Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich entschieden, von Deutschland aus das Klima zu retten und dafür die Energieversorgung unseres Landes aufs Spiel zu setzen.
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Wie beim Atomausstieg oder bei der massenhaften Aufnahme von Migranten befinden wir uns wieder einmal auf einem deutschen Sonderweg allein. Dabei pfeifen es die Spatzen von allen Dächern: Die deutsche Energiewende ist gescheitert.
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Ein Gutachten von McKinsey kam im September dieses Jahres zu dem Ergebnis, dass die deutsche Energieversorgung unsicheren Zeiten entgegengeht. Fast alle Ziele der Energiewende sind verfehlt worden. Die Versorgungssicherheit werde nach dem Atom- und Kohleausstieg nicht mehr gewährleistet sein. Zugleich kommt der Windkraftausbau zum Erliegen. Die Zahl der erteilten Genehmigungen sei in den ersten drei Quartalen 2019 regelrecht zusammengebrochen, klagte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft am 8. November. Ein Grund für den Rückgang ist das neue Ausschreibungsverfahren, das den billigsten Anbieter bevorteilt. Die subventionierte Lizenz zum Gelddrucken ist damit passé.
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Außerdem verhindern Bürgerinitiativen immer häufiger Windkraftprojekte. Sie kämpfen nicht nur gegen die Umweltzerstörung, das massenhafte Schreddern von Vögeln, sondern auch gegen die Gesundheitsgefährdung durch Infraschall. Scheibchenweise wird der Mindestabstand reduziert. Bis auf 350 Meter sind die Windmühlen schon an Wohnhäuser herangerückt. Wer die Welt retten will, meine Damen und Herren, kann auf Petitessen wie die Gesundheit der Anwohner natürlich keine Rücksicht nehmen.
Immobilien verlieren massiv an Wert, wenn Windräder in der Nähe stehen. Leider stehen sie natürlich nicht im Prenzlauer Berg oder in München-Schwabing. Es sind immer die anderen, die den Preis zahlen.
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Die politische Windkraftlobby versucht inzwischen, Kritiker als Rechte zu denunzieren – na, ist ja üblich. Hier entsteht eine neue Dolchstoßlegende.
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Aber auch dieser Krieg ist an der Front verloren, nämlich an den unerbittlichen Fronten der Physik und der Ökonomie.
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Obwohl der Ausbau der Windkraft absehbar endet, hält die Regierung nicht nur am Atomausstieg bis 2022 fest, sondern rechnet mit einer Steigerung des Stromverbrauches bis 2030. Bundesregierung und Automobilindustrie versprechen bis dahin 1 Million Elektroautoladestationen. Woher aber soll der Strom für die Elektroautos kommen, wenn grundlastfähige Kraftwerke abgeschaltet werden? Und womit sollen wir in Zukunft heizen? Vielleicht ist die Bundesregierung der Meinung, die Menschen werden sich künftig an ihrem guten Gewissen erwärmen, liebe Freunde.
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Meine Damen und Herren, wenn die viertgrößte Wirtschaftsnation der Erde sich entschließt, das Energiefundament ihrer Wirtschaft zu beseitigen und durch eine Alternative zu ersetzen, die, vorsichtig formuliert, nicht besonders stabil ist, dann erwarte ich darüber erbitterte öffentliche Debatten, dann erwarte ich Redeschlachten
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um das Für und Wider im Parlament, dann erwarte ich, dass die These vom menschlichen Anteil am Klimawandel unter den größtmöglichen Falsifikationsdruck gesetzt wird; denn wir tun wahrscheinlich etwas Unumkehrbares. Aber das Thema ist dermaßen ersatzreligiös aufgeladen, dass die Frage „Richtig oder falsch?“ keine Rolle mehr spielt. Sie ist vollkommen verschüttet unter den Kriterien Gut und Böse.
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Wo Begriffe wie „Klimaleugner“ kursieren – auch gestern wieder in diesem Hause –, hat sich die Vernunft verabschiedet.
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Ein Wissenschaftler, der sich der Klimahysterie verweigert, spielt mit seiner Karriere. Die Merkel-Jahre werden als eine bleierne Zeit in Erinnerung bleiben, in der öffentliche Debatten im Sein der Hypermoral erstickt wurden.
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Am 20. November um 12 Uhr mittags sind nach Angaben der Strombörse von den 77 Gigawatt Stromverbrauch in Deutschland 64 Gigawatt durch konventionelle Kraftwerke und Atomkraftwerke geliefert worden; 64 von 77, meine Damen und Herren. Ich frage mich, wie Sie unser Land mit Strom versorgen wollen, wenn diese 64 Gigawatt einmal abgeschaltet sind. An drei Tagen im Juni – am 6., 12. und 25. – war das deutsche Stromnetz akut unterversorgt. Solche Unterdeckungen müssen durch Strom aus dem Ausland ausgeglichen werden. Eine Sprecherin der Energiewirtschaft beteuerte zwar, die Gefahr eines Blackouts habe nicht bestanden. Aber was ist, wenn 2022 die Atomkraftwerke vom Netz gehen? Was passiert, wenn sogenannte Klimaaktivsten es tatsächlich schaffen, ein großes Kohlekraftwerk lahmzulegen? Haben Sie sich einmal ausgemalt, was ein tagelanger Blackout bedeuten würde? Denken Sie doch nur an die Abertausenden Menschen, die in Fahrstühlen eingeschlossen wären. Solche Lifte haben nur in amerikanischen Actionfilmen eine Klappe, über die man sie verlassen kann. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen,
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aber ein Blackout ist weit wahrscheinlicher als die von Ihnen beschworene Klimakatastrophe.
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Dass es ausgerechnet eine Physikerin ist, die unsere Energieversorgung aufs Spiel setzt, ist zwar komisch, sollte uns aber nicht irritieren. Es war ein Schauspieler, der den Kalten Krieg gewonnen hat. Offensichtlich nimmt sich Frau Merkel daran ein Beispiel.
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Meine Damen und Herren, wenn die Lage wirklich so schlimm ist, wenn wir wirklich demnächst auf diesem schönen Planeten gekocht werden, dann müssen zuerst Sie sich wohl der Einsicht öffnen, dass der ökopopulistische Atomausstieg ein Irrweg war.
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Es wäre geradezu eine Hegel’sche List der Vernunft, wenn die heilige Greta zu dieser Erkenntnis führte – bei Ihnen nicht; das ist mir schon klar.
Aber wer wirklich etwas für das Klima tun will, muss seinen Blick auf die Bevölkerungsexplosion in Afrika lenken.
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Die Bundesregierung hat vor Kurzem den Soli quasi abgeschafft. Wir hätten nichts dagegen gehabt, ihn in einen Investitionsfonds für Afrika umzuwandeln. Wir hätten dem zugestimmt, wenn Sie im Gegenzug die Grenzen geschlossen und die klammheimlichen Asylantenflüge eingestellt hätten.
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Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass uns das Schicksal Afrikas nicht gleichgültig sein kann. Nur gilt eben auch hier die Maxime, dass sich Politik an den Realitäten orientieren muss und nicht an frommen Wünschen.
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Die Bevölkerung Afrikas wächst derzeit alle zwölf Tage um 1 Million Menschen. Die knapp 2 Millionen Migranten, die wir seit 2015 aufgenommen haben, sind dort in einem halben Monat nachgeboren worden. Dagegen hat ein direkt in Afrika ausgegebener – oder noch besser: investierter – Euro nach den Worten des Entwicklungshilfeministers Gerd Müller die 30-fache Wirkung wie ein in Deutschland eingesetzter.
Die Bevölkerungsexplosion, meine Damen und Herren, ist das größte Problem unseres Planeten – übrigens auch für die Umwelt. Es würde einmal Zeit, dass Fridays for Future auf die Bedeutung des ungebremsten Bevölkerungswachstums für die Klimaerwärmung hinweist. Aber eher schafft die Bundesregierung den Wirtschaftsstandort Deutschland ab, als dass ihr der Begriff „Geburtenkontrolle in Afrika“ über die Lippen kommt. Denn das wäre ja wieder Rassismus in Ihren Augen.
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96,5 Prozent des weltweit ausgestoßenen Kohlendioxids sind natürlichen Ursprungs. Von den restlichen 3,5 Prozent stammen 2,2 Prozent aus Deutschland; das ist wenigstens nicht umstritten. Selbst wenn unser Land morgen zu existieren aufhörte, wären die Auswirkungen auf die Welttemperatur praktisch nicht nachweisbar. Und dafür setzen Sie alles aufs Spiel. Dafür machen Sie eine Energiewende, und dafür ruinieren Sie unsere Autoindustrie
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und die Maschinenbauindustrie. Meine Damen und Herren, das ist keine Zukunft, die wir mit Ihnen gehen wollen.
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Deswegen werden wir dagegen kämpfen und auch gegen diese Regierung, die das versucht.
Danke.
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Jetzt hat das Wort die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die NATO wird in diesem Jahr 70 Jahre alt. Aus diesem Anlass werden sich in der nächsten Woche, am 3. und 4. Dezember, die Staats- und Regierungschefs in London treffen. Ich glaube, das ist ein guter Anlass, einmal Rückblick zu halten.
Ich glaube, wir sind uns fast alle einig, dass in den ersten 40 Jahren ihrer Existenz die NATO im Kalten Krieg ein Bollwerk für Freiheit und Frieden war und dafür gesorgt hat, dass es zu keinem Krieg in Europa kam. In diesem Zusammenhang sind wir ganz besonders unseren amerikanischen Freunden zum Dank verpflichtet.
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Aber seit dem Ende des Kalten Krieges sind bereits 30 Jahre vergangen.
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Nach 1990 hat die NATO eine interessante Aufgabenzuteilung bekommen, eine interessante Zeit erlebt. Vielleicht sollte man darauf angesichts dieser 70 Jahre einmal kurz Rückblick halten:
Ende der 90er-Jahre kam die Frage der Erweiterung auf die Tagesordnung. Im Zusammenhang mit der ersten Erweiterungsrunde um drei Länder ist damals auch die NATO-Russland-Grundakte abgeschlossen worden. Ich weiß nicht, wer sich noch daran erinnert: Es war eine durchaus kontroverse Diskussion, ob die NATO erweitert werden sollte. Sie ist dann 1999, 2004, 2009 und 2017 noch einmal deutlich erweitert worden. Man hat 1997 im Vorfeld dieser Erweiterung die NATO-Russland-Grundakte abgeschlossen, die in Paris unterzeichnet wurde, die die Truppenaufstockungen in den neuen Mitgliedstaaten, also in den östlichen Staaten, limitiert hat, die verboten hat, dort Atomwaffen zu stationieren, und die die Anerkennung der damaligen Grenzen, die territoriale Souveränität, akzeptiert hat. Im Grunde war damit die Hoffnung verbunden, auch ein gedeihlicheres Miteinander mit Russland zu haben, als es dann tatsächlich der Fall war.
Ende der 90er-Jahre folgte dann das Eingreifen der NATO im Jugoslawien-Konflikt. Dies war aus meiner Sicht ein Beitrag dazu, dass es zu friedlichen Verhandlungen kommen konnte und der Ahtisaari-Plan damals genehmigt wurde. Die NATO hat sich bis heute als Ordnungsmacht auf dem westlichen Balkan etabliert.
Zu Beginn des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, am 11. September 2001, kam es zum ersten großen terroristischen Anschlag, dem Angriff auf das World Trade Center. Der Begriff „asymmetrische Kriegsführung“ war damit in aller Munde. Damals ist zum ersten und einzigen Mal der Artikel 5 von den Vereinigten Staaten von Amerika innerhalb der NATO erfragt worden, die Beistandsverpflichtung. Der Beistand wurde auch gewährt von den Mitgliedstaaten der NATO. Wir haben das aus Überzeugung getan.
Seit dieser Zeit gibt es den Einsatz in Afghanistan, an dem sich Deutschland bis heute beteiligt. Ich weiß, was für schwierige Auseinandersetzungen das damals waren. Deshalb möchte ich einfach ein großes Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten sagen, die seit dieser Zeit dort Dienst tun – Peter Struck hat immer gesagt, unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt – und die das bis heute leisten.
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Es kam dann zu keiner NATO-Mission beim zweiten Irakkrieg, als Europa gespalten war und wir zu keiner gemeinsamen Haltung kamen.
Das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist im Grunde geprägt durch zwei Entwicklungen: einmal den Arabischen Frühling und die Reaktionen darauf. Wir erinnern uns: 2011 – da waren wir nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat – gab es den NATO-Einsatz zur Flugraumüberwachung in Libyen. Deutschland hat sich damals enthalten. Das Mandat wurde überdehnt. Es war eines der letzten Mandate im Sicherheitsrat, die es gab. Russland hat sich seitdem selten wieder beteiligt, und der Sicherheitsrat ist seitdem ziemlich handlungsunfähig geworden. Wir haben damals gesehen, dass dieses Mandat überdehnt wurde, dass Gaddafi sozusagen verjagt wurde und dass in Libyen Instabilität ausbrach. Auch heute ist noch keine politische Lösung in Sicht.
Wir haben dann den Bürgerkrieg in Syrien gesehen. Dort hat die NATO nichts unternommen. Dieser Bürgerkrieg ist langsam, aber sicher zu einem Stellvertreterkrieg geworden. Wir müssen heute konstatieren, dass es die grausamste und die schlimmste humanitäre Situation ist, die wir seit dem Völkermord in Ruanda hatten: 500 000 Tote, 12 Millionen Vertriebene, die Hälfte davon Binnenvertriebene, die anderen sind Flüchtlinge außerhalb Syriens. Auch hier wartet eine politische Lösung auf ihre Realisierung.
Gleichzeitig hatten wir 2014 dann die Annexion der Krim durch Russland, den Einmarsch in der Ostukraine.
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– Es ist gut, dass Sie alles wissen. Aber warten Sie es einfach ab.
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Damals hat sich die NATO dazu verpflichtet, sich als Erstes wieder auf die Bündnisverteidigung zu konzentrieren, weil die Angriffe bis an ihre Grenzen kamen. Die NATO-Versammlung in Wales war ein Wendepunkt in dieser Frage. Damals haben wir uns verpflichtet, unsere Verteidigungsausgaben in Richtung 2 Prozent zu entwickeln, was wir seitdem auch tun. Der Haushalt für das nächste Jahr besagt 1,42 Prozent NATO-Quote. In Wales waren wir bei 1,18 Prozent. Wir werden das schrittweise weitermachen: 1,5 Prozent bis 2024. Die Verteidigungsministerin hat jetzt einen Plan aufgesetzt, wie wir durch Verbesserung unserer Bündnisfähigkeit, durch Aufwuchs unserer Fähigkeiten bis zum Anfang der 30er-Jahre die 2 Prozent erreichen werden. Darauf kann man sich verlassen, meine Damen und Herren.
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Wenn man sich das alles anschaut, dann ist, glaube ich, Zeit für die Analyse: Was ist gelungen, und was ist nicht so gut gelungen? Und was bedeutet das für die NATO und die Zukunft?
Da will ich als Erstes sagen: Gelungen ist die Bündnisverteidigung für die osteuropäischen Länder. Wir sind Führungsnation in Litauen. Wir machen bei der Flugüberwachung mit, wenn ich das für den deutschen Beitrag sagen darf.
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Wir sehen jeden Tag, welche hybride Bedrohung auch von Russland kommt, der die Soldatinnen und Soldaten dort ausgesetzt sind. Meine Damen und Herren, wir haben als Pluspunkt auch das Bündnis, das den Artikel 5 realisiert und den Vereinigten Staaten von Amerika geholfen hat in Afghanistan. Und wir können sagen, dass wir den westlichen Balkan stabilisiert haben, was auch für unsere eigene Sicherheit von allergrößter Bedeutung ist.
Aber wir müssen genauso feststellen: Politische Lösungen in Libyen fehlen, genauso in Syrien. Die Türkei hat sich entfremdet als Mitgliedstaat innerhalb der NATO. Es gibt vor der Haustür Europas eine Vielzahl von terroristischen Bedrohungen. Die Vereinigten Staaten gehen nicht mehr automatisch in die Verantwortung, wenn es in unserer Umgebung brennt. Und es ist eine völlig andere multipolare Ordnung entstanden, bei der China eine herausragende Rolle einnimmt und auch die Konzentration der Vereinigten Staaten von Amerika viel stärker in Anspruch nimmt.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wichtig, was das für uns und für unsere Haltung zur NATO bedeutet. Da sage ich als Erstes: Stärker als im Kalten Krieg ist der Erhalt der NATO heute in unserem ureigenen Interesse – mindestens so stark wie im Kalten Krieg.
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Denn – das hat gestern auch der Außenminister gesagt – Europa kann sich zurzeit alleine nicht verteidigen. Wir sind auf dieses transatlantische Bündnis angewiesen, und deshalb ist es auch richtig, wenn wir für dieses Bündnis arbeiten und mehr Verantwortung übernehmen.
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Meine Damen und Herren, wir müssen klären, wofür die NATO verantwortlich sein möchte. Ist sie nur für die Bündnisverteidigung verantwortlich, oder ist sie auch für die Sicherheit in unserer Umgebung verantwortlich? Ich glaube, es war richtig, einen europäischen Arm der Verteidigungspolitik, der mit der NATO zusammenarbeitet, zu gründen: die PESCO, die strukturierte Zusammenarbeit innerhalb Europas mit dem Ziel, gemeinsame Einsätze unabhängig von der NATO durchführen zu können, aber niemals, um gegen die NATO oder anstelle der NATO zu arbeiten, sondern um im Zweifelsfall im Bündnis einen weiteren europäischen Pfeiler zu etablieren.
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Es geht auch um gemeinsame Rüstungsprojekte. Diese Rüstungsprojekte müssen wir gemeinsam mit Frankreich ganz wesentlich voranbringen. Ich bedanke mich bei der Bundesverteidigungsministerin an dieser Stelle, dass wir hier Tempo vorlegen. Ich bitte den Deutschen Bundestag, hier zu helfen, sowohl bei dem gemeinsamen Flugzeugprojekt als auch bei dem gemeinsamen Panzerprojekt.
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Wir müssen uns also in der Zukunft in verschiedenen Formaten engagieren: in der NATO, manchmal auch nur von der europäischen Seite, aber möglichst immer mit UN-Unterstützung. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es nicht so einfach ist, UN-Missionen neu zu etablieren; denn die Vereinigten Staaten sind sehr zurückhaltend geworden gerade in einem Bereich, der für uns von großem Interesse ist: der Sahelzone. Hier gelingt es im Augenblick nicht, robuste UN-Mandate für die Einsätze zu bekommen. Daran muss weiter gearbeitet werden.
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Für uns ist wichtig – das ist von ganz besonderer Bedeutung –, dass wir immer einen gemeinsamen Ansatz sehen, der sich nicht aufs Militärische konzentriert, der sagt: Das Militärische ist dabei, aber das Eigentliche sind die politischen Lösungen, das Eigentliche ist die Entwicklungszusammenarbeit, die wirtschaftliche Kraft, die wir Regionen geben. – Deshalb nennen wir das den vernetzten Ansatz, mit dem wir in Afghanistan begonnen haben, zu arbeiten. Es ist gut, dass Frankreich erstmals seit 2009 wieder komplett in der NATO verankert ist. Das ist unter Präsident Sarkozy passiert. Das ist vorher lange nicht der Fall gewesen. So kann die NATO heute politischer arbeiten. Und politische Lösungen gehören dazu; militärische Lösungen alleine werden nie reichen.
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Es stellt sich natürlich auch die Frage, wie wir mit dem schwierigen Partner Türkei umgehen. Wollen wir ihn in der NATO halten oder nicht? Arbeiten wir darauf hin? Das heißt natürlich nicht, dass man sich nicht gegenseitig die Meinung sagt, dass man Unterschiede nicht anspricht. Aber ich sage: Die Türkei sollte NATO-Mitglied bleiben. Dafür müssen wir uns einsetzen; denn es ist von geostrategischer Bedeutung für das Bündnis, dass die Türkei mit dabei ist.
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Nun ist es sehr leicht, gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika kritisch zu sein, die vielleicht an vielen Stellen nicht mehr die Verantwortung übernehmen wollen, die sie früher übernommen haben. Aber das zeigt zuerst auf uns zurück, auf Europa. Die erste Aufgabe, damit die NATO funktionieren kann, ist, dass die Europäische Union sich einig ist; denn die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind auch NATO-Mitglieder.
Für Deutschland und seine Außenpolitik heißt das in ganz besonderer Weise, dass wir uns für diese Einigkeit einsetzen müssen, und zwar zunächst mit Blick auf die Stabilisierung des westlichen Balkans. Ich bin dafür, dass wir noch einmal darüber nachdenken, ob wir über neue Beitrittsverfahren in der Europäischen Union diskutieren; ich sage ganz ehrlich: Das hätten wir vielleicht auch schon vor einem Jahr machen können. Vor allem bin ich der Meinung, dass wir den Ländern des westlichen Balkans sagen müssen: Ihr habt eine verlässliche europäische Perspektive. – Deshalb sage ich mit Blick auf Nordmazedonien und Albanien, dass wir versprochene Beitrittsverhandlungen anfangen – ich sage nicht: abschließen – müssen.
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Sonst verlieren wir diese Länder, und das ist zu unserem Nachteil.
Außerdem ist es richtig, dass Europa – Großbritannien, Frankreich und Deutschland – eine intensive und aktive Rolle beim Iranabkommen, dem JCPoA, spielt, damit es nicht zu einer nuklearen Bewaffnung des Iran kommt. Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Aktivitäten von Frankreich loben, aber klar ist: Alle drei Staaten ziehen hier an einem Strang und versuchen, dieses Abkommen als einen Hebel zu nehmen, um weitere Eskalationen zu verhindern. Wir appellieren aber auch an den Iran, zu sehen, dass dieses Abkommen auch für den Iran einen Wert an sich hat.
Wir werden in zwei politischen Prozessen eine aktivere Rolle einnehmen und unseren Beitrag leisten. Der Außenminister tut das im Zusammenhang mit Syrien. Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass bei den Vereinten Nationen jetzt endlich ein Verfassungskonvent gebildet werden konnte. Das geht nicht ohne Gespräche mit Russland, und das geht nicht ohne Gespräche mit der Türkei. Deshalb gab es auch Treffen von Präsident Erdogan, von Präsident Macron und mir und von Putin und Erdogan. Es ist wichtig, dass wir den UN-Gesandten Pedersen an dieser Stelle unterstützen.
Und zweitens führen wir – denn wir haben aufgrund der Tatsache, dass wir uns damals im Sicherheitsrat enthalten haben, eine hohe Reputation bei den afrikanischen Ländern – jetzt in Berlin Gespräche auf hoher Beamtenebene von Auswärtigem Amt und Bundeskanzleramt mit dem UN-Vermittler Salamé und den wichtigsten Akteuren, um zu verhindern – und das ist schwer genug –, dass in Libyen ein Stellvertreterkrieg geführt wird in der Dimension, wie wir es in Syrien gesehen haben, und um zu verhindern – deshalb ist eine Lösung für Libyen so notwendig –, dass der gesamte südlich von Libyen liegende Sahelbereich in terroristische Instabilität abgleitet. Das ist eines der größten Probleme, denen wir im Augenblick begegnen; und dass das etwas mit unserer Sicherheit zu tun hat, das kann sich jeder leicht vorstellen.
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass sich Deutschland und Frankreich beim G-7-Treffen in Biarritz entschieden haben, neben der Unterstützung für die G-5-Saheltruppe eine Initiative für die Sicherheit in der Sahelzone zu starten. Wir werden weiter daran arbeiten – das möchte ich jedenfalls –, dass wir ein robustes UN-Mandat bekommen.
Das führt uns zu einem weiteren Punkt. Wir werden in Zukunft nicht alle Einsätze selbst bestreiten können. Mehr tun kann auch heißen, anderen bei der Ausbildung, bei der Befähigung und Ertüchtigung zu helfen. Das machen wir schon in Mali, aber es muss noch breiter geschehen. Wir müssen uns einem Thema stellen, dem wir auf Dauer nicht werden ausweichen können: Wenn wir in anderen Regionen der Welt ausbilden und ertüchtigen, dann stellt sich auch die Frage, wer die Ausrüstung liefert. Sie konnten neulich beim Treffen der Afrikanischen Union mit dem russischen Präsidenten in Sotschi sehen, dass das Ganze begleitet war von einer großen Show von militärischen Gegenständen. Die afrikanischen Länder konnten sich aussuchen, was sie brauchen, zum Teil zu verbilligten Preisen.
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Ich frage uns: Ist es in unserem Interesse, wenn klar ist, dass Afrika nur von Russland, China und Saudi-Arabien ausgerüstet wird?
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Ich glaube, das kann nicht richtig sein. Wenn wir für die Sicherheit und den Frieden in Afrika andere ertüchtigen, dann können wir uns bei der Ausrüstung nicht völlig verweigern.
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Das ist jedenfalls meine Überzeugung.
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Deshalb bin ich ein bisschen unruhig, wenn wir unsere Maßnahmen immer weiter einschränken. Wir sind nicht glaubwürdig, wenn wir Menschen, die in terroristische Kämpfe ziehen müssen, ausbilden, um ihnen anschließend zu sagen: Na ja, aber woher ihr eure Ausrüstung herkriegt, das müsst ihr euch überlegen.
Meine Damen und Herren, ja, wir müssen auch unsere europäische Haltung zu China klären. Das ist ein großer Diskussionsgegenstand. Der an Jahren alte, aber im Geist junge Christian Schwarz-Schilling hat auf dem CDU-Parteitag weise Worte gesagt. Er hat gesagt: Wer glaubt, national allein einen Kurs finden zu können im Umgang mit China, und nicht versucht, eine gemeinsame europäische Haltung zu entwickeln, der wird zerrieben werden und der wird scheitern.
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Wenn ich Ihnen das ganz offen sagen darf: Eine der größten Gefahren – ich will es so nennen; zumindest Sorgen –, ist, dass jeder Mitgliedstaat in Europa seine eigene Chinapolitik macht und dass wir zum Schluss ganz unterschiedliche Signale senden. Das wäre nicht für China verheerend, aber es wäre für uns in Europa verheerend.
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Es ist unbestritten, dass wir hohe Sicherheitsstandards beim Ausbau von 5G brauchen. Aber das müssen wir, nachdem wir sie für uns definieren, dann auch mit den anderen europäischen Partnern besprechen. So, wie wir eine Medikamentenzulassungsagentur in Europa haben, so müssen wir wahrscheinlich auch eine Zulassungsagentur, eine Zertifizierungsagentur haben, die sich mit der Zertifizierung von 5G-Teilen beschäftigt und mit nationalen Institutionen wie dem BSI zusammenarbeitet. Denn wenn in einem digitalen europäischen Binnenmarkt jeder seins macht und jeder anders handelt, dann werden wir nicht weit kommen. Das heißt: Telekommunikationsgesetz ändern, IT-Sicherheitsgesetz ändern und natürlich im Parlament darüber sprechen, wie wir höchste Sicherheitsstandards anlegen. Wir müssen aber auch nach Europa schauen und möglichst mit Frankreich erst einmal gemeinsame Lösungen finden, aus denen wir dann insgesamt europäische Lösungen entwickeln können.
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Natürlich müssen wir kritisieren, wenn wir jetzt die Berichte von den Uiguren hören. Ich stimme dem Bundesaußenminister vollkommen zu, dass die UN-Menschenrechtsbeauftragte dort Zugang haben muss. Ich glaube, dass die Europäische Union gestern das Richtige dazu gesagt hat. Ich glaube, dass es ein gutes Zeichen war, dass die Wahlen in Hongkong so friedlich abgelaufen sind und die Menschen trotzdem ihre Meinung gesagt haben. Das ist „ein Land, zwei Systeme“. Und das sind zwei Systeme. Und China ist ein anderes gesellschaftliches System, ein völlig anderes. Es gibt einen Systemwettbewerb. Aber ich weiß nicht, ob die Antwort auf den Systemwettbewerb – so was kennen wir ja auch aus dem Kalten Krieg – Abschottung heißen kann, vielmehr muss die Antwort auf den Systemwettbewerb sein, dass wir selbstbewusst davon ausgehen, dass wir unsere Maßstäbe setzen können, ohne die totale Abschottung zu proklamieren. Das ist jedenfalls mein Ansatz, meine Damen und Herren.
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All das wird Europa natürlich nur können, wenn es wirtschaftlich stark ist. Die wirtschaftliche Stärke Europas hängt ganz wesentlich mit der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands zusammen.
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Damit sind wir bei dem, was in dieser Woche hier im Wesentlichen debattiert wird.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten 20 Monaten als Bundesregierung vieles auf den Weg gebracht. Wir haben das in der Halbzeitbilanz niedergelegt.
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Ich glaube, wir haben vor allen Dingen wirklich wichtige Dinge getan, um gerade in einer Zeit des konjunkturellen Abschwungs, verursacht durch weltweite Entwicklungen, durch zyklische Entwicklungen, etwas dagegenzusetzen, und zwar mit einem robusten Binnenkonsum. Ich will das hier nicht alles wiederholen: Kindergeld, Kinderfreibeträge, Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, Abbau des Solis, Verbesserungen in der Krankenversicherung und in der Pflegeversicherung, Mindestlohnerhöhung, Rentenplus, Mütterrente. Wir haben uns jetzt über die Eckpunkte der Grundrente – etwas ganz Wichtiges – geeinigt und werden sie gesetzlich umsetzen. Wir haben eine Mindestausbildungsvergütung beschlossen. Wir haben dafür gesorgt – das ist, finde ich, eine ganz wichtige Sache –, dass für die Ausbildung in Berufen, in denen Menschen, vor allen Dingen Frauen, mit Menschen arbeiten, endlich kein Schulgeld mehr gezahlt werden muss, sondern es eine Ausbildungsvergütung gibt.
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Es ist eigentlich ein Anachronismus, dass das in 70 Jahren Bundesrepublik nicht geschafft wurde; das hätte man auch schon vor der deutschen Einheit schaffen können. Und wir haben auf eine der wesentlichen Fragen der deutschen Wirtschaft eine Antwort gegeben: mit einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Wir werden die Funktionalität dieses Fachkräfteeinwanderungsgesetzes im Dezember auf einem Gipfel im Kanzleramt diskutieren, damit wir hiermit auf eine der großen Herausforderungen der deutschen Wirtschaft eine richtige Antwort geben. Wir haben die innere Sicherheit massiv verbessert. Wir haben die Migration gesteuert und geordnet. Wir haben vieles für die Integration getan.
Meine Damen und Herren, wir stehen relativ robust da. Der Haushalt ist auf Rekordniveau. Wir werden im nächsten Jahr das Maastricht-Kriterium einer Schuldenquote von 60 Prozent unterschreiten. Ich will an dieser Stelle noch mal sagen, dass es mich wundert, dass in diesem Hause immer so abfällig über einen ausgeglichenen Haushalt gesprochen wird.
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– Es gibt Menschen, die sprechen in diesem Hause abfällig davon.
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Ich muss wirklich sagen: Wenn man in Zeiten so niedriger Zinsen – Olaf Scholz hat das gestern dargestellt – glaubt, man müsste auch noch Schulden machen, was will man dann eigentlich in Zeiten machen, in denen die Zinsen wieder normal sind und steigen?
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Wie viel Schulden will man dann machen? Das kann ja nun ernsthafterweise nicht sein. Wir haben einen Haushalt mit einem Investitionshoch. Wir hatten noch nie so hohe Investitionen im Haushalt. Wir haben durch das Klimapaket noch mal viele Investitionen draufgelegt. Man kann doch nicht Investitionen erst dann gut finden, wenn sie Schulden verursachen. Ein ordentlicher Haushalt heißt doch: Investitionen in einem ausgeglichenen Haushalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alles andere ist doch absurd.
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Wir haben allerdings – da sind wir in der Koalition vielleicht ein bisschen unterschiedlicher Meinung – zumindest mittelfristig die Aufgabe, die Bedingungen für die deutsche Wirtschaft an den internationalen Rahmen anzupassen.
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Das bedeutet zum einen – da kriegen wir ja vielleicht noch was hin –, dass wir für Personengesellschaften und Körperschaften ähnliche steuerliche Verhältnisse haben. Aber wir werden ab dem Jahr 2020 das Land mit den höchsten Unternehmensteuern in Europa sein.
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Frankreich wird seine Unternehmensteuern – die liegen heute im Schnitt noch über unseren – sukzessive auf 25 Prozent senken, die Amerikaner haben an dieser Stelle massiv gesenkt,
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Portugal liegt diesbezüglich in unserer Nähe, die Niederlande werden auch eine Unternehmensteuerreform machen. Das heißt, mittelfristig müssen wir uns das, glaube ich, anschauen, wenngleich wir auch andere Themen haben, die für die deutsche Wirtschaft mindestens von ebenso großer Wichtigkeit sind.
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Deshalb möchte ich mich heute auf zwei Dinge konzentrieren, von denen ich glaube, dass sie darüber entscheiden, ob die deutsche Wirtschaft und damit die Arbeitsplätze und der Wohlstand bei uns erhalten bleiben können, also auf zwei Dinge, die von entscheidender Wichtigkeit sind.
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Zum einen geht es um die Frage: Wie begegnen wir dem Klimawandel? Welche Antworten finden wir darauf? Und wie schaffen wir die Transformation unserer Wirtschaft? Hierzu hat die Bundesregierung ein ambitioniertes Paket vorgelegt. Es wird darüber diskutiert, ob die Einstiegspreise zu hoch oder zu niedrig sind, es wird darüber diskutiert, ob die Pendlerpauschale überkompensiert oder nicht, aber im Grunde gibt es in weiten Teilen dieses Hauses keinen Zweifel dran, dass der Maßnahmenrahmen richtig gewählt ist. Darüber werden wir jetzt auch im Bundesrat sprechen. Ich kann uns allen nur raten, dass wir vernünftige Lösungen dafür finden; denn die Zeit drängt. Wir werden ab Anfang der 20er-Jahre klare Budgets an CO2-Emissionen haben, die wir einhalten müssen. Wenn wir die überschreiten, müssen wir massive Strafzahlungen leisten oder wir müssen Geld für Zertifikate zahlen. Das heißt, wir sind dazu verpflichtet, Jahr für Jahr und nicht irgendwann unsere Ziele einzuhalten. Deshalb müssen wir schnell mit der Transformation beginnen. Ich glaube, wir haben richtige Dinge auf den Weg gebracht. Deshalb hoffe ich, dass wir im Bundesrat bis zum Jahresende die entsprechenden Lösungen finden. Wir als Koalition sind jedenfalls dazu bereit.
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Wir haben einen weiteren massiven Schritt unternommen: Wir haben auf Basis der Ergebnisse einer Kommission beschlossen, wann wir spätestens aus der Kohleverstromung aussteigen, wann wir die Kohle nicht mehr als Energiequelle haben werden. Das schafft Berechenbarkeit.
