Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste des Hohen Hauses! Lieber Minister Heil, wenn man sich Ihren überarbeiteten Haushaltsplan anschaut, erkenne ich mit Wohlwollen, dass Sie einen Teil meiner Anregungen aus meiner letzten Rede zum Einzelplan 11 aufgenommen haben;
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denn Sie haben die im Haushaltsentwurf vorgenommenen Einsparungen beim Arbeitslosengeld-II-Bezug wieder gestrichen.
Alle Analysen zeigen weitestgehend, dass deutsche Unternehmen in diesem und im kommenden Jahr einen Arbeitsplatzabbau von mindestens 125 000 Stellen konkret angekündigt haben. Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 hat die Regierung das Ende der deutschen Automobilindustrie beschlossen.
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Die Sogwirkung ist im ganzen Land zu spüren, und paradoxerweise trifft es sogar die ach so nachhaltigen Windenergieversorger.
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Ihr vermeintlicher Klimaschutz sorgt für die Verarmung Deutschlands. Wie das dann in fünf Jahren die Grünen ihren Wählern erklären wollen, die sich von Hartz IV keine hippen Ökolifestyleprodukte mehr leisten können, steht auf einem anderen Blatt.
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Zurück zum Haushaltsentwurf. Dieser zeigt immer noch gravierende Schwachstellen – und nicht nur das, Sie betreiben zum wiederholten Mal Klientelpolitik. Wie ich bereits in meiner Rede am 12. Oktober 2018 deutlich und belegbar nachgewiesen habe, ist die SPD in Besitz des größten Medienverbundes in Deutschland. Die ddvg besteht aus einer Verflechtung im Presse- und Medienbereich, die einen Ordner von 452 Seiten füllt. Was Sie da genau planen, wird dem Plenum meine Kollegin Frau Ulrike Schielke-Ziesing in ihrer nachfolgenden Rede explizit erläutern.
Der nächste Punkt sind die Bildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen, die von den Jobcentern, aber auch der Bundesagentur für Arbeit finanziert werden. Hier haben wir wieder einmal ein Konvolut aus Programmen, die für die Maßnahmeteilnehmer leider selten zielführend sind. Warum? Weil diese Maßnahmen sich nicht am tatsächlichen Bedarf orientieren. Das zehnte Bewerbungstraining für einen Langzeitarbeitslosen bringt ihn niemals zurück in den ersten Arbeitsmarkt. Es fehlen seit Jahren wichtige Aus- und Fortbildungsangebote für die Herausforderungen der Digitalisierung der Arbeitswelt.
Stattdessen investieren Sie wieder einmal in den fiktiven sozialen Arbeitsmarkt und versuchen so, 150 000 Langzeitarbeitslose kurzfristig in nichts anderes als AB-Maßnahmen zu bringen. Seit 30 Jahren sind nachweisbar all Ihre Versuche mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nachhaltig gescheitert, und das, Herr Heil, ist bewiesen. Das erinnert mich an das Zitat von Thomas Carlyle: „Der schlimmste aller Fehler ist, sich keines solchen bewusst zu sein.“ Ich kann Ihnen grundsätzlich einen guten Rat geben, Herr Minister Heil: Fördern Sie bedarfsgesteuerte Aus- und Weiterbildung für Langzeitarbeitslose, und unterstützen Sie finanziell die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die diese neu qualifizierten Fachkräfte dringend benötigen. Dann klappt es auch mit der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen.
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Zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat der Sachverständigenrat in seinem Anfang November vorgelegten Jahresgutachten verlangt, „attraktive Rahmenbedingungen zu setzen, die unternehmerisches Handeln und Innovationsfähigkeit fördern. Dazu gehören der Abbau von Markteintrittsbarrieren und von Defiziten bei der Gründungsfinanzierung sowie die Förderung lebenslangen Lernens.“
Grundsätzlich gewinnt man bei Ihnen jedoch den Eindruck, dass die Erwerbstätigen und KMU in Deutschland lediglich zur Zahlung immer neuer Steuern und Abgaben herangezogen werden. Wenn man dann denkt: „Er tut ja doch etwas für die Arbeitnehmer“, greifen Sie stattdessen nur rechtswidrig eklatant in die soziale Marktwirtschaft ein wie bei der Schaffung des Pflegelöhneverbesserungsgesetzes. Hier unterstützen Sie die SPD-nahe Gewerkschaft Verdi damit, dass Sie versuchen, knapp 1 Million neue Mitglieder für Verdi aus dem Pflegepersonal zu generieren.
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Die betroffenen fleißigen Pflegemitarbeiter werden keinen merkbaren Nettozuwachs in ihrer Geldbörse haben. Sie, Herr Minister Heil, verursachen jedoch Zusatzkosten für den Steuerzahler in Höhe von sage und schreibe 5 Milliarden Euro. Zusätzlich hemmen Sie die Investitionsbereitschaft der kleinen und mittelständischen Unternehmen im Bereich der Altenpflege. Das hat nichts mit sozialer Marktwirtschaft zu tun, kommt aber den sozialistischen Enteignungsgedanken ihres Juso-Vorsitzenden Kühnert recht nahe.
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Der nächste große Werbecoup für die SPD wäre dann ja die Respekt- oder Grundrente. Die SPD schreibt auf ihrer Homepage, 1,2 bis 1,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner haben einen Anspruch auf die Grundrente. Aber warum müssen so viele Rentner mit so wenig Rente auskommen? Hauptverantwortlich ist die schrittweise Absenkung des Rentenniveaus unter der rot-grünen Schröder-Regierung und den kläglichen Regierungsversuchen der Großen Koalition der letzten Jahre. Lag das Rentenniveau 1977 noch bei 60 Prozent, so erwarten wir 2020 47,6 Prozent, Tendenz fallend, bis 2030 auf 44,4 Prozent.
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Da können Sie sich alle hier auf die Schultern klopfen.
Herr Heil, Ihre Grundrente ist das Armutszeugnis Ihrer Vorgänger, die dafür gesorgt haben, dass knapp 22 Prozent der deutschen Arbeitnehmer, die im Niedriglohnbereich arbeiten, nie die Chance haben werden, sich einen existenzsichernden Rentenanspruch zu erarbeiten. Herr Heil, ich hoffe, dass dieser für unsere Bevölkerung katastrophale sozialistische Experimentierkasten auf Ihrem SPD-Parteitag zu Nikolaus in den besagten Sack gesteckt wird und Sie aus jeglicher Regierungsverantwortung entlassen werden. Denn Sie schaden massiv, bewusst und wiederholt dem Wirtschaftsstandort Deutschland und den damit verbundenen Arbeitsplätzen.
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zum Kollegen von der AfD, der gerade gesprochen hat: Ich fand es sehr bemerkenswert, dass Sie zum Rentenkonzept Ihrer Partei nicht viel gesagt haben.
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Es hätte nicht viel Redezeit gekostet. Sie schwanken ja zwischen den Vorstellungen eines Herrn Meuthen, der die gesetzliche Rentenversicherung zugunsten marktradikaler Elemente abschaffen will, und den kruden völkischen Ideen eines Herrn Höcke.
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Ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie sind nicht nur ein Risiko für unsere freiheitliche und offene Gesellschaft, Sie sind nicht nur eine Schande für dieses Parlament, Sie sind auch ein soziales Risiko für Deutschland. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können Sie nicht wählen.
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Es geht in den nächsten Jahren in Zeiten rasanten Wandels tatsächlich darum, dass wir das Sicherheitsversprechen unseres Sozialstaates erneuern. Daher muss man sich ernsthaft mit dem Thema Rentenpolitik beschäftigen. Ich bin mir nicht einmal sicher, Herr Witt, ob Sie überhaupt wissen, was das Rentenniveau ist, wenn Sie so reden.
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Das Kernversprechen unseres Sozialstaates ist, dass sich Menschen nach einem Leben voller Arbeit auf die Alterssicherungssysteme unseres Landes verlassen können.
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Ich sage Ihnen eines: Wir haben mit der Erneuerung dieses Sicherheitsversprechens begonnen, indem wir beispielsweise mit dem Rentenpakt in der Großen Koalition dafür gesorgt haben, das Rentenniveau in den nächsten Jahren zu sichern, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Rentnerinnen und Rentner zwischen Lohn- und Gehaltsentwicklung und der Entwicklung der Renten nicht entkoppelt werden.
Wir haben das getan, indem wir die Kindererziehungszeiten stärker berücksichtigt haben und die Mütterrente gemeinsam gestärkt haben. Und wir werden das auch mit der Grundrente tun.
Ja, das war ein hartes Ringen in der Koalition, weil wir von sehr unterschiedlichen Grundsatzideen gekommen sind. Aber ich bin dankbar, dass das gemeinsam gelungen ist, dass wir eine gute Lösung zustande bekommen haben; denn die Demokratie lebt nicht von Extremisten, sondern von Demokraten, die in der Lage sind, Interessen auszugleichen. Der Kompromiss ist keine Schande in der Demokratie.
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Die Einführung der Grundrente ist ein Meilenstein der Sozialpolitik in diesem Lande, weil wir dafür sorgen, dass wir eine Sache korrigieren, die nicht die Politik verursacht hat, sondern die sich in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt hat, dass nämlich immer mehr Menschen aufgrund von sehr niedrigen Löhnen am Ende des Tages trotz eines Lebens voller Arbeit nicht mehr haben als die Grundsicherung oder knapp darüber. Das wird zu Recht als ungerecht empfunden. Indem wir die Grundrente in Deutschland endlich einführen, sorgen wir vor allen Dingen dafür, dass die Frauen, die das betrifft, eine Chance haben, am Ende des Tages den Lohn für ein Leben voller Arbeit zu bekommen.
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Wir werden als Koalition gemeinsam auch die Selbstständigen in das System der Alterssicherung einbeziehen. Das ist keine leichte Aufgabe. Es ist aber notwendig in Zeiten dramatischer Veränderung, auch den sozialen Schutz für die Selbstständigen in diesem Land zu organisieren.
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Ich rede jetzt nicht von denjenigen, die gut verdienen und in irgendwelchen Kammern abgesichert sind, sondern ich rede von den vielen inzwischen sehr prekären Selbstständigen, die im Rahmen von Plattformökonomie arbeiten. Sie haben den sozialen Schutz genauso verdient wie andere Menschen.
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Im Mittelpunkt stehen für uns, meine Damen und Herren, die Menschen,
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie sind dafür verantwortlich!
die in den nächsten Jahren hart arbeiten, die dieses Land voranbringen, die jeden Morgen aufstehen, die, ob als Selbstständiger oder als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer, dieses Land voranbringen.
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Wir werden dafür sorgen, dass zum Beispiel die fleißigen Pflegekräfte in diesem Land, die gebraucht werden, die mehr Anerkennung und bessere Löhne verdient haben,
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mit dem Gesetz für bessere Löhne in der Pflege im nächsten Jahr tatsächlich eine bessere Lohn- und Gehaltsentwicklung bekommen.
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Wir als Koalition schützen die Menschen, die jeden Tag Pakete schleppen, weil wir alle miteinander immer mehr im Internet bestellen. Sie haben sozialen Schutz und keine Ausbeutung verdient. Das haben wir mit dem Paketboten-Schutz-Gesetz auf den Weg gebracht.
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Wir entlasten Menschen und Familien mit normalem Einkommen,
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Stichwort „Unterhaltsrückgriff bei der Pflege“. Ich bin sehr hoffnungsfroh, dass der Bundesrat heute dem Angehörigen-Entlastungsgesetz zustimmen wird. Das ist eine Entlastung der arbeitenden Mitte in Deutschland, meine Damen und Herren.
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Wir sorgen für Chancen für langzeitarbeitslose Menschen, die ganz lange draußen waren. Ich habe ja keine Vorstellung davon, Herr Witt, wo Sie leben, aber ich sage Ihnen: Das, was wir mit dem sozialen Arbeitsmarkt machen, hat mit ABM nichts zu tun, sondern es hat mit ordentlicher Arbeit, mit Beschäftigung zu tun,
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weil Arbeit für Menschen mehr ist als Broterwerb. Das bringt Menschen in Arbeit; gucken Sie sich das mal an.
Ich sage Ihnen auch, dass wir
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einen sorgfältigen Blick auf den Arbeitsmarkt haben müssen. Wir haben eine sehr differenzierte Entwicklung.
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Wir haben den höchsten Stand sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung seit der deutschen Einheit.
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Wir haben die zweitniedrigste Erwerbslosenquote in der Europäischen Union. Das ist erst mal ein Erfolg und zeigt, dass man auf dieses Land stolz sein kann. Das haben die Menschen in diesem Land erarbeitet.
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Die Politik hat sich auch daran beteiligt.
Aber wir müssen einen wachen Blick haben; denn so erfreulich diese Entwicklung ist, so sehr haben wir in einzelnen Branchen und Regionen Entwicklungen, die uns mit Sorge umtreiben müssen. Das betrifft vor allen Dingen Bereiche des verarbeitenden Gewerbes, der Industrie, auch der Automobilindustrie, die an der Weltwirtschaft hängen. Sie leiden darunter, dass die Nachfrage aus China zurückgeht, die unter handelspolitischen Risiken – Stichwort „Trump“ und „Brexit“ – zu leiden haben.
Es ist auch der Beginn des Strukturwandels, der Digitalisierung, der höheren Produktivität und des Weges zu neuen Antrieben zum Beispiel in der Automobilindustrie. Da haben wir in diesem Herbst Nachrichten gelesen, die uns mit Sorge umtreiben. Ich nenne Brose, Conti und Audi als Beispiele.
Das hat für einzelne Regionen – trotz des guten Arbeitsmarktes – Folgen. Das gilt zum Beispiel für das Saarland, das zusätzlich zur Kohle- und Stahlindustrie sehr viel Zulieferindustrie im Bereich des Verbrennungsmotors hat. Es hat auch Folgen für Baden-Württemberg als Automobilstandort, für Niedersachsen, für größere Teile Bayerns, für Mittelhessen, für Thüringen. Insofern sage ich Ihnen: Wir dürfen uns nicht auf der guten Lage am Arbeitsmarkt ausruhen. Die Arbeit wird uns in Deutschland wahrscheinlich auch in Zukunft nicht ausgehen, aber es wird in vielerlei Hinsicht andere Arbeit sein. Die Aufgabe, die wir als Koalition zu bewältigen haben, ist, jetzt dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten von heute die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen, meine Damen und Herren.
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Kurzfristig heißt das, dass wir neben dem Qualifizierungschancengesetz, das wir als Koalition auf den Weg gebracht haben, weitere Anstrengungen brauchen, um in diesen Zeiten rasanten Wandels Brücken zu bauen.
Ich habe einen Brief von meiner Amtskollegin, der Wirtschafts- und Arbeitsministerin von Baden-Württemberg, erhalten. Er wurde nicht nur von der IG Metall unterschrieben, sondern auch von der Wirtschaft in Baden-Württemberg. Sie fordern uns als Koalition auf, dafür zu sorgen, dass wir im Zweifelsfall, wenn es notwendig ist, auch veränderte Regeln zur Kurzarbeit parat haben, um Brücken am Arbeitsmarkt zu bauen. Ich sage Ihnen: Wir haben in Deutschland mit diesen Instrumenten in schwierigen Zeiten, 2008/09, gemeinsam gute Erfahrungen gemacht. Es war mein Amtsvorgänger Olaf Scholz, der damals als Arbeitsminister mit den veränderten Regeln zur Kurzarbeit 1,5 Millionen Arbeitsplätze gerettet hat.
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Ich sage Ihnen: Wenn die Lage in einzelnen Branchen und Regionen sich zuspitzen sollte, haben wir die Rücklage bei der Bundesagentur für Arbeit und auch die entsprechenden Instrumente parat, um dafür zu sorgen, Brücken am Arbeitsmarkt zu bauen. Es gibt nur eine Sache, die wir diesmal anders machen müssen als 2008/09: Wir müssen, wenn Kurzarbeit notwendig ist, das, wo immer es geht, mit Qualifizierung verbinden, weil der Strukturwandel dazukommt, meine Damen und Herren.
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Ich will also sagen: Es geht um drei Dinge. Es geht darum, das Kernversprechen des Sozialstaates zu erneuern, damit Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, sich auf das System der Alterssicherung verlassen können. Es geht darum, dass wir die arbeitende Mitte in diesem Land ermutigen und entlasten. Und es geht auch darum, dass wir die Arbeit von morgen sichern, meine Damen und Herren. Auf diesem Weg ist diese Koalition. Wir haben gemeinsam viel vor, nicht nur an Nikolaus, sondern auch darüber hinaus.
Herzlichen Dank.
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Johannes Vogel, FDP, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Minister, lieber Hubertus Heil, ein dominierendes Thema der letzten Wochen und auch das erste Thema Ihrer Rede war ja die Grundrente. Ich will ganz ehrlich sagen: Gut ist, dass überhaupt etwas passiert. Denn wir alle waren uns hier einig: Es geht hier um eine wichtige Frage. Schade ist allerdings, dass Sie sich bei dieser wichtigen Frage auf ein so schwaches Modell geeinigt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das muss man der Wahrheit halber hinzufügen.
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Die Mehrzahl derjenigen, die gearbeitet haben und dennoch von Altersarmut bedroht sind, hat weniger als 35 Versicherungsjahre. An denen geht Ihr Modell einfach mal komplett vorbei. Die werden auch künftig in der Grundsicherung bleiben; das ist das erste Problem.
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Das zweite Problem ist: Sie schaffen viele neue Ungerechtigkeiten. Und das dritte Problem bei der Grundrente ist: Die Finanzierung ist völlig ungeklärt; denn bei der Finanzierung – Finanzierung gehört zu seriöser Politik immer dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition -
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setzen Sie allen Ernstes auf eine EU-Finanztransaktionsteuer, über die seit acht Jahren in der EU keine Einigkeit besteht und von der völlig unklar ist, ob und wann sie kommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist Politik, als würden Sie dieser Tage in Geschäfte gehen, sich an die Kasse stellen und sagen: Zahlen tue ich hinterher; denn ich erwarte noch Geld von der Europäischen Union. – Da fliegen Sie zu Recht aus jedem Laden raus. Das ist keine seriöse Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
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Ich finde es richtig, dass wir jetzt nach langer Debatte über die Grundrente schauen: Wie ist denn generell die Bilanz in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik? Lieber Herr Minister, lieber Hubertus Heil, du hast viele Themen aufgezählt. Eines muss man sagen: Fleißig war die Koalition. Der „Welt“-Journalist Robin Alexander hat Hubertus Heil gar als „Galopper des Jahres“ bezeichnet. Galopp ist aber kein Selbstzweck. Es ist sogar fatal, wenn man im vollen Galopp in die falsche Richtung unterwegs ist.
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Das ist bei der Sozialpolitik dieser Koalition zu oft der Fall; das ist das Problem.
Das eine ist: An allen Gestaltungsfragen der modernen Arbeitswelt reiten Sie im großen Bogen vorbei. Wo ist denn ein modernes Arbeitszeitgesetz? Wo ist denn das ressortübergreifende Konzept für eine echte nationale Weiterbildungsstrategie? Das sind die Fragen, auf die wir Antworten bräuchten. Bei dieser Koalition leider Fehlanzeige, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Das Zweite ist die Rentenpolitik, ganz abseits der Grundrente. Da meine ich ganz bewusst nicht das Thema Grundrente; denn da sind wir uns wenigstens im Ziel der Verhinderung von Altersarmut eigentlich einig. Da macht diese Koalition in der Rentenpolitik insgesamt im vollen Galopp leider sogar das Falsche.
Wenn man sich die Bilanz Ihres Rentenpakets im letzten Jahr und die Ihrer Rentenpolitik in der letzten Legislaturperiode anschaut, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, dann muss man sagen: Heute schon ist bei den Lohnnebenkosten der Rentenversicherungsbeitrag einen Prozentpunkt höher – das trifft gerade Menschen mit kleinem Einkommen –, als hätte es Ihr Handeln nie gegeben.
Sie haben die Rentenformel zulasten der Jüngeren manipuliert.
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– Doch, das haben Sie.
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Und Sie haben allein bis 2030 Mehrkosten in Höhe von einer Viertelbillion Euro kreiert, von denen uns bis heute niemand sagen kann, wie das künftig finanziert werden soll, weder Bundesarbeitsminister Heil noch Bundeswirtschaftsminister Altmaier noch Bundesfinanzminister Scholz. Das ist keine solide Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
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Ausgerechnet in dem Jahr, in dem wir das Jahrzehnt der 20er-Jahre einleiten – wir entscheiden heute über den Bundeshaushalt 2020 –, in dem die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, knacken Sie die 100-Milliarden-Marke beim Steuerzuschuss in die Rentenkasse, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Dass das unsolide ist, weil Sie es nicht dauerhaft finanzieren können, hat sogar die Koalition erkannt.
Ich sehe auf der linken Seite des Hauses Aufregung. Ich zitiere die Bundesvorsitzende der Christlich-Demokratischen Union, Annegret Kramp-Karrenbauer:
Wir haben ein Sicherungssystem aufgebaut, das heute an die Grenzen des Machbaren und des Möglichen stößt.
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Sie hat angekündigt, man müsse sich über eine Rentenreform Gedanken machen. Ja, herzlich willkommen! Das ist völlig richtig. Aber was haben Sie denn in den letzten Jahren gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition? Sie haben selber das Problem kreiert, das Sie jetzt beklagen.
Sie haben an den Fundamenten der Rentenfinanzierung rumgesprengt, und jetzt rufen Sie nach Experten gegen die Einsturzgefahr. So geht es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
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Dass Sie da immer auf Ihre Rentenkommission verweisen, halte ich ernsthaft für unseriös. Denn mit wundersamer Brotvermehrung ist jeder Mensch überfordert, erst recht und leider auch die Rentenkommission der Bundesregierung. Sie müssten vielmehr eine zukunftsfähige Rentenpolitik machen.
Was heißt das? Erstens solide finanziert für alle Generationen, zweitens zielgenau gegen Altersarmut statt mit der Gießkanne. Drittens müssen wir die kapitalgedeckte Vorsorge endlich besser machen, wie uns das so viele andere Länder vormachen. Da fehlen bisher jegliche Vorschläge von Ihnen.
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Und viertens müssen wir die Rente modernisieren, passend zur modernen Arbeitswelt und zum Beispiel zu vielfältigeren Lebensläufen, mit einem flexiblen Renteneintritt, wie die Schweden uns das erfolgreich vormachen.
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Das wäre moderne Rentenpolitik. In dem Jahr, in dem wir am 1. Januar das neue Jahrzehnt beginnen, wäre es auch eine Politik, die endlich wieder in Jahrzehnten denkt statt in Legislaturperioden.
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Das bräuchten wir in der Sozialpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Nächster Redner ist der Kollege Axel Fischer, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Der Entwurf des Haushalts für 2020 für den Bereich Arbeit und Soziales, den wir heute beraten, spiegelt deutlich die gute wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre wider und ist ein ambitioniertes, zukunftsorientiertes Werk geworden. Auf Basis der gelungenen Vorlage der Bundesregierung vom Sommer haben wir alle gemeinsam in den Beratungen der letzten Wochen weitere Akzente in den Bereichen Sozialversicherung, Arbeitsmarkt und Bildung gesetzt.
Infolge eingetrübter wirtschaftlicher Aussichten mussten wir die im ersten Regierungsentwurf geplanten Ausgaben, die bereits um 10 Milliarden Euro über den Ausgaben von 2018 lagen, nochmals um fast 2 Milliarden Euro auf mehr als 150 Milliarden Euro ausweiten. Die Aufwüchse resultieren im Wesentlichen aus Ansatzerhöhungen bei der Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung – plus 800 Millionen Euro – sowie beim Arbeitslosengeld II mit plus 700 Millionen Euro.
Unser Arbeitsmarkt zeigt sich zwar weiterhin recht stabil, aber die wirtschaftliche Entwicklung zeigt sich schwach. Insbesondere im industriellen Bereich sind deutliche Bremsspuren offenkundig. Beispielhaft seien nur die auf breiter Front angekündigten Entlassungen bei den Automobilherstellern und deren Zulieferbetrieben genannt.
Die derzeitige konjunkturelle Schwächephase hinterlässt inzwischen auch erste Spuren auf dem Arbeitsmarkt. Erstmals seit gut sechs Jahren lag die Zahl der Arbeitslosen im Oktober nicht mehr unter dem Niveau des Vorjahresmonats. Die Arbeitslosigkeit steigt vor allem in den industriell geprägten Regionen in Süddeutschland. Erfreulich ist jedoch, dass gleichzeitig immer noch ein Beschäftigungsaufbau in anderen Bereichen stattfindet. So ging die Arbeitslosenquote im Oktober um 0,1 Prozentpunkte auf 4,8 Prozent zurück.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren im September 45,5 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig. Das sind 338 000 mehr als noch im vergangenen Jahr. Dieser Zuwachs beruht weit überwiegend auf dem Zuwachs sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Auch die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern bewegt sich zwar auf hohem Niveau, wird aber derzeit schwächer. So hat der Bestand an offenen Stellen auf 764 000 im Oktober abgenommen. Das sind 60 000 weniger als im Vorjahr.
Wenn im kommenden Jahr die Konjunktur wieder Fahrt aufnehmen sollte, dann sollte sich der Rückgang der Arbeitslosigkeit weiter fortsetzen können. Auch die Erwerbstätigkeit sollte weiter zunehmen, aber deutlich schwächer als in den Jahren zuvor. Hier macht uns die demografische Entwicklung immer mehr zu schaffen. Auch die Rente mit 63 engt das Erwerbspotenzial ein. Aus dem Zusammenwirken von negativer demografischer Entwicklung, zunehmender Erwerbsbeteiligung und einem positiven Migrationssaldo ergibt sich für das laufende Jahr noch eine Zunahme des Erwerbspotenzials von 220 000 Arbeitskräften auf 47,65 Millionen. Schon im kommenden Jahr erwartet das IAB noch einen Anstieg von um die 40 000 Personen und damit eigentlich Stagnation.
Es wird erkennbar schwieriger werden, unseren gewohnten Wohlstand in Deutschland zu erwirtschaften. Dennoch erlaubt es der gute Arbeitsmarkt, den Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung für zwei Jahre um 0,1 Prozentpunkte auf 2,4 Prozent abzusenken. Das entlastet Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Damit gerät aber auch der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit ins Defizit. Wir werden deshalb genau darauf achten müssen, dass die Reserven der Bundesagentur für Arbeit dadurch nicht übermäßig strapaziert werden,
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schließlich wollen wir damit für schlechte Zeiten vorsorgen, wenn wir diese dringend benötigen. In diesem Zusammenhang danke ich dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit für die fruchtbare und unkomplizierte Zusammenarbeit, nicht nur im vergangenen Jahr, sondern in den ganzen letzten Jahren.
Meine Damen und Herren, seit Januar 2019 gilt das Teilhabechancengesetz. Das Gesetz enthält ein Gesamtkonzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Es ist bei allen Beteiligten auf positive Resonanz gestoßen. Vielfältige Berichte, wie langzeitarbeitslosen Menschen der Weg in eine geförderte Beschäftigung ermöglicht wird, belegen dies eindrucksvoll.
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Derzeit werden knapp 40 000 Arbeitnehmer mit Lohnkostenzuschüssen, beschäftigungsbegleitender Betreuung oder durch Übernahme der Weiterbildungskosten nach den §§ 16e und 16i des SGB II gefördert. Es wird sich zeigen, wie viele der Beteiligten nach Ende der Förderung tatsächlich eine Festanstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt erreichen, und damit, inwieweit dieses Programm weiter erfolgreich eingesetzt werden kann oder nicht.
Meine Damen und Herren, erfreulich ist, dass die Zahl der Menschen in Deutschland, die in absolut ärmlichen Verhältnissen leben, auf einen Tiefstand gesunken ist. Nur insgesamt 3,1 Prozent der Bevölkerung mussten im vergangenen Jahr mit starken materiellen Einschränkungen ihrer Lebensverhältnisse umgehen,
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wie eine aktuelle Auswertung des Statistischen Bundesamtes zeigt. Das sind 0,3 Prozentpunkte weniger als im Jahr 2017. Zugleich ist es der niedrigste Stand seit Beginn dieser Statistik im Jahr 2005. Der Anteil der armen Senioren liegt mit 2,4 Prozent, auch im vergangenen Jahr, deutlich unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.
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Das zeigt die Erfolge nicht zuletzt auch der Rentenpolitik der Bundesregierung.
Die Rentner, meine Damen und Herren, liegen uns nach wie vor am Herzen.
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Das schlägt sich natürlich auch in den geplanten Ausgaben des Bundeshaushalts 2020 nieder: Die Leistungen an die Rentenversicherung überschreiten im kommenden Jahr die 100-Milliarden-Euro-Marke.
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Zählt man noch die Ausgaben für Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 7,7 Milliarden Euro hinzu, dann sollen im kommenden Jahr weit mehr als 70 Prozent unseres Sozialhaushalts an die Senioren gehen, die sich im Gegenzug über eine im gesellschaftlichen Vergleich mit anderen Altersgruppen deutlich unterdurchschnittliche Armut freuen dürfen. Meine Damen und Herren, wir wollen, dass die Senioren auch die Möglichkeit haben, das Reeperbahn Festival in Hamburg oder andere Veranstaltungen zu besuchen.
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Abschließend, meine Damen und Herren, darf ich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit danken. – Ich bedanke mich bei den Mitberichterstattern, insbesondere aber bei der Hauptberichterstatterin Ekin Deligöz. Wir hatten die Möglichkeit, in dem Berichterstattergespräch schon viele Dinge gemeinsam zu gestalten. So stellt man sich das eigentlich vor. Vielen Dank an das Haus für die gute Zusammenarbeit! Ich bin der Meinung, diesem Etat kann man guten Mutes zustimmen.
Herzlichen Dank.
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Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke, ist die nächste Rednerin.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Heil, Sie mussten die Notbremse ziehen in dieser Woche; denn es war herausgekommen, dass in Ihrem Ministerium daran gearbeitet wurde, wie man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen könne – ein unglaublicher Vorgang, meine Damen und Herren!
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Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden? Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Menschen, die Hartz IV bekommen, nicht so stark sanktioniert werden dürfen, dass im Prinzip ihre Existenz infrage steht. Drastische Sanktionen von 60 Prozent sind nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht zumutbar und deshalb verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Das ist doch eine deutliche Aussage. Sie haben versucht bzw. in Ihrem Ministerium wurde versucht, sich auszudenken, wie man das unterlaufen könne. Ich finde, hier braucht es ein deutliches Stoppzeichen. Wir als Linke sagen: Sanktionen darf es nicht geben, meine Damen und Herren.
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15 Jahre Hartz IV, das ist eine Geschichte von Ausgrenzung, Demütigung, Stigmatisierung und Verletzung. Die Menschen merken doch, dass diese Regierung mit zweierlei Maß misst. Wenn eine alleinerziehende Mutter einen Termin im Jobcenter verpasst, bekommt sie 30 Prozent weniger Hartz IV. Wenn aber zum Beispiel der Minister Scheuer eine halbe Milliarde Euro für die Maut verzockt, dann passiert nichts, aber auch gar nichts. Das ist doch grob ungerecht, meine Damen und Herren.
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Ich sprach gerade von einer alleinerziehenden Mutter. An dieser Stelle sollten wir uns noch einmal vor Augen führen, dass in diesem Land fast 2 Millionen Kinder – genauer: 1,95 Millionen Kinder – von Hartz IV leben müssen. Das ist so schon eine Schande; denn Kinderarmut darf es in unserer reichen Gesellschaft nicht geben, meine Damen und Herren.
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Aber wir wissen doch alle, wie die Lebenswirklichkeit ist: Wenn Eltern sanktioniert werden, dann wirkt sich das doch unmittelbar auf die Kinder aus. Das heißt, die sowieso schon geringen Mittel der Familien werden noch geringer, und die Kinder werden noch mehr benachteiligt. Das können wir nicht hinnehmen!
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Ich frage andersherum: Wäre es nicht an der Zeit, endlich mit außerordentlicher Härte gegen Firmen vorzugehen, die mit Schwarzarbeit ihr Geld verdienen? Welche Sanktionen, welche wirksamen Sanktionen werden denn gegen diese Firmen verhängt? Und waren die Strafen für diese Firmen wirklich jemals existenzbedrohend? Ich will Ihnen mal einen Satz vorlesen – er ist dem einen oder anderen vielleicht bekannt –:
Kein Unternehmen, das nur existieren kann, wenn es seinen Arbeitern Löhne zahlt, von denen sie nicht leben können, hat irgendein Recht, seine Geschäfte in diesem Land fortzusetzen.
Das, meine Damen und Herren, ist leider kein Zitat eines Sozialdemokraten, sondern von Franklin D. Roosevelt. Ich glaube, kein Sozialdemokrat in diesem Land sollte rechter sein als der 32. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
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Setzen Sie also endlich einen Mindestlohn von 12 Euro die Stunde durch,
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damit die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Und „durchsetzen“ heißt: auch flächendeckend kontrollieren, dass dieser Lohn nicht nur beschlossen ist, sondern auch wirklich gezahlt wird.
Meine Damen und Herren, auf der anderen Seite werden große Konzerne verhätschelt, statt sie mit Ordnungsrecht in Schranken zu weisen. Ein besonders absurdes Beispiel: Sie haben einen Nachhaltigkeitspreis für Unternehmen, die wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung und Schonung der Umwelt verbinden. Diesen Preis haben unter anderem BASF, Daimler und Volkswagen bekommen. Aber vielleicht können Sie sich daran erinnern, dass die BASF den US-Konzern Monsanto übernommen hat.
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Monsanto vergiftet mit seinen Pestiziden Menschen und Natur mit Wirkstoffen, die bereits verboten sind. Wäre es nicht Zeit, in solchen Fällen den Nachhaltigkeitspreis abzuerkennen?
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– Keine Aufregung!
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Bei Konzernen setzen Sie immer auf Selbstverpflichtungen, die in der Regel nicht erfüllt werden. Sanktionen haben sie nicht zu befürchten. Wenn es um Arbeitslose geht, dann werden ganz andere Maßstäbe angelegt.
Meine Damen und Herren, im Übrigen bin ich der Meinung, dass grobes soziales Unrecht Faschismus fördert. Antifaschismus muss erste Bürgerpflicht sein.
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Darum muss VVN-BdA gemeinnützig bleiben. Das sage ich den Finanzministern aller Ebenen.
Vielen Dank.
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Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! In der Regel wird von diesem Pult aus vonseiten der Opposition der Regierung in vielen Feldern Untätigkeit vorgeworfen. Wenn man sich anguckt, was Sie im Bereich Klimaschutz machen, dann stellt man fest: Das ist tatsächlich eine bestürzende Arbeitsverweigerung, die Sie betreiben.
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Ich hoffe, dass heute die vielen Zehntausend Schülerinnen und Schüler, die nachher draußen demonstrieren werden, Ihnen die Ohren klingeln lassen.
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So drückend die Untätigkeit im Bereich Klimaschutz ist, so sehr ertappt man sich bei dem Gedanken, dass es am besten wäre, wenn Sie im Bereich der Sozialversicherung und vor allen Dingen bei der Finanzierung der Sozialversicherung gar nichts mehr tun, um nicht noch weiteren Flurschaden anzurichten.
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Denn das Muster, das man erkennt, Hubertus Heil, ist, dass Sie die Sozialversicherung einem immer stärkeren Belastungstest unterziehen.
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Fangen wir an mit der Arbeitslosenversicherung. Sie, Herr Heil, haben hier das Stichwort „Conti“, also Autozuliefererindustrie, und den kommenden Strukturwandel genannt und haben die Rolle der Arbeitslosenversicherung betont – gut, zu Recht. Ich hätte mich natürlich gefreut, wenn Sie zusätzlich die Windenergiebranche, die Sie gerade mit Ihrer Klimapolitik ruinieren, in den Kreis derer einbezogen hätten, die auf die Arbeitslosenversicherung angewiesen sind.
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In einem Punkt sind wir uns einig: Es muss etwas passieren. Aber was tun Sie? Sie kürzen den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung und schwächen die Arbeitslosenversicherung gerade in diesem Moment.
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Zweiter Punkt: die gesetzliche Krankenversicherung. Sie wollen bei der Betriebsrente einen Freibetrag für die Krankenversicherung einführen. Das ist gut, um das Problem der sogenannten Doppelverbeitragung zu entschärfen. Aber wer soll das bezahlen? Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler! Das wird nicht aus der Steuerkasse bezahlt.
({6})
Und die Sünde der Vergangenheit – der Vollständigkeit halber sei daran erinnert –: Durch die Mütterrente werden jedes Jahr 10 Milliarden Euro an Beitragsmitteln der gesetzlichen Rentenversicherung entzogen. Da kann es auch nicht wundern, dass wir Ihnen nicht trauen, wenn Sie jetzt sagen: Die Grundrente soll nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden. – Das ist unglaubwürdig.
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Sie verweisen auf die Finanztransaktionsteuer, die es überhaupt noch nicht gibt. Und warum wird sie überhaupt zur Gegenfinanzierung benannt? Jede Steuer – und das wissen Sie ganz genau – unterliegt dem sogenannten Nonaffektationsprinzip. Um das den Zuschauerinnen und Zuschauern zu erklären: Alle Steuereinnahmen kommen in einen Topf und werden dann verteilt. Keine Steuer ist wirklich zweckgebunden für eine bestimmte Ausgabe. Das besagt dieses Prinzip. Und wenn Sie jetzt doch diese Steuer benennen, dann bin ich doch sehr argwöhnisch. Ich glaube, dass Sie das nur tun, damit Sie, wenn Sie absehbar diese Steuer nicht eingeführt bekommen, sagen können: Das tut uns schrecklich leid, wir haben es ja versucht, wir hatten die gute Absicht, aber jetzt müssen wir leider wieder in die Rentenkasse greifen. – So wird es, fürchte ich, kommen. Sonst würden Sie das gar nicht nennen.
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An dieser Stelle muss man auch sagen: Es ist absolut heuchlerisch, welches Bild die Union in den letzten Wochen abgegeben hat. Ich habe Ihnen schon bei der Einführung der Mütterrente gesagt: Sie haben jedes Recht verwirkt, von Generationengerechtigkeit zu sprechen. – Das ist doch lachhaft, wenn Tilman Kuban von der Jungen Union plötzlich ausgerechnet dort, wo es um die Ärmsten geht, die Generationengerechtigkeit für sich entdeckt.
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Wir werden noch Gelegenheit haben, über die Grundrente zu reden. Es zeichnet sich aber jetzt schon ab – das erkennt man bei näherem Hinsehen –, dass sie viele Menschen gar nicht aus der Sozialhilfe holen wird. Das Versprechen wird also wieder nicht richtig eingehalten. Ich glaube, es ist Gift in der Sozialgesetzgebung, wenn man an sich gute Ideen oder Richtungen – das haben wir ja so ähnlich in unserem Programm, nur besser, mit der Garantierente –,
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in der praktischen Umsetzung verhunzt. Damit enttäuscht man die Leute. Das ist das große Problem.
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Das dürfen wir uns gerade in der Alterssicherung nicht leisten. Wir müssen gerade die Rentenversicherung belastbar halten. Das Vertrauen in die Rentenversicherung muss gestärkt werden.
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In der Tat, wir wollen nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige in das gute Leistungsangebot der gesetzlichen Rentenversicherung einbeziehen. Wir Grüne möchten gerne noch weitergehen, hin zur Bürgerversicherung.
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Aber die Aufnahme der Selbstständigen ist ein erster Schritt. Herr Heil, Sie haben angekündigt, dass Sie die Selbstständigen dort mit absichern wollen. Ich glaube aber, dass man das nicht gegen die Selbstständigen machen kann, sondern nur mit ihnen. Darum brauchen sie Zutrauen und Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung, in die Sozialversicherung.
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Das ist der entscheidende Punkt. Das ist der Zusammenhang.
Ich hoffe, dass Sie sich da noch mal besinnen. Meine Hoffnung ist aber leider – das muss ich sagen – begrenzt. Ich kann nur empfehlen, sich unser Programm noch mal anzugucken.
Vielen Dank.
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Michael Groß, SPD, hat als nächster Redner das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kurth, Sie werden erleben, dass wir zum ersten Mal in dieser Republik ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen. Das haben Sie noch nicht hingekriegt; wir machen das.
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Wir machen das in der nächsten Zeit, verlässlich für die Bürger und verlässlich für die Industrie. Und wir werden es auch schaffen, Arbeitsplätze zu erhalten.
Punkt zwei, zur AfD: Ich bin froh, dass sich die SGB-II-Leistungen und die Leistungen zu den Kosten der Unterkunft nicht nach der AfD richten, sondern nach der Wirtschaftsprognose. Sie haben damit gar nichts zu tun, sondern das basiert auf einer Entwicklung, und die zeichnet sich ab oder nicht.
Ich bin dankbar für den Etat, den Hubertus Heil und sein Haus vorgelegt haben. Das ist ein Etat – Axel Fischer hat es schon gesagt –, der für den sozialen Zusammenhalt, für das Zusammenleben in Deutschland genau richtig ist. Das ist genau die richtige Antwort in einem demokratischen Staat, in einem sozialen Staat. Herzlichen Dank an das Haus; wir brauchten nur wenig zu korrigieren. Das ist ein guter Etat.
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Ich will kurz das aufzeichnen, was noch nicht angesprochen worden ist, Sie vielleicht auch ein bisschen mit Zahlen langweilen:
102 Milliarden Euro sind für die gesetzliche, umlagefinanzierte Rente vorgesehen. Davon profitieren 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner im Jahr in Deutschland.
Wir geben 10 Milliarden Euro für die Wiedereingliederung von Menschen in den Arbeitsmarkt aus, für die Unterstützung, für die Begleitung. Davon ist 1 Milliarde Euro für das Erfolgsmodell des sozialen Arbeitsmarktes, für dieses Regelinstrument, vorgesehen, und das ist gut so.
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Wir werden die jungen Menschen im SGB-II-Bereich, die für den Arbeitsmarkt schlecht zu erreichen sind, mit 50 Millionen Euro unterstützen und die Jugendberufsagenturen weiterhin fördern, indem wir die Servicestellen unterstützen, und zwar über Jahre hinaus.
Wir werden dafür sorgen, dass insbesondere die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage des Bundesteilhabegesetzes stattfinden kann: 100 Millionen Euro für die Modellprojekte im Rahmen von rehapro. Die Teilhabe am Leben und am Arbeitsmarkt soll durch diese Modellprojekte gefördert werden. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Stärkung der Teilhabe dieser Menschen, die unsere Unterstützung brauchen.
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Wir werden auch – das halte ich für außerordentlich wichtig, auch wenn das ein kleiner Betrag ist – die Menschen, die aus Mittel- und Osteuropa zu uns zum Arbeiten kommen, weiterhin mit dem Angebot „Faire Mobilität“ begleiten, weil es wichtig ist, dass diese Menschen erfahren, welche Ansprüche sie in Deutschland haben.
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Ich kann Ihnen sagen, dass dieses Projekt besonders wichtig ist. Ich stand in der letzten Woche am Tor eines großen Unternehmens aus der Fleischindustrie und habe gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die noch tarifgebunden tätig sind, für besseren Lohn gestreikt. Ich habe erfahren, dass dieses Beratungsangebot immer noch von besonderer Bedeutung ist, weil man so erfahren kann, ob man einen Anspruch auf Lohn hat, welchen Anspruch man hat und wie lange man arbeiten muss. Das ist ein wichtiges Angebot, das es auszubauen gilt.
An dieser Stelle kann ich die Bundesanstalt für Arbeit nur auffordern und darin unterstützen, die Leiharbeit noch stärker zu kontrollieren. Ich bin froh, dass Olaf Scholz noch mehr Zollbeamte zur Verfügung stellt, um zu überprüfen, ob die Mindestlöhne eingehalten werden.
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Ich will noch kurz auf drei Dinge eingehen:
Für uns ist die umlagefinanzierte Rente das Fundament der Altersvorsorge – mit einem festen Mauerwerk. Ein winter- und wetterfestes Dach wird die Betriebsrente sein, und demnächst werden auch Bundestagsabgeordnete in die Rente einzubezahlen haben; dafür müssen wir sorgen.
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– Ja, das machen wir. – Sie werden erleben, dass wir von der Rentenkommission sehr gute Ergebnisse bekommen werden, und Sie werden erleben, dass wir entsprechende Vorschläge gemäß unserem Sozialstaatspapier machen werden.
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– Ja, Sie werden das noch erleben.
Weil hier vorhin das Bild benutzt worden ist, Hubertus Heil galoppiere in die falsche Richtung, will ich insbesondere betonen: Nein, Hubertus, du nimmst die richtigen Oxer. – Du hast jetzt ein Erfolgsmodell auf den Weg gebracht, nämlich den sozialen Arbeitsmarkt, und manchmal ist man Opfer seines eigenen Erfolges. Ich kann dir nur sagen: Der soziale Arbeitsmarkt ist ein richtiges Modell für Menschen – zum Beispiel bei uns im Ruhrgebiet –, die lange arbeitslos waren. Diese Menschen sind wieder stolz auf sich, und die Kinder sind stolz auf ihre Eltern. Ich muss dir aber leider sagen: Wir brauchen hier mehr Geld und mehr Personal. Darüber müssen wir noch reden.
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– Ich werde dafür sorgen, ja.
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Ein letzter Punkt. Die Kritik, dass Hubertus Heil nicht die Anforderungen des Arbeitsmarktes sieht, ist völlig aus der Luft gegriffen. Es gibt in diesem Haus eine Denkfabrik, es gibt eine KI-Strategie – eine Künstliche-Intelligenz-Strategie –, es gibt die Auseinandersetzung mit der Zukunft des Arbeitsmarktes. Die Frage der Sozialstandards und die Frage, wie sich Menschen weiterbilden müssen, sind zu klären. Das ist der richtige Weg. – Herzlichen Dank, Hubertus.
Glück auf!
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Ulrike Schielke-Ziesing, AfD, ist die nächste Rednerin.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Bürger! Heute besprechen wir hier zum zweiten Mal für den Bundeshaushalt 2020 den Einzelplan für Arbeit und Soziales. Die Ausgaben für diesen Einzelplan waren im Entwurf mit 148,6 Milliarden Euro angesetzt. Nach zwei Tagen Berichterstattergesprächen mit dem Ministerium und der Einzelplanberatung im Haushaltsauschuss wurde anscheinend noch mehr Geld zum Verteilen gefunden. Quasi in letzter Minute vor der Bereinigungssitzung stellte die Koalition weitere Anträge zum Aufwuchs dieses Einzelplanes,
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sodass wir hier und heute über einen Einzelplan mit einem Umfang von über 150 Milliarden Euro abstimmen werden.
So sollen nun die Seemannsmissionen in inländischen Häfen statt 1 Million Euro plötzlich 1,5 Millionen Euro pro Jahr erhalten.
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Blöd, dass in der entsprechenden Rechtsnorm – in § 119 Seearbeitsgesetz – der Zuschuss auf 1 Million Euro im Jahr begrenzt ist! Vielleicht wäre es eine Idee, erst das Gesetz zu ändern und dann die Gelder auszuzahlen. Nicht, dass das Ministerium hier gegen eigene Gesetze verstößt!
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Die Koalition möchte private Zeitungsverlage mit 40 Millionen Euro subventionieren. Ursprünglich sollten es 100 Millionen Euro sein; die Zeitungsverlage wollten über 600 Millionen Euro. Geplant war das laut Aussage des Ministers in der Bereinigungssitzung schon länger. Warum war das kein Thema in den Berichterstattergesprächen? Halten Sie es nicht für nötig, eine derart brisante Subvention der Medienhäuser mit den Berichterstattern zu besprechen?
Während der Beratungen haben Sie, Herr Heil, versucht, Kritiker dieser Subvention lächerlich zu machen. Mit einer solchen Missachtung werden Sie die berechtigte Skepsis nicht entkräften – noch dazu, wenn man weiß, an wie vielen privaten Zeitungsverlagen die SPD beteiligt ist.
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Wir werden sehen, wie der Bundesrechnungshof die unseres Erachtens unzulässige Quersubventionierung privater Zeitungsverlage sieht.
Ein weiteres Dauerthema im Einzelplan 11: die Höhe der versicherungsfremden Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Seit über zwei Jahren versuche ich, hier Transparenz zu schaffen. Mit Erschrecken musste ich dabei feststellen, dass die Bundesregierung nicht einmal weiß, wie sie versicherungsfremde Leistungen überhaupt definiert, und daher auch keine Statistik über deren Entwicklung führt.
Mit dem RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz, das am Beginn dieses Jahres in Kraft getreten ist, sind neue versicherungsfremde Leistungen in Höhe von knapp 5 Milliarden Euro hinzugekommen. Wir haben in den Haushaltsberatungen eine Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung um 3,8 Milliarden Euro gefordert, damit wenigstens der zusätzliche halbe Entgeltpunkt bei der Mütterrente II aus diesem Paket nicht zulasten der Versicherten geht.
Dies wurde abgelehnt. Minister Heil ist der Meinung, die Rentenversicherung bekomme genug Zuschüsse.
Immer wieder haben wir in den Haushaltsberatungen auch die immense Verschwendung bei den Flüchtlingsintegrationskosten und der berufsbezogenen Deutschsprachförderung bemängelt. Wenigstens hier hatte die Bundesregierung ein Einsehen und hat Mittel auf andere arbeitsmarktpolitische Schwerpunkte verlagert. Aber das reicht nicht.
Wir haben uns in einer Berichtsanforderung vom Finanzministerium für den Einzelplan 11 den Anteil der flüchtlingsbezogenen Kosten je Kapitel geben lassen. Die Ablehnungsquote für Asylbewerber der letzten drei Jahre betrug in Deutschland im Schnitt über 60 Prozent. Würde in den einzelnen Bundesländern also korrekt abgeschoben, ließen sich alleine im Einzelplan 11 die flüchtlingsbezogenen Kosten um 2,1 Milliarden Euro senken.
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Das haben wir beantragt; auch das wurde abgelehnt.
Rund ein Viertel der anerkannten Flüchtlinge gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Das klingt einigermaßen erfreulich.
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Auf meine Nachfrage, in welchem Lohnsegment sie denn tätig sind, hieß es aus dem BMAS, dass die meisten von ihnen eine Hilfstätigkeit im Niedriglohnsektor ausüben. Seit 2015 hören wir, dass die Flüchtlinge unsere Wirtschaft mit Fachkräften und unsere Rente mit Beiträgen retten werden. Diese Zahlen belegen aber, dass dies eine Wunschvorstellung ist, die sich so nicht bewahrheiten wird.
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Stattdessen werden absehbar auf Generationen Ausgaben für Sozialleistungen gebunden, die schon heute an anderer Stelle fehlen. Was liegt da näher, als sich bei den Sozialkassen und damit bei den Beitragszahlern zu bedienen? Das hat ja bisher auch immer funktioniert.
Ich erinnere an die sukzessiv steigende Besteuerung der Renten ab 2005, an die völlig willkürliche, sogar rückwirkend eingeführte Doppelverbeitragung bei Betriebsrenten ein Jahr zuvor. Ich erinnere an die Aushöhlung der gesetzlichen Rente durch die jahrelange stetige Absenkung des Rentenniveaus. Und ich erinnere an die ständige Diskussion darüber, dass das Renteneintrittsalter mit inzwischen 67 immer noch zu niedrig sein soll.
Die Menschen erleben das zu Recht als willkürliches Herumdoktern nach Kassenlage. Das betrifft nicht nur die Rentner, sondern alle, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Das, was ihnen am Ende des Monats zum Leben bleibt, hängt nicht davon ab, was sie geleistet haben oder in welcher Notlage sie sich befinden, sondern allein davon, wann sie geboren sind und was der Haushalt noch hergibt. Gerade weil wir in Deutschland vor großen wirtschaftlichen wie demografischen Herausforderungen stehen, ist eine sorgfältige Haushaltsführung der Bundesregierung Pflicht.
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Das Verschleudern von Steuermitteln für ideologische wie völlig unnütze Wolkenkuckucksheime gehört nicht dazu.
Wir von der AfD-Fraktion haben Ihnen dagegen in den Haushaltsberatungen Einsparpotenziale in Höhe von über 2,4 Milliarden Euro aufgezeigt. Wir und die Menschen draußen erwarten, dass Sie diese Möglichkeit auch wahrnehmen.
Vielen Dank.
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Stephan Stracke, CDU/CSU, hat als Nächster das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 2020 ist ein starkes Signal in schwieriger werdenden Zeiten. Wir stärken die Wachstumskräfte in Deutschland mit Investitionen von fast 43 Milliarden Euro. Wir treiben den Klimaschutz mit umfassenden Förderprogrammen in Milliardenhöhe voran. Wir geben mit über 18 Milliarden Euro mehr Geld für Bildung und Forschung aus und sichern damit den Wohlstand der Zukunft. Wir heben den Haushalt für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales um weitere fast 1,7 Milliarden Euro auf über 150 Milliarden Euro an und stärken damit den sozialen Zusammenhalt in unserem Land. Dieser Haushalt bringt Deutschland gut durch das kommende Jahr und macht unser Land fitter für die Zukunft.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Halbzeitbilanz der Großen Koalition ist positiv. Wir haben gemeinsam viel erreicht. Viele zentrale sozialpolitische Vorhaben haben wir in den letzten Monaten beschlossen. Wir verbessern beispielsweise die Situation in der Pflege. Wir wollen den Arbeitsalltag von Pflegekräften spürbar verbessern. Dabei geht es neben mehr Personal und einer Stärkung der Ausbildung vor allem um eine bessere Entlohnung der Pflegekräfte. Sie leisten viel. Sie sind sehr gut qualifiziert und verdienen deshalb unsere Anerkennung und eine deutschlandweit gute Bezahlung. Dafür haben wir jetzt auch den notwendigen gesetzlichen Rahmen geschaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir entlasten Angehörige von pflegebedürftigen Menschen. Sie leisten einen großen Dienst für unsere Gesellschaft, und deswegen ist es auch ein Gebot der Gerechtigkeit, sie zu unterstützen. Durch die Beschränkung des Unterhaltsrückgriffs in der Sozialhilfe entlasten wir unter anderem unterhaltspflichtige Kinder von pflegebedürftigen Eltern. Auf ihr Einkommen darf künftig erst ab einem Jahreseinkommen von mehr als 100 000 Euro zurückgegriffen werden. Damit greifen wir auch eine langjährige Forderung der CSU auf. Jetzt ist es am Bundesrat; er muss seiner Verantwortung in diesem Bereich gerecht werden.
Wir verbessern den Opferschutz. Kein Opfer einer Gewalttat soll sich mit seinem Schicksal mehr alleingelassen fühlen. Mit der Reform des Sozialen Entschädigungsrechtes werden die Betroffenen besser, schneller und zielgerichteter unterstützt – eine große Reform, bei der niemand schlechter dasteht als heute.
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Wir haben auch einen gerechten Kompromiss in der Grundrente erzielt. Die Grundrente kommt. Es soll nämlich einen Unterschied machen, ob jemand 35 Jahre gearbeitet hat oder ob er nicht gearbeitet hat. Leistung soll sich lohnen, und deswegen haben wir eine gerechte Grundrente vereinbart.
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Sie soll zielgenau sein, steuerfinanziert. Die Grundrente erhalten diejenigen Menschen, die auf eine finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Sie wirkt auch damit gezielt gegen Altersarmut. Die Grundrente mit der Gießkanne, also milliardenschwere Mitnahmeeffekte für Menschen, die über weitere Einkünfte verfügen und beispielsweise über den Ehepartner abgesichert sind, wird es nicht geben. Zu diesem Zweck haben wir eine umfassende Einkommensprüfung durchgesetzt.
Allerdings gilt auch: Nach dem Kompromiss ist vor der Umsetzung. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns. Ich denke beispielsweise an den automatisierten Datenabgleich zwischen der Rentenversicherung und den Finanzbehörden. Das ist eine Herkulesaufgabe. Der zuständige Bundesminister Heil und auch Bundesfinanzminister Scholz sind nun gefordert, an dieser Stelle zügig Klarheit zu schaffen. Die Grundrente soll am 1. Januar 2021 in Kraft treten. Die Menschen erwarten, dass sie dann auch funktioniert. Jetzt sind die beiden Bundesminister gefordert und in der Pflicht.
Wir haben als Große Koalition noch viel vor. Deutschland erlebt einen der längsten Aufschwünge der Nachkriegszeit. Seit 2009 ist das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland Jahr für Jahr deutlich gestiegen. Dieser Aufschwung kommt allerdings allmählich ins Stocken, nicht flächendeckend, aber in gewissen Branchen. Die weltweite Konjunktur hat sich abgekühlt. Auch Deutschland ist davon betroffen. Allerdings besteht kein Grund zur Panik. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist weiter robust.
Gleichwohl wird derzeit darüber diskutiert, ob wir schon jetzt Vorkehrungen treffen sollten, um schnell und unbürokratisch auf einen konjunkturellen Einbruch vorbereitet zu sein. Die Instrumente, die uns erfolgreich durch die größte Krise der Bundesrepublik in den Jahren 2009 und 2010 geführt haben, sind auch heute die geeigneten Instrumente. Wir waren damals in der Lage, diese Krisenreaktionsregelung kurzfristig einzuführen, und wir sind es auch heute. Aktionismus ist nicht angezeigt.
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Daneben steht unser Land vor immensen Herausforderungen durch einen doppelten Strukturwandel; „Energiewende“, „Digitalisierung“ sind da die Stichworte. Die Anforderungen an die Qualifikationen ändern sich. Weiterbildung und Qualifizierung der Beschäftigten sind erforderlich, wenn Betriebe vor erheblichen Anpassungsprozessen stehen, die sie nicht alleine schultern können. Aus diesem Grund haben wir Ende letzten Jahres das Qualifizierungschancengesetz verabschiedet und im Sommer 2019 die Nationale Weiterbildungsstrategie vorgelegt. Wir wollen Sicherheit im Wandel ermöglichen und eine neue Weiterbildungskultur schaffen.
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Arbeitsmarkt- und bildungspolitische Instrumente sollen besser miteinander verzahnt werden, und Weiterbildungsprogramme von Bund und Ländern sollen gebündelt werden. Genau daran wird derzeit gearbeitet. Dabei sind wir alle gefordert: die Sozialpartner, die Bundesagentur für Arbeit und die Länder. So hat die Bundesagentur für Arbeit in ihrem Haushalt 2020 einen Schwerpunkt auf Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierung gelegt. Der Freistaat Bayern hat letzten Montag mit seinem „Zukunftsforum Automobil“ finanzielle Mittel im dreistelligen Millionenbereich bereitgestellt, auch für Weiterbildung. Das zeigt: Der Prozess läuft. Die Arbeit hat längst begonnen. Auch an dieser Stelle warne ich vor übereilten gesetzgeberischen Maßnahmen. Neue Gesetze mit wohlklingenden Namen müssen durchdacht sein; das Ganze geht nur mit guten Instrumenten. Das brauchen wir.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Große Koalition leistet gute Arbeit für Deutschland. Wir wollen unsere erfolgreiche Politik fortsetzen. CDU und CSU sind dazu bereit, ich hoffe, auch die Sozialdemokraten. Unser Land braucht Optimismus, Lust, Neues anzugehen, und den Willen und die Bereitschaft, die vor uns liegenden Herausforderungen anzunehmen. Diesen Willen und diese Bereitschaft haben wir.
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Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute früh geht es zu guter Letzt noch einmal um den mit Abstand größten Einzelplan in diesem Bundeshaushalt, den des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Aber blickt man genauer auf diesen Haushalt, muss man feststellen: Mit Arbeit hat dieser Haushalt nicht mehr viel zu tun. Die SPD ist seit längerer Zeit dabei, diesen Haushalt in einen Rentenhaushalt umzubauen, und dabei ist Soziales doch viel mehr als nur die Rente.
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2012 lag der Anteil des Kapitels Rente im Einzelplan 11 an den Gesamtausgaben noch bei rund zwei Dritteln. Bis 2023 soll der Anteil dann schon über 75 Prozent liegen. Wenn wir uns das in Relation zum gesamten Bundeshaushalt anschauen, wird 2023 jeder dritte Euro, den der Bund ausgibt, in die Rente fließen.
Im Finanzplan ist der Kompromiss zur Grundrente – wir haben es heute schon gehört – noch nicht einmal miteinberechnet. Da werden wohl dann noch einmal so um die 2,3 Milliarden Euro Mehrbelastung pro Jahr auf die Bürgerinnen und Bürger zukommen. Die Kosten für die Rente galoppieren uns davon,
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und es nützt nichts, Herr Minister, das Tempo zu erhöhen, wenn man in der falschen Richtung unterwegs ist.
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Wenn Sie auf die Rentenexperten dieses Landes hören würden, wüssten Sie, dass die großen Probleme aufgrund der Demografie erst ab 2025, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, den Bundeshaushalt treffen werden. Aber anstatt den Bundeshaushalt und unser Rentensystem auf diese absehbare riesige Belastung vorzubereiten, beschließt die Koalition immer weiter Ausgaben mit der Gießkanne, die diesen Haushalt schon sehr bald untragbar machen werden. Wir sehen also an diesem Einzelplan: Es ist ein Haushalt der Vergangenheit.
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Mehrausgaben fließen praktisch nur in die Rente, und das passiert in keinster Weise gezielt dorthin, wo das Geld wirklich benötigt wird. Diese Gießkannenpolitik verschärft die Probleme unseres Rentensystems, anstatt sie zu lösen.
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Sie, Herr Minister, riskieren so das Vertrauen der Menschen in die Sicherheit der Rente. Wo ist die Zukunft? Wo ist Ihre sozialpolitische Vision? Unseren Antrag, Kindern aus armutsgefährdeten Familien mehr soziale Teilhabe zu ermöglichen, haben Sie abgelehnt. Das ist eine vertane Chance für mehr Zukunft in Ihrem Haushalt, Herr Minister.
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Die zahlreichen Probleme, die auftreten, weil unsere Sozialleistungen in keinster Weise aufeinander abgestimmt sind, versuchen Sie nicht einmal im Ansatz zu lösen.
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Dabei haben die Wirtschaftsweisen gerade in ihrem neuen Gutachten auf die fast schon absurde Grenzbelastung, also auf das, was von 1 Euro zusätzlichem Einkommen am Ende den Menschen bleibt, in unserem Sozialsystem hingewiesen. Hätten Sie unserem Antrag zum liberalen Bürgergeld zugestimmt: Das Problem wäre durch Zusammenfassung und Bürokratieabbau gelöst worden.
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Dazu wären aufgrund von höheren Hinzuverdienstgrenzen mehr Menschen in Arbeit gekommen.
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Aber auch hier haben Sie die Chance vertan. Nicht einmal die zahlreichen und wirklich hilfreichen Hinweise des Bundesrechnungshofs haben Sie aufgegriffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um es noch einmal deutlich zu machen: Die Große Koalition gibt 79 Prozent aller Mehrausgaben im Vergleich zu 2019 für die Rente aus. Insgesamt gehen 87,5 Prozent an den Haushalt für Arbeit und Soziales.
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Es bleiben also noch 12,5 Prozent für alles andere: für Bildung, Infrastruktur, Digitalisierung, Landwirtschaft, Klimaschutz und vieles mehr.
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Herr Minister, ein großes Schiff wie der Bundeshaushalt bekommt Schlagseite, wenn die Ladung ungleich verteilt ist. Deswegen fordern wir Freie Demokraten Sie, Herr Minister, auf:
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Tragen Sie als Verantwortlicher für den mit Abstand schwersten Container auf diesem Schiff Ihren Teil dazu bei, dass das Schiff auch in Zukunft und bei allen Wettern manövrierfähig bleibt.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann, Die Linke.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Müller ist 59 Jahre alt. Sie arbeitet als Reinigungskraft vier Tage die Woche zum Mindestlohn, für 1 274 Euro brutto im Monat.
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Besser als gar kein Job, denkt sie. Früher war sie Näherin bei der Plauener Gardine. Dann kam die Wende, dann kam die Insolvenz:
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kein Arbeitsplatz, jahrelang erwerbslos, mehrere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, 1-Euro-Jobs – das ganze Programm.
Frau Müller macht sich Sorgen um ihre Rente. Für die Grundrente müsste sie 35 Arbeitsjahre nachweisen.
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Auch wenn die Kinderbetreuung mitzählt: Wie soll Frau Müller auf 35 Arbeitsjahre kommen?
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Ja, die Grundrente ist eine Verbesserung für viele Menschen, aber sie hat viele Geburtsfehler. Bei dem ganzen Gezerre um die Grundrente ist doch eines aus dem Blick geraten: Die Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung ist nicht nur, vor Altersarmut zu schützen, sondern auch, im Alter den Lebensstandard zu sichern.
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Und genau das leistet sie nicht mehr.
Durch die Rentenreform vor 15 Jahren haben Sie das Rentenniveau massiv gesenkt; und es wird weiter sinken. Durch diese Reform haben Millionen Rentnerinnen und Rentner deutlich weniger Geld in der Tasche. Aber je höher das Rentenniveau, desto besser die Absicherung im Alter. So einfach ist das, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Die Linke fordert: „Rauf mit dem Rentenniveau auf 53 Prozent!“, und eine solidarische Mindestrente von 1 050 Euro, wenn es trotzdem nicht reicht. So sieht eine sichere Rente aus, meine Damen und Herren.
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Ein weiterer grundsätzlicher Fehler Ihrer Politik betrifft die Löhne. In den letzten 20 Jahren haben Sie einen riesigen Niedriglohnsektor in Deutschland geschaffen. Jeder Fünfte arbeitet zum Niedriglohn. Das muss man sich mal vorstellen: jeder Fünfte!
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10 Milliarden Euro geben Sie jedes Jahr aus, um niedrige Löhne mit Hartz IV aufzustocken. Und niedrige Löhne ziehen immer niedrige Renten nach sich. Wenn Sie nichts gegen die niedrigen Löhne tun, dann müssen Sie auch noch dauerhaft Milliarden für die Grundrente bezahlen. Das ist ein gigantisches Steuergeschenk an die Arbeitgeber. Was wir brauchen, sind endlich höhere Löhne in Deutschland.
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Herr Minister Heil, statt Billigjobs mit Steuergeldern zu subventionieren: Warum erhöhen Sie nicht den Mindestlohn? Das kostet Sie nicht einen einzigen Cent Ihres Haushalts. Die Linke fordert einen Mindestlohn, der für ein anständiges Auskommen reicht.
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– Darüber können wir reden. – Genauso wichtig, meine Damen und Herren, sind gute Tariflöhne. Sorgen Sie dafür, dass Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können! Ersetzen Sie Minijobs, Leiharbeit, Werkverträge durch ordentlich bezahlte Arbeitsverhältnisse! Das ist notwendig. Das brauchen die Menschen in diesem Land.
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Und der dritte Punkt: Ihre Wirtschaftspolitik ist verfehlt. Die Konjunktur schwächelt, die Arbeitslosigkeit steigt, Entlassungen nehmen zu. Dann muss man aber doch gegensteuern! Dazu gehört eine starke Arbeitslosenversicherung. Und was tut die Bundesregierung? Sie senkt den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung. Sie dreht der Bundesagentur für Arbeit den Geldhahn zu.
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Wir fordern einen stabilen Beitrag für eine starke Arbeitslosenversicherung,
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ein Recht auf Weiterbildung, ein höheres Arbeitslosengeld, das man deutlich länger beziehen kann.
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Das ist eine gute Arbeitsmarktpolitik.
Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, nehmen Sie die Sorgen der Menschen endlich ernst! Schaffen Sie einen Sozialstaat, in dem niemand Angst um seine Existenz haben muss. Das heißt: gute Arbeit, eine sichere Rente und eine soziale Absicherung, auf die man sich verlassen kann.
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Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort.
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Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Ihnen, ich habe Ihnen sehr gut zugehört. Ich teile Ihre Analyse in der Form nicht. Aber selbst wenn man sie teilen würde, müssten Sie doch mal einen Schritt weiterdenken. Das bedeutet in der Folge, dass Sie hier für Ihre Fraktion eigentlich als Nächstes Rentenkürzungen beantragen müssten.
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Wollen Sie wirklich angesichts der Tatsache, dass Altersarmut in diesem Land ein ernstzunehmendes Thema ist, damit marschieren? Ich finde, das sollten Sie nicht tun.
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Ich komme zu der zweiten Rede. Herr Minister, ich habe auch Ihnen gut zugehört. Ich habe mir gedacht: Sie haben hier einen guten analytischen Beitrag geleistet. Sie haben gesagt: Die Arbeitswelt wandelt sich. Wir brauchen neue Strukturen, wir müssen Antworten finden auf diesen Wandel, auch auf die Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt und auf die Entlassungen, die uns bevorstehen. – Aber was ich nicht verstehe, ist, wie Sie sich einerseits zu Recht starkmachen wollen für Qualifizierung und Bildung und andererseits bei der Beitragssenkung von 0,1 Prozentpunkte zusätzlich zur letzten Absenkung um 0,5 Prozentpunkte mitgehen können. Das passt doch gar nicht zusammen.
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Ich will Ihnen auch eine Zahl nennen: Das ist eine Kürzung bei der BA um 1,2 Milliarden Euro. 1,2 Milliarden Euro, die im Bereich der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt fehlen werden. Das wird mit Ihrem Programm nicht in Übereinstimmung zu bringen sein.
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Sie sagen ja: Das ist nicht zusätzlich, sondern wir nehmen die Mittel aus den Rücklagen. – Aber das verstehe ich erst recht nicht; denn diese Rücklagen sind ja dafür da, um in Krisenzeiten einspringen zu können, zum Beispiel bei Qualifizierung, zum Beispiel zur Finanzierung von Kurzarbeitergeld. Wenn Sie diese Rücklagen jetzt abbauen, stellt sich die Frage: Was machen Sie, wenn tatsächlich eine Krise in diesem Land ist? Dann sind die Rücklagen nämlich leergeräumt. Das kann doch nicht ernsthaft und wirklich Ihr Ziel sein.
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Ein zweites großes Thema, das uns auch diese Woche beschäftigt hat, ist der Bereich der Sanktionen. Wir warten alle ganz gespannt darauf, was für ein Gesetz Sie uns hier vorlegen können. Im Moment herrscht eine ziemlich große Verunsicherung. Ich finde, die Debatte, auch die Aufgeregtheit drumherum, zeigt uns, wie wichtig es ist, dass Sie da Klarheit schaffen. Ich wünschte mir, Sie wären da etwas mutiger. Sie könnten gerade in so einer Umbruchzeit sagen: Wir schaffen die Sanktionen ganz ab,
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damit sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BA auf die Förderung der Menschen konzentrieren können. – Das wäre doch mal eine innovative Idee von Ihrer Seite.
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Auch das Thema Kinderarmut hat uns diese Woche sehr beschäftigt. Wir von den Grünen haben hier bereits einen Vorschlag zur Kindergrundsicherung vorgelegt. Sie, also die SPD als Partei, ziehen jetzt nach und legen auch ein Konzept vor. Das ist ein guter Streit, das ist ein konstruktiver Streit; denn Kinderarmut ist ein ernstes Thema in diesem Land. Sie müssen aber nicht nur A, sondern auch B sagen. Dazu gehört auch die Überarbeitung der Regelsätze.
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Die müssen nämlich transparent und fair sein. Und das sind sie nicht bei dem, was Sie vorhaben. Sie versuchen, Kinderarmut wegzumanagen. Sowohl das Bildungs- und Teilhabepaket als auch der Kinderzuschlag erreichen bei Weitem nicht die Zahl der Kinder, die wir eigentlich erreichen müssten. Deshalb auch hier: Handeln Sie! Tun Sie etwas, und kündigen Sie nicht nur an!
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Mein letzter Punkt betrifft den sozialen Arbeitsmarkt. Wir von den Grünen unterstützen ihn in all seinen Vorteilen. Wir haben das jetzt ein Jahr lang mitgemacht. Der Start ist geglückt. Die Zahlen sind noch niedrig, die Mittel werden noch nicht in dem Maße abgerufen; aber es ist ein Anfang gemacht. Wir müssen im Verfahren noch mal darüber nachdenken, wie wir die Menschen besser erreichen können, wie wir mutiger sein können, wie wir das ehrgeiziger weiterentwickeln können. Da sind wir Partner.
Ich habe aber eine Befürchtung: Sie müssen künftig aus Ihrem Etat noch eine halbe Milliarde Euro zur Gegenfinanzierung der Grundrente erbringen. Hier böte sich an, die Summe aus der Jobcenterfinanzierung zu nehmen. Machen Sie das nicht! Das wäre ein Riesenfehler. Gerade dort das Geld zu entziehen, wo wir uns um die Menschen kümmern, wäre nicht nur ein Fehler für die Zukunft für dieses Land, sondern das wäre auch ungerecht, und gegen Ungerechtigkeit haben wir etwas als Grüne.
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Deshalb: Machen Sie diesen Fehler nicht! Die Versuchung ist da, aber geben Sie ihr nicht nach.
Herr Minister, nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt. Wir werden auch nächstes Jahr wieder zusammenkommen. Ich danke all meinen Berichterstatterinnen und Berichterstattern für die gute Arbeit, die man auch im Verfahren gesehen hat. Genau so können wir weitermachen.
Danke schön dafür.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja verständlich, dass angesichts der Veränderungen, die es in Deutschland auf dem Arbeitsmarkt gibt, einiger struktureller Krisen, die wir erleben, mit einer gewissen Vorsicht, ja Zurückhaltung auf das kommende Jahr geschaut wird.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, die wichtigste Nachricht des heutigen Morgens ist, dass entgegen den Erwartungen von vielen die Arbeitslosigkeit in diesem Monat erneut gesunken ist, und zwar auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung, und dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse – das ist noch viel wichtiger – erneut angestiegen ist.
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Deshalb sollten wir nicht von einer Krise reden. Ludwig Erhard hat zu Recht festgestellt: „Psychologie ist die Hälfte der Wirtschaftspolitik.“ Ich finde, es gibt keinen Anlass, in ein Krisengeheul zu verfallen und ein Krisengeschrei auszustoßen.
Allerdings ist Vorsicht geboten. Genau das beherzigen wir mit diesem Bundeshaushalt: Wir sorgen für eine stabile und gute wirtschaftliche Entwicklung und eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt auch für 2020.
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Dazu gehört auch, dass wir dann, wenn wir wirklich eingreifen müssten, zum Beispiel mit dem bewährten Instrument des Kurzarbeitergeldes und durch eine bessere und auch intensivere Verknüpfung von Kurzarbeitergeld und Weiterbildungsmöglichkeiten, gerüstet sind.
Wir haben bei der Bundesagentur für Arbeit am Ende dieses Jahres voraussichtlich eine Rücklage von 25,6 Milliarden Euro. Um es Frau Deligöz zu erklären, warum man trotzdem den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,1 Prozentpunkte absenken kann: Das IAB sagt uns, zur Krisenvorsorge bräuchten wir 23,8 Milliarden Euro. Da ist also noch Spielraum. Zusammengefasst, auch als Botschaft an alle besorgten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Unternehmer in unserem Land: Wir sind besser auf eine eventuelle Krise vorbereitet als je zuvor. Auch das ist eine gute Botschaft des heutigen Tages.
({2})
Zu Recht diskutieren wir in diesem Rahmen auch über die Altersvorsorge. Dazu will ich erst einmal Folgendes sagen: Dass es Bundeszuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung gibt, die übrigens an die Entwicklung des Beitragssatzes gekoppelt sind, ist eine gute Sache. Nur so können wir alle Einkommensarten auch an der Finanzierung der gesetzlichen Rente beteiligen. Deswegen gibt es für uns in dieser Frage keine Abstriche.
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Zum anderen muss man denjenigen, die sich Sorgen darüber machen, dass in den kommenden Jahrzehnten die geburtenstarken Jahrgänge zusehends ins Rentenalter kommen – das ist richtig –, die natürlich eine gute Rente haben wollen und davon lange leben wollen, sagen: Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden gegen Ende dieses Jahres voraussichtlich eine Rücklage von knapp 40 Milliarden Euro in der gesetzlichen Rentenversicherung haben. Das ist die höchste Rücklage, die es je gab.
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Das zeigt, wir sind auch in der gesetzlichen Rente finanziell gut gerüstet für die Herausforderungen, die vor uns liegen.
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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zu Recht haben wir die Grundrente zu einem Anliegen dieser Koalition gemacht, nach dem Motto: Wer 35 Jahre fleißig in die Rentenkasse eingezahlt hat, der sollte sicher sein, dass er am Schluss besser dasteht als derjenige, der in das Rentensystem überhaupt nicht eingezahlt hat. Dieses Prinzip wollen wir verwirklichen. Nun kann man zu dem Grundrentenkompromiss vieles vortragen. Auch da zitiere ich Ludwig Erhard:
Ein Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass alle meinen, sie hätten das größte Stück bekommen.
Jetzt spreche ich mal über das aus meiner Sicht größte Stück.
Das größte Stück ist, wenn es uns gelingt, dass in der Zukunft möglichst viele Menschen, die heute eine niedrige Rente beziehen, nicht auf Grundsicherung und auch nicht auf eine Grundrente angewiesen sind, sondern von ihrer Rente leben können.
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Das hängt nicht, wie Herr Birkwald meint, am Rentenniveau; denn das Rentenniveau nutzt den Niedrigverdienern wenig.
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Der entscheidende Punkt ist vielmehr folgender: Wenn wir uns anschauen, was das eigentlich für Menschen sind, die nach 35 Jahren Arbeit nicht mit ihrer Rente auskommen, dann sehen wir: Es sind überwiegend Menschen, die im Gegensatz zu denjenigen, die besser verdient haben und mehr Rente bekommen, nicht auch noch zusätzlich eine Betriebsrente oder eine private Altersvorsorge haben. Hätten sie diese, dann wären sie auf Grundrente gar nicht angewiesen.
Deswegen ist im Grundrentenkompromiss etwas enthalten, was heute außer in einer kurzen Bemerkung des Kollegen Groß noch gar nicht thematisiert worden ist, nämlich die Verdoppelung des Instruments der Geringverdienerförderung, also des Förderbetrags zur betrieblichen Altersversorgung. Das ist eine rein arbeitgeberfinanzierte Leistung.
Wir haben bereits seit 1. Januar dieses Jahres die Regelung, dass bei allen neuen Verträgen der Arbeitgeber einen Zuschuss bezahlen muss – das ist eine Arbeitgeberleistung –, nämlich 15 Prozent des Umwandlungsbeitrags.
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So landen eingesparte Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers wie des Arbeitgebers gemeinsam auf dem Betriebsrentenkonto.
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Wir werden hier im Deutschen Bundestag noch vor Weihnachten beschließen, dass ab 1. Januar 2020 ein Freibetrag von dann 159 Euro bei der Verbeitragung zur gesetzlichen Krankenversicherung gelten wird.
Mit diesen drei Maßnahmen ist die betriebliche Altersvorsorge interessanter denn je, und zwar vor allen Dingen interessanter für die Geringverdiener in unserem Land. Ich sage Ihnen Folgendes: Wir als Union, aber, ich glaube, auch wir als Koalition wollen, dass künftig jeder Arbeitnehmer in Deutschland eine zusätzliche Altersversorgung zur gesetzlichen Rente hat und damit überhaupt keinen Antrag auf Grundrente oder Grundsicherung stellen muss. Das ist unser Ziel.
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Herr Kollege Weiß, der Kollege Ernst würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Herr Kollege Weiß, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Wir haben hier eine sehr fatale Situation, wie ich finde. Die FDP sagt auf der einen Seite, das, was Sie machen, sei eigentlich vollkommen falsch und nicht zu finanzieren.
({0})
Der FDP scheint es vollkommen wurscht zu sein, was mit Altersarmut in diesem Lande ist. Man müsste eigentlich diese Linie verbreiten.
({1})
Auf der anderen Seite sagen Sie, Herr Weiß, das, was Sie gemacht haben, sei so glänzend und so hervorragend, dass damit – so mein Eindruck nach Ihrer Rede – alle Probleme gelöst seien.
Wie wollen Sie eigentlich einem deutschen Rentner erklären, dass er bei derselben Lebensleistung wie ein Österreicher bei uns deutlich weniger Rente bekommt? Ein österreichischer Rentner – das wurde erst gestern wieder in einer Talkshow so veröffentlicht – hat als langjährig Versicherter im Durchschnitt über 800 Euro mehr. Glauben Sie nicht, dass gerade Sie, die Sie ja in der Koalition eher als Bremser in dieser Frage anzusiedeln sind, zusammen mit Ihrem Koalitionspartner mal darüber nachdenken sollten, wie man die Rente des deutschen Rentners wenigstens auf das Niveau in Österreich bringen kann? Denn schlechter arbeitete er auch nicht, Herr Weiß.
({2})
Herr Kollege Ernst, ich weiß ja, dass für die Linken mittlerweile Österreich, das Land unserer lieben Nachbarn, das schönste Land der Welt ist.
({0})
Der Punkt ist einfach der – das ist ja von Ihnen hier schon mehrfach gefragt bzw. vorgetragen worden –: Sie machen keinen ehrlichen Vergleich.
({1})
– Ja, Sie machen keinen ehrlichen Vergleich,
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und zwar deswegen:
Erstens. Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Österreich sind höher.
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– Doch, sie sind höher.
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– Doch, sie sind höher.
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– Natürlich sind sie höher.
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– Wieso nicht?
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Also, Herr Kollege, der Kollege Weiß ist gerade dabei, die Zwischenfrage Ihres Kollegen zu beantworten. Die Chance müssen Sie ihm geben.
Zweitens. In Deutschland gilt, dass man bereits nach fünf Jahren Einzahlung in die Rentenversicherung einen Anspruch hat. In Österreich ist das erst nach 15 Jahren der Fall.
Drittens. Die Österreicher haben die Beamten in die Rentenversicherung hineingenommen, sie müssen aber keine Leistungen erbringen. Das heißt, das ist eine Rente auf Pump.
({0})
Die wahre finanzielle Katastrophe in Österreich wird noch kommen.
Vor allem gilt Folgendes, auch wenn der Kollege Birkwald noch so viel dazwischenruft: Ich habe bei dem Beitragssatz bereits die Beiträge zur Betriebsrente, zur Riester-Rente usw. hineingerechnet. Ich habe gerade eben von einer rein arbeitgeberfinanzierten Geringverdienerförderung gesprochen. Die gibt es in Österreich nicht. Deswegen sind wir, wie ich glaube, in Deutschland auf einem besseren Weg als Österreich, der uns hin zu einem stabilen Rentensystem führt.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu den wichtigen Ereignissen im Bereich Arbeit und Soziales, die sich verändern, gehört auch, dass am 1. Januar 2020 die zweite Stufe des Bundesteilhabegesetzes in Kraft treten wird, eine wichtige und bedeutsame Veränderung für die Leistungen für Menschen mit Behinderungen in unserem Land. Wir setzen damit den personenzentrierten Ansatz um und schauen so mehr auf das Individuum und dessen Bedürfnisse und helfen ihm, sich in dieser Welt zurechtzufinden und vor allen Dingen auch in dieser Welt möglichst eine Arbeit zu finden, von der man leben kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen gehört zu diesem Bundeshaushalt auch – vom Programm „rehapro“ wurde eben schon gesprochen –, dass wir die Mittel für die Arbeit der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung, für die wir jetzt insgesamt rund 500 neue Beratungsstellen in Deutschland geschaffen haben, entfristen und auf Dauer mit dem Bundeshaushalt finanzieren.
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Dazu gehört auch – auch das ist wichtig –, dass wir das Projekt der Umsetzungsbegleitung durch den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge noch einmal verlängern, um eine entsprechende Beratungsleistung für alle bereitzuhalten.
Ich glaube, dass wir damit die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das Bundesteilhabegesetz tatsächlich ein Erfolg wird, und wir damit vor allen Dingen denen, um die es uns geht – die Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige –, eine echte Perspektive für die Zukunft geben.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, weil einige mit Sorge in die Zukunft schauen, was die wirtschaftliche Entwicklung anbelangt, ist in dieser Stunde, glaube ich, von uns Folgendes gefordert: In dieser Stunde kommt es nicht darauf an, welche Kritikpunkte wir alle vortragen können. Wir brauchen keine Politik der Mutlosen. Wir brauchen jetzt eine Politik der Mutmacher. Der Bundeshaushalt 2020 ist für uns ein Symbol, ein Ausdruck einer Politik des Mutmachens für unser Land und für seine Bürgerinnen und Bürger.
Vielen Dank.
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Katja Mast, SPD, hat als Nächste das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Teil des Haushalts, den wir jetzt diskutieren, ist ein richtig großer Batzen: über 150 Milliarden Euro, 41 Prozent des Gesamtvolumens des Bundeshaushalts. Es ist ein Haushalt, der alle im Blick hat, ein Haushalt, der den sozialen Fortschritt bringt für unser ganzes Land, ein Haushalt, der Zuversicht verkörpert und Vertrauen fördert.
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Gut, dass wir mit Olaf Scholz einen Sozialdemokraten im Finanzministerium und mit Hubertus Heil einen Sozialdemokraten im Arbeits- und Sozialministerium haben.
Dieser Haushalt ist für mich ein willkommener Anlass, um Bilanz zu ziehen. Was haben wir schon gemacht? Was kam? Was wird kommen? Und was sind darüber hinaus unsere Ideen für die Zukunft? Denn wir liefern in dieser Bundesregierung ein SPD-Projekt nach dem anderen
({1})
und fördern dabei klug das Wertvollste in unserem Land und unserer Gesellschaft, nämlich den Zusammenhalt. Darum geht es am Ende in dieser Debatte. Zur Habenseite, also dazu, was schon gekommen ist, kann ich nur sagen:
Wir haben das Rentenniveau stabilisiert; es würde sonst sinken. Wir haben den sozialen Arbeitsmarkt geschaffen, und zwar mit einem Tariflohn. Das stand nicht im Koalitionsvertrag.
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Wir haben das Qualifizierungschancengesetz, das auch nicht im Koalitionsvertrag stand, bekommen. Das ist umso wichtiger, weil wir damit Schutz und Chancen im Wandel für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer organisieren.
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Wir haben das Paketboten-Schutz-Gesetz gemacht. Sie alle bekommen Päckchen; ich sage ja immer gern „Päckle“, weil ich aus Baden-Württemberg komme. Mit diesem Gesetz schützen wir die Paketbotinnen und Paketboten, damit sie nicht die Leidtragenden der Digitalisierung in unserem Land sind.
Und wir haben – das ist mir besonders wichtig – mit dem Starke-Familien-Gesetz ein Gesetz geschaffen, mit dem wir Familien mit kleinem Einkommen aus der Armut herausholen und vor allen Dingen Kinderarmut in diesem Land massiv bekämpfen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war ein klarer Blick auf das Erreichte. Aber unser jüngster Erfolg, über den wir heute schon die ganze Zeit reden, ist noch in der Mache. Gerade eben geht über den Ticker, dass das Wort „Respektrente“ das Wort des Jahres 2019 ist.
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Das sagt schon viel darüber aus, dass wir da auf einem guten Weg sind. Wir haben es in der Koalition Grundrente genannt,
({6})
weil wir finden, dass nicht nur 1,5 Millionen Menschen, die lange Zeit Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt haben, sondern alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland unseren Respekt verdient haben. Deshalb heißt es Grundrente.
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Die Grundrente, die wir vereinbart haben – Johannes Vogel, es freut mich, dass du gerade dazwischengerufen hast –, wird zwischen 1,2 und 1,5 Milliarden Euro kosten. Wir werden das in dieser Koalition hinkriegen. Das hat die Bundeskanzlerin in dieser Haushaltswoche übrigens auch noch mal sehr klar gesagt.
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Aber wie schäbig ist es, wenn man selbst die volle Abschaffung des Solis fordert – da geht es zusätzlich um 11 Milliarden Euro –, sich dann aber hier hinstellt und sagt: 1,5 Milliarden Euro – das bekommen wir nicht hin.
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Wir finden, die Menschen haben für ihre Lebensleistung eine Anerkennung verdient,
({10})
und zwar als Rente und nicht als Fürsorge.
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Die FDP will den Gutverdienern 11 Milliarden Euro geben, und wir geben 1,5 Milliarden Euro ganz konkret den Menschen in diesem Land, die es mit ihrer Hände Arbeit nicht geschafft haben, mehr als die Grundsicherung zu haben.
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Diese Grundrente ist ein wichtiger Schritt; denn wir als SPD werden auf dem Bundesparteitag nächste Woche über den Sozialstaat als Partner diskutieren. Der Sozialstaat als Partner sagt: Wir erkennen Lebensleistung an, und zwar nicht im Fürsorgesystem, sondern in den sozialen Sicherungssystemen, also dort, wo es hingehört. – Das war der Blick auf das Erreichte.
Das ist ein kluger Haushalt für Zusammenhalt. Er enthält zahlreiche Ideen für morgen. Weil wir in der SPD genau diesen Bogen spannen können, blicke ich optimistisch und zuversichtlich nach vorne; denn wir haben auch in dieser Koalition noch einiges vor. Wir sind ja noch gar nicht fertig.
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Wir haben eine Situation in Deutschland, in der es darum geht, die Transformation durch Klimaschutz – und den wollen wir –, durch Digitalisierung und technologischen Wandel zu gestalten. Wir alle wissen, dass da große Dinge auf uns zukommen. Unsere Mission als SPD in dieser Bundesregierung ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen, die heute einen Job haben, auch morgen noch einen guten Job in diesem Land haben.
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Deshalb werden wir die Arbeit-von-morgen-Gesetze machen, bei denen es darum geht, Kurzarbeitergeld schneller zu gewähren und für die Betriebe besser zu machen. Vor allen Dingen wollen wir einen weiteren Ausbau von Qualifizierung und Weiterbildung in diesem Land. Wir werden aber gemeinsam auch noch befristete Beschäftigung zurückdrängen. Auch darauf haben wir uns in der Koalition verständigt. Wir wollen die Mitbestimmung und die Tarifautonomie stärken, weil wir wissen: Das ist der Garant dafür, dass Menschen gute Löhne und den Respekt für ihrer Hände Arbeit bekommen, den sie verdienen.
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Wir werden auf unserem Bundesparteitag auch eine Arbeitsversicherung diskutieren und den Blick nach vorne richten. Ein Recht auf Weiterbildung, mehr Tarifbindung, auch das Recht auf Arbeit statt einem bedingungslosen Grundeinkommen werden wir diskutieren. Wir werden den Gedanken des Sozialstaats als Partner durchdeklinieren. Wir werden mutig die sozialdemokratische Kindergrundsicherung diskutieren. Und wir werden uns über die Einführung einer Vermögensteuer – in der Zukunft, nicht in der Koalition – unterhalten; denn es geht darum, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen.
Wir haben viel geleistet. Wir haben in der Koalition und mit unserem Koalitionspartner noch viel vor. Aber unsere Ideen sind nicht erschöpft; sie richten sich auf die Zukunft.
Vielen Dank.
({16})
Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debattenrunde ist der Kollege Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Stolz als Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiker ist es, dass wir die Bedingungen im Inneren der Gesellschaft gestalten. Ein wenig von dem Stolz ist auch in vielen der Beiträge heute Morgen deutlich geworden.
Wir sind die Spezialisten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir wissen: Kaum etwas prägt den Menschen so sehr wie die Arbeit, und kaum etwas braucht die Gesellschaft mehr als einen Zusammenhalt, der unter Bedingungen extremer Ungleichheit nicht gestaltet werden kann. Das ist nicht nur ein ambulantes Geschäft, sondern zielt deutlich in die Zukunft, und es stellt sich die Frage, wie wir in zehn, in 20 Jahren leben werden.
Der Bereich, in dem wir diese Frage auch in der Tagespolitik am ehesten stellen – in der heutigen Debatte ist es häufig erwähnt worden –, ist die Zukunft der Rente. Das liegt nahe. Die Rente ist ein generationenübergreifender Solidarvertrag. Meine Generation – ich gehöre der Generation der Babyboomer an – hatte holprige Startchancen. Ich erinnere nur daran, wie schwierig es in den frühen 80er-Jahren gewesen ist, einen Ausbildungsplatz zu finden oder nach dem Studium eine angemessene Beschäftigung. Damals machte die Rede von der Generation „No Future“ die Runde. Die Menschen meiner Generation, die in der DDR aufgewachsen sind, sind in den Umbruch hineingeraten. Arbeitsbiografien wurden unterbrochen, abgebrochen oder nahmen völlig andere Bahnen.
Und dennoch haben wir in den Jahren unserer Erwerbsbiografie der nachkommenden Generation ein beeindruckendes Fundament gelegt. Nie gab es bessere Bildungschancen, nie gab es mehr Wohlstand, nie gab es mehr Arbeitsplätze, und, wenn meine Generation einmal abgetreten sein wird, nie wird dann mehr Geld- und Sachvermögen vererbt worden sein. Wer angesichts dieser Grundtatsachen die Rentenpolitik als eine Umverteilung zulasten der Jungen schmäht, der hat das Prinzip der Solidarität zwischen den Generationen nicht verstanden. Solidarität zeigt sich vor allen Dingen in den Zukunftschancen, die wir für die junge Generation bereitstellen.
Wir wissen, dass die Arbeitswelt im Umschwung ist. Ein Aspekt davon ist: Die klassische industrielle Welt war zentral und zeitlich unflexibel organisiert. Die neue Welt ist zu großen Teilen zeitlich und örtlich flexibel. Der industriellen Welt verdanken wir die Formen der Sozialpartnerschaft, die die soziale Marktwirtschaft stark gemacht haben. Wir verdanken ihr die Gewerkschaften, die betriebliche Mitbestimmung. Dass dies kein Hemmnis für Wachstum und Wohlstand ist, dürfte als erwiesen gelten. Mehr noch: In der Finanzkrise war es gerade diese klassische Struktur der Sozialpartnerschaft, die den Betrieben und den Mitarbeitern geholfen hat.
({0})
– Da kann man ruhig mal klatschen; finde ich auch.
Aber wie wird das in Zukunft sein? Wie wird es sein, wenn der Betrieb als sozialer Zusammenhang ausfranst, wenn er mehr eine Plattform ist, auf der sich unterschiedlichste Arbeitszeitmodelle realisieren? Verlieren wir dann das Gleichgewicht von Arbeitgebern und Arbeitnehmern? Steuern wir auf eine neue Form von Ausbeutung zu, weil Arbeitnehmer wieder zu Einzelkämpfern auf unterschiedlichen Plattformen werden, weil die Gleichzeitigkeit und Gleichartigkeit von Arbeitsroutinen und Arbeitsalltagen nicht mehr gegeben sein wird? Darüber müssen wir nachdenken, darüber müssen wir reden, und gegen solche Entwicklungen müssen wir die Sozialpartnerschaft stärken.
({1})
Ein weiterer Punkt. Wem soll die Wirtschaft dienen? Eine alte Streitfrage. In den letzten Jahren haben wir häufig gehört: den Shareholdern. Das war ein Fehler, und das ist ein Irrtum über das Wesen der Wirtschaft.
({2})
Profit ist nicht die zentrale Maßgröße für die Beurteilung der Wirtschaft und kann es auch nie sein. Das ist zutiefst unchristlich. Nein, das Maß der Wirtschaft ist das Gemeinwohl. In unserem Grundgesetz wird Eigentum, die Voraussetzung unserer Wirtschaftsordnung, an das Gemeinwohl gebunden. In der hessischen Verfassung – ich komme aus Hessen – heißt es, die Wirtschaft des Landes habe das Ziel, dem „Wohle des ganzen Volkes“ zu dienen.
({3})
Und in der bayerischen Landesverfassung heißt es in schöner Eindeutigkeit: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“. Ich finde, dann sollten wir auch mal den Mut haben, zu fragen: Was ist denn eigentlich dieses Gemeinwohl? Bislang habe ich den Eindruck, das wird als eine Art Worthülse wahrgenommen, so wie die guten Sitten oder der ehrbare Kaufmann.
Aber ich denke schon, man kann ausbuchstabieren, was ein Wirtschaftsbetrieb zum Gemeinwohl beiträgt, etwa in der Form des inklusiven Arbeitens, der guten Arbeit, der gelebten Sozialpartnerschaft, der ökologischen Ausrichtung, der Diversity, die in einem Betrieb gelebt wird, und in vielem mehr. Ich hätte Spaß daran, diese Kriterien einmal zu einer Gemeinwohlbilanz zu verdichten und beispielsweise die Beschaffung öffentlicher Aufträge, ja vielleicht sogar die Steuerlast von der Gemeinwohlbilanz eines Unternehmens abhängig zu machen.
({4})
Das, meine Damen und Herren, wäre eine Politik aus dem christlich-sozialen Menschenbild heraus, die den Anspruch des Gemeinwohls ernst nimmt, und ein schöner Kontrast zu der Vulgarität einer nur durch Profitinteressen getriebenen Wirtschaft.
({5})
Und ein letzter Punkt. Der Erfolg unserer sozialen Marktwirtschaft beruht auch darauf, dass wir international erfolgreich sind – mit unseren Produkten und Ideen, aber auch als Standort für Arbeitsplätze. Deswegen geht heute die größte Bedrohung für die soziale Marktwirtschaft von denjenigen aus, die diese Offenheit ablehnen. Und ich kann schwerlich Fachkräfte aus aller Welt überzeugen, nach Deutschland zu kommen, wenn sie Gefahr laufen, rechten Prügelschwadronen zum Opfer zu fallen und durch die Straßen gejagt zu werden.
({6})
Meine Damen und Herren, zur Demokratie gehört, dass wir diesen Extremismus überwinden. Es gehört zum Anstand in unserem Land, dass wir den Extremismus überwinden, und es ist Voraussetzung für eine weiterhin stabile soziale Marktwirtschaft; denn die Extremisten von rechts sind heute das größte Investitions- und Wachstumshindernis.
Herzlichen Dank.
({7})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir heute noch, wie angekündigt, zu Risiken und Kosten. Wichtige Positionen finden sich nur in unkonsolidierten Nebenhaushalten wie dem Energie- und Klimafonds und dem Investitions- und Tilgungsfonds – oder sie finden sich gar nicht im Haushalt: wie die noch immer milliardenschweren Risiken der Euro-Rettung, die über EZB, ESM und auch Target II auf den Haushalt zurollen werden, für die aber keine Rückstellungen gebildet sind. Es droht erneut Euro-Rettung über Steuergeld.
Übrigens werden auch die Bankenrettungsrisiken wieder größer: Über die vom Finanzminister ohne Not vorangetriebene Vergemeinschaftung der Bankguthaben kommen nun sogar die deutschen Spargelder noch in die Haftung.
Das Risiko bei den EU-Zahlungen Deutschlands ab 2021 ist mit 1,0 Prozent kalkuliert, obwohl die EU erheblich höhere Forderungen stellt. Deutschlands Zahlungen an die EU werden bis 2023 auf mindestens 45 Milliarden Euro pro Jahr explodieren.
Risiko neuer Flüchtlingszahlungen an die Türkei: Es laufen Verhandlungen mit Herrn Erdogan über hohe Milliardensummen. Die Kanzlerin hat bereits Finanzhilfen für Ankara zugesagt, diese stehen aber nicht im Haushalt. Das Gleiche gilt für die berühmte Grundrente; sie ist im Haushalt in keiner Weise eingeplant.
Die Investitionen sind mit 11 Prozent des Haushalts wieder einmal viel zu gering. Bemerkenswert ist dabei, dass ein Aufwuchs sich fast nur durch sogenannte Klimaschutzmaßnahmen und nur durch Entwicklungshilfe für alle Welt ergibt. Die Regierung verbucht dies ernsthaft als Investitionen. Das sind sozusagen Investitionen in eine irgendwie herbeifantasierte bessere Zukunft der planetarischen Menschheit, aber keine für Deutschland.
({0})
Wir finden viel Etikettenschwindel: Linke Erziehungsprojekte zur sogenannten politischen Bildung werden in harmlos klingenden Titeln wie „Fachbezogene Verwaltungsausgaben“ oder „Strukturwandel im ländlichen Raum“ versteckt. Ideologieposten sind generell verteilt über viele Teilhaushalte, wir finden ein vollkommen unübersichtliches, teures Geflecht von Subventionen politisch korrekter Projekte: Eine Initiative Musik etwa, als völlig unspezifizierte Künstlerförderung, wächst um sage und schreibe 67 Prozent auf, ohne erkennbare Förderkriterien – außer vermutlich: gegen die AfD anmusizieren.
({1})
Ebenso ist es mit dem Titel „Zuschüsse für Musik und Tanz“ mit satten 55 Millionen Euro aus dem Kanzlerinnenetat, darunter das kulturell so hochstehende Reeperbahn Festival.
({2})
Überall wird Meinung gekauft – linke Meinung – oder linker Kampf, geführt unter dem nebulösen Namen „Demokratie leben!“, ein linksradikales Dachprojekt, selbst ohne Demokratiegewähr, weil die Regierung die Extremismusklausel für die wackeren Kämpfer gegen rechts ja abgeschafft hat.
Im Etat gibt es Titel für Pflegeeinrichtungen speziell für Migranten, als ob es nicht genügend Not bei einheimischen Alten und Pflegebedürftigen gäbe.
({3})
Hohe Migrationskosten sind undeklariert im Sozialetat versteckt. Bei bereits abgelehnten Asylanten könnte man bei Unterbringung, Sozialhilfe und Integrationsmaßnahmen Milliarden einsparen.
Am Unverfrorensten sehen wir aber den Etikettenschwindel bei der neuen Direktsubventionierung von Zeitungen: Im letzten Moment des Haushaltsprozesses wurde über den Sozialetat eine GEZ für Zeitungen geschaffen. Es geht hier nicht – ich betone: nicht – um die Förderung der Zeitungszustellung, obwohl der Entwurf das so behauptet. Es wird hier auch keine – Zitat – Vielfalt unabhängiger Verlage gefördert, wie es in einem anderen Titel heißt. Das ist alles orwellianische Wortverdrehung. In Wirklichkeit geht es um 42 Millionen Euro für völlig unspezifizierte Projektleistungen, die die Verlage frei verwenden können – und auch werden. Wir erleben hier die Anfänge der Staats‑/Einheitszeitung. Das ist ein Anschlag auf unabhängige Medien.
({4})
Auch hier wird veröffentlichte Meinung knallhart gekauft.
Es droht weiterhin ein rekordgroßer Bundestag. Das ist nichts Neues. Die Mehrheitsfraktionen setzen die zwingende Wahlrechtsreform einfach nicht um. Unser Haus läuft sehenden Auges nicht nur in ein Haushaltsdebakel, sondern auch in ein Debakel der parlamentarischen Demokratie. Die AfD hat versucht, das hier im Parlament zu verhindern. An uns wird es nicht liegen, wenn der Bundestag demnächst auf 830 Abgeordnete anwächst. Die Regierungsparteien alleine werden das 2021 dem Steuerbürger erklären müssen.
({5})
Auch die Finanzierung der sechs parteinahen Stiftungen ist weiterhin eine skandalös einseitige Selbstbedienung der Altparteien. Hier werden ohne explizites Stiftungsgesetz in einem haushalterisch höchst intransparenten Prozess insgesamt 600 Millionen Euro Steuergeld ausgezahlt.
Die GroKo steht weiterhin für große Kosten. Der AfD ist es dagegen auch für 2020 gelungen, alle ihre Änderungsanträge gegenzufinanzieren, sogar bei der Vollabschaffung des Soli.
({6})
Die AfD dankt den Menschen für ihre Gemeinschaftsleistung, aber wir reduzieren den Bürger nicht wie die Altparteien aufs Steuernzahlen. Wir sind ihm als Souverän verpflichtet: dem deutschen Volke, nicht nur dem deutschen Steuerzahler.
({7})
Abschließend noch ganz wichtig: Es liegt ein Haushaltsgesetz mit über 3 000 Seiten Umfang vor. Fast 1 900 Änderungsanträge wurden in insgesamt 65 Stunden Ausschusssitzung diskutiert und abgestimmt. Es hat sich gezeigt: Man kann in den Ausschüssen ordentlich miteinander arbeiten. Dafür Dank an die berichterstattenden Kollegen und Referenten aller Fraktionen und an die Regierungsvertreter, speziell an die des BMF, und ganz besonders natürlich auch an die des Ausschusssekretariats; das Team ist heute hier im Plenum anwesend. Ohne Ihre eingespielte, sachkundige und konzentrierte Arbeit bis in die Nachtstunden hätten wir es nicht schaffen können. Herzlichen Dank für diese sehr zuverlässige Arbeitsleistung.
({8})
Danke.
({9})
Dennis Rohde, SPD, ist der nächste Redner.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit dem Wichtigsten beginnen und nicht enden. Wir haben in der letzten Sitzungswoche eine 17-stündige Bereinigungssitzung hinter uns gebracht. Wir waren um 5.05 Uhr fertig. Am Ende waren nicht nur die Abgeordneten erschöpft, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die uns den ganzen Abend zuarbeiten mussten und damit sichergestellt haben, dass wir den Haushalt so verabschieden konnten, wie wir ihn am Ende verabschiedet haben. Ich kann mir vorstellen: Der eine oder andere Mitarbeiter hätte den Abend lieber auf Veranstaltungen wie dem Reeperbahn Festival verbracht, aber sie haben uns stark unterstützt, und dafür der gesamte Dank des Hauses an Sie.
({0})
Nach der Bereinigungssitzung erfolgt die zweite und dritte Lesung des Haushaltes hier im Hause. Wir haben eine sehr intensive Debatte und auch eine sehr intensive Woche hinter uns. Eine Erkenntnis war eine starke Erkenntnis, nämlich dass wir mit der überwältigenden Mehrheit dieses Hauses sichergestellt haben, dass Hass und Hetze im Deutschen Bundestag keinen Platz haben.
({1})
Diejenigen, die hier gehetzt haben, die versucht haben, das Land zu spalten, haben den Widerspruch des gesamten restlichen Hauses erfahren. Ich finde, das war ein starkes Signal für unsere Demokratie.
({2})
– Sie können ja pöbeln, aber für Sie gilt der Dreisatz: beobachten, prüfen, verbieten.
({3})
Wir leben in einer wehrhaften Demokratie, die sich dem Kampf gegen Hasskriminalität stellt, in einer wehrhaften Demokratie, die Antisemitismus keinen Raum lässt und die Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus bekämpft. Diese wehrhafte Demokratie stärken wir mit diesem Haushalt. Wir stärken das BKA, wir stärken den Verfassungsschutz, und wir stärken Prävention, indem wir die Bundeszentrale für politische Bildung stärken. Ich finde, das ist ein starkes Signal, das wir mit diesem Haushalt aussenden.
({4})
Gleichzeitig ist dieser Haushalt kein Haushalt der großen Kosten, sondern es ist ein ausgeglichener Haushalt mit massiven Investitionen in die Zukunft dieses Landes. Wir investieren als Bund in Kindertagesstätten und in Schulen. Wir machen das bewusst, weil wir finden: Das sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, vor denen sich der Bund nicht wegducken darf. Wir müssen jedem Kind in unserer Gesellschaft die gleichen Startchancen ermöglichen; denn wenn wir das nicht tun, dann ist der Fachkräftemangel von morgen vorprogrammiert. Deshalb sind die Investitionsschwerpunkte, die wir setzen, auch hier richtig und wichtig.
({5})
Wir investieren in den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur. Wir investieren in die Deutsche Bahn, in das Straßennetz, in den Breitbandausbau. Wir investieren in den Umwelt- und Klimaschutz. Wir investieren in den sozialen Wohnungsbau. Wir investieren in die Städtebauförderung. Wir investieren in die Forschung an Hochschulen und in Forschungseinrichtungen. Ich finde, das sind starke Signale, die in die Zukunft weisen.
Wir vergessen dabei eines nicht, nämlich dass Investitionen am Ende des Tages auch umgesetzt werden müssen, dass es nicht reicht, nur Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen, sondern dass man am Ende auch Personal braucht, um das Ganze umzusetzen. Deshalb stärken wir mit diesem Haushalt auch die Verwaltung. Wir schaffen 6 000 neue Stellen im Eisenbahn-Bundesamt, in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und im Bundesamt für Güterverkehr, damit die Investitionen auch auf die Straße kommen. Auch das ist ein wichtiges Signal dieses Haushalts.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor uns liegt ein Haushalt, der auf Zusammenhalt setzt. Vor uns liegt ein Haushalt, der zeigt, dass die gesellschaftlichen Herausforderungen erkannt wurden und die gesellschaftlichen Herausforderungen dieses Landes angegangen werden, ein Haushalt, dem wir Sozialdemokraten heute nicht nur gerne zustimmen, sondern auf dessen Umsetzung im nächsten Jahr wir uns auch freuen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dennis Rohde.
Einen schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will Ihnen kurz erzählen, dass wir, der Deutscher Bundestag, gerade ein wunderbares Geschenk bekommen haben – ich durfte es annehmen –, und zwar einen herzerwärmenden Baum von der Lebenshilfe Rhön-Grabfeld. Alle Kolleginnen und Kollegen, die sich nach unseren Abstimmungen vielleicht ein bisschen auf die Adventszeit einstimmen möchten, die Besinnlichkeit und Herzenswärme tanken wollen, sind herzlich eingeladen, an diesem Baum über die Würde des Menschen, die Würde aller Menschen nachzudenken.
({0})
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Stefan Ruppert.
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Kollege aus meiner Fraktion hat gezählt und festgestellt, dass in den Reden der Koalitionsfraktionen in dieser Woche 421 Mal die Worte „wir geben mehr Geld aus“ gefallen sind. Man hat dann immer in glückliche Gesichter geschaut: Wir geben mehr Geld aus für …, wir geben mehr Geld aus für …! Wir haben nur 82-mal gehört, dass Sie investieren; Herr Rohde hat eben allerdings noch etwas dazugetan. Und von Entlastung war die ganze Woche praktisch nicht die Rede.
({0})
Das zeigt, welche Prioritäten Sie beim Haushalt setzen. Sie sind immer dann glücklich, wenn Sie mehr Geld ausgeben, selten glücklich, wenn Sie Geld investieren, und über das Entlasten denken Sie schlicht kaum nach.
({1})
Der DigitalPakt, ein wichtiges Instrument, ist unterfinanziert. Nur 222 Millionen Euro legen Sie neu drauf. Sie hatten 5 Milliarden Euro zugesagt. Es fehlen Milliarden.
Im Zuge der KI-Strategie der Bundesregierung kriegt jeder ein bisschen was. Interessant ist, dass zwei nichts kriegen; nur Herr Maas und Frau Kramp-Karrenbauer bekommen für künstliche Intelligenz nichts, sie müssen sich also auf traditionelle Intelligenz verlassen.
({2})
Auch da gilt das Prinzip: Sie geben jedem ein bisschen. Eine Strategie wird daraus nicht.
Schauen wir uns einmal an, wofür Sie Geld ausgeben: Für Holzhütten in Hamburg, für Musik an Bahnhöfen, Sie beraten Campingplatzbetreiber, und Sie geben viel Geld für das Reeperbahn Festival aus. Insgesamt merkt man: Das Geld geht in gewissen Haushaltsbereichen nach Hamburg, etwa zwölfmal so viel wie in andere Bundesländer. Das liegt, glaube ich, nicht daran, dass der Bundesfinanzminister dort herkommt, sondern daran, dass es einen Haushaltspolitiker der SPD gibt, der alles Geld, statt es gerecht zu verteilen, in ein Bundesland verteilt. Und keiner wehrt sich dagegen. Man kann ihn dafür bewundern, man kann aber auch die Trägheit aller anderen tadeln, weil das schlicht keine gerechte Haushaltsmittelverteilung ist.
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Schon in 2021 sinken die Investitionsmittel des Bundes um 3 Milliarden Euro. Das muss man sich einmal vorstellen. Wir wissen, wir gehen in eine Rezession oder eine wirtschaftliche Schwächephase, und Sie planen für Investitionen in 2021 schlicht 3 Milliarden Euro weniger. Ich glaube, das ist genau die falsche Schwerpunktsetzung. Und dabei sind 1,1 Milliarden Euro, die Sie für den Straßenbau ausgeben wollen, noch gar nicht gedeckt; denn Sie haben die Einnahmen aus der Maut, die jetzt gar nicht kommen, dafür vorgesehen. Herr Scheuer hat dieses Geld schon ausgegeben – hoffentlich rechtmäßig; das wird der Untersuchungsausschuss zeigen –, und Sie können jetzt nicht die gesamten Investitionsmittel durch Einnahmen gegenfinanzieren.
Insgesamt zeigt sich an den Investitionen, dass das Planungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland nicht dafür geeignet ist, die dringend notwendigen Investitionen auch tatsächlich zu tätigen. Wir haben hier in diesem Haus in dieser Woche gehört, dass die Modernisierung einer Mikrofonanlage in Deutschland viereinhalb Jahre dauert. Deshalb muss man sich nicht wundern, wenn die Leute insgesamt den Eindruck gewinnen, dass Investitionen und staatliches Handeln nicht mehr effektiv sind. Es dauert zu lang, es kostet zu viel, und es sind zu viele Menschen, die das aufhalten wollen, daran beteiligt.
Manchmal fragt man sich: Ist es nicht viel einfacher, in irgendeinem anderen Land der Welt als in Deutschland zu investieren? Leider fragen sich das immer mehr Menschen, und das wird für unsere wirtschaftliche Entwicklung sehr negative Konsequenzen haben.
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Ausgerechnet im Bereich Bildung investieren Sie weniger. Ich will Ihnen einmal zwei Zahlen nennen: Wenn Sie am Ostersonntag – ein für mich wichtiger Feiertag – an den Osterhasen denken, könnten Sie vielleicht auch an Hubertus Heil denken. Hubertus Heil wird am Ostersonntag mehr für Arbeit und Soziales ausgegeben haben als die Bundesregierung für Investitionen in einem ganzen Jahr. Bereits am Ostersonntag hat dieses Land in einem Bereich mehr ausgegeben, als es in einem ganzen Jahr investiert. Und am Valentinstag
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Toller Tag!
– sie wissen vielleicht, dass er noch ein bisschen früher ist, nämlich im Februar; den feiere ich nicht so ausgiebig – wird Herr Heil schon mehr ausgegeben haben, als dieses Land für Forschung und Entwicklung auf Bundesebene in einem ganzen Jahr ausgibt. Also in nicht einmal zwei Monaten geben Sie mehr aus, als in diesem einen Haushalt steht. Ich glaube, diese Schwerpunktsetzung ist zutiefst falsch.
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Am Ende müssen wir das wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Es ist eben nicht gut, wenn Sie den Eindruck haben, Sie könnten dann glücklich sein, wenn Sie das Geld der Bürger möglichst mehr und schneller ausgeben, sondern es wäre gut, wenn Sie das Geld der Bürger in Forschung, Digitalisierung, Bildung, Wirtschaft und die Entlastung der Bürger investieren würden. Das ist nicht Ihr Wille, und deswegen stimmen wir Ihrem Haushalt nicht zu.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Ruppert. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. André Berghegger.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine intensive Woche mit vielen Debatten zum Haushalt neigt sich dem Ende, liegt fast hinter uns. Ein Thema hat verschiedene Einzelpläne berührt; die Beratungen dazu haben sich über verschiedene Tage erstreckt. Auf dieses Thema möchte ich mit einigen Gedanken gerne noch mal näher eingehen. Es geht um die Situation in der Landwirtschaft und die Bauernproteste in dieser Woche.
Für mich ist das ein besonders wichtiges Thema. Ich komme aus dem Wahlkreis Osnabrück-Land im westlichen Niedersachsen, einem Flächenwahlkreis.
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Die Landwirtschaft ist dort stark vertreten; sie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und eine prägende kulturelle Kraft.
Ich stehe oft im Kontakt mit den Landwirten, mit deren Familien – bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten –, und ich kann Ihnen versichern: Eigentlich sind wir da ein ganz ruhiger Menschenschlag.
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Wenn die Leute dort aber aufstehen und aufbegehren, dann ist da wirklich etwas im Gang; sonst machen sie das nicht.
Aus meiner Region sind am Dienstag sehr viele zu der Demonstration hier in die Hauptstadt gekommen, und wenn sich so viele Menschen Hunderte von Kilometern mit ihren Schleppern oder Treckern aufmachen, um hier ihre Meinung auszudrücken, dann bewegt mich das schon. Ich finde, das war ein lautstarkes, ein beeindruckendes Zeichen ihrer Interessen.
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Ich finde aber auch: Das war ein Ausdruck von großer Sorge und Verzweiflung und natürlich auch von Enttäuschung und Frust. Man merkt aber in jedem Gespräch: Es geht um Fairness im Umgang miteinander, um die Perspektive für die Betriebe – schlicht: um die wirtschaftliche Existenz.
Ich will die Debatte zum Etat der Landwirtschaft hier nicht wiederholen – das Thema ist sehr vielschichtig –, aber klar ist für mich doch auch: Wenn auf der einen Seite die Auflagen steigen, womit Kosten verbunden sind, und auf der anderen Seite die Preise nicht nachziehen, dann wird es für kleinere Betriebe immer schwieriger, besteht ein wirtschaftliches Problem.
Es läuft nicht alles gut in der Landwirtschaft, gar keine Frage. Veränderungen sind notwendig, gar keine Frage. Aber mein fester Eindruck ist, dass die Bauern bereit sind, sich einzubringen. Ich bin der festen Überzeugung: Es geht nur mit ihnen, nicht ohne oder gegen sie.
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Wir im Hohen Hause repräsentieren die gesamte Bevölkerung: städtische Interessen, aber auch ländliche Interessen. Ich habe die Sorge, dass sich Stadt und Land voneinander entfernen. Ich bin aber der Meinung: Es geht nur Stadt und Land, Hand in Hand. Deswegen freue ich mich, dass nächste Woche der Agrargipfel im Kanzleramt mit Vertretern der Bauern stattfindet. Diesen Dialog müssen wir verstärken.
Sehr geehrte Frau Schulze, liebe Julia Klöckner, Sie haben bei Ihren Auftritten am Dienstag die emotionale Stimmung mitbekommen. Ich kann Sie nur bitten: Setzen Sie diese Gesprächen mit den Bauern auf Augenhöhe fort. Beziehen Sie deren Fachwissen mit ein.
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Wir müssen aber auch zu konkreten Ergebnissen kommen. Beispielsweise bietet sich dafür aus meiner Sicht das unverbindliche Eckpunktepapier zum Insektenschutz an. Erarbeiten Sie gemeinsam mit den Landwirten die nächsten Schritte. Suchen Sie gemeinsam nach Lösungen, und nutzen Sie Gestaltungsspielräume.
In der Bereinigungssitzung haben wir versucht, zu unterstützen, beispielsweise mit einem Angebot zur Hilfe bei einer aktuellen Frage zum Nährstoffmanagement. Das kann aber nur ein Baustein sein. Wir müssen weitere angehen und weitere Hilfe bieten.
Gestatten Sie mir eine abschließende Bemerkung zu diesem Thema, zu der Situation insgesamt. Auf die Proteste der Bauern in dieser Woche haben einige mit Häme, Unverständnis oder mit einer Mischung aus Humor und Ironie reagiert. Mich stört insbesondere der Tweet einer Journalistin, der in den sozialen Medien rauf und runter lief. Sinngemäß lautet dieser Tweed: Wegen der Proteste zu spät zu einer Veranstaltung gekommen. Werde ab sofort nichts mehr kaufen, das auch nur im Entferntesten mit den Bauern zu tun hat. #Bauernproteste.
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Werde ab sofort nichts mehr kaufen, was auch nur im Entferntesten etwas mit Bauern zu tun hat:
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Selbst wenn das witzig gemeint ist – gut, dass Sie das sagen –, fehlte entweder die Kenntnis von der Dramatik der Situation oder das Fingerspitzengefühl. Beides ist total enttäuschend.
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Ich kann hierüber überhaupt nicht lachen. Es geht hier nämlich um nicht weniger als die Existenz der Betriebe in der Landwirtschaft und die seit Generationen weitergegebenen Höfe. Es geht um die Versorgung mit qualitativ hochwertigen und sicheren Lebensmitteln für uns. Darüber macht man keine Witze.
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Im Übrigen: Der Haushalt, sehr geehrter Herr Finanzminister, ist solide berechnet, finanziert alle prioritären Ausgaben und noch weit mehr – alles ohne neue Schulden. Wir erfüllen sämtliche Maastricht-Kriterien. Das ist solide und nachhaltige Haushaltspolitik. Dafür stehen die Koalition und die Union.
Über das Verhältnis zwischen Investitionen und sozialer Sicherung haben wir viel gesprochen. Das müssen wir – deswegen möchte ich es wiederholen – im Auge behalten: Wir geben im Haushalt lediglich 12 Prozent für Investitionen und über 50 Prozent für die soziale Sicherung aus.
Unser Fraktionsvorsitzender hat es in der Generaldebatte gesagt: Wir müssen schauen, dass die sozialen Sicherungen auch erwirtschaftet werden können. Wir müssen das Geld erst einnehmen, bevor wir es verteilen können. Deswegen müssen wir auf Steuereinnahmen achten. Um Steuereinnahmen zu erzielen, brauchen wir eine leistungsfähige, wettbewerbsfähige, auch im internationalen Vergleich wettbewerbsfähige Wirtschaft, das gilt für die Industrie und den Mittelstand. Wir müssen natürlich die steuerpolitischen Entscheidungen um uns herum betrachten. Was ist in den USA geschehen, in UK? Was passiert in Frankreich? Deswegen werden wir uns diesem Thema widmen müssen.
Wir müssen Investitionshemmnisse abbauen. Es liegt bei den Investitionen nicht am zur Verfügung gestellten Geld, vielmehr müssen wir die Umsetzung verbessern. Langfristig planbare Kapazitäten im öffentlichen und im privaten Bereich müssen aufgebaut und Verfahren beschleunigt werden. Der Haushalt, sehr geehrter Herr Scholz, bietet dafür eine gute Grundlage. Der vorliegende Haushalt ist gerecht, zukunftsgerichtet und setzt die richtigen Prioritäten: im Bereich Klimaschutz, Bildung und Forschung und natürlich im Bereich innere und äußere Sicherheit.
Deswegen bleibt mir an dieser Stelle nur übrig, zu sagen: Ihnen vielen Dank, sehr geehrter Herr Scholz, Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Ausschusssekretariat, den Fraktionsmitarbeitern und natürlich den Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstattern.
Zu guter Letzt: Der Haushalt ist sogar so vielschichtig und vielfältig, dass man immer wieder etwas Neues entdeckt. Sehr geehrter Herr Maas, dieses Mal in Ihrem Etat, im Bereich des Auswärtigen unter dem Kapitel: Pflege kultureller Beziehungen zum Ausland. Mit der „Pflege der kulturellen Beziehungen zum Ausland“ ist das Reeperbahn Festival gemeint. Ich habe mit diesem Festival zwar immer etwas anderes verbunden, aber ich kann Ihnen sagen: Sie können beruhigt und aus voller Überzeugung dem Haushalt zustimmen.
Vielen Dank für das freundliche Zuhören.
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Vielen Dank, Dr. Berghegger. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben eine ganze Woche lang debattiert, und mir sind in dieser Woche acht Irrtümer der Koalition besonders aufgefallen:
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Erster Irrtum. Die Koalition denkt, mit kleinen Schritten kann man das Klima retten. Das ist falsch.
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Ich will Sie darauf hinweisen – falls Sie es auf den Straßen noch nicht gemerkt haben –: Heute ist der Internationale Klimaaktionstag. Ich finde es gut, dass nicht nur Jugendliche, sondern Menschen aller Generationen gemeinsam auf die Straße gehen und die Bundesregierung an ihre leeren Versprechungen erinnern. Ich finde es gut, dass die Menschen für ihre Rechte kämpfen, und ich finde, wir sollten sie dabei unterstützen.
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Wir als Linke sagen: Unser Ziel ist Klimagerechtigkeit. Dazu gehört auch, dass die Vermögenden in unserer Gesellschaft, die auch den größten ökologischen Fußabdruck hinterlassen, endlich mit einer Vermögensteuer ihren gerechten Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise leisten. Das ist unsere Forderung.
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Ein zweiter Irrtum, der mir aufgefallen ist: Die schwarze Null ist Ausdruck von ökonomischem Sachverstand. Da sagt Die Linke: Das ist falsch. Es gibt keinen ernsthaften Ökonomen mehr, der empfiehlt, nicht mehr zu investieren. Es gibt keinen ernsthaften Ökonomen mehr, der sagt, die schwarze Null sei eine gute Idee. Ganz im Gegenteil: Die Bundesregierung wird aufgefordert, endlich die Investitionsbremse zu lösen. Jeder Mensch, der mit offenen Augen durch unser Land geht, sieht doch, dass die Bundesregierung unsere Infrastruktur auf Verschleiß gefahren hat. Ökonomisch sinnvoll ist es, jetzt in Kindergärten, Schulen, Wohnungen und Universitäten zu investieren. Das ist unsere Forderung.
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Wir haben gerade, in der vorherigen Debatte, über den Einzelplan des Arbeitsministeriums diskutiert. Damit ist der dritte Irrtum der Koalition verbunden. Sie denken immer noch, dass Sie Menschen mit Sanktionen in Arbeit zwingen müssen. Ich sage Ihnen: Alle Lebenserfahrung spricht dagegen; aber auch die Zahlen sind eindeutig. Jeder vierte Erwachsene in Hartz IV arbeitet hart und hat trotzdem nicht genügend Lohn, um davon zu leben. Er muss also zum Jobcenter gehen und um Unterstützung betteln. Wir sagen Ihnen: Das beste Mittel, um Menschen ihre Würde wiederzugeben, wäre es, endlich einen Mindestlohn von 12 Euro durchzusetzen. Das wäre eine Hilfe für alle und auch eine Entlastung des Bundeshaushaltes.
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Die Hartz-IV-Gesetze gibt es jetzt seit 15 Jahren. Als sie damals von SPD, Grünen und Union beschlossen wurden, stand ich mit meiner Kollegin Petra Pau vor dem Reichstag mit einem Transparent, und wir wiesen darauf hin, dass diese Gesetze Armutsgesetze sind. Leider hat sich diese Aussage bestätigt. Die Anzahl der armen Menschen in unserem Land, in unserem reichen Land, hat zugenommen. Das ist eine Schande, und wir müssen handeln.
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Meine Damen und Herren, auch die beschlossene sogenannte Grundrente, die nun als großer Erfolg gefeiert wird, ist nicht ausreichend. Wir als Linke sagen: Wir wollen eine solidarische Mindestrente; denn diese Grundrente ist nur eine notdürftige Reparatur an den Hartz-IV-Gesetzen. Es ist Zeit, endlich eine solidarische Mindestrente zu beschließen.
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Vierter Irrtum der Koalition. Sie denkt, mehr Sicherheit gibt es nur, wenn wir mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben. Wir sagen eindeutig: Das ist falsch.
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Die Bundeswehr wird von der Koalition mit Geld nur so überschüttet, und wir wissen ja aus den vergangenen Jahren, dass die Ministerinnen gar nicht wissen, was sie mit dem Geld eigentlich machen sollen. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben unsere Sicherheit nicht erhöht. Sie müssen sich einmal überlegen: Seit 18 Jahren – das entspricht der Zeit von der Geburt bis zum Abitur – ist die Bundeswehr in Afghanistan, und es ist immer noch Krieg. Ich finde, wenn man erkannt hat, dass eine Sache falsch ist, dann muss man sie beenden. Wir wollen mit zivilen Mitteln mehr Sicherheit erreichen.
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Fünfter Irrtum – darüber haben wir gestern debattiert –: Bildung ist vor allem Ländersache. – Nein, ich sage Ihnen: Bildung ist zu wichtig, um sie allein den Bundesländern zu überlassen. Vor allem dürfen wir nicht länger akzeptieren, dass die reichen Bundesländer auf Kosten der armen Bundesländer ihre Probleme lösen wollen. Wir haben es doch beobachtet: Gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer gehen dorthin, wo sie besser bezahlt werden. Ostdeutschland altert viel schneller als die alten Bundesländer, weil so viele junge und gut ausgebildete Menschen nach Süddeutschland ausgewandert sind, darunter viele Lehrerinnen und Lehrer. Ich finde, der brutale Konkurrenzföderalismus schadet Deutschland. Hier müssen wir ein Stoppschild setzen, meine Damen und Herren.
({10})
Sechster Irrtum der Koalition: Unser Gesundheitssystem funktioniert nur, wenn mit Krankenhäusern, Pflegeheimen und Medikamenten maximaler Profit gemacht werden kann. – Wir sagen Ihnen: Das Gegenteil ist richtig. Die Ausrichtung unseres Gesundheitssystems auf Profit hat nämlich großen Schaden angerichtet. Gesunde Menschen werden operiert, weil es Geld bringt, und in anderen Fällen wird kranken Menschen nicht ausreichend geholfen, weil es eben nicht genug Geld bringt. Offensichtlich ist das Geld in unserem Gesundheitssystem falsch verteilt.
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Zu Gesundheitsminister Spahn, der ja gerne für seinen Fleiß gelobt wird, kann ich nur sagen: Fleiß ist kein Kriterium. Es geht darum, dass man die richtigen Dinge tut, das Richtige anpackt. Ich finde – wir haben auch gestern darüber gesprochen –, dass das Fallpauschalensystem, das an Profit und Gewinnen und nicht an Gesundheit orientiert ist, ein Konstruktionsfehler ist, den wir jetzt endlich, nach diesen vielen Jahren, beheben müssen, meine Damen und Herren.
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Siebter Irrtum: Die Koalition denkt, Demokratie wird in erster Linie von Polizei, Geheimdiensten und Justiz verteidigt.
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Ich sage Ihnen: Die Demokratie wird in erster Linie von den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes verteidigt. Wenn Sie das verstanden hätten, dann würden Sie nicht Organisationen angreifen, die sich für Demokratie einsetzen.
Wir haben gestern in der Debatte über das Programm „Demokratie leben!“ gesprochen. Da wurden die Mittel erst dramatisch zusammengestrichen, und nach dem fürchterlichen Terroranschlag von Halle wurden Sie dann von der Öffentlichkeit gezwungen, die Mittel wieder leicht aufzustocken. Wir müssen dieses Programm stärken und schützen. Es ist nicht gut, über komische Projektfinanzierung zu diskutieren; wir müssen uns zu diesem Programm bekennen, meine Damen und Herren.
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Ich finde, dass der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, ist ein Anschlag auf das demokratische Immunsystem unserer Gesellschaft.
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Wir fordern die Bundesregierung auf, die Gemeinnützigkeit so zu regeln, dass sich Vereine natürlich politisch äußern können. Und ich sage: Vereine sollen sich politisch engagieren und Zivilcourage zeigen. Das stärkt unsere Demokratie. Verteidigen wir gemeinsam VVN-BdA, meine Damen und Herren!
({16})
Achter Irrtum der Bundesregierung: Die Bundesregierung hält Andreas Scheuer immer noch für verkehrstauglich. – Wir nicht!
({17})
Der Verkehrsminister hat mit seinem Mautdesaster rund eine halbe Milliarde Euro an Steuergeldern in den Sand gesetzt. Eine alleinerziehende Mutter, die einen Termin beim Jobcenter verpasst, wird so sanktioniert, dass sie um ihr Existenzminimum gebracht wird. Frau Merkel – sie ist zwar nicht da; aber man kann es ihr sicher erzählen –, Sie haben schon etliche Minister entlassen, und dabei waren Sie erfolgreich.
({18})
Ich finde, Sie sollten auch Herrn Scheuer wegen Unfähigkeit und Verschwendung aus dem Amt entlassen. Er fällt auch nicht in Armut, und er hätte wesentlich mehr Zeit, das Reeperbahn Festival zu besuchen, meine Damen und Herren.
({19})
Die Linke hat sich die Frage gestellt: Wird mit diesem Haushalt unser Land sozialer, friedlicher und gerechter? Wir haben den Eindruck: Geld ist vielfach an die falsche Stelle gesetzt worden – viel zu viel Geld für Rüstung, zu wenig Geld für Zukunftsfragen. Darum sagt Die Linke Nein zu diesem Bundeshaushalt.
Herzlichen Dank.
({20})
Vielen Dank, Gesine Lötzsch. – Nächster Redner: für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Tobias Lindner.
({0})
Vielen Dank, geschätzte Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU probiert in jüngster Zeit, sich witzig und innovativ zu geben.
({0})
– Das glauben Sie. – Sie haben diese Woche im Internet ein Bild veröffentlicht mit der Überschrift „Wir stehen zu unserem Fetisch“.
({1})
Da war dann eine schwarze Null mit einer Lederkappe obendrauf zu sehen. Das mag vielleicht witzig sein, und Sie mögen vielleicht auf dem Reeperbahn Festival damit auftreten können,
({2})
aber ich kann Ihnen eines verraten: Die besten Werbeagenturen und die originellsten Sprüchemacher können vielleicht nette Sharepics erzeugen, aber mit Sicherheit keine vernünftige und zukunftsgerichtete Finanz- und Haushaltspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Seien wir doch ganz ehrlich: Ihre schwarze Null, bei der Sie sich seit Jahren gegen den Vorwurf gewehrt haben, sie sei ein Fetisch, feiern Sie heute als solchen ab. Ihre schwarze Null ist doch von einem selbstgesteckten, durchaus ambitionierten Ziel inzwischen zu einer leeren Hülle, zu einem Pappkameraden verkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Wir könnten ja darüber streiten, ob das die richtige Haushaltspolitik ist, wenn Sie sie wenigstens selbst verfolgen würden, wenn Sie wenigstens eine Haushaltspolitik betreiben würden, die dazu führt, dass die Einnahmen die Ausgaben im Bundeshaushalt 2020 decken. Was machen Sie stattdessen? Sie tricksen herum. Sie legen hier heute einen Haushalt vor, bei dem Sie nicht nur 10 Milliarden Euro aus der Rücklage nehmen, nein, sondern bei dem Sie auch eine globale Minderausgabe ausweisen. Das heißt, Sie müssen am Ende 5 Milliarden Euro weniger ausgeben, als im Finanzplan vorgesehen ist. Das hat nichts mit einer schwarzen Null zu tun, das hat noch weniger mit einer vernünftigen Haushaltspolitik zu tun: Das ist gewürfelte Haushaltspolitik, das ist Chaos, was Sie uns heute hier vorlegen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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– Kollege Kahrs, gerade wegen des Themas Reeperbahn Festival sollten Sie ganz still sein.
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Das Bild von der schwäbischen Hausfrau ist ja in dieser Woche oft bemüht worden. Überlegen wir uns einmal, was ein schwäbischer Hausmann oder eine schwäbische Hausfrau in so einer Situation tun würde. Er oder sie würde, wenn das Haus verfällt, wenn die Firma, der mittelständische Betrieb investieren muss oder vor neuen Herausforderungen steht, doch nicht hergehen und einfach nur darauf schauen, ob man das alles mit Eigenkapital finanzieren kann. Vielmehr wird jemand, der sich wirklich Sorgen um die Zukunft macht, doch sagen: Ich muss, weil ich verantwortungsbewusst bin, zu einem gewissen Teil Fremdkapital aufnehmen. Ich kann doch mein Haus nicht verfallen lassen, nur um am Ende des Tages eine schwarze Null auf dem Zettel zu haben. – So ist doch die Lage, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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In dieser Situation sagen wir Grüne ganz eindeutig: Wir dürfen nachhaltige Haushaltspolitik doch nicht gegen die Herausforderungen der Klimakrise ausspielen. Was wir Ihnen heute vorlegen, ist ein klarer Vorschlag, der die Maastricht-Kriterien einhält und der nicht zurückgeht in die Zeit vor der Schuldenbremse, sondern der sagt: Wir sind bereit, in einem begrenzten Umfang neue Schulden aufzunehmen – bis zu den berühmten 60 Prozent, die der Maastricht-Vertrag vorsieht –, wenn sie zweckgebunden sind
({8})
und wenn sie zusätzlichen Investitionen in diesem Bundeshaushalt dienen;
({9})
denn unsere Kinder und unsere Enkelkinder haben doch nichts davon, wenn wir am Ende zwar über Jahre hinweg die schwarze Null eingehalten haben, aber das Klima in 20, 30 Jahren irreversibel kippt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({10})
Was Sie stattdessen mit dem Haushalt 2020 machen, ist die Taktik „Augen zu und durch!“. Dieser Pappkamerad mit der Lederkappe, den Sie da ins Schaufenster gestellt haben, ist das Letzte, was Ihre Haushaltspolitik am Ende des Tages ausmacht, und das ist in diesen Tagen zu wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie regieren dieses Land unter Ihren Möglichkeiten.
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Wir haben Ihnen in den Haushaltsberatungen gezeigt, wie es wirklich geht. Wir haben Ihnen in den Haushaltsberatungen viele Vorschläge gemacht, wie man nachhaltige Finanzpolitik mit zukunftsweisender Klimapolitik vereinbaren kann. Sie glauben vielleicht, dass Sie uns heute hier etwas vorlegen können, womit man aufs Reeperbahn Festival gehen kann; aber aus unserer Sicht ist der Haushalt 2020 ein Trauerspiel. Wir lehnen ihn ab.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Tobias Lindner. – Nächster Redner in der Debatte: Bundesminister Olaf Scholz.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir werden heute über den Bundeshaushalt abschließend entscheiden, und das wird dazu beitragen, dass die Regierung im nächsten Jahr ihre Arbeit konsequent fortsetzen kann.
({0})
Das ist eine gute Grundlage für das, was wir uns vorgenommen haben. Ich will deshalb die wichtigsten Aspekte einmal benennen, die für diesen Haushalt prägend sind.
Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger. Das haben wir in dieser Legislaturperiode immer wieder getan. Wir werden es auch weiter tun. Am Ende wird das allein im steuerlichen Bereich eine Entlastung von 25 Milliarden Euro pro Jahr sein. Ein riesiger Batzen. In dieser Größenordnung ist das in früheren Legislaturperioden noch nicht gelungen.
({1})
Es ist auch eine Entlastung, die vor allem bei denen ankommt, um die es geht: den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen, den Familien, die diese Entlastung auch dringend nötig haben. Wir haben uns vorgenommen, das für die nächste Zeit weiter so zu machen.
Dies ist ein Haushalt, der – einige beklagen das, andere loben das; ich will es trotzdem herausstellen – auch sehr davon geprägt ist, dass die sozialen Aufgaben dieses Landes erfüllt werden. Das ist auch wichtig. Wir sollten den Sozialstaat, den wir haben, nicht als eine Last begreifen, sondern als eine der großen Errungenschaften unserer Demokratie. Er trägt dazu bei, dass dieses Land zusammenhält. Er ist nicht nur für diejenigen nützlich, die sehr wenig Geld haben. Vielmehr ist unser ganzes Zusammenleben bis in die Mittelschicht hinein auf die Funktionsfähigkeit dieses Sozialstaates angewiesen.
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Deutschlands Sozialstaatskultur hat sehr viel zu tun mit Sozialversicherungen. Das ist der Pfad, den wir im vorletzten Jahrhundert eingeschlagen haben. Aber natürlich ist es wichtig, dass ihn auch diejenigen mitfinanzieren, die über ganz besonders hohe Einkommen und Vermögen verfügen. Deshalb ist es richtig, dass der Bundeshaushalt, der ja aus Steuern finanziert wird, einen solchen wichtigen Beitrag zur Finanzierung des Gesamtsystems Sozialstaat leistet. Ich finde, wir können darauf stolz sein. Wir sollten das nicht beklagen.
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Das Dritte, was diesen Haushalt ausmacht, ist, dass er die Investitionen massiv ausgeweitet hat. Das werden wir im nächsten Jahr und auch in den folgenden Jahren sehen.
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Wir verfolgen eine expansive Investitionsstrategie. Ich sage deshalb: Ein wenig irritierend ist, dass einige das immer schnell beiseitepacken, um dann zu überlegen, warum sie neue Schulden machen müssen, statt zu sagen, sie finden es richtig, dass wir so sehr und in solchem Umfang investieren. Es ist wichtig für die Zukunft unseres Landes.
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Wir investieren in die Infrastruktur. Es ist wichtig für gleichwertige Lebensverhältnisse, dass nicht nur die prosperierenden Regionen, sondern auch diejenigen, die wirtschaftlich weniger stark sind, davon profitieren.
Wir investieren in Forschung und Entwicklung; ich will das ausdrücklich hervorheben. Es wird für die Zukunft unseres Landes von allergrößter Bedeutung sein, dass wir die Ausgaben in dem Bereich ständig verbessern und erhöhen und dass wir das zusammen mit der Wirtschaft tun. Deutschland hat es jetzt geschafft, mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung auszugeben. Unser Ziel sind 3,5 Prozent. Mit der steuerlichen Forschungsförderung, die auch in diesem Haushalt abgebildet ist, leisten wir den Beitrag dazu, dass die Grundlagen künftigen Wohlstands gewährleistet werden. Auch das ist eine richtige Weichenstellung.
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Eine Sache wird dabei eine große Rolle spielen, nämlich der ökologische Umbau unserer Industriegesellschaft. Wir müssen zeigen und wir müssen erreichen, dass es uns gelingt, dass tatsächlich dieses Land dasjenige ist, das seinen Wohlstand sichern kann und 2050 klimaneutral produziert. Die Forschung, die wir hier unterstützen, und das, was wir an Investitionen in die Infrastruktur tätigen, sind die Grundlagen dafür, dass unser Wirtschaftsmodell klimaneutral funktioniert. Die Weichen dafür sind gestellt.
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Wenn wir über die Zukunft diskutieren, wissen wir auch: Industrie ist das eine. Die werden wir weiter stärken müssen, gerade unter den Perspektiven, die sich mit dem ökologischen Wandel verbinden. Das andere ist, dass wir als Land wirtschaftlich erfolgreich sind, weil wir auch kulturell vorankommen. Aus meiner Sicht ist es deshalb wichtig, dass auch solche Details in dem Gesamthaushalt mit enthalten sind, die dazu beitragen, dass Deutschland in dieser Hinsicht vorankommt.
Ich bin dem Bundestag sehr dankbar, dass er etwas, was mir als Hamburger sowieso ans Herz gewachsen ist, unterstützt; denn die wichtige Popmesse, die das Reeperbahn Festival für Deutschland darstellt, ist ein ganz zentraler Beitrag, mit dem wir weit über Deutschland hinaus leuchten.
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Meine Damen und Herren, der Haushalt trägt uns also in das nächste Jahr und in die nächsten Jahre. Er schafft Voraussetzungen dafür, dass wir die ganz wichtigen Vorhaben, die wir angefangen und angekündigt haben, auch in der nächsten Zeit umsetzen können. Davon will ich einige noch einmal benennen. Wir haben uns als Regierung entschieden, dass wir das deutsche Rentensystem durch eine Respektrente ergänzen wollen, eine Grundrente, die dazu beiträgt, dass diejenigen, die sehr fleißig gewesen sind während ihres Berufslebens, den Respekt auch in ihrem Rentenbescheid wiederfinden. Ich glaube, das ist ein richtiger sozialpolitischer Fortschritt. Die Gesetzgebung muss jetzt beginnen. Das Haushaltsjahr, das jetzt vor uns liegt, bildet die Grundlage dafür, dass wir das umsetzen können.
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Wir haben auch Gesetzesvorhaben, die erst mal nicht den Haushalt berühren werden, aber die dazu beitragen können, dass unser Leben besser wird und dass die Bürgerinnen und Bürger besser planen können. Eines der großen Vorhaben der Regierung für die nächste Zeit, das wir neu anpacken wollen, ist: Wir wollen die unglaublich vielen befristeten Arbeitsverhältnisse zurückdrängen. Deshalb haben wir uns vorgenommen, im nächsten Jahr sicherzustellen, dass die sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse nicht mehr die Perspektiven so vieler Familien beeinträchtigen. Dieses Vorhaben wollen wir im nächsten Jahr umsetzen, auf der Basis der Arbeit, die wir jetzt finanzieren.
({10})
Wir haben uns auch vorgenommen, etwas dafür zu tun, den Wandel, der jetzt stattfindet und über den ich gerade gesprochen habe, so zu gestalten, dass die Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin gute Arbeitsplätze finden. Angesichts dieser großen Veränderungen zum Beispiel in der Automobilindustrie und der großen Veränderungen in anderen Wirtschaftszweigen durch die Digitalisierung wird es verdammt noch mal unsere Aufgabe sein, dafür Sorge zu tragen, dass die Beschäftigten dieser Unternehmen nicht unter diesem Wandel zu leiden haben. Deshalb werden wir sie in dem Transformationsprozess unterstützen müssen. Deshalb werden wir sie mit Kurzarbeitergeld unterstützen und durch Qualifizierungsmaßnahmen in die Lage versetzen müssen, dass es gelingt, dass sie andere Qualifikationen erwerben, die sie für die Zukunft brauchen.
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Zu den Vorhaben, die wir auf dieser Basis anpacken wollen, gehört natürlich auch, dass wir sicherstellen, dass es weitere Reformen gibt beim Kindergeld – das steht demnächst an –, dass wir sicherstellen wollen, dass es mit der Ganztagsbetreuung in den Grundschulen klappt. Das sind wichtige Vorhaben für unsere Familien. Für all das schafft dieses Gesetz eine Grundlage. Ich glaube, wir sollten das für den Fortschritt in unserem Land und für seine Zukunft tun.
Schönen Dank.
({12})
Vielen Dank, Olaf Scholz. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Kay Gottschalk.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Merkel hat ja angekündigt, dass sie die Große Koalition gerne fortsetzen möchte.
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Einige wird das hier tatsächlich freuen. Für mich ist das eher eine brutale Drohung.
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Schauen wir uns doch dazu mal ein paar vergleichende Zahlen der Horrorkanzlerschaft von Frau Merkel an. Im Jahr 2006 lagen die gesamten Steuereinnahmen Deutschlands bei rund 442,8 Milliarden Euro, davon 187 Milliarden Euro für den Bund. Heute nun liegen sie bei rund 800 Milliarden Euro für Gesamtdeutschland und 328 Milliarden Euro für den Bund. Das sind Zahlen des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ vom Oktober 2019.
Meine Damen und Herren, wir sprechen hier von fast einer Verdopplung in 30 Jahren. Man könnte also denken: Deutschland schwimmt im Geld. Schauen wir aber diesbezüglich auf die andere Seite der Bilanz: Ende 2008 lag die Verschuldung des Bundes und seiner Sondervermögen bei 941 Milliarden Euro. Ende 2017 lag diese Verschuldung bei 1,70 Billionen Euro und im September 2019 sogar 15 Milliarden Euro höher. So viel also zu Ihrer schwarzen Null. Die einzige schwarze Null, die hier sitzt, sitzt dort, Herr Scholz, mit Ihrer Person.
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– Herr Kahrs, zu Ihnen fällt mir nur ein: Lass Hirn vom Himmel regnen. Aber das wird bei Ihnen, lieber Herr Kahrs, auch nicht viel nützen.
Im Jahr 2004 hat Deutschland 19,4 Milliarden Euro an die EU abgeführt, mein Kollege hat es gesagt: Sie wollen diesen Betrag bis zum Jahr 2023 auf nahezu 42,6 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. Auch hier also eine Verdopplung. Deutschland kann also bei Ihrer Ausgabenpolitik – der Kollege von der FDP hat es angesprochen – überhaupt nicht im Geld schwimmen.
Eigentlich müsste es durch erheblich gesteigerte Steuereinnahmen mehr als genug Spielräume geben. Stattdessen verprassen Sie das Geld der hart arbeitenden Bevölkerung in Deutschland. Die Koalition könnte also endlich die Steuern senken und den evident verfassungswidrigen Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen und sollte keine neuen Steuern planen, wie Sie das hier gerade angekündigt haben.
Meine Damen und Herren, letztlich bleibt mir zu diesem Haushalt nur eines zu sagen übrig: Er ist fast ein Spiegelbild zum Parteitag der CDU. Der Applaus, den es dort gegeben hat, war ja eher ein Abgesang auf AKK. Der Applaus der GroKo zu diesem Haushalt ist auch nichts anderes als ein Abgesang auf Ihre Große Koalition.
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Eine Regierung, die nur noch aus reiner Verzweiflung, aus Angst vor Neuwahlen zusammengehalten wird – auch der Weg, den die SPD nimmt, wird das zeigen –, hat abgewirtschaftet, weil sie das Staatsvolk nicht mehr vertritt. Sie lassen die Infrastruktur weiter zerfallen. Im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung werden Sie nichts tun. Durch weitere ungesteuerte Massenzuwanderung über die offenen Grenzen werden Sie auch den Sozialstaat final an die Wand fahren. Sie lassen einen Ausverkauf der deutschen Unternehmen und ihrer Technologien zu. Für die kalte Enteignung der Sparer durch den Negativzins sind Sie verantwortlich. Als Königin der finanziellen Finsternis haben Sie, Frau Merkel, Herrn Weidmann, wie ich glaube, verhindert.
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Lassen Sie mich zum Fazit kommen: Es liegt in Ihrer Schuld, dass Deutschland den Anschluss verpasst. Dieser Haushalt ist kein Aufbruch, sondern bestenfalls ein Zusammenbruch, wenn nicht sogar ein finanzieller Untergang dieses Landes. Deshalb stimmen wir diesem Haushalt so nicht zu.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kay Gottschalk. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Alois Rainer.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser Woche sehr viel über die Verwendung der Haushaltsmittel gehört. Der vorliegende Bundeshaushalt, der auf die Herausforderungen und Anforderungen unseres Landes ausgerichtet ist, ist solide durchfinanziert und ein hervorragendes Zahlenwerk für die Sachpolitik. Es ist richtig, dass wir in dieser Regierung unserer Linie treu bleiben und wieder keine Neuverschuldung vornehmen; denn uns ist die Zukunft unserer nachfolgenden Generationen eben nicht egal.
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Wir haben viel über Investitionen gesprochen. Die einen wollen zusätzliche Investitionen über zusätzliche Schulden finanzieren, anderen sind die Investitionen zu wenig. Man muss aber eines festhalten: Wir haben in diesem Etat mit Investitionen in Höhe von 43 Milliarden ein Rekordniveau, wie wir es so noch nie hatten. Ich würde mich freuen, wenn diese 43 Milliarden Euro auch abfließen würden. Hier liegt unser Problem, es liegt in unseren Standards. Wir bringen das Geld nicht auf die Straße, nicht auf die Schiene, nicht auf das Wasser und nicht in die Gebäude, die wir sanieren wollen.
({1})
Hier müssen wir nacharbeiten. Ich bin gespannt, ob wir, wenn die Verfahrensvereinfachungsgesetze aufs Tablett kommen, am Ende Unterstützung aus dem gesamten Haus erhalten.
({2})
Meine Damen und Herren, auch von den Grünen hören wir immer vieles.
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– Nach deiner Meinung vielleicht. – Sie wollen zusätzliche Investitionen. Ich habe es gerade angesprochen: Stimmen Sie auch in den Landesparlamenten zusätzlichen Investitionen bitte zu, wenn der Bund sein Geld zur Verfügung stellt.
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Wir reden in der jetzigen Zeit viel vom Klimaschutz. Es ist vollkommen richtig und notwendig, dass wir hier daran arbeiten. Den einen ist es zu wenig, den anderen zu viel. Auch hier haben wir in dieser Regierung, wie ich denke, eine vernünftige Mitte gefunden.
Aber eines dürfen wir auch nicht außer Acht lassen: Wenn wir über Nachhaltigkeit in den verschiedensten Bereichen sprechen, dann müssen wir auch über Nachhaltigkeit in der Haushalts- und Finanzpolitik sprechen. Denn es wäre nicht redlich, wenn wir nachfolgenden Generationen einen finanziellen Scherbenhaufen hinterließen.
Wenn ich in dieser Woche im Parlament gerade von der Neupartei so manche Aussagen höre, dann frage ich mich schon, ob Ihnen bewusst ist, wie Sie die Bevölkerung in unserem Land spalten. Es war gestern in der Innendebatte beschämend, was Ihre Redner von sich gegeben haben. Sie sind die wahren Spalter unserer Bevölkerung. Sie sind die wahren Spalter in unserem Land.
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Sie wollen nicht, dass es mit unserem Land besser wird.
Meine Damen und Herren, auch habe ich in den zahlreichen zurückliegenden Haushaltsreden vieles von notwendigen Investitionen in Kitas und Schulen gehört. Man muss einmal feststellen: Grundsätzlich ist der Bund nicht zuständig für die Schulen, für die Kitas und für viele andere Investitionen, die hier noch angesprochen wurden. Wir geben aber trotzdem sehr viel Geld für die Schulen aus: Der Bund verdoppelt seine Mittel für das KIP auf 7 Milliarden Euro . Vom zweiten KIP, dem KIP-2, sind noch nicht einmal 200 Millionen Euro abgeflossen. Da müssen wir mehr Tempo hineinbringen.
Im Rahmen des Gute-KiTa-Gesetzes stellt der Bund darüber hinaus 5,5 Milliarden Euro bereit. Für die Ganztagsschulen gibt er 2 Milliarden Euro und für den DigitalPakt Schule 5 Milliarden Euro.
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Also, meine Damen und Herren, man kann uns ja vieles vorwerfen, aber dass wir nicht unterstützen, gerade in den Bereichen Jugend, Kitas und Schulen – und das, obwohl wir eigentlich nicht zuständig sind –, das kann man uns mit Sicherheit nicht vorwerfen. Hier sind wir vorbildhaft unterwegs.
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Abschließend noch ein herzliches Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss für die langen, sehr tollen, intensiven Beratungen, die wir durchgeführt haben. Ich denke, wir haben aus dem vorliegenden Etat im Regierungsentwurf wieder einen guten Haushalt für 2020 erarbeitet. Vielen herzlichen Dank auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die uns über die vielen langen Stunden hier begleiten, und an die Sprecher der Regierungsfraktionen, Johannes Kahrs und Ecki Rehberg. Es wird mit allen Damen und Herren im Haushaltsausschuss eine gute Arbeit für unser Land geleistet.
Ich bin überzeugt: Mit diesem Zahlentableau kommen wir gut über das Jahr 2020, schaffen wir unsere Herausforderungen. Ich bin auch überzeugt, dass wir auch in Zukunft immer wieder einen Etat vorlegen können, mit dem wir auf der einen Seite die Menschen in unserem Land entlasten und auf der anderen Seite kräftig investieren und unser Land weiter an der Spitze dieser Welt halten können.
Danke schön.
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Vielen Dank, Alois Rainer. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Frank Schäffler.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dieser Haushalt ist ein Schönwetterhaushalt: Auf den ersten Blick scheint die Sonne; doch eigentlich läuft der Keller längst voll. Diese Regierung ist für das schlechte Wetter nicht gewappnet.
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Ich will drei Aspekte nennen:
Der erste Aspekt ist die Investitionsquote im Haushalt. Sie sind so stolz darauf, dass die Investitionsquote jetzt bei mickrigen 12 Prozent des Bundeshaushaltes liegt. Über den Sinn der Investitionsquote und den Sinn der öffentlichen Investitionen kann man lange streiten. Doch eigentlich sagen Sie damit, dass 88 Prozent für den Konsum des Staates ausgegeben werden.
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Das unterscheidet Sie von vielen Familienunternehmen in diesem Land. Die investieren nämlich 90 Prozent und konsumieren am Ende 10 Prozent. Das ist der entscheidende Unterschied.
Deshalb ist es auch falsch, die Sozialausgaben immer weiter auszubauen. Gabor Steingart hat gestern in seinem Morning Briefing eine Grafik vorgelegt, die zeigt, wie die Entwicklung des Sozialstaats, der Sozialausgaben in Deutschland inzwischen ist.
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1 Billion Euro gibt der Staat inzwischen für Soziales aus.
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Gabor Steingart schreibt:
Deutschland gibt fürs Soziale pro Kopf mehr aus als die verbliebenen sozialistischen Länder – Nordkorea, Kuba und China – zusammen.
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Liebe Kollegen von der Union, Sie sollten sich einmal an Ludwig Erhard erinnern. Erhard hat den schönen Satz gesagt: „Je freier die Wirtschaft, umso sozialer ist sie auch.“
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Meine Damen und Herren, in diesem Land geht es viel zu sehr um das Verteilen und zu wenig um das Erwirtschaften. Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt. Das ist der Standort Deutschland. Wir müssen den Standort Deutschland wieder in den Fokus unseres Handelns rücken. Der Standort Deutschland fällt zurück. Wir sehen das beim Wachstum. Wir sehen das in der Exportindustrie, und wir sehen das in der Infrastruktur.
Die Politik dieser Regierung muss auf die Stärkung des Standorts Deutschland gerichtet sein. Tatsächlich beschäftigen Sie sich aber mit der Vergangenheit. Allein in der Amtszeit von Angela Merkel sind die Subventionen um 50 Prozent gestiegen. Die Rekordsteuereinnahmen aber sind das Ergebnis von harter Arbeit der Menschen in diesem Land. Diese Menschen zu entlasten, muss herausragendes Ziel sein. Wir haben gestern eigene Vorschläge vorgelegt, wie wir Bürger und Unternehmen in den nächsten fünf Jahren um insgesamt 200 Milliarden Euro entlasten wollen. Das ist unser Vorschlag.
Was uns allen Sorgen bereiten sollte, sind die Auswirkungen der Null- und Niedrigzinspolitik der EZB. Das ist mein dritter Punkt. Es mag für den Finanzminister schön sein, dass er heute 25 Milliarden Euro weniger Zinsen bezahlen muss als sein Vorgänger Oskar Lafontaine vor 20 Jahren. Doch die Schattenseite ist, dass die Sparer in diesem Land enteignet werden. Das sollte uns hier, in diesem Hohen Haus, große Sorgen bereiten.
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Deshalb schlagen wir vor, die Vermögensbildung endlich attraktiver zu machen und die Förderung auch für Aktien, Aktienfonds und Mitarbeiterbeteiligung zu öffnen.
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Dazu brauchen wir eine Aktienkultur in diesem Land, die ein Volk von Eigentümern ermöglicht. Das wäre für den Investitionsstandort Deutschland und gleichzeitig für die Altersvorsorge der Menschen gut. Ansonsten vernichtet die Null- und Niedrigzinspolitik das Sparvermögen der Deutschen. Das scheint zumindest von Ihrer Seite billigend in Kauf genommen zu werden.
Die von Ihnen vereinbarte Grundrente – so falsch das Konzept ist – ist auch völlig unseriös finanziert. Eigentlich müssten die Sozialdemokraten weinend vor dem Reichstag stehen; denn die Finanztransaktionsteuer ist lediglich eine Aktiensteuer. Nicht Derivate und böse Finanzgeschäfte, die Sie besteuern wollten, sondern die gute alte Aktie besteuern Sie. Das ist das Gegenteil einer Aktienkultur in Deutschland.
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Doch nicht nur das: Vor ein paar Tagen hat der Finanzminister ein Positionspapier vorgestellt, in dem er eine europäische Einlagensicherung als Rückversicherung vorgeschlagen hat. Heftiger kann der Schlag ins Gesicht des Sparers in Deutschland nicht sein.
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Warum soll der deutsche Sparer für die Schieflage von Banken in Italien oder Griechenland haften müssen? Ich glaube, Risiko und Haftung müssen zusammengehören. Deshalb ist das ein Irrweg.
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Kommen Sie bitte zum Ende.
Dieser Haushalt ist ein Reeperbahn Festival, bei dem Sie alles raushauen, bis der Arzt kommt. Das ist nicht unser Haushalt.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Frank Schäffler. – Nächster Redner: Sven-Christian Kindler für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während wir hier debattieren, findet draußen vor unserer Tür und in über 500 Städten in Deutschland der Klimastreik statt. Hunderttausende Menschen sind heute wieder auf der Straße gegen die Antiklimapolitik der Bundesregierung. Sie wollen eine Regierung, die endlich ernst macht beim Klimaschutz, und kein Pillepalle mehr.
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Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist ein Offenbarungseid. Damit werden wir nie im Leben das Pariser Klimaschutzabkommen einhalten. Das 1,5-Grad-Ziel ist damit nicht zu erreichen. Das sieht man auch im Haushalt. Sie subventionieren weiter die Flugindustrie, Sie subventionieren weiter den schmutzigen Diesel, und die Klimaschutzausgaben rechnen Sie sich brutal schön. Die Wahrheit ist doch, wenn man ehrlich rechnet, dass die Hälfte der Klimaschutzausgaben schon längst im Energie- und Klimafonds eingeplant war. Das ist doch die Wahrheit.
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Genauso ambitionslos und zukunftsvergessen wie die Klimapolitik ist Ihr Bundeshaushalt. Auf die großen Herausforderungen – Klimakrise, Digitalisierung, Investitionsschwäche, die soziale Spaltung dieser Gesellschaft – gibt es kaum Antworten in diesem Haushalt. Stattdessen haben sich CDU/CSU und SPD diese Woche selbst beklatscht, selbst gelobt,
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gesagt, wie schön doch das Reeperbahn Festival ist, was für tolle Musik dort gespielt wird. Darüber haben wir gerade geredet. Ich kann ankündigen, dass unser Fraktionsvorsitzender Toni Hofreiter als Stargast das Reeperbahn Festival besuchen wird,
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weil es wirklich ein sehr schönes Festival ist. Leider ist Ihr Haushalt nicht so schön wie das Reeperbahn Festival. Das klingt für mich in dieser Woche vielfach nach Autosuggestion, nach Selbstbeweihräucherung. Mit der Realität hat das leider wenig zu tun.
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Denn in der Realität da draußen schließen der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Deutsche Gewerkschaftsbund ein Bündnis und fordern die Regierung gemeinsam auf, die schwarze Null zu kippen. Gemeinsam fordern sie Sie auf, endlich mehr zu investieren – Arbeitgeber, Arbeitnehmer gemeinsam. Genauso fordern das seit Monaten zahlreiche Ökonomen. Doch Sie feiern sich hier bräsig für Ihren Haushalt. Mir kommt es vor, als hätten Sie keine Ahnung mehr, was in der Wirtschaft los ist, als hätten Sie keine Ahnung mehr, was eigentlich die wirtschaftliche Realität in Deutschland ist.
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Nichts symbolisiert das eigentlich besser als ein Sharepic der CDU Deutschland diese Woche auf Twitter. Mein Kollege Tobias Lindner hat das schon erwähnt. Da sieht man eine schwarze Null mit einer Ledermütze, und da steht: „Wir stehen zu unserem Fetisch. CDU“ Nun, so hat jeder seinen eigenen Fetisch. Ich finde das voll okay. Endlich stehen Sie auch dazu. Nur weiß man auch – gerade beim Reeperbahn Festival –, dass man einen Fetisch, den man auslebt, nicht aufoktroyieren darf. Da muss man auf Gegenseitigkeit achten, das muss man freiwillig machen. Das darf man dann nicht aufzwingen.
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Liebe CDU, deswegen wäre mein Vorschlag: Leben Sie doch Ihren Fetisch in der CDU aus. Da galt bis Ende der 90er-Jahre ja eher der Fetisch „schwarze Kasse“ statt „schwarze Null“.
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Aber bitte beschädigen Sie mit Ihrem Fetisch doch nicht diesen Staatshaushalt. Beschädigen Sie bitte nicht die Investitionen in unsere Zukunft und für nachfolgende Generationen. Im Haushalt brauchen wir doch Vernunft und keinen Fetischismus.
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Das einzige Argument in dieser Haushaltswoche gegen mehr Investitionen aus den Reihen der Koalition – gerade auch gehört vom Kollegen Alois Rainer – war ja: Es gibt ein Problem mit der Umsetzung. – Ja, das stimmt. Aber wer ist denn zuständig für die Umsetzung der Investitionen? Wer senkt denn die Investitionen im Finanzplan? Wer ist für den Mittelabfluss zuständig? Wer kann hier das Planungsrecht ändern? Wer kann hier mehr Planerinnen und Planer einstellen?
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Wer ist zuständig für eine verlässliche Investitionsstrategie? Genau, das ist die Koalition, das ist die Regierung. Also beschweren Sie sich doch nicht. Maulen Sie doch nicht rum. Seit sechs Jahren regieren Sie. Machen Sie doch endlich mal was. Kümmern Sie sich endlich mal darum.
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Es geht auch anders. Wir haben hier konkrete Vorschläge vorgelegt, wie man 100 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren in den Klimaschutz investieren kann, wie man klimaschädliche Subventionen abbauen kann,
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wie man die Chancen der Niedrigzinsphase nutzen kann. Man muss es eben auch wollen, man muss es machen. Darum geht es.
Und um das Ende der Redezeit.
Zukunft gibt es nicht zum Nulltarif. Man muss jetzt arbeiten, jetzt anpacken, jetzt investieren.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Sven-Christian Kindler. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Sonja Amalie Steffen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Dienstag habe ich mich in der allgemeinen Finanzdebatte schon ein wenig darüber beschwert, dass nur drei Frauen in der Debatte geredet haben. Jetzt, in der Schlussdebatte, sind es leider wieder nur drei Frauen. Mittendrin war es mal ein bisschen besser, was den Frauenanteil angeht. Ich finde das wirklich schade.
({0})
Deshalb nehme ich diesen Anlass gerne auf, um ein wenig für ein Thema zu werben, das uns von der SPD-Fraktion wirklich sehr am Herzen liegt. Wir haben in diesem Bundestag einen viel zu geringen Frauenanteil von nämlich nur 30 Prozent. Wir haben auch im Haushaltsausschuss einen zu geringen Frauenanteil: von 27 Prozent. Das, denken wir, muss sich ändern.
({1})
Denn wir haben gerade in dieser Woche eindrucksvoll gemerkt, welch tolle Ergebnisse zustande kommen, wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten.
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Deshalb unsere Forderung: Wir brauchen endlich ein Paritégesetz im Bundestag.
In Bezug auf den Bundeshaushalt will ich in meiner kurzen Rede die frauenpolitischen Anteile erwähnen, und ich fange gerne, Herr Minister Müller – vorhin war er noch hier –, mit der Entwicklungszusammenarbeit an. Denn hier haben wir in hohem Maße multilaterale Mittel aufgestockt. Ich denke an UN Women, UNFPA, aber auch an die Bildungsallianz. Denn von diesen Mitteln profitieren in allererster Linie Mädchen und Frauen.
Aber auch hier im Land erreichen wir viel, zum Beispiel im Familienministerium.
Liebe Damen und Herren, meine Kollegin Svenja Stadler hat in der Generaldebatte – daran werden Sie sich bestimmt noch erinnern; es war eindrucksvoll – das Thema „Gewalt gegen Frauen“ in den Vordergrund gestellt. Das ist ein trauriges Thema und auch ein unbequemes Thema. Aber ich fand es ganz toll, dass sie dieses Thema wirklich so hochgezogen hat, dass es auch überall angekommen ist.
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Und ich freue mich sehr, dass wir für dieses traurige, aber wichtige Thema 800 Millionen Euro für das Hilfetelefon in den Haushalt 2020 einbringen konnten und insgesamt sogar 120 Millionen Euro, auf die nächsten Jahre gesehen, für das Investitionsprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“. Das, denke ich, ist sehr gut: für die Frauenhäuser, für die Beratungsstellen und letztendlich auch für ein gutes Klima zwischen Männern und Frauen.
({4})
Auch im Bildungsetat haben wir was gemacht. Da haben wir das erfolgreiche Programm „Frauen an die Spitze“ neu aufgelegt.
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Ja, und dann haben wir in der vorletzten Sitzungswoche das Jahressteuergesetz mit der Änderung verabschiedet – Sie werden sich erinnern –, dass die Mehrwertsteuer auf Monatshygieneprodukte von 19 auf 7 Prozent gesenkt wird. Das mag Ihnen vielleicht nicht wichtig sein, aber für die Gesellschaft ist das wichtig. Denn dieser Gesetzgebung ging eine Petition voraus, die erst Anfang 2019 gestartet ist. Und da fanden sich im Nu 81 000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner. Dass von Anfang 2019 bis jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht wurde, das das umsetzt, zeigt, wie Politik zuhört und schnell handelt.
({6})
Vielen Dank an Finanzminister Scholz, der sich dafür besonders ins Zeug gelegt hat, und natürlich allen anderen Damen und Herren hier im Hohen Hause.
Kommen Sie zum Schluss.
Letzter Satz. – Die Frauenprojekte sind zwar in Summe vielleicht nicht ganz so gigantisch wie das Reeperbahn Festival, aber ich finde, sie können sich sehen lassen.
Herzlichen Dank.
({0})
Wer macht eigentlich die Strichliste, wer es am häufigsten nennt?
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Ich bin schon auf den nächsten Reiseantrag des Haushaltsausschusses gespannt.
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Da müssen wir aufpassen, ob wir den genehmigen. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Stefan Keuter.
({2})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Mir kommt heute die ehrenvolle Aufgabe zu, am Ende einer langen Haushaltswoche als letzter Redner für die größte Oppositionsfraktion in diesem Hohen Hause zu sprechen und Ihnen noch einmal die Leviten zu lesen.
({0})
Wir können in diesem Haushalt eine Ausrichtung in Richtung links-rot-grünem Sozialismus erkennen.
({1})
Wir entscheiden hier über 360 Milliarden Euro. Das sind 60 Milliarden Euro mehr als noch vor sechs Jahren.
Wir steuern Richtung Rezession, aber statt dass Sie den Gürtel enger schnallen, werfen Sie das Geld mit beiden Händen raus. Sie stellen wissenschaftlich nicht bewiesene und völlig sinnlose Klima-, Umwelt- und CO2-Ziele über das Wachstum, den Wohlstand und die Arbeitsplätze in diesem Land.
({2})
Aber die Bürger in diesem Land begehren gegen Sie auf. Wir haben es diese Woche gesehen – sehr bildhaft, hier in Berlin –: die Landwirte, die mit ihren Ackerschleppern die Stadt zugemacht haben und ihrem Unmut über Ihre verfehlte Agrar- und Umweltpolitik Luft gemacht haben. Aber ich sage Ihnen: Solange es die AfD in diesem Hause gibt, werden Sie die Bauern nicht schassen, wie Sie es bereits mit den Bergarbeitern gemacht haben.
({3})
Bereits Helmut Kohl wusste: Legen Sie sich nicht mit den Bergleuten und den Bauern an!
Kommen wir zum Verbrennungsmotor. Sie werden feststellen, wenn Sie Ihre verfehlte Politik weitermachen und den Verbrennungsmotor abschaffen wollen, dass Ihnen bald jeder vierte Steuer-Euro fehlen wird. Wenn Sie die Automobilindustrie und die Zulieferer plattgemacht haben werden, ja dann werden Sie gezwungen sein, den Gürtel enger zu schnallen.
Sprechen wir aber noch über Ihren größten politischen Fehler in diesem Jahr: Ihre Regelung zum Solidaritätszuschlag. Der Solidaritätszuschlag ist eine verfassungswidrige, unzulässige Dauer- und Sonderabgabe, die es inzwischen seit 26 Jahren gibt. Der Solidaritätszuschlag gehört abgeschafft, und zwar nicht nur zur Hälfte, beginnend ab Ende nächsten Jahres, sondern komplett, und zwar sofort.
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Wir haben Ihrem Haushaltsgesetzentwurf einen Entschließungsantrag beigestellt. Ich bitte Sie, nein, ich flehe Sie an: Stimmen Sie diesem zu, damit Ihnen keine Prozesslawine droht und Sie Rückstellungen in Höhe von 10 Milliarden Euro jährlich machen müssen.
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Das ist ein Beitrag zur Steuergerechtigkeit in diesem Land.
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Unser Urteil zu Ihrem Haushaltsentwurf ist vernichtend. Er ist Flickschusterei, er macht finanzielle Geschenke, wie die zweistelligen Millionenbeträge für das Reeperbahn Festival. Ich würde es gar nicht ansprechen, wenn nicht Herr Kahrs seit Jahren seine schützende Hand über dieses Festival halten würde. Da wäre mir ein Niederbonsfeld Festival oder Niederelfringhausen Festival deutlich lieber als ein Reeperbahn Festival.
Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Punkte ansprechen, die in diesem Haushalt gar keine Berücksichtigung finden. Das eine sind die 33 Milliarden Euro, die wir jährlich nach Brüssel überweisen – schön am Haushalt vorbei, es könnte ja vielleicht den Bürger verunsichern –, das andere sind die 7,6 Billionen Euro Haftungssumme, die Deutschland eingegangen ist, Geld, das zukünftige Generationen erst erwirtschaften müssen, was im Haushalt keine Berücksichtigung findet. Das sind 20 Bundeshaushalte. Sie verschulden hiermit zukünftige Generationen. Sie verschulden die Nachkommen unseres Landes.
Herr Kollege.
Sie verschulden das deutsche Volk. Das ist abzulehnen.
Wir lehnen Ihren Haushaltsentwurf ab, bitten aber gleichwohl, unserem Änderungsantrag zum Solidaritätszuschlag zuzustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Danke schön, Stefan Keuter.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anders als es die Opposition hier darstellen möchte, ist dieser Haushalt ein ausgeglichener Dreiklang zwischen Konsolidierung, Investitionen und finanziellen Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger. Diese Investitionen werden wir im ganz wesentlichen Umfang dem Thema widmen, das die Bürgerinnen und Bürger beschäftigt, nämlich dem Thema Wohnen.
Neben dem sozialen Wohnungsbau – dort stellen wir den Ländern seit Jahren Gelder zur Verfügung – werden auch in diesem und im nächsten Haushalt weitere Programme von 2 Milliarden Euro aufgelegt, damit Bürgerinnen und Bürger eine vernünftige und preiswerte Wohnung finden. Wir haben es ergänzt um die steuerliche Sonderabschreibung im Mietwohnungsneubau. Es ist eine jährliche Steuerentlastung von 235 Millionen Euro. Daraus werden geschätzt Investitionen von 2,3 Milliarden Euro, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP. Nach unserem Wirtschaftsgefühl sind Investitionen nicht nur dann gut, wenn sie staatlich sind, sondern wir motivieren auch Privatpersonen, in den Mietwohnungsneubau zu investieren. Das ist auch sinnvoll für die Menschen in diesem Land.
({0})
Der Gebäudesektor ist für 14 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Deshalb ist es richtig, dass wir die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung auf den Weg bringen. Mit bis zu 40 000 Euro können Einzelmaßnahmen gefördert werden, die Bürger an ihren eigenen Wohnungen vollziehen. Das ist eine Jahresauswirkung von über 200 Millionen Euro, die wahrscheinlich das Zehnfache an Investitionen nach sich zieht.
Und: für Familien das Baukindergeld. Familien können zehn Jahre lang 1 200 Euro pro Kind für Wohneigentum bekommen. Im Bundeshaushalt stehen 860 Millionen Euro zur Verfügung. Das hilft Familien, Eigentum zu schaffen, wie Sie, Herr Schäffler, es eben gefordert haben. Deshalb wundert es mich schon, dass Sie ausgerechnet an der Stelle den Familien das Baukindergeld nicht gönnen. Wir halten Mietwohnungsneubau und Eigentumsförderung für eine richtige Kombination. Das Ganze wird unterstützt durch KfW-Programme für diejenigen, die nicht Eigenheime kaufen oder bauen, sondern Kredite aufnehmen wollen.
({1})
Langfristig ergänzen wir das auch für Familien, die jetzt noch nicht bereit sind, ihre Wohnung zu kaufen, durch die Wohnungsbauprämie. Damit haben wir in den ersten zwei Jahren dieser Legislaturperiode fast alle Maßnahmen, die steuerlich für den Wohnungsbau im Koalitionsvertrag vorgesehen waren, erreicht. Nach zwei Jahren sind fast alle Maßnahmen, die wir versprochen haben, durchgesetzt.
Eine Maßnahme bleibt übrig, um die wir uns aber nahtlos weiter kümmern: Das ist der Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer. Wir möchten, dass Familien, die Eigentum erwerben, einen Freibetrag bekommen. Wir werden die Länder motivieren, diesen Freibetrag für Familien im Grunderwerbsteuergesetz auch anzuwenden.
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Um Familien geht es auch bei den weiteren Unterstützungen. Das Familienentlastungsgesetz, das wir verabschiedet haben, wird 2020 das erste Mal die volle Jahreswirkung zeigen – 10 Milliarden Euro, die wir den Familien wiedergeben, davon 2,2 Milliarden Euro Kindergeld und Kinderfreibetrag. Wir werden da weitermachen. 2021 wird die Erhöhung von Kindergeld und Kinderfreibetrag den Familien weitere 3 Milliarden Euro wiedergeben. Dazu kommt der Kinderzuschlag mit 900 Millionen Euro; auch dieser Zuschlag ist eine massive Entlastung für Familien in den unterschiedlichsten Lebenssituationen.
Also, wenn die Opposition uns vorwirft, wir würden das Geld verprassen, dann sage ich: Wir „verprassen“ das Geld in diesem Jahr ganz wesentlich, um die Menschen in diesem Land zu unterstützen, um ihnen Geld wiederzugeben, das ihnen zusteht und womit sie natürlich auch Investitionen auf den Weg bringen können.
Nicht Barleistungen, sondern Naturalien, Sachleistungen, sind die Investitionen, die wir in Kindergärten und Schulen vornehmen. Nachdem wir mit 4,4 Milliarden Euro den Bau von 500 000 Kindergartenplätzen finanziert haben, haben jetzt die letzten Länder das Gute-KiTa-Gesetz unterschrieben. Am 20. November ist die letzte Unterschrift auf den Weg gebracht worden, sodass wir den Ländern jetzt 5,5 Milliarden Euro geben, die sie für die Verbesserung des Fachkräfteschlüssels in den Kindergärten, für die Gewinnung von Fachkräften und für die Entlastung von Eltern bei den Gebühren ausgeben. 60 Millionen Euro geben wir, damit zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher in den Kindergärten angestellt werden können. Auch damit verbessern wir die Qualität.
Bei den Schulen haben wir ein ähnliches Bild: 3,5 Milliarden Euro haben die Kommunen von uns bekommen, um Schulsanierung voranzutreiben. Jetzt kommt eine weitere Milliarde Euro für das Ganztagsprogramm in Grundschulen. Wir möchten, dass Frauen, die das wollen, verbindlich sicher sein können, dass ihre Kinder in der Schule ein Mittagessen zur Verfügung gestellt bekommen und auch nachmittags betreut werden. Dies finanzieren wir mit 1 Milliarde Euro.
Mit dem DigitalPakt Schule kommt die Schule endlich in der Zukunft an. Mit weiteren 5 Milliarden Euro werden Schulen moderner. Die letzten Schulen sind im Moment auf dem Weg, Konzepte zu erstellen. Das Geld wird dann hoffentlich zügig abgerufen.
Allerdings – und das ist ein Wermutstropfen – hat uns der Bundesrechnungshof auch schon ermahnt, dass wir in diesen Bereichen – Kinderbetreuung und Schule – ganz massiv in kommunale und Landesaufgaben hineinfinanzieren. Ich zitiere – mit Genehmigung der Präsidentin – den Bundesrechnungshof:
Alle wesentlichen Aufgabenbereiche der Länder und Kommunen werden mittlerweile durch Bundesmittel alimentiert …
Und: „Der Bund sollte über seine vielfältigen Aktivitäten zugunsten der Unterstützung …“ sich auf seine Kernaufgaben und seine eigenen Aufgaben konzentrieren.
Zu diesen eigenen Aufgaben des Bundes fallen mir gleich zwei im Bereich des Steuerrechts ein. Die erste ist, dass wir die vielen Ehrenamtlichen in unserem Land entlasten wollen. Wir wollen ein Gemeinnützigkeitsgesetz auf den Weg bringen, wir wollen die Ehrenamtspauschale, die Übungsleiterpauschale überdenken, und wir wollen vor allen Dingen Vereine von Bürokratie entlasten, damit viele in diesem Land weiter ihre Zeit opfern können für andere Menschen, um dieses Gesellschaftssystem menschenfreundlich und friedlich zu halten.
({3})
Die zweite – und das ist uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion besonders wichtig –: Um in dem hohen Ausmaß Steuermittel für Investitionen zur Verfügung stellen zu können, müssen wir auch sicherstellen, dass Wirtschaft und Unternehmen weiterhin hohe Steuern zahlen können, dass sie wettbewerbsfähig sind. Da ist in diesem Haushalt einiges passiert. Deutschland gehört zu den fünf Ländern auf der Welt, die am meisten für Forschung und Entwicklung ausgeben. Neben Programmen wie ZIM und INNO-KOM, aber auch dem Programm zur Existenzgründung von innovativen Unternehmen und dem Programm Mittelstand-Digital, haben wir jetzt endlich die steuerliche Forschungsförderung auf den Weg gebracht. Das heißt, Unternehmen können, wenn sie forschen und entwickeln, das Ganze steuerlich geltend machen und damit Steuergelder zur Unterstützung erhalten.
Und: Wir haben endlich eine EU-rechtskonforme Lösung für Landwirte gefunden, sodass sie die Gewinnglättung über mehrere Jahre vornehmen können. In den Jahren, in denen der Gewinn niedrig ausfällt wegen Dürre oder auch manchmal wegen Stürmen, können sie weniger Steuern zahlen und den Gewinn im nächsten Jahr versteuern.
Wir haben im Bürokratiebereich einiges getan. Ich nenne die Bonpflicht; ein Beispiel, das jetzt durch die sozialen Medien geht. Nein, es ist nicht erforderlich, dass der Bäcker einen Bon ausdruckt. Er kann sich von der Bonpflicht befreien lassen. Außerdem haben wir die Kleinunternehmergrenze angepasst und die Lohnsteuerpauschalierungen verbessert.
Das alles reicht natürlich nicht. Wir brauchen eine Unternehmensteuerreform. Gott sei Dank ist nächste Woche der 6. Dezember, danach geht das Leben weiter, und ich hoffe, dass es mit einer Unternehmensteuerreform weitergeht, und zwar einer, die seriös finanziert ist, anders als die der FDP mit ihren 200 Milliarden. Das kann eigentlich nur nach einem Reeperbahnbesuch ausgedacht worden sein. Wir wollen eine vernünftige Finanzierung, die werden wir sicherstellen. Ich freue mich sehr, diese Beratungen mit Ihnen fortsetzen zu können.
Danke schön.
({4})
Vielen Dank, Antje Tillmann. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Johannes Kahrs.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich an dieser Stelle zunächst sehr herzlich bei Claudia Roth bedanken. Die Übergabe des Weihnachtsbaums an die Lebenshilfe, die du mit Ulla Schmidt im Paul-Löbe-Haus vorgenommen hast, und deine Rede dazu waren großartig, sehr berührend. Ganz herzlichen Dank, liebe Claudia.
({0})
Der Haushalt, den diese Große Koalition hier heute vorstellt, Olaf Scholzʼ Haushalt, ist solide, ist vernünftig, ist gerecht. Es ist ein Haushalt, der den Anforderungen des Klimawandels gerecht wird, es ist ein Haushalt, der keine neuen Schulden macht. Im Gegensatz zur CDU/CSU, für die die schwarze Null – wie Sie selber propagieren – ein Fetisch ist, ist es für uns eine inhaltliche Überzeugung. Wir sind für Generationengerechtigkeit.
({1})
Wir wollen die Jungen nicht mehr belasten. Deswegen setzen wir uns hier mit durch und machen keine neuen Schulden. Denn wir alle wissen: Sozialdemokraten können mit Geld umgehen.
({2})
Ich möchte mich an dieser Stelle auch ganz herzlich bei Svenja Schulze bedanken. Für das Klimaschutzprogramm, das vorgelegt worden ist, hast du lange gekämpft. Wir müssen einen Umbau der Industriegesellschaft vornehmen. Das Ganze muss sozial gerecht sein, es muss wirtschaftlich vernünftig sein, und es muss vor allem den Anforderungen des Klimawandels gerecht werden. Vielen Dank für deinen Beitrag dazu.
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Des Weiteren möchte ich mich ganz herzlich bei Franziska Giffey bedanken. Der Etat für den Bereich Familie ist so hoch wie noch nie. Du hast dich sehr dafür eingesetzt. Olaf Scholz kann von vielen Gesprächen berichten. Im Ergebnis ist es, glaube ich, ein hervorragendes Programm, das hier vorliegt, ein hervorragender Haushalt, der hier vorliegt.
Wichtig ist uns, dass insbesondere die Freiwilligendienste gestärkt worden sind.
({4})
Das THW hat 2 000 Stellen beim Bundesfreiwilligendienst. Es hat Stellen gegeben, es hat Personal gegeben. Wir wollen keine Zwangspflicht. Wir haben die Wehrpflicht nicht abgeschafft, das haben CDU, CSU und FDP gemacht. Wir glauben, dass das auch jetzt freiwillig geht mit dem Bundesfreiwilligendienst. Wir haben das Freiwillige Soziale Jahr gestärkt und ausgebaut. Wir haben alle gemeinsam für Programme wie „Demokratie leben!“ gekämpft. Wir haben das Niveau des Vorjahres erreicht. Für uns ist wichtig, dass wir das Demokratiegesetz am Ende durchsetzen und dass es kommt. Deswegen vielen Dank für die gute Zusammenarbeit, Franziska.
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Dieser Haushalt zeigt auf, dass wir Sozialdemokraten, dass diese Große Koalition insgesamt für einen starken, für einen erfolgreichen, für einen durchsetzungsfähigen Staat steht, zum Beispiel im Bereich der inneren Sicherheit, wo wir viele Stellen bei der Polizei, beim Zoll und bei den Diensten finanziert und durchgesetzt haben. – Da können Sie ruhig zuhören auf der Seite rechts außen. – Wir haben zivilgesellschaftliches Engagement gefördert, insbesondere mit „Menschen stärken Menschen“. Dafür gibt es noch einmal 10 Millionen Euro zusätzlich.
Im Ergebnis ist das ein Haushalt, auf den wir alle stolz sein können. Von der Opposition habe ich heute nur gehört, dass Sie gegen die schwarze Null sind, dass Sie neue Schulden machen wollen.
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Ehrlicherweise muss man aber sagen: Auch überall da, wo Sie selber regieren, zum Beispiel in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz, gibt es eine schwarze Null, werden keine neuen Schulden gemacht. Sie als Grüne regieren in den Ländern – die Linke macht das genauso –, und überall, wo Sie Minister stellen – Sie stellen sogar den Finanzsenator in Bremen –, machen Sie keine neuen Schulden. Wie verlogen ist denn das, diese Regierung hier für etwas anzugreifen, was Sie selber tun, wenn Sie regieren? Das kann doch nicht angehen!
({7})
Deswegen: Gehen Sie in sich, unterstützen Sie die großartige Regierung.
Vielen Dank.
({8})
Vielen Dank, Johannes Kahrs. – Kann ich jetzt noch mal um Ruhe bitten? Freuen Sie sich aufs Reeperbahn Festival!
({0})
Ruhe, bitte!
Jetzt kommt der letzte Redner in einer langen Haushaltsdebattenwoche, Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die positive Nachricht des Tages ist – und das deklassiert viele Aussagen, die in dieser Debatte gerade vonseiten der Oppositionsfraktionen getroffen worden sind –: Deutschland hat die höchste Beschäftigung seit der Wiedervereinigung. Wir haben in Deutschland 45,4 Millionen Menschen in Arbeit, über 300 000 mehr als letztes Jahr.
({0})
Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit. Allen Kassandrarufen zum Trotz zeigen diese Zahlen, dass wir wirtschaftlich stabil sind, sozial ausgleichend und dass – das ist das Beste, was diesem Land passieren kann – Arbeit da ist. Arbeit ist immer besser als Arbeitslosigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung. Als ich 2005 in den Deutschen Bundestag gekommen bin, als wir die Erblast von Rot-Grün übernommen haben, stand die Zahl von 5 Millionen Arbeitslosen im Raum. Wir haben heute knapp über 2 Millionen Arbeitslose und einen Beschäftigungsaufwuchs um über 5 Millionen.
({2})
Ich glaube, das zeigt, wie erfolgreich die letzten Jahre der Politik unter Angela Merkel waren.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Tobias Lindner, wer angesichts der Tatsache, dass wir keine neuen Schulden machen, von „Pappkameraden“ redet, dem sage ich: Als ich 2009 in den Haushaltsausschuss gekommen bin, hatte der Etat einen Umfang von 300 Milliarden Euro, Sollschuldenhöhe: 86 Milliarden Euro. Und ihr habt keinen Beitrag dazu geleistet, dass wir 2014 einen ausgeglichenen Haushalt hatten.
({4})
Das haben wir mit der FDP hingekriegt, und wir haben das mit der SPD gemacht. Ehe man hier von „Pappkameraden“ redet, sollte man sich die eigene Haushaltspolitik der letzten Jahre angucken. Es ist vernichtend, was ihr da auf den Tisch gepackt habt.
({5})
Was ihr mit eurem 35-Milliarden-Fonds macht, das ist
({6})
Trickserei und Umgehung des Grundgesetzes, Umgehung der Schuldenbremse, nicht mehr und nicht weniger.
({7})
Ihr wollt die deutsche Bevölkerung austricksen, neue Schulden machen und die Verfassung von hintenrum brechen. Das wird mit Union und SPD – das sage ich zu – nicht zu machen sein.
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Dass es auch anders geht, das zeigen wir: keine neuen Schulden, Generationengerechtigkeit.
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– Ich finde, man sollte wirklich mal überlegen, was man mit der eigenen Politik anstellt: 35 Milliarden Euro Trickserei, neue Schulden im ersten Jahr, im zweiten Jahr sind es 70, im dritten 105, nach zehn Jahren 350 Milliarden. Dann wäre der Schuldenstand der Bundesrepublik Deutschland – und irgendwann werden die Zinsen auch wieder steigen – bei 1,5 Billionen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn ihr von Nachhaltigkeit redet, dann muss ich euch sagen: Das, was ihr hier betreibt, ist überhaupt nicht nachhaltig, das ist eine Politik gegen die junge Generation, das ist eine Politik gegen die Zukunft der Kinder und der Jugend unseres Landes.
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Herr Kollege, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Frau Hajduk?
Ich lasse sonst gerne Fragen zu; das macht mir viel Spaß. Aber da das die letzte Rede ist und viele Kolleginnen und Kollegen auch in Richtung Heimat wollen,
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sage ich: Anja Hajduk, das können wir im Haushaltsausschuss miteinander austragen.
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Liebe Kollegen der FDP, lieber Kollege Schäffler, 88 Prozent der Mittel im Haushalt für Konsum? Was soll denn dieses dumme Zeug? Was soll denn das? Die Bundespolizei ist kein Konsum! Der Zoll ist kein Konsum!
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Forschungsgelder sind kein Konsum! Was Sie hier erzählen, ist doch ein Unfug. Das sind Fakes, die Sie hier verbreiten. Ich finde es unsäglich, was hier läuft.
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Ein weiterer Punkt: das Thema Bildung. Otto Fricke stellt sich am Dienstag hierhin und erzählt, dass der Bildungsetat nur um 82 Millionen Euro aufgewachsen ist.
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Sein Fraktionsvorsitzender Christian Lindner erzählte sogar, dass er gesunken ist. Er hat wahrscheinlich nur den Regierungsentwurf gelesen.
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Was ihr völlig vergessen habt – und das gehört wirklich zu einer seriösen Argumentation –: Die Kompensationszahlungen für den Hochschulbau in Höhe von über 700 Millionen Euro werden jetzt durch die Neuverteilung der Umsatzsteuer im Bund-Länder-Finanzausgleich abgebildet, und beim BAföG haben wir abgesenkt, weil die Bedarfe nicht da sind. Deswegen ist der Etat um 1 Milliarde Euro hier runtergegangen, aber gleichzeitig sind die zur Verfügung stehenden Mittel konstant geblieben. Das heißt, wir haben auf vielen anderen Gebieten 1 Milliarde Euro zusätzlich für Bildung und Forschung ausgegeben. Das ist die ganze Wahrheit – und nicht die Fakes, die Sie als FDP hier verbreiten!
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Ein genauso großer Unsinn ist, dass 82 Prozent der Haushaltsmittel bei der SPD gelandet sind. Was ist denn das für ein Quatsch?
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Na klar: Wir haben 400 Millionen Euro vom Bundesinnenministerium ins Bundesfinanzministerium rübergenommen, weil die IT-Zuständigkeit dort rübergewandert ist. Oder zählt ihr vielleicht auch die rechtliche Notwendigkeit dazu, dass die Mittel für das ALG II und die KdU um 1,5 Milliarden Euro aufgewachsen sind? Natürlich stehen wir dazu: Wenn die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind und wir die Mittel nachbessern müssen, dann haben wir das getan.
Und dann den Mützenich noch auf den falschen Pfad führen, und der sagt dann, der Haushalt sei von der SPD geprägt! Liebe Kolleginnen und Kollegen, da habt ihr ganze Arbeit geleistet; das stimmt.
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Mützenich ist euch auf den Leim gegangen – kein anderer.
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Ein letzter Punkt, lieber Kollege Schäffler.
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– Der Haushalt ist von der CDU durch 1,42 Prozent NATO-Quote im Verteidigungshaushalt,
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fast 4 000 neue Stellen im Bereich innere Sicherheit
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und mehrere Hundert Millionen Euro zusätzlich im Verkehrsetat geprägt. Wenn ich noch zehn Minuten Redezeit hätte, könnte ich Ihnen alle Einzelpunkte durchdeklinieren. Das lasse ich aber an dieser Stelle.
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Eine letzte Bemerkung, Kollege Schäffler. Sie wollen die Menschen in fünf Jahren um 200 Milliarden Euro durch Luftbuchungen entlasten. Wir als Große Koalition werden die Menschen im Jahr 2021 – auch das könnte ich Ihnen runterrechnen – um 36,3 Milliarden Euro entlasten: rund 25 Milliarden steuerliche Entlastung, die der Bundesfinanzminister genannt hat, plus rund 11 Milliarden bei den Sozialbeiträgen. Wenn Sie 5 mal 36 rechnen, dann sehen Sie: Wir entlasten die Menschen in den nächsten fünf Jahren wirklich um fast 200 Milliarden Euro – und nicht wie Sie durch Luftbuchungen.
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Ich möchte mich zum Schluss bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haushaltsausschusssekretariats bedanken,
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und ich bedanke mich auch beim Bundesfinanzministerium. Ich sage das auch deswegen, weil wir drei Dinge miteinander zusammenzubringen hatten: Ergänzungshaushalt, Klimapaket und Bereinigungsvorlage, die deutlich umfänglicher war als sonst. Darüber hinaus gab es fast 400 eigene Deckblätter der Koalitionsfraktionen. Deswegen ein herzliches Dankeschön – auch an die Koalitionspartner, an meine Kolleginnen und Kollegen und besonders an Alois Rainer, der sich leider entschlossen hat, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu werden.
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Ich sage dir, Alois: Du wirst den Haushaltsausschuss noch vermissen, aber ich wünsche dir eine gute Zeit dort.
Es gibt ein tolles Lied: „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“.
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Bei uns hat es leider nicht nur bis 0.30 Uhr gedauert, sondern bis 5.01 Uhr. Dann war nicht das Reeperbahn Festival, sondern die Bereinigungssitzung zu Ende.
Ich glaube, das ist ein guter Haushalt. Er wird Deutschland im nächsten Jahr voranbringen und – davon bin ich überzeugt; das war der Ansatz von Johannes Kahrs und mir – der Bundesregierung Stabilität geben.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Eckhardt Rehberg. – Damit schließe ich die Aussprache.