Ihnen ans Herz. Nächstes Jahr werden wir bei der Baugesetzbuchnovelle unsere Vorschläge noch präzisieren.
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Ich möchte zum Abschluss kommen mit einem Zitat – das ist nicht von Hans-Jochen Vogel –: Wohnen ist ein Menschenrecht, kein Luxusgut.
Danke fürs Zuhören.
({7})
Vielen Dank. – Als nächster Redner erhält der Kollege Manfred Todtenhausen, FDP-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ehrenamtlicher Vorstand einer Wohnungsbaugenossenschaft, und deswegen berichte ich aus der Praxis. Wer sich auch nur ein bisschen in der Wohnungswirtschaft auskennt, der weiß, dass das Interesse am Bauen wegen der aktuellen Rahmenbedingungen leider deutlich nachgelassen hat. Die Baukosten steigen immer höher, und der Staat ist dabei der größte Bremser und Kostentreiber, mit immer neuen Auflagen.
Es gibt genügend Wohnungsunternehmen, die gerne bauen würden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden. Bei den Grünen und Linken heißen diese Rahmenbedingungen Mietendeckel und Enteignung. Das ist nicht nur kontraproduktiv, das ist destruktiv.
({0})
So schafft man keinen bezahlbaren Wohnraum. Nicht eine neue Wohnung wird dadurch geschaffen.
({1})
Wohnungen bekommt man durch Bauen – wenn es Grundstücke zu vernünftigen und bezahlbaren Preisen geben würde. Dafür muss es aber ein ausreichendes Angebot geben. In Großstädten ist das sicher problematisch. Wohnraum bekommt man außerdem, wenn Baubehörden schneller genehmigen und Verfahren sich nicht über Monate hinaus verzögern würden.
({2})
Dazu brauchen die Baubehörden ausreichend Personal. Dann, ja dann könnten Sie versichert sein, dass private Unternehmen – kommunale oder Genossenschaften – ganz schnell anfangen würden, zu bauen und Wohnungen zu vernünftigen Preisen zur Verfügung zu stellen.
Es gibt aber noch andere Probleme. Sobald Flächen ausgewiesen werden sollen, sperren sich die Grünen dagegen. Die grüne Wiese ist Ihnen dann doch lieber als der zusätzliche Wohnraum, der dringend benötigt wird;
({3})
das beobachten wir regelmäßig in unseren Kommunen.
Noch ein Beispiel aus den vorliegenden Anträgen: Einerseits wollen die Grünen die Städtebauförderung für energetische Quartierssanierung um 2 Milliarden Euro erhöhen, andererseits wollen sie mehr Milieuschutzgebiete. Dort müssen Vermieter alle Umbauten von der Kommune genehmigen lassen – das ist teilweise auch in Ordnung –, aber auch Umbauten zur energetischen Modernisierung. Die werden dann häufig verweigert, weil sich das zwangsläufig auf die Miete auswirkt. Das ist doch widersprüchlich. Immer mehr Auflagen im Wohnungsbau und immer mehr unübersichtliche, komplizierte Programme in der Städtebauförderung schaffen keinen zusätzlichen Wohnraum.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Wir brauchen einfache und unbürokratische Verfahren. Nur dann schaffen wir Wohnraum zu bezahlbaren Preisen. Unser Antrag geht in die richtige Richtung.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat der Kollege Dr. André Berghegger, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich würde ganz gerne zu unserer Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, zu unserer BImA, reden. Die Frage lautet: Alles prima bei der BImA?
({0})
Oder müssen wir die BImA grundlegend reformieren, wie es die Grünen beantragen?
Als ich den Antrag zur Reform der BImA gelesen habe, habe ich festgestellt: Sie haben fast alles aufgeschrieben, was Sie zur BImA wissen. Teilweise sind die Argumente nur völlig überholt und teilweise realistischerweise überhaupt nicht umzusetzen.
({1})
Worum geht es im Kern? Im Kern sagen Sie von den Grünen, dass der Bund über die BImA eine Vorbildfunktion übernehmen soll, eine nachhaltige Liegenschaftspolitik ausüben soll
({2})
und günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen soll.
({3})
– Applaus bei den Grünen. – Ich sage Ihnen: Das machen wir längst – vielleicht nicht in Ihrem Sinne; aber wir machen es längst –, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Sie erwecken den Eindruck, dass die BImA mit ihren Grundstücken und ihren Immobilien einen maßgeblichen Einfluss auf die Grundstücks- und Wohnungssituation in unserem Land hat.
({4})
Das Gegenteil ist der Fall: Die BImA ist ein Teil, ein Partner von ganz vielen Spielern auf diesem Gebiet, und das will ich Ihnen gerne belegen.
Sie behaupten, die BImA habe 25 700 Grundstücke. Das ist richtig. Aber Sie erwähnen nicht, dass diese Grundstücke unterschiedlich sind. Teilweise sind sie nur 1 Quadratmeter groß; teilweise werden sie genutzt, um die Erschließung für andere Grundstückskomplexe überhaupt zu ermöglichen. Das macht einen Riesenunterschied. Sie können nicht einfach behaupten, 25 700 Grundstücke stünden für großräumigen Wohnungsbau zur Verfügung. Es ist unseriös, etwas in dieser Art zu behaupten.
({5})
In die gleiche Richtung ging die Kollegin Lay von den Linken vorhin. Sie haben aufgeführt, wie viele Veräußerungen – Sie nannten es „Privatisierungen“ – erfolgt sind. Gucken Sie sich die Fälle mal im Einzelnen an; da werden Sie Erstaunliches lernen.
Ein weiteres Problem: Die Grundstücke halten sich nicht an politische Vorstellungen. Die Grundstücke sind im ganzen Bundesgebiet, in der ganzen Republik verteilt. Deswegen kann die BImA immer nur punktuell helfen. Der Wohnraummangel ist doch in den Ballungsgebieten, in den Hotspots zu verzeichnen. Schauen wir uns das genauer an, beispielsweise in Berlin, München, Köln, Stuttgart: Da besitzt die BImA 0,28 bis 0,48 Prozent der Mietwohnungen. Das ist nun kein maßgeblicher Einfluss auf diesen Wohnungsmarkt.
({6})
Sie behaupten, der Bund beteilige sich an der Preistreiberei und unterstütze die Kommunen nicht ausreichend. Das, finde ich, ist ehrlicherweise ein starker Vorwurf und großer Unfug. Lesen Sie einmal die Verbilligungsrichtlinie, die Jahr für Jahr erweitert wird. Seit 2012 können entbehrliche Grundstücke an die Kommunen beim Erstzugriff zum Verkehrswert veräußert werden. Das ist ein Privileg. Die Kommunen müssen sich nicht dem Wettbewerb mit privaten Investoren stellen.
({7})
Konversionsliegenschaften können unter Verkehrswert veräußert werden; das gilt ebenfalls zum Zwecke des sozialen Wohnungsbaus. Und die kommunale Nachfrage steigt: Allein in den ersten drei Vierteln dieses Jahres sind genauso viele Verkaufsfälle zu verzeichnen wie in insgesamt zwei Jahren zuvor. Warten Sie doch einmal ab, und nehmen Sie diese Entwicklung zur Kenntnis.
({8})
Die BImA betreibt eine aktive Wohnungsfürsorge für die Bundesbediensteten. Die Miete in hochpreisigen Lagen wird an der unteren Grenze des Mietpreisspiegels bemessen; dazu haben wir im Haushaltsausschuss Beschlüsse gefasst.
({9})
Die BImA erwirbt Belegungsrechte für ihre Bediensteten. Sogar bei angespannten Wohnungsmarktsituationen steigt sie in den Wohnungsbau ein, um bezahlbaren Wohnraum für Bundesbedienstete zur Verfügung zu stellen. Das nenne ich eine Vorbildwirkung, und das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
({10})
Der Wohnungsbestand wird auch nicht mehr veräußert, sondern gehalten, saniert und hergerichtet. Immer wird der Kontakt zunächst mit den Kommunen gesucht.
({11})
– Frau Künast, hören Sie doch einmal zu.
({12})
Erst wenn mit den Kommunen keine gemeinsame Lösung erarbeitet werden kann, werden andere Interessenten gesucht.
Die Grünen fordern Dinge, die schon längst umgesetzt worden sind. Der verbilligte Erwerb kann bei Grundstücken unter bestimmten Voraussetzungen sogar auf einen Verkaufswert von bis zu 0 Euro heruntergehen. Grundstücke können an Dritte weitergegeben werden, wenn sie die öffentlichen Aufgaben übernehmen. All das fordern Sie in Ihrem Antrag.
Ich komme zu folgendem Zwischenergebnis: Die BImA ist äußerst flexibel und kommunalfreundlich. Vom Hausmeister über die Reinigungskraft bis zum Bundesförster wird ein verdammt guter Job gemacht. Das kann man an dieser Stelle einmal sagen.
({13})
In einem Punkt komme ich Ihnen entgegen: Die Verbilligungsrichtlinie ist sehr kompliziert und komplex. Lassen Sie sie uns angehen, vereinfachen und zusammenfassen, dann ist sie für alle und auch für Sie viel verständlicher. Lassen Sie uns da einen Schritt nach vorne gehen.
({14})
Inhaltlich können wir mit der BImA alles leisten, was Sie sich vorstellen.
Ich komme zur Ausgangsfrage zurück --:
Nein, Herr Kollege, Sie kommen jetzt bitte zum Schluss.
Alles prima bei der BImA? – Nein, aber wir sind auf einem guten Weg.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Daniela Wagner, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unsere Städte, und nicht nur unsere, stehen von zwei Seiten unter Druck: durch Wohnraumbedarf und bauliche Verdichtung einerseits, durch zunehmende Extremwetterereignisse andererseits. Die Bauland- und Wohnungskrise ist längst die soziale Frage unserer Zeit und hinterlässt Spuren in unseren Städten: Wohnungssuchende finden nur schwer bezahlbare Wohnungen; kleine Handwerksbetriebe, Kitas und Kultureinrichtungen werden verdrängt. Alles, was unsere Stadtviertel attraktiv macht, geht nach und nach verloren. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das darf so nicht bleiben.
({0})
Gleichzeitig bleiben kaufkräftige Bürger zunehmend unter sich. Wenn wir den steigenden Bodenpreisen tatenlos zuschauen, gefährden wir den sozialen Zusammenhalt in Deutschland. Wir wollen und müssen eine gute soziale Mischung und Lebensqualität erhalten; das ist eine Grundvoraussetzung für gesellschaftlichen Zusammenhalt.
({1})
Dafür brauchen wir mehr Kontrolle über Grund und Boden, ein nicht vermehrbares Gut. Wir müssen Flächenpotenziale heben und einer gemeinwohlorientierten Bebauung zuführen. Teurer Boden bringt keine preiswerten Wohnungen hervor, die brauchen wir aber. Wenn Sie gegen ein schärferes Baugebot sind, was ist denn Ihre Antwort auf die Spekulation mit Grundstücken?
({2})
Wenn Sie kommunale Vorkaufsrechte nicht ausweiten und stärken wollen, was ist Ihre Antwort auf all diese Probleme? Wenn Sie in Millieuschutzgebieten keine Mietobergrenze einführen wollen, was ist dann Ihre Antwort auf die zunehmende Segregation in unseren Städten? So werden Sie den sozialen Zusammenhalt nicht stärken.
Zusätzlich werden unsere Städte im Sommer zu Hitzeinseln: In Ballungsräumen liegen die Maximaltemperaturen bis zu 10 Grad höher als im Umland. Dazu kommen Extremwetterereignisse wie Starkregen und Stürme. Das alles zeigt: Wir müssen Städte neu denken, neu gestalten. Dafür sollten wir die transformative Kraft der Städte nutzen, sie für die Folgen des Klimawandels wappnen und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen gestalten, zum Beispiel durch Stadtgrün mit Wasserflächen und Frischluftschneisen. Sie wirken wie große Klimaanlagen, und die brauchen wir unbedingt in unseren Städten.
({3})
Außerdem brauchen wir mehr klimafreundliche und bezahlbare Mobilität in den Städten und im ländlichen Raum. Darauf müssen wir das BauGB, die Baunutzungsverordnung, die Städtebauförderung, das GVFG und viele andere Rechtsnormen ausrichten, und das konsequent und noch viel spürbarer als bisher. Die Debatte um die BauGB-Novelle wird insofern spannend.
Wir wollen keine Privatisierung der Städtebauförderung wie die FDP, und wir wollen auch keinen Mietendeckel und auch keine Enteignung. Davon steht auch nichts im Antrag. – Punkt.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Wagner. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Kai Wegner, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Wagner, ich bin ja geradezu erleichtert, kurz vor Weihnachten von einer Grünen zu hören, dass Sie gegen den Mietendeckel sind. Das finde ich gut. Das freut mich als Berliner, glauben Sie mir.
({0})
Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über eine Vielzahl von Anträgen und eine Vielzahl von Themen: Wohnpreise, Dachgeschossausbau, mehr Bauland, Städtebauförderung. Ich freue mich, dass wir darüber sprechen; denn diese Koalition aus CDU/CSU und SPD hat diese Themen alle auf dem Schirm, und wir arbeiten auch daran.
({1})
Wir haben auf dem Wohngipfel klargemacht, dass Bauen und Wohnen in dieser Legislaturperiode höchste Priorität haben. Vieles, was wir auf dem Wohngipfel mit den Ländern und mit den Kommunen beraten haben, ist längst in der Umsetzung.
Heute wurden schon ganz oft die Baulandkommission, die Reform des Baugesetzbuches und vieles andere angesprochen. Ich möchte mich ganz herzlich bei unserem Bundesminister Horst Seehofer, aber vor allen Dingen auch bei seinem Staatssekretär Marco Wanderwitz bedanken. Ich finde, die Baulandkommission hat eine ganz hervorragende Arbeit geleistet, die wir jetzt in die Gesetzgebung bringen; Bernhard Daldrup hat es schon gesagt. Gleich zu Beginn des nächsten Jahres gehen wir da ran, und vor der Sommerpause, lieber Herr Kühn, werden wir ein ganz tolles neues Baugesetzbuch haben, das schnelleres Bauen ermöglicht, das mehr Bauen ermöglicht, das auch den Boden mit in den Blick nimmt. Daher freue ich mich schon richtig auf das kommende Jahr.
({2})
Ich will auf einige Punkte aus den Anträgen der Opposition eingehen.
Der erste Punkt – Sie haben es angesprochen –: Bodenpreise. Ja, auch wir als Koalition – das haben wir im letzten Koalitionsausschuss vereinbart – wollen die Spekulationen eindämmen. Ja, wir haben gesagt, wir wollen die Grundsteuer C so gestalten, dass sie auch etwas bringt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich schaue in Richtung Grüne und in Richtung Linkspartei.
({3})
– Sehr gerne auch Linksfraktion; das macht es aber nicht besser.
Ich sage Ihnen: Auch Länder und Kommunen müssen aufhören, Preistreiber beim Boden zu sein. Wenn ich sehe, wie hoch die Grunderwerbsteuern sind, gerade in den Ländern, wo auch Sie Verantwortung tragen, dann können wir mit gutem Gewissen sagen: Auch die Linke ist Preistreiber in den Ländern, wo sie Verantwortung trägt.
({4})
Das ist nicht in Ordnung. Sie müssen schon konsistent handeln. Sie verknappen Bauland in den Ländern, in denen Sie Verantwortung tragen. Auch das Verknappen von Bauland führt am Ende zur Steigerung der Kosten. Deswegen kann ich Ihnen nur zurufen: Verwalten Sie dort, wo Sie Verantwortung tragen, nicht immer nur den Mangel, sondern nutzen Sie endlich die guten Instrumente, die wir Ihnen als Koalition, als Bund zur Verfügung stellen.
({5})
– In Berlin hat die Linkspartei von 2001 bis 2011 regiert, liebe Kollegin.
({6})
Jetzt aktuell regiert die Linkspartei schon wieder.
({7})
Wir haben in Berlin die geringste Zahl an Baugenehmigungen seit vielen Jahren, und die Bausenatorin heißt Lompscher von der Linkspartei, liebe Kollegin.
({8})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?
Nein, danke. Das können Sie nachher machen. – Ich scheine Sie ja getroffen zu haben. Ich wollte das gar nicht sagen, aber ich schaue gerne einmal auf Ihr Bundesland Thüringen, wo Sie den Ministerpräsidenten gestellt haben. Wir haben dort in den letzten Jahren den geringsten Abfluss an Bundesmitteln für die soziale Wohnraumförderung. Dort tragen Sie schon so lange Verantwortung. Handeln Sie endlich, auch in Thüringen, und nutzen Sie die Mittel des Bundes für die Wohnraumförderung.
({0})
Das ist doch zynisch, was Sie hier machen.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das Thema Dachgeschossausbau. Auch hier machen wir ganz viel. Wir schaffen die Voraussetzungen; ich nenne die Sonder-AfA. Ich bin gerne auch bereit, über Investitionszulagen nachzudenken, das steht ja auch in einem Antrag.
Aber, meine Damen und Herren, auch hier gilt: Entscheidend ist nicht, was man nicht macht, sondern entscheidend ist der politische Wille, ist, dass man es auch will. Wir könnten in vielen Städten so viel Dachgeschossausbau betreiben! Aber wenn die verantwortliche Senatorin – da bin ich wieder bei Frau Lompscher – es verhindert, wenn Länder und Kommunen es nicht zuverlässig umsetzen, dann können wir die besten Instrumente und Mittel des Bundes zur Verfügung stellen; es wird nicht gelingen.
({1})
Lassen Sie uns gemeinsam weiter daran arbeiten. Wir als Koalition von CDU/CSU und SPD machen das. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, –
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss bitte.
– dass mehr Wohnraum entsteht, dass Wohnen bezahlbar bleibt, dass wir für diejenigen, die Eigentum erwerben möchten, gute Instrumente in die Hand nehmen.
Lassen Sie uns für die Wohnraum schaffen, –
Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
– die morgens aufstehen und das Land am Laufen halten, und für die, die wenig haben. Die brauchen nämlich unsere Unterstützung.
Herzlichen Dank und schöne Weihnachten!
({0})
Die Fraktion Die Linke hat für den Kollegen Pascal Meiser eine Kurzintervention beantragt, die ich zulasse.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Wegner, Sie haben hier schon wieder das Märchen verbreitet, dass die Berliner Stadtentwicklungssenatorin, Frau Lompscher, den Wohnungsbau in Berlin blockiert. Das ist nachweislich falsch.
({0})
Ich frage Sie – Sie sind ja Berliner, wie ich auch –, ob Ihnen bekannt ist, dass die Baugenehmigungen in Berlin nicht von der Landesregierung, sondern von den Bezirken erteilt werden. Ich frage Sie, ob Ihnen bekannt ist, wie die Statistik der Berliner Bezirke dazu aussieht. Ich frage Sie auch, ob Ihnen bekannt ist, dass die CDU-geführten Bezirke diejenigen sind, die die wenigsten Baugenehmigungen erteilen.
({1})
Ich frage Sie: Wissen Sie das? Und wenn Sie das wissen: Warum verbreiten Sie dann hier solche Unwahrheiten?
({2})
Herr Kollege Wegner, wollen Sie antworten? – Ja, Sie wollen antworten. Sie haben das Wort.
({0})
Herr Präsident, das kann ich mir doch gar nicht entgehen lassen.
({0})
Ich hoffe, Sie nehmen zur Kenntnis, lieber Herr Kollege, dass wir, seitdem Frau Lompscher den Mietendeckel ins Spiel gebracht hat
({1})
und dieser in der Beratung ist, die Baugenehmigungszahlen in ganz Berlin um mehr als 50 Prozent eingebrochen sind.
({2})
– Ja, kommt doch gleich.
({3})
Ich hoffe, Sie nehmen auch zur Kenntnis, dass die Genossenschaften in Berlin – und das sind nicht die schlimmen Heuschrecken – für das kommende Jahr 6 000 neue Wohnungen geplant hatten. Sie haben 4 000 zurückgezogen; jetzt sind es nur noch 2 000. Das ist die Politik Ihrer Bausenatorin Lompscher!
Sie sprachen auch die Baugenehmigungen an. Es ist falsch, was Sie sagen. Und eins kann ich Ihnen sagen: In den Bezirken Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg,
({4})
wo die Grünen den Bezirksbürgermeister stellen, wurde im Jahr 2017 kein einziges Bebauungsplanverfahren abgeschlossen.
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Ich finde, auch das ist sehr interessant.
Und das würde ich gerne an die rot-rot-grüne Koalition mitgeben: Berlin braucht mehr Wohnungsbau, nicht weniger.
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Vielen Dank, Herr Kollege Wegner. – Ich darf Ihnen von meiner Seite aus versichern, dass wir uns darum bemühen werden, dass der Deutsche Bundestag jedenfalls im nächsten Jahr eine Baugenehmigung bekommt. Ich hoffe, das wird erfolgreich.
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– Er hat ja auch vom Bezirk Mitte gesprochen, und der Bezirksbürgermeister von Mitte ist ein Grüner. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Heute auf den Tag genau vor 30 Jahren sprach Helmut Kohl in Dresden:
Und auch das lassen Sie mich hier auf diesem traditionsreichen Platz
– in Dresden vor den Trümmern der Frauenkirche –
sagen: Mein Ziel bleibt – wenn die geschichtliche Stunde es zulässt – die Einheit unserer Nation.
30 Jahre nach der deutschen Einheit, meine Damen und Herren, liegt uns eine Petition vor, die die Einrichtung der Funktion eines Beauftragten der Bundesregierung für SED-Opfer fordert. Wir haben im Petitionsausschuss einstimmig beschlossen – alle Fraktionen dieses Hauses –, diese Petition der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen.
Wir als Ausschuss – und ich hoffe, Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können dieser Sammelübersicht und diesem Votum zustimmen – sind der Meinung, dass es diese Institution braucht. Wir gemeinsam haben bereits am 26. September und am 7. November die Einrichtung dieser Institution gefordert und möchten, dass dies nun auch zügig umgesetzt wird. Gerade im 30. Jahr der deutschen Einheit braucht es diese zentrale Anlaufstelle für alle Menschen, die Opfer der sozialistischen Diktatur geworden sind, und für die Menschen, die darüber noch aufgeklärt werden müssen, zum Beispiel in Schulen, was in dieser Diktatur, in diesem Unrechtsstaat passiert ist, damit dieses Wissen weitergetragen wird.
Die Menschen müssen wissen, dass es 1,4 Millionen Minen an der innerdeutschen Grenze gab, dass es 55 000 Selbstschussanlagen gab, dass mindestens 136 Menschen allein an der Berliner Mauer gestorben sind, dass es Zwangskollektivierungen gab, dass es Zwangsumerziehung der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, mit Gewalt gab, dass 221 Todesurteile gesprochen wurden, dass Hunderttausende Menschen verfolgt, erniedrigt wurden und noch heute daran leiden. Daran müssen wir erinnern. Den Opfern müssen wir eine zentrale Anlaufstelle geben, damit die von uns beschlossenen Verbesserungen gerade im Bereich der strafrechtlichen Rehabilitierung umgesetzt werden können. Die Opfer und die Betroffenen müssen einen zentralen Ansprechpartner haben.
Deswegen fordert die Petentin, Frau Christiane Wirth aus Düsseldorf, die Einrichtung der Funktion eines Beauftragten für die SED-Opfer bei der Bundesregierung. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich diesem Votum – zur Erwägung – anschließen, das wir im Petitionsausschuss einstimmig beschlossen haben.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Wendt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Bundestag ein Klimapaket beschlossen. Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuss angerufen. Es stehen schwierige Fragen und erhebliche Probleme im Raum. Der Vermittlungsausschuss hat sich dieser Fragen angenommen. Eine Arbeitsgruppe wurde eingesetzt. Wir haben in der Arbeitsgruppe ein Vermittlungsergebnis vorgeschlagen. Der Vermittlungsausschuss hat diesen Vorschlag gestern mit breiter Mehrheit angenommen.
Meine Fraktion wirbt dafür, dass wir diesem Vermittlungsergebnis heute im Bundestag zustimmen. Wir haben die Hoffnung und Erwartung, dass der Bundesrat morgen ebenfalls zustimmen könnte. Dann würde gelten: Die Blockade ist abgewendet. Der gordische Knoten ist zerschlagen. Das Klimapaket kann kommen.
({0})
Das ist zum Jahresende eine gute und wichtige Nachricht für den Klimaschutz und für die Menschen in Deutschland.
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Nach all dem, was im Raum steht, in einer Zeit, in der in Madrid nur in Trippelschritten vorangegangen wird, in der in Brüssel aber Tempo gemacht wird, demonstrieren wir in dieser wichtigen Frage Gemeinsamkeit und Handlungsfähigkeit. Wir zeigen gemeinsam über Parteigrenzen, über die Grenzen von Regierung, Parlament und Bundesrat hinweg: Wir nehmen den Klimaschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahr und ernst. Wir holen unseren Rückstand auf. Wir stellen jetzt die Weichen, um die Klimaziele zu erreichen. Das alles tun wir gemeinsam. Damit demonstrieren wir Handlungsfähigkeit. Das ist ein starkes Signal für den Klimaschutz.
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Ich möchte mich bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben: hier in den Fraktionen, in den Ländern, in der Bundesregierung. Wir haben gute, konstruktive Beratungen geführt. Für unsere Zustimmung ist dabei maßgeblich, dass die Philosophie, dass die Architektur dieses Klimapakets erhalten bleiben. Wir setzen damit auf Innovation. Wir setzen auf Infrastruktur. Wir setzen auf Marktwirtschaft.
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Wir verbinden Klimaschutz, Wirtschaft und Soziales. Wir setzen auf Akzeptanz.
Natürlich sind Veränderungen notwendig. Aber wir werden diese Veränderungen gestalten. Als Erstes kommt deshalb das Fördern, die Fördermaßnahmen, die Unterstützung. Wir werden niemanden überfordern. Wir wollen alle Menschen mitnehmen. Das ist der Geist. Das ist eine Daueraufgabe. Deshalb ist sie auch nur so zu bewältigen.
({4})
Dabei waren Fragen zu klären. Dabei ging es um die Höhe des CO2-Preises, die in diesem Vermittlungsverfahren politisch diskutiert wurde. Wir haben jetzt einen Weg gefunden, der unserer Anforderung, nämlich dass wir mit einem moderaten Preis einsteigen und dieser dann Schritt für Schritt ansteigt, entspricht. Das, was wir jetzt machen werden, ist spürbar, aber es ist vertretbar. Die Wirkung wird sich auf der Strecke entfalten.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das ist die eine Grundlage. Die andere Grundlage ist, dass wir die zusätzlichen Einnahmen, die dadurch in den Haushalt fließen, den Bürgern in vollem Umfang dadurch zurückgeben, dass wir Stromkosten senken, dass wir Pendler besser unterstützen, –
Herr Kollege, bitte.
– dass wir insgesamt ein Paket schnüren, mit dem die Bürger und die Wirtschaft mitgenommen werden. Wir werden das mit beherztem Klimaschutz verbinden.
({0})
Ich darf für unsere Fraktion mitteilen, dass wir dieses Vermittlungsergebnis unterstützen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Stephan Brandner, AfD-Fraktion.
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Was ist denn mit Ihnen los? Ich habe doch noch gar nichts gesagt. – Meine Damen und Herren! Was für ein dreistes Vermittlungsverfahren zum sogenannten Klimaschutzprogramm 2030! Was für eine Dreistigkeit – alleine der Name! Gar nichts, null und überhaupt nichts wird dieses Programm zum Weltklima beitragen. Das verspreche ich Ihnen von hier vorne.
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Allein positiv: keine neue Grundsteuer – ist in Ordnung –, etwas billigere Bahnfahrkarten – ist in Ordnung –, höhere Pendlerpauschale – ist in Ordnung –, billigerer Strom – auch in Ordnung. Das waren aber nur kleine Teile von dem, was da vermittelt oder gemauschelt wurde, meine Damen und Herren.
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Alles andere hingegen, was geregelt werden soll, ist anmaßend, überflüssig, kompliziert, teuer und bürgerfeindlich, meine Damen und Herren.
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Mit anderen Worten: Typischer Altparteienunsinn im Gefolge der vor allem in Deutschland grassierenden Klimahysterie! Hysterie ist immer ein schlechter Antreiber für Gesetzgebung. Wir erwarten Milliardenkosten.
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Hunderte Milliarden Euro an Kosten für alle Bürger in diesem Land, null Klimaeffekt: Das sage ich Ihnen von hier vorne voraus.
Genauso hysterisch übrigens wie Ihre Klimahysterie ist das Vermittlungsverfahren. Eine Vielzahl von Ministerpräsidenten wollte das Vermittlungsverfahren – aus unterschiedlichen Gründen; eine wahre Kakofonie. Bei der ersten Sitzung des Vermittlungsausschusses am 9. Dezember musste erst mal geklärt werden: Wer ist jetzt aus welchem Grund wogegen und teilweise wofür?
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Hektisch wurde dann eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die am Tag darauf vormittags tagte. Wir als AfD hatten nicht mal die Chance, dafür ein Mitglied von uns zu benennen. Die zweite Sitzung war am 12. Dezember, die dritte Sitzung am 16. Dezember.
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Das hört sich demokratisch an, ist aber mitnichten demokratisch;
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denn am 16. Dezember wurde ein Ergebnis vorgelegt, das am 15. Dezember, am dritten Advent, irgendwo ausgemauschelt worden war.
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„Von wem?“, wollte ich gestern im Vermittlungsausschuss wissen. Wer hat wo wann auf welcher Grundlage am 15. Dezember was verhandelt? Die Antwort war: Herr Brandner, das sagen wir Ihnen nicht. – Meine Damen und Herren, so läuft Demokratie in Deutschland, im Deutschland der Altparteien.
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Hinter verschlossenen Türen unter Ausschluss großer Teile der Opposition wird gemauschelt, geschachert und gefeilscht,
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und das nicht etwa zum Wohle Deutschlands, sondern zum ideologiedurchtränkten Schaden, zum ideologiegetriebenen Schaden für alle Bürger.
Meine Damen und Herren, wir haben versucht, dieses grob schändliche Gesetzgebungsverfahren zu stoppen. Wir hatten aber leider keine Chance.
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Wir versuchen es dennoch hier in Zukunft auch weiter und versprechen den Bürgern: Mit uns gibt es keine Klimahysterie, mit uns gibt es keine Milliardenkosten mit null Effekt.
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Deshalb stehe ich hier vorne und darf namens der AfD-Fraktion verkünden, dass wir das gesamte Klimaschutzprogramm 2030 genauso ablehnen wie das gestern verkündete, von Ihnen hinter verschlossenen Türen ausgemauschelte Vermittlungsergebnis.
Vielen Dank.
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Herr Abgeordneter Brandner, ich weise mit Nachdruck Ihre Erklärung zurück, dass ein von Verfassung wegen vorgeschriebenes Verfahren, einen Interessenausgleich zwischen dem Deutschen Bundestag und den Bundesländern herbeizuführen, ein Gemauschel sei. Das ist nicht nur unangemessen, sondern in der Sache falsch.
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Das als letzter Satz von mir, weil es mich wirklich ärgert: Ich empfehle Ihnen, gelegentlich die Verfassung zu lesen, Herr Brandner, und nicht nur darüber zu reden.
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Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Carsten Schneider, SPD-Fraktion.
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– Herr Abgeordneter Brandner, Sie dürfen sich bitte setzen, und wenn das nicht der Fall ist, bekommen Sie einen Ordnungsruf.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat ist in der Verfassung klar geregelt. Wir haben als Mitglieder des Vermittlungsausschusses eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Sie umfasste Vertreter aller Fraktionen. An der Arbeitsgruppe konnten alle Mitglieder teilnehmen, die berufen wurden. In der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe hat welche Fraktion gefehlt?
({0})
Die AfD.
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Es war nur ein Mitarbeiter da, sodass sie nicht einmal mit abstimmen konnte.
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Wir hatten regelgerecht am Mittwoch eingeladen zur Abstimmung des Ergebnisses, das heute vorliegt. Da hätte man sich zu Wort melden können, man hätte auch pünktlich da sein können. Wer kam 30 Minuten zu spät?
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Na, Herr Brandner?
Meine Damen und Herren, wer sich selbst so wenig unter Kontrolle hat, wer nicht in der Lage ist, Termine, die langfristig geplant sind, wahrzunehmen, der sollte hier im Bundestag nicht das Wort ergreifen und unsere Diskussion schlechtreden.
({4})
Dieses Verfahren, das wir durchgeführt haben, ist ein regelgerechtes, und es führt zu einem Ausgleich der Interessen zwischen denen, die den Klimaschutz wollen, die ihn auch bezahlen müssen, und denen, die den Klimaschutz, wie wir es im ursprünglichen Gesetz des Bundestages gemacht haben, vorantreiben wollen. Es führt auch zu einem Ausgleich zwischen den Interessen des Bundesrates und des Bundestages. Ja, das Ergebnis, das wir Ihnen heute vorlegen, ist ein anderes als das, was wir hier im Bundestag beschlossen hatten. Denn wir setzen den CO2-Preis höher an, als wir ursprünglich geplant hatten, und ja, wir führen dafür einen sozialen Ausgleich ein.
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Für uns als Sozialdemokraten war es extrem wichtig, dass, wenn der Verbrauch höher besteuert wird, die Kosten transparenter werden
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und dafür auch ein sozialer Ausgleich stattfindet. Aus diesem Grund wird die EEG-Umlage, die im Strompreis enthalten ist, fast auf null gesetzt.
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Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die bisher die EEG-Umlage bezahlen, werden entlastet. Der höhere CO2-Preis führt zu einer Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei der EEG-Umlage. Das ist ein richtiger Prozess.
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Ich bin froh, dass die Grünen ihren Widerstand gegen eine Pendlerpauschale aufgegeben haben. Im Gegenteil: Wir haben die Pendlerpauschale noch einmal erhöht, weil diejenigen in diesem Land, die täglich zur Arbeit fahren müssen, die eine weite Strecke auf sich nehmen müssen, unterstützt werden müssen.
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Ich bin froh, dass sie diesen ideologischen Graben überspringen konnten und wir darüber Konsens haben.
({10})
Ich wäre froh, wenn dieser nationale Klimakonsens, den wir jetzt in diesem Verfahren erreicht haben und den wir nachher beschließen werden, auch getragen wird. Getragen heißt, lieber Kollege Hofreiter, dann auch dazu zu stehen und nicht die erstbeste Möglichkeit zu suchen, um sich wieder vom Acker zu machen und zu sagen, das reiche alles nicht etc.
({11})
Wenn man dazu steht, wenn man hier heute entsprechend abstimmt, dann gilt das auch; denn wir brauchen auch die langfristige Überzeugung und Einstellung der Bevölkerung bezüglich der Veränderungen, die dies mit sich bringt.
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Von daher, meine Damen und Herren, wird meine Fraktion diesem Kompromiss zustimmen. Es ist ein guter Kompromiss, der das Land modern nach vorne bringt. Liebe Grüne, ich danke Ihnen für die Verantwortung, die Sie gezeigt haben.
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Vielen Dank, Herr Schneider. – Herr Kollege Dürr, ganz kleinen Moment. – Ich muss darauf hinweisen, weil sich Herr Brandner mehrfach zu Wort gemeldet hat: Es handelt sich hier um Erklärungen nach § 10 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses. Es handelt sich nicht um eine Aussprache. Deshalb sind weitere Wortmeldungen in diesem Fall nicht zulässig.
({0})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Christian Dürr, FDP-Fraktion.
({1})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Union und Grüne haben nach diesem Kompromiss erklärt, der CO2-Preis solle jetzt noch einmal steigen, aber dennoch würden alle entlastet und dem Klima geholfen. Beides, meine Damen und Herren, ist schlicht falsch.
({0})
Diese Lösung hat drei Verlierer.
Das sind zum Ersten die Millionen an Pendlern in Deutschland, die weniger als 21 Kilometer zur Arbeit fahren. Die Mehrheit der Pendler in Deutschland wird durch diesen Kompromiss nicht entlastet, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Sie werden nur durch höhere Spritpreise belastet.
Es sind zum Zweiten die Millionen an Nutzern von Fernbussen in Deutschland. Dass es bei diesem Kompromiss nicht um Klimaschutz geht, zeigt die Entscheidung, dass die Mehrwertsteuersenkung für den Fernverkehr der Bahn kommt, aber nicht für die Fernbusse in Deutschland. Das wäre übrigens auch sozial gerecht gewesen; denn gerade Menschen mit kleinen Einkommen nutzen die Fernbusse. Diese lassen Sie komplett außen vor. Das ist das Gegenteil von Gerechtigkeit, Herr Kollege Schneider.
({2})
Der dritte Verlier ist der Klimaschutz. Dieser Kompromiss zwischen Union und Grünen – die SPD hat bei diesem Kompromiss in Wahrheit ja keine Rolle gespielt –
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zementiert ein Regime, das keinerlei ökologische Lenkungswirkung hat, weil es kein CO2-Limit in Deutschland geben wird, meine Damen und Herren. Mit Klimaschutz hat das bedauerlicherweise nichts zu tun. Sie haben nichts für das Klima erreicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Durch diesen Beschluss sollen allein im ersten Jahr, also ab 2021, bei der sogenannten CO2-Bepreisung statt 5 Milliarden Euro, wie ursprünglich geplant, jetzt fast 10 Milliarden Euro eingenommen werden. Mit 10 Milliarden Euro werden die deutsche Wirtschaft, der Mittelstand und die Verbraucherinnen und Verbraucher zusätzlich belastet, ohne dass es eine individuelle Entlastung für jeden Einzelnen gibt. Das ist das Gegenteil von Klimaschutz, das ist das Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit, und das ist das Gegenteil von Ausgleich, wie Sie hier behauptet haben, liebe Kollegen.
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Was Sie wirklich geschafft haben, ist etwas historisch Einmaliges. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eine Steuer noch vor ihrer ersten Erhebung bereits zum ersten Mal erhöht worden.
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Das schafft wenig Vertrauen. Das ist ein Pyrrhussieg, den Sie da für Klima und Steuerentlastung erreicht haben.
Wir werden erleben, dass Deutschland damit erneut seine sich selbst gesetzten Klimaziele reißen wird. Die anderen EU-Staaten machen es uns vor. Lassen Sie uns auf das setzen, was die Europäische Kommission, was Europa vorschlägt: ein gemeinsamer Emissionshandel für alle Sektoren.
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Das ist marktwirtschaftlich, kostengünstig und ökologisch treffsicher. Das wäre Ihr Auftrag gewesen.
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Zum Schluss, Herr Präsident – Herr Schneider hat es ja gerade gesagt –: Es bleibt eine erhebliche Rechtsunsicherheit.
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Selbst die Grünen haben öffentlich erklärt, dass diese Art der CO2-Bepreisung mit großer Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig ist. Meine Damen und Herren, Sie feiern sich also für eine erhöhte CO2-Bepreisung, von der Sie selbst sagen, dass sie rechtlich nicht haltbar ist. Auch da ein Pyrrhussieg.
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Jetzt kommt wirklich mein letzter Satz. Herr Schneider, Sie haben ja gerade aus Ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht. Sie haben hier vorne gestanden und gesagt: Es geht um eine Besteuerung beim CO2. – Das wäre verfassungswidrig. Offener Verfassungsbruch beim Klimaschutz hilft weder den Menschen in Deutschland noch dem Weltklima.
Herzlichen Dank.
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So, Herr Dürr, vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke, das Wort.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch die Arbeit im Vermittlungsausschuss ist das Klimapaket weder sozialer noch besser fürs Klima geworden, und darum werden wir es ablehnen, meine Damen und Herren.
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Ganz im Gegenteil: Auf viele Menschen werden erhebliche Zusatzkosten zukommen, insbesondere höhere Heizkosten. Der soziale Ausgleich wird nur behauptet; denn bei vielen kommt er nicht an. Ich gebe Ihnen einige Beispiele:
Erstens. Es ist sehr gut, dass die Bahntickets preiswerter werden. Aber was machen die Menschen, die in einer Gegend wohnen, wo überhaupt kein Zug mehr hinfährt? In den letzten Jahren sind 6 000 Kilometer Strecke stillgelegt worden. Die müssen reaktiviert werden.
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Den Menschen dort hilft es überhaupt nicht, wenn die Bahntickets billiger werden. Billige Bahntickets sind gut. Aber wir brauchen überall Züge. Und das ist die Aufgabe, meine Damen und Herren.
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Zweitens: die Anhebung der Pendlerpauschale ab dem 21. Kilometer. Die Pendlerpauschale – das ist die Auffassung der Linken – muss durch ein Mobilitätsgeld ersetzt werden. Denn die Pendlerpauschale ist etwas, was von der Steuer abgesetzt werden kann. Wer ein geringes Einkommen hat, hat davon überhaupt nichts.
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Und je höher das Einkommen, desto höher die Steuerersparnis. Das ist ungerecht. Das ist auch nicht ökologisch und nicht sozial. Darum stimmen wir mit Nein.
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Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt, den wir auch in der Arbeitsgruppe und im Vermittlungsausschuss selber beraten haben, ist die Frage der energetischen Gebäudesanierung. Da stand im Mittelpunkt, ob man nun den Energieberater von der Steuer absetzen kann oder nicht. Aber es muss doch um etwas ganz anderes gehen: Wir müssen doch den Mieterinnen und Mietern in diesem Land garantieren, dass die energetische Gebäudesanierung nicht zu einer weiteren Steigerung der Mieten führen wird. Das ist die Aufgabe.
({5})
Wir haben doch gerade in der Debatte vor den Abstimmungen darüber diskutiert, wie teuer die Mieten in diesem Land sind und dass sich viele Menschen überhaupt keine angemessene Wohnung mehr leisten können. Wir brauchen also eine Garantie, dass die energetische Gebäudesanierung nicht zur Steigerung der Mieten führt, meine Damen und Herren.
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Was ist denn jetzt die Lösung? Man muss ehrlich sein: Klimaschutz kostet. Darum müssen wir darüber diskutieren, wo wir das Geld hernehmen. Wir können das Geld nicht immer von den Geringverdienern nehmen – wir als Linke sowieso nicht. Wir sagen: Wir brauchen endlich eine Vermögensteuer, damit wir die Klimagerechtigkeit auch finanzieren können.
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Ihren Beitrag müssen die Menschen leisten, die den größten ökologischen Fußabdruck haben. Das sind nicht die Geringverdiener. Das sind nicht die Armen. Darum kann die Lösung nur sein, ehrlich zu sagen: Es kostet. – Man hätte auch bei der deutschen Einheit sagen müssen: Es kostet. – Klimagerechtigkeit kostet. Wenn wir über Kosten reden, müssen wir darüber reden, wer bezahlt, und das müssen die Reichen und Superreichen in diesem Land.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Lötzsch. – Als letzter Redner hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Vermittlungsausschuss ging es um die Findung eines Kompromisses zwischen Bundesrat und Bundestag. Ich glaube, man sollte hier ein paar Dinge transparent machen: Der Vertreter der AfD hat in der ersten Sitzung erst mal offensichtlich verwirrt nachgefragt, weil er nicht in der Lage war, die Einladung zu lesen, in der stand, worüber wir inhaltlich reden.
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Bei der Abschlusssitzung ist er dann ewig zu spät gekommen, und der zweite Vertreter war überhaupt nicht da. Dann hier dieses Ergebnis schlechtzureden und sich übers Verfahren lustig zu machen, zeigt alles über diese Partei; das zeigt alles über diese Fraktion.
({1})
Zum Kollegen der FDP kann man nur sagen: Es ist ja spannend, wie sehr Sie hier das Ergebnis in die Tonne treten, wenn gleichzeitig der NRW-Ministerpräsident Laschet im Landtag erklärt, dass die Landesregierung von NRW dem Ganzen selbstverständlich zustimmt.
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Ich kann mich düster erinnern, dass da angeblich die FDP beteiligt sein soll an dieser Landesregierung.
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Vielleicht reden Sie noch mal mit Ihren Kollegen.
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Meine Fraktion und ich stimmen dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu. Allerdings muss man ehrlicherweise sagen: Das ist nur ein erster Schritt, der insbesondere auf den großen Druck der grün mitregierten Länder entstanden ist.
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Es gibt zugleich eine positive Nachricht für die vielen jungen Menschen, die Druck ausgeübt haben. Ich glaube, diese auf Druck zustande gekommenen Veränderungen wären nicht möglich gewesen, wenn nur die grün mitregierten Länder Druck gemacht hätten und es nicht den massiven Druck von der Straße, von den vielen jungen Menschen gegeben hätte.
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Dann, glaube ich, wäre es nicht möglich gewesen. Das zeigt: Engagement lohnt sich.
Allerdings muss man ehrlicherweise sagen: Das Ganze ist natürlich noch kein Durchbruch beim Klimaschutz. Es ist ein erster Schritt. Dieser erste Schritt führt dazu, dass wir jetzt etwas Lenkungswirkung beim CO2-Preis haben. Was für uns Grüne insbesondere wichtig war, ist, dass wir einen guten sozialen Ausgleich hinkriegen.
({7})
Deshalb haben wir Grüne für unsere Position gekämpft und dafür gesorgt,
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dass die zusätzlichen Einnahmen zu 100 Prozent an die Bürgerinnen und Bürger über eine Senkung des Strompreises zurückgegeben werden.
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Ich glaube, es ist auch wirklich wichtig, dass man dafür sorgt, dass der soziale Zusammenhalt beim Klimaschutz erhalten bleibt. Das ist entscheidend. Wir werden in den nächsten Jahren da weitere wichtige Aufgaben haben. Deswegen kann ich die CSU nur davor warnen, mal wieder zu versuchen, sich vom Acker zu machen und eine neue Benzinpreis-Wutkampagne vom Zaun zu brechen.
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Denn am Ende schadet das dem Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft.
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Wir haben in diesem Jahr einen kleinen Schritt geschafft. Wir müssen im nächsten Jahr noch viel tun. Von der Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele sind wir nämlich weit entfernt. Das nächste Jahr muss ein echtes Klimajahr werden, auch bei der Umsetzung.
Vielen Dank.
({12})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind Teil einer Zeitenwende. Das, glaube ich, haben wir gerade eben in der heftigen Debatte gemerkt. Das werden wir auch in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren immer wieder merken. Die Welt hat die große Aufgabe, den Klimawandel zu bewältigen, den die Menschen verursacht haben, und sie kann das nur gemeinsam machen. Wie mühselig das ist, wie viele Widerstände es gibt, wie schwer das ist, hat die Klimakonferenz in Madrid gezeigt. Aber sie zeigt auch: Wir dürfen nicht aufgeben. Wir müssen das als gemeinsames Anliegen voranbringen.
({0})
Die Klimakonferenz hat noch etwas gezeigt: Wenn die Länder, die über große wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügen, nicht vorangehen, wenn sie nicht selber zeigen, dass sie einen Weg haben, wie man es schaffen kann, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten und gleichzeitig für ausreichend Wohlstand in unseren Gesellschaften zu sorgen, dann wird das nicht gelingen. Darum ist es so zentral, dass Deutschland nicht nur Beobachter ist und diese Konferenzen nicht nur kommentiert. Deshalb ist es zentral, dass Deutschland handelt und dass wir das Richtige tun, um in Deutschland voranzukommen.
({1})
Das, was wir in diesem Jahr schon alles auf den Weg gebracht haben, ist eben diskutiert worden: ein Klimaschutzgesetz; es ist beschlossen. Wir haben beschlossen, dass wir die Flugpreise für kürzere Distanzen erhöhen werden. Wir haben beschlossen, dass es einen Brennstoffhandel geben wird, der es möglich macht, dass die Nutzung und der Ausstoß von CO2 bei Treib- und Brennstoffen teurer werden. Das ist eine ganz große Veränderung.
Viele, viele andere Dinge sind besprochen und werden noch kommen. Ich erinnere daran, dass wir ein Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen vorhaben, dass wir den Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland in 20 Jahren vor uns haben und dass wir dafür Sorge tragen werden,
({2})
dass die erneuerbaren Energien einen Anteil an der Stromproduktion in Deutschland haben werden, der dazu beiträgt, dass wir das Klima schützen können.
({3})
All diese Dinge sind notwendig.
Und ich will auch sagen, warum es wichtig ist, dass wir vorangehen. Wenn wir nämlich zeigen, dass Mobilität – schienengebunden, mit öffentlichem Nahverkehr, aber auch individuelle Mobilität mit Fahrzeugen, die man selber besitzen und nutzen kann – weiter möglich ist, dann ist das ein Zeichen dafür, dass das auch im globalen Maßstab funktionieren kann. Wenn die deutsche und europäische Automobilindustrie die Fahrzeuge entwickeln, mit denen es möglich ist, mobil zu bleiben und das Klima zu schützen und gute Arbeitsplätze zu haben, dann wird das auch auf der ganzen Welt genauso geschehen. Genau darum geht es, wenn wir über diese Fragen diskutieren.
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Wenn Deutschland zeigt, dass man zum Beispiel die riesigen Strommengen erzeugen kann, die man benötigt, um sicherzustellen, dass Industrie weiter funktionieren und wettbewerbsfähig produzieren kann, und das mit erneuerbaren Energien, mit Onshore- und Offshorewind, mit Solarenergie zum Beispiel, dann zeigt das auch, dass das auch anderswo auf der Welt funktionieren kann. Auch das ist ein praktischer Beitrag, den wir selber zu leisten haben.
({5})
Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass es nicht nur auf uns ankommt. Wir müssen sicherstellen, dass zum Beispiel Europa als Europäische Union den eigenen Beitrag leistet, der möglich ist. Sie hat, wenn man sie als einheitliche Volkswirtschaft betrachtet – dafür spricht sehr viel –, unverändert die größte volkswirtschaftliche Leistungskraft, die man sich dort vorstellen kann. Ich sage ausdrücklich: Wir müssen das in Europa hinbekommen. Es ist deshalb richtig, dass die Umweltministerin heute über den Green Deal in Brüssel verhandelt; denn das ist ein Beitrag dafür, dass die gesamte Europäische Union ihren Beitrag zum Schutz des Weltklimas leistet.
({6})
Wie schwierig das ist, wenn so viele sich einigen müssen, und zwar nur in der Europäischen Union, kann man sich vorstellen. Es gibt ganz unterschiedliche Ausgangsbedingungen und Vorstellungen darüber, wie schnell das vorangehen soll usw. Aber aus meiner Sicht dürfen wir uns vor diesen Auseinandersetzungen und den Diskussionen, die damit verbunden sind, nicht drücken. Wir müssen vorantreiben, dass Europa mit dem nötigen Tempo die Dinge voranbringt; denn dann haben wir allen Anspruch, mitzudiskutieren und zu sagen, dass wir erwarten, dass auch die Vereinigten Staaten von Amerika oder zum Beispiel große Länder wie Brasilien, Indien und China gleichermaßen einen Beitrag dazu leisten, dass das Weltklima geschützt wird. Denn nur wenn wir selber das Richtige tun, können wir es auch von anderen erwarten. Das ist in jeder Diskussion so. Das ist auch beim Miteinander in der Welt notwendigerweise so.
({7})
Wir werden darauf bestehen müssen, dass es nicht nur darum geht, abstrakte Zahlen zu diskutieren. Es geht schon darum, dass sich real etwas ändert. Wir haben nicht mehr so viel Zeit. Jeder weiß, welche Auswirkungen der menschengemachte Klimawandel schon heute hat. Jeder weiß, dass wir die Erderwärmung in dem Ausmaß, wie wir uns das selber vorstellen, gar nicht mehr aufhalten können.
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Aber jeder weiß, dass es, wenn wir nicht schnell genug sind, weiter gehen wird, als es gut sein kann. Deshalb müssen wir heute schnell handeln und dürfen diese Menschheitsaufgabe nicht späteren Generationen überlassen. Wir müssen das selber tun. Das ist meine feste Überzeugung.
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Es ist deshalb richtig, dass zum Beispiel zur Politik dieser Regierung auch dazugehört, nicht nur in internationalen Konferenzen auf solchen Vereinbarungen zu bestehen und diejenigen zu kritisieren, die zurückgehen wollen und glauben, das sei alles nicht notwendig. Vielmehr ist es wichtig, dass wir dafür Sorge tragen, dass die Länder, die ihre großen wirtschaftlichen Entwicklungssprünge noch vor sich haben, ebenfalls am Klimaschutz partizipieren können. Es wäre ja doch eine sehr arrogante Position, wenn wir hierzulande, in Europa oder auch in Nordamerika sagen würden: Das Klima kann nur geschützt werden, wenn gewissermaßen einige auf die Entwicklung wirtschaftlichen Wohlstands verzichten, die wir schon längst realisiert haben. – Das wird nicht funktionieren. Vielmehr muss ein Weg gefunden werden, wie wir es schaffen können, dass andernorts in der Welt ein gleicher oder ähnlicher Wohlstand herrscht, wie wir ihn haben. Das ist es, was wir uns letztendlich wünschen müssen.
Es geht somit darum, dass das funktioniert, ohne dass die Auswirkungen auf das Klima so groß sind, dass niemand mehr damit leben kann; das ist in diesem Falle wörtlich gemeint. Es geht darum, dass wir eine solche Entwicklung in diesen Ländern mit auf den Weg bringen. Darum ist es richtig, dass wir unsere Beiträge für internationale Entwicklungspolitik auch unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes so massiv ausgeweitet haben. Wir müssen diesen Ländern dabei helfen, den Umstieg hinzukriegen und ihren eigenen Wohlstand entwickeln zu können.
({10})
Ich bin übrigens überzeugt, dass man zuversichtlich sein kann. Wir brauchen Zuversicht; das will ich ausdrücklich dazusagen. Wenn alle glauben, dass es sowieso nicht klappen wird, dann wird man keine Bündnispartner haben – weder hier im Lande noch in Europa oder in der Welt. Wenn wir zu denjenigen gehören, die letztendlich apokalyptische Szenarien zeichnen, die davon ausgehen, dass es in keiner Variante und in keinem Falle gelingen wird, den Schutz des Klimas weltweit zu organisieren, dann werden wir auch hierzulande und woanders keine Bündnispartner haben; denn dann sagt jeder: Warum sollen wir das tun, wenn die anderen das nicht tun? – Ich glaube: Deshalb gehört die Zuversicht dazu, die Zuversicht, dass eine Menschheitsaufgabe von der Menschheit auch gelöst werden kann.
So groß ist das, was in Madrid diskutiert worden ist, und so klein sind leider die Ergebnisse; das muss gesagt werden. Aber wir sollten darauf bestehen, dass die große Aufgabe angepackt werden kann, und ein großes humanistisches Versprechen damit verbinden, nämlich dass die Menschheit es schaffen wird.
Schönen Dank.
({11})
Vielen Dank, Herr Minister. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung, die wir soeben durchgeführt haben, bekannt. Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht, Drucksachen 19/14338, 19/15125, 19/15157, 19/15229, 19/15637 und 19/16060, hat folgendes Ergebnis erbracht: abgegebene Stimmkarten 648. Mit Ja haben gestimmt 426, mit Nein haben gestimmt 221, Enthaltung 1. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
({0})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 648;
davon
ja: 426
nein: 221
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Dr. Michael von Abercron
Stephan Albani
Norbert Maria Altenkamp
Philipp Amthor
Artur Auernhammer
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Melanie Bernstein
Christoph Bernstiel
Marc Biadacz
Steffen Bilger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Michael Brand (Fulda)
Dr. Reinhard Brandl
Dr. Helge Braun
Silvia Breher
Sebastian Brehm
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Dr. Carsten Brodesser
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Thomas Erndl
Hermann Färber
Uwe Feiler
Enak Ferlemann
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Eckhard Gnodtke
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Matthias Heider
Thomas Heilmann
Frank Heinrich (Chemnitz)
Mark Helfrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Marc Henrichmann
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Erich Irlstorfer
Andreas Jung
Ingmar Jung
Alois Karl
Anja Karliczek
Torbjörn Kartes
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Michael Kießling
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Markus Koob
Carsten Körber
Alexander Krauß
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Michael Kuffer
Dr. Roy Kühne
Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Jens Lehmann
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Nikolas Löbel
Bernhard Loos
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Dr. Astrid Mannes
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Axel Müller
Sepp Müller
Carsten Müller (Braunschweig)
Stefan Müller (Erlangen)
Petra Nicolaisen
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Josef Oster
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr. Joachim Pfeiffer
Stephan Pilsinger
Dr. Christoph Ploß
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Stefan Rouenhoff
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Stefan Sauer
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Tankred Schipanski
Dr. Claudia Schmidtke
Patrick Schnieder
Nadine Schön
Felix Schreiner
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster (Weil am Rhein)
Torsten Schweiger
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Björn Simon
Tino Sorge
Jens Spahn
Katrin Staffler
Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Andreas Steier
Peter Stein (Rostock)
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Karin Strenz
Dr. Peter Tauber
Dr. Hermann-Josef Tebroke
Hans-Jürgen Thies
Alexander Throm
Antje Tillmann
Markus Uhl
Dr. Volker Ullrich
Kerstin Vieregge
Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Christoph de Vries
Kees de Vries
Dr. Johann David Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)
Sabine Weiss (Wesel I)
Ingo Wellenreuther
Marian Wendt
Kai Whittaker
Annette Widmann-Mauz
Bettina Margarethe Wiesmann
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Oliver Wittke
Emmi Zeulner
Paul Ziemiak
Dr. Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Nezahat Baradari
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Eberhard Brecht
Leni Breymaier
Katrin Budde
Dr. Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Esther Dilcher
Sabine Dittmar
Dr. Wiebke Esdar
Saskia Esken
Yasmin Fahimi
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Timon Gremmels
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr. Eva Högl
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Elisabeth Kaiser
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Elvan Korkmaz-Emre
Anette Kramme
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)
Dr. Karl Lauterbach
Sylvia Lehmann
Helge Lindh
Kirsten Lühmann
Isabel Mackensen
Caren Marks
Katja Mast
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Falko Mohrs
Claudia Moll
Siemtje Möller
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Josephine Ortleb
Mahmut Özdemir (Duisburg)
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Martin Rabanus
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Axel Schäfer (Bochum)
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Nils Schmid
Uwe Schmidt
Ulla Schmidt (Aachen)
Dagmar Schmidt (Wetzlar)
Carsten Schneider (Erfurt)
Johannes Schraps
Michael Schrodi
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Amalie Steffen
Mathias Stein
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Markus Töns
Carsten Träger
Ute Vogt
Marja-Liisa Völlers
Dirk Vöpel
Dr. Joe Weingarten
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Lisa Badum
Annalena Baerbock
Margarete Bause
Dr. Danyal Bayaz
Canan Bayram
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Dr. Anna Christmann
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Stefan Gelbhaar
Katrin Göring-Eckardt
Erhard Grundl
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Bettina Hoffmann
Dr. Anton Hofreiter
Ottmar von Holtz
Dieter Janecek
Dr. Kirsten Kappert-Gonther
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)
Christian Kühn (Tübingen)
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Sven Lehmann
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Dr. Irene Mihalic
Claudia Müller
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Filiz Polat
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Manuela Rottmann
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Frithjof Schmidt
Stefan Schmidt
Charlotte Schneidewind-Hartnagel
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Margit Stumpp
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Nein
CDU/CSU
Veronika Bellmann
Jens Koeppen
Dr. Saskia Ludwig
Sylvia Pantel
Jana Schimke
Dr. Dietlind Tiemann
Klaus-Peter Willsch
AfD
Dr. Bernd Baumann
Marc Bernhard
Andreas Bleck
Peter Boehringer
Stephan Brandner
Jürgen Braun
Marcus Bühl
Matthias Büttner
Petr Bystron
Tino Chrupalla
Joana Cotar
Dr. Gottfried Curio
Siegbert Droese
Thomas Ehrhorn
Berengar Elsner von Gronow
Dr. Michael Espendiller
Peter Felser
Dr. Anton Friesen
Markus Frohnmaier
Dr. Götz Frömming
Dr. Alexander Gauland
Albrecht Glaser
Franziska Gminder
Kay Gottschalk
Armin-Paulus Hampel
Mariana Iris Harder-Kühnel
Dr. Roland Hartwig
Jochen Haug
Martin Hebner
Udo Theodor Hemmelgarn
Waldemar Herdt
Dr. Heiko Heßenkemper
Karsten Hilse
Martin Hohmann
Dr. Bruno Hollnagel
Leif-Erik Holm
Johannes Huber
Fabian Jacobi
Jens Kestner
Stefan Keuter
Norbert Kleinwächter
Enrico Komning
Jörn König
Steffen Kotré
Dr. Rainer Kraft
Rüdiger Lucassen
Jens Maier
Dr. Lothar Maier
Dr. Birgit Malsack-Winkemann
Corinna Miazga
Andreas Mrosek
Hansjörg Müller
Volker Münz
Sebastian Münzenmaier
Christoph Neumann
Jan Ralf Nolte
Ulrich Oehme
Gerold Otten
Frank Pasemann
Tobias Matthias Peterka
Paul Viktor Podolay
Jürgen Pohl
Martin Reichardt
Martin Erwin Renner
Roman Johannes Reusch
Ulrike Schielke-Ziesing
Dr. Robby Schlund
Uwe Schulz
Thomas Seitz
Martin Sichert
Detlev Spangenberg
Dr. Dirk Spaniel
René Springer
Beatrix von Storch
Dr. Alice Weidel
Dr. Harald Weyel
Wolfgang Wiehle
Dr. Heiko Wildberg
Dr. Christian Wirth
FDP
Grigorios Aggelidis
Renata Alt
Christine Aschenberg-Dugnus
Nicole Bauer
Jens Beeck
Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar)
Mario Brandenburg (Südpfalz)
Sandra Bubendorfer-Licht
Dr. Marco Buschmann
Karlheinz Busen
Carl-Julius Cronenberg
Britta Katharina Dassler
Bijan Djir-Sarai
Christian Dürr
Hartmut Ebbing
Dr. Marcus Faber
Otto Fricke
Thomas Hacker
Reginald Hanke
Peter Heidt
Katrin Helling-Plahr
Markus Herbrand
Torsten Herbst
Katja Hessel
Dr. Gero Clemens Hocker
Manuel Höferlin
Reinhard Houben
Ulla Ihnen
Olaf In der Beek
Gyde Jensen
Dr. Christian Jung
Karsten Klein
Daniela Kluckert
Pascal Kober
Dr. Lukas Köhler
Wolfgang Kubicki
Konstantin Kuhle
Alexander Kulitz
Alexander Graf Lambsdorff
Ulrich Lechte
Christian Lindner
Michael Georg Link (Heilbronn)
Oliver Luksic
Till Mansmann
Dr. Jürgen Martens
Christoph Meyer
Alexander Müller
Frank Müller-Rosentritt
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Hagen Reinhold
Bernd Reuther
Dr. h. c. Thomas Sattelberger
Christian Sauter
Frank Schäffler
Dr. Wieland Schinnenburg
Matthias Seestern-Pauly
Frank Sitta
Judith Skudelny
Bettina Stark-Watzinger
Benjamin Strasser
Katja Suding
Linda Teuteberg
Michael Theurer
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Dr. Andrew Ullmann
Gerald Ullrich
Johannes Vogel (Olpe)
Sandra Weeser
Nicole Westig
Katharina Willkomm
DIE LINKE
Doris Achelwilm
Gökay Akbulut
Simone Barrientos
Dr. Dietmar Bartsch
Lorenz Gösta Beutin
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm-Förster
Michel Brandt
Dr. Birke Bull-Bischoff
Jörg Cezanne
Fabio De Masi
Dr. Diether Dehm
Anke Domscheit-Berg
Klaus Ernst
Susanne Ferschl
Brigitte Freihold
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Matthias Höhn
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Dr. Achim Kessler
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Pascal Meiser
Amira Mohamed Ali
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)
Zaklin Nastic
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Sören Pellmann
Victor Perli
Tobias Pflüger
Martina Renner
Bernd Riexinger
Eva-Maria Schreiber
Dr. Petra Sitte
Helin Evrim Sommer
Friedrich Straetmanns
Dr. Kirsten Tackmann
Jessica Tatti
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Andreas Wagner
Harald Weinberg
Katrin Werner
Hubertus Zdebel
Fraktionslos
Marco Bülow
Lars Herrmann
Mario Mieruch
Enthalten
FDP
Dr. Christoph Hoffmann
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat der Kollege Dr. Rainer Kraft, AfD-Fraktion, das Wort.
({1})
Herr Präsident! Geschätzte Kollegen! Geehrte Gäste! Herr Jung, noch mal ganz kurz zum Vermittlungsausschuss: Sie wollen die Leute nicht mitnehmen, Sie wollen sie ausnehmen.
({0})
Die COP 25 in Madrid ist vorbei. Die Klimakarawane zieht weiter. Aber welches wichtige Ereignis hat denn tatsächlich in der letzten Woche stattgefunden? Richtig, das war die Unterhauswahl in Großbritannien. Boris Johnson hat einen Erdrutschsieg erzielt, und die Briten haben sich damit ganz klar gegen die EU entschieden. Johnson hatte Wahlhilfe von unerwarteter Seite: Während der UN-Klimakonferenz stellte nämlich EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ihren sogenannten Green Deal vor und gab den Briten das entscheidende Signal: Rette sich, wer kann!
({1})
First Exit: Brexit.
({2})
Oder: Dieser Green Deal wird keine Mondlandung werden, sondern der Moment des harten Aufschlages der EU auf dem Boden der Realität.
Doch zurück nach Deutschland. Hier soll der Kohle als Form der Energieerzeugung der Rücken gekehrt werden. Aber nach der Mehrfachvolte von Ausstieg und Wiedereinstieg und vom Wiedereinstieg zum Wiederausstieg aus der Kernenergie waren es nicht Wind und Sonne, die dafür gesorgt haben, dass die Lichter in Deutschland nicht ausgehen, sondern es war einzig und allein die Kohle.
({3})
– Zu den Zahlen kommen wir gleich.
Nach der Empfehlung der sogenannten Kohlekommission sollen bis Ende 2022 12,5 Gigawatt Kohlestrom vom Netz gehen, zusätzlich zu den 9,5 Gigawatt an nuklearer Leistung, die bis Ende 2022 ebenfalls vom Netz gehen werden. Das sind in Summe 22 Gigawatt, mehr als ein Viertel der Spitzenlast für Deutschland. Für dieses Unterfangen bleiben nur noch drei Jahre Zeit. Grund genug, einmal zu schauen, wie diese Leistung ersetzt werden kann. Die Regierung wird ja nicht müde, uns zu erklären, dass dies mittels sogenannter erneuerbarer Energien, also Sonne und Wind, gelingen wird. Formal haben wir zwar 60 Gigawatt an Windleistung und circa 50 Gigawatt an Solarleistung installiert, was ja erst mal ausreichend klingt, aber diese Leistungen stehen ja nicht konstant zur Verfügung, weil der Wind nicht immer weht und die Sonne natürlich nicht immer scheint. Im Mittel steht Wind circa 20 Prozent der Zeit zur Verfügung, bei Sonne sind es magere 10 Prozent. Aus den 60 Gigawatt werden dann 12, und aus den 50 werden 5 Gigawatt, zusammen 17 Gigawatt. Das heißt, im Mittel stehen uns zur Kompensation von 22 Gigawatt nur ungenügende 17 Gigawatt sogenannter Erneuerbarer zur Verfügung. Das reicht hinten und vorne nicht, und daran wird sich auch nichts ändern.
({4})
Denn trotz EEG und anderer Zwangsmaßnahmen hat der Aufbau dieser mageren 17 Gigawatt fast 20 Jahre gedauert, und über 300 Milliarden Euro wurden verschwendet. Das wird in den kommenden drei Jahren auch nicht besser werden, weil ja immer mehr Windmühlen aus der Umlage fallen und dann permanent stillgelegt werden.
({5})
Ich hatte Ihnen an dieser Stelle schon in der vergangenen Woche gesagt: Das ist keine vernünftige Energiepolitik, das ist sozialistische Mangelbewirtschaftung.
({6})
Und wir haben jetzt auch nur die mittlere Verfügbarkeit betrachtet. Das Problem der aktuellen Verfügbarkeit von Strom ist hier noch gar nicht beleuchtet worden, und da sieht es noch viel düsterer aus.
Das bringt uns zu einem wichtigen Punkt, liebe Unionsfraktion: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz haben wir Ihnen zu verdanken. Ja, ja, beschlossen wurde es zwar unter Rot-Grün, aber Sie hatten 14 Jahre Zeit gehabt, diesen politischen Unsinn zu beenden. Passiert ist das nicht, weil auch Sie sich ein kleines grünes Mäntelchen umhängen wollen.
({7})
Aber, liebe Union, Handlungen haben Konsequenzen. Es ist nicht möglich, die Art und Weise, wie wir Energie gewinnen, grundlegend umzukrempeln, ohne dass dies Folgen für die Bürger hat. Dies ändert sich auch dadurch nicht, dass Sie das seit Jahren wie ein Mantra vor sich herbeten. Wenn Sie die Energiewirtschaft von einer funktionierenden Stromerzeugung, die sich daran orientiert, so viel Strom, wie benötigt wird, zu erzeugen, zu einer unzuverlässigen Stromerzeugung transformieren, bei der man halt irgendwie mit dem klarkommen muss, was gerade zur Verfügung steht, dann hat das selbstverständlich massive Auswirkungen auf den Geldbeutel der Bürger und ihre Art und Weise, zu leben.
({8})
Sie wissen das. Sie wissen das, aber Sie streuen dem Bürger Sand in die Augen, weil Sie natürlich genau wissen, dass er Ihre Politik abstrafen wird, wenn er hinter Ihre Potemkin’schen Energiedörfer blickt. Erreicht haben Sie eigentlich auch nichts. Klimaziele 2020 – nicht erreicht. 1 Million E-Autos auf unseren Straßen – nicht erreicht. Stromeinsparziele 2020 – nicht erreicht. Einsparziele beim Primärenergieverbrauch – nicht erreicht. Senkung des Endenergieverbrauchs im Verkehr – nicht erreicht. Nicht erreicht, nicht erreicht, nicht erreicht. Ungenügend! Sechs, setzen!
({9})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin schon am Schluss. – Dass Sie hier heute selbst noch eine solche Aktuelle Stunde zu Ihrem Versagen fordern, ist ein bisschen dreist und ein bisschen frech. An einem Punkt haben Sie allerdings leider recht.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Deutschland bleibt auf Kurs, aber leider führt uns Ihr Kurs direkt in den Abgrund, auf Kosten unserer Wirtschaft, auf Kosten der Steuerzahler und auf Kosten Hunderttausender deutscher Arbeitsplätze.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wegen des Weihnachtsfriedens, der so langsam losgehen sollte, sage ich jetzt mal nichts zur AfD. Das bringt nichts, das ändert nichts. Das führt nur zu Geschrei auf Ihrer Seite.
({0})
– Aber auch die Tatsache, dass man Sie sinnvollerweise übergeht, führt zu diesem Geschrei.
Ich will anders starten, nämlich mit einem Lob für die Grünen.
({1})
Jetzt überlegen Sie: Geht es da auch um den Weihnachtsfrieden, oder ist das Lob irgendwie vergiftet? Nein, meine Damen und Herren, ich will mal ausdrücklich loben, dass Sie mit einer hohen Kompromissbereitschaft zu diesem Vermittlungsergebnis beigetragen haben, ganz explizit. Das war richtig und wichtig.
({2})
Ich sage aber auch, dass es Ihnen wahrscheinlich ein bisschen leichter gefallen wäre, wenn man anfangs nicht zu sehr gegen die Pendlerpauschale polemisiert hätte, vielleicht auch auf Grundlage von falschen Vorstellungen, um was es da gehen könnte; Herr Habeck hat das auch deutlich dokumentiert. Dann tut man sich nachher ein bisschen leichter, über den eigenen Schatten zu springen. Ich freue mich aber trotzdem, dass Sie das getan haben, ganz explizit. Sie sind gestartet mit dem Anspruch: „Wir kippen das Thema Pendlerpauschale“, und sind dann mit einer deutlich höheren Pendlerpauschale rausgekommen.
Toni Hofreiter, ich erkenne an der Stelle ausdrücklich an, dass verstanden wurde, dass es hier um Stadt und Land und um sozialen Ausgleich geht. So habe ich jedenfalls Hofreiters Rede vorhin verstanden. Das ist gut, das ist eine gute Einsicht, und das müssen wir auch so weitertragen; denn der Konflikt geht natürlich an der Stelle weiter. Den müssen wir auflösen, meine Damen und Herren; das ist ganz entscheidend.
({3})
– Bei der vorigen Debatte hat er genau das gesagt, Herr Kollege.
Sie haben natürlich auch verstanden, dass man nicht auf der einen Seite die Klimaauflagen laufen lassen kann und auf der anderen Seite im Vermittlungsausschuss die Entlastungen stoppen kann. Das ist auch ganz entscheidend; denn die Dinge gehören zusammen, für uns ganz besonders. Ich halte es für ganz wichtig, dass wir auf dieser Grundlage jetzt nicht die Maßnahmen kleinreden, sondern dass wir das gemeinsam weitertragen, raus aus dem Vermittlungsausschuss durch den Deutschen Bundestag.
Aber auch da, wo Ihre Stimme, liebe Freunde von den Grünen, vielleicht ein bisschen stärker zählt, beispielsweise bei den Demonstrationen, sollten Sie mal deutlich machen, dass Sie hier mit beteiligt sind, dass Sie das Ganze mitgemacht haben und dass Sie es für richtig und wichtig halten. Das ist ganz entscheidend; denn am Schluss kommt es darauf an, mit dem Klimaschutz nicht das zu tun, was die AfD gern hätte, nämlich die Gesellschaft zu spalten. Es geht an der Stelle darum, zu vereinen. Es geht darum, nicht zu spalten zwischen denen, die sich problemlos ein Hybridfahrzeug oder einen Tesla leisten können, und denen, die gerade mal einen gebrauchten Diesel kaufen können. Es geht darum, nicht zu spalten zwischen Stadt und Land, und es geht auch darum, nicht zu spalten innerhalb Europas. Das halte ich für ganz wichtig.
({4})
Denn letztendlich ist Klimapolitik Politik, die man europäisch oder noch besser und sinnvoller international betreiben muss. Und deshalb ist für uns das Ergebnis der Klimakonferenz so belastend und so enttäuschend.
Der European Green Deal, der vorhin angesprochen wurde, hat durchaus einen wichtigen Ansatz, nämlich den: Wir erhöhen zwar die Ziele, aber es muss insgesamt das Ziel sein, das Thema so zu synchronisieren, dass Deutschland am Schluss nicht wieder einseitig zusätzliche Lasten übernimmt. – Aus meiner Sicht kann Frau von der Leyen an der Stelle gerne mehr Ambitionen einfordern, aber, meine Damen und Herren, doch bitte von denen, die bisher zurückbleiben. Das darf nicht wieder in der üblichen Art und Weise geschehen, dass Deutschland über die vereinbarten und in Aussicht gestellten 55 Prozent hinausgehen muss. Das wäre falsch.
({5})
Das, was wir hier tun, ist in der Tat ambitioniert: die Energieversorgung komplett umstellen, aus der Kernenergie aussteigen, die Kohle schrittweise reduzieren, Erneuerbare an die Stelle setzen. Wir wissen, dass das nur dann geht, wenn man Übergangstechnologien wie Gas einsetzt.
({6})
Diese Dinge umzusetzen, ist eine große Herausforderung.
Es geht uns natürlich auch, meine Damen und Herren, um die Industrie in diesem Land. Industrie und Gewerbe werden noch mehr als Bürgerinnen und Bürger mit dem zu kämpfen haben, was wir an der Stelle allen abverlangen. Deshalb brauchen wir einen sinnvollen Ausgleich, eine gute Idee, wie wir beispielsweise Grundstoffindustrien in diesem Land halten, weil es dem Klima gar nicht hilft, wenn man sie ins Ausland treibt. Wir brauchen Ideen, wie ein europäischer Strompreis für die Industrie aussehen kann. Das ist ein industriepolitischer Anspruch im Verhältnis zu China. Wir müssen uns also über eine ganze Menge Dinge unterhalten, auch darüber, wie man die Recyclingbranche stärker in das Thema einbeziehen kann. Da ist Potenzial, das wir noch gar nicht heben.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Es ärgert mich schon, wenn die eine oder andere Stadt den Klimanotstand ausruft und so der Eindruck erweckt wird, dass es hier um Klamauk geht. Viele Leute haben daher den Eindruck, –
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
– dass ein intellektueller Notstand in diesen Stadträten herrscht. Ich glaube, wir sollten das Thema mit Ernsthaftigkeit bearbeiten. Dazu gehört ein kommunaler Klimanotstand jedenfalls nicht.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf darum bitten, dass die fünf Minuten eingehalten werden; denn sonst haben wir wieder ein Riesenproblem.
Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Köhler, FDP-Fraktion.
({0})
Mein sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Nüßlein, Sie haben gerade gesagt, worum es geht. Ich glaube, es sollte vor allen Dingen zuerst darum gehen, gute Gesetze zu machen. Es sollte zunächst darum gehen, Verfassungsmäßigkeit herzustellen, und es sollte darum gehen, auch Zielerreichung sinnvoll herzustellen. Beides steht hier infrage, beides muss geklärt werden. Deshalb kann ich Ihre Freude über die Verhandlungsposition der Grünen, die ja nicht Teil des Vermittlungsausschusses war, sondern an anderer Stelle mit anderen Leuten anders verhandelt wurde, nicht verstehen. Aber darum geht es heute nicht. Jetzt geht es erst einmal um Madrid.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was haben wir in den letzten Tagen gehört? Eine Katastrophe, totales Versagen, die Schande von Madrid.
({0})
Die Panikrhetorik, die wir jetzt immer wieder hören, ist ein absolutes Trauerspiel, ein Abgesang auf jede aufgeklärte, jede vernünftige, jede gut funktionierende Demokratie. Meine Damen und Herren, aber das sind wir hier: Wir sind eine funktionierende Demokratie.
({1})
– Doch.
Ja, die Conference of the Parties in Madrid hat noch nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht. Ja, wir hätten uns in einer idealen Welt gewünscht, dass auch ein ideales Ergebnis herausgekommen wäre. Aber natürlich schaffen wir in der Realität jedes Jahr aufs Neue etwas Beeindruckendes. Wir schaffen, dass nahezu 200 Staaten miteinander an einem Tisch sitzen, miteinander darüber verhandeln, wie das Klima gerettet werden kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte ein Zitat bringen: Es ist besser, keinen Deal zu haben, als einen schlechten Deal.
({2})
Das klingt nach einem sehr wahren Spruch von Christian Lindner. Auch wenn es nicht allen gefällt: Das ist ein Spruch von Frans Timmermans. Ich stimme der Sozialdemokratie ganz, ganz selten zu. In diesem Fall muss ich es aber. Es ist richtig, das Verhandlungsergebnis nach hinten zu schieben, auf das nächste Jahr zu schieben, sodass wir funktionierende Regeln dafür aufstellen können, wie wir internationalen Klimaschutz machen und wie wir internationale Zusammenarbeit ausführen können. Dafür lohnt es sich, ein Jahr länger zu warten und dann ein Regelwerk zu haben, das wirklich funktioniert.
({3})
Lassen Sie mich einen Schritt zurückgehen. Obwohl es, liebe Grüne, Ihnen nicht gefallen dürfte mit Ihrem Zielfanatismus: Auf der COP 25 ging es nicht um Ambitionssteigerungen. Das war nicht das Ziel der Verhandlungen für dieses Jahr. Es ging darum, ein Regelwerk für funktionierenden Klimaschutz zu machen. Es ging darum, dafür zu sorgen, dass wir eine Tonne CO2 als eine Tonne CO2 anrechnen. Es ging vor allen Dingen darum, zu sagen, dass wir das, was wir zwischen den Staaten in der Kooperation ausarbeiten können, sinnvoll umsetzen und damit so schnell wie möglich beginnen können.
Ja, es ging auch um die Frage, ob im Klimaschutz andere ökologische Positionen und Dinge eine Rolle spielen, und darum, welche Rolle die Menschenrechte spielen müssen. Und ja, es ging auch darum, zu sagen, dass wir die Frage von Schäden und Verlusten, wenn sie durch den Klimawandel entstehen, weltweit in Kooperation und Zusammenarbeit klären.
Meine Damen und Herren, der Verhandlungstext, so wie er jetzt da steht, ist nicht schlecht. Es stehen dort viele und richtige Punkte, die wir brauchen werden, um internationale Kooperation, um internationalen Klimaschutz zu machen. Aber, meine Damen und Herren, er ist natürlich noch nicht fertig. Deswegen hoffen wir im kommenden Jahr darauf, dass die Verhandlungen gut laufen werden, und darauf, dass wir wirklich dazu kommen.
Aber, meine Damen und Herren, ich wünsche mir von der Europäischen Kommission und von Europa nicht nur, dass wir allgemein miteinander arbeiten. Ich wünsche mir nicht nur, dass, so wie es aussieht, der Green Deal in genau die richtige Richtung der Ausweitung des Emissionshandels läuft. Ich wünsche mir auch, dass wir jeden einzelnen Euro da ausgeben, wo er am sinnvollsten für den Klimaschutz ausgegeben werden kann, nämlich da, wo es am besten funktioniert.
Sosehr die Ausrufung des Klimanotstands eine reine Symbolpolitik ist und sosehr ich es ablehne, rein symbolpolitisch mit Klimaschutz billig auf Stimmenfang zu gehen, so sehr muss doch jeder, der dieses Wort benutzt, dafür sorgen, dass die Artikel-6-Maßnahmen auch in Zukunft in Europa genutzt werden. Ja, ich bin dagegen, Klimanotstand zu benutzen. Aber wer es tut, muss doch dafür sorgen, dass dann auch die großen Fragen geklärt werden. Er muss dann Ja sagen zu einer Ausweitung der Forschung in der Gentechnik. Er muss Ja sagen zum Bioengineering, liebe Grüne. Und er muss Ja sagen zur technischen Speicherung von CO2.
({4})
Wer das auf kommunaler Ebene in München fordert, von dem erwarte ich auch Konsequenzen. Wir müssen aufhören, eine reine Symbolpolitik zu machen. Wer das einfordert, muss auch in München fragen: Wie viele direkte und indirekte Emissionen entstehen auf dem Oktoberfest?
({5})
Am Ende muss man dann auch die Konsequenz daraus ziehen. Das erwarte ich von Ihnen, liebe Grüne.
Vielen lieben Dank.
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Köhler. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Lorenz Gösta Beutin.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! „El pueblo unido, jamás será vencido.“ Die vereinte Bevölkerung wird niemals besiegt werden. – Das ist das Lied der demokratischen und linken Kräfte in Chile. 1973 ist die demokratische Regierung von Salvador Allende gestürzt worden, von einem Bündnis von Neoliberalen und Faschisten. In Chile haben sie alle Bereiche der Gesellschaft dem Profit unterworfen: Wohnen, Rente, Wasser, Gesundheit, Infrastruktur. Seit Monaten gehen in Chile Millionen auf die Straße: für die Demokratie und das Ende des Neoliberalismus. Ihr Lied ist weiterhin: „El pueblo unido, jamás será vencido.“
({0})
Die Regierung in Chile geht mit Gewalt gegen diese Proteste der Bevölkerung vor. Es kommt zu Folter, es kommt zu Morden in Chile. Genau deshalb ist der Weltklimagipfel von Chile nach Spanien verlegt worden. Genau deshalb haben wir in Madrid den Weltklimagipfel gehabt.
Die Bundesregierung hat recht, wenn sie in ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde sagt: Das Ergebnis des Weltklimagipfels ist ernüchternd. – Aber wenn die Union und die SPD hinzufügen, Deutschland bleibt auf Kurs, dann lohnt sich doch ein kritischer Blick. Wie sieht es aus mit dem Kohleausstieg? Vor einem Jahr hat die Kohlekommission entsprechende Empfehlungen verabschiedet. Noch immer haben wir kein Gesetz zum Kohleausstieg. 2038 ist viel zu spät. Wir brauchen ihn 2030. Aber nicht einmal das bekommt diese Bundesregierung auf die Reihe. Das ist das Problem.
({1})
Wie sieht es bei den erneuerbaren Energien aus? Wir haben die Situation, dass die Windkraft von dieser Bundesregierung weiterhin ausgebremst wird. In den letzten drei Jahren haben wir 40 000 Arbeitsplätze in der Windkraft verloren, und wenn die Bundesregierung diese Politik fortsetzt, stehen weitere Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien auf dem Spiel. Auch das ist ein Problem.
({2})
Schauen wir uns die Verkehrswende an.
({3})
Was brauchen wir in dieser Situation? Wir brauchen überall im ländlichen Raum den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Wir brauchen eine bezahlbare und gut ausgebaute Bürgerinnenbahn.
({4})
Stattdessen setzt der Bundesverkehrsminister weiterhin auf Beton und Asphalt. Das ist ein Problem. Auch dieser Bundesverkehrsminister ist ein Problem, und wir bleiben dabei: Er hat zurückzutreten.
({5})
Schauen wir uns den Bereich Wärme an. Sie kriegen kein Programm auf die Reihe, das erneuerbare Wärme mit bezahlbarem Wohnen und bezahlbaren Heizkosten zusammenbringt. Sie haben keine Idee. Die einzige positive Idee dieser Bundesregierung, ein Programm für sozial gerechte energetische Sanierung aufzulegen, wurde der schwarzen Null geopfert, und genau das bleibt das Problem.
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Es bleibt also dabei: Das Klimapaket der Bundesregierung ist unwirksam. Die soziale Spaltung in unserem Land spitzt sich zu. Sie werden damit die Klimaziele 2020 nicht einhalten, und Sie werden auch die Klimaziele 2030 nicht einhalten. Wenn Sie jetzt sagen, Deutschland bleibt auf Kurs, dann können wir nur sagen: Auch der Kurs auf Bruchlandung ist noch immer ein klarer Kurs.
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Also: Die Ergebnisse des Weltklimagipfels sind nicht nur enttäuschend, sie sind verheerend. Es gibt keine Einigung auf schärfere Klimaziele, es gibt keine Einigung auf eine einheitliche Berechnung der CO2-Einsparung, und es gibt auch keine Einigung über die Finanzierung der Klimaschäden für den globalen Süden. Letztlich bedeutet das Stillstand,
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und Stillstand ist in Bezug auf die Klimakrise nichts Positives, sondern das ist ein Rückschritt.
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Wir sind deshalb bei den Menschen, die bei der COP, die beim Weltklimagipfel protestiert und die Hauptsitzung blockiert haben und die von der Polizei eingekesselt worden sind. Im Kessel haben wir gemeinsam gesungen: „El pueblo unido, jamás será vencido“, auch als Gruß an die Bewegung in Chile, die zur gleichen Zeit einen Alternativgipfel in Chile abgehalten hat.
Wir sagen: Wenn wir Klimagerechtigkeit wollen, müssen wir mit den Prinzipien des Neoliberalismus brechen.
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Wir müssen mit den Prinzipien, die diese Bundesregierung im Klimapaket vorangestellt hat, brechen. Dann brauchen wir eine andere Art des solidarischen Produzierens, eine andere Art des Konsumierens und des Wirtschaftens, und die wird nicht von den Regierungen erreicht, die wird von den Menschen, die wird von der Klimabewegung auf der Straße gemeinsam erkämpft.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Lisa Badum.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben ein Jahr lang um Klimaschutz gerungen und gestritten – wir stehen am Ende des Jahres –, aber nicht nur hier, sondern in der ganzen Republik. Denken wir ein Jahr zurück. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Für mich war der Freitag eher ein Symbol für das Wochenende. Mittlerweile ist der Freitag ein Symbol für eine weltweite Jugendbewegung für das Klima geworden, und das bleibt.
Was mir von der Klimakonferenz in Madrid in Erinnerung bleibt, ist nicht in erster Linie das Scheitern, das traurige Ende der Verhandlungen, sondern es sind Menschen wie die Umweltaktivistinnen in Lateinamerika, die in manchen Staaten vom Tod bedroht sind, aber weiterkämpfen. Das sind Indigene wie im Amazonasregenwald, die ihre Umwelt und ihr Leben gegen einen rechten Brandstifter verteidigen. Das ist ein Mensch wie James Bhagwan, ein Priester auf den Fidschi-Inseln, der gegen den Meeresspiegelanstieg und für sein Volk kämpft.
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Natürlich gibt es auch negative Nachrichten von der COP. Es gab die großen Bremserstaaten wie Brasilien und die USA. Es gibt Staaten wie Australien, die neue Kohlekraftwerke planen. Es gibt Staaten, die neue Atomkraftwerke planen.
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Wir haben in Deutschland mittlerweile irrlichternde Gesellen, die die Renaissance der Atomkraft fordern. Ich kann Ihnen sagen: Das werden wir nie mitmachen, das wird nie passieren, dagegen werden wir kämpfen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Solche Ergebnisse sind frustrierend, und das lähmt uns, auch als Weltgemeinschaft. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die nicht für echten Klimaschutz hier im Bundestag sitzen und die bei den Bürgerinnen und Bürgern Angst schüren wollen.
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Aber das Gute ist: Die Botschaft am Ende dieses Jahres ist nicht Angst, die Botschaft ist Zuversicht.
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Selbst in den USA warten Regionen wie zum Beispiel Kalifornien nicht auf den Präsidenten. Sie beschließen einfach selbst den Steinkohleausstieg. Sie planen dieses Jahr den Atomausstieg. Auch China setzt seit vielen Jahren nicht mehr nur auf Kohle, sondern auf Wind und Sonne.
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Sie haben dieses Jahr Solaranlagen für so viel Leistung neu installiert, wie wir in Deutschland insgesamt haben.
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Die europäische Ankündigung – es ist schon angesprochen worden – eines neuen Green Deals, eines grünen Vertrags, gibt Hoffnung.
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Ich glaube, wir Grünen sind nicht verdächtig, zu sagen: Die EU-Kommission hat beim Thema Klimaschutz schon das Ende der Fahnenstange erreicht, die Ambitionen sind richtig, und die Maßnahmen sind voll ausgestaltet. – Denn das ist noch nicht so. Aber von unserer Seite aus Respekt für das, was die neue Kommissionspräsidentin und ihr Team schaffen, nämlich eine positive Stimmung zu erzeugen und Mut zur Neuorientierung zu verbreiten.
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Es gibt eine reale Chance für uns, der erste klimaneutrale Kontinent der Erde zu werden. Der Energiekommissar, Herr Timmermans, Sozialdemokrat, hat mir gesagt – es ist eigentlich eine Binsenweisheit, aber ich habe den Eindruck, ich muss es hier noch einmal aussprechen –, dass Deutschland in dem Green Deal eine sehr wichtige Rolle spielen kann und muss,
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gerade mit unserer Chemie-, Stahl- und Automobilindustrie. Nur aktuell tun wir es noch nicht. Hören Sie endlich auf, mit der Abrissbirne durch die Windenergiebranche zu fegen. Geben Sie unseren Unternehmen die Chance, Technologieführer zu sein.
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Denn Deutschland hat das Zeug, an der Spitze einer grünen Wirtschaft zu stehen.
Ein Stück weit ist uns an diesem Wochenende schon gelungen. Wir Grüne haben es im Vermittlungsausschuss geschafft, dafür zu sorgen, dass der CO2-Preis langsam den richtigen Weg einschlägt, auch wenn wir damit noch lange nicht am Ziel sind. Aber klar ist, dass die Welt nicht untergeht, weil die Tonne CO2 jetzt 25 Euro statt 10 Euro kostet.
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Die Welt wird mit uns Grünen sogar ein Stück gerechter;
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denn der Strom wird deutlich günstiger, und zwar für alle. Gleichzeitig belohnen wir klimafreundliches Verhalten. Das ist faire Umverteilung, das ist Lenkungswirkung, das ist sozial und ökologisch gerecht.
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Damit ist aus dem schlechten Klimapaket noch kein gutes geworden,
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aber wir haben noch sehr viel vor. Davon können Sie ausgehen.
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Wir haben noch viel im Köcher.
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Das Signal war enorm wichtig angesichts des bitteren Ergebnisses von Madrid. Es zeigt: Der Druck der Straße wirkt. Es zeigt: Es ist weitaus mehr möglich als die bisherigen Regelungen.
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Wir sammeln unsere Kräfte und kehren voller Tatendrang zurück für das Klimajahr 2020.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Badum. – Nächster Redner ist Dr. Matthias Miersch, SPD-Fraktion, dem ich zu seinem heutigen Geburtstag ausdrücklich herzlich gratuliere.
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Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Badum, es ist sicherlich nicht so, dass von einem CO2-Preis die Welt untergeht. Aber ich will schon sagen: Das, was es an Forderungen gegeben hat, beispielsweise 60 Euro Einstiegspreis auf dem grünen Parteitag,
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hat das Potenzial, diese Gesellschaft zu sprengen. Insofern bin ich froh, dass Sie zur Vernunft gekommen sind und wir bei 25 Euro Einstiegspreis gelandet sind.
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An die FDP gerichtet: Wer meint, über einen Preis eine Lenkungswirkung zu erzielen – – Herr Präsident, Sie mischen sich jetzt ein? Wollen wir miteinander diskutieren?
Nein, ich habe etwas zu meinem Schriftführer gesagt.
Alles klar. Aber ich nehme den Präsidenten gleich in Mithaftung; denn er hat gesagt: „Was denn sonst?“ Das zeigt eben die Unterschiede. – Wer meint, über einen Preis Menschen zu mehr Klimaschutz zwingen zu können,
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der nimmt in Kauf, dass die, die viel haben – das mag Ihre Klientel sein –, sich jede Umweltverschmutzung leisten können, aber weite Teile der Bevölkerung können es sich eben nicht leisten. Das ist unsozial.
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Um gleich weiter anzuschließen – das Ende des Jahres bietet Gelegenheit, Bilanz zu ziehen –: Wir haben eine Blaupause; denn die FDP und die Grünen haben ja versucht, sich mit der CDU/CSU zu einigen.
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Wo waren Sie denn in den Jamaika-Verhandlungen? Heute am Ende des Jahres können wir sagen: Das Klimaschutzgesetz ist in trockenen Tüchern. Erstmals ist Klimaschutz verbindlich, erstmals werden Ministerien zu entsprechenden Maßnahmen gezwungen. Das gab es bei Jamaika nicht, bei uns gibt es das schon, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wir haben dank des Bundesfinanzministers ein Maßnahmenpaket vereinbart. Milliarden fließen in den ÖPNV, Milliarden fließen in die Infrastruktur der Deutschen Bahn. Davon war im Zuge der Jamaika-Verhandlungen nichts zu lesen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Und wir haben einen CO2-Preis, der – ja, in der Tat – eine Signalwirkung hat, der auch Anreize setzt,
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der aber auch – hoffentlich – für die nächsten Jahre Planungssicherheit gibt. Deswegen lautet mein Appell an alle, die an diesem Kompromiss beteiligt gewesen sind, einschließlich der Grünen: Dies muss jetzt eine belastbare Grundlage für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für die Unternehmen in Deutschland sein. Das ist elementar. Wir müssen für die Gesellschaft Planungssicherheit hinsichtlich der Bepreisung herstellen. Es geht darum, sich für die nächsten Jahre auf etwas einstellen zu können.
Damit bin ich bei einem sehr entscheidenden Punkt. Manchmal wird in diesen Debatten ja so getan, als sei der CO2-Preis irgendein Fetisch, als müsse man nur einen Hebel umlegen und schon hätte man Klimaschutz. Nein, vor uns liegen 30 Jahre großer Transformationsprozess. Deswegen will ich Folgendes sagen: Ich finde es mehr als bedenklich, wenn bei dieser Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag zu diesem Thema zwei Schlüsselressorts, die in den nächsten Wochen und Monaten sehr gefordert sind, fehlen. Es ist nicht akzeptabel, dass das Wirtschaftsministerium und das Bundesverkehrsministerium heute durch Abwesenheit glänzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Deswegen sage ich: Wir sind ein bisschen auf dem Weg. Ich sage sogar: Wir haben ganz schön viel geschafft.
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Aber es liegt noch einiges vor uns. Zwei Punkte will ich hier hervorheben.
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Der erste Punkt ist: Wenn wir beim Ausbau von erneuerbaren Energien nicht weiterkommen, können wir uns all das, was wir hier vorhaben, von der Backe schmieren, dann funktioniert der Umstieg nicht. Deswegen sage ich: Peter Altmaier, bitte jetzt liefern! Es muss ein 65-prozentiger Anteil der erneuerbaren Energien im Jahr 2030 gewährleistet sein. Diese Lieferung erwarten wir, und zwar bis März 2020.
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Das Gleiche gilt für den gesellschaftlichen Konsens, den wir durch die Kohlekommission erreicht haben. Den müssen wir im ersten Vierteljahr 2020 in Gesetze gießen. Das ist die zweite große Aufgabe für diesen Bundeswirtschaftsminister. Auch hier muss jetzt geliefert werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich mache einen großen Strich unter diese Ausführungen.
Ich glaube, dass Madrid gezeigt hat
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– ja, Herr Köhler –, wie schwer es ist, sich auf gemeinsame Nenner zu verständigen, wenn man politisch ganz unterschiedlicher Meinung ist. Umso wertvoller ist es, dass es uns gelungen ist, zumindest zusammen mit dem Teil der Opposition, der über den Bundesrat Regierungsverantwortung übernommen hat, ein wichtiges Paket auf den Weg zu bringen. Aber es ist mindestens genauso wichtig, die nächsten Schritte jetzt anzugehen. Insofern freue ich mich auf die Debatten im Jahr 2020 und wünsche ein frohes Weihnachtsfest.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner: der Kollege Karsten Hilse, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Ich beginne mit einem Zitat von Henryk Broder – ich habe es hier schon einmal vorgetragen; aber es passt natürlich, bildlich gesprochen, heute wie die Faust aufs Auge –:
Diese Klima-Geschichte hat alle Ingredienzien, alle Kennzeichen einer Glaubensbewegung: Da gibt es die gläubigen Massen, die ihre Kirchentage abhalten … da gibt es Helden wie die kleine Greta aus Schweden, da gibt es die Geistlichen wie Herrn Schellnhuber und andere Wissenschaftler oder Mehr-oder-weniger-Wissenschaftler, die die Rolle der Priester übernehmen, und dann gibt es die Ketzer, die Häretiker …
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Als umweltpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion bin ich für Sie und für viele gläubige Journalisten der Oberketzer, weil ich einfach nicht an Ihren Unfug glauben will, sondern Beweise für Ihre abstruse Theorie einfordere, die Sie aber trotz jahrzehntelanger und milliardenschwerer Forschung nicht vorlegen können.
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Stattdessen sollen sich die Menschen mit abenteuerlichen Vorhersagen zufriedengeben, obwohl der Weltklimarat selbst zugibt, dass es sich beim Klima um ein gekoppeltes, chaotisches, nichtlineares System handelt und deswegen Vorhersagen zu zukünftigen Klimazuständen nicht – nicht! – möglich sind. Trotzdem veranstalten die Gläubigen regelmäßig ihre Kirchentage, auf denen ihre Priester wider besseres Wissen den Menschen Angst vor dem vermeintlich bevorstehenden Weltuntergang machen, ihnen die Schuld daran geben und von ihnen Bußfertigkeit und Ablass für ihre Sünden fordern.
Als Oberketzer der AfD hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, an diesem Kirchentag teilzunehmen. Ich durfte alles, wovon Henryk M. Broder sprach, live miterleben:
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Tausende Gläubige, die zum allergrößten Teil schon durch ihre Reise zum Kirchentag sündigten, weil sie dadurch viel mehr vom Teufelszeug CO2 emittierten, als wenn sie zu Hause geblieben wären. Die Heldin Greta und viele andere kleine Heldinnen von „No Education Friday“, Klimaschutzjugend, Naturschutzjugend
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– ein bisschen weniger Alkohol in der Mittagspause; dann funktioniert es, Frau Nissen –,
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Kämpferinnen für Gendergerechtigkeit beim Klima usw. usf. Ich lernte auch die „Mehr-oder-weniger-Wissenschaftler“ kennen, die sich erstaunlicherweise gar nicht über Wissenschaft unterhalten wollten,
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sondern harsch von mir forderten, die wissenschaftliche Diskussion doch jetzt endlich zu lassen und mich stattdessen – –
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– Was ist denn los?
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Herr Kollege Hilse, Sie brauchen sich nicht zu wundern. Diese Art von Diskreditierung der Kollegen ist nicht okay.
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Okay; gut.
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Sie forderten mich auf, mich stattdessen für den Klimaschutz, das Goldene Kalb der Neuzeit, einzusetzen. Der einzige Lichtblick auf diesem Kirchentag war das Treffen mit einer Delegation aus den Vereinigten Staaten von Amerika, die diesem Glauben eher skeptisch gegenüberstehen. Eine diplomatische Dunkelflaute legten allerdings die Abgeordneten der Altparteien hin,
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als sie gegenüber den Amerikanern ihre Hoffnung zum Ausdruck brachten, dass diese nach der nächsten Präsidentschaftswahl wieder zum Glauben zurückkehren, also dem Pariser Übereinkommen wieder beitreten.
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Sie brachten damit nichts anderes zum Ausdruck als den Wunsch, der Präsident, unser Gastgeber, möge gefälligst nicht wiedergewählt werden – ein peinlicher Fauxpas! Ich teilte den Amerikanern mit, dass wir die einzige Partei im Deutschen Bundestag sind, die die Wahl von Trump wohlwollend zur Kenntnis genommen hat, die Entscheidung des amerikanischen Volkes vollumfänglich akzeptiert und auch aus dem Pariser Übereinkommen aussteigen will.
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Irgendwie war der Kirchentag in diesem Jahr ein Debakel für die Gläubigen,
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weil die Weltgemeinschaft sich einfach weigerte, sich noch mehr zu geißeln. Sozialistische Knebelforderungen und Gendergerechtigkeit fanden keinen Eingang in die Texte, und auch sonst hatten die meisten Staaten keine Lust, sich überhaupt zu irgendetwas Konkretem zu verpflichten.
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Dabei hatte man sich alles so schön vorgestellt. Mit einem erfolgreichen Kirchentag hätte man den Menschen viel besser die weiteren Ausplünderungen, die man sich für sie ausgedacht hat, verkaufen können: ab 2020 mindestens 1 000 Euro und ab 2025 mindestens 2 000 Euro höhere Lebenshaltungskosten pro Familie pro Jahr für die Weltenrettung.
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Da man aber nicht mit einem weiteren, noch stärkeren Glaubensbekenntnis der Weltgemeinschaft aufwarten konnte, jubeln die Menschen den Ausplünderern jetzt erstaunlicherweise doch nicht zu. Manche erzählen sogar davon, dass sie sich vorsorglich eine zusätzliche Gelbweste zugelegt hätten.
Ich bin sehr gespannt und hoffnungsfroh, dass Ihnen Ihre Lügengeschichten,
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wie auch in anderen Ländern, alsbald um die Ohren fliegen. Dann werden in diesem Bundestag vielleicht auch wieder Debatten auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse geführt,
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und zwar zum Wohle des deutschen Volkes.
Ich schließe mit einem weiteren Zitat von Henryk Broder: Die Klimageschichte ist eine neue, globale Kirche.
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Und Sie alle, die Sie hier sitzen, lassen es zu, dass diese Klimasekte diesen Bundestag als Tempel ihrer neuen Religion missbraucht. Irgendwann, so Henryk M. Broder, setzt sich Vernunft durch; manchmal dauert es etwas länger; aber irgendwann setzt sie sich durch.
Trotz aller Meinungsunterschiede wünsche ich allen ein friedliches und gesegnetes Weihnachten.
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Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Andreas Jung.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Madrid ging es darum, die Vereinbarung, die in Paris getroffen wurde, weiterzubringen, umzusetzen. Was ist unser Beitrag? Unser Beitrag, der Beitrag Deutschlands, ist, unsere Verpflichtungen, die wir in Paris eingegangen sind, beherzt umzusetzen und konsequent unsere Klimaziele zu erreichen versuchen.
Genau dem dient das Klimapaket, das wir jetzt gemeinsam auf den Weg bringen. Die einzelnen Teile sind schon beschrieben worden. Das Klimaschutzgesetz enthält verbindliche Ziele. Klimaschutz wird damit Gesetz. Wir kommen damit einen entscheidenden Schritt weiter. Wir bekommen die CO2-Bepreisung, haben also einen marktwirtschaftlichen Ansatz und marktwirtschaftliche Anreize. Eine ganz wichtige Säule ist das Unterstützungs- und Förderungspaket. Da wird Klimaschutz konkret. Wir zeigen auf, wie es gehen kann. Wir antworten auf die Frage der Bürger: „Wie kann ich es machen? Was kann ich tun?“, mit ganz konkreter Hilfe und Unterstützung.
Die gute Nachricht der Abstimmung von vorher und dann hoffentlich der Abstimmung von morgen im Bundesrat ist: Es kann mit dem 1. Januar 2020 losgehen, mit billigeren Bahntickets. Damit knüpfen wir an ein ganzes Paket an, das wir schon auf den Weg gebracht haben: zur Förderung der Schiene, mit einem Milliardenprogramm für die Infrastruktur, mit mehr Mitteln für Regionalzüge, mit einer besseren Förderung des ÖPNV.
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Damit wird durch Infrastruktur, durch Innovation und durch bessere Angebote das klare Signal gegeben: Wir stärken die Schiene. Es lohnt sich, hier umzusteigen.
Zweitens haben wir ein Programm bereits auf den Weg gebracht, um auch nachhaltige Mobilität mit dem Auto zu fördern, indem wir in Forschung und Entwicklung Ökologie und Auto zusammenbringen, indem wir Prämien denen bezahlen, die sich für ein emissionsarmes Auto entscheiden, indem wir ihnen Steuervorteile gewähren. Zu diesem Paket kommt eine Pendlerpauschale, die erhöht wird und in einer zweiten Stufe jetzt noch mehr erhöht wird. Damit bringen wir nachhaltige Mobilität und Akzeptanz in Stadt und Land zusammen. Das ist ein zweites wichtiges Ergebnis in diesem Paket, das wir jetzt im Vermittlungsausschuss geschnürt haben.
Ich will in besonderer Weise auch für das werben, was wir im Bereich Gebäude und Heizung tun. Wie lange schon ringen wir im Bundestag, im Bundesrat, in der Gesellschaft um eine bessere Förderung derjenigen, die ihre Häuser sanieren wollen, und derjenigen, die ihre Heizungen austauschen wollen!
({1})
Da müssen wir besser und schneller werden; wir müssen hier besser vorankommen.
Jetzt endlich bringen wir eine steuerliche Förderung auf den Weg, die unbürokratisch ist und auch demjenigen zugutekommt, der Schritt für Schritt vorangeht und Dach, Fassade, Heizung, eines nach dem anderen, angeht. Dafür haben wir ein gutes Modell, das nicht, wie manche es wollten, durch zusätzliche Anforderungen und Standards davor und danach belastet wird. Vielmehr ist die Botschaft: Es geht jetzt los, zum 1. Januar, mit der Gebäudesanierung, mit dem Heizungsaustausch, mit günstigeren Bahntickets. Damit gibt es ein starkes Programm, um Klimaschutz tatsächlich auf die Schiene zu bringen, um Klimaschutz in die Häuser zu bringen. Das ist unsere Philosophie: Klimaschutz mit den Menschen voranbringen.
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Darauf können wir aufbauen. Wir haben uns gemeinsam vorgenommen, im nächsten Jahr sehr konsequent an der Umsetzung zu arbeiten, sehr konsequent auch zu kontrollieren, ständig zu evaluieren, ob das, was wir machen, die gewünschten Effekte bringt und ob die Ziele erreicht werden.
Damit will ich zum Ende dieses Jahres feststellen: Wir haben am Anfang des Jahres gesagt: Wir müssen besser werden. Wir müssen die Ziele erreichen. Es darf nicht mehr passieren, dass eine Lücke entsteht, und wir werden dafür in diesem Jahr ein starkes Programm, ein Klimaschutzgesetz, ein Klimaschutzpaket machen. – Heute können wir sagen: Das ist erreicht worden. Darauf können wir aufbauen, und darüber können wir uns gemeinsam freuen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Jung. – Die nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion die Kollegin Saskia Esken. Frau Vorsitzende, Sie haben das Wort.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als frischgewählte Vorsitzende der SPD habe ich mich tatsächlich gefragt: Was hätte Willy Brandt zum Klimaschutz gesagt? Willy Brandt hätte gesagt – da bin ich mir sicher –: Es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diesen Planeten für unsere Kinder und für die Kinder dieser Welt bewohnbar zu erhalten. Willy Brandt hätte gesagt: Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit gegenüber der jungen Generation und künftigen Generationen, aber auch der Gerechtigkeit gegenüber den Menschen im globalen Süden.
Willy Brandt hätte aber auch gesagt: Unser Klimaschutz darf keiner sein, den man sich nicht leisten kann.
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Deshalb darf man auf die Sozialdemokratie zählen, wenn es darum geht, dass auch beim Klimaschutz die starken Schultern mehr tragen
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– hören Sie ruhig mal zu – und dass denen, die Unterstützung brauchen, auch geholfen wird.
Beim Klimagipfel in Paris haben wir verabredet: Wir wollen, wir müssen die Erderhitzung auf 1,5 Grad begrenzen. Wir haben diese Verabredung alle zusammen nicht richtig ernst genommen. Das muss man in aller Ehrlichkeit so benennen. Jetzt müssen wir das Notwendige und Richtige tun. Das hat diese Regierung auch angegangen. Der Klimagipfel in Madrid wird diesen Notwendigkeiten nicht wirklich gerecht: Ignorante, revisionistische Kräfte in aller Welt haben da an Einfluss gewonnen. Auch auf Ihrer Seite ist das der Fall.
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Die Europäische Union war diejenige, die ein Aufweichen des Pariser Klimaabkommens gerade so verhindern konnte. Das Schlimmste zu verhindern, kann ja wohl nicht unser Anspruch sein.
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Wir müssen deshalb in Europa und Deutschland vorangehen. Es ist gut, dass die EU sich vergangene Woche zu mehr Klimaschutz verpflichtet hat. Auch mit Blick auf die kommende EU-Ratspräsidentschaft muss Deutschland auch mit dem eigenen Handeln Vorreiter sein. Deswegen sind die Einigungen im Vermittlungsausschuss durchaus zu begrüßen. Der höhere Einstieg und der steilere Pfad für den CO2-Preis stehen für unsere Bereitschaft, mehr Verantwortung zu übernehmen. Das kann helfen, dass wir die Klimaschutzziele 2030 besser erreichen.
Die Hauptverantwortung für den Klimaschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf aber nicht bei denen liegen, die schon heute jeden Cent umdrehen müssen.
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Es muss ganz klar sein: Der ökologische Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft gelingt uns nur, wenn wir alle mitnehmen und wenn niemand überfordert wird. Wir werden uns deshalb auch weiterhin für eine Klimaprämie einsetzen, die jedem Bürger und jeder Bürgerin pro Kopf gleichermaßen zugutekommt.
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Aber jetzt sind die Absenkung der EEG-Umlage sowie eine höhere Pendlerpauschale und auch eine höhere Mobilitätsprämie wichtige Bausteine für genau dieses Anliegen des sozialen Ausgleichs.
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Deshalb gilt mein besonderer Dank der Verhandlungsführung von Manuela Schwesig und von Olaf Scholz, die sich sowohl für mehr Klimaschutz als auch für einen sozialen Ausgleich eingesetzt haben.
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Mir ist es aber wichtig, beim Ausgleich der Mobilitätskosten weiterzudenken. Ich will mich dafür einsetzen, dass insbesondere Fahrten im Schülerverkehr ebenso wie Fahrkarten für Azubis und für Studierende kostenlos werden. Das kommt nämlich Familien im ländlichen Raum zugute. Das wäre eine Idee, die wir weiterzuverfolgen haben.
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Damit auch außerhalb des Schülerverkehrs überhaupt Alternativen zum Individualverkehr entstehen, müssen wir massiv zusätzlich investieren; darüber sind wir uns durchaus im Klaren: langfristig, verlässlich und deshalb auch unabhängig von der Kassenlage. Es ist mir deswegen besonders wichtig, darauf hinzuweisen: Das Klimaschutzgesetz ist gerade im Maßnahmenteil kein abgeschlossenes Kapitel. Schon Anfang nächsten Jahres wird wissenschaftlich überprüft, ob wir damit unsere Ziele erreichen, und wenn nicht, müssen wir nachsteuern. So wird es in jedem Jahr sein. Matthias Miersch hat ganz zu Recht darauf hingewiesen: Das ist neu, das ist verantwortliches, das ist nachhaltiges Regierungshandeln, und dafür darf man sich zu Recht auch mal loben.
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Was aber nun wirklich nicht geht und ganz klar sein muss: Es gibt kein Zurück zur Atomkraft.
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Die rot-grüne Entscheidung für den Atomausstieg 2002 war von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen. Dennoch wurde er aufgekündigt. Es hat den Reaktorunfall von Fukushima gebraucht, um Schwarz-Gelb davon zu überzeugen, dass der Ausstieg aus dem Ausstieg falsch war. Ich bin froh, dass diese Einsicht gewachsen ist. Wir tun gut daran, daran jetzt wirklich festzuhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, Weihnachten steht vor der Tür. Eltern, Großeltern, Kinder kommen zusammen – auch bei mir zu Hause, und ich freue mich sehr darauf. Wenn ich an die engagierten jungen Leute von Fridays for Future denke, dann denke ich nicht: Wir Älteren werden diejenigen sein, die die Debatten am Weihnachtsbaum und beim Weihnachtsessen bestimmen. – Ich finde, das ist auch gut so.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Esken. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag und morgen der Bundesrat, wir bringen wichtige Anreize für mehr Klimaschutz auf den Weg. Deutschland ist und bleibt mit dem Klimapaket auf dem richtigen Kurs. Wir nehmen das Heft des Handelns in die Hand und sind in Europa und auch international Vorreiter. Europa setzt mit dem Green Deal weltweit Maßstäbe. Auch die Entscheidung des Rates zur Klimaneutralität hat für Aufsehen gesorgt und ist in Madrid positiv aufgenommen worden.
Europa und Deutschland gehen mit gutem Beispiel voran. Das erhöht auch den Druck auf die anderen Vertragsstaaten des Pariser Abkommens;
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denn sie haben sich in Paris verbindliche Klimaziele gegeben, und bei denen bleibt es auch. Manchmal entsteht ja der Eindruck, alles wurde in Madrid zurückgenommen. Nein, nein, alle Staaten der Welt haben sich verbindliche Klimaziele gegeben, und es geht jetzt darum, ob und wie sie diese Ambitionen noch steigern. Das ist für Glasgow geplant. Wenn wir in Deutschland und in Europa weiterhin so auf Kurs bleiben, dann erhöhen wir auch den Druck auf die anderen Vertragsstaaten.
Im Hinblick auf die Ambitionssteigerungen, die wir uns in Deutschland und in Europa vorgenommen haben, wäre es aber auch in Madrid wichtig gewesen, dass klare Regeln zur Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten beschlossen werden. Wir haben einen Beschluss zu Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens vorbereitet, und ich bin zuversichtlich und hoffnungsfroh, dass es dann in Glasgow gelingt, diesen Beschluss umzusetzen.
Worum geht es? Es geht um den zwischenstaatlichen Handel mit Zertifikaten, der es Industriestaaten ermöglicht, in Entwicklungs- und Schwellenländern in Klimaschutzprojekte zu investieren und dafür Emissionszertifikate zu bekommen. Sehr geehrter Herr Minister Scholz, es ist dann aber wichtig, dass diese Investitionen auch auf unsere Klimaziele angerechnet werden können;
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das hatten Sie vorhin nicht erwähnt. Dafür setzen wir uns nämlich sehr stark ein, weil es Sinn macht, dass wir dazu beitragen, dass in Entwicklungs- und Schwellenländern die Wirtschaft von Anfang an klimafreundlich aufgebaut wird. Denn wir allein können das Klima nicht retten.
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Werte Kolleginnen und Kollegen, zurück zur nationalen Ebene. Die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss haben gezeigt, dass Deutschland beim Klimaschutz handlungsfähig ist. Mit dem Klimapaket bringen wir über 60 Maßnahmen, die für Technologie und Fortschritt stehen, auf den Weg. Ich bin froh und glücklich, dass es jetzt gelungen ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen ab dem 1. Januar 2020 günstiger Bahn fahren und endlich Steuern sparen können, wenn sie ihr Haus energetisch sanieren. Ich bin auch glücklich und froh, dass die parteiübergreifende Zusammenarbeit gelungen ist und dass wir diesen Beschluss jetzt gemeinsam auf den Weg bringen. Ich habe jahrelang dafür gekämpft, dass die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung kommt.
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Mit solchen finanziellen Anreizen unterstützen wir die Bürger dabei, auf klimafreundliche Technologien umzusteigen. Besonders hervorzuheben sind für mich die Themen „Wasserstoff“, „Power-to-X“ sowie „synthetische Kraftstoffe“. Diesen Technologien kommt nämlich große Bedeutung bei der Erreichung unserer Klimaziele zu.
Ich freue mich, dass das Verkehrsministerium jetzt 16 Regionen in Deutschland beim Aufbau einer lokalen Wasserstoffwirtschaft fördert. Ich freue mich auch auf die Nationale Wasserstoffstrategie, die Teil des großen Klimaschutzpakets ist und bald vom Wirtschaftsminister vorgelegt wird.
Neben den Maßnahmen für Innovation und Fortschritt ist ein
Kernstück des Pakets das Klimaschutzgesetz, mit dem wir dafür sorgen, dass wir in allen Sektoren auf Kurs bleiben. Somit haben wir auch einen Kontrollmechanismus installiert. Es kann immer nachgesteuert werden, und innerhalb von wenigen Monaten können Sofortmaßnahmen auf den Weg gebracht werden, damit wir in allen Bereichen auf Kurs sind.
Wir wollen die Klimaziele auch unter Beachtung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgen erreichen. Die Grünen fordern ja immer noch gerne das Verbot des Verbrennungsmotors und der Ölheizung. Wir setzen im Gegensatz dazu auf Fördermaßnahmen, und wir setzen auf die CO2-Bepreisung. Wir haben den Einstiegspreis im Vergleich zu dem, was die Grünen und auch die Wissenschaft gefordert haben, immer noch moderat gewählt, auch wenn er jetzt am Anfang etwas höher ist.
Aber dagegen setzen wir die Entlastung der Menschen beim Strompreis durch die Senkung der EEG-Umlage und durch die Erhöhung der Pendlerpauschale. Es ist ein Märchen, zu glauben, dass die Pendlerpauschale von uns nur für die Besserverdiener auf den Weg gebracht wurde. Wir haben auch die Mobilitätsprämie als Teil des Pakets verabschiedet. Diese Prämie ist an die gerichtet ist, die keine Steuern zahlen.
Meine Damen und Herren, es ist ein gutes Gesamtpaket, das wir hiermit auf den Weg bringen. Ich bin froh, dass es gelungen ist, parteiübergreifend einen Kompromiss zu schließen; das erwartet nämlich auch die junge Generation von uns. Jetzt freue ich mich, wenn wir dieses Paket auch nach außen hin gemeinsam tragen, zusammen mit den Grünen.
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter. Frau Staatssekretärin, bitte.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die COP hat schon mit ein paar Schwierigkeiten angefangen, nämlich mit der Verlegung von Chile nach Madrid. Aber die Spanier haben das gut gemeistert und es innerhalb kürzester Zeit hervorragend organisiert.
Die Erwartungen waren groß, vor allem die von jungen Leuten. Auch wir hatten natürlich Erwartungen, und einige wurden nicht erfüllt. Wir hätten uns mehr Fortschritte erhofft. Aber man muss auch sagen, dass es Punkte gibt, bei denen wir besser werden müssen. Ich bin mir sicher, dass wir bis zur nächsten Klimakonferenz in Glasgow besser werden und weiterkommen.
Das betrifft insbesondere den Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, nämlich die Frage der Kooperation. Meine Kollegin Weisgerber hat schon gut erklärt, wie das funktioniert; ich will es aber noch mal betonen: Es geht darum, dass wir jetzt die Regeln ausbuchstabieren und klarmachen, wo die CO2-Einsparungen der Staaten landen und verbucht werden, damit es keine Doppelzählungen gibt. Am Ende des Tages wollen wir die Klimaschutzziele von Paris erreichen; das ist wichtig. Darum haben wir gesagt: Lieber keine Einigung in diesem Bereich als eine schlechte Einigung. – Darüber sind wir uns einig.
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Für diese Linie werden wir auch in Glasgow ganz deutlich stehen und eintreten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht sind wir in Madrid nicht in allen Punkten weitergekommen; aber die Fahrt in die richtige Richtung haben wir aufgenommen. Denn in der politischen Schlussentscheidung auf der Klimakonferenz haben sich alle Staaten des Pariser Klimaabkommens auf etwas wirklich Entscheidendes geeinigt. Sie rufen nämlich dazu auf, nächstes Jahr höhere Klimaschutzzusagen zu machen – mehr als angekündigt und auch mehr, als im Pariser Klimaabkommen steht; denn dort geht es erst ab 2025 los.
Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal. Es ist zentral; denn es zeigt, dass wir alle Versuche, das Pariser Klimaabkommen aufzuweichen – da waren doch einige gut am Werk –, verhindert haben, und es zeigt, dass sich die Bremser und Klimaleugner nicht durchgesetzt und auch nicht den Takt angegeben haben. Ich glaube, das ist in diesen Zeiten durchaus ein Erfolg.
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Meine Damen und Herren, ein anderer wichtiger Punkt ist, wie die Europäische Union in Madrid vorgegangen ist, was sie gezeigt hat und was sie auf den Tisch gelegt hat. Letzte Woche hat der Europäische Rat beschlossen, dass die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Das ist ein wichtiges Signal, und es war ein richtiges Signal zur richtigen Zeit. Mit dem European Green Deal liegt ein umfassendes Paket für Umwelt- und Klimaschutz auf dem Tisch. Damit können wir in der EU die Weichen für Klimaneutralität 2050 stellen. Wir als Bundesumweltministerium unterstützen diese Vorschläge. Ich kann nur sagen: Für diese Weichenstellung der EU gab es dann auch in Madrid viel Anerkennung.
Mit dem European Green Deal ist auch die feste Erwartung an andere große Volkswirtschaften – es sind durchaus auch andere angesprochen worden; ich nenne nur China – verbunden, ebenfalls ihre Anstrengungen zu erhöhen. Das hat den Verhandlungen in Madrid einen guten Schwung, ein gutes Momentum mitgegeben.
Die Glaubwürdigkeit der EU-Klimaschutzanstrengungen war auch in vielen Gesprächen mit anderen Vertragsstaaten des Pariser Klimaabkommens spürbar. Dieser Austausch wird in Zukunft ein wichtiger Bestandteil bei den Klimakonferenzen sein. Denn wir müssen von dem reinen Verhandlungsmodus jetzt in einen Umsetzungsmodus kommen; die Zeit läuft uns sonst davon. Wir müssen das jetzt umsetzen. Das entspricht auch dem Geist des Pariser Abkommens: Wir lernen voneinander und unterstützen uns gegenseitig beim Klimaschutz. Genau das macht die Bundesregierung ganz konkret, indem sie ihre Partner beim Klimaschutz unterstützt. Um nur einige Beispiele zu nennen:
Wir haben den deutschen Beitrag zum Grünen Klimafonds, dem Green Climate Fund, auf 1,5 Milliarden Euro verdoppelt – das wurde auch registriert –, und wir haben die Mittel für den internationalen Klimaschutz im Haushalt 2020 noch mal kräftig erhöht. Wir werden damit auch die Zusage einhalten, die Mittel für die internationale Klimafinanzierung von 2014 bis 2020 auf 4 Milliarden Euro zu verdoppeln. Das ist eine Hausnummer; das ist ein Wort.
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Wir haben auch da unsere Zusagen eingehalten.
Wir als Bundesumweltministerium sind außerdem der größte Geber des internationalen Fonds für Entwicklungsländer zur Anpassung an den Klimawandel. In Madrid haben wir noch mal einen Beitrag von 30 Millionen Euro in den Fonds gegeben. Gerade bei der Diskussion um Loss and Damage war das ein Signal, zu zeigen, dass wir klarsehen: Da müssen wir was auf den Weg bringen.
Außerdem startet das Bundesumweltministerium ein internationales Power-to-X-Sekretariat. Das Sekretariat soll dabei helfen, die Klimaschutzpotenziale von strombasierten Kraft- und Brennstoffen darzustellen, damit PtX auch international einen wichtigen Beitrag liefern kann. Ich glaube, das sind gute Synergieeffekte, die wir gemeinsam nutzen können.
Jetzt gestatten Sie mir ein Wort zur Energiewende. Es ist jetzt fast 20 Jahre her – man kann es ein bisschen runden –, dass wir das EEG beschlossen haben und in die Energiewende eingestiegen sind. Allen Unkenrufen zum Trotz sind wir wahrscheinlich vor allem deswegen in Europa eine so erfolgreiche Industrienation. Das muss man noch einmal deutlich sagen und in den Vordergrund stellen.
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Das motiviert auch andere Staaten nicht nur in Europa, sondern weltweit, sich auf diesen Weg zu machen.
Ich will auch noch einmal sagen – das Fest der Nächstenliebe steht bevor; wir gehen auf Weihnachten zu –: Ich finde es schon ziemlich seltsam, dass Gläubige von einem Redner heute derart verhöhnt werden. Das ist der Sache unwürdig, und das ist auch des Hohen Hauses unwürdig.
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Ich bin Christin und fühle mich wirklich betroffen.
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Es geht nicht, dass man hier im Hohen Haus mithilfe von Zitaten von Henryk M. Broder – er mag glauben, was er will; das ist mir lang wie breit – andere Menschen derart unwürdig behandelt und verhöhnt.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, kommen wir noch mal zu etwas Positivem; das Negative legen wir jetzt mal rechts außen ab. Das Positive ist, dass das Klimaschutzgesetz gestern in Kraft getreten ist. Jetzt haben wir sektorale, jahresscharfe Klimaschutzziele, und wir haben die Klimaneutralität 2050 festgelegt. Ich glaube, das ist wirklich etwas Einmaliges. Dazu kommt, dass wir jetzt Einigkeit erzielt haben; das ist das Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Auch das zeigt noch einmal: Wir schaffen das. Herr Jung, ich bin auch froh, dass Sie von Ihrer Aussage abgerückt sind – Sie haben noch im September gefordert, die Obergrenze für den CO2-Preis auf 180 Euro pro Tonne anzuheben –, dass wir gemeinsam jetzt bei einem Kompromiss gelandet sind, dass wir jetzt ein Paket haben, das sozial ausgewogen ist, aber auch den Klimaschutz in die richtige Richtung vorantreibt.
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Es ist uns auch wichtig, dass wir Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam im 21. Jahrhundert zukunftsfähig aufstellen. Wir müssen den Umbau so gestalten, dass wir alle mitnehmen und unsere industrielle Basis und unseren Wohlstand erhalten.
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Wir wollen die Zukunft der Mobilität jetzt anpacken. Wir wollen Wohnen bezahlbar machen und treibhausgasneutral ausgestalten,
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und wir unterstützen die Städte und Gemeinden dabei, damit die Folgen des Klimawandels für sie beherrschbar bleiben.
Und schließlich müssen wir die Energiewende auf allen Ebenen vorantrieben. Da gilt es, so schnell wie möglich das Kohleausstiegsgesetz und das Strukturstärkungsgesetz auf den Weg zu bringen und natürlich auch zu ermöglichen, dass wir bei den erneuerbaren Energien das 65-Prozent-Ziel tatsächlich erreichen.
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Zur Rückkehr zur Atomkraft sage ich nur einen Satz: Wenn wir hier über Generationen und über Verantwortung reden, dann sollten wir vielleicht auch mal bis zum Ende denken. Ich möchte noch einmal betonen: Was machen wir eigentlich mit dem ganzen Atommüll?
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Das ist Verantwortung für 1 Million Jahre, die wir den nächsten Generationen aufbürden. Ich finde es anmaßend, solche Überlegungen überhaupt noch anzustellen.
Klimaschutz und der Umbau unserer Gesellschaft hin zur Treibhausgasneutralität gelingen nicht im Sprint, sondern im Langstreckenlauf. Es ist wichtig, dass wir hier klimapolitisch und gesellschaftlich Hand in Hand vorangehen und dabei auch nachhaltige Arbeitsplätze schaffen. Ja, Demokratie ist anstrengend, und demokratische Prozesse dauern manchmal lange und sind mühsam, aber am Ende des Tages lohnen sie sich, weil sie niemanden zurücklassen, insbesondere nicht diejenigen – das ist mir wichtig –, die am meisten auf einen handlungsfähigen Staat angewiesen sind.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich noch einmal ganz herzlich bei der deutschen Delegation, insbesondere bei den Abgeordneten. Ich hoffe – das Fest des Friedens steht bevor –, dass wir mit dem Klimaschutzgesetz und dem im Vermittlungsausschuss erzielten Kompromiss zum Klimapaket im nächsten Jahr in Richtung Klimaneutralität starten können.
Herzlichen Dank.
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Der nächste Redner ist der Kollege Karsten Möring, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss anschließen an das, was die Kollegin Schwarzelühr-Sutter eben gesagt hat, Stichwort „Kirchentag“. Von der AfD hören wir ständig dieselben Reden – von Argumenten kann man nicht reden –,
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dieselben Aussagen. Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie die Beweise zum Klimawandel, die von vielen Wissenschaftlern vorgelegt wurden, nicht akzeptieren können,
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dann will ich Sie schlicht daran erinnern: Machen Sie Ihre Augen auf,
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und gucken Sie mal, wie die Temperaturentwicklung in den letzten Jahren gewesen ist. Machen Sie Ihre Augen auf, und gucken Sie mal, wie sich die Eisbedeckung in den Gletschergebieten und auf Grönland entwickelt hat.
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Schauen Sie da mal hin! Wenn Sie schon nichts über die Gründe wissen wollen, dann befassen Sie sich wenigstens mal mit dem, was man sehen kann!
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Dann müssen Sie auch nicht mehr auf Glaubenssätze zurückgreifen. Mit dieser Art schließen Sie sich aus einer normalen Diskussion aus. Sie demonstrieren damit schlichtweg Ihre Ignoranz.
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Und wenn ich die Elogen höre, die Sie heute hier abgeliefert haben, muss ich sagen: Man kann sich auch besoffen reden.
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Ich frage mich manchmal, ob die Farbe Blau, die Sie gewählt haben, vielleicht noch eine andere Bedeutung hat.
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zum Thema „Klimakonferenz von Madrid“. Die Klimakonferenz von Madrid war durchaus erfolgreich, wenn auch nicht in allen Bereichen. Sie war erfolgreich, alleine weil sie demonstriert hat, dass über 190 Länder der Welt in dieselbe Richtung marschieren
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und mit vergleichbarem Tempo und mit vergleichbaren Vorstellungen über die Frage diskutieren, wie man Regeln entwickeln kann, um dem Klimawandel zu begegnen.
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Wir wissen, dass wir in der aktuellen Situation, so wie sie jetzt ist, nicht genug gemacht haben, sondern dass wir eher auf dem Weg zu einem 3-Grad-Ziel sind.
Was erfreulich ist und mich besonders überrascht hat: Die Amerikaner waren nur mit einer Delegation in einem Büro da, das von allen Seiten zu war; da kam man auch nicht rein. Aber es gab einen großen Stand von Bundesstaaten, von Städten, von Universitäten, von Nichtregierungsorganisationen, die mit einem Motto auf dieser Konferenz vertreten waren, und dieses Motto lautete: „We are still in“ – wir sind noch dabei. Denn es ist nur das halbe Amerika, das sich aus der Klimapolitik, aus der Diskussion um den Klimawandel heraushalten will. Die andere Hälfte bleibt dabei. Und ob mit oder ohne den nächsten Präsidenten: Langfristig – wir reden über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten, in dem wir ein Ziel erreichen wollen – wird sich in den USA wieder etwas tun und – ich bin sicher – auch in den anderen Staaten, die sich jetzt so massiv gegen neue Entwicklungen richten.
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Einer der Leitsätze in Madrid hieß: „Just Transition“. Ich übersetze das mit „gerechte Transformation“. Zu einer gerechten Transformation gehört in der Tat, zu schauen: Welche Folgen hat das, was wir an Maßnahmen ergreifen? Zu den Maßnahmen gehören Dinge, die wir auf der Konferenz in Madrid verhandelt haben; ich will das nicht wiederholen. Da geht es um den Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, der sicher sehr wichtig ist, und andere Dinge mehr. Und es geht darum, dass wir bei den ambitionierteren Klimazielen innerhalb der EU, die wir jetzt im Rahmen der Konferenz in Madrid auf den Weg gebracht haben, auch mit der Überschrift „Just Transition“ arbeiten. Es geht nicht nur darum, dass wir die Ziele erhöhen. Es geht nicht nur darum, dass wir Einstiegspreise für CO2 erhöhen.
Lieber Kollege Miersch, nur eine Bemerkung. Es gibt einen Leitsatz bei marktwirtschaftlichen Instrumenten wie Preiswirkung als Lenkungswirkung. Sie argumentieren: Die Reichen können sich das leisten, und die sozial Schwächeren sollen es ausbaden. – Logisch weitergedacht hieße das, die Reichen können weiter die Umwelt verschmutzen, bloß weil sie es sich leisten können.
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– Ja, es ist gut. Den Satz unterschreibe ich: Wir haben nicht nur den Markt. – Wenn wir unser Maßnahmenbündel anschauen, sehen wir: Es sind viele verschiedene Maßnahmen;
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aber ich bleibe dabei, dass die Frage des CO2-Preises in seiner Lenkungswirkung von elementarer Bedeutung ist.
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Ich bin etwas skeptisch, wenn es darum geht, dass wir die Sektoren zu einem Marktpreis zusammenfassen; denn wir wissen, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis sich die Kosten für die Vermeidung von CO2 im Verkehr,
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bei der Heizung, in der Industrie und in der Energieerzeugung so annähern, dass man sich das erlauben kann.
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Sonst entstehen nämlich massive Brüche in dem System; das sollten wir uns nicht erlauben. Das wäre alles andere als Just Transition.
Wir müssen mit allen Möglichkeiten arbeiten. Wir brauchen auch technologische Entwicklung. Wir brauchen nicht nur Einschränkungen, wir brauchen nicht nur die Förderung von Elektromobilität, wir brauchen alles.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich will schlichtweg sagen: Wir sollten bei all den Maßnahmen – auch bei der Pendlerpauschale – nicht vergessen, dass wir im ländlichen Raum noch mehr Probleme haben, was Mobilität und Heizung angeht. Wir müssen beim Thema „gleichwertige Lebensverhältnisse“ noch einiges tun. Das müssen wir zusammendenken. Vielleicht können wir alle, auch die Kollegen von der AfD, über Weihnachten mit etwas Besinnung darüber nachdenken.
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Der nächste Redner ist der Kollege Mario Mieruch.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch nie musste eine Klimakonferenz so in die Verlängerung, wie es gerade bei COP 25 der Fall war, und noch nie wurde deutlicher, dass uns kein weiteres Land auf der Welt auf unserem Weg folgen wird. Das heißt natürlich nicht, dass andere Industrieländer nichts täten und damit auch nicht erfolgreich wären; sie packen die Dinge eben nur mit Vernunft und Ratio anstatt mit Panik.
Auch der EU Green Deal ist eine große Luftnummer, dessen Unsinnigkeit nun damit kaschiert wird, dass den skeptischen und unwilligen Staaten gigantische Unsummen an Fördermitteln versprochen werden, damit diese beginnen, ihre Energieversorgung umzubauen; Fördermittel, die zum großen Teil Sie aufbringen werden als deutsche Steuerzahler oder die deutsche Automobilindustrie über Strafzahlungen an die EU. Denn Frau von der Leyen bringt die Billion, mit der sie schon wedelte, bevor die Kommission überhaupt stand, nicht selber mit. Das ist Ihre Billion; Sie werden das alles bezahlen. Jeder, der von der Leyens politischen Werdegang kennt, wird heute schon froh sein, wenn sich die tatsächlichen Kosten am Ende nur einstellig multiplizieren. Die Akten über die Berater sind bestimmt auch wieder geschwärzt.
Nachdem diese beiden Konferenzen nun eher suboptimal für die deutsche Klimalobby gelaufen sind, geht es hierzulande aber plötzlich ganz schnell. Zack ist das Klimapaket da, der CO2-Einstiegspreis verdoppelt sich usw. usf. Es ist aber auch heute schon nicht schwer, die Mehrkosten den Einsparungen bei Pendlerpauschale und Strompreis gegenüberzustellen und zu schauen, was bei Ihnen am Ende unterm Strich in der Tasche wirklich übrig bleibt. Denn die Aussagen, die Pendler zu entlasten, sind ziemlich hinterhältige Fake News.
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Zwei Drittel aller Arbeitnehmer haben heute nämlich einen Arbeitsweg von weniger als 20 Kilometern, und sie werden richtig draufzahlen. Da auch alle anderen Kosten beim Endkunden landen, wird jeder Haushalt am Ende mit mehreren Hundert Euro zusätzlich im Jahr zur Kasse gebeten. Und weil es so schön passt: Vorhin hatte ich in meinem E-Mail-Eingang eine Nachricht meines Gasanbieters. Er erhöht die Preise zum Jahreswechsel um 20 Prozent.
Vor 20 Jahren wurde die Ökosteuer unter den gleichen Aspekten eingeführt. Das heißt, ab sofort zahlen Sie nicht nur doppelt für das Gleiche, nein, unser tolles Bundesumweltministerium beauftragt für seine heutigen Studien auch wieder die gleichen Amigos wie damals. Sie wundern sich? Dann hören Sie kurz gut zu: Vor 20 Jahren hieß das FÖS noch Förderverein Ökologische Steuerreform. Nach der Einführung der Ökosteuer nannte er sich um in Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft; so heißt es heute noch. Es wurde just wieder mit einer Studie beauftragt, den CO2-Preis sozial gerecht zu gestalten. Das Witzige ist: Der Chef dieser unabhängigen Organisation ist Angestellter im Bundesumweltministerium. Einfach klasse! Und in dessen Beirat sitzen dann Vertreter von den Grünen, auch von der Union und vom Club of Rome, der uns schon seit 50 Jahren den Weltuntergang herbeipredigt.
Meine Damen und Herren auf den Tribünen, Sie haben den Eindruck, mit dem Klimapaket im großen Stil verschaukelt zu werden? Stimmt! Frohe Weihnachten!
Der Kollege Lothar Binding hat als Nächstes das Wort für die SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Olaf Scholz hat heute die internationale Dimension erschlossen und gesagt: Wir müssen unsere Politik da einbetten, damit es funktioniert. Matthias Miersch hat die ökologische und soziale Dimension erschlossen. Bei Saskia Esken ging es um die soziale und ökologische Dimension. Rita Schwarzelühr-Sutter hat die NDC-Ziele formuliert
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und auf Glasgow und die Ziele verwiesen, die noch zu erreichen sind.
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Alle Kollegen haben sich bemüht, zur Sache zu sprechen.
Vielleicht einen Satz zu Madrid, da wir das noch nicht gehört haben: Svenja Schulze hat uns dort vertreten, Frau Wilke hat uns dort vertreten, und Klaus Mindrup hat uns dort die ganze Zeit vertreten. Diesen Dreien verdanken wir, dass dort viele wichtige, gute Ziele erreicht wurden.
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Ich finde, das darf man sagen.
Der Kollege von der AfD – das möchte ich den Zuhörern von der AfD sagen – hat in einer einzigen Rede die Glaubensgemeinschaften in Deutschland beleidigt und diskriminiert, er hat die jungen Leute der Klimabewegung beleidigt und diskriminiert. Ich sage das nur, weil Sie nur die letzten zehn Sekunden der Rede von Rita Schwarzelühr-Sutter gehört haben. Sie haben den Bundestag beleidigt und diskriminiert, und Sie haben eine Kollegin persönlich beleidigt und diskriminiert. Das möchte ich in aller Form von uns weisen.
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Es mag sein, dass Sie glauben, in den neuen Medien würde das besonders gut ankommen. Ihnen ist keine Beleidigung zu schade. Ich glaube, dass Sie uns alle in den Abgrund reißen, wenn Sie so weitermachen.
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Erhard Eppler hat gesagt:
Wahrscheinlich hat man keine Zeit, aber man muss so überlegt handeln, als habe man sie doch.
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Das hat er vor vielen Jahren gesagt, weil damals schon die Zeit knapp war. Wir müssen uns nicht wundern, dass die jungen Leute in Panik geraten. Sie sehen: Die Alten machen nicht genug, und deshalb gibt es diesen enormen Druck von der Straße. Ich bin dankbar dafür; deshalb hat sich jetzt auch hier etwas bewegt in Richtung große sozialökologische Transformation.
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Ich will etwas zu CO2 sagen. Es ist ja eigentlich ein sauberes, schönes, farbloses Gas, man braucht es auch für den Kohlenstoffzyklus. Wer den Klimawandel leugnet, muss einfach nur schauen, wie hoch der Anteil von CO2 in der Luft ist.
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Bis zur Industrialisierung lag der Wert weit unter 300 ppm, heute liegt er weit über 400 ppm. Wir wissen, das führt zum Treibhauseffekt und zur globalen Erwärmung.
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Wenn jemand behauptet, die Polkappen schmelzten nicht ab, in der Arktis ändere sich nichts, in der Antarktis sei alles beim Alten, der Meeresspiegel steige nicht, es gebe keine heißen Sommer, es gebe keine Wirbelstürme und die Erwärmung der Permafrostgebiete gebe es auch nicht, und sagt, das seien Fake News, dann weiß ich genau, wo derjenige angekommen ist.
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Die Lösung liegt in unserem Gesetz, nämlich in der Sonne. Jetzt kommen wir zu diesem Gesetz; denn dieses Gesetz sieht vor, die fossilen Brennstoffe teurer zu machen und die Sonnenenergie billig. So einfach ist das.
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Die reichen Leute haben damit überhaupt kein Problem, sie können sich alles leisten. Deshalb ist das Gesetz, das Olaf Scholz vorgelegt hat, so klug; denn er sagt: Wir müssen aufpassen, dass wir auf der Zeitachse den Anstieg der Kosten für fossile Brennstoffe und die Senkung der Preise für Sonnenenergie so justieren, dass es sozialverträglich ist,
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dass es sich auch die Armen leisten können.
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Es gibt auch Rentnerinnen und Rentner, an die wir denken müssen, an Menschen mit geringen Einkommen, an Menschen, die vom Mindestlohn leben müssen. Sie brauchen natürlich Unterstützung in diesem Prozess.
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Der Umstieg ist extrem teuer. Man muss sagen: Das wird alle etwas kosten. Wir können nicht sagen: Es kostet nichts. Es kostet was. Die Frage ist nur, wer bezahlt was und wie viel. Deswegen ist der Pfad, zu sagen: „Wir heben die Pendlerpauschale an, wir führen die Mobilitätsprämie für diejenigen ein, die von der Pendlerpauschale nicht profitieren, wir senken die EEG-Umlage“, ein guter Einstieg, um genau diese soziale Abfederung zu erreichen, die an anderen Stellen durch Steigerung der Preise infolge der CO2-Bepreisung notwendig ist. Insofern ist völlig klar: Das ist ein sehr ausgewogenes Konzept.
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Die Grünen haben an einer Stelle recht: Die Pendlerpauschale ist a priori böse.
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Sie fördert die Zersiedelung, die Menschen werden motiviert, ins Auto zu steigen. Das Dumme ist nur: Manche müssen in das Auto steigen, weil sie keine Alternative haben. Immerhin ist es doch gelungen, zu sagen: Wir befristen das Gesamtsystem, schauen nach, ob es das Problem löst, und fragen: Was haben wir bis dahin erreicht? Dass wir für die Preissteigerung einen Endpunkt festsetzen und auch die Entwicklung im Bereich der Solartechnik vorantreiben, ist eine kluge Sache.
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An dem Verhältnis dieser beiden zueinander sehen wir, dass die sozialökologische Transformation sozial und ökologisch ist.
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Vielen Dank, Herr Kollege Binding. – Die Aktuelle Stunde ist damit beendet, und wir setzen die Tagesordnung fort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland leben in Mietwohnungen. Der Mietwohnungsmarkt in Deutschland hat sich in den letzten zehn Jahren stark verändert. In den Ballungsräumen führte die anhaltend hohe Nachfrage nach Mietwohnungen zu einem extrem hohen Anstieg der Angebotsmieten. Dies gilt auch für meinen Frankfurter Wahlkreis, aber natürlich auch für Städte wie München, Hamburg, Berlin oder Köln.
Seit 2013 arbeiten wir in der Großen Koalition daran, Mieterinnen und Mieter vor überhöhten Mieten zu schützen. Wir müssen und wollen bis 2030 die SDGs, die Nachhaltigkeitsziele, erreichen. Dazu gehört auch das Ziel, alle Menschen mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen.
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Allein in dieser Woche liegen drei Gesetzentwürfe vor, die dafür sorgen, dass Wohnraum bezahlbar bleibt und die Mieterinnen und Mieter mehr Rechte bekommen. Mit dem heutigen Gesetzentwurf wird der Betrachtungszeitraum bei der Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete von vier auf sechs Jahre ausgeweitet. Wir wollen damit einen gedämpften Anstieg bei der ortsüblichen Vergleichsmiete erreichen. Diese ist als Stellschraube sehr wichtig. Sie dient zum Beispiel als Maßstab für Mieterhöhungen bei Bestandsmieten.
Die ortsübliche Vergleichsmiete ist auch Maßstab für die Mietpreisbremse, die wir bis 2025 verlängern und verschärfen. Großartig finde ich, dass künftig Mieterinnen und Mieter bis zu 30 Monate rückwirkend ihre zu viel gezahlte Miete zurückfordern können.
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Dies geht deutlich über das hinaus, was in unserer Koalitionsvereinbarung festgehalten war.
Die ortsübliche Vergleichsmiete ist auch Maßstab für Mietwucher. Der Bundesrat hat im November einen Gesetzentwurf zur Schärfung des § 5 Wirtschaftsstrafgesetz vorgelegt. Diesen müssen wir noch im Bundestag beraten.
Es ist davon auszugehen, dass es uns mit der Ausweitung des Betrachtungszeitraums gelingen wird, den Mietanstieg sowohl bei Bestandsmieten als auch bei Neuvermietungen einzudämmen. Der heutige Gesetzentwurf ist nur ein erster Schritt zur Reform des Mietspiegels.
Die Wohnraumoffensive sieht einen weiteren Gesetzentwurf vor, mit dem die Rechtssicherheit von qualifizierten Mietspiegeln durch gesetzliche Mindestvorgaben gestärkt werden soll. Mit dieser Reform soll dann auch der Bindungszeitraum von zwei Jahren auf drei Jahre ausgeweitet werden.
Klar ist aber auch, dass wir darüber hinaus mehr bezahlbaren Wohnraum brauchen. Die Große Koalition verfolgt daher das Ziel, in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen zu bauen.
Auf dem Wohngipfel haben wir ein Maßnahmenpaket beschlossen. Dies sieht investive Impulse für den Wohnungsbau vor, die die Bezahlbarkeit des Wohnens sichern und die Baukosten absenken wollen.
Wir haben inzwischen viel erreicht und an vielen Stellschrauben gedreht. 2015 haben wir das Bestellerprinzip bei der Mietwohnungsvermittlung eingeführt. Das Prinzip „Wer bestellt, der bezahlt“ funktioniert sehr gut. Etwa 1 Million Menschen profitieren jährlich davon. Wir konnten mit der Einführung dieses Prinzips den Mieterinnen und Mietern die Zahlung von jährlich rund 1 Milliarde Euro Provision ersparen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist großartig.
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Über die Grundgesetzänderung haben wir sichergestellt, dass der Bund weiterhin den sozialen Wohnungsbau fördert. Die Modernisierungsumlage haben wir abgesenkt und gedeckelt. Das Herausmodernisieren haben wir mit einem hohen Ordnungsgeld belegt. Die Menschen in meinem Frankfurter Wahlkreis waren dafür sehr dankbar. Für einige kam unser Gesetz genau zum richtigen Zeitpunkt.
Das Wohngeld wird zum 1. Januar 2020 steigen, und es ist uns gelungen, festzulegen, dass dies zukünftig alle zwei Jahre automatisch angepasst wird. Dies ist ein großer Erfolg; denn in der Vergangenheit mussten die Menschen zum Teil bis zu zehn Jahre auf eine Anpassung warten.
Wir halten also fest, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben in der Vergangenheit viel getan, um Mieterinnen und Mieter vor überhöhten Mietforderungen zu schützen. Weitere wichtige Verbesserungen der Großen Koalition für die Mieterinnen und Mieter stehen an. Für mich ist es eine große Ehre, daran mitwirken zu können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Nissen. – Der Kollege Jens Maier spricht für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der hier nun in zweiter und dritter Lesung beraten und verabschiedet werden soll, ist wie alle Maßnahmen, die die Bundesregierung bisher auf diesem Gebiet getroffen hat, nur eins: eine Mogelpackung, ein sozusagen vergiftetes Weihnachtsgeschenk.
Niemand will, dass die Mieter ständig in der Sorge leben müssen, sich ihre Wohnung nicht mehr leisten zu können. Keiner will Städte haben, in denen nur noch Singles leben, weil Familien sich ein Leben in der Stadt gar nicht mehr leisten können.
Begriffe wie Mietendeckel, Mietpreisbremse usw. sollen den Mietern nun diese Angst nehmen. Diese Begriffe sollen suggerieren: Ja, wir kümmern uns. Wir haben verstanden. Wir schaffen das. – Alles Quatsch.
Die Wahrheit ist, dass die Altparteien über Jahrzehnte eine völlig falsche Wohnraumpolitik betrieben haben, dass wir ein Baurecht haben, das man besser als Bauverhinderungsrecht beschreiben könnte,
({0})
dass immer mehr Auflagen und bürokratische Hürden die Baukosten ins Astronomische getrieben haben – und jetzt ja noch weiter –,
({1})
und dass die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum in den letzten Jahren in einem enormen Umfang gestiegen ist.
Ich kann nicht 2 Millionen Menschen ins Land lassen
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und dann kein Konzept haben, wie diese Menschen mit Wohnraum versorgt werden sollen.
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Man kann auch nicht immer so weitermachen, die Grenzen offen lassen und immer mehr, sozusagen Abertausende, weiter ins Land lassen. Wo sollen die untergebracht werden?
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Da hilft dann auch eine Mietpreisbremse nichts.
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Die von Ihnen auf den Weg gebrachten Maßnahmen werden überhaupt nichts bringen, weil man durch andere Buchstaben in dem Gesetz keine einzige Wohnung mehr herzaubern kann. Das Gesetzbuch ist kein Zauberbuch, und da sind wir beim eigentlichen Thema.
Hier geht es eigentlich mehr um Konservierung.
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Für die, die eine Wohnung haben, wird durch das Maßnahmenpaket eine gewisse Sicherheit erzeugt.
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Für die, die eine Wohnung suchen, wird sich das Ganze zunehmend fatal auswirken: Mietendeckelung, Mietpreisbremse usw. werden nämlich ein Ergebnis haben, und das hat es hier in Berlin bei den Wohnungsbaugenossenschaften schon: Die Investitionen in den Wohnungsbau werden zurückgehen, wohl auch die in die Sanierung von Wohnraum.
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Weitergedacht führt dies zu dem, was wir von den Verhältnissen aus der DDR kennen: Du findest keine Wohnung, und wenn du dann doch eine gefunden hast, dann hast du fließend Wasser, und zwar von den Wänden. Mangel und schlechte Qualität werden die Folgen sein.
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Den Vermieter zum Bösen zu erklären, ihn als Spekulanten unter Verdacht zu stellen, bedeutet in Wahrheit, den Vermieter zum Sündenbock für eine in der Vergangenheit völlig verfehlte Wohnraumpolitik zu machen.
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Hierdurch wird von den eigenen Fehlern abgelenkt und das Problem auf die Vermieterebene geschoben. Und dann tut man so, als ob man an den Mieter denken würde, und hofft, über diesen Weg die Mehrheit auf seiner Seite zu haben. Denn bekanntlich gibt es mehr Mieter als Vermieter. Und die, die das besonders trifft, sind die kleinen Vermieter, die den Löwenanteil der Vermieter in Deutschland darstellen. Das sind die, die ein, zwei Wohnungen haben und über die Vermietung beispielsweise ihre Altersvorsorge absichern wollen.
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Das ist einfach nur ein populistischer Trick.
Im vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung als ein Teil des Gesamtmaßnahmenpakets soll der Betrachtungszeitraum für die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete von vier auf sechs Jahre verlängert werden. Das ist im Grunde genommen nur eine Abkoppelung der Vergleichsmiete von der Marktmiete mit den sich daraus ergebenden negativen Folgen.
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Die Grünen wollen sogar noch eins draufsetzen und das auf 20 Jahre erhöhen. Das ist ja völliger Irrsinn.
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Das Einzige, was hier noch ganz gut ist, ist der Vorschlag der FDP, die nämlich eine Verbesserung der Datengrundlage wollen und dadurch die Aussagekraft von Mietpreisspiegeln erhöhen wollen. Das ist der einzige Weg, den ich für gangbar halte und der systemkonform ist.
Wir lehnen natürlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab.
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Gleichwohl wünsche ich Ihnen ein schönes Weihnachtsfest.
Danke.
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Der Kollege Alexander Hoffmann ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in den letzten Tagen und Wochen hier in diesem Haus sehr häufig über die Frage des bezahlbaren Wohnraums diskutiert. Ich möchte drei Gesichtspunkte einbringen, von denen ich glaube, dass sie uns in jeder Debatte darüber hilfreich sein könnten.
Zunächst einmal glaube ich, dass ich wirklich für alle Fraktionen spreche, wenn ich sage: „Uns allen ist es ein Anliegen, bezahlbaren Wohnraum in Deutschland zu schaffen und sicherzustellen“; denn wir alle haben erkannt, dass das die soziale Frage unserer Zeit ist. Aus meiner Sicht ist es zu einfach, den jeweils anderen diese Zielsetzung immer abzusprechen. Worin wir uns im Ergebnis natürlich unterscheiden, ist der Weg dorthin.
Die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum ist die soziale Frage unserer Zeit, und ich glaube schon, dass man in einer sozialen Marktwirtschaft Stellschrauben drehen kann. Grundsätzlich regelt es der Markt, aber wenn man merkt, dass der Markt es nicht regelt, dann ist es richtig, dass man sich das mit der sozialen Brille anguckt und die Ergebnisse reguliert und verändert.
Ich glaube, dass wir mit dieser Idee auch immer gut gefahren sind. Deswegen ist es richtig, dass wir die Mietpreisbremse auf den Weg gebracht, eine Kappungsgrenze, eine Kappung der Modernisierungsumlage beschlossen haben, und auch das, was wir heute hier einbringen und beschließen wollen, nämlich die Ausweitung des Betrachtungszeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete, ist sinnvoll.
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Ich glaube aber – damit komme ich zu meinem zweiten Gesichtspunkt –, dass wir in einer solchen Debatte immer auch feststellen sollten, dass wir bezahlbaren Wohnraum am Ende des Tages eben nicht nur mit Regulierungen werden schaffen können.
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Wir müssen uns in all diesen Debatten auch die Frage stellen: Wo ist eigentlich die Grenze? – Klar muss ein Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft sein, und es heißt eben „soziale Marktwirtschaft“ und nicht „marktwirtschaftlicher Sozialismus“ oder gar „Planwirtschaft“.
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– Ich sehe an Ihrem Gesichtsausdruck, dass ich da einen Nerv getroffen habe. – Deswegen ist das oberste Gebot – und ich glaube, auch die Überschrift, unter der wir diese Debatten führen müssen – immer, dass wir, wenn wir uns zur sozialen Marktwirtschaft bekennen, bezahlbaren Wohnraum nur dann werden schaffen können, wenn wir bauen, bauen, bauen,
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und dieses Bauen geht eben nicht nur mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus, sondern Sie brauchen auch private Investoren,
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große Investoren, die bereit sind, Geld in die Hand zu nehmen, um Wohnraum in Berlin zu schaffen.
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– Ich merke Ihre Emotionen schon.
Wir müssen uns damit beschäftigen, Anreize für Menschen zu schaffen, die bereit sind, in unseren Wohnungsmarkt zu investieren.
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Dabei dürfen wir keine Motivationskiller verwenden.
Versetzen Sie sich in diesen Tagen doch einmal in einen Investor, der bereit ist, 14 Millionen Euro in den Wohnungsbau zu investieren. Glauben Sie, dass der in diesen Tagen tatsächlich einen ernsthaften Anreiz verspürt, das in Berlin zu machen,
({7})
wo der Mietendeckel als Überschrift grassiert,
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wo die Kollegin Bayram erst gestern in einer Debatte von „Enteignung“ gesprochen hat?
Da wir bei Berlin sind: Ich bin der Auffassung, man sieht dort leider sehr schön, wie man es nicht machen sollte. Man muss sich eigentlich nur die Überschriften anschauen, die Sie im Moment mit dem Mietendeckel generieren.
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Herr Präsident, wenn Sie gestatten: Ich habe hier einen Artikel der „Berliner Morgenpost“ vom 11. Dezember 2019 dabei. Dort steht: „12 000 Neubauwohnungen würden wegfallen“.
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Ebenfalls in der „Berliner Morgenpost“ steht: „Mietendeckel: 5,5 Milliarden Euro weniger Investitionen“. – Meine Damen, meine Herren, Sie haben es hier schwarz auf weiß. Man sieht sehr schön, dass Sie dort auf dem Holzweg sind,
({11})
und ich kann Sie wirklich nur animieren, einen neuen Weg einzuschlagen.
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Ich möchte jetzt auf den dritten Gesichtspunkt zu sprechen kommen; denn – und das habe ich im Ausschuss schon gesagt – die Debatte krankt fast jedes Mal ein Stück weit daran, dass gerade die Grünen und die Linken mit einem erhobenen Zeigefinger in die Debatte gehen und immer den Eindruck erwecken: Wir wissen, wie es geht, ihr könnt es nicht.
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Da muss man einfach sagen: Zur Wahrheit gehört auch, dass Sie im ganzen Land keinen Ort mit einem Oberbürgermeister Ihrer Parteifarbe und kein Bundesland, in dem Sie regieren oder eine Regierungsbeteiligung haben, finden werden, von dem man sagen kann: Jawohl, dort werden die Herausforderungen um die angespannten Wohnungsmärkte effektiv und wirksam bewältigt.
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Wenn wir uns das im Einzelnen anschauen, dann muss man sagen, dass die Stadt Berlin im Bereich des sozialen Wohnungsbaus auch unter Ihrer Regierungsbeteiligung bis heute kläglich versagt. In Schleswig-Holstein sind die Grünen an der Regierung beteiligt. Dort schaffen Sie die Mietpreisbremse ab, und die linke Bauministerin in Thüringen hat man zur Mietpreisbremse tragen müssen.
Ich will da überhaupt kein Öl ins Feuer gießen, aber ich glaube, uns täte bei diesen Debatten ein Stück weit Selbstkritik und ein Stück weit Gemeinsinn gut. Es ist nicht gut, wenn man immer die Schuld auf andere schiebt. Ich glaube, dass wir hier in Berlin durchaus an den richtigen Schrauben drehen, aber lassen Sie uns die Privatinvestoren nicht aus dem Blick verlieren. So, wie Sie das machen wollen, machen Sie den Markt kaputt.
Deswegen: Stimmen Sie zu!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die FDP-Fraktion hat das Wort als Nächstes die Kollegin Katharina Willkomm.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Zweck der Vergleichsmiete ist eine Orientierung im Mietmarkt. Sie aber klempnern sich daraus eine zusätzliche Mietpreisbremse.
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Sie erreichen damit nur, dass sich der Mietspiegel von der tatsächlichen Marktmiete entkoppelt. Dies wird dazu führen, dass Vermieter bei Neuvermietungen die Plus-10-Prozent-Spanne voll ausreizen, um nicht unter Wert zu vermieten. Der Mietspiegel wird so an Akzeptanz verlieren.
Der eigentliche Zweck der Vergleichsmiete ist, bestmöglich die reale Marktmiete darzustellen, damit der Mieter und der Vermieter auf Augenhöhe miteinander verhandeln können; denn der Mietspiegel erlaubt, ein Mietangebot mit den tatsächlich gezahlten Mieten in einer Region zu vergleichen. Ein guter Mietspiegel ist der beste Schutz der Mieter vor überzogenen Mietforderungen und Garant für einen fairen Wohnungsmarkt.
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Also: Manipulieren Sie den Mietspiegel nicht! Machen Sie ihn besser!
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Setzen Sie ihn mit uns Freien Demokraten auf eine neue Grundlage!
Was wollen wir verbessern?
Erstens. Heute basiert der Mietspiegel auf wenigen, freiwilligen Angaben. In Berlin stützt sich der Mietspiegel auf eine Stichprobe von gerade einmal 3 000 Wohnungen.
Zweitens. Es ist sehr teuer, einen Mietspiegel wissenschaftlich zu erstellen. Deshalb begnügen sich viele kleine, ärmere Gemeinden mit einfachen Mietspiegeln, die vor Gericht wenig Beweiskraft haben, oder sie verzichten ganz darauf.
Unser Antrag setzt bei der Datenbasis an. Dafür muss der Vermieter ein paar zusätzliche Angaben bei der Steuer machen, jedenfalls dann, wenn eine Gemeinde beschlossen hat, einen Mietspiegel zu erstellen.
Bei seiner jährlichen Steuererklärung muss der Vermieter ohnehin Einkünfte aus der Vermietung angeben. Falls er neu vermietet oder eine Bestandsmiete ändert, muss er künftig einige weitere, wesentliche Merkmale der Wohnung, wie Lage oder Baujahr, angeben. Weil das Ganze der Verbesserung des Mietspiegels dienen soll, machen wir eine Ausnahme für Wohnungen, die per Definition des BBSR nicht in den Mietspiegel einbezogen werden sollten.
Das lokale Finanzamt anonymisiert diese Daten und leitet sie für das jeweils letzte Kalenderjahr an die Gemeinde weiter, wo die Wohnung liegt. Rückschlüsse auf konkrete Mietverträge schließen wir aus. Im Ergebnis kann dann jede Gemeinde ganz simpel einen tabellarischen Mietspiegel erstellen.
Unser Vorschlag nutzt Mietern und Vermietern; denn er verbessert die Aussagekraft, ermöglicht allen Gemeinden kostengünstige Mietspiegel, macht aus jedem Mietspiegel einen qualifizierten Mietspiegel und entlastet am Ende sogar die Gerichte.
Vielen Dank.
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Für Die Linke hat das Wort die Kollegin Caren Lay.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mieten steigen fast viermal so stark wie die Löhne, und zwar im Schnitt, das heißt, in den Städten sieht die Entwicklung noch wesentlich schlimmer aus. Das, meine Damen und Herren, hat doch mit einer sozialen Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun,
({0})
das ist eine faktische Lohnkürzung, das ist Ausbeutung der Mieterinnen und Mieter.
({1})
Und nicht nur die Preise für Neumietverträge steigen, sondern auch die der bestehenden Mietverhältnisse. Schuld ist der Mietspiegel, der in seiner jetzigen Form ein Mieterhöhungsspiegel ist. Denn in seine Berechnung fließen immer nur die Mietverträge der letzten vier Jahre ein. Aber seit zehn Jahren explodieren die Mieten ja in den meisten Städten. Das heißt, nach und nach werden auch die Preise für Bestandsmieten immer weiter angezogen. Diese Preisspirale nach oben müssen wir endlich stoppen.
({2})
Angesichts dieser großen Herausforderung ist der vorgelegte Gesetzentwurf der Regierung nicht mehr als ein schlechter Witz. Sie wollen nicht mehr nur die Mietverträge der letzten vier Jahre, sondern die der letzten sechs Jahre in die Berechnung einfließen lassen. Das wird angesichts der Mietenexplosion, die seit zehn Jahren anhält, wirklich nichts bringen. Der Mietspiegel ist und bleibt auch in der neuen Form ein Mieterhöhungsspiegel.
({3})
Wir als Linke sagen: Wenn wir die Mieten tatsächlich dämpfen wollen, dann müssen nicht nur die letzten vier Jahre oder die letzten sechs Jahre in die Berechnung des Mietspiegels einfließen, dann müssen endlich alle Mieten in die Berechnung des Mietspiegels einfließen. Nur so können wir den Anstieg der Mieten dämpfen.
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Was ich schade finde: Die Koalition löst noch nicht einmal ihre kleinen Versprechen ein. Sie haben im Koalitionsvertrag noch gesagt, Sie wollen die Gültigkeit des Mietspiegels von bisher zwei Jahre auf drei Jahre verlängern.
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Das wäre auch gut gewesen. Auch das müsste passieren.
Das andere ist, dass Sie auch gesetzliche Mindeststandards versprochen haben für qualifizierte Mietspiegel. Auch diese brauchen wir. Denn immer wieder werden die Mietspiegel von der Vermieterseite angegriffen, und das mit Erfolg. Hier brauchen wir Rechtssicherheit. Auch in dieser Hinsicht ist der Gesetzentwurf eine vertane Chance für Mieterinnen und Mieter.
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Unser Vorschlag als Linke lautet: Am allerbesten wäre ein fünfjähriger Mietenerhöhungsstopp.
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Mieterinnen und Mieter haben sich nach den massiven Mietenexplosionen der letzten Jahre eine Atempause verdient.
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Eines können wir also festhalten, meine Damen und Herren: Mit diesem Gesetzentwurf wird die Mietenexplosion nicht gestoppt werden.
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Die Preisentwicklung bei den Mieten wird mit diesem Gesetzentwurf weder umfassend noch abschließend geregelt. Auch deswegen bin ich froh, dass Die Linke in Berlin den Mut hat, Nägel mit Köpfen zu machen, den Mut hat, gegen den massiven Widerstand der Immobilienlobby einen Mietendeckel einzubringen. Wir brauchen einen Mietendeckel.
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An diesem Mut, an dieser Verantwortung könnte sich die Koalition im Bundestag endlich einmal ein Beispiel nehmen.
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Für Bündnis 90/Grüne hat das Wort der Herr Kollege Christian Kühn.
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Danke. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Hoffmann, dieses Blame Game mit den Ländern,
({0})
ich weiß nicht, wie das den anderen Kollegen hier im Haus geht, aber dieses Blame Game mit den Ländern – dass dem einen das eine Bundesland und dem anderen das andere Bundesland vorgeworfen wird –, das ist doch wirklich langweilig. Wir sollten darüber reden, was wir hier beschließen und was wir für die Menschen im Land tun können.
({1})
Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft. Angesichts von 678 000 Menschen ohne Wohnung in diesem Land kann man, glaube ich, sagen, dass diese Marktwirtschaft dort nicht funktioniert. Wenn wir eine soziale Marktwirtschaft wollen, müssen wir die Leitplanken angesichts dieser Zahl deutlich neu justieren.
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10 Prozent der Menschen in Deutschland, die keine Wohnung mehr haben, die bei einem Freund auf der Couch übernachten,
({3})
die irgendwo vor einer großen Stadt auf einem Campingplatz in einem Wohnwagen wohnen, haben einen Job. Diese Menschen erwarten von uns, dass wir sie nicht alleinlassen in ihrer sozialen Not, einen Job zu haben und trotzdem keine Wohnung zu haben. Wir vermitteln ihnen gerade, dass sie nicht dazugehören. Ich glaube, das ist sozialer und demokratischer Sprengstoff.
({4})
Deswegen müssen wir die Wohnungsfrage dringend lösen.
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Sie haben recht: Wir sollten einmal über Instrumente reden. Sie haben vollkommen recht, Herr Hoffmann: Instrumente sind wichtig.
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Das Instrument, über das wir heute reden, ist der Mietspiegel. Sie gestalten dieses Instrument angesichts der Notlage dieser Menschen und angesichts der Mietenexplosion in den Städten aber nicht, indem Sie sagen: Wir nehmen den Mietspiegel und wollen damit die Mieten absenken. – Das ist nicht Ihr Ziel. Stattdessen haben Sie irgendwie in der GroKo einen Kompromiss geschlossen. Die SPD hatte auf ihrem Parteitag beschlossen, dass der Mietspiegel auf acht Jahre ausgestaltet werden soll. Heute sollen sechs Jahre beschlossen werden.
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Damit werden Sie den Anstieg der Mieten in Deutschland nicht bremsen, und das ist ein Riesenproblem.
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Sie machen beim Mietrecht zwar im Wochenrhythmus Reformen. Das zentrale Problem ist aber, dass Sie die Kappungsgrenze nicht anfassen. Wir haben ja nicht nur das Problem, dass wir nicht genügend Neubau haben – vor allem nicht genügend bezahlbaren Neubau –,
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sondern wir haben auch das zentrale Problem, dass die Bestandsmieten in Deutschland massiv steigen.
({10})
Dies ist deswegen so, weil das Niveau im Mietspiegel schon sehr hoch ist
({11})
und weil die Kappungsgrenze nicht abgesenkt wird. Deswegen ziehen die teuren Neuvertragsmieten der letzten Jahre die Bestandsmieten mit nach oben. Wenn wir diesen Mechanismus abbremsen wollen, dann brauchen wir einen Mietspiegel, der einen deutlich längeren Betrachtungszeitraum hat. Wir müssen endlich die Kappungsgrenze absenken.
({12})
Dass Sie das nicht machen, dass Sie dieses Instrument nicht anfassen, ist das zentrale Problem.
Weil Sie untätig sind, hat die Landesregierung in Berlin entschieden, einen Mietendeckel einzuführen.
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Deswegen tragen Sie eine immense Verantwortung für die Spaltung im Augenblick in unseren Städten.
Danke schön.
({14})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Johannes Fechner.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Viele Mieter in Deutschland haben in der Tat auf ihrem Weihnachtswunschzettel an die Politik stehen, dass wir mehr tun gegen den Mietenanstieg und mehr tun für bezahlbaren Wohnraum. In dieser Woche haben wir das mit vielen Gesetzentwürfen getan. Es war eine gute Woche für die Mieterinnen und Mieter.
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Wir haben die Mietpreisbremse um fünf Jahre verlängert. Wir haben gestern ein Gesetz in erster Lesung beraten, mit dem wir die Mietpreisbremse verschärfen – eine Überzahlung kann in den ersten 30 Monaten zurückgefordert werden –,
({1})
und wir haben, damit sich mehr junge Familien insbesondere ein Eigenheim leisten können, gestern die Maklergebühren halbiert.
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Das waren alles wichtige Maßnahmen, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dem dient auch dieser Gesetzentwurf, mit dem wir den Betrachtungszeitraum für die ortsübliche Vergleichsmiete in den Mietspiegeln von vier auf sechs Jahre erweitern.
Der Mietspiegel ist für Vermieter und Mieter gleichermaßen ein wichtiges Instrument, weil er die ortsübliche Vergleichsmiete abbildet, und das ist ja entscheidend für Mieterhöhungsverlangen des Vermieters. Wir verlängern jetzt den Betrachtungszeitraum auf sechs Jahre, also um zwei zusätzliche Jahre, und zwar zwei Jahre, in denen die Mieten niedriger waren. Das wird dazu führen, dass die ortsübliche Vergleichsmiete in den Mietspiegeln niedriger ausfallen wird, als sie heute ist. Die Verlängerung des Betrachtungszeitraums ist also eine ganz wichtige Maßnahme.
Natürlich hätte die SPD den Betrachtungszeitraum gerne auf acht Jahre ausgeweitet. Aber zwei Jahre sind immerhin ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
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Deswegen haben wir – auch der Empfehlung des Deutschen Mieterbundes, das ist für uns ein wichtiger Partner, folgend – gesagt, wir gehen diesen Zwischenschritt. Insgesamt werden wir irgendwann einmal zu acht Jahren kommen. Aber die Verlängerung auf sechs Jahre ist einmal ein ganz wichtiger Schritt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Mit diesem Gesetz ändern wir auch, zugegebenermaßen unwesentlich, den § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes. Ganz offen gesagt: Bei § 5 hätten wir mehr tun müssen. Denn dieser Straftatbestand regelt, dass Vermieter, die Wuchermieten verlangen, sich strafbar machen,
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dass also der Staat von sich aus dagegen vorgeht, heute allerdings mit der Voraussetzung, dass ein bewusstes Ausnutzen der Wohnungsnot vorliegen muss, und dieses Tatbestandsmerkmal nachzuweisen, das ist heute nur sehr schwer möglich, weshalb der Straftatbestand oft nicht greift.
Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass die alte Forderung der SPD, diesen Paragrafen zu verschärfen, jetzt von der CSU, von der bayerischen Landesregierung, aufgegriffen wurde,
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und sogar den Weg in eine Bundesratsinitiative gefunden hat. Also, liebe CDU-Abgeordnete, wir warten auf euch. Wenn sogar die CSU merkt, dass der strafrechtliche Mieterschutz verbessert werden muss,
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dann erwarten wir, dass auch ihr mitmacht und wir diesen klugen Bundesratsentwurf, der die alte SPD-Forderung aufgreift, hier im Bundestag verabschieden können.
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Eine gute Woche für die Mieterinnen und Mieter: Wir haben die Mietpreisbremse verlängert, wir haben sie verschärft. Wir haben die Maklergebühren halbiert. Und hier verlängern, erweitern wir jetzt den Betrachtungszeitraum bei den Mietspiegeln um zwei Jahre. Eine gute Woche für die Mieterinnen und Mieter.
Vielen Dank.
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Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Karsten Möring, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allem, was ich in dieser Debatte von der Opposition bisher gehört habe, gibt es einen Punkt, dem ich zustimme, nämlich dass der Markt, so wie er sich im Moment darstellt, offensichtlich nicht ausreicht, genügend Wohnungen, auch nicht genügend bezahlbare Wohnungen, zur Verfügung zu stellen.
Ich habe an anderer Stelle bei den zahlreichen Debatten, die wir in den letzten Monaten geführt haben, schon einmal das Bild benutzt – das will ich noch einmal benutzen –, dass der Markt im Wohnungsbau krank ist. Er ist nicht ausgeglichen; Angebot und Nachfrage sind nicht ausgeglichen. Die Frage, wie man eine solche Krankheit heilt, ist ganz einfach: Wir brauchen mehr Wohnungen.
({0})
Das praktische Problem ist: Wer ist „wir“? „Wir“ ist nicht der Bund. „Wir“ ist nicht dieses Parlament. Das, was wir machen können, ist, Regelungen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die andere dazu animieren, zu bauen. Und „andere“ kann heißen: Kommunen mit ihren Wohnungsbaugesellschaften, privatwirtschaftliche, gewinnorientierte Unternehmen, Genossenschaften, Privatvermieter – all die sind gemeint. Damit die das tun, brauchen sie die Perspektive, dass es sich für sie lohnt; denn keiner schmeißt Geld aus dem Fenster. Das ist unser Problem.
Wenn ich mir in den einzelnen Ländern die Rahmenbedingungen, die geschaffen wurden, anschaue, dann kann ich nicht erkennen, dass sie überall einen zusätzlichen Wohnungsbau fördern. Wir als Bund geben viel Geld ins System in die Länder hinein. Die Länder geben was dazu.
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Wenn es trotzdem nur begrenzt funktioniert, dann ist die Frage, woran das liegt.
Wenn wir jetzt sagen: „Wir machen eine Mietpreisbremse und nutzen als Instrument den Mietspiegel, und wir schärfen dieses Instrument, indem wir den Betrachtungszeitraum verlängern“, dann ist das alles Medizin für diese Krankheit, aber noch nicht die Heilung. Deswegen macht es schon Sinn, dass wir Maßnahmen ergreifen, die dämpfend wirken. Aber wenn wir uns darauf verlassen würden, dass wir auf diese Weise bezahlbaren Wohnraum schaffen, dann kann ich nur sagen: Das ist ein Irrglaube. – Wir müssen beides machen. Wir müssen in der Übergangszeit, wo es nicht genug Angebot gibt, zusehen, dass die Mieten nicht überborden,
({2})
und wir müssen dafür sorgen, dass es genügend Anreize zum Bauen gibt:
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von der Bereitstellung des Bodens bis zu einer vernünftigen Rendite. – Das alles sind Maßnahmen, die wir brauchen.
Ein paar Bemerkungen zu einigen Vorrednern. Lieber Kollege Kühn, Sie sprachen von 680 000 Menschen ohne Wohnungen. Sie haben vergessen, zu erwähnen, dass ungefähr 440 000 davon Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften sind, die dabei mitgezählt sind. Wenn Sie mit Zahlen arbeiten, machen Sie es zielgenau und ehrlich. Man kann dann sagen: „Es sind immer noch zu viele“ – da würde ich Ihnen sogar zustimmen –; aber übertreiben Sie es nicht. Man muss auch noch den Blick für die Realität haben.
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Frau Lay, wenn wir den Betrachtungszeitraum tatsächlich auf die von Ihnen geforderte Dauer und auf sämtliche Mietverhältnisse ausdehnen würden, dann käme dabei zunächst einmal heraus, wie preiswert die Bevölkerung insgesamt wohnt.
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Denn es gibt so viele alte Mietverhältnisse, die preiswert sind. Nur: Wenn Sie darauf aufbauen und sagen: „Dann darf man auch nur 10 Prozent mehr verlangen“, dann verschaffen Sie den Mietern keine Atempause, sondern dann sorgen Sie dafür, dass der Wohnungsmarkt einen Atemstillstand hat.
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Dann ist er nämlich tot, weil dann in der Tat keiner mehr baut. Das ist nicht das, was wir brauchen, und auch nicht das, was wir erreichen wollen. Die Bestandsmieten steigen, aber unser Problem sind die Neuvermietungen. Deswegen ist es richtig, dass wir die Bezugsgröße für die Mietpreisbremse bei den Neuvermietungen verändern, um damit die Ausschläge zu verkleinern.
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Aber noch einmal: Der entscheidende Punkt ist: Dies ist nur ein Hilfsmittel und nicht die Lösung unseres Problems. Die müssen wir auf andere Weise suchen.
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Ich will gar nicht gegen Berlin polemisieren; das wäre sehr einfach und sehr billig.
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Aber wenn Berlin das Geld nimmt, um Wohnungen zurückzukaufen, anstatt das Geld zu nehmen, um Wohnungen zu bauen, dann kann ich dazu nur sagen: Rechnen können da manche offensichtlich nicht.
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Vielen Dank, Herr Kollege Möring. – Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie man hört, ist Präsident Erdogan im Augenblick mit einer ganzen Reihe europäischer Staaten sehr unzufrieden. Warum das? Bei seiner Invasion in den Norden Syriens sind ihm auch diverse Gefangenenlager für IS-Kämpfer nebst Familienangehörige in die Hände gefallen. Die Kämpfer, die scheinbar nicht in seinen Hilfstruppen mitmachen wollen, möchte er gerne wieder loswerden.
Deren Heimatländer haben allerdings die Möglichkeit genutzt, die ihr nationales Recht ihnen bietet, viele dieser Leute blitzschnell auszubürgern. Da sind wir alle sicher sehr froh, dass Herr Präsident Erdogan keinen Grund hat, mit Deutschland unzufrieden zu sein; denn wir haben diese Möglichkeit nicht. Wir nehmen sie alle zurück, und wir können wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nicht ausbürgern, was ja nach geltender Verfassungslage sowieso nur bei Doppelstaatlern ginge.
Nun stellt man sich schon die Frage: Warum machen wir das eigentlich nicht so wie viele europäische Staaten?
({0})
– Ach, Göttchen.
({1})
– Ja, in der DDR wurde man auch schon mal ausgebürgert. Genau, richtig.
({2})
Wir reden hier von europäischen Staaten – viele davon EU-Mitgliedstaaten –, von Partnerländern mit ewig langer demokratischer Tradition. Die denken gar nicht daran, Leute, die noch eine andere Staatsbürgerschaft haben, die beim IS tätig waren, wieder zurückzunehmen und die Gefahren, die daraus für die eigene Bevölkerung herrühren, in Kauf zu nehmen. Also sollten wir das auch machen. Deswegen haben wir den entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Zwei kleine Änderungen im Staatsangehörigkeitsgesetz, und das wäre erledigt.
({3})
Dann können wir auch Herrn Erdogan ärgern. – Das nur am Rande.
Dann haben wir noch eine weitere Möglichkeit, durch die man die Terrorbekämpfung spürbar verbessern kann: Kollegen aus dem Bereich der Terrorverfolgung, strafrechtlicher Verfolgung von Terrortätigkeiten berichten mir, dass wir im § 129a StGB eine Lücke haben, und zwar: Da, wo es um Werbung und Unterstützung geht, ist der Versuch nicht strafbar. Nun mag das wie eine lässliche Sünde erscheinen. Aber dieser Paragraf führt dazu, dass, wenn man jemanden erkannt hat, der in irgendeiner Weise mit zum Beispiel dem IS oder anderen Terrororganisationen verwoben erscheint, man es nicht durch weitere Ermittlung aufklären kann, weil nicht der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt. Das heißt also: Da könnte ein künftiger Anis Amri rumrennen, und wir kriegen es mal wieder nicht mit. Deswegen haben wir beantragt, diese Gesetzeslücke zu schließen, unter Hinweis darauf, dass es sich hier um eine Bitte aus der Praxis handelt. Aber die Parteitaktik war wichtiger. Das ist im Rechtsausschuss dann folgerichtig auch abgelehnt worden.
Schließlich haben wir noch eine Möglichkeit, durch die man etwas für die Terrorbekämpfung tun könnte: Im Jahre 2012 hat dieses Haus per Gesetz eine Rechtsextremismus-Datei beschlossen. Das Gesetz ist wunderbar geraten. Es war alles sinnvoll, vorbildlich, möchte ich meinen. Nur: Da fehlen die Linksextremisten und die Islamisten. Über sie gibt es zwar auch Dateien; aber es gibt keine zentrale gesetzliche Regelung, die vor allem festlegt, welche Behörden Zugriff haben, wie man miteinander umgeht, wer Zugriffberechtigung hat usw. Hier wäre, denke ich, ein guter Schritt dafür getan, bessere Grundlagen für die Verfolgung und die Abwehr künftiger Taten von Linksextremisten und Islamisten, soweit sie extremistisch und gewaltbereit sind, zu bieten.
({4})
Wir haben deswegen einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, dessen Ablehnung, weil er von uns kommt, wir nunmehr entgegensehen.
Abschließend wünsche ich allen gleichwohl frohe Weihnachten und ein frohes neues Jahr.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Reusch. – Der nächste Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Marian Wendt.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist es etwas Besonderes für mich, vor Ihnen zum Thema Sicherheit zu sprechen. Heute, am 19. Dezember, halten wir inne und gedenken. Wir erinnern uns: Ein Terrorist fuhr mit einem Lkw mitten in einen Weihnachtsmarkt. Bei diesem feigen Terroranschlag wurden zwölf unschuldige Menschen getötet und zahlreiche weitere Menschen verletzt. Es geschah unweit von hier, im Herzen unserer Hauptstadt auf dem Breitscheidplatz.
Die AfD will diesen dritten Jahrestag nun nutzen, um auf vermeintliche Defizite der inneren Sicherheit hinzuweisen. Sie behauptet in ihren drei Gesetzentwürfen, die innere Sicherheit stärken zu wollen, macht aber genau das Gegenteil. An einem solchen Jahrestag ist es aus meiner Sicht doppelt und dreifach wichtig, diese fadenscheinigen Vorhaben der AfD zu entzaubern. Sie wollen den Jahrestag missbrauchen. Aber nicht mit uns!
({0})
Sie befördern nicht die innere Sicherheit, sondern behindern sie sogar. Nehmen wir Ihre eingebrachten Gesetzentwürfe deshalb einmal genauer unter die Lupe:
Zum Ersten beabsichtigen Sie die Änderung des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes. Das Gesetz, meine Damen und Herren, regelt die Einrichtung einer zentralen Datei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten auf Bund- und Länderebene. Ziel ist die Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus. Die Sicherheitsbehörden verpflichten sich dabei, relevante Informationen zu gewaltbereiten Rechtsextremisten zu speichern. Das ermöglicht den sofortigen Zugriff durch andere teilnehmende Behörden. Dadurch wurde und wird der Informationsaustausch seit 2012 maßgeblich verbessert und der Rechtsextremismus bekämpft.
Mit den von Horst Seehofer vorgestern vorgestellten Maßnahmen bekämpfen wir den Rechtsextremismus noch effektiver. Dass diese Bekämpfung des Rechtsextremismus bitter nötig ist, zeigt auch der aktuelle Fall Ihres Kollegen, unseres Kollegen Lars Herrmann, der Ihre Partei nämlich verlassen hat, weil sie durch den Flügel offen mit Rechtsextremisten sympathisiert. Ja, wir haben wieder einmal im Blick: Wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus, und das sitzt genau hier im Bundestag.
({1})
Im vorgelegten Gesetzentwurf fordert die AfD, dass das besagte Gesetz dahin gehend geändert wird, dass das genannte Verfahren auch auf Bereiche des links und religiös motivierten Extremismus auszuweiten ist.
({2})
Meine Damen und Herren, die Idee ist zunächst scheinbar nachvollziehbar und konsequent.
({3})
Aber: Ihre naiven Forderungen und Ihr handwerklich mehr als schlecht gemachter Gesetzentwurf würden in der Praxis nur zu Chaos und Unsicherheit führen. Juristisch sind Ihre Forderungen nicht haltbar.
({4})
– Bleiben Sie ganz ruhig.
({5})
Sie wollen zum Beispiel das Trennungsgebot betreffend Nachrichten- und Polizeidienste vollkommen über Bord werfen, ohne Änderung der Verfassung. Denn einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung habe ich bei Ihnen nicht gesehen. Wie soll das in unserem Rechtsstaat gehen? Aber vielleicht lassen Sie sich zu Weihnachten mal ein Grundgesetz schenken.
({6})
Studieren Sie es! Es täte Ihnen gut. Wir reden im nächsten Jahr noch einmal darüber.
Die Wahrheit ist: Ihr Gesetzentwurf würde den Sicherheitsföderalismus auf den Kopf stellen und handlungsunfähig machen. Er würde die innere Sicherheit in Gefahr bringen.
({7})
Als verantwortungsvoller Volksvertreter spielt man aus meiner Sicht nicht mit dem Feuer, erst recht nicht, wenn es um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger geht, und erst recht nicht an Gedenktagen wie heute.
({8})
Zum Zweiten. Sie wollen das Strafgesetzbuch ändern. Sie wollen mit § 129a Strafgesetzbuch unter anderem den Versuch des Unterstützens von oder Werbens für terroristische Vereinigungen strafrechtlich erfassen. Wir als Große Koalition haben das aber bereits umgesetzt. Das konkrete Anwerben von Mitgliedern oder die Unterstützung einer Terrororganisation ist bereits heute strafbar. Hier demonstriert die AfD erneut mangelndes Fachwissen. Ein Tipp: Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung. Ihr Antrag ist überflüssig.
({9})
Als Letztes legen Sie uns einen Gesetzentwurf vor, der den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft einer Person vorsieht, wenn diese in eine terroristische Organisation eintritt und Doppelstaatler ist. Dabei vergessen Sie wiederum: Auch hierfür haben wir bereits im Sommer etwas beschlossen. Die Voraussetzungen für den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft bei doppeltem Pass sind bereits gesetzt. Sie sind wieder zu spät dran und unvorbereitet.
Aber seien Sie doch ehrlich zu sich selbst und zu uns: Es geht Ihnen doch gar nicht um die Stärkung der inneren Sicherheit,
({10})
sondern nur um Klamauk. An einem solchen Tag, an dem wir der Opfer gedenken wollen,
({11})
gehört es sich, sensibler damit umzugehen. Es reicht, meine Damen und Herren. Die Bürger haben verstanden.
({12})
Die AfD entzaubert sich nach und nach, und wir werden nicht müde, das den Bürgerinnen und Bürgern von hier aus immer wieder vor Augen zu führen, besonders an Gedenktagen wie heute.
({13})
Und ich sage noch einmal: Sie sind die eigentliche Gefahr für die innere Sicherheit.
Vielen Dank.
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Der Kollege Dr. Jürgen Martens hat das Wort für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, ich muss dem Kollegen Wendt zustimmen: Dieser Gedenktag eignet sich eigentlich nicht für politischen Krawall,
({0})
schon gar nicht in dieser Jahreszeit.
({1})
Wir sollten der Opfer im Stillen gedenken und sie unserer Solidarität versichern
({2})
und sie nicht politisch instrumentalisieren. Das ist gerade jetzt an einem solchen Tag, wie ich finde, schäbig.
Das, was Sie hier vorschlagen, um Rechtsextremismus oder auch Terrorismus zu bekämpfen, ist bei genauerem Hinsehen untauglich.
Das Gesetz über die Schaffung einer Extremismus-Datei nimmt sich nur das Gesetz über die Rechtsextremismus-Datei vor, und in 31 Änderungsbefehlen wird das Wort „rechtsextremistisch“ durch „extremistisch“ ersetzt. Das ist keine große Leistung.
({3})
Vor allen Dingen steckt dahinter keine besondere geistige Durchdringung des Stoffes; denn für den islamistischen Terrorismus haben wir eine Extraeinrichtung: das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, in dem 40 Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten. Spezialisierter geht es ja wohl kaum noch. Aber das wollen Sie einfach durch eine schlichte Datei ersetzen. Das ist ein Rückschritt und kein Fortschritt, meine Damen und Herren.
({4})
Das Trennungsgebot betreffend Polizei und Nachrichtendienste spielt bei Ihnen auch keine Rolle; aber diese Art von verfassungsrechtlicher Agnostik sind wir bei Ihnen schon fast gewohnt.
({5})
Die Frage der Änderung des § 129a Strafgesetzbuch: Die Gesetzesbegründung bei Ihnen lautet – Zitat –:
Das derzeit geltende Verbot des Werbens nach Absatz 5 erlaubt das Werben für Vereinigungen zum Zwecke der Androhung.
Ich sehe: Auch Sie kommen hinter den Sinn dieses Satzes nicht.
({6})
Da guckt man in leere Augen.
({7})
Und dann heißt es, Sie hätten hier eine Strafbarkeitslücke entdeckt. Hier entdecke ich allenfalls eine Sinnlücke.
({8})
Strafrechtsdogmatisch führen Sie dann aus:
Ob eine Unterstützungsleistung erfolgreich ist oder nicht, hängt meist nur vom Zufall ab … . Folglich ist die aufgezeigte Sicherheitslücke durch die Einführung der … Versuchsstrafbarkeit zu schließen.
Das heißt, nach Ihrem Vorschlag soll Strafbarkeit eintreten, auch wenn es gar nicht zu einem Taterfolg kommt. So habe ich das verstanden, gell? – Ja, es kommt gar nicht auf den Erfolg an. Welch tiefes Unverständnis eines reinen Unternehmensdeliktes wie in § 129a offenbart sich hier! Selbstverständlich ist das, was Sie hier inkriminieren wollen, längst strafbar.
({9})
§ 129a Absatz 5 Satz 1, zusammengezogen und jetzt auch für Sie verständlich, lautet:
Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird … mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, … mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren … bestraft.
Das ist schon strafbar; da brauchen wir keine Versuchsstrafbarkeit. Deswegen auch hier mein Rat – es ist vorhin schon gesagt worden –: Der Blick ins Gesetz erleichtert nicht nur die Rechtsfindung, sondern vielleicht sogar manchmal den Weg zu den richtigen politischen Entscheidungen.
Aber gleichwohl wünsche ich uns allen hier eine besinnliche und vor allen Dingen erkenntnisbringende Weihnachtszeit.
({10})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Uli Grötsch.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Martens, eigentlich ist Ihren Worten nichts hinzuzufügen.
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Eigentlich könnte man die Debatte an dieser Stelle beenden, weil Sie alles, was in diesem Punkt wichtig ist, ganz vorzüglich dargestellt haben. Ich will aber einen Punkt, den Sie eben erwähnt haben, noch mal wiederholen. Sie erlauben mir, dass ich diesem trotzdem noch ein paar Punkte anfüge.
Sie von der AfD wollen an sage und schreibe 31 Stellen das Wort „Rechtsextremismus“ einfach durch „Extremismus“ ersetzen. Dahinter steckt aber auch die Relativierung des Rechtsextremismus und seiner Gefahren in Deutschland, die Sie erneut und vorsätzlich begehen. Das ist beschämend. Ich denke, wir haben Ihnen mit unserem Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus gezeigt, was wir davon halten.
Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf – das wird Sie wenig überraschen – ab, und ich will Ihnen auch gerne sagen, warum. Wir lehnen Ihren Gesetzentwurf zum einen aus demselben Grund ab, aus dem es kein Hinweistelefon für den Linksextremismus beim Bundesamt für Verfassungsschutz gibt.
({1})
Es gibt schlichtweg keinen Bedarf.
({2})
Die vorhandenen Ressourcen in den Sicherheitsbehörden müssen bedarfsgerecht eingesetzt werden. Das hat Ihnen auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Innenausschuss letzte Woche erklärt. Also akzeptieren Sie endlich, dass diejenigen, die für die Sicherheit in diesem Land verantwortlich sind, sich um die wirklichen Gefahren zuerst kümmern müssen und keine Zeit für Ihre immer wieder gleichen Reflexe haben.
({3})
Zum anderen geht es Ihnen bei der Erweiterung der Rechtsextremismus-Datei auch um die Erfassung islamistischer Terroristen; das haben Sie eben dargestellt. Für die Speicherung von Daten islamistischer Terroristen ist aber bereits vor 15 Jahren die Antiterrordatei, die ATD, eingerichtet worden.
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Das heißt, wir haben für den islamistischen Extremismus schon eine Verbunddatei der Sicherheitsbehörden und brauchen deshalb nicht noch eine. Wir haben auch für den Rechtsextremismus eine Verbunddatei. Für Ihr Begehren gibt es also tatsächlich keinen Bedarf.
Ich will Ihnen aber noch einen Grund nennen: Der Informationsgehalt dieser Verbunddateien ist im Nachgang des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom April 2013 und der notwendigen Anpassungen nicht besonders hoch. Das bestätigen uns auch die Behörden, die dieses Instrument mehr oder weniger nutzen. Inzwischen haben wir ganz andere Kommunikationsplattformen. Wir sind heute schon öfter auf das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum eingegangen. Gestern erst hat der niedersächsische Ministerpräsident Pistorius bestätigt,
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wie sehr sich das GTAZ in seiner Arbeit alles in allem bewährt hat.
Dem Linksextremismus – und das wird Sie bestimmt zufriedenstellen – widmet der Verfassungsschutzbericht ohnehin schon mehr als 60 Seiten. Da steht sogar mehr drin als zum Bereich Rechtsextremismus. Also ergötzen Sie sich daran, wenn Sie gerne möchten.
Schade, dass es gegen Ihre ideologische Verblendung kein Medikament gibt. Vielleicht würden Ihnen ein paar Fakten helfen. Daran, diese vorzutragen, hindert mich aber das Ende meiner Redezeit.
({6})
– Ich habe Ihnen schon oft genug vorgetragen, wie es sich mit den Daten und Fakten im Bereich Rechtsextremismus verhält. Dazu aber im neuen Jahr mehr.
Ich wünsche Ihnen ein besinnliches, ein Besinnung bringendes Weihnachtsfest und uns allen einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Vielen Dank.
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Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Friedrich Straetmanns.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bezeichnend, dass die AfD sich in der Einleitung des ersten hier vorliegenden Gesetzentwurfes auf den Verfassungsschutzbericht des vorvergangenen Jahres bezieht und nicht auf die aktuellen Zahlen, die schon über ein halbes Jahr verfügbar sind. Aber klar, die aktuellen Zahlen hätten nicht die Tendenz belegt, die Sie mit Ihrem Antrag unterstellen wollen.
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Dieses Jahr erlebten wir mit dem antisemitischen Anschlag von Halle und dem Mord an Walter Lübcke zwei besonders prominente Fälle rechtsextremer Gewalttaten.
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Die öffentliche Debatte wurde dadurch nachhaltig geprägt. Letztlich kamen sogar der Verfassungsschutz und das Innenministerium um Horst Seehofer dazu, den Rechtsextremismus – endlich! – als dringlichstes Sicherheitsproblem in Deutschland klipp und klar zu benennen.
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Ausgerechnet zum Ende dieses Jahres kommen Sie nun mit einem Gesetzentwurf um die Ecke, der sich endlich mal den Linksextremismus vorknöpfen soll. Gegenüber den Angehörigen der Opfer, derer wir heute gedacht haben, ist das der blanke Hohn. Aber um Opfer geht es Ihnen ja nie, zumindest nicht über deren Instrumentalisierung hinaus.
Mit dem zweiten vorliegenden Gesetzentwurf wollen Sie mal wieder eine nicht unwesentliche Lehre aus dem Nationalsozialismus vergessen machen. Damals hat man zahllose Jüdinnen und Juden ausgebürgert, um an deren Besitz zu kommen.
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Diese Möglichkeit wurde zu Recht mit dem Grundgesetz ausgeschlossen.
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Dass die aktuelle Bundesregierung Mitte dieses Jahres hinter diese Erkenntnis zurückfiel, haben wir damals kritisiert, und das tun wir auch heute. Dass Sie es nun auf den Stand von vor 1949 zurückdrehen wollen, verwundert mich persönlich nicht.
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Da schließt sich auch der Kreis zum von Ihnen in der Begründung herangezogenen Hans-Georg Maaßen. Dieser hat schon vor knapp zehn Jahren in einem Artikel die Aberkennung der Staatsbürgerschaft in der Terrorismusbekämpfung gefordert.
Interessant ist da besonders ein Terminus, den er in diesem Kontext verwendet, nämlich der des „nominell deutschen Staatsangehörigen“. In diesem technisch daherkommenden Begriff spiegelt sich Ihre Ideologie, und das macht es so folgerichtig, dass Sie Herrn Maaßen immer wieder als Kronzeugen heranziehen: Deutsch ist, wer seit Generationen hier lebt. Wer auf anderem Wege deutscher Staatsbürger geworden ist, der kann maximal „nominell deutsch“ werden, aber niemals so richtig hierhergehören. Dieses Denken in Gesetze zu gießen, ist falsch, und wir werden stets dort, wo es uns als Linke möglich ist, dagegen angehen.
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Der § 129a Strafgesetzbuch ist schon in seiner aktuellen Fassung hochproblematisch, weil er nicht präzise genug gefasst ist und damit den Bestimmtheitsgrundsatz aus meiner Sicht verletzt. Das sieht übrigens nicht nur unsere Fraktion so,
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sondern das sieht auch der Bundesgerichtshof. Sie planen nun die Strafbarkeit des Versuchs der Vorbereitung der Vorbereitung einer Straftat. Das ist Gesinnungsstrafrecht, eindeutig verfassungswidrig und, nebenbei bemerkt, sehr mutig für eine Fraktion, in deren Umfeld schon mal Munition, Leichensäcke und Löschkalk gefunden werden.
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Ich wünsche uns dennoch allen das viel beschworene besinnliche Weihnachtsfest und einen besinnlichen Jahresausgang, und Ihnen von der AfD wünsche ich, dass Sie zur Besinnung kommen.
Danke.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Canan Bayram.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir verhandeln hier drei Anträge der AfD-Fraktion.
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– Wir hatten mal einen Rechtsausschussvorsitzenden, der nicht weiß, wie er seinen Frust anders ablassen soll, als hier dazwischenzukrakeelen.
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Ehrlich gesagt, fällt mir dazu nur ein: Es ist so schön, dass Sie nicht mehr den Rechtsausschuss leiten.
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Wir verhandeln hier drei Anträge der AfD-Fraktion. Der eine beschäftigt sich mit der Staatsbürgerschaft. Es wurde hier schon festgestellt, dass dieser Antrag weder inhaltlich tragbar noch nötig ist.
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Insoweit kann ich auf jeden Fall hier für unsere Fraktion ebenso feststellen, dass wir diesen Antrag ablehnen,
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weil er in vielfacher Hinsicht nicht nur falsch ist, sondern auch den tief sitzenden Rassismus der AfD-Fraktion widerspiegelt, gegen den wir uns in jeder Form, in der er uns begegnet, das heißt auch hier im Deutschen Bundestag, wehren, meine Damen und Herren.
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Dann ist es so, dass die AfD-Fraktion einen Antrag eingebracht hat, in dem sie sagt, dass sie den § 129a StGB ändern will. Es wurde von verschiedenen Kollegen schon vorgetragen, dass der gar nicht geändert werden muss, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie die AfD das hier vorschlägt; denn das, worauf Ihre Änderung zielt, ist darin bereits geregelt.
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Insoweit kommen wir zu dem dritten Antrag, der hier verhandelt wird. In dem dritten Antrag geht es eben darum, dass die Rechtsextremismus-Datei, wie es hier auch angezeigt wird, verändert werden soll, und zwar geschwächt werden soll in Bezug auf die Verfolgung und die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Da fragt man sich: Warum bringt die AfD eigentlich so einen Antrag hier ein, mit dem sie bekämpfen will, dass der Staat den Rechtsextremismus bekämpft?
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Da kann ich den Abgeordneten der AfD nur empfehlen: Machen Sie es doch wie der Herr Herrmann: Wenn Sie den Rechtsextremismus bekämpfen wollen,
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treten Sie doch einfach aus der AfD-Fraktion aus. Da können Sie schon mal Ihren Beitrag dazu leisten, dass der Rechtsextremismus und der ‑terrorismus bekämpft werden.
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Sie haben es in der Hand und können Ihren Beitrag dazu leisten. An so einem Tag das ernste Thema „Terrorismus, Extremismus“ so zu instrumentalisieren, ist nicht nur beschämend, sondern erbärmlich.
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Für die CDU/CSU hat als Nächstes das Wort der Kollege Michael Kuffer.
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Dass Sie, Kollege Brandner, mich zwingen, mal die Kollegin Bayram zu verteidigen, ist wirklich allerhand.
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Sie lümmeln sich hier in Ihrem Stuhl und krakeelen hier rein: Es heißt nicht „verhandeln“.
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Lesen Sie doch einfach mal, nur ein paar Minuten, im Grundgesetz nach.
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Artikel 42 Absatz 1 Grundgesetz: „Der Deutsche Bundestag verhandelt öffentlich.“
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Keine Ahnung, aber davon jede Menge.
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Da haben Sie uns wirklich kurz vor Torschluss noch einmal ein buntes Durcheinander von Gesetzentwürfen vorgelegt. Da war anscheinend bei Ihnen die Mottenkiste so übervoll,
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und alles, was zum Jahreswechsel abgelaufen wäre, musste einfach noch schnell raus.
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Ohne Sinn, ohne Rechtskenntnis alles über den Haufen geräumt, was unseren Rechtsstaat in seinen Grundsätzen ausmacht. Egal ob Bestimmtheitsgebot, ob Rückwirkungsverbot, ob die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die AfD ignoriert es. Spielt für Sie einfach keine Rolle.
Fangen wir an mit Ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs.
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Sie fordern Änderungen hinsichtlich der Strafbarkeit von Terrorwerbung, die weder nötig noch in der Praxis irgendwie relevant sind. Kann man so machen, bringt halt nur nix. Herr Brandner, Sie werden es jetzt auch durch Weiterkrakeelen nicht mehr retten.
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Sie brauchen sich da jetzt auch nicht mehr zu rechtfertigen. Dafür ist es einfach zu spät. Was Sie vermutlich meinen – so genau sagen Sie das in Ihrem Antrag ja nicht –, wurde bereits durch den Gesetzgeber erledigt, beispielsweise durch die Verschärfung des Verbots der finanziellen Unterstützung terroristischer Vereinigungen. Der Rest ergibt sich wiederum aus der Rechtsprechung des BGH. Dadurch wurde nämlich die Strafbarkeit des Werbens und des Unterstützens von terroristischen Vereinigungen im Sinne von § 129a StGB bereits erheblich ausgeweitet und vorverlegt. Danach muss mittlerweile kein messbarer Nutzen für die terroristische Vereinigung mehr nachgewiesen werden, um eine Strafbarkeit zu begründen. Es gibt also keine relevanten Anwendungsfälle in der Praxis. Punkt!
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Nächster Gesetzentwurf, gleiches Spiel. Diesmal haben Sie sich das Staatsangehörigkeitsrecht ausgesucht. Dumm ist nur, dass wir gerade erst im Sommer mit den Stimmen der Koalition die Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes auf den Weg gebracht haben
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und damit eine weitreichende Verschärfung für terroristische Auslandskämpfer erreicht haben. Kaum ist die Tinte trocken, das Gesetz beschlossen und dem Problem begegnet, kommen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf aus der Mottenkiste und spielen sich zum Problemlöser auf. Guten Morgen!
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Als Koalition haben wir mit der Einführung eines zusätzlichen Verlusttatbestandes für terroristische Auslandskämpfer nämlich dafür gesorgt, dass Doppelstaatler, die sich an Kampfhandlungen terroristischer Vereinigungen im Ausland beteiligen, künftig ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlieren. Wir verhindern damit effektiv, dass Terroristen und Gewalttäter ins Bundesgebiet zurückreisen und zur Gefahr für die hier lebenden Menschen werden können.
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Und dass die Fragen im Falle terroristischer Auslandskämpfer etwas diffiziler sind, es hierbei vor allem auch um die Frage des Rückwirkungsverbots geht und sich die Dinge, auch wenn man sie gern mit einem Fingerstreich ändern würde, halt nicht so simpel in Einklang bringen lassen, ist Ihnen selbstverständlich auch egal. Es nutzt Ihnen ja auch politisch nicht, wenn Sie in der Sache sauber arbeiten würden.
Aber eines möchte ich Ihnen zum Abschluss noch sagen.
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Wissen Sie, dass man Dinge vorschlägt, die nicht dem entsprechen, was die andere Seite des Hauses meint, dass man sich darüber auseinandersetzt, dass wir Vorschläge, die die Opposition macht, nicht nachvollziehen können, das ist alles normal. Aber dass Sie den Deutschen Bundestag nur noch als Kulisse für Ihre Facebook- und Ihre YouTube-Sparifankerl nutzen,
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das, sage ich Ihnen ganz ehrlich,
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halte ich neben allem anderen – nach einer langen Liste, die Sie jeden Tag hier aufführen – schlicht für unparlamentarisch.
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Und deshalb bitte ich Sie zum Abschluss einfach: Gehen Sie über die Feiertage mal in sich. Fassen Sie vielleicht einen sinnvollen Neujahrsvorsatz, und überraschen Sie uns im neuen Jahr einfach mal mit einer nachvollziehbaren Sacharbeit.
Danke.
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Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Helge Lindh für die SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Martens, Sie haben die Kategorie des verfassungsrechtlichen Agnostizismus eingeführt, die ich wunderbar finde. Ich vereinfache sie jetzt noch mal.
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Ich würde sagen: Es ist auch der Tatbestand der Grundgesetzabstinenz erfüllt, in Tateinheit mit völkischer Besoffenheit.
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Wenn nun nachweislich Grundgesetzabstinenz mit nationalvölkischer Besoffenheit gepaart sind, ist das Ergebnis eine vertiefte Form von Schläfrigkeit, die Herr Reusch ja auch bei seinem äußerst unambitionierten, tranceartigen, von Ahnungslosigkeit durchdrungenen Vortrag aufs Beste präsentiert hat. Sie haben sich wirklich alle Mühe gegeben, den Eindruck zu erwecken, den eigenen Gesetzentwurf zum Thema Staatsangehörigkeit weder gelesen noch verstanden zu haben. Dafür mein Respekt.
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Des Weiteren ist von Schläfrigkeit auch deswegen zwingend die Rede, da Sie offensichtlich den ganzen Juni verschlafen haben. Im Juni haben wir bereits eine Novellierung hinsichtlich des Verlustes der Staatsangehörigkeit in Bezug auf IS-Kämpferinnen und -Kämpfer eingeführt, übrigens heiß diskutiert, mit viel Streit. Alles, was Sie darüber hinaus vorschlagen, erfolgt, wie gesagt, in Kenntnis der Unkenntnis des Grundgesetzes. Es geht sinnlos darüber hinaus. Es ignoriert wesentliche Rechtsgrundsätze, und es führt Kategorien ein wie reine Mitgliedschaft oder Gründung, es wird gar nicht auf Kampfhandlungen Bezug genommen. Es kommt etwas Weiteres hinzu – da wird es interessant –: Es geht um die Gründung bzw. Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen im Ausland und Inland.
Auf den zweiten Blick gewann ich eine ganz neue Perspektive auf diesen Antrag;
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denn Sie haben im Parlament eine ganz neue, weitere Kategorie eingeführt, nämlich die Kategorie der selbstbezogenen Gesetze und Anträge. Wenn man dann überlegt, wie sich die AfD gegenwärtig
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mit dem jetzt offiziell rechtsextrem zu nennenden Flügel und mit der rechtsextrem zu nennenden JA kontinuierlich entwickelt, dann prägen Sie geradezu eine Willkommenskultur für Sympathisanten terroristischer Vereinigungen. Deshalb ist dieser Paragraf bezogen auf terroristische Vereinigungen im Inland vielleicht einer, der ziemlich genau von Ihnen selbst spricht.
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Nur um das zu sagen: Herr Brandner hat gerade gesagt, ich sei ein Sozialfaschist.
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Wenn Sie mich Sozialfaschist nennen, dann ist das das größte Lob, das möglich ist. Ich verbinde diese Formulierung von Ihnen, der Sie nicht nur für Ihr bräsiges Dasitzen bekannt sind, sondern auch für Ihre frauenfeindlichen Bemerkungen und alles andere, mit der Forderung an alle Mitglieder, vor allem weibliche Mitglieder, dieses Parlamentes, dass wir gemeinsam eine Initiative gründen zur Entbrandnerisierung des politischen Diskurses.
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Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Zivilisierung dieses Parlamentes.
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Ich fasse also zusammen: Die AfD hat wieder einmal auf beispielhafte Weise einen Gesetzentwurf gegen sich selbst gerichtet. Machen Sie das konsequent! Sorgen Sie für Deradikalisierung, Entkriminalisierung und Entextremisierung der eigenen Reihen! Fangen Sie mit Herrn Brandner an, und dann können wir wieder miteinander sprechen!
Vielen Dank.
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Kollege Brandner, für die Äußerung „So redet ein Sozialfaschist!“ erteile ich Ihnen eine Rüge. Das ist nicht der Umgang miteinander.
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Wir haben keine weiteren Wortmeldungen. Deshalb schließe ich die Aussprache.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Kolleginnen und Kollegen! Die SPD begrüßt die Rückkehr des Wolfes in seine deutsche Heimat. Wir setzen alles daran, das Zusammenleben von Mensch, Nutztieren und Wolf vernünftig und konfliktfrei zu regeln. Die Debatten der letzten Tage, Wochen und Monate haben gezeigt, wie sensibel das Thema ist, wie aufgeheizt diese Debatte ist und mit welchen Unterstellungen und Verdrehungen der Wahrheit hier teilweise gearbeitet wird, um das Märchen vom bösen Wolf zu erzählen.
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Umso dankbarer bin ich, dass heute die Vernunft die Oberhand behält und wir einen guten Gesetzentwurf verabschieden werden. Klar ist: Die Sicherheit des Menschen hat oberste Priorität. Auch wenn wir seit der Rückkehr des Wolfes um die Jahrtausendwende keine Vorfälle feststellen mussten, in denen Wölfe Menschen angegriffen haben, so ist es trotzdem oberstes Gebot, dass es auch weiterhin der Fall ist und bleibt.
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Ich sage ganz klar: Wo Probleme entstehen, ist es schon heute möglich und auch die Pflicht, sogenannte Problemwölfe als Ultima Ratio zu töten. Wir schärfen heute mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes die Kriterien nach. Wir sorgen für Klarheit beim Schutzstatus. Wir sorgen aber auch für Klarheit bei den Ausnahmen von diesem Schutzstatus und damit für mehr Sicherheit, schnellere Verfahren, und das ist gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Für uns war es in den parlamentarischen Verhandlungen sehr wichtig, dass diese Klarstellungen tatsächlich nur und ausschließlich den Wolf betreffen. In der Anhörung des Umweltausschusses haben die tatsächlich sachkundigen Sachverständigen unisono gesagt, dass der Regierungsentwurf ein reales Risiko barg, dass auch andere Arten wie die Wildkatze, der Luchs oder der Fischotter hätten betroffen sein können von einer allgemeinen Senkung des Schutzstatus. Ich bin sehr froh und dankbar, dass es uns gelungen ist, diese Regelung zu verhindern.
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Dies war auch die große Sorge der Umwelt- und Naturschutzverbände, mit denen wir eng zusammengearbeitet haben. Dies war auch das Thema von vielen, vielen Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern, die wir erhalten haben. Deswegen möchte ich hier ausnahmsweise einmal uns Parlamentarier selbst loben. Ich bedanke mich auch bei der Union, dem Koalitionspartner, namentlich beim Berichterstatterkollegen Klaus-Peter Schulze. Wir haben den Regierungsentwurf an dieser Stelle klar verbessert.
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Wichtig war uns in den Verhandlungen ein weiteres Anliegen. Es ist gelungen, dass der Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten – so heißt es im Amtsdeutsch –, umgangssprachlich: der Wolfshöhlen, bestehen bleibt. Es bleibt verboten, diese Höhlen zu zerstören. Ein Erfolg der SPD.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zu der Regelung, dass mit der Novelle des Naturschutzgesetzes das Töten von mehreren Tieren bis hin zum Töten eines ganzen Rudels möglich ist. Ich stelle klar und ich betone: Es wird kein unkontrolliertes Rudelschießen geben.
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Auch weiterhin werden einzelne Schützen als Ultima Ratio nach einer sorgfältigen Einzelfallprüfung mit der Tötung eines Problemwolfs beauftragt. Wenn aus einem Rudel ein Wolf geschossen wird, wird danach sehr genau geschaut werden, ob es weitere Risse gibt, um festzustellen, ob der Problemwolf tatsächlich identifiziert wurde. Erst dann – nach einer weiteren Genehmigung – ist es statthaft, weiterzuschießen, um den Problemwolf zu erlegen. Es wird also kein unkontrolliertes Rudelschießen geben.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns Sozialdemokraten ist der Schlüssel für ein konfliktfreies Zusammenleben von Mensch, Nutztieren und Wolf ein wirksamer Herdenschutz. Deswegen muss man diese Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen sehen, die wir im Herbst dieses Jahres durchgeführt haben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir sowohl das Bundesprogramm für Wanderschäfer deutlich verlängert und besser ausgestattet haben und gleichzeitig den Ländern über die Mittel der GAK viele Millionen Euro zur Verfügung gestellt haben, um wirksamen Herdenschutz bei ihnen vor Ort – da, wo es hingehört, auf Länderebene – zu organisieren. Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen in den Landesregierungen, dieser Pflicht nachzukommen und ihren Teil zu einem besseren Herdenschutz beizutragen.
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Unser Weg ist, für mehr und besseren Herdenschutz zu sorgen, auch dort, wo er schwierig umzusetzen ist. Deshalb haben wir uns mit der Union darauf verständigt, dass wir ein Forschungsvorhaben starten wollen, das sich dem Herdenschutz auf Almen und Deichen widmet. Ich glaube, das ist ein guter und wichtiger Schritt, damit wir auch in Zukunft ein konfliktfreies Zusammenleben organisieren können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Vernunft ist selten sexy, Populismus ist lauter und verkauft sich besser, vor allem in den eigenen sozialen Blasen. Aber Vernunft und Kompromiss sind das Wesen der Demokratie. Nur so kann die Demokratie funktionieren, und nur die Demokratie stellt den Ausgleich von Interessen sicher. Dazu bekennen wir uns heute, und dazu bekennen wir uns immer wieder. Die teilweise hitzige Debatte über das hochsensible Thema „Rückkehr des Wolfes“ ist ein Musterbeispiel für die Kraft der deutschen Demokratie. Wir haben eine gute Lösung gefunden bei einer schwierigen Ausgangslage. Damit können wir dieses Kapitel für dieses Jahrzehnt schließen. Ich bitte um Ihre Zustimmung – für die Vernunft, gegen den Populismus.
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der AfD der Kollege Karsten Hilse.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Zu falsch, zu feige, wirkungslos und das Potenzial, in monatelangen Verfahren festzuhängen – in Kurzform könnte man den Gesetzentwurf der Bundesregierung so beschreiben.
Der Wolf ist ein faszinierendes wildes Tier. Er ist in den engbesiedelten Gebieten Europas genauso Teil ökologischer Gleichgewichte wie lebensgefährliche Störgröße in den von Menschen geschaffenen Kulturlandschaften. Für die einen ist er unentbehrlicher Bestandteil unserer Natur und Kultur, für manche gar heilig, andere sehen in ihm ein Raubtier, das auch vor Menschen und deren Nutztieren keinen Halt macht.
Wir befinden uns im Interessenkonflikt Mensch/Wolf, im Spannungsfeld von menschlichen Siedlungen mit Weidetieren und sicheren Kindern einerseits und hungrigen Wölfen andererseits. In diesem Konflikt müssen die Rechte der Menschen selbstverständlich höher als die der Wölfe gewichtet werden. Die hier lebenden Tiere gehören zum Eurasischen Wolf. Es gibt circa 100 000 Tiere. Schon deshalb lehnen wir einen überzogenen Schutz, vor allem die Hochstilisierung zum quasi heiligen Tier, ab.
Das Beispiel des Wolfes steht nicht alleine in unserer immer stärker besiedelten Welt. Die Faszination gilt genauso für sehr viele andere wildlebende Arten, die sich unter anderem in den ungebrochen hohen Besucherzahlen in Wildreservaten und Zoos ausdrückt. Trotzdem sehen die meisten Menschen Raubtiere lieber aus sicherer Entfernung oder hinter Gittern. Das hat nichts mit der AfD, sondern ganz einfach mit der natürlichen, lebensverlängernden Angst vor Raubtieren zu tun.
Gerade in Wildreservaten werden Probleme aufgrund der Konkurrenz menschlicher Siedlungsgebiete mit Naturlandschaften deutlich. Wo wachsende Weltbevölkerung neue Siedlungs- und Landwirtschaftsflächen benötigt, da müssen Kompromisse bezüglich der Verbreitungsgebiete von Wildtieren gefunden werden. Kein afrikanischer Bauer will seine mühsam beackerten Felder von Elefanten verwüsten lassen, kein deutscher Weidetierhalter pflegt seine Schafe, um sie den Wölfen als Lebendfutter auf die Weide zu stellen.
Unser Antrag vom Februar 2018 „Herdenschutz und Schutz der Menschen im ländlichen Raum – Wolfpopulationen intelligent regulieren“ war der Versuch, einen Kompromiss zu finden. Wir haben damals die Problemlage und Situation klar dargestellt. Wir plädierten damals wie heute für den Vorrang von Menschen und Haustieren vor dem Wolfsschutz, die Vergrämung der Wölfe aus Siedlungs- und Naherholungsgebieten, eine klar definierte Obergrenze der Wolfspopulation, eine klare Festlegung des sogenannten günstigen Erhaltungszustands – den wollen Sie uns aber nicht nennen –, die konsequente Vereinfachung der Wolfsregulierung und die Entschädigung von Tierhaltern,
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die wissenschaftliche Feststellung des Hybridisierungsgrades – das haben Sie von der SPD abgelehnt – durch unabhängige Stellen sowie die transparente Darstellung der Wolfsbestände. Sie haben den Überblick verloren. Diese völlig unideologischen Vorschläge wurden aus Anti-AfD-Prinzip von allen anderen Parteien abgelehnt. Heute sind einige dieser Vorschläge, leider etwas halbherzig, wieder auf der Tagesordnung.
Nach zwei Jahren Bedenkzeit hat die CDU einen zaghaften Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wie bei vielen anderen Themen reifte bei den CDU-Genossen die Einsicht aber zu langsam, wie so oft in den letzten 14 Jahren mit dem Merkel-Hemmschuh. Wenn es vorrangig darum geht, die Macht zu erhalten, führt das zur Erstarrung demokratischer Prozesse, zur Verhinderung praktikabler Lösungen und, wie in diesem Fall, einfach zu zu vielen toten Weidetieren.
Der Antrag der FDP verströmt etwas mutiger den Geist der Freiheit der Wissenschaft. Das ist der richtige Weg, wenn wir den rationalen Ausgleich zwischen den Interessen der Menschen und den Notwendigkeiten des Erhalts der Natur erreichen wollen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Hermann Färber für die Fraktion der CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Wolfspopulation entwickelt sich in Deutschland sehr rasant. Die Bestände wachsen jährlich um 35 Prozent. Im Jahr 2010 wurden 7 Rudel in Deutschland registriert. 2019 zählt die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf bereits 105 Rudel, 25 Paare und 13 Einzeltiere. Diese rasche Ausbreitung führt unweigerlich zu Konflikten mit Weidetieren und deren Haltern. Allein im letzten Jahr wurden 639 Übergriffe durch Wölfe gemeldet, bei denen 2 067 Tiere gerissen wurden, und zwar nicht nur Schafe und Ziegen, sondern auch Alpakas, Rinder und Pferde. Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir den Weidetierhaltern in Deutschland wieder eine Perspektive zum Schutze ihrer Tiere bieten.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Kommunen bei Wolfsübergriffen künftig schneller und rechtssicher reagieren können. Wir haben die Schadschwelle von „erheblichen Schäden“ auf „ernste Schäden“ abgesenkt. Es kann nicht sein, dass ein Weidetierhalter erst bankrott sein muss, bevor von Behördenseite aus reagiert werden kann. Mit einem neuen Passus in § 45 des Bundesnaturschutzgesetzes schützen wir auch die Klein- und Hobbyhalter von Weidetieren; denn auch diese leisten einen wertvollen Beitrag zum Artenschutz. Der Schaden muss jetzt auch nicht mehr einem bestimmten Einzeltier zugeordnet werden.
Die Entnahme eines Wolfes oder auch mehrerer Wölfe eines Rudels ist möglich, wenn der Abschuss in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen steht. Diese Maßnahmen dürfen bis zum Ausbleiben der Schäden fortgeführt werden. Das ist sehr wesentlich, weil Weidetiere oftmals durch wiederholte Übergriffe von Wölfen auf die gleiche Herde betroffen sind.
Für die Entnahme sind in erster Linie die Jagdausübungsberechtigten zuständig. Wenn die das selber nicht machen wollen, müssen sie die Entnahme in ihrem Revier allerdings trotzdem dulden.
Beim Verwaltungsvollzug werden die Kommunen den unbestimmten Rechtsbegriff des engen räumlichen Zusammenhangs an ihre jeweiligen örtlichen Gegebenheiten anpassen können. Deiche, Waldgebiete, Heide und Gebirgslandschaften weisen verschiedene naturgegebene Bedingungen auf. Deshalb unterscheiden sich die Territorien der Wolfsrudel in ihrer Ausdehnung, in der Populationsdichte und auch in den Futterbedingungen. Bei der praktischen Umsetzung sollte daher das Territorium des Rudels für den „räumlichen Zusammenhang“ als Mindestanforderung maßgebend sein. Ein kleineres Gebiet als dieses Territorium sollte nicht als „enger räumlicher Zusammenhang“ gewertet werden.
Grundsätzlich haben die kommunalen Spitzenverbände die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes begrüßt und die vorliegenden Formulierungen als vollzugssicher und praktikabel eingestuft. Infrage gestellt werden muss jedoch, ob die angedachten Herdenschutzmaßnahmen in allen Regionen umsetzbar sind, zum Beispiel bei der Deichschäferei. Es ist schon fraglich, ob man die gesamte Nord- und Ostseeküste wolfssicher einzäunen kann.
Praxisübliche Herdenschutzzäune sind dazu geeignet, die Weidetiere auf der Weide zu halten, aber nicht dazu, hungrige Raubtiere vom Kaliber Wolf abzuwehren. Und je mehr und je besser Schafe und Ziegen eingezäunt und geschützt werden, desto stärker verlagern sich die Risse auf größere Tiere.
({0})
Der Wolf wird ja deswegen nicht zum Vegetarier.
Wenn Tierwohl und Weidetierhaltung für unsere Gesellschaft immer wichtiger werden, müssen wir auch den Mut haben, diese Weidetiere vor Raubtieren wie dem Wolf, der in manchen Regionen wirklich eine erhebliche Gefahr darstellt, zu schützen.
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Die jetzt angedachten Maßnahmen sind ein wesentlicher Schritt. Ob diese ausreichend sind, wird zu einem späteren Zeitpunkt zu bewerten sein. Aber die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes ist notwendig. Deshalb stimmen wir diesem Gesetzentwurf zu.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der FDP der Kollege Karlheinz Busen. Bitte sehr.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Träger, Sie glauben doch wohl selbst nicht, dass der Gesetzentwurf, der maßgeblich aus einem SPD-geführten Haus stammt, irgendwo zur Verbesserung der Weidetierhaltung beiträgt. Sie verkaufen die heutige Änderung als Entlastung der Schafhalter. Aber spätestens nach den nächsten Rissen werden die Menschen draußen merken, dass sich da gar nichts verändert hat. Im Gegenteil: Die Anzahl der Wölfe nimmt weiter zu. Mit offensichtlich falschen oder sogar alten Daten wird weiter krampfhaft versucht, die Kuscheltierromantik aufrechtzuerhalten. Ihr Problem: Sie machen sich vorsätzlich unglaubwürdig, und die Menschen da draußen merken das.
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Die Bürger in den ländlichen Räumen verzweifeln am Wolf, und noch mehr verzweifeln sie mittlerweile an der Bundesregierung. Deutschlandweit haben wir inzwischen mit über 2 000 gerissenen Weidetieren zu kämpfen, Tendenz steigend. Alleine die vier Wölfe in Nordrhein-Westfalen kosteten bislang 880 000 Euro pro Jahr. Das versteht draußen kein Bürger. Wissen Sie, was der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband dazu gesagt hat? Ich zitiere: Eine Patrone kostet 2,50 Euro.
Die Deichregionen werden durch die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes nicht geschützt. Für Deichlandschaften und für besiedelte Gebiete müssen wolfsfreie Räume definiert werden.
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Die heutigen Probleme sind dabei noch vergleichsweise harmlos. Bei der Anhörung – Sie waren dabei – wurde durch Experten bestätigt, dass wir, wenn die Zuwachsrate bei 33 Prozent im Jahr liegt – die CDU spricht sogar von 35 Prozent im Jahr –, in zehn Jahren mit über 1 700 Rudeln und 15 000 Wölfen zu kämpfen haben werden. Das ist blanker Irrsinn.
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Das Populationswachstum ist nicht natürlich begrenzt. Die Freiburger Biologin Ilse Storch sagte kürzlich im „Spiegel“, in Deutschland könnten so viele Wölfe leben, wie wir Menschen es zulassen.
Als Problemlösung wird dann von Linken und Grünen gerne der Herdenschutz angeführt. Überall im Land meterhohe Elektrozäune? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Dabei sind die Zäune beim Wolf wirkungslos. Sämtliche Präventionsmaßnahmen funktionieren bis heute nicht.
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Und für andere Wildtiere bedeuten Zäune eine tödliche Gefahr. Schauen Sie es sich doch an, wenn sich ein Rehkitz verfängt und elendig zugrunde geht. Das ist ein Trauerspiel.
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Meine Damen und Herren, eine echte Problemlösung gibt es nur mit der Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht und der Regelung von Jagdzeiten. Das bedeutet ganz einfach: Abschuss.
Sie haben heute die Wahl zwischen einem Placebogesetz der Bundesregierung und einer wirklichen Problemlösung, unserem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Ralph Lenkert.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es geht um den Wolf. Vergangene Woche fand im Bundestag die Anhörung zum neuen Bundesnaturschutzgesetz statt. Mehrere Juristen äußerten massivste Bedenken, dass dieser Gesetzentwurf nicht EU-konform ist und schwer umsetzbar sein wird.
Im Umweltausschuss hatten wir mehrfach Diskussionen über die schwierige Lage von Schäferinnen und Schäfern. Ich hatte die Hoffnung, dass CDU und CSU endlich anfangen, auf Fachleute zu hören. Aber beim Wolf setzt der Verstand vermutlich aus.
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Und AfD und FDP schüren Angst und machen mit ihren Horrorgeschichten sogar Stephen King Konkurrenz.
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Zu anderen Problemen wie Schäden durch Wildschweine oder verwilderte Hunde, die ebenfalls Schafe und Weidetiere reißen, höre ich von Ihnen nichts; die ignorieren Sie. Aber wir alle wollen doch den Schäferinnen und Schäfern helfen. Dazu können Sie heute beitragen: Stimmen Sie mit uns gemeinsam für Herdenschutzmaßnahmen, die bundesweit einheitlich sind, und für die vollständige Finanzierung von Herdenschutzhunden.
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Stimmen Sie mit uns für die Beweislastumkehr, das heißt, dass nach Übergriffen auf Weidetiere immer entschädigt wird, solange nicht eindeutig ein Wolfsangriff ausgeschlossen wird. Im Übrigen: Stimmen Sie mit uns für eine Weidetierprämie von 30 Euro. – Damit ist den Schäferinnen und Schäfern wirklich geholfen.
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Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, wie ist die geltende Gesetzeslage? Wenn ein Wolf mehrfach Nutztiere reißt, wenn ein Wolf die Scheu vor Menschen verliert, dann kann er bereits heute entnommen werden. Das ist möglich. Das akzeptieren wir auch. Aber leider sind die Wölfe für manche Jäger zu clever; sie werden nicht erwischt.
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Da hilft es nicht, neue Gesetze zu machen; da müssen Sie eine bessere Jagd organisieren. Neue Gesetze versagen. Arbeiten Sie besser zusammen, dann können Sie das auch lösen.
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Die Koalition stiehlt sich aus ihrer Verantwortung und lädt die Risiken bei den Kommunen ab. Sie wissen doch ganz genau, dass nach EU-Richtlinie die Entnahme eines geschützten Tieres wie des Wolfes nur möglich ist, wenn der Bestand im Land nicht gefährdet wird. Sie machen kein bundesweites Monitoring. Gleichzeitig erlauben Sie das Abschießen von ganzen Rudeln. Wenn jetzt mehrere Landkreise gleichzeitig der Entnahme von Rudeln zustimmen und damit der Bestand in Deutschland gefährdet ist, drohen Strafzahlungen an die EU. Wer muss dann bezahlen? Die Kommunen. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
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Dieses Gesetz löst keine Probleme. Dieses Gesetz hilft den Schäferinnen und Schäfern nicht. Dieses Gesetz verschärft Risiken und Umsetzungsprobleme bei den Kommunen. Die Linke wird es genauso ablehnen wie den noch schlechteren Entwurf der FDP.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Steffi Lemke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel der vorliegenden Gesetzesänderung ist die Schaffung größerer Rechtssicherheit bei der Erteilung von Abschussgenehmigungen für den Wolf. Mit diesem Gesetz wird jedoch das Gegenteil erreicht. Er schafft neue Rechtsunsicherheit. Dies wurde Ihnen in der Expertenanhörung des Umweltausschusses von den Expertinnen durch die Bank bestätigt.
Die Änderung von „erheblichen Schäden“ hin zu „ernsten Schäden“ ist nicht nachvollziehbar. Es bleibt völlig unersichtlich, was Sie damit bezwecken. Gerichte werden jetzt ausurteilen müssen, was der Unterschied zwischen diesen beiden Wörtern ist; denn in der Brandenburgischen Wolfsverordnung ist bereits heute festgelegt, nach heute gültigen Rechtsmaßstäben, dass nach dem zweimaligen Überwinden von Herdenschutzmaßnahmen der Wolf abgeschossen werden kann. Das heißt, dass der Betrieb in seiner Existenz bedroht sein muss, ist bereits heute überhaupt nicht das Kriterium.
Sie hatten wenigstens genug Einsicht, den allergrößten Klops aus Ihrem Gesetz herauszunehmen. Sie haben das ursprünglich von Ihnen geplante Desaster für Gerichte, Naturschutzbehörden und unzählige geschützte Arten abgewendet. Andernfalls wäre jetzt bei Hobbytierhaltung ebenfalls eine Abschussgenehmigung möglich gewesen. Das ist das einzige Positive, was es in der heutigen Debatte dazu zu sagen gibt.
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Das Hauptproblem, das Sie mit diesem Gesetz neu schaffen und das weder europarechtskonform ist noch in Deutschland zu mehr Rechtssicherheit führen wird, ist der neue § 45a, mit dem Sie jetzt den Abschuss ganzer Rudel von Wölfen ermöglichen wollen. Damit wird der Individuenbezug aufgegeben. Von den Sachverständigen ist Ihnen klipp und klar gesagt worden, dass das rechtswidrig ist. Es ist mit Europarecht nicht vereinbar.
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Die Sachverständigen haben Ihnen ebenfalls prophezeit, dass das ein Vertragsverletzungsverfahren der EU nach sich ziehen kann. Der EuGH hat in seinem Finnland-Urteil vom Oktober 2019 klargestellt, dass ein Präventivabschuss des Wolfes europarechtlich nicht möglich ist.
Der letzte Punkt. Überhaupt nichts sagt Ihr Gesetzentwurf zu den real existierenden Problemen. Ich komme auf Schleswig-Holstein zurück. Dort existieren insgesamt zwei Wölfe, zumindest zwei nachgewiesene Wölfe. Für den auffälligen männlichen Wolf GW924m, der mindestens 14-mal Herdenschutzzäune überwunden hat, wurde im Januar 2019 die Abschussgenehmigung rechtskonform erteilt. Seitdem musste diese Genehmigung dreimal verlängert werden. Es sind inzwischen 175 Personen zum Abschuss berechtigt, und der Wolf lebt immer noch. – Herr Busen, Sie können mit Ihrer Patrone gerne mal rausgehen und versuchen, ihn zu schießen. Es ist bisher 175 Personen innerhalb eines Jahres nicht gelungen. Und jetzt ist dieser Wolf so frech und überquert einfach die Grenze von Schleswig-Holstein nach Mecklenburg-Vorpommern, und siehe da, die Abschussgenehmigung erlischt.
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Diesem Rechtsproblem widmen Sie sich in keinster Weise. Statt Probleme in der Praxis zu lösen – mein Kollege Lenkert hat zu der Weidetierprämie bereits einiges ausgeführt –, statt sich diesen Problemen zu widmen, schaffen Sie jetzt neue Rechtsunsicherheit mit diesem Gesetzentwurf. Dafür können Sie von uns keine Zustimmung erwarten.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze für die Fraktion der CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zeigt, dass das, was wir im Koalitionsvertrag mit unseren sozialdemokratischen Partnern vereinbart haben, in vielen Bereichen sehr intensiv diskutiert wird. Auf der einen Seite bestehen Belange in der Bevölkerung vor allem im ländlichen Bereich; ich meine jetzt nicht die Balkonbiologen aus den Ballungsräumen,
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sondern ich meine diejenigen, die im ländlichen Bereich leben. Auf der anderen Seite gilt europäisches Recht. In diesem Spannungsfeld haben wir eine Situation zu bearbeiten, an die man mit Augenmaß und Schritt für Schritt herangehen muss. Herr Busen, Ihr Vorschlag besagt, den Wolf in das Jagdrecht aufzunehmen, dann Jagdzeiten festzulegen, und dann geht es los. Ich glaube nicht, dass das die Europäische Union zulassen wird. Im Gegenteil: Wir können damit rechnen, dass es relativ schnell eine Entscheidung und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland geben wird.
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Wer am vergangenen Montag die Anhörung verfolgt und zugehört hat, was dort der Kollege Dr. Schneider vorgetragen hat – er ist dort, in Schweden, für das Management von Großraubsäugern verantwortlich –, der konnte den Weg in Schweden nachvollziehen. Dort ist nämlich anhand wissenschaftlicher Grundlagen festgelegt worden, wie groß die Population sein muss, damit der günstige Erhaltungszustand erreicht wird. Danach ist festgelegt worden, wie viele Tiere geschossen werden dürfen. In diesem Jahr beispielsweise ist die Situation eingetreten, dass die Grenze des Korridors, den man in Schweden festgelegt hat, unterschritten wurde, und sie haben für dieses Jahr die Jagd eingestellt. Wenn wir diesen Weg gehen wollen, brauchen wir entsprechende wissenschaftliche Gutachten. Wir werden sicherlich in den nächsten Wochen und Monaten darüber diskutieren, ob wir diesen Weg gehen wollen.
Der zweite Punkt bezieht sich auf das Urteil zu Finnland, angeführt von der Kollegin Lemke. Das finnische Vorgehen war relativ breit gestreut und gründete nicht auf konkreten Hinweisen. Wir wollen im konkreten Fall handeln. Ich glaube nicht, dass das uns versagt wird, zumal es ein weiteres europäisches Land gibt, das diesen Weg beschreitet, nämlich Frankreich. Wenn die Behörden es schaffen, es hinreichend zu definieren, dann bin ich mir relativ sicher, dass wir hier rechtlich auf der sauberen Seite sind.
Das Problem ist – da bin ich teilweise auch der Meinung der Gutachter –: Wir müssen natürlich die zuständigen Behörden, ob das ein Landesumweltamt ist oder eine untere Naturschutzbehörde, durch entsprechende Erlasse in die Lage versetzen, dass sie rechtssichere Entscheidungen treffen können. Wenn wir dann eine solche rechtssichere Entscheidung getroffen haben, dann muss sie auch akzeptiert werden. Es geht nicht an, dass Jäger, die den Auftrag von der Behörde bekommen, hier Maßnahmen zu ergreifen, also das Tier zu entnehmen, sprich zu erschießen, Drohbriefe bekommen. Das geht nicht.
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Es ist eine Verwaltungsentscheidung getroffen worden, und die muss jeder akzeptieren. Da hilft auch kein sogenannter ziviler Ungehorsam; der passt hier nicht rein. An dieser Stelle müssen wir alle gemeinsam daran arbeiten, dass wir solche Wege in Deutschland ganz einfach nicht begehen.
Der Kollege Träger, bei dem ich mich an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit bedanken möchte, hat darauf hingewiesen, dass wir mit einem Antrag im nächsten Jahr die Bundesregierung beauftragen werden, zu untersuchen, wie wir das Problem an den Deichen und das Problem in den Hochgebirgslagen in den Griff bekommen. Dann müssen weitere Entscheidungen daraus abgeleitet werden. Ich persönlich kann mir auch wolfsfreie Gebiete vorstellen. Es gibt in Deutschland – darüber redet aber keiner – rotwildfreie Gebiete. Darüber sagt man einfach: Aus forstwirtschaftlichen Gründen wollen wir kein Rotwild haben. – Wenn die Schutzmaßnahmen von Weidetieren so erheblich und so groß sein müssen, dass man überlegt, ob das noch wirtschaftlich ist, dann müssen wir uns in bestimmten Regionen in Deutschland dafür entscheiden. Auf diese Diskussion sollten wir uns gemeinsam freuen.
Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahrzehnt, in dem wir uns zwar hier weiter streiten, aber letztendlich gute Gesetze auf den Weg bringen.
Danke.
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Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beschließen heute das Gesetz zur Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstgesetzes – das hört sich ein bisschen sperrig an. Ursächlich dafür ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2016. Und zwar hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das BKA-Gesetz nicht den Ansprüchen genügt, die wir an ein solches Gesetz stellen. Deswegen wurde das BKA-Gesetz reformiert. Parallel dazu reformieren wir jetzt das Zollfahndungsdienstgesetz, weil es ähnliche Normen erfüllen soll, und passen es präventiv an.
Der Grundsatz des Urteils war: Je sensibler die persönlichen Daten sind, die durch polizeiliche Eingriffe erhoben werden, desto klarer muss das Gesetz die Voraussetzungen für ihre Erhebung formulieren. Also: keine Erhebung von Daten ohne gesetzliche Grundlage. Die Verwendung von Daten zu anderen Zwecken kann nur erfolgen, wenn ein ähnlich schwerer Schaden an einem Rechtsgut zu erwarten ist. Diese Vorgaben setzen wir mit dem vorliegenden Gesetz um, und zusätzlich wollen wir europarechtliche Datenschutzvorschriften umsetzen.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird eigentlich fast eins zu eins übernommen: Wir stärken die Datenschutzrechte der Betroffenen. Wir stärken die Anwenderfreundlichkeit für die ausübenden Zöllner, das heißt, es gibt eigene Kapitel für die Bereiche des Zolls. Wir gewährleisten den Gleichlauf der Sicherheitsbehörden des Bundes. Wir aktualisieren die Befugnisse wegen neuer komplexer Erscheinungsformen der Zollkriminalität, zum Beispiel indem jetzt der Einsatz verdeckter Ermittler ermöglicht wird.
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– Ja. – Wir passen die Quellentelekommunikationsüberwachung an, das heißt, wir sorgen dafür, dass auch verschlüsselte digitale Kommunikation überwacht werden kann; auch das ist, denke ich, zeitgemäß. Was wir aber nicht wollen, ist eine dauerhafte Überwachung, und wir verzichten bewusst auf sogenannte Onlinedurchsuchungen. Wir haben also den hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen.
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Bei besonders eingriffsintensiven und anonymen Maßnahmen gibt es Auskunftspflichten gegenüber Betroffenen.
Fazit: Das neue Gesetz macht Zoll und Zollfahndungsdienst ein Stück zukunftssicherer, und wir gewährleisten das mit 26 zusätzlichen Stellen.
Ich möchte kurz noch etwas zu den Aufgaben des Zolls sagen, weil diese vielen gar nicht so bewusst sind. Der Zoll ist hauptsächlich und maßgeblich dafür verantwortlich, dass wir durch die Verbrauchsteuererhebung im Jahr 2018 Steuereinnahmen in Höhe von 135 Milliarden Euro hatten. 135 Milliarden Euro! Das ist ein ganz großer Anteil am Bundeshaushalt, den der Zoll uns organisiert.
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Außerdem ist der Zoll zuständig für die Organisation von Warenein- und ‑ausfuhrkontrollen. Im Jahr 2018 war der Zoll für 242 Millionen Zollabfertigungen zuständig. Der Zoll ist auch zuständig für die Vollstreckung bei ausstehenden Steuern und für die Bekämpfung von Schwarzarbeit, Mindestlohnverstößen und illegaler Beschäftigung durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Hier wurden 111 000 Strafverfahren eingeleitet und Freiheitsstrafen von insgesamt 1 700 Jahren verhängt; auch das sind Statistiken, die man sich immer wieder vor Augen führen muss. Der Zoll ist auch zuständig für die Bekämpfung von Produktpiraterie, für die Bekämpfung von Drogenschmuggel und für die Außenwirtschaftskriminalitätsbekämpfung. Außerdem gibt es Zollkontrollen zur Terrorismusbekämpfung und zur Bekämpfung der Geldwäschekriminalität, hier besonders durch die Spezialeinheit FIU.
Auch der Aufbau des Zolls ist interessant – das ist vielen gar nicht so bewusst –: Es gibt 9 Direktionen mit Hauptsitz in Bonn. Auf Ortsebene gibt es 41 Hauptzollämter, 252 nachgelagerte Zollämter – der Zoll ist also in der Fläche – und 8 Zollfahndungsämter. Es gibt 3 500 Zollfahnder als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, die staatsanwaltschaftliche Befugnisse haben, und es gibt im Ganzen 40 000 Beschäftigte beim Zoll. Allen, die uns immer wieder erzählen, der Zoll müsse aufwachsen, der Zoll sei unterbesetzt, möchte ich einfach einmal diese Zahlen entgegenhalten.
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Die aktuelle Koalition hat in dieser Legislatur schon sehr wichtige Sachen beschlossen. Wir haben die Finanzkontrolle Schwarzarbeit durch Befugniserweiterung extrem gestärkt. Wir haben allein im Haushalt 2018 1 400 neue Stellen beim Zoll geschaffen. Der Haushalt 2019 hat die Grundlage für circa 4 700 weitere Stellen beim Zoll für die nächsten Jahre gelegt. Deswegen, finde ich, ist der Zoll gut aufgestellt. Wenn wir allerdings merken – wir beobachten das ganz genau –, dass der Zoll Schwierigkeiten personeller oder anderer Art hat, sind wir in der Koalition immer bereit, Gesetze für den Zoll zu erlassen, um die Arbeit des Zolls zu ermöglichen.
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Ich finde, der Zoll ist eine sehr wichtige Institution. Das vorliegende Gesetz erleichtert die Arbeit des Zolls und ermöglicht viele Dinge erst, aber es sichert auch die Grundrechte unserer Bevölkerung. Deswegen ist es ein sehr gutes Gesetz. Ich bedanke mich noch einmal bei allen, die an der Erarbeitung dieses Gesetzes beteiligt waren: beim Ministerium, beim Koalitionspartner und auch bei der Opposition für die sehr konstruktive Mitarbeit. Ich denke, wir können mit dem vorliegenden Gesetz beruhigt ins neue Jahr gehen. Deswegen bitte ich um Zustimmung.
Ich wünsche allen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der AfD der Kollege Kay Gottschalk.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor allen Dingen aber verehrte Zöllner und Zöllnerinnen! An dieser Stelle zunächst einmal: Vielen Dank für Ihre Arbeit. Das haben Sie, Frau Arndt-Brauer, glaube ich, vergessen zu sagen. Ansonsten habe ich den Eindruck, Sie waren bei der Anhörung nicht zugegen, wenn Sie tatsächlich behaupten, Sie kämen mit diesem Gesetz den Bedürfnissen nach bzw. Sie hätten eine ganze Menge Positives für die Stärkung des Zolls getan. Das Einzige, was Sie getan haben, ist: Sie haben den Bedürfnissen der OK Rechnung getragen.
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Aber der Reihe nach. Ich möchte zunächst einmal auf die Anhörung vom 25. November 2019 eingehen. Das war insoweit ein kleiner Durchbruch; denn der von uns benannte Sachverständige, ein wirklicher Zöllner und damit Praktiker, brachte, so war mein Eindruck, eine lebhafte Diskussion in Gang. Man höre und staune:
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Was ich bisher selten und hier im Parlament noch nie erlebt habe, ist die Tatsache, dass zwei andere Sachverständige und auch ein CDU-Abgeordneter vielfach die Dinge und Punkte unseres Sachverständigen aufgriffen und in Teilen sogar bestätigten. Das ist, wie ich finde, in der Weihnachtszeit ein guter Anfang, verehrte Kollegen.
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Kommen wir aber auch zur Kritik aus der Anhörung. Ein wesentlicher Kritikpunkt bleibt, dass die Anzahl der Paragrafen im Gesetzentwurf nahezu verdoppelt wird. Ob dies wirklich zu einer Klarstellung führt, ist aus meiner Sicht nach wie vor hoch fraglich. Ob es in der Praxis dann zu einem leistungsfähigeren Zollfahndungsdienst führt und damit zu einer effizienteren Verbrechensbekämpfung kommt,
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bezweifle ich an dieser Stelle umso mehr. Was unser Sachverständiger auf jeden Fall anführte, ist die Tatsache – und der wurde auch kaum widersprochen; insoweit waren Sie, glaube ich, nicht zugegen, Frau Arndt-Brauer –,
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dass zunächst mal, bevor hier Klarheit kommt, ein erhöhter Schulungsbedarf beim Zoll anfällt. Diese Menschen sind ohnehin heute schon – das haben Sie vergessen – überlastet und haben mit die meisten Überstunden zu leisten. Auch dafür an dieser Stelle noch mal ein großes Dankeschön an den Zoll.
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Da klingt der im Gesetz genannte geschätzte Erfüllungsaufwand der Verwaltung für den Bund – man höre und staune: gerade mal 26 neue Stellen – wie blanker Hohn – und das in der Vorweihnachtszeit.
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Grundsätzlich – das möchte ich an dieser Stelle aber auch betonen – sind wir für eine effiziente und hochmotivierte Verwaltung. Das heißt, wir müssen an dieser Stelle tatsächlich darüber nachdenken, wie wir den gewaltigen Beamtenapparat umbauen, um das Personal dort einzusetzen, wo es in der Tat nötig ist, und es andererseits bitte schön abzubauen oder gar nicht erst aufzublähen, wie es zum Beispiel bei der völlig vergurkten Grundsteuerreform oder bei der Bonpflicht für Bäcker gerade geschieht, meine Damen und Herren. Das wäre weitsichtige, planende Politik; die vermisse ich bei dieser GroKo aber nach wie vor.
Im Bereich Zoll sehen wir als AfD definitiv die Notwendigkeit, das Personal aufzustocken. Lassen Sie mich auch da ein Beispiel aus der Anhörung vom Sachverständigen der GdP, Herrn Buckenhofer, aufgreifen. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:
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In den Medien wird „von einer Kokainschwemme oder von massivem Zuwachs des Schmuggels von Crystal Meth an der deutsch-niederländischen Grenze berichtet“. – Die Aufgaben des Zollfahndungsdienstes werden also an dieser Stelle immer umfangreicher. Trotz ungesicherter Grenzen? Meiner Meinung nach eher wegen dieser völlig ungesicherten Grenzen, meine Damen und Herren. Und auch der Rekordfund eines Containers mit Kokain im Hamburger Hafen dürfte an dieser Stelle wohl nur die Spitze eines Eisberges sein. Wir könnten, glaube ich, noch viel mehr Elend von den Straßen holen, wenn wir dort den Zoll stärken würden.
Daher ist klar: Der Zoll braucht an dieser Stelle mehr Personal. Dennoch: Der Zoll könnte aus meiner Sicht deutlich effizienter strukturiert werden, was insbesondere bei der Verwaltung und der Führung teures Personal einsparen könnte. Grund dafür sind auch dort – Sie haben es sogar genannt – die Doppelstrukturen unter dem Dach des Zolls, was auch die GdP kritisiert.
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Lassen Sie mich am Rande weitere Strukturen nennen: die FIU und die FKS. Frau Arndt-Brauer, Sie haben sie angeführt. Dabei kontrolliert die FIU, die Sie hier eben genannt haben und die wirklich nicht so gut funktioniert – ein Drittel der Stellen sind unbesetzt –, nur die andere Seite der organisierten Kriminalität; denn Geldwäsche stellt ja nur die Legalisierung eines erfolgreichen Umgehens des Zollfahndungsdienstes dar. Im Klartext: Die Drogen sind am Mann, an der Frau oder am dritten Geschlecht; jetzt muss das Geld legalisiert werden.
Daher, meine Damen und Herren, können und werden wir diesem Gesetz an dieser Stelle nicht zustimmen. Für uns heißt es eindeutig: Grenzkontrollen statt Bonkontrollen.
Ihnen ein frohes Weihnachtsfest
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und Erkenntnisgewinn!
Danke schön.
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Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Thomas de Maizière.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist es nach langen Beratungen endlich so weit: Wir verabschieden das neue Zollfahndungsdienstgesetz und setzen, wie Frau Arndt-Brauer es schon gesagt hat, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz, also zum Gesetz über das Bundeskriminalamt, und eine EU-Richtlinie um. Der Zollfahndungsdienst erhält gleichwertige Befugnisse wie das Bundeskriminalamt, seine Aufgabenverteilung wird grundlegend neu strukturiert, damit er seine Befugnisse auch rechtssicher nutzen kann.
Mit dem Zollfahndungsdienstgesetz verabschieden wir ein wichtiges Gesetz für die Sicherheit unseres Landes. Der Zoll leistet für uns alle dazu einen wichtigen Beitrag; das haben einige schon gesagt. Wenn der Oppositionsredner Herr Gottschalk
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als Fundamentalkritik zum Gesetz vorträgt, es löse Schulungsbedarf aus, dann sage ich: Na und? Das ist bei jedem neuen Gesetz so. Wenn das alles an Kritik ist, können Sie eigentlich auch zustimmen. Mehr Stellen werden wir sowieso bekommen.
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In der öffentlichen Debatte kommt zu kurz, dass der Zoll nicht nur eine Verwaltungs- und Vollzugsbehörde des Finanzministeriums ist. Der Zoll ist zugleich eine Sicherheitsbehörde, faktisch eigentlich eine Polizeibehörde. Der Zoll geht nicht nur gegen Unternehmer vor, die ihre Mitarbeiter in Schwarzarbeit schicken, sondern er kämpft an vorderster Front gegen Menschenhandel, Produktpiraterie, Drogenhandel und Geldwäsche. All das ist organisierte Kriminalität. Deswegen ist der Zoll zu Recht ein wichtiger und fester Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Deswegen – das ist der Hauptgrund – ist es wichtig, dass das Bundeskriminalamt und der Zollfahndungsdienst gleichwertige Befugnisse haben. Sie arbeiten arbeitsteilig, und sie arbeiten zusammen. Sie bilden gemeinsame Ermittlungsgruppen. Da wäre es absurd, wenn die eine Bundesbehörde bei gemeinsamen Ermittlungen andere Befugnisse hätte als die andere.
Es steht außer Frage, dass unsere Sicherheitsbehörden eine besondere Verantwortung tragen. Sie tragen Verantwortung für die Sicherheit aller in unserem Land, und sie tragen Verantwortung gegenüber jedem Einzelnen, gerade wenn er betroffen ist. Auch die Rechte von Verdächtigen müssen gewahrt werden. Dieser doppelten Verantwortung werden wir mit diesem Gesetz gerecht.
Die Erweiterung der Befugnisse für den Zoll ist ein wichtiger Beitrag für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität, also zum Schutz aller Bürger. Gleichzeitig werden alle Belange des Datenschutzes gewahrt, wie im EU-Recht vorgesehen und wie vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Dieses umfangreiche Gesetz ist handwerklich und rechtlich eine schwierige Materie, die sich nur wenig zur Polarisierung eignet. Unsere Beratungen waren intensiv, anspruchsvoll und konstruktiv zwischen allen beteiligten Fraktionen, einschließlich der Opposition.
Ein Wort zur Opposition. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie werden gleich kritisieren, dass der Zoll ab jetzt auch im Internet Kommunikation unter strengen Voraussetzungen überwachen darf, und Sie werden einen angeblich nicht ausreichenden Datenschutz kritisieren.
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Dazu sage ich schon mal vorab: Diese Kritik ist aus Ihrer Sicht konsequent, aber falsch. Sie ist deswegen konsequent, weil Sie auch schon gegen Befugnisse des Bundeskriminalamts im Internet waren und auch da schon vorgetragen haben, dass die Datenschutzregeln nicht angemessen sind. Ihre Kritik ist falsch; denn wir wollen, dass alle Sicherheitsbehörden gleichwertige Befugnisse haben und auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Vor allem gilt: Wer dagegen ist, dass die Sicherheitsbehörden das im Internet dürfen, was sie in Wohnungen, auf der Straße und im Geschäft unbestritten dürfen, um Straftäter zu ermitteln, macht die Sicherheitsbehörden blind und taub und erleichtert Straftätern ihr Geschäft.
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Zusammengefasst: Die Novellierung des Zollfahndungsdienstgesetzes – genau genommen die Neufassung; es ist ja eine umfassende Neuregelung – ist sinnvoll, notwendig und verhältnismäßig. Sie dient der Sicherheit unseres Landes und verdient Zustimmung von möglichst vielen in diesem Haus.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Bevor wir mit der Debatte fortfahren, möchte ich gerne die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt geben. Sie liegen inzwischen vor.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was wir hier zur Abstimmung vorliegen haben, ist in Wirklichkeit nicht, wie die Bundesregierung uns weismachen will, die Weiterentwicklung eines Gesetzes. Die darin enthaltenen wesentlichen Befugnisausweitungen für den Zollfahndungsdienst machen daraus nämlich ein Gesetz völlig neuer Qualität.
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Das Gesetz trägt schon die Handschrift eines Polizeigesetzes und ist ein Gesetz im Schafspelz.
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Zukünftig sollen neben vielen anderen Maßnahmen auch noch Bewegungsbilder aus Verbindungsdaten erstellt, Chatnachrichten mittels Spähsoftware ausgelesen und verdeckte Ermittler eingesetzt werden, alles oft ohne hinreichende Begründungserfordernis. Außerdem sollen tatsächlich Maßnahmen aufgrund drohender Gefahr ergriffen werden können. Das ist ein Maßnahmenkatalog, der es in sich hat.
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Wir machen uns eigentlich nur die Bedenken zu eigen, die unter anderem auch der Bundesdatenschutzbeauftragte in seiner Stellungnahme vorbrachte. Dass diese Bedenken scheinbar so an Ihnen abprallen, liebe Kollegen der Großen Koalition, sollte den Bürgerinnen und Bürgern wirklich zu denken geben.
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In unserem Entschließungsantrag zeigen wir sehr detailliert auf, wo wir die vielen Schwächen dieses Gesetzentwurfs sehen, und fordern die Bundesregierung auf, das Gesetz grundlegend zu überarbeiten. Beispielhaft will ich drei Punkte nennen.
Erstmals werden Befugnisse zur sogenannten Quellentelekommunikationsüberwachung eingeräumt.
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Diese Maßnahmen sind potenziell geeignet, Zugriffe auf das gesamte IT-System zu ermöglichen.
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Deshalb sind hier dringend strengere Voraussetzungen festzuschreiben, wie beispielsweise bei der Onlinedurchsuchung. Die vorgesehene Regelung hierzu begegnet in unseren Reihen großen verfassungsrechtlichen Bedenken.
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Der zweite Punkt. Das Gesetz sieht vor, dass zukünftig schon sogenannte als gefährlich eingestufte Personen in den Fokus staatlicher Überwachung geraten können, und zwar völlig unabhängig von einer konkreten Straftat. Eine derartige Maßnahmenergreifung auf der Basis einer drohenden Gefahr lädt aus unserer Sicht zu Missbrauch ein
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und sollte so nicht Gegenstand eines Gefahrenabwehrgesetzes des Bundes sein.
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Dritter Punkt. Mit der neugeschaffenen Möglichkeit, dynamische IP-Adressen permanent abzurufen und fortlaufend zu speichern, verstößt das Gesetz aus unserer Sicht klar gegen Artikel 10 des Grundgesetzes.
Sehr geehrter Herr Kollege de Maizière, Sie kannten meine Rede offenbar schon. Sie werfen uns immer vor, den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Eingriffen des Staates allzusehr über die Notwendigkeit staatlichen Handelns zu stellen.
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Ich meine, dass die hier deutlich werdenden Gewichtungen einer der Gründe sind, warum wir nicht alle in der CDU sind, und vermutlich ist das auch gut so.
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Bei aller Notwendigkeit, den Zoll technisch und rechtlich gut auszustatten, damit er seine wirklich wichtigen Aufgaben auch wahrnehmen kann: Dieses Gesetz lässt die notwendige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit deutlich vermissen.
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Es ist toxisch; es ist Gift für die Bürgerrechte. Deshalb lehnen wir es ab.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Fabio De Masi.
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Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Der Zollfahndungsdienst wird neu aufgestellt. Es ist selbstverständlich gut und richtig, wenn Behörden im Kampf gegen Geldwäsche, Finanzkriminalität oder Lohndrückerei aufrüsten. Deutschland ist ein Paradies für Geldwäsche, und in Städten wie Hamburg und Berlin oder im Ruhrgebiet haben wir einen regelrechten Arbeiterstrich, wo sittenwidrige Löhne gezahlt werden.
Die Kontrollen sind lückenhaft, untergraben Mindestlöhne, und der Zoll nimmt laut Insidern die eigenen Prüfquoten beim Mindestlohn nicht ernst, weil er weiß, dass er derzeit nicht befähigt ist, die Mindestlöhne am Arbeitsmarkt ordnungsgemäß durchzusetzen.
Bei Verstößen ist es immer wieder so, dass überwiegend Bauarbeiter oder Beschäftigte in Schlachtbetrieben dran glauben müssen, nicht die Bosse. Daher sagt Die Linke: Wir wollen die Generalunternehmerhaftung stärken,
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damit Firmen nicht Aufträge an Subunternehmen vergeben und sich dann nicht zuständig fühlen, wenn Löhne gedrückt werden.
Mit dem Zollfahndungsdienstgesetz sollen neue Befugnisse zu verdeckten Ermittlungen geschaffen werden. Aber es gibt zahlreiche Doppelstrukturen beim Zoll, etwa im Verhältnis zum Zollkriminalamt. Es gibt unklare Rechtsbegriffe, die die Anwendung auch für die Beamten selber schwer machen. Synergien mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit etwa bei der Forensik, also der Kriminaltechnik, oder der Vermögensabschöpfung bleiben so ungenutzt.
Für Zollfahnder ist das Gesetz – das haben Sie selber in der Anhörung beklagt – oft unverständlich. Es ist nicht klar für die Beamten; es ist aber auch nicht klar für die betroffenen Bürger. Wo im Polizeirecht zum Beispiel von Sicherung von Beamten die Rede ist, wird hier von Schutz gesprochen. Es ist also nicht klar: Ist die Sicherung der eigenen Beamten gemeint oder der Schutz der Bürger?
Auch die Financial Intelligence Unit des Zolls, die für die Geldwäschebekämpfung zuständig ist, bleibt eine Baustelle. Bei der FIU – das habe ich bereits 2017 mit Anfragen an die Bundesregierung aufgedeckt – gab es einen Riesenrückstau an unbearbeiteten Geldwäscheverdachtsmeldungen einschließlich Verdacht auf Terrorfinanzierung. Sie wurden zu spät bearbeitet, und das hat dazu geführt, dass auch Gelder von Terrorverdächtigen nicht eingefroren werden konnten.
Diese Planstellen, die jetzt bei der FIU zusätzlich geschaffen werden – das ist gut –, bleiben weiterhin unbesetzt. Dort sind viele Aushilfen tätig, die überhaupt keine Erfahrung mit der Anwendung von Geldwäschegesetzen haben. Mir hat kürzlich ein ehemaliger LKA-Beamter geschildert, dass er bei einem Lehrgang in der FIU vor 100 Beamten saß, von denen nur einer in der Lage war, die einschlägigen geldwäscherechtlichen Bestimmungen anzuwenden, und zwar nicht, weil sie irgendwie zu blöd wären, sondern weil dort eben nicht das entsprechende Personal angeheuert wird.
Der Zoll muss von daher dringend befähigt werden. Er darf nicht auf dem Fahrrad gegen den Ferrari unterwegs sein.
Natürlich müssen auch die Bedenken des Bundesdatenschutzbeauftragten berücksichtigt werden. Denn es gefährdet auch Ermittlungen, wenn man zu freigebig Daten durch halb Europa schickt.
Eine abschließende Bemerkung sei mir gestattet, Herr Präsident, weil die AfD gemeint hat, es ginge darum, den Kokainschmuggel in Deutschland zu bekämpfen. Dann sollte den Zuschauern auch mitgeteilt werden, dass ein AfD-Kommunalpolitiker aus Bremerhaven bezichtigt wird, kürzlich 98 Kilo Kokain mit einem Marktwert von 8 Millionen Euro geschmuggelt zu haben. Ich denke, das ist eine wertvolle Information auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Lisa Paus.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Zoll erfüllt eine oft unterschätzte Funktion innerhalb der deutschen Sicherheitsarchitektur. Die Verfolgung von Geldwäsche und illegalen Rüstungsexporten zum Beispiel gehört zu seinen Aufgaben, aber auch die Bekämpfung von Schwarzarbeit und Steuerbetrug. Dafür braucht der Zoll selbstverständlich ausreichende Ressourcen und auch Befugnisse.
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Aber er braucht nicht dieses Gesetz, meine Damen und Herren.
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Herr Staatssekretär Bösinger pries diese Novelle des Zollfahndungsdienstgesetzes mit dem Bild, mit diesem Gesetz sei der Zoll nicht mehr der kleine Bruder des Bundeskriminalamtes, sondern sein Zwilling. Das finde ich auch, meine Damen und Herren, aber das heißt leider vor allem, dass Sie von der Großen Koalition beim Zoll jetzt all die hochproblematischen Grundrechtseingriffe wiederholen, die Sie schon beim Bundeskriminalamt gemacht haben. Das heißt, Sie verdoppeln die Probleme.
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Ich nenne beispielhaft zwei:
Erstes Problem. Sie schaffen mit diesem Gesetz auch für den Zoll die gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Staatstrojanern. Hier schließt sich ironischerweise ein Kreis; denn es war der Zoll, der als erste deutsche Behörde bereits 2007 Staatstrojaner einsetzte – damals allerdings ohne rechtliche Grundlage. Jetzt gibt es diese rechtliche Grundlage, aber die löst natürlich nicht das massive strukturelle Problem bei der Anwendung von Staatstrojanern; denn diese Software funktioniert eben gerade dann, wenn dafür gravierende Sicherheitslücken offen gehalten werden. Mit anderen Worten: Mit dem Einsatz von Staatstrojanern setzt der Staat sämtliche Anwenderinnen und Anwender von Handys und Computern bewusst erheblichen Sicherheitsrisiken durch Dritte aus,
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und das lehnen wir ab.
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Zweites Problem. Es fehlt in diesem Gesetz die klare Abgrenzung gegenüber der Arbeitsweise eines Geheimdienstes.
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So darf der Zoll zukünftig nämlich bereits bei Verdacht verdeckte Ermittler einsetzen, und auch die präventiven Telefonüberwachungsmöglichkeiten werden ausgeweitet.
Der Sachverständige Dr. Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, formulierte es bei der Anhörung zum BKA-Gesetz folgendermaßen: Anstatt sich in der Mitte einer vorgegebenen Fahrspur möglicher Grundrechtseingriffe zu bewegen, schrammt der Gesetzgeber konsequent an der rechten Leitplanke entlang. – Und das gilt leider eben auch hier wieder, werte Kollegen.
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Die GroKo kommt mir an diesem Punkt so vor wie ein ganz unbegabter Fahrschüler: Sie verschrammen ohne jede Not das Grundgesetz.
Außerdem hat das Gesetz viele Doppelungen, die die Handhabbarkeit in der Praxis unnötig erschweren. Dabei wäre die gute Handhabbarkeit eines Gesetzes gerade bei einer Behörde, in der Tausende Stellen nach wie vor unbesetzt sind, besonders wichtig. Einige Sachverständige empfahlen sogar, es deshalb schon aus rein handwerklichen Gründen zurückzuziehen. Das haben Sie abgelehnt. Schade! So müssen wir dieses Gesetz ablehnen, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Sebastian Brehm für die Fraktion der CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer wenn eine EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wird, empfiehlt es sich natürlich, nicht mehr zu machen, als nach der Richtlinie notwendig ist, und Gleiches gilt auch, wenn eine Gerichtsentscheidung getroffen wurde. Beides haben wir hier bei der Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstgesetzes: Wir setzen einerseits eine Richtlinie aus der EU und andererseits das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeskriminalamtgesetz vom 20. April 2016 um. Beide haben eine Neustrukturierung des Zollfahndungsdienstgesetzes erforderlich gemacht.
Darüber hinaus ist eine Neustrukturierung des Zolls aber auch deshalb notwendig, weil der Zoll immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt wird. Daher kommt es nun zu dieser notwendigen Neustrukturierung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland sichern rund 39 000 Zöllnerinnen und Zöllner täglich die Leistungsfähigkeit unseres Gemeinwesens. Sie fördern den Wirtschaftsstandort Deutschland und tragen zur Stabilisierung der Sozialsysteme bei. Die Männer und Frauen des Zolls schützen unsere Wirtschaft vor Wettbewerbsverzerrungen, sie schützen die Verbraucher vor mangelhaften Waren, und sie schützen die Bevölkerung eben auch vor den Folgen grenzüberschreitender organisierter Kriminalität.
Die Anforderungen an den Zoll entwickeln sich ständig weiter, und auch in den letzten Jahren kamen weitere Anforderungen dazu: die Überwachung des Mindestlohns, die Verwaltung der Kfz-Steuer und anderes. Zur Erfüllung dieses sehr breiten Spektrums – insbesondere auch des Zollfahndungsdienstes – bedarf es einer modernen und flexiblen Organisationsstruktur, und es braucht auch eine entsprechende Unterstützung seitens der Politik.
Lassen Sie mich an dieser Stelle für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion meinen Dank an alle diese 39 000 Zöllnerinnen und Zöllner im Land richten, die auch heute unsere Staatsfinanzen und Sozialsysteme schützen sowie den Umwelt- und Verbraucherschutz gewährleisten – und das teilweise übrigens auch unter Einsatz ihres Lebens. Sie machen ihre Arbeit hervorragend. Herzlichen Dank dafür!
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Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine Verbesserung der Grundlagen für die praktische Arbeit der Zöllnerinnen und Zöllner. Er verbessert aber vor allem auch die Möglichkeiten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Künftig sind die Ermittler des Zolls mit ihren Kolleginnen und Kollegen des Bundeskriminalamts de facto gleichgestellt.
Die Befugnisse des Zolls werden gestärkt durch den Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler. Verdeckte Ermittler sind aber nicht nur zum Zwecke der Strafverfolgung notwendig, sondern auch zur Gefahrenabwehr, und das leistet der Zoll.
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Erfolgen soll diese Gefahrenabwehr eben auch durch mögliche Telekommunikationsüberwachung, und diese Überwachung muss durch verdeckte Ermittler erfolgen; denn nur die kennen die Codeworte der Drogendealer und derjenigen, die über WhatsApp und Messenger-Dienste entsprechende Kennungen senden. Sie behaupten nun, das werde einfach bei jedem Bürger gemacht. Das ist falsch. Es ist natürlich immer nur in begründeten Fällen möglich, und das muss man hier in diesem Zusammenhang auch mal deutlich sagen, lieber Kollege Herbrand, liebe Frau Paus.
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Es ist gut und richtig, dass dieses Gesetz neu geregelt wird – für eine effektive Verbrechensbekämpfung. Wer heute diesen Gesetzentwurf also ablehnt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, der läuft Gefahr, Verbrechensbekämpfung zu verhindern. Das sollten Sie bei der Abstimmung mitbedenken, und das kann doch nicht in unserem Sinne sein.
Wir stärken den Zoll; Sie reden davon, lehnen dann aber das Gesetz ab. Lieber Herr Gottschalk, das ist unglaubwürdig, und deswegen sollten Sie entweder zustimmen oder nicht solche Reden im Parlament führen.
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Wir wollen einen starken Zoll. Der vorliegende Gesetzentwurf verbessert die Grundlagen für eine effektive Arbeit unserer Zöllnerinnen und Zöllner, und das ist gut und richtig. Deshalb begrüßen wir diesen Gesetzentwurf, und wir stimmen selbstverständlich zu.
Ich danke den Berichterstattern, insbesondere Dr. Thomas de Maizière, der als zuständiger Berichterstatter dieses Gesetz mit großem Sachverstand begleitet und verhandelt hat.
Lassen Sie uns ein deutliches Zeichen für den Zoll und für den Zollfahndungsdienst sowie gegen die organisierte Kriminalität in Deutschland setzen! Deswegen bitte ich um breite Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute auf Antrag der Fraktion Die Linke über die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich. Sie möchten ZITiS, wie diese Behörde kurz genannt wird, abschaffen.
Auf gut einer Seite Ihres Antrags stellen Sie dar, aus welchen Gründen die für uns sehr wichtige Behörde abgeschafft werden sollte, und ich muss Ihnen sagen: Da stehen so viele unwahre Behauptungen drin, dass ich Ihnen vielleicht noch mal kurz erkläre, lieber Herr Hahn – Sie werden ja noch sprechen –, was die Behörde eigentlich macht und was ihr Zweck ist.
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ZITiS ist in erster Linie eine Forschungs- und Wissenschaftsstelle für unsere Sicherheitsbehörden. Sie ist dazu da, digitale Forensik zu betreiben, unsere Behörden bei der Telekommunikationsüberwachung zu unterstützen, bei der Kryptoanalyse und im Fall von Big Data, das heißt bei der Analyse großer Datenmengen, wie sie zum Beispiel bei Großereignissen schnell zusammenkommen, wenn Zeugen zum Beispiel Videos oder Fotos in rauen Mengen bei unseren Sicherheitsbehörden einreichen. Dann zählt bei der Verfolgung eines potenziellen Täters jede Stunde, dann geht es darum, diese Datenmengen schnell analysieren zu können. Genau das macht ZITiS unter anderem.
Was ZITiS nicht ist – so wie Sie es behaupten –: ZITiS ist keine Behörde, die einen Hackback durchführt, die ein Arsenal aufbaut, wie es nur Staaten verfügen können. ZITiS ist keine Behörde, die über irgendeine operative Befugnis verfügt. Nehmen Sie das bitte erst einmal zur Kenntnis.
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Dann sprechen wir darüber: Warum braucht es überhaupt ZITiS? Das ist ein ganz interessanter Punkt. Denn heutzutage haben wir es häufig mit Handys zu tun; das ist eine Binsenweisheit. Kriminelle haben sich natürlich längst die neuen Kommunikationswege erschlossen, verwenden Messenger-Dienste und verschlüsselte E-Mails. Wir hatten jüngst den schweren Terroranschlag in meiner Heimatstadt Halle an der Saale. Der Täter hatte natürlich auch ein Mobiltelefon. Jetzt stellt sich die Frage: Wie kommt man an diese Daten ran? Sie können die Telekommunikationsanbieter fragen, können natürlich auch die Unternehmen fragen. Das ist genau das, was zumeist von der Opposition kritisiert wird. Da geht es um Datensicherheit.
Genau diese Datensicherheit haben wir schon: Weil nämlich die Unternehmen nicht mit dem Staat kooperieren, wenn es darum geht, ihre Verschlüsselung preiszugeben. In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie kommen gar nicht an die Daten und können die Netzwerke nicht aufdecken, Sie können die Hintergründe nicht aufdecken, und Sie können keine Strafverfolgung in dem Moment machen.
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Oder Sie versuchen, mit den Möglichkeiten, die ein Rechtsstaat hat, Methoden zu entwickeln, um genau an diese Daten heranzukommen, wenn das kriminelle Gegenüber eben nicht kooperieren will. Genau das macht ZITiS.
Meine lieben Kollegen, ein weiteres Beispiel ist der Fall Nordkreuz. Herr Hahn, Sie beschweren sich im Innenausschuss immer, man müsse die Netzwerke aufdecken. Sie wissen noch viel besser als ich, dass auch da die entsprechenden Protokolle natürlich verschlüsselt sind und dass wir da nicht an die Geräte herankommen. Ich bin gespannt darauf, wie Sie uns nachher erklären wollen, wie es möglich sein soll, an diese Daten heranzukommen ohne eine so wichtige Behörde wie ZITiS.
Dann möchte ich noch etwas zum Duktus Ihres Antrages sagen. Sie sprechen hier von einer Behörde, die ein „Arsenal“ aufbaut, die ein „verlängerter Arm der Geheimdienste“ ist, und Sie unterstellen der Bundesregierung Verschleierungstaktik, weil sie genau diese Behörde mit einem ganz normalen Erlass errichtet hat. Wissen Sie, das ist selbst für Ihre Verhältnisse nicht würdig und der Debatte nicht angemessen. Sie sollten sich bei den Mitarbeitern dieser Behörde wirklich einmal entschuldigen!
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Meine Damen und Herren, Sie sprechen weiterhin von – angeblich – fehlender parlamentarischer Kontrolle dieser Behörde.
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Sie haben dazu eine Kleine Anfrage gestellt. Daraus möchte ich einmal zitieren, was Sie sich unter parlamentarischer Kontrolle dieser Behörde vorstellen. Sie haben konkret die Frage gestellt, wie viel Werbemittel die ZITiS bisher ausgereicht hat, und erwarten daraus einen Erkenntnisgewinn für die digitale Souveränität unseres Landes. Also wirklich, wenn das die Qualität ist, mit der Sie parlamentarische Kontrolle ausüben, dann brauchen wir die von Ihrer Seite, glaube ich, überhaupt nicht.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin selbst ein großer Fan von James Bond. Niemand würde auf die Idee kommen, ihm die Abteilung Q zu streichen. Und nichts anderes macht auch ZITiS. Wir sind der Meinung, ZITiS ist eine gute Behörde. Wir möchten an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, dieser Behörde einfach einmal zu danken, den Mitarbeitern, die dort tätig sind, die jeden Tag einen Mehrwert dazu beitragen, dass unser Land sicherer wird, dass wir Kriminellen im Cyberraum eben keine Verstecke liefern, keine Schlupflöcher liefern, dass wir zeigen: Der Staat kann sich sehr wohl wehren.
Ihr Antrag, diese Behörde abzuschaffen, sorgt nicht für mehr Sicherheit, sondern für weniger Sicherheit. Deshalb werden wir Ihren Antrag konsequent ablehnen.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der AfD der Kollege Dr. Christian Wirth.
({0})
Herr Präsident! Werte Kollegen! Die Linke fordert in ihrem Antrag die Auflösung der erst 2017 gegründeten Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich. Die Begründung hierfür: Die Behörde gefährde die Datensicherheit und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Sie bezichtigen die Behörde, staatlich legitimiertes Hacken zu unterstützen.
Terrorismus – links, rechts und religiös motiviert – sowie die organisierte Kriminalität sind, wie uns sicher allen bewusst ist, längst im digitalen Zeitalter angekommen. Das heißt, der Schutz der Bürger findet auch im sogenannten Cyberspace statt.
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Wie wichtig eine gut ausgestattete Ermittlungsbehörde ist, zeigt der Fall Breitscheidplatz, bei dem alleine 7 600 Telefonverbindungen, 10 190 Nachrichten an Mobiltelefone und 91 000 Internetverbindungen ausgewertet werden mussten. Und so muss man feststellen, dass Sie mit Ihrem Antrag nicht nur dem Kampf gegen den religiösen Terrorismus und die organisierte Kriminalität schaden, sondern auch dem Kampf gegen Rechtsterrorismus, und dies aus einem einzigen Grund: Sie wollen Ihre gewaltorientierte Klientel wie die Antifa schützen, die sich natürlich längst in diesem Bereich verknüpft haben und verabreden.
({1})
Das ist Ihr Dilemma, dass Sie nicht bereit sind, sich von jeglicher Gewalt zu distanzieren, nämlich von rechts und links, wie dies die AfD tut.
({2})
Wir kennen alle die Bilder aus Hamburg, Berlin, jetzt kürzlich aus Leipzig-Connewitz, wo Ihr Klientel bei Krawallen den Tod von Sicherheitskräften und Polizisten billigend in Kauf nimmt und sicher auch bald „Erfolg“ hat. Nicht umsonst spricht der OB Jung, SPD, in Leipzig von einem Terroranschlag. Eine Partei, deren Kernkompetenz und DNA seit Jahrzehnten in der Bespitzelung der eigenen Bürger liegt, will sich plötzlich als Bürgerrechtspartei aufspielen? Absurd!
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Vielleicht liegt aber Ihrem Antrag die grundsätzliche Abneigung gegen Polizei und Ermittlungsbehörden zugrunde. Ihre Darstellung verzerrt jedenfalls die tatsächliche Faktenlage.
Unsere Polizei und unsere Nachrichtendienste stehen vor einer großen und mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr lösbaren Aufgabe. Die Sicherheit der Bürger schützt man aber eben nicht, indem die Möglichkeiten einer legitimen Überwachung und Ermittlung eingeschränkt werden, sondern, indem man den Ermittlern die notwendigen Werkzeuge für eine effiziente Ermittlungsarbeit an die Hand gibt und rechtliche Grundlagen schafft, diese effizient zu nutzen und zu überwachen.
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Für solche Fälle stellt ZITiS als Dienstleister Hard- und Software sowie neue Verfahren zur Verfügung. Aber wer kann eine solche Aufgabe besser erfüllen als eine staatliche Behörde, die parlamentarisch überwacht wird?
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In einer Sache haben Sie allerdings recht: Die Kontrolle einer solchen Behörde ist wichtig und notwendig. Diese muss durch das Parlament erfolgen. Wir sehen entgegen Ihren Ausführungen aktuell keinen Beleg dafür, dass eine bewusste Kontrolllücke geschaffen wurde. Nach vorliegenden Informationen hat es mittlerweile auch einen Kontrollbesuch durch das Parlamentarische Kontrollgremium gegeben,
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woraus man schließen kann, dass diese Behörde zumindest im Hinblick auf ihre Tätigkeit in Zusammenhang mit Nachrichtendiensten unter der Kontrolle eben dieses Gremiums steht. Wir von der AfD werden sehr genau darauf achten, ob eine regelmäßige Kontrolle dieser Behörde stattfindet, und werden auch eine angemessene Transparenz einfordern.
Diese Behörde mit einem solch substanzlosen Antrag aufzulösen, lehnen wir allerdings ab.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Uli Grötsch.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich siedele Verschwörungstheorien nicht bei Ihnen an, sondern eher auf der anderen Seite des Parlaments.
({0})
Ihr Antrag liest sich aber trotzdem irgendwie wie eine Verschwörungstheorie: ZITiS sei „ein verlängerter Arm der Geheimdienste“, sei unkontrollierbar, die Bundesregierung verschleiere dies und jenes usw.
({1})
Ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Die Zentralstelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, ZITiS, ist eine Notwendigkeit in der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland. Jeder, der ihre Abschaffung fordert, muss erklären, wie wir sonst auf Augenhöhe mit Verfassungs- und Staatsfeinden sein können, wie wir sonst Angriffe durch meistens ausländische Hacker auf unsere kritischen Infrastrukturen und Wirtschaftsunternehmen abwehren können und wie wir sonst die digitale Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger gewährleisten können.
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Ich denke, Ihr heutiger Antrag ist ein Reflex, so wie alle Ihre anderen regelmäßigen Anträge, etwa zur Abschaffung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und anderer Nachrichtendienste. Deshalb – es wird Sie nicht überraschen – lehnen wir Ihren Antrag auch ab.
Ich habe durchaus ein bisschen Verständnis für Ihren Reflex; sicherlich hat das mit der Erfahrung Ihrer Partei mit dem Verfassungsschutz zu tun. Ganz ehrlich: Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Erfahrung nicht mehr lange machen müssen, sondern dass sich ebenso auch der Verfassungsschutz auf die andere Seite des Parlaments konzentriert.
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Außerdem ist in der Vergangenheit viel Vertrauen verloren gegangen, Stichwort „NSU“. Aber wir haben die gesetzlichen Grundlagen für unsere Nachrichtendienste reformiert, und wir haben die Strukturen der parlamentarischen Kontrolle gestärkt. Hier werden wir mit der anstehenden Reform des Verfassungsschutzgesetzes im nächsten Jahr sicher noch mehr tun. Wir müssen die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste neu denken, wenn man so möchte. Denn: Wo neue Strukturen und Befugnisse entstehen, müssen auch neue Kontrollmöglichkeiten entstehen, auch in Bezug auf ZITiS.
Aber dass eine so junge Forschungseinrichtung, die es überhaupt erst seit zwei Jahren gibt, die quasi noch im Aufbau ist, für Ihre schlechten Erfahrungen mit anderen Behörden herhalten muss, ist nicht fair und nicht sachdienlich. Außerdem handelt es sich um eine Behörde – das ist ein ganz wesentlicher Punkt –, die keine Eingriffsbefugnisse hat, die also nur entwickelt und berät.
Wir von der SPD sind jedenfalls von der Notwendigkeit von ZITiS überzeugt. Deshalb bauen wir diese Entwicklungsstelle im Cyberbereich auch weiter aus. Nächstes Jahr wird sie zehn weitere Stellen bekommen, um weiterhin unter anderem in der digitalen Forensik oder in der Kryptoanalyse forschen zu können, auch wenn die Personalgewinnung für die ZITiS nicht einfach ist.
Herr Bernstiel, Sie hatten eben James Bond bemüht, was auch Herr Schuster schon hin und wieder getan hat, und Sie hatten außerdem Q angeführt: Auch in Deutschland gibt es so schlaue Köpfe wie den britischen Entwickler Q, der James Bond ausstattet. Wenn der eine oder andere sich jetzt angesprochen fühlt: Die ZITiS freut sich ganz bestimmt über Bewerberinnen und Bewerber aus dem MINT-Bereich.
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Meine Damen und Herren, die Cybergefahr ist keine Science-Fiction. Antiquierte Dechiffriermaschinen, Regenschirme mit Giftpfeil, Wanzen im Lederschuh: Das war gestern. Heute brauchen wir eine andere, eine digitale Ausrüstung. Dieser Tage startet im Kanzleramt ein Pilotprojekt der Fraunhofer-Gesellschaft für eine abhörsichere Datenverbindung mittels Quantenkommunikation. Mit der Fraunhofer-Gesellschaft arbeitet ZITiS zum Beispiel auch zusammen.
Wir hatten die Hackerangriffe auf die Netze des Bundes im Februar 2018 und auf das Intranet des Bundestages in 2015. Wir wissen, dass Extremisten und Terroristen über verschlüsselte, onlinebasierte Kommunikationsformen Angriffe planen. Wir wissen, dass alle Smarthome-Geräte zu Spähwerkzeugen werden können. Das ist keine Science-Fiction, sondern das ist die Realität, und zwar jeden Tag, überall in diesem Land.
Und doch: Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht auf IT-Sicherheit, auf die Sicherheit ihrer personenbezogenen Daten und auf die Sicherheit ihrer privaten Kommunikation. Das ist gewiss kein Widerspruch. Für diesen Schutz sorgen auch die unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden von Bund und Ländern. Sie müssen angesichts der Herausforderungen besser ausgestattet werden, damit sie informieren und beraten sowie Verstöße konsequent ahnden und abstellen können. Im nächsten Jahr stellen wir daher über 60 neue Stellen für den Bundesdatenschutzbeauftragten zur Verfügung. Ich weiß, dass es einen holprigen Start bei der Einbindung der damaligen Datenschutzbeauftragten in die Arbeit der ZITiS gegeben hat. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten aber natürlich zu Recht, dass hier zumindest in Zukunft vernünftig zusammengearbeitet wird.
Aber genauso wichtig ist, dass der Staat die Pflicht hat, für die Sicherheit und Freiheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen, nicht nur auf den Straßen in der analogen Welt, sondern auch im Netz in der digitalen Welt. Wer von unseren Sicherheitsbehörden erwartet, dass sie Spionageversuche und Cyberangriffe abwehren, der muss ihnen auch das digitale Equipment zur Verfügung stellen.
({5})
Wer auf Augenhöhe und im besten Fall sogar auch einen Schritt voraus sein will, der braucht hierzu digitales Equipment wie Entschlüsselungstechnik oder Telekommunikationsüberwachungstechnik. Daran forscht ZITiS. Das macht uns nicht zuletzt auch unabhängiger von ausländischen Anbietern. Wir brauchen ZITiS, damit wir eine staatliche Behörde haben, die in solch sensiblen Bereichen forschen und die Bundesregierung beraten kann. Und deshalb – ich sage das zum Ende noch mal – lehnen wir Ihren Antrag ab.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Manuel Höferlin für die Fraktion der FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorweg sagen: So wie ZITiS momentan aufgestellt ist, lehnen auch wir Freie Demokraten sie ab. Aber wir sind nicht dafür, ZITiS ganz aufzulösen; denn eigentlich könnte so eine – wie es ja heißt – Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, ZITiS, unverzichtbare Aufgaben für die Sicherheitsbehörden erfüllen.
Laut offizieller Beschreibung ist ZITiS – ich zitiere – „Dienstleister der deutschen Sicherheitsbehörden“ und unterstützt sie mit Forschung, Entwicklung und Beratung und ihrem Cyber-Know-how. Ich finde den Ansatz gut; denn Verteidigung ist immer noch die beste Verteidigung, meine Damen und Herren.
({0})
Deswegen soll ZITiS auch keine Kampftruppe sein. Sie soll eigentlich eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung sein. Herr Bernstiel und Herr Grötsch, wenn ich Ihre Ausführungen hier höre, frage ich mich: Was ist ZITiS denn? Ist es eine Forschungseinrichtung? Ist es ein Nachrichtendienst? Ist es irgendetwas anderes?
({1})
Sie sind in Ihren eigenen Reden immer hin- und hergeschwenkt zwischen beiden Bezeichnungen.
({2})
Was genau ZITiS macht, können wir als Parlamentarier auch gar nicht beurteilen;
({3})
denn ZITiS ist sehr undurchsichtig. Weihnachten ist ja das Fest des Lichtes, liebe Bundesregierung. Aber offensichtlich haben Sie bewusst versucht, uns hinters Licht zu führen. In einer Kleinen Anfrage habe ich dieses Jahr versucht, herauszufinden, wie das Arbeitsprogramm von ZITiS 2017 und 2018, also rückwirkend, war, welche Bedarfe es dort gab. Ich bekam darauf keine Antwort. Die Auskunft war: Die Beantwortung sei zu geheim, um sie mir eingestuft zuzustellen.
({4})
Nicht einmal streng geheim wollte man das beantworten. Um es klarzustellen: Streng geheim bedeutet: Es ist ein Fall, bei dem der Bestand der Bundesrepublik bei der Veröffentlichung der Information gefährdet wäre.
Also die Beantwortung, was eine Forschungseinrichtung des Bundes macht, ist zu geheim und gefährdet den Bestand der Bundesrepublik Deutschland. Das finde ich schon sehr bemerkenswert, meine Damen und Herren.
({5})
Vor was haben Sie eigentlich Angst, liebe Bundesregierung? Dass Verbrecher wissen, zu welchen Fragen geforscht wird?
({6})
Sie können davon ausgehen, dass die Info, worüber geforscht wird, auch Kriminellen keinen Vorteil gibt.
Es stört mich weiter, dass Sie offensichtlich – man merkt es an den Ausführungen der Redner der Großen Koalition – die Grenze zwischen Nachrichtendienst, Forschung und Polizeieingriffsbehörden wieder einmal verschwimmen lassen wollen. Das kennen wir schon. Das Trennungsgebot ohne Rechtsgrundlage durch die Hintertür aufzuweichen, kennen wir schon vom GTAZ und von anderen Stellen. Deswegen braucht man eine Rechtsgrundlage, wenn Sie da womöglich Eingriffsbefugnisse etablieren wollen.
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Wir wissen auch nicht, wer alles dabei ist.
Deswegen noch einmal: Wir lehnen diesen Antrag der Linken ab, wollen aber ein ZITiS, das verfassungskonform aufgestellt ist: erstens ZITiS als eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung aufzubauen, zweitens das Parlament darüber zu informieren, wie die Arbeit dort vonstattengeht. Transparenz und rechtsstaatliche Kontrolle müssen dort auch gewährleistet sein. Und halten Sie drittens das Trennungsgebot ein, und schaffen Sie nicht an der nächsten Stelle durch die Hintertür wieder die Möglichkeit, Nachrichtendienste zu etablieren,
({8})
und zwar auch noch ohne Gesetzesgrundlage; das ist unglaublich. Nur so kann ZITiS seinen Beitrag zur Cybersicherheit leisten und das Internet vielleicht ein bisschen besser machen.
In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!
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Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. André Hahn.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich, kurz ZITiS, ist aus Sicht der Linken ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko und sollte deshalb schnellstmöglich aufgelöst werden.
Die Aufgabe dieser ohne jede gesetzliche Grundlage errichteten Institution mit einer Personalstärke von 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es, komplizierteste Verschlüsselungsmethoden zu brechen und daraus Überwachungstechnologien für staatliche Behörden, insbesondere die Geheimdienste, zu entwickeln. Dazu sollen existierende Sicherheitslücken in IT-Systemen genutzt werden.
Dabei geht es jedoch nicht etwa darum, Schwachstellen in Hard- oder Software zu schließen sowie Bürgerinnen und Bürger oder auch die Wirtschaft vor Ausspähung zu schützen, nein, stattdessen soll das gleiche unsägliche Arsenal, das in Cyberangriffen auf Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zur Anwendung gelangt, bereitgehalten und verfeinert werden, um Polizei und Geheimdiensten Zugänge zu Informationen zu ermöglichen, die sie ansonsten auf keinem legalen, verfassungskonformen Wege erlangen könnten. Wir als Linke lehnen das ab.
({0})
Zum Präsidenten von ZITiS wurde mit Wilfried Karl ausgerechnet der vormalige Unterabteilungsleiter Technische Aufklärung des BND in Bad Aibling ernannt.
({1})
Er managte dort die Kooperation mit dem US-Geheimdienst NSA. Karl war auch deshalb ein zentraler Zeuge vor dem NSA/BND-Untersuchungsausschuss. Er will Staatstrojaner entwickeln, um Smartphones zu infiltrieren und die Kommunikation vor einer Verschlüsselung mitzuschneiden und abzuhören. Und Herr Karl will alle modernen IT-Geräte knacken und hacken können, auch Autos. Wer aber in die Software von Fahrzeugen eindringt, verwandelt diese nicht nur in rollende Abhörwanzen, sondern gefährdet auch die Fahrzeugsicherheit und das Leben der Insassen sowie völlig unbescholtener Verkehrsteilnehmer.
Herr Hahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Von wem?
({0})
Von Herrn Bernstiel.
Ja, aber immerzu, wenn Sie meine Zeit anhalten.
Sehr geehrter Herr Kollege Hahn, Sie haben ja gerade eben ausgeführt, was ZITiS macht: Handys entschlüsseln. Jetzt haben wir gerade heute und auch in den letzten Tagen darüber gesprochen, dass wir ein zunehmendes Problem mit Rechtsextremisten haben, die sich untereinander vernetzen.
({0})
Können Sie mir bitte erklären, welche Behörde wie in der Lage sein soll, an passwortgeschützte Daten, die sich auf einem Handy von Rechtsextremisten befinden, die straffällig geworden sind und dann gefasst wurden, in irgendeiner Weise heranzukommen – natürlich mit richterlichem Beschluss? Wer soll das machen, wenn ZITiS aufgelöst ist? Das würde mich brennend interessieren.
Sie wissen doch ganz genau, Herr Kollege, dass es ausreichend rechtliche Möglichkeiten gibt,
({0})
bestimmte Abhörmaßnahmen durchzuführen durch richterlichen Beschluss, durch die G 10-Kommission usw. Wir haben diese Möglichkeiten bereits.
({1})
Für uns ist wichtig, dass eine Behörde, die gegründet worden ist ohne gesetzliche Grundlage – das ist der erste Punkt –, die keine klare Aufgabenzuweisung hat, nicht machen kann, was sie will,
({2})
und dabei gegen Grundrechte verstößt, ohne dass sie die rechtlichen Möglichkeiten dazu hat.
({3})
Vorhin ist hier gesagt worden, die dürfen nichts tun. Wenn sie das machen, was Sie wollen,
({4})
dann hätten sie Eingriffsbefugnisse, die ihnen nicht zustehen, weil es ein entsprechendes Gesetz gerade für ZITiS nicht gibt. Aus diesem Grund haben wir große Skepsis gegenüber der Behörde. Da bin ich auch dankbar für das, was der Kollege der FDP hier gesagt hat, weil natürlich sehr viele offene Fragen bestehen. Ich werde gleich noch was zur Kontrolle sagen, die eben in der jetzigen Situation überhaupt nicht gegeben ist.
Wenn Sie wollen, dass ein Forschungsinstitut etwas macht, dann müssen Sie natürlich auch sagen, woran die forschen sollen und wie es weitergehen soll. Dann sind wir auch bereit, darüber nachzudenken, ob es hier Dinge gibt, die für Sicherheitsbehörden – aus unserer Sicht in erster Linie für die Polizei – notwendig wären.
({5})
Dann sind wir bereit, das zu diskutieren – aber nicht ohne gesetzliche Grundlage und nicht, wenn die machen können, was sie wollen.
({6})
Das ist aber gegenwärtig die Rechtslage – leider Gottes.
({7})
Herr Karl – damit komme ich zurück zu meinem Redetext – wie auch Teile der Union fordern, dass staatliche Behörden die Befähigung zu Cybergegenangriffen, zu sogenannten Hackbacks, erhalten sollen. Statt an Maßnahmen für eine bessere Computersicherheit und eine Härtung von IT-Systemen gegen Cyberangriffe wird hier tatsächlich immer mehr an der Entwicklung von Cyberwaffen gearbeitet. Das trifft auf unseren entschiedenen Widerstand. Der Staat darf unter keinen Umständen zum digitalen Angreifer werden.
({8})
ZITiS ist auch verlängerter Arm und technischer Zuträger der Geheimdienste. Die Bundesregierung hat das lange zu verschleiern versucht. Erst durch meine parlamentarischen Anfragen kam heraus, dass auch der BND und der Militärische Abschirmdienst dort mitwirken. Dadurch wird das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten in unverantwortlicher Weise ausgehöhlt.
Schließlich ist ZITiS auch eine weitgehend unkontrollierbare Institution. Die Bundesregierung sagt, die Behörde sei kein Geheimdienst; eine Zuständigkeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums sei somit nicht gegeben. Zugleich werden Antworten auf nahezu alle – auch meine – parlamentarischen Anfragen zur ZITiS-Tätigkeit, zu deren konkreten Projekten von der Bundesregierung unter Verweis auf angebliche Staatswohlinteressen für so geheim erklärt, dass sie nicht einmal in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages eingesehen werden können. Damit wird jede Kontrolle ad absurdum geführt.
({9})
Aus all diesen Gründen beantragen wir heute, ZITiS aufzulösen und das Personal an andere Bundesbehörden überzuleiten. ZITiS steht nicht für Cybersicherheit, sondern ist Bestandteil einer Anticybersicherheitsstrategie dieser Bundesregierung. Lassen Sie uns deshalb das Personal und das viele Geld, das für ZITiS vorgesehen ist, in die Grundlagen für einen sicheren digitalen Raum investieren. Dort wäre es besser eingesetzt.
Herzlichen Dank.
({10})
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Tabea Rößner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ZITiS ist eine Einrichtung, die es in unserem Rechtsstaat so eigentlich gar nicht geben dürfte. Und deshalb ist die Forderung, ZITiS aufzulösen, der einzig richtige Ansatz, den wir voll und ganz unterstützen.
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Wie wichtig der Schutz digitaler Infrastrukturen und privater Kommunikation ist, zeigen zahlreiche Fälle von Industriespionage, Hackerangriffen, Datenschutzskandalen und auch die zunehmende Bedeutung staatlichen Hackens. Logisch wäre es, endlich eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu ermöglichen. Denn im IT-Sicherheitsbereich gilt: Nicht Angriff ist die beste Verteidigung, sondern – Manuel Höferlin hat es gesagt – Verteidigung ist die beste Verteidigung.
({1})
Manchmal tut die Bundesregierung ja so, als hätte sie es verstanden, und redet davon, Deutschland zum Verschlüsselungsland Nummer eins zu machen. Aber dann pumpt sie unter dem Dach von ZITiS Geld, Zeit, Energie und Personal in das Brechen von Verschlüsselung und den Ankauf von Sicherheitslücken auf dem Schwarzmarkt in Millionenhöhe. Dieser ganze Humbug kommt den Steuerzahler teuer zu stehen, ist verfassungsrechtlich höchst problematisch und gefährdet die IT-Sicherheit. Das ist nicht fahrlässig, das ist gefährlich.
({2})
Sicherheitslücken müssen schnellstmöglich geschlossen werden. Was andernfalls passieren kann, hat die NSA anschaulich bewiesen. Über fünf Jahre lang hat sie eine Sicherheitslücke offen gehalten, ohne Microsoft in Kenntnis zu setzen. Und an WannaCry werden Sie sich ja sicher alle noch gut erinnern können. Diese Waffe richtete sich gegen die Bevölkerung, legte Krankenhäuser lahm und verursachte weltweit großen Schaden.
Es ist richtig, dass der Staat für die Sicherheit sorgen muss, Kollege Grötsch. Aber die Konsequenz ist eine andere: Er muss diese Waffen unschädlich machen.
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Andernfalls verlieren die Menschen das Vertrauen in die digitale Technologie und auch in die Politik. Denn Integrität und Vertraulichkeit der digitalen Kommunikation sind im Grundgesetz verbrieft und dürfen durch Aktivitäten von ZITiS nicht derart massiv untergraben werden. Das dürfen wir auch nicht weiter dulden.
Zudem arbeiten in der Einrichtung Geheimdienste mit der Polizei zusammen. Das Trennungsgebot aufzuweichen, ist klar verfassungswidrig. ZITiS wird außerdem de facto nicht parlamentarisch kontrolliert. Ich kann nicht fassen, dass Ihnen dies als Mitglieder des Bundestages anscheinend völlig egal ist.
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Die Bundesregierung sollte dringend in sichere Verschlüsselungsmethoden für alle investieren und sichere Hard- und Software zertifizieren. Ich wundere mich da ein bisschen, dass sich die FDP dem vorliegenden Antrag nicht anschließen kann. Gerade Sie haben doch das Recht auf Verschlüsselung immer gefordert.
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Es gibt Konzepte, wie man IT-Sicherheit richtig umsetzt. Wir haben einen umfassenden Antrag dazu vorgelegt. Fest steht: Die Bundesregierung ist Teil des Problems und nicht der Lösung. Das sieht im Übrigen die gesamte IT-Sicherheitsexpertenwelt so. ZITiS gehört aufgelöst – besser gestern als morgen. In dieser Form jedenfalls braucht ZITiS niemand.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Axel Müller.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Linke fordert die Auflösung von ZITiS. Dazu stelle ich folgende Eingangsthesen auf:
De facto will die Linke ZITiS abschaffen. Abschaffen ist dann notwendig, wenn etwas schädlich ist. Auflösen macht dann Sinn, wenn etwas nicht mehr gebraucht wird. Den vorliegenden Antrag hat der Ausschuss für Inneres und Heimat bereits am 10. April 2019 mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Linken und der Grünen abgelehnt. Warum diese Entscheidung wichtig war, möchte ich Ihnen hier aufzeigen.
Zunächst zu der fehlerhaften Antragsbegründung der Linken, wonach ZITiS ja die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger gefährde, unterlegt mit der wahrheitswidrigen und wider besseres Wissen aufgestellten Behauptung, ZITiS sei ein verlängerter Arm der Geheimdienste und sei daher rechtswidrig der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium entzogen.
({0})
Zudem verstoße ZITiS gegen das aus den Erfahrungen der Nazidiktatur hervorgegangene Trennungsgebot betreffend Polizei und Geheimdienste.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Wirklichkeit steht doch diesen Behauptungen diametral entgegen. Das weiß die Linke – und die FDP, Herr Kollege Höferlin, sollte es auch wissen – spätestens seit der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken vom 30. November 2018; denn ich gehe davon aus, dass auch Ihnen diese Antwort zugegangen ist.
({1})
Danach handele es sich bei ZITiS eben gerade nicht um eine weitere nachrichtendienstliche Behörde neben dem Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesnachrichtendienst. Sie ist vielmehr eine nicht rechtsfähige Bundesanstalt im Geschäfts- und Organisationsbereich des Bundesinnenministeriums,
({2})
die bis 2022 gerade mal über 400 Stellen verfügt, von denen gegenwärtig knapp 200 besetzt sind.
Zur Erinnerung, wie ein Geheimdienst aufgestellt ist: Die Staatssicherheit hatte 1989, am Ende der DDR, mehr als 90 000 hauptamtliche Mitarbeiter. Die Aufgabe von ZITiS ist und kann also gar keine nachrichtendienstliche Tätigkeit sein, sondern sie beschränkt sich auf die Unterstützung der Nachrichtendienste und der Bundespolizei. Infolgedessen unterliegt ZITiS auch nicht der parlamentarischen Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium; aber selbstverständlich der parlamentarischen Kontrolle als Teil der Organisationseinheit des Bundesinnenministeriums, das seinerseits der parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Also viel Schall und Rauch um nichts. Damit stellt sich aber nicht mehr die Frage des Trennungsgebots, weil es sich um keinen Geheimdienst handelt.
Kollege Müller, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?
Nein, ich würde gerne im Zusammenhang vortragen. – Vielmehr handelt es sich um einen Dienstleister für mehrere Dienste im Rahmen einer obersten Bundesbehörde.
Die Alternative zu einer solchen zentralen Stelle wäre im Übrigen eine weiter gehende koordinierende Stelle, eine zentrale Stelle, wie wir sie heute Morgen – Forderung der FDP: neue Sicherheitsstruktur, Föderalismuskommission III – hier geschaffen haben. Wir machen es da, wo es notwendig und sinnvoll ist, ohne den Föderalismus in seinen Grundfesten zu erschüttern.
Ich komme zurück auf meine Eingangsthese: Erstens. ZITiS ist damit für unsere demokratische Rechtsordnung nicht schädlich und muss daher auch nicht abgeschafft werden. Zweitens. ZITiS ist, um auf meine zweite These einzugehen, aber auch nicht überflüssig, sondern gerade notwendig. Das will ich Ihnen an zwei Beispielen in aller Kürze belegen. Der Kollege Bernstiel hat hier schon einiges gesagt.
In einer Zeit, in der es möglich ist, die Stromversorgung wichtiger Zentren eines Landes durch Hackerangriffe lahmzulegen und damit den Lebensnerv eines Landes, sei es Versorgung oder Verteidigung, auszuschalten, in einer Zeit, in der es möglich ist, durch digitale Kampagnen Wahlen zu manipulieren, auch in der größten Demokratie dieser Welt – neben Indien sind das ja die USA –, muss sich der demokratische Rechtsstaat gegen solche ihn ins Mark treffende Attacken wirksam zur Wehr setzen können.
({0})
Das kann er, wenn er die Unterstützung von Fachleuten hat. Darum genau geht es; dort setzt die Arbeit von ZITiS an.
ZITiS leistet strukturelle und anwendungsorientierte Forschung und sorgt so für Cybersicherheit. Das ist gerade keine polizeiliche oder nachrichtendienstliche Tätigkeit, sondern die Dienstleistung eines Dienstleisters des Bundes. Sie können auch einen externen Dienstleister nehmen, aber es ist sicherer, wenn wir das im Bundesinnenministerium ansiedeln.
ZITiS bietet also Beratungsdienstleistungen an und die entsprechende Unterstützung dazu.
({1})
Beratung und Unterstützung gegen die Angriffe krimineller Organisationen und autokratischer Systeme, gepaart mit der Befähigung für die ZITiS-Kunden, diejenigen zu identifizieren, die hinter diesen Anschlägen auf die Freiheit stehen, sind nicht überflüssig, meine Damen und Herren von den Linken, sondern dringend notwendig.
Ich komme zum Schluss. Wer aber die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung leugnet, verschließt die Augen vor der Realität oder macht sich zum Helfershelfer derer, die den Rechtsstaat und die Freiheit bedrohen.
Vielen Dank.
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Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Manuel Höferlin das Wort.
Herr Kollege Müller, ich muss doch noch mal darauf zurückkommen: Sie haben jetzt die dritte Bezeichnung für ZITiS ins Spiel gebracht. Sie haben selbst gesagt, sie sei ja keine Behörde, die irgendwelche Eingriffsbefugnisse habe und deswegen müsse sie auch gar nicht durch das Parlamentarische Kontrollgremium, sondern selbstverständlich durch das Parlament kontrolliert werden.
Ich habe Ihnen berichtet: Meine Antworten wurden nicht beantwortet, und zwar mit dem Hinweis, es sei strenger als streng geheim. Da frage ich mich: Wie soll wer im Deutschen Bundestag ZITiS – was auch immer es dann genau ist – kontrollieren, wenn ich das als Antwort bekomme, wenn ich noch nicht mal in der Geheimschutzstelle eine eingestufte Antwort zum Arbeitsprogramm der Behörde bekomme.
Zweitens. ZITiS sei kein Nachrichtendienst, sagen Sie. Wie erklären Sie sich dann, dass das PKGr dort zum Besuch hingeht und dass das die Einzigen sind, die offensichtlich Informationen bekommen? Das Parlamentarische Kontrollgremium untersucht ja auch sonst keine anderen nichtgeheimdienstlichen Behörden. Herr Bernstiel fragte vorhin in einer Zwischenfrage: Wer soll denn sonst in Kommunikation eindringen? – Das klingt wieder nach Nachrichtendienst.
Also klären Sie uns auf! Ist sie jetzt eine Forschungseinrichtung? Ist sie eine Eingriffsbehörde? Sie haben eine dritte Bezeichnung genannt. Sie sagten, sie sei eine Beratungsinstitution. Was ist das denn jetzt? Ich würde gerne wissen: Was ist ZITiS? Und wie können wir sie hier als Parlamentarier selbstbewusst kontrollieren? Um nichts anderes geht es.
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Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Herr Kollege Höferlin, zum Ersten: Ich kann Ihre Anfrage und deren Inhalt natürlich nicht beurteilen. Mir ist diese nicht vorgelegt worden. Ich kann dazu auch nicht Stellung nehmen. Ich würde Ihnen einfach empfehlen, dass Sie Ihre Anfrage im Rahmen der Regierungsbefragung anbringen. Ich kann nicht bewerten, was Sie da schreiben, ob das richtig oder falsch ist, ob die Bundesregierung hier richtig oder falsch gehandelt hat, als sie die Anfrage zurückgewiesen hat. Das müssen Sie im Rahmen der Regierungsbefragung klären.
Zum Zweiten, was Sie angesprochen haben: Ich denke, wir, sowohl der Kollege Bernstiel als auch ich, haben eindeutig gesagt, um was es sich dabei handelt. Es handelt sich um einen Teil eines Ministeriums, der in der Organisationseinheit des Ministeriums als nachgelagerte Einrichtung zu finden ist.
Wir haben auch deutlich gemacht, was die Aufgabe dieser Einheit ist. Das können Sie überall nachlesen. Die Selbstdefinition, die es von ZITiS gibt, ist ja sogar im Internet abgebildet. Da können Sie nachlesen, dass sie sich als Dienstleister versteht und nicht als eigenständige Behörde. Sie wird dann tätig, wenn die Behörden sie anfragen und ihre Leistung anfordern. Sie wird nicht von sich aus, in Eigeninitiative tätig.
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Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Medizinprodukte sollen die Gesundheit der Patienten verbessern. Wer in Deutschland einen Herzschrittmacher eingesetzt bekommt, wer mit einem Röntgenapparat durchleuchtet wird, der muss darauf vertrauen können, dass das Risiko so gering wie irgend möglich ist. Dieses Ziel verfolgt auch das vorliegende Gesetz. Wir setzen damit schnell und entschlossen europäische Vorgaben um. Damit können wir die Sicherheit der Medizinprodukte noch besser überwachen und koordinieren.
Ich möchte drei Punkte aus dem Gesetz ansprechen.
Erster und wichtigster Punkt: Der Bund wird, wenn es nötig ist, stärker durchgreifen können, so wie wir das bei der Arzneimittelversorgung schon geregelt haben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM, bewertet derzeit im Falle von Vorkommnissen bei einem Produkt das Risiko. Es soll in Zukunft nun direkt Maßnahmen zur Risikoabwehr treffen können. Das ist auch sinnvoll; denn die neuen europäischen Medizinprodukteverordnungen verlangen, dass die Mitgliedstaaten sogenannte meldepflichtige Vorkommnisse zentral erfassen und bewerten. Das BfArM als zentrale deutsche Bundesoberbehörde kann also zukünftig Risiken erkennen, europaweit kommunizieren und deutschlandweit eindämmen, sozusagen nach dem Prinzip „Alles aus einer Hand“. Das stärkt im Übrigen auch die Rolle dieser wichtigen Behörde gegenüber den Herstellern und auch in der öffentlichen Wahrnehmung.
Der zweite Punkt betrifft die Beteiligung der Ethik-Kommissionen bei klinischen Studien und Leistungsstudien, also wenn Medizinprodukte auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Ethik-Kommission und zuständige Bundesoberbehörde bewerten unabhängig voneinander und eigenständig die einzureichenden Antragsunterlagen, und das hat sich unseres Erachtens in der Vergangenheit bewährt. Deshalb nutzen wir in diesem Punkt unseren nationalen Gestaltungsspielraum; denn was gut funktioniert, das soll auch so bleiben.
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Mein dritter und letzter Punkt betrifft die Fälschung von Medizinprodukten. Wir setzen die sogenannte Medicrime-Konvention um. Diese Konvention soll unter anderem helfen, Fälschungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten europaweit effektiver zu verhüten.
Alles lohnenswerte Punkte also, und diesen Punkten wollen wir nun gemeinsam mit Ihnen im Parlament den letzten Schliff geben. Denn wir modernisieren das Medizinprodukterecht, wir passen es fristgerecht an europäische Vorgaben an, und wir sorgen damit für noch mehr Patientensicherheit in Deutschland.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Detlev Spangenberg für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Thema: Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz und der Antrag der AfD „Gesundheits-Apps auf klinische Wirksamkeit prüfen und Patienten schützen“. Ziel: Gewährleistung hoher Produkt- und Versorgungsqualität. Anlass war ja der Brustimplantateskandal 2010. Wenn man davon ausgeht, dass am 25. Mai 2017 die MDR, die Medical Device Regulation, in Kraft getreten ist, dann muss man sagen: Das ist eine ziemlich lange Zeitspanne, ehe man sich bemüht hat, diese Probleme zu beseitigen. Also ganz so doll ist das nicht, was wir eben gehört haben.
Meine Damen und Herren, das Ziel ist, die Zulassung aller Medizinprodukte noch einmal zu überprüfen und sie zu zertifizieren. Seit drei Jahren ist in Deutschland aus unserer Sicht nichts passiert – mit der Folge, dass Fachverbände wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft und auch der Bundesverband Medizintechnologie feststellen, dass in den Krankenhäusern ab 2020 Medizinprodukte fehlen werden bzw. dass sie nicht wissen, wie sie produzieren sollen.
Für den ökonomischen Teil kommt noch hinzu, meine Damen und Herren: Die Regierung hat selbst festgestellt, dass dieser Produktionsteil – der drittwichtigste der Gesundheitswirtschaft – mit immerhin 16 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung in Deutschland von großer Bedeutung ist. Insofern ist unverständlich, warum bis jetzt keine Lösung angeboten wurde. Zwar hat Bundesminister Spahn am 14. Juni in Brüssel Begleitmaßnahmen angekündigt. Aber wie gesagt: Seit 2017 ist das Problem ja bereits bekannt.
Das Korrigendum, das eingeführt wurde, reicht aus unserer Sicht nicht aus, also die Begleitung, die Berichtigung, um bis Mai 2020 Anforderungen nach der MDR sicherzustellen. Wir haben ja immerhin 500 000 Medizinprodukte. 205 000 werden, glaube ich, davon erfasst, und die anderen fast 300 000 nicht, meine Damen und Herren, und das sind die schwierigen Größen. Es betrifft ja nur die Klasse I – hier gibt es eine Verlängerung bis 2024 –, und die Klassen IIa, IIb und III nicht. Also gibt es Probleme bei den Anwendern, Probleme bei den Herstellern – die wissen nicht, wie sie produzieren sollen –, Probleme bei den Prüfstellen. Wie soll geprüft werden? Wer soll prüfen? Nicht nachvollziehbar ist: Bereits zertifizierte und in Anwendung befindliche Produkte müssen den gleichen Prüfumfang über sich ergehen lassen wie alle anderen. Das kritisiert zum Beispiel der TÜV Süd.
Gehen wir weiter. Wir fordern deshalb einen sogenannten nationalen Notfallplan zu Sicherung der Patientenversorgung bis zum 1. Quartal 2020. Ein paar Begriffe daraus:
Aussetzung aller Beschränkungen, bis ausreichende Notifizierungsstellen zur Verfügung stehen. Nach meiner Kenntnis sind es zurzeit nur sieben. Wir hatten mal über 50. Es wird kaum zu schaffen sein, mit sieben solcher Stellen dieses Riesenprogramm durchzuführen.
Eine Prüfung, ob wirklich alle Bestandsprodukte neu bewertet werden müssen. Dann fordern wir auch, dass der G-BA die Zulassungsregelungen der MDR anerkennt und nicht noch mal prüft. Das halten wir für überflüssig. Und die EUDAMED, also die Europäische Datenbank für Medizinprodukte, soll zum Geltungsbeginn der MDR voll funktionsfähig sein.
Zu unserem Antrag „Gesundheits-Apps auf klinische Wirksamkeit prüfen und Patienten schützen“. Kurz gesagt: Ab 2020 besteht ja die Möglichkeit der Verschreibung von Gesundheits-Apps. Es fehlt hier aus unserer Sicht ein systematischer Überblick der mehr als 300 000 Apps. Man kann auch nicht gerade behaupten, dass das wissenschaftlich fundiert aufgestellt ist.
Dann haben wir hier den Begriff „positive Versorgungseffekte“. Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Das müsste aus unserer Sicht hinterlegt werden. Was ist denn das überhaupt, ein positiver Versorgungseffekt? Den empfindet ja jeder anders. Wir sehen das Problem, meine Damen und Herren, dass Apps mit einem geringeren Risikopotenzial bewertet werden und somit keine entsprechenden Studien gefordert sind. Fehldiagnosen können nicht ausgeschlossen werden, und eine Probezeit von 24 Monaten kann aus unserer Sicht als unfreiwilliges Probandentum auf dem Rücken der Patienten verstanden werden.
Die AfD fordert deshalb: erstens als Voraussetzung für die Aufnahme einer Gesundheits-App in das Verzeichnis des BfArM mindestens eine randomisiert kontrollierte Studie durchzuführen, die ausgewertet wird, um die Wirksamkeit der Apps bewerten zu können; zweitens Gesundheits-Apps, die zum Zeitpunkt der Antragstellung beim BfArM keine positive Wirkung evidenzbasiert nachweisen können, nicht auf die Liste der digitalen Anwendungen zu setzen.
Herr Spangenberg, ich weiß nicht, wie lang Ihre Liste noch ist, aber Sie müssen zum Schluss kommen.
Dann komme ich zum Schluss. – Sie haben ja den Antrag gelesen. Sie können sich die ersten vier Punkte selbst durchlesen. Ich denke, sie sind so logisch, dass Sie dem sogar zustimmen können.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun die Abgeordnete Martina Stamm-Fibich das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten liegt die Sicherheit der Patientinnen und Patienten ganz besonders am Herzen, und deshalb freue ich mich mit meiner Fraktion, dass wir heute über einen ganzen Strauß von Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit in Deutschland sprechen können.
Den Kern des vorliegenden Gesetzes bildet die Umsetzung der europäischen Medizinprodukteverordnung in nationales Recht. Auslöser für diese Medizinprodukteverordnung auf europäischer Ebene waren verschiedene Skandale und auch die Vorfälle rund um die Brustimplantate, die zahlreiche Frauen erhielten und die uns in Europa schwer erschüttert haben. So etwas darf nicht passieren.
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Es ist gut, dass sich die EU der Sache angenommen hat und im Jahr 2017 einheitliche Mindeststandards gesetzt hat. Die EU-weite Einführung einer einheitlichen Konformitätsbewertung von Medizinprodukten ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Patientensicherheit. Gleichzeitig hat die EU vorgesehen, dass einige Aspekte individuell zu regeln sind. Mit dem vorliegenden Gesetz können wir jetzt unserer Pflicht gegenüber der EU nachkommen. Ja, wir gehen sogar darüber hinaus und führen noch weitere Regelungen ein, die für eine noch bessere Qualitätskontrolle und Übersicht bei Medizinprodukten sorgen werden. Damit tun wir effektiv etwas für die Patientinnen und Patienten.
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Neben dem Implantateregister, das wir in diesem Jahr bereits eingeführt haben, zeigt der jetzige Entwurf einmal mehr, dass der Begriff „Patientensicherheit“ für diese Koalition keine leere Worthülse ist. Ganz konkret sieht der Entwurf vor, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und das Paul-Ehrlich-Institut eigene Vollstreckungsbefugnisse bekommen. Die beiden Behörden können in Zukunft eine Risikobewertung vornehmen. Zusätzlich erhalten die Behörden einen wirksamen Instrumentenkasten, der vom Produktrückruf bis zum Entzug der Zulassung gereicht. Damit stärken wir die Kontrolle und gewährleisten vor allem, dass im Notfall effektiver und schneller gehandelt werden kann, als es bisher der Fall ist.
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Darüber hinaus enthält das Gesetz neue Regelungen zu klinischen Prüfungen und sogenannten Leistungsstudien für Diagnostika. Hier nutzen wir den nationalen Gestaltungsspielraum, den das künftig geltende Unionsrecht bietet und verankern das Verfahren bei der Ethik-Kommission. Zusätzlich nutzen wir den Gestaltungsspielraum, um aktuell geltende und besondere Schutzvorschriften für Minderjährige und nicht einwilligungsfähige Patienten aufrechtzuerhalten.
Wichtig ist auch, dass das Gesetz die Sonderzulassung für Medizinprodukte ermöglicht, auch wenn die erforderliche Konformitätsbewertung nicht durchgeführt worden ist. Damit stellen wir sicher, dass in speziellen Fällen Versorgungsengpässe vermieden werden können. Diese Maßnahmen dienen dem Schutz der Patienten. Frau Staatssekretärin hat schon darauf hingewiesen: Auch die Medicrime-Konvention des Europarates werden wir damit ratifizieren.
Ich möchte an dieser Stelle noch einen Blick auf die EU richten. Die Medizinprodukteverordnung soll nach der dreijährigen Übergangsfrist am 20. Mai 2020 in Kraft treten. Ich blicke mit Sorge auf dieses Datum; denn die notwendige Rezertifizierung der Medizinprodukte schreitet nicht so schnell voran, wie man sich das vorgestellt hat. Insbesondere bei der Benennung der Benannten Stellen, die zur Zertifizierung der Medizinprodukte notwendig sind, hakt es gewaltig.
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Ich bin deshalb froh, dass das Europäische Parlament am Dienstag für Medizinprodukte der Risikoklasse I eine Verlängerung der Übergangsfrist bis 2024 beschlossen hat. Nichtsdestotrotz müssen wir im Auge behalten, wie sich die Situation entwickelt. Es darf unter keinen Umständen Versorgungsengpässe bei Medizinprodukten geben, weil der Zertifizierungsprozess zu langsam fortschreitet. Ich bin der Meinung, dass die Reform des Medizinprodukterechts sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene für die Verbesserung der Patientensicherheit dringend notwendig ist. Aber es wäre eine Blamage für die Politik, wenn diese guten Maßnahmen in der Umsetzung zu Versorgungsengpässen führen würden. Das müssen wir unbedingt verhindern.
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Zum Abschluss möchte ich noch auf einen vorliegenden Änderungsantrag zu diesem Gesetz eingehen, und zwar zum Thema Hilfsmittelversorgung. Seit dem HHVG kämpft die SPD für eine qualitätsorientierte Hilfsmittelversorgung in Deutschland. Mit dem TSVG haben wir Ausschreibungen und Open-House-Verträge verboten. Wir haben die Kassen und die Leistungserbringer dazu verpflichtet, gute qualitätsorientierte Verträge auszuhandeln. Aber wir bemerken, dass es immer noch einige schwarze Schafe gibt, denen eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patientinnen und Patienten egal ist. Der vorliegende Änderungsantrag gibt den Aufsichtsbehörden jetzt ein scharfes Schwert an die Hand, um diese schwarzen Schafe zu sanktionieren. Dazu werden die Aufsichts- und Ahndungskompetenzen der zuständigen Behörden deutlich ausgeweitet, und ich hoffe, dass wir mit diesem Signal die betroffenen Akteure endlich zur Räson bringen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Katrin Helling-Plahr für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser Medizinprodukterecht an die europäischen Vorgaben anzupassen, ist überfällig; denn sie gelten ab dem 26. Mai des nächsten Jahres unmittelbar. Leider müssen wir das wieder einmal unter Zeitdruck tun. Aber wenn ich auf das Chaos um die Implementierung der MDR schaue, meine ich, ist das späte Tätigwerden unserer Bundesregierung noch meine kleinere Sorge.
Rund 500 000 Medizinprodukte müssen nach dem neuen Rechtsrahmen komplett neu zertifiziert werden. Von bisher 58 Benannten Stellen zur Zertifizierung von Medizinprodukten sind bislang nur 9 nach neuem Recht zugelassen und notifiziert. Eine Vielzahl europäischer Rechtsakte fehlt noch. Der Start der für die Erhebung der Daten- und Patientensicherheit notwendigen europäischen Datenbank EUDAMED ist kürzlich um zwei Jahre verschoben worden. Gerade kleine und mittlere deutsche Medizintechnikunternehmen haben die Befürchtung, dass sie viele Produkte nicht oder nicht rechtzeitig zertifizieren können, nicht einmal binnen der Gnadenfrist bis 2024. Daran ändert auch die Verlängerung der Geltungsdauer der Übergangsregelung für die Klasse-I-Produkte nur wenig.
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Es ist die Rede davon, dass 30 Prozent der Produkte auch langfristig vom Markt verschwinden werden. Deutschland ist nicht nur in Europa der stärkste Medizinprodukte-Industriestandort, sondern auch in der Welt die Nummer zwei. Das verdanken wir unseren vielen kleinen und mittleren Unternehmen dieser Branche, die 200 000 Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.
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Bei uns werden aber nicht nur hochwertige innovative Medizinprodukte hergestellt, sondern Deutschland ist auch der drittgrößte Absatzmarkt. Für unsere Patientinnen und Patienten müssen wir gewährleisten, dass sichere und moderne Medizinprodukte zur Verfügung stehen.
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Nur: Wie soll das funktionieren, wenn die Zertifizierungsstellen überhaupt noch nicht vorhanden sind, wenn nicht klar ist, ob dort ausreichend Personal zur Verfügung stehen wird, wenn die Rahmenbedingungen so chaotisch sind, dass unklar ist, wie viele Hersteller das durchhalten? Gerade bei Nischenprodukten wie Kinderherzklappen, für die es nicht viele Hersteller gibt, kann das schnell eng werden. Das will ich nicht riskieren.
Ich bin sicher, dass unsere Unternehmen auch künftig innovative Produkte entwickeln werden, die Menschen das Leben erleichtern oder retten. Wie sollen sie damit bei den überlasteten Benannten Stellen noch durchdringen? Deshalb müssen wir auf europäischer Ebene Druck machen, aber auch flankierend tätig werden, um Versorgungsengpässe zu vermeiden. Wir brauchen Sonderregelungen für selten eingesetzte Produkte und einen Fast Track, der ermöglicht, dass auch Innovationen auf den Markt kommen.
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Deshalb bringen wir heute unseren Antrag ein, für den ich um breite Zustimmung werben möchte. Ich freue mich auf die weitere Beratung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum es der Linken in dieser Diskussion vor allen Dingen und in erster Linie geht, ist die Patientensicherheit.
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Medizinprodukte gibt es viele: von einfachen Verbandsmitteln bis zum Herzschrittmacher oder künstlichem Hüftgelenk. Deshalb sind sie eingeteilt in Risikoklassen. Die Zulassungsverfahren bzw. die Überwachung muss relativ lückenlos sein. Es kommt auch immer wieder zu unerwünschten Ereignissen: künstliche Gelenke, die nicht halten oder deren Abrieb zu Vergiftungen führt; Herzschrittmacher mit Kabelbrüchen, die unkontrollierte Stromschläge verursachen; Stents, also kleine Arterienimplantate, die eigentlich Schlaganfälle verhindern sollen, aber leider in der Vergangenheit die doppelte Zahl von Infarkten ausgelöst haben. Im Jahr 2008 gab es laut BfArM 4 800 Risikomeldungen. In 2017 waren es bereits über 14 000 Risikomeldungen. Das heißt, es ist dringend notwendig, dass entsprechend überwacht und auf die Zulassung geachtet wird.
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Zur Vorgeschichte gehört auch der Skandal um gefälschte, weil mit Industriesilikon befüllte Brustimplantate der Firma PIP. Das war ein bewusst krimineller Akt, der allerdings das unzureichende Zulassungs- und Überwachungssystem ausgenutzt hatte. Das war ein wesentlicher Anstoß zur Verhandlung einer neuen Medizinprodukteverordnung auf EU-Ebene, die allerdings insgesamt vier, fünf Jahre beanspruchte.
Die Bundesregierung, die wichtige Maßnahmen für den Patientenschutz ausbremste und sich eher für die herstellerfreundliche Regelung starkmachte, hat daran einen gewissen Anteil. Die Linke hat sich im Rahmen der Verhandlungen stets für ein zentrales Zulassungsverfahren bei den Behörden starkgemacht. Jetzt gibt es ein Verfahren, nach dem die Produkte durch sogenannte Benannte Stellen geprüft werden sollen. In Deutschland ist das meistens der TÜV. Der Fortschritt ist manchmal eine Schnecke. Gegenüber dem heutigen Stand sind die neuen Vorgaben der Richtlinie allerdings ein Fortschritt, zum Beispiel bei der klinischen Prüfung von Hochrisikomedizinprodukten.
Noch einige Anmerkungen zum Gesetzentwurf.
Begrüßenswert finden wir die künftig bessere Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern mit bundeseinheitlichen Marktüberwachungen.
Nicht einverstanden sind wir mit den Plänen, Sonderzulassungen nicht nur in ganz konkret umschriebenen Ausnahmefällen zuzulassen.
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Unzufrieden sind wir damit, dass es einzelne Maßnahmen gibt, die eigentlich über das hinausgehen, was von der EU-Richtlinie vorgegeben ist. Zum Beispiel sollen die Aufsichtsbehörden bei Meldungen von schwerwiegenden Vorkommnissen eine Risikobewertung nur dahin gehend vornehmen, ob ein unvertretbares Risiko vorliegt. Diese Einschränkung wollen wir gestrichen haben.
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Auch hinsichtlich der Transparenz bei Ergebnissen von klinischen Prüfungen gibt es aus unserer Sicht Nachbesserungsbedarf. Wir fordern schon seit Jahren, dass ein zentrales Studienregister geschaffen werden soll, in dem alle Studien, auch die, die abgebrochen oder beendet worden sind, verzeichnet werden. Alle Beteiligten sollen entsprechend verpflichtet werden.
Wir können auch nicht verstehen, warum die Bundesregierung für den großen Markt der Medizinprodukte kein generelles Werbeverbot außerhalb von Fachkreisen erlassen will. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten und bei Krebsmitteln gibt es das, und zwar zu Recht; doch bei den Medizinprodukten wäre es in gleicher Weise erforderlich.
Das sind Punkte, auf die wir uns in der weiteren Debatte über den Gesetzentwurf in den Ausschüssen freuen.
Kollege Weinberg, kommen Sie bitte zum Schluss.
Genau damit komme ich jetzt auch zum Ende.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Kordula Schulz-Asche das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Patientinnen und Patienten haben das Recht auf transparente, sichere und verlässliche Versorgung mit Medizinprodukten, gerade in Zeiten, wo wir wissen, dass deren Bedeutung weiter zunehmen wird. Dass dies nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit war, haben wir in den letzten Jahren bei den Verhandlungen über die Verordnung auf EU-Ebene gesehen, die heute in deutsches Recht umgesetzt wird.
Ein widerlicher Skandal mit Brustimplantaten war der Auslöser. Dann folgte fünf Jahre lang eine Diskussion, ein Prozess des Lobbyismus auf EU-Ebene nicht gerade der feinsten Art, übrigens auch unter Beteiligung von Parlamentariern aus Deutschland, die versucht haben, auf diesen Prozess Einfluss zu nehmen. Wir können froh sein, dass der Patientenschutz in diesem Prozess nicht völlig unter die Räder gekommen ist. Deswegen möchte ich an dieser Stelle allen aufrechten Parlamentariern im EU-Parlament danken, die sich über Jahre für den Patientenschutz eingesetzt haben.
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Wir begrüßen ausdrücklich die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Kompetenzerweiterung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte; denn die Zentralisierung der Risikobewertungen solcher Produkte fordern wir seit Langem. Das ist ein zentraler Punkt, um die Patientensicherheit zu fördern.
Aus unserer Sicht bräuchte man gerade im Hinblick auf den Patientenschutz eine verpflichtende Haftpflichtversicherung für Medizinproduktehersteller. Wir haben gesehen, was beim Brustimplantateskandal passiert ist. Die Frauen, denen die Implantate eingesetzt worden waren, waren die Opfer; sie wurden aber nicht entschädigt. Hier brauchen wir wirklich eine Haftpflicht der Medizinproduktehersteller; aber dies hat die Bundesregierung auf EU-Ebene aktiv verhindert. Das ist wirklich ein Problem. So besteht weiter die Gefahr, dass geschädigte Patientinnen und Patienten mit den Folgen von Skandalen oder Fehlern bei Medizinprodukten leben müssen. Hier bleibt viel zu tun.
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So richtig krankt es aktuell an anderer Stelle, nämlich bei der Zertifizierung von Medizinprodukten. Derzeit entsprechen europaweit weniger als 10 Benannte Stellen den gestiegenen Anforderungen, die durch das neue EU-Recht entstehen. Bis Ende März 2020 sollen 20 Stellen zertifiziert sein. Das wird kaum gelingen, auch wenn jetzt bei einigen Medizinprodukten – es wurde bereits erwähnt – eine Fristverlängerung vereinbart wurde. Wir befürchten, dass es zu Versorgungsengpässen in diesem Bereich kommt. Das darf nicht sein.
Nach fünf Jahren Verhandlungen in der EU bleiben bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes tatsächlich nur fünf Monate, um die Zertifizierungen durchzuführen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, drücken Sie auf die Tube für gute Qualität, und bessern Sie nach für guten Patientenschutz bei Medizinprodukten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Danke. – Das Wort hat der Kollege Dietrich Monstadt für die CDU/CSU.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrte Damen! Meine Herren! Die Medizintechnikbranche hat nicht nur für die gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, sondern auch für die gesamte deutsche Wirtschaftsleistung. Hier arbeiten mehr als 200 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einen Gesamtumsatz von circa 30 Milliarden Euro erwirtschaften. Die Branche ist hoch innovativ: Circa ein Drittel des Umsatzes wird mit Produkten erzielt, die nicht älter als drei Jahre sind. Die Exportquote liegt bei über 65 Prozent, und dies in einem Regelungsrahmen, der entscheidend von EU-Vorgaben bestimmt ist
Meine Damen und Herren, mit dem heute zu diskutierenden Gesetzentwurf sollen Anpassungen unseres nationalen Rechtsrahmens an die beiden EU-Verordnungen vorgenommen werden. Wesentliche Regelungen dieses Gesetzes hat Frau Staatssekretärin Weiss gerade dargestellt.
Meine Damen und Herren, insbesondere die Regelungen zur MDR bedeuten, dass mehr als 500 000 Produkte – es ist bereits angesprochen worden – nach der neuen Verordnung zertifiziert werden müssen. Frau Stamm-Fibich, ich teile ausdrücklich Ihre Sorge, dass dort Probleme entstehen. Die Umsetzung der MDR-Regelung erweist sich nach wie vor als schwierig, und das, obwohl die MDR schon ab Mai 2020 gelten soll. Dabei sollen künftig nicht mehr nur Medizinprodukte aus anderen Risikoklassen ein bestimmtes, strengeres Zulassungsverfahren durchlaufen, auch die Benannten Stellen benötigen eine neue Akkreditierung. Von den bestehenden 58 Benannten Stellen sind aktuell nur 9 nach MDR, nur 2 für In-vitro-Diagnostika zertifiziert.
Die Zulassungsbedingungen müssen streng sein, damit die Patientensicherheit gewährt wird. Gleichzeitig dürfen die Innovationen nicht – in Anführungszeichen – „im Stau stehen“; denn wir benötigen sie in der gesundheitlichen Versorgung. Das neueste Korrigendum zur MDR verschafft den Herstellern zumindest für bestimmte Medizinprodukte der Klasse 1 eine etwas längere Übergangsfrist von vier Jahren. Ich bin unserem Bundesminister Jens Spahn sehr dankbar – ich bitte, ihm das auszurichten –, dass er sich auf EU-Ebene so intensiv für eine Verlängerung der Übergangsfristen eingesetzt hat und weiterhin einsetzt.
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Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzwurf werden außerdem noch zwei wichtige sogenannte fachfremde Änderungsanträge auf den Weg gebracht. Mit dem MDK-Reformgesetz wurde das Prüfsystem zwischen den Medizinischen Diensten, den Krankenkassen und den Krankenhäusern neu justiert. Es sind Unsicherheiten entstanden, für welche Fälle und ab wann diese Regelung gilt. Mit dem Antrag ist nunmehr verbindlich klargestellt, dass dies für sogenannte Altfälle nicht gilt. Die neuen Regelungen werden erst wirksam für Aufnahmeverträge in Krankenhäusern, die nach Inkrafttreten des Gesetzes bzw. der nachfolgenden Verordnung abgeschlossen wurden. Damit wird Rechtssicherung für Krankenhäuser und Krankenkassen geschaffen. Eine sich abzeichnende Klagewelle für Altfälle wird damit gestoppt.
Meine Damen und Herren, der zweite Änderungsantrag, den ich hier ansprechen möchte, ist die Regelung zum Ausschreibungsgeschehen im Hilfsmittelbereich. Im TSVG wurde klargestellt, dass jeder der Leistungserbringer prinzipiell berechtigt ist, mit den Krankenkassen Vertragsverhandlungen zu führen. In der Realität haben wir leider feststellen müssen, dass die Kassen sich nicht umfassend daran gehalten haben. Hier mussten wir reagieren. Dafür werden nunmehr folgende Regelungen getroffen: Zukünftig können Aufsichtsbehörden rechtswidrige Verträge zur Hilfsmittelversorgung beenden und ihren Vollzug verhindern. Sie können vor Vertragsschluss durch besondere Aufsichtsmittel Krankenkassen verpflichten, Vertragsverhandlungen mit allen interessierten Leistungserbringern aufzunehmen. Krankenkassen werden verpflichtet, ihre Absicht, Verträge zur Hilfsmittelversorgung abzuschließen, unionsweit bekannt zu machen. Außerdem wird ein Schiedsverfahren im Hilfsmittelbereich eingeführt. Damit soll insbesondere sichergestellt werden, dass der gesetzgeberische Wille uneingeschränkt umgesetzt wird. Meine Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Georg Kippels für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer an den Fernsehgeräten!
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Wir haben hier gerade schon sehr viel über den Aspekt der Patientensicherheit gehört. Das ist mit Abstand eine der wichtigsten Motivationen, um sich mit der Prüfung von technischen Geräten, die bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten benutzt werden, zu befassen.
Es geht aber nicht nur um die Patientensicherheit, sondern natürlich auch um die Erwartungshaltung der Patienten, dass Innovationen auf technischem Sektor ständig vorangetrieben werden und diese Technik, begleitet durch eine entsprechende Zulassung und eine Prüfung, mit bestmöglicher Präzision eingesetzt wird. Wie sehr die Medizinprodukte mittlerweile eine Rolle im Behandlungsverlauf spielen, sei nur daran festgemacht, dass die Wissenschaftliche Gesellschaft für Krankenhaustechnik den Krankenhäusern empfiehlt, pro 100 Betten nahezu 300 medizintechnische Geräte vorzuhalten, mit denen das Pflegepersonal, aber natürlich auch das medizinische Personal in der Lage ist, Abläufe zu optimieren, die Diagnostik zu präzisieren und natürlich auch die zeitlichen Ressourcen bestmöglich zu heben.
Darüber hinaus finden durch die Medizinprodukte vollkommen neue Behandlungsmethoden Eingang in den medizinischen Alltag. So nimmt die Anzahl der roboterassistierten Operationen permanent zu. Absolute Spitze in Europa ist da zurzeit Schweden. In Deutschland gibt es noch ein gewisses Unbehagen, wenn neben dem Operateur, dem Mediziner aus Fleisch und Blut, kompliziert aussehende Geräte eingesetzt werden. Aber sie steigern die Präzision. Sie sorgen dafür, dass Folgerisiken teilweise deutlich besser vermieden werden. Die Liegezeiten und vor allen Dingen auch die Komplikationsrisiken schwinden.
Noch eine Anmerkung aus meiner Sicht als Europapolitiker. Der Gesundheitspolitiker wird immer dann etwas sensibel, wenn er hört, dass die Europäische Union aktiv wird. Bei der letzten Initiative zum HTA, dem Health Technology Assessment, haben wir uns zu einer Subsidiaritätsrüge durchgerungen, weil wir der Meinung waren, dass die Kombination aus der geplanten Regelung und unserem medizinischen System unverträglich ist. Dieses Recht ist niedergelegt in Artikel 168 Absatz 7 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, wonach das nationale Versorgungs- und Gesundheitssystem in sozialrechtlicher Hinsicht privilegiert ist.
Hier haben wir es allerdings ausschließlich mit technischen Fragen und Standardisierungsfragen zu tun, die in unsere Hoheit in keiner Weise eingreifen. Vor diesem Hintergrund ist es richtig und wichtig, dass wir mit unserem BfArM ein Höchstmaß an technischer Fachkunde installieren, das im Interesse der Patientensicherheit zukünftig ununterbrochen zur Verfügung stehen wird.
Stimmen Sie bitte dem Gesetzentwurf zu. Ich freue mich auf die interessanten Beratungen im Ausschuss und die Ergebnisse der Anhörung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der hier vorliegende Antrag hat zweifellos eine große Chance – nicht wegen der aktuellen Vorkommnisse, sondern aus anderen Gründen –, einen vorderen Platz auf der Hitliste der Kuriositäten in diesem Bundestag zu bekommen.
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Er passt eigentlich viel mehr in die Zeit von Kaiser Wilhelm II., weil man von dem ja wusste, dass er mit seinem englischen Vetter nicht so gut klarkam, und weil die wissenschaftliche Leistung damals eher zur Staffage, zu einer Art Deutschtümelei verkam. Man sagte kurzerhand: Forschung unter der Pickelhaube für die Pickelhaube. – Heute, hundert Jahre später, dieser Antrag der AfD zur Rettung der deutschen Sprache.
Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Das Drama dieser Zeit, der Schwund der deutschen Sprache, hat nun auch die Wissenschaft erreicht. Nur ein nationaler Aktionsplan kann retten, was noch zu retten ist. – Was für eine Weltferne! Da wird von einem Niedergang der deutschen Sprache seit Mitte des 20. Jahrhunderts gesprochen. In der dazugehörigen Pressekonferenz wurde sogar der Verlust des deutschen Erbes, der deutschen Kultur, der Philosophie heraufbeschworen. Hegel, Heidegger, Marx, sie alle sind schwer zu bekommen. – Ich empfehle den Kollegen von der AfD einen Besuch in der Buchhandlung. Da werden Sie mit Sicherheit Ihre geliebte Lektüre – etwa „Das Kapital“ von Karl Marx – finden; Sie werden sie mit Begeisterung lesen können.
Und wer ist schuld? Natürlich – wie sollte es auch anders sein? – die Bundeskanzlerin. Sie hat sich verschworen, will das Deutsche im Multilateralismus auflösen. Das nenne ich eine beispiellose Irrationalität.
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Richtig wäre eigentlich dieser historische Rückblick: Das Deutsche hat im letzten Jahrhundert einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Ursache war eine katastrophale deutsche Überheblichkeit und Menschenverachtung, die auch in der Sprache ihren Niederschlag gefunden hat. – Gerade daraus erwächst für uns der Auftrag, besonders sorgsam mit der deutschen Sprache umzugehen. Ich gucke da bestimmte Persönlichkeiten hier im Hause an.
Wenn nun hier ein Rückgang von wissenschaftlichen Veröffentlichungen in deutscher Sprache beklagt wird, so hat das einen einfachen Grund. Jeder weiß, dass wir eine unheimliche Zunahme von wissenschaftlichen Veröffentlichungen haben, und niemandem ist geholfen, wenn Erkenntnisse wegen sprachlicher Hürden nicht ausgetauscht und angewandt werden können. Und: Fremdsprachen bilden. Sie sind nicht nur in der Wissenschaft wichtig, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur internationalen Verständigung. Diese Erkenntnis ist doch nicht neu. Die Antragsteller sprechen selbst von der „Linguae francae“.
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Dieser Begriff allein zeigt doch, dass die lateinische Sprache seit der Antike die Wissenschaft prägt, bis heute. In der Medizin, in der Botanik, in der Chemie, überall haben wir auch die lateinische Sprache. Ich kenne eigentlich niemanden, der daran Anstoß nimmt. Das ist vielmehr ein Beispiel für eine hervorragende Kultur, die in Europa entwickelt worden ist.
Es ist doch sofort für jeden ersichtlich, dass wir uns in einer globalen Welt auch wissenschaftlich austauschen müssen. Hinzu kommt, dass an diesem wissenschaftlichen Dialog im Zeitalter der digitalen Technik weit mehr Nationen teilnehmen, dieser Vorgang sehr viel schneller stattfindet und viel intensiver ist als je zuvor. Da hilft eine gemeinsame Sprache. Diese über Grenzen hinweg bestehende wissenschaftliche Zusammenarbeit ist ein Gewinn und gewiss kein Verlust.
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Seien wir dankbar, dass wir unsere wissenschaftlichen Publikationen und Abstracts gegenseitig lesen können. Denken Sie an die aktuelle Forschungsreise der „Polarstern“, wo Wissenschaftler aus 19 Nationen auf einem Schiff versammelt sind. Man kann sich doch vorstellen, wie untereinander kommuniziert wird, welches die Bordsprache ist.
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass die deutsche Sprache auch in der Wissenschaft eine Zukunft hat und wir auch in Zukunft auf Deutsch schreiben werden; aber globale Herausforderungen sind zu bestehen. Das Erlernen von Sprachen ist dabei ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Wir müssen Angebote machen: bilinguale Angebote in der Schule, fremdsprachige Studiengänge. Das ist die moderne Antwort, vor der sich keiner fürchten muss.
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Dieser Antrag fordert die Bundesregierung auf, einen nationalen Aktionsplan zum Erhalt, zur Stärkung und Pflege der Wissenschaftssprache Deutsch zu entwickeln. Die drei Punkte, die da genannt sind, lassen aber völlig offen, wie das im Einzelnen aussehen soll. Wie steht es um die Freiheit der Lehre? Wie steht es um die Autonomie der Universitäten? All das wird überhaupt nicht angesprochen.
In der Begründung zu dem Antrag wird es schon etwas deutlicher, um nicht zu sagen: zweideutiger. Zitat: „Sprache bedeutet, eine ... Weltsicht ... zu haben.“ Was ist denn damit eigentlich gemeint? Ist das eine deutsche Weltsicht? Das ist es eben: Sind es nicht diese immer wieder wiederholten Zweideutigkeiten, die auch in diesem Antrag Ihrer Fraktion erneut zum Ausdruck kommen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, das führt diesen Antrag völlig ad absurdum. Deshalb müssen wir den Antrag ablehnen.
Marcel Reich-Ranicki hat einmal gesagt: „Die deutsche Sprache ist sexy.“ Die Sprache der AfD in diesem Antrag ist es leider nicht.
Herzlichen Dank.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in der Debatte fortfahren, unterrichte ich Sie darüber, dass der Abgeordnete Frömming, der für die AfD-Fraktion diesen Antrag hier einbringen sollte, ein medizinisches Problem hat. Wir haben jetzt vereinbart, dass der Redebeitrag des Abgeordneten Frömming zu Protokoll genommen wird, sodass Sie in den nachfolgenden Ausschussberatungen darauf Bezug nehmen können.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. h. c. Thomas Sattelberger für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die deutsche Sprache ist eine wichtige Grundlage unseres Nationalstaats für Integration, Bindung und Teilhabe in der Gesellschaft. Wer über Goethe, Bettina von Arnim, Beethoven und Bach forschen will, muss Deutsch können. Doch diese Beispiele kommen aus einer Zeit, in der Deutsch Wissenschaftssprache war – wie zuvor Latein und davor Griechisch. Später war die deutsche Sprache beinahe ein Jahrhundert lang eine der drei Wissenschaftssprachen neben Englisch und Französisch. Nach 1945 setzte sich endgültig Englisch durch.
Dass die AfD jetzt zwei Weltkriege für eine Diskreditierung der deutschen Sprache verantwortlich macht, das ist eine infame Verdrehung der Realität.
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Deutschland hat sein intellektuelles Ausbluten selbst betrieben. Es war die nationalsozialistische Diktatur, die die deutsch-jüdische Intelligenz ermordet und vertrieben hat.
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Noch in den 1930er-Jahren erhielten deutsche Forscher die meisten Auszeichnungen. Bereits Anfang der 1940er-Jahre begann die lange Siegesserie von in den USA lebenden Nobelpreisträgern, viele davon geflüchtete Deutsche.
Heute sind die Adressaten naturwissenschaftlicher Publikationen zu über 90 Prozent Nichtdeutsche. Autorenteams sind international zusammengesetzt. Zitationen, Vorträge und Veröffentlichungen, wichtige Währungen internationaler Wissenschaft, sind auf Englisch formuliert. Internationale Wissenschaftler bewegen sich souverän in zwar deutschen, aber englischsprachigen Communities. Hier geht es, meine Damen und Herren, nicht um literarische Schönheit, Tradition und Kultur, sondern sehr einfach um eine Fachsprache im Wissenschaftsbetrieb; da hilft auch keine romantische Verklärung.
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Eine Debatte darüber führt in die Abschottung. Deshalb sind moderne Wissenschaftler zur Mehrsprachigkeit aufgerufen. Die globale Wissenschaftssprache Englisch, der sich selbst Russen und Chinesen beugen, ist Conditio sine qua non. Doch Forschung muss auch und gerade nationale Sprachbrücken bauen. Deutsche Forscher müssen wissenschaftliche Erkenntnisse in deutscher Sprache allgemeinverständlich bekannt machen, für die Akzeptanz in der breiten Öffentlichkeit und Bevölkerung.
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Dies kann aber nicht heißen, dass wir die deutsche Wissenschaftssprache nun subventionieren. Wir brauchen wieder die brillanten Nobelpreisträger hierzulande. Die gewinnen wir nur durch exzellente Forschungswelten, nicht durch sprachliche und nationalistische Einengung.
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Ihr Antrag, Sie angebliche Alternative, ist eine Farce, die wir mit breiter polyglotter Brust ablehnen.
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Das Wort hat Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Kollege Frömming denn erkrankt ist, dann will ich ihm durchaus auch gute Besserung wünschen. Ich will umgekehrt sagen, dass wir von der Ausschusssitzung am gestrigen Mittwoch wissen, wie er in der Diskussion um Blockchain – vielleicht wissen das die Kollegen auch noch – englisch geendet hatte, nämlich mit der Aussage: Lots of gear, no idea. – Er hätte auch auf Amerikanisch sagen können: All hat and no cattle.
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Was ist die Zusammenführung zur Wissenschaftssprache? Offensichtlich gibt es Internationalität, egal welchen Geistes man ist. Gleichzeitig gibt es in diesen Worten den Hinweis auf das Idiomatische, auf das Besondere, das in einer nationalen Sprache liegt, weshalb man manchmal auf andere Sprachen ausweicht. So weit die Hinführung.
Was ich damit grundsätzlich sagen möchte, ist, dass wir natürlich recht daran tun, uns auch mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, weil Sprache einerseits ein Medium der Kultur, der Identität, der Differenzierung bis in das Denken, in das Verstehen hinein ist. Andererseits ist sie ein Medium der Überbrückung von Differenzen und Verschiedenheiten; sie ist ein Medium der Verbreitung, der maximalen Reichweite.
Deshalb müssen wir uns fragen, wie dieses aufgeteilt werden kann, aber immer vor dem Hintergrund, dass wir eines nie vergessen sollten – das möchte ich der AfD ganz ruhig sagen, weil das auch in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kürzlich zu lesen war; dies meinte darin der Philosoph Waldenfels –: Das Entscheidende ist eigentlich immer die Begegnung mit dem Fremden, mit dem Anderen, mit dem Verschiedenen, weil nur daraus Kultur und Innovationen entstehen.
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Es ist wichtig, dass wir es so auch in unserer Auseinandersetzung mit Sprache halten.
Das hat die Wissenschaft beschäftigt. Kollege Sattelberger hat es schon auf den Begriff gebracht: Das A und O ist die Mehrsprachigkeit. – Mehrsprachigkeit dann allerdings in zwei verschiedenen Bereichen: Mehrsprachigkeit in Bezug auf die Welt von Forschung – ihre Anwendung in der Wissenschaft und in der Forschung für die Welt – und Mehrsprachigkeit in der Welt von Lehre und Lernen an Hochschulen.
Ich will an ein sehr tragendes Konzept von Macron anknüpfen, der ja für die europäischen Hochschulen, für die europäische Sprachenentwicklung angeregt hat, möglichst drei Sprachen zu beherrschen: die Muttersprache, die Weltsprache und eine zusätzliche Sprache. Ich glaube, genau so müssen wir es sehen. Wissenschaftler und Forscher müssen dann besondere Ansprüche an sich richten: dass sie in der Weltsprache exzellent sind, aber dass sie auch in ihrer Muttersprache exzellent sind, weil beides herausfordert: das eine bei der Kommunikationsfähigkeit, das andere – das Denken in der eigenen Sprache – bei der Differenzierungsfähigkeit.
Ich mache doch eine kleine Differenz zu Herrn Sattelberger auf: Ich glaube schon, dass es einen Unterschied macht, ob es sich um Naturwissenschaften, um Mathematik, um Technik handelt oder ob es sich um Geisteswissenschaften handelt. Dort, wo die Geisteswissenschaften sich nicht auf dem höchsten Niveau aus der Muttersprache heraus entwickeln können, haben wir Förderinstrumente einzusetzen,
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damit es dort zu entsprechend wahrnehmbarer hoher wissenschaftlicher Leistung für die Welt kommt – aus dem ganzen Feld der Geistes- und der Sozialwissenschaften.
Was die Lehr- und Lernsprache an den Hochschulen angeht, gilt das Gleiche: das Prinzip der Mehrsprachigkeit. Die Hochschulrektorenkonferenz, DAAD, Humboldt, alle sagen uns: Es kann nicht nur ein durchgängig fremdsprachiges, englisches Studium an deutschen Hochschulen geben; denn dieses würde die enttäuschen, die Deutsch gelernt haben –
Kollege Rossmann, Sie können selbstverständlich weitersprechen; das würde dann aber auf Kosten des Kollegen Röspel gehen.
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– und zu uns kommen und die Kultur kennenlernen wollen. Es würde diejenigen genauso enttäuschen, die bei uns etwas in ihrer Sprache vermitteln wollen. Deshalb werben wir dafür: Halten wir an der Mehrsprachigkeit fest! – Das soll der Schlussbegriff sein.
Danke.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die AfD sorgt sich also um Deutsch als Wissenschaftssprache. Dies von einer Partei, die seit Jahren alle wissenschaftlichen Studien ignoriert und leugnet, die den menschlichen Anteil am Klimawandel nachweisen.
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Dies von einer Partei, die Geschlechterforschung für Steuergeldverschwendung hält und deshalb zur Straftat machen möchte.
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Dies von einer Partei, deren Vertreter im Kultur- und im Forschungsausschuss eine „Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff“ nehmen wollten.
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Meine Damen und Herren, ach, wenn es doch nur ein Indiz dafür gäbe, dass Wissenschaftssprache die Aufnahme- und Erkenntnisfähigkeit der AfD beeinflussen könnte!
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Meine Damen und Herren, ja, Deutsch war lange Zeit eine wichtige Wissenschaftssprache. Dazu trugen Menschen wie Sigmund Freud, Hannah Arendt oder Albert Einstein bei. Diese wurden jedoch wie viele andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler antisemitisch verfolgt.
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– Da müssen Sie mal nachdenken.
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Ihnen blieb nur, vor den Nazis zu fliehen.
Auch die Liste deutscher Nobelpreisträger – sie ist hier schon angeklungen – ist lang: Carl von Ossietzky, Albert Schweitzer, Marie Curie – wenngleich sie aus Polen stammt –, Hermann Hesse, Heinrich Böll, Max Planck und Otto Loewi. Keiner von diesen würde sich von der AfD vereinnahmen lassen, um Deutsch als Wissenschaftssprache zu verteidigen.
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Der Bedeutungsverlust des Deutschen als Wissenschaftssprache – das klang bei Herrn Sattelberger schon an – hat vor allem damit zu tun, dass viele brillante Köpfe Deutschland verlassen mussten.
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Infolgedessen mussten sie auch im Ausland publizieren, meist in den USA. So musste beispielsweise Hannah Arendts Schrift zu den Ursprüngen des Totalitarismus oder Adornos „Studien zum Autoritären Charakter“ zuerst auf Englisch erscheinen.
Deutsch war auch die Sprache von Besatzern und Massenmördern – nicht verwunderlich, dass sich Überlebende und andere Länder wie beispielsweise die Schweiz sprachlich ausdrücklich von Deutschland absetzten.
Wenn Sie sich für die Sprache von Kant, Hegel, Lessing oder Goethe einsetzen wollen, dann lesen Sie vielleicht doch erst mal deren Werke: „Zum ewigen Frieden“, den „West-östlichen Divan“, Goethes Schriften zum Islam oder Christian Wolffs zum Konfuzianismus.
Meine Damen und Herren, Wissenschaft und ihre Sprache leben von geistiger Freiheit und Unabhängigkeit. Die Wissenschaftspolitik letzter Jahre hat aber durchaus auch Gegenteiliges bewirkt. So betrachtet die Bundesregierung Wissenschaftler wettbewerblich, quasi als Standortfaktor. Und in den Zeiten der Globalisierung bleibt vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eben auch nichts anderes übrig, als auf Englisch zu publizieren, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
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Die Wissenschaft, auf die Gesellschaft ausgerichtet, braucht den Dialog mit der Gesellschaft und in der Sprache dieser Gesellschaft.
Danke.
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Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gute Wissenschaft ist international und damit multilingual. Sagt und schreibt die AfD „Klapprechner“ statt „Laptop“? Spricht sie von „Großblockständer“ statt „Flipchart“? Ist sie „im Weltnetz“, statt „im Internet zu surfen“? Natürlich nicht! Das müsste die AfD aber, wenn sie Anglizismen vermeiden will oder ihre eigene Initiative ernst nimmt. Beides tun Sie nicht, und damit fehlt Ihnen jedwede Seriosität.
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Die AfD hat kein Rentenkonzept, sie leugnet die Klimakrise, beschäftigt das Hohe Haus einmal mehr mit einem Problem, das es so eigentlich gar nicht gibt – weil sie mit Vielfalt nicht klarkommt, natürlich auch nicht mit linguistischer Vielfalt. Wie berechenbar!
Deutsch ist eine lebendige Sprache. Die größte Gefahr für lebendige Sprachen ist, wie es die AfD fordert, Sprachwandel zu unterdrücken. Wir drücken uns anders aus als Goethe vor 200 Jahren oder Walther von der Vogelweide vor 700 Jahren – und das ist auch gut so. Die AfD erklärt sich zur Hüterin der deutschen Sprache, ist aber eher Totengräberin für ein lebendiges Deutsch.
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Wer seine Sprache liebt, ist dankbar, wenn sie sich wandelt. Denn das ist ein Zeichen, dass sie lebt.
Wer mit exzellenter Forschung wirken möchte, schreibt so, dass sie oder er auch im Ausland verstanden wird – sei es in Hongkong, Berkeley oder Singapur. Wer nur auf Deutsch schreibt, wird dort nicht gelesen. Ich will nicht, dass sich deutsche Forscherinnen und Forscher so beschränken müssen.
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Die AfD will Deutschzwang in der Wissenschaft. Wir wollen Wissenschaftsfreiheit. Und Wissenschaft setzt nicht auf Einheitssprache, sondern auf Mehrsprachigkeit.
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Deutsch als internationale Wissenschaftssprache hat weiter Stellenwert in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Aber gerade vor diesen Disziplinen haben autoritäre Kräfte wie die AfD am meisten Angst, prägen doch gerade diese Disziplinen kulturellen Wandel, gesellschaftliche Erkenntnis und kritischen Geist. Das macht Wissenschaft wirkungsmächtig.
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Man kann auf Deutsch und in jeder Sprache publizieren. Es kommt aber immer auf den Inhalt an und die Qualität. Es macht keinen Unterschied, ob wir von „Gender Studies“ oder „Geschlechterforschung“ reden – Sie flippen so oder so aus.
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Mir ist egal, ob Gender Studies auf Französisch oder Ungarisch veröffentlicht werden – Hauptsache, sie können ungestört forschen und lehren.
Wenn es nach Ihrem AfD-Antrag liefe, dann würde keine Vorlesung mehr „cum tempore“ beginnen. Statt in „Mensen“ äßen Studierende in „Gemeinschaftsverpflegungsstätten“; denn „Kantinen“ wäre auch ein Unwort, da italienischen Ursprungs. Damit steht die AfD für „Abwegige Fraktion Deutschlands“.
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Komplexität, Rationalität und Intellektualität brauchen Sprachenvielfalt, keinen Deutschzwang, keine national bornierte Einfalt à la AfD.
Ihre nächsten bedeutungslosen Anträge wie „Nur deutsches Liedgut im deutschen Radio“ erwarten wir mit Langeweile und aufgeklärter Gelassenheit.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Astrid Mannes für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst einmal alle guten Genesungswünsche dem Kollegen Dr. Frömming überbringen.
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Englisch verdrängt im Zuge der Internationalisierung auch in der Wissenschaft zunehmend die anderen Sprachen. Die Verdrängung des Deutschen aus der universitären Diskurs- und Textwirklichkeit ist weit vorangeschritten. Der Anteil deutschsprachiger Veröffentlichungen im Bereich der naturwissenschaftlichen Publikationen ist nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes auf 1 Prozent zurückgegangen.
Mittlerweile wird auch in Deutschland in der Wissenschaftskommunikation zunehmend ausschließlich die englische Sprache verwendet, sogar auf Kongressen mit ausschließlich deutschen Teilnehmern. Deutsche Drittmittelgeber schreiben oftmals vor, Förderanträge ausschließlich in englischer Sprache einzureichen, und auch Hochschulen bieten mehr und mehr komplett englischsprachige Studiengänge an.
Englisch hat sich also damit als Wissenschaftssprache durchgesetzt. Dies hat Gründe: Forschung ist heute längst international. Forscherteams setzen sich aus Wissenschaftlern unterschiedlicher Nationalitäten zusammen. Wenn ich in meinen Wahlkreis, in die Wissenschaftsstadt Darmstadt, schaue und an die verschiedenen Forschungseinrichtungen denke, zum Beispiel an die GSI mit dem FAIR-Projekt oder auch das Weltraumkontrollzentrum ESOC, dann stelle ich fest: Dort wird auch im betrieblichen Alltag Englisch gesprochen, und zwar deswegen, weil sich Wissenschaftler aus verschiedenen Nationen einbringen.
Natürlich erleichtert das Englischsprechen, herausragende nichtdeutschsprachige Spitzenwissenschaftler nach Deutschland zu holen. Der Austausch über die einheitliche englische Sprache hat die Wissenschaft erheblich beschleunigt. Denn Forschung und Wissenschaft leben vom Austausch. Erst diese gemeinsame Sprache hat vielen Wissenschaftlern aus Entwicklungs- und Schwellenländern die Chance eröffnet, sich am globalen Diskurs zu beteiligen, und auch die Adressaten der wissenschaftlichen Publikationen von deutschen Forschern sitzen überwiegend im Ausland.
Studien zeigen aber auch, dass das tiefere Verständnis deutlich eingeschränkt ist, wenn Studenten den Lehrstoff nur in einer Fremdsprache aufnehmen. Auch verflacht der Austausch über wissenschaftliche Inhalte schnell, wenn die Besprechungen in Englisch und nicht in der Muttersprache abgehalten werden. Die Diskussionsbereitschaft nimmt selbst bei den Studenten ab, die sehr gut Englisch sprechen.
Unsere Sprache hat nämlich neben der kommunikativen auch eine kognitive Funktion. Unsere Denkmuster und Sprachbilder beruhen auf der Muttersprache, und auch im wissenschaftlichen Bereich arbeiten wir mit Bildern und Metaphern, die der Alltagssprache entnommen sind.
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Nicht ohne Grund plädieren daher viele Forschungseinrichtungen, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und auch die Hochschulrektorenkonferenz für die Mehrsprachigkeit in den Wissenschaften und damit auch für mehr Übersetzungen. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung misst der Muttersprache eine enorme Bedeutung in Arbeits-, Erkenntnis- und Kommunikationsprozessen und eben auch in der Wissenschaft bei und fördert und fordert daher auch die Mehrsprachigkeit.
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In der Tat sollte der Anspruch einer Wissenschaft, die verantwortlich mit der eigenen Kultur umgeht, in der Mehrsprachigkeit liegen.
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Die Ausbildung einer sogenannten Lingua franca in den jeweiligen Disziplinen jedoch ist Angelegenheit der Hochschule bzw. der Wissenschaft selbst und kann nicht vom Bund aus gesteuert werden.
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Zu den klar geregelten Zuständigkeiten im Bildungsbereich muss ich hier wohl nicht ausführen; ich nenne nur die Stichworte „Freiheit von Wissenschaft und Lehre“ und „Hochschulautonomie“.
Wir als Unionsfraktion werden dem Antrag nicht zustimmen. Ich möchte Ihnen allen aber von dieser Stelle aus schon einmal gesegnete Weihnachten wünschen.
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Das Wort hat der Abgeordnete René Röspel für die SPD-Fraktion.
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Vielen Dank. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Ich hätte gar nicht gedacht, dass sich infolge eines doch so schwachen Antrags der AfD noch so eine spannende abendliche Diskussion entwickelt; sie ist wirklich gut.
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Tatsächlich gab es in meinem Leben einen Zeitpunkt, an dem ich mir wirklich gewünscht hätte, dass Deutsch die Wissenschaftssprache sei, nämlich als ich vor rund 30 Jahren in meinem Studium während des zellbiologischen Praktikums vor einem „Nature“-Paper saß und das lesen sollte. Ich dachte: Gar nicht so schlecht, aber wie kriege ich das jetzt hin? – Es enthielt ganz viele Fremdwörter, die ich nicht mal im Lexikon fand. Ich habe mich da einarbeiten müssen und dadurch richtig viel gelernt. Und ich habe zwei Dinge gemerkt:
Erstens. Mein Englisch ist zu schlecht. Vielleicht lag das daran, dass das Arbeiterkind auf der Realschule ganz andere Voraussetzungen hatte als der eine oder andere aus einem Elternhaus mit einem anderen Hintergrund, der ins Ausland gefahren ist. Das hat mich zu der Überzeugung gebracht, dass wir kein Kind zurücklassen dürfen, jedes Kind wertschätzen müssen und alle seine Begabungen fördern müssen.
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Zweitens. Dadurch, dass ich so viel gelernt habe, habe ich eben auch gemerkt, dass wir eine gemeinsame, internationale Sprache brauchen, über die sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler miteinander verständigen und einander verstehen können. Das habe ich nicht nur auf meinem ersten Kongress gemerkt, sondern auch in den vielfältigen Austauschen danach. Es ist einfach Realität, dass knapp 115 Millionen deutschsprachige Menschen auf der Welt weniger sind als 520 Millionen englischsprachige, von den 1 400 Millionen chinesischsprachigen ganz zu schweigen, und dass das Englische sicherlich mehr Chancen hatte, sich durchzusetzen.
Es stellt sich natürlich noch eine Frage: Wie schaffen wir es, Deutsch für Menschen im Ausland vielleicht interessanter zu machen? Da gibt es in Deutschland ja viele löbliche Ansätze über den DAAD und andere Organisationen, die eben versuchen, Menschen in anderen Ländern über ein Studium für die deutsche Sprache zu interessieren. Das ist doch ein guter Weg, und den können wir fortsetzen.
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Der manifestiert sich beispielsweise in der Türkisch-Deutschen Universität, wo auch auf Deutsch gelehrt wird, oder in der Deutsch-Jordanischen Universität, wo es jungen Jordaniern schmackhaft gemacht wird, auf Deutsch zu studieren. Das ist ein so wichtiger wissenschaftlicher und internationaler Aspekt, dass es das weiter zu fördern gilt.
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Sie schreiben in Ihrem Antrag – ich danke Herrn Sattelberger, dass er darauf schon eingegangen ist –: Deutsch hätte aber auch die internationale Wissenschaftssprache sein können. – Hätte! Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war Deutschland eines der Hochzentren von Wissenschaft. Gerade im Bereich der naturwissenschaftlichen, ingenieurswissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Publikationen war Deutsch – mindestens – eine der wichtigsten Sprachen. Und dann kamen ebenjene, die die Mehrheit in diesem Land gewannen, die gegen Minderheiten gehetzt haben, die gegen Andersgläubige gehetzt haben, die gegen Demokratie gehetzt und sie verächtlich gemacht haben und die gegen Vielfalt und Freiheit gehetzt haben.
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Am Ende stand der größte Exodus von Wissenschaft, den Deutschland je erlebt hat. Und weil das heute Morgen Thema war: Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben daraus gelernt, dass man niemandem die Staatsbürgerschaft entziehen darf. Als Einstein 1933 aus dem Staatsdienst entlassen wurde, hat er seine Staatsbürgerschaft verloren und ist in die USA emigriert. Das war die Lehre: –
Kollege Röspel.
– nie wieder leichtfertig die Staatsbürgerschaft entziehen.
Deswegen: Wissenschaft braucht Vielfalt und Freiheit wie die Luft zum Atmen. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass Vielfalt und Freiheit in diesem Land die Oberhand behalten.
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Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer vorankommen will, braucht Wege: Schienen, Straßen, Radwege, Wasserwege, Brücken und Tunnel. Mit der Unterstützung durch die Koalitionsfraktionen kann mein Haus im kommenden Jahr mehr als 15 Milliarden Euro investieren und für diese wichtigen Infrastrukturprojekte zur Verfügung stellen.
Unlängst, vor ein paar Tagen, hat die Ministerpräsidentenkonferenz stattgefunden, wo sich wie ein roter Faden durch die ganze Debatte gezogen hat, dass die Tatsache, dass viele Projekte nicht vorankommen, momentan nicht an möglicherweise fehlenden Haushaltsmitteln liegt, sondern vielmehr an schleppenden Genehmigungs- und Planungsverfahren. Wir benötigen also baureif geplante Infrastrukturprojekte, und daran mangelt es leider häufig.
Zudem erleben wir immer wieder, dass große Projekte mit Klagen ausgebremst werden, die Gerichtsprozesse sich über Jahre hinziehen und sich das Ganze somit verzögert. In anderen Ländern und bei unseren Bürgern herrscht meist völliges Unverständnis darüber, dass Planungen und Genehmigungen bei uns gern mal acht, zehn oder mehr Jahre dauern.
Ich war am Montag in Duisburg-Neuenkamp beim Spatenstich für die Rheinbrücke, eine Großinvestition im Umfang von 365 Millionen Euro. Da reden wir bei einer Dauer von fünf Jahren bis zum Spatenstich schon von „Eiltempo“.
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Deswegen wird das erste Planungsbeschleunigungsgesetz, das schon seit 1. Dezember 2018 gilt, hier schon einmal für Linderung sorgen, nämlich indem wir Doppelprüfungen vermeiden, Bürokratie abbauen, Transparenz stärken und Klageverfahren beschleunigen.
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Jetzt gibt es zwei weitere Gesetzesvorschläge von mir. Zum einen geht es darum, dass wir Baurecht künftig auch durch Gesetze schaffen. Das heißt, dass wir in bestimmten, wichtigen Fällen die Verfahren beschleunigen, indem das Parlament darüber entscheidet. Wir nehmen uns da ein Beispiel an Dänemark, das erfolgreich per Gesetz Infrastrukturvorhaben genehmigt.
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Wir brauchen eine nationale Investitionsoffensive, und da greife ich die Äußerungen aus der Fraktion Die Grünen in der Haushaltsdebatte auf. Herr Hofreiter hat hier gestanden und gesagt:
… wir brauchen mehr Investitionen, wenn wir unseren Wohlstand, unsere ökonomische Leistungskraft und … unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt verteidigen wollen.
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Besonders bemerkenswert ist, dass er nachdrücklich seine Unterstützung angeboten hat, wenn es darum geht, Planungsbeschleunigung auf den Weg zu bringen.
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Dagegen hat er mich aber drei Wochen vorher angegriffen, als ich die zwei Pakete vorgelegt habe, und hat von „Turbobaurecht“ gesprochen. Von Turbobaurecht ist Deutschland nach meiner gesicherten Erkenntnis noch recht weit entfernt.
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Die Grünen haben aufgrund ihrer Regierungsbeteiligungen morgen im Bundesrat eine Superchance, zwischen Rede und Realität keinen Widerspruch aufkommen zu lassen:
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die Rede von Herrn Hofreiter und das Verhalten morgen im Bundesrat.
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Das ist die erste Bewährungsprobe der Grünen, wie ernst sie es meinen mit ihrer Unterstützung der Pakete dieser Koalition zu Planungsbeschleunigungen.
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Wir brauchen für 2020 das Motto „Stemmen statt Hemmen“. Diese beiden Gesetze müssen wir weiterentwickeln. Bei den zwölf Pilotprojekten, die wir vorgeschlagen haben, darunter Wasser- und Schienenbauprojekte, ist die Öffentlichkeit weiterhin umfangreich beteiligt. Natürlich finden auch die Umweltprüfungen statt. Natürlich beteiligen wir die entsprechenden Behörden und die Bürger schon vor Einleitung des Verfahrens; das ist zwingend. Wir versprechen uns daher auch eine Akzeptanz für die Großprojekte, und die Umsetzung wird beschleunigt.
Ein zweites Gesetzesvorhaben betrifft die Verschlankung bei den Planungsverfahren für Ersatzneubauten. Man kann doch keinem erklären, dass wir, wenn eine Brücke aus den 70er-Jahren – eine Eisenbahnbrücke, eine Autobahnbrücke – wieder eins zu eins hergestellt wird, aber diesmal als Ersatzneubau, dazu statt eines einfachen Verfahrens ein aufwendiges Genehmigungsverfahren brauchen und dadurch wiederum Jahre verlieren, und das wegen einer einfachen Ersatzneubaumaßnahme, einer kleinen Schienenbrücke. Das kann doch nicht sein.
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Deswegen brauchen wir da Beschleunigung.
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Wir haben sogar eine sehr schöne Botschaft an die Kommunen: Mit dem Gesetz über Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen können wir den Anteil des Bundes noch mal verstärken und somit die Kommunen entlasten; denn häufig scheitert es daran, dass die Kommunen keine eigenen Mittel aufbringen können. Damit können wir schneller Brücken und Unterführungen bauen, die Schienen kreuzen, somit ist auch das eine Maßnahme, die Schiene zu stärken. Ich bedanke mich sehr herzlich, dass das in der Debatte über den Haushalt 2020 bei allen Beteiligten auf Zustimmung gestoßen ist. Das ist ein richtig gutes Signal, diese wichtigen Maßnahmen zu entwickeln, um unsere Infrastruktur zu stärken.
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Bei kleinen und großen Projekten müssen wir die Standspur verlassen und auf die Beschleunigungsspur wechseln. Ich werde mir ganz genau anschauen, wie morgen im Bundesrat argumentiert wird.
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Weil alle so in Weihnachtsstimmung sind, wünsche auch ich allen Kolleginnen und Kollegen frohe Weihnachten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Leif-Erik Holm für die AfD-Fraktion.
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Schönen guten Abend! Sehr geehrte Bürger! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kurz vorm Weihnachtsfest wird die AfD gehört und erhört; das finden wir wirklich großartig. Endlich ist es so weit: Wir fordern seit über einem Jahr, dass wir endlich Baugesetze nach dem Vorbild Dänemarks bekommen. Nun ist es so weit, und das ist auch wirklich höchste Eisenbahn.
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Schließlich haben wir Planungsverfahren, die wahre Bürokratiemonster sind. Von der Planung bis zum Bau dauert es manchmal 30 Jahre. Kein Wunder also, dass wir derzeit ganze Lebensabschnitte in Staus und auf zugigen Bahnsteigen verbringen. Das ist wirklich ein Armutszeugnis für unser hochentwickeltes Land.
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Der Staat ist viel zu schwerfällig geworden und kommt bisher beim Ausbau der Infrastruktur einfach nicht aus dem Knick. Man muss wirklich sagen: Verschiedene Bundesregierungen haben das über Jahrzehnte verschwitzt, sodass wir heute schon Mühe haben, im internationalen Wettbewerb um die attraktivsten Standorte überhaupt noch bestehen zu können. Dieses Problem müssen wir endlich lösen, und dafür ist dieses Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz tatsächlich ein Anfang.
Wir brauchen aber mehr als die zwölf benannten Pilotprojekte. Wichtige Vorhaben fehlen, bei denen wir schon meilenweit hinterherhinken. Was ist mit dem wichtigen Nordzulauf zum Brennerbasistunnel? Was ist mit der Anbindung zum Fehmarnbelttunnel? Was ist mit der Marschbahn, die Sie sogar aus dem Gesetzentwurf herausgenommen haben? Das alles sind dringende Projekte. Warum stehen überhaupt keine Straßenbauvorhaben im Entwurf?
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Auch da haben wir einen riesigen Nachholbedarf. Zwei Drittel der Menschen fahren täglich mit dem Auto zur Arbeit, und das wird sich entgegen aller grünen Träume auch in Zukunft nicht ändern, weil Bürger eben auch im ländlichen Raum leben und nie ein Zug vom Dorf in die Stadt fahren wird. Das ist die Realität. Auch diesen Millionen Bürgern muss der Staat Mobilität ermöglichen; das heißt eben auch Straßenbau. Also, nehmen Sie endlich die Klimaideologenbrille ab, und sorgen Sie für einen schnelleren Ausbau unserer Straßen.
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Auf eines müssen wir bei den Maßnahmegesetzen natürlich achtgeben: Die Einbindung der Bürger muss gewährleistet bleiben – das ist völlig klar –, und sie muss in Zukunft auch früher, umfänglicher und transparenter erfolgen. Auch hier können wir uns einiges von den Dänen abgucken, die extra eine Agentur gegründet haben, die sich um die Anliegen der Bürger kümmert.
Für uns ist klar: Wir müssen einerseits das Verbandsklageunwesen beenden; aber sinnvolle Einwände der tatsächlich betroffenen Bürger müssen Berücksichtigung finden. Das schafft auch mehr Akzeptanz für die wichtigen Vorhaben.
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Was brauchen wir noch, um wieder schlagkräftig zu werden? Wir brauchen vor allem ausreichend Baukapazitäten. Wir sehen doch, dass wir im Moment gar kein Geldproblem haben. Das ist wahr; das hat Herr Minister Scheuer auch gesagt. Vielmehr fließen die Mittel zum Teil gar nicht ab, unter anderem, weil die Bauunternehmen völlig ausgelastet sind. Wir brauchen also keine Abschaffung der Schuldenbremse, wie hier auch im Haus gefordert wird; vielmehr brauchen wir eher eine sehr langfristige Planung von Investitionen, auf die die Unternehmen vertrauen und Kapazitäten entsprechend aufbauen können.
Es lauert ein weiterer Engpass auf uns. Wo kommen eigentlich die Facharbeiter und Ingenieure her? Ich habe gerade Zahlen aus meinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern gesehen: Bei uns gehen jedes Jahr 120 Bauingenieure in Rente,
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und jedes Jahr kommen nur 50 Absolventen von den Universitäten neu ins Berufsleben, und von denen wandern wiederum 30 ab, teilweise sogar ins Ausland. Uns gehen also jedes Jahr 100 Ingenieure verloren. Das kann und darf nicht sein in einem Land, das praktisch von dem Wissen in den Köpfen lebt.
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Hier ist vor allem in erster Linie die Bildungspolitik gefordert, die Prioritäten stärker im MINT-Bereich zu setzen.
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Meine Damen und Herren, Planungsbeschleunigung ist ein absolut notwendiger Schritt, um beim Ausbau unserer sehr maladen Infrastruktur endlich voranzukommen. Diesem Schritt müssen natürlich dringend weitere folgen. Also, kommen Sie endlich in die Puschen oder, wie Sie es gesagt haben, Herr Minister: „Stemmen statt Hemmen“. Sehr gut.
Schöne Weihnachten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Mathias Stein für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Als die ersten Berichte über den Entwurf des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes in der Presse auftauchten, war ich sehr erstaunt über die öffentlichen Reaktionen darauf. Die einen glaubten, dass gleich nach dem Beschluss dieses Gesetzes die Bagger anrollen und mit dem Bau fleißig begonnen wird. Die anderen befürchteten, dass wir Bürgerrechte beschneiden und die Bürger vor Ort nicht mehr anhören würden. Es schimmerte auch das Wort „Verfassungsbruch“ durch. All diese Befürchtungen treffen nicht zu. Wir können getrost sagen, dass das Irrläufer sind. Mit dem Gesetz werden weder gleich die Bagger rollen noch wird die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern eingeschränkt.
Wir haben hier jetzt die erste Lesung des Entwurfs der Bundesregierung. Es werden weitere Verhandlungen folgen. Der Bundesrat hat dazu schon getagt. Wir werden Anhörungen und Beratungen in den Ausschüssen haben. Und es ist auch kein Geheimnis, dass Gesetze, die hier in den Deutschen Bundestag eingebracht werden, auch noch verändert werden.
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Der Gesetzentwurf ist auch nur ein kleiner Teil einer Gesamtstrategie zur Planungsbeschleunigung. Wir als Koalition packen hier umfassend an. Wir sorgen dafür, dass deutlich mehr Personal bei den Behörden und auch bei der Bahn beschäftigt wird. Wir durchbrechen damit den konservativ-liberalen Irrweg, gedacht zu haben, durch Stellenabbau könne der Staat schlanker und flexibler werden.
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Wir steigern die Investitionen für Schiene, Wasserstraße und Straße. Allein im beschlossenen Haushalt sind 17,8 Milliarden Euro für Baumaßnahmen vorgesehen.
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Wir reformieren Stück für Stück das Planungsrecht, und zwar mit Augenmaß. Mit dem ersten Planungsbeschleunigungsgesetz aus dem letzten Jahr ermöglichen wir bereits jetzt vorbereitende Maßnahmen und Plangenehmigungen statt Planfeststellungsverfahren. Unser Ziel ist und bleibt eine schnelle Umsetzung mit und nicht gegen eine stärkere Bürgerbeteiligung.
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Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, für fünf Pilotprojekte Baurecht durch ein Maßnahmengesetz zu erproben. Dänemark ist hierfür die Blaupause. Dänemark plant und baut wesentlich schneller und im Konsens; dort gibt es eine enorme Akzeptanz gegenüber Verkehrsprojekten in der Bevölkerung.
Das dänische Erfolgsmodell basiert auf einer sehr frühen und sehr pragmatischen Konfliktbeilegung. Statt nach dem Planfeststellungsbeschluss Differenzen vor Gericht auszutragen wie bei uns, sucht man bereits vor Beginn der Maßnahme auf Augenhöhe zu verhandeln, mit mehr Dialog und mehr Debatte. Das sorgt dann für eine höhere Akzeptanz.
Wir wollen über die Modellprojekte untersuchen, ob die Maßnahmengesetze auch bei uns tatsächlich schneller und stärker akzeptiert werden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass das Planfeststellungsverfahren weitgehend unverändert bleibt. An die Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses tritt allerdings ein konkretes Maßnahmengesetz des Deutschen Bundestages.
Dadurch verändern sich zwei Dinge. Erstens. Ein solches Gesetz kann nur vor dem Bundesverfassungsgericht beklagt werden. Wenn wir es aber so wie in Dänemark wollen, dann wollen wir gar nicht, dass jemand vor dem Verfassungsgericht klagt.
Deswegen ist der zweite Aspekt besonders wichtig. Anders als die Planfeststellungsverwaltung kann der Deutsche Bundestag zusätzliche Maßnahmen beschließen, die für die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger sorgen. Das ist der eigentliche Kernpunkt des Gesetzes. Der Bundestag kann also beispielsweise zusätzlichen Lärmschutz oder bessere Umwelt- und Naturschutzstandards beschließen. All dies kann man in dem vorgelagerten verpflichtenden Bürgerbeteiligungsverfahren absprechen.
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Nun hat das Verkehrsministerium eine sehr agile und kampagnenstarke Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Aber dieser wichtige Aspekt, die Maßnahmen für mehr Akzeptanz, ist bei der bisherigen Kommunikation leider komplett unter den Tisch gefallen. Das Ministerium hat leider so getan, als sei dieses Gesetz eher ein Bürgerbeteiligungsverhinderungsgesetz. Das ist es nicht; das müssen wir deutlich sagen. Das würde meine Fraktion auch so nicht mitmachen.
Wir wollen kein Bürgerbeteiligungsverhinderungsgesetz, sondern wir wollen ein Gesetz mit der Zielsetzung: gemeinsam schneller bauen.
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Dieses Gesetz kann aus fachlicher Sicht noch nicht mit dem dänischen Vorbild mithalten. Wir werden im parlamentarischen Verfahren noch einige Stellschrauben drehen müssen, um es besser zu machen. Gut gemachte Maßnahmengesetze können für mehr Akzeptanz und mehr Tempo sorgen. Die Chance, dies auszutesten, sollten wir nicht ungenutzt lassen. Wenn es uns gelingt, dem dänischen Vorbild nahezukommen, dann werden wir in sechs Jahren feststellen, dass wir einiges geleistet haben. Das ist die Evaluierung, die wir am Ende machen wollen.
Sie sehen also: Dieses Vorhaben ist ein kleiner Baustein bei einer schnelleren Realisierung von Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen. Wir laden alle diejenigen, die auf den Bäumen sitzen und „Verfassungsbruch!“ rufen, und auch diejenigen, die schon die Bagger warmlaufen lassen, herzlich zur Diskussion über Planungsbeschleunigung ein. Dann wird es uns gelingen, viele Infrastrukturprojekte, die so dringend notwendig sind, auf die Schiene, auf die Wasserstraße und auch auf die Straße zu bringen.
Ich wünsche Ihnen allen ein frohes Fest und einen guten Rutsch, wie man in Norddeutschland sagt, ins Jahr 2020.
Vielen Dank.
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Danke. – Der nächste Redner ist der Abgeordnete Torsten Herbst für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bechsteinfledermaus, Kleine Hufeisennase, Kammmolch, Feldhamster und Juchtenkäfer: Sie alle wirken mittlerweile an der Verkehrsplanung in Deutschland mit, und sie sind ein Grund – nicht der alleinige –, warum wir bei der Realisierung von Verkehrsvorhaben so oft nur im Schneckentempo vorankommen.
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Übrigens: Eine Schnecke schaffte ungefähr 26 Kilometer im Jahr, wenn sie keine Pause machen würde. Ich glaube, der Bundesverkehrsminister wäre froh, wenn wir im Durchschnitt eines Jahres einen Autobahnneubau von 26 Kilometern hinbekommen würden. Wir sollten uns einmal an der Schnecke orientieren und endlich den Planungs- und Genehmigungsturbo anwerfen, meine Damen und Herren.
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Ich habe auch mitbekommen, was bei der Einbringungsrede des Verkehrsministers von den Fraktionen der Grünen und der Linken entgegnet wurde. Ich frage Sie ernsthaft: Halten Sie es für normal, dass wir mittlerweile bis zu zehn Jahre für einen neuen Radweg brauchen,
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dass wir für wenige Kilometer Bundesstraße bis zu 20 Jahre brauchen und dass wir selbst für eine umweltfreundliche neue Eisenbahntrasse drei Jahrzehnte brauchen? Ich halte das nicht für normal. Ich finde, das ist eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort und für die Lebensqualität in diesem Land.
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Wir unterstützen die Grundintention der Bundesregierung, schneller zu bauen, und der zweite Gesetzentwurf, den Sie hier vorlegen, enthält einige gute Punkte. Ich frage mich aber auch, warum Sie an mancher Stelle der Mut verlassen hat. Einer der Knackpunkte ist sicher das Thema Umweltprüfung.
Wir sind der Auffassung, dass wir noch über das, was Sie vorlegen, hinausgehen sollten, nämlich dass man prüft, welche Mehrfachumweltprüfungen in verschiedenen Phasen der Verfahren zusammengeführt werden. Ich glaube, wir müssen uns ernsthaft damit befassen, wie die Mitwirkung von Umweltverbänden aussieht und ob wir nicht auch Dinge auf das europäische Mindestmaß zurückführen können. Andere europäische Länder machen uns das vor.
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Wir wollen Mitwirkung in dem Sinne, dass auch Verkehrsprojekte ökologisch besser werden. Was wir nicht wollen, liebe Grüne, ist Blockade. Blockade brauchen wir nicht. Das wird der Realität in unserem Land und den Erwartungen der Bürger auch nicht mehr gerecht.
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Wir müssen natürlich über Stichtage nachdenken. Wir sollten auch über das Thema materielle Präklusion nachdenken, also dass nur noch geklagt werden kann, wenn Einwendungen schon vorher vorgebracht wurden. Ich bedaure sehr, dass das Bundesverkehrsministerium hier gegenüber dem Umweltministerium eingeknickt ist und die Regelung aus dem Gesetzentwurf verschwunden ist. Hier wünschte ich mir mehr Mut von der Bundesregierung.
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Es gibt noch mehr Punkte, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Die frühzeitige Bürgerbeteiligung ist angesprochen worden. Das sehen wir genauso.
Zum Thema Digitalisierung: Zwischen Sachsen und der Tschechischen Republik wird gerade ein Bahntunnel, der Erzgebirgstunnel, in der frühen Planungsphase vorbereitet. Da werden momentan ernsthaft 600 Kilo Aktenordner verschickt. Das ist doch nicht mehr zeitgemäß. Da müssen wir deutlich schneller werden.
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Der Kerneinwand ist ja immer, dass es die EU-Vorgaben gibt. Ich glaube, die Dänen zeigen es mit sieben Jahren für die 18 Kilometer lange Fehmarnbeltquerung. Wir sollten uns an Dänemark ein Beispiel nehmen. Auch das wurde schon gesagt.
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Kollege Herbst, das Stichwort „schnell“ war sehr treffend. Sie müssen einen Punkt setzen.
Ich komme zum Ende, meine Damen und Herren. Das ist der richtige Hinweis.
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– Um Beschleunigungsideen zu haben. – Ich glaube, wenn das Bundesverkehrsministerium sich von vornherein mit so viel Energie und Akribie um das Thema Planungsrecht gekümmert hätte wie um die gescheiterte Pkw-Maut, dann wären wir heute deutlich weiter.
Ein schönes Weihnachtsfest, meine Damen und Herren.
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Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Klar ist es sinnvoll, Infrastrukturprojekte für den Ausbau der Eisenbahn in unserem Land gut und schnell voranzubringen. Dafür ist auch Die Linke. Aber wir teilen nicht den Enthusiasmus der AfD und der FDP, dass noch mehr Autobahnen eine gute Infrastrukturentwicklung für unser Land sind. Wir sind der Meinung, wir müssen die Klimaziele einhalten, und dazu brauchen wir eine Verkehrswende.
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Ich möchte zu dem, was jetzt hier vorgestellt wurde, zwei Punkte sagen. Das Erste ist: Zwischen dem, was der Kollege Stein von der SPD gerade vorgetragen hat, nämlich dass es frühzeitig eine bessere Bürgerbeteiligung geben soll und die Einwände, Anregungen und möglichen Alternativen ernsthaft geprüft werden müssen, und dem, was der Bundesverkehrsminister hier sozusagen heraustönt, klaffen Welten. Das Schlimme ist, dass mit den vorgelegten Gesetzentwürfen auch beide Welten bedient werden.
Sie haben auf der einen Seite sinnvolle Maßnahmen vorgeschlagen. Klar, wenn eine Eisenbahnbrücke erneuert werden soll, muss man kein neues Planfeststellungsverfahren machen. Aber auf der anderen Seite ist vorgesehen, dass Bürgerbeteiligung praktisch komplett ausgehebelt wird,
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indem der Bund das Planungs- und Baurecht per Gesetz feststellt.
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– Das möchte ich mal sehen, wie der Bundesverkehrsminister mit seiner großartigen Transparenz ein transparentes Verfahren unter Beteiligung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger durchführt. Ich kann es mir nicht vorstellen.
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Es ist übrigens auch so, dass es sich die Bundesländer nicht vorstellen können. Aus der Stellungnahme, die von allen zuständigen Ausschüssen des Bundesrates gemeinsam verabschiedet worden ist, spricht ja Erfahrung. Sie haben gesagt, sie lehnen das von Ihnen vorgeschlagene Maßnahmenvorbereitungsgesetz für das Baurecht ab. Und sie haben es in verschiedenen Punkten sehr gut begründet. Ein Punkt ist zum Beispiel, dass es an den Ursachen vorbeigeht. Es gibt zu wenig Personal, kompetente Planerinnen und Planer, in den Behörden, und es ist ja überhaupt nicht so, wie hier getan wird – und der Verkehrsminister redet der AfD da ja nach dem Maul –, dass nämlich die Naturschutzverbände das Problem darstellen. Im Gegenteil! Viele Planungen sind einfach so schlecht, dass ihre Feststellung vor Gericht keinen Bestand hat. Das muss man verbessern.
Die Schweizerinnen und Schweizer machen es vor: mit allerbester Bürgerbeteiligung, mit ausreichender Finanzierung für besten Lärmschutz, mit eingehaltenen Finanzierungsplänen und mit eingehaltener Bauzeit. Warum nehmen wir uns nicht daran ein Beispiel? Mehr Demokratie für bessere Verkehrsinfrastruktur!
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Danke.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Abgeordnete Stephan Kühn das Wort.
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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es stimmt: Die Planung von Verkehrsprojekten dauert oft zu lang.
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Es ist richtig, die Genehmigungsverfahren für Ersatzneubauten deutlich zu verschlanken; da stimmen wir zu.
Es ist auch richtig, die Kommunen aus der Finanzierungsverantwortung beim Ausbau von Bahnstrecken wieder herauszunehmen. Durch die Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes – eine Forderung, die wir seit Jahren vorgetragen haben – wird das nun vollzogen. Es ist in der Tat so, dass viele kleine Kommunen, die gar keine Vorteile von großen Fernverkehrsstrecken haben, mit den Kosten für Unter- und Überführungen schlicht und ergreifend überfordert sind. Das sprengt deren Haushalte für Jahre. Allein bei der Ausbaustrecke Dresden–Berlin in Brandenburg hat das für eine Verzögerung von zwei Jahren gesorgt. Deshalb ist es richtig, an der Stelle etwas zu ändern.
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Kommen wir nun aber zu dem zweiten Gesetzentwurf. Oft werden in den Debatten um Planungsbeschleunigung wahlweise Bürgerinitiativen oder Umweltverbände als Verhinderer dargestellt.
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Das ist absolut falsch. Es gibt viele Projekte, die ich Ihnen nennen könnte, bei denen Bürgerinitiativen konstruktiv zur Verbesserung der Planung beigetragen haben, zum Beispiel beim Lärmschutz.
Nur ein Beispiel – es ist schon angesprochen worden –: das Bundesverkehrswegevorhaben in Sachsen, Neubaustrecke Dresden–Prag. Dort ist es einer Bürgerinitiative gelungen, einen sehr konstruktiven Trassenvorschlag in das Raumordnungsverfahren einzubringen. Also, Bürgerbeteiligung und das Engagement für Bürgerinitiativen sorgen für die Qualität von Planungen.
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Wer die Belange des Natur- und Umweltschutzes von Anfang an berücksichtigt, kommt bei den Planungen am Ende auch schneller zum Ziel. Die hohe Erfolgsquote von 50 Prozent bei den wenigen Verbandsklagen, die es überhaupt gibt,
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zeigt doch, dass die Planungen an vielen Stellen vorher schlecht waren und dass die Belange des Natur- und Umweltschutzes eben nicht ordentlich berücksichtigt wurden.
Man schafft keine Akzeptanz für Infrastrukturprojekte, indem man die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern sowie Umweltverbänden beschneidet.
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Aber genau das haben Sie mit diesen Maßnahmengesetzen vor: Baurecht per Gesetz statt Planfeststellung. Dies dient der Verkürzung von Rechtsschutzmöglichkeiten.
Der Deutsche Anwaltverein hält den Gesetzentwurf für verfassungsrechtlich bedenklich, und Ihr eigenes Expertengremium, Herr Minister Scheuer, das Innovationsforum Planungsbeschleunigung, hat sich im Endbericht sehr kritisch zu solchen Planungsgesetzen geäußert. Wir sollten an der Stelle auf die Experten hören.
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Die Beschleunigungswirkung, die Sie unterstellen, ist zumindest fraglich. Die im Gesetzentwurf aufgeführten Projekte sind sehr umfangreich. Es wird jeweils meterlange Aktenberge nach sich ziehen, die wir hier im Parlament bearbeiten sollen. Ich frage mich, wie bei solchen Aktenumfängen eine gewissenhafte und fachlich fundierte Prüfung im Bundestag überhaupt möglich sein soll.
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Am Ende ist dieser Gesetzentwurf nur ein Einfallstor für mehr Straßenbau. Der Staatssekretär Ferlemann hat es bereits im Ausschuss angekündigt: Wenn die Auftragsverwaltung für die Autobahnen von den Ländern zur Autobahn GmbH gewechselt ist – Ende 2020 –, dann ist klar, dass man mit Maßnahmengesetzen für neue Straßenbauprojekte um die Ecke kommt.
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Darum geht es doch eigentlich.
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Wenn Sie es ernst mit dem Thema Klimaschutz und mit dem Thema Planungsbeschleunigung meinen, dann legen Sie doch endlich mal ein Planungsbeschleunigungsgesetz für den öffentlichen Nahverkehr vor, zum Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur.
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Kollege Kühn, kommen Sie bitte zum Schluss.
Nichts machen Sie da. Da sind Sie überhaupt nicht glaubwürdig.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Schnieder für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Als letzter Redner in dieser Debatte will ich noch einmal die wesentlichen Argumente
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bewerten und abwägen.
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Wir haben, glaube ich, übereinstimmend festgestellt – sogar die Grünen, die hier mit ihren Vorschlägen eine ganz dünne Suppe serviert haben –,
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dass wir zu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren haben. Wir haben eine vollkommen veränderte Situation. Während wir vor wenigen Jahren noch um Finanzmittel kämpfen mussten, um Infrastrukturvorhaben umzusetzen, haben wir heute kein Finanzierungsproblem, sondern wir haben das Problem, die Dinge umzusetzen, weil Kapazitäten am Bau fehlen, weil Planungskapazitäten fehlen und weil die Genehmigungsverfahren zu lang und zu kompliziert sind.
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Diese Koalition hat gehandelt; wir fangen ja nicht heute mit Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung an.
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Es ist schon fast heuchlerisch, Herr Krischer, zwischendurch zu sagen, wir würden schon 14 Jahre regieren.
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Sie hätten in der Vergangenheit bei all den Vorhaben und den Vorschlägen, die wir gemacht haben, mitwirken können. Wir haben ein Planungsbeschleunigungsgesetz 2018 gemacht. Wo waren Sie? Sie haben es nicht mitgetragen.
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Sie sind gefordert. Zeigen Sie, dass Sie wirklich Planungs-Genehmigungsbeschleunigung wollen, und dann stimmen Sie einfach zu!
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Wir haben in der Vergangenheit für einen Personalaufwuchs bei den Genehmigungsbehörden, für die der Bund verantwortlich ist, gesorgt.
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– Kreischen Sie doch nicht so, Herr Krischer! Handeln Sie! Stimmen Sie ordentlich ab! Sie können hier mittun.
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Mit zwei wichtigen Maßnahmen über das Planungsbeschleunigungsgesetz 2018 hinaus machen wir heute weiter in diesem Bereich.
Wir haben über das Maßnahmengesetz gesprochen. Dänemark ist das Vorbild. Ich will einmal daran erinnern: Wir haben selbst schon Projekte umgesetzt, nämlich die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“. Natürlich macht Dänemark das vorbildlich. Wir haben gezeigt, dass es geht, und wir haben im Grundgesetz übrigens eine Ermächtigung dafür, dass wir so vorgehen können. Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen, dass hier geplärrt wird, das sei eine Verkürzung von Bürgerrechten. Es ist in unserem Grundgesetz vorgesehen. Also lassen Sie es uns umsetzen! Wir machen das gesetzeskonform und im Rahmen der vorgegebenen Rechtsprechung.
Die weiteren Maßnahmen, die wir im zweiten Gesetzespaket vorsehen, sind genauso wichtig. Es geht um Ersatzneubauten, es geht um Bauten, bei denen wir nur geringfügig an den vorhandenen Voraussetzungen etwas ändern. Da sind wir alle einer Meinung, dass wir handeln müssen. Also: Stimmen Sie in diesem Bereich zu!
Ich will aber noch einen Punkt herausgreifen, der im Gesetzentwurf noch nicht vorhanden ist, auf den wir aber großen Wert legen: eine Präklusionsklausel. Auch eine solche ist im Rahmen der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes zulässig.
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– Ja, natürlich. Wir sind die Partei, die sich an Recht und Gesetz hält.
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Vielleicht machen Sie uns das bei den Vorschlägen, die Sie machen, mal nach.
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– Herr Kollege Krischer, noch einmal: Kreischen Sie doch nicht so!
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Machen Sie mal in der Sache Vorschläge und nicht in Bereichen, die heute hier gar nicht zur Debatte stehen!
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Das, was Sie hier bringen, ist doch wirklich substanzlos. Das hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun.
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Ich sage Ihnen: Wir brauchen eine solche Präklusionsklausel. Ich wundere mich immer – ich sage das mal überspitzt –: Wir führen Rote Listen über bedrohte Pflanzen- und Tierarten, und immer, wenn wir eine Großbaustelle haben und sich das Verfahren dem Ende zuwendet,
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tauchen die plötzlich alle an dieser Baustelle auf.
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Da fragt der geneigte Planer sich natürlich: Wo kommen die plötzlich alle her?
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Also, insofern brauchen wir etwas mehr Realität und Pragmatismus bei der Umsetzung dieser Vorhaben, und deshalb werden wir dafür kämpfen, dass wir eine solche Einwendungsklausel noch in das Gesetz mit hineinbekommen.
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Ich will zusammenfassen – in einer Sprache, die auch Sie verstehen –: Wir haben bei Genehmigungs- und Planungsverfahren zu viel Speck angesetzt. Es geht nicht darum, dass wir uns zu Tode hungern; es geht darum, dass wir das auf ein normales, schlankes Maß zurückführen. Und das ist keine Beschneidung von Bürgerrechten!
Ich stelle hier fest: Die Progressiven sitzen hier vorne; wir sind die, die Fortschritt wollen. Sie sind die Beharrer; Sie sind die, die Fortschritt in Deutschland verhindern wollen.
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Wenn wir in Deutschland zukunftsfähig bleiben wollen, dann brauchen wir bessere, schlankere Genehmigungs- und Planungsverfahren, und die scheint es nur mit dieser Großen Koalition zu geben.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich starte heute einmal, mit der Erlaubnis der Präsidentin, mit einem Zitat:
Jeder, der versucht, eine Region von China zu trennen, wird untergehen – mit zertrümmertem Körper und zu Puder gemahlenen Knochen.
Noch demokratie- und menschenfeindlicher geht es kaum. Das ist die Antwort der chinesischen Staatsführung auf die Proteste in Hongkong. China ist im Jahr 2019 nur noch mit seiner neuen Seidenstraße auf dem Weg Richtung Westen – in seiner Weltanschauung und politisch ist China wieder auf den Spuren Maos unterwegs; nichts zeigt sich deutlicher im Umgang der Staatsführung mit den Protesten in Hongkong als das.
Dennoch ist China heute, im Gegensatz zu vor vierzig Jahren, zum globalen und wirtschaftlichen Powerhouse aufgestiegen: China ist Exportweltmeister. China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. China hat die größte verarbeitende Industrie der Welt. Und China ist mittlerweile einer der größten Geber von Entwicklungsgeld; allein für die Staaten Afrikas will China in den nächsten drei Jahren 60 Milliarden Euro bereitstellen.
Gleichzeitig ist China aber auch – man mag es kaum glauben – nach eigener Einschätzung Entwicklungsland. China stuft sich bei der Welthandelsorganisation WTO als Entwicklungsland ein und hat damit Anrecht auf weitgehende Zollfreiheiten und höhere CO2-Emissionen. Das ist blanker Hohn, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Und was macht unsere Bundesregierung? Sie schaut nicht nur beim Selbsteinstufungsprozess der WTO sprachlos zu. Nein, Deutschland unterstützt Aus- und Weiterbildung in China ausgerechnet in den Schlüsselbranchen der deutschen Industrie: in der Automobilindustrie, der Elektroindustrie, der Informations- und Telekommunikationstechnologie, der Chemieindustrie und der Medizintechnologie.
Nach Angaben der Bundesregierung – also Ihren eigenen Angaben – vom 19. August summieren sich die zinssubventionierten KfW-Kredite seit 2013 auf sagenhafte 630 Millionen Euro! Davon geht nur 1 Prozent an deutsche Unternehmen, die in China aktiv sind.
Wir liefern also Know-how made in Germany für Chinas globale Hightech-Führerschaft, während in Deutschland der nächste PISA-Schock ausbricht.
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Wir sägen sprichwörtlich an dem Ast, auf dem wir selber sitzen. Das ist politischer Irrsinn, das muss ein Ende haben!
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Ich kann mir schon denken, was gleich von Ihnen kommen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen: Sie werden sagen, dass das ja alles gar nicht so schlimm sei, die Zinsvergünstigungen nur geringfügig seien und dass wir mit China nicht weniger, sondern mehr kooperieren müssen, gerade im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes.
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Mit Blick auf den globalen Klima- und Umweltschutz gebe ich Ihnen sogar recht. Das hat aber nichts, rein gar nichts mit Krediten für Aus- und Weiterbildung zu tun.
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Erst in den letzten Wochen wurde bekannt, dass China Weltbankkredite dafür benutzt hat, um Überwachungstechnologien an Schulen einzusetzen. Ich weiß bis heute nicht, ob wir das für die Kredite aus Deutschland wirklich ausschließen können. Also hüten Sie sich davor, abzulenken! Es geht hier um etwas Grundsätzliches: Hier geht es um unseren eigenen Wertekompass.
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Anstatt unsere Unternehmen im globalen Wettbewerb zu unterstützen, geben Sie denen Geld, die sich nicht an die Regeln halten.
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Anstatt unsere Unternehmen zu unterstützen, stärken Sie unseren größten Konkurrenten auf dem Weltmarkt. Sie haben keine Strategie, wie Sie mit dem wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und geostrategischen Machtstreben Chinas umgehen wollen. Machen Sie jetzt den Anfang, stimmen Sie unserem Antrag zu, und beenden Sie endlich diese unsinnigen Zinssubventionen an China!
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Die Menschen im Land verstehen das nämlich nicht, und ich übrigens auch nicht. Das ist doch Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Entwicklungsarbeit komplett abschaffen wollen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Olaf in der Beek hat völlig recht mit den Fragen, die er stellt.
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Wahrscheinlich ist vieles von dem, was er in Sachen Menschenrechte in China anmerkt, noch viel schlimmer. Das kann die FDP nicht so genau wissen. Aber Volker Kauder würde dazu eine ganze Menge sagen können.
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Das ist sicherlich alles richtig.
Es ist auch richtig, dass wir immer wieder überlegen müssen: Welches Land ist denn tatsächlich ein Entwicklungsland? – Es gibt sicherlich gute Gründe, zu überlegen: Ist China nach der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung in der Vergangenheit noch ein Entwicklungsland, auch angesichts der Technik, die dort inzwischen produziert wird, angesichts der finanziellen Situation von China, auch angesichts der Aktivitäten zur neuen Seidenstraße?
Die gleiche Frage ist natürlich auch in anderem Zusammenhang berechtigt: Ist Brasilien noch ein Entwicklungsland? Die Firma Embraer ist die viertgrößte Flugzeugproduktionsfirma der Welt – in einem Entwicklungsland? Ist Malaysia noch ein Entwicklungsland? Wir haben hier schon oft darüber geredet, dass wir eigentlich mehr Investitionen in Afrika tätigen wollen. Aus Malaysia wird mehr in Afrika investiert als aus Deutschland. Das alles spricht für einen gewissen Erfolg der bisherigen Entwicklung, und Entwicklung in einem Land voranzubringen, entspricht durchaus unserem Interesse.
Die Frage, ob jetzt ein einzelnes Land als Entwicklungsland zu qualifizieren ist oder nicht, können wir – jenseits der menschenrechtlichen Fragen – sicherlich nicht allein feststellen. Es darf auch keine Lex China geben. Wenn, dann müsste innerhalb der OECD entschieden werden, dass die Regeln geändert werden. Gegenwärtig besagen die Regeln aber, dass ein Land immer noch als Entwicklungsland gilt, wenn es ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – und die Zahlen gelten bei der OECD für 2016 – zwischen 3 950 und 12 300 Dollar hat. Da liegen aber sowohl China als auch Brasilien und Malaysia, im Übrigen auch die Türkei, immer noch deutlich drunter. Wenn wir etwas ändern wollen, dann dürfen wir keine Lex China schaffen, sondern müssen insgesamt die Regeln ändern.
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– Die OECD müsste das ändern; da wären wir nur ein kleiner Beitrag. – Die Frage ist aber: Wie wichtig wäre das überhaupt? Denn wenn ein Land als Entwicklungsland qualifiziert wird, heißt das ja nicht, dass andere verpflichtet sind, dorthin irgendwelche Gelder zu zahlen. Die Folge ist aber sehr wohl, dass verschiedene Tatbestände, die durchaus in unserem Interesse sind, im Falle der Qualifikation als Entwicklungsland als ODA-Leistung gelten.
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Wir sind sehr daran interessiert, möglichst viele Studenten aus Australien, aus Amerika, aus vielen Ländern nach Deutschland zu bekommen, weil sie dann hoffentlich, wenn sie wieder zurückkommen, eine andere Verbindung zu Deutschland haben, und das gut ist, auch für unsere Firmen.
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Das ist ein Teil von Wirtschaftsförderung. Das wird im Falle von Australien natürlich nicht als ODA-Leistung registriert. Weil aber China als Entwicklungsland gilt, gelten schon mal 208 Millionen Euro als ODA-Leistung; das sind die Gelder für Studenten, weil bei uns keine Studiengebühren zu zahlen sind. Die Länder haben das zu tragen, aber das ist nicht irgendwo im Haushalt. Das ist ja keine Entwicklungshilfe im üblichen Sinne. Das heißt, am Ende würde sich, wenn die OECD den Chinesen den Status als Entwicklungsland entzieht, in der Sache an diesen Stellen überhaupt nichts ändern. Sehr wohl aber würde die Zahl, gerade bei den Studenten, gar nicht mehr erfasst und könnte dann auch keinen mehr aufregen.
Auf der anderen Seite: ODA – diese Official Development Assistance, oder auf Deutsch: staatliche Entwicklungshilfe – ist ja noch längst nicht gleichbedeutend mit Steuergeld oder mit Haushaltmitteln.
Kollege Klein, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?
Ja, gerne.
Herr Kollege Klein, die Opposition wundert sich darüber, dass wir über ein entwicklungspolitisches Thema sprechen und aus dem Entwicklungshilfeministerium niemand anwesend ist.
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Sehen Sie das genauso, dass das sehr verwunderlich ist, dass niemand von der Bundesregierung unseren Ausführungen zu so einem wichtigen Thema wie der Chinapolitik folgen möchte?
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– Oh, ja. Volkmar Klein (CDU/CSU):
Erstens ist der Parlamentarische Staatssekretär da.
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Zweitens können Sie davon ausgehen, dass die Zusammenarbeit zwischen der Arbeitsgruppe Entwicklungszusammenarbeit der Unionsfraktion und dem Minister und dem Staatssekretär so eng ist, dass kein einziges Wort der Einlassungen der anderen Fraktion am Ende verloren gehen wird.
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– Damit ist die Frage beantwortet.
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ODA ist nicht gleichbedeutend mit Steuermitteln oder Haushaltmitteln. Das wird insbesondere bei den Krediten der KfW deutlich. Die gelten nach den Regeln der OECD als ODA, also als Official Development Assistance, auch wenn am Ende die KfW daran verdient. Die Chinesen kriegen – genau wie viele andere Schwellenländer – durchaus gute, günstige Kredite. Da sich die KfW aber refinanziert zu den Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland, also oft zu Zinsen im eher negativen Bereich, verdient die KfW noch Geld damit. Das heißt also: Das ist hier überhaupt nicht zu skandalisieren.
Ich glaube, das macht Sinn, wenn auf diesem Wege auch noch Deckungsbeiträge für die KfW erwirtschaftet werden können. Hinzu kommt – das gilt ganz genauso für Indien und für viele andere Länder –, dass dort in der Tat kein Mangel an Liquidität herrscht. Das Interesse an Zusammenarbeit mit der KfW besteht daher vor allen Dingen darin, ein gemeinsames Kooperationsprojekt zu haben, auch inhaltlich zusammenzuarbeiten. Das wiederum ist gut für deutsche Firmen.
Bei der DEG gibt es überhaupt kein Steuergeld, das ausgegeben wird; da gibt es auch keine ODA-Anrechnung. Wir haben als letztes Projekt der technischen Zusammenarbeit einen Rechtsstaatsdialog; es ist, glaube ich, gut, wenn wir helfen, dass China ein Rechtssystem entwickelt, das eher an unser Rechtssystem angelehnt ist als an angelsächsische Kasuistik. Das wird am Ende den deutschen Firmen eher zugutekommen.
Insofern glaube ich: Es sind gut gemeinte Überlegungen, immer wieder zu überprüfen: Kann denn China noch dazugehören? Die Antwort heute aber ist: Es gibt keinen aktuellen Handlungsbedarf. – Deswegen ist es sicherlich richtig, diesen Antrag zurückzuweisen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Markus Frohnmaier für die AfD-Fraktion.
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Herr Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Herr Frohnmaier, ich habe die Uhr angehalten. Würden Sie sich korrigieren?
Ach so, entschuldigen Sie. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
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Manche laden sich Schmuddelfilmchen aus dem Netz; die Kollegen von der FDP AfD-Anträge. Hier sitzen magenta-gelbe Raubkopierer.
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Die FDP möchte heute die Entwicklungszusammenarbeit mit China auf den Prüfstand stellen. Das ist schon erstaunlich; denn erst letzte Woche hat die FDP im Ausschuss unseren AfD-Antrag abgelehnt, der genau das gefordert hat. Der Kollege Hoffmann von der FDP sagte noch bei der letzten Plenardebatte zu unserer Forderung, Chinas Status als Entwicklungsland abzuerkennen – ich zitiere –:
In 2017 sind an China etwa 600 Millionen Euro ODA-Mittel geflossen. Was waren das denn für Mittel? … Das waren eigentlich nur Kreditmittel in großem Umfang, und diese Kreditmittel werden ja wieder zurückgezahlt. … Also geht dem Steuerzahler eigentlich nichts verloren, und on top gibt es dafür auch noch Zinsen.
(Beifall bei der FDP …)
Zitat Ende.
Während Herr Hoffmann von der FDP uns also noch beim AfD-Antrag erzählt hat, dass zinsvergünstigte Kredite eine ganz tolle Form der Entwicklungszusammenarbeit sind, fordern Sie heute in Ihrem Antrag das genaue Gegenteil: Sie wollen die vorzeitige Einstellung der Kredite an China. Herzlichen Glückwunsch: Die FDP ist lernfähig, AfD wirkt!
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Generell lässt sich feststellen, dass der Zinssatz bei solchen verbilligten Krediten für Entwicklungsländer bei mageren 0,5 bis 2 Prozent liegt, also kaum die Inflation ausgleicht. Wenn also Minister Müller und die anderen Parteien sich hierhinstellen und behaupten, China würde keine Entwicklungshilfe erhalten, ist das schlicht und ergreifend falsch.
Mit 630 Millionen Euro vergünstigten deutschen Krediten hat China seit 2013 für Berufsausbildung in Maschinenbau, in der Chemie-, Elektro- und Automobilindustrie gesorgt. Während in Deutschland also bei Bosch, Daimler und VW Stellen gestrichen werden, Eisenmann Insolvenz anmeldet und Continental Werke schließt, bezahlt Deutschland für die Berufsausbildung chinesischer Jugendlicher.
Neben den Billigkrediten bezahlt der deutsche Steuerzahler auch noch absurde Projekte wie – ich zitiere aus den Projektlisten des Haushaltes – Gender-, Arbeitsrecht- und Medientraining für Migrantinnen in Südchina –
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Kostenpunkt: 367 000 Euro –, Förderung eines zivilgesellschaftlichen landesweiten Gendernetzwerkes in China für 400 000 Euro oder Fortbildungsprogramme für chinesische Manager. Während die Wirtschaftsweltmacht China den deutschen Roboterhersteller Kuka und den Maschinenbauer Putzmeister aufgekauft hat und erst vorgestern bekannt wurde, dass die Chinesen ihren Anteil bei Daimler auf 20 Prozent ausbauen, bildet Entwicklungsminister Müller mit deutschem Steuergeld chinesische Manager aus.
Was wir heute hier im Kontext zu China diskutieren, ist erst der Anfang. Weitere aufstrebende Wirtschaftsmächte, sogenannte „next Chinas“ wie Indonesien, Indien und Brasilien, stehen schon in den Startlöchern. Konsequent wäre es gewesen, wenn Sie unserem Antrag zu aufstrebenden Wirtschaftsmächten zugestimmt hätten; denn der beschränkt sich nicht nur auf China, sondern würde generell Schluss machen mit der Alimentierung potenter Wirtschaftsmächte. Das wäre richtig gewesen.
Herr in der Beek, das ist sicherlich ein guter Ansatz, den Sie heute verfolgt haben. Vielleicht könnten Sie die Zuständigkeit übernehmen, und könnte Kollege Hoffmann in Zukunft genderneutrale feministische Außenpolitik oder Ähnliches betreuen.
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Dann wäre das kohärent, und dann könnten wir auch zustimmen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Dagmar Ziegler für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich festhalten: Die FDP-Bundestagsfraktion spricht in ihrem Antrag wirklich sehr viele richtige, wichtige und auch durchaus kritische Punkte an
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– Komma –, aber sie vermischt auch einige Tatsachen.
Wir stimmen uneingeschränkt zu, dass China ein schwieriger Partner ist. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt entwickelt. Mit Wachstumsraten, die in die Höhe schießen, Technikgiganten und einer innovativen Industrie hat uns das Land – das muss man zugeben – in vielen Bereichen bereits überholt, in anderen konkurrieren wir mit ihm. Auch ist diese Entwicklung in vielen Feldern mit einem sozioökonomischen Aufschwung verbunden.
In der Entwicklungszusammenarbeit ist China vor allem in Afrika sehr aktiv und verbindet dieses Engagement unverdeckt mit seinen großen wirtschaftspolitischen und strategischen Interessen. Eigentlich kann man bei den Praktiken Chinas nicht mehr von „Entwicklungszusammenarbeit“ sprechen, da nicht die Entwicklung der Partnerländer, sondern die eigenen ökonomischen Vorteile im Vordergrund stehen. Aus diesem Grund hat unser Ausschuss im letzten Jahr eine Studie zu den strategischen Interessen hinter Chinas Entwicklungszusammenarbeit in Afrika beim Technikfolgenbüro des Bundestages in Auftrag gegeben. Wir warten auf das Ergebnis.
Nicht angesprochen im FDP-Antrag wird die schlechte Menschen- und Bürgerrechtslage in der Volksrepublik, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Gerade gestern haben wir im Ausschuss ja über die Arbeit unserer politischen Stiftungen gesprochen. In China ist die Arbeit für die meisten Stiftungen entweder gar nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, kritisieren muss ich an dem Antrag den verwirrenden Umgang mit dem Wort „Entwicklungszusammenarbeit“ im nationalen und internationalen Kontext. Da will ich auch einiges klarstellen:
Erstens. Zwischen Deutschland und China gibt es seit 2008 keine zwischenstaatliche Entwicklungszusammenarbeit mehr. Die noch laufenden und durch Haushaltsmittel finanzierten Kredite werden wirklich nur noch abgewickelt.
Zweitens. Nach unseren Auskünften sind Ihre Angaben hinsichtlich Zinssubventionen an China durch die KfW nicht richtig.
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Aber da können wir ja einen Check machen.
Ja, es gibt Darlehensverträge – dazu komme ich jetzt – zwischen der KfW und chinesischen Partnern, die aus Eigenmitteln der KfW gespeist werden. Diese sind aber nicht zinsverbilligt und mithin auch nicht durch deutsche Steuermittel subventioniert.
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Kredite der KfW haben für alle Vertragspartner günstige Bedingungen. Es wurde schon ausgeführt: Die Bank hat durch ihre guten Refinanzierungsbedingungen auf dem Finanzmarkt die Möglichkeit, diese Vergünstigung weiterzugeben; aber Geschenke gibt es eben keine. China wird behandelt wie andere Partner auch. Die Förderkredite sind vollständig rückzahlungspflichtig und zu marktnahen Konditionen verzinst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen unserer Serviceopposition, wir können durchaus darüber sprechen, ob wir Kredite durch unsere staatseigenen Banken an China generell stoppen wollen. Mit angeblichen Subventionen begründen können wir dies aber eben nicht.
Dann aber müssen wir auch akzeptieren, dass wir durch Darlehen eben auch keine weiteren Anreize – Sie haben es selbst gesagt, das wird unser Argument sein – in den Bereichen Umwelt und Klima zur Umsetzung des Abkommens von Paris und der Agenda 2030 mehr setzen können. Aber genau das wird Ihrem eigenen Anspruch in Punkt 7 Ihres Antrages vehement widersprechen. Gerade in diesem Bereich setzt die KfW Entwicklungsbank einen neuen Schwerpunkt. Wir wissen alle, dass diese Herausforderungen nur gemeinsam mit China bewältigt werden können. Bisher sind darin auch acht Projekte geplant. Die vom Antragsteller kritisierten Verträge im Bereich der beruflichen Bildung laufen aufgrund der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung Chinas aus.
Drittens. Im Antrag Ihrer Fraktion wird immer wieder die ODA-Anrechenbarkeit der Darlehensverträge kritisiert. Wir stufen dieses Land nicht so ein. Auch die ODA-Anrechenbarkeit hat nichts mit der durchaus fragilen und kritikwürdigen Selbsteinstufung Chinas als Entwicklungsland bei der WHO zu tun. Die Frage, ob Mittel auf die ODA-Quote anrechenbar sind, bestimmt sich nämlich danach, ob ein Land auf der DAC-Liste – DAC ist der Entwicklungsausschuss der OECD – geführt wird. Dafür, welche dort geführt werden, gibt es ganz objektive Kriterien, die alle drei Jahre überprüft werden: ein geringes Pro-Kopf-Einkommen, schlechte Gesundheits- und Nahrungsversorgung oder eine extrem ungleiche Verteilung der vorhandenen Güter.
Darunter fällt China nach wie vor. Die nächste Evaluierung findet in 2020 statt. Wir gehen im Moment davon aus, dass vielleicht Ende der 20er-Jahre diese Kriterien von China sozusagen nicht mehr erfüllt werden und China deshalb aus dieser ODA-Anrechenbarkeit rausfällt. Aber wir müssen wissen: Nur aufgrund der Einordnung Chinas auf dieser DAC-Liste ist es der KfW überhaupt möglich, diese Kredite zu vergeben.
Als Fazit bleibt zu sagen: Ja, wir sind auch auf diesem Weg. Wir müssen unsere Zusammenarbeit mit China überprüfen. Dabei sollten wir uns auf politischer Ebene auch die Frage stellen, ob wir Kredite durch die KfW weiterhin zulassen wollen. Die genannten Gründe aber für eine Beendigung der laufenden Kreditverträge entbehren aus unserer Sicht jeder Grundlage. Deshalb – nur deshalb – lehnen wir den Antrag ab.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Helin Evrim Sommer für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Da hat uns aber die FDP einen aufschlussreichen Antrag beschert. Sie wollen die Entwicklungszusammenarbeit mit der Volksrepublik China bei der beruflichen Bildung beenden. Sie kritisieren, dass mit zinsgünstigen Krediten der deutschen Entwicklungsbanken, KfW und DEG, chinesische Fachkräfte unterstützt werden. Liebe FDP, das ist schon erstaunlich: Ausgerechnet Sie als selbsternannte Partei der Marktwirtschaft fürchten sich vor der wirtschaftlichen Konkurrenz.
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Zudem versetzen Sie sich selbst einen Kinnhaken mit Ihrem Antrag.
Nur zur Erinnerung: Es war einmal ein Entwicklungsminister Dirk Niebel, übrigens von der FDP
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– hören Sie zu; vielleicht können Sie noch was dazulernen –,
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der die Entwicklungszusammenarbeit mit China zweckentfremdet hat. Sie sollte deutschen Unternehmen den Zugang zum chinesischen Markt erleichtern.
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Und nun schlottern Ihnen die Knie vor den Folgen Ihrer eigenen Politik, liebe FDP.
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Aber warum jetzt noch die Entwicklungszusammenarbeit mit China fortführen, obwohl seit 1978 über 850 Millionen Chinesinnen und Chinesen weniger in Armut leben? Es gibt ein enormes Wohlstandsgefälle innerhalb Chinas. Hightech und Elend liegen dicht beieinander.
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In Tibet und in Xinjiang gibt es staatliche Repressionen und, abgesehen von großen Verkehrsinfrastrukturprogrammen, kaum Entwicklungschancen. Die muslimischen Uiguren werden massiv unterdrückt. Daran gibt es nichts zu beschönigen. Wir wollen, dass sich das auf jeden Fall ändert.
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Die Entwicklungszusammenarbeit mit China bietet hierfür Chancen, wenn sie den politischen Dialog unterstützt und sich auf die richtigen Ziele konzentriert.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch bitte das Richtige tun und die strategische Zusammenarbeit mit China vertiefen. Das ist gerade beim Klimaschutz sinnvoll, weil deutsche Unternehmen das Know-how haben.
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Nur so kann globaler Klimaschutz funktionieren, aber doch nicht mit den Mustern von vorgestern als beleidigte Leberwurst, liebe FDP.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Uwe Kekeritz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gestern titelte die „FAZ“: „FDP will Entwicklungshilfe für China stoppen“. Ich habe das gelesen und habe gesagt: Na, das ist doch vom Jahr 2009; denn die FDP bzw. Niebel hat das ja schon 2009 gestoppt. Wieso bringt jetzt der Herr Olaf in der Beek die „FAZ“ dazu, genau das zu schreiben?
Wesentlich ist doch – und da hat der Herr Frohnmaier ja recht –,
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dass die FDP heute mit falschen Botschaften in dasselbe Horn bläst wie die AfD, die ja permanent jede Möglichkeit sucht, mit falschen Fakten Negatives über die Entwicklungszusammenarbeit zu kolportieren. Und das machen Sie auch. Sie senden hinaus in die Welt: Wir zahlen 628 Millionen für Entwicklungshilfe in China. – Das ist falsch, und das wissen Sie.
Warum haben Sie eigentlich nicht die Antwort auf Ihre Kleine Anfrage gelesen? Fünfmal gibt die Bundesregierung Ihnen die Erklärung, dass seit 2010 keine Entwicklungszusammenarbeit mehr stattfindet. Lesen und dann auch die Konsequenzen ziehen!
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Das haben Sie nicht gemacht; sonst wüssten Sie es ja, und Ihr Antrag wäre damit natürlich hinfällig gewesen.
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Im Antrag fordert die FDP auch, die Förderung der beruflichen Bildung für China zu stoppen. Sie behaupten, dass die Förderung der beruflichen Ausbildung in der Automobilindustrie und anderen Bereichen für die deutsche Industrie, ja gar für die deutsche Volkswirtschaft insgesamt schädlich ist. Mich würden mal Ihre Belege für diese Behauptung interessieren. Da haben Sie nämlich keine Quellen genannt.
Könnte es nicht auch so sein, dass VW, Porsche, Mercedes und andere Firmen in China einfach auch qualifiziertes Personal brauchen, damit sie produzieren können? Das wäre doch auch mal eine Frage, die man sich stellen müsste.
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Tatsache ist, dass unser Sozialprodukt bisher vom Engagement der deutschen Industrie in China profitiert hat. Ob das jetzt gut oder schlecht für die mittel- und langfristige Entwicklung Deutschlands oder für die globale Entwicklung ist, sollten wir tatsächlich mal ganz genau und ernsthaft diskutieren, vor allem vor dem Hintergrund der aggressiven Wirtschafts- und Militärpolitik und der katastrophalen menschenrechtlichen Situation in China. Hier spreche ich nicht nur die unsägliche menschenverachtende Vorgehensweise Chinas gegen die Volksgruppe der Uiguren an. Dazu verlieren Sie in Ihrem Antrag aber kein Wort.
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Ganz erstaunlich finde ich dann auch den FDP-Salto in der letzten Forderung Ihres Antrags. Da fordern Sie doch tatsächlich, zukünftig noch enger in den Bereichen Klima- und Umweltschutz mit China zusammenzuarbeiten. Richtig! Aber was will denn die FDP nun eigentlich? Wollen Sie die Verbindungen zu China kappen, oder wollen Sie im Bereich Klima- und Umweltschutz zusammenarbeiten? Erst kappen und dann zusammenarbeiten – das ist eine merkwürdige Verbindung.
Übrigens: 2018 wurde zwischen China und Deutschland vereinbart, dass die Zusammenarbeit sich schwerpunktmäßig auf Klima- und Umweltschutz konzentrieren wird. Ihr Antrag zeigt, dass eine kluge Chinapolitik mit der FDP nicht möglich ist.
Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja unbestritten – das ist in der Debatte auch schon mehrfach angesprochen worden –, dass China in den letzten Jahren eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung hingelegt hat: zweitgrößte Volkswirtschaft – das ist schon gesagt worden –, unglaubliches wirtschaftliches Wachstum, technologischer Fortschritt, ja, auch militärische Stärke nicht zu vergessen. Genau deshalb ist – das ist auch schon erwähnt worden – die Entwicklungszusammenarbeit 2009 beendet worden.
Es ist richtig: Ja, China ist einer der größten Geber im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Ja, selbstverständlich gibt es dort auch immer wieder Anlass zur Kritik, etwa daran, wie die Chinesen insbesondere in Afrika unterwegs sind. Aber der Antrag von der FDP suggeriert, China erhalte eine Förderung als Entwicklungsland ähnlich der Förderung von Staaten in Afrika bzw. ähnlich dem Marshallplan mit Afrika, und das ist einfach falsch.
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Richtig ist, dass wir eine Zusammenarbeit bei Zukunftsfragen mit der Volksrepublik China haben. Glaubt denn hier im Haus irgendjemand, dass wir die globalen Herausforderungen ohne die zweitgrößte Volkswirtschaft, ohne China, lösen könnten?
Ich frage mich wirklich, was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich wollen; denn im Antrag der FDP und auch im Antrag der AfD – das muss ich wirklich sagen – kommt für mich ein sehr merkwürdiges Weltbild zum Vorschein: Sie gehen offenbar davon aus, dass, wenn zwei Länder zusammenarbeiten, immer ein Land verlieren muss und ein Land gewinnt. Genau das ist ein falsches Bild.
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Aber aufgrund dieses Bildes kommt die Forderung von Ihnen, die Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung zu beenden. Da muss ich schon sagen: Wir haben das beste Berufsausbildungssystem, und wir haben die geringste Jugendarbeitslosigkeit. Dass dieses Erfolgsmodell von anderen Ländern kopiert wird, ist doch gut. Wir wollen der Jugend eine Chance geben. Deswegen unterstützen wir hier auch.
Im Übrigen: Liebe FDP, wenn wir nicht mehr mit Ländern kooperieren dürfen, deren Wirtschaft möglicherweise eine Konkurrenz für uns darstellt, wird es lustig. Dann dürfen wir nämlich in Zukunft mit keinem europäischen Land mehr kooperieren. Dann müssen wir die Zusammenarbeit mit Frankreich beenden und
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mit Griechenland, mit Italien und mit vielen anderen Ländern auch. Da frage ich mich schon: Möchte denn die FDP plötzlich keinen Wettbewerb mehr?
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Ein weiterer Punkt. Der ursprüngliche Titel Ihres Antrags ist nämlich der eigentliche Skandal. Der ursprüngliche Titel Ihres Antrags lautete nämlich: Versteckte Entwicklungszusammenarbeit mit China beenden.
Kollege Stefinger.
Nein, keine Zwischenfrage. – Das ist reiner Populismus. Ich muss Ihnen jetzt mal eines sagen: Es versteckt sich hier überhaupt nichts, ganz im Gegenteil. Wenn wir uns die berufliche Bildung anschauen, sehen wir: Da sind ganz viele Akteure am Tisch, angefangen bei den Gewerkschaften über die Goethe-Institute und die Arbeitsagentur etc. etc. Die Finanzdaten liegen offen. Die haben Sie in Ihrem Antrag sogar erwähnt. Was ist dort versteckt? In Ihrem ursprünglichen Titel stand das Wort „versteckt“. Er sprach von „versteckter Entwicklungszusammenarbeit“. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Mit dieser ursprünglichen Formulierung befeuern Sie die Verschwörungstheorien hier im Land.
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Sie verunsichern die Bürgerinnen und Bürger, und Sie tun so, als würde diese Bundesregierung unrechtmäßig handeln. Das ist absoluter Blödsinn.
Um mit einem abgewandelten Wort Ihres Parteivorsitzenden zu schließen: Es ist manchmal besser, keinen Antrag vorzulegen als einen schlechten.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir eine große Freude, dass wir heute das Humboldt-Jahr 2019 mit einer Debatte zum Thema Wissenschaftskommunikation abschließen und damit unseren weltweit geschätzten Universalwissenschaftler Alexander von Humboldt auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages würdigen können. Denn Alexander von Humboldt war bekanntermaßen nicht nur ein exzellenter Naturforscher, sondern er war auch ein begnadeter Wissenschaftskommunikator. Er begeisterte mit seinen Kosmos-Lesungen, Artikeln und Essays ein breites Publikum; denn es war ihm besonders wichtig, eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen, nicht nur seine Fachkollegen. Damit gilt er als Vorbild und auch als Vorreiter in der Wissenschaftskommunikation.
Heute leben wir in einer Zeit des rasanten Wandels. Digitalisierung, Globalisierung und technischer Fortschritt verändern unser Umfeld mit enormer Geschwindigkeit, und ohne ein besseres Verständnis der modernen Wissenschaft hat der Einzelne zunehmend Orientierungsprobleme in dieser Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Vor diesem Hintergrund brauchen wir eine umfassende, eine hochwertige Wissenschaftskommunikation, die die Ergebnisse der Wissenschaft, die möglichen praktischen Anwendungen, die wissenschaftlichen Fragestellungen und auch die wissenschaftlichen Methoden einer breiten Öffentlichkeit vermitteln kann.
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Nur so kann es im Übrigen gelingen, dass wir Akzeptanz schaffen für neue Technologien, zum Beispiel Biotechnologie, Quantenoptik usw.
Darüber hinaus müssen wir in Zeiten von steigendem Populismus, Fake News und lauter werdenden wissenschaftsskeptischen Stimmen das Vertrauen der Bürger in die Wissenschaft zurückgewinnen, und wir müssen die Wissenschaftsmündigkeit der Bürgerinnen und Bürger stärken; denn es gibt nicht wenige Stimmen, die wissenschaftsbasierte Informationen täglich infrage stellen. Ich nenne hier beispielhaft jene, die bis heute die Verantwortung der Menschen für die globale Erwärmung leugnen – auch heute wieder an diesem Rednerpult bei den nachmittäglichen Debatten –, Leute, die – so war es neulich in der „FAZ“ formuliert –
einerseits munter Handys nutzen, in Flugzeuge steigen und Navigationssysteme nutzen, die aber andererseits so tun, als wären die Wissenschaftler, ohne die es all diese Technologien letztlich gar nicht gäbe, ein korrupter Haufen gewissenloser Betrüger.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden diesen Leugnern, diesen Ignoranten und Blendern nicht das Feld überlassen. Wir dürfen es ihnen nicht überlassen.
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Schon heute bringen zahlreiche Initiativen der Länder, des Bundes, der Hochschulen, auch der Wissenschaftsakademien und ‑organisationen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einen Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern. Ich nenne die Wissenschaftsjahre, Citizen-Science-Projekte, die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ oder auch das hier in unmittelbarer Nähe gerade erst eröffnete Futurium. Aber das reicht noch nicht. Deshalb stellen die Koalitionsfraktionen im vorliegenden Antrag eine Liste von 13 konkreten Forderungen auf, die dem Ziel der Weiterentwicklung der Wissenschaftskommunikation dienen sollen.
Was brauchen wir?
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Wir brauchen effektive Instrumente gegen Fake News und Fehlinformationen. Die Stimme der Wissenschaft kann Sachlichkeit und Ausgewogenheit befördern, wenn sie denn verständlich ist und gehört werden kann. Daher wollen wir den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft weiter intensivieren, indem die Wissenschaftskommunikation, aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Wissenschaftsjournalismus gestärkt werden.
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Journalisten müssen mit den Informationen aus der Wissenschaft unter den heutigen Bedingungen im Medienbetrieb arbeiten können. Daher sind neue Vermittlungsformate zwischen Wissenschaft und Journalisten erforderlich. Wir setzen auch beim wissenschaftlichen Nachwuchs an und wollen schon im Studium stärker Kommunikationskompetenzen vermitteln, die später helfen, die Erkenntnisse auch verständlich darzustellen. Wir brauchen eine Bestandsaufnahme zur Situation der WiKo – das macht gerade der Wissenschaftsrat –, und es braucht ein enges Zusammenwirken von Forschungsorganisationen, Medieninstitutionen, journalistischen Instanzen und der Wissenschaft.
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Ich darf in diesem Zusammenhang Bundesministerin Anja Karliczek herzlich danken, dass sie die Stärkung der Wissenschaftskommunikation zu einem ihrer Schwerpunktthemen gemacht hat und mit ihrem im November veröffentlichten Grundsatzpapier den strategischen Dialog über die Weiterentwicklung angeregt hat.
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Danke, liebe Anja Karliczek auch, dass du heute hier bist und diesen Antrag unterstützt.
Last, but not least darf ich dem Kollegen Ernst Dieter Rossmann herzlich danken für die konstruktive und freundschaftliche Zusammenarbeit bei der Erstellung unseres schönen Antrages.
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Sie alle darf ich in vorweihnachtlicher Stimmung herzlich um Ihre Zustimmung bitten.
Danke sehr.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte im weiteren Verlauf der Debatte mögliche Danksagungen, Wünsche für die bevorstehenden Feiertage usw. in der geplanten Redezeit unterzubringen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marc Jongen für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Frau Ministerin Karliczek! Meine Damen und Herren! Die Regierungskoalition hat eine Initiative zur Austreibung der Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm gestartet. „Wissenschaftskommunikation“ heißt das Zauberwort, das dafür sorgen soll, dass Wissenschaftler nicht mehr nur lehren und forschen, sondern ihre Erkenntnisse auch publikumsgerecht vermitteln.
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So weit, so gut, möchte man sagen; denn die Gesellschaft, die die Wissenschaft finanziert, hat selbstverständlich auch ein Anrecht darauf, zu erfahren, welche Erkenntnisse und Theorien dort produziert werden, und zwar in einer Sprache und auf eine Weise, die auch interessierte Laien nachvollziehen können. Ich füge hinzu, dass dies in Deutschland unbedingt in deutscher Sprache geschehen sollte, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es ist traurig genug, dass ich dies hier sagen muss, meine Damen und Herren.
({1})
Mein Kollege Götz Frömming sollte heute den Antrag der AfD-Fraktion zur Erhaltung des Deutschen als Wissenschaftssprache hier vorstellen. Ich wünsche ihm von hier aus gute Besserung.
Der Antrag der GroKo enthält denn auch einige wirklich positive Beispiele: die Wissenschaftsjahre, die Initiative „Wissenschaft im Dialog“, die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“, das Futurium. Das alles sind schon länger bestehende Vorzeigeprojekte, und wir halten es für richtig, sie weiter abzusichern und, wo nötig, auszubauen.
Wenn Sie in Ihrem Antrag fordern – Zitat –, die „Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft und Forschung zu erhöhen und damit zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch in Wissenschaft und Forschung beizutragen“, dann ist das schon weniger zustimmungsfähig, da eine Vortäuschung falscher Tatsachen. Männer und Frauen sind in Deutschland gleichberechtigt. Ihnen geht es in Wahrheit um die Quote, und die ist ein ganz und gar wissenschaftsfremdes Element und daher abzulehnen, meine Damen und Herren.
({2})
Die wahre Problematik Ihrer Initiative zeigt sich aber nicht in dem Antrag selbst, sondern in dem Grundsatzpapier des BMBF zur Wissenschaftskommunikation vom November dieses Jahres und in einem Artikel von Ihnen, Frau Ministerin Karliczek, hierzu in der „Zeit“. Sie schreiben in Ihrem Gastbeitrag, Frau Karliczek, manche politischen Gruppierungen würden Fakten ignorieren oder schamlos umdeuten.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind gemeint!
Sie nennen die Klimadebatte als ein Beispiel, wo sich Wissenschaftler eindrucksvoll eingemischt und wegweisende Impulse geliefert hätten. Auch Ihr Antrag nennt jetzt wieder den Kampf gegen sogenannte Fake News als einen wichtigen Aspekt der Wissenschaftskommunikation; Herr Kaufmann hat es hier heute wieder unterstrichen.
Aber kaum eine Debatte ist doch derart von milliardenschweren Interessen überlagert und Verzerrungen durch politisch interessierte Gruppen ausgesetzt wie die um den menschengemachten Klimawandel. Der Begriff des „Klimaleugners“, der mehr an einen religiösen Häretiker als an einen wissenschaftlich Andersdenkenden erinnert, zeigt das doch in greller Schärfe.
({3})
Manche wollen den Klimaleugner, der lediglich eine abweichende Theorie zur Rolle des CO2 für den Klimawandel vorträgt, sogar auf eine Ebene mit dem des Holocaust-Leugners stellen. Wenn Sie ausgerechnet diese hochpolitisierte und verhetzte Debatte als positives Beispiel für Wissenschaftskommunikation anführen, dann lässt das nichts Gutes ahnen. Es zeigt, wenn nicht Ihre ideologischen Absichten, so doch das ideologische Missbrauchspotenzial dieses Instruments.
Und, Frau Karliczek, Sie drohen die Wissenschaft auch mit ihr fremden Aufgaben zu überfrachten. Die Wissenschaftskommunikation grundständig in den Studiengängen zu verankern, wie Ihr Grundsatzpapier es fordert, verdonnert Wissenschaftler zur permanenten PR in eigener Sache, um überhaupt noch an Forschungsgelder zu gelangen. Wissenschaft hat selbstverständlich einen gesellschaftlichen Nutzen, aber wenn ihre Existenzberechtigung davon abhängt, dass sie diesen Nutzen dem Laien oder gar der politisierten Zivilgesellschaft tagtäglich neu erklären muss, dann machen Sie aus Wissenschaftlern PR-Agenten oder Politaktivisten.
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Beides kann sich nur negativ auf Qualität von Lehre und Forschung auswirken.
Daher: Schalten Sie einen Gang zurück. Fördern Sie herausragende Projekte der Wissenschaftsvermittlung, aber respektieren Sie das Wesen der Wissenschaft, und halten Sie sie frei von permanenter Selbstrechtfertigung und Politisierung.
Vielen Dank.
({5})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Bärbel Bas das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, wir leben in einer Wissensgesellschaft. Wissen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Das gilt für jeden Einzelnen, das gilt aber auch für uns in der Gesellschaft und auch für die Politik. Auch wir brauchen die Erkenntnisse der Wissenschaft, um eine nachhaltige Politik zu gestalten. Gleichzeitig – das zeigen die Debatten über Fake News deutlich – werden selbst gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse immer stärker infrage gestellt. Wir erleben das leider immer wieder in unseren Debatten im Plenum, ganz besonders auch in der Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern. Diese Erfahrungen machen deutlich, dass es notwendig ist, die Wissenschaftskommunikation zu stärken.
({0})
Wir haben erst vor Kurzem hier im Plenum darüber diskutiert, wie wir die Masern bekämpfen können. Dies ist ein Beispiel. Natürlich kann man politisch entscheiden, ob es eine Impfpflicht geben soll oder nicht. Aber wenn man am Ende in den Diskussionen fragwürdige Einzelstudien erhält oder wenn aus dem Zusammenhang gerissene Zahlen auf einmal die Wirksamkeit einer Impfung an sich infrage stellen, dann haben wir keine sinnvollen Debatten mehr. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Wissenschaft stärken, dass wissenschaftliche Erkenntnisse deutlich werden, weil es uns sonst auch bei politischen Debatten in die Irre führt.
({1})
Leider erleben wir immer öfter, dass wissenschaftliche Erkenntnisse infrage gestellt werden. Dadurch geht die Basis verloren, wie ich finde. Wir sollten auf gesicherter Basis diskutieren.
Meine Damen und Herren, auf der anderen Seite nehmen schiere Mengen an wissenschaftlicher Komplexität zu, gleichzeitig verändert sich Kommunikation dramatisch. Die Wissenschaft selbst hat diese Herausforderung bereits erkannt und auch angenommen. Hochschulen, wissenschaftliche Akademien, wissenschaftliche Organisationen und ihre Institute sind seit Längerem dabei, ihre Aktivitäten im Bereich der Wissenschaftskommunikation zu stärken und entsprechende Strukturen aufzubauen.
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Wissenschaftskommunikation verbessern wollen. Deshalb haben wir diesen Antrag, den Herr Kaufmann gerade vorgestellt hat, vorgelegt. Wir freuen uns, dass die Ministerin, Frau Karliczek, dieses Thema mit ihrem Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation ebenfalls aufgegriffen hat. Unsere Vorschläge zielen in die gleiche Richtung. Es geht darum, dass der Dialog mit Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft intensiviert wird. Dazu wollen wir mit unserem Antrag beitragen. Wir wollen, dass die Wissenschaft dort unterstützt wird, wo sie bereits aktiv ist. Wir wollen, dass Wissenschaftskommunikation zum Bestandteil von Ausschreibungen von öffentlichen Forschungsvorhaben wird, und wir wollen prüfen, wie wir Wissenschaftskommunikation bereits in der Ausbildung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verankern können.
({2})
Abschließend will ich sagen: Die Aufgabe der Wissenschaft ist es natürlich, selbst wissenschaftliche Erkenntnisse zu deuten. Es ist die Wissenschaft selbst, die das Wissen auf der Basis bereitstellen muss, dass wir in der Politik Handlungen verwirklichen. Ich möchte aber auch feststellen: Ohne Akzeptanz von wissenschaftlichen Erkenntnissen sind konstruktive Debatten nicht möglich. Ohne Kommunikation ist diese Akzeptanz auch nicht mehr zu erreichen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich hoffe, wir haben sehr gute Diskussionen zu unserem Antrag, den wir heute vorgelegt haben.
({3})
Danke. – Das Wort hat der Kollege Dr. h. c. Thomas Sattelberger für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Frau Ministerin, Sie haben seit Ihrem Amtsantritt stets die Wichtigkeit der Wissenschaftskommunikation betont. 18 Monate kreißte der Berg und gebar jetzt eine dreiseitige Maus.
({0})
Ein erstaunlich dürftiges BMBF-Papier für ein solches Herzensanliegen. So dürftig, dass der heutige Antrag der Koalition noch dürftiger nachlegen musste: aus der Komfortzone für die Komfortzone der Etablierten.
Wissenschaftskommunikation, meine Damen und Herren, wird von der Großen Koalition als reine Elitendebatte gedacht.
({1})
Viele Ihrer geforderten Initiativen finden in Berliner Salons statt, auf elegant bezogenen Fauteuils,
({2})
die immer gleichen Verdächtigen im sogenannten Diskurs.
({3})
Weder Karliczek-Papier noch Ihr Antrag enthalten auch nur ein Wort, wie man Elitensilos aufbricht,
({4})
wie man Bakteriologinnen zum Bloggen bewegt, wie man die sogenannte Provinz erreicht, wie man mehr MINT-YouTuberinnen gewinnt, wie die Chemikerin Dr. Mai Thi Nguyen mit 561 000 Followern. Sie müssen das Netzwerk der Zehntausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aktivieren. So erreicht man Reichweite. Bei Ihnen tröpfelt die Reichweite.
({5})
Stattdessen wird man heute in der Wissenschaftsszene – ich habe das selber erlebt – mit Podcasts und Kinderuni mitleidig belächelt und ins Karriereabseits befördert. Ihre Rezepte dagegen: jahrelange Strategieplanung, Forschungs- und Prüfungsaufträge statt Handeln.
Kennen Sie Flacherdler? Das sind Menschen, die glauben, die Erde sei eine Scheibe.
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Eine gewagte These. Selbst die katholische Kirche hat sich 1992 dazu durchgerungen, Galileo Galilei zu rehabilitieren. Es gibt Zehntausende Flacherdler und Tausende in Deutschland. Was hilft denn gegen Flacherdler? Wir brauchen die direkte Auseinandersetzung mit Wissenschaftsleugnern, Verschwörungstheoretikern und Sympathisanten. Für die Granden der Wissenschaft gilt: Leadership, selber in die Bütt gehen, nicht an Kommunikationsabteilungen delegieren. Hat ein Max-Planck-Präsident jemals getwittert, sich mit der AfD über Genderforschung auseinandergesetzt? Diejenigen, die den Beitrag des Menschen zum Klimawandel leugnen, die Genderforschung für eine Chimäre halten, sitzen übrigens auch mitten unter uns, Herr Kollege Jongen. Hier hilft nur die direkte Auseinandersetzung. Steter Tropfen höhlt den Stein, auch wenn es Steine gibt, die an sich schon recht hohl sind.
({7})
Also: Protagonisten in die Bütt, Netzwerke online und offline aktivieren und animieren –
Kollege Sattelberger.
– und mehr Ringen um die Wahrhaftigkeit jenseits des Salons. Ran an den Speck, Frau Ministerin Karliczek.
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Das Wort hat Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Martin Stratmann, der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft stellte unlängst fest – ich zitiere –:
Niemand will eine Expertokratie, in der wenige Wissende über die Zukunft eines Staates bestimmen.
Wohl wahr. Das heißt, was die Wissenschaft hervorbringt, muss bei allen ankommen können.
Bereits 2014 und aktualisiert 2017 haben Leopoldina, acatech und andere Wissenschaftsakademien ein umfassendes Papier zur Wissenschaftskommunikation vorgelegt. Nicht weniger als fünf Jahre dauerte es, bis das Forschungsministerium – es wurde schon gesagt – ein dreiseitiges Grundsatzpapier dazu vorlegte. Wow! Und nun, quasi in zweiter Ernte, legen die Koalitionsfraktionen einen sechsseitigen Antrag vor. Aber er enthält, wie auch das ministerielle Papier, über weite Teile Projekte, die längst laufen, und was Wissenschaft bereits selbst leistet. Als wäre das nicht schon einigermaßen verblüffend, wollen Sie keinerlei zusätzliche Ressourcen geben. Vielmehr verweisen Sie unter anderem auf den „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“. Das ist, ehrlich gesagt, schon ein bisschen dreist. Den haben Sie nämlich gerade um 50 Millionen Euro gekürzt. Das passt überhaupt nicht in diese Zeit.
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Die große Gruppe der Scientists for future oder die March-for-Science-Bewegung zeigen, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihrer Verantwortung bewusst sind. Zugleich wirken Tausende Bürgerinnen und Bürger nicht nur an Diskussionen, sondern an Forschungsprojekten mit. So hat Citizen Science die Neuentdeckung von Planeten ermöglicht, Proteinketten sind entschlüsselt worden, neu entdeckt worden oder die Zählung von Tieren wird ermöglicht. Und doch beobachten wir, dass es wissenschaftliche Fakten bisweilen schwer haben. In virtuellen und realen Filterblasen werden, wie schon gesagt, völlig abstruse Verschwörungstheorien verfolgt. Es ist schier zum Verzweifeln ob solcher Ignoranz.
Umso mehr kommt es darauf an, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihren Bemühungen, sich der Gesellschaft zu erklären und Impulse aus den Diskussionen aufzunehmen, zu stärken. Gleichermaßen – Herr Sattelberger hat das schon angesprochen – müssen die professionellen Erklärer komplizierter wissenschaftlicher Themen, die Wissenschaftsjournalistinnen, in den Fokus rücken. Wer sonst soll bitte schön verständlich über Spallationsneutronenquellen schreiben, oder wer soll verständlich Quantenphysik erkären? Da sind nicht selten auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überfordert. Sie alle haben, sofern Sie studiert haben, bestimmt den einen oder anderen Wissenschaftler erlebt, der grandiose Entdeckungen gemacht hat, aber megalangweilige Vorlesungen gehalten hat.
Ministerin Karliczek möchte eine wissenschaftsmündige Gesellschaft. Zwingend dafür ist eine ausfinanzierte Wissenschaft mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, gerade im Nachwuchsbereich, denen dafür ausreichend Zeit, Raum und Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Danke.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Anna Christmann das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es schon gehört: Die Ministerin hat Wissenschaftskommunikation zu einem ihrer Schwerpunkte in dieser Legislaturperiode erklärt. Das BMBF hat ein entsprechendes Papier herausgegeben. Es ist tatsächlich ein wichtiges Thema, und es ist gut, dass wir anlässlich des vorliegenden Antrags der Koalitionsfraktionen darüber debattieren.
Zwei Punkte wundern mich an dem selbstgewählten Schwerpunkt der Ministerin. Zum einen wundert mich die Begründung. Sie haben gesagt, Sie erwarten, dass Wissenschaft sich besser erklärt. Sie sehen also – so verstehe ich das – die Wissenschaft unter Rechtfertigungsdruck. Natürlich ist die Wissenschaft zunehmend unter Druck durch die zunehmende Skepsis gegenüber wissenschaftlicher Expertise, aber es ist doch nicht allein Aufgabe der Wissenschaft, sich dem entgegenzustellen. Vielmehr braucht es dafür eine gemeinsame Anstrengung unserer gesamten Gesellschaft, und da gehört die Politik dazu.
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Ihre Regierung hat zu der Skepsis zum Teil übrigens sogar selbst beigetragen. Ich erinnere an die Feinstaubdebatte. Ich hätte mir da von Ihnen mehr Einsatz für wissenschaftliche Fakten gewünscht,
({1})
als Sie in der Regierung eine ganze Weile einem sehr zweifelhaften Gutachten hinterhergelaufen sind. Sie verkennen Ihre Verantwortung als Bundesregierung ein Stück weit, wenn Sie jetzt ausschließlich die Wissenschaft dafür in Haft nehmen wollen.
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Mich wundert noch eine zweite Sache, die auch schon erwähnt worden ist. Da Sie dieses Thema zu einem Schwerpunkt in dieser Legislaturperiode erklärt haben, stellt sich die Frage, ob der vorliegende dreiseitige Antrag wirklich der große Wurf ist und dem Schwerpunkt gerecht wird. Unter anderem schlagen Sie vor, eine Denkwerkstatt #FactoryWisskomm weiterzuentwickeln. Das klingt irgendwie fancy und soll auch in den Chefetagen verankert werden. Aber am Ende ist das nur eine Fortsetzung der Debatte, konkrete Vorschläge sind das nicht. Wenn das alles ist, womit Sie Ihren Schwerpunkt untermauern, frage ich mich, mit welchem Engagement andere Projekte angegangen werden, die nicht zum Schwerpunkt erklärt worden sind.
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Über die Bedeutung des Themas besteht große Einigkeit. Wir Grüne sind sehr dafür, Wissenschaft stärker in die Gesellschaft zu tragen und Wissenschaftskommunikation zu unterstützen.
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Wir haben viele Vorschläge dazu gemacht. Es ist nicht lange her, dass wir über Partizipation in der Wissenschaft einen sehr ausführlichen Antrag vorgelegt haben. Formen wie Citizen Science und Reallabore, wo die Zivilgesellschaft und Forschungsinstitutionen zusammenkommen, unterstützen wir seit Langem.
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Wir würden uns hier eine stärkere Zusammenarbeit wünschen. Auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft am Hightech-Forum haben wir uns seit Langem gewünscht. All das könnte man schon jetzt sehr konkret angehen, darüber müsste man nicht noch jahrelang diskutieren.
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Wir begrüßen es, dass wir die Debatte führen. Wir sind gerne bereit und freuen uns darauf, über einzelne Vorschläge zu diskutieren. So viel Neues haben wir im Antrag nicht gefunden, wir freuen uns aber, wenn sich die Vorhaben in aktiven Taten niederschlagen, vielleicht sogar in einem Haushaltsaufwuchs; denn auch hier fristet die Wissenschaftskommunikation bisher ein eher trauriges Dasein. Insofern freuen wir uns über die weitere Debatte zum Thema Wissenschaftskommunikation.
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Das Wort hat die Bundesministerin Anja Karliczek.
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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 99 Prozent der Wissenschaftler sind der Meinung, dass ein Teil unseres Klimawandels menschengemacht ist. Und trotzdem gibt es immer wieder Diskussionen darüber. Was schließen wir daraus? Dass wir klarer kommunizieren müssen. Jetzt kann man natürlich die Frage stellen: Ist das so wichtig? Wir wissen ja, dass es so ist, also lasst uns handeln. Aber das ist gerade der entscheidende Punkt; denn unsere Demokratie lebt davon, dass wir die Menschen an unserem Wissen teilhaben lassen.
Politische Diskussionen und Entscheidungen basieren häufig auf Erkenntnissen aus der Wissenschaft, gerade in so komplexen Fragen wie dem Klimawandel, technischen Innovationen oder auch dem medizinischen Fortschritt. Außerdem – das ist hier auch schon gesagt worden – wird ein großer Teil unseres Wissenschaftssystems öffentlich finanziert.
Darum ist es mehr denn je nötig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler uns einen guten Einblick in ihre Arbeit gewähren, dass sie über Methoden und Erkenntnisse ihrer Forschungsarbeiten sprechen und Zusammenhänge einordnen, dass sie Impulse aus der Gesellschaft aufnehmen und Wissenschaft nicht als Einbahnstraße sehen, kurzum, dass der Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft noch intensiver wird.
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Denn: Aus Freiheit entsteht Verantwortung! Die Wissenschaftsfreiheit ist nicht nur ein Brunnen der Kreativität. Die Wissenschaftsfreiheit gibt auch jedem Einzelnen die Verantwortung mit auf den Weg, sein Wissen mit anderen zu teilen und daraus etwas zu machen. Gerade in Zeiten, in denen wissenschaftliche Fakten mitunter ignoriert oder einfach umgedeutet werden, danke ich den Koalitionsfraktionen, dass sie sich mit einem Antrag zur Wissenschaftskommunikation meinen Bemühungen anschließen.
Gerade unter den jungen Nachwuchswissenschaftlern erlebe ich immer wieder eine große Freude, unter Nutzung moderner Medien die Faszination für die Suche nach Neuem zu wecken. Wir sind heute schon sehr aktiv. Wir haben die Wissenschaftsjahre – im nächsten Jahr übrigens zum Thema Bioökonomie. Wir haben das „Haus der kleinen Forscher“ – liebe Frau Christmann, auch Citizen Science machen wir schon lange –, und wir haben gerade erst hier in Berlin das Futurium eröffnet, wo man einen Blick in die Zukunft werfen kann.
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Jetzt soll die Wissenschaftskommunikation noch mehr Gewicht bekommen: Wissenschaftskommunikation wird fester Bestandteil der Förderprogramme meines Hauses;
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denn Wissenschaftskommunikation soll Teil des wissenschaftlichen Selbstverständnisses werden.
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Wenn Forscher gut kommunizieren, dann muss genau das auch anerkannt werden.
({4})
Und Kommunikation muss Chefsache sein.
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In einer modernen Denkfabrik – Sie haben sie angesprochen – werden wir gemeinsam ausloten, wie ein solcher Weg aussehen kann; denn es ist die Aufgabe der Wissenschaft, sich verständlich zu äußern. Dabei ist Wissenschaftskommunikation das eine. Zur Einordnung braucht es aber auch den Wissenschaftsjournalismus; denn Deutschlands Bürger sollen faktenbasiert urteilen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die frohe Botschaft so kurz vor Weihnachten ist, dass viele, gerade auch junge Menschen ein hohes Interesse an der Wissenschaft haben. Beim jüngsten Wissenschaftsbarometer haben 59 Prozent der Menschen angegeben, ein großes Interesse an Themen aus Wissenschaft und Forschung zu haben. Das ist für die Innovationskraft Deutschlands eine richtig gute Botschaft. Denn wir brauchen Lust auf Zukunft, Spaß an Innovationen und das Verständnis, dass all das wesentliche Bausteine für den Erhalt der liberalen Demokratie sind.
Danke schön.
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Das Wort hat Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich will die frohe Botschaft fortsetzen: Der Ausschuss war gestern mit einigen Mitgliedern und vielen Mitarbeitern im Futurium. Die Leitung konnte uns sagen, dass sie mit 100 000 Besuchern gerechnet haben, und es sind 300 000 geworden.
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Das ist ein Zeichen dafür, dass viele Menschen jeder Generation Orientierung suchen, sich fragen, wie sie ihr Leben in Zukunft organisieren, auf Basis welcher Werte sie es gestalten werden, welche Interessen sie dabei verfolgen wollen. Die Menschen wollen auch verstehen, und zwar auf der Basis von Wahrheit und fundierter Prognose, wie sich die Zukunft entwickeln kann. Und das bildet das Futurium ab. Das ist der Aufgabenteil von Wissenschaftskommunikation. – Insofern, Kollege Kaufmann: Ich stehe nicht hintan, wenn es darum geht, die freundschaftliche Zusammenarbeit hier zu rühmen. Es ist gut, wenn sich das Parlament vergewissern kann, wenn es die Umsetzung eines von der Regierung vorbereiteten Projekts begleiten kann.
Herr Sattelberger, sosehr ich Sie auch schätze, muss ich doch sagen: Ich schätze noch mehr diejenigen, die nicht nur hier große Reden führen. Im Zuge der Haushaltsberatungen hat die FDP Anträge gestellt, mit denen sie die Mittel für Wissenschaftskommunikation, Partizipation, Citizen Science markant kürzen wollte.
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Wir wünschen uns, dass Sie sich genauso akribisch mit diesem Bereich beschäftigen und nicht nur hier der Meister der markanten Worte sind. – Ich drücke es freundlich aus.
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Ich möchte hier zugespitzt drei Punkte ansprechen:
Erste Zuspitzung. Wir unterstützen die Ministerin ausdrücklich in ihrem Bemühen, den Kulturwandel im Bereich Wissenschaft, was die Selbstbeauftragung von Wissenschaftskommunikation angeht, konsequent und im Detail fortzusetzen; denn es ist nicht so, dass dieser Kulturwandel schon von allen wahrgenommen würde. Es gibt auch Stimmen in der Wissenschaft, die sagen: Wozu sind wir da? Wir sind doch dafür da, gute Wissenschaft, gute Forschung zu machen. Stehlt uns nicht die Zeit. Sorgt dafür, dass wir nicht überlastet werden. – Daher unsere ausdrückliche Unterstützung, den Kulturwandel voranzutreiben, mit uns, mit dem Parlament zusammen.
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Zweitens. Wir erbitten vom Wissenschaftsrat – Kollege Kaufmann, das ist dort noch nicht beschlossen – eine Status-quo-Analyse zur Situation im Bereich der Wissenschaftskommunikation in Deutschland und Empfehlungen.
Drittens. Wir fordern ein, dass im Zuge des positiven Prozesses von #FactoryWisskomm zwei Projekte in der Zuspitzung stärker mitdiskutiert werden. Zum einen kann der Wissenschaftsjournalismus mit neuen Impulsen aufwarten. Da bin ich wieder bei Ihnen, Herr Sattelberger. Es gibt neue mediale Zugänge und ganz andere Abläufe. Dieser Prozess kann nicht nur durch eine Agentur für Sprunginnovationen, sondern auch durch eine Agentur für Wissenschaftskommunikation innovativ gestärkt werden.
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Zum anderen erwarten wir von dem Netz von Akademien, dass sie sich einbringen. Das sind hochanerkannte, mit Autorität versehene Institutionen, die Wissenschaft, Bevölkerung und Journalismus zusammenbinden können.
Mein Schlussgedanke soll sein: Laut Artikel 5 unseres Grundgesetzes sind die Freiheit der Wissenschaft und die Freiheit der Medien gleichwertig, gleichgestellt. Das schließt ein, dass wir der Wissenschaft und den Medien diese Freiheit verschaffen, aber auch, dass Wissenschaft und Medien die Verantwortung haben, aus der Freiheit der Wissenschaft und der Freiheit der Medien etwas für die Gesellschaft zu tun, gemeinsam Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Das wollen wir gerne erreichen.
Vielen Dank und schöne Weihnachten!
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Das Wort hat der Kollege Andreas Steier für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich darauf hinweisen, dass die Investitionen in Forschung und Entwicklung in Deutschland ein Rekordniveau erreicht haben. Ein guter Teil dieser Mittel kommt natürlich auch der Wissenschaftskommunikation zugute. Wir sorgen damit für den Transfer von Wissen in die Gesellschaft. Und wir können so sicherstellen, dass die Investitionen, die wir tätigen, auch gut sind für unser Land.
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Das, Herr Sattelberger, ist auch gut und richtig so. Wir von der CDU setzen uns dafür ein. Wir wollen weiterhin für Investitionen in Deutschland sorgen und die Investitionen in Deutschland weiter stärken.
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Wichtig ist, dass die Menschen wissen, wofür wir das Geld ausgeben. Wofür ist Wissenschaft, wofür ist Forschung nützlich? Welche Dinge werden erforscht? Welche Lösungen bieten Forschung und Wissenschaft? Es ist gut für die Menschen, wenn sie wissen, woran wir forschen, was daraus entwickelt werden kann, welche Krankheiten dadurch geheilt werden können, was wir für den Kampf gegen den Klimawandel entwickeln können und wie wir dadurch für eine bessere wirtschaftliche Wertschöpfung sorgen können.
Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir im Pakt für Forschung und Innovation dafür sorgen, dass die Forschungseinrichtungen, die Hochschulen, die Universitäten, ihre Ergebnisse besser kommunizieren. Eben wurde angeführt, dass es in der Debatte über den Klimawandel die einen gibt, die den Klimawandel leugnen, und die anderen, die immer Panikstimmung verbreiten und das Szenario vom Weltuntergang aufziehen. Angesichts dessen ist es wichtig, dass Wissenschaft den Menschen mit klaren Worten die Fakten benennt, auf deren Basis Lösungen entwickelt werden können.
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Genau da setzt dieser Antrag an. Wir wollen die Kommunikation weiter vorantreiben, in den Dialog mit der Gesellschaft eintreten und die Dinge hier entsprechend umsetzen.
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Ich danke dem Koalitionspartner dafür, dass wir diesen Antrag vorangetrieben haben. Ich danke auch der Ministerin dafür, dass sie den Dialog mit der Gesellschaft suchen will.
Zu guter Letzt, da ich nur drei Minuten Redezeit habe, möchte ich kurz auf ein Beispiel hinweisen, bei dem wir schon seit Langem in der Breite aktiv sind, auf das „Haus der kleinen Forscher“. Hier geben wir jungen Menschen etwas mit. Sie entwickeln selber etwas Technisches. Wir geben den jungen Menschen Vertrauen in neue Entwicklungen. Wir bringen den jungen Menschen bei, wie man Dinge überwinden kann, wie man mit Fehlern umgehen kann, wie man Vertrauen schaffen kann, wie man Begeisterung für technologische Entwicklungen wecken kann. Hier wird bei den Kindern Vertrauen geschaffen. Bei ihnen entsteht eine Bereitschaft, eine Aufnahmefähigkeit gegenüber neuen Dingen. Das „Haus der kleinen Forscher“ ist ein gutes Beispiel. Darauf sollten wir aufbauen und weiter auf die Kommunikation mit weiten Teilen der Gesellschaft setzen. Ich denke, das ist ein sehr guter Ansatz. Diesen Dialog sollten wir pflegen und in den Austausch kommen.
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Ich freue mich schon auf die Weihnachtsferien, die bald anstehen. Morgen haben wir noch einen schönen Tag. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Ich freue mich auf die Debatte, die jetzt im Ausschuss ansteht. Alles Gute und bis morgen früh.
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Ich schließe die Aussprache.