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Dazu gibt es die entsprechenden Gesetze. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, den meisten in diesem Hause ist, glaube ich, Folgendes klar: Deutschland stellt 1 Prozent der Weltbevölkerung und verursacht 2 Prozent der CO2-Emissionen, und es verfügt über die besten Technologien. Wer, wenn nicht wir, soll denn zeigen, dass es geht, dass man dem Klimawandel etwas entgegensetzen kann? – Das ist doch die Aufgabe.
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Natürlich werden uns auf diesem Weg immer wieder Schwierigkeiten begegnen. Wie könnte das anders sein? Wir werden aus der Kernenergie aussteigen, wir steigen aus der Kohleverstromung aus, und wir müssen Gas als Brückentechnologie etablieren.
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Deshalb finde ich es eher schwierig, dass die Europäische Investitionsbank jetzt entschieden hat, Gastechnologien als Brückentechnologie überhaupt nicht mehr zu finanzieren.
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Das ist, glaube ich, nicht richtig.
Wir werden aber natürlich auch weiter Schwierigkeiten bei der Gestaltung des Ausbaus des Bereichs der erneuerbaren Energien haben. Da wird es um den Zusammenhalt unseres Landes gehen.
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Es wird nicht reichen, wenn die Menschen in der Stadt den Menschen auf dem Land erklären, wie das mit dem Windkraftausbau laufen kann.
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Wir sehen ja, dass wir Spaltungen haben. Wir haben es gestern ja auch bei der Demonstration der Landwirte gesehen.
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Im Augenblick besteht die Gefahr – diese Gefahr besteht nicht nur in Deutschland; das ist überhaupt kein spezifisch deutsches Problem, sondern überall gibt es die Gefahr –, dass die Lebenswelten von Menschen, die in der Stadt leben, und von Menschen, die auf dem Lande leben, unterschiedlich sind, dass diese Menschen völlig unterschiedliche Probleme haben.
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Wenn wir als Politik nicht denen in der Stadt helfen, die keine bezahlbare Wohnung bekommen, und nicht denen auf dem Lande helfen, die wissen wollen, was sie vom Ausbau der Windenergie haben außer einem 220 Meter großen Windrad neben sich, dann werden wir das nicht schaffen. Aber wir können das schaffen, wenn wir den Zusammenhalt dieses Landes voranbringen.
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Deshalb werde ich mich nächsten Montag mit Vertretern der Verbände der Bauern treffen. Ich werde ihnen natürlich sagen, dass sie auf die Herausforderungen der neuen Zeit Antworten finden müssen. Wir haben über Jahre die Düngeverordnung nicht eingehalten, da kann ich jetzt nicht sagen: Ach, Leute, es gibt noch drei Jahre dazu. – Das wird nicht klappen. Aber was wir den Menschen, die morgens aufstehen und abends spät ins Bett gehen, die im Sommer dann noch arbeiten, wenn wir alle bei einem kühlen Bier sitzen, sagen können, ist, dass wir ihre Arbeit achten,
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dass unsere Aussage: „Wir wollen regionale Produkte essen“, nicht Schall und Rauch ist, sondern ernst gemeint, dass wir heimische Lebensmittel wollen und eine starke Landwirtschaft. Das können und müssen wir unseren Bauern sagen.
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Genauso müssen wir über den Ausbau der Windenergie sprechen. Wir haben den Solardeckel jetzt aufgehoben. Wir haben den Ausbau auf See erhöht. Aber wir werden auch Windenergieausbau am Lande brauchen.
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Jetzt findet hierzu eine Diskussion statt, als lägen Welten zwischen uns. Sie wissen doch, dass in den allermeisten Bundesländern eine Abstandsregel von 1 000 Metern gilt. Vielleicht bräuchten wir gar keine Bundesregelung,
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wenn alle Länder, zum Beispiel Brandenburg, schon so schlau gewesen wären, bevor sie eine Koalition mit den Grünen gemacht hätten, und nicht erst nachdem in den Koalitionsverhandlungen auch die 1 000 Meter verhandelt wurden.
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Jetzt reden wir nur noch über einen einzigen Bereich, und das sind die Splitterbereiche, bei denen man fragen kann, ob sie bei 7 Häusern oder bei 30 Häusern beginnen. Das ist der Unterschied zwischen der Ansicht der Bundesumweltministerin und des Bundeswirtschaftsministers. Nachdem wir es geschafft haben, uns bei der Grundrente zu einigen, sage ich Ihnen voraus: Wir werden auch da eine Einigung finden.
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Die 1 000 Meter sind in den allermeisten Bundesländern Deutschlands die Norm.
Wir haben ein weiteres großes Thema. Das ist die Transformation in der Automobilindustrie.
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Diese Transformation – wir haben es gestern gehört: Stellenabbau bei Audi – in der Automobilindustrie ist notwendig; denn die Mobilität wird sich wandeln. Schon Kaiser Wilhelm hat gedacht, dass das Pferd wieder zurückkommt, als er das erste Auto gesehen hat. Er hat sich geirrt. Auch Sie werden sich irren.
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Es wird eine völlig neue Mobilität geben mit autonomem Fahren, alternativen Antrieben und anderen Eigentumsverhältnissen, als wir es heute kennen.
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Es wird Jahre dauern, aber es wird gut sein, wenn die Politik hilft.
Wir als Bundesregierung führen einen strukturierten Dialog mit der Automobilindustrie. Wir werden die Ladeinfrastruktur ausbauen. Wir werden durch Kaufprämien die Einführung der neuen Antriebstechnologien unterstützen. Wir setzen nicht auf nur eine Technologie, aber nehmen es ernst, wenn uns die Automobilindustrie für den Pkw-Bereich – nicht für den Lkw-Bereich, nicht für den Zugbereich – sagt, dass auf absehbare Zeit Elektromobilität jetzt erst einmal die Technologie der Wahl ist. Wir werden die Menschen dazu bringen, Autos mit alternativen Antrieben zu kaufen, wenn die entsprechende Ladeinfrastruktur vorhanden ist. Deshalb ist es richtig, dass Bund, Länder und Kommunen hier zusammenarbeiten und Vertrauen für die Menschen schaffen.
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Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die zweite große Aufgabe ist, wie wir die Transformation im Zuge der Digitalisierung schaffen. Hierzu hatte die Bundesregierung eine Klausurtagung, bei der wir wichtige Entscheidungen getroffen haben.
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Einmal geht es natürlich um den Ausbau der Infrastruktur. Wir haben eine Mobilfunkstrategie entwickelt, in der zum Beispiel steht, wie wir den Mobilfunk ausrollen, und zwar flächendeckend. Denn wir wissen, dass weiße Flecken für die Menschen nicht akzeptabel sind, gerade in den ländlichen Räumen. Wir haben eine klare Strategie für den Ausbau von 5G.
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Die Auflagen bei der Versteigerung der Frequenzen sind sehr hart. Ich danke da auch den Kollegen aus dem Bundestag, die uns als Regierung da sehr an die Kandare genommen haben.
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Wir werden natürlich auch den Glasfaserausbau voranbringen.
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Aber viel, viel wichtiger ist, dass wir verstehen, dass der neue Rohstoff die Daten sind. Die Bundesregierung hat jetzt auf der Grundlage der Datenethikkommission Eckpunkte für eine Datenstrategie festgelegt, die wir im Frühjahr verabschieden werden. Ich habe den Eindruck, dass uns die Bedeutung schon klar ist, den großen Unternehmen auch,
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dass aber im deutschen Mittelstand die Bedeutung dessen, was durch das Wesen der Daten als neuer Rohstoff entstanden ist, noch nicht ausreichend gesehen wird. Deshalb unterstütze ich das, was Peter Altmaier vorgeschlagen hat, nämlich als Politik – das ist ja schon etwas seltsam – mit daran zu arbeiten, dass wir eine Plattform entwickeln, auf der Daten verarbeitet werden können, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern möglichst zusammen mit Frankreich und europaweit. Es muss verstanden werden, dass es nicht nur darum geht, dass ich meine Daten kenne.
Deutschland hat Industrie 4.0 mit als erstes Land nach vorne gebracht. Die Digitalisierung der eigenen Produktion ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist die Vernetzung aller Menschen und vor allen Dingen auch Gegenstände auf der Welt. Dies bietet völlig neue Möglichkeiten, Erkenntnisse zu gewinnen. Das muss im Gesundheitsbereich passieren. Das muss beim Umweltschutz passieren. Das muss aber auch für neue Wirtschaftsmodelle passieren. Je schneller wir das akzeptieren, umso besser ist es. Das bedeutet aber als Erstes einmal, dass ich alles digitalisiert vorhanden habe und dass ich weiß, was ich habe. Wir sind dafür – ich schaue gerade Nadine Schön an –, dass wir das möglichst im Open-Data-Bereich als Open Source machen, damit es durchschaubar ist. Aber damit man daraus neue Produkte machen kann, brauchen wir noch einen Kulturwandel in Deutschland. Man muss verstehen, dass das dringlich ist. Ich habe den Eindruck, dass wir da viel, viel zu langsam sind. Wir als Abgeordnete sollten sozusagen die Botschafter sein, die sagen: Verschlaft diese Zeit nicht, sonst werden Wertschöpfungsmodelle an uns vorbeigehen und wir werden zur verlängerten Werkbank. – Das ist meine ganz große Sorge. Aber, ich glaube, als Bundesregierung sind wir jetzt auf dem richtigen Weg.
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Wir müssen führend in KI sein, in der künstlichen Intelligenz, in den Algorithmen, die mit diesen Daten arbeiten. Wir haben glücklicherweise sechs entsprechende Forschungszentren. Sie werden unterstützt. Da müssen Bund und Länder gut zusammenarbeiten. Ich unterstütze sehr die zusätzliche Strategie von Bayern, die mit der Bundesstrategie bestens zusammenpasst. Ich weiß, dass auch in anderen Bundesländern viel passiert. Das ist gut.
Hiervon und vom Klimawandel wird weit mehr als von anderen Dingen abhängen, ob wir in 10 oder 20 Jahren noch ein führender Industriestandort sind oder nicht. Die Weichen dafür werden heute gestellt.
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Wirtschaft, soziale Marktwirtschaft, unser Gesellschaftsmodell – das in die neue Zeit zu tragen, verstehen wir als Aufgabe der Bundesregierung. Aber wir sehen, dass die vielen Veränderungen, die dramatischen Veränderungen auf der Welt auch zu großen Friktionen in unserer Gesellschaft führen. So gut wie das Internet ist und so gut wie die digitalen Möglichkeiten sind, so viele Gefahren bergen sie natürlich auch; das war bei jeder neuen Technologie so. Deshalb ist es gut, dass im Augenblick in Berlin das große internationale Internet Governance Forum der UN tagt, das sich mit solchen Fragen beschäftigt.
Wir müssen konstatieren: Obwohl es uns wirtschaftlich sehr gut geht,
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obwohl es Lohnsteigerungen für viele Menschen gibt, obwohl wir mehr Beschäftigte haben, sozialversicherungspflichtig und Erwerbstätige insgesamt, als wir jemals hatten, gibt es in unserer Gesellschaft Friktionen, die uns unruhig stimmen müssen. Der Mord an Walter Lübcke, die Vorgänge in Halle, sie alle rütteln uns auf. Man fragt sich: Was ist in unserer Gesellschaft los? Und das nach 70 Jahren Grundgesetz. Die Würde des Menschen ist unantastbar.
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Das bedeutet Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit in unserem Land ist gegeben. All denjenigen, die dauernd behaupten, sie dürften nicht mehr ihre Meinung sagen, muss ich sagen: Wer seine Meinung sagt, auch prononciert, der muss damit leben, dass es Widerspruch gibt.
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Es gibt keine Meinungsfreiheit zum Nulltarif. Es stimmen nicht immer alle zu. Aber die Meinungsfreiheit kennt Grenzen. Sie beginnen da, wo gehetzt wird, wo Hass verbreitet wird.
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Sie beginnen da, wo die Würde anderer Menschen verletzt wird. Dagegen werden und müssen wir uns in diesem Hause stellen. Das werden wir auch hinbekommen. Denn sonst ist diese Gesellschaft nicht mehr das, was sie einmal war.
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So sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Sie haben hoffentlich gemerkt, wir haben viel zu tun. Wir haben sehr viel angefangen,
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aber vieles muss noch weitergemacht werden. Deshalb finde ich, wir sollten die Legislaturperiode lang weiterarbeiten. Das ist meine persönliche Meinung.
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Ich bin dabei. Schön, wenn Sie es auch sind.
Herzlichen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christian Lindner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frau Bundeskanzlerin hat ihre Rede mit einem optimistisch-humoristischen Gruß an ihren Koalitionspartner geschlossen.
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Begonnen hat sie mit einem außenpolitischen Schwerpunkt. Es ist auch nachvollziehbar, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie hier einen außenpolitischen Schwerpunkt setzen; denn einer unserer engsten Verbündeten fordert unser Land heute in einem Zeitungsinterview in der „Bild“ dazu auf, unsere Führungsrolle wahrzunehmen. Wir hätten aber erwartet, dass Sie dann auch die großen Linien aufzeigen und nicht im Klein-Klein verbleiben.
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Sie haben zu Recht gesagt, es müsse eine europäische Antwort auf die Herausforderung China geben. Ja, aber bitte welche Antwort denn? Es reicht doch nicht, nur Fragen aufzuwerfen.
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Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie über Krisenregionen sprechen, dann hätten wir erwartet, dass Sie persönlich Stellung dazu beziehen, wo Sie in der Frage Nordsyrien politisch eigentlich stehen. Stehen Sie an der Seite der Bundesverteidigungsministerin, die eine strategische Initiative ergriffen hat, oder an der Seite des Bundesaußenministers Maas, der in Ankara die Uneinigkeit der deutschen Bundesregierung auf internationaler Bühne dokumentiert hat?
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Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie Ihre Rede hier zum Anlass nehmen, „70 Jahre NATO“ zu würdigen, dann hätten wir ein ganz klares Bekenntnis zur transatlantischen Partnerschaft erwartet. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich in den letzten Tagen die unglaubliche politische Entgleisung geleistet, die Vereinigten Staaten von Amerika in einem Satz mit der Volksrepublik China gleichzusetzen. Sie hätten das hier heute aus der Welt schaffen müssen, Frau Bundeskanzlerin.
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Bemerkenswert ist nun allerdings, worüber Sie nicht gesprochen haben. Ein großer Schwerpunkt war also die Außenpolitik. Aber worüber haben Sie nicht oder nur sehr kurz gesprochen?
Erster Punkt. Sie haben nicht darüber gesprochen, dass die deutsche Wirtschaft so gut wie nicht mehr wächst. Mit einem Wachstum von nur noch 0,1 Prozent sind wir ganz hinten in der Europäischen Union. Es gibt bei uns keinerlei Wachstumsdynamik mehr. Sie sind gerade mal knapp viereinhalb Minuten auf die wirtschaftliche Lage im engeren Sinne eingegangen, Frau Bundeskanzlerin. Viereinhalb Minuten für eine der wesentlichen Grundfragen in den nächsten Jahren hier in diesem Land!
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Ich kann nur sagen: Wer die Wirtschaft links liegen lässt, der darf sich über Probleme von rechts irgendwann nicht wundern.
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Sie haben dann allerdings die 9 500 Arbeitsplätze angesprochen, die bei Audi abgebaut werden. Das hat nicht nur was mit konjunkturellen Fragen zu tun, sondern dazu führen auch politische Entscheidungen. Wir konzentrieren uns in Deutschland – Sie haben das hier unterstrichen – ja ganz einseitig nur auf die Elektromobilität, obwohl es Alternativen gibt: Wasserstoff – damit fahre ich –, synthetische Kraftstoffe
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und vieles mehr, was denkbar ist. Dass wir uns nur auf die Elektromobilität konzentrieren, führt natürlich zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen in den Unternehmen, die auf Dieseltechnologie gesetzt haben.
Sie haben dazu heute mehr oder weniger nichts gesagt, sondern das nur hingenommen. Der Bundesparteitag der CDU war da weiter. Dort gab es das klare Bekenntnis: In Deutschland hat auch der nichtfossil betriebene Verbrennungsmotor als Spitzentechnologie eine Zukunft.
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Ich muss Ihnen sagen: Die CDU gefällt mir besser als diese Bundesregierung.
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– Ja, das gilt auch bei anderen Fragen.
Diese Bundesregierung geht schlafwandlerisch auf eine drohende Wirtschaftskrise und einen Wirtschaftsabsturz zu. Auf der anderen Seite sehe ich, dass es durchaus auch andere Erkenntnisse gibt. Sie kündigen ein bisschen wachsweich an, mittelfristig müsse man prüfen, bei den Unternehmensteuern was zu tun. Das ist auf einer Linie, die wir kennen.
An Peter Altmaier als kommissarischem Finanzminister, seinem Zahlengerüst und seinem Unwillen ist damals ja die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages gescheitert, aber auf dem CDU-Bundesparteitag gab es klare Aussagen, zum 1. Januar 2020 den Soli für alle abzuschaffen und ihn nicht zu einer Strafsteuer für Mittelstand und Wirtschaft zu machen. Ich kann Ihnen nur sagen: Bringen Sie das als Gesetzentwurf hier ein! Unsere Zustimmung ist Ihnen da sicher.
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Sie haben hier über die Bedeutung der Digitalpolitik gesprochen, Frau Bundeskanzlerin. In der Tat: Auch da müssen wir Tempo aufnehmen, wenn wir auf der Höhe der Zeit sein wollen. Das haben wir hier schon öfter besprochen. Damit wir Tempo aufnehmen, müssen wir weg von der Praxis der Rohrpost, die es auch im Bundeskanzleramt noch gibt, und hin zu einem modernen Verwaltungshandeln, zu einem Management der Transformation. Digitalisierung aus einer Hand!
Dazu wäre es empfehlenswert, alle Kompetenzen und Ressourcen auch an einer Stelle in einem Digitalministerium zu bündeln. Bislang ist das an der Union gescheitert. Jetzt habe ich von dem Bundesparteitag der CDU gehört, eigentlich bräuchte man ein Digitalministerium. Willkommen im Klub! Sogar der Chef des Bundeskanzleramtes sagt: Wir brauchen ein Digitalministerium. – Frau Bundeskanzlerin, lassen Sie der guten Erkenntnis doch einfach Taten folgen!
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Oder liegt es an der SPD? Will sich die SPD das eklige Bonbon ans Revers kleben lassen, dass es an ihnen scheitert, dass wir kein zentrales Management der Digitalisierung bekommen? Eigentlich sind doch alle außer den Grünen einer Meinung, dass wir so was brauchen. Sie haben ein Heimatministerium eingerichtet, weil Horst Seehofer in Bayern keine Heimat mehr hat,
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was uns aber noch fehlt, ist ein Digitalministerium, damit wir auch die Zukunftsfragen angehen. Also: Lassen Sie den guten Erkenntnissen Ihres Parteitages im Regierungshandeln Taten folgen.
Zweites Thema, über das Sie nicht gesprochen haben; damit bin ich bei Horst Seehofer. Die Zahl der Baugenehmigungen in Deutschland ist eingebrochen. Die Wohnraumoffensive dieser Bundesregierung ist bereits gescheitert, bevor sie begonnen hat.
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Das ist eine der wesentlichen sozialen Fragen unserer Zeit, und schon nach zwei Jahren sprechen alle Zahlen dagegen. Das hat Gründe.
Ein Grund ist, dass die Baupolitik in dieser Bundesregierung nur dilatorisch behandelt wird. Bei den großen Branchenereignissen tritt der Bundesbauminister ja überhaupt nicht in Erscheinung. Es war möglicherweise ein organisatorischer Fehler, ein Riesenressort „Innen und Bau“ überhaupt ins Leben zu rufen. Aber sei es drum! Das sind Dinge, die in dieser Bundesregierung zu verantworten sind.
Schwerwiegender sind landespolitische Entscheidungen, insbesondere hier in Berlin, die das Vertrauen von Menschen, die in Wohnraum investieren wollen, vollkommen zerstören.
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Ich meine den Mietendeckel hier in Berlin, den rot-rot-grünen Mietendeckel in Berlin.
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– Eine gute Sache, Dietmar Bartsch?
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Es sind hier in Berlin doch sofort Bauanträge zurückgezogen worden, und zwar nicht von irgendwelchen Heuschrecken; ausgerechnet genossenschaftliche Wohnungsbauinitiativen ziehen ihre Bauanträge zurück, weil sie sagen, es gibt hier keine Planungssicherheit mehr.
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Wir sind dabei, einen Eckpfeiler unserer Wirtschaftsordnung durch eine rot-rot-grüne Politik einzureißen. Es war gut gemeint, aber wir sehen inzwischen die Verheerungen.
Uns fehlen 1,9 Millionen Wohnungen in Deutschland. Dabei geht es um ein Investitionsvolumen in Höhe von 300 Milliarden Euro. Woher soll das Geld kommen, wenn nicht von privaten Investoren? Es wird aber niemand in Wohnraum investieren, wenn er nicht sicher sein kann,
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dass sein Eigentum und die Verfügbarkeit darüber gesichert sind.
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– Ich sehe vereinzelt Applaus bei den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
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– Eine herzliche Einladung: Wenn Sie das so sehen, dann gehen Sie mit uns nach Karlsruhe und dann klagen Sie gegen den Mietendeckel von Berlin!
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– Nein, das hat nichts mit „Lobbypartei FDP“ zu tun – und wenn, dann sind wir eine Lobby für bezahlbares Wohnen.
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Ausgerechnet die Linkspartei, die 40 Jahre lang hat beweisen können, dass staatlich zentrierte Wohnungspolitik nicht sozial ist, sollte in dieser Frage Zurückhaltung üben;
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denn in Deutschland West sind seit 1949 größte Herausforderungen nach dem Zweiten Weltkrieg – inklusive der Integration von Vertriebenen in den Wohnungsmarkt und in den Arbeitsmarkt – mit einer privaten marktwirtschaftlichen Wohnungsbaupolitik bewältigt worden. Da brauchen wir uns von Ihnen nicht belehren zu lassen.
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Drittes Thema, Frau Bundeskanzlerin, über das Sie nicht gesprochen haben: In der Vergangenheit haben Sie oft als Ziel ausgegeben, Deutschland müsse eine Bildungsrepublik werden. Dieses Ziel ist vollkommen richtig. Das ist eine der gesellschaftspolitischen Schlüsselaufgaben. Es geht darum, den fatalen Zusammenhang zwischen der Herkunft, dem Elternhaus, und dem beruflichen Weg in Deutschland zu entkoppeln. Das ist das Aufstiegsversprechen unseres Landes. Egal wo du geboren bist, egal in welchem Stadtteil du lebst, egal wer deine Eltern sind und woher sie kommen: Du sollst in Deutschland alle Chancen haben. Das gehört zu unserer Gesellschaftsordnung dazu. Deshalb ist Bildung ganz nach vorne zu setzen. Das wäre im Sinne Ihres Ziels der Bildungsrepublik sinnvoll und richtig.
Aber wie ist die traurige Realität? Der Nationale Bildungsrat, von Ihnen ins Schaufenster gestellt, ist, bevor er die Arbeit überhaupt aufnehmen konnte, bereits gescheitert, weil Bayern und Baden-Württemberg, CSU und Grüne, sich einer systematischen Zusammenarbeit der 16 Länder verweigern. Ich habe Verständnis dafür, dass Bayern und Baden-Württemberg bei den Bildungsstandards nicht auf das Niveau von Bremen kommen wollen.
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Für diese Befürchtung habe ich Verständnis. Die Wahrheit ist aber, dass Bayern und Baden-Württemberg nicht in einem Wettbewerb mit Bremen stehen, sondern die Bundesrepublik Deutschland steht in einem Wettbewerb mit den USA und mit Asien. Selbst Bayern hat im Vergleich zu den Spitzenreitern auf der Welt noch viel aufzuholen.
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Deshalb brauchen wir mehr Vergleichbarkeit, mehr Mobilität und im Übrigen auch die gesamtstaatlichen Finanzierungsmöglichkeiten in der Bildung. Das ist keine Aufgabe mehr, die die schwächsten Glieder unseres Gemeinwesens, nämlich Kommunen und Länder, allein stemmen können. Da wäre das Engagement des Bundes gefordert. Ausweislich der Haushaltszahlen gibt es aber nicht mehr Engagement des Bundes in der Bildung, sondern bei Frau Karliczek wird der Haushaltsansatz sogar um 70 Millionen Euro gekürzt;
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70 Millionen Euro, die fehlen. Hier hätte man einen Schwerpunkt setzen müssen. Wir bräuchten nicht nur eine Exzellenzinitiative für die Hochschulen, sondern auch eine Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung.
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Wir müssten über das lebensbegleitende Lernen nicht nur reden, wir müssten es finanzieren. Das wäre eine zukunftsweisende Politik im Bildungsbereich. Dabei ist es symptomatisch, dass Sie ihn gar nicht erwähnt haben. Da passiert leider nichts.
Worüber Sie gesprochen haben, Frau Bundeskanzlerin, waren die Bauernproteste vom gestrigen Tag. Damit haben Sie geschlossen. Sie haben hier freundliche Worte geäußert. Diese hätten Sie gestern einmal den Landwirten entgegenbringen sollen.
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– Ja, das ist ein ernsthaftes Thema. Weil hier manche so aufstöhnen, habe ich das Gefühl: Das ist – da müssen wir aufpassen – ein bisschen eine „Déformation professionnelle“, um nicht zu sagen: eine Berufskrankheit hier im Deutschen Bundestag.
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Hier sprechen nämlich ganz viele über die Lebenswirklichkeit von Menschen, die sie in Wahrheit gar nicht kennen. Das ist ein ganz großes Problem.
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– Ja, ganz viele tun das. Ich finde es bemerkenswert: Ich meinte die Grünen, aber ein Kollege der Union fühlt sich angesprochen.
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Es ist ein Problem, Frau Bundeskanzlerin, wie da gesprochen wird. Die Landwirte brauchen keine Worte. Sie haben das Gefühl, dass hier im Parlament über sie und über ihre berufliche Existenz aus irgendeiner – wie soll ich sagen? – moralischen Motivation heraus entschieden wird, ohne die tatsächliche berufliche Praxis und die wissenschaftliche Evidenz zu kennen. Das macht die Leute wütend. Sie haben das Gefühl, dass hier Stimmungen entscheiden und nicht Fakten. Viele Menschen haben das Gefühl – vom Dieselfahrer bis hin zum Landwirt –, dass hier im Deutschen Bundestag den Menschen der Respekt vor der Art versagt wird, wie sie leben und wie sie wirtschaften. Das ist ein Grundproblem, Frau Bundeskanzlerin, der Politik der vergangenen Jahre.
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Das zeigt sich bei jeder Form der Bürokratisierung.
Jetzt komme ich zum Schluss, weil Sie sich ja so aufregen.
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– Hier ist ja ordentlich Leben in der Bude. Ich komme tatsächlich zum Ende meiner Ausführungen.
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Es gibt – das kann ich Ihnen nicht ersparen – ein Symptom: Man kümmert sich nicht um die wirklich wichtigen Fragen. Die Situation der Wirtschaft spielt keine Rolle, und es gibt ein Klima des Misstrauens und der Bevormundung, das von der Regierung ausgeht. Wissen Sie, was dafür das Symptom ist? Die wesentliche wirtschaftspolitische Maßnahme des Jahres 2020 ist ausgerechnet die Einführung einer Bonpflicht, weil man glaubt, dass dann, wenn beim Bäcker die Kaffeetasse ausgegeben wird, Steuerhinterziehung betrieben wird.
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Das ist symptomatisch: Bürokratismus, viele Kosten, Misstrauen ohne einen wirklichen Nutzen für unser Land.
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Das ist leider symptomatisch für die Art, wie hier regiert wird.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Dr. Rolf Mützenich.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jede Zeit will ihre eigenen Antworten. Ein Haushalt ist deshalb nicht allein eine Aneinanderreihung von Zahlen, sondern die Klärung wichtiger Zukunftsfragen. Zugleich müssen sich die Entscheidungen an den eigenen Überzeugungen messen lassen.
Meine Fraktion ist in diese Beratungen mit einem klaren Kompass gegangen: Wir wollen, dass es gerecht zugeht. Wir begegnen den Menschen mit Respekt und nehmen ihre Sorgen ernst. Wir wollen ein Ringen um die besten politischen Lösungen. Und wir streiten für den Erhalt und die Stärkung unserer Demokratie und wenden uns gegen Ausgrenzung, Hass und Gewalttaten, gerade in diesen Zeiten, in denen die Gesellschaft immer mehr verroht, meine Damen und Herren.
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Alles das – das ist die Überzeugung von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – können wir nur mit einem starken, sozialen und demokratischen Staat bewirken. Ich finde, aus dieser Mitte des Bundestages sollte das Signal kommen: Dieser Stolz, der sich auf die deutsche Geschichte bezieht, ist doch ein Ausrufezeichen gegen die Tendenzen in der internationalen Politik, wo der Staat immer mehr als ungerecht, als einschüchternd wahrgenommen wird. Wir können stolz darauf sein, wenn sich woanders Menschen das als Vorbild nehmen, welches gerade in Europa, in den westlichen Demokratien in der Geschichte verinnerlicht wurde, nämlich dass die Menschen mit Stolz und letztlich eben auch mit Überzeugung einem Staat, wie zum Beispiel in Hongkong, die Stirn bieten und wählen gehen und im Grunde genommen für eine friedliche Veränderung ihrer Gesellschaft eintreten. Das ist etwas, über das wir hier aus Deutschland, aus Europa heraus sagen müssen: Ja, dieser Weg ist richtig, und wir wollen ihn auch unterstützen, meine Damen und Herren.
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Natürlich behauptet jede Generation von sich, in einem besonderen Moment Verantwortung übernommen zu haben. Aber ich finde, wir sollten etwas bescheidener sein. Diese Behauptung verliert an Urteilskraft, wenn wir uns allein die Geschichte unseres Hauses, in dem wir streiten, in dem wir Politik machen, in dem wir Entscheidungen treffen, ansehen. Es geht darum, uns vor diesem Hintergrund vielleicht mal etwas zurückzunehmen. Da sind die Inschriften der sowjetischen Soldaten, die Mauer, die auch dieses Haus teilte, die Flucht- und Gewaltorte ringsherum. Meine Fraktion betritt jedes Mal, wenn sie sich zur Fraktionssitzung zusammenfindet, den Fraktionssaal im Namen der Mitglieder der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, die an diesem Ort gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben.
Meine Damen und Herren, wir spüren alle, dass die Veränderungen groß sind. Die internationale Lage, Frau Bundeskanzlerin, auf die Sie hingewiesen haben, die Erschütterungen fest geglaubter Werte, die Beschleunigung vieler Lebensbereiche und ausdrücklich auch die Klimaveränderungen, ohne die sich in der internationalen Politik manche internationale Entwicklung, die auch zu diesen Krisen führt, gar nicht erklären lässt: All das sind die Herausforderungen, die wir angehen müssen. Deswegen sorgen sich die Menschen zu Recht.
Unsere Antwort ist: Wir brauchen diesen sozialen, diesen gerechten, aber letztlich auch diesen starken Staat, damit er die Menschen bei den Veränderungen begleitet. Das ist etwas, wofür auch meine Fraktion in den Haushaltsberatungen angetreten ist.
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Der Umbau der Arbeitsgesellschaft ist zu bewältigen. Kollege Gauland, es ist nicht sozusagen irgendeine Erfindung, die hier gemacht worden ist, sondern es ist die Reaktion der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Unternehmenschefs, die sagen: Unsere Industrie überlebt diesen Wandel nicht, wenn wir uns dem nicht stellen, wenn wir nicht zu klimaneutralen Produktionsabläufen kommen und wenn wir die Digitalisierung der Arbeit nicht in Angriff nehmen. – Das ist eine Situation, die sich in vielen Betriebsvereinbarungen widerspiegelt.
Die Autoindustrie ist in aller Munde, aber auch die Chemieindustrie. Hier haben gestern die Bauern demonstriert. Natürlich spielt in diesem Zusammenhang auch die Landwirtschaft eine große Rolle, die die Digitalisierung ja auch mit betreibt. Ich finde, die Landwirte müssen sich auf einen Staat verlassen können, der auch investiert, der auch die Rahmenbedingungen dafür schafft. Genau das haben wir mit einer großen, aber auch realistischen Summe in dem Haushalt 2020 verankert: im Bildungsbereich, in der Forschung, für die Infrastruktur, für den Breitbandausbau, für die klimaneutrale Mobilität im Schienenverkehr und im öffentlichen Personennahverkehr. Ich glaube, das ist richtig. Dafür brauchen wir den sozialen, den starken und den demokratischen Staat.
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Aber ich finde, wir müssen genauso deutlich machen, dass auch die Risiken, die sich daraus ergeben, wenn wir über das Ziel hinausschießen, genauso bedacht werden müssen. Wir setzen auf klimaneutrale Produktion. Wir setzen auf klimaneutrale Mobilität. Aber dann darf diese Mobilität nicht an den ländlichen Regionen vorbeifahren, sondern auch dort muss der Zug halten, wenn wir die Menschen mitnehmen wollen.
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Genau das ist es, was Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen.
Ein weiterer Aspekt: Wir brauchen nicht nur einen Staat und ein Parlament, die investieren, sondern auch – dazu wollen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unseren Beitrag leisten – neue Schutzrechte vor dem Hintergrund dieser neuen wirtschaftlichen und sozialen Situation.
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Wir machen uns Sorgen um die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen. Deswegen glaube ich, dass wir auch hier eine Diskussion darüber brauchen: Was ist den Menschen zumutbar in diesen strukturierten Prozessen des Umbaus, der Digitalisierung und bei neuen Produktionsabläufen? Genauso ist über die Arbeitszeit nachzudenken. Aber ich finde auch, wir müssen uns Gedanken darüber machen und Entscheidungen treffen, wie wir eine Vertretung der Beschäftigten schaffen, sodass die Vereinzelung, die durch die neuen Arbeitsabläufe mehr und mehr entsteht, unterbleibt und trotzdem eine kollektive Vertretung in den Gewerkschaften stattfindet. Das ist wichtig für den sozialen Staat Bundesrepublik Deutschland.
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Wenn ich sage: „Wir brauchen diesen starken, diesen investierenden Staat“, so bin ich froh, dass wir über ein Strukturstärkungsgesetz für die Kohleregionen sprechen und die 40 Milliarden Euro auf dem Weg zu dieser Umstellung für die nächsten Jahre mit in die Hand nehmen; denn es ist doch das, was Politik in westlichen Demokratien so attraktiv machen kann: dass wir auch aus den Fehlern lernen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren in den Regionen gemacht worden sind, die Strukturumbrüche durchgemacht haben. Jetzt nutzt dieser Staat die Möglichkeiten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Strukturumbrüchen zu begleiten. Deswegen ist – das sage ich auch dem Wirtschaftsminister – das Kohleausstiegsgesetz nur zusammen mit dem Strukturstärkungsgesetz zu denken und letztlich auch zu verabschieden. Darauf werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bestehen.
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Wenn wir über den Haushalt 2020 sprechen, dann zeigt sich, dass wir hier in ein ambitioniertes Klimaschutzprogramm einsteigen. Allein bis 2030 sollen 7 Milliarden Euro in die energetische Gebäudesanierung, in den Heizungsaustausch, in den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur und in die Batterie- und Wasserstoffforschung fließen. Alles das sind nur einzelne Bereiche, die ich hier nennen kann und die wichtig sind.
Aber meine Fraktion wird nie die Menschen vergessen, die auf der Strecke bleiben, die, obwohl es so viel Arbeit, so viele unbesetzte Stellen gibt, eben doch nicht die Chance haben, in Arbeit zu kommen. Wir kümmern uns um die Wohnungssuchenden. Wir wollen, dass die Menschen, die sich alleingelassen fühlen, die von ihrer Rente nicht leben können, mitgenommen werden. Auch das ist in diesem Haushaltsjahr berücksichtigt worden. Ich bin stolz, dass wir 10 Milliarden Euro für langzeitarbeitslose Menschen in die Hand nehmen, die einen sozialen Arbeitsmarkt brauchen. Wie umstritten war das immer hier im Haus gewesen. Dennoch ist es wichtig, und wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben uns dessen angenommen und das in dieser Koalition auch durchgesetzt.
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Genauso betrifft das den sozialen Wohnungsbau, der ohne die Begrenzung der Mieten, die Mietpreisbremse, überhaupt nicht denkbar ist. Wir reden doch nicht nur über Ordnungsrecht, über Gesetze, die wir dort erlassen, sondern wir wollen auch Angebote schaffen über die Bereitstellung von Liegenschaften für den sozialen Wohnungsbau. Ich finde, es ist gut, dass der Bund 5 Milliarden Euro in die Hand genommen hat und dass er insbesondere Liegenschaften, die dem Bund gehören, den Kommunen preiswert abtritt. Das muss zusammengedacht werden, und das ist die richtige Richtung.
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So können auch diese Herausforderungen für die Menschen bewältigt werden. Dazu kommen 1 Milliarde Euro, die in die Ganztagsbetreuung fließen. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, die Ganztagsbetreuung bis 2025 auf eine sichere Grundlage zu stellen.
Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie haben durchaus respektabel von vielen Ergebnissen, die diese Koalition bisher erreicht hat, gesprochen. Mit großem Engagement, mit großem Impetus haben Sie von der Mindestausbildungsvergütung gesprochen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie umstritten das zwischen unseren Parteien in den Koalitionsverhandlungen gewesen ist
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und dass wir Ihre Bildungsministerin zurückrufen mussten. Aber ich gönne Ihnen das. Sie haben in Dortmund gesagt: Der Mindestlohn ist sozusagen meine Erfindung. Jetzt behaupten Sie dasselbe von der Mindestausbildungsvergütung. Aber die Menschen draußen wissen, wer es auf den Weg gebracht hat, und das sind die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.
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Darüber hinaus sage ich sehr selbstbewusst: Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion. Das war kein Leichtes, was wir auf den Weg gebracht haben, nämlich die Grundrente. Wir sind von unterschiedlichen Wegen aus gekommen, und wir haben auch weiterhin prinzipielle Unterschiede. Ich habe es persönlich in den Verhandlungen gemerkt. Sie haben das sehr stark auf die Bedürftigkeit, im Grunde genommen auf Sozialleistungen ausgerichtet. Aber wir, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, haben einen Rechtsanspruch für die Menschen schaffen wollen – und wir haben uns durchgesetzt –,
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die 35 Jahre lang in die Sozialversicherung eingezahlt haben. Das ist auch der prinzipielle Unterschied, den wir aufrechterhalten. Wir wollen, dass sich die Menschen auf Rechtsansprüche verlassen können. Das schafft die Grundrente, und darauf sind wir stolz.
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Ich weiß, Herr Kollege Brinkhaus – ich habe es aus der „Bild“-Zeitung erfahren –, Sie haben einen Brief des Hauptgeschäftsführers des Arbeitgeberverbandes BDA bekommen. Überraschenderweise haben wir keinen Brief bekommen. Ich kenne auch nicht Ihre Antwort. Aber wenn ich einen Brief bekommen hätte, dann hätte ich ihm geantwortet: Kümmern Sie sich nicht um die Grundrente; kümmern Sie sich um gute Löhne für gute Arbeit! – Das wäre die beste Antwort darauf gewesen.
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Ich glaube, in diese Richtung sollten wir gehen.
Meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin hat die Außenpolitik zu Recht in den Mittelpunkt ihrer Rede gestellt. Auch dieser Haushalt gibt eine verlässliche Antwort. Ich habe in diesem Bundestag meine Arbeit begonnen, als wir nie sicher waren, ob die humanitäre Hilfe für die Krisen, die es in der Welt gibt, überhaupt ausreicht. Wir haben immer wieder über Nachtragshaushalte Korrekturen vornehmen müssen. Heute nehmen wir 1,6 Milliarden Euro in die Hand und sagen damit den Vereinten Nationen und den Nichtregierungsorganisationen: Wir lassen euch nicht alleine bei den humanitären Herausforderungen. Ich finde, das ist ein gutes Ergebnis dieser Haushaltsberatungen. Das betrifft genauso die Entwicklungszusammenarbeit und die Krisenprävention.
Ja, wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten scheuen überhaupt nicht die Diskussion über Verantwortung. Das tun weder der Außenminister noch der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, auch dann nicht, wenn wir über Menschenrechte beraten. Aber, Frau Bundeskanzlerin – das ist auch an den Koalitionspartner gerichtet –, Ihr Verantwortungsprinzip – das habe ich in den letzten Wochen lernen müssen – erschöpft sich viel zu stark im Militärischen.
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Ich finde, die Verteidigungsministerin ist noch einen Schritt weitergegangen, was sich aus meiner Sicht aus einer verlässlichen deutschen Außen- und Sicherheitspolitik nie so ableiten lässt, auch nicht aus dem Grundgesetz, aus unserer Verfassung. Sie, Frau Kramp-Karrenbauer, haben sich in München an der Universität der Bundeswehr für eine raumgreifende Politik ausgesprochen. Sie wollen, dass die Bundeswehr im Indopazifik an der Seite Australiens, Neuseelands, Japans die Volksrepublik China militärisch eindämmt. Welche Hybris ist das? Ich glaube auch, das ist der falsche Weg.
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Wir haben doch gemerkt, was der Kalte Krieg bedeutet hat. Die Eindämmungspolitik hat dazu geführt, dass die Kosten in die Höhe gegangen und die Verluste für die Menschen auf diesem Weg riesengroß gewesen sind. Wir wollen als sozialdemokratische Bundestagsfraktion nicht dieses Streben nach militärischer Dominanz mitgehen, sondern wir wollen eine Dominanz in der Diplomatie, in der zivilen Auseinandersetzung mit den humanitären Krisen.
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Ich glaube, dass das besser ist.
Deswegen, Frau Bundeskanzlerin: Ich schätze die Diskussion bei der NATO, gerade auch die politische Diskussion, die Sie führen wollen. Der NATO-Generalsekretär hat über den Weltraum gesprochen. Ich kann Ihnen keine Tagesordnung mitgeben, aber es lohnt sich, glaube ich, in einem Parlament, das immer für das Völkerrecht gestanden hat, nicht über die Militarisierung des Weltraums, sondern über das Weltraumrecht zu sprechen, das nämlich auch von Deutschland in den 60er- und 70er-Jahren mit vorangetrieben worden ist, um die Militarisierung zurückzudrängen.
Das sind die Unterschiede: Wir wollen Diplomatie, wir wollen Abrüstung, wir wollen Völkerrecht, und wir wollen Verlässlichkeit in den internationalen Beziehungen und keine neuen Debatten über Rüstungswettläufe befördern.
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Deswegen will ich zum Schluss sagen: Es ist ein Unterschied, Frau Bundeskanzlerin, ob man über Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe für Länder spricht, damit sie ihre Sicherheit selbst in die Hand nehmen können, oder ob man über Rüstungsexporte spricht;
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denn das ist etwas, was im Grunde genommen der europäischen Rüstungsindustrie Profitmöglichkeiten bietet. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn es eine UN-gestützte Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe in einzelnen Staaten, zum Beispiel in Afrika, gibt. In diese Richtung müssen wir gehen.
Meine Damen und Herren, Sozialdemokraten haben den Haushalt für 2020 geprägt, und meine Fraktion will auch an seiner Umsetzung mitwirken.
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Wir nehmen diese Aufgabe mit Stolz und Überzeugung an, weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.
Vielen Dank.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der Linken, Dr. Dietmar Bartsch.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein gewisser BlackRock-Aufsichtsrat aus dem Sauerland hat das Erscheinungsbild der Koalition als grottenschlecht bezeichnet. Das steht ein bisschen im Widerspruch zu dem, was die Kanzlerin erzählt hat. Ich finde nicht, dass das Erscheinungsbild der Regierung schlecht ist, sondern ich finde, ihre Politik ist leider vielfach grottenschlecht, meine Damen und Herren.
({0})
Meine Damen und Herren, nur noch 26 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sehen in der Arbeit der Bundesregierung eine Stärke des Landes. Angesichts der vielfachen Selbstbeschäftigung, die Sie betreiben, und Ihrer Halbzeitbilanz ist das sogar noch ein ziemlich hoher Wert. Sie sind als Große Koalition gestartet und als faktische Minderheitsregierung gelandet.
({1})
Sie sagen hier selbstbewusst, die erste Hälfte der Legislatur sei zu Ende; das ist Ihre Meinung, Frau Merkel. Eigentlich dürfte man die zweite Hälfte Ihrer Spielzeit gar nicht mehr anpfeifen. Spielabbruch und neue Mannschaften wären das Beste, weil Sie sich nicht mehr mit den Herausforderungen in Deutschland und in Europa beschäftigen.
({2})
Ich komme zur Halbzeitbilanz. Ich will damit beginnen, dass sich Ihr Außenminister und Ihre Verteidigungsministerin auf der Weltbühne über einen irrwitzigen Syrien-Einsatz streiten. Ich weiß wirklich nicht, was beschämender ist: eine Verteidigungsministerin, die sich mit einem verfassungswidrigen Syrien-Vorschlag
({3})
auf Kosten der Soldatinnen und Soldaten innerparteilich zu profilieren sucht, oder ein Außenminister, der neben dem türkischen Außenminister steht und dort, in der Türkei, die Ministerin kritisiert,
({4})
obwohl die Türkei einen Angriffskrieg führt und gegen die Menschenrechte verstößt. Dass eine Regierung nicht einmal im Ausland geschlossen auftritt, das hat es in der Geschichte bisher nicht gegeben. Streiten Sie sich doch im Kabinett, wegen meiner auch hier in Deutschland, aber doch nicht auf diese Art und Weise, meine Damen und Herren!
({5})
Oder ich nehme Ihren Verkehrsminister, Herrn Scheuer. Der kennt kein Vergaberecht, der kennt kein Haushaltsrecht. Herr Scheuer, Sie haben das Parlament und die Öffentlichkeit hinters Licht geführt und Steuergeld in nennenswerten Größenordnungen verbrannt. Sie sind das personifizierte Haushaltsloch.
({6})
Der soll sich jetzt mit dem Wandel in der Autoindustrie befassen? Ich glaube, das kann nur schiefgehen. Aber in dieser Bundesregierung sind Rechtsbrüche kein Problem; es geht immer weiter. Nur die Angst vor den Wählerinnen und Wählern schweißt zusammen.
Und dann gibt es mal ein vernünftiges Projekt: die ursprüngliche Grundrentenidee von Hubertus Heil. Die wurde im Februar vorgelegt und ist grundsätzlich richtig. Aber was tun Sie? Die Altersarmut nimmt dramatisch zu, und Sie streiten über neun Monate, wie tief Sie Rentnern in die Geldbörse schauen, bevor Sie ihnen helfen. Jetzt kriegen die, die 35 Jahre eingezahlt haben, einen kleinen Aufschlag. Ja, Rolf Mützenich, aber was ist eigentlich mit denen, die 34 Jahre Vollzeit malocht haben?
({7})
Bei Menschen, die für erbärmliche Löhne jahrzehntelang gearbeitet haben, da sind Sie hammerhart. Gleichzeitig subventionieren Sie E-Autos mit der Gießkanne: 6 000 Euro pro Stück ohne irgendeine Prüfung. Aber bei der Grundrente führen Sie eine Einkommensprüfung ein, die so hart ist, dass rund 2 Millionen Rentnerinnen und Rentner entgegen den ursprünglichen Plänen des Arbeitsministers ihren Anspruch verlieren.
({8})
Das ist die Realität. Das ist kein Grund zum Feiern. Sie kleben auf eine klaffende Wunde ein Pflaster, das viel zu klein ist, meine Damen und Herren.
({9})
Zum Haushalt für das kommende Jahr. Er hat drei Eigenschaften: Er ist kraftlos, er ist tatenlos, und er ist verantwortungslos. Er ist vor allen Dingen kraftlos bei Investitionen. Es ist doch bemerkenswert, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften Sie geschlossen zum Handeln, zum Investieren in die Zukunft auffordern. Aber nicht mal das treibt Sie an. Sie erzählen hier, wie Sie steigern und steigern, und dann kommen Dinge wie: Gut 1 Milliarde Euro fließen jetzt in den Ausbau des Mobilfunks. – Das ist doch lächerlich, meine Damen und Herren! Schon 2013 wollte Herr Dobrindt Deutschland zum Internetweltmeister machen. Die CSU stellt seit Jahren das Digitalministerium und verantwortet eine unfassbar miese Digitalbilanz.
({10})
Deutschland ist nicht Weltmeister, sondern steht dank der CSU abgeschlagen auf einem Abstiegsplatz. Das ist die Realität, meine Damen und Herren!
({11})
Aber nicht nur bei der Digitalisierung, sondern insgesamt haben wir in den nächsten zehn Jahren einen Investitionsbedarf in Höhe von 450 Milliarden Euro. Ihr Haushalt wird dieser Herausforderung nicht ansatzweise gerecht. Ich darf einmal Fakten benennen mit den Zahlen, die vorliegen: 2017 lagen die öffentlichen Investitionen, gemessen am BIP, im EU-Schnitt bei 2,8 Prozent, in Frankreich bei 3,4 Prozent, in Deutschland aber nur bei 2,1 Prozent, und sie werden auch im nächsten Jahr noch unterdurchschnittlich sein. Wir gehören damit zum hinteren Drittel der OECD-Staaten. Seien Sie doch endlich mal mutig! Im Übrigen heißt das überhaupt nicht, dass sich irgendwer in den Verschuldungsstaat begeben will. Machen Sie eine große Steuerreform! Wir haben immer noch das Steuersystem des vergangenen Jahrhunderts.
({12})
Wir müssen nicht zuallererst in die Verschuldung gehen.
Aber wenn Sie die Lücke sehen: So sieht das Land ja auch aus. Bei der Bahn stehen die Kunden häufig in überfüllten Zügen oder an Bahnhöfen, an denen überhaupt kein Zug mehr kommt. Ich will daran erinnern: Seit 1990 sind 6 400 Kilometer Bahnstrecke eingestellt worden, meine Damen und Herren. Das trifft natürlich zuallererst den ländlichen Raum. Das sind grandiose Fehlentscheidungen gewesen. Dazu kommt, dass die Tickets in den letzten 20 Jahren um 50 Prozent teurer geworden sind. Das sind Fehlentwicklungen. Wenn Sie die jetzt korrigieren wollen, nur zu! Am Ende muss die Bahn unschlagbar werden. Das ist eine Maßnahme sowohl für das Klima als auch für den ländlichen Raum. Das wäre der richtige Weg.
({13})
Frau Merkel, was interessant ist: Sie haben hier heute kein Wort zum Thema „Wohnen und Mieten“ gesagt, anders als Christian Lindner; dazu komme ich nachher noch. In Ihrem Haushalt fehlen die notwendigen Investitionen in bezahlbare Wohnungen, und zwar in nennenswerten Größenordnungen. In Wien oder in Basel sind die Mieten sozial bemessen. Und warum? Weil Kommunen Grundstücke kaufen und darauf günstige Wohnungen bauen.
({14})
Die Kommunen! Das ist das Richtige. Ein Viertel der Wiener Wohnungen gehören der Stadt. Ein Viertel! Und knapp 15 Prozent gehören gemeinnützigen Bauvereinigungen.
({15})
Und bei uns? Bei uns zahlt die Hälfte der Haushalte mehr als 30 Prozent für die Miete. Sie tun viel zu wenig dafür, dass eine Handwerkerin, ein Verkäufer oder eine Krankenpflegerin noch eine Wohnung bezahlen kann. Über 1 Million Menschen haben nach Abzug der Miete weniger Geld zum Leben als mit Hartz IV. Das ist die Realität.
Wohnen ist im Übrigen auch deshalb unbezahlbar geworden, weil die Bodenpreise explodieren, bundesweit seit 1962 um 2 300 Prozent, in München seit 1950 im Übrigen um 39 400 Prozent. Wir brauchen dringend eine neue Bodenpolitik. Politik kann und muss diese Entwicklung stoppen, meine Damen und Herren.
({16})
Ich will mal zitieren:
… Recht auf eine menschenwürdige Wohnung. … Die Bodenpreisspekulation ist zu unterbinden, ungerechtfertigte Gewinne aus Bodenverkäufen sind abzuschöpfen.
Das waren alles Zitate aus dem Godesberger Programm der SPD. Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen kurz danach festgestellt:
Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem … Spiel der freien Kräfte … zu überlassen.
({17})
Linke, Bundesverfassungsgericht und Godesberger Programm sind sich da völlig einig.
Jetzt zu Berlin. Berlin macht bei den Mieten im Interesse der Mieterinnen und Mieter jetzt den Deckel drauf. Da wird wenigstens gehandelt, meine Damen und Herren.
({18})
Und was macht der zuständige Minister, Herr Seehofer? Er sagt: Das ist verfassungswidrig. – Na gut, das entscheiden Gott sei Dank bei uns noch nicht Minister.
({19})
Aber ich will auf das Bauthema zu sprechen kommen. In Berlin ist im vergangenen Jahr so viel gebaut worden wie all die Jahre davor nicht. Im Moment stehen auch dort weiterhin die Investoren Schlange.
({20})
Es ist doch eine glatte Lüge, dass Sie sagen: Da wird nicht mehr gebaut. – Die Leute wollen bauen in Berlin, trotz Mietendeckel.
({21})
Es ist richtig, dass endlich mal die Interessen der Mieterinnen und Mieter wahrgenommen werden, meine Damen und Herren.
({22})
Jetzt zum Klimapaket, oder besser: Klimapäckchen. Da will ich wieder einen großen CDU-Politiker zitieren, den Ministerpräsidenten von Sachsen, Michael Kretschmer:
({23})
… was uns am Klimaschutzpaket stört. Da stimmt die Balance zwischen Ökologie, Ökonomie und der sozialen Frage nicht.
({24})
Der Mann hat recht. Ihr Klimapaket ist ökologisch nahezu wirkungslos,
({25})
es ist ökonomisch fragwürdig,
({26})
und es ist vor allen Dingen sozial ungerecht, meine Damen und Herren.
({27})
Die soziale Bilanz stimmt nicht. Statt diejenigen zu belasten, die zentral für den Ausstoß der Emissionen verantwortlich sind, geht Ihre Politik zulasten der Geringverdiener und der Pendlerinnen und Pendler. Das ist doch das Problem. Es ist ja gut, dass endlich die Ministerien mal klare Ziele bekommen haben. Aber diese Ziele werden Sie mit dem Inhalt Ihres Klimapäckchens eben nicht erreichen.
Und ja, Deutschland wird das Pariser Abkommen brechen, Frau Merkel. Wenn Sie sagen: „Wer, wenn nicht wir, kann zeigen, dass man den Klimawandel bewältigen kann“, dann stimme ich Ihnen durchaus zu. Aber beim Klimawandel ist es wie bei der Grundrente: Sie erkennen das Problem, sind aber nicht in der Lage, es zu lösen. Sie können eben nur das kleine Karo und nicht den großen Wurf. Und in beiden Fällen wäre der große Wurf notwendig, meine Damen und Herren.
({28})
Sie sind vielfach tatenlos, was den sozialen Bereich betrifft. Ich will nur den Mindestlohn erwähnen. Den größten Niedriglohnsektor in Europa gibt es in unserem Land. Der Mindestlohn ist seit seiner Einführung gerade mal um 69 Cent gestiegen. Warum erhöhen Sie den nicht auf 12 Euro? Wir könnten nämlich die Mittel der sogenannten Aufstockerleistungen – 10 Milliarden Euro –
({29})
endlich für gute Arbeit und soziale Sicherheit einsetzen. Das wäre richtig.
({30})
Ihre Verweigerungshaltung ist respektlos gegenüber den Geringverdienern und den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Mit Lohndumping organisieren Sie im Übrigen zugleich Altersarmut; denn die Aufstocker von heute sind morgen die Empfänger von Grundsicherung im Alter. Dieses Geld sollte wirklich anders eingesetzt werden.
({31})
Die soziale Schere geht so immer weiter auseinander. Ich will nur einige Zahlen zu der anderen Seite der Schere nennen. Nach der Wiedervereinigung bekamen die Vorstände der DAX-Unternehmen das 14-Fache des Durchschnittsgehalts ihrer Mitarbeiter. Das 14-Fache! Im Jahre 2005 war es schon das 42-Fache und im Jahre 2018 das 71-Fache. Finden Sie das anständig? Ich finde, ehrlich gesagt, diese Entwicklung obszön.
({32})
Kein Boss leistet das 71-Fache. Da muss ein gesetzlicher Riegel her.
Auf der anderen Seite haben wir 4,4 Millionen Kinder in Armut in dem reichen Deutschland, und die Armutsquote ist seit Ihrem Amtsantritt, Frau Merkel, in Deutschland nicht zurückgegangen. Deshalb begrüße ich im Übrigen ausdrücklich, dass die SPD jetzt dieses Thema aufgreift. Das ist richtig. Wir als Linke werden uns niemals damit abfinden, dass Kindern Chancengleichheit genommen wird. Eine Kindergrundsicherung könnte ein zentrales Projekt einer Mitte-links-Regierung nach der nächsten Bundestagswahl werden, meine Damen und Herren.
({33})
Eines der größten Probleme in unserem Land ist die zunehmende Kluft zwischen den Metropolen und den ländlichen Räumen. Das haben die Bauernproteste gestern sehr eindeutig gezeigt. Ihre Politik befördert es, dass dieses Land zunehmend zerfällt und dass sich Stadt und Land immer weniger verstehen. Das waren doch mal Ihre Wählerinnen und Wähler, die Bauern. Nehmen Sie das doch ernst, wenn die zu Tausenden hierherkommen und mit Ihrer Politik nicht einverstanden sind. Da ist zwar der Erntehelfer Christian Lindner der falsche Ratgeber,
({34})
aber die Sorgen dieser Menschen sollten Sie wirklich ernst nehmen.
({35})
Ich will zu dem verantwortungslosen Teil Ihres Haushalts kommen, und das ist der Verteidigungshaushalt. Aber dieser Begriff ist ja schon falsch. Was uns vorliegt, ist kein „Verteidigungshaushalt“, es ist ein Aufrüstungshaushalt. Da bin ich einer fundamental anderen Meinung als Sie, Frau Bundeskanzlerin. Seit 2018 ist dieser Etat um 17 Prozent gestiegen. Ich will das mal vergleichen mit dem Bildungsetat – 3 Prozent Steigerung – und dem Gesundheitsetat – Steigerung um 1 Prozent. Das ist die Realität.
Ich will nur ein Beispiel aus dieser Woche nennen, was das veranschaulicht. Es fehlen 10 000 Frauenhausplätze. An jedem dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Und jetzt will die Bundesregierung in vier Jahren sage und schreibe 120 Millionen Euro für Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen ausgeben. Was für ein Offenbarungseid! Milliarden für die Rüstung. Und hier kleckern Sie? Das ist doch völlig inakzeptabel, meine Damen und Herren.
({36})
Oder ein anderes Beispiel. Viele Kinderkliniken agieren jenseits ihrer Kapazitätsgrenzen. Da fehlt das Pflegepersonal. Selbst bei schwerkranken Kindern dauert es teilweise Stunden, um eine Klinik zu finden. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Ich will wiederholen: 17 Prozent mehr für Panzer und Kampfschiffe und nur 1 Prozent mehr für Gesundheit und Pflege, beim Wohnungsbau sogar weniger. Das hat mit verantwortungsvoller Prioritätensetzung nichts, aber auch gar nichts zu tun. So, wie Sie das Geld ausgeben, schadet es dem Land, meine Damen und Herren. Deutschland braucht Wohnungen statt Waffen.
({37})
17 Prozent mehr für die Rüstung ist die größte Fehlinvestition der Bundesregierung. Ich will Ihnen auch sagen, warum Sie so viel Geld benötigen: Die Rüstungsprojekte sind um 13,5 Milliarden Euro teurer als geplant. Was für eine Misswirtschaft! Eurofighter: 6,7 Milliarden, Puma-Panzer: 1,6 Milliarden usw. usf. Das alles sind höhere Mehrkosten als beim Berliner Flughafen, Stuttgart 21 und Elbphilharmonie zusammen. Die meisten Rüstungsprojekte der Bundeswehr sind Milliardengräber zulasten der Steuerzahler und zur Freude der Rüstungsindustrie, meine Damen und Herren.
Jetzt will Frau Kramp-Karrenbauer bis 2031 das 2-Prozent-Ziel der Nato erfüllen. Wenn die Wirtschaft bis dahin weiter so wächst, heißt das, dass wir dann einen Etat von 86 Milliarden Euro haben.
({38})
Das hat mit den Interessen des Landes überhaupt nichts zu tun. Das ist der blanke Wahnsinn. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, wenn Ihnen irgendwann jemand sagt: „Dafür ist kein Geld da“, dann denken Sie an diese Geldverbrennung, die hier geschieht. Das ist verantwortungslose Steuerverschwendung, und das muss verhindert werden.
({39})
Es würde zig Milliarden freimachen für die Menschen und die Zukunft des Landes, wenn dieses Geld anders eingesetzt werden würde. Ihre Aufrüstungspolitik ist dagegen gefährlich, sie ist teuer, und sie ist letztlich ein Kniefall vor Donald Trump, meine Damen und Herren.
({40})
Meine Hoffnung ist – ganz anders als Ihre, Frau Bundeskanzlerin –, dass das der letzte Haushalt dieser Bundesregierung ist. Ihrer Politik – der fehlt es an Kraft für die Zukunft, der fehlt es an Respekt vor den Menschen und an Verantwortung beim Geldausgeben.
Herzlichen Dank.
({41})
Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich gebe Ihnen ja absolut recht, dass die Rolle der Bundesrepublik Deutschland, eines Hochtechnologielandes, zur Bekämpfung der Klimakrise sein sollte, genau zu zeigen, wie es geht. Es stellt sich bloß die Frage: Warum machen Sie das denn nicht?
({0})
Schauen wir nicht auf die Ankündigungen hier, schauen wir nicht auf die Reden, sondern schauen wir auf das, was real draußen im Land passiert. Der Ausbau der Windkraft an Land ist im Vergleich zu vor zwei Jahren ungefähr auf ein Zehntel eingebrochen. Auf ein Zehntel eingebrochen!
({1})
Das passiert doch wegen falscher politischer Entscheidungen, die Ihre Bundesregierung getroffen hat.
({2})
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben davon gesprochen, dass die wirtschaftliche Stärke entscheidend ist, dass man Infrastrukturen ausbauen muss, dass wir Probleme beim Internet und beim Mobilfunknetz haben. Ja, das teile ich. Wir brauchen einen deutlich schnelleren Ausbau von Breitband; wir brauchen ein deutlich lückenloseres Mobilfunknetz.
({3})
Ich frage mich bloß: Wer hat eigentlich die letzten 14 Jahre dieses Land regiert?
({4})
Ist Ihnen die Erkenntnis erst heute gekommen?
Ich nehme ein weiteres Beispiel. Sie haben von der Spaltung zwischen Stadt und Land gesprochen. Ja wer hat denn zugelassen, dass die Bahn in dem Zustand ist, in dem sie sich jetzt befindet? Wer hat zugelassen, dass Tausende Kilometer Schienennetz stillgelegt worden sind, insbesondere in den ländlichen Regionen? Das ist doch nicht von selber passiert. Ist Ihnen diese Erkenntnis auch erst heute gekommen? Dagegen hätte man in den vergangenen 14 Jahren doch auch etwas unternehmen können.
({5})
Deshalb: Es hilft doch nichts, wenn hier nur schöne Reden gehalten werden und dann am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Politik gemacht wird, die auch von der Substanz dieses Landes zehrt. Das hilft doch am Ende nichts.
In den nächsten zehn Jahren werden sich grundsätzliche Dinge entscheiden. Es wird sich sowohl in Deutschland, Europa als auch weltweit entscheiden, ob wir die Klimakrise noch in den Griff kriegen, ob wir angesichts der technologischen Umbrüche Wohlstand und Arbeitsplätze erhalten können, ob wir in einer unsicherer werdenden Welt unsere europäischen Werte verteidigen können und ob es gelingt, den sozialen Zusammenhalt in Deutschland zu verteidigen und Demokratie gegen Polarisierung und Spaltung aufrechtzuerhalten.
({6})
Ich glaube, wenn wir das schaffen wollen – ich glaube, es lohnt sich, sich sehr zu bemühen, das zu schaffen –, dann brauchen wir eine andere Politik. Dann brauchen wir eine Politik, die den Raum des Möglichen erweitert und nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner als den Raum des Möglichen definiert. Wir brauchen eine Politik, die den größten gemeinsamen Nenner unserer Gesellschaft sucht, erkennt und dann in der Realität auch umsetzt.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Herzstück einer solchen Politik muss eine Investitionsoffensive sein; denn wir brauchen mehr Investitionen, wenn wir unseren Wohlstand, unsere ökonomische Leistungskraft und, ja, unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt verteidigen wollen.
({8})
In den nächsten zehn Jahren müssen die Infrastrukturen der Zukunft geschaffen werden. In den nächsten zehn Jahren brauchen wir eine moderne, leistungsfähige Bahn, ein Stromnetz, das auch mit erneuerbaren Energien funktioniert, Energiespeicher, eine funktionierende Wasserstoffinfrastruktur, damit auch die Stahlindustrie bei uns wettbewerbsfähig ist und sich halten kann, ein lückenloses, schnelles Internet und starke Schulen und Hochschulen. Das müssen wir in der nächsten Dekade anpacken, nachdem es in der letzten Dekade nicht passiert, sondern nur behauptet wurde.
({9})
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen, dass viele Investitionsmittel, die bereitgestellt werden, nicht abfließen. Die Planungen müssen dringend beschleunigt werden.
({10})
Aber: Ich würde Sie bitten, dass wir die Planungsbeschleunigung nicht in den üblichen Gräben und mit den üblichen Schuldzuweisungen diskutieren.
({11})
Wir sind gerne bereit – und ich möchte es Ihnen nachdrücklich anbieten –, dass, wenn wir ernsthaft nach gemeinsamen Wegen suchen, um Planungskapazitäten und Planungsbeschleunigungen auf den Weg zu bringen, wir sehr gerne zusammenarbeiten können: für einen schnellen Schienenausbau, für einen Netzausbau, für einen schnellen Windkraftausbau.
({12})
Das ist unser Angebot. Kommen Sie auf uns zu. Sprechen Sie mit uns.
({13})
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen auch mehr Geld. Ein einmaliges Strohfeuer wird nicht ausreichen. Wir brauchen eine langfristige, lang angelegte Investitions- und Innovationsstrategie. Der DGB und der BDI haben das – das ist interessant – in wirklich seltener Eintracht gefordert. Deshalb wäre das doch eine schöne Gelegenheit – BDI, CDU/CSU, DGB, SPD –, das aufzugreifen und umzusetzen.
({14})
Um diese Investitionsstrategie umzusetzen, müssen wir die Haushaltspolitik neu denken. Frau Merkel, wir zollen Ihnen ausdrücklich Respekt dafür, dass es nach der Banken- und Finanzkrise gelungen ist, den Schuldenstand so stark zu reduzieren. Ja, die Einführung einer Schuldenbremse war richtig. Aber, Frau Merkel, es muss nicht so sein, dass eine Antwort, die in der Vergangenheit richtig war, bei neuen Herausforderungen immer richtig bleibt.
({15})
Denn heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die größte Bedrohung für Deutschland nicht mehr der Schuldenstand, sondern das Ausbleiben dringend notwendiger Investitionen. Das ist heute die größte Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für unsere ökonomische Leistungsfähigkeit.
({16})
Wir wollen die Schuldenbremse nicht abschaffen, sondern wir wollen sie im Rahmen der europäischen Möglichkeiten erweitern, damit wir investieren können. Ich kann Sie nur dazu auffordern, konstruktiv daran mitzuarbeiten; denn unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft brauchen es.
({17})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir ferner dringend brauchen, ist ein neuer Aufbruch im Bereich Klimaschutz und bei der ökologischen Modernisierung; denn, wie bereits erwähnt, in der nächsten Dekade entscheidet sich, ob wir den Kampf gegen die Klimakrise noch gewinnen können. Wir haben leider nicht mehr Zeit. Selbstverständlich darf der Kampf gegen die Klimakrise den sozialen Zusammenhalt nicht schwächen und muss kombiniert werden mit guter Arbeit und wirtschaftlichem Wohlstand.
Gerade deshalb erfordert es ein neues Denken, einen neuen Politikansatz, der eben nicht die vermeintlichen Gegensätze sucht, der nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner findet. Der kleinste gemeinsame Nenner wird uns bei der Bekämpfung der Klimakrise nämlich in die größtmögliche Katastrophe führen. Deshalb ist der Politikansatz, den Sie bisher bei der Menschheitsaufgabe Klimaschutz vertreten haben, gescheitert. Das muss sich ändern.
({18})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Neuanfang muss ökologisch mehr ermöglichen, indem wir eine wirkungsvolle CO2-Bepreisung einsetzen: einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien, eine echte Verkehrswende. Dieser Neuanfang muss sozial sein. Wir brauchen ein Energiegeld, eine Erhöhung des Mindestlohns, ein Qualifizierungs-Kurzarbeitergeld. Die Menschen machen sich zu Recht Sorgen um ihre Arbeitsplätze, weil sich viele Dinge schnell ändern, nicht nur durch die Klimakrise, sondern auch durch die Digitalisierung.
Ökonomisch muss der Ansatz mehr ermöglichen, indem wir neue Technologien fördern und fordern, bessere Abschreibungsmöglichkeiten schaffen und unsere Industrie mit klugen Klimazöllen vor Dumping aus schwierigen staatskapitalistischen Ländern wie zum Beispiel China schützen. Die Stahlindustrie kann ein Lied davon singen.
({19})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Aufbruch ins nächste Jahrzehnt muss ein europäischer werden. Wir werden die europäischen Werte nur gemeinsam gegen einen autoritären Staatskapitalismus aus China und einen nationalen Marktradikalismus à la Trump verteidigen können.
Wir müssen mehr in Europa investieren, damit wir am Ende nicht nur Zaungäste sind, wenn andere die internationalen Regeln festlegen. Wir wären dann nämlich nur noch Empfänger dieser Regeln. Da muss Europa mehr Verantwortung übernehmen, und da müssen wir mehr Verantwortung für Europa übernehmen.
({20})
Deutschland muss dazu beitragen, dass sich Europa selbstbewusste Ziele setzen kann, die sich nicht im Militärischen erschöpfen. Dazu müssen wir den Euro zu einer globalen Leitwährung machen, die uns unabhängiger vom Dollar macht. Das ist nötig, wie man ja schmerzhaft bei der Auseinandersetzung um das Atomabkommen mit dem Iran erkannt hat.
({21})
Dazu brauchen wir eine entsprechende Handelspolitik, eine der zentralen Stärken Europas, die wir mit Menschenrechtsstandards, mit Klimastandards und sozialen Standards verknüpfen.
({22})
Dazu müssen wir Europa zu einem Vorreiter der Digitalisierung machen, indem wir ethische und ökonomische Fragen miteinander verknüpfen. Trauen wir uns, trauen wir diesem Kontinent doch endlich mehr zu!
({23})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Selbstbehauptung Europas wird sich insbesondere
({24})
im Umgang mit China erweisen. China wird im 21. Jahrhundert Partner,
({25})
Konkurrent und Gegner zugleich sein. Deshalb verbieten sich platte Antworten. Aber zwei Dinge sollten doch klar sein: Erstens. Unsere Analyse muss klar sein: China entwickelt sich immer mehr zu einer autoritären Diktatur, die die Menschenrechte im Inneren massiv verletzt und beispielsweise mehr als 1 Million Uiguren in Internierungslagern festhält. Diese Realität müssen wir, muss Europa, muss Deutschland mit aller Deutlichkeit beim Namen nennen.
({26})
Das Zweite ist: Wir dürfen uns nicht selber kleinmachen. Natürlich stimmt es, dass Europa und Deutschland eng mit China verflochten sind und dass wir vieles dorthin exportieren. Es stimmt aber eben auch umgekehrt: China exportiert auch vieles zu uns. Deshalb haben wir Einfluss auf China, und diesen Einfluss muss man nutzen bei der Frage von Hongkong, bei Fragen von Menschenrechten und bei Fragen von Demokratie. Deshalb: Die Leisetreterei verbietet sich hier; man muss klare, deutliche Worte finden.
({27})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die nächsten zehn Jahre müssen eine Dekade des politischen Neubeginns und der Modernisierung werden. Allerdings ist eine Grundbedingung dafür, dass es uns gelingt, das friedliche Zusammenleben leidenschaftlich zu verteidigen. Eine gute Zukunft wird Deutschland nur als europäisches, liberales, als weltoffenes und vielfältiges Land haben.
An dieser so entscheidenden Frage – und da bin ich stolz auf dieses Parlament – arbeiten wir unter uns Demokraten eben nicht auf der Ebene des kleinsten gemeinsamen Nenners zusammen, sondern wir haben eine ganz große Gemeinsamkeit – von den Linken, über die SPD, die Grünen, die Union und die FDP. Ich glaube, diese Gemeinsamkeit ist unglaublich viel wert; denn wir treten geschlossen und gemeinsam jenen entgegen, die den politischen Diskurs zerstören wollen. Wir sagen entschlossen und gemeinsam, dass es eine Zusammenarbeit mit einer Partei, die Faschisten und Rechtsextreme in ihren Reihen bis in die Führungsspitze duldet,
({28})
nicht geben kann. Ich bin Ihnen da ganz persönlich dankbar, Frau Merkel, für Ihre klaren Worte, die Sie in dieser Debatte gefunden haben.
({29})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon überzeugt, dass dieses Land wieder zu einem Land des Aufbruchs, des politischen Neubeginns, der Modernisierung werden kann. Wir haben alle Voraussetzungen dafür, diese Aufgaben zu bewältigen. Sehr, sehr viele Menschen sind bereit, sich auf den Weg zu machen. Wir wollen auf alle zugehen, die bereit sind für diese Veränderungen nach vorne; denn ohne Veränderung wird nichts so bleiben, wie es ist.
Vielen Dank.
({30})
Jetzt erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Ralph Brinkhaus.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zwei Vorbemerkungen: Erste Vorbemerkung. Es wundert mich, wer jetzt auf einmal Freund der deutschen Landwirtschaft ist. Das sind Leute, die die deutsche Landwirtschaft 10, 15 Jahre nicht beachtet haben, sich aber heute hinstellen und sagen, sie setzten sich für die Landwirtschaft ein. Das ist schon sehr, sehr seltsam, meine Damen und Herren.
({0})
Und der zweite Punkt ist: Es ist gut, dass wir heute – und damit habe ich nicht gerechnet – so viel über Außenpolitik reden. Das war überfällig. Das Postulat hier im Deutschen Bundestag war doch immer: Außenpolitik ist irgendwo so nebenher mitgelaufen.
({1})
Das Postulat der deutschen Außenpolitik war, zu sagen: Wir warnen, wir warnen, und wir sind besorgt. – Ich bin der Bundesregierung, ich bin der Bundesverteidigungsministerin nachgerade dankbar, dass sie jetzt auch mal konkrete Vorschläge gemacht hat, meine Damen und Herren.
({2})
Eines, lieber Rolf Mützenich, ist auch richtig: Deutschland und Europa haben Interessen, und diese Interessen müssen formuliert werden. Deutschland und Europa haben Werte, und wir wollen, dass diese Werte auch durchgesetzt werden.
({3})
Und wenn es so ist, dass es Interessen und Werte gibt, dann gilt in der Außenpolitik natürlich immer das Prä der Diplomatie. Darin waren wir ja auch gut in den letzten Jahrzehnten. Natürlich ist es wichtig, dass wir eine gute Entwicklungspolitik machen; denn auch das ist eine Säule der Außenpolitik. Natürlich ist es wichtig, dass wir eine gute Europapolitik machen; denn auch das ist eine Säule der Außenpolitik.
Aber es ist doch nachgerade naiv, zu behaupten, dass eine gute Außenpolitik ohne Bundeswehr existieren kann.
({4})
Es ist doch nachgerade naiv, zu sagen: Wir sind der internationale Zivildienstleistende. – Wir brauchen eine Bundeswehr, damit wir sie nicht einsetzen, und diese Bundeswehr muss stark sein, und diese Bundeswehr muss die entsprechenden Mittel haben. Darum werden wir in dieser Koalition und in diesem Land ringen, meine Damen und Herren.
({5})
Trotzdem gibt es zwei große innenpolitische Themen. Das erste große innenpolitische Thema ist Nachhaltigkeit. Ich sage ganz bewusst „Nachhaltigkeit“ und nicht „Umweltpolitik“, und ich werde auch gleich sagen, warum Umweltpolitik nicht Klimapolitik ist.
Nachhaltigkeit bedeutet nämlich auch finanzielle Nachhaltigkeit. Dafür, lieber Olaf Scholz, steht dieser Haushalt, dass wir nämlich auch finanziell nachhaltig sind. Nachhaltigkeit bedeutet auch, dass wir der nächsten Generation eine gute Infrastruktur hinterlassen.
Wir werden 43 Milliarden Euro in die Infrastruktur investieren. Wir werden investieren: in Straßen – ja, auch in Straßen, liebe Grüne –, in Schienen, in Wasserwege. Wir werden in Digitales investieren. Das, was wir mit dem Bundesverkehrswegeplan und mit den Eisenbahnpaketen im Bereich des Klimapaketes auf den Weg gebracht haben, ist das größte und ambitionierteste Investitionsprogramm, das die jüngere Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gesehen hat.
Jetzt müssen wir zusehen, dass wir diese Investitionen auch umsetzen. Vielen Dank, lieber Toni Hofreiter, dass die Grünen jetzt auch bereit sind, über Planungsbeschleunigung zu reden. Wir nehmen das Angebot an. Wir werden mit Ihnen über Planungsbeschleunigung reden.
({6})
Zur Nachhaltigkeit gehört natürlich auch das Thema Bildung. Lieber Christian Lindner, der Bund investiert in Bildung, und zwar im Bereich Digitalisierung. Wir haben ein Berufsbildungsgesetz gemacht; aber – und das gehört auch zur Wahrheit – Bildung ist nun mal Ländersache, und ich fordere die Bundesländer auf, mehr in den Bereich Bildung zu investieren. Wir haben die finanziellen Spielräume dafür geschaffen, indem wir die Bundesländer und die Kommunen entlastet haben, meine Damen und Herren.
({7})
Wenn wir über Nachhaltigkeit reden, ja, dann müssen wir über Umweltpolitik reden; aber Umweltpolitik ist mehr als Klimapolitik. Mich würde es sehr, sehr freuen, wenn wir auch mal über Kreislaufwirtschaft reden würden,
({8})
wenn wir über Biodiversität reden würden, wenn wir über Artenschutz reden würden, wenn wir mehr über gute Luft, gutes Wasser und viele andere Dinge reden würden.
({9})
Da haben wir noch ein gewisses Potenzial. Ich sehe, dass die Grünen uns dabei unterstützen. Vielen Dank dafür. Auch darüber werden wir mit Ihnen reden.
({10})
Wenn wir über Klimapolitik reden, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann reicht es nicht, allein über CO2-Minderung zu reden, sondern wir müssen ganz ernsthaft anerkennen, dass das, was Svenja Schulze gestern veröffentlicht hat, einfach Realität ist.
({11})
Der Klimawandel ist da, und er wird sich auch nicht umkehren lassen. Dementsprechend müssen wir resilient werden. Wir müssen uns überlegen, wie wir mit Dürresommern und erhöhten Temperaturen umgehen. Da gibt es viele Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg bringen müssen.
({12})
Das fängt bei Stadtbegrünung an, das geht weiter mit dem Wald – liebe Julia Klöckner, herzlichen Dank dafür, dass du da so aktiv bist –, das hat aber auch etwas mit Wasserwirtschaft, mit Hochwasserschutz und vielen anderen Dingen zu tun. Ich glaube, darüber müssen wir noch mal reden, liebe Bundesregierung. Da gibt es noch viele Dinge, die wir auf den Weg bringen müssen.
Natürlich gehört auch die CO2-Minderung dazu. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein Klimapaket verabschiedet, mit dem wir in den nächsten Jahren mehr als 50 Milliarden Euro genau für diesen Kampf zur Verfügung stellen. Aber wahr ist auch: Das gefällt einigen nicht. Das gefällt einigen deswegen nicht, weil wir eben nicht auf Verbote und nur da, wo es nötig ist, auf Ordnungsrecht setzen, sondern auf Anreize, auf Markt und insbesondere auf Technologie und Innovation. Das ist die Philosophie unseres Klimapaketes, und das ist der bessere Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({13})
Ich habe ganz bewusst gesagt „Nachhaltigkeit und Wirtschaft“, weil das zusammengehört. Viele betrachten das, was wir jetzt im Bereich Klima machen, als Belastung. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine große Chance. Das ist eine große Chance für unsere Wirtschaft, wenn wir es richtig machen, wenn wir auf Technologie und Innovation setzen.
({14})
Wir stehen vor einer Situation, da sagen einige: Wir stehen vor konjunkturellen Dellen. – Das ist nicht richtig. Wir stehen vor strukturellen Veränderungen, in der Automobilindustrie, bei Banken und Versicherungen und im Bereich Landwirtschaft. Die Menschen erwarten Antworten von uns.
Es waren übrigens gestern die Jungbauern, die auf der Straße waren, diejenigen, die sich überlegen, ob sie die Höfe übernehmen wollen, die sich überlegen, wo die Perspektive ist. Es werden die Automobilarbeiter sein, in Neckarsulm, in Stuttgart und in München, die uns fragen: Wie geht es weiter? Darauf müssen wir Antworten geben. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir mehr im Bereich Wirtschaftspolitik machen. Wir brauchen eine Renaissance der Wirtschaftspolitik in diesem Land, und wir müssen dort viel mehr machen als in der Vergangenheit; das ist wahr.
({15})
Aber wir haben in diesem Bundeshaushalt gute Anlagen dafür. Die müssen wir jetzt nur spielen. Über den Bereich Infrastruktur habe ich geredet. Aber auch der Bereich Unternehmensteuerreform ist wichtig, nicht um irgendwelche Unternehmerinnen und Unternehmer reicher zu machen, sondern um wettbewerbsfähig zu sein im internationalen Wettbewerb. Lieber Olaf Scholz, der 6. Dezember ist irgendwann vorbei, und dann erwarte ich, dass wir zusammen in dieser Koalition über die Unternehmensteuerreform reden, über die Gleichbehandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Wir möchten reden über vernünftige Unternehmensteuersätze, aber auch über den Bürokratieabbau.
({16})
– Ja, Nikolaus gibt es nur einmal im Jahr; das ist richtig. Aber das ist unser Schuh, den wir Ihnen vor die Tür stellen, lieber Olaf Scholz.
Es ist aber auch so, dass wir über den Bereich Energie reden müssen, und zwar mehr als in der Vergangenheit. Der Punkt ist ganz einfach, lieber Peter Altmaier: Wir brauchen jetzt eine verlässliche Prognose, eine verlässliche Vorhersage, wie sich die Energiepreise entwickeln werden und ob die Versorgungssicherheit gegeben ist.
({17})
Die muss jetzt aufgestellt werden; denn die mangelnde Verlässlichkeit, wie sich Energiepreise und Versorgungssicherheit entwickeln, ist ein Investitionshemmnis für diesen Standort.
({18})
Das war in der Vergangenheit nicht möglich. Es ist viel verändert worden: Kohleausstieg, Ausstieg aus der Kernenergie. Es ist das Problem gewesen, dass wir den Weg definieren mussten, wie es mit den erneuerbaren Energien weitergeht. Aber ich erwarte von dieser Bundesregierung, dass wir da im nächsten Jahr Klarheit bekommen. Das ist auch angewandte Wirtschaftspolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es gibt auch noch einen weiteren Bereich. Wir müssen unsere Wirtschaft entfesseln; denn sie ist gefesselt durch das Planungsrecht, sie ist gefesselt durch das Vergaberecht, sie ist gefesselt auch durch mangelnde Digitalisierung der Verwaltung, und zwar von der Kommune bis zum Bund.
({19})
Wenn wir über Digitalisierung reden, muss man sagen: Da haben wir viele Voraussetzungen geschaffen. Wir haben Gesetze geschaffen, wir haben Budgets bereitgestellt. Aber das muss jetzt auch umgesetzt werden. Dazu gehört nicht nur, Breitband in die Erde zu legen, nicht nur Mobilfunkausbau, sondern insbesondere auch die Digitalisierung der Verwaltung. Ich bin nachhaltig der Meinung: Das beste Mittel zum Bürokratieabbau ist die Digitalisierung der Verwaltung.
Liebe Frau Bundeskanzlerin, das, was wir von den mittelständischen Unternehmen zu Recht erwarten, das müssen wir auch vorleben, das müssen wir schneller und besser vorleben als in der Vergangenheit.
({20})
Meine Damen und Herren, es gibt noch viele weitere Bereiche. Wir könnten jetzt über das Arbeitsrecht reden. Das Arbeitsrecht, lieber Hubertus Heil, ist zugeschnitten auf Arbeitsverhältnisse im 19. und 20. Jahrhundert, aber nicht auf Arbeitsverhältnisse im 21. Jahrhundert. Ich habe vernommen, wie du mit großem Einsatz für die Grundrente gekämpft hast. Wir von der Union wünschen uns, dass du mit dem gleichen großen Einsatz dafür kämpfst, dass wir ein modernes Arbeitsrecht in diesem Land bekommen.
({21})
Wir müssen über Wirtschaft im ländlichen Raum reden – auch ein wichtiges Thema – und über viele andere Themen. Aber ich möchte mit einer Bemerkung zum Bereich Wirtschaftspolitik schließen. Wir haben ja den Anspruch – das sage ich ohne Arroganz und Überheblichkeit –, dass wir mit zu den Besten in der Welt gehören und dass das auch so bleiben soll. Aber wenn das so ist, dann brauchen wir auch die besten Köpfe der Welt, und wenn wir die besten Köpfe der Welt hier in Deutschland haben wollen, dann brauchen wir auch ein Klima der Weltoffenheit. Wir brauchen eine plurale Gesellschaft, und wir brauchen eine offene Gesellschaft.
({22})
Und wenn wir das nicht sind, dann werden auch die Menschen, die uns helfen sollen, weiter wirtschaftlich erfolgreich tätig zu sein, nicht zu uns kommen. Auch das ist eine Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen soll.
({23})
Strich drunter. Jetzt können Sie sagen: Herr Brinkhaus, Sie haben über Nachhaltigkeit, über Außenpolitik, über Wirtschaft geredet, aber nicht über das Thema Soziales. – Das ist richtig. Wir haben nämlich in der Vergangenheit sehr viel für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft getan, und das war auch gut investiertes Geld. Aber Fakt ist auch eines: Ein Sozialstaat lebt von Voraussetzungen, die er selber nicht schafft. Diese Voraussetzungen sind, dass wir eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung haben, dass wir in einer sicheren Welt leben und dass wir in einer nachhaltigen Welt leben.
({24})
Deswegen empfehle ich uns allen, dass wir die Dinge jetzt so priorisieren, wie es notwendig ist. Wir müssen jetzt die Basis schaffen dafür, dass wir auch in Zukunft in dieser Gesellschaft zusammenleben können. Dafür ist Außen- und Sicherheitspolitik notwendig, dafür ist übrigens auch ein starker Rechtsstaat notwendig, dafür ist eine vernünftige Wirtschaftspolitik notwendig, dafür ist eine vernünftige Nachhaltigkeitspolitik notwendig. Ich weiß, diese Reihenfolge wird hier nicht von allen geteilt. Manchmal wird sie auch in der Koalition nicht geteilt. Wir werden aber dafür kämpfen, dass wir genau diese Reihenfolge einhalten, weil wir glauben, dass das richtig ist. Das ist das Profil der Union.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({25})
Vielen Dank, Ralph Brinkhaus. – Einen schönen Vormitttag von mir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nächste Rednerin in der Debatte: für die AfD-Fraktion Dr. Alice Weidel.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Brinkhaus, ich habe selten so eine unkonkrete Rede von Ihnen gehört. Das waren nur hohle Phrasen. Sie sind nicht einmal konkret geworden. Ich weiß, Sie können es besser. Ich weiß auch nicht, ob das mit Ihrem Job als Fraktionsvorsitzender zusammenhängt.
({0})
Liebe Frau Merkel, ein gleichzeitiger Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft ist nicht nur unverantwortlich, sondern blanker Irrsinn. Da nützt auch kein „Wir schaffen das“.
({1})
Wen Sie komplett aus den Augen verloren haben – im Unkonkreten; das sind wir mittlerweile von Ihnen gewohnt –, ist der steuerzahlende Bürger. Für die ganz normalen Bürger, die jeden Morgen aufstehen, ihre Kinder versorgen,
({2})
zur Arbeit fahren, Steuern zahlen und dieses Gemeinwesen am Laufen halten, gibt es an diesem Haushalt nicht viel zu feiern. Sie übergehen auch diesmal, dass dieser Haushalt mit diesem Rekordvolumen nur dadurch möglich ist, dass Sie den Bürgern viel zu tief in die Tasche greifen.
({3})
Das Flickwerk der Teilabschaffung des Solidaritätszuschlages ist symptomatisch dafür.
({4})
90 Prozent der Steuerzahler werden entlastet, sagen Sie. Aber die Hälfte des ungerechtfertigt eingetriebenen Geldes, also gute 10 Milliarden Euro, wollen Sie weiter behalten und verstoßen damit gegen die Verfassung, um es ganz klar zu sagen.
({5})
Dabei ist Steuergerechtigkeit ganz einfach. Schaffen Sie den Solo, den Soli ab – für alle.
({6})
– Dieses Feixen wird Ihnen auch noch vergehen. – Schaffen Sie den Soli ab, für alle, jetzt und sofort, und nicht erst im übernächsten Jahr vor den Wahlen! Das ist unsere Forderung, und dabei bleiben wir.
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Was der Staat zu viel einnimmt, muss den Bürgern zurückgegeben werden. Gerade weil Deutschland in die Rezession schlittert, müssen die Fesseln gelockert werden, durch eine Senkung und Vereinfachung des Einkommensteuersatzes ohne Mittelstandsbauch und kalte Progression,
({8})
durch eine deutliche Senkung und Vereinfachung der Umsatzsteuer, die Konsumenten mit kleinen und mittleren Einkommen am stärksten belastet, und durch den Ausbau des Ehegattensplittings zum Familiensplitting, um der steuerlichen Benachteiligung von Eltern entgegenzuwirken.
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Die Spielräume dafür sind da. Das Gesamtsteueraufkommen der öffentlichen Hand hat sich unter Ihrer Regierung seit 2005 ja auf gegenwärtig rund 900 Milliarden Euro verdoppelt. Das wird ja immer vergessen: Verdoppelt! Aber dieses Geld wird falsch ausgegeben. Sie haben diese Milliarden zum größten Teil verkonsumiert und die Infrastruktur verfallen lassen, statt dort zu investieren, wo es notwendig ist.
Sie haben unser Land mit den drei großen Fehlentscheidungen, die als die drei großen Rechtsbrüche in die Geschichte eingehen werden, in die Sackgasse manövriert: der unbedingten Euro-Rettung, der unkontrollierten Einwanderung und der grün-populistischen Energiewende; das kann man nicht anders sagen.
({10})
Statt diese Fehlentscheidungen zu korrigieren, versuchen Sie verzweifelt, die Folgen zu überdecken. Die vielgepriesene schwarze Null ist letztlich nur der Massenenteignung von Bürgern und Sparern durch die Nullzinspolitik der EZB zu verdanken.
({11})
Sie können sich Ihren Haushalt schönrechnen, weil der Bund keine Zinsen mehr auf seine Schulden zahlt – den Preis zahlen stattdessen die Bürger: durch fortgesetzte massive Wohlstandsverluste.
({12})
Nachdem Sparbücher und Lebensversicherungen als Anlageformen bereits ruiniert sind, wollen Sie als Nächstes die Käufer von Aktienfonds über eine Finanztransaktionsteuer schröpfen, die nur die Kleinsparer und ‑anleger trifft. So sieht die Politik der GroKo für die arbeitende Bevölkerung aus.
({13})
Sie machen private Vorsorge unmöglich.
Gleichzeitig ist die Steuerlast für Neurentner in der gesetzlichen Rentenversicherung seit 2010 bis auf das Fünffache angestiegen. Die Euro-Rettung und der unersättliche Steuerstaat schaffen die Altersarmut, die Sie anschließend beklagen. Die nachgelagerte Besteuerung von Renten ist widersinnig und unsozial; sie muss umgehend abgeschafft werden.
({14})
Wer von Negativzinsen in riskantere Anlageformen getrieben wird, der soll künftig seine Verluste nicht mehr steuerlich geltend machen können, sogar rückwirkend nicht – das muss man sich einmal vorstellen! Damit nicht genug: Anonyme Goldkäufe sollen drastisch eingeschränkt werden.
({15})
– Dass Sie darüber lachen, ist mir völlig klar; lachen Sie nur! – Es stehen Forderungen im Raum, größere Bargeschäfte generell meldepflichtig zu machen
({16})
oder enge Grenzen für Barkäufe zu ziehen. Aber Bargeld ist Freiheit. Sie aber führen Krieg gegen die finanzielle Freiheit, den persönlichen Datenschutz und stellen Bürger, die ihre Freiheitsrechte wahrnehmen wollen, unter einen Generalverdacht. So sieht es nämlich aus.
({17})
Der Meinungsfreiheit haben Sie ebenfalls den Krieg erklärt. Der Flopp mit dem NetzDG war Ihnen noch nicht genug, Sie wollen dieses unselige Gesetz auch noch ausweiten: Meldepflichten für Netzwerkbetreiber, eine ganz neue Behörde – das können Sie ja so gut –, die auf der Basis von in Gummiparagrafen verwendeten Begriffen wie „Hass“ und „Hetze“
({18})
Meinungsäußerungen filtern und zur Anklage bringen soll, das klingt nach Orwell, und so ist es wohl auch gemeint.
(Johannes Kahrs [SPD]: Hass und Hetze ist ja typisch AfD!
Abweichende Meinungsäußerungen werden kriminalisiert. Das ist Ihr Plan.
({19})
So kann man die repräsentative Demokratie natürlich auch abschaffen: Man kann sie heimlich aushebeln.
({20})
Nicht umsonst interessieren sich repressive Regimes wie Weißrussland für das NetzDG und für Ihre Internetschnüffelgesetze.
Der Generalangriff auf die wirtschaftliche Freiheit findet im Übrigen auch unter dem Tarnbegriff „Klimaschutz“ statt. Sie bedienen sich dazu einer radikalen Minderheit – wir hören das Brüllen hier – von Klimaapokalyptikern, wohlstandsverwahrlosten Ökomarxisten,
({21})
so nennt sie die „Neue Zürcher Zeitung“ – Thema Schweiz; auch darauf reiten Sie ja immer herum –, um ein Klima von Panik und Ausnahmezustand zu schaffen. Das dient als Rechtfertigung für neue Steuern, wie zum Beispiel die CO2-Bepreisung, für neue Verbote, Gängelung und massive Eingriffe in private Freiheits- und Eigentumsrechte.
Es gibt keinen Klimanotstand. Verantwortungsvoller und sparsamer Umgang mit unseren Ressourcen ist dringend geboten, ebenso die freie Erforschung neuer Technologien. Aber was Sie als Klimaschutz propagieren, ist pure Ideologie.
({22})
Die Frage ist nicht: „Leben oder Tod?“, sondern: „Freiheit oder Ökosozialismus?“
({23})
Zukunftstechnologien werden im Übrigen nicht am grünen Tisch erfunden, wie Sie sich das vorstellen. Abermilliarden an Subventionen wurden bereits sinnlos in die Energiewende gesteckt – Abermilliarden für Elektromobilität sollen folgen. Damit soll eine nicht wettbewerbsfähige Technologie erst wettbewerbsfähig gemacht werden. Die Subventionen verzerren und behindern aber den Wettbewerb und die freie Entfaltung innovativer Kräfte. Sie führen zu Fehlallokation von Kapital. Die Folgen dieser Politik werden wir noch jahrzehntelang ausbaden müssen.
Die Kaskade von Stellenstreichungen bei Automobil-, Energie- und Chemieunternehmen ist erst der Anfang. 20 000 Jobs weg bei Continental, 15 000 bei Bosch, 10 000 bei Daimler, 9 500 bei Audi, 7 000 bei VW, 3 000 bei BASF, und die Liste lässt sich fortsetzen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, der Jobabbau setzt sich nämlich über die gesamte Wertschöpfungskette fort. Es trifft den produktiven Kern der deutschen Wirtschaft, es trifft die Hersteller von Investitionsgütern, die Anlagenbauer, kleine und kleinste Zulieferer in der Fläche. Das ist das Fatale: Durch Ihre Subventionspolitik finanzieren die Steuerzahler ihren Arbeitsplatzverlust nämlich selbst. Das ist das Unverantwortliche an Ihrer Regierungspolitik.
({24})
Wie Rot-Rot-Grün in Berlin derzeit den Wohnungsmarkt mit Mietobergrenzen, Enteignungsdrohungen und faktischen Einheitsmieten ruiniert, ist von DDR-Verhältnissen nicht mehr weit entfernt. Was die SPD auf Bundesebene plant, ist nicht besser: massive Eingriffe in das Privateigentum durch Mietendeckel und Einschränkungen bei der Umlegung von Modernisierungskosten.
Und die Grundsteuer: Statt diese anachronistische Steuer abzuschaffen, wird sie als Vorstufe der Enteignung genutzt: indem Eigentum unrentabel gemacht wird. Der Plan der Bundesregierung, Besitzer von Eigentumswohnungen auch gegen ihren Willen zu Dämmmaßnahmen oder zum Bau von Elektroautoladesäulen zu zwingen, schlägt in dieselbe Kerbe. Das muss man sich einmal vorstellen, was Sie hier vorhaben!
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ein einst prosperierendes Industrieland, das sich derart kopflos den Ast des eigenen Wohlstands absägt,
({0})
macht sich zum Gespött der Welt. Bitte kehren Sie um von Ihrem fatalen Irrweg!
({1})
Vielen Dank, Frau Weidel. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Achim Post.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, Herr Gauland, nach Ihrer Rede: Da gab es diesmal keine Ausflüge in die deutsche Geschichte, keinen Untergang des Abendlandes.
({0})
Zum Glück ist auf Frau Weidel Verlass; sie hat sich vorgearbeitet vom Marktradikalismus zum Rechtsradikalismus und ist damit bei ihrem Markenkern angelangt.
({1})
Denn vor einem haben Sie beide ja gemeinsam Angst: dass demnächst der Höcke vor der Tür steht.
({2})
Kommen wir einmal zum Haushalt.
({3})
Ich habe in den letzten beiden Tagen den Reden, den Beiträgen, der Kritik, den Vorwürfen zugehört, die es gibt gegenüber der Großen Koalition, gegenüber diesem Bundeshaushalt, gegenüber den Schwerpunkten des Bundeshaushalts. Wenn ich einmal zusammenfassen darf – ganz subjektiv natürlich –, was eigentlich die Hauptkritikpunkte waren, stellen sich für mich drei Punkte heraus: Erstens. Da sei doch zu viel Klein-Klein bei dieser Koalition, kein großer Wurf, alles zu wenig, alles zu spät. Zweitens. Diese Koalition, diese Bundesregierung investiere zu wenig. Und drittens: Eigentlich habe ja diese Koalition und eigentlich habe ja diese Bundesregierung ihr Pulver schon verschossen und für die zweite Halbzeit nichts mehr vor.
({4})
Gehen wir einmal auf den ersten Vorwurf ein, den Vorwurf des Klein-Klein.
({5})
Ich weiß gar nicht, was es dagegen einzuwenden gibt, wenn man sich auch mit sogenannten kleinen Dingen befasst, wenn man sich damit befasst, was die Nöte, die Alltagssorgen von 83 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland sind. Dagegen gibt es gar nichts einzuwenden, meine Damen und Herren.
({6})
Wenn Sie sich einmal anschauen, wie diese Große Koalition in den letzten 20, 21 Monaten gearbeitet hat, die Probleme angegangen ist, dann müssen Sie feststellen: Wir haben uns um die kleinen Dinge gekümmert, aber auch um die großen. In diesem Land wurde 25, 30 Jahre über ein Einwanderungsgesetz geredet. Die Große Koalition hat es auf den Weg gebracht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({7})
Wir haben seit Jahrzehnten über den Ausstieg aus der Kernkraft geredet, und zwar völlig zu Recht. Jetzt macht diese Koalition beides. Wir gehen aus zwei Großtechnologien heraus – aus Kernkraft und Kohle. Das als Klein-Klein zu bezeichnen, geht wohl etwas an der Realität vorbei, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Wir unterlegen das mit einem Strukturstärkungsgesetz, das wir hier in diesem Hause noch diskutieren werden, bei dem es darauf ankommt, daraus einen Markenkern für die Bundesrepublik Deutschland zu machen. Aus Strukturstärkung machen wir gelingenden Strukturwandel, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Diese Große Koalition – darüber wurde heute häufig geredet – hat einen Markenkern – das stimmt, Herr Lindner –: Das ist sozialer Fortschritt. Wie sollte all das funktionieren, wenn es keinen sozialen Fortschritt gäbe
({9})
bei der Stabilisierung der Renten, mit der Grundrente und mit vielen anderen Dingen, die die Koalition auf den Weg gebracht hat?
({10})
– Na ja, über Ihre Jobperspektiven können wir auch noch einmal reden. Sie hätten ja Außenminister, Finanzminister oder Arbeitsminister werden können.
({11})
Ich bin froh, dass Sie nicht da sitzen. Sie haben sich heute um etwas anderes beworben. Das hörte sich eher an, als wollten Sie Senator für Bauen und Wohnen in Berlin werden. Aber das hat diese Stadt auch nicht verdient, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({12})
Der zweite Vorwurf lautet, diese Koalition investiere zu wenig. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, diesen Haushalt zu lesen, wenn Sie sich einmal die Mühe machen, zu schauen, was bei der Bereinigungssitzung herausgekommen ist, dann kann man nur sagen: Diese Koalition investiert an allen Ecken und Enden: allein im nächsten Jahr mehr als 43 Milliarden Euro Investitionen – das ist ein Rekordwert für die Bundesrepublik Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen –,
({13})
54 Milliarden Euro für den Klimaschutz, 100 Milliarden Euro bis 2023 für Bildung und Forschung. Das alles ist doch kein Pappenstiel. Es kann sich sehen lassen, was diese Bundesregierung, was der Bundesfinanzminister auf den Weg gebracht hat.
({14})
Der dritte Vorwurf ist die These, die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen hätten ihr Pulver schon verschossen. Ich will Ihnen eines sagen: Beide Teile dieser Koalition – die CDU/CSU-Fraktion und die SPD-Fraktion – haben noch viel vor. Es gibt in diesem Land genug zu tun. Ich fange einmal mit einer Sache an, die wir uns für die nächsten Jahre besonders auf die Fahne geschrieben haben. Das ist der Schutz unserer Demokratie, der Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit, der Kampf für einen demokratischen Rechtsstaat gegen alle, die diese Demokratie zerstören wollen.
({15})
Es ist egal, ob das arabische Familienclans, Neonazis, deutsche Nazis oder Nationalisten und Islamisten sind, die mit terroristischen Attacken diesen Staat gefährden und zerstören wollen. Es gilt für alle. Sie können sich alle, liebe Bürgerinnen und Bürger, auf diese Koalition verlassen im Kampf gegen rechts und gegen die Feinde der Demokratie.
({16})
Der nächste Punkt, über den wir reden müssen und reden werden, ist Europa. All das, was wir heute besprechen und gestern besprochen haben, was wir in den nächsten beiden Jahren machen werden, geht nur mit Europa. Das Schicksal unseres Landes liegt in Europa. Das Schicksal Europas liegt in diesem Haus und in dieser Bundesregierung. Deutschland kann und wird noch mehr tun, als wir bisher gemacht haben.
({17})
Ich will Ihnen einmal sagen: Vor 30 Jahren war die große Frage, wie Europa, das neue Europa, zusammenwachsen kann. Jetzt, 30 Jahre später, ist die große Frage, wie wir dieses Europa zusammenhalten können, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diese Bundesregierung wird ihren Beitrag dazu leisten mit einem Ausbau der europäischen Industriepolitik, mit einem Ausbau europäischer Sozialpolitik und nicht zuletzt mit der Vollendung der Bankenunion und der Reform der Wirtschafts- und Währungsunion. Wenn wir das alles machen, dann – und nur dann – können wir zuversichtlich in die nächsten zwei Jahre und in die nächsten zehn Jahre gehen. Das geht nur mit dieser Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({18})
Wenn diese Debatte, wenn dieser Haushalt, wenn das, was wir in den letzten zwei Jahren gemacht haben, eine Überschrift haben kann, dann ist das das Zitat von Johannes Rau „Versöhnen statt spalten“. Mit diesem Haushalt versöhnen wir unterschiedliche Interessenlagen. Mit diesem Haushalt investieren wir auch in die Zukunft. Mit diesem Haushalt investieren wir in Forschung, Technologie und Klimaschutz.
Deshalb zusammengefasst, liebe Kolleginnen und Kollegen, –
Kommen Sie bitte zum Schluss, mit einer kurzen Zusammenfassung.
– es ist ein guter Haushalt, den Bundesfinanzminister Olaf Scholz vorgelegt hat. Sie können sicher sein, ich bin sicher: Auch der nächste Haushalt 2021, den diese Bundesregierung vorlegt, wird ein guter Haushalt sein.
Schönen Dank.
({0})
Vielen Dank, Achim Post. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Otto Fricke.
({0})
Geschätzte Frau Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt ist das Schicksalsbuch der Nation. Wenn man sich mit der Frage des Schicksals dieser Nation befasst – das soll der Sinn einer solchen Debatte heute sein –, dann sollte man als Erstes über die Tatsachen und die Fakten sprechen. Ich darf die Mitglieder der Großen Koalition fragen: Können Sie mir eine wirklich positive Wirtschaftsnachricht aus diesem Jahr nennen?
({0})
Eine positive Nachricht, nicht das, was Vergangenheit ist, Herr Brinkhaus. Sie berufen sich immer auf Zahlen, die in der Vergangenheit gewesen sind.
({1})
Ich sage Ihnen einmal, was das Schicksal dieses Landes im Moment ist: Der ifo-Geschäftsklimaindex geht herunter – 9,6 Punkte –, Bruttoinlandsprodukt – wir sind mit Italien die letzten in Europa; wenn das Ihr Niveau ist, bitte gerne –, Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe gehen herunter. Selbst im Baugewerbe, das Sie so rühmen, gehen die Auftragseingänge herunter. Die Industrieproduktion geht herunter. Die Kurzarbeit geht hoch, die Unternehmensinsolvenzen nehmen zu. Darüber reden Sie heute nicht. Sie ignorieren das einfach.
({2})
Ihr Haushalt basiert darauf, dass Sie sich auf Altem ausruhen und das, was uns droht, in keiner Weise erwähnen. Das ist keine zukunftsgerichtete Haushaltspolitik, das ist Vergangenheit.
({3})
Die FDP setzt dagegen auf einen Dreiklang. Der Dreiklang lautet: entlasten, tilgen, investieren. Wir haben mit unseren 596 Anträgen gezeigt, dass man den Soli zum 1. Januar 2020 abschaffen kann. Der Finanzminister hat das gestern in einer Rede wieder geschickt gesagt: Wir senken den Soli auch. – Herr Finanzminister, natürlich nur zum 1. Januar 2021, weil Sie gar nicht entlasten wollen. Es ist okay, dass man sich politisch darüber streitet. Sie sagen: Ich will ihn gar nicht ganz abschaffen, sondern es gibt einige, die ich mit einer Extraabgabe belaste und riskiere, dass man nach Karlsruhe geht. – Aber warum machen Sie es dann nicht, wie es versprochen wurde, zum 1. Januar 2020 wenigstens für die Menschen, die Ihr Paket ein Jahr später trifft? Sie machen es deswegen nicht, weil Sie keine Notwendigkeit sehen und sagen: Das kann alles später kommen. Ich brauche mich gar nicht zu bemühen, ich brauche mich gar nicht anzustrengen. – Auch das ist nicht zukunftsgerichtet, Herr Finanzminister.
({4})
Meine Damen und Herren, bei der Frage, wie wir entlasten, zeigen wir es mit Anträgen zu einem flexiblen Rentensystem. Wir zeigen es aber auch, indem wir Subventionen abbauen. Zukunftsgerichtet muss man immer wieder sehen: Wer Subventionen zu lange hält, bleibt in der Vergangenheit. Diese Regierung – Subventionen abbauen? Nein, sie erfindet eher noch neue. Es wird keine Subvention abgebaut. Auch da: Man bleibt in der Vergangenheit haften, nichts für die Zukunft.
({5})
Dann gibt es sogenannte Ausgabereste. Für die, die das nicht wissen: Das ist das, was die Minister und Ministerinnen einsparen und sagen: Das gebe ich vielleicht später aus. – Diese Fettpolster wachsen. Das heißt, da liegt Geld. Man hat einmal gesagt: Wir wollen etwas für dieses Land, für die Bürger dieses Landes tun. – Was machen Sie? Sie lassen es liegen, weil Ihnen egal ist, was in Zukunft alles getan wird. Sie sagen: Solange sich die Zahlen schön anhören, machen wir das, aber was wirklich passiert, interessiert uns nicht wirklich.
({6})
Dann zum Thema Investieren. Bildung: Ja, der Etat steigt. Toll. 18 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr – 18 Millionen Euro! Das ist Ihr Zukunftsbild für eines der Zukunftsthemen. Das ist das, was Sie dann als besonders glücklich sehen. Dann sagen Sie, wir würden in absoluten Zahlen so viel investieren. – Es ist wie immer. Auch da ist Herr Scholz ein Ankündigungsminister. Wir werden es auch dieses Jahr erleben. Er hat beim letzten Mal auch gesagt: Wir werden so viel wie nie investieren. – Jeder weiß doch jetzt schon – Herr Brinkhaus weiß es, Herr Schneider weiß es auch –: Es wird nicht mehr investiert. – Ein großer Teil davon fließt nicht ab. Ihr stellt Geld ins Schaufenster, und sagt nachher: Können wir nicht gebrauchen, nehmen wir weg, ist eine globale Minderausgabe. – Investieren heißt, dass das Geld bei den Bürgern, bei den Menschen ankommt,
({7})
und nicht, dass man es irgendwo ins Schaufenster stellt, wo man es am Ende gar nicht gebrauchen kann.
({8})
Noch etwas – und auch da wieder der sehr elegant-geschickte Finanzminister, der bei allem nie so ganz die Unwahrheit sagt, aber doch ein bisschen versucht, sich vorbeizuschlängeln –: Herr Finanzminister, finden Sie es eigentlich gut, sich vor die Bevölkerung zu stellen und zu sagen: „Wir geben so viel wie nie zuvor aus“, zu verschweigen, dass die Investitionsquoten vor Jahrzehnten viel höher waren und Sie nur wegen des gestiegenen Haushaltes solche Zahlen haben? Finden Sie es eigentlich gut, zu sagen: „Ich investiere“, indem Sie das Baukindergeld als Investition in den Haushalt stellen? Wenn also ein Ehepaar mithilfe des Baukindergeldes ein Haus kauft, das bereits seit 60 Jahren existiert, dann sagen Sie: Ich habe mit der Bundesregierung investiert. – Ist das Ihre Vorstellung von Investition?
Für die Ganztagsbetreuung – wichtige Sache – stellen Sie 1 Milliarde Euro bereit und sagen: Wir haben 1 Milliarde Euro investiert. – Nichts davon wird investiert, weil nichts davon wirklich dadurch investiert wird, dass es ankommt, sondern es wird nur in einen Fonds überwiesen. Mit der Überweisung in einen Fonds sagt Olaf Scholz: Ich habe 1 Milliarde Euro investiert. – Das ist die Art, mit der diese Bundesregierung Investitionen betreibt. Das ist 20. Jahrhundert beim Thema Investitionen. Wir müssen aber darüber reden, was Investitionen im 21. Jahrhundert sind. Das wäre eigentlich Ihre Aufgabe gewesen.
({9})
Dann zur Frage des ausgeglichenen Haushaltes. Das ist eine Binse; jeder Haushalt ist ausgeglichen. Die Frage ist: Wie kriegt man ihn denn ausgeglichen, Herr Finanzminister, und wie kriegen Sie ihn ausgeglichen? Sie kriegen ihn mit Ihrer Koalition dadurch ausgeglichen, dass Sie sagen: Er ist ausgeglichen, aber am Ende des Jahres dürft ihr 5 Milliarden Euro nicht ausgeben. – So steht das im Haushaltsbuch. Sie nennen es „globale Minderausgabe“; aber es ist genau das. Der Haushalt ist nicht ausgeglichen. Sie kriegen ihn nur dadurch ausgeglichen, dass alle Minister um Sie herum sagen müssen: Okay, das machen wir nicht. Den Plan, den wir verkauft haben, machen wir nicht. Die Ausgabe machen wir nicht. – Das kommt nicht beim Bürger an. Das ist die Antwort auf die Frage, wie Sie den Haushalt ausgeglichen kriegen.
Ein weiterer Punkt. Sie haben gestern ehrlicherweise gesagt – aber auch da wieder hamburgisch-geschickt, nicht ganz die Unwahrheit, aber doch –:
Ja, wir nutzen die Rücklagen,
– damit meinen Sie die Asylrücklage –
die wir haben. Wir nutzen sie für eine expansive Haushaltspolitik.
So wortwörtlich der Minister. Was heißt das? Olaf Scholz gibt zu, dass die Erlaubnis, sich stärker zu verschulden, möglich ist. Das ist keine Rücklage. Da liegt nirgendwo ein Cent. Es ist nur die Erlaubnis aus vergangenen Jahren, 10 Milliarden Euro an zusätzlicher Verschuldung zu machen. So etwas ist kein ausgeglichener Haushalt. So etwas ist der Einstieg in die Neuverschuldung der Bundesrepublik nach guten Jahren, die Sie nicht genutzt haben.
({10})
Kommen wir zum Klimapaket. Ich meine, die eigentlichen Gegner Ihres Haushalts sitzen im Moment da auf der linken Seite; es sind jetzt kaum noch welche da.
({11})
Aber schauen Sie es sich doch an: Sie haben vier Gesetzentwürfe, die Sie in den Bundesrat schicken, und alle vier werden im Vermittlungsausschuss landen. Und warum? Weil gesagt wird: Lieber Olaf Scholz, dein Haushalt interessiert uns nicht. Wir wollen mehr Geld. – Ist das im Haushaltsplan drin? Nein, es ist nicht im Haushaltsplan drin. – Frau Vizepräsidentin, ich sehe die Zeit.
Was bleibt? CDU/CSU nebst SPD haben viel für die Vergangenheit gezahlt, verwalten die Gegenwart, aber die Zukunft bleibt ungestaltet. Eine solche Regierung kann sich dieses Land nicht weitere zwei Jahre leisten.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Otto Fricke. – Nächster Rednerin für die Fraktion Die Linke: Doris Achelwilm.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch medienpolitisch – in diesem Bereich sind wir inzwischen angekommen – muss die Bundesregierung mehr investieren. Ein Verweis auf die Kompetenz der Länder, der dann ja immer kommt, reicht nicht mehr aus. Dafür passiert gerade einfach zu viel. Um es mit aktuellen Worten von Esther Bejarano zu sagen, die die Ehrenvorsitzende der VVN-BdA ist: „Das Haus brennt“.
({0})
Ich war am Wochenende auf der „Bunt statt braun“-Demonstration in Hannover. Die NPD hetzte dort gegen die freie Presse und die Öffentlich-Rechtlichen. Auf ihrem Fronttransparent zeigten sie das Bild eines ihnen unliebsamen Journalisten und zogen zum NDR, wo er arbeitet. Zwei andere Journalisten wurden ebenfalls im onlineverbreiteten Demoaufruf zur Zielscheibe erklärt. Ihnen gilt die Solidarität meiner Fraktion: Danke für eure Arbeit, André Aden, Julian Feldmann und David Janzen.
({1})
Nach diversen Vorfällen auf rechtsextremen Demonstrationen, wo Journalistinnen und Journalisten tätlich angegriffen wurden, ist also die nächste Eskalationsstufe erreicht. Nazis ziehen gegen die Unabhängigkeit von Presse und Rundfunk mit Marschmusik, üblen Fahnen, teils vermummt durch die Straßen. Danke an alle Demokratinnen und Demokraten, an alle Antifaschisten und Antifaschistinnen, die in Solidarität mit den betroffenen Kollegen und den Grundrechten auf die Straße gegangen sind. Traurig, dass das inzwischen sein muss.
({2})
Es ist Aufgabe gerade dieses Hauses, die Pressefreiheit aktiv zu schützen. Aber wo bleiben die Signale, die dem Rechtsruck das Fahrwasser abgraben? Es ist ein sehr schlechtes Zeichen, dass Gerichte jetzt die Pressefreiheit ausbuchstabieren müssen, die beim G-20-Gipfel 2017 in Hamburg durch Ausladung von Journalisten durch Bundesbehörden außer Kraft gesetzt wurde. Heute wäre eine gute Gelegenheit, sich für diese rechtswidrige Aktion zu entschuldigen.
({3})
Wir erwarten, dass Medienpolitik, die für Pressefreiheit einsteht, auch im Haushalt erkennbarer wird, dass Presserechte in Behörden und Polizeien mehr Gewicht bekommen, dass in Qualität und Transparenz investiert wird. Hierfür braucht und gibt es verschiedene Wege.
Haushaltsrelevant wurde jetzt sehr kurzfristig der Vorstoß der Großen Koalition, der auf indirekte Presseförderung setzt. Der Haushaltsausschuss hat vor zwei Wochen beschlossen, 40 Millionen Euro für Vertriebskosten der Zeitungsverlage aufzuwenden, nachdem die Verleger vorstellig wurden, weil der Mindestlohn eben Mehrausgaben bei der Zeitungszustellung bedeutet.
({4})
– Die Gelder sind gesperrt; das wird dann immer so gemacht.
({5})
– Genau. Wo kein Konzept, da können diese Gelder noch nicht ausgegeben werden. – Im Koalitionsvertrag war in diesem Sinne ja noch eine Absenkung des Rentenbeitrags für die Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller vorgesehen, was wir scharf kritisiert haben. Dass diese Idee vom Tisch ist – wir hoffen, dass sie vom Tisch ist –, ist auf jeden Fall schon mal gut. In diesem Sinne ist die Zustellungsförderung eine Verbesserung. Gleichzeitig muss man allerdings sagen: Eine Pauschalsubvention pro zugestelltem Einzelexemplar, also Modell Gießkanne, sorgt nicht annähernd für die Sicherheit und die Vielfalt von Lokaljournalismus, gerade im ländlichen Raum, was ohne Zweifel nötig ist.
({6})
Wir Linke stellen uns dagegen, dass Arbeitsbedingungen im Medienbereich immer und immer prekärer werden oder Regionen zu Kreisen mit nur einer Zeitung oder gar keiner Zeitung werden. Um gegenzusteuern, braucht es aber keine Förderung für die stärksten der Verleger, sondern eine Strategie für publizistische Vielfalt, den Ausbau vernünftiger Arbeitsbedingungen in den Redaktionen, die Absicherung fairer Löhne und Sozialleistungen bis hin zu den Zeitungsausträgerinnen und ‑austrägern und den Erhalt von gutem, vor Ort recherchiertem Journalismus.
Die Qualitätsförderung gegenüber journalistischen Projekten steht in keinem Verhältnis zu diesen Ansprüchen. Gerade einmal 2 Millionen Euro fließen in den Haushaltstitel „Stärkung der Medienkompetenz sowie Schutz und strukturelle Förderung journalistischer Arbeit“. Das ist klar zu wenig.
({7})
Worüber wir stärker nachdenken sollten, sind ganz neue Perspektiven, Ansätze und Modelle der Gemeinnützigkeit, um journalistischen Nachwuchs zu fördern.
Ich komme zum Schluss.
({8})
Apropos Gemeinnützigkeit: Es ist alles andere als fair und demokratieförderlich, zivilgesellschaftlichen Vereinen wie Attac, Campact und jetzt der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit zu entziehen.
({9})
Als Linke werden wir –
Frau Kollegin!
({0})
– diese Herabsetzung nicht akzeptieren. Wir fordern,
({0})
dass das Finanzministerium diesen so wichtigen Vereinen –
Frau Kollegin!
– wieder den Status zugesteht, den sie sich verdient haben.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin Achelwilm. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Anja Hajduk.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Teil des Kanzleramtsetats, den wir hier heute beraten, ist der Kulturbereich. In diesem Haushalt wird es 84 Millionen Euro mehr gegenüber dem Haushalt 2019 geben. Seit Anfang der letzten Legislaturperiode ist der Kulturetat insgesamt um mehr als 50 Prozent gestiegen. Ich erwähne das als Mitglied des Haushaltsausschusses, weil wir durch die Entscheidungen dort zusätzlich viel für die Kultur tun. Meine Fraktion findet das im Grundsatz und weitgehend auch richtig. Schwerpunkte unserer Impulse sind die Soziokultur und die Erinnerungskultur. Wir freuen uns auch, dass es gelungen ist, zusammen mit den Regierungsfraktionen für die „Initiative Musik“ eine Erhöhung durchzusetzen. Davon profitieren Festivals und auch die Sanierung von Livemusik-Spielstätten. Da sind viele gute Punkte im Kulturbereich gelungen.
({0})
Ich möchte aber – das muss auch Teil dieser Debatte sein – auf einen sehr prominenten Punkt eingehen, der ziemlich problematisch war und ist: Das ist das Museum der Moderne. Prominent ist dieser Punkt, weil wir in diesen Haushaltsberatungen erfahren haben, dass dieser Bau in Berlin statt der angesetzten 200 Millionen Euro nunmehr 364 Millionen Euro kosten soll.
({1})
– Mindestens. – Diese Steigerung ist kein Pappenstiel. Die öffentliche Berichterstattung hierüber war weitgehend sehr kritisch, um nicht zu sagen: vernichtend. Frau Grütters, Sie haben die enorme Aufgabe, die Akzeptanz für dieses große Museumsprojekt wieder ins Positive zu lenken. Dazu fordere ich Sie im Namen meiner Fraktion auf.
({2})
Wir Grüne haben im Haushaltsverfahren sehr genau nachgefragt: Wo kommen die Steigerungen her? Im Wettbewerbsverfahren wurde die Grundrissfläche größer, der Baupreis – das ist zuzugestehen – ist in den letzten Jahren gestiegen, und wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Baugrube eine ganze Menge Geld kosten soll. Im Übrigen: Dass dort die Matthäuskirche und eine Platane als Naturdenkmal stehen, war schon immer bekannt. Kurzum: Wir erwarten, dass in den nunmehr genaueren Einzelbudgets jeweils Reserven gebildet werden und ein aktives Risikomanagement stattfindet.
({3})
Wir Grüne sind nicht gegen das Museum der Moderne mit den Werken des 20. Jahrhunderts, aber wir haben als Parlament die Pflicht, den Menschen glaubhaft zu vermitteln, dass die öffentliche Hand auch im Kostenrahmen bauen kann. Wir werden Sie an den 364 Millionen Euro messen. Tun Sie das Ihre dafür. Auf unsere Initiative haben wir im Haushaltsausschuss durchgesetzt, dass Sie uns regelmäßig über den Stand der Dinge berichten müssen. In diesem Sinne hoffe ich, dass das Projekt jetzt wieder eine positive Wendung nehmen kann, aber dafür ist viel Arbeit nötig.
Schönen Dank.
({4})
Vielen Dank, Anja Hajduk. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während der Debatte zum Klimapaket hier im Deutschen Bundestag hat es eine Reihe von Kommentaren gegeben, mit denen zum Ausdruck gebracht wurde, es gebe keine großen Unterschiede mehr zwischen den Parteien. Man sehe die Unterschiede nicht mehr, weil die Union auch grün sein will und weil die Grünen auch bürgerlich sein wollen.
({0})
Aber die Debatte und übrigens auch Ihr Parteitag vom letzten Wochenende haben doch sehr klar gezeigt, dass die Grünen ihren Wurzeln treu bleiben und dass die grüne Trauerweide wieder frische Verbotsblüten hervorbringt.
({1})
– Herr Hofreiter, Sie haben das doch wieder deutlich gemacht: Diesel und Benziner verbieten, neue Bundesstraßen verbieten, Gasheizungen verbieten.
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Ihr Kollege Stephan Kühn hat gestern gesagt: Jetzt gleich ein Straßenbaumoratorium erreichen.
({3})
Sie haben ganz offensichtlich vergessen, dass auch Elektroautos Straßen brauchen.
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Deswegen ist der vorliegende Haushalt auch so wichtig, weil er klarmacht, wie stark wir in den Klimaschutz investieren, wie sehr wir dafür sorgen, dass neue Technologien entstehen, um gegen den Klimawandel anzugehen. Wir investieren 60 Milliarden Euro in den Klimaschutz. Sie wollen Verbote für 80 Millionen Deutsche.
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Das ist der entscheidende Unterschied, und den will ich deutlich machen.
Lieber Toni Hofreiter, Sie haben beim Thema Schuldenbremse heute Entlarvendes von sich gegeben.
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Schuldenbremse erweitern – das war Ihre Aussage eben, Herr Kollege Hofreiter.
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Ich kläre Sie mal darüber auf, was das eigentlich bedeutet.
({8})
Wir haben jetzt zum siebten Mal keine neuen Schulden. Wir haben keine neuen Altlasten für die nächsten Generationen geschaffen. Wir sind bei der Schuldenquote von 80 Prozent runter auf jetzt 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist ein gutes Signal, weil das bedeutet, dass wir die Maastricht-Kriterien wieder erfüllen. Aber das scheint für die Grünen eine besonders schlechte Nachricht zu sein; denn Sie haben in einem Antrag auf Ihrem Parteitag noch einmal deutlich gemacht, dass Sie jedes Jahr 35 Milliarden Euro neue Schulden machen wollen. Das ist das, was Sie unter „Schuldenbremse erweitern“ verstehen. Das ist aber nichts anderes, als dass Sie das Grundgesetz ändern wollen. Sie wollen die Schuldenbremse im Grundgesetz abschaffen. Das ist Ihr eigentliches Ziel.
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Auch wenn Sie seit einiger Zeit den baden-württembergischen Ministerpräsidenten stellen: Von der schwäbischen Hausfrau haben Sie offensichtlich überhaupt nichts gelernt.
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Es ist nichts anderes als ein übler Vertuschungsversuch,
({11})
von einer Erweiterung der Schuldenbremse oder vom Weiterentwickeln der Schuldenbremse zu reden. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden es nicht zulassen, dass Sie die Schuldenbremse schleifen. Genau wegen Politikern wie Ihnen haben wir die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben.
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Übrigens ist der vorliegende Haushalt der Gegenbeweis für die Behauptungen, dass die schwarze Null Investitionen und Entlastungen verhindere. Wir haben die Investitionen gesteigert. Es gibt mehr Entlastungen als jemals zuvor. Es gibt Rekordinvestitionen in Höhe von 43 Milliarden Euro.
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Wir entlasten auf Rekordniveau in Höhe von 70 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode: beim Soliabbau, bei der Arbeitslosenversicherung und über das Familienentlastungsgesetz. Der vorliegende Haushalt ist ein echtes Zukunftspaket für Deutschland – genau das, was unser Land jetzt braucht.
Natürlich darf man darüber reden: Wie geht man mit einer neuen wirtschaftlichen Situation um? Wie geht man damit um, dass die Wirtschaftsdynamik und die Industrieproduktion etwas zurückgehen? Wir nehmen wahr, dass es Kurzarbeit und auch Stellenstreichungen gibt. Deswegen müssen jetzt die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Aber was wird da als Vorschläge in die politische Diskussion eingeworfen? Aktiver Abbau unseres Exportüberschusses, Beschränkungen für die deutsche Automobilindustrie, neue Zollschranken und ein Stopp für Freihandelsabkommen. Das klingt wie ein Wahlprogramm von Donald Trump, das sind aber die Beschlüsse des grünen Parteitags, meine Damen und Herren.
({14})
Wir wollen, dass Deutschland Exportweltmeister bleibt. Wir wollen übrigens auch, dass wir mit Klimatechnologien Exportweltmeister werden. Wir wollen dafür sorgen, dass das, was wir uns technologisch ausdenken und entwickeln, in die Welt exportiert wird. Wer außer uns soll die Welt mit Klimatechnologie versorgen? Wir sind schließlich Exportweltmeister, lieber Herr Hofreiter.
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Ich habe Ihr Angebot übrigens wahrgenommen. Sie haben angeboten, über Planungsbeschleunigungen zu reden. Planungsbeschleunigungen sind dringend notwendig, wenn wir die Investitionen, die wir bereitstellen, schnell umsetzen wollen. Ich bin sehr dafür, dass wir diese Diskussion miteinander führen. Wir fangen gerne mit der Schiene und der Wasserstraße an, wenn Sie mit der Straße ein emotionales Problem haben, aber dann müssen Sie auch die Bereitschaft haben, dafür zu sorgen, dass wir nicht bei jedem einzelnen Projekt alle rechtlichen Schritte bis zum Exzess durchdeklinieren. Wer schnell sein will, der muss auch Entscheidungen treffen und dafür sorgen, dass die Maßnahmen sofort umgesetzt werden und nicht erst in ein paar Jahren.
({16})
Eine Debatte, die wir in den nächsten Monaten auch intensiv führen müssen, ist die, wie wir mit der Nullzinspolitik und den Negativzinsen der Europäischen Zentralbank umgehen. Im Klartext heißt das: Es ist höchste Zeit, dass die Geldpolitik der EZB wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Wenn man darüber spricht, kommt immer sofort der Hinweis auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Ja, das ist richtig, und wir respektieren die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank.
({17})
Wir fordern die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank sogar ein.
({18})
Aber Unabhängigkeit heißt doch nicht „Staatsfinanzierung durch die Hintertür“, Unabhängigkeit heißt doch nicht „Geldpolitik im Sinne der Schuldenländer“, und Unabhängigkeit heißt auch nicht, dass Sparer bestraft werden, um Haushalte zu sanieren.
({19})
Deswegen ist unsere klare Erwartung, dass wir einen Einstieg in den Ausstieg aus der Niedrigzinsphase einleiten. Die neue Präsidentin, Christine Lagarde, muss erkennen, dass die Aufgabe der EZB eine stabile Geldpolitik ist und nicht eine europäische Ersatzstrukturpolitik. Wir brauchen übrigens auch, um hier ein klares Signal zu setzen, eine nationale Zinsagenda für private Sparer. Ein Weiter-so, dass Sparen bestraft wird, kann keine Dauereinrichtung sein. Deswegen brauchen wir auch einen staatlichen Sparbonus statt des EZB-Sparmalus. Meine Damen und Herren, da gibt es dringenden Handlungsbedarf.
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Vielen Dank, Alexander Dobrindt. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Martin Renner.
({0})
Grüß Gott, Frau Präsident!
-in!
Präsident!
({0})
Präsidentin!
Sehr verehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Zuschauer! Der Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien ist ein Bereich, in dem Grundlegendes verkehrt läuft. Die Begriffe „Nation“ und damit auch „Kulturnation“ sind Ihnen zuwider. Anstatt beständig über angebliche Klimaleugner zu schwadronieren, sollten Sie besser einmal über Kulturleugnung sinnieren. Sie leugnen die Bedeutung des Nationalstaates. Daraus folgen die Geringschätzung und die Missachtung der eigenen Kultur, die doch so wichtig ist für unsere Identität. Sie maskieren dies mit schönen Worten, etwa „Förderung kultureller Vielfalt“ oder „Diversitätsentwicklung“.
({0})
Ich nenne es „Verherrlichung des Fremden und Geringschätzung des Eigenen“.
({1})
Ihre überall geförderte und geforderte Vielfalt und Diversität sind dabei, unsere Kultur zu perforieren, zu zersetzen, zu überlagern. Angebliche Diskriminierung des Fremden, aber auch von Minderheiten bekämpft man nicht, indem man die Mehrheit marginalisiert und das Eigene verächtlich macht oder zur Gänze negiert.
({2})
Ich erinnere an Ihre unsägliche, Ihre niederträchtige Kampagne „Das ist sooo deutsch“. Diese Kampagne stellt eine derart dümmliche Verleumdung unseres Propriums, unseres Eigenen dar, dass Sie sich dafür schämen sollten.
({3})
Aber das sagt doch auch einiges über die historische, philosophische und kulturelle Begrenztheit Ihres Deutschlandbildes aus. Ein Johann Gottfried Herder ist Ihnen offenbar nur noch als Bestandteil mancher Schulnamen bekannt. Verächtlichmachung des Eigenen auf der einen Seite und allgegenwärtiges Moralisieren und permanentes Aufzwingen einer maßlos überbetonten kulturellen Vielfalt auf der anderen Seite, das ist das Handwerk von Ideologen. Genau das zieht sich quer durch Ihre Politik und liegt wie Krematoriumsasche über diesem Haushaltskapitel.
({4})
Kulturmarxismus pur ist das, pure Ideologie.
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– Pfui, jawohl.
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Ihr Nichtverstehen der Kultur führt zum Nichterkennen Ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich des Erhalts und der Verteidigung unserer kulturellen Identität,
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die doch die Klammer des Gemeinsinns der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist und damit auch die Grundvoraussetzung für Identifikation mit und Integration in unsere Gesellschaft schafft.
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Ich sage das nicht, um das Eigene zu überhöhen, und auch nicht, um das Fremde herabzuwürdigen, sondern ganz im Sinne Herders: als gleichwertige Koexistenz der Kulturen in ihren jeweiligen angestammten Kulturräumen.
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Das ist es, was Sie hier übergreifend eint: Sie schaffen Deutschland ab und träumen höschenfeucht Ihr One-World-Fantasma.
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Ihre Kultur- und Medienpolitik ist die Deutlich- und Sichtbarwerdung eines links-grünen Juste Milieus voller zeitgeistiger, staatsgeldgieriger Opportunisten.
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Sie übersehen dabei bewusst, dass es sich hier eben nicht um die sogenannte Zivilgesellschaft, also den Bürger, handelt, sondern um die Führungsetagen, um die Feudallogen des polit-medialen Komplexes der Wirtschaft, der Kirchen, der Gewerkschaften, der NGOs, der Institutionen und der Vereine.
({12})
Somit sollen die werteschaffenden Bürger nun mit kulturmarxistischer Methodik zur scheinbar richtigen grün-linken Gesinnung geführt und überwacht werden.
In Dresden wurden unersetzliche Kulturschätze aus dem Grünen Gewölbe gestohlen. In Berlin ist es das links-grüne Politgewölbe selbst, welches uns unsere nationale Kultur und Identität rauben will, angeführt von einer Kanzlerin in schwarz-rot gefärbter Kleidung, aber mit gallegrünem Innenfutter, –
({13})
Kommen Sie zum Ende?
– und ihren botsmäßigen vielfaltsbunten Helfershelfern. Ich sage Ihnen: Kehrt um, tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden.
Danke schön.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat wieder einmal gesehen, was man hier rechts außen sitzen hat. Ehrlicherweise: Herr Gauland, Sie haben ja mal gesagt, dass Herr Höcke in der Mitte der Partei angekommen ist. Das haben wir eben gerade gehört. – Ein Grund mehr, diesen Verein zu verbieten.
({0})
Rechtsextremisten wie Sie, die stehen mir bis hier, Frau Weidel.
({1})
Nur dass Sie es einmal gehört haben.
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Was hier eben abgelästert worden ist, ist unerträglich: Die „Krematoriumsasche“ liegt über diesem Haushalt. – Was ist denn das für ein Vokabular? Schämen Sie sich denn überhaupt nicht?
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Rechtsextremisten wie Sie sind eine Schande für dieses Land.
({4})
Wenn Sie auch noch sagen, dass Deutschland sich selber abschafft, sage ich: Sie sind gerade dabei, den Anstand in diesem Haus abzuschaffen, und das ist erbärmlich.
({5})
Um auf die Sachebene zurückzukommen – lassen wir sie weiterquaken –: Der Kulturetat, den diese Große Koalition zu verantworten hat, ist stark ausgeweitet worden. Ich möchte ganz besonders der CDU/CSU für die gute Zusammenarbeit danken.
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Patricia Lips, mit dir ist das immer eine große Freude; der Etat spiegelt das ja auch wider. Der Kollege Rehberg tut jetzt so, als wäre er bescheiden, aber er hat seinen Anteil daran; wir alle haben das festgestellt. Wir haben hier einen Kulturhaushalt vorgelegt, den die Frau Staatsministerin jetzt entsprechend positiv und freundlich begleitet und exekutiert. Ich glaube, dass das eine gute Sache ist.
Schauen wir uns die Ergebnisse an: Besonders bemerkenswert ist der Posten des Deutschen Fotoinstituts in Düsseldorf. Herr Gursky hat die Anregung gegeben. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident liefert die Kofinanzierung. Mehr Große Koalition geht doch gar nicht.
({7})
Ganz besonders stolz bin ich darauf, dass wir die Stiftung Mitteldeutsche Schlösser und Gärten – für Sachsen-Anhalt und Thüringen – gegründet haben. Wir haben sie ausgestattet mit Mitteln für ein erstes Sanierungsprogramm und Betriebskosten: 30 Millionen Euro vom Bund, 30 Millionen Euro von den beiden Ländern. Das heißt, man kann die deutsche Kultur erhalten, man kann vor Ort etwas tun für das Handwerk, für den Tourismus, für die Wirtschaft. Das ist ein sehr gelungenes Paket. Man sieht: Kultur funktioniert und wirkt, auch in dieser Großen Koalition.
Eine Anmerkung sei mir gestattet: Ich glaube, dass es wichtig ist, auch wenn die Verhandlungen schon lange geführt werden, dass in diesem Hohen Hause klargemacht wird, dass es keine Entschädigung für die Hohenzollern geben wird. Kein Cent für das, was die abgeliefert haben!
({8})
Ich glaube, es ist klar, dass das mit den Sozialdemokraten nicht zu machen ist.
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Ein weiterer Schwerpunkt in diesem Haushalt liegt auf der Erinnerungskultur. Wir geben viel Geld aus, um insbesondere die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Gedenkstätte Hadamar, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand zu stärken. Man hat ja gesehen, dass die AfD es dringend nötig hat. Vielleicht sollten Sie häufiger dort vorbeigehen. Vielleicht lernt man dann ja mal was.
({10})
– Ja, genau. Als Vorsitzender der Kurt-Schumacher-Gesellschaft kann ich Ihnen sagen: Er würde sich schämen für Menschen wie Sie,
({11})
unanständig ohne Ende.
({12})
So, jetzt kommen wir bitte wieder runter.
Genau.
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Jetzt kommen wir runter
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und überlegen, mit welchen Gesten wir uns gegenseitig Signale senden. – Das war jetzt diplomatisch ausgedrückt.
Ganz wunderbar. Und alles auf meine Redezeit, Frau Präsidentin.
Nein, das schreiben wir gut.
Ich danke. – Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, dass man klare Kante gegen Geschichtsvergessenheit, Rechtsradikalismus und Extremismus zeigt.
({0})
Ich glaube, solange in diesem Hohen Hause Menschen sitzen, die eine Zeit, in der über 6 Millionen Juden systematisch ermordet wurden, als Vogelschiss in der deutschen Geschichte bezeichnen, weiß man, dass Erinnerungskultur notwendig ist, Herr Gauland.
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Solange in der AfD Leute das Sagen haben, die in Bezug auf die Nazizeit eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad wollen wie Herr Höcke, braucht man mehr Investitionen in Erinnerungskultur.
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Solange genau die gleichen Leute das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als Mahnmal der Schande bezeichnen wie Herr Höcke, braucht man mehr Geld für Kultur, für Aufklärung, damit so etwas nicht wieder vorkommt,
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damit diese Menschen keine Zukunft, keine Chance haben und dem nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr angehören.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Johannes Kahrs.
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Nächster Redner: Hartmut Ebbing für die FDP-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich freue ich mich als Kulturpolitiker ganz besonders, dass wir tatsächlich einen Aufwuchs im Kulturetat haben. Langsam bekommt der Kulturetat die Bedeutung, die er haben soll. Denn wie schon unser Altbundespräsident Richard von Weizsäcker sagte:
... Kultur ist kein Luxus, den wir uns entweder leisten oder nach Belieben auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert.
Auch gerade Erinnerungskultur ist, Herr Kahrs, wie wir sehen, sehr wichtig.
Nichtsdestotrotz müssen wir natürlich sorgsam mit den Steuergeldern umgehen. Diesem Gebot hat Staatsministerin Grütters mit dem Neubau des Museums der Moderne einen Bärendienst erwiesen. Anstatt – wie von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ursprünglich gewünscht – ein bescheidenes und dennoch besonders Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts zu errichten, hat sich Frau Grütters über alle Expertenmeinungen hinweggesetzt. Jetzt wird das Museum nicht nur 60 Prozent größer, sondern auch doppelt so teuer wie ursprünglich geplant. Die Staatsministerin betreibt hier Politik nach Gutsherrenart. Das Ziel ist offenbar ganz eindeutig, sich ein möglichst großes und sichtbares Denkmal zu schaffen.
Sie müssen sich das mal vorstellen: Bis zwei Tage vor der entscheidenden Sitzung im Haushaltsausschuss hatte die Staatsministerin dem Ausschuss noch nicht einmal eine detaillierte Kostenaufstellung für die von ihr zusätzlich gewünschten 250 Millionen Euro vorgelegt. Aber die Haushaltspolitiker der Koalition scheint das offenbar gar nicht gestört zu haben; denn sie haben dieses Projekt ohne Weiteres durchgewunken. Da bin ich ganz bei Frau Hajduk; sie sitzt gerade dort hinten. Wir haben wirklich probiert, die Kosten sachlich nachzuvollziehen. Dies war uns aber nicht möglich.
Ähnlich unverständlich ist für mich und vermutlich auch einen Großteil der Bürgerinnen und Bürger die teils eigenwillige Verteilung der Gelder in der Bereinigungssitzung. So kommt es durchaus zustande, dass die Stadt Hamburg in dieser Sitzung wie durch Geisterhand eine zusätzliche Kulturförderung des Bundes in Höhe von 36 Euro pro Einwohner erhält. Im Vergleich dazu: Baden-Württemberg erhält nur 4 Euro, Bayern 3 Euro, Brandenburg sogar nur 2,50 Euro pro Einwohner, und Rheinland-Pfalz und nach meiner Kenntnis auch das Saarland gehen gänzlich leer aus. Hier werden enorme Summen für teils zweifelhafte Projekte vergeben. So fördert der Bund nun mit einer hohen Summe das Reeperbahn Festival und gibt Geld aus für die Neugestaltung des Vorplatzes der Michaeliskirche in Hamburg. Sind solche Projekte wirklich von nationaler Bedeutung, wie es eigentlich sein sollte, wenn wir Bundesmittel ausgeben? Oder kann es sein, dass hier gezielt Klientelpolitik betrieben wird?
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Hartmut Ebbing. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Dr. Anna Christmann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn ich persönlich ihn als Vorsitzenden des Ausschusses Digitale Agenda leider nur sehr kurz kennenlernen durfte, möchte ich zu Beginn auch im Namen meiner Fraktion meine tiefe Bestürztheit ausdrücken. Mit Jimmy Schulz hat uns diese Woche einer der Pioniere der Digitalpolitik verlassen. Unser ganzes Mitgefühl gilt seiner Familie und seinen Freunden. Wir wünschen viel Kraft in diesen schweren Stunden.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute in dieser Debatte auch über den Digitalhaushalt. Das kann leicht vergessen werden, weil es diesen Digitalhaushalt nicht so richtig gibt. Nicht mal die zuständige Staatsministerin hat einen Überblick, wie viel wir eigentlich für Digitalisierung ausgeben. Ich frage mich wirklich, wie man ernsthaft von einer Umsetzungsstrategie Digitalisierung sprechen kann, wenn man nicht mal eine Ahnung davon hat, wie viel Geld überhaupt zur Verfügung steht. Das ist keine Digitalpolitik. Das ist das pure Chaos.
({1})
Das Scheitern war ja vorprogrammiert. Sie haben zu Beginn versäumt, klare Strukturen zu schaffen. Stattdessen wurde die besagte Staatsministerin für Digitalisierung eingesetzt, die weder ein Budget noch wirklich Durchsetzungskompetenzen hat. Das musste schiefgehen. Jetzt kommen Sie mitten in der Legislaturperiode mit dem Vorschlag: Ach, vielleicht gründen wir doch noch ein Digitalministerium. – Die FDP freut sich natürlich darüber. Grundsätzlich ist die Erkenntnis, dass sich da was verändern muss, richtig.
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Aber jetzt mitten in der Legislaturperiode ein ganzes Ministerium aufbauen zu wollen, kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein. Ich meine, es würde mindestens zwei Jahre dauern, bis dieses Ministerium handlungsfähig wäre. So viel Zeit haben wir nicht mehr. Wir brauchen jetzt mehr Dynamik in der Digitalisierung.
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Unser Vorschlag dafür ist sehr klar. Wir schlagen ein Digitalbudget in Höhe von 500 Millionen Euro vor. Dies könnte man sofort angehen. Das wäre zusätzliches Geld. Neben den Investitionen in Infrastruktur und in digitale Verwaltung, die alle dringend notwendig sind, brauchen wir auch ein Budget, das für innovative Projekte der einzelnen Ministerien zur Verfügung steht. Es muss eine Motivation geben, neue Projekte aufzulegen, die schnell starten können. Wir müssen ins Ausprobieren kommen, statt Mammutprojekte anzugehen, die am Ende nie fertig werden. Dafür brauchen wir ein Digitalbudget. Wir sollten uns nicht weitere zwei Jahre lang mit internen Strukturen beschäftigen.
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Als Grüne wissen wir sehr genau: Neben der ökologischen Transformation ist die Gestaltung der digitalen Transformation eine der zentralen Herausforderungen für die Sicherung unserer Zukunft. Es geht um Wohlstand. Dafür brauchen wir Investitionen in digitale Verwaltung, in eine gute Netzabdeckung und digitale Bildung. Dabei geht es auch um soziale und nachhaltige Innovationen. Hierfür würden wir die Digitalisierung gerne stärker nutzen. Nutzen wir endlich dieses Potenzial, statt weitere zwei Jahre Zuständigkeiten zu sortieren! Denn wer gestalten will, muss das heute tun, im Hier und Jetzt.
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Vielen Dank, Dr. Anna Christmann. – Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Patricia Lips.
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der Mittwochvormittag einer Haushaltswoche wie dieser ist traditionell dem Kanzleretat gewidmet – mit mehr oder weniger viel Temperament in einer Generaldebatte über verschiedene aktuelle politische Felder hinweg und durchaus kontrovers; so soll es auch sein. Ebenso traditionell folgt an dieser Stelle – wir haben es jetzt schon einige Male gehört – ein weiteres Thema, welches nicht immer gleich im Fokus steht, welches eigentlich eher verbindet als trennt und damit unser Leben ebenso prägt, nämlich die Kultur.
Rund 120 Millionen Euro haben wir im Haushaltsausschuss zusätzlich für 2020 beschlossen. Damit haben wir rund 150 Projekte auf den Weg gebracht und den Etat der Kulturstaatsministerin im Kanzleramt erstmals auf knapp 2 Milliarden Euro steigern können.
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Kolleginnen und Kollegen von der AfD – insbesondere Herr Renner –, es gab noch nie so viel Kultur des Bundes wie heute. Darauf sind wir stolz. Lassen Sie mich bereits an dieser Stelle den unzähligen Kulturschaffenden für ihren Einsatz und ihre Kreativität in diesem Land – oft im Ehrenamt – ausdrücklich danken.
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Kultur bietet natürlich auch einen Blick auf unsere Demokratiegeschichte und auf unsere Erinnerungskultur. In diesem Jahr haben wir den Mauerfall gefeiert und „100 Jahre Weimarer Reichsverfassung“ gedacht. Im kommenden Jahr erwarten uns die Jubiläen „30 Jahre Wiedervereinigung“, jedoch auch „75 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs“ – und damit auch das Ende einer schrecklichen Naziherrschaft. Das ist Grund genug – Johannes Kahrs hat es bereits angesprochen –, diesmal auch bei der Erinnerungskultur Schwerpunkte im Haushalt zu setzen.
Als zentrale Orte der Demokratieentwicklung in Deutschland fördern wir die Sanierung der Paulskirche in Frankfurt ebenso wie das Nationaltheater in Weimar, die Stätte der verfassunggebenden Versammlung 1919. Einrichtungen wie das Grenzmuseum Schifflersgrund
({2})
und vor allen Dingen Point Alpha, beides Kooperationsprojekte der Länder Hessen und Thüringen, erinnern an der ehemaligen Grenze nicht nur an die deutsche Teilung, sondern auch an die ehemaligen Blöcke Ost und West während des Kalten Krieges.
Wir wollen im kommenden Jahr mit der Konzeption für ein Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewalt und einem Campus für Demokratie auf dem Gelände der ehemaligen Stasizentrale beginnen. Besondere Orte der Erinnerungskultur aus dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte stellen die Gedenkstätte in Hadamar, wo unzählige Menschen den Euthanasieverbrechen zum Opfer fielen, und die Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg dar. Ja, Kolleginnen und Kollegen, das gehört dazu.
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Aber natürlich unterstützen wir wie immer auch überregionale Musikangebote und Museen – ja, auch das Museum der Moderne, mit allen vereinbarten Kontrollmechanismen. Wir unterstützen darüber hinaus kleinere und größere Museen mit ihren jeweils einzigartigen Angeboten. Wir unterstützen die Kreativwirtschaft, und wir unterstützen natürlich auch die Arbeit des Dachverbandes der Amateurmusik ebenso wie die des Deutschen Chorverbandes und anderes mehr. Basis für ihre Arbeit und ihre Motivation ist die verbriefte Freiheit der Kulturschaffenden in unserem Land – ein hohes Gut.
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Ich wende mich noch einmal an Sie, Herr Renner und Kolleginnen und Kollegen der AfD: Diese Menschen zersetzen nicht unser Land, diese führen es zusammen.
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Einen großen Anteil am Kulturhaushalt nehmen jedoch auch diesmal wieder zahlreiche Investitionen in den Erhalt der Bausubstanz ein, in unser Erbe, von der Grillenburg in Sachsen über den Wasserturm in Mannheim, von der Burganlage Blankenberg oberhalb der Sieg bis zur Klosteranlage Michelfeld in der Oberpfalz. Sie stehen für viele mehr. Sie alle sind Leuchtstürme, sie stiften Identität und prägen ihre jeweilige Region.
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Das ist unser Erbe, das wir von Bundesseite gerne auch unterstützen und das es zu bewahren gilt.
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Kolleginnen und Kollegen, alles in allem: Sprache, Kunst, Bildung, Recht, Wissenschaft, Religion und die damit verbundenen baulichen Einrichtungen aus der Vielfalt unserer Geschichte prägen unsere Gegenwart. Kultur ist damit Brückenbauer und Botschafter zugleich. Auch deshalb ist diese Gemeinschaftsaufgabe so wichtig, und ich betone es noch einmal – wir haben es jetzt gerade gesehen –: Vielleicht ist sie heute wieder wichtiger denn je.
Auch mein Dank gehört Staatsministerin Monika Grütters und ihrem ganzen Team, den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss, ganz besonders natürlich auch dem Koalitionspartner – lieber Johannes, wir arbeiten da wirklich gut zusammen – und vor allen Dingen allen stillen Geistern, die in den vergangenen Wochen zum Gelingen beigetragen haben.
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Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Überzeugung: Wir haben auch diesmal wieder ein gutes Werk auf den Weg gebracht. Verbessern, ergänzen andere Ideen haben kann man immer. Am Ende sind die Wünsche groß, die Mittel nicht immer in diesem Ausmaß. Aber ich glaube, wir sind mit diesem Haushalt einen großen und einen guten Schritt vorangegangen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Kollegin Lips. – Nächste Rednerin: für die AfD-Fraktion Joana Cotar.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wir haben es auch heute wieder in vielen Reden gehört: Die Digitalisierung ist wichtig, die Digitalisierung bestimmt die Tagesordnung, die Regierung möchte die Digitalisierung aktiv voranbringen. Willkommen in der Märchenstunde der Großen Koalition!
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Den schönen Worten hier im Plenum folgen allzu selten tatsächlich Taten – und wenn, dann meistens auf Druck der Opposition.
Mit großem Interesse habe ich den Parteitag der CDU letztes Wochenende verfolgt, und wie erstaunt war ich, als ich gehört habe, dass Sie plötzlich ein Digitalministerium einrichten wollen. Ich weiß gar nicht, wie oft ich an dieser Stelle genau die Einrichtung eines solchen Ministeriums gefordert habe. Sie haben mir jedes Mal erklärt, das sei keine gute Idee, jedes Ministerium sei ein Digitalministerium und das sei vollkommen ausreichend. Und jetzt möchten Sie das Digitalministerium sogar noch in dieser Legislaturperiode einrichten. Was für ein erstaunlicher Sinneswandel, werte Kollegen, den ich aber ausdrücklich begrüße!
({1})
Ich hoffe nur, Sie denken bei der Umsetzung auch an die entsprechenden Durchgriffsrechte und Ressourcen. Sonst wird das wieder nix.
Doch nicht nur beim Digitalministerium gab es einen Sinneswandel; auch beim Thema DSGVO klingt die CDU plötzlich ganz anders. Die AfD hat von Anfang an darauf hingewiesen, dass mit der Datenschutz-Grundverordnung zwar auf die Großen namens Google und Facebook gezielt wurde, es aber die kleinen Betriebe und Privatpersonen getroffen hat, die mit diesem Bürokratiemonster völlig überfordert sind. Sie haben mich für diese Feststellung letztes Jahr hier ausgelacht, liebe Kollegen, und nun lese ich, dass die CDU kleinere Organisationen nicht unnötig mit bürokratischen Vorschriften belasten will und eine Überarbeitung der DSGVO fordert. Was soll man da noch sagen? AfD wirkt!
({2})
Ähnlich verhält es sich beim Thema Huawei. Auch hier hat die AfD bereits den Antrag gestellt, Huawei vom 5G-Ausbau auszuschließen. Im hochsensiblen Regierungsnetz ist der chinesische Konzern nicht erwünscht. Wieso sollten wir ihn an unsere kritische Infrastruktur lassen?
Sie haben unseren Antrag damals abgelehnt und nun auf Ihrem Parteitag plötzlich den Weg für einen möglichen Ausschluss von Huawei geebnet. Die von Ihnen beschlossenen Sicherheitskriterien wird der chinesische Konzern wahrscheinlich nicht erfüllen können. Ich bin gespannt, wie sich Frau Merkel dann verhalten wird; denn die hat ja bereits im Vorfeld des Parteitages gesagt, dass sie sich nicht an den Parteitagsbeschluss halten möchte, wenn der Huawei von Anfang an ausschließt. Eine wirklich bemerkenswerte Aussage! Bei der AfD haben die Mitglieder das Sagen; der Parteitag ist das höchste Entscheidungsgremium. Bei der CDU hören alle aufs Kommando Merkel, und das ist der Grund für Ihre desaströse Politik.
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Und ein letzter Punkt: Der Haushaltsauschuss hat beschlossen, die Stiftung Datenschutz nicht mehr zu fördern, die Stiftung, die für Aufklärung und Bildung sorgt. Sie stülpen den Menschen Vorschrift um Vorschrift über, lassen sie bei der Umsetzung alleine, und nun geben Sie denen keine Gelder mehr, die Hilfe anbieten. Damit schwächen Sie die Bürgerrechte, damit schwächen Sie die Freiheit der Bürger, und das ist eine Schande, aber es passt ins Muster.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Frau Kollegin Cotar. – Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Svenja Stadler.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen und vor den Bildschirmen! Wie Sie wissen, war am Montag der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Viele von Ihnen haben in Pressemeldungen, Statements oder auf anderen Kanälen darauf hingewiesen.
Gewalt gegen Frauen geht uns alle an. Zu oft sehen wir weg, hören nicht wirklich hin, fragen nicht nach und verharmlosen. Jede dritte Frau in Deutschland hat in ihrem Leben bereits einmal sexualisierte, körperliche, verbale oder eben auch emotionale Gewalt erfahren. Das betrifft alle Frauen, und zwar aus allen sozialen Schichten.
Vor ein paar Wochen kam ein Vater auf mich zu und erzählte mir, dass seine verheiratete Tochter häusliche Gewalt erfährt – überwiegend verbal, aber mehr und mehr eben auch durch körperliche Übergriffe, wie auch immer die aussehen. Er fragte mich: Was kann ich tun? – Ja, was kann er tun? Mir fiel spontan das Hilfetelefon ein: 08000 116 016; eine Nummer, die auch Sie sich merken sollten. Das ist eine Anlaufstelle für betroffene Frauen in Notsituationen: 365 Tage im Jahr, 24 Stunden, kostenlos und anonym, in 17 Sprachen. Wissen Sie was: Wir unterstützen das Hilfetelefon in 2020 mit über 8 Millionen Euro.
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Nicht nur deshalb muss es eine dauerhafte, professionelle, niedrigschwellige Hilfsangebotsform geben, sei es für Betroffene, sei es für das Umfeld.
Mit Franziska Giffey haben wir eine tatkräftige Familien- und Frauenministerin an unserer Seite, die dem Thema die Bedeutung gibt, die es leider braucht. Sie hat im vergangenen Jahr die Initiative mit dem Runden Tisch gegen Gewalt an Frauen ergriffen und alle Beteiligten – Bund, Länder und die kommunalen Spitzenverbände – zusammengerufen; denn – machen wir uns nichts vor! – dieses Problem können wir nur gemeinsam lösen.
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Deshalb ist es gut und richtig, dass wir für das Bundesprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ viel Geld in die Hand nehmen. Erstmalig investieren wir als Bund in den kommenden vier Jahren 120 Millionen Euro. Das Geld fließt unter anderem in den barrierefreien Ausbau, in Umbau und Neubau von Frauenhäusern sowie Beratungsstellen in ganz Deutschland. Außerdem sollen neue räumliche Kapazitäten und innovative Wohnformen für Frauen und ihre betroffenen Kinder geschaffen werden. Ja, auch Kinder brauchen Hilfe und Unterstützung; denn sie müssen diese Bilder verarbeiten. Wir wollen nicht, dass Kinder denken, dass Gewalt an Frauen normal ist, dass man Frauen Gewalt antun kann.
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Das sind nur einige Maßnahmen. Sie werden mit Sicherheit nicht ausreichen; das streitet auch niemand ab. Aber sie sind ein erster Schritt.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung?
Nein, danke. – Wir dürfen die Länder und Kommunen nicht aus der Pflicht entlassen; denn sie müssen sich genauso engagieren.
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– Ich bin tatsächlich auf dem rechten Ohr total blind.
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Ich meine, taub.
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Also, ich bin auf dem rechten Ohr taub, aber nicht auf dem rechten Auge blind.
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Zu den jährlichen 30 Millionen Euro kommen 2020 noch einmal 5 Millionen Euro hinzu. Mit diesem Geld besteht die Möglichkeit, neue Konzepte zur Schließung von Lücken in Hilfesystemen und innovative Praxismodelle zur Unterstützung von betroffenen Frauen mit ihren Kindern zu erproben.
2017 hat die Bundesrepublik Deutschland die Istanbul-Konvention anerkannt. Artikel 10 formuliert weitreichende Anforderungen an den Aufbau einer Struktur, die staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen koordiniert, monitorisiert und evaluiert. Mit 800 000 Euro starten wir im nächsten Jahr ebendiesen Aufbau einer unabhängigen Monitoringstelle. Soll ich Ihnen was sagen: Das ist gut, das ist richtig, und es wird Zeit.
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Was brauchen wir noch? Wir brauchen einfach das Wissen: Warum gibt es denn Gewalt an Frauen? Warum gibt es Menschenhandel? Wie passiert das? All das soll eben in dieser Monitoringstelle erarbeitet werden. Dieses Wissen muss erhoben werden und in einen Gesamtkontext gestellt werden. Damit können wir dann Lücken im System identifizieren oder Fehlentwicklungen erkennen und dann passgenaue Maßnahmen für Frauen, auch für einzelne Frauen, entwickeln, die Gewalt erfahren. Dadurch können wir sie unterstützen.
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Keine Frau – ich sage Ihnen: keine Frau – hat es verdient, dass ihr Gewalt widerfährt: weder verbal noch körperlich noch sexuell.
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Liebe Männer hier im Saal und an den Bildschirmen, lehnen Sie jede Gewalt gegen Frauen ab! Jede Gewalt! Behandeln Sie Frauen gleichberechtigt! Lösen Sie doch Sorgen und Probleme anders!
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Aber gucken Sie nicht weg! Schweigen Sie nicht. Wenn es uns, das heißt den Männern und den Frauen, gemeinsam gelingt, nicht wegzugucken, nicht zu schweigen, dann sind wir zusammen stärker gegen Gewalt.
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Ich komme zum Schluss. – In dieser Woche verabschieden wir nun den Haushalt 2020, einen, wie ich finde, sogenannten Zusammen-Haushalt: zusammen für den Klimaschutz, zusammen für soziale Gerechtigkeit, zusammen für gleichwertige Lebensverhältnisse, zusammen für Demokratie und Vielfalt, zusammen für Europa und gemeinsam gegen Gewalt an Frauen. Was soll ich also sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen?
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, ich komme genau jetzt zum Schluss. – Die Koalition sieht Probleme, packt an und setzt um, und so geht gutes Regieren.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Svenja Stadler. – Nächster Redner: Marco Bülow.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rede noch im Rahmen der Generaldebatte zum Gesamthaushalt. – Die Bundesregierung hat was geschafft, was selten ist: Sie hat es geschafft, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam eine Erklärung verfasst haben, dass Deutschland doch endlich mehr, und zwar deutlich mehr, investieren soll, beispielsweise in neue Technologien, in die erneuerbaren Energien.
Der Chor wird lauter. Ob Arbeitgeber, ob Gewerkschaften, ob OECD, ob Europa, alle sagen: Die Deutschen sollen mehr investieren. – Aber nein, die GroKo hält an ihrem neoliberalen Dogma der schwarzen Null fest. Dabei müssten wir doch gerade jetzt dringend sehr viel in unsere Zukunft investieren, in unsere Köpfe und in das Leben der Menschen, die jung sind und das Land irgendwann sozusagen übernehmen werden.
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Aber es ist auch ohne Schulden eine Menge Geld da; darüber wird meistens nicht diskutiert. Beispielsweise geben wir jedes Jahr 40 bis 60 Milliarden für Subventionen aus, die gesundheits- und umweltschädlich sind. Wir häufen diese Subventionen an, aber wir bauen sie nie ab. Ein ziemlich großes Fass, aus dem man Geld rausnehmen könnte!
Oder nehmen wir mal das Verteidigungsministerium und das Militär! Eine der ersten Amtshandlungen der Verteidigungsministerin war es, in die USA zu reisen, um noch mal deutlich zu machen, dass sie auf jeden Fall 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben will. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir in Zukunft 68 Milliarden Euro für das Militär und für Verteidigung ausgeben sollen. Schon jetzt sind es 45 Milliarden Euro. Mit den beiden letzten Haushalten sind 6,5 Milliarden Euro dazugekommen – 6,5 Milliarden Euro für eine Rüstungsspirale, die die Welt unsicherer und nicht sicherer macht, Mittel, die nicht für unsere Zukunft bestimmt sind.
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Auf der anderen Seite stehen in diesem Haushalt trotz der Erhöhung gerade mal 3 Milliarden Euro für Umwelt und Klima zur Verfügung. Schauen wir uns den Haushalt noch mal genauer an: Fast die Hälfte dieser 3 Milliarden Euro werden für Atomsicherheit und für die Endlagerung ausgegeben, also auch wieder für die Vergangenheit und nicht für die Zukunft. Dieser Haushalt passt trotzdem 15-mal in den Militärhaushalt rein.
Das heißt, wir haben im Augenblick doch die Situation, dass wir eher in die Vergangenheit investieren, dass wir eher in Unsicherheit investieren und dass wir nicht in die Zukunft investieren. Wir bräuchten ein riesengroßes Projekt. Früher hat man immer vom „Landung auf dem Mond“-Projekt gesprochen. Es ist egal, wie man es nennt: Ich fordere, dass wir jedes Jahr 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also 68 Milliarden Euro, für einen Green New Deal, für einen sozialen Green New Deal ausgeben, für ein Zukunftsprojekt, das in Bildung, in Forschung, in erneuerbare Energien, in Klimaschutz und in die soziale Sicherheit investiert.
Das wäre ein Projekt, mit dem wir punkten könnten. Das wäre ein Projekt, mit dem wir die Zukunft sichern könnten. Ich verlange von dieser Bundesregierung, genau da endlich umzusteuern.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Marco Bülow. – Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion Nadine Schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist keine Haushaltsdebatte wie jede andere; denn mit diesem Haushalt starten wir in das nächste Jahrzehnt: ein Jahrzehnt, das darüber entscheiden wird, ob wir künftig eine relevante Rolle in der Welt spielen; ein Jahrzehnt, das darüber entscheiden wird, ob wir in puncto Innovation und Wirtschaft führend sind oder am Tropf anderer hängen; ein Jahrzehnt, das uns auch gesellschaftspolitisch fordern wird.
Unser Ziel als CDU/CSU-Fraktion ist es, dass wir im Jahr 2030, wenn wir auf die jetzt vor uns und dann hinter uns liegenden zehn Jahre zurückschauen, sagen: Ja, 2020 gab es eine wirtschaftlich unruhige Zeit und auch gesellschaftliche Spannungen. Aber wir haben es geschafft, neue Dynamik zu bekommen. Wir haben es geschafft, das riesengroße Potenzial, das in unserem Land liegt und das auf unserem Kontinent liegt, zu entfachen und zu nutzen, und wir haben es geschafft, mit einer positiven Zukunftseinstellung als Gesellschaft insgesamt voranzukommen und dabei zusammenzuwachsen. – Das ist unser Ziel für 2030, und das ist unsere Aufgabe für die nächsten zehn Jahre.
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Was brauchen wir dafür? Wir brauchen dafür vor allem mehr Selbstbewusstsein in Deutschland und in Europa – und eine neue Haltung; denn Fakt ist: Wir kreisen zu sehr um uns selbst. Die Dynamik der IT-Giganten aus dem Silicon Valley betrachten wir mit Faszination und die Emporkömmlinge aus China mit gebotener Skepsis.
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Wir müssen aber global denken und brauchen einen eigenen europäischen Weg zwischen den USA und China, einen Weg, der auf unseren Werten basiert, auf dem wir aber trotzdem wettbewerbsfähig sind. Wir brauchen einen Sprung nach vorn. Und dieser Haushalt, den wir heute verabschieden, setzt hier ganz entscheidende Akzente.
Mit Gaia-X hat sich Peter Altmaier auf den Weg gemacht, eine eigene europäische Dateninfrastruktur und damit auch ein neues europäisches Selbstbewusstsein in der Digitalpolitik zu entwickeln. Die Ausgaben für Bildung und Forschung klettern auf einen neuen Höchststand, erreichen ein neues Rekordniveau. Wir probieren ganz neue Sachen. Die Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen etwa wird dafür sorgen, dass aus Ideen schneller Geschäftsmodelle werden.
Als Unionsfraktion denken wir weiter. Mit der Digitalcharta, die wir als Partei am letzten Wochenende auf unserem Parteitag verabschiedet haben, schlagen wir einen eigenen, einen ganz neuen Ansatz vor und leiten damit einen Paradigmenwechsel ein: Statt wie die USA auf Datensilos und Log-in-Effekte setzen wir auf offene Standards, offene Schnittstellen, auf die Vielfalt unserer Start-ups und Unternehmen sowie auf europäische Souveränität dort, wo es notwendig ist. Weg von der Datensparsamkeit hin zur Datensouveränität – das ist unser digitalpolitischer Ansatz, den wir vorschlagen für Deutschland und auch für Europa. Das ist der Vorschlag, von dem wir glauben, dass er den Unterschied macht zwischen den Vorgehensweisen in den USA und China und der uns einen europäischen Weg weisen kann.
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Wir brauchen außerdem Investitionen in die Zukunft. Deshalb bin ich unserem Fraktionsvorsitzenden dankbar, dass er bei den Verhandlungen zur Grundrente gesagt hat: Wir können nicht nur in Rente investieren, sondern wir müssen auch dafür sorgen, dass wir in zehn Jahren hier noch Jobs haben, dass wir wettbewerbsfähig sind, dass wir Zukunft haben. – Deshalb hat Ralph Brinkhaus dafür gesorgt, dass wir als Deutschland 10 Milliarden Euro Wagniskapital, also Investitionskapital, zur Verfügung stellen, damit neue Geschäftsmodelle entstehen und wachsen können. Zu den 10 Milliarden aus Deutschland kommen 5 Milliarden Euro aus Frankreich. Auch das ist ein deutliches Zeichen für das Einschlagen eines neuen digitalpolitischen Weges und für ein neues Selbstbewusstsein gegenüber den USA und China.
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Von diesen Zukunftsinvestitionen braucht es mehr. Dafür sorgen wir auch: im Breitbandausbau, im Mobilfunkausbau, beim DigitalPakt Schule, bei vielen anderen Zukunfts- und Innovationsthemen. Ralph Brinkhaus hat es gesagt: Hier liegt unsere Priorität als Unionsfraktion. Alle anderen Themen sind wichtig; aber die Investitionen in die Zukunft entscheiden über die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und entscheiden darüber, ob wir 2030 auf gute zehn Jahre zurückblicken werden.
Es kann nicht sein, liebe Kollegen von den Grünen und anderen Parteien, dass die einzige Idee, die Sie für Zukunftsinvestitionen haben, die ist, dass man einfach neue Schulden macht. Auch das ist Politik auf dem Rücken der nächsten Generation. Wir müssen es doch schaffen, Zukunftsinvestitionen zu stemmen und trotzdem die schwarze Null zu halten. Das, was wir geschafft haben – eine tolle Errungenschaft –, dass wir keine neuen Schulden machen, können wir doch nicht einfach so über Bord werfen, sobald es mal ein bisschen schwierig wird. Unsere Aufgabe ist, dass wir beides schaffen: Zukunftsinvestitionen und einen ausgeglichenen Haushalt.
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Das zwingt uns vielleicht dazu, mal darüber nachzudenken, ob wir in unserem Land nicht strukturell etwas ändern müssen. Es ist ja nicht so, dass wir nicht genug Geld hätten. Wir sehen doch nur, dass wir das Geld teilweise nicht ausgeben können, dass wir offensichtlich strukturelle Probleme haben, die dazu führen, dass wir zu langsam sind, dass es nicht vorangeht, dass die Menschen das Gefühl haben: Wir kreisen nur um uns selbst und bekommen keine Investitionen mehr verwirklicht.
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Ein bisschen stimmt das ja auch. Deshalb müssen wir weg von der Absicherungsmentalität. Wie viele Gesetze haben wir in Deutschland und in Europa in den letzten Jahren geschaffen, die nur dazu dienen, uns abzusichern?
Datenschutz-Grundverordnung: Fühlen Sie sich durch die Datenschutz-Grundverordnung wirklich besser geschützt? Die meisten werden das mit Nein beantworten. Wir brauchen ein neues Datenschutzregime, das zwar den Einzelnen schützt, das es aber trotzdem möglich macht, mit Daten zu arbeiten. Deshalb setzen wir mit der Digitalcharta auf Datensouveränität, auf Datentreuhändertum und auf Datenportabilität. Das ist unser neuer Ansatz. Das schützt die Menschen, ermöglicht zugleich aber Innovationen. Hier brauchen wir einfach mal strukturelle Veränderungen. Mit Geld allein kann man die Probleme nicht lösen.
Wir brauchen einen ermöglichenden Staat, einen agilen und innovativen Staat, der auch mal Sachen ausprobiert, der Experimentierräume eröffnet und es ermöglicht, dass Menschen auch mal fernab von festgefahrenen Regulierungen neue Geschäftsmodelle, innovative Ideen ausprobieren können. Deshalb bin ich dankbar, dass Peter Altmaier mit den Reallaboren genau diesen Weg geht. Davon brauchen wir viel mehr. Wir brauchen mehr Mut, mehr Zukunftsfreude, mehr Zukunftsinvestitionen.
Und wir brauchen auch das Ende Ihrer Rede.
Das ist unsere Aufgabe für die kommenden Jahre, damit wir 2030 auf zehn erfolgreiche Jahre zurückblicken können. Machen Sie alle bei dieser unserer Aufgabe mit!
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Vielen Dank, Nadine Schön. – Nächste Rednerin ist Dr. Frauke Petry.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Die Welt schläft nicht“, haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, auf dem CDU-Parteitag gesagt. Aber wer nicht schläft, ist nicht zwingend wach. Betrachtet man die politische Lage abseits der deutschen Medienöffentlichkeit, wird eines klar: Unter dieser Großen Koalition verschlafwandelt Deutschland seine Zukunft, während andere Nationen hellwach Politik betreiben. Während die Weltmächte in Syrien die Karten neu mischen, klammern Sie sich an moralische Appelle, die in Kriegszeiten noch nie funktioniert haben. Während das Christentum im Nahen Osten ausgelöscht wird, haben Sie den Verfolgern massenweise Schutz geboten. Während die Welt die Wertlosigkeit des Iran-Deals erkannt hat, haben Sie bis zum letzten Moment daran festgehalten und unsere israelischen Verbündeten düpiert. Und in der UNO heult der Außenminister mit antiisraelischen und antiamerikanischen Wölfen.
In der Europäischen Union überlassen wir das Feld dem französischen Präsidenten Macron. Nicht Frau von der Leyen, sondern Frau Lagarde ist die eigentliche Chefin der Europäischen Union. Die Finanz- und Wirtschaftspolitik des Kontinents wird in den kommenden Jahren eine französische und damit keine sparsame sein. Schlafwandelnd überlassen Sie ihr die deutschen Sparschweine. Das nämlich zeichnet den Schlafwandler aus: Er kann begrenzte Absichten fassen und handeln. Was ihm fehlt, ist ein Gefühl für die Folgen.
Nirgendwo erfüllen Sie diese Diagnose so entschieden wie in Ihrer sogenannten Klimapolitik. Sie betrügen die Bürger und nutzen den allgegenwärtigen Klimawandel ganz ohne Not für Steuererhöhungen und die Abschaffung wirtschaftlicher und bürgerlicher Freiheiten. Wenn wider Erwarten in einigen Jahren die Katastrophenszenarien ausgeblieben sind, werden die wirtschaftlichen Schäden dennoch irreversibel und Deutschland im weltweiten Vergleich weiter abgestiegen sein. Sie wollen das Elektroauto, verzichten auf die Speicher und die erforderliche Grundlast. Sie wollen eine seriöse Energie- und Umweltpolitik betreiben, laufen aber dem Demagogen auf der Straße hinterher. Sie wollen Weltmarktführer auf dem Gebiet der sauberen Energien sein, besitzen aber keine Schlüsselressourcen, ob Lithium, Kobalt oder Seltene Erden. Die energiepolitische Unabhängigkeit von Kohle und Kernkraft tauschen Sie lieber gegen die Abhängigkeit von China und Drittweltländern ein. Das Ende des bolivianischen Lithiumdeals ist die Bankrotterklärung Ihrer planerischen Zukunftsstrategie.
Anstatt aus solchen Debakeln zu lernen, hintertreiben Sie die Entwicklung alternativer Technologien, wie zum Beispiel des erneuerbaren Ökodiesel. Die Verwerfungen Ihrer Weltrettungspolitik richten sich dabei gegen die Schwachen, die Armen und die Familien. Ihre Revolution gegen den Individualverkehr trifft zudem alleinerziehende Frauen und Väter. Elektroautos sind der Luxus der Reichen. Mittelständler und Handwerker leiden darunter ebenso wie die Bauern, die gestern vor dem Brandenburger Tor rebellierten. Sie machen eine Politik für die wenigen Zehntausend gegen die Mehrheit im Land und opfern die Vernunft auf dem Altar der Ideologie.
Wie Politik ohne Folgenabschätzung aussieht, haben Sie am Freitag gezeigt. Es sei wichtig – so sagten Sie –, „nicht die falschen Menschen“ einzuladen. Dabei spalten Sie mit der irrwitzigen Umsiedlung Hunderttausender Geringqualifizierter aus dem Mittleren Osten und aus Afrika unser Land und den Kontinent. Christliche Konvertiten dagegen werden von Behörden abgeschoben und werden als Glaubensabtrünnige in ihrer Heimat verfolgt. Das ist keine Gerechtigkeit, Frau Merkel, das ist keine Strategie. Das ist das blanke Recht des Stärkeren, dem diese Große Koalition den Weg geebnet hat.
Trotzdem predigen Sie weiter eine offene Gesellschaft, ohne zu erklären, dass Ihre vermeintliche Toleranz und Offenheit ein Freibrief für archaische Lebensweisen, für Unterdrückung von Frauen und für Zerstörung der europäischen Kultur sind. Polizisten, Richter und Staatsanwälte kapitulieren längst vor kriminellen und mafiösen Clanstrukturen, vor Gewalttätern, Vergewaltigern, vor Schlägern der Antifa, die jüngst in Leipzig eine wehrlose Frau dafür verprügelten, dass ihre Firma Wohnungen bauen will. In Dresden hatte der Wachschutz des Grünen Gewölbes noch nicht einmal eine Dienstwaffe. Mit den Mitteln unseres Rechtsstaates kommen wir gegen die offen zur Schau gestellte Verachtung für unser westliches Denken und Leben schon längst nicht mehr an.
Ich appelliere an Sie, Frau Bundeskanzlerin: Hören Sie auf, zu schlafwandeln! Wenn Sie keine positive Vision für unser Land und für Europa haben, dann überlassen Sie endlich anderen das politische Ruder. So können Sie Ihre Verantwortung für Deutschland am besten wahrnehmen.
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Vielen Dank, Frauke Petry. – Nächster Redner: Martin Rabanus für die SPD-Fraktion.
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Herzlichen Dank, liebe Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in diesem Jahr diskutieren wir im Rahmen der Generaldebatte Aspekte von Kultur und Medien, den Geschäftsbereich für Kultur und Medien, und das finde ich gut so. Man kann gleich am Anfang sagen: Heute ist auch ein guter Tag für die Kultur- und Medienschaffenden in diesem Land.
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Denn schon der Kulturetat im Regierungsentwurf war auf Rekordniveau, und der Deutsche Bundestag hat jetzt noch einmal knapp 130 Millionen Euro draufgelegt. Damit erreicht er eine Rekordhöhe von fast 2 Milliarden Euro, zu denen dann noch fast 900 Millionen Euro investive Mittel hinzukommen. Das ist noch einmal eine erhebliche Steigerung im Vergleich zum letzten Jahr, und das ist eine gute Nachricht für die Kultur- und Medienschaffenden in Deutschland.
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Der Sockel, auf dem wir jetzt, nach zwei Jahren, stehen, gibt zugleich Anlass, eine Zwischenbilanz zu ziehen – ich sage bewusst: Zwischenbilanz –, liebe Kolleginnen und Kollegen. Für die SPD war es immer wichtig und bleibt es wichtig, zur Verbesserung der sozialen Lage der Kulturschaffenden in diesem Land beizutragen. Deswegen war es auch eine der ersten Maßnahmen, dass wir mit dieser Bundesregierung den Zugang für kurzfristig Beschäftigte zur Arbeitslosenversicherung verbessern konnten, und das ist auch gut so.
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Es wird auch weitergehen mit der Verbesserung der sozialen Lage der Kulturschaffenden, indem wir jetzt schauen, wie wir die sogenannten unstetigen Beschäftigten noch besser sozial absichern können, als das im Moment der Fall ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt auch der Koalition insgesamt ist die Stärkung der Kultur im ländlichen Raum. Das haben wir uns im Koalitionsvertrag als einen Teil einer neuen Agenda für Kultur und Zukunft vorgenommen. Und genau darum geht es am Ende auch: Wir wollen die Lebensverhältnisse in Stadt und Land in allen Bereichen unseres Landes aneinander angleichen bzw. harmonisieren. Deswegen haben wir da als Koalition eine Menge gemacht. Ich nenne beispielhaft das Programm LandKULTUR, in dem wir in diesem Jahr schon zahlreiche Kulturprojekte in der Region fördern und 5 Millionen Euro für ein Soforthilfeprogramm Kino bereitstellen konnten. Die Mittel in Höhe von 10 Millionen Euro werden in 2020 wieder zur Verfügung stehen.
Dazu gehört auch die Ausweitung des Programms „Investitionen für nationale Kultureinrichtungen“, vormals beschränkt auf den Osten Deutschlands, jetzt auf Gesamtdeutschland ausgeweitet und ausgestattet im Jahr 2020 mit 20 Millionen Euro.
Dazu gehört auch das „Zukunftsprogramm Kino“, das wir im Jahr 2020 starten und für das wir insgesamt 17 Millionen Euro zur Verfügung stellen können. Auch das kommt nicht nur, aber insbesondere den ländlichen Regionen, der Kultur im ländlichen Raum zugute.
Dazu gehört aber auch das Denkmalschutz-Sonderprogramm der Bundesregierung, das wieder aufgelegt worden ist.
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Erneut stehen – auch dank des Einsatzes unserer Haushaltspolitikerinnen und Haushaltspolitiker – 30 Millionen Euro für denkmalpflegerische Maßnahmen in der Region zur Verfügung.
Zu den kulturpolitischen Großbaustellen will ich jetzt gar nicht so viel sagen, weil das in der Debatte schon hinreichend geschehen ist. Ich hoffe und freue mich darauf, dass im nächsten Jahr das Humboldt Forum produktiv gehen kann, für das der Haushaltsausschuss ja noch einmal in die Tasche greifen musste. Aber ich bin da guter Dinge. Ich hoffe auch, dass die Kosten für das Museum der Moderne, das uns nicht nur ein Strahlen auf die Gesichter gebracht, sondern auch einiges an Kopfzerbrechen bereitet hat, in dem jetzt gefundenen Finanzrahmen bleiben werden.
Ich möchte noch einmal auf zwei Punkte in der Erinnerungskultur, auf die schon eingegangen worden ist, hinweisen. Zum einen bin ich wirklich froh, dass es gelungen ist, das Programm „Jugend erinnert“ noch einmal zu stärken und 5 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.
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Zum anderen freue ich mich auch, dass die Gedenkstätte Hadamar als eine der wichtigsten NS-Gedenkstätten mit über 5 Millionen Euro jetzt einer Generalsanierung unterzogen werden kann.
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Aber auch im Bereich der Medien, meine sehr verehrten Damen und Herren, gibt es Herausforderungen, die wir meistern müssen. Die Anforderungen an Medienschaffende wachsen: durch zunehmenden Populismus, durch Fake News, durch die Digitalisierung. Freier und unabhängiger Journalismus wird immer schwieriger. Deswegen haben wir uns als Koalition auch da eine ganze Reihe von Punkten vorgenommen, die ich nur stichwortartig nennen möchte: Da geht es im nächsten Jahr um die Umsetzung des Urheberrechts, das für die Verlage, für Journalisten und Kreative wichtig sein wird. Da geht es um die Erhaltung des Pressekodex, um neue Modelle zur Finanzierung regionaler und überregionaler Medien. Da geht es auch um die Durchsetzung von qualitativen journalistischen Inhalten und die Abgrenzung zu solchen, die es nicht sind. Gerade in Zeiten von Fake News müssen wir dem Wirken von Rechtspopulisten durch Qualität, Offenheit und Meinungsfreiheit entgegenwirken.
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Schließlich freue ich mich auch, dass wir in den letzten Wochen schon ganz konkret Förderungen für Verlage und Medienschaffende durchsetzen konnten: Wir haben den reduzierten Mehrwertsteuersatz im Jahressteuergesetz auch für die digitalen Verlagsprodukte zugänglich gemacht, und wir sehen jetzt auch eine Förderung der Zustellerinnen und Zusteller von Zeitungen und Anzeigenblättern im Haushalt vor.
Letzter Satz, werte Frau Präsidentin: Neben all dem ist es uns auch gelungen, die Deutsche Welle als starke Stimme für Deutschland in der Welt auf Rekordniveau auszustatten. Es ist eine Menge, was wir getan haben. Eine Menge ist noch zu tun. Packen wir es gemeinsam an!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Martin Rabanus. – Wir haben jetzt noch eine Kollegin und einen Kollegen, die reden wollen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen und diesen Reden ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Das gilt zum Beispiel für Herrn Dobrindt, das gilt für Herrn Hofreiter, für Herrn Brinkhaus,
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für Herrn Grosse-Brömer, für Herrn Kubicki.
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– Nein, ich mache nicht weiter. Jetzt kommt Frau Motschmann, und sie hat es verdient, dass man sich hinsetzt und ihr zuhört.
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Nächste Rednerin: Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich rede zum Kulturhaushalt, ein Haushalt, zu dem Herr Renner von der AfD gesagt hat, über ihm liege die Krematoriumsasche. Herr Renner, Ihre Rede war eine Schande.
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Sie haben die Kreativen, die Künstlerinnen und Künstler, beleidigt, und das lassen wir nicht zu.
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Als Kulturpolitiker haben Sie sich abgemeldet.
Mich bewegt, dass gestern alle deutschen Zeitungen mit einem Kulturthema aufgemacht haben, nämlich mit dem Kunstraub in Dresden.
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Interessant ist, wie das kommentiert wurde. Ich will Ihnen nur mal einige Zitate nennen. Ein Aufmacher lautete: „Angriff auf Dresdens Herz“. Die „FAZ“ titelte in der Headline:
Fatal an diesem Verlust ist die Bedeutung der Objekte für die historische Identität von Sachsen.
Und im Text hieß es:
Wie in einem Brennglas zeigt sich die Bedeutung der … in Dresden geraubten Juwelen für Sachsens Geschichte und Identität …
Was mich daran bewegt, ist, dass erst der Verlust von Kunstwerken dazu führt, dass wir uns vor Augen führen, welche Bedeutung Kunst und Kultur in unserem Land haben. Es geht dabei ja nicht um den materiellen Wert, sondern um den ideellen Wert.
An diesem traurigen Vorfall wird uns deutlich, wie wichtig das ist, was wir mit dem Kulturhaushalt tun, nämlich Kulturförderung. Das Ziel ist, diese Kultur in unserem Land zu unterstützen und zu fördern – inzwischen mit 2 Milliarden Euro, doppelt so viel wie beim Amtsantritt unserer Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Deshalb danke ich ihr und den Haushältern, dass sie diese 2 Milliarden Euro wieder bereitgestellt haben. Aber es könnte auch noch ein bisschen mehr sein; denn die Kultur hätte es verdient.
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Was passiert eigentlich mit diesem Geld? Über 400 Theater, über 80 Opernhäuser, über 7 000 Museen – allein Berlin hat über 175 Museen – und 46 UNESCO-Welterbestätten werden zum Beispiel gefördert. Darüber hinaus haben wir eine starke Kreativszene in Stadt und Land. Sie generiert einen Umsatz – was viele auch nicht wissen – von 170 Milliarden Euro jährlich. Diesen kreativen Köpfen möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken.
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Wir sehen daran: Deutschland ist ein Kulturland. Deutschland ist ein reiches Kulturland, und wir können darauf stolz sein.
Drei Schwerpunkte aus diesem Haushalt möchte ich hervorheben: die Erinnerungskultur, die Musik und den ländlichen Raum.
Wir erhöhen – das ist auch schon gesagt worden – die Mittel für die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur um 1 Million Euro. Mit 200 000 Euro – das mag man als kleine Förderung betrachten – finanzieren wir zusätzliche Zeitzeugengespräche an den Schulen. Und wir finanzieren eine Machbarkeitsstudie für einen Gedenkort für die Opfer des Kommunismus. Dieses Signal ist längst überfällig.
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Im Bereich Musik unterstützen wir die „Initiative Musik“ mit zusätzlich 6,5 Millionen Euro. Davon fließen 1 Million Euro in die notwendige Digitalisierung von Musikklubs. Mit 4 Millionen Euro ermöglichen wir den Bau eines deutschen Chorzentrums und werden dadurch die Chortradition in unserem Land noch mal unterstreichen. Und wir fördern die große Musikfestivallandschaft in Deutschland. Dass das Musikfest Bremen dabei ist, freut natürlich eine Bremerin; aber viele andere sind auch dabei. Sie strahlen ja alle in den ländlichen Raum, und dazu möchte ich abschließend auch etwas sagen.
Es ist unglaublich beeindruckend, wie reich der ländliche Raum an kulturellem Erbe ist. Es ist absolut vertretbar, dass diese Schätze mit Bundesgeldern unterstützt und gefördert werden. Kultur ist immer von nationaler Bedeutung, weil sie den Zusammenhalt fördert, weil sie identitätsstiftend ist und weil sie das Geschichtsbewusstsein in unserem Land fördert. Deshalb ist es gut, dass das Denkmalschutz-Sonderprogramm mit 30 Millionen Euro fortgesetzt wird.
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Wieder eine gute Investition in den Erhalt unseres reichen kulturellen Bauerbes. Die vielen Kirchen und Klöster, die saniert werden, sind wichtige Kulturorte auf dem Land. Diese alten Mauern ermöglichen kulturelles Leben.
Kultureinrichtungen in unserem Land unterstützen wir darüber hinaus mit Investitionen in Höhe von 55 Millionen Euro.
Kommen Sie bitte zum Ende.
Ungern, Frau Präsidentin.
Daran kann ich jetzt aber auch nichts machen.
Ungern, meine Damen und Herren. – Ich will abschließen – das muss man aber noch sagen –:
Nein, bitte kommen Sie zum Ende.
Ohne das ehrenamtliche Engagement so vieler könnten wir vieles nicht machen. Deshalb mein herzlicher Dank allen Ehrenamtlichen, die uns im Bereich Kultur unterstützen und diese Kulturlandschaft tragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
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Vielen herzlichen Dank, Elisabeth Motschmann. – Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich bitte Sie noch mal um Aufmerksamkeit. Wir haben noch einen, den letzten, Redner in dieser Debatte. Das ist für die SPD-Fraktion Dr. Jens Zimmermann.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Motschmann hat eben von den „alten Mauern“ gesprochen. In dieser Generaldebatte markiert das das Spektrum, worüber wir reden. Wir reden über alte Mauern und den Schutz, den sie brauchen. Wir reden aber natürlich auch über quasi neue Dinge, nämlich über die Digitalisierung.
Es hat mich sehr gefreut, dass das Thema Digitalisierung in dieser heutigen Generaldebatte einen so großen Raum eingenommen hat. Die Kanzlerin hat dazu auch einiges gesagt. Für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar, dass wir eine Welt brauchen, eine Welt wollen, in der die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vor den Interessen von großen Unternehmen stehen. Das gilt ganz besonders auch für die digitale Welt, meine Damen und Herren.
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Wir stellen mit diesem Haushalt die Weichen für die Zukunft. Wir investieren deutlich mehr. Und natürlich gehören dazu auch effektive Strukturen, ja, auch in der Bundesregierung. Ich glaube, wir alle machen momentan am Wochenende etwas Ähnliches: Wir schauen uns die Parteitage der geschätzten Kolleginnen und Kollegen im Fernsehen an.
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Ich habe mir natürlich auch den Parteitag der Union so ein bisschen am Rande angeschaut. Wir als SPD haben das schon signalisiert: Es gibt jetzt eine Halbzeitbilanz, und diese Halbzeitbilanz sollte man doch auch nutzen, um zu schauen, was man vielleicht in der zweiten Halbzeit besser machen kann.
Ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, was Frau Kramp-Karrenbauer in Richtung eines Digitalministeriums gesagt hat. Was mich nur wundert, ist: Im gleichen Atemzug hat sie gesagt: keinerlei Veränderungen am Koalitionsvertrag. – Da muss man sich am Ende schon auch mal entscheiden. Denn wenn man die Strukturen der Bundesregierung an dieser Stelle massiv ändern will, dann ist das für mich eine deutliche Veränderung, meine Damen und Herren. Aber wir als SPD sind bereit, darüber zu reden.
Ich will aber auch ganz klar sagen: Ein Digitalministerium alleine wird die Probleme nicht lösen. Wir haben auch heute schon eine engagierte Staatsministerin im Kanzleramt, die einen guten Job macht. Aber dass vor allem unionsgeführte Ministerien und das Kanzleramt selbst die genannte Kollegin manchmal am langen Arm verhungern lassen, können Sie durchaus heute schon intern ändern, meine Damen und Herren.
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Es ist aber natürlich nicht nur mit Investitionen und mit Strukturveränderungen getan. Wir müssen das digitalpolitische Feld ganz klar als ein wichtiges Gestaltungsfeld sehen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir Akzente setzen, dass wir uns eben nicht hinstellen und sagen: Gegen diese großen Unternehmen, gegen diese Monopolisten können wir nichts tun. – Das Gegenteil ist der Fall. Ich finde, diese Koalition und die Bundesregierung haben das an verschiedenen Stellen in den letzten Monaten deutlich gemacht.
Ich nenne einige Beispiele. Wenn über so eine private parallele Digitalwährung wie Libra geredet wird, dann begrüße ich es ausdrücklich, dass der Finanzminister an dieser Stelle gesagt hat: Eine Währung gehört nicht in die Hände eines privaten Kartells, meine Damen und Herren.
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Zu dem aktuellen Ausbau im Mobilfunkbereich sage ich: Ja, es ist gut, dass wir die weißen Flecken mit zusätzlichem Geld schließen. Aber wir müssen an dieser Stelle auch über unsere digitale Souveränität reden. Dabei geht es nicht allein um die Frage, aus welchem Land ein Hersteller kommt. Wir alle wissen, dass das 5G-Netz eine Infrastruktur für die nächsten 10 bis 20 Jahre sein wird. Deswegen ist es gut, dass diese Koalition ganz klar sagt: Die Sicherheitsbedenken, die es an dieser Stelle gibt, müssen ernst genommen werden. Dafür brauchen wir eine klare Regelung, meine Damen und Herren.
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Auch wenn das vielleicht nur etwas für Feinschmeckerinnen und Feinschmecker ist, erwähne ich es trotzdem: Der Finanzausschuss des Bundestages und das Plenum haben in der letzten Sitzungswoche im Bereich des Finanzmarktes und der Zahlungsdienste ganz klare Kante gezeigt, auch gegen große Unternehmen, die als Monopolisten versuchen, sich in den Zahlungsverkehr hineinzudrängen und überall mit zu kassieren, und die vor allem versuchen, zu verhindern, dass es dort einen ordentlichen Wettbewerb und Auswahlmöglichkeiten für die Kundinnen und Kunden gibt. Deswegen ist es richtig, dass der Deutsche Bundestag im Bereich der Zahlungsdienste ein ganz klares Stoppschild in Richtung eines großen amerikanischen Obsthändlers, möchte ich sagen, gestellt hat.
({5})
Warum ist das alles so wichtig? Wir müssen uns gerade im europäischen Kontext klar werden: Viele unserer europäischen Freunde schauen sehr genau auf das, was wir in Deutschland machen. Wir sind an vielen Stellen ein Vorbild, zum Beispiel, wenn es um den Infrastrukturausbau geht. Wir sagen: Es gibt Alternativen. Wir müssen uns dem nicht einfach hingeben und hinnehmen, dass zum Beispiel ein chinesisches Unternehmen der große Platzhirsch wird und europäische Wettbewerber vom Markt verdrängt. – Der Wirtschaftsminister redet gerne davon, dass wir einen digitalen Airbus brauchen. Das ist ausdrücklich richtig. Aber ich will an dieser Stelle auch sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen in Europa, die schon auf diesem Niveau sind, vor unlauterem Wettbewerb aus anderen Regionen geschützt werden.
({6})
Dieser Tage sind wir Gastgeber für das Internet Governance Forum der Vereinten Nationen hier in Berlin. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, hat uns gestern alle ermahnt, unsere Hausaufgaben zu machen. Wenn ich mir den Haushalt anschaue, dann kann ich sagen: Das tun wir. Das ist ein großer Schritt hin zu einer besseren digitalen Welt, in der vor allem auch unsere europäischen Werte eine Rolle spielen.
Herzlichen Dank.
({7})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Weiter so, wir schaffen das – das ist offensichtlich die Devise des Auswärtigen Amtes. Nein, meine Damen und Herren, Sie schaffen es nicht. Sie können es noch nicht einmal.
Wiederholt haben wir, die AfD, darauf verwiesen, dass nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes im August 2018 das Auswärtige Amt keine Kenntnis über den Bearbeitungsstand seiner Zuwendungsverfahren und Verwendungsnachweise über rund 2,46 Milliarden Euro im Bereich „humanitäre Hilfe und Krisenprävention“ hatte. Haben Sie daraus etwas gelernt? Nein und nochmals nein. Im Gegenteil: Beratungsresistenz ist für das, was hier fortgesetzt geschieht, noch ein milder Ausdruck, vor allem wenn man bedenkt, dass sich an der ursprünglichen Situation bislang nichts geändert hat; denn eine die Zuwendungen bearbeitende Behörde mit 700 bis 1 000 neuen Mitarbeitern ist im Wesentlichen erst ab 2021 vorgesehen.
Wir dagegen, die AfD, haben für 2020 die einzig sinnvolle Konsequenz gezogen und aufgrund der Inkompetenz des Auswärtigen Amtes beantragt, die Ausgaben für humanitäre Hilfe und Krisenprävention um insgesamt mehr als 1,5 Milliarden Euro auf den Stand von 2012 zu kürzen.
({0})
Und was tun Sie? Als hätte sich an Ihrem Wissenstand und an Ihrer Kompetenz etwas grundlegend verbessert, planen Sie für 2020, für humanitäre Hilfe und Krisenprävention circa 2 Milliarden Euro in einem einzigen Jahr auszugeben, mithin eine Steigerung von fast 150 Millionen Euro im Vergleich zu 2018. Sie nehmen also wiederum in Kauf, circa 2 Milliarden Euro, und damit über ein Drittel des Budgets des Auswärtigen Amtes, weltweit ungeprüft zu verschleudern. Wie eh und je verschaffen Sie sich das gute Gewissen für Ausgaben in Milliardenhöhe nur auf dem Papier.
Und als wenn das geheuchelte Gutmenschentum nicht genug wäre, hat das Auswärtige Amt jahrelang – man höre und staune! – außerhalb seiner Zuständigkeit sogenannte große Baumaßnahmen durchgeführt. Hierzu teilte es große Baumaßnahmen in mehrere kleine Baumaßnahmen auf, um diese nach weniger strengen Regeln durchzuführen – wie die Generalsanierung der Kanzlei der Deutschen Botschaft in London. Ursprünglich 2006 als eine große Baumaßnahme mit einer Kostenobergrenze von 10,9 Millionen Euro vorgesehen, teilte das Auswärtige Amt diese in mindestens zwölf Einzelmaßnahmen auf, die zum einen bis heute noch nicht abgeschlossen sind und zum anderen voraussichtlich insgesamt rund 26 Millionen Euro kosten, also circa 150 Prozent mehr als ursprünglich geplant. Wer wohl hieran verdient?
Und ganz nebenbei überging das Auswärtige Amt damit – und das nicht nur in diesem Fall, sondern in der Vergangenheit regelmäßig – das Budgetrecht des Parlaments sowie baufachliche und haushaltsmäßige Kontrollen und verstieß damit fortgesetzt gegen geltendes Haushaltsrecht.
Angesichts der langjährigen Rechtswidrigkeit dieses Tuns bleibt dem braven Steuerzahler ob dieser unverhohlenen Dreistigkeit schlicht die Spucke weg. Steuergeldverschwendung, Realitätsverweigerung, Gesetzesbruch – es gibt kaum etwas, was das Auswärtige Amt nicht zu bieten hätte.
({1})
Und last, but not least: Realitätsverweigerung üben Sie auch in Bezug auf die weltweit steigende Christenverfolgung. Aktuell droht durch die Offensive der Türkei ein Massenexodus Zehntausender Christen aus ihrer Heimat Syrien. Und das ist nur ein Beispiel von 143 Ländern, in denen die Religionsfreiheit der Christen eingeschränkt wird.
Die Hilfsorganisation Open Doors schätzt die Anzahl der verfolgten Christen auf weltweit 200 Millionen. Christen sind die am meisten verfolgte Religionsgemeinschaft. Ihnen muss unmittelbar geholfen werden, zumal unser Land traditionell christlich geprägt ist, was vor wenigen Jahren noch unbestritten gesagt werden konnte.
({2})
Jedenfalls wir, die AfD-Bundestagsfraktion, leben das Christentum, und das zeigt sich nicht nur am Kreuz an der Wand im Fraktionssaal.
Beschämend ist, wenn Sie alle, und sogar die CDU/CSU, die das C wie „Christlich“ in ihrem Namen trägt, unseren Antrag auf Zahlung von 200 000 Euro speziell für verfolgte Christen ablehnt. Aber was ist von einer CDU/CSU zu halten, die die Solidarität mit ihren verfolgten christlichen Brüdern und Schwestern nicht mehr lebt?
({3})
Hat eine Partei, die stattdessen lieber eine Organisation wie UNRWA mit 18 Millionen Euro unterstützt, eine Organisation, die muslimische palästinensische Flüchtlinge aufgrund eines größtenteils nur ererbten Flüchtlingsstatus gegenüber allen anderen Flüchtlingen finanziell bevorzugt, nicht ihren Bezug zum Christentum verloren? Gibt die CDU/CSU ihre ursprüngliche Identität etwa auf, und das C in ihrem Namen bekommt in Wahrheit die Bedeutung des Halbmondes? – Ja, des Halbmondes.
({4})
Wir, die AfD, stehen für den Mut zur Wahrheit, den Mut, Wahrheiten auszusprechen, die andere aus lauter sogenannter Political Correctness und parteiinterner Abhängigkeiten nicht mehr auszusprechen wagen, den Mut zur Wahrheit, wie ihn noch die frühen Christen hatten und für den diese, von allen angefeindet und verfolgt, zu Kämpfern und teilweise sogar zu Märtyrern wurden. Wir, die AfD, sind in diesem Sinne heute christlicher als jede andere Partei in diesem Hohen Haus.
({5})
Ich wünsche allen eine besinnliche Adventszeit.
Danke schön.
({6})
Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Einzelplan 04, Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, bekannt: abgegebene Stimmkarten 656. Mit Ja haben 372 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 283. Es gab eine Enthaltung. Der Einzelplan 04 ist angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 656;
davon
ja: 372
nein: 283
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Dr. Michael von Abercron
Stephan Albani
Norbert Maria Altenkamp
Peter Altmaier
Philipp Amthor
Artur Auernhammer
Peter Aumer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Melanie Bernstein
Christoph Bernstiel
Peter Beyer
Marc Biadacz
Steffen Bilger
Peter Bleser
Norbert Brackmann
Michael Brand (Fulda)
Dr. Reinhard Brandl
Silvia Breher
Sebastian Brehm
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Dr. Carsten Brodesser
Gitta Connemann
Astrid Damerow
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Hansjörg Durz
Thomas Erndl
Hermann Färber
Uwe Feiler
Enak Ferlemann
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Eckhard Gnodtke
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Jürgen Hardt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Matthias Heider
Mechthild Heil
Thomas Heilmann
Frank Heinrich (Chemnitz)
Mark Helfrich
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Marc Henrichmann
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Erich Irlstorfer
Hans-Jürgen Irmer
Andreas Jung
Ingmar Jung
Alois Karl
Anja Karliczek
Torbjörn Kartes
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Michael Kießling
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Alexander Krauß
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Michael Kuffer
Dr. Roy Kühne
Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Dr. Silke Launert
Jens Lehmann
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Andreas Lenz
Antje Lezius
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Bernhard Loos
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Dr. Astrid Mannes
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Elisabeth Motschmann
Axel Müller
Dr. Gerd Müller
Sepp Müller
Carsten Müller (Braunschweig)
Stefan Müller (Erlangen)
Dr. Andreas Nick
Petra Nicolaisen
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Josef Oster
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Joachim Pfeiffer
Stephan Pilsinger
Dr. Christoph Ploß
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Stefan Rouenhoff
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Stefan Sauer
Anita Schäfer (Saalstadt)
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Jana Schimke
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)
Dr. Claudia Schmidtke
Nadine Schön
Felix Schreiner
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster (Weil am Rhein)
Torsten Schweiger
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Thomas Silberhorn
Björn Simon
Tino Sorge
Jens Spahn
Katrin Staffler
Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Andreas Steier
Peter Stein (Rostock)
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Dr. Peter Tauber
Dr. Hermann-Josef Tebroke
Hans-Jürgen Thies
Alexander Throm
Dr. Dietlind Tiemann
Antje Tillmann
Markus Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Kerstin Vieregge
Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Christoph de Vries
Dr. Johann David Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)
Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)
Sabine Weiss (Wesel I)
Ingo Wellenreuther
Marian Wendt
Kai Whittaker
Annette Widmann-Mauz
Bettina Margarethe Wiesmann
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Oliver Wittke
Emmi Zeulner
Paul Ziemiak
Dr. Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Nezahat Baradari
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Eberhard Brecht
Dr. Karl-Heinz Brunner
Katrin Budde
Dr. Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Esther Dilcher
Sabine Dittmar
Dr. Wiebke Esdar
Saskia Esken
Yasmin Fahimi
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Timon Gremmels
Kerstin Griese
Michael Groß
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Elisabeth Kaiser
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Elvan Korkmaz-Emre
Anette Kramme
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)
Dr. Karl Lauterbach
Helge Lindh
Kirsten Lühmann
Heiko Maas
Isabel Mackensen
Caren Marks
Katja Mast
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Falko Mohrs
Claudia Moll
Siemtje Möller
Detlef Müller (Chemnitz)
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Josephine Ortleb
Mahmut Özdemir (Duisburg)
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post
Achim Post (Minden)
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Martin Rabanus
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Axel Schäfer (Bochum)
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Nils Schmid
Uwe Schmidt
Dagmar Schmidt (Wetzlar)
Ulla Schmidt (Aachen)
Carsten Schneider (Erfurt)
Michael Schrodi
Ursula Schulte
Martin Schulz
Swen Schulz (Spandau)
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Amalie Steffen
Mathias Stein
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Markus Töns
Carsten Träger
Marja-Liisa Völlers
Dirk Vöpel
Dr. Joe Weingarten
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Nein
AfD
Dr. Bernd Baumann
Marc Bernhard
Andreas Bleck
Peter Boehringer
Stephan Brandner
Jürgen Braun
Marcus Bühl
Matthias Büttner
Petr Bystron
Tino Chrupalla
Joana Cotar
Dr. Gottfried Curio
Siegbert Droese
Thomas Ehrhorn
Berengar Elsner von Gronow
Dr. Michael Espendiller
Peter Felser
Dietmar Friedhoff
Dr. Anton Friesen
Markus Frohnmaier
Dr. Götz Frömming
Dr. Alexander Gauland
Albrecht Glaser
Franziska Gminder
Wilhelm von Gottberg
Kay Gottschalk
Armin-Paulus Hampel
Mariana Iris Harder-Kühnel
Dr. Roland Hartwig
Jochen Haug
Udo Theodor Hemmelgarn
Waldemar Herdt
Martin Hess
Dr. Heiko Heßenkemper
Karsten Hilse
Nicole Höchst
Martin Hohmann
Dr. Bruno Hollnagel
Leif-Erik Holm
Johannes Huber
Fabian Jacobi
Dr. Marc Jongen
Jens Kestner
Stefan Keuter
Norbert Kleinwächter
Jörn König
Dr. Rainer Kraft
Rüdiger Lucassen
Frank Magnitz
Jens Maier
Dr. Lothar Maier
Dr. Birgit Malsack-Winkemann
Corinna Miazga
Andreas Mrosek
Hansjörg Müller
Volker Münz
Sebastian Münzenmaier
Jan Ralf Nolte
Ulrich Oehme
Gerold Otten
Frank Pasemann
Tobias Matthias Peterka
Paul Viktor Podolay
Jürgen Pohl
Stephan Protschka
Martin Reichardt
Martin Erwin Renner
Roman Johannes Reusch
Ulrike Schielke-Ziesing
Dr. Robby Schlund
Jörg Schneider
Uwe Schulz
Thomas Seitz
Martin Sichert
Detlev Spangenberg
Dr. Dirk Spaniel
René Springer
Beatrix von Storch
Dr. Alice Weidel
Dr. Harald Weyel
Wolfgang Wiehle
Dr. Heiko Wildberg
Dr. Christian Wirth
Uwe Witt
FDP
Grigorios Aggelidis
Renata Alt
Christine Aschenberg-Dugnus
Nicole Bauer
Jens Beeck
Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar)
Mario Brandenburg (Südpfalz)
Dr. Marco Buschmann
Karlheinz Busen
Carl-Julius Cronenberg
Britta Katharina Dassler
Bijan Djir-Sarai
Christian Dürr
Hartmut Ebbing
Dr. Marcus Faber
Daniel Föst
Otto Fricke
Reginald Hanke
Peter Heidt
Katrin Helling-Plahr
Markus Herbrand
Torsten Herbst
Katja Hessel
Dr. Gero Clemens Hocker
Manuel Höferlin
Dr. Christoph Hoffmann
Reinhard Houben
Ulla Ihnen
Olaf In der Beek
Dr. Christian Jung
Karsten Klein
Dr. Marcel Klinge
Daniela Kluckert
Pascal Kober
Dr. Lukas Köhler
Carina Konrad
Wolfgang Kubicki
Konstantin Kuhle
Alexander Kulitz
Alexander Graf Lambsdorff
Ulrich Lechte
Christian Lindner
Michael Georg Link (Heilbronn)
Oliver Luksic
Till Mansmann
Dr. Jürgen Martens
Christoph Meyer
Frank Müller-Rosentritt
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Hagen Reinhold
Bernd Reuther
Dr. Stefan Ruppert
Dr. h. c. Thomas Sattelberger
Christian Sauter
Frank Schäffler
Dr. Wieland Schinnenburg
Matthias Seestern-Pauly
Frank Sitta
Judith Skudelny
Dr. Hermann Otto Solms
Bettina Stark-Watzinger
Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann
Benjamin Strasser
Katja Suding
Linda Teuteberg
Stephan Thomae
Manfred Todtenhausen
Dr. Florian Toncar
Dr. Andrew Ullmann
Gerald Ullrich
Johannes Vogel (Olpe)
Sandra Weeser
Nicole Westig
Katharina Willkomm
DIE LINKE
Doris Achelwilm
Gökay Akbulut
Simone Barrientos
Dr. Dietmar Bartsch
Lorenz Gösta Beutin
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm-Förster
Michel Brandt
Christine Buchholz
Dr. Birke Bull-Bischoff
Jörg Cezanne
Sevim Dağdelen
Fabio De Masi
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Susanne Ferschl
Brigitte Freihold
Nicole Gohlke
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Matthias Höhn
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Dr. Achim Kessler
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Pascal Meiser
Amira Mohamed Ali
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)
Zaklin Nastic
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Sören Pellmann
Victor Perli
Tobias Pflüger
Martina Renner
Bernd Riexinger
Eva-Maria Schreiber
Dr. Petra Sitte
Helin Evrim Sommer
Friedrich Straetmanns
Dr. Kirsten Tackmann
Jessica Tatti
Alexander Ulrich
Dr. Sahra Wagenknecht
Andreas Wagner
Harald Weinberg
Katrin Werner
Hubertus Zdebel
Sabine Zimmermann (Zwickau)
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Lisa Badum
Annalena Baerbock
Margarete Bause
Dr. Danyal Bayaz
Canan Bayram
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Dr. Anna Christmann
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Stefan Gelbhaar
Katrin Göring-Eckardt
Erhard Grundl
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Bettina Hoffmann
Dr. Anton Hofreiter
Ottmar von Holtz
Dieter Janecek
Dr. Kirsten Kappert-Gonther
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Christian Kühn (Tübingen)
Stephan Kühn (Dresden)
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Sven Lehmann
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Claudia Müller
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Ingrid Nestle
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Filiz Polat
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)
Corinna Rüffer
Dr. Frithjof Schmidt
Stefan Schmidt
Charlotte Schneidewind-Hartnagel
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Margit Stumpp
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Daniela Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Gerhard Zickenheiner
Fraktionslos
Marco Bülow
Dr. Frauke Petry
Enthalten
Fraktionslos
Uwe Kamann
Das Wort hat jetzt die Kollegin Doris Barnett für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Demokratie darf jeder seine eigene Meinung haben und auch sagen. Deswegen dürfen Sie von der AfD hier sagen, was Sie wollen – auch wenn es nicht stimmt.
Wir reden jetzt über den Einzelplan 05, über das Auswärtige Amt, dessen Budget im nächsten Jahr um 191 Millionen Euro anwachsen und den Umfang von 5,929 Milliarden Euro haben wird. Und wenn man sich den Haushalt genau ansieht, stellt man fest, dass er eine Geschichte erzählt. Er erzählt eine Geschichte davon, wie wir in einer Welt, die aus den Fugen geraten zu sein scheint, die es aber eben nur ein Mal gibt, zusammenleben wollen.
Wir haben die Konfrontation der Blöcke des 20. Jahrhunderts Gott sei Dank überwunden. Das heißt allerdings nicht, dass es keine neuen Konfrontationslinien gibt. Nein, diese haben sich leider neu eröffnet – Stichwort „neue Freiheiten“, sprich: Arabischer Frühling. Es wurden zwar Diktatoren verjagt, damit kehrte aber noch lange keine Ruhe in den Ländern ein. Im Gegenteil, die Machtfrage ist dort noch lange nicht entschieden, und die Leidtragenden sind – wie immer – die Zivilisten, die Zivilbevölkerung. Das spüren wir natürlich auch hier, wenn diese vor Hass, Krieg und Gewalt fliehen müssen und zu uns kommen. Hier müssen wir eingreifen und helfen.
Humanitäre Hilfe und Krisenprävention sind uns deswegen ein hohes Gut; denn wir wollen vor Ort eingreifen und vor Ort helfen. Wir konnten die Mittel für die humanitäre Hilfe jetzt auf 1,64 Milliarden Euro anheben.
Aber wir wollen eingreifen, und zwar auf Augenhöhe mit den betroffenen Ländern zusammen. Wir wollen nicht die starken Beschützer sein und dann gleich wieder Blöcke bilden, wohl wissend, dass es natürlich auch Interessen gibt bei denen, die dort Hilfe leisten. Wir haben hier Konkurrenz: Die USA, Russland, China, die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien, alle greifen ein, alle wollen helfen. Aber ich denke, dass das jetzt auch eine Chance sein kann für Europa. Deutschland ist hier ein verlässlicher Partner. Wir unterstützen die UN, wir unterstützen die humanitäre Hilfe und Krisenprävention. Gerade bei der humanitären Hilfe haben wir für nächstes Jahr noch mal 60 Millionen Euro draufgelegt. Wir wollen dort helfen, wo Menschen in Not sind, wo sie flüchten und vertrieben werden.
Wir unterstützen aber auch die Länder, die an diese krisengeschüttelten Länder angrenzen und die Flüchtlinge aufnehmen. Das sind Jordanien, der Libanon, Ägypten, die Türkei, die zusammen fast über 10 Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben. Da helfen wir natürlich nicht, indem wir einfach nur Zelte liefern oder für Essen sorgen. Wir sorgen dort auch für die medizinische Versorgung und für die Bildung, gerade der Kinder. Es geht uns natürlich auch darum, dass wir nicht nur den Flüchtlingen helfen. Oft ist auch die dort lebende Bevölkerung nicht gerade die reichste, und auch dort greifen wir ein und helfen, damit Friede herrscht und damit die Flüchtlinge dort bleiben können.
Neben der akuten Hilfe kümmern wir uns auch um die Krisenprävention. Dazu nutzen wir unser eigenes Zentrum für Internationale Friedenseinsätze. Aber Deutschland bietet Europa hier auch etwas: Für unsere Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik liefern wir jetzt den zivilen Baustein, nämlich den Aufbau des Europäischen Kompetenzzentrums für Ziviles Krisenmanagement, das mit interessierten Mitgliedstaaten Standards für die Aufgaben und Abläufe einer zivilen Krisenmanagementmission der Europäer erarbeitet.
({0})
Hier sind wir dann insgesamt wieder glaubwürdig; denn wir erhöhen die Mittel für Abrüstung, Rüstungskontrolle, Nichtverbreitungszusammenarbeit um ein Drittel von 30 auf 40 Millionen Euro. Das ist wichtig; denn wir unterstützen hier insbesondere die Initiativen, die sich mit der Verbreitung von Kleinwaffen befassen.
Wir wissen um die Opfer der Kriege aus eigener leidvoller Erfahrung und setzen uns deshalb auch für das Gedenken an die Opfer ein. Sie sollen uns Mahnung und Auftrag zugleich sein. Aus diesem Grund stocken wir die Mittel für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Ausland um 1,7 Millionen Euro auf. Insgesamt gibt es dafür 19,5 Millionen Euro. Das ist auch notwendig; denn die Spendenbereitschaft lässt dramatisch nach. Den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zu unterstützen, ist ein Auftrag, den wir als Land haben.
({1})
Darin zeigt sich der rote Faden der deutschen Außenpolitik. Wir sind hier schlüssig.
Die deutsche Außenpolitik ist dabei immer auch Teil der EU-Außenpolitik. Gemeinsam können wir aus der Erfahrung des 20. Jahrhunderts zu einer Friedensmacht werden, die allerdings nicht wehrlos sein muss. Wir setzen auf Gespräche, auf Verständigung, auf Diplomatie, gerade auch auf parlamentarische Diplomatie, die wir Abgeordnete dort ausüben, wo wir in parlamentarischen Versammlungen sind, ob es jetzt beim Europarat ist oder bei der OSZE.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch dem Kollegen Frank Schwabe ganz herzlich danken, der mit dafür gesorgt hat, dass Russland wieder Teil des Europarates wird. Denn wie sollen wir uns mit Ländern unterhalten, die gar nicht da sind? Wenn wir nur über sie reden statt mit ihnen, dann wird das nichts.
({2})
Aber welche Signale geben da deutsche Abgeordnete, die sich hier in Deutschland als Freund der Israelis und der deutschen Juden ausgeben, dann aber den Syrer Assad besuchen, der justament Raketen auf Israel abfeuert? Sagen Sie von der AfD-Fraktion bloß, Sie wollten ihn mit Ihrem Besuch davon abhalten.
({3})
Oder waren Sie wieder mal in den Restaurants in Damaskus unterwegs und haben sich angeguckt, wie schön doch die Straßen sind, wenn kein Krieg herrscht?
({4})
Aussöhnung, friedliches Zusammenleben geht anders. Aber das lernt die AfD entweder nicht oder vielleicht doch noch; das werden wir sehen.
Wir zeigen mit dem vorliegenden Haushalt, wie das geht. Wir fördern Gedenkstätten und Jugendaustausch. Gerade dort legen wir einen Schwerpunkt. Uns sind Menschen, nicht Machthaber wichtig. Die Zivilgesellschaft steht bei uns im Mittelpunkt unseres Handelns. Offener Austausch von Ideen in einer freien Welt ist uns wichtig. In einer Welt im Wandel braucht es oft Mut und nicht Repressionen. Wir brauchen aufgeklärte Menschen. Deshalb erhöhen wir die Mittel für die Arbeit in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und unterstützen somit die dortige Zivilgesellschaft. Wir unterstützen das jetzt mit 20 Millionen Euro, 4 Millionen mehr als bisher.
Wir halten auch die Mittel für die politischen Stiftungen auf hohem Stand; denn gerade sie sind diejenigen, die den Zivilgesellschaften helfen, sich zu befreien, ein Stück weit selbstständig zu werden.
({5})
Deshalb engagieren wir uns in vielfältigen Bildungsmaßnahmen, zum Beispiel in Museumskooperationen, und wir erhöhen die Mittel für Stipendien, die der DAAD vergibt. Ich bin froh, dass wir jetzt endlich den Versorgungszuschlag für unsere Lehrer an den deutschen Auslandsschulen in Ordnung gebracht haben. Das war auch ganz wichtig.
({6})
Natürlich liegt uns auch das Goethe-Institut am Herzen. Ich freue mich, dass es meinem Kollegen Alois Karl und mir gelungen ist, in Aserbaidschan und Armenien nicht nur ein Goethe-Zentrum einzurichten, sondern dieses Zentrum jetzt auch zu einem echten Goethe-Institut auszubauen.
({7})
Diese Anstrengungen, dieses Wissen um Deutschland, um die deutsche Kultur sind kein Selbstzweck. Seit Jahren ist uns doch allen klar, dass wir Zuwanderung brauchen. Es wird immer davon geredet, dass wir bis zu 400 000 Menschen pro Jahr in unserem Lande brauchen, dass wir Fachkräfte brauchen. Deswegen gibt es ja auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Aber die, die kommen, sollen erst mal Deutsch lernen. Deswegen ist es wichtig, dass unser Goethe-Institut vor Ort sich darum kümmert und den Leuten die deutsche Sprache beibringt, bevor sie zu uns kommen.
Allerdings: Der Zuzug von Fachkräften fordert auch das Auswärtige Amt heraus. Konsulate sind überlastet – das wissen wir ja alle –, die Terminvergabe, die Bearbeitung von Anträgen dauern oft Monate. Aus diesem Grund ziehen wir Konsequenzen. Das Amt hat da einen sehr vernünftigen Beschluss gefasst. Es richtet jetzt eine neue oberste Bundesbehörde ein, das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten. Hier werden dann die verschiedenen Verwaltungsarbeiten gebündelt, und hier findet sich dann auch der notwendige Sachverstand wieder, wenn es darum geht, Asylanträge oder Zuzugsanträge vernünftig und schnell zu bearbeiten.
Eine solche oberste Bundesbehörde bietet auch die Chance für Leute aus dem Auswärtigen Amt, dass sie mal aus der Rotation eine gewisse Weile aussteigen. Aber nicht nur dafür braucht es Personal. Wir brauchen insgesamt für das Amt eine ordentliche Personalreserve. Die ist derzeit viel zu knapp. Das sieht selbst der Bundesrechnungshof so. Aus dem Grund haben wir auch diesen Maßgabebeschluss gefasst, der davon ausgeht, dass sich das Bundesfinanzministerium mit dem Auswärtigen Amt zusammensetzt und eine Strategie für eine angemessene Personalreserve ausarbeitet. Dann können wir auch die von uns selbst und von außen gestellten Anforderungen an ein modernes und aktives Auswärtiges Amt erfüllen.
Ich möchte zum Schluss nochmals dem Minister, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch unseren eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken, die uns geholfen haben in diesen Haushaltsverhandlungen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Alexander Graf Lambsdorff für die FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Frau Kollegin Barnett, die Personalreserve, die Sie gerade angesprochen haben, steht ja im Gesetz über den Auswärtigen Dienst. Ich freue mich, dass der Druck der FDP-Bundestagsfraktion geholfen hat, nach 25 Jahren der Umsetzung dieses Gesetzes etwas näher zu kommen. Als ich damals als junger Attaché in den diplomatischen Dienst eingetreten bin, haben wir uns davon mehr und schnellere Fortschritte versprochen.
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Kann man das auch von der Außenpolitik der Bundesregierung sagen – etwas mehr, etwas schneller, etwas besser? Die Bilanz zur Halbzeit sieht leider anders aus. Wir stellen fest: In der deutschen Außenpolitik fehlt es an Konzepten und Ideen. Hans-Dietrich Genscher hat einmal gesagt: „Politische Führung bedeutet gerade in Zeiten des Umbruchs geistige Führung.“
Niemand wird bestreiten, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben. Es gibt tektonische Verschiebungen in der internationalen Ordnung. Deutschland und Europa müssen Wege finden, wie wir den Aufstieg Chinas managen. Das Reich der Mitte fordert uns gleichzeitig wirtschaftlich, technologisch, gesellschaftlich und politisch heraus.
Es wäre die Aufgabe des Außenministers, Ideen zu präsentieren, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie wir mit Menschheitsherausforderungen wie Klimawandel, Migration, Digitalisierung umgehen oder wie wir den wachsenden Erwartungen unserer Verbündeten gerecht werden. Das Auswärtige Amt könnte dafür Impulsgeber sein. Doch die Herzkammer der deutschen Außenpolitik fährt personell und finanziell nicht nur auf der Felge – die Fähigkeiten des Amtes und seiner Diplomatinnen und Diplomaten bleiben auch weitgehend ungenutzt.
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Es wundert daher überhaupt nicht, dass die CDU-Vorsitzende, die Bundesverteidigungsministerin, versucht, die politische Leerstelle in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu füllen. Der Vorschlag für eine Schutzzone in Nordsyrien war zeitlich und handwerklich unglücklich. Ihre Reaktion darauf in der Türkei aber, Herr Maas, war Ihres Amtes unwürdig.
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Es ist richtig, dass der Auswärtige Ausschuss jetzt prüft, ob Ihre Amtsführung zu missbilligen ist.
Besser war der Vorstoß von Annegret Kramp-Karrenbauer für einen Nationalen Sicherheitsrat. Der ist überfällig. Es ist richtig: Deutschland braucht einen Ort, an dem wir in international komplexen Zeiten vernetzt denken. Nahezu zeitgleich kommt der Vorschlag des Bundesaußenministers für einen europäischen Sicherheitsrat. Wir scheinen wirklich ratlos zu sein in der Außenpolitik: kein Nationaler Sicherheitsrat, kein Europäischer Sicherheitsrat. Aber die Ratlosigkeit manifestiert sich besonders dann, wenn man fragt, was diese Räte eigentlich tun sollen. Wie sollen sie arbeiten? Wer soll Mitglied werden? Soll der Nationale Sicherheitsrat auf dem Bundessicherheitsrat aufsetzen, ja oder nein? – Keine Antwort aus der Bundesregierung. Wer soll Mitglied im europäischen Sicherheitsrat werden? Wie wird die Arbeitsweise aussehen? Je konkreter es wird, je näher man einen Vorschlag der Bundesregierung betrachtet, desto kleiner und wirkungsloser wirkt die deutsche Regierung, meine Damen und Herren.
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Die Impulse in Europa setzen in dieser Zeit andere. Der französische Präsident brennt geradezu vor Ideen und Tatendrang. Ob es die Reform der Beistandsklausel in der Europäischen Union ist, der Erweiterungsprozess, die Wiederbelebung des Normandie-Formats, ein neuer Dialog mit Russland, die Frage nach der Strategie der NATO, Emmanuel Macron forciert die Debatte. Einige Vorschläge gehen in die richtige Richtung, manche Vorschläge finden wir als Liberale falsch. Aber die Bundesregierung ist völlig sprachlos, völlig ohne eigene Position.
In der NATO führt das schwache Auftreten der USA zu einem Führungsvakuum. Dabei hat sich das Sicherheitsumfeld der NATO in den letzten Jahren dramatisch gewandelt: Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland, der Konflikt in der Ostukraine, der Aufstieg Chinas, die andauernden Konflikte in Syrien und Libyen, das drohende Ende der Atomwaffenkontrolle zwischen den USA und Russland, all diese Entwicklungen erfordern Diskussionen über die Kernaufgaben und die strategischen Leitlinien der Allianz. Ja, die Wortwahl des französischen Präsidenten war sicher unglücklich. Aber er hat seinen Finger in die Wunde gelegt: Das Bündnis muss strategisch neu denken, meine Damen und Herren.
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Deutschland hätte vor diesem Hintergrund längst eigene Ideen zur Zukunft der Allianz präsentieren können. Auch die Forderung nach einem neuen strategischen Konzept ist überfällig. Das letzte Konzept stammt von 2010, die Realität hat es längst überholt. Nichts ist aus dem Auswärtigen Amt zu hören, nichts ist von Ihnen zu hören, Herr Maas. Stattdessen haben Sie den Vorschlag gemacht, dass andere einen Vorschlag machen sollen: irgendwann, nächstes Jahr, vielleicht. Das ist zu wenig, meine Damen und Herren, das ist mutlos, das ist ratlos.
Genauso ratlos steht die deutsche Außenpolitik vor dem Zusammenbruch der globalen Rüstungskontrollsysteme. Sie haben sich um den Vertrag über Mittelstreckenraketen gekümmert, als es fünf nach zwölf war. Was ist mit New START? 2021 läuft dieser Vertrag aus. Was ist mit Open Skies? Die Amerikaner haben Europa gerade aufgefordert, zu sagen, was wir von Open Skies erwarten, welche Fragen wir beantwortet sehen wollen, damit dieser wirklich wichtige Rüstungskontrollvertrag erhalten bleibt. Nein, ich sehe bei der Bundesregierung keinen Gestaltungswillen, keine Konzepte, keine Ideen.
Meine Damen und Herren, „Europa muss die Sprache der Macht lernen“, hat Ursula von der Leyen gesagt. Deutschland müsste sich eigentlich an diesem Lernprozess beteiligen.
Kollege Lambsdorff, Sie können selbstverständlich weiterreden, tun das dann aber auf Kosten Ihres Kollegen.
Dann mache ich es jetzt ganz kurz.
Wir müssen endlich damit anfangen, die Werte, Ziele und Interessen der deutschen Außenpolitik regelmäßig auszuformulieren. Wir brauchen eine Gesamtstrategie, die die Bundesregierung ein Jahr nach Beginn der Legislaturperiode vorlegt, um endlich zu dem zu kommen, was die Bundeskanzlerin heute Morgen den vernetzten Ansatz genannt hat. Nur so bekommen wir die Grundlage für eine Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik aus einem Guss.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Alois Karl für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Heureka!“, hat der griechische Held Odysseus ausgerufen, nachdem er zehn Jahre im Trojanischen Krieg und dann zehn Jahre auf einer abenteuerlichen Heimfahrt gewesen war, bis er zurück zu seiner Heimatinsel Ithaka kam. Das heißt so ungefähr: Ich hab’s geschafft, es ist vollbracht.
Etwas Ähnliches werden sich auch die Kollegen des Haushaltsausschusses gedacht haben, als wir am 14./15. November nach 17-stündigen Beratungen – in einer Nacht der langen Messer sozusagen – zu einem Ergebnis gekommen sind. Liebe Doris Barnett, ich bedanke mich auch bei dir, dass du so tapfer und lange ausgehalten hast. Wir glauben, wir sind hier zu einem guten Ergebnis gekommen, einem Ergebnis, meine sehr geehrten Damen und Herren, das dem Bundesaußenminister jetzt einen Haushalt von fast 6 Milliarden Euro beschert. So viel Geld war noch nie da, lieber Herr Bundesaußenminister; am Geld scheitert es also nicht, wenn wir unsere Aufgaben in den nächsten Monaten erfüllen, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das machen werden.
Meine Damen und Herren, es ist mir die Parabel von der wundersamen Brotvermehrung eingefallen, als ich an dieser Rede schrieb. Es ist heute ähnlich gekommen wie seinerzeit: Über Nacht sozusagen, noch in der Bereinigungssitzung, haben wir 160 Millionen Euro dazubekommen, um auf den verschiedenen Feldern unseren Haushalt doch noch glänzender darzustellen, als das sowieso schon der Fall war.
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– Damals kam das ja vom lieben Gott selber. Verstehen Sie, so können wir uns durchaus annähern: Sie sollten mehr Beispiele aus der Heiligen Schrift nehmen; dann würden Sie manchmal auch nicht so unqualifiziert Ihre Wortbeiträge absenden.
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Ein Schwerpunkt unserer Haushaltsführung ist die humanitäre Hilfe. Meine Damen und Herren, wir sind stolz darauf, dass wir in den weltweit erkennbaren Nöten, im Leid, bei den Bürgerkriegs- und Kriegsopfern, die wir weltweit sehen, in den Hungersnöten unsere Möglichkeiten ausschöpfen.
Liebe Frau Malsack-Winkemann, was Sie heute hier wieder geboten haben, gereicht einer deutschen Parlamentarierin wirklich nicht zur Ehre. Es ist eine Schande, muss ich sagen.
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Ihr Auftritt war peinlich. Sie haben gesagt, wir sollten die humanitäre Hilfe auf den Stand des Jahres 2012 zurückkürzen,
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also um 1,5 Milliarden Euro herabsenken. Meine Damen und Herren, in diesen acht Jahren hat sich die Welt dramatisch verändert. Millionen und Abermillionen Flüchtlinge haben sich auf den Weg gemacht. Es entspricht unserer Humanität, dass wir darauf reagieren, auch mit unserem Haushaltsansatz der humanitären Hilfe. Es ist für unsere Bemühungen im Haushaltsausschuss ein Glanzpunkt, muss ich sagen, dass wir die Zeichen der Zeit erkannt und seit 2012 die Haushaltsansätze für die humanitäre Hilfe verfünfzehnfacht haben. Wir können damit das Leid der Welt nicht fundamental ändern. Aber wir tun unser Möglichstes, und das ist schon etwas. Herzlichen Dank an alle, die dafürgestimmt haben; das ist etwas Hervorragendes gewesen.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, manchmal hört man, die Mitglieder des Deutschen Bundestags seien teilweise überqualifiziert und unterbezahlt. Bei manchen, liebe Frau Malsack-Winkelmann, gilt das Sprichwort auch umgekehrt.
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Sie haben sich schließlich schon zum zweiten Male in dieser Weise geäußert.
Meine Damen und Herren, wir haben große Aufgaben übernommen in der humanitären Hilfe. Machen wir unsere Aufgaben, in der Tat.
Nun zu Ihrem zweiten Vergleich aus dem christlichen Glauben. Frau Malsack-Winkemann, Sie haben auch gesagt, christliche Werte gelten da nicht mehr, das Land sei ja früher mal christlich gewesen, aber jetzt nicht mehr. Bei mir steht im „Kürschner“: römisch-katholisch. Bei Ihnen steht gar nichts drin.
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Da müssen Sie selber erst einmal sagen, zu welcher Fasson Sie gehören und ob Sie überhaupt aufgerufen sind, das christliche Menschenbild hier zu vertreten.
Der heilige Martin, meine Damen und Herren, hat auch mildtätig und humanitär geholfen. Er hat seinen Mantel geteilt. Das aber hat vorausgesetzt, dass er überhaupt einen Mantel hatte. Wenn er keinen Mantel gehabt hätte, hätte er keinen teilen können.
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Daraus ziehen wir den Schluss, dass wir eine wirtschaftlich prosperierende Gegenwart haben müssen, um von den Überschüssen, die wir produzieren, um von den Steuereinnahmen, die wir erzielen, auch denjenigen etwas abzugeben, die bedürftig und wirklich notleidend sind. An diesem Zusammenhang arbeiten wir. Wir agieren mit einem Haushalt, der in den fundamentalen Daten sehr gut ist. Unsere Staatsschuldenquote liegt zum ersten Mal wieder unter 60 Prozent des BIP, und es steht die schwarze Null. Wer von Ihnen Fußball spielt, weiß: Wenn man zu Null spielt, kann man nicht verlieren, höchstens unentschieden spielen.
So ist das auch bei uns. Als CDU/CSU-Fraktion wissen wir, dass die schwarze Null eine fundamentale Konstante unseres Haushaltsbemühens auch in den nächsten Jahren ist und wir darüber nicht diskutieren können. Der Bundesfinanzminister, Frau Staatssekretärin, soll sich nicht von tatsächlichen oder vermeintlichen Sachverständigen kirremachen lassen. Er steht in einer guten Tradition von Schäuble, Franz Josef Strauß und anderen, die das ganz gut geschafft haben.
In unserem Haushalt wenden wir sehr viel Geld für Museumskooperationen, für die Programmarbeit, für die internationalen Beziehungen auf.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen haben wir uns gefreut, 30 Jahre Mauerfall in Berlin zu feiern. Wir haben auch denjenigen Dank zu sagen, die uns dabei geholfen haben, den Österreichern sowie den Ungarn, die zum Beispiel in Sopron den Eisernen Vorhang durchschnitten haben.
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– Wir beide waren mit der Bundeskanzlerin dort, liebe Kollegin Landgraf. Wir haben uns gefreut, dass man dort auch initiativ war und den früheren Bürgerinnen und Bürgern der DDR Mut gemacht hat, aktiv zu werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Glanzpunkt unserer Haushaltspolitik ist die außenpolitische Kultur- und Bildungsarbeit. Lieber Kollege Erndl, wir haben miteinander viel Gutes gemacht. Eine Kulturmilliarde bringen wir wieder auf den Weg. Es gibt weltweit deutsche Auslandsschulen; sie sind hervorragend aufgestellt. Viele Kinder aus den Gastländern besuchen diese Schulen, weil sie oft in den Städten die Besten sind. Wir sind die Besten, meine Damen und Herren. Wir sollten unsere Erfolge nicht immer kleinreden. Nein, wir stellen uns hin und sagen selbstbewusst: Wir erledigen unsere Aufgaben hervorragend.
Zur Personalreserve, lieber Herr Graf Lambsdorff – mit Ihnen schließe ich; das ist zwar nicht der Höhepunkt, aber ich schließe trotzdem mit Ihnen diese Rede –:
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Sie haben kritisiert, dass die Personalreserve erst jetzt – endlich – angehoben wird. Wer war denn in den letzten 50 Jahren Außenminister?
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Es waren doch FDPler: von Scheel über Genscher über Kinkel über Westerwelle. Der Beste war seinerzeit der zweite Mann, Michael Link, der sich hier eingebracht hat. Sie hätten viel Gutes machen können, wenn Sie denn gewollt hätten.
Kollege Karl.
Ich bin am Ende mit Lambsdorff und meiner Rede.
Mit der Zeit.
Meine Damen und Herren, ich danke herzlich. Ich bitte um Zustimmung und Akzeptanz dieses Haushaltes. Er ist hervorragend.
Vielen herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Michael Leutert für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der französische Präsident hat gesagt: Die NATO ist hirntot. – Unser Außenminister sagt: „Die NATO lebt …“.
Wir können das nur beurteilen, wenn wir uns den Patienten einmal näher anschauen. Es gibt ein Grundsatzdokument: den Nordatlantikvertrag. Ich darf hier Artikel 1 zitieren:
Die vertragschließenden Staaten verpflichten sich, gemäß den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sein mögen, durch friedliche Mittel in der Weise zu regeln, daß Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit unter den Völkern nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeglicher Drohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die in irgendeiner Weise mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist.
Ich würde sagen: Das ist das Fundament, das Herz der NATO. Wenn man sich jetzt anschaut, was das NATO-Mitglied Türkei derzeit macht, nämlich einen Angriffskrieg in Syrien zu führen, Menschenrechte mit Füßen zu treten, Oppositionelle, die gegen diesen Krieg sind, einzusperren, dann muss man sagen: In dem Geiste ist die NATO tot.
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Auf der anderen Seite lebt sie irgendwie, weil wir mit diesem Haushalt wieder viel Geld für die NATO bereitstellen. Was ist sie denn jetzt? Tot oder lebendig? Sie wandelt als Zombie durch die Welt.
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Wenn es noch einen Rest an Glaubwürdigkeit geben soll, dann setzen Sie sich dafür ein, dass die Mitgliedschaft der Türkei suspendiert wird, bis sich ihre Politik ändert.
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Die Kanzlerin hat heute früh in einer kleinen Geschichtsstunde die internationalen Probleme, vor denen wir stehen, umrissen. Ich möchte das hier nicht alles wiederholen.
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Gemessen an diesen Problemen und gemessen an den Ansprüchen, die hier formuliert werden, muss man sagen, dass der Haushalt, der hier verabschiedet werden soll, ein Totalausfall ist.
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Sie haben nicht einmal die Mittel für die notwendigsten Sachen. Die Visaproblematik ist angesprochen worden. Es gibt Menschen, die ein Visum haben wollen und ein Jahr auf einen Vorstellungstermin warten; dann haben sie immer noch kein Visum. Also nicht einmal die notwendigsten Sachen können wir machen.
Ich kann hier noch den Investitionsstau bezüglich Sicherheit und IT bei unseren ausländischen Liegenschaften nennen. Die Gelder reichen nicht einmal für die notwendigsten Mittel. Das Schlimme ist nur: Es wird auch nicht besser. Im nächsten Jahr ist geplant, den Haushalt um 1 Milliarde Euro zu kürzen. Wie Sie diese Delle ausbalancieren wollen, darauf bin ich sehr gespannt.
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Deshalb hoffe ich, dass die Koalition doch noch ein bisschen hält; denn auf diese Rede freue ich mich jetzt schon.
So, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden Sie auf internationaler Ebene krachend scheitern. So werden Sie keinen Beitrag zur Friedenserhaltung, Konfliktvorbeugung oder Konfliktlösung leisten.
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Schauen wir uns einmal an, für was die zu knappen Mittel teilweise verwendet werden. Ich fange einmal mit einer kleinen Sache an. Es gibt das Reeperbahn-Festival.
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Ich weiß nicht genau, was das Reeperbahn-Festival mit auswärtiger Politik zu tun hat. Fakt ist nur, dass dieses Festival aus dem jetzigen Haushalt 3 Millionen Euro bekommen soll, obwohl es in den vergangenen Jahren schon gefördert wurde und noch 2 Millionen Euro übrig sind. Es bekommt sogar einen eigenen Titel. Wenn das Außenpolitik ist, dann bin ich einmal gespannt, wann das Oktoberfestival vom Auswärtigen Amt gefördert wird. Vielleicht wäre das noch ein Ansatz.
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Das Reeperbahn-Festival ist übrigens in Hamburg. Das ist die Heimatstadt des Finanzministers. Vielleicht hat es damit etwas zu tun. Aber das nur am Rande.
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Zurück zur Außenpolitik. Im Iran wird ein Programm finanziert, das heißt: Aufbau eines regionalen Sicherheitskonzeptes für Westasien und die Arabische Halbinsel. Ich frage mich: Arabische Halbinsel, Saudi-Arabien, Iran – wie passt das zusammen? Sie führen gerade einen Stellvertreterkrieg im Jemen. Mit denen wollen wir ein Sicherheitskonzept erarbeiten. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt. Schauen wir uns an, was derzeit im Iran passiert: Demonstrationen mit über einhundert Toten. – Wir konnten heute und gestern lesen, dass die iranische Führung den USA und Israel eine Verschwörung unterstellt; sie sollen die Demonstrationen angezettelt haben. Der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden hat den USA mit Vergeltung und Israel mit Vernichtung gedroht. Ausgerechnet mit denen wollen wir ein Sicherheitskonzept aufbauen. Ich frage mich: Wie kommt eine solche Entscheidung zustande?
Kommen wir dazu, wie wir uns in den UN-Gremien zu Israel verhalten. Dort verhalten wir uns komischerweise ganz anders. Deutschland stimmt in UN-Gremien regelmäßig nicht mit Israel, wenn es verurteilt werden soll. Wir haben derzeit in der UN-Vollversammlung 26 Resolutionen, die sich gegen bestimmte Länder richten. Von diesen 26 Resolutionen sind allein 20 gegen Israel gerichtet. Die UNESCO hat von 2009 bis 2014 47 Resolutionen gegen Länder verfasst, allein 46 gegen Israel. Das ist eine Verteufelung Israels. Was macht Deutschland? Wir stimmen nicht mit Israel. Besonders absurd: In diesem Jahr kamen im Juli palästinensische Vertreter mit dem Iran und Saudi-Arabien zusammen und brachten eine Resolution gegen Israel ein –
Kollege Leutert, Sie müssen zum Schluss kommen.
– wegen der Stellung der palästinensischen Frau. Was macht Deutschland? Wir enthalten uns. Wenn so die Solidarität mit Israel aussieht, dann kann man gerne auf diese Solidarität verzichten.
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Das ist absurde Politik. Genauso ist Ihr Haushalt: absurd. Deshalb kann ihm nicht zugestimmt werden.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Omid Nouripour.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Etwas Persönliches: Ich bin Moslem. Wenn ich jetzt nach Hause gehe und meiner Frau erzähle, dass das Verständnis der AfD vom Christentum ist, Gelder für humanitäre Hilfe zu streichen, dann – das kann ich Ihnen versprