Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/18/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne über den Europäischen Rat berichten, der vergangene Woche am Donnerstag und Freitag stattgefunden hat. Es war der erste Rat, der mit den neuen Personen, sowohl dem Ratspräsidenten Charles Michel als auch der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, abgehalten wurde. Im Zentrum unserer Diskussion standen die Fragen des Klimaschutzes. Die Kommission hatte in Person der Kommissionspräsidentin am Vortag das Europäische Parlament über den sogenannten Green Deal informiert. Das ist ein ganzes Arbeitsprogramm, mit dem mindestens 60 Einzelmaßnahmen verbunden sind, die die Kommission jetzt in aufsteigender Reihenfolge sozusagen vorschlagen wird. Uns ging es bei den Beratungen am Donnerstag vor allen Dingen darum, zu dem Bekenntnis zu kommen, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Europäische Union damit als Gesamtheit bis zum Jahre 2050 klimaneutral sein möchten. Wir haben uns auf dieses Ziel verständigen können, wenngleich Polen sich noch nicht imstande gesehen hat, dieses Ziel schon genau auszubuchstabieren. Wir müssen also im Juni noch einmal auf das Thema zurückkommen. Wir haben uns darüber hinaus mit außenpolitischen Fragen beschäftigt. Die Kommission ist von uns gebeten worden, eine Afrika-Strategie zu entwickeln; denn wir werden während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen EU-Afrika-Gipfel in Brüssel haben. Die Kommissionspräsidentin hat ja auch ihre erste Reise zur Afrikanischen Union unternommen – ich glaube, eine sehr kluge Entscheidung. Wir haben über das Treffen des Normandie-Formats, also mit der Ukraine und Russland, berichtet. „Wir“ sind der französische Präsident und ich. Aufgrund dieses Berichtes konnte man sagen: Der Stillstand, der jetzt mehrere Jahre herrschte, ist überwunden. Aber die Ergebnisse waren nicht so, dass wir die Sanktionen nicht wieder hätten verlängern müssen. Also haben wir die Sanktionen jetzt einstimmig im Europäischen Rat bis Juli 2020 verlängert. Das sind die Punkte, auf die ich hier in meinem einleitenden Vortrag eingehen möchte. Mehr kann ich natürlich auch bei der Befragung noch sagen. Wir hatten auch ein sogenanntes Euroformat-Treffen mit dem Vorsitzenden der Euro-Gruppe der Finanzminister im sogenannten 27er-Format. Da ging es um die Bankenunion. Aber dazu kann ich ausführlicher etwas sagen, wenn es jemanden interessiert. Damit bin ich am Ende, Herr Präsident.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Meines Vortrages natürlich! ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich bin am Ende meines Vortrages.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich habe Ihnen schon dafür gedankt und wollte zur ersten Frage dem Kollegen Dr. Gottfried Curio, AfD, das Wort erteilen.

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kanzlerin, zur kürzlichen Gewalttat in Augsburg, wo eine Gruppe jugendlicher Migranten einen Mann erschlug und einen anderen schwer verletzte: Dass es kein Anschlag war, sondern ein spontaner Gewaltausbruch, macht es ja nicht besser, sondern schlimmer, weil alltäglicher. Die Täter von Augsburg – dort geboren – leben auch in zweiter Generation nach typischen Normen verinnerlichten Machogehabes, ({0}) verstehen es als ehrhaft und als Stärke, Gewalt auszuleben. Solche Leute machen den öffentlichen Raum zum Angstraum, zum Ort des Faustrechts. So viel zum Integrationsmärchen. Das Bundeslagebild zur Zuwandererkriminalität zeigt: Augsburg ist die Spitze des Eisbergs. ({1}) So haben sich die Täterzahlen von Zuwanderern seit 2014 dramatisch vervielfacht: letztes Jahr bei Mord und Totschlag Hunderte, bei sexuellen Übergriffen Tausende, bei Körperverletzung Zehntausende Fälle. Würden Sie angesichts solcher Zahlen der migrantischen Kriminalität von einem Einzelfall sprechen, oder erkennen Sie das systemische Problem?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich erkenne erst einmal, dass in Augsburg eine schreckliche Tat verübt wurde und dass unsere Gefühle natürlich bei den Angehörigen und auch bei dem Verletzten sind. Zweitens erkenne ich, dass der Staat aufgefordert ist, jegliche Form von Gewalt zu bekämpfen, wo auch immer sie auftritt. Wir arbeiten auch an einer beständigen Verbesserung unserer Handlungsmöglichkeiten, zum Beispiel gerade wieder durch eine Vielzahl von neuen Stellen im Kampf gegen den Rechtsextremismus, ({0}) aber natürlich auch in anderen Bereichen. Wir werden diese Arbeit selbstverständlich fortsetzen. Aber insgesamt, glaube ich, ist unser Rechtsstaat handlungsfähig, sowohl auf der Bundesebene als auch auf der Länderebene. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Der Kollege Curio möchte eine Nachfrage stellen.

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – 2014 bis 2018 gab es ja über 800 000 Zuwandererstraftaten, und das sind nur die aufgeklärten. Inklusive Dunkelfeld kommt man auf Millionen Straftaten, ({0}) die durch Grenzsicherung hätten verhindert, vermieden werden können. Erkennen Sie da eine persönliche Schuld bei sich? Die fortgesetzte Aufnahme dieser Hochrisikogruppe – jugendliche männliche Migranten aus islamischen und Clankulturen – war und ist ja komplett unnötig, ({1}) weil sie über den unnötigen Selbsteintritt lief, wo eine angebliche Notsituation zu einer Dauerregelung genutzt wurde. Erkennen Sie die persönliche Mitverantwortung?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Die Bundeskanzlerin ist erstens für das politische Geschehen im Lande immer mit verantwortlich. Da bin ich auch froh darüber, dass ich ein so wichtiges Amt bekleiden darf. Zweitens sind die Betrachtungsweisen dessen, was 2015 und in den darauffolgenden Jahren geschehen ist, unterschiedlich. Ich glaube, dass Deutschland sehr vielen Menschen in Not geholfen hat, ({0}) dass dazu eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung stattgefunden hat und dass wir gleichermaßen natürlich an der Ordnung und Steuerung der Migration gearbeitet haben und weiter arbeiten werden. Die Zahlen zeigen auch, dass diese Arbeit nicht umsonst ist, sondern durchaus Erfolge zeitigt. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Nina Scheer, SPD.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Sie hatten in Ihrer Haushaltsrede Bezug genommen auf die herausragende Bedeutung der Windenergie und dies flankiert mit dem Hinweis, dass die Abstandsregelungen ja derzeit diskutiert werden. In diesem Zusammenhang möchte ich nur kurz an einen Brandbrief erinnern, der vonseiten der Energiewirtschaft an uns alle ging. Es steht derzeit dramatisch infrage, wie weit die Ausbauziele von 65 Prozent erneuerbarer Energien im Strombereich bis 2030, die wir uns in der Koalition gesetzt haben, überhaupt noch erreichbar sind. Man müsste auch noch einmal schauen: Im Jahr 2018 haben wir einen Rückgang des Ausbaus in der Windenergie um 45 Prozent gehabt. Die Studienlage prognostiziert, dass man zwischen 4 und 8 Gigawatt Zubau braucht, um die Ziele überhaupt zu erreichen. Das haben wir in 2017 erreicht. In 2018 hatten wir den besagten Rückgang. Teilen Sie die Auffassung, die von der SPD-Fraktion einmütig getragen wird, dass wir zu einer Ausweitung des bisherigen Ausbaus der erneuerbaren Energien kommen müssen, dass wir natürlich auch gucken müssen, wie sich das dann mit den bestehenden Beschränkungen und Hemmnissen, die wir haben, verhält und dass das natürlich auch Konsequenzen auf die derzeitige Diskussion im Kontext mit den – –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin!

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das letzte Wort noch.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sie sind schon 50 Prozent – –

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wollte das letzte Wort sagen: Abstandsregelungen. – Das war das letzte Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ja, es tut mir leid. Die Regeln haben wir so vereinbart. Die Frage soll eine Minute lang sein. Sie sind 50 Prozent darüber. Deswegen: Wenn ich Sie dann bitte, zum Schluss zu kommen, kommen Sie auch zum Schluss. Jetzt bitte ich die Frau Bundeskanzlerin, auf die Frage zu antworten.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ist meine Antwortzeit eigentlich auch eine Minute oder eine Minute 30 lang?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Eine Minute.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Eine Minute. Gut.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Aber bei Ihnen gebe ich notfalls auch ein paar Sekunden dazu. Aber ich bin da streng, wie Sie wissen.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Sie haben bei mir auch schon kritisch geguckt. Jetzt habe ich neun Sekunden verschwendet.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nein, die kriegen Sie dazu. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Jetzt: Wir teilen ja die gemeinsamen Ziele in der Koalition, Frau Kollegin Scheer, dass wir die Windenergie ausbauen wollen: 65 Prozent erneuerbare Energien. Dazu sind Schätzungen gemacht worden, dass wir, glaube ich, 69 bis 71 Gigawatt Windenergie im Jahre 2030 brauchen. Wir haben uns gemeinsam auf diese Abstandsregelung von 1 000 Metern verständigt – auch in der Koalition. Wir haben ganz viele Bundesländer, die eine ähnliche Abstandsregelung kennen. Zu diesen vereinzelten Gebäuden sind wir noch im Gespräch. Wie viele Häuser dort erfasst sind oder nicht, beraten die Umweltministerin und der Wirtschaftsminister. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum wir Windenergie nicht ausreichend ausbauen. Deshalb hat mich auch ein Brandbrief der norddeutschen Ministerpräsidenten erreicht. Wir haben verabredet, dass wir bis März die gesamten Fragen – Genehmigungen, festgestellte Gebiete, Abstandsregelungen, auch die Ausschreibungsmodalitäten usw. – miteinander diskutieren wollen, um dann einen Weg zu finden, schneller zu Genehmigungen zu kommen und damit auch die Ausschreibung zu verbessern. Man kann im Augenblick mit der Situation nicht zufrieden sein.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Mögen Sie eine Nachfrage stellen?

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, gerne. Dafür haben Sie 30 Sekunden.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde sie unterschreiten. – Ist Ihnen bekannt, dass in Schleswig-Holstein gerade gestern unter der von der CDU-geführten Regierung eine Abstandsregelung, die weit weniger als 1 000 Meter vorsieht, beschlossen wurde? ({0}) Sollte das nicht in der Diskussion unter dem Punkt „Signalwirkung“ gehandhabt werden?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Dieser Beschluss ist mir nicht bekannt. Den kennt der Kollege Kubicki bzw. der Vizepräsident des Deutschen Bundestages Kubicki sicherlich besser. Aber, Frau Scheer, wir arbeiten jetzt auf der Grundlage unserer Koalitionsbeschlüsse. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Christian Dürr, FDP.

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin! Ab dem 1. Januar gilt in Deutschland eine Belegausgabepflicht. So heißt das im Fachjargon. Was sich klein anhört, wird Hunderttausende Betriebe betreffen, vor allen Dingen Bäckereien und Millionen von Kundinnen und Kunden. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich klar gegen diese Bonpflicht ausgesprochen und seinen Kollegen, den Bundesfinanzminister, angeschrieben. Er schreibt in dem Brief: Die Folgen dieser Regelung sind beträchtlich. Für jeden noch so kleinen Einkauf oder Geschäftsvorgang muss ein Kassenbeleg ausgedruckt werden – auch wenn der Kunde darauf ausdrücklich verzichtet. Dies wird zu einem erheblichen Mehraufwand an Bürokratie führen. Und weiter: Im gesamten Handel werden Milliarden zusätzlicher Bons gedruckt, die in den allermeisten Fällen direkt im Müll landen. Da diese Bons häufig auf Thermopapier ausgegeben werden, das im Restmüll zu entsorgen ist, wird die Umwelt belastet. Auch aus Nachhaltigkeitsgründen sollte dieser Abfall vermieden werden. Frau Bundeskanzlerin, meine sehr konkrete Frage: Wann wird Ihre Regierung diese Bonpflicht abschaffen? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich fürchte, gar nicht. ({0}) Die Frage der Bonpflicht ist ja aufgrund von relativ unbestrittenen Umgehungstatbeständen bei der Steuererhebung diskutiert worden. Dazu ist vor drei Jahren ein Gesetz gemacht worden. Es hat damals eine Debatte gegeben, ob man auch geringwertige Kaufgüter miteinbeziehen soll. Man hat gesagt: Ja. Aber es wurden auch Ausnahmemöglichkeiten erwogen. Jetzt sage ich mal: Die Zeit ist weitergegangen. Ob man wirklich 140 000 Kilometer Thermopapier bedrucken muss, wie ich glaube in dem Brief oder irgendwo gelesen zu haben, um im Zeitalter der Digitalisierung Bons zu machen, weiß ich nicht. Vielleicht kann man sich da auch vernünftigere Dinge vorstellen. ({1}) Aber ich will sehr deutlich sagen: Ich empfehle die Lektüre der „WirtschaftsWoche“ aus der vergangenen Woche – Seite 33 ff., hat mir der Finanzminister gesagt –, ({2}) um mal zu sehen, was da abläuft bei den Umgehungstatbeständen. Wir können nicht einfach sehenden Auges akzeptieren, dass dem Staat Milliarden Steuereinnahmen verloren gehen. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Dürr, Nachfrage?

Christian Dürr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004705, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich will zur Sicherheit, damit auch die Menschen in Deutschland wissen, wie Ihre Position als Bundeskanzlerin und Regierungschefin ist, noch einmal nachfragen und feststellen: Das heißt, das, was der Bundeswirtschaftsminister, der ja auch Ihr Parteifreund ist, wenn ich es richtig wahrnehme, an den Bundesfinanzminister geschrieben hat, ist für Sie keine Grundlage, um erneut darüber zu diskutieren. Sie lehnen das ausdrücklich ab, was der Bundeswirtschaftsminister hier als Vorstoß innerhalb der Regierung unternommen hat. Verstehe ich Sie da richtig, Frau Bundeskanzlerin?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Das habe ich überhaupt nicht so gesagt. Ich habe gerade auf die Frage, wie dieser Bon erstellt wird, hingewiesen. Ich beschäftige mich selbstverständlich mit dem Thema, wenn der Wirtschaftsminister Erwägungen anstellt, was da schwierig sein könnte, und musste dann bei der vertieften Befassung mit dem Sachverhalt – das gebe ich ausdrücklich zu – erkennen, dass nicht einmal alle Kassen nach drei Jahren die entsprechende Software haben und der Bundesfinanzminister schon wieder eine Verlängerung bis zum September 2020 gewähren muss. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Am besten kann man Ausnahmen durchgehen lassen. Wenn wir gemeinsam welche finden sollten, dann bin ich dafür, aber nur dann, wenn man den Eindruck hat, dass alle verstanden haben, dass der Grundtatbestand, dass man nicht einfach Mehrwertsteuer umgeht, eine Sache ist, die nicht geht, und das ist leider noch nicht bei allen angekommen. ({0}) – Ja. Ich sage noch mal: „WirtschaftsWoche“, nicht verdächtig, Bürokratiemonster gutzuheißen. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt ist aber die Werbung für eine Zeitschrift ausreichend.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Stimmt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt stellt die nächste Frage die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Dabei schreiben die viel Kritisches über mich. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, mit dem Klimapaket geht Deutschland weltweit mit gutem Beispiel voran. ({0}) Wir führen jetzt als erstes europäisches Land den Emissionshandel für die Bereiche Wärme und Verkehr ein. Wie können wir darauf hinwirken, dass auch auf europäischer Ebene der Emissionshandel auf diese Sektoren ausgeweitet wird oder separate Emissionshandelssysteme dafür gebildet werden und entstehen? ({1})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich denke, dass man auf jeden Fall, wenn man es europäisch macht, was ich mir wünschen würde, diese Bereiche, diese Sektoren noch getrennt halten muss vom Industriebereich. Aber die Kommissionspräsidentin – und das ist jetzt in dem Green Deal noch mal angeklungen – sagt, dass die Kommission darüber nachdenkt, den Emissionshandel auszuweiten, und ich habe ihr bereits persönlich gesagt, dass ich das sehr unterstützen würde, weil ich glaube, dass es für uns alle besser wäre, wenn wir ein europaweites Handelssystem auch für die Bereiche Verkehr und Gebäude hätten. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage? – Frau Weisgerber.

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit dem European Green Deal hat die Europäische Union ihr Ambitionsniveau ja deutlich gesteigert. Mich würde interessieren, wie Deutschland die Umsetzung dieses European Green Deal verfolgt und wie wir darauf hinwirken können, dass auch die anderen EU-Staaten nachziehen, weil wir mit unseren 55 Prozent Reduktion bis 2030 ja durchaus schon sehr ehrgeizig unterwegs sind.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Eine Facette des Green Deal ist ja auch, dass man sich die Klimaziele für 2030 noch mal anschaut. Die EU hat hier 40 Prozent Reduktion vorgesehen, wir in Deutschland 55 Prozent Reduktion. Das zeigt also, dass wir hier ambitionierter sind. Wir haben im Europäischen Rat gesagt, dass wir die 2030er-Ziele gerne gemeinsam beraten wollen. Das haben wir bei früheren Zielsetzungen gemacht. Das hat den Vorteil, dass alle Länder zustimmen müssen und keine Überstimmung einzelner Länder erfolgen kann. Insofern werden das noch sehr spannende Beratungen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jörg Cezanne, Die Linke, stellt die nächste Frage.

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Bundeskanzlerin, das zuständige Berliner Finanzamt hat der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes vor einigen Wochen die Gemeinnützigkeit aberkannt. Darüber gibt es große Unruhe und auch Unverständnis bei Verbänden der Zivilgesellschaft, bei Menschen, die sich gegen Rechtsentwicklung einsetzen. Dieses Unverständnis rührt daher, dass es verschiedene Berichte gibt, unter anderem in der „Tagesschau“ im Frühjahr dieses Jahres, in denen über Vereine mit rechter Orientierung gesprochen wird. Beim Verein Ludendorff Gedenkstätte, beim Bund für deutsche Schriften und Sprache und anderen ist eine solche Aberkennung bislang nicht erfolgt. Verstehen Sie, dass Verbände das als unglückliches Signal an jene halten, die sich für Demokratie und gegen Rechtsentwicklung einsetzen? Was wird Ihre Regierung unternehmen?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich vermute, dass sich das Berliner Finanzamt diese Dinge überlegt hat. Das bedeutet in keiner Weise, dass wir die Tätigkeit gegen rechtsextreme Gedankengänge und Taten mit aller Macht bekämpfen. Ich würde sagen: Das Berliner Finanzamt ist näher am Berliner Senat als an der Bundesregierung, und Die Linke ist auch dort vertreten. Vielleicht kann man das auf Berliner Ebene noch einmal vertieft diskutieren. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Cezanne, möchten Sie es noch einmal versuchen? ({0}) – Ich kann Ihnen aus früherer Tätigkeit sagen, dass die Länder dafür zuständig sind.

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dessen bin ich mir durchaus bewusst.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Entschuldigung, ich habe noch eine Sekunde. ({0}) Ich glaube, dass der jeweilige Bundesfinanzminister immer davon geträumt hat, ein Bundesfinanzamt zu haben, was von den Ländern harsch zurückgewiesen wurde.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Den Traum hat nicht jeder Finanzminister gehabt. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Aber manche.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt kommen wir zum Ernst der Geschäftsordnung zurück.

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Da hätte der Bundesfinanzminister sogar die Unterstützung der Linkenfraktion. – Jetzt noch einmal: Wir haben insgesamt eine Debatte über die Gemeinnützigkeit. Teilen Sie die Auffassung, dass Verbände der Zivilgesellschaft bei der politischen Willensbildung heutzutage eine sehr wichtige Rolle spielen, dass sie gesamtgesellschaftliche Diskussionsprozesse vermitteln und dass es daher wünschenswert wäre, wenn man sie nicht durch eine allzu enge Fassung des Verständnisses von Beteiligung an politischer Willensbildung davon abhalten würde, wie es zum Beispiel bei den Organisationen Attac oder Campact erfolgt ist?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich teile Ihre Grundaussage – ja. Aber das entbindet nicht von der Tatsache, dass in Einzelfällen trotzdem Entscheidungen gefällt werden, die den Vereinigungen vielleicht nicht so gefallen. Aber das ist ja auch keine Massenbewegung der Aberkennung der Gemeinnützigkeit. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Weisgerber schon kurz angedeutet: Die Kommissionspräsidentin von der Leyen schlägt vor, das EU-Klimaschutzziel 2030 auf 50 bis 55 Prozent zu erhöhen. So steht es in den Papieren, und so sind die Äußerungen der Kommissionspräsidentin. Meine Frage ist: Unterstützt die Bundesregierung dieses Ziel, oder ist es so, wie in Presseberichten zu lesen war, dass die Bundesregierung gegenüber diesem konkreten Ziel 2030 eine eher skeptische Haltung hat?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Nein, die Bundesregierung unterstützt das Ziel. Wenn alle Mitgliedstaaten klimaneutral werden wollen, dann wird es auch notwendig sein, dass dieses Ziel umgesetzt wird. Es geht nicht um eine allgemeine Klimaneutralität, sondern es geht darum, dass letztlich jeder Mitgliedstaat 2050 klimaneutral sein muss. Ich habe das im Übrigen auch schon bei den deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen gesagt. Darüber, welche Aufgabe für jeden Mitgliedstaat bleibt, wird sicherlich noch gestritten werden. Ansonsten freue ich mich, dass wir vielleicht – der Vermittlungsausschuss ist noch im Gange – einen Konsens darüber bekommen, wie wir unser Ziel erreichen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Kollege Krischer?

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, genau dazu möchte ich nachfragen. Es freut mich, zu hören, dass Sie das Ziel von Frau von der Leyen für 2030 unterstützen. Das war bisher so klar nicht zu hören, deshalb danke für diese Aussage. Aber das bedeutet natürlich, dass wir im nächsten Jahr ein neues, wesentlich erweitertes Klimapaket in Deutschland schnüren müssen, um das Ziel zu erreichen; denn das bedeutet für Deutschland 65 bis 70 Prozent Emissionsreduktion bis 2030, und da reichen die bisherigen Maßnahmen bei Weitem nicht aus. Sie reichen ja nicht mal für das bisherige Ziel der Bundesregierung.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich glaube, wir sind uns einig: Wenn wir bis 2050 für jeden Mitgliedstaat bei 95 Prozent Reduktion ankommen wollen, dann müssen wir langsam in eine Kohärenz kommen, wie viel Reduktion jeder Mitgliedstaat schafft, und da sind wir mit unseren 55 Prozent gut dabei. ({0}) Deshalb wird es die Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass sich andere sozusagen in die kohärente Linie einordnen; denn bis zum Jahr 2050, also 20 Jahre nach 2030, müssen alle bei 95 Prozent Reduktion sein. ({1}) Der Rest bleibt den Verhandlungen vorbehalten; ich werde hier mein Pulver nicht zu früh verschießen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke. – Die nächste Frage stellt der Kollege Jürgen Braun, AfD.

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Heute hier zu stehen und als deutsche Bundeskanzlerin zu Ihnen zu sprechen, fällt mir alles andere als leicht. Ich empfinde tiefe Scham … Das haben Sie vor wenigen Tagen in Auschwitz gesagt. So weit, so gut. Weniger gut ist das Abstimmungsverhalten der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen. Empfinden Sie, Frau Bundeskanzler, auch tiefe Scham angesichts des Abstimmungsverhaltens der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen, und zwar in geradezu beispielhafter Weise negativ? 2018 wurde 16-mal in der Generalversammlung gegen Israel gestimmt, 2019 wurde schon 14-mal gegen Israel gestimmt. Ich frage Sie: Ist es Ihre Überzeugung, ständig gegen Israel stimmen zu lassen, oder ist es Opportunismus, weil die israelfeindlichen islamischen Staaten die größte Staatengruppe in den Vereinten Nationen stellen? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich finde es erstens sehr interessant, welche Verbindung Sie zwischen einem Besuch in Auschwitz und dem Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen ziehen. ({0}) Zweitens bedeutet ein Bekenntnis zum Staat Israel – ich habe gesagt, dass die Sicherheit des Staates Israel zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland gehört – nicht eine einhundertprozentige Übereinstimmung mit allen Politikhandlungen Israels. ({1}) Es gibt im Übrigen auch auf europäischer Ebene Abstimmungen darüber, wie man in den Vereinten Nationen abstimmt. Das finde ich auch in Ordnung. Insofern glaube ich, dass die Bundesregierung sehr wohl nicht nur darauf achtet, sondern dass es ihr immanent ist, dass keinerlei Anti-Israel-Stimmung aufkommt. Aber das heißt nicht, dass wir mit allen politischen Entscheidungen einverstanden sind. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege Braun? ({0})

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. – Sie sagen: „nicht mit allen“, dabei sind Sie mit fast nichts einverstanden, was Israel tut. Sie stimmen wie kaum ein anderes Land gegen Israel und bewegen sich da in schlimmster Gemeinsamkeit mit anderen finsteren Mächten in der Welt. ({0}) Ich sage ganz deutlich: Das Simon Wiesenthal Center hat sich in diesem Jahr entschieden, den deutschen UNO-Botschafter auf Platz sieben der schlimmsten Antisemiten zu setzen; wahrlich ein beschämender Akt. Stolz können wir darüber in keiner Weise sein. Es geht um das Schicksal. Wir sollten alles tun für das Schicksal der lebenden Juden und nicht nur relativ profan Trauer über tote Juden ausdrücken. Deswegen frage ich Sie: Wie lange wird Herr Heusgen in dieser Form noch Ihre Unterstützung finden?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich weise die Wortwahl Ihrer Fragestellung entschieden zurück, muss ich Ihnen sagen. ({0}) Ich möchte aber zu dem Aspekt „Christoph Heusgen als UN-Botschafter“ Stellung nehmen und sagen, dass die Bundesregierung ihre anderslautende Einschätzung zu dem Botschafter deutlich gemacht hat, auch gegenüber dem Wiesenthal Center. Ansonsten sage ich: Die Bundesregierung stimmt in den allermeisten Fällen mit allen EU-Staaten gemeinsam ab, in Ausnahmefällen oft zusätzlich pro Israel. Wir achten sehr darauf, dass alle Tendenzen, die wir beeinflussen können, die eine Anti-Israel-Haltung verkörpern könnten, aus all diesen Abstimmungen sozusagen herausgearbeitet werden. Insofern tun wir da, glaube ich, ein gutes Werk. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Sabine Poschmann, SPD.

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, im Zusammenhang mit der Sicherheit der 5G-Netze haben Sie erklärt, auf die deutschen Sicherheitsbehörden zu vertrauen. Sowohl die Sicherheitsbehörden, etwa der BND-Präsident, als auch der Bundesaußenminister warnen vor dem Einsatz von zum Beispiel Huawei. Der Bundeswirtschaftsminister hingegen warnt vor einem Ausschluss, weil er wirtschaftliche Folgen befürchtet. Deshalb meine Frage: Was wird die Bundesregierung konkret veranlassen, um die höchstmögliche Sicherheit der digitalen Infrastruktur zu gewährleisten?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir sind in einem Diskussionsprozess, im Übrigen auch mit dem Parlament. Es wird Gesetzesvorhaben geben, das IT-Sicherheitsgesetz und auch eine Veränderung des Telekommunikationsgesetzes. In diesem Zusammenhang wird man auch die Sicherheitsanforderungen beraten. Ich bin gegen den prinzipiellen Ausschluss eines Unternehmens; aber ich bin dafür, dass wir alles tun, um die Sicherheit zu gewährleisten. Dazu gehört zum Beispiel auch eine Diversifizierung der Angebote. Wir vertrauen in der Tat auf die Sicherheitsbehörden. Wenn ich das nicht mehr täte, wäre das wirklich schlecht. Aber wir wissen natürlich, dass die Einschätzungen beständig im Fluss sind. Das heißt, es reicht nicht, das nur einmal einzuschätzen. Wir werden noch sehr umfassend darüber sprechen. Aber meine Haltung ist: Nicht von vornherein einfach sagen, dass ein Unternehmen überhaupt nicht infrage kommt, aber auf der anderen Seite auch nicht blind sein, sondern den Vertrauensaspekt mit im Blick haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Möchten Sie eine Nachfrage stellen?

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, sehr gerne.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, gerne.

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Trifft es zu, dass, wie Medien berichten, China schon Konsequenzen angekündigt hat, falls die Bundesregierung Huawei ausschließt? Und welche Kenntnisse haben Sie über die derzeitigen Wettbewerbspraktiken und staatlich subventionierten Dumpingpreise, die chinesische Anbieter auch auf den europäischen Markt übertragen?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Na ja, ich habe erst einmal Kenntnis davon – wie Sie, glaube ich, auch –, dass Huawei in vielfältiger Weise bei den 2G-, 3G- und 4G-Netzen eingesetzt wurde – im Übrigen nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo in Europa – und dass wir bei der Zusammenarbeit mit Huawei – jedenfalls ist mir das von keinem Telekommunikationsunternehmen gesagt worden – bis jetzt keine Verdachtsfälle hatten. 5G ist eine neue qualitative Stufe; daher muss man neu darüber nachdenken. Mit dem prinzipiellen Vorwurf der Dumpingpreise wäre ich vorsichtig. Ansonsten sind wir sehr stolz darauf, dass wir in diesem Fall, anders als in anderen Fällen, in denen wir sehr viel abhängiger sind, mit Ericsson und Nokia zwei Unternehmen haben, die ebenfalls qualitativ sehr hochwertige Produkte anbieten. Mir gegenüber ist von Druck durch die chinesischen staatlichen Stellen nichts geäußert worden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Manuel Höferlin, FDP, stellt die nächste Frage.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, nach einem Referentenentwurf, der in der letzten Woche bekannt wurde, plant Ihre Regierung, dass Internetdiensteanbieter Passwörter und andere Daten aus Mailkonten, Cloud-Diensten, sozialen Netzwerken und vielem mehr an Sicherheitsbehörden herausgeben müssen. Auf der anderen Seite müssen aber die gleichen Anbieter die Daten ihrer Kunden – dazu gehören auch vertrauliche Informationen wie Passwörter – aus Gründen der Datensicherheit verschlüsselt abspeichern. Plant die Bundesregierung, Internetdiensteanbieter zu verpflichten, Passwörter zukünftig nicht mehr zu verschlüsseln, um dem nachzukommen? Oder vertraut die Bundesregierung darauf, dass sich die Anbieter nicht an geltendes Datenschutzrecht halten, weil die Herausgabepflicht sonst ja ins Leere laufen würde?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Die Bundesregierung plant nicht die vollständige Veränderung der Passwortpraxis gegenüber allen Kunden. Sie wissen, dass das, was jetzt in Rede steht, ein Versuch ist, an Kommunikation zu kommen, wenn erhebliche Verdachtsmomente, geäußert durch richterliche Entscheidung, vorliegen, wie man es in anderen Bereichen auch hat. In diesem Zusammenhang gab es mit der FDP ja viele Diskussionen über die Fragen der Telefonkommunikation. Diese Möglichkeiten hat man also in den Fällen, in denen rechtsstaatlich darauf hingewiesen wird, dass man die Kommunikation überprüfen sollte. Selbstverständlich wird das dann auch – so, wie das heute schon ist – parlamentarisch abgesichert sein. Insofern, finde ich, sollten wir alle nicht den Eindruck erwecken, als würde die Bundesregierung in Zukunft sozusagen in breiter Art und Weise die Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern überwachen wollen. Das tut der Sache nicht gut. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Höferlin.

Manuel Höferlin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich erinnere mich sehr gut an die Diskussion, Frau Kanzlerin. Um ein Zitat aus Ihren Reihen zu nehmen: Da, wo keine Daten sind, kann man auch keine abholen. – Das trifft bei verschlüsselten Passwörtern zu. Man müsste sie also unverschlüsselt abspeichern. Das ist entgegen jedem Grundsatz, dem die Internetdiensteanbieter derzeit insgesamt folgen. Außerdem gibt es ja das Credo – auch dieser Bundesregierung –, Deutschland solle Verschlüsselungsweltmeister werden. Wir wollen also die höchsten Sicherheitsstandards und eine Behörde haben, die Cybersicherheit gewährleistet. Deswegen noch mal die Nachfrage: Wie bringen Sie es miteinander in Einklang, dass wir auf der einen Seite Verschlüsselungsweltmeister werden wollen, die Verschlüsselung und die Privatsphäre hochhalten, die Datenschutz-Grundverordnung verabschiedet und den Schutz der Rechte des Einzelnen nach vorne getrieben haben und auf der anderen Seite beispielsweise, wenn Sie wollen, an Passwörter kommen? Das geht bisher technisch nicht und entspricht auch nicht dem Grundsatz.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich werde mich technisch kundig machen. Es ist nicht geplant, dass wir die Verschlüsselung von Passwörtern aufheben; das habe ich jedenfalls nicht gehört. Ich habe noch nicht jede Zeile des Gesetzentwurfs gelesen und werde Ihnen nachreichen, wie das mit den verschlüsselten Passwörtern und der möglichen Überwachung aussieht. Die Justizministerin wird sich darüber Gedanken gemacht haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Vielleicht kann ich im Nachklang sogar noch den Staatssekretär fragen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt der Kollege Gunther Krichbaum, CDU/CSU.

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, nach dem Mord an dem georgischen Staatsbürger Changoschwili wurden zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Die Bundesanwaltschaft hat Verdachtsmomente, dass staatliche Stellen – konkret: russische Stellen – in diesen Auftragsmord involviert sind. Meine Frage ist: Wie begleitet die Bundesregierung diesen Vorgang, und welches weitere Vorgehen ist hier Ihrerseits geplant?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir haben die beiden Diplomaten ausweisen müssen, weil wir über eine gewisse Zeit keinerlei Kooperationsbereitschaft der entsprechenden russischen Stellen gesehen haben. Ich habe das dann ja auch selber gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bei dem Normandie-Treffen angesprochen. Wir sehen jetzt mehr Kontakte; die Bundesregierung agiert hier auf den notwendigen Ebenen. Aber weder ist der Hergang dieses schrecklichen Mordes aufgeklärt, noch sind wir am Ende dessen, was dazu an Wissen übermittelt werden muss.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt der Kollege Fabio De Masi, Die Linke.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Bundeskanzlerin, der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Deutsche Gewerkschaftsbund fordern ja ein großangelegtes Investitionsprogramm. Deutschland ist bei den öffentlichen Investitionen – nicht in absoluten Zahlen, aber gemessen an der Wirtschaftskraft – ja fast Schlusslicht unter den Industrienationen. Jetzt müssen wir in den Kommunen einige Dinge auf den Weg bringen, und wir haben nicht genug Personal in den Planungsämtern. All das ist mir bewusst. Aber BDI und DGB sagen eben: Wir müssen diese Investitionen in Brücken, in die digitale Infrastruktur, gegen den Klimawandel jetzt tätigen. Sie haben in der Generaldebatte des Bundestages kürzlich gesagt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass Sie jetzt trotz niedriger Zinsen nicht mehr investieren möchten, weil die Zinsen ja auch wieder steigen könnten. Es gibt viele Leute, die nur noch sehr wenige Zinsen für ihr Geld auf dem Sparbuch bekommen. Können Sie mir erklären, warum Sie dagegen sind, jetzt mehr öffentliche Investitionen zu tätigen und damit dazu beizutragen, dass sich die Zinsen wieder normalisieren können?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Na ja, das Problem ist ja nicht, dass wir kein Geld hätten, sondern das Problem ist, dass dieses Geld nicht abfließt. Das heißt, wir müssen an den Fragen der Planungsbeschleunigung und an den Fragen der Verwaltungseffizienz arbeiten, und wir müssen zum Teil auch fragen, ob es notwendig ist, jede Infrastrukturmaßnahme zu beklagen, und ob man da zu Beschleunigungen kommen kann. Die Bundesregierung hat zum Beispiel den Pakt für den Rechtsstaat gemacht, damit die Gerichte in Deutschland besser ausgerüstet sind und auch schneller entscheiden können. Ich habe im Augenblick an keiner Stelle den Eindruck, dass es – unsere Investitionszahlen sind auf Höchstniveau – an Geld für die Projekte mangelt, die wir uns vorgenommen haben. Deshalb muss die Diskussion andersherum geführt werden. Ich bin auch dafür, dass wir wirklich schneller Investitionen zustande bringen. Schauen Sie sich zum Beispiel einmal an, dass es bis zur Eröffnung einer einfachen S-Bahn-Haltestelle – das hat mir gestern der Bundesfinanzminister gezeigt – in Deutschland zehn Jahre dauert, und zwar da, wo schon Bahngleise liegen. Diese langen Prozeduren sind inakzeptabel. Wenn wir mal eines Tages zu dem Punkt kommen, dass wir viel mehr machen könnten und das Geld nicht da ist, dann können wir ja wieder neu reden. Aber im Augenblick ist das nicht unser Problem. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Herr Kollege?

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Applaus geht ja nicht von meiner Redezeit ab, hoffe ich. – Wenn wir schon beim Geld sind: Zum Geld gehört ja auch, dass man mit Steuergeldern verantwortungsvoll umgeht. Sie haben einen Verkehrsminister, der dafür Verantwortung trägt, dass aufgrund der vergeigten Pkw-Maut 500 Millionen Euro Steuergelder im Feuer stehen. Wir haben in Deutschland Kassiererinnen, die bereits für das Einstecken eines Pfandbons ihren Job verloren haben. Wir erklären Sie denn einer Kassiererin, dass dieser Minister immer noch im Amt ist? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Die Vergleiche und die Vorwürfe, die Sie in Ihrer Frage insinuiert haben, werden im Untersuchungsausschuss alle sauber abgearbeitet. Ich finde es gut, dass jetzt darüber beraten wird, damit da auch Klarheit kommt. Insofern will ich den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses nicht vorgreifen. Ich finde, dass Andi Scheuer eine sehr gute Arbeit macht. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt die Kollegin Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie erneut auf den geringen Frauenanteil im Deutschen Bundestag ansprechen. ({0}) Ich halte das für ein sehr wichtiges Thema. In der Regierungsbefragung im Juni 2018 haben Sie auf meine damalige Frage geantwortet, dass Sie „sehr gerne bereit“ sind, in überparteilichen Gesprächen zu hören, ob wir „gute Vorschläge“ haben, um den Frauenanteil im Deutschen Bundestag zu erhöhen. In den letzten Monaten haben sehr intensive überparteiliche Gespräche stattgefunden. Als Folge daraus hat meine Fraktion für den heutigen Tag einen Debattenplatz für einen Gruppenantrag angemeldet. Dieser Gruppenantrag verfolgt das Ziel, eine Expertenkommission einzusetzen, die selbst wiederum Vorschläge zur Erhöhung des Anteils von Frauen im Parlament machen soll, damit wir einen gleich hohen Anteil von Frauen und Männern im Deutschen Bundestag erreichen. Wir haben jetzt auf Wunsch der Koalitionsfraktionen die Beratung dieses Antrags um eine Sitzungswoche verschoben. Wir respektieren es natürlich, wenn es da noch Beratungsbedarf gibt. Meine Frage an Sie: Werden Sie persönlich sich dafür einsetzen, dass wir diesen Antrag beschließen können und dass der Deutsche Bundestag eine solche Expertenkommission bekommt?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Das kann ich Ihnen natürlich vor den Beratungen der Koalitionsfraktionen nicht sagen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir gestern in der Fraktion ausführlich über dieses Thema gesprochen haben und dass die Vorsitzende der Gruppe der Frauen gesagt hat, dass man an dem überparteilichen Austausch interessiert ist, dass dafür nur noch die entsprechende Form gefunden werden muss. Ich persönlich muss da ehrlich sagen: Ob wir da Experten brauchen, die uns irgendwie sagen, wie man zu mehr Frauen kommt? Ich habe eine ziemlich expertenartige Vorstellung, was man, wenn man Direktwahlkreise gewinnt, tun muss, damit in einem Wahlkreis eine Frau nominiert wird. Bei der CDU/CSU-Fraktion ist damit das Thema eigentlich schon gesetzt, weil wir sehr viele Wahlkreise direkt gewinnen. Ob uns da Expertinnen und Experten weiterhelfen, das weiß ich nicht. ({0}) Man kann beratende Experten hinzunehmen, aber ich finde, die Hauptdiskussion muss durch die Politikerinnen und Politiker erfolgen. Ich halte das Thema wie Sie für ein sehr, sehr wichtiges Thema. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Mögen Sie nachfragen?

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte gerne nachfragen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, gern.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Vorschlag zur Einsetzung einer Expertenkommission beruht ja auf den sehr intensiven Diskussionen, die wir interfraktionell geführt haben. Was sind denn dann, wenn Sie eine Expertenkommission nicht befürworten, Ihre konkreten Vorschläge, wie dieser Deutsche Bundestag sich aufstellen soll? Welche Vorschläge haben Sie, um konkret zu einem höheren Frauenanteil im Deutschen Bundestag zu kommen?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich habe gestern zum Beispiel das Wort „Enquete-Kommission“ gehört. Eine solche Kommission wäre eine Möglichkeit. Ich sage noch mal: Ich möchte den Beratungen der Koalitionsfraktionen nicht vorgreifen. Wir sind daran interessiert, das zu beraten, weil auch wir es für ein wichtiges Thema halten. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Steffen Kotré, AfD, stellt die nächste Frage.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin, nun gibt es ja die Sanktion der USA gegen die am Bau von Nord Stream 2 beteiligten Firmen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, wie es einige machen: Das ist ein aggressiver Akt. Ich würde noch weitergehen: Das könnte durchaus der Auftakt für einen Wirtschaftskrieg gegen uns, gegen unser Land, gegen unsere Stromversorgung und auch gegen die Stromversorgung der EU sein. Sie haben ja vor anderthalb Jahren noch gesagt: Nord Stream 2 ist ein rein wirtschaftliches Projekt. Sie meinten damit auch, dass dabei keine Oberhoheit der EU besteht. Nun ist die Bundesregierung umgefallen. Nun haben wir also die Umsetzung der dritten EU-Gasmarktrichtlinie. Aber das alles hat die USA ja nicht besänftigt. Wir wissen alle: Die USA wollen ihr eigenes Gas verkaufen; die EU ist da eingeknickt. Demzufolge sind ja die Gasimporte aus den USA um 300 Prozent gestiegen. Vor dem Hintergrund dieses Angriffs frage ich Sie ganz konkret: Wie verteidigen Sie hier deutsche Interessen? Welche Gegenmaßnahmen ergreifen Sie? Werden Sie jetzt sagen: „Wir stoppen die Gasimporte aus den USA“? Oder sagen Sie: „Wir wollen also auch die Einreisebeschränkungen haben, wie es die USA selber machen“? Welche konkreten Gegenmaßnahmen planen Sie? Ich hoffe, dass Sie da wirklich Gegenmaßnahmen planen und nicht nur Gespräche mit den USA, die ja letztendlich nichts gebracht haben.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Es ging jetzt manches ein bisschen durcheinander. Das dritte Energiebinnenmarktpaket existiert. Es ist jetzt für zukünftige Projekte auf Binnengewässer ausgeweitet worden. Da ist auch Deutschland nicht umgefallen, sondern die Abstimmungslage in der Europäischen Union war, wie sie war. Wir haben dann glücklicherweise mit Frankreich einen Kompromiss gefunden, mit dem auch unsere Interessen abgedeckt sind. Der Kongress hat in der Tat diese Sanktionen beschlossen. Wir sind gegen exterritoriale Sanktionen, und das auch nicht erst seit dem Beschluss gestern, sondern auch im Hinblick auf den Iran; da haben wir dasselbe Problem zu gewärtigen. Ich sehe auch keine andere Möglichkeit, als Gespräche zu führen – dies müssen aber sehr entschiedene Gespräche sein – und zum Ausdruck zu bringen, dass wir die Praxis nicht billigen, dass die exterritorialen Sanktionen wirken. Jetzt werden wir sehen, wie die Sache mit Nord Stream 2 weitergeht. Ich habe darauf hingewiesen – das ist mir sehr wichtig –, dass im Augenblick mit der Ukraine Gespräche über einen Gasvertrag nach dem 31. Dezember 2019, also sehr bald, geführt werden. Ich hoffe, dass diese Gespräche relativ hoffnungsvoll verlaufen. In diesem Zusammenhang wäre es sehr ungünstig, wenn die Ukraine um die Transitgebühren käme, weil die Verhandlungen erschwert würden, weil wir an anderer Stelle diese Einstellung zu Nord Stream 2 haben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage?

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nur sprechen reicht in meinen Augen nicht. Wir sind viel zu oft zurückgewichen, und wenn man zurückweicht, dann nimmt der andere natürlich den Raum ein. So haben wir es auch hier bei den USA gesehen, die diese Sanktionen jetzt doch durchführen. Sie selber haben sich zum Beispiel bei der NSA-Abhörgeschichte auch nicht gewehrt. Wie lange wollen wir das so hinnehmen? Ich kann Leuten, die sagen: „Deutschland handelt nicht mehr souverän“, denen kann ich dann nichts mehr entgegensetzen, wenn wir es einfach nur beim Palavern belassen ({0}) und nicht mal drohen, dass wir zum Beispiel Gegensanktionen machen. Die habe ich eben auch erwähnt; man kann sie sehr gern machen. Dann kann man sich auch auf internationalem Parkett Gehör verschaffen. Aber wenn Sie nur zurückweichen, dann, denke ich, ist das keine souveräne Reaktion von Deutschland.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir sind weder bei NSA zurückgewichen, noch haben wir die Absicht, das hier zu tun. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Wiebke Esdar.

Dr. Wiebke Esdar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, nach Jahren der Blockade scheint jetzt auf europäischer Ebene eine Einigung oder eine Verständigung über eine Finanztransaktionsteuer zum Greifen nah. Unserer Auffassung nach ist das auch insbesondere dem unermüdlichen Einsatz des Bundesfinanzministers zu verdanken. Aus sozialdemokratischer Sicht wäre es aber wünschenswert, dass wir nicht nur die Verständigung, die jetzt im Raum steht, sondern darüber hinaus auch die Einbeziehung von Derivaten in die FTT erreichen. Meine Frage an Sie ist: Wie stehen Sie zu der Verständigung, die jetzt im Raum steht? Wie sehen Sie die Realisierungschancen dafür sowohl in Bezug auf das, was jetzt vorliegt, als auch in Bezug auf die Derivate?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Es gibt den unermüdlichen Einsatz von Olaf Scholz für die Finanztransaktionsteuer, und es gab auch schon den unermüdlichen Einsatz des Vorgängers von Olaf Scholz; Wolfgang Schäuble hat dafür auch schon gekämpft. Leider haben wir unter den 27, jetzt noch 28 Mitgliedstaaten – die Briten haben übrigens in Form der Stamp Tax eine solche Art der Steuer – Mühe, die notwendige Zahl der Mitgliedstaaten zusammenzubekommen, die für eine verstärkte Zusammenarbeit infrage kommen; ich glaube, es sind zehn, und man muss darauf achten, dass nicht wieder einer abspringt. Wir müssen deshalb natürlich darauf achten, dass das Wettbewerbsfeld nicht völlig verzerrt wird, weil wir die anderen 17 bis jetzt nicht völlig überzeugen konnten. Es ist schon ein Fortschritt, dass wir überhaupt in einer verstärkten Zusammenarbeit handeln können. Frankreich hat auch bereits eine solche Aktienbesteuerung. Deshalb ist das Modell, das jetzt in Rede steht, auch an Frankreich und Großbritannien angelehnt. Ich hätte mir weit mehr vorstellen können bei einer Finanztransaktionsteuer, sehe aber, wie die Gegebenheiten sind. Ich glaube, wir sollten jetzt lieber den Versuch auf europäischer Ebene wagen. Es gibt da noch viel Diskussionsbedarf. Auch das hat in den Beratungen unserer Fraktion zum Beispiel gestern eine Rolle gespielt. Aber ich unterstütze jetzt erst mal das Bemühen auf europäischer Ebene, einen ersten Schritt hinzubekommen. Dr. Wiebke Esdar (SPD): Danke schön!

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann stellt die nächste Frage der Kollege Frank Sitta, FDP.

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! „Wir kommen um ein Digitalministerium nicht herum.“ Das ist die Position der FDP; das wissen Sie. Aber dieser Satz stammt von der CDU-Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer; sie hat ihn auf dem letzten CDU-Parteitag gesagt. Auch Ihr Kanzleramtsminister Helge Braun hat die Notwendigkeit eines Digitalministeriums erkannt und sich auch persönlich bereits dafür in Stellung gebracht. Er bezeichnet es als Manko, dass er und sein Team – ich zitiere – im Kanzleramt zwar koordinieren, aber nicht operativ tätig werden können. Und selbst das scheint nur bedingt wirkungsvoll zu sein; denn Ihre Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär, sagte im Digitalausschuss, dass es manche Akteure in der Bundesregierung gebe, die sich gern koordinieren lassen, und dann seien da eben noch die anderen. Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, stimmen Sie dieser Zustandsbeschreibung zu? Und haben Sie daraus folgend vor, noch in dieser Legislaturperiode ein Digitalministerium zu etablieren?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Derartige Strukturentscheidungen stehen zurzeit nicht an. Sie müssten ja in der Koalition beraten werden; das haben wir nicht getan. Ein Digitalministerium könnte ich mir durchaus vorstellen. Ich bin allerdings sehr froh, dass wir jetzt erst mal eine Digitalstaatsministerin haben. – Zu Beginn saß sie noch hier, jetzt ist sie entschwunden und durch die Kulturstaatsministerin und den Staatsminister Hoppenstedt ersetzt. ({0}) Jedenfalls ist es schon ein Fortschritt. ({1}) – In dieser Stunde jetzt. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass aus einer Staatsministerin zwei wurden und die Präsenz des Kanzleramtes doch beachtlich ist. ({2}) Ich komme zur Frage zurück. Auch ein Digitalministerium würde alle anderen Ressorts nicht von der Aufgabe entbinden, bei der Digitalisierung viel zu tun. Denn egal ob ich ein Digitalministerium habe oder nicht: Vom Ressort Gesundheit über Entwicklungshilfe bis zur Landwirtschaft ist heute jedes Ministerium im Grunde in den Fragen der Digitalisierung gefordert. Dass es da auch Widerstände zu überwinden gibt, ist, glaube ich, ein offenes Geheimnis. Nicht alle sind schon sozusagen zu hundert Prozent im digitalen Zeitalter angekommen; aber wir sind deutlich besser geworden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für die Antwort. Vielleicht können Sie noch mal auch den Bürgern in unserem Land, die ja wissen, dass das Thema Digitalisierung kein banales ist, sondern ein sehr wichtiges, und dass wir international durchaus ein Stück weit durchgereicht werden, Ihre Position erklären. Sie haben jetzt ja viele verschiedene Antworten gegeben. Finden Sie es wichtig, dass es geschaffen wird? Und sind die Hürden so hoch, dass sie nicht zu nehmen sind? Oder planen Sie zumindest, in naher Zukunft darauf hinzuwirken, dass wir hier weiterkommen und eben nicht nur eine Koordinierung im Kanzleramt haben? Im Übrigen ist die Kontrolle des Kanzleramts durch das Parlament durchaus eingeschränkt. Planen Sie, das noch in Angriff zu nehmen oder nicht? Ich glaube, die Menschen in unserem Land würden gern wissen, wie Sie das persönlich sehen.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich habe Ihnen ja den augenblicklichen Sachstand gesagt. Ich glaube, dass wir bei den Fragen der Digitalisierung jetzt mal in der Sache arbeiten sollten. Da sind wir strukturell deutlich vorangekommen. Ich nenne nur das Stichwort „IT-Konsolidierung“: leider etwas teurer als gedacht, aber jetzt doch sehr viel wirksamer organisiert. Ich könnte viele andere Dinge nennen, das Onlinezugangsgesetz zum Beispiel, das im Innenministerium entwickelt wird. Diese Arbeit machen wir jetzt. Ich plane im Augenblick keine strukturellen Veränderungen, sondern ich plane, dass wir unsere selbstgesteckten Ziele erfüllen, und da haben wir alle Hände voll zu tun. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Katrin Staffler, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.

Katrin Staffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004901, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen sind nicht unbedingt die allereinfachsten; das ist nicht sehr überraschend. Deswegen begrüße ich es, dass der Europäische Rat seinen Präsidenten jetzt dazu aufgefordert hat, dass er die Verhandlungen in die Hand nimmt und auch zu einem Ende bringt. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung im Oktober gesagt, dass die Erfüllung der Ziele mit Bezug auf die Zukunft der Europäischen Union auch durch entsprechende Mittel im Haushalt unterstützt werden muss. Dies gilt – so haben Sie gesagt - für den Klimaschutz, die Migration und ein forschungsstarkes und innovatives Europa sowie eine stärkere Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik. Jetzt gibt es eine aktuelle Umfrage der Europäischen Bewegung Deutschland, die zeigt, dass die Menschen Investitionen in genau diese Bereiche wollen. Gleichzeitig muss hier aber ein Ausgleich zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten stattfinden. Deswegen meine Frage: Wie schätzen Sie die Lage in Brüssel ein, nachdem Herr Michel die Verhandlungen übernommen hat? Welche Verhandlungsziele verfolgen Sie mit Bezug auf unsere deutschen Interessen? Und gehen Sie davon aus, dass es gelingen wird, unsere Ziele entsprechend zu erreichen? – Danke schön.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Es ist eine ungewöhnlich komplizierte Aufgabe, die da vor uns liegt, und ich hoffe, die kroatische Präsidentschaft geht noch einige Schritte, damit das nicht alles bei der deutschen Ratspräsidentschaft landet. Der Entwurf, den die finnische Präsidentschaft jetzt vorgelegt hat, hat nicht die Zustimmung der Mitgliedstaaten gefunden; das heißt, es muss neu nachgedacht werden. Ja, einerseits sind die zur Verfügung stehenden Gelder natürlich begrenzt. Andererseits haben wir eine Vielzahl von neuen Aufgaben. Ich hoffe, wir werden in den nächsten Monaten einen guten Kompromiss hinbekommen. Ganz schlecht wäre, wenn wir bis Ende 2020 gar keine Lösung hätten. Deutschland ist in bestimmter Weise auch besonders betroffen; denn wir haben neue Bundesländer, die noch erhebliche Strukturmittel brauchen. Gleichzeitig sind wir natürlich an der Lösung der Zukunftsaufgaben interessiert, und auch unsere Landwirte sollen Sicherheit haben. Also, mindestens die Quadratur des Kreises.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Susanne Ferschl, Die Linke, stellt die nächste Frage.

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, am Montag war der Fachkräfteeinwanderungsgipfel. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von uns geht allerdings hervor, dass es lediglich in 7 von 144 Berufsgruppen einen echten Fachkräftemangel gibt und eine wesentliche Ursache für die offenen Stellen bei den zu niedrigen Löhnen und unattraktiven Arbeitsbedingungen liegt; ich nenne mal das Stichwort „Befristungen“. Meine Frage an Sie ist: Wie wollen Sie denn diese hausgemachten Probleme beheben?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich kenne diese Anfrage nicht. Es gibt bestimmte Berufsgruppen, bei denen es besonders virulent ist, zum Beispiel im Pflegebereich, und da gehen wir zweigleisig vor. Einerseits wollen wir unser eigenes Erwerbspotenzial ausschöpfen und die Arbeitsbedingungen verbessern. Die Bundesregierung hat im Bereich der Pflege jetzt vieles auf den Weg gebracht. Andererseits wird es trotzdem so sein, dass wir auch ausländische Pflegekräfte brauchen. Ich glaube, das Handwerk hat gesagt, dass es bei ihm allein 250 000 offene Stellen gibt, wenn ich das recht in Erinnerung habe, und dort sind die Arbeitsbedingungen nicht durchgehend schlecht. Sie sind nicht überall schon ausreichend gut, aber durchaus solide. Deshalb glaube ich: Wir müssen einerseits daran arbeiten, dass möglichst viele Menschen zu guten Bedingungen erwerbstätig sein können, und andererseits werden wir nichtsdestotrotz auch Fachkräfte aus Drittstaaten brauchen. Wir haben ja schon eine erhebliche Anzahl an Fachkräften aus der Europäischen Union.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage, Frau Kollegin?

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Fast 1,5 Millionen junge Menschen unter 30 Jahren haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Ich denke, dort liegt ein wichtiges Potenzial auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Meine Frage an Sie, Frau Bundeskanzlerin, ist: Wie wollen Sie denn diesen jungen Menschen eine Perspektive geben, damit wir nicht, so wie es in der „Süddeutschen“ gestanden hat, die „Abgehängten von morgen“ schaffen?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Erst mal müssen wir darauf achten, dass die Schulabgänger möglichst einen ordentlichen Schulabschluss haben. ({0}) Dann haben wir bei der Bundesagentur für Arbeit sehr, sehr viele Maßnahmen, die immer wieder gerade auch jungen Menschen Nachqualifizierungen ermöglichen. Glücklicherweise sind nicht alle 1,5 Millionen junge Menschen, die keinen Berufsabschluss haben, arbeitslos, sondern finden auch Arbeit; aber die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, ist größer. Deshalb gibt es viele Qualifizierungsmöglichkeiten, selbst wenn man schon nicht mehr ganz so jung ist. Ich glaube, das Problem ist eher, dass man manche auch erst dahin leiten muss, weil nicht jeder sofort akzeptiert, dass man lebenslang lernen muss.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Bundeskanzlerin, Ihnen ist die dramatische Lage in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln sicher bewusst; sicher haben Sie unlängst Kenntnis davon erlangt. Derzeit leben circa 5 000 unbegleitete minderjährige Kinder in den europäischen Hotspots auf den griechischen Inseln. Ärzte ohne Grenzen hat sich in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gewandt, also auch an Sie, mit der Bitte, diese Lage, die dramatisch ist, besonders in den Blick zu nehmen; sie berichten von vermehrten Suizidgedanken, aber auch ‑versuchen unter diesen Kindern, die in diesen Hotspots teilweise schon seit Monaten, Jahren ausharren müssen. Vor diesem Hintergrund und auch mit dem Wissen, dass das griechische Asylsystem mit dieser Frage überfordert ist, möchte meine Fraktion von Ihnen wissen, ob Sie bereit sind, sich für eine Ad-hoc-Aufnahme von einem Teil dieser Kinder, einem großen Teil, großzügigen Teil dieser Kinder nach Deutschland einzusetzen oder nicht.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir haben ja eine ganze Reihe von humanitären Gesten immer wieder gemacht. Ich glaube, wir müssen aber auch andere europäische Länder davon überzeugen, dass sie sich beteiligen. Wir haben Griechenland sehr konkret geholfen und helfen Griechenland. Das THW ist, glaube ich, in Griechenland tätig, aber vor allen Dingen in Bosnien-Herzegowina. Der Parlamentarische Staatssekretär Mayer war mit Herrn Schmidt jüngst in Bosnien-Herzegowina. Das THW baut dort ein völlig neues Flüchtlingslager auf. Ich habe meine europäischen Kollegen, ehrlich gesagt, auch einmal darauf hingewiesen, dass es nicht nur ein deutsches Problem ist. Wir sehen die Lage. Wir sind mit dem griechischen Ministerpräsidenten im Gespräch. Aber wenn Europa ein Europa der Werte ist, sind auch andere mit gefordert. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das beantwortet meine Frage leider nicht. Wir haben tatsächlich gefragt, ob es eine Ad-hoc-Aufnahme geben kann von diesen Kindern aus Griechenland nach Deutschland. Wir wissen es sehr zu schätzen, dass Horst Seehofer auch an dieser Stelle endlich sozusagen den richtigen Weg verfolgt und sagt: Wir brauchen eine andere Verteilung innerhalb Europas, eine solidarische. – Da haben Sie uns Grüne an Ihrer Seite. Aber dennoch ist es ja so, dass wir in Deutschland deutlich weniger Erstasylanträge haben als in Griechenland. Das heißt, dieses Land braucht Unterstützung. Derzeit wird das besonders an dem Schicksal dieser Kinder konkret. Deshalb noch mal die Frage: Eine Ad-hoc-Aufnahme – es handelt sich in diesem Fall um 5 000 Kinder – nach Deutschland, ist das eine denkbare Option?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Mayer sagt mir gerade noch einmal, es werden die Gespräche geführt, auch um diese konkrete griechische Bitte. Es gibt noch keine Entscheidung. Deutschland tut aber auch sehr viel, dass sich die konkreten Lebensbedingungen auf den griechischen Inseln verbessern. Insofern ist beides sozusagen in Arbeit.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Detlev Spangenberg, AfD, stellt die nächste Frage.

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Bundeskanzlerin, vielen Dank, dass ich die Frage stellen kann. – Es geht um das Thema Patientenwohl. Fehlende Fachkenntnisse ausländischer Ärzte aus Drittstaaten, die in Deutschland arbeiten, haben bereits Menschenleben gekostet. Der Deutsche Ärztetag stellte hierzu fest: Die bisher durchgeführten Kenntnisprüfungen reichen nicht aus, zumal die dabei zutage tretenden Kenntnisse nicht selten im Gegensatz zur behaupteten Qualifikation stehen. Fälschungen von Zeugnissen und Urkunden sind nur schwer erkennbar und noch schwerer nachzuweisen. Selbst echte Dokumente aus Drittstaaten bieten keine Gewähr für korrekt bescheinigte Qualifikationen. Fehlende Fachkenntnisse usw. haben, wie ich sagte, schon Probleme bereitet. Die Frage: Halten Sie es deshalb für geboten, zukünftig bundeseinheitlich sicherzustellen, dass ausländischen Ärzten aus Drittstaaten eine Berufserlaubnis oder Approbation grundsätzlich erst nach einem Dritten Staatsexamen des Medizinstudiums, entsprechender Prüfung, nachdem der Arzt gute Fähigkeiten der sprachlichen Kommunikation nachgewiesen hat, erteilt wird?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Also, ich habe den Eindruck, dass diese Anerkennungsstellen für die staatlich anzuerkennenden Berufe sehr anspruchsvoll sind, dass die Länder sich auch untereinander abstimmen. Es gibt immer noch viele offene Stellen, auch im Pflegebereich. Bei den Ärzten ist es eine ziemlich einheitliche Vorgehensweise. Wir haben bei Ärzten jetzt gerade auch Fragestellungen bezüglich eines bestimmten Landes. Also, ich glaube, dass wir diesen Anerkennungsstellen vertrauen können.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Wollen Sie eine Nachfrage stellen?

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Meine Nachfrage ist: Würden Sie Ihren Einfluss geltend machen, dass wir ein einheitliches Prüfverfahren für die ausländischen Ärzte bekommen, damit diese Dinge, die hier festgestellt worden sind, nicht noch mal passieren?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Diese einheitliche Anerkennung muss durch die Länder geschehen. Die müssen sich einigen, wie sie da vorgehen; das ist keine Aufgabe des Bundes. Ich wünsche mir da möglichst viel Einheitlichkeit – das ist doch gar keine Frage –; aber das müssen die Länder miteinander verabreden. Ich glaube nur, dass gerade bei Ärzten ein ziemlich einheitliches Vorgehen gewährleistet ist.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Detlev Pilger.

Detlev Pilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004376, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt bin ich etwas überrascht, dass ich noch drankomme, aber vielen Dank. – Frau Bundeskanzlerin, eine kurze Frage, und zwar zur Sportstätteninfrastruktur in unserem Land. Sie ziehen die Augenbrauen hoch, wie ich sehe.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Nein.

Detlev Pilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004376, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Frage ist bei Ihnen angekommen. Sehr schwierig ist insbesondere die Situation der überschuldeten Kommunen zum Beispiel im Bereich von Hallenbädern. Der organisierte Sport hat ein Defizit von etwa 31 Milliarden Euro errechnet, das zu einem Rückstau bei Ausbau und Neubau führt. Wir fordern ein umfangreiches Investitionsprogramm insbesondere für Sportstätten. Meine Frage an Sie: Was werden Sie mit der Bundesregierung unternehmen, um diesen desaströsen Zustand – ich halte das für sehr schwierig; er hat Auswirkungen auf den Bildungsbereich, auf den Gesundheitsbereich – zu minimieren?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Der Sportminister hat ja auch das geäußert, was er an Vorstellungen hat. Ich habe deshalb so geguckt, weil Finanzministerium und Innenministerium so nett beieinandersitzen und natürlich auch die Haushaltslage in Betracht gezogen werden muss. Und selbstverständlich gibt es nicht nur überschuldete Kommunen. Vielmehr hat die Bundesregierung, glaube ich, schon mehr als zu früheren Zeiten getan, um die Kommunen in die Lage zu versetzen, ihrerseits auch Investitionen zu tätigen; das dürfen wir wirklich nicht vergessen. Aber nichtsdestotrotz, glaube ich, bleibt das Thema auf der Tagesordnung. Der Sportminister kann sich auch noch mehr gute Sportstätten vorstellen – habe ich gelesen.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nachfrage?

Detlev Pilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004376, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann das bestätigen. Aber im Bereich des Hallenbadausbaus reichen die Summen bei Weitem nicht aus. Um eine Zahl zu nennen: 60 Prozent der Zehnjährigen können nicht mehr schwimmen. Das ist in einem so reichen Land alarmierend. ({0}) Ich bitte da nochmals, Frau Bundeskanzlerin, ein Programm aufzulegen – wir haben den Goldenen Plan –, das insbesondere den Ausbau von Hallenbädern fördert. ({1})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich nehme Ihren Wunsch zur Kenntnis. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Wenn Sie noch eine Minute Zeit haben, Frau Bundeskanzlerin, können wir noch einen drannehmen. – Gero Hocker, FDP. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Frau Bundeskanzlerin, vor wenigen Wochen haben auch hier in Berlin die größten Bauernproteste stattgefunden, die unser Land jemals gesehen hat. Sie haben darauf reagiert, indem Sie einen Dialogprozess angekündigt und auch schon begonnen haben, der auf Augenhöhe mit den Betroffenen erfolgen und ergebnisoffen gestaltet sein soll. Gleichzeitig kursieren Referentenentwürfe über eine neuerliche Verschärfung der Düngeverordnung, die Fakten schaffen, bevor dieser Dialogprozess tatsächlich zu einem Ergebnis kommen kann. ({0}) Ich möchte von Ihnen gerne wissen, wie Sie verhindern wollen, dass diejenigen, die an diesem Dialogprozess beteiligt sind, es nicht als eine Farce wahrnehmen, wenn Politik hinter dem Rücken der Beteiligten schon Fakten schafft, bevor es zu einem Ergebnis hat kommen können.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich vermute mal, dass Sie wissen, wie der Stand bei der Düngeverordnung ist; sonst sage ich es gerne noch mal. Ein Zweitverfahren der EU-Kommission, eine zweite Klage, würde sofort dazu führen, dass wir pro Tag 800 000 Euro Strafe zahlen müssten plus eine Grundstrafe von mehreren Millionen Euro. Um das abzuwenden, gibt es intensive Gespräche der Umweltministerin und der Landwirtschaftsministerin in Brüssel. Ich habe den Bauern bei diesem Gipfel ganz klar gesagt, was wir variieren können, worüber wir reden können und was die Sachlage ist. Bei der Düngeverordnung ist es so, dass wir sie nicht in dem Maße erfüllen, wie das erwartet wird und wie das auch andere Länder machen. Insofern habe ich da sehr transparent mit den Bauern argumentiert. Wir wollen ein neues, gemeinsames Leitbild entwickeln, und ich finde, die Bauern haben es verdient, für die schwierige Arbeit, die sie in der Natur zu tun haben, insgesamt ein kleines bisschen mehr Anerkennung zu bekommen. Dann wäre vielleicht auch schon manches gelöst. ({0})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es wird Sie wahrscheinlich nicht wundern, Frau Bundeskanzlerin, dass diese vage Antwort mich und uns nicht befriedigen kann. Sie haben diesen Dialogprozess ja ganz bewusst an sich gezogen und haben ja auch das erste Treffen im Kanzleramt stattfinden lassen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie ganz persönlich und ganz konkret, ob Sie sich dafür einsetzen werden, dass zunächst eine wissenschaftliche Analyse darüber erfolgt, welche zusätzlichen Verursacher außerhalb der Landwirtschaft existieren, die verantwortlich sind für die erhöhten Messwerte beim Nitrat in unseren Grundwasserkörpern, und ob Sie anstreben, hier eine Priorisierung vorzunehmen, bevor Sie pauschal den Landwirten den Schwarzen Peter zuschieben.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich schiebe keinem Landwirt pauschal den Schwarzen Peter zu. Ich nenne nur den Sachverhalt. Ich finde, Sie würden den Bauern auch einen besseren Dienst erweisen, wenn Sie nicht den Eindruck erwecken würden, als könnten wir jetzt noch monatelange wissenschaftliche Analysen machen. ({0}) Wir sind in einer anderen Situation, und das wissen Sie auch. Ich finde, es ist wichtig, redlich zu sein. Deshalb war meine Antwort sehr spezifisch. Die Düngeverordnung muss erfüllt werden. Deshalb kann man überlegen, ob man sich noch mal bestimmte rote Gebiete mit anderen Messstellen anschaut, und Ähnliches. Aber wir werden nicht umhinkommen, in Brüssel Anstrengungen zu unternehmen, um nach menschlichem Ermessen die Düngeverordnung zu erfüllen. Das habe ich den Bauern auch gesagt. Es wäre schön, wir würden es alle tun; dann wäre das nämlich besser zu händeln. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin. Die 60 Minuten sind jetzt um.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Es sind 65 Minuten geworden; aber auch schön. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Ja, danke für die fünf Extraminuten. Die nehmen wir als Weihnachtsgeschenk. – Wir beenden damit die Befragung der Bundesregierung.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Am Donnerstag ist ein Referentenentwurf aus dem Justizministerium mit dem Ziel, Rechtsextremismus und Hasskriminalität besser zu bekämpfen, bekannt geworden. Das ist zunächst einmal ein hehres Ziel, ein gutes Ziel; aber auch ein guter Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Das Mittel des Justizministeriums, nämlich die Pflicht zur Herausgabe von Passwörtern, ist ein solches bedenkliches Ziel; denn Passwörter sind der Generalschlüssel zu unserem Leben. Dahinter stecken Finanzdaten. Dahinter verbergen sich Gesundheitsdaten. Wer hinter den Passwortzaun schaut, der findet da berufliche und private Kommunikation, der findet dahinter wichtige und viele Informationen über unser Familienleben, unser Privatleben, manchmal sogar über unser Intimleben. Was nun das Justizministerium will, das ist, einen Schlüsseldienst zu installieren für diesen Generalschlüssel zu unserem Leben. Das ist ein Angriff auf die Vertrauenswürdigkeit und die Integrität der IT, meine Damen und Herren. ({0}) Frau Ministerin, heute haben Sie im Rechtsausschuss dargetan, dass nach Ihrer Auffassung schon jetzt das Telemediengesetz es erlaube, Passwörter herauszuverlangen. Aber der Referentenentwurf, der bekannt geworden ist, setzt die Schwellen herab. Sie haben deswegen heute im Rechtsausschuss zutreffend von einer Verschärfung des ohnehin problematischen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gesprochen. Das entspricht auch der Logik Ihres angedachten Vorhabens. Denn Ihr Referentenentwurf will ja die Bekämpfung von Extremismus und Hasskriminalität vereinfachen. Dadurch aber senken Sie den Schutz von Passwörtern, die unser ganzes Leben schützen. Deshalb, meine Damen und Herren, weist dieser Referentenentwurf eine ganz neue Qualität auf. Denn wer den Passwortschutz überwinden kann, wer hinter diesen Zaun von Passwörtern blickt, dem eröffnen sich vielfältige Informationen, viel, viel weiter, als jede Telekommunikationsüberwachung und jede Wohnraumüberwachung dies leisten kann. ({1}) Die Speicher unserer Smartphones, die Festplatten unserer Clouds, unserer Laptops sind gewissermaßen ein ausgelagertes Gehirn. Passwörter schützen den Kernbereich privater Lebensgestaltung, und ein solcher Angriff auf den Kernbereich unseres Privatlebens muss verhindert werden. ({2}) Dass das Innenministerium immer schon daran interessiert war, Passwörter zu erhalten, das ist nichts Neues. Dass aber jetzt auch das Justizministerium in die Fußspuren des BMI tritt, das ist, meine Damen und Herren, eine enttäuschende Entwicklung, gerade für uns als Bürgerrechtspartei, als Freie Demokraten. ({3}) Früher war das Justizministerium eine Bastion gegen ausufernde Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse. Früher hat sich das Justizministerium einem übereilten Abbau von Bürgerrechten immer schützend entgegengestellt. Früher war oft das Innenministerium ereignisgetrieben, und das Justizministerium hat einen kühlen Kopf behalten. Jetzt aber schicken Sie sich an, das BMI noch rechts zu überholen. Hier erfolgt der große Lauschangriff im Netz, vor dem die FDP immer schon gewarnt hat, und die Union jubelt schon darüber. ({4}) Meine Damen und Herren, den Rechtsstaat vor der Gefahr von rechts zu schützen, ist ein hehres Ziel. Aber man kann den Rechtsstaat nicht schützen, indem man seine Regeln suspendiert. Wir brauchen nicht eine Notstandsgesetzgebung, um den Rechtsstaat zu schützen. ({5}) Unser Ziel muss es doch sein, Datenschutz und IT-Sicherheit zu verbessern. Unser Ziel muss doch sein, die IT-Sicherheit in Deutschland so gut wie möglich zu machen, Weltmeister zu werden im Datenschutz und bei der IT-Sicherheit. Ihr Entwurf bewirkt genau das Gegenteil. ({6}) Ihr Entwurf ist auch ein Angriff auf das Gebot der Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. ({7}) Denn für die geheime Aufklärung der Gefahren für unseren Rechtsstaat gibt es die Nachrichtendienste. Eine geheime Polizei gibt es nicht und wollen wir auch nicht. ({8}) Tragendes Prinzip unseres Rechtsstaates ist deshalb, dass unsere Sicherheitsstruktur auf diesem Trennungsprinzip aufgebaut wird. Ihr Referentenentwurf stellt einen Dammbruch dar. Von dort aus wäre der Schritt zu einer Geheimpolizei nicht mehr weit. ({9}) Deswegen sollte das Trennungsprinzip Eingang in unsere Verfassung finden. Vielen Dank. ({10})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Carsten Müller. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es bemerkenswert, dass bei einer von der FDP beantragten Aktuellen Stunde – schon daher kann man sich darüber unterhalten, ob das Thema einer Aktuellen Stunde würdig ist – insgesamt – warten Sie mal, ich zähle nach, das geht schnell – fünf Leute von Ihnen anwesend sind. ({0}) So viel zu der Wichtigkeit, die Sie dem Thema zumessen. ({1}) Das ist im Übrigen kein Einzelfall; ich komme darauf gleich noch zu sprechen. Meine Damen und Herren, Sie stellen Spekulationen über einen angeblichen Referentenentwurf an, der noch gar nicht in der Welt ist. Ich will eines allerdings vor die Klammer ziehen: Für den Erfolg von gesetzgeberischen Maßnahmen gegen Rechtskriminalität, Hassrede, verfassungsfeindliche Umtriebe im Netz insgesamt ist wichtig, dass wir eine große gesellschaftliche Akzeptanz für unsere gesetzgeberischen Maßnahmen erreichen. Meine Damen und Herren, das ist das Schlimme, was ich Ihnen vorhalten möchte: Sie arbeiten genau gegen diese gesellschaftliche Akzeptanz. Die informationelle Selbstbestimmung ist für die Union ein hohes Gut. Sie haben auf das Thema der Passwörter abgehoben. Wir finden bereits heute in der DSGVO eine aus meiner Sicht zutreffende und anspruchsvolle Regelung, die nämlich das Speichern von Passwörtern im Klartext für unzulässig erklärt. Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle eines ganz deutlich sagen: Mit vielen meiner Fraktionskollegen bin ich darüber einig, dass ein Verlangen der Herausgabe von Passwörtern tatsächlich problematisch ist und, wenn es erfolgt, dann überhaupt nur unter Nehmung hoher Hürden – da nenne ich den Richtervorbehalt – angedacht werden kann. ({2}) Im Übrigen befinde ich mich damit offensichtlich auch in weitgehender Übereinstimmung mit der Kanzlerin, die auf eine entsprechende Frage vor wenigen Minuten hier in diesem Hause genau so geantwortet hat. ({3}) – Ach, Herr Notz, Sie kommen auch gleich noch beim Thema NetzDG vor. Sie, verehrte Kollegen der FDP, fordern im Übrigen nach wie vor eine Abschaffung des NetzDG, ({4}) haben aber die letzten zwei Jahre tatenlos verstreichen lassen, diesen völlig überkommenen Ansatz Ihrer Politik zu korrigieren. Zum Thema Anwesenheit: Sie haben in der letzten Woche schon einmal versucht, dieses Thema ein bisschen zu inszenieren. ({5}) Wenn Sie an der Sachfrage interessiert sind, dann empfehle ich Ihnen und auch Ihren Kollegen aus den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, dass Sie, wenn im Fachausschuss, also im Rechtsausschuss, eine Anhörung zum dem Thema durchgeführt wird, in der überwiegenden Zeit mit wenigstens einem Mitglied Ihrer Fraktion an dieser teilnehmen. Das ist nämlich in Wahrheit in Ihrem Interesse. ({6}) Wir spekulieren nicht, wir handeln. Deswegen sei eines noch einmal gesagt: Wir arbeiten an der kontinuierlichen Bekämpfung von Hass und Hasskriminalität und machen das ganz konkret; Sie haben es vernommen. Heute wird verkündet, dass 600 neue Stellen beim Verfassungsschutz und beim BKA geschaffen werden. Das ist genau der richtige Weg, das ist der konkrete Weg, und er tritt Spekulationen entgegen. ({7}) Wir gehen das Thema NetzDG in zwei Stufen an; ich hatte davon schon in der vergangenen Woche berichtet. Die erste Stufe, initiiert von der Justizministerin und dem Innenminister, besteht aus einem Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Auch da gibt es sicherlich noch viele Dinge zu diskutieren. Wir haben die Meldepflicht für Anbieter sozialer Netzwerke hinsichtlich bestimmter strafbarer Inhalte diskutiert. Ich halte sie für sinnvoll, will hier aber durchaus eines sagen: Wenn wir uns über solche Ausleitungen von Daten unterhalten, dann macht es aus meiner Sicht Sinn, zu erwägen, ob eine Ausleitung von IP-Adressen oder von Daten bei der Verwendung von mobilen Endgeräten erst dann erfolgen kann, wenn durch die zuständigen Stellen im BKA ein Anfangsverdacht überhaupt bejaht wird. Das wird meines Erachtens dem besonderen Anspruch der Wahrung der informationellen Selbstbestimmung in einem besonderen Maße gerecht. Deswegen wollen wir diese Idee gerne weiterverfolgen. Wichtig ist, dass Hetzer in den sozialen Medien nicht mehr so leicht in der Anonymität der Masse verschwinden können. Ich will das erneuern: Die Bundesländer sind aufgerufen, entsprechende sachliche und personelle Kapazitäten zur Verfolgung solcher Taten vorzuhalten und einzurichten. ({8}) Ich hatte eben schon ausgeführt, dass im ersten Quartal des nächsten Jahres die Koalition das Netzwerkdurchsetzungsgesetz umfangreich novellieren wird. Das NetzDG hat sich außerordentlich bewährt. Es sind all die Befürchtungen nicht eingetreten, die geäußert worden sind und mit denen Panikmache betrieben worden ist – auch von Ihnen, Herr Kollege Dr. Notz. ({9}) Sie hatten ja befürchtet, Overblockings werden zum vollkommenen Erliegen kommen, die Meinungsfreiheit wird unterdrückt. ({10}) Das Gegenteil ist richtig: Die Meinungsfreiheit wird durch das NetzDG geschützt, wird unterstützt. ({11}) Wir arbeiten weiter daran. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächste spricht die Kollegin Joana Cotar für die Fraktion der AfD. ({0})

Joana Cotar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004696, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe Zuschauer! Stellen Sie sich einmal folgendes Szenario vor: Die chinesische Regierung erlässt ein Gesetz, in dem sie alle Internetdienste dazu verpflichtet, die Passwörter der Internetnutzer auf Anfrage herauszugeben, sodass die Behörden überprüfen können, ob diese sich auch staatstreu verhalten - ({0}) alles natürlich zum Wohle des Landes und der Bürger. Die Bösen können ganz schnell aussortiert werden, ({1}) und auf Dauer erzieht das Wissen um die mögliche Herausgabe der Passwörter die Chinesen zu rechtmäßigem Verhalten, und das kommt schließlich allen zugute – ein braves und folgsames Staatsvolk. „Typisch China!“, würden wir da sagen, uns mit Grausen abwenden, mit dem Finger auf die Verantwortlichen zeigen und fragen: Wie könnt Ihr nur?! Mit dem Finger können wir tatsächlich zeigen, meine Damen und Herren, aber nicht auf die Chinesen; diesen Irrsinn plant nicht das Reich der Mitte, diesen Irrsinn plant die eigene Bundesregierung. ({2}) Es ist unsere Regierung, die hier in Deutschland einen Überwachungsstaat etablieren will. Es ist unsere Regierung, die wieder einmal einen Vollangriff auf die Bürgerrechte fährt. ({3}) Es ist unsere Regierung, die das freie Internet und die Meinungsfreiheit endgültig beerdigen will. Im Zuge des angeblichen Kampfes gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität will das Bundesjustizministerium soziale Netzwerke dazu verpflichten, eventuell strafbare Beiträge automatisch an das Bundeskriminalamt weiterzuleiten, inklusive IP-Adresse und Portnummer des Nutzers. Die sozialen Netzwerke müssen diese in Zukunft also speichern, wobei die Speicherung von Portnummern sogar über die verfassungsrechtlich bedenkliche Vorratsdatenspeicherung hinausgeht. Ob die Beiträge tatsächlich strafbar sind oder ob die Daten völlig Unschuldiger weitergeleitet wurden, das entscheidet sich dann später. Aber das geht dem Ministerium noch nicht weit genug: Man will den Sicherheitsbehörden auch das Recht erteilen, Internetunternehmen wie Google, Twitter, Tinder, Facebook, aber auch Foren und Blogs zur Herausgabe von Passwörtern und anderen höchst vertraulichen Daten ihrer Kunden zu zwingen. Der Kreis der berechtigten Stellen, die diese Passwörter abfragen können, ist dabei weit gefasst und bezieht sich keineswegs nur auf die Behörden, die zur Bekämpfung des Terrorismus da sind. Denn die Herausgabe der Passwörter kann nicht nur bei Straftaten angeordnet werden, sondern schon bei Ordnungswidrigkeiten. Auch eine präventive Herausgabe zur Gefahrenabwehr soll möglich sein. Ja, selbst beim Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen soll die Verpflichtung greifen. Da sich das Gesetz auch gegen Hass im Internet richtet, werden auch Meinungsdelikte dazukommen. Der Richtervorbehalt ist hier eine reine Beruhigungspille; denn in der Regel stimmen die Richter solchen Ersuchen immer zu. ({4}) Rechtsstaat ade, Privatsphäre ade, Bürgerrechte ade. „Unfassbar!“, sagen Sie? Ja, aber für diese Regierung ist das nur ein logischer nächster Schritt im Kampf gegen das freie Internet. ({5}) Nach NetzDG und Uploadfiltern nun also die Passwortweitergabe – irgendwie wird man die renitenten Bürger, die sich immer noch eine eigene Meinung erlauben, schon kleinbekommen. ({6}) Denn was, glauben Sie, liebe Zuschauer, wird passieren, wenn Sie persönlich befürchten müssen, dass einer Ihrer Beiträge dazu führt, dass die Polizei demnächst Ihre Passwörter hat? Schreiben Sie noch, oder verkneifen Sie sich das? Und genau das ist das eigentliche Ziel der Regierung: Die Bürger sollen es sein lassen, das Volk soll weiter eingeschüchtert werden. Ein freies Internet ist von dieser Regierung nicht gewollt. Mündige und kritische Bürger sind von dieser Regierung nicht gewollt. ({7}) Dass der erneute Angriff auf die Bürgerrechte ganz in Maas’scher Tradition wieder aus dem SPD-geführten Justizministerium kommt, verwundert nicht – aus diesem Ministerium sind wir verfassungsrechtlich bedenkliche Ideen mittlerweile gewöhnt. Und natürlich passiert das alles nur zum Wohle der Bürger. Ich habe schon einmal hier im Plenum gesagt: Die Beschneidung der Freiheitsrechte wurde den Bürgern von der Politik schon immer als Schutz vor Gefahren verkauft. Es liegt an uns allen, das nicht mehr zu schlucken, meine Damen und Herren. Als geradezu absurd empfinde ich, die Bürger in diesem Staat mit der Datenschutz-Grundverordnung zu drangsalieren, sich selbst aber gleichzeitig einen Zugriff zur intimsten Kommunikation der Menschen sichern zu wollen. Dazu kommt, dass Passwörter bei vielen Onlinediensten nur verschlüsselt vorliegen – ganz im Sinne der DSGVO. Werden sie gezwungen, Passwörter im Klartext vorzuhalten, ist das eine Gefährdung der IT-Sicherheit, die sich kaum in Worte fassen lässt. Das Justizministerium verneint diese Pflicht noch. Die Gummiparagrafen im schwammig formulierten Gesetzestext lassen aber vermuten, dass der Druck auf die Anbieter so groß werden wird, dass sie von sich aus die Sicherheitsstandards senken werden. Wir als AfD lehnen diese Totalüberwachung der Bürger ab. ({8}) Wir stehen für ein freies Netz und für die Meinungsfreiheit in diesem Land. Schon im Mai dieses Jahres haben wir einen Antrag eingebracht „Freiheit im Internet – Bürgerrechte stärken“. Sie haben ihn damals alle abgelehnt. Aber, meine Damen und Herren, wir werden nicht aufgeben. ({9}) Wir werden weiter für die Freiheit kämpfen, für das Recht, offen seine Meinung zu sagen, ohne Angst und Drangsalierungen; denn das hatten wir schon einmal in Deutschland, und das wollen wir nicht wieder. ({10}) Mein Appell an die Bundesregierung und hier speziell an die Justizministerin: Hören Sie auf, die Grundrechte der Menschen zu beschneiden! Hören Sie auf, die Freiheitsrechte einzuschränken! Und hören Sie vor allen Dingen endlich auf, den Roman „1984“ als Bedienungsanleitung zu lesen! Vielen Dank. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächste spricht die Bundesministerin der Justiz für die Bundesregierung, Christine Lambrecht. ({0})

Christine Lambrecht (Minister:in)

Politiker ID: 11003167

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will jetzt zu den Fakten zurückkommen, zu dem, worum es eigentlich geht. ({0}) Ich habe bei manchen Beiträgen den Eindruck, zu viel Faktenwissen würde den Erzählfluss erschweren. ({1}) Deswegen will ich da jetzt zurückkommen. ({2}) Ich bin der FDP ausdrücklich dankbar dafür, dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben, gibt mir das doch die Möglichkeit, zu einem ganz wichtigen Thema aus meinem Ressort heute hier Stellung zu nehmen, nämlich zur Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet, zur Bekämpfung des bedrohlich zunehmenden Rechtsextremismus in diesem Land. ({3}) Wir waren uns bisher in diesem Haus zum größten Teil einig, dass wir dies konsequent tun müssen und nicht nur Sonntagsreden halten dürfen. Daran halte ich zumindest fest. ({4}) Wir haben in diesem Jahr gesehen, wie aus rechtsextremem Hass und rechtsextremen Bedrohungen Mordanschläge wurden. Die Spirale von Hass und Gewalt müssen wir stoppen und dafür die Mittel des Rechtsstaates konsequent nutzen. ({5}) Das hat die Bundesregierung mit ihrem Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität klargemacht und ich mit dem vorgelegten Gesetzentwurf, der nunmehr an die Verbände und die Länder zur Stellungnahme übersandt wird. Künftig gilt: Wer im Netz hetzt und droht, der wird härter, der wird effektiver verfolgt. ({6}) Dazu schlage ich umfassende Verschärfungen des Strafrechts vor: ({7}) In Zukunft kann es strafschärfend bewertet werden, wenn Beleidigungen im öffentlichen Raum, das heißt für jedermann zugänglich, erfolgen. Wir erleben es doch jeden Tag, wenn aus beleidigenden Posts in sozialen Netzwerken weitere, noch widerlichere Stellungnahmen folgen. ({8}) Mir hat jemand am Wochenende im Zuge der Debatte, die sich da jetzt aufgebaut hat, geschrieben, Beleidigungen müssten doch möglich sein, um Dampf abzulassen. Da kann ich nur raten: Wer Dampf ablassen will, der sollte Sport machen oder Holz hacken, aber nicht andere bedrohen oder beleidigen. ({9}) Wir wissen doch alle, dass das einen ganz anderen Zweck verfolgt: Es geht darum, Menschen mundtot zu machen, die sich für eine freie, für eine offene Gesellschaft einsetzen. ({10}) Damit muss Schluss sein, und deswegen schlage ich vor, den § 185 StGB zu verschärfen. ({11}) Ich schlage außerdem vor, dass wir dafür sorgen, dass Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die Stützen unserer Gesellschaft, diejenigen, die sich Tag für Tag vor Ort für unser Gemeinwesen engagieren, in Zukunft auch vom Schutz des § 188 vor übler Nachrede erfasst werden. ({12}) Es war ein Unding, dass sich dieser Schutz nach der Rechtsprechung ausdrücklich nur auf Bundestags- und Landtagsabgeordnete bezog und gerade Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker davon ausgenommen waren. Damit muss Schluss sein, und deswegen schlage ich mit diesem Referentenentwurf eine entsprechende Änderung vor. ({13}) Und es muss auch Schluss damit sein, dass unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit im Internet in den sozialen Netzwerken gehetzt und bedroht wird. Es muss endlich wieder gelten, dass die Meinungsfreiheit da endet, wo das Strafrecht beginnt. ({14}) Ja, diesen Grundsatz will ich durchsetzen, und deshalb schlage ich eine Pflicht der Plattformbetreiber zur Meldung von Usern über Posts zum Beispiel mit Volksverhetzung oder Morddrohungen vor, die sie an eine Zentralstelle des BKA weiterleiten müssen. ({15}) Wir kennen dieses Prinzip schon aus der Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung. ({16}) Da sind die Banken, also private Unternehmen, verpflichtet, bei auffälligen Transaktionen diese an die Financial Intelligence Unit weiterzuleiten, die dann die Transaktionen auf strafrechtliche Hintergründe prüft. Ich kenne Kolleginnen und Kollegen aus der FDP, aber auch aus anderen Fraktionen, die das gerne noch auf andere Privatunternehmen erweitern möchten, sodass zum Beispiel auch Autohändler usw. melden müssen. ({17}) Was zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung möglich ist, das muss, mit Verlaub, erst recht machbar sein, wenn es um Morddrohungen oder Volksverhetzung geht. ({18}) Ja, Internetplattformen müssen in Zukunft, um Täter identifizieren zu können, IP-Adressen an eine Zentralstelle des BKA weitergeben, die übrigens mit mehreren Hundert Stellen ausgestattet wurde, damit sie dieser Aufgabe auch konsequent nachgehen kann; denn nur so kann schnell und konsequent ermittelt werden, wer hinter den strafbaren Posts steckt. Meine Damen und Herren, Staatsanwaltschaften und Polizei können übrigens heute schon die Herausgabe von Bestandsdaten von Internetplattformen verlangen – dazu gehören auch Passwörter –, nämlich unter Rückgriff auf die allgemeinen Ermittlungsbefugnisse, die aber relativ unbestimmt sind und einen breiten Ermessensspielraum zulassen. ({19}) Die Internetplattformen dürfen die Daten auch herausgeben. Und wieso ist das denn möglich? Weil im Jahr 2007 das Telemediengesetz beschlossen wurde! Seit 2007 sind Bestandsdaten, also auch Passwörter, von der Auskunftspflicht umfasst – damals beschlossen von der Großen Koalition. Wissen Sie, welche Fraktion dem außerdem zugestimmt hat? ({20}) Die FDP, obwohl sie in der Opposition war! ({21}) Quelle surprise! Im Jahre 2013 wurde dann das Telekommunikationsgesetz nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts präzisiert, gerade in Bezug auf die Bestandsdatenauskunft. Dieses Telekommunikationsgesetz wurde genau so formuliert, wie wir es jetzt im Entwurf auch für das Telemediengesetz vorsehen. 2013, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, war es die FDP-Justizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die genau diese Formulierung umgesetzt hat. ({22}) Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP haben dem zugestimmt, und ich sage: zu Recht. ({23}) Was schlage ich jetzt vor, das diese Welle der Empörung auslöst? Schlage ich erstmals vor, dass Passwörter abgegriffen werden dürfen? Ist das die Idee von Christine Lambrecht? Nein, ist es nicht! Ich habe es ja beschrieben: Es ist schon sehr lange möglich, ist also überhaupt nichts Neues. – Was ich möchte, ist, diese Regelung zu präzisieren, weil sie nämlich nicht so präzise ist, ({24}) wie ich mir das als Justizministerin vorstelle. Die Staatsanwaltschaft soll in Zukunft nur im Einzelfall und nur mit schriftlichem Ersuchen die Befugnis bekommen, Zugangsdaten von Internetplattformen herauszuverlangen. Bei Passwörtern muss das zudem ein Richter anordnen. Es ist also glasklar, dass genau die Passwortherausgabe, die jetzt die Gemüter so erregt, unter dem Richtervorbehalt steht. Ja, selbstverständlich! ({25}) Schlage ich jetzt vor – was auch unterstellt wird –, dass in Zukunft Passwörter nicht mehr verschlüsselt zu speichern sind, sondern unverschlüsselt herausgegeben werden müssen? Ich wurde heute sogar gefragt, ob ich denn überhaupt wisse, dass das verschlüsselt zu erfolgen hat. Meine Güte! Ja, ich weiß es nicht nur, sondern ich halte auch daran fest, dass nach der Datenschutz-Grundverordnung die Diensteanbieter Passwörter verschlüsselt speichern müssen. ({26}) Jetzt kommt die Frage: Warum dann die Passwörter überhaupt herausgeben, wenn sie doch fast immer verschlüsselt sind? Das kann ich Ihnen sagen: Weil durchaus folgendes Szenario denkbar ist: Wenn eine Staatsanwaltschaft zum Beispiel wegen eines Terroranschlags ermittelt und feststellt, dass dem Beschuldigten ein bestimmter Account zugeordnet werden kann, dann soll die Behörde das verschlüsselte Passwort herausverlangen dürfen. ({27}) Sie hat dann die Chance, zu versuchen, dieses Passwort mit extrem hohem Aufwand selbst zu knacken und so die Identität des Terrorverdächtigen zu erfahren oder auch zu erfahren, mit wem er Kontakt hatte. ({28}) Ich glaube, das ist ein Anwendungsfall, wo man es durchaus verantworten kann. ({29}) Um solche Fälle geht es, wenn wir über die Herausgabe von Passwörtern reden. ({30}) In jedem Einzelfall – in jedem Einzelfall! – prüft ein Richter die Verhältnismäßigkeit. Das ist mir ganz wichtig, und das will ich endlich auch festgeschrieben haben. Das fehlt nämlich. ({31}) Bei all der Aufregung und bei all diesen Unterstellungen – ich würde jetzt etwas neu regeln, was es noch nie gab – kann ich nur sagen: Lassen Sie uns im neuen Jahr ein bisschen mehr zur Sachlichkeit zurückkommen. ({32}) Lassen Sie uns diesen Entwurf wirklich sachlich diskutieren und nicht mit Befürchtungen, Besorgnissen, Ängsten arbeiten. Das ist in diesen Fragestellungen nie gut. Wir wollen mit konsequenten, aber auch mit rechtsstaatlichen Maßnahmen dafür sorgen, dass der Rechtsstaat handelt, weil wir es nicht zulassen, dass durch den sich immer weiter ausbreitenden Rechtsextremismus, durch Hass und Hetze im Internet die Axt an diesen Rechtsstaat, an unsere Demokratie gelegt wird. Vielen Dank. ({33})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege Niema Movassat. ({0})

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stellen wir uns mal vor, die Bürgerrechte wären ein schutzbedürftiger Wald. Dann wäre die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD der durchgedrehte Holzfäller, der alles klein hackt. ({0}) Sie haben seit 2013 die Befugnisse der Geheimdienste erheblich erweitert, die Vorratsdatenspeicherung eingeführt, Staatstrojaner erlaubt, die Videoüberwachung ausgebaut und beschlossen, dass Fluggastdaten für fünf Jahre gespeichert werden müssen. Zuletzt haben Sie die Beschuldigtenrechte im Strafprozess eingeschränkt. ({1}) Diese Bundesregierung ist eine Gegnerin von Bürgerrechten, und deshalb stehen wir als Linke in klarer Opposition zu Ihrer Politik. ({2}) Und Ihr neuester Axtschlag gegen die Bürgerrechte kommt aus dem Justizministerium, das ja eigentlich das Bollwerk für die Grundrechte sein sollte. Sie haben, Frau Ministerin Lambrecht, einen Referentenentwurf vorgelegt, die Vorstufe zum Gesetzentwurf, der sich – angeblich – gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus richtet. Natürlich brauchen wir einen entschiedenen Kampf gegen Hass und Neonazismus; die rechte Ecke in diesem Haus zeigt das jede Sitzungswoche erneut. Aber die Ursachen für Hass und Hetze von rechts spielen bei Ihrem Entwurf leider keine Rolle. Ihre einzige Antwort auf Hass und Hetze im Internet ist Bestrafen ohne Sinn und Verstand. ({3}) So wollen Sie einen neuen Straftatbestand schaffen, nach dem sogar das Billigen von Straftaten strafbar ist, die noch gar nicht begangen wurden und vielleicht niemals begangen werden, wo also noch gar kein Rechtsgut bedroht ist. Das hat schon ein wenig was von „Minority Report“. Jedenfalls hat es mit seriösem Strafrecht nichts zu tun. ({4}) Vor allem aber wollen Sie den Überwachungsstaat ausbauen. Sie wollen eine explizite Regelung schaffen, nach der Polizei, Geheimdienste und sogar städtische Ordnungsämter in Zukunft die Passwörter der Bürger herausverlangen können. ({5}) Die Datenschutz-Grundverordnung verlangt – Sie hatten es gerade erwähnt –, dass Betreiber von Internetplattformen die Passwörter ihrer Nutzer verschlüsselt speichern müssen. Eine Herausgabepflicht läuft also ins Leere, und das ist auch gut so. ({6}) Angesichts dieser klaren Rechtslage fragt man sich schon, warum Sie diese sogenannte Präzisierung – eigentlich ist es ja eine Ausweitung – der bisherigen Herausgabepflicht für Passwörter vornehmen. ({7}) Wenn Sie wirklich irgendwann auf die Idee kommen sollten, Internetplattformen zu verpflichten, Passwörter auslesbar zu speichern, ergeben sich massive Gefahren für die digitale Sicherheit im Land. ({8}) Jeder Angestellte einer Internetplattform könnte die E-Mails der Nutzer lesen, Kriminelle könnten sie leichter hacken. Wenn Sie es ernst meinen mit dem Thema „digitale Sicherheit“, Frau Lambrecht, dann schaffen Sie keine Unklarheiten und verzichten Sie auf eine Verschärfung der Herausgabepflicht für Passwörter. Der Vorstoß von Ihnen geht aber noch weiter: Die Ermittlungsbehörden sollen laut Ihrem Entwurf sämtliche Bestands- und Verkehrsdaten der Nutzer von den Internetplattformen herausverlangen können. Es geht also nicht nur um Anruflisten oder darum, wer wem wann eine SMS gesendet hat – das wird ja bereits heute alles erfragt –; es geht darum, dass der Staat das gesamte Onlineverhalten eines Bürgers nachvollziehen kann: jede Suchanfrage bei Google, jedes abgespielte Video bei YouTube, jeder Ort an und jede Uhrzeit, wo sich eine Person jemals bei Facebook eingeloggt hat. All das und mehr wäre dann für staatliche Behörden auslesbar. Auch die Strafverfolgung rechtfertigt es nicht, den gläsernen Bürger zu schaffen, Frau Lambrecht. ({9}) Sie wollen das sogar für Ordnungswidrigkeiten einführen. Taten auf dem Level des Falschparkens als Rechtfertigung dafür, das gesamte Onlineverhalten von Personen auszuforschen, das geht gar nicht, Frau Ministerin. ({10}) Dann wollen Sie noch eine Meldepflicht der Internetanbieter für Straftaten einführen. Diese soll sich auch auf einige Äußerungsdelikte beziehen. Wenn beispielsweise einer der Millionen Nutzer von Facebook meint, ein Kommentar sei strafbar, dann muss die Internetplattform, nach Ihrem Entwurf, das beim Bundeskriminalamt melden, und zwar mitsamt IP-Adresse und Portnummer des Nutzers. Gerade bei Äußerungen ist es häufig schwer bestimmbar, was strafbar ist und was nicht. ({11}) Dass bei einem Verdacht eines einzelnen Nutzers dann direkt alle Daten übertragen werden, geht sehr weit. Mit so einer Meldepflicht werden zudem massenweise Daten beim BKA gespeichert werden, und das kommt einer Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür gleich. Frau Lambrecht, Ihr Entwurf ist ein sehr heftiger Eingriff in die Bürgerrechte in diesem Land. Wenn Sie es mit den Bürgerrechten ernst meinen, dann würden Sie diesen Referentenentwurf erst gar nicht hier im Bundestag einbringen. In Richtung der SPD will ich sagen: Sie haben mit Saskia Esken gerade erst eine ausgewiesene Digitalexpertin als Parteivorsitzende gewählt. ({12}) Mit Ihrem Referentenentwurf, der ganz massiv in die Freiheit des Internets eingreift, beschädigen Sie auch Ihre neue Parteivorsitzende. ({13}) Ich kann Ihnen wirklich nur empfehlen: Seien Sie nicht für diesen Entwurf. Danke schön. ({14})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Konstantin von Notz. ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Jahren ringen wir hier um das richtige Maß: berechtigte Sicherheitsinteressen gegen den Schutz der Freiheitsrechte in unserer digitalisierten Welt. Aber Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition oder den Großen Koalitionen der letzten zehn Jahre, haben es noch nicht mal geschafft, die absoluten Grundlagen der Sicherheit in der digitalisierten Welt zu schaffen, und das sind die konsequente Verschlüsselung und ein konsequenter Schutz der intimsten Privatsphäre in der digitalisierten Welt. ({0}) Statt verpflichtender Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen gab es die Vorratsdatenspeicherung. Und wenn Sie sich schon so empören wie gerade, liebe SPD: Fragen Sie mal Ihre Fachpolitikerin, die gerade Parteivorsitzende geworden ist! Da haben Sie fröhlich zugestimmt. ({1}) Bis heute haben wir keine klaren Standards zur Gewährleistung der Integrität digitaler Infrastrukturen und von Geräten des Internet of Things. Stattdessen handeln Sie weiter mit Sicherheitslücken, die die Bürgerinnen und Bürger genauso wie die Unternehmen bedrohen, und das ist absolut inakzeptabel, meine Damen und Herren. ({2}) Jetzt legen Sie diesen Entwurf vor, Frau Ministerin: die Ausweitung der Regelung im TKG zur Bestands- und Verkehrsdatenauskunft auf das Telemediengesetz, also im Zweifel auch auf Services zur Onlinepasswortverwaltung und vieles, vieles mehr. Das ist der entscheidende Punkt. Das alles tun Sie unter dem Deckmantel des absolut wichtigen Kampfes gegen strafrechtlich relevanten Hass und Hetze im Netz. Der Kampf ist richtig und wichtig. Aber was bitte schön, Frau Ministerin, haben die Passwörter von 82 Millionen Bürgerinnen und Bürgern und die IP-Übermittlung bei Urheberrechtsverstößen – wohlgemerkt: ohne Richtervorbehalt – mit dem notwendigen rechtsstaatlichen Kampf gegen diejenigen zu tun, die unsere Demokratie zersetzen wollen? ({3}) Ich sage es Ihnen: Gar nichts hat das damit zu tun. Gerade in diesen Zeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, in denen Rechtsextreme, Feinde der Freiheit und Fans des Totalitären am Abriss unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung arbeiten, braucht es Entschlossenheit – das ist richtig –, aber es braucht eben auch Differenz und einen klaren rechtsstaatlichen Kompass. ({4}) Das alles fehlt diesen Plänen, und deswegen werden sie zwei Tage nach der Vorlage zu Recht auch schon als großer Lauschangriff im Netz bezeichnet, Frau Lambrecht. Dass man nun auch noch offensichtlich vorsätzlich die traditionelle Linie des Justizministeriums als bürgerrechtliches Korrektiv verlässt und selbst die Freiheitsrechte mit schleift, ist ein rechtsstaatlicher Dammbruch – das teile ich, Herr Kollege Thomae –, und den machen wir nicht mit. ({5}) Viel zu lange haben Sie nichts gegen den ausufernden Hass und gegen demokratie- und staatszersetzende Hetze getan. ({6}) Dann kam, Frau Kollegin Högl, das halbgare NetzDG in der allerletzten Kurve der letzten Legislaturperiode, hier viel zu kurz beraten. Dann haben Sie zwei Jahre lang die notwendige Überarbeitung liegen lassen. Ich sage nur: Put-back-Verfahren, Zustellungsbevollmächtigter und vergleichbare Transparenzberichte, alles liegen gelassen. ({7}) All das nehmen Sie hier nicht auf, sondern Sie schieben hier ein solches Trojanisches Pferd in den Raum. Aber in diesen Zeiten gilt: Verlieren wir den Schutz unserer Freiheit im Digitalen, dann verlieren wir ihn in allen Lebensbereichen. Deswegen können wir nur an Sie appellieren: Nutzen Sie die kommenden hoffentlich ruhigen Tage, Frau Lambrecht! Gehen Sie in sich, und nehmen Sie diesen Referentenentwurf so zurück! Wenn ich die Diskrepanz zwischen dem im Rechtsausschuss heute Morgen und Ihrer Rede eben richtig wahrgenommen habe, arbeiten Sie schon ein bisschen daran. ({8}) In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein frohes Fest. Vielen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Dr. Volker Ullrich für die Fraktion CDU/CSU. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal einordnen, um was es eigentlich geht. ({0}) Es geht um den Kampf gegen den gewaltbereiten Rechtsextremismus. Wir wollen ein Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, weil die Ereignisse der letzten Wochen und Monate uns tief erschüttert haben: die Gewalttat, der Mord in Halle, der Mord an Walter Lübcke und viele Hunderttausend Einschüchterungsversuche gegen aufrechte Demokraten im Netz; von Morddrohungen und Billigung von Straftaten ganz zu schweigen. Für uns ist klar: Wir werden vor diesen Bedrohungen nicht zurückschrecken, sondern der Rechtsstaat wird stark und handlungsfähig sein und dem Rechtsextremismus klar und deutlich die Stirn bieten. Das ist der Auftrag, den wir zu erfüllen haben, meine Damen und Herren. ({1}) Da gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die alle ihre Berechtigung haben. Wir wollen bei den Strafzumessungsvorschriften das Merkmal „antisemitisch“ aufnehmen, damit wir den antisemitischen Gehalt einer Straftat erfassen und deutlich bestrafen können. Wir wollen in § 188 des Strafgesetzbuchs Kommunalpolitiker besonders schützen, weil es nicht sein kann, dass sich der Schutz nur auf Bundes- und Landespolitiker erstreckt. Vielmehr müssen auch diejenigen, die sich vor Ort für die Gemeinschaft einsetzen, einen strafrechtlichen Schutz erfahren. Wir müssen natürlich auch in den Netzen gegen Hass und Hetze vorgehen. Sicherlich ist der politische Meinungsstreit ein Streit, der auch mit harten Bandagen geführt werden darf und kann; aber die Grenze ist doch dort erreicht, wo die Integrität des anderen, die Würde des Einzelnen und die Billigung von Straftaten erreicht ist. So führt man keine politischen Auseinandersetzungen. Deswegen ist es richtig, dass sich der Rechtsstaat dieses Problems noch viel deutlicher annimmt, meine Damen und Herren. ({2}) Eine Beleidigung im Netz hat übrigens eine ganz andere Wirkung als eine Beleidigung irgendwo auf der Straße, weil die Anzahl derjenigen, die davon etwas mitbekommen, potenziell unbegrenzt ist und weil Mobbingopfer im Netz diese viel stärker empfinden als jemand, der eine Beleidigung nur an den Kopf geworfen bekommt. ({3}) Deswegen ist es richtig, dass wir Leitplanken einziehen für eine ordentliche und anständige Diskussion, auch im Netz. Das muss dieser Referentenentwurf leisten. Ich bin sicher, dass er es leisten wird. Mehr Stellen beim Bundeskriminalamt. Wir wollen die Anbieter in die Pflicht nehmen. Die Anbieter haben eine Pflicht. Sie können nicht auf der einen Seite durch den entsprechenden Traffic die Werbeeinnahmen generieren und auf der anderen Seite aber nichts damit zu tun haben wollen, wenn es um Hass und Hetze geht. Es ist die Kehrseite der Medaille, dass wir hier die Anbieter stärker in die Pflicht nehmen; denn es kann nicht sein, dass der politische Diskurs in unserem Land dadurch vergiftet und damit die Demokratie gefährdet wird, meine Damen und Herren. ({4}) Jetzt zum Thema Passwörter: Es findet sich nirgendwo, weder im Telemediengesetz noch im TKG noch in der Strafprozessordnung, der Begriff „Passwörter“. ({5}) Es geht vielmehr um die Frage: Was sind Bestandsdaten, und was sind keine Bestandsdaten? Da muss zunächst einmal unterschieden werden. Ja, Passwörter und damit der Zugriff auf Konten und persönliche Accounts gehören natürlich zum besonders geschützten Bereich der Persönlichkeit. Es kann nicht sein, dass hier ein Zerrbild gezeichnet wird – auch von den Kollegen der Linken –, nach dem der Staat jetzt auf einmal Zugriff auf alles haben möchte. Das ist bislang weder die jetzige Rechtslage, noch wird es zukünftig Rechtslage sein. Bereits jetzt ist es möglich, dass bei Vorliegen einer schweren Straftat, nach Bestätigung durch einen Richter, also mit Richtervorbehalt, ein Zugriff auf diese Daten erfolgt. Warum ist das richtig? Weil es bei schweren Straftaten entweder zur Aufklärung oder zur Verhütung immer auch eine Güterabwägung geben muss zwischen den Rechten des Einzelnen und dem Anspruch des Staates, solche Straftaten zu verfolgen. Nichts anderes wird künftig präzisiert. Es geht nicht darum, hier etwas auszuweiten, sondern es geht darum, die Befugnisse des Rechtsstaats durch rechtsstaatliche Verfahren zu einem gemeinsamen Kampf gegen Rechtsextremismus zu präzisieren. Nichts anderes wird durch diesen Gesetzentwurf geregelt werden. Ich sage Ihnen ganz klar und deutlich: Es ist manchmal besser, rechtlich nichts zu sagen, als ein Zerrbild zu zeichnen, meine Damen und Herren. Auch das ist etwas, was Sie sich tatsächlich vornehmen sollten. Zusammengefasst: Wir wollen den Kampf gegen Rechtsextremismus hart und deutlich führen – durch ein klares rechtsstaatliches Verfahren. Dafür lassen Sie uns im Gesetzgebungsverfahren gemeinsam kämpfen. Herzlichen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Kollege Dr. Michael Espendiller für die Fraktion der AfD. ({0})

Dr. Michael Espendiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004711, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei YouTube! Wir sprechen in der heutigen Aktuellen Stunde über einen Gesetzentwurf aus dem Justizministerium, ({0}) dessen vorgebliches Ziel es ist, Rechtsextremismus und Hasskriminalität zu bekämpfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man sich mit solchen Entwürfen beschäftigt, wird einem klar, dass diese Bundesregierung eine analoge Gurkentruppe mit Allmachtsfantasien ist. ({1}) Denn diese Regierung hat erkennbar keine Ahnung von Technik; sie will aber trotzdem alles und jeden kontrollieren. Es ist absurd, was wir hier ernsthaft verabschieden sollen. Meine liebe Kollegin Joana Cotar hat das gerade schon sehr ausführlich und im Detail erläutert. ({2}) Man will mit einem Gesetz, das sich beim derzeitigen technischen und rechtlichen Stand gar nicht umsetzen lässt, ein Problem bekämpfen, für das es bereits entsprechende Regelungen gibt, und will dabei im Handstreich uns Bürger zu Steuersklaven degradieren. Und mal wieder werden die Sicherheitsbehörden ohne die personelle und technische Ausstattung zurückgelassen, die sie brauchen, um ihren Job richtig zu machen. Man muss sich das mal vorstellen: Man will die Passwörter aller Deutschen herausverlangen können, und zwar auf jeder bekannten Plattform. Diese Regierung will auf Verdacht und ohne Sie zu informieren einfach mal mitlesen, wenn Sie Ihrer Oma bei Facebook schreiben, was Sie Weihnachten essen wollen, oder wenn Sie mit Ihrem Tinder-Date Kommunikation betreiben. ({3}) Und damit das Ganze seriös wirkt, schiebt man den sogenannten Richtervorbehalt davor; wir haben es gerade auch schon in der Rede der Ministerin gehört. Aber um die konkrete Umsetzung macht sich hier wieder mal keiner Gedanken. ({4}) Liebe Bundesregierung, das ist, was Sie immer wieder tun: Sie erlassen ein Gesetz, und dann lassen Sie ausführende Staatsdiener draußen damit alleine. ({5}) Um Gesetze durchzusetzen, braucht man Personal und die entsprechende technische Ausstattung. Seit Jahren lassen Sie die Justizbehörden systematisch ausbluten. Bei unseren Richtern in den Amtsstuben stapeln sich die Akten, und diese Richter sind das Nadelöhr, das zwischen dem Recht auf dem Papier und der Durchsetzung geltenden Rechts offline wie online steht. Sie auf der Regierungsbank lassen diese Richter und Justizbehörden seit Jahren allein mit diesen Bergen von Akten. Sie lassen Sie allein mit zu wenig Kollegen, Sie lassen sie allein mit zu wenig Equipment, und dann wundern Sie sich auch noch, dass die Bürger das Vertrauen in den Rechtsstaat systematisch verlieren. So was ist eine Schande. Nehmen Sie endlich die Verantwortung wahr, und stellen Sie mehr Personal ein. ({6}) Aber ich denke, dass Sie das eigentlich alles wissen. Ich denke, dass es Ihnen in Wahrheit überhaupt nicht um Recht und Gesetz geht. Das wahre Problem ist doch folgendes: Mit dem Internet ist ein Raum entstanden, in dem Bürger ohne Torwächter, ohne Moderator und ohne Informationsfilter diskutieren können. Die Menschen wurden von der alleinigen Deutungshoheit von Politik und Medien befreit, und die Bürger sind damit mündig geworden im besten Kant’schen Sinne. Und alles, was die regierenden Parteien seitdem tun, ist, zu versuchen, dieses Rad der Geschichte zurückzudrehen. ({7}) Dieser Entwurf ist so offenkundig verfassungswidrig, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass Sie in dieser Regierung das gar nicht wissen. Die Wahrheit ist wahrscheinlich schlimmer: Sie wollen die Meinungsfreiheit abschaffen, ({8}) Sie wollen die Freiheit als solche abschaffen, und Sie benutzen dafür Ihre Regierungsmacht, um Gesetze zu erlassen, die das Volk kriminalisieren und knebeln. Als elementaren Schritt dorthin wollen Sie ein Internet wie in China haben, ({9}) ein Internet, in dem der Inhalt sowohl von Staatsseite als auch von Privatfirmen permanent kontrolliert, moderiert und sauber gehalten wird. Sie wollen definieren, was erlaubt ist und was nicht. In China kennt man den Begriff der Big Mama. Als „Big Mama“ bezeichnet man in China Internetzensoren, die auf Internetplattformen unterwegs sind und dort politisch sensible Informationen, Kommentare und Postings löschen oder moderieren. Ich kann mir das schon vorstellen. Big Mama Christine Lambert ({10}) verwandelt das Internet in einen „safe space“, wo grenzenlose Harmonie herrscht und alles andere einfach gelöscht wird. ({11}) Big Mama Svenja Schulze begibt sich auf die Suche nach Klimawandelskeptikern und löscht und blockiert, was das Zeug hält, und Big Mama Angela Merkel löscht einfach alle negativen Kommentare über sich selbst. ({12}) Noch mal: Sie wollen Menschen und Meinungen, die Ihnen nicht passen, kriminalisieren. Das Gesetz bildet keinesfalls die Grundlage einer effektiven Rechtsdurchsetzung, aber es ist das Mittel für Sie, um weiter Mao Tse-tung zu folgen: „Bestrafe einen, erziehe hundert“. Alles, was Sie wollen, sind rechtliche Mittel, die Sie in die Lage versetzen, diesem Motto zu folgen. Dazu werden wir es nicht kommen lassen. Dazu sagen wir ganz klipp und klar Nein. ({13})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Florian Post. ({0})

Florian Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gleich mal ein Hinweis zu Beginn an den Herrn Espendiller ({0}) von der AfD: Unsere Justizministerin heißt Lambrecht, nicht Lambert, so weit sollten Sie auch schon gekommen sein in zwei Jahren. Lesen hilft. ({1}) Dass unsere Diskussions- und Debattenkultur in den letzten Jahren eine besorgniserregende Entwicklung genommen hat, zeigt sich jeden Tag, wenn man bei Twitter, Facebook hineinsieht, aber auch, wenn man der Debatte hier im Parlament gefolgt ist. Die erste Rede in dieser Aktuellen Stunde wurde von Ihnen, Herr Dr. Thomae, gehalten. Es ist in Ordnung, wenn Sie anderer Meinung sind als wir. Es ist in Ordnung, wenn Sie den Referentenentwurf der Ministerin kritisieren. Das alles gehört zur Debattenkultur in diesem Haus. Aber es ist nicht in Ordnung, dass Sie einen Referentenentwurf, der im Parlament diskutiert wird – nichts anderes machen wir hier in der Aktuellen Stunde –, gleichsetzen mit Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung und ihn als Notstandsgesetzgebung bezeichnen. Damals lief das ohne Parlament ab. Diese Gleichsetzung weise ich auf das Entschiedenste zurück. ({2}) Diese Wortwahl bin ich von einer anderen Seite hier im Parlament gewohnt. Die FDP sollte sich so etwas nicht zu eigen machen. Es muss möglich sein, dass Hass, Beleidigungen und Morddrohungen im Internet natürlich auch verfolgt werden. Aber es muss auch möglich sein, dass dann die Verfasser identifiziert werden können. ({3}) Herr Notz, das haben Sie hier auch gesagt. Sie sagen, man müsse die Urheber konsequent verfolgen. Man muss es bekämpfen. – Aber wie wollen wir die Urheber verfolgen, wenn wir sie nicht identifizieren können? ({4}) Das Stichwort ist – das wurde hier auch schon des Öfteren erwähnt –: Richtervorbehalt, Richtervorbehalt, Richtervorbehalt. ({5}) Das war im Jahr 2007 anders, als das Telekommunikationsgesetz mit den Stimmen der FDP – Sie waren damals Oppositionspartei – beschlossen wurde. Das war im Übrigen bei Telekommunikationsanbietern ohne Richtervorbehalt möglich. Ich zitiere aus dem damaligen Gesetz: Anbieter sind verpflichtet, „für Zwecke der Strafverfolgung, … zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes“ – Sie haben damals die Nachrichtendienste explizit aufgenommen – Bestandsdaten wie Name, Anschrift oder persönliche Nutzerkennung herauszugeben. ({6}) Das war damals schon so. Zu Bestandsdaten gehören eben auch Passwörter. Der Unterschied zwischen damals und heute ist, dass wir jetzt den Richtervorbehalt einführen wollen. ({7}) Ich kann es nur wiederholen – ich glaube, eine Wiederholung hilft, damit man es sich merken kann –: Richtervorbehalt. Also kein Polizeibeamter kann anfragen und Nutzerdaten einfach so bekommen. Wie gesagt, kein Mensch würde die Notwendigkeit der Identifizierung der Täter, der Urheber in einer analogen Welt in Zweifel ziehen. Deswegen sollten wir es in einer weiterentwickelten Welt auch nicht tun. Aus dem Grunde muss das Telekommunikationsgesetz von damals weiterentwickelt werden zum Telemediengesetz. Wie gesagt, momentan ist es ein Referentenentwurf. Auch das, Herr Espendiller, ist falsch: Es ist kein Gesetzentwurf, es ist ein Referentenentwurf. – Wir behandeln den jetzt im parlamentarischen Verfahren. Nach der Weihnachtspause kommt er in die Ausschüsse. Natürlich können wir in einer ganz konstruktiven Art und Weise diskutieren. Ich schaue explizit zu den Kollegen der FDP, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen. Bei der AfD hat es wahrscheinlich wenig Sinn. Natürlich macht es Sinn, dass wir dann in Ruhe über die konkreten Straftatbestände diskutieren müssen, welche dazu führen sollen, dass nach einem Richterentscheid Passwörter herausgegeben werden können. Das alles wollen wir in einer ruhigen und sachlichen Atmosphäre nach der Weihnachtspause angehen. Natürlich ist auch uns bewusst, dass es sich zum Schluss immer um eine Abwägungssache handelt: auf der einen Seite der Schutz der Persönlichkeitsrechte – also das Recht auf vertrauliche, verschlüsselte, geheime Kommunikation –, auf der anderen Seite das Recht der Opfer von Hasskriminalität im Internet auf Strafverfolgung. Diese Abwägung ist nicht immer leicht zu treffen. Aber hierfür braucht man eine gesetzliche Regelung. Nichts anderes wollen wir hier schaffen. Zum Schluss – ich wiederhole mich hier ein letztes Mal – entscheidet ein Richter, ob Passwörter herausgegeben werden, und nicht der einzelne Polizeibeamte oder sonst wer. Danke für die Aufmerksamkeit. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der FDP der Kollege Konstantin Kuhle. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Post, liebe Frau Bundesjustizministerin, Sie haben beide Wert darauf gelegt, dass es sich hier um einen Referentenentwurf handelt, ({0}) also um den Beginn einer Debatte über das richtige Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit. Aber wissen Sie, wie Debatten über das richtige Verhältnis von Sicherheit und Freiheit früher hier gelaufen sind? Es war so, wie ich gehört habe, dass das Bundesinnenministerium einen Entwurf vorgelegt hat, der zulasten der Bürgerrechte ging, und dass das Bundesjustizministerium dann darauf geachtet hat, dass den Bürgerrechten hinreichend Geltung verschafft wurde. Im jetzigen Verfahren haben sie offensichtlich die Rollen getauscht. ({1}) Herr Staatssekretär Mayer und Herr Seehofer können ihr Glück kaum fassen, dass die Bundesjustizministerin jetzt die beste Gehilfin des Bundesinnenministers ist ({2}) und zulasten der Bürgerrechte die Befugnisse der Sicherheitsbehörden ausdehnt. Das geht nicht. ({3}) Deswegen ist das hier vom Kopf auf die Füße zu stellen. Wir müssen diesen Referentenentwurf schon von vornherein hier diskutieren, gerade mit Blick auf das Thema Passwörter. Denn es ist richtig: Im Gesetzentwurf sind viele Themen enthalten, von Veränderungen im Bereich des materiellen Strafrechts bis hin zur Meldepflicht beim BKA, über die wir im Einzelnen diskutieren müssen. Wir als FDP sehen den Gesetzentwurf in Teilen kritisch; gleichwohl sind einige gute Vorschläge enthalten. Über all das kann man hier parlamentarisch diskutieren. Mit Blick auf die Passwortherausgabepflicht aber ist eine Grenze überschritten, über die hier schon am Anfang des Verfahrens diskutiert werden muss. Ich will das auch deutlich machen, weil hier verschiedentlich Ermächtigungsgrundlage und Erlaubnisnorm verwechselt wurden. Damit ein Unternehmen ein bestimmtes Datum an eine Sicherheitsbehörde herausgeben muss, braucht es zweierlei: Es braucht auf der einen Seite eine Ermächtigungsgrundlage für die Sicherheitsbehörde, um die Herausgabe der hinterlegten Daten fordern zu können, auf der anderen Seite braucht es eine Erlaubnisnorm für die privaten Unternehmen, gemäß der sie sie herausgeben dürfen. ({4}) Nun hat niemand hat etwas dagegen, wenn die Ermächtigungsgrundlage mit der Erlaubnisnorm korrespondiert. Sie aber schaffen eine Erlaubnisnorm, die über die bestehenden Ermächtigungsgrundlagen hinausgeht. ({5}) Liebe Kollegen von der SPD, Sie glauben doch selber nicht, dass die CDU/CSU nicht noch in der zweiten und dritten Lesung ankommt und zusätzliche Ermächtigungsgrundlagen in den Gesetzentwurf schreiben will. Das wird passieren. Sie schaukeln sich bei den Einschränkungen der Bürgerrechte immer weiter hoch. Sie öffnen hier Tür und Tor für den Abruf von Passwörtern. Wie muss das auf die Bürgerinnen und Bürger wirken? Es wirkt so, dass überhaupt keine vertrauliche Kommunikation im Internet mehr möglich ist. Deswegen muss dieser Referentenentwurf von vornherein gestoppt werden. ({6}) Liebe Frau Bundesjustizministerin, ich will ausdrücklich und sehr gerne Bezug nehmen darauf, dass Sie gesagt haben, die FDP habe 2013 einer ähnlichen Regelung im Telekommunikationsgesetz zugestimmt. ({7}) – Sie haben erst über 2007, TMG, gesprochen und dann über 2013, TKG. – Es ist zutreffend, dass eine entsprechende Regelung 2013 gemeinsam eingeführt worden ist. Aber wissen Sie, für welche Daten die Regelung, die 2013 eingeführt wurde, gilt? ({8}) Sie gilt für PIN-Nummern. Es geht hier um PIN-Nummern, und PIN-Nummern sind, anders als Passwörter, eben nicht verschlüsselt gespeichert. Deswegen werfen Sie hier Dinge in einen Topf, die nichts miteinander zu tun haben. ({9}) Wir machen Unternehmen zu Recht die Hölle heiß, wenn sie Passwörter in Klartext speichern. Die Bundesregierung aber zeigt hier, dass sie von IT-Sicherheit überhaupt nichts versteht, und tritt eine Debatte los, die am Ende zu einem Weniger an IT-Sicherheit führt. Deswegen muss der Gesetzentwurf gestoppt werden. Meine Damen und Herren, ich will abschließend darauf Bezug nehmen, dass der Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität, in dem, wie gesagt, einige diskussionswürdige Punkte enthalten sind, nicht der einzige Punkt ist, bei dem sich dieses Haus brennend dafür interessiert, wie eigentlich der Kompromiss zwischen BMI und BMJV am Ende eigentlich aussieht. Wir wissen, dass es ganz andere Themen gibt, die gerade zwischen Ihnen diskutiert werden, und das ist vor allen Dingen der Gesetzentwurf zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts. ({10}) Also, Quellen-TKÜ, Onlinedurchsuchung für das Bundesamt für Verfassungsschutz: ja oder nein? ({11}) Die Überwachung von Minderjährigen: ja oder nein? Weitere Einbruchsbefugnisse: ja oder nein? Ich kann nur sagen: Wenn die Attitüde, die in diesem Gesetzentwurf deutlich wird, Teil der Verhandlungsstrategie der SPD bei der Verteidigung der digitalen Grundrechte beim Verfassungsschutz ist, dann gute Nacht, meine Damen und Herren! ({12}) Ich will deswegen ganz deutlich an die Adresse derjenigen, die Frau Esken an die Spitze der SPD gewählt haben, weil sie meinen, da käme jemand, der besonders viel von Digitalisierung versteht, der besonders viel von Bürgerrechten versteht, sagen: Wenn die Passwortherausgabepflicht so kommt, dann ist das das Ende der digitalen Glaubwürdigkeit der SPD. Deswegen: Setzen Sie sich hier verdammt noch mal gegen die Union durch! ({13}) Vielen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Philipp Amthor für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem liebe Kollegen von der FDP! Ja, Sie haben sicherlich geliefert, was Sie sich vorgenommen haben, nämlich die öffentliche Empörung ein Stück weit anzuheizen. ({0}) Wir haben gehört, was in den letzten Tagen immer so an Vorwürfen kam: Die Bundesregierung würde die Bürgerrechte schleifen, wir würden die IT-Sicherheit einschränken, eine generelle Herausgabepflicht auch für verschlüsselte Passwörter einführen wollen. Man kann da nur sagen: Ja, für öffentliche Empörung hat das etwas gebracht, in der Sache ist es aber völlig falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wir müssen nämlich sehen – das ist auch wichtig in Bezug auf die Zielrichtung –: Die Bundesregierung hat hier kein Paket vorgelegt, um mal eben, wie Sie sich das vorstellen, Bürgerrechte einzuschränken, sondern der überzeugende Referentenentwurf aus dem Justizministerium ({2}) ist ein Referentenentwurf gegen Hasskriminalität im Internet, gegen Kriminelle, zur Sicherung unserer Freiheit und für eine Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Wir finden, das sind gute und berechtigte Anliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Ich will zu dem Kernthema Ihres öffentlichen Vorwurfs, nämlich zu den Auskunftsrechten unserer Sicherheitsbehörden gegenüber den Telemedienanbietern, gegenüber den sozialen Netzwerken, sagen: Da sind Sie einfach maßlos, überzogen und unzutreffend in Ihrer Kritik. Die kleinere Nummer gab es scheinbar nicht im Sortiment. Hier wurde von einem Generalschlüssel, von einem Eingriff in die Privatsphäre der Bürger geredet. ({4}) Konstantin von Notz redet von dem großen Lauschangriff im Netz. Herr Thomae, Sie reden von der Einführung einer Geheimpolizei. ({5}) Dazu muss ich sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind eigentlich zu intelligent, um so oberflächlich zu sein. ({6}) Das muss doch nun wirklich nicht sein. Ich glaube, da stimmt die Orientierung einfach nicht. Man sieht auch, dass die Rechtslage – darauf hat die Justizministerin überzeugend hingewiesen – hier gar nicht Gegenstand der Erörterungen und scheinbar auch gar nicht Gegenstand der politischen Diskussion war. Ich habe – das war ein Höhepunkt der Empörung – in einem der Zeitungsberichte gelesen, es gehe in diesem Gesetzentwurf um komplizierte Verweisungen zwischen Strafprozessordnung, Telemediengesetz und BKA-Gesetz. Da muss man sagen: Ja, das ist vielleicht so. Aber wenn die Rechtslage kompliziert ist, würde ich immer empfehlen, erst zu versuchen, die Rechtslage ({7}) zu verstehen, statt gleich den Untergang des Abendlandes zu prophezeien, liebe Kollegen. ({8}) Es ist deswegen also hilfreich, sich mal anzuschauen, wie die Rechtslage aussieht; verschiedentlich wurde schon darauf hingewiesen. Es geht natürlich völlig fehl, wenn man den Auskunftsanspruch, der in § 15a des Telemediengesetzes neu eingeführt werden soll, isoliert betrachtet. Richtig ist: Wenn Passwörter oder andere Bestandsdaten als Auskunft herausverlangt werden sollen, dann braucht es nicht nur die Anforderungen von § 15a Telemediengesetz, sondern immer eben auch eine zusätzliche Befugnisnorm. ({9}) Und diese zusätzliche Befugnisnorm enthält genau die Restriktionen, die Sie wollen, ({10}) nämlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die eine Abwägung mit den Grundrechten der Bürger vornimmt, einen Richtervorbehalt. Und das ist überzeugend. Man hätte sich diese ganze Diskussion sparen können, wenn man gesehen hätte, dass die im Gesetzentwurf neu vorgeschlagene Regelung – § 15a Telemediengesetz – fast wortgleich übernommen wurde ({11}) aus der schon bestehenden, richtigen Regelung in § 113 Telekommunikationsgesetz, deren Verfassungsmäßigkeit bestätigt wurde und die von einer FDP-Justizministerin eingeführt wurde. ({12}) Deswegen muss man sagen: Den Gedanken, der § 113 Telekommunikationsgesetz zugrunde liegt, muss man übernehmen. Eine Bestandsdatenauskunft gegenüber TK-Anbietern, zum Beispiel bezüglich PIN, gibt es heute schon. Das auf die Telemedienanbieter zu übertragen, ist nicht ein irgendwie gearteter Angriff auf den Rechtsstaat, sondern das ist sachlogisch, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({13}) Das ist eben nicht der Generalschlüssel, mit dem das Tor zur Privatsphäre der Bürger geöffnet wird, sondern das ist eigentlich die passende Nachbesserung des jetzt schon bestehenden Werkzeugkoffers der Sicherheitsbehörden. Und genau darum muss es gehen; denn hinter dieser Diskussion, die wir jetzt führen – Konstantin von Notz hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Frage auch beim Bundesverfassungsschutzgesetz und anderem mehr stellt –, steht die Frage: Wie sollen sich unsere Sicherheitsbehörden in einer Welt aufstellen, in der Verschlüsselung da ist und in der Verschlüsselung notwendig ist? Ich will Ihnen sagen: Verschlüsselung ist gut, auch die Verschlüsselung von Passwörtern. ({14}) Das entspricht der jetzigen Rechtslage. Doch wenn wir verschlüsselte Kommunikation wollen, unseren Sicherheitsbehörden aber nicht die Kompetenz geben, die verschlüsselte Kommunikation von Straftätern aufzudecken, dann schaffen wir in Deutschland nichts anderes als einen Safe Harbor für Kriminelle, und das kann nicht in unserem Interesse sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({15}) Wir wollen keine Totalüberwachung von Bürgern. Wir wollen auch keinen Blick in ihr Privatleben. Davor schützt sie die Verfassung. Aber wir wollen Härte gegen Kriminelle, gegen Terroristen und gegen Straftäter. Genau in diesem Geist müssen wir Gesetzgebung betreiben. Der Entwurf aus dem Justizministerium ist überzeugend. ({16}) Weitere Anpassungen müssen folgen: im Bundesverfassungsschutzgesetz, im Bundespolizeigesetz. Wir werden es schaffen, Freiheit, Verantwortung und Sicherheit zusammenzubringen. Deswegen herzlichen Dank an das Justizministerium. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD hat nun der Kollege Falko Mohrs das Wort. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Rede zur künstlichen Intelligenz halte ich erst am Freitag. Nach manchen Oppositionsreden muss ich aber heute schon festhalten: Bei einigen wäre natürliche Intelligenz durchaus hilfreich. ({0}) - „Billig“, Frau Kollegin – ich glaube, das kam aus Richtung der AfD –, ist – das muss ich ehrlicherweise sagen – Ihr Angriff auf diesen Referentenentwurf; denn ein Kern dieses Referentenentwurfs ist doch gerade, dass wir Hass und Hetze, insbesondere von rechts, von Rechtsradikalen, die Stirn bieten. Dass Sie von der AfD auf diesen Punkt besonders anspringen, ist nicht überraschend, macht aber umso deutlicher, wie wichtig es ist, dass wir mit unserem Referentenentwurf ein Maßnahmenpaket vorlegen, mit dem wirklich gegen rechte Hetze im Netz vorgegangenen werden kann. Wir haben doch in den letzten Monaten und Jahren immer wieder erlebt, dass aus Hetze und Worten schreckliche Taten gefolgt sind. Das, meine Damen und Herren, kann für uns überhaupt nicht akzeptabel sein, und deshalb sehe ich ehrlicherweise auch keinen Grund, um hier gegen diesen Referentenentwurf vorzugehen. Meine Damen und Herren, dieser Referentenentwurf beinhaltet – die Wiederholung ist ja die Mutter aller Pädagogik –, dass mit einem Richtervorbehalt auch Bestandsdaten weitergegeben werden dürfen. Ja, das ist so, und das ist eben auch die Folge einer Abwägung. Es ist doch völlig klar: Freie und geheime Rede und Kommunikation sind Grundpfeiler einer offenen und freien Gesellschaft und einer Demokratie sowie deren Voraussetzung. Es ist aber eben auch so, dass genau diese freie Rede, diese freie Meinungsäußerung – wir haben das vorhin deutlich gehört –, auch Grenzen hat, nämlich dann, wenn die Freiheit von anderen betroffen ist. Wir reden hier ja über Morddrohungen und Volksverhetzung, also wirklich über mit die übelsten Straftaten. Deshalb ist es ja wohl wirklich angemessen, dem Rechtsstaat auch die entsprechenden Möglichkeiten mit an die Hand zu geben, ({1}) um zu zeigen, dass wir dort auch klare Grenzen einziehen. Das, meine Damen und Herren, muss doch wirklich in unserem Interesse sein. In unserem Interesse muss es auch sein – ich wiederhole hier gerne, was die Justizministerin vorhin gesagt hat –, dass der besondere Schutz, der bisher für Landes- und Bundespolitikerinnen und ‑politiker gegolten hat, eben auch für all die Ehrenamtlichen gelten muss, die vor Ort Kommunalpolitik machen, sodass gerade die, die vor Ort Hass und Hetze – auch online – ausgesetzt sind, mit geschützt werden. Es ist doch wirklich eine unserer Kernaufgaben, eben nicht nur die Berufspolitikerinnen und Berufspolitiker, sondern auch all die Millionen Menschen in diesem Land zu schützen, die ehrenamtlich Verantwortung auf der kommunalen Ebene übernehmen. Hier bin ich Christine Lambrecht wirklich außerordentlich dankbar, dass sie bei diesem Referentenentwurf auch die Ehrenamtlichen mit in den Blick genommen hat. ({2}) Wir haben mehrfach gehört – ich hoffe, durch Wiederholung prägt sich das bei dem einen oder anderen hier besser sein –, dass wir über einen Referentenentwurf reden. Er ist jetzt gerade an die Verbände gegangen. Das heißt, wir reden hier heute in der Aktuellen Stunde auf Antrag der FDP – „Panikmache – Panik schüren“ ist hier offensichtlich das Motto der FDP - ({3}) zu einem völlig unangemessenen Zeitpunkt und in einer so großen Bandbreite über ein Thema, das jetzt gerade in die Beratungen geht. ({4}) Es ist doch völlig klar: Wir haben einen Referentenentwurf, ({5}) der an die Verbände verschickt wurde. Sie alle kennen das doch: Natürlich wird es auch eine Diskussion über die kritischen Rückmeldungen geben. ({6}) Ich sage aber auch: Es gibt an der Stelle klare Linien – auch bei uns. Wir haben es deutlich gesagt – und dazu stehen wir –: Passwörter werden beispielsweise auch in Zukunft verschlüsselt gespeichert. Deswegen treffen all die Horrorszenarien, die Sie als FDP hier als Panikmache und als PR-Strategie zum Besten geben, einfach nicht zu. Es ist wirklich unredlich, das hier immer wieder trotz besseren Wissens zu behaupten. Wer es immer noch nicht begriffen hat: Ich habe den Referentenentwurf hier liegen. Der Kollege von Notz wollte ihn eben nicht haben, um noch mal nachzulesen. Ich bin kein Jurist, aber ich habe von den Juristen mal gelernt: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung. ({7}) In diesem Sinne: Wer den Referentenentwurf gleich bekommen will, der meldet sich gerne bei mir am Platz. Also, meine Damen und Herren, wir werden den Referentenentwurf beraten. Wir werden am Ende hier ein Gesetz beschließen. Es ist gut, dass wir Hass und Hetze – insbesondere von rechts – die Stirn bieten. Da haben all die Menschen, die diesen Schutz brauchen, uns an ihrer Seite. ({8}) Insofern freue ich mich auf die weiteren Beratungen. Alles Gute! ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU hat nun der Kollege Axel Knoerig das Wort. ({0})

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist und bleibt ungewöhnlich, meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, dass hier im Hohen Haus ein Thema zum Gegenstand einer Aktuellen Stunde gemacht wird, ohne dass ein ressortabgestimmter Referentenentwurf vorliegt ({0}) und bevor es noch eine parlamentarische Anberatung gegeben hat. ({1}) Es ist meiner Meinung nach auch nicht zielführend im Sinne von Sachlichkeit und Fachlichkeit, hier Kaffeesatzleserei in einem Referentenentwurf zu machen, der bisher noch nicht einmal freigegeben ist. Ich denke, das scheint auch der Grund dafür zu sein, warum es keine Drucksache als Vorlage für diese Aktuelle Stunde gibt. ({2}) Der Antrag mit dem Titel „Vorfahrt für Bürgerrechte und IT-Sicherheit – Passwörter müssen geheim bleiben“ zielt auf den Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität ab. ({3}) Dieser Gesetzentwurf geht zurück auf das Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das Frau Lambrecht und Herr Seehofer hier vorgelegt haben. Wir können als Union, denke ich, sagen, dass der Referentenentwurf in der vorliegenden Fassung maßvoll, vernünftig und ausgewogen ist. ({4}) Er ist die richtige Antwort der Koalition auf den schrecklichen Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019. Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität ist rechtspolitisch ein Pfeiler der wehrhaften Demokratie. Ich sage: Er verteidigt die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, Sie kennen sehr wohl das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. ({5}) Wir wollen die Verhältnismäßigkeit wahren, indem wir die Bürgerrechte schützen und die Handlungsfähigkeit von Sicherheitsbehörden erhöhen und stärken möchten. Wir sagen: Mit diesem Gesetz werden wir das beides erreichen. Sie stellen mit der Frage nach der Sicherung von Passwörtern auf den neu eingeführten § 15a des Telekommunikationsgesetzes ab. ({6}) Passwörter sind nach geltendem Recht Bestandsdaten, über die ein Auskunftsrecht besteht, und zwar dann, wenn die Staatsanwaltschaft das in einem Ermittlungsverfahren verlangt. Es ist heute schon häufig gesagt worden, auch ich sage es immer wieder gerne: Der Richtervorbehalt galt schon früher und auch jetzt, meine Damen und Herren. ({7}) Nach § 14 Telemediengesetz – jetzt komme ich zu dem, was Sie gerade angesprochen haben – ist das Auskunftsrecht bisher aber nur begrenzt. Im neuen § 15a TMG ist nun geregelt, dass Telemediendienste, Mailprovider, Medien, Forenbetreiber und soziale Netzwerke auf Verlangen der Staatsanwaltschaft Bestandsdaten wie Passwörter herauszugeben haben. Diese sind nach Cloud-Zertifizierung verschlüsselt. Hier liegt also kein Eingriff in Bürgerrechte vor und auch kein Verstoß gegen IT-Sicherheitsrechte. In § 15a TMG ist genau geregelt, zu welchem Zweck die Auskunft erteilt wird, nämlich zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Gefahren für die öffentlich-rechtliche Sicherheit und Ordnung. Das sind die beiden Bereiche, in denen das vorgesehen ist. An welche Stellen geht das Ganze nun? Das sind doch die für Strafverfolgung oder für Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden, Behörden zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. ({8}) Und auch Verfassungsschutzbehörden, Zoll- und Landesverwaltungen sollen gegebenenfalls, unter Richtervorbehalt, solche Daten erhalten können. Hier sagen wir als Union: Wir handeln rechtsstaatlich, weil hier der Richtervorbehalt gilt. Wir stärken damit Bürgerrechte und gleichzeitig auch die Polizei- und Sicherheitsbehörden. ({9}) Würden wir das nicht machen, dann würde ja die europäische Datenschutz-Grundverordnung gelten. Da fragen wir uns: Wollen wir das wirklich? Nein, wir brauchen zielgenaue Gesetze für sichere Handlungsspielräume von Polizei, Verfassungsschutz und Sicherheitsbehörden in Deutschland. Deswegen: Lassen Sie uns dieses Gesetz in einem parlamentarischen Verfahren sachlich behandeln und nicht schon vorher zerreden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Helge Lindh für die SPD-Fraktion. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich entnahm Veröffentlichungen der FDP und anderer Formulierungen wie „Angriff auf die Bürgerrechte“ oder „Katastrophe für Bürgerrechte“. Ich denke, in diesem Zusammenhang ist es gut, mal eine Perspektive einzunehmen. ({0}) Gestern Abend musste ich leider die Sendung „Markus Lanz“ mitverfolgen ({1}) und sah da den ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes, ({2}) der mit Formulierungen wie „Shuttleservice“ in Bezug auf Seenotrettung und mit abschätzigen Formulierungen wie „Mädchen mit Kulleraugen“ in Bezug auf Flüchtlinge, mit einer zutiefst verachtenden Position gegenüber der Kanzlerin, der Bundesregierung und der Entscheidung vom September 2015 ein sehr entsetzliches Beispiel abgegeben hat – was eine ziemliche Katastrophe für Bürgerrechte ist. Da müssen wir uns sicher alle selbstkritisch angucken. Das nenne ich eine Katastrophe für die Bürgerrechte. Ich bin sehr glücklich darüber, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt einen anderen Präsidenten hat. ({3}) Keine Katastrophe, sondern ein Geschenk für die Bürgerrechte ist aber, dass wir jetzt eine Justizministerin haben, die seit Beginn ihres Amtsantritts permanent in einem hohen Tempo ({4}) gerade den Kampf gegen Rechtsextremismus, gegen Hetze im analogen und digitalen Raum zur zentralen Aufgabe erhoben hat. In diesem Kampf, denke ich, gibt es nur ein Ja und nicht ein „Ja, aber“, da sollten wir uns alle einig sein. ({5}) Ich will noch eine zweite Perspektive aufzeigen. Ich selbst habe erlebt, was es bedeutet, gehackt zu werden, ({6}) indem Passwörter entwendet, entschlüsselt wurden. Das hatte erhebliche Folgen für mich persönlich und für geflüchtete Familien, die ich betreut habe und die von Identitären bedroht wurden. Das heißt, ich kann sehr gut beurteilen, welche Seriosität wir einerseits im Umgang mit Passwörtern walten lassen müssen und dass es berechtigt ist, die Bürgerrechtsfrage zu stellen; andererseits wissen die Familien, die ich begleitet habe, und ich, was es bedeutet, in diesem Digitalraum entsprechenden Bedrohungen ausgesetzt zu sein. Auch diesen Personen müssen wir – Sie verwenden ja gerne den Ausdruck „verdammt noch mal“ – verdammt noch mal eine Antwort geben, und es reicht nicht, auszusetzen und allgemeine, abstrakte Debatten über Bürgerrechte zu führen. ({7}) Wir müssen im Zeitalter der Digitalisierung den wehrhaften Staat realisieren und gleichzeitig uns vor Augen führen, welchen Wert und welche Kostbarkeit Freiheit und Bürgerrechte haben. Deshalb kann ich überhaupt nicht nachvollziehen – das ist vielleicht auch eine Krankheit des digitalen Zeitalters –, dass wir für dieses Null-eins-Denken immer noch fortschreiben, auch in dieser Skandalisierung, die ich eben erlebt habe. Es wäre wirklich klug, wenn wir auf der Grundlage des Maßnahmenpaketes gegen Rechtsextremismus als diejenigen, die für Freiheit im Netz, die für die Einhaltung der Bürgerrechte da berechtigterweise kämpfen, und als diejenigen, die wollen, dass Rechtsextremismus, dass Gewalt in Wort und Taten gebannt und bekämpft wird, zusammenwirken. Das wäre ein modernes Verständnis von Politik, und genau das ist die Aufgabe, die eben auch die Justizministerin formuliert hat. Machen wir das doch einfach mal. Ich fasse zusammen: Erstens. Wir haben hier drei Fälle. Wir haben einerseits den Fall Kampf gegen Rechtsextremismus. Gerade Maaßen zeigt uns, dass wir da viel konsequenter handeln müssen, und wir tun es. Zweitens. Wir haben die Aufgabe, das auf einem vernünftigen, rechtssicheren und auch verfassungssicheren, klugen Weg zu machen in Bezug auf Digitalität. Da werden wir diskutieren. Wir werden in den nächsten Monaten ringen. Das ist die Normalität eines parlamentarischen Verfahrens. Drittens. Wir haben den Fall FDP; das wage ich am Schluss auch noch mal zu erwähnen. Ich habe in den letzten Tagen ja fast mit Rührung vernommen, wie die FDP – Frau Teuteberg, Herr Kuhle und auch andere – besorgt sind um die SPD, die ihr Profil zu verlieren drohe, besorgt sind um die Justizministerin. Also, ich war schon fast den Tränen nahe. ({8}) Dann sehe ich aber auch Briefe an Frau Esken, die auch öffentlich gemacht wurden, und dann ist meine Rührung nicht mehr ganz so groß; denn das Spiel, das da gespielt wird, ist doch durchschaubar. Sie versuchen auf eine ziemlich platte, billige Weise, die Parteivorsitzende Esken gegen die Justizministerin Lambrecht auszuspielen. ({9}) Ist es denn klug, wenn es Ihnen so wichtig ist, für Bürgerrechte einzutreten und gleichzeitig gegen Rechtsextremismus zu kämpfen, das auf so eine billige parteipolitische Weise zu machen? Ich denke, das ist nicht klug ({10}) und es ist des Themas überhaupt nicht angemessen, unsereins nicht würdig. Wenn Sie dann in einem Post, Herr Kuhle, schreiben – sinngemäß; hoffentlich zitiere ich richtig –: „Wozu noch ein Justizministerium, wenn es sich nicht mal gegen die schwarzen Sheriffs durchsetzen kann?“, dann wage ich, auch zu fragen – ich bin ein großer Freund des Sozialliberalismus –: Wozu noch ein Liberalismus, der Fridays for Future mit Amateuren gleichsetzt, der in Fragen der Migration viel rechter und viel restriktiver ist als CDU, SPD und CSU zusammen, der bei der Meinungsfreiheit immer die Einschränkung sieht und nicht die Enthemmung und der andererseits jetzt plötzlich wieder die Bürgerrechte entdeckt? ({11}) Sie haben gesagt, Sie wollen leistungsbereite Arbeitnehmer von der SPD gewinnen. ({12}) Ich bin leistungsbereit.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lindh.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin Arbeitnehmer. Arbeitgeber ist das deutsche Wahlvolk. Überzeugen Sie mich! Seien Sie nicht Sammlungsbewegung der Enttäuschten -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lindh, kommen Sie bitte zum Schluss.

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– und Verärgerten, sondern seien Sie wieder Förderer des Liberalismus! Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Rita Hagl-Kehl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004287

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Unmittelbar anschließend an den in den letzten Wochen in den Ausschüssen abschließend beratenen und unverändert beschlossenen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verlängerung des Betrachtungszeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete darf ich Ihnen heute einen weiteren Gesetzentwurf zur Sicherung bezahlbarer Mieten vorstellen: den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung und Verbesserung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn. Auch dieser Entwurf ist Teil des Wohn- und Mietpaketes, das die Bundesregierung verabschiedet. Dieses soll dazu beitragen, dass das Wohnen bezahlbar bleibt und ein Anstieg der Mietpreise weiter gedämpft wird. Sie sehen: Die Bundesregierung arbeitet und liefert. ({0}) Die im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz erstellte Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin zur Evaluierung der Mietpreisbremse hat bestätigt, dass die 2015 eingeführten Regelungen zur Mietpreisbremse den Mietanstieg durchaus verlangsamt haben. Die bei der Einführung der Mietpreisbremse bestehende Anspannung auf vielen Wohnungsmärkten hat sich bislang aber nicht grundlegend geändert. Deswegen wollen wir die Mietpreisbremse um weitere fünf Jahre verlängern. Die Länder erhalten die Möglichkeit, die Mietpreisbremse bis Ende 2025 dort einzusetzen, wo es nötig ist. Weitere Studien, auf die sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin bezieht, haben darüber hinaus in Mietinseraten hohe Quoten an Überschreitungen der nach dem Grundtatbestand der Mietpreisbremse zulässigen Miete festgestellt. Grund hierfür sei unter anderem die Ausgestaltung dieser Regelung, wonach der Vermieter nur zur Rückzahlung der ab dem Zeitpunkt der Rüge eines Verstoßes zu viel gezahlten Miete verpflichtet ist. Die aktuelle Rechtslage bietet mithin Vermietern ökonomische Anreize, sich nicht an die Mietpreisbremse zu halten. Diese Fehlanreize wollen wir beseitigen. Aus diesem Grund wollen wir den Rückzahlungsanspruch der Mieterinnen und Mieter bei einem Verstoß des Vermieters gegen die Mietpreisbremse verbessern. Mieterinnen und Mieter sollen zukünftig die gesamte ab Beginn des Mietverhältnisses zu viel gezahlte Miete zurückfordern können. Voraussetzung dafür ist, dass sie den Verstoß gegen die Mietpreisbremse innerhalb von zweieinhalb Jahren ab Beginn des Mietverhältnisses rügen und dass das Mietverhältnis zu diesem Zeitpunkt noch besteht. Die Änderung wird dazu führen, dass zukünftig mehr Mieterinnen und Mieter ihre Rechte geltend machen. Denn der Anreiz, zu viel gezahlte Miete zurückzufordern, wird deutlich größer. Mieterinnen und Mieter werden zudem nicht mehr in die unangenehme Situation gebracht, kurz nach Unterschreiben eines Mietvertrages, mit dem sie der Miethöhe ja ausdrücklich zugestimmt haben, ebendiese Miethöhe gegenüber ihrem Vermieter rügen zu müssen. Die Änderung wird aber auch dazu führen, dass zukünftig viele Vermieter intensiver prüfen werden, wie hoch die zulässige Miete ist, und diese Grenze einhalten. Ich bitte Sie deshalb, uns bei diesem Gesetzesvorhaben zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag sollte den Gesetzentwurf zügig verabschieden, damit die Landesregierungen genügend Zeit haben, vor Auslaufen der Mietpreisbremse neue Rechtsverordnungen zu erlassen. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Udo Hemmelgarn für die AfD-Fraktion. ({0})

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tribünen! Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und dem Antrag der Grünen „Robuste Mietpreisbremse einführen“ liegen dem Parlament gleich zwei Vorschläge vor, für die es nur eine gemeinsame Überschrift gibt: Wir sind auf dem falschen Weg – wir machen trotzdem weiter so. Seit der rot-grünen Koalition 1998, dann fortgesetzt unter Bundeskanzlerin Angela Merkel, haben die Regierungen unseres Landes einen verhängnisvollen Weg eingeschlagen: weg von den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Auf dem Wohnungsmarkt unseres Landes sieht es besonders schlimm aus. Während sich in den ländlichen Regionen Leerstand breitmacht, steigen die Mieten in den Metropolen unaufhörlich. Wohnungen werden immer teurer und knapper. Das von Minister Seehofer angepeilte Ziel von 1,5 Millionen Wohnungen in dieser Legislatur wird um mehr als 300 000 Wohnungen verfehlt. Die Zahl der Baugenehmigungen ist bislang sogar rückläufig. Herr Bauminister Seehofer, Sie haben gesagt: Die Mutter aller Probleme ist die Migration. – Damit haben Sie recht. ({0}) Wenn Sie so weitermachen, werden Sie beim Thema „Bauen und Wohnen“ der Vater aller Probleme. Der Befund ist für uns eindeutig: Zu viel Regulierung führt zu einem Rückgang des Wohnungsbaus. Die Einführung einer Mietpreisbremse, gar deren robuste Verschärfung sind da der Gipfel der Dummheit. Beim Angebot dominiert eine Wohnraumbremse. Auf der anderen Seite explodiert die Nachfrage. Die Elemente der Wohnraumbremse sind vielfältig. Die immer schon unsinnige Mietpreisbremse ({1}) hat den Anstieg der Mieten kaum gebremst, aber private Investoren abgeschreckt, sich im Wohnungsbau ausreichend zu engagieren. Die Energieeinsparverordnung ({2}) ist ideologisch aufgebläht und völlig übertrieben; sie hat Neubauten verteuert und befördert die Luxussanierung von vorhandenen Altbauten. Die Länder haben den Grunderwerbsteuersatz ständig, bis auf 6,5 Prozent, erhöht. Die Bauämter wurden permanent personell ausgedünnt. Das hat das Bauen sowohl direkt als auch durch zeitliche Verzögerung verteuert. Die desaströse Zinspolitik der EZB lässt Großinvestoren zwar ihr Kapital in Betongold anlegen, doch aufgrund der Renditeerwartungen fast ausschließlich nur in Luxuswohnungen. ({3}) Die Ursachen der Nachfrageflut können wir in drei Gruppen zusammenfassen: Erstens. Die EU-Osterweiterung hat zu erheblicher Zuwanderung geführt, die auch weiterhin anhält. Zweitens. Die rund 1,8 Millionen sogenannten Flüchtlinge seit 2013 drängen nach und nach auf den Wohnungsmarkt, und jährlich kommen mehr als 200 000 hinzu. Drittens. Die Vernachlässigung der ländlichen Infrastruktur führt zur Landflucht und macht urbanen Wohnraum immer begehrenswerter. Genau diese Fehlentwicklungen müssen jetzt dringend korrigiert werden. Dazu hat die Alternative für Deutschland hier schon mehrfach Vorschläge gemacht, ({4}) zum einen die Abschaffung der Wohnraumbremse in all ihren Schattierungen; sofortige und vollständige Abschaffung der Mietpreisbremse; vollständige Abschaffung oder zumindest Aussetzung der EnEV, bis die Wohnraumkrise bewältigt ist; ({5}) Familienförderung durch Entlastung bei der Grunderwerbsteuer; und: Unterstützung der Kommunen für ein besseres Baulandmanagement; zum anderen die Eindämmung der Nachfrageflut in all ihren Facetten. ({6}) – Ach, schreien Sie ruhig dazwischen! – Beendigung dessen, was der stellvertretende Vorsitzende der SPD und Juso-Chef Kühnert in einem Tweet als – ich zitiere – „Umvolkung muss konkret werden!“ gefordert hat; Restriktionen gegen die Freizügigkeitsregelungen der EU, vor allem aus Osteuropa; und: Stopp der ungeregelten Willkommenskultur für alle. Zusätzlich dringend erforderlich ist eine familiengerechte Förderung der ländlichen Infrastruktur. ({7}) Für eine bessere Zukunft unseres Landes: Kehren Sie zurück zur Vernunft! Schluss mit sozialistischen Planspielen! Zurück zur sozialen Marktwirtschaft! ({8}) Schlecht gemachte Vorschläge dieser Art sind verzichtbar; diese fatalen Anträge lehnen wir entschlossen ab. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich am Anfang gerne mit einem Bekenntnis beginnen: Wir als Union stehen zur Mietpreisbremse. ({0}) – Ja, da kann man durchaus mal klatschen. – Wir hatten sie seinerzeit ja selber in unserem Wahlprogramm. Und in der Umsetzung, so wie sie jetzt ist, funktioniert sie ja auch; das sehen wir an ganz vielen Stellen. ({1}) Denn – und das eint uns als Große Koalition, das eint uns aber auch über alle Fraktionen hinweg – natürlich wollen wir nicht, dass Menschen aus ihren Wohnungen verdrängt werden, weil sie sich ihre Miete nicht mehr leisten können. Deswegen ist die Mietpreisbremse ein Teil eines umfassenden Pakets, das wir im gesamten Bereich des Mietrechts aufgelegt haben. Wir haben gerade erst zum Jahresanfang ein wirklich umfassendes Mieterschutzgesetz auf den Weg gebracht; das ist bereits seit 1. Januar in Kraft. Dort haben wir die Mietpreisbremse noch einmal praktikabler gemacht und vor allen Dingen bei den Modernisierungskosten – das ist ja einer der Kostentreiber, durch den Mieten tatsächlich stark steigen können – die Umlagefähigkeit verändert – man kann jetzt nicht mehr 11 Prozent, sondern nur noch 8 Prozent der Kosten umlegen – und eine absolute Kappungsgrenze eingeführt. Das alles führt insgesamt zu einer erheblichen Entlastung von Mieterinnen und Mietern. ({2}) Wir werden in dieser Woche ja noch weitergehen. Wir werden morgen hier im Deutschen Bundestag ein weiteres Gesetz abschließend miteinander beraten, nämlich den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung des Betrachtungszeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete. Auch das wird einen mietdämpfenden Effekt haben. Wir als Union haben aber auch immer gesagt, dass die Mietpreisbremse alleine bzw. überhaupt Regulierungen im Mietrecht natürlich kein Allheilmittel sind. Vielmehr müssen wir dort immer eine Doppelstrategie fahren: Wir brauchen auf der einen Seite starke soziale Leitplanken im Mietrecht; ich glaube, die haben wir auch. Damit beschäftigen wir uns in den letzten Jahren, so auch in dieser Sitzungswoche, sehr, sehr intensiv. Auf der anderen Seite dürfen wir uns nicht nur mit den Symptomen, also den steigenden Mieten, beschäftigen, sondern wir müssen uns vor allen Dingen fragen: Wieso steigen denn eigentlich die Mieten? ({3}) Deswegen müssen wir an die Ursachen des Ganzen heran. Da sind wir uns, glaube ich, auch alle einig: Wenn wir das Problem steigender Mieten nachhaltig in den Griff bekommen wollen, dann müssen wir vor allen Dingen etwas dafür tun, dass mehr, schneller und kostengünstiger gebaut wird, meine Damen und Herren. ({4}) Wenn wir uns die letzten Jahre anschauen, müssen wir schon feststellen, dass da einfach zu wenig passiert ist. Es war ja unsere klare Erwartungshaltung, als wir die Mietpreisbremse eingeführt haben, dass sich das ändert. Wir haben das immer verknüpft mit der Erwartungshaltung an die Länder, dass, wenn sie die Mietpreisbremse einführen, entsprechende Wohnungsbauprogramme aufgelegt werden, dass etwa das Bauordnungsrecht entschlackt wird, dass Bauen insgesamt schneller funktionieren kann, dass die Genehmigungen schneller erteilt werden können und dass Bauen vor allen Dingen auch kostengünstiger wird. Man muss leider sagen: Da ist viel zu wenig passiert. Dass wir heute über die Verlängerung der Mietpreisbremse reden, ist letztlich die Konsequenz daraus, dass die Länder hier versagt haben. ({5}) Das sage ich ganz deutlich: Die Länder haben hier versagt. Die klare Erwartungshaltung, die wir an sie hatten, haben sie nicht erfüllt. ({6}) Stattdessen halten sie sich, wie mein eigenes Bundesland Berlin, momentan mit sozialistischen Planspielen wie etwa dem Mietendeckel auf, und das ist genau die falsche Richtung. ({7}) Wir müssen dafür sorgen, dass mehr, schneller und kostengünstiger gebaut wird, und verhindern, dass Investoren, die neue Wohnungen bauen wollen, an dieser Stelle abgeschreckt werden. ({8}) Deswegen wollen wir in diesem Zusammenhang die qualifizierte Begründungspflicht, über deren Abschaffung zwischenzeitlich diskutiert worden ist, aufrechterhalten. Heute ist es ja so: Wenn ich als Landesgesetzgeber eine Mietpreisbremse einführen möchte, dann muss ich qualifiziert begründen, dass in einem bestimmten Gebiet Wohnungsmangel herrscht, und ich muss auch qualifiziert begründen, was ich dagegen tun will, gegen die Ursachen des Wohnungsmangels, wie ich also mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen will. Das ist also ein ganz kluger Zusammenhang, ein Mechanismus, den wir geschaffen haben. Es stand ja jetzt zur Diskussion, dass das abgeschafft werden sollte. Wir haben als Union gesagt: Nein, das geht nicht, weil das das einzige Instrument, der einzige Hebel ist, wie wir die Länder auch ein Stück weit an ihre Verantwortung erinnern können. – Deswegen ist es gut, dass die qualifizierte Begründungspflicht nach wie vor in diesem Gesetz enthalten ist, und das wird und muss auch so bleiben, meine Damen und Herren. ({9}) Wir diskutieren hier heute ja über zwei Anträge: nicht nur über unseren eigenen Antrag, den Antrag der Großen Koalition, wo es um die Verlängerung der Mietpreisbremse geht, sondern auch über einen Antrag der Grünen, in dem sich die Grünen sehr umfassend mit der Mietpreisbremse beschäftigen. Sie wollen eigentlich mehr oder weniger die Mietpreisbremse völlig umkrempeln. Mir fehlt die Zeit, um zu allen Punkten hier etwas zu sagen. Deswegen möchte ich nur ein oder zwei Punkte herausgreifen. Wir haben bei der Mietpreisbremse auch Ausnahmen geschaffen, also bestimmte Konstellationen, wo die Mietpreisbremse – 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete – nicht greift. Das sind alles wohl erwogene Ausnahmen. Und die Grünen wollen diese Ausnahmen abschaffen. ({10}) – Ja, da klatschen Sie vielleicht, Herr Kühn; aber lassen Sie mich mal zu Ende ausführen. ({11}) Ich möchte ein Beispiel nennen, wo Sie die Ausnahme abschaffen wollen. Und zwar ist das die Ausnahme der umfassenden Modernisierung. Dort haben wir gesagt: In Konstellationen, in denen man wirklich viel Geld in die Hand nimmt, was dann schon mehr oder weniger Neubaucharakter hat, kann die Mietpreisbremse natürlich nicht gelten, weil es sonst am Ende dazu führt, dass niemand mehr Wohnungen modernisieren wird. Was sind das für Modernisierungen? Das sind natürlich vor allen Dingen die energetischen Modernisierungen, die dort angesprochen sind. Wir reden gerade in diesen Tagen, in diesen Monaten eigentlich über fast nichts anderes als über den Klimaschutz. Wir haben uns jetzt im Vermittlungsausschuss – im Übrigen unter Beteiligung der Grünen – auf ein weiter gehendes Klimapaket verständigt, weil wir gesagt haben: Unsere CO2-Einsparziele sind für uns bindend. Die wollen wir erreichen, die müssen wir auch erreichen. Da fühlen wir uns verpflichtet. – Was Sie in diesem Antrag fordern, nämlich dass die umfassende Modernisierung zukünftig keine Ausnahme mehr sein soll, führt am Ende dazu, dass es überhaupt keine energetischen Modernisierungen mehr geben wird. ({12}) Das CO2-Einsparpotenzial im Gebäudebestand – es geht hier um ein Drittel des gesamten CO2-Ausstoßes in Deutschland – kann am Ende nicht mehr gehoben werden. Deswegen werden wir Ihre Anträge ablehnen, weil sie absolut kontraproduktiv für den Klimaschutz sind. ({13}) Sie gehen an der Sache vorbei, und damit haben Sie wirklich das Ziel verfehlt. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katharina Willkomm für die FDP-Fraktion. ({0})

Katharina Kloke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004783, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat eine weitere Änderung des Mietrechts heute auf die Tagesordnung gesetzt. Was ist gut daran? Wir befassen uns mit einem Thema von grundlegender Bedeutung über alle Schichten und Einkommensklassen hinweg. Was ist schlecht daran? Die Bundesregierung hat zwar erkannt, dass es bei der Mietpreisentwicklung brennt, aber sie rennt seit 2015 in die falsche Richtung, um nach Löschwasser zu suchen. ({0}) Der Entwurf zur Verlängerung der Dauer der Mietpreisbremse ist ja nur eine Etappe auf dem Weg, der vor vier Jahren mit der Mietrechtsnovelle begonnen hat. Und nach den Fantasien der rot-grünen Hälfte hier im Hohen Haus wird der Weg erst mit Mietendeckeln und einer weitestgehenden Verstaatlichung des Wohnmarktes enden. ({1}) Der Entwurf heute besteht aus zwei Teilen. Punkt 1. Die Länder dürfen fünf weitere Jahre Rechtsverordnungen erlassen, um bestimmte Gebiete zu einem angespannten Wohnungsmarkt zu erklären. Folge: Vermieter können dort für fünf weitere Jahre nur eingeschränkt die Mieten anpassen. Mit dieser Verlängerung begeht die Bundesregierung Wortbruch. Als die Mietpreisbremse 2015 eingeführt wurde, hieß es in der Begründung klipp und klar: Nach Ablauf dieser Frist kommt eine erneute Ausweisung oder Verlängerung nicht mehr in Betracht. Wortbruch, meine Damen und Herren, Wortbruch! ({2}) Punkt 2. Sie weiten die Rügemöglichkeit auf 30 Monate aus. In der Mietrechtsnovelle war damals solch eine Regelung gar nicht vorgesehen. ({3}) Warum? Weil – so Ihre Gesetzesbegründung –: Dies trägt den berechtigten Interessen des Vermieters und der Tatsache Rechnung, dass sich der Mieter zunächst auf die vereinbarte Miethöhe eingelassen hat. Ja, das ist richtig so, und das gilt auch heute noch so. Wo es keinen Mietspiegel gibt, da kann auch der Vermieter faktisch für nichts garantieren. Was die ortsübliche Vergleichsmiete ist, klärt sich für den Vermieter erst vor Gericht. Es ist unfair, wenn allein der Vermieter das Risiko für eine überhöhte Miete trägt, und das über ganze zweieinhalb Jahre. ({4}) Meine Damen und Herren, eigentlich liegt Ihnen alles auf dem Tisch. Sie haben die Handlungsempfehlungen der Baulandkommission. Sie haben die Ergebnisse der Kommission zur Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen. Und Sie haben die Empfehlungen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen. Auch wir Freie Demokraten haben pragmatische Vorschläge gemacht: Wir müssen uns auf die wirksamen Maßnahmen konzentrieren, um den Wohnungsmarkt zu entspannen – im wahrsten Sinne des Wortes: konstruktive Maßnahmen. Die Mietpreisbremse hingegen muss weg. Um es mit den alten Indianern zu sagen: Wenn das Pferd tot ist, musst du verstärkt neu bauen und Dachgeschosse ausbauen, um den Druck auf den Wohnungsmarkt zu senken. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Bernd Riexinger für die Fraktion Die Linke. ({0})

Bernd Riexinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004865, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf will die Bundesregierung die Dauer einer Maßnahme verlängern, die den meisten Mieterinnen und Mietern kaum nutzt. Die sogenannte Mietpreisbremse dämpft den Mietanstieg nur marginal, wenn überhaupt. Was Sie hier vorlegen, wird dem Problem nicht gerecht. ({0}) Die Situation in den Großstädten und Ballungsgebieten ist dramatisch. In den Städten schießen die Mieten durch die Decke. In München, Stuttgart oder Frankfurt muss eine Erzieherin oder ein Verkäufer bereits 40 oder 50 Prozent des Lohnes für die Miete hinlegen. Das ist nicht normal. ({1}) Und das ist vor allen Dingen unsozial und eine Enteignung der Löhne von Millionen Menschen. ({2}) Die Bundesregierung handelt wie jemand, der zum Hochwasserschutz einen Maschendrahtzaun einsetzt. Statt einen Damm zu bauen, versuchen Sie, die Maschen etwas enger zu knüpfen. Das wird nicht funktionieren. ({3}) Dass die Regierung endlich dafür sorgt, dass Vermieter bei den Verstößen gegen das Gesetz die zu viel gezahlte Miete von Beginn an zurückzahlen müssen, ist längst überfällig. Aber dieser kleine Schritt in die richtige Richtung betrifft nur Mietverhältnisse, die nach Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen werden. ({4}) Wenn die Mietpreisbremse auch nur etwas bewirken soll, muss sie bundesweit und unbefristet und ohne Ausnahmen eingeführt werden. ({5}) Ihr Ansatz ist halbherzig, verzagt und weitgehend wirkungslos. ({6}) Die Mieten sind vielerorts heute schon viel zu hoch. Es reicht nicht, den Anstieg zu bremsen: Wir brauchen einen Stopp für Mieterhöhungen. In vielen Städten müssen die Mieten sogar sinken. ({7}) Dazu muss bundesweit der Weg für einen Mietendeckel freigemacht werden. Berlin ist hier im Übrigen Vorbild. Dort werden klare Obergrenzen festgelegt, die auch bei Neuvermietung nicht überschritten werden dürfen. Dass Ihnen das ein Dorn im Auge ist, weiß ich. Für die Linke steht fest: Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht. ({8}) – Hören Sie zu! – Deshalb müssen jährlich 250 000 neue Sozialwohnungen geschaffen werden, in öffentlichem und genossenschaftlichem Eigentum. ({9}) – Ach! – Es ist höchste Zeit, dem Geschäftsmodell der großen Immobilienkonzerne einen Riegel vorzuschieben. Deren Motto „Wohnungen kaufen, Mieter auspressen, kaum neue Wohnungen bauen, Aktionäre bedienen und dann verbrannte Erde hinterlassen“ darf nicht länger akzeptiert werden. ({10}) – Im Unterschied zu Ihnen haben wir ein Konzept. ({11}) Unser Konzept ist klar: Mieten deckeln, Sozialwohnungen bauen. Die Spekulation mit Wohnraum muss beendet werden. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Bayram. ({0})

Canan Bayram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004665, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann gleich anknüpfen: Die Spekulation mit Wohnungen muss beendet werden, und insbesondere hier in der Bundeshauptstadt hat sie einen Grad erreicht, der jegliches Maß des Erträglichen überschritten hat. ({0}) Die Tatsache, dass mancherorts Menschen 50 Prozent ihres Lohns für Miete zahlen müssen – die Zahlen wurden hier genannt –, bis hin zu dem Umstand, dass Menschen hier keinen Job annehmen, weil sie sich eine Wohnung in Berlin nicht leisten können, Herr Kollege Luczak, ist nichts, was in der Verantwortung des Landes Berlin liegt. Das ist darauf zurückzuführen, was die CDU in den letzten Jahren verbockt hat. ({1}) Dafür tragen Sie die Verantwortung. ({2}) Sich dann hier hinzustellen und in dieser Frechheit zu behaupten, dass mit der Mietpreisbremse den Ländern ein Instrument in die Hand gegeben würde, das die Probleme der Mieterinnen und Mieter lösen würde, ist wirklich eine Unverschämtheit, und im Advent wiegt das besonders schwer. ({3}) Denn eigentlich warten die Mieterinnen und Mieter auf Lösungen für ihre Probleme. Dass sie sich ihre Miete nicht mehr leisten können, das ist das Problem der Mieterinnen und Mieter, und da hätten Sie heute mal einen Akt der Christlichkeit beweisen können. Aber das „C“ ist Ihnen ja abhandengekommen, wie wir alle wissen. ({4}) Wenn wir uns anschauen, was Sie mit der Mietpreisbremse und auch mit all dem, was Sie verhindern, bewirken, dann muss ich ganz deutlich sagen: Die Mieterinnen und Mieter werden nicht geschützt, nicht durch das Bürgerliche Gesetzbuch und auch durch keine andere gesetzliche Maßnahme, die Sie hier eingebracht haben. Wir haben doch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs gehört: Nur das Portal „wenigermiete.de“ führt in entsprechenden Fällen dazu, dass Leute tatsächlich von dem Instrument Mietpreisbremse Gebrauch machen. Das Gesetz, das Sie gemacht haben, ist so schlecht, dass es von den Leuten nicht genutzt wird und es faktisch die Erhöhung der Mieten nicht stoppt. Insoweit ist das sogar eine Mogelpackung, meine Damen und Herren. ({5}) Und weil Sie die ganze Zeit gesagt haben: „Bauen, bauen, bauen!“, sage ich für Berlin: Bauen finde ich gut. ({6}) Es hat keiner was dagegen, dass wir in Berlin neuen Wohnraum durch Bauen bekommen. Aber seien Sie doch mal ehrlich: Bauen wird das Problem nicht lösen. ({7}) Wir müssen die Miethöhe deckeln. Wir brauchen einen Mietendeckel, nicht nur, aber insbesondere in Berlin. Auch das gehört zur Wahrheit, meine Damen und Herren. ({8}) Wie Sie mich kennen, reicht mir das nicht. Ich wünsche mir auch, dass wir gerade bei den großen Wohnungsbaukonzernen enteignen. Denn wir müssen ihnen die Instrumente nehmen, mit denen sie die Mieterinnen und Mieter quälen. Danke schön, meine Damen und Herren. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Volker Ullrich. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Bayram, je länger Ihre Rede gedauert hat, desto klarer sind die Rezepte deutlich geworden, die nicht wirken: Enteignen oder Mietendeckel. ({0}) Die Ankündigung des Gesetzentwurfs in Berlin hat dazu geführt, dass Investoren ihre Entscheidungen zurückstellen und dass damit der Wohnungsmarkt in Berlin erst recht überhitzt wird. ({1}) Das Problem lösen wir nicht durch ideologische Überladung, sondern durch eine kluge Wohnungsbaupolitik. Deswegen will ich zum heutigen Thema kommen. Es ist in der Tat so, dass bezahlbarer Wohnraum in den großen Städten eine große Herausforderung ist. Menschen fragen sich, ob sie noch eine bezahlbare Wohnung finden oder ob sie sich die Wohnung, die sie angeboten bekommen, noch leisten können. Ja, Wohnen ist eines der großen sozialen Themen unserer Zeit, und wir wollen nicht, dass auf Dauer die Mieten schneller steigen als die Lohnentwicklung. Denn das bedeutet im Endergebnis, dass immer mehr vom Einkommen für die Miete ausgegeben werden muss. Wir wollen nicht, dass die Leistungsträger unserer Gesellschaft – Krankenschwestern, Pfleger, Polizisten – lange Pendelwege haben, um ihren Arbeitsort in der Innenstadt zu erreichen. Deswegen brauchen wir in der Tat mehr Wohnraum. Die Baulandkommission hat dazu hervorragende Vorschläge gemacht, und die Länder sind in der Pflicht, auch die Gelder, die sie haben, für den sozialen Wohnungsbau einzusetzen. Wir brauchen Nachverdichtungen. Wir brauchen auch einen Schwerpunkt auf dem sozialen und genossenschaftlichen Wohnungsbau. Aber klar ist für uns auch, dass neben der Frage des Neubaus natürlich auch die Preisentwicklung eine wichtige Frage ist. Wir wollen nämlich den Anstieg der Mieten ein Stück weit dämpfen. Wir wollen nicht, dass auf Dauer die Mieten noch weiter steigen als die Lebenshaltungskosten oder die Einkommen. Das ist der Hintergrund dieses Gesetzentwurfs. Ja, seit dem Jahr 2015 gilt die Mietpreisbremse, und eine Analyse muss zugeben, dass diese Mietpreisbremse wirkt, aber noch nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Der entscheidende Grund ist zunächst einmal, dass eine gewisse Rechtsunsicherheit bei der Frage der Ausweisung der entsprechenden Gebiete bestanden hat. Da müssen wir nachschärfen mit einem besseren Mietspiegelrecht. Aber klar ist auch: Es kommt auf den Zeitpunkt an, wann der Mieter die entsprechende Rüge vornehmen muss. Wenn der Mieter die Rüge zum Zeitpunkt des Mietbeginns vornehmen muss, dann wird er vielleicht im Zweifelsfall gar nicht erst rügen, weil er ja froh ist, die Wohnung überhaupt gefunden zu haben. Wenn er aber zweieinhalb Jahre Zeit und die Möglichkeit hat, mithilfe des Mietspiegels auszuwerten, wie hoch die Vergleichsmiete ist, dann kann er von dem Vermieter, der eine Mietsteigerung über dem Mietspiegel verlangt, seine zu viel gezahlte Miete zurückverlangen. Ich glaube, das ist ein fairer Ausgleich zwischen Mietern und Vermietern in städtischen Ballungszentren. Ich glaube, darauf können und sollten wir uns einlassen. ({2}) Man darf nicht vergessen, dass im Augenblick nicht nur die Mietkosten stärker steigen als die Löhne, sondern dass die Preisentwicklung bei Haus- und Wohnungskäufen noch stärker nach oben zieht. Wir müssen verhindern, dass ein möglicherweise überhitzter Wohnungsmarkt auch auf die Mieten durchschlägt. Deswegen sagen wir: Ja, wir brauchen einen klugen Ausgleich zwischen Mietern und Vermietern. Jeder Vermieter soll nach wie vor seine Kosten refinanzieren können. Wir vertrauen den vielen gutmütigen Vermietern in unserem Land. Aber klar muss auch sein, dass wir keine Überhitzungsreaktion wollen, dass wir einen vernünftigen Anstieg der Mieten anstreben und dass wir keine Mieten wollen, die durch die Decke schießen und damit für viele Menschen unbezahlbar werden. Das ist der Kompromiss in diesem Gesetzentwurf. Wir sprechen nicht über Enteignungen oder über einen Mietendeckel oder über die Erschwerung des Ausweisens von neuem Bauland, sondern es geht darum, dass wir die gesamte Thematik in einem Gesamtkonzept betrachten und auf der einen Seite dafür sorgen, dass mehr gebaut wird, aber auf der anderen Seite auch die Sorgen der Menschen ernst nehmen, die sich fragen: Finde ich eine Wohnung? Kann ich mir die Wohnung leisten? Was passiert, wenn mir gekündigt wird? Bekomme ich eine neue bezahlbare Wohnung? – Die Städte sind für alle Menschen da. Dafür sorgen wir gemeinsam in dieser Koalition. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Mietpreisbremse wirkt. Das zeigen deutschlandweit Urteile, nach denen Mieterinnen und Mieter aufgrund unserer Mietpreisbremse den Anstieg ihrer Mieten stoppen konnten. Das zeigt: Die Mietpreisbremse wirkt. Wenn wir nicht wollen, dass die Mieten noch weiter steigen, dann müssen wir sie beibehalten, verlängern und dort erweitern, wo es notwendig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Genau das machen wir mit diesem Gesetz. Wir verlängern die Geltungsdauer der Mietpreisbremse um fünf Jahre. Klar ist: Ja, die Mietpreisbremse gilt in zu wenigen Gemeinden und Orten. Das liegt auch daran, dass etwa in Schleswig-Holstein – im grün regierten Schleswig-Holstein – die Mietpreisbremse abgeschafft wurde. Liebe Grüne, ihr habt die Mietpreisbremse dort abgeschafft. ({1}) Ich finde, dass ihr uns hier im Bundestag vorwerft, die Mietpreisbremse würde nicht greifen, während euer Vorsitzender Habeck sie in Schleswig-Holstein abschafft, zeigt eine gewisse Verlogenheit. ({2}) Das ist einfach nur verlogen und zeigt, dass es euch gar nicht so wichtig ist, euch um die Mieterinnen und Mieter zu kümmern. ({3}) Allen, die die Mietpreisbremse hier als wirkungslos kritisieren – die FDP-Kollegin hat das zum Beispiel getan –, sei gesagt: ({4}) Wenn Ihr Fahrrad eine Bremse hat, die nicht so schnell greift, wie Sie es gerne hätten, dann schmeißen Sie nicht das Fahrrad weg, sondern schauen genau, wie Sie die Bremse schärfer stellen müssen. Genau das machen wir mit diesem Gesetz. Wir erweitern die Mietpreisbremse, damit sie besser greift. Das machen wir mit einer wichtigen Maßnahme in diesem Gesetz. ({5}) Mit dem Pokerspiel der schwarzen Schafe unter den Vermietern, eine zu hohe Miete in den Vertrag zu schreiben und darauf zu setzen, dass der Mieter das schon akzeptieren wird, wird Schluss sein; denn zukünftig ist die Überzahlung nicht erst ab der Rüge zurückzuzahlen, sondern für die ersten 30 Monate, ({6}) wenn der Mieter in den ersten 30 Monaten rügt. Das heißt, ein Mieter kann die Wohnung nehmen, den Mietvertrag unterschreiben, auch wenn er weiß bzw. davon ausgehen kann, dass die Miete überteuert ist. Er kann dann im schlimmsten Fall für 30 Monate das Geld zurückfordern. Ich finde, das ist eine ganz wichtige Maßnahme, weil sie Druck auf die Vermieter ausübt, faire Mieten, und zwar innerhalb der Mietpreisbremse, anzubieten. ({7}) Wenn zum Beispiel ein Vermieter 50 Euro zu viel Miete verlangt, sind das in 30 Monaten 1 500 Euro. Das ist doch eine ziemliche Drucksituation. Ich glaube, dass das dazu führen wird, dass die Vermieter sich an die Mietpreisbremse halten werden, und zwar alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, und der Mietanstieg damit gestoppt werden kann. ({8}) Und ja, natürlich muss auch mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Wir müssen mehr bauen, und da machen wir auch eine Menge hier in der Koalition dafür. Aber bis das alles greift, bis das alles gebaut ist, bis dahin müssen wir das Mietrecht für die Mieterinnen und Mieter verbessern, wenn wir den Mietanstieg dämpfen und im besten Fall auch noch stoppen wollen. Und deswegen brauchen wir die Mietpreisbremse noch mindestens weitere fünf Jahre, und es ist gut, dass wir hier dieses Pokerspiel von manchen schwarzen Schafen unter den Vermietern beenden. Also ein gutes Gesetz. Stimmen wir dem zu. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache.

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! 2007 wurde das Elterngeld eingeführt. Es ermöglicht Eltern, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, und in dieser Zeit erhalten sie finanzielle Unterstützung vom Staat. ({0}) Das Basiselterngeld wird dabei bis zu 14 Monate und das Elterngeld Plus bis zu 28 Monate gezahlt. Letztes Jahr haben etwa 1,4 Millionen Mütter und 400 000 Väter Elterngeld bezogen. ({1}) – Das ist gut, genau. – Und in den letzten Jahren sind es auch immer mehr Väter. Einen kleinen Haken hat die Sache: Wenn man sich die Zahlen noch mal im Detail anguckt, muss man feststellen, dass Mütter durchschnittlich 11,7 Monate und Väter durchschnittlich 3 Monate Elterngeld bekommen. Wir finden: Hier ist noch ganz viel Luft nach oben, und eine Reform des Elterngeldes könnte dazu beitragen, dass Väter sich noch mehr an der Erziehungs- und Sorgearbeit in der Familie beteiligen. ({2}) Deshalb wollen wir zwölf Monate Elterngeld für jeden Elternteil, und das nicht übertragbar. Aber lassen Sie mich heute vor allen Dingen auf einen Punkt hinweisen: Vor zwölf Jahren wurde das Elterngeld eingeführt. Vor zwölf Jahren wurde der Mindestbetrag auf 300 Euro festgelegt, und seitdem gab es keine einzige Erhöhung dieses Mindestbetrages. Doch in den vergangenen zwölf Jahren – das wissen wir alle – ist vieles teurer geworden. Die Preise für Lebensmittel sind gestiegen, die Mieten sind gestiegen, der Strom ist teurer geworden, und vieles andere ist im Preis gestiegen. Besonders Familien mit geringem oder ohne Einkommen sind davon betroffen. Wir haben die Bundesregierung mal gefragt, wie hoch der Mindestelterngeldbetrag sein müsste, wenn man die Entwicklung des allgemeinen Verbraucherpreisindexes der letzten zwölf Jahre berücksichtigen würde. Die Bundesregierung hat uns geantwortet, dass dieser Mindestbetrag, wenn man diese Entwicklung ausgleichen möchte, um 15,8 Prozent steigen müsste. Doch eine solche Anpassung ist im Gesetz überhaupt nicht vorgesehen, und die Bundesregierung möchte da auch gar nichts unternehmen, so zumindest geht es aus der Antwort hervor. Wir finden, wir müssen da unbedingt aktiv werden. ({3}) Wenn man jetzt die Prozentzahl der Bundesregierung einfach mal als Grundlage nimmt, dann müssten das Elterngeld monatlich 50 Euro und das Elterngeld Plus monatlich 25 Euro höher sein. Wir finden, dass wir das unbedingt sofort anheben sollten, weil das Geld nämlich direkt bei den Familien, bei den Kindern ankommt, dort, wo es gebraucht wird. ({4}) Lassen Sie uns also den Sockelbetrag beim Elterngeld auf 400 Euro und beim Elterngeld Plus auf 200 Euro monatlich erhöhen. ({5}) Wir finden auch: Nehmen wir die automatische Anpassung des Mindest- und Höchstbetrages an die Entwicklung des Verbraucherpreisindexes ins Gesetz auf. Wie wir alle wissen, wurde im Bundestag mit großer Mehrheit eine jährliche und automatische Anpassung der Abgeordnetenentschädigung beschlossen. Lassen Sie uns einfach 2020 auch die automatische Anpassung des Elterngeldmindestbetrages mit großer Mehrheit oder sogar einstimmig im Bundestag beschließen. ({6}) Dies würde den Familien direkt helfen und ihr Leben auch erleichtern. Über ein Viertel der Mütter und Väter, die Elterngeld beziehen, bekommen lediglich diesen Mindestbetrag. Bei den Frauen ist es sogar fast ein Drittel. Auch das ergab die Anfrage an die Bundesregierung. Mit unserem Antrag, den wir heute diskutieren, würden viele Familien spürbar entlastet werden. Darüber hinaus wollen wir, dass das Elterngeld tatsächlich bei den Familien ankommt. Deshalb möchten wir, solange wir keine Kindergrundsicherung haben, dass die Anrechnung von Elterngeld auf die Hartz-IV-Leistungen abgeschafft wird. ({7}) Das wäre ein effektiver und einfacher Schritt im Kampf gegen Kinderarmut, den wir sofort umsetzen könnten. Frau Giffey hat für das kommende Jahr eine Reform des Elterngeldes angekündigt. Lassen Sie uns diese Vorschläge im Ausschuss diskutieren. Lassen Sie uns diese ins Gesetz aufnehmen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Maik Beermann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maik Beermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004250, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab ganz kurz: 2007 – darauf wurde schon eingegangen – wurde das Elterngeld eingeführt. Wer hat es gemacht? Wir haben es gemacht! ({0}) Weitergeführt wurde das Ganze mit der Einführung des Elterngeld Plus. Wer hat es gemacht? Wir haben es gemacht! ({1}) Dann ging es weiter mit der Einführung des Partnerschaftsbonus. Wer hat es gemacht? Wir haben es gemacht! ({2}) 4 Milliarden Euro waren es, als in einem ersten Schritt das Elterngeld eingeführt wurde. Jetzt stehen im Haushalt 7,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Wer hat es gemacht? Richtig! Wir haben es gemacht! ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Erfolgsgeschichte. Da sind wir uns hier im Hohen Hause einig. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, der wir uns in den vergangenen Jahren oftmals zusammen gestellt haben. Deswegen lassen Sie uns da auch gerne weitermachen. ({4}) Wir sprechen beim Elterngeld ganz klar von einer Erfolgsgeschichte. Diese Erfolgsgeschichte soll auch weitergehen. Wir Familienpolitikerinnen und ‑politiker der Union wissen auch, dass das Geld, das wir verteilen, erst erwirtschaftet werden muss. Auch das gehört zur Wahrheit. ({5}) Deshalb sehe ich den Antrag der Linken, den Mindestbetrag auf 400 Euro und den des Elterngeld Plus auf 200 Euro anzuheben, eher kritisch. Wie gesagt, wir stellen aktuell bereits 7,3 Milliarden Euro jährlich in den Haushalt ein. Finanzpolitische Vernunft steht uns manchmal auch ganz gut. Ich sage Ihnen aber auch: Einer generellen Diskussion werden wir uns nicht verschließen und gar nicht verschließen können, weil Sie, Frau Werner – hier gebe ich Ihnen recht –, mit Ihren Ausführungen gar nicht so falsch liegen. Von daher: Eine Debatte an dieser Stelle tut der Situation sicherlich gut. Ein weiterer Antrag kommt von der FDP. Die FDP geht in ihrem Antrag auf die Themen Entbürokratisierung, Flexibilisierung und Digitalisierung der Leistung ein. Diese Ziele teilen wir, und wir handeln auch entsprechend. Uns liegt am Herzen, die Wahlfreiheit für Mütter und Väter zu stärken. Wir wollen die Elterngeldberechnung anpassen, besonders im Bereich der Mischeinkünfte. Bei Einkommen aus nichtselbstständiger und selbstständiger Arbeit wollen wir eine Verbesserung für die Eltern. Uns ist zudem wichtig, dass im Falle einer Frühgeburt das Elterngeld länger gezahlt wird. Warum? Eltern befinden sich in einer emotionalen und psychisch schwierigen Situation, wenn sie ein Frühchen bekommen haben. Es ist unsere Pflicht und Verantwortung, darauf einzugehen und dementsprechend Anpassungen vorzunehmen. ({6}) Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen auch die Modalitäten des Partnerschaftsbonusses flexibilisieren und vereinfachen sowie den wöchentlichen Stundenkorridor des Partnerschaftsbonusses neu organisieren. Nach ersten Vorgesprächen warten wir schon eine Weile händeringend auf den Referentenentwurf zur Reform des Elterngeldes aus dem Bundesfamilienministerium. Wir hoffen, dass der Entwurf sehr bald eingereicht wird und wir uns im parlamentarischen Verfahren damit befassen können. Zum Schluss noch zur Digitalisierung. Wir wollen, dass die Daten laufen, und nicht die Eltern. Wir haben mit dem Elterngeld Digital bereits einen digitalen Antragsassistenten eingeführt, der von immer mehr Bundesländern genutzt wird. 2020 wird auch die Möglichkeit geschaffen, sich elektronisch zu authentifizieren und die Daten unmittelbar und papierlos an die Elterngeldstelle zu übertragen. Ebenso wird es im nächsten Jahr einen Entwurf eines Digitale-Familienleistung-Gesetzes geben, in dem wir uns ganz konkret auf die Themen Entbürokratisierung und Digitalisierung von familienpolitischen Leistungen konzentrieren. ({7}) Unser Ziel muss es sein, dass in Zukunft alles rund um unsere Familienleistungen digital abläuft, am besten einfach und bequem per App. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war meine letzte Rede als Familienpolitiker in diesem Jahrzehnt. Ich hoffe, es werden noch viele im neuen Jahrzehnt folgen. ({8}) Ich freue mich auf jeden Fall darauf. Ihnen allen von dieser Stelle schöne Weihnachten, einen guten Rutsch und auf ein gutes Miteinander in 2020. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Martin Reichardt für die AfD-Fraktion. ({0})

Martin Reichardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004859, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Weihnachten ist die Zeit der Familie, die Zeit der Geschichten, die Zeit der Traditionen. Die Linken erzählen heute in ihrem Antrag wieder die Geschichte einer Partei für Familien und Kinder. Mit Ihrem Antrag wollen Sie den Mindestbetrag des Elterngelds erhöhen und ihn dynamisieren. Das sind löbliche Ansätze, die wir teilen. Die wahre Schwäche des Elterngeldes ist aber, dass es nur für 12 bis 14 Monate in voller Höhe gezahlt wird. Wer darüber hinaus seine Kinder zu Hause betreuen möchte, der muss verzichten oder früher wieder arbeiten gehen. Das ist keine echte Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung, diese ist aber zwingend notwendig. ({0}) Sie erzählen auch eine Geschichte einer sozialen Partei für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Diese Geschichte ist leider eine Lügengeschichte; denn Ihre Politik ist die Politik ideologischer Verblendung. ({1}) Ihre ideologische Verblendung geht sogar so weit, dass Sie Ihren eigenen Forderungen hier im Deutschen Bundestag nicht zustimmen. ({2}) Bereits 2018 stellte die Fraktion Ihrer Partei in Thüringen die Forderung auf, die Mehrwertsteuer auf Kinderprodukte auf 7 Prozent zu senken. Ihr Ministerpräsident Ramelow stellte dazu die Forderung auf, dass das im Bundestag umgesetzt werden müsste. Nun, meine Damen und Herren, Sie hatten im Bundestag die Gelegenheit, diese Forderung umzusetzen; denn wir als AfD haben einen entsprechenden Antrag eingebracht, Sie haben ihn aber abgelehnt. ({3}) Damit haben Sie sich selbst entlarvt. ({4}) Es geht Ihnen nämlich nicht um Familien, es geht Ihnen darum, dass Sie Ihre ideologische Betonkopfpolitik weiter fortsetzen können. ({5}) Das ist auch kein Wunder; denn die Linken stehen in der Tradition der SED, in der Tradition von Unterdrückung und Unwahrheit, Sie stehen in der Tradition von Mauertod, Diktatur und Unrechtsstaat. ({6}) Sie stehen auch in der Tradition von Marx und Engels, die bereits vor langer Zeit geschrieben haben, dass die Familie als gesellschaftliche Institution ganz verschwinden soll. So schreiben Sie folgerichtig in Ihrem Thesenpapier zur Familienpolitik: ({7}) Eine Familienpolitik, die am klassischen Familienbild festhält, spiegelt die gesellschaftliche Realität nicht wider. – Weiterhin schreiben Sie: „Familie ist dort, wo Menschen füreinander soziale Verantwortung übernehmen ...“ ({8}) Familie ist für Sie so etwas wie ein Sportverein bzw. eine Kolchose, in letzter Konsequenz aber vermutlich immer der sozialistische Obrigkeitsstaat. ({9}) Links-Grün macht seit Jahren Politik gegen die Familie aus Mann, Frau und Kindern. Links-Grün hat Angst vor starken Familien; denn sie sind das Bollwerk gegen Ihre Ideologie, liebe Damen und Herren. ({10}) Familie ist dort, wo Vater, Mutter und Kinder sind. ({11}) Für diese Familie steht heute leider nur noch die AfD als bürgerlich-konservative Partei im Deutschen Bundestag. ({12}) – Beruhigen Sie sich mal. Wir von der AfD stimmen ja nicht ideologisch ab. Darum freuen wir uns auf die Beratung Ihres an sich löblichen Antrags im Ausschuss. ({13}) Ihnen von der Linken und damit einer leider gottlosen Partei ({14}) wünsche ich zu Weihnachten etwas mehr Ehrlichkeit, etwas weniger Hass ({15}) und ein wenig die Fähigkeit, jenseits der Ideologie zu entscheiden. ({16}) Ja, das sollten Sie einmal tun. Ich entlasse Sie in das Jahr 2020 ({17}) mit einer Bitte: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. ({18}) Mein besonderer Dank gilt heute allen Familien in Deutschland. Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest. Bleiben Sie stark, trotz Links-Grün in schwerer Zeit. Die AfD steht an Ihrer Seite. Vielen Dank. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Stefan Schwartze für die SPD-Fraktion. ({0})

Stefan Schwartze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004150, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nach diesem freundlichen Büttenredner der AfD ({0}) wollen wir jetzt mal wieder übers Elterngeld reden. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Linken und bei der FDP dafür, dass sie das Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben; ({1}) denn ich rede besonders gerne über ({2}) das erfolgreichste familienpolitische Instrument der letzten Jahrzehnte. Bei Einführung des Elterngeldes war uns und den jungen Familien eines ganz besonders wichtig, nämlich mehr Zeit für die Familie und mehr Partnerschaftlichkeit in der Familie. ({3}) Dabei haben wir eine veränderte gesellschaftliche Realität aufgenommen, und gleichzeitig haben wir zu einer Veränderung im Bewusstsein, ganz besonders bei den Arbeitgebern, beigetragen. Rollenbilder und Verhaltensmuster verändern sich. Endlich, so kann man sagen, sind Mütter häufiger berufstätig, und beteiligen sich Väter stärker in der Familie. ({4}) Beides ist das, was Eltern wünschen. Noch vor einer Generation war nur ein Drittel der Bevölkerung der Ansicht, dass Väter so viel Zeit wie möglich mit ihren Kindern verbringen sollten; heute sind es 84 Prozent. Ähnlich stark ist die Wandlung bei den Müttern: Vor einer Generation war es für über 80 Prozent selbstverständlich, dass die Mütter die Hauptarbeit bei Kinderbetreuung und Haushalt übernehmen; heute ist nur noch ein Drittel dieser Ansicht. – Daran kann man sehen, welch veraltetes Weltbild uns eben hier vorgestellt wurde. ({5}) Familienpolitik hat die Aufgabe, sich Veränderungen in der Gesellschaft permanent anzupassen. Das haben wir in den letzten Jahren gut hinbekommen: Elterngeld und Elterngeld Plus, der Ausbau der Betreuungsangebote für unter Dreijährige, das Bildungs- und Teilhabepaket für finanziell schwache Familien, der Rechtsanspruch auf Arbeit in Teilzeit und Rückkehr in Vollzeit. ({6}) Wichtige Erfolge für die Familien! In diesem Jahr haben wir mit dem Gute-KiTa-Gesetz und dem Starke-Familien-Gesetz weitere Bausteine hinzugefügt. ({7}) Sie wissen, dass die SPD auf ihrem Parteitag ein Konzept für eine Kindergrundsicherung beschlossen hat. Dafür kämpfen wir Sozialdemokraten. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Elterngeld leistet einen wichtigen Beitrag zu mehr Gleichberechtigung. Das Elterngeld ist eine der beliebtesten und bekanntesten Familienleistungen in Deutschland. ({9}) 91 Prozent der Bevölkerung kennen das Elterngeld. 82 Prozent der Bezieherinnen und Bezieher sagen, dass das Elterngeld besonders wichtig für das Familieneinkommen ist. Die Leistungen werden von den Eltern gut angenommen, gerade auch von Vätern. Mehr Väter nehmen für ihre Kinder eine berufliche Auszeit und beziehen Elterngeld. 2018 ist ihre Zahl im Vergleich zum Vorjahr um rund 7 Prozent gestiegen. Das sind wichtige Fortschritte. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass immer noch 1,4 Millionen Mütter gegenüber nur 430 000 Vätern Elterngeld beziehen. Das Elterngeld erkennt Erziehungsleistungen an und hilft bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist keine Sozialleistung. Meine Damen und Herren, wir wünschen uns mehr Väter, die sich mehr Zeit für die Familie nehmen und Gleichberechtigung leben. Für das Jahr 2020 steigt der Ansatz für das Elterngeld um 395 Millionen Euro auf insgesamt über 7,2 Milliarden Euro. Wir haben also durch ein verbessertes Elterngeld dazu beigetragen, dass dem Wunsch nach partnerschaftlicher Teilung der Familienarbeit entsprochen werden kann. Auf der anderen Seite bleibt aber noch einiges zu tun; denn in der Realität ist es doch so, dass der Wunsch eines Mannes gegenüber seinem Arbeitgeber nach Elternzeit auch heute oft nicht ohne Probleme geäußert werden kann. Noch immer fehlt es in der Gesellschaft an Einsicht und an Rücksicht auf junge Familien. Familienpolitik hat die Aufgabe, sich ständig den neuen Lebensrealitäten anzupassen. Das nehmen wir ernst. Wir haben das Elterngeld in der letzten Wahlperiode reformiert und das Elterngeld Plus sowie den Partnerschaftsbonus eingeführt. ({10}) Zurzeit arbeiten wir an weiteren Verbesserungen, mit denen wir zum Beispiel die Situation von Eltern mit Kindern verbessern, die zu früh auf die Welt gekommen sind, wie Herr Beermann das eben schon berichtet hat. Wir wollen daneben Vereinfachungen für Eltern mit geringen Nebeneinkünften aus selbstständiger Arbeit schaffen. Das ist gar keine kleine Gruppe. Außerdem wollen wir den Partnerschaftsbonus flexibilisieren. Natürlich werden Sie jetzt sagen: Es fehlt noch dies, und es fehlt noch jenes. – Mir würde auch noch das eine oder andere am Herzen liegen, zum Beispiel Regelungen für Pflegeeltern. ({11}) Wir werden hier Schritt für Schritt weitermachen. Unser Ziel ist es, die Bindung zwischen dem Kind und beiden Elternteilen zu stärken, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessen. Väter sollen ohne die Sorge um ihre berufliche Laufbahn Zeit für ihre Kinder haben, und Frauen sollen sich ohne Angst vor einer beruflichen Sackgasse oder finanzieller Abhängigkeit für Kinder entscheiden können. Wir wünschen uns Eltern, die sich gemeinsam um Familie, Beruf und Haushalt kümmern. ({12}) Wir wollen, dass jede Familie und jedes Kind es packen. Danke schön. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Grigorios Aggelidis für die FDP-Fraktion. ({0})

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist gut, dass wir aufgrund des Antrages der Linken und des Antrages, den wir dazugepackt haben, über das Elterngeld sprechen. ({0}) Es ist auch gut, darüber zu sprechen, ob die Höhe nach dieser ganzen Zeit angemessen ist. Wir werden uns einer solchen Debatte nicht verschließen. Wir haben ja schließlich auch beim Kinderchancengeld gefordert, dass es ein entsprechendes Gremium gibt, das unabhängig auch über die Höhe und die Anpassungsnotwendigkeiten spricht. Ich würde mir wünschen, dass wir viel mehr und viel intensiver darüber sprechen, was für Reformen darüber hinaus hier dringend notwendig sind. Lieber Kollege Schwartze und lieber Maik, wenn ich die Ausführungen, die ich eben gehört habe, Revue passieren lasse, dann frage ich mich: Ist das Satire? Ist das Kabarett? Was ist das eigentlich? Sie haben die Punkte angesprochen und gesagt: Ja, die FDP hat recht mit der Frage, ob die Dauer bei einer Frühgeburt angemessen ist, und mit der Frage, wie es in Bezug auf die Berechnung des Elterngeldes aussieht, wenn die Eltern vorher Insolvenzgeld bezogen haben. Über die Zeitkorridore haben wir auch gesprochen. Das haben wir seit ungefähr zwei Jahren gefordert. Seit zwei Jahren vertrösten das Familienministerium und Ihre beiden Fraktionen die Eltern auf eine Lösung. ({1}) – Moment mal! Das ist eine so billige Ausrede! Ist das wirklich Ihre Entschuldigung für zwei Jahre Nichtstun gegenüber den Eltern? Das finde ich echt erbärmlich – und ich glaube, die Eltern auch. ({2}) Herr Beermann, wenn ich dann höre, dass Sie sagen: „Es hat Vorgespräche gegeben, damit endlich mal ein Detailentwurf kommt“, dann ist das schon erschreckend. Die Familienministerin hatte versprochen: Im Juni liegt hier ein Entwurf vor. – Er liegt nicht vor. Dann hat sie im Ausschuss versprochen: Im Dezember liegt er vor. – Er liegt immer noch nicht vor. In ihrer letzten Reden hat sie von der letzten Sitzungswoche gesprochen. – Also, das finden wir sehr schlimm. Wir als Serviceopposition sehen das anders. ({3}) – Wollen Sie das den Eltern wirklich so sagen? ({4}) – Sie sollten wissen, dass das alles aufgezeichnet wird. Ich finde Ihre Reaktion gegenüber den Eltern sehr erbärmlich. ({5}) – Schäbig! Zynisch! Gefällt Ihnen das besser? Wir fordern deswegen, dass es endlich eine Berücksichtigung gibt und das Elterngeld bei Frühgeburten und bei Frühchen länger gezahlt wird. Wir wollen auch, dass die Zahlungen dann, wenn Eltern in den Jahren vorher Insolvenzgeld beziehen, in der Berechnung des Elterngeldes vernünftig berücksichtigt werden. Wir wollen eine Reform der Zeitkorridore. Wir wollen auch, dass die Zeitkorridore bei den Alleinerziehenden entsprechend angepasst werden. Es gibt noch eine Reihe anderer Punkte. So wollen wir auch, dass die Eltern bei zu langen Bearbeitungszeiten irgendwann ein Instrument in die Hand bekommen, mit dem sie sich gegen Bearbeitungszeiten von vier oder fünf Monaten oder noch länger wehren können. Das ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. ({6}) Einen letzten Gedanken möchte ich noch nennen, weil Sie hier das Thema Digitalisierung angesprochen haben, Herr Beermann. Da möchte ich Ihnen sagen: Die Länder sind mehr als enttäuscht darüber, mit welcher Geschwindigkeit die Bundesregierung hier bei der digitalen Antragstellung arbeitet. Zum wiederholten Male ist der Termin für das Loslegen der digitalen Antragstellung verschoben worden – von der Bundesregierung. ({7}) – Dann informieren Sie sich mal. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Aggelidis, Sie müssen bitte zum Schluss kommen und die Diskussion in die Ausschussberatungen verschieben.

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Okay. – Wir werden im Ausschuss darüber sprechen. Ich würde mir wünschen, dass Sie entsprechend Dampf machen, so wie wir das tun. Vielen Dank – im Interesse der Familie. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Katja Dörner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst möchte auch ich mich bei den Linken dafür bedanken, dass sie das Thema Elterngeld hier ins Plenum gebracht haben. ({0}) Damit machen Sie nämlich eigentlich die Arbeit, die ich vom Ministerium erwartet hätte. In der Vorhabenplanung des Ministeriums, die die Ministerin uns im Januar dieses Jahres vorgelegt hat, hat sie eine Reform des Elterngeldes für die erste Jahreshälfte 2019 angekündigt. Dann hieß es irgendwann: im Herbst. Danach hieß es: im späten Herbst. Jetzt ist fast Weihnachten, und es liegt immer noch nichts vor. Ich finde, das ist eine ganz schwache Leistung, liebe Kolleginnen von den Koalitionsfraktionen. ({1}) Vielleicht hat es ja in den letzten Monaten zu viel Selbstinszenierung aufseiten der Familienministerin gegeben und zu wenig Arbeit an konkreten Gesetzentwürfen. ({2}) Vielleicht wäre es ein guter Vorsatz fürs neue Jahr, das zu ändern. ({3}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir teilen die Forderung der Linken, den Basisbetrag beim Elterngeld nicht aufs ALG II anzurechnen. Das war bei der Einführung des Elterngeldes auch ausdrücklich so nicht vorgesehen. Die ersten Monate nach der Geburt sollten ein Schonraum für alle Familien sein, unabhängig von ihrer Einkommenssituation. Diese Regelung wurde unter Schwarz-Gelb geändert. Das war ein großer Fehler. Arme Eltern haben vom Elterngeld seitdem nämlich gar nichts mehr. Herr Beermann, an dieser Stelle muss ich einfach sagen: Wer hat es gemacht? Sie haben es gemacht. ({4}) Das ist eine ganz große Ungerechtigkeit. ({5}) Wenn man über die Bekämpfung von Kinderarmut spricht, dann darf man über diese Ungerechtigkeit nicht schweigen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Elterngeld hat aber aus unserer Sicht noch einen deutlich größeren Reformbedarf. Familien brauchen wieder mehr Zeit füreinander. Eltern brauchen Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, so zu leben, wie sie es sich selber vorstellen und wie sie es sich selber wünschen. Ein ganz großer Anteil der jungen Eltern wünscht sich, Erwerbs- und Familienarbeitszeit partnerschaftlich untereinander aufzuteilen. Aber nur die allerwenigsten können das im Alltag tatsächlich umsetzen. Mit unserer Idee einer KinderZeit Plus schlagen wir vor, die Zahlung des Elterngeldes auf 24 Monate auszuweiten und die Partnermonate dabei auf mindestens acht festzulegen. ({6}) Im zweiten Lebensjahr des Kindes soll dann die vollzeitnahe Teilzeit beider Elternteile durch die Lohnersatzleistung unterstützt werden. Das ist aus unserer Sicht ein Konzept, das den Bedürfnissen junger Eltern wirklich entspricht, und ein Ansatz von moderner Zeitpolitik, die bei den Familien wirklich ankommt. Ich finde es sehr bedauerlich – das muss ich sagen –, dass die Frage „mehr Zeit für die Familie“, die Frage „Unterstützung für Partnerschaftlichkeit in den Familien“ in dieser Legislaturperiode bei dieser Bundesregierung, bei den Koalitionsfraktionen offensichtlich gar keine Rolle spielt. Da waren wir sogar in der letzten Legislaturperiode weiter. Wir werden das nicht auf sich beruhen lassen. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass wir eine moderne Zeitpolitik haben, dass Familien mehr Zeit füreinander bekommen. Ich freue mich auch auf die Beratungen im Ausschuss. Wir werden auch weiter konkrete Vorschläge ins Parlament einbringen, damit wir darüber diskutieren können, wie wir wirklich Fortschritte erreichen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Ingrid Pahlmann das Wort. ({0})

Ingrid Pahlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns mit zwei Anträgen aus der Opposition zum Thema Elterngeld. Eine der Initiativen kommt von der FDP. Die Freien Demokraten fordern unter anderem eine stärkere Digitalisierung der Leistungen und auch eine Vereinfachung der Antragstellung. ({0}) Der zweite Antrag entspringt der Feder der Linksfraktion. Die Linke will – das überrascht wohl eigentlich niemanden in diesem Hause – einfach mal wieder Geld verteilen, Steuergeld wohlgemerkt. ({1}) Sie fordert schlicht und einfach, den Mindestbeitrag beim Elterngeld und beim Elterngeld Plus anzuheben. Über beide Anträge wird im Ausschuss natürlich zu debattieren sein, und wir werden uns auch gewissen Dingen nicht verschließen. Beide Fraktionen – darauf möchte ich mal hinweisen – zweifeln allerdings nicht am Konzept des Elterngeldes. Sie finden hier sogar – das haben Sie gut ausgeführt – sehr lobende Worte. Ich zitiere einmal aus dem Antrag der Linken: Das Elterngeld ermöglicht es Eltern, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und dazu Unterstützung vom Staat zu erhalten. Für die Liberalen ist das Elterngeld – man höre und staune – eine „zentrale Familienleistung“. Ich muss sagen: Diese Einschätzungen sind zwar inhaltlich richtig, aber sie verwundern mich. Sie verwundern, wenn man einen Blick in die Protokolle dieses Hauses wirft. Im Jahre 2006 haben wir über die Einführung des Elterngeldes hier abgestimmt. Dass wir diese familienpolitische Erfolgsgeschichte heute haben, verdanken wir der Union und der SPD. Sowohl Die Linke als auch die FDP stimmten damals nämlich dagegen. ({2}) Auch die Grünen waren daran leider nicht interessiert und haben das Elterngeld damals abgelehnt. ({3}) Aber die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen hat sich durchgesetzt und damit einen weiteren Baustein moderner Familienpolitik gelegt. Heute ist das Elterngeld – wir hören es – überhaupt gar nicht mehr wegzudenken. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Pahlmann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Aggelidis?

Ingrid Pahlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Grigorios Aggelidis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004652, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pahlmann, dass Sie die Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung erlauben. Ich finde es sehr interessant, dass Sie Entscheidungen aus dem Jahr 2006 – ich will mir jetzt ersparen, die aus Protokollen von vor 2006, gerade aus solchen mit Beiträgen der CDU, vorzulesen – anführen. Kann es sein, dass bei Ihnen, nachdem diese Legislatur mittlerweile etwas mehr als zwei Jahre andauert, langsam angekommen ist, dass die neue Fraktion der Freien Demokraten, was Familienpolitik angeht, progressiv, ganz vorne, an der Spitze, ist? ({0}) Oder brauchen Sie noch länger?

Ingrid Pahlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, das freut mich sehr zu hören. Ich wollte hier in diesem Haus einfach nur mal deutlich machen, wer in puncto fortschrittlicher Familienpolitik die Nase vorne hat, und das war nun mal die Große Koalition. Ich freue mich sehr, wenn Sie jetzt produktiv und konstruktiv an unserer Seite sind. ({0}) Ich bin sehr interessiert, was die Arbeitgeber in ihren Reihen zu einem bestimmten Zeitmanagement und zu bestimmten Zeitkonten zu sagen haben. Ich freue mich auf die Diskussion und auf die Zusammenarbeit im Ausschuss. ({1}) Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2018 rund 1,4 Millionen Mütter und 430 000 Väter Elterngeld bezogen. Damit sind die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr um 4 Prozent gestiegen. Erfreulich ist der Anteil der Väter, er hat um 7 Prozent zugelegt. Ich muss sagen: Dieser starke Zuspruch ist auch in meinem Wahlkreis festzustellen; auch da steigen die Zahlen kontinuierlich an. Dass sich immer mehr Väter dazu entscheiden, zeitweilig aus dem Beruf auszusteigen und sich mehr um den Nachwuchs zu kümmern, ist eine der allerbesten Auswirkungen des Elterngeldes. Es ist nicht nur schön für die Vater-Kind-Bindung, sondern auch ganz besonders für die vielen jungen Frauen, die selbstverständlich – Gott sei Dank ist es heute selbstverständlich, abgesehen vielleicht von einer Fraktion in diesem Haus, die das anders sieht – Karriere und Kinder vereinbaren wollen. ({2}) „Es ist“, wie Frau von der Leyen vor 13 Jahren an diesem Rednerpult hier sagte – ich zitiere – „im 21. Jahrhundert möglich, die Verantwortung für Erziehung und für Einkommen als gemeinsame Verantwortung von Männern und Frauen zu sehen.“ Dazu trägt das Elterngeld bei. Damit hat die Politik die Möglichkeiten geschaffen. Frauen nutzen das Instrument schon sehr gut. Jetzt sind auch Väter und die Wirtschaft gefragt, diese Möglichkeiten zu nutzen, auszubauen und zu fördern. Natürlich gibt es an einigen Stellen Verbesserungsbedarf. Deshalb wollen wir auch in Kürze das Elterngeld reformieren. Dabei wollen wir Eltern in besonderen Situationen – Herr Kollege Beermann hat es schon gesagt: bei Mehrlingsgeburten und Frühgeburten – stärker unterstützen, aber auch Verbesserungen beim Zeitkorridor und bei den Rückzahlungsmodalitäten – das wird Sie vielleicht freuen – sowie im Bereich Digitalisierung sind geplant. Ich muss Ihnen sagen: In einigen Bundesländern gibt es bereits die Antragsassistenten für ElterngeldDigital. Also ist es gar nicht ganz so weit weg, wie Sie das sagen. Ich freue mich auf die weiteren Vorschläge unserer Familienministerin Franziska Giffey und auf die fachliche Auseinandersetzung mit Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Familienausschuss. Aber eines ist jetzt schon wirklich klar: Elterngeld gehört zu den Familienleistungen, die von der Bevölkerung am meisten geschätzt werden – das muss man auch mal zur Kenntnis nehmen –, und das ist auch gut so. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Silke Launert für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Silke Launert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004336, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Elterngeld ist, wie bereits gesagt, eine Erfolgsgeschichte. Seit 2007 gibt es das Elterngeld; reformiert wurde es 2015. Es ermöglicht jungen Menschen, eine Familie zu gründen, ohne befürchten zu müssen, in ein finanzielles Loch zu fallen. Genau das ist eigentlich der Anlass. Ich kann das von mir selbst bestätigen: Wenn man nach langem Studium den ersten Euro verdient, aber schon in Richtung 30 geht, überlegt man sich, ob man gleich Kinder bekommt. Aber wenn man weiß: „Ich bekomme ja erst einmal einen großen Teil meines Gehaltes“, ist man mutiger und bekommt schneller Kinder; und genau das hat erfolgreich funktioniert. ({0}) Nun zu den Anträgen. Die FDP rügt zu Recht bürokratische Hindernisse und spricht die Digitalisierung an. Das sind zwei Anliegen, die wir unterstützen. Ich wohne in Bayreuth; mein Wahlkreis ist Bayreuth. Ich habe bei mir in Bayreuth das Zentrum Bayern Familie und Soziales. Das ist die Landesbehörde Bayerns, die quasi im Auftrag des Bundes diese Elterngeldleistungen auszahlt. Ich habe schon sehr viele Gespräche mit den Mitarbeitern und der Leitung vor Ort führen können. Es stimmt: Bürokratie wird mehrfach angesprochen, weil das Elterngeld so flexibel ist – Klammer auf: durch unsere Reformen auch immer komplizierter wird, Klammer zu. Das, was teilweise angesprochen war, ist nicht unbedingt immer deckungsgleich mit dem Inhalt des Antrags der FDP; aber wir haben da Herausforderungen. Die Digitalisierung war bei uns in Bayreuth nicht das Problem. Warum? Bayern ist hier schon sehr erfolgreich. Ein ganz großer Anteil der Eltern beantragt das Elterngeld digital. Das läuft also vorbildlich. Schade, dass es in anderen Ländern nicht so läuft. Da ist der Ruf nach dem Bund natürlich wieder mal groß, und letztlich soll es der Bund dann irgendwie richten. Da können wir grundsätzlich mitgehen, wenn es die anderen nicht auf die Reihe kriegen. Kommen wir zu der Frage, warum wir jetzt nicht vollumfänglich zustimmen: Erstens. Es gibt ein paar Unterschiede. Zweitens. Wir sind natürlich in der Bearbeitung. Gerade hieß es in der Debatte, es sei beschämend; auch andere Ausdrücke sind gefallen. Das ist wirklich unfair. Unfair ist auch zu sagen: Die Ministerin ist zu sehr mit ihrer Selbstdarstellung beschäftigt. – Diese Ministerin hat wirklich ein Projekt nach dem anderen in den letzten zwei Jahren auf die Beine gestellt. ({1}) Ich kann sagen: Über die Reform des Elterngeldes reden wir schon seit Monaten. Es gibt nicht immer die gleiche Meinung. Aber was ist denn der Grund, warum wir nicht so schnell vorankommen? Weil wir natürlich immer eine Gegenfinanzierung brauchen. Das ist genau der Unterschied: Die Opposition kann einfach einen Antrag stellen und sich etwas wünschen, während die Regierung eine Gegenfinanzierung im Haushalt haben muss. ({2}) Genau das sind die Herausforderungen, dieses Ringen, das wir nun seit ein paar Monaten hinter uns haben. ({3}) Das ändert aber nichts: Es wird kommen. Sie können sich schon auf die Diskussion freuen. Wir arbeiten daran, dass das Elterngeld weiterhin eine Erfolgsgeschichte bleibt. ({4})

Rita Hagl-Kehl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004287

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Befragt man Verbraucher darüber, welche Themen der Zukunft ihnen Sorge bereiten, kommen sehr schnell die Themen „Klimawandel“, „Altersarmut“, aber auch „bezahlbares Wohnen“. Das wundert mich nicht; denn in Ballungsgebieten wie München, Berlin, Hamburg, dem Rhein-Main-Gebiet, Köln-Bonn stellt es für immer mehr Menschen eine große Herausforderung dar, für sich und ihre Familien bezahlbaren Wohnraum zu finden, sei es wegen der steigenden Mieten oder sei es in Form von Wohneigentum. Die Bundesregierung hat sich deshalb gemeinsam mit den Ländern und Kommunen im Rahmen des Wohngipfels vom 21. September 2018 zum Ziel gesetzt, bessere Rahmenbedingungen für gutes und bezahlbares Wohnen zu schaffen. Wir brauchen in Ballungsgebieten mehr Wohnraum. Und: Wohnen muss für Geringverdiener und die breite Mittelschicht auch dort bezahlbar sein. ({0}) Unser Gesetzentwurf wird vielen Menschen bei der Bildung von Wohneigentum helfen, indem er die Nebenkosten für den Erwerb von Wohnimmobilien senkt. Denn: Käufer einer Wohnimmobilie müssen nicht nur den eigentlichen Kaufpreis aufbringen. Sie müssen auch immer höhere Nebenkosten tragen, zum Teil bis zu 15 Prozent des eigentlichen Kaufpreises. Anders als der eigentliche Kaufpreis werden diese Kosten in der Regel nicht von Banken finanziert und müssen deswegen aus dem Eigenkapital getragen werden. Das erschwert zum Beispiel gerade jungen Menschen den Kauf umso mehr. Wer eine Immobilie unter Mitwirkung eines Maklers erwirbt, zahlt häufig den größten Teil der Nebenkosten an den Makler. In vielen Regionen Deutschlands werden Provisionen von bis zu 7,14 Prozent des Kaufpreises fällig. Zwar ist es in einigen Bundesländern üblich, dass sich Käufer und Verkäufer die Provision teilen, der Verkäufer erhält in diesen Fällen allerdings regelmäßig deutlich Zugeständnisse oder muss gar keine Maklerprovision zahlen. In mehreren Ländern ist es sogar üblich, dass der Käufer die Provision allein trägt. Dabei hat sich eine Praxis herausgebildet, die mit dem gesetzlichen Leitbild oft nicht vereinbar ist. Häufig geht die Initiative zur Einschaltung eines Maklers von dem Verkäufer einer Immobilie aus. Trotzdem zahlt am Ende der Käufer die Provision ganz oder zumindest teilweise. Käufer haben kaum eine realistische Möglichkeit, sich gegen die Übernahme der Maklerkosten zu wehren: Weigern sie sich, gefährden sie unter Umständen die Chancen auf den Erwerb eines Eigenheims. Hiervor wollen wir Käufer mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zukünftig besser schützen. Der Gesetzentwurf sieht jedoch nicht vor, Käufer vollständig von den Maklerkosten zu befreien, ({1}) das ginge zu weit. Denn von der Tätigkeit eines fachkundigen und neutral zwischen den Parteien stehenden Maklers profitieren sowohl Verkäufer als auch Käufer. Deshalb soll es auch künftig möglich sein, dass sich Immobilienkäufer an den Maklerkosten beteiligen. Der Anteil der zu übernehmenden Kosten soll aber auf maximal die Hälfte der Gesamtprovision begrenzt werden. Hierfür sieht der Entwurf als wesentliche Regelung folgende Punkte vor: Wenn der Makler sowohl vom Käufer als auch vom Verkäufer einen Auftrag erhält, soll er künftig von beiden Parteien eine Provision erhalten, jedoch nur in gleicher Höhe. Beträgt die Provision 7,14 Prozent, wären es jeweils 3,57 Prozent Provision für den Verkäufer und den Käufer. Das ist fair und schafft klare, einheitliche und verbindliche Regeln für die Beteiligten. Häufig jedoch beauftragt der Verkäufer den Makler. Erst danach vereinbaren der Makler und der Verkäufer mit dem Käufer seine Beteiligung an den Kosten. Zukünftig soll dies nur noch zulässig sein, wenn der Käufer nicht mehr als die Hälfte der Provision übernimmt und der Verkäufer zur Zahlung des verbleibenden Anteils verpflichtet bleibt. Der Verkäufer muss in diesen Fällen seinen Anteil auch zuerst zahlen; erst danach darf der Käufer in Anspruch genommen werden. Ich bitte Sie, den vorliegenden Gesetzentwurf zu unterstützen. Er trägt dazu bei, dass die Nebenkosten beim Erwerb von Wohnimmobilien spürbar sinken werden. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Lothar Maier für die AfD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Lothar Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004812, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage der Maklerkosten bedarf in der Tat einer gesetzlichen Regelung – das zumindest ist hier richtig erkannt worden –; denn die Situation des privaten Immobilienkäufers ist in Deutschland regional durch krasse Unterschiede bezüglich der Maklerprovision geprägt: In einigen Bundesländern sollen sich Käufer und Verkäufer diese Kosten hälftig teilen, in anderen aber zahlt der Käufer alles, so hier in Berlin, in Bremen, in Hamburg, in Brandenburg und auch in Hessen. Aber oftmals fordert der Verkäufer vertraglich die volle Übernahme der Maklerkosten durch den Käufer auch dort, wo eigentlich die Teilung gelten soll. Er nutzt damit die Zwangslage der Käufer in einer Marktsituation, in der Verkäufermärkte dominieren. Die Folge davon ist eine zusätzliche Verteuerung der ohnehin schon sehr teuren Immobilien. Maklerprovisionen sind ja nur ein weiterer Kostenfaktor neben Grunderwerbsteuer, Notargebühren, Eintrag ins Grundbuch usw., also den schon jetzt sehr hohen Nebenkosten des Grunderwerbs. Ziel einer Änderung muss – oder müsste – daher sein, die aus dem Ruder gelaufenen Kosten des Erwerbs von Wohneigentum wenigstens an dieser Stelle zu senken. ({0}) Die Gesetzgeber im Bund, in den Ländern und in den Kommunen verteuern ohnehin das Bauen durch immer neue Regeln: durch Auflagen zum Lärmschutz, zum Brandschutz, zur Barrierefreiheit, zur Energieeinsparung, zur Einbruchssicherheit und vieles andere mehr. Die Perfektionierung der technischen Baunormen trägt das Ihrige dazu bei. Umso mehr müsste die hier gebotene Chance der Entlastung der Immobilienkäufer genutzt werden. Aber eben das leistet der vorliegende Gesetzentwurf nicht. Die auf den ersten Blick sinnvolle Teilung der Maklerprovisionen zwischen Käufer und Verkäufer erweist sich bei näherem Hinsehen als wirkungslos, wenn vertraglich zwischen beiden Parteien etwas anderes vereinbart werden kann oder wenn der Verkäufer die anfallenden Maklerkosten stillschweigend auf den Kaufpreis aufschlägt, nach dem Motto: Vogel, friss oder stirb; du hast ja ohnehin keine Wahl. Noch schlechter sieht es für den Käufer aus, wenn die Maklerprovision schon im Kaufvertrag als solche angegeben ist. Dann nämlich muss der Käufer die Grunderwerbsteuer auch noch für diesen Betrag entrichten. Eine wirklich effektive Entlastung des Immobilienkäufers wäre im Grunde nur möglich durch eine Deckelung der Maklerprovisionen, die sich in Deutschland in der Bandbreite zwischen 4,7 und 7,1 Prozent bewegen und damit im europäischen Vergleich an der Spitze liegen, während in manchen unserer Nachbarländer die Maklerprovision bei plus/minus 2 Prozent liegt. Um die 7 Prozent – das sind bei einem Einfamilienhaus im Wert von 500 000 Euro immerhin 35 000 Euro, die der Käufer zusätzlich aufbringen muss. Das manchmal gehörte Argument, man könne ja mit dem Makler über die Höhe seiner Provision verhandeln, ist zumindest in den Ballungsgebieten sinnlos, weil die Maklerbüros überall ein informelles Kartell bilden. Wenn Sie da verhandeln wollen, werden Sie hören: Dann müssen Sie eben woanders kaufen. ({1}) An diese dringend gebotene Deckelung der Maklerprovision wagt sich der Gesetzentwurf aber nicht heran, und so wird sich zeigen, dass die beabsichtigte Regelung wenig oder nichts zur Dämpfung der Nebenkosten beiträgt. Fazit: Dieser halbherzige Gesetzentwurf trägt zur Lösung der Gesamtproblematik nicht viel bei. Eine große Chance, die Sie hier hatten, ist vertan worden. Aus diesem Grunde wird die Fraktion der AfD diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich danke Ihnen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ganz gerne an den Anfang meiner Rede ein klares Bekenntnis stellen: Wir als Union wollen, dass mehr Menschen in die eigenen vier Wände gebracht werden. Das ist unser erklärtes Ziel. Wir finden Eigentumsbildung gut ({0}) – ja, da kann die FDP gerne einmal klatschen, alle anderen gerne auch –; ({1}) denn mehr Eigentum ist auch immer ein Baustein für die private Altersvorsorge. Das ist gut. Eigentumsbildung schützt vor steigenden Mieten, und – das ist für uns auch ein ganz wichtiger Punkt – die Menschen, die in den eigenen vier Wänden leben, identifizieren sich häufig sehr viel stärker mit ihrer Umgebung; sie kümmern sich eben auch darum, was so an der Ecke passiert. Wenn da Müll rumliegt, kümmert man sich anders darum, als wenn man weiß, dass man vielleicht binnen kurzer Zeit wieder wegzieht. Wenn man sich die Fakten anschaut, muss man feststellen: Da sind wir in Deutschland leider ziemlich weit zurück. Bei etwa 46 Prozent liegt die Eigentumsquote in Deutschland. Andere Länder in der Europäischen Union haben Quoten von über 70 Prozent. Insofern haben wir da eine ganze Menge Nachholbedarf. Deswegen haben wir als Große Koalition eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die Eigentumsquote erhöhen sollen. Das fängt an beim Baukindergeld, das wir als Union ganz maßgeblich vorangebracht haben. Das erfreut sich gerade bei jungen Familien sehr, sehr großer Beliebtheit. Es sind jetzt über 160 000 Anträge gestellt worden. Viele Milliarden Euro nehmen wir dafür in die Hand. Das, finde ich, ist an dieser Stelle wirklich gut investiertes Geld, weil es junge Familien in die eigenen vier Wände bringt. Daneben gibt es die Wohnungsbaumprämie, die wir attraktiver ausgestalten, und ein Bürgschaftsprogramm der KfW. All das zielt darauf ab, mehr Menschen den Erwerb von Eigentum zu ermöglichen. Jetzt diskutieren wir über die Maklerkosten. Die Maklerkosten sind Teil dieser Strategie, weil sie Teil der Nebenkosten sind. Wenn man Eigentum erwirbt, gibt es ja eine ganze Reihe von Nebenkosten: Notarkosten und andere Gebühren, aber eben auch die Maklerkosten. Die Nebenkosten beim Immobilienerwerb sind relativ hoch, und das Problem bei den Nebenkosten ist, dass die Banken sie in aller Regel nicht finanzieren. Deswegen braucht man dafür hohes Eigenkapital. Gerade junge Familien, die vielleicht bei der Familiengründung am Anfang stehen oder in ihrer beruflichen Laufbahn noch nicht so weit fortgeschritten sind, haben in aller Regel kein solches Eigenkapital. Deswegen fallen sie bei der Finanzierung häufig durch den Rost; sie bekommen einfach keine Finanzierung. Deswegen ist unser erklärtes Ziel: Wir wollen die Nebenkosten beim Immobilienkauf senken. Dazu haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der besagt: Die Maklerkosten sollen zukünftig zwingend zwischen dem Käufer und dem Verkäufer geteilt werden. Gerade in den Ballungsgebieten wird das zu einer ganz erheblichen Entlastung der Käufer führen. Wir haben in Deutschland eine sehr unterschiedliche Situation: In den Ballungsgebieten jedenfalls ist es so – weil die Marktlage dort so ist –, dass heute in aller Regel die Käufer alleine die Provision zahlen müssen. Sie müssen also alleine diese hohen Nebenkosten stemmen. Wenn wir jetzt sagen: „Wir teilen das“, ist das wirklich eine ganz erhebliche Entlastung. Insofern ist das an dieser Stelle auch ein gutes Signal für mehr Eigentum. ({2}) Dieser Mechanismus, den wir im Gesetz gewählt haben, ist ein ganz kluger. Er verbindet sozusagen beides. Es gibt ja in aller Regel auf dem Wohnungsmarkt immer einen Stärkeren und einen Schwächeren; das hängt davon ab: Ist es ein Nachfragemarkt? Ist es ein Angebotsmarkt? Wenn wir jetzt sagen: „Wir koppeln das miteinander; es muss also immer die Hälfte gezahlt werden“, bedeutet das, dass der jeweils Marktstärkere – das kann mal der Verkäufer sein, das kann mal der Käufer sein – über die Provision verhandelt und seine Marktstärke ausnutzt, die Provision zu drücken; denn er hat selber ein Interesse daran, weil er ja immer die Hälfte davon zahlen muss. Deswegen ist das ein ganz kluger marktwirtschaftlicher Mechanismus: Der Marktstärkere verhandelt gleichzeitig auch immer für den Marktschwächeren mit. Deswegen, finde ich, ist das ein ganz kluger Mechanismus. Wir müssen uns jetzt im parlamentarischen Verfahren noch ein paar Dinge anschauen. Wir hören, dass es Befürchtungen gibt, dass es Umgehungen von dieser zwingenden hälftigen Teilung bei der Provisionszahlung geben könnte. Das wollen wir natürlich nicht. Das müssen wir uns genau anschauen, damit es dort nicht zu Kick-back-Varianten kommt. Wir haben im Gesetz schon festgelegt, dass Vertragsgestaltungen, die diese hälftige Provisionsteilung umgehen wollen, auf jeden Fall unwirksam sind. Da müssen wir noch mal genau schauen, ob wir das – neben dem allgemeinen Umgehungsverbot, das es ja ohnehin im Zivilrecht, in § 134 BGB, gibt – an dieser Stelle klarstellen müssen. Ganz positiv an dem Gesetz ist auch: Da beide verpflichtet sind, die Hälfte zu zahlen, ist natürlich der Makler auf der anderen Seite auch beiden verpflichtet, diese kompetent zu beraten. Das ist für uns als Union auch ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Der Kauf einer Immobilie ist in aller Regel die größte Investition, die man in seinem Leben macht. Die allermeisten Menschen werden das überhaupt nur einmal in ihrem Leben machen. Da bedarf es einer guten, einer kompetenten Beratung. Da haben Makler auch eine Verantwortung, da haben Makler auch eine Verpflichtung an dieser Stelle. Die wollen wir natürlich auch rechtlich einklagbar machen. Das funktioniert eben nur, wenn der Makler beiden Vertragsparteien verpflichtet ist und beide am Ende den Makler bezahlen müssen. Das ist für uns ein ganz wichtiger Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes; denn das sind Immobilienkäufer nämlich auch: Verbraucher. Und die wollen wir an dieser Stelle schützen. Ich möchte einen letzten Punkt nennen. Ich hatte ja die Senkung der Nebenkosten erwähnt; das ist für uns ein ganz zentraler Punkt. Was wir neben den Maklerkosten auch noch angehen müssen – davon bin ich fest überzeugt; wir haben es im Koalitionsvertrag auch angesprochen –, sind die Grunderwerbsteuern. Das ist ja ein ganz massiver Kostenpunkt beim Kauf von Immobilien. Da sind die Länder in der Pflicht, nicht immer weiter am Steuersatz zu drehen. Aber wir als Bund haben auch die Möglichkeit, familienfreundliche Freibeträge zu schaffen. Das würde Käufer von Immobilien sofort und unmittelbar entlasten. Hier warten wir auf Vorschläge. Das wäre neben der Senkung bei den Maklerkosten auch ein gutes Signal für mehr Eigentumsbildung in Deutschland, und das wollen wir als Union. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin hat für die FDP-Fraktion die Kollegin Katharina Willkomm das Wort. ({0})

Katharina Kloke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004783, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Weihnachten kurz vor der Tür möchte ich im Geiste der Versöhnlichkeit vorneweg etwas Positives feststellen: ({0}) Anders als ihre Amtsvorgängerin, die immer nur groß im Ankündigen war, legt Frau Lambrecht auch mal etwas Handfestes vor. ({1}) Und die Frau Ministerin hat ihre kurze Amtszeit genutzt, um von der unsinnigen Idee eines harten Bestellerprinzips abzurücken. Ein Glück – für die Käufer; denn der Verkäufer würde die Maklerkosten einfach oben auf den Kaufpreis aufschlagen. Ausgangspunkt der ganzen Regulierungswelle der letzten Jahre ist doch, dass viel zu viele Menschen in die Städte ziehen. Die Nachfrage treibt die Preise. Und die Käufer zahlen, und zwar auch, wenn der Preis um die Maklerkosten aufgebläht wird. Käufer sparen also nichts. Im Gegenteil: Weil der Kaufpreis steigt, steigt auch die Grunderwerbsteuer. Die Grünen haben diesen Zusammenhang offensichtlich nicht erkannt. Jedenfalls schweigt sich Ihr Gesetzentwurf für ein hartes Bestellerprinzip dazu aus. Um die Kosten insgesamt zu drücken, deckeln Sie lieber die Höhe der Maklerprovision auf 2 Prozent. ({2}) Doch dann, liebe Grüne, stellt sich die Frage, warum ihr überhaupt ein Bestellerprinzip haben wollt. Euer Entwurf listet doch lauter Beispiele für Länder auf, in denen das Bestellerprinzip angeblich zu niedrigen Provisionen geführt hat. Wozu ist dann der Deckel gut? Die Parallele zum Bestellerprinzip bei Mietwohnungen, die die Grünen in ihrer Begründung darlegen, ist noch dazu völlig aus der Luft gegriffen. Gleichlaufende Regeln brächten mehr Transparenz und nützten so den Verbrauchern. Nun ist mehr Verbraucherschutz immer gut, und deshalb steht das auf meiner Weihnachtswunschliste ganz oben. Aber beim privaten Hausverkauf sind häufig gar keine Verbraucher anwesend, sondern Bürger. Und wenn ich einen Makler beauftrage, mein Haus zu verkaufen, ist es mir doch egal, was er an der Vermietung einer Wohnung verdienen würde. Durch das Verbot der Doppelbeauftragung würden Käufer zudem ohne Makler dastehen. Den deutschen Durchschnittskäufer, der nur einmal ein Haus kauft und damit die größte Investition seines Lebens tätigt, den lassen Sie damit im Regen stehen. Der Regierungsentwurf würdigt wenigstens, dass deutsche Makler meist vermittelnd wirken. Folgerichtig bleibt Doppeltätigkeit zulässig. Ebenso ist die Einführung der Textform für die Maklerbestellung zu begrüßen; denn das schafft Rechtssicherheit. Wenn Sie für die Käufer zusätzlich etwas tun wollen, folgen Sie unserem FDP-Vorschlag, und führen Sie einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer für die selbstgenutzte Immobilie ein. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Die Linke die Kollegin Caren Lay das Wort. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht nur die Mieten werden immer teurer, auch der Traum vom eigenen Haus gerät für Menschen mit Durchschnittseinkommen immer mehr in weite Ferne. In München werden für einen Quadratmeter einer Eigentumswohnung schon bis zu 10 000 Euro verlangt. Das kann doch wirklich kein Mensch mehr bezahlen. ({0}) Diese Preisexplosion muss gestoppt werden. ({1}) Zu diesen hohen Kosten beim Immobilienkauf kommen zusätzlich noch die Nebenkosten für die Vermittlung einer Immobilie hinzu. Wer also eine Wohnung, vermittelt über einen Makler oder eine Maklerin, kauft, muss in Deutschland bis zu 7 Prozent des Kaufpreises zusätzlich zahlen. Das heißt, bei einem Kaufpreis von 140 000 Euro für eine kleine Wohnung fallen schon 10 000 Euro zusätzlich an, und für eine Wohnung, für die man auf dem angespannten Wohnungsmarkt locker 420 000 Euro bezahlen muss, fallen alleine 30 000 Euro zusätzlich an Maklergebühren an. Diese Summen stehen in keinem Verhältnis zu der Leistung, die die Makler hier erbringen. Deswegen muss die Belastung für die Käufer eindeutig reduziert werden. ({2}) Aus unserer Sicht muss auch hier ein Grundprinzip gelten: Wer bestellt, der bezahlt. Dieses Bestellerprinzip, das wir auf dem Mietwohnungsmarkt eingeführt haben, ({3}) muss endlich auch beim Kauf von Eigenheimen gelten. ({4}) Wir haben die Forderung „Bestellerprinzip auf dem Mietwohnungsmarkt“, liebe Ulli, natürlich unterstützt. Ich darf dich vielleicht an die Unkenrufe erinnern – wenn du mir zuhören würdest –, die damals aus der Maklerszene gekommen sind, als es eingeführt wurde. Deswegen will ich an dieser Stelle auch mal festhalten, dass der Untergang des Abendlandes ausgeblieben ist, nachdem das Bestellerprinzip auf dem Mietwohnungsmarkt eingeführt wurde. ({5}) Das Bestellerprinzip beim Immobilienkauf wäre aus unserer Sicht übrigens ein deutlich sinnvolleres Instrument als das für den Steuerzahler ziemlich teure Baukindergeld. Noch entscheidender ist, dass die Regierung mit ihrem Gesetzentwurf das Bestellerprinzip eben nicht konsequent einführen wird: Sie wollen 50 Prozent der Kosten umlegen; also darin kann ich, ehrlich gesagt, keinen Sinn erkennen. Auch hier muss das Bestellerprinzip eindeutig gelten. ({6}) Ein weiterer Punkt ist für uns entscheidend: Die Begrenzung der Höhe der Maklerprovisionen muss endlich kommen. In Deutschland werden im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Maklergebühren verlangt. Dafür gibt es keinen nachvollziehbaren Grund. In den Niederlanden werden beispielsweise nur 1 bis 2 Prozent des Kaufpreises für die Maklergebühren verlangt. Eine solche Begrenzung der Maklergebühren brauchen wir auch in der Bundesrepublik. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Deswegen, ob Miete oder Eigenheim: Wohnen muss bezahlbar sein. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lay. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Christian Kühn das Wort. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Natürlich, Frau Willkomm, sind Immobilienkäuferinnen und ‑käufer Verbraucher, und sie gehören beim Investment ihres Lebens optimal geschützt. ({0}) Das Versprechen, diese Verbraucherinnen und Verbraucher bei diesem Investment zu schützen, löst der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, nicht ein. Zentrales Problem dieses Gesetzentwurfs ist es ja, dass Sie so tun, Frau Staatssekretärin Hagl-Kehl, als ob es einfach möglich wäre, Diener zweier Herren zu sein. Wir wissen aus den Komödien dieser Welt, dass das nicht möglich ist. Sie lösen das Versprechen, Menschen beim Hauskauf von den horrenden Maklerkosten in Deutschland zu entlasten, überhaupt nicht ein. Das ist das zentrale Problem Ihres Gesetzentwurfes. ({1}) Es wird weiterhin so sein, dass man die Geburtstagsparty zwar nicht bestellt hat, sie aber trotzdem bezahlen muss. Es gibt auch kein Verbot der Doppeltätigkeit. Deswegen ist dieser Gesetzentwurf unzureichend. Wenn wir uns die Geschichte des Gesetzentwurfs der letzten Jahre mal anschauen: Es ist schon ein Husarenstück der Maklerlobby in Deutschland, dass wir heute diesen Gesetzentwurf so beraten. Frau Barley aus der SPD war deutlich weiter. Sie hat einen Gesetzentwurf mit einem reinen Bestellerprinzip vorgelegt. ({2}) Um 3 Milliarden Euro hätte man zukünftige Immobilienbesitzerinnen und ‑besitzer entlastet. Dieser Gesetzentwurf wurde dann nach und nach verwässert. ({3}) Im internationalen Vergleich – um noch mal die Zahlen zu nennen – zahlen wir 7,14 Prozent Maklergebühren. In Großbritannien ist es 1 Prozent, in den Niederlanden sind es 2 Prozent. Was ist denn in den Niederlanden und in Großbritannien anders als in Deutschland? Dort gibt es ein Bestellerprinzip, bei uns nicht. Das ist das zentrale Problem. ({4}) Frau Barley hat es erkannt. Dann kam der IVD, der Lobbyverband der Maklerinnen und Makler in Deutschland, und hat erst mal Krisenkommunikation betrieben. Er hat eine Agentur beauftragt, die eine Kampagne gestartet hat, und über Wochen und Monate die sozialen Medien, das Parlament, die Kolleginnen und Kollegen hier im Haus, und die Öffentlichkeit mit der These beballert, dass die Maklerinnen und Makler in Deutschland ihr Geschäftsmodell verlieren würden, wenn es ein Bestellerprinzip geben würde. Als ob es in den Niederlanden und Großbritannien keine Makler gäbe! Absurd, absolut absurd! ({5}) Ich frage mich ernsthaft: Was ist denn das für ein Geschäftsmodell, das darauf aufbaut, dass jemand die Rechnung bezahlt, der dieses Geschäft gar nicht bestellt hat? Das ist doch verrückt. Wenn wir jetzt in den Gesetzentwurf hineinschauen: Was lösen Sie denn für ein Problem? Sie lösen in Hamburg und Berlin das Problem, dass der Käufer alles zahlen muss. Aber in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen wird niemand entlastet. Deswegen lösen Sie Ihr Versprechen überhaupt nicht ein. ({6}) Sie haben auch nicht die Kraft, obwohl Sie mit diesem Gesetzentwurf weiter Makler und Maklerinnen in Deutschland privilegieren, wenigstens Regeln festzusetzen, zum Beispiel die Regel, dass Makler einen Sachkundenachweis vorlegen müssen, ob sie überhaupt die Ausbildung haben, um beratend tätig zu sein. Das braucht man nämlich in Deutschland nicht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deswegen ist der Gesetzentwurf falsch. Ich fordere Sie auf: Führen Sie wenigstens einen Sachkundenachweis ein, wenn Sie schon nicht die Kraft haben, ein echtes Bestellerprinzip einzuführen! Danke schön. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kühn. – Als nächster Redner spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Paul Lehrieder. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität. Verglichen mit den meisten anderen europäischen Ländern und den USA ist die Wohneigentumsquote in Deutschland mehr als gering. Wir haben in der EU-28 eine Wohneigentumsquote von 69,3 Prozent, in Rumänien von 96,8 Prozent. Und was glauben Sie, wie hoch sie in Deutschland ist? ({0}) – Kollege Birkwald, fast; so schlecht ist Die Linke gar nicht. In Deutschland sind es 51,4 Prozent. Trotzdem ist es der vorletzte Platz in Europa. Schwächer ist die Wohneigentumsquote in Europa nur noch in der Schweiz. Die Zahl der Erstkäufer nimmt sogar noch kontinuierlich ab. Waren es im Jahr 2001 noch mehr als 700 000 Menschen, die sich erstmalig Wohneigentum zulegten, so waren es 2017 nur noch gut 400 000. Jedoch ist Eigentumsbildung insbesondere für Familien mit Kindern wichtig, da der private Mietwohnungsmarkt oft nicht genügend bezahlbare familiengerechte Wohnungen bereitstellt; Kollege Luczak hat schon darauf hingewiesen. Dennoch können sich trotz niedriger Zinsen in Deutschland immer weniger Menschen Wohneigentum leisten. Die steigenden Immobilienpreise sind hierfür nur ein Teil der Erklärung. Wir haben mit dem Baukindergeld versucht, gegenzuwirken, das jungen Familien bzw. Familien in der Gründungsphase hilft, aber auch später, in 30 oder 40 Jahren, ein probates Mittel gegen Altersarmut darstellen kann, weil der ganze Block der Mietkosten im Alter durch ein Eigenheim abgedeckt sein kann. Oft sind es auch Erwerbsnebenkosten, die die Bildung von Wohneigentum erschweren. Neben der Grunderwerbsteuer sind dabei die Ausgaben für Makler ein entscheidender Posten. Auf diesen Kostenfaktor haben Kaufinteressenten häufig keinen Einfluss, da sich die Aufteilung und Höhe der Maklerprovision von Bundesland zu Bundesland unterscheidet. Oftmals muss der Käufer den Großteil tragen und aus Eigenkapital finanzieren – auch hierauf wurde von den Vorrednern bereits hingewiesen –, was dazu beiträgt, dass der Erwerb eines Eigenheims für viele Normalverdiener, für Lehrer, Polizisten, einfache Angestellte, schlichtweg nicht stemmbar ist. Genau hier wollen wir ansetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir möchten einer breiteren Bevölkerungsschicht den Erwerb einer Immobilie ermöglichen bzw. erleichtern. ({1}) Bisher ist es meist so, dass der Verkäufer die Maklergebühren von 4,7 bis zu 7,14 Prozent des Kaufpreises vollständig an den Käufer weitergeben kann. Ich will nicht so weit gehen wie der Kollege Kühn von den Grünen, der hier ein pauschales Maklerbashing betrieben hat. Die Maklerleistung ist in vielen Fällen durchaus ihr Geld wert. Das will ich überhaupt nicht verhehlen. Aber es geht darum, dass natürlich beide Parteien ein Interesse am Abschluss des Kaufvertrags haben, dass beide Parteien daran interessiert sind, eine gute Maklerleistung zu erhalten, und dadurch Käufer und Verkäufer entsprechend zusammengebracht werden können. Jedoch hilft der Makler nicht nur dem Käufer bei der Immobiliensuche, sondern auch dem Verkäufer bei der Käufersuche. Durch die Tätigkeiten eines Maklers profitieren in der Regel also sowohl Anbieter als auch Nachfrager. Bei mir zu Hause sagt man: Ein gutes Geschäft ist es dann, wenn beide profitieren. Deshalb ist es folgerichtig, dass sich dies auch in der Frage der Vergütung des Maklers widerspiegelt und beide Parteien hierzu beitragen. Nach wie vor schuldet zwar zunächst derjenige, der den Makler beauftragt hat, dessen Provision, jedoch hat er dann im Rahmen dieses Gesetzentwurfes die Möglichkeit, bis zu 50 Prozent davon auf seinen Vertragspartner umzulegen, was den Nutzen, den beide Parteien durch die Dienste des Maklers gewonnen haben, widerspiegelt. ({2}) Dies gilt bis hin zu dem Fall, in dem der Makler die Interessen des Käufers wie des Verkäufers in gleichem Maße vertritt, also von beiden Parteien zur gleichen Immobilie beauftragt wurde. Hier war der Makler in gleichem Maße für beide tätig und sollte dementsprechend von beiden in gleichem Maße entlohnt werden. So haben wir das im Rahmen dieses Entwurfes auch verbindlich festgeschrieben. Um den Fall zu vermeiden, dass der eigene Anteil der Maklerkosten durch eine Veränderung des Kaufvertrages hinterher auf den Vertragspartner umgelegt wird, machen wir es darüber hinaus verpflichtend, dass derjenige, der den Makler originär beauftragt hat, die Bezahlung seines Anteils zuvor nachweisen muss. Meine Damen und Herren, wir werden den Gesetzentwurf im Januar in einer Anhörung beraten, werden ihn in zweiter und dritter Lesung hier im Frühjahr verabschieden. Ich bitte Sie um möglichst breite Zustimmung. Es ist ein gutes Gesetz, das die Große Koalition hier auf den Weg bringt. Dem können Sie, auch die Oppositionsparteien, bedenkenlos zustimmen. Alles Gute! ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Dr. Johannes Fechner das Wort. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Lieber Kollege Luczak, an dieser Stelle herzlichen Glückwunsch zum neuen Sprecheramt. Ihnen sei auch gesagt: Auch wir haben natürlich ein Interesse daran, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger im Eigenheim leben können. ({0}) Deshalb wollen wir dafür sorgen, dass der Traum vom Eigenheim eben nicht, wie es heute leider allzu oft der Fall ist, gerade für junge Familien daran scheitert, dass sie eben nicht genug Eigenkapital zusammenbekommen. Wir leisten hier einen Beitrag dafür, dass sich gerade junge Familien und auch Normalverdiener eine Immobilie leisten können, indem wir die Maklergebühren durch eine Teilung reduzieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Kern der Regelung ist, dass es zukünftig einen Zusammenhang zwischen der Beauftragung des Maklers und der Pflicht zur Zahlung des Maklers geben wird. Bisher war es in vielen Bundesländern so, dass die Käufer immer zur Zahlung der Maklerkosten verpflichtet waren, obwohl der Makler doch meistens vom Verkäufer bestellt war. Das ist eine seltsame Regelung. Auch wir wollen, dass der Grundsatz gilt: Wer bestellt, der bezahlt. Oft haben die Käuferinnen und Käufer gar nicht die Möglichkeit, hier in Verhandlungen zu treten; denn wenn das in den Verkaufsverhandlungen angesprochen wird, sind sie oft aus dem Rennen, und derjenige, der die Maklergebühren voll und ganz zahlt, bekommt – bislang jedenfalls – die Immobilie. Das kann so nicht bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Die Maklerprovision kann ja ganz erhebliche Beträge ausmachen. Wenn man von einer üblichen Maklerprovision von 7 Prozent ausgeht und eine Eigentumswohnung zum Preis von 300 000 Euro als Beispiel nimmt, sind das 21 000 Euro und damit wirklich eine stattliche Summe. Die Hälfte davon werden wir den Immobilieninteressenten ab sofort ersparen. Ja, wir hätten uns als SPD auch vorstellen können, dem Verkäufer die Maklergebühren ganz aufzuerlegen, weil er in der Regel den Makler bestellt und er auch den wirtschaftlichen Vorteil hat. Aber, lieber Chris Kühn, es ist immerhin schon mal ein Fortschritt – und ich finde, kein kleiner –, dass wir jetzt zumindest halbe-halbe ins Gesetz schreiben. Das entlastet die Immobilienkäuferinnen und Immobilienkäufer ganz erheblich, in meinem Beispiel um 10 500 Euro. ({3}) – Selbstverständlich auch im schönen Südbaden. ({4}) Wir wollen das Gesetz auch zum Anlass nehmen, bundesweit einheitliche und verbindliche Regelungen zu schaffen, die transparent sind und die der Rechtssicherheit bei der Vermittlung von Kaufverträgen über Wohnungen dienen. Dazu gehört zum Beispiel, dass zukünftig auch der Maklervertrag schriftlich abgeschlossen werden muss, eine wichtige Regelung im Sinne der Rechtsklarheit. ({5}) Also: Wir haben hier vom Bundesjustizministerium – herzlichen Dank – einen guten Gesetzentwurf vorgelegt bekommen. Wir schaffen Klarheit und Transparenz. Und vor allem: Wir entlasten gerade junge Familien beim Immobilienerwerb. Also: ein wichtiges Gesetz. Lassen Sie uns das so beraten und dann auch beschließen. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Aussprache.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In letzter Zeit haben wir hier im Bundestag viel über die Sanktionen geredet, und unsere grüne Position ist eindeutig: Wir wollen die Sanktionen abschaffen. Das reicht aber nicht. Deshalb wollen wir bei Hartz IV auch die gesetzlichen Grundlagen im Bereich der Arbeitsförderung verändern; denn diese Grundlagen werden weder den Langzeitarbeitslosen noch der engagierten Arbeit der Jobcenterbeschäftigten gerecht. ({0}) Menschen sind aus ganz unterschiedlichen Gründen langzeitarbeitslos. Manche haben keine Ausbildung, andere haben gesundheitliche Probleme, und manchmal ist es einfach nur das Alter. Auf diese unterschiedlichen Problemlagen aber hat die Arbeitsförderung heute immer die gleiche Antwort, und die heißt: Aktivierung – Aktivierung durch verschiedene Maßnahmen, Aktivierung hinein in Jobs, egal ob sie prekär oder nur von kurzer Dauer sind. Und genau diese Logik wollen wir verändern. ({1}) Denn Langzeitarbeitslosigkeit ist kein rein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem, weil unsere Arbeitswelt nicht inklusiv ist. Und deshalb brauchen Menschen, die lange arbeitslos sind, Beratung auf Augenhöhe, individuelle Unterstützung, und das alles mit Respekt und Wertschätzung. Dafür braucht es im SGB II einen Perspektivwechsel. Nötig sind auch bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in den Jobcentern. Und genau das fordern wir mit unserem Antrag. ({2}) Drei Punkte möchte ich kurz ansprechen: Erstens. Wir brauchen Freiwilligkeit in der Arbeitsförderung. Es muss Schluss sein mit den standardisierten Eingliederungsvereinbarungen, mit seitenlanger Rechtsfolgenbelehrung. Die Jobcenterbeschäftigten und Erwerbslosen sollen stattdessen realistische Ziele und Teilschritte vereinbaren, und zwar gemeinsam, auf Augenhöhe. Denn nur dann, wenn die Arbeitslosen einzelne Integrationsschritte nachvollziehen können, wenn die Angebote für die Menschen Sinn machen, wenn sie Chancen und Perspektiven eröffnen, entsteht Motivation für den schwierigen Weg zurück in die Arbeitswelt. ({3}) Zweitens. Der Vermittlungsvorrang muss abgeschafft werden; denn die Vermittlung in Arbeit funktioniert nicht für alle in einem Schritt und auf direktem Weg. Und es entmutigt auch, wenn die Jobaufnahme immer wieder scheitert. Deshalb brauchen viele langzeitarbeitslose Menschen Zwischenschritte und geschützte Räume, in denen sie sich ausprobieren und gute Erfahrungen sammeln können. Andere hingegen brauchen echte Qualifizierung, beispielsweise eine Berufsausbildung. Dafür braucht es Anreize. Wir wollen ein Weiterbildungsgeld, das über dem Arbeitslosengeld II liegt. Grundlage dafür ist ein Recht auf Qualifizierung. ({4}) Drittens wollen wir auch die Jobcenter stärken. Sie müssen mehr Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten bekommen; denn die Jobcenter sollen ja die Arbeitslosen individuell entsprechend ihren Stärken und Schwächen unterstützen. Das geht eben nicht mit bundesweiten Maßnahmen von der Stange. Notwendig sind Angebote, die regional entwickelt und ausgeschrieben werden und dann zu den Menschen passen, damit Integration tatsächlich gelingen kann. ({5}) Wir wollen Hartz IV überwinden. Dabei geht es um die Sanktionen, um einen Regelsatz, der vor Armut schützt, und mit diesem Antrag auch um einen Perspektivwechsel bei der Arbeitsförderung. Das ist unser Gesamtkonzept. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Es wird bestimmt spannend und auch kontrovers. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Professor Dr. Matthias Zimmer. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muss etwas Befreiendes haben, darüber zu träumen, wie man sich das völlig Andere vorstellt, die Welt jenseits von Hartz IV, eine Welt, wie sie von den Grünen damals mitgestaltet worden ist. ({0}) Ihr Antrag zeigt ein Verständnis, das heute Ihrer Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zugrunde liegt: ein über weite Teile paternalistisches Verständnis des Menschen, der als Hartz-IV-Empfänger grundsätzlich als Opfer gesehen wird und von einem benevolenten Staat betreut wird. ({1}) Lassen Sie mich einige Beispiele herausgreifen. ({2}) Sie wollen Beratung auf Augenhöhe, intensive Beratung, die die Komplexität der Problemlagen besonders berücksichtigt, ({3}) einen kontinuierlichen Eingliederungsprozess. Und vor Ihrem geistigen Auge erscheinen Heerscharen von Sozialarbeitern und Sozialingenieuren, die jedem Arbeitslosen in diskursiv-therapeutischer Begleitung den Lebensweg ebnen. ({4}) Nur eines findet sich bei Ihnen nicht: der Hinweis auf Eigenverantwortung. Bei Ihnen ist der Mensch Objekt der Betreuung, nicht der Autor seiner eigenen Biografie. ({5}) Sie wollen komplette Freiwilligkeit bei den Empfängern, was Maßnahmen und Integrationsschritte angeht, also eine Art Wunsch- und Wahlrecht. Einverstanden, wenn auch die Freiwilligkeit bei denen gegeben ist, die das alles bezahlen! Das wäre gewissermaßen Sozialhilfe auf Augenhöhe: Freiwilligkeit aufseiten der Geber, Freiwilligkeit aufseiten der Nehmer. ({6}) Das halte ich für unrealistisch, und deswegen gibt es einen Zwang bei denjenigen, die bezahlen, und einen Zwang bei denjenigen, die bekommen. ({7}) Deswegen gibt es im Übrigen auch Sanktionen auf beiden Seiten: bei dem, der keine Steuern bezahlen will, als auch bei dem, der sich zumutbarer Arbeit entzieht. ({8}) Die Bedingungen gesellschaftlicher Solidarität können gegenüber denjenigen, die zwangsweise bezahlen, nur dann legitimiert werden, wenn sie nicht den Eindruck haben: Mit ihrer zwangsweisen Zahlung finanzieren sie das Leben derer, die keine Verpflichtung eingehen. Wer Sanktionen abschaffen will, zerstört die Quelle gesellschaftlicher Solidarität. ({9}) Sie wollen Eingliederungsvereinbarungen ersetzen durch einen Eingliederungsprozess, bei dem Ziele situativ angepasst werden. Heißt auf Deutsch: Die Verbindlichkeit von Pflichten wird von der jeweiligen Befindlichkeit abhängig gemacht und Bestandteil des Prozesses. Hat jemand einmal keine Lust zu arbeiten, wird das prozessual festgehalten und therapeutisch abgearbeitet. ({10}) Jeder Arbeitnehmer in Deutschland wäre froh, er könnte das mit seinem Arbeitgeber auch so machen. ({11}) Wenn das langfristige Ziel aller Maßnahmen die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ist: Warum wird dann die habituelle Einübung in Regeln und Vereinbarungen des ersten Arbeitsmarktes von Ihnen torpediert? ({12}) Meine Damen und Herren, Ihr Antrag zeigt ein Menschenbild, das nicht das unsere ist. Sie wollen mehr Staat, wir wollen mehr Eigenverantwortung. ({13}) Ihr Antrag ist ein Bewerbungsschreiben für eine rot-rot-grüne Koalition, nicht für eine bürgerliche Koalition. ({14}) Wir, meine Damen und Herren, stehen für eine bürgerliche Politik. Deswegen sind solche Vorschläge wie die Ihren mit uns nicht zu machen. Herzlichen Dank. ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Professor Dr. Zimmer. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Sichert, AfD-Fraktion. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Die Grünen fordern, die finanziellen Leistungen für Hartz-IV-Empfänger deutlich zu erhöhen und sämtliche Sanktionen abzuschaffen. ({0}) Solch sozialistischer Umverteilungswahnsinn war schon immer zum Scheitern verurteilt. Sozialismus ist kein politisches Konzept, sondern eine gesellschaftliche Seuche, die immer in Massenarmut und Elend endet. ({1}) Alles für alle funktioniert nämlich immer nur so lange, bis alles alle ist. ({2}) Ein Sozialstaat ist eine Vereinbarung auf Gegenseitigkeit, das hat der Kollege Zimmer gerade wunderbar dargelegt. Es gibt jene, die Sozialleistungen empfangen, und andere, die mit ihrer Arbeitsleistung überhaupt erst die Sozialleistungen ermöglichen. Beide Gruppen haben Rechte. Genauso wie die Bedürftigen ein Recht auf existenzsichernde Leistungen haben, haben die Steuerzahler ein Recht darauf, dass die Ausgaben auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden. ({3}) Ein funktionierender Sozialstaat und soziale Gerechtigkeit bedeuten, dass jeder bestrebt ist, nach seinen Möglichkeiten seinen Teil zur Gesellschaft beizutragen. Wer dazu nicht bereit ist, den muss ein wehrhafter Sozialstaat mittels Sanktionen dazu zwingen. Alles andere ist asozial gegenüber den Steuerzahlern, die diesen Sozialstaat finanzieren. ({4}) Sie von den Grünen wollen immer nur den Sozialleistungsbeziehern die Rechte stärken und die Pflichten mindern, den Steuerzahlern hingegen bürden Sie damit immer mehr Pflichten und Belastungen auf. Sie sorgen dafür, dass es attraktiver wird, sich im Sozialstaat einzurichten und auf Kosten der Allgemeinheit zu leben. ({5}) Damit zerstören Sie die Leistungsbasis der Gesellschaft und die Zukunftsfähigkeit des Sozialstaates. Ihr Antrag ist ein Schlag ins Gesicht der fleißigen Familien und Alleinerziehenden, die mehrere Jobs ausüben, um ihren Kindern ein gutes Vorbild zu sein, und trotzdem nur knapp über dem Existenzminimum leben. Diese Eltern, die ihren Kindern die deutschen Tugenden von Fleiß, Strebsamkeit und Bescheidenheit vorleben, haben höchsten Respekt verdient. ({6}) – Ich finde es etwas respektlos, dass hier ein grüner und ein linker Abgeordneter sich gerade über einen Zeitungsartikel freuen. Ist egal – Grüne und Linke halt. ({7}) Es ist beschämend, wie respektlos Sie sich gegenüber diesen armen Familien und Alleinerziehenden verhalten. Ein Drittel aller Hartz-IV-Empfänger sind inzwischen Ausländer, Tendenz stark steigend. Und was machen Sie? Sie pampern jene Ausländer, die sich im Sozialstaat eingerichtet haben. Damit treten Sie die Leistung vieler integrierter Zuwanderer mit Füßen, die für einen Lohn knapp über dem Existenzminimum arbeiten. ({8}) Sie lehren Zuwanderern Faulheit und Anspruchsdenken an einen Sozialstaat, der jeden Wunsch ohne Gegenleistung erfüllt. Das ist nicht nur grundfalsch, sondern es ist auch absolut schädlich für den sozialen Frieden, und es vernichtet jegliche Integrationsbemühungen. ({9}) Sie fordern in Ihrem Antrag absolute Freiwilligkeit und keinerlei Verpflichtungen mehr für Hartz-IV-Empfänger. ({10}) Freiwilligkeit, das klingt gut. Wie wäre es, wenn wir Freiwilligkeit nicht bei den Beziehern von Sozialleistungen, sondern bei den Steuerzahlern einführen? ({11}) Lassen Sie uns doch bei der CO2-Steuer damit anfangen. Wer einer komischen Endzeitsekte angehört, die glaubt, dass die Erde und das Klima bald untergehen, der kann die CO2-Steuer ja gerne bezahlen. ({12}) Und alle anderen, die klar im Kopf sind, die zahlen die neue Steuer eben nicht. Wie wäre denn das? – Ja, darüber regen Sie sich auf, weil das nicht in Ihr Weltbild passt. ({13}) Meine Damen und Herren, mein Vorname ist Martin. Ich bin benannt nach einem guten Menschen, der seinen eigenen Mantel mit einem Obdachlosen geteilt hat. ({14}) Die heutigen Gutmenschen sind genau das Gegenteil davon. Sie möchten sich selbst immer als gut darstellen, indem Sie mit dem Geld, das andere hart erarbeitet haben, Wohltaten verteilen. Ich wünsche Ihnen allen frohe Weihnachten! ({15}) Seien Sie wie der Heilige Martin von Tours gute Menschen und eben keine Gutmenschen. ({16})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Lemke, so leid mir das tut, aber für den Zwischenruf „Lächerliche Schießbudenfigur“ erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf. Herr Abgeordneter Sichert, ich weise Sie letztmalig darauf hin: Wenn Sie Ihre nächste Rede unter meiner Sitzungsleitung nicht korrekt mit der Anrede „Herr Präsident“ beginnen, bekommen Sie einen Ordnungsruf. Sollten Sie sich weiterhin so provokativ verhalten, gibt es weitere Ordnungsmaßnahmen; denn Sie wollen provozieren. Darauf werde ich dann auch eingehen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Martin Rosemann das Wort. ({1})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die gute Nachricht am Anfang: Wir haben die strukturelle Arbeitslosigkeit in Deutschland überwunden und die Massenarbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft. – Ich glaube, das kann man in so einer Debatte schon einmal festhalten. ({0}) Aber wir stehen jetzt vor neuen Herausforderungen. Professor Enzo Weber vom IAB hat es in einem Interview mit „Spiegel Online“ wie folgt formuliert – ich zitiere –: Die Hartz-Reformen waren geeignet, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen, aber sie haben zum Teil … eine nachhaltige Entwicklung des Arbeitsmarkts behindert. Auf die wird es aber … entscheidend ankommen. Und weiter vorne heißt es: In der Tat sind die Bedingungen – und die Herausforderungen – des deutschen Arbeitsmarkts heute vollkommen andere als vor eineinhalb Jahrzehnten. Meine Damen und Herren, die neuen Herausforderungen heißen „Digitalisierung“, „technologischer und struktureller Wandel“ und „demografische Veränderungen“. Die geburtenstarken Jahrgänge werden in den nächsten Jahren aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Wir werden jedes Jahr knapp 400 000 Arbeitskräfte verlieren, und wir werden es mit älteren Belegschaften zu tun haben. ({1}) Enzo Weber – um ihn noch einmal zu zitieren – rät: Wir müssen in der Breite zu höherwertiger Beschäftigung kommen: viel mehr Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierung der Arbeitnehmer … und eine entsprechende Lohnentwicklung. ({2}) Meine Damen und Herren, genau das ist unser Weg. Das ist der Weg der SPD. Wir haben unser Sozialstaatskonzept auf dem Bundesparteitag entsprechend beschlossen. ({3}) Wir stellen in diesem Konzept die Arbeit in den Mittelpunkt. Wir wollen gute Arbeit, anständig bezahlt und mit sozialer Sicherheit für alle. Klar ist: Auch im Wandel wird uns die Arbeit nicht ausgehen. Wir brauchen alle, und wir haben im Wandel die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass alle eine Perspektive haben. ({4}) Wir setzen auf das Recht auf Arbeit. Das beginnt damit, Arbeitslosigkeit zu verhindern, bevor sie entsteht. Im Mittelpunkt steht Weiterbildung, damit die Beschäftigten von heute auch die Arbeit von morgen machen können. ({5}) Dabei brauchen wir den Sozialstaat als Partner, der individuell unterstützt, zielgenau und unbürokratisch und am besten, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. ({6}) Es geht um einen Kulturwandel, und zwar in der Sozialversicherung genauso wie in der Grundsicherung. Wir haben es in der Grundsicherung, im SGB II, zunehmend mit komplexen und verfestigten Problemlagen zu tun. Auch hier gilt, dass der Sozialstaat als Partner erlebbar sein muss. Das heißt für uns: Keiner wird hin- und hergeschickt. Es muss Schluss damit sein, dass sich keiner zuständig fühlt; das muss beendet werden. Wir brauchen Hilfen aus einer Hand. ({7}) Das heißt, niemand ist Bittsteller. Wir haben es zu tun mit Bürgerinnen und Bürgern mit eigenen Rechten. Das heißt, wir brauchen ein Bündnis auf Augenhöhe. ({8}) Deshalb wollen wir eine Teilhabevereinbarung mit konkreten Schritten, verständlich und klar, gemeinsam vereinbart. Und das heißt, der Einzelne steht im Mittelpunkt. Unterstützung muss individuell und passgenau da sein. Hinzu kommt: Wir müssen Weiterbildung stärken, und wir müssen soziale Teilhabe ermöglichen. Es ist allemal besser, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit. ({9}) Meine Damen und Herren, wir sind erste Schritte bereits gegangen. Mit den ABC-Netzwerken haben wir die ganzheitliche, umfassende Betreuung gestärkt. Wir haben die Nachbetreuung eingeführt. Wir haben die Weiterbildungsprämie eingeführt, und wir haben einen sozialen Arbeitsmarkt eingeführt, der vielen Menschen neue Perspektiven gibt, mit einem begleitenden Coaching, das den Einzelnen und die Einzelne unterstützt. Und wir haben die finanziellen Rahmenbedingungen für die Jobcenter verbessert und Eingliederungs- und Verwaltungstitel in dieser Legislaturperiode deutlich erhöht. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sanktionen bestärkt uns darin. Vor allem sagt es uns, dass wir den Einzelfall in sehr viel stärkerem Maße in den Mittelpunkt stellen müssen. ({10}) Dabei ist klar: Es gibt weiterhin Mitwirkungspflichten; aber Hilfe und Unterstützung sind immer wichtiger als Sanktionen. Meine Damen und Herren, es geht aber um mehr als nur darum, dieses Urteil jetzt umzusetzen und ein verändertes Sanktionsrecht zu schaffen. ({11}) Es geht darum, den beschriebenen Kulturwandel im Gesetz zu verankern. Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich darauf verlassen können, dass der Sozialstaat für sie da ist, wenn sie Hilfe und Unterstützung brauchen, und zwar einfach, verlässlich, verständlich, transparent, respektvoll und partnerschaftlich. Er muss einfach ein Sozialstaat sein, der das Leben leichter macht. ({12}) Das gilt im Übrigen für uns alle. Was mich an der Debatte hier stört, ist, wenn ein Gegensatz zwischen denjenigen, die den Sozialstaat brauchen, und denjenigen, die ihn finanzieren, aufgemacht wird, weil wir das doch alle gleichermaßen sind. ({13}) Auch wir alle finanzieren den Sozialstaat und können auch auf ihn angewiesen sein. Wer weiß denn schon, wie sein Leben weitergeht und wann er auf die Hilfe und Unterstützung der Solidargemeinschaft angewiesen ist? ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. – Heribert Prantl hat in der „Süddeutschen Zeitung“ über den Beschluss Nummer 3 des SPD-Bundesparteitags geschrieben – ich zitiere –: Er ist überschrieben „Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“, ist 21 Seiten lang und wohl eines der gehaltvollsten Papiere, die in der SPD seit dem Godesberger Programm von 1959 beschlossen worden sind. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kein Wunder, dass die Grünen manches aus diesem Papier in ihren Antrag übernommen haben! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Pascal Kober, FDP-Fraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hartz IV ist in aller Munde, Reformvorschläge von vielen Seiten liegen vor – natürlich, traditionell, von der Linken, aber auch realpolitische Parteien haben sich dem Thema jetzt neu gewidmet. ({0}) Es gibt natürlich die Vorschläge der Sozialverbände, es gibt aber auch die Vorschläge der Wirtschaftsweisen. Der Einzige, der sich nicht bewegt, ist Ihr Minister, lieber Martin Rosemann. Dass Sie hier Vorschläge machen, ist ja aller Ehren wert, aber der Mann hat eine Adresse und eine Telefonnummer. Sprechen Sie ihn an! Ich vermute, Sie sind per Du mit ihm. Also, wir sind gespannt, was der Minister hier in den nächsten Wochen und Monaten an Reformvorschlägen einbringen wird. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich die verschiedenen Reformvorschläge anschaut, dann sieht man: Da gibt es in der Tat ganz große Unterschiede; manches liegt also ganz fern voneinander. – Es würde sich aber lohnen, auch einmal auf die Punkte zu schauen, wo es vielleicht doch eine breite Mehrheit in diesem Haus gibt, und sie zu reformieren. Ich würde sagen, es lohnt sich, lieber Hubertus Heil, einmal das Gespräch mit den Fraktionen hier zu suchen. Liebe Kollegen von den Grünen, wenn Sie schreiben, dass die Arbeitsförderung nicht allein auf schnellstmögliche Eingliederung verengt werden darf, dann sagen wir als FDP: Ja, richtig; denn das Ziel muss eine nachhaltige Vermittlung in den Arbeitsmarkt sein. ({2}) Wenn Sie zugleich allerdings von einem Recht auf Ausbildung sprechen, dann fragen wir: Soll das Recht einfach so für jede Ausbildung gelten, ohne eine gewisse Zielvorgabe, also ohne einen konkreten Arbeitsplatz und ohne Bezug auf einen bestimmten regionalen Arbeitsmarkt mit tatsächlich auch Arbeitschancen? Da hätten wir dann wiederum Gesprächsbedarf. ({3}) Wenn Sie schreiben, dass wir eine Vielzahl von aufeinanderfolgenden Schritten für den Einzelnen brauchen, dann sagen wir auch wieder: Richtig, wir brauchen Teilqualifizierungen, wir brauchen mehr Angebote modularer Ausbildungsgänge. Das sind die Dinge, die wir brauchen, um individueller auf die Menschen zugehen und an ihren Chancen arbeiten zu können. Das ist richtig. Wenn Sie sagen, dass die Vergabeverfahren für Maßnahmen der Arbeitsförderung regionaler und individueller ausgestaltet werden sollten und dass die Vergabeverfahren regionaler erfolgen müssten, dann sagen wir: Das ist richtig; denn das ermöglicht es, dass die Arbeitsförderung konkreter an einem regionalen Arbeitsmarkt orientiert ist. Was mir aber fehlt – das hat wiederum der Kollege Zimmer in die Debatte eingebracht –, ist das positive Menschenbild. Wenn man Ihren Antrag liest, dann hat man in der Tat den Eindruck – wie gesagt: wir sind hier nicht allein; es wurde schon vorhin in der Debatte so empfunden –, dass Ihnen gänzlich der ermutigende Blick auf den Menschen fehlt. Sie sehen den Menschen als ein Fürsorgeobjekt – viel zu sehr jedenfalls. Wir wollen lieber einen Sozialstaat, der die Menschen ermutigt. Das bedeutet aber auch, dass wir den Menschen durchaus auch etwas zumuten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser realistische, dieser ermutigende Blick auf den Menschen prägt unsere Sozialpolitik. Aber ich glaube, dass wir doch an der einen oder anderen Stelle konkrete Lösungen gemeinsam erarbeiten können, um Hartz IV ein Stück weit zu reformieren. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Als nächste Rednerin spricht für die Fraktion Die Linke die Kollegin Jessica Tatti. ({0})

Jessica Tatti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004911, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Beate Müller-Gemmeke, der Antrag der Grünen greift hervorragende Vorschläge von Arbeits- und Sozialwissenschaftlern, des DGB und der Personalräte der Jobcenter auf, die sie zur Verbesserung der Beratung und der Arbeitsförderung in den Jobcentern vorgelegt haben. Daher vielen Dank für die Einbringung dieses Antrags. ({0}) Da es aus meiner Sicht nicht möglich ist, alle Forderungen in einem Schritt umzusetzen, will ich auf die aus meiner Sicht drängendsten Punkte eingehen. Der Vermittlungsvorrang im SGB II muss abgeschafft werden. ({1}) Es muss endlich Schluss damit sein, dass es das oberste Ziel ist, dass Menschen jeden noch so miesen Job annehmen. ({2}) Dadurch entsteht ein frustrierender Drehtüreffekt zwischen Hartz IV und prekärer Beschäftigung. Stattdessen muss die Priorität endlich darauf gesetzt werden, dass Erwerbslose in Arbeit kommen, die ihr Leben und das ihrer Familien nachhaltig verbessert. ({3}) Daher ist es völlig absurd, dass Menschen in Hartz IV den letzten traurigen Platz bei der Teilnahme an Weiterbildung belegen. Es muss aufhören, dass sie einfach abgeschrieben werden. Anstatt belangloser Maßnahmen nach dem Prinzip „schnell und unsinnig“ brauchen wir endlich einen Rechtsanspruch auf abschlussbezogene Weiterbildungen. ({4}) Ebenfalls schnell einführen müssen wir die Freiwilligkeit von Beratung. Ohne Freiwilligkeit ist keine erfolgversprechende Beratung möglich. ({5}) Wie sollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter Menschen gut und vertrauensvoll beraten, solange sie gleichzeitig für deren Sanktionierung zuständig sind? ({6}) Das ist ein unmöglicher Spagat. Deshalb gehören Sanktionen abgeschafft. ({7}) Was fehlt im Antrag? Mir fehlt die bessere Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern; denn es gibt keine flächendeckenden Ausbildungs- oder Studiengänge für Beraterinnen und Berater. Zwar qualifizieren die Jobcenter intern sehr intensiv, aber eben vor allem für Informationen und Stellenvermittlung. ({8}) Gerade in Bezug auf die individuelle Beratung und die Weiterbildungsberatung ist das unzureichend. ({9}) Deshalb sollten wir gemeinsam mit den Jobcentern und den Personalräten über die Entwicklung und die Einführung von Studiengängen ins Gespräch gehen. Nach dem ehrlichen Lob für Ihren Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Grünen, muss ich Ihnen aber doch noch eine sehr ernste politische Frage stellen. ({10}) Mit wem wollen Sie das eigentlich umsetzen? Sie haben eben die Rede von Herrn Zimmer von der Union gehört. Sie sollten Ihre Liebäugelei mit Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz schleunigst beenden; denn der Antrag wäre dann nicht mehr als reine Verhandlungsmasse. ({11}) Wer wirklich will, dass Sozialleistungsberechtigte in den Fokus der Politik rücken – genau das verdienen sie –, der braucht eine andere politische Mehrheit -

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Jessica Tatti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004911, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

jenseits derer, die nichts kapiert haben und die auch nichts kapieren wollen und die Hartz IV bis heute rechtfertigen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Das können Sie bilateral miteinander klären, Frau Kollegin Lemke. Als nächster Redner hat der Kollege Peter Aumer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Perspektivwechsel bei der Grundsicherung für Erwerbsfähige, das ist in einem Wort der Kern des Antrags der Grünen. Meine sehr geehrten Damen und Herren der Grünen, Sie wollen keinen Perspektivwechsel, sondern Sie wollen eine Abkehr von der Agenda 2010, ({0}) der Agenda 2010, die zu entscheidenden Reformen des deutschen Sozialsystems und des Arbeitsmarktes beigetragen hat, die Sie als Grüne mitgetragen haben. Wenn Sie den Antrag geschrieben haben, dann haben Sie ihn hoffentlich auch alle gelesen: ({1}) Genau das ist der Kern grüner Politik. Das ist genau der Kern des Antrages, den Sie heute vorgelegt haben. Uns, meine sehr geehrten Damen und Herren, geht es um die Verantwortung jedes Einzelnen. Diese Eigenverantwortung ist das Grundprinzip unserer sozialen Marktwirtschaft. ({2}) Sie ist zugrunde gelegt im Subsidiaritätsprinzip. Das heißt, der Staat muss dann solidarisch handeln, wenn es der Einzelne alleine nicht mehr schafft. Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, höhlt dieses Subsidiaritätsprinzip aus. Ihnen geht es mit diesem Antrag nicht um die Beratungsqualität von Jobcentern, wie es da steht, sondern Ihnen geht es um einen Systemwechsel. Sie fordern in Ihrem Antrag – ich zitiere –: Freiwilligkeit muss zum Ausgangspunkt der Unterstützungsleistungen im SGB II …werden. ({3}) Das bedeutet Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. ({4}) – Was ist es denn? ({5}) Lesen Sie den Antrag; dann wird genau das deutlich. Meine sehr geehrten Damen und Herren, man kann zukünftig in unserem Land wählen, ob man arbeiten möchte oder nicht. Ich denke, das ist nicht die Politik, die unser Land stark gemacht hat. Wenn Sie dann von einem Wunschrecht schreiben, Frau Kollegin Müller-Gemmeke, dann denke ich: Wir sind zwar kurz vor Weihnachten; aber wir sind nicht in einem Land, in dem das „Wünsch dir was“-Prinzip die Politik in Deutschland bestimmen darf. Deswegen: Wirtschafts- und Sozialpolitik in Deutschland muss getragen sein vom Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. ({6}) Das bedeutet und verbindet wirtschaftliche Freiheit und sozialen Ausgleich. Dieses Prinzip hat uns stark gemacht. Es hat uns zu einer der erfolgreichsten Volkswirtschaften in dieser Welt gemacht. Wir, CDU und CSU, stehen für diesen Kompass, stehen für ein verantwortungsvolles, soziales Deutschland, in dem wir vor allem Arbeitsplätze schaffen, in dem wir dem Prinzip Rechnung tragen, das unser Land stark gemacht hat – der sozialen Marktwirtschaft. Wir stehen für den Grundsatz des Förderns und Forderns, der Wohlstand und soziale Sicherheit gegeben hat. ({7}) Wir brauchen keinen Perspektivwechsel, sondern Perspektiven. Das, meine liebe Kollegin der Linken, ist keine Phrasendrescherei. Ich brauche auf alle anderen Punkte dieses Antrags gar nicht einzugehen; denn dieser Systemwechsel wird in Deutschland nicht stattfinden, weil er diesem Land nicht die Zukunft gibt, die es heute angesichts der internationalen Herausforderungen braucht. ({8}) Meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, Sie und die Grünen können mit solchen Ideologien Politik machen; wir können das nicht. Wir stehen für Verantwortung. Wir stehen für Fördern und Fordern. Wir stehen nicht für eine Politik, die einen Perspektivwechsel auf die Agenda setzt, sondern wir stehen für eine Politik, meine sehr geehrten Damen und Herren der Grünen, die Perspektiven schafft, die Chancen gibt, die Arbeitsplätze schafft. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Zum Schluss der Kollege Kai Whittaker, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Kai Whittaker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004443, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kollegen! Ich bin nicht nur gespannt, ob der Kollege Sichert irgendwann einmal die richtige, korrekte Ansprache ans Präsidium schafft, sondern auch, ob er einmal einen konkreten Antrag hier vorlegt, aus dem hervorgeht, was die AfD zu diesem Thema eigentlich zu sagen hat. Wir warten seit zwei Jahren fieberhaft. ({0}) Aber vielleicht schaffen Sie es ja noch in dieser Legislaturperiode; sie dauert noch ein bisschen. Meine Damen und Herren, liebe Grüne, ich bin dankbar, dass wir bei diesem Thema einmal nicht nur über Sanktionen reden. Ich habe häufig genug an diesem Pult gesagt, dass es mir so vorkommt, als ob wir viel zu häufig über Sanktionen reden und nicht darüber, wie wir Menschen wieder in Arbeit bringen. ({1}) Aber die Analyse, die Sie in Ihrem Antrag vornehmen, teile ich, muss ich sagen, nicht. Sie schreiben da, dass Hartz IV dem Arbeitsmarkt und den Betroffenen nicht gerecht wird. Kollege Rosemann hat es angedeutet: Wir haben es innerhalb der letzten 14, 15 Jahre geschafft, die Arbeitslosigkeit in diesem Land mehr als zu halbieren! Das ist ein Riesenerfolg, auch von Hartz IV. ({2}) Deshalb, finde ich, kann man nicht schreiben, dass Hartz IV den Anforderungen nicht gerecht wird. Sie haben in Ihrer Rede vorhin sinngemäß gesagt, dass es darum geht, dass Arbeitslose gar nicht die Chance haben, einen Job zu finden. Dazu habe ich mir schnell die Zahlen angesehen: Das Gegenteil ist der Fall. 2010 hatten wir 360 000 offene Stellen in diesem Land. Dieses Jahr werden es 780 000 Stellen sein, die nicht besetzt sind – mehr als als verdoppelt. Also: Die die Chance für Arbeitslose, einen Job zu finden, ist so gut wie nie zuvor. ({3}) Zweitens sagen Sie, dass man nicht auf Augenhöhe ist, weil die Arbeitslosen eben nicht nur beraten werden, sondern weil auch immer Sanktionen drohen. Die meisten Jobcenter – sie können das selber entscheiden – legen das in zwei verschiedene Hände. Das ist heute schon getrennt. Sie haben auf der einen Seite denjenigen, den Sie ansprechen, der die Leistungen berechnet, und Sie haben einen anderen Ansprechpartner, wenn es um die Jobvermittlung geht. Insofern ist man hier auf Augenhöhe. Das Interessante ist: Es gibt einige wenige Jobcenter, die beides tatsächlich zusammenfassen. Das Irre ist: Die sind sogar noch besser in der Vermittlung. – Eigentlich wäre es sogar sinnvoll, beides zusammenzulegen, als es wie zurzeit getrennt zu lassen. Das wäre eigentlich die richtige Schlussfolgerung. Drittens sagen Sie, Sie wollen andere Ziele anstreben. Sie sagen, das Ziel, in Arbeit zu gehen, überfordert die Menschen im ersten Schritt, ({4}) es bräuchte Zwischenziele usw. usf. ({5}) Darüber kann man diskutieren. Aber ein Ziel ist ein Ziel. Wenn Sie ein Ziel festlegen, dann müssen Sie sich daran messen lassen. Der Druck wird dadurch nicht kleiner oder verschwindet, sondern natürlich haben Sie eine Vorstellung davon, wie es sein soll, und am Ende werden Sie sehen, ob Sie dorthin gelangt sind. Und wenn das nicht der Fall ist, dann wird die Frage im Raum stehen: Warum ist das so, und welche Konsequenzen folgen daraus? Insofern teile ich Ihre Analyse nicht. Wir müssen die Menschen weiterbilden. Das tun wir mit unserer Nationalen Weiterbildungsstrategie. Dafür bin ich unserer Ministerin Karliczek dankbar. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Aussprache.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich die Gelegenheit nutzen, am heutigen Tag, an dem der Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments vergeben wurde und an dem dessen Preisträger auch den Václav-Havel-Menschenrechtspreis des Europarats – den will ich nicht vergessen – bekommen hat, Professor Ilham Tohti herzlich zu gratulieren. Er hat heute diesen Sacharow-Preis bekommen, und zwar sehr zu Recht, ({0}) weil er sich für die Rechte von Uiguren einsetzt. Ich will an dieser Stelle deutlich machen – wir werden vielleicht die Debatte in den nächsten Wochen leider noch ein paar Mal zu führen haben –: Der Deutsche Bundestag ist eben nicht die Houston Rockets, Arsenal London oder andere, sondern der Deutsche Bundestag äußert sich zu Menschenrechtsverletzungen, die in China und von China begangen werden, und zu Recht. Ilham Tohti muss dringend freigelassen werden! Ich glaube, das ist auch der gemeinsame Appell dieses Hauses. ({1}) Wir diskutieren heute aber über die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Sie geht zurück auf ein internationales Abkommen, das 83 Staaten – Deutschland gehört dazu – unterzeichnet haben. Um noch einmal zu sagen, um was es eigentlich geht – denn „Folter“ ist immer ein bisschen verkürzt und führt auch zu Missverständnissen –: Wir reden über das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Das umfasst deutlich mehr als dieser eng gefasste Folterbegriff. Der Titel sagt uns zwei Dinge. Erstens. Es geht nicht nur um diesen eng gefassten Folterbegriff, sondern um vieles mehr. Vieles von dem, was in dem Titel des internationalen Übereinkommens steht, findet eben leider auch in Deutschland statt. Deswegen ist es richtig und wichtig, sich dem auch in Deutschland zu widmen. Zweitens. Der Titel sagt uns, dass es solche Verhältnisse in vielen Staaten der Welt gibt. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, der Außenminister vorneweg, den Multilateralismus zu stärken. Deswegen wollen wir den UN-Mechanismus stärken und dafür sorgen, dass möglichst viele Länder über die 83 hinaus dieses Abkommen ratifizieren. Wir müssen auch den Europarat stärken; er kommt hier noch einmal vor. Zu ihm gehört auch das CPT, das Anti-Folter-Komitee. Es ist entsprechend in den 47 Staaten des Europarats im Einsatz. ({2}) Die deutsche Stelle macht eine hervorragende Arbeit. Das verhält sich wie bei anderen Menschenrechtsfragen auch. Das ermöglicht uns, uns kritisch mit unserer Situation auseinanderzusetzen und umso mehr eine Berechtigung zu haben, uns mit Menschenrechtsverstößen in anderen Ländern der Welt zu beschäftigen. Aber es gibt eben auch Bedarf in diesem Land. Deswegen will ich an dieser Stelle sagen: Ein großer Dank geht an diejenigen, die in dieser Stelle arbeiten. Die Fachleute dort sind ehrenamtlich unterwegs. Ich will und muss erinnern an Klaus Lange-Lehngut, den Leiter der Bundesstelle, der leider vor einigen Wochen verstorben ist. Ich will mich aber stellvertretend bei Rainer Dopp bedanken, dem Leiter der Länderkommission; denn wir haben auf Bundesebene, aber eben auch auf Länderebene Einrichtungen. Es ist nicht leicht für diejenigen, die dort unterwegs sind. Viele sehen sich oftmals dem Vorwurf der Nestbeschmutzung ausgesetzt, weil man ganz normal auf Missstände hinweist. Das muss man auch tun – in den etwa 13 000 plus x Einrichtungen, in denen die Nationale Stelle unterwegs ist, überall da, wo der Staat selber Zwangsmaßnahmen durchführt oder entsprechend anordnet. Ich will es noch einmal sagen: Es ist gut, dass es diese Einrichtung gibt. Wir reden über Gefängnisse, Polizeistationen, wir reden darüber, dass Abschiebeflüge stattfinden, wir reden über Seniorenheime, wir reden über Jugendheime. Dort sind Hundertausende Menschen im Einsatz, die eine wichtige Arbeit leisten und die das oft in einer für die Beschäftigten sehr schwierigen Situation tun. Umso wichtiger ist es, dass wir alles tun, damit genau in diesen schwierigen Situationen, in denen Menschen auf Menschen auch unter schwierigsten psychischen Bedingungen treffen, die Menschenwürde gewahrt bleibt, und da sind die Bundesstelle und die Länderkommission ganz wichtige Einrichtungen. ({3}) Es geht darum, hinzuschauen, Transparenz zu schaffen, zu sensibilisieren. Es geht gar nicht um Anklage, sondern um Sensibilisierung. Es gab vor ein paar Jahren einen riesigen Aufschrei darüber, dass die Kommission zur Verhütung von Folter auch in Altenpflegeeinrichtungen unterwegs ist; denn in Deutschland gebe es ja keine Folter in Altenpflegeeinrichtungen, und der Vorwurf sei ja ungeheuerlich. Aber natürlich gibt es in Altenpflegeeinrichtungen – das ist eine schlichte Tatsache, eine Feststellung – entwürdigende Maßnahmen. Das hat mit Zeitmangel zu tun. Das hat aber manchmal auch mit Gedankenlosigkeit zu tun, wenn sich bestimmte Routinen eingeschlichen haben. Es geht um Fixierungen. Es geht um die Frage der Ruhigstellung durch Medikamente. Es geht darum, dass das Bettgestell vielleicht das ein oder andere Mal automatisch hochgestellt wird, ohne dass es notwendig wäre. Es geht um das Feststellen des Rollstuhls am Tisch – ich musste mir selber auch erst einmal klarmachen, dass auch dies eine Form der Einengung der Freiheit ist und Menschen dies auch so empfinden können. Deswegen noch einmal: Es geht nicht um Anklage, sondern es geht um Orientierung und Sensibilisierung. Es ist gut, dass es diese Kommission, diese Einrichtung gibt. An vielen Stellen dient sie eben auch dazu, Vorwürfe zu entkräften. Ich habe einen Artikel gelesen, in dem sich eine Altenpflegeeinrichtung, die anonym angeklagt wurde, auf diese Stelle berufen und gesagt hat: Wir haben ja diese Stelle. Es gibt die Möglichkeit, in die Einrichtung zu gehen und sich entsprechend anzugucken, wie es dort läuft. ({4}) Bei der Polizei und im Strafvollzug geht es um die Frage, ob man sich eigentlich immer nackt ausziehen und unter welchen Bedingungen man das tun muss, darum, wie einsehbar Toilettenanlagen in Frauengefängnissen sind, in denen Männer an der Kamera sitzen und die die Anlagen entsprechend einsehen können. Ich habe ein paar Beispiele gelesen, wo die Anzahl der Fixierungen dadurch reduziert werden konnten, dass der Zuständige angeordnet hat, dass es bei jeder Fixierung auch eine Sitzwache geben und persönlich dokumentiert werden muss, wenn solche Fixierungen vorgenommen werden. Dadurch hat es weniger Fixierungen gegeben, die vielleicht das ein oder andere Mal einfach zu schnell angeordnet wurden. Wir haben bei Abschiebeflügen eine entsprechende Situation durch die Diskussion, die wir hier pro/kontra Flüchtlingspolitik führen und darüber, wie man mit Abschiebungen umgeht. Das kann man sehen, wie man will; aber am Ende ist natürlich klar, dass es, wenn wir Abschiebungen verstärkt durchführen und Abschiebeflüge verstärkt stattfinden lassen, dann auch zu mehr Konflikten kommt. Umso wichtiger ist es, auch dort genauer hinzuschauen, zu schauen, dass es nicht unnötige Einzelhaft gibt, hinzuschauen, dass Kinder und Eltern nicht getrennt werden. Die Stelle ist also eine wichtige und unbezahlbare Einrichtung. Wir haben in den Haushalt ein bisschen mehr Geld eingestellt – 100 000 Euro –, damit diese Institution ordentlich arbeiten kann, und wir werden, glaube ich, in den nächsten Jahren darüber nachdenken müssen, wie wir diese Institution weiter stärken können. Ich jedenfalls danke dieser Institution und all denen, die dort unterwegs sind, für die tolle und wichtige Arbeit im Sinne der Menschenrechte. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Braun, AfD-Fraktion. (Beifall bei der AfD] Turnusende

Jürgen Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004680, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Artikel 1 der UN-Antifolterkonvention von 1984 bezeichnet der Begriff „Folter“ „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“. Es ist also ein relativ weiter Folterbegriff. Wichtig ist, dass Folter nur von Vertretern des Staates oder mit deren Einverständnis ausgeübt wird. Keine Folter hingegen sind „Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben“, also durch Vertreter des Staates in legaler Amtsausübung. Folter im Sinne dieser Definition ist in Deutschland seit 1989 klassisch nicht mehr vorhanden. Die vorliegenden Berichte der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter für die Jahre 2017 und 2018 belegen das. Von aktuellen Problemen ist zu lesen, gewiss, aber nicht von systematischer Folter. Das ist ein enormer Fortschritt. Denn noch vor 30 Jahren wurde in Deutschland gefoltert, im sozialistischen Unrechtsstaat DDR, wo die SED herrschte, heute umbenannt in Die Linke. ({0}) Folter hatte im 20. Jahrhundert einen Namen: Sozialismus. Sozialisten haben gefoltert im Namen einer Ideologie, ({1}) auch in Deutschland; denn der Sozialismus braucht Folter, weil sich die totalitäre Weltsicht nur durch Zwang durchsetzen lässt. ({2}) Genauso ist es dort, wo der Sozialismus auch heute noch seine blutigen Schneisen quer durch die Gesellschaft zieht, ({3}) in China, Nordkorea, in Venezuela; von Weihnachtsfrieden ist dort keine Spur. Die Linke, die Alt-SED, möchte Folter auch hierzulande herbeireden. ({4}) In den Ausschussberatungen hat sie völlig legale und notwendige Abschiebungen in die Nähe von Folter gerückt; sie wollte Abschiebungen wie Folter aussehen lassen. Im heutigen Deutschland in Bezug auf staatliche Stellen von Folter zu reden, bedeutet, Folter als schweres Verbrechen zu verharmlosen. Denn wie es in der Antifolterkonvention klar heißt: Leiden oder Schmerzen, die von staatlichen Stellen legitim hervorgerufen werden, sind keine Folter. Im heutigen Deutschland gibt es keine staatlich organisierte oder legitimierte Folter gemäß der Definition der Antifolterkonvention. Ein Polizist, der seine Pflicht gewissenhaft tut und gewaltbereite Antifa-Extremisten festsetzt, foltert nicht. ({5}) Ein Pfleger, der einen Menschen in einer absoluten psychischen Ausnahmesituation eine Zeitlang fixiert, foltert nicht. Natürlich ist jede freiheitsbeschränkende Maßnahme problematisch; aber sie fällt in der Regel nicht unter den Begriff „Folter“. Häufig geht es hier um schwere Krankheit und menschliche Tragik. Den Pflegekräften, die hier tagtäglich schwere Entscheidungen treffen, gebührt größter Respekt für ihre Arbeit und kein Misstrauen. ({6}) Um es noch einmal zu sagen: Es ist natürlich keine Folter, einen ausreisepflichtigen Asylbewerber in ein Flugzeug in seine Heimat zu setzen. Polizisten, Pfleger, Psychiater, sie leisten in diesem Land einen wichtigen Dienst. Dafür gebührt ihnen Dank. ({7}) In Deutschland gibt es seit 1989 keine Folter durch staatliche Stellen. ({8}) Wir alle können dafür mehr als dankbar sein. Die zuständige Nationale Stelle zur Verhütung von Folter, deren Auftrag präventiv ist, arbeitet solide und zuverlässig. Staatlich verordnete Folter aber muss auch in Zukunft unmöglich bleiben. Der Sozialismus, der im vergangenen Jahrhundert so viele Menschen auch hierzulande zu Opfern von Folter werden ließ, darf nicht zurückkommen. Nie wieder Sozialismus! ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner hat der Kollege Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist vielfach gesagt worden, und es ist auch wahr: Die Menschenrechte zählen zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben aus der Geschichte gelernt, und wir setzen ein Beispiel dafür, wie wertvoll Menschenrechte als integraler Bestandteil im Alltag einer Gesellschaft sind. Vor dem Hintergrund dieses Bekenntnisses mag einem der Name der Institution, über die wir heute reden, etwas martialisch vorkommen: Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Deutschland setzt mit dieser Stelle die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe um. Die Arbeit der Nationalen Stelle hat zum Ziel, die Menschenwürde zu schützen; sie trägt dazu bei, dass wir deren Verletzung auch durch präventive Maßnahmen verhindern können. Im Namen des ganzen Deutschen Bundestages möchte ich den erfahrenen und ehrenamtlichen Experten der Nationalen Stelle für ihre Arbeit und zahlreiche konstruktive Hinweise danken. Dies ist ein Dienst an den Menschen, aber auch für unseren Rechtsstaat. Vielen Dank für Ihren Einsatz! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berichte für 2017 und für 2018 beinhalten zahlreiche ermutigende Beispiele für gute Praxis bei Polizei und Justiz wie auch in Einrichtungen der Pflege oder anderen Einrichtungen, in denen es besonders auf gute personelle Ausstattung und Ausbildung wie auch auf technisch und strukturell gute Rahmenbedingungen ankommt. Wenn auch das allermeiste ordentlich läuft, bleibt es dennoch wahr: Überall dort, wo Menschen arbeiten, werden auch Fehler gemacht. Deshalb bleibt es eine Daueraufgabe, zu prüfen, Defizite zu identifizieren und dann auch Verbesserungen vorzuschlagen. In vielen veröffentlichten Dokumenten der Nationalen Stelle kann dabei erfreulicherweise nachgelesen werden, wie von Einrichtungen in großer Offenheit auf die Hinweise reagiert wird. Als Beispiel soll das Schreiben des saarländischen Justizministeriums an die Nationale Stelle vom 18. Oktober dieses Jahres dienen. Nach deren Besuch in der Saarländischen Klinik für Forensische Psychiatrie heißt es dort: Der Besuch der Länderkommission hat uns auch Optimierungsmöglichkeiten und Verbesserungsvorschläge aufgezeigt, die wir gerne aufgreifen. Die aufgeführte Kritik haben wir zur Kenntnis und zum Anlass genommen, uns insoweit kritisch zu hinterfragen. Wie aus der Antwort hervorgeht, wurden zahlreiche Empfehlungen der Nationalen Stelle konkret umgesetzt. Es geht nicht um den Einzelfall, es geht um die Haltung. Aus dieser Reaktion spricht die Haltung unseres Rechtsstaates, die erkennbare Bereitschaft, sich gerade in der Frage der Menschenrechte immer wieder selbst zu prüfen und eben auch überprüfen zu lassen. ({1}) Wir alle wissen gerade aus der aktuellen Debatte hier im Hohen Hause zum Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Menschenrechtsbericht der Bundesregierung in der letzten Woche, dass in vielen Ländern der Erde das genaue Gegenteil die Praxis ist: Menschen wird die Würde genommen, um sie zu brechen. Umso wertvoller ist das Signal, dass und wie Deutschland den Schutz der Menschenrechte in der Praxis konkret umsetzt. Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter ist ein weiterer Beleg dafür, dass Deutschland die Würde der Menschen sehr ernst nimmt. Wir können darüber nicht nur froh sein, sondern wir können auch, wie ich finde, ein Stück stolz darauf sein, dass in unserem Land der Schutz von Menschenrechten nicht Luxus, sondern Kernbestand einer menschlichen Gesellschaft ist. Dafür sind wir allen Beteiligten in den Einrichtungen, den Ministerien, den Aufsichtsgremien und den Nichtregierungsorganisationen sehr dankbar. ({2}) Ich will zusammenfassen: Erstens, dieses Engagement im In- und Ausland mit Nachdruck fortzusetzen, zweitens, die Nationale Stelle fortgesetzt zu unterstützen, und drittens – auch das ist wichtig –, gemeinsam mit den Ländern die finanzielle Ausstattung angemessen sicherzustellen; das sind die drei Kernpunkte unserer Entschließung. ({3}) Für meine Fraktion möchte ich dem Hohen Haus empfehlen, durch Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag, den wir gemeinsam mit der SPD eingebracht haben, den Einsatz zum Schutz der Menschenwürde und zur Verhütung der Verletzung der Menschenwürde auch für die nächsten Jahre zu unterstützen. Ich danke Ihnen. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brand. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Gyde Jensen, FDP-Fraktion. ({0})

Gyde Jensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004941, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Besondere Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse brauchen auch eine besondere Kontrolle. Das gilt insbesondere für Orte der Freiheitsentziehung, und genau damit beschäftigt sich die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Das sind zum Beispiel die 179 Justizvollzugsanstalten in der Bundesrepublik, in denen Menschen eine Haftstrafe verbüßen oder sich in Abschiebehaft befinden. Das sind aber auch die deutschlandweit 316 Psychiatrien oder die Pflegeeinrichtungen – Herr Schwabe, ich korrigiere Sie da: es sind tatsächlich insgesamt fast 15 000 Einrichtungen, über die wir da reden –, die die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter nunmehr seit zehn Jahren kontrolliert. Diesen wichtigen Teil übernimmt sie mit einem besonderen Augenmerk auf die Menschenwürde – also nicht mit Blick auf das, was der Medizinische Dienst der Krankenkassen erledigt, sondern mit einem speziellen Augenmerk auf die Menschenwürde. Genau dort, wo drängende Missstände an Orten der Freiheitsentziehung stattfinden können, schaut die Nationale Stelle ganz genau hin. Ich möchte gerne anhand von zwei Beispielen aus den Berichten 2017 und 2018 die Herausforderungen veranschaulichen, denen wir hier gegenüberstehen. In Pflegeeinrichtungen sah die Nationale Stelle zum Beispiel unvollständige und nicht korrekt dokumentierte freiwillige Einverständniserklärungen von Bewohnern von Pflegeheimen zum Anbringen von Bettgittern. Es ist eigentlich Maßgabe, dass diese Einverständniserklärungen regelmäßig überprüft und möglicherweise auch zurückgezogen werden können. Das wird in vielen Einrichtungen häufig nicht gemacht. Es sind Kleinigkeiten, die aber genau dort auf die Menschenwürde positiv verändernd wirken können. Ich denke, dass der Jahresbericht eine Orientierung für die Pflegeeinrichtungen ist, aber auch für uns im Parlament und für die Regierung einen Handlungsauftrag darstellt. ({0}) Wie man es gut machen kann, hat die Nationale Stelle bei einem Abschiebeflug in Halle/Leipzig beobachten können, wo die Polizei Präventivmaßnahmen ergriff und zum Beispiel eine Spielecke für Kinder mit Familien einrichtete. Ich denke, genau diese Beispiele zeigen, dass es bestimmte Standards und Best Practices geben kann, die eingerichtet und angewandt werden können. ({1}) Ich möchte ganz zum Schluss noch einen traurigen Umstand erwähnen, der hier ab und zu anklang. Und zwar hat die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter 15,5 Stellen, davon hauptsächlich ehrenamtlich tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn wir diese 15,5 Stellen den 15 000 potenziellen Orten von Freiheitsentziehung gegenüberstellen, dann würde das bedeuten – im letzten Jahr hat die Nationale Stelle nur 63 Besuche machen können, weil sie personell so schlecht ausgestattet ist –, dass in einer Einrichtung alle 230 Jahre vorbeigeschaut werden kann. Das ist deutlich zu wenig. Die Bundesregierung muss hier als Bund Verpflichtungen eingehen, die auch die Länder entsprechend eingegangen sind, und finanziell viel besser für die Ausstattung sorgen, damit Herr Dopp und seine Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit noch besser machen können. Dafür danken wir ihnen ganz herzlich. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Jensen. – Als nächste Rednerin ist die Kollegin Zaklin Nastic, Fraktion Die Linke, an der Reihe. ({0})

Zaklin Nastic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004837, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland hat sich der Antifolterkonvention, dem Fakultativprotokoll, aber damit auch Artikel 18 verpflichtet, in dem steht, dass „die funktionale Unabhängigkeit“ und „ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen“ sind. Wenn die Regierung also die Arbeit der Nationalen Stelle wirklich begrüßt, wie hier behauptet, dann stattet sie sie endlich richtig aus und lässt sie ihre Arbeit machen. ({0}) Im Bericht der Nationalen Stelle steht, „dass das … Budget … in absehbarer Zeit nicht mehr für die Erfüllung ihres Mandats ausreichen werde“. Es ist wirklich inakzeptabel, dass die sich kaum mehr die Miete oder die Fahrkarten leisten können. Bitten Sie doch die Cum/Ex-Geschäftemacher zur Kasse, statt bei Opfern von Folter zu sparen. ({1}) Die Nationale Stelle hat zum Beispiel verschiedene Mängel in Alten- und Pflegeeinrichtungen festgestellt: bei der Medikamentenversorgung oder dabei, dass einige Menschen nicht genügend zu essen bekommen. – Unsere Pflegebedürftigen, unsere Eltern und Großeltern hungern zu lassen, ({2}) nur weil nicht genügend Pflegepersonal zur Verfügung steht, um diesen beim Essen zu helfen, ist wirklich nicht hinnehmbar. ({3}) Wir Linke fordern für die 800 000 Menschen in den Pflegeeinrichtungen ein Leben in Würde und Selbstbestimmung und dass sie endlich mehr Pflegekräfte bekommen, dass diese gut bezahlt werden, dass diese gut ausgebildet und gesellschaftlich anerkannt werden. ({4}) Im Übrigen gilt die Würde der Menschen auch in psychiatrischen Einrichtungen. ({5}) So wurde im April dieses Jahres in meiner Heimatstadt Hamburg William Tonou-Mbobda durch Sicherheitskräfte gewaltsam behandelt und fixiert. Er ist einige Tage darauf verstorben. Wären die Security-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen, so wie von der Nationalen Stelle gefordert, nach einem menschenwürdigen Berufsverständnis ausgebildet worden, wäre dieser tragische Vorfall vielleicht vermeidbar gewesen. ({6}) Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Todesumstände von William, auch in Bezug auf einen möglichen rassistischen Hintergrund. ({7}) Auch in Abschiebeeinrichtungen sind diverse Mängel bekannt, zum Beispiel Fälle von rechtswidrigem Freiheitsentzug bei Geflüchteten, dass Menschen in Abschiebehaft genommen werden, was eigentlich illegal ist. Wir können über Migration und Fluchtursachen wirklich streiten; aber der Schutz der Gesetze gilt auch für Geflüchtete. ({8}) Ich habe in Hamburg selbst erlebt, wie ein Vater und sein Sohn über viele Stunden von Dresden nach Hamburg transportiert wurden, ihnen jeglicher Kontakt zu Mutter und Schwester verboten wurde, sie über einen langen Zeitraum nichts zu essen und trinken bekommen haben; auch mir gegenüber als unabhängiger Beobachterin sind Zollbeamte und Polizeibeamte sehr aggressiv geworden. Das ist mit der Antifolterkonvention nicht vereinbar. ({9}) Meine Damen und Herren, die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter leistet eine hervorragende Arbeit für menschenwürdige Unterbringung und Behandlung. Es wird höchste Zeit, dass sich die Bundesregierung daran ein Beispiel nimmt. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Margarete Bause, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Margarete Bause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004663, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Zitat: Die Frage der Menschenrechte spielt im Alltag von deutschen öffentlichen Einrichtungen keine große Rolle. Die meisten Betroffenen können sich gar nicht vorstellen, dass es da etwas zu überwachen gibt. – So sagt es Rainer Dopp, der Vorsitzende der Länderkommission der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter. Die Jahresberichte machen deutlich, was manche bei uns nicht wahrhaben wollen: Auch in Deutschland gibt es leider Defizite, was den Schutz von Menschenrechten angeht. Wenn Menschen sich im Freiheitsentzug befinden, sei es im Heim, im Strafvollzug, in der Psychiatrie, in Abschiebehaft, dann geht es darum, ihre menschenwürdige Behandlung sicherzustellen. ({0}) Und dann ist es unsere Aufgabe, diejenigen zu stärken, die den gesetzlichen Auftrag haben, genau darauf zu achten. Aber leider hakt es hier. Die Nationale Stelle ist die Konsequenz – das wurde gesagt – aus unserer völkerrechtlichen Verpflichtung aus dem UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Um ihre wichtige Aufgabe zu bewältigen, stehen der Stelle gerade einmal zehn ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung und sechs Hauptamtliche. Als Herr Dopp im Juni bei uns im Menschenrechtsausschuss war, haben mich einige seiner Schilderungen wirklich fassungslos gemacht: In Deutschland gibt es – das wurde gesagt – 13 000 Orte der Freiheitsentziehung. Wenn die Nationale Stelle ihnen allen einen Besuch abstatten wollte, dann bräuchte sie dazu 176 Jahre. Die Stelle ist finanziell so schlecht ausgestattet, dass sie ihre Kontrolltätigkeit reduzieren musste. Wiederholt mussten Herr Dopp und seine Kolleginnen und Kollegen sogar ihre Bahntickets aus eigener Tasche vorstrecken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist einfach eine Schande. ({1}) So kommen wir auch unseren UN-Verpflichtungen nicht nach. Daran ändert auch die wirklich geringfügige Verbesserung im Haushalt nichts. Die Probleme sind aber nicht nur finanzieller Natur. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nationalen Stelle schlagen häufig auch heftige Aversionen entgegen, wenn sie zum Beispiel Alten- oder Pflegeheime aufsuchen. Oft fehlt es an der Einsicht, dass menschenwürdige Behandlung auch von einem menschenrechtsgeprägten Berufsverständnis ausgeht: wenn zum Beispiel Alte oder psychisch Kranke ohne Einwilligung oder richterliche Genehmigung fixiert werden, wenn in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe permanent Überwachungskameras laufen oder wenn Abschiebungen aus Schulen und Krankenhäusern stattfinden. Was nutzt es, wenn die Heime zwar kontrolliert werden, bei Missständen aber nicht namentlich genannt werden dürfen oder wenn sich die Aufsichtsbehörden nicht zuständig fühlen oder die Arbeit der Kontrolleure sogar behindern? Hier haben wir eine Regelungslücke. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschenrechte gelten universell. Gerade wenn wir ihre Einhaltung zu Recht weltweit anmahnen, müssen wir auch bei uns selbst ganz genau hinschauen. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Bause. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und des heutigen Tages ist der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Sebastian Brehm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004682, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter Folter versteht man „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden“, so steht es in Artikel 1 der UN-Antifolterkonvention. Das Verbot von Folter und anderer menschenunwürdiger Behandlung oder Strafe ist fester Bestandteil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Diese verpflichtet die Staaten, jede Form von Folter zu verbieten und strafrechtlich zu verfolgen. 2002 kam es zur Erweiterung der UN-Antifolterkonvention, die zum Ziel hat, durch ein System regelmäßiger Besuche von Freiheitsentzugsorten vor Folter und Misshandlungen zu schützen. Durch die Ratifizierung im Jahr 2008 wurde das Fakultativprotokoll im deutschen Recht verankert. Die Bundesstelle zur Verhütung von Folter in Deutschland begann ihre Arbeit im Jahr 2009, gefolgt von der Länderkommission im Jahr 2010. Beide Institutionen stellen den Präventionsmechanismus zur Verhütung von Folter der Nationalen Stelle dar. Sie hat die Aufgabe, Orte aufzusuchen, an denen Personen die Freiheit aufgrund behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder mit deren Duldung entzogen wurde. Jährlich wird ein entsprechender Bericht dem Menschenrechtsausschuss vorgestellt, der dann eine Beschlussempfehlung dem Deutschen Bundestag vorschlägt. Heute sprechen wir über die Jahresberichte 2017 und 2018. In jedem Jahr gibt es ein Schwerpunktthema. Im Jahr 2017 war das Schwerpunktthema die Freiheitsentziehung durch Polizei. Dabei wurden bundesweit Dienststellen der Bundes- und Landespolizei, Kliniken der allgemeinen und forensischen Psychiatrie, Einrichtungen des Zolls und des Justizvollzugs sowie Abschiebungshafteinrichtungen besucht, mit einem sehr positiven Ergebnis. Die Zusammenarbeit der Behörden mit allen Einrichtungen und mit den Fachärzten war sehr gut. Daher gilt unser Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Polizei, des Zolls und des Justizvollzugs für diese Arbeit. Sie sind unsere Visitenkarte in die Welt. Wenn wir zu Recht die Einhaltung der Menschenrechte in der Welt einfordern, dann ist es gut, wenn wir in Deutschland Vorbild dafür sind. Danke für diese Arbeit! ({0}) Im Jahr 2018 stand der Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern in Alten- und Pflegeeinrichtungen im Mittelpunkt. Auch hier leisten viele Pflegerinnen und Pfleger eine aufopferungsvolle Arbeit, trotz Personalmangel und trotz der damit verbundenen sehr hohen Arbeitsbelastung. Es wurden über 40 Einrichtungen besucht, mit einem durchweg sehr guten Ergebnis. Dort, wo Verbesserungen notwendig und möglich waren, wurden diese besprochen und umgesetzt. Auch hier ein herzliches Dankeschön an die Pflegerinnen und Pfleger in Deutschland. Es ist gut und richtig, dass die Nationale Stelle in Deutschland als Kontrollinstanz sich für die Einhaltung der Menschenrechte starkmacht. Deswegen auch hier ein herzliches Dankeschön für diese ehrenamtliche Arbeit, die von der Nationalen Stelle geleistet wird. ({1}) Prävention und vor allem Beratung ist der richtige Weg, wenn es darum geht, menschenwürdiges Leben auch und vor allem für Menschen mit Einschränkungen zu ermöglichen. Nur so geben wir den Bürgerinnen und Bürgern das Sicherheitsgefühl, dass Menschenrechte und Menschenwürde selbstverständlich auch an den Orten in unserem Land stattfinden, in welchen teilweise aus unterschiedlichen Gründen eine Beschränkung der Freiheit vorgenommen werden muss. 2018 wurde aber auch der Fokus im Bericht der Nationalen Stelle auf die Folterprävention weltweit gesetzt, und da hört es leider mit den guten Nachrichten auf. Die Verbreitung von Folter und die Anzahl von gefolterten Personen lassen sich nicht beziffern. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich sehr hoch. Wir wissen jedoch dank Berichten von Human Rights Watch und Amnesty International, dass in mehr als der Hälfte aller Länder der Welt Menschen immer noch gefoltert und schwer misshandelt werden. Nur 70 Staaten von insgesamt 103 haben einen nationalen Präventionsmechanismus eingerichtet. Mit großer Sorge betrachten wir, dass es weltweit alarmierende Folterberichte gibt. Wir haben in der letzten Woche im Rahmen des Menschenrechtsberichtes leider über zahlreiche negative Beispiele diskutieren müssen. Dies ist ein Zustand, liebe Kolleginnen und Kollegen, den wir nicht akzeptieren dürfen. Wir müssen dringend den Einsatz für die Verhütung von Folter auf globaler Ebene stärken. Wir jedenfalls werden auf Missstände fortdauernd hinweisen und unsere Solidarität mit der Zivilbevölkerung, sei es zum Beispiel in China, Syrien, im Iran, in Chile oder Venezuela, immer wieder zeigen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Todesstrafe und Folter wollen wir mit aller Kraft bekämpfen und dafür sorgen, dass Menschenrechtsverletzungen vor den Internationalen Strafgerichtshof kommen. ({3}) Nächstenliebe ist ein zentrales christliches Prinzip, und wir wollen ein Leben in Würde miteinander ermöglichen. Gerade vor Weihnachten sollten wir daran denken. Die Würde anderer zu verteidigen, bedeutet, unser aller Würde zu verteidigen. Deswegen: Lassen Sie uns auch im kommenden Jahr gemeinsam für diese Werte weltweit eintreten. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brehm. – Damit schließe ich die Aussprache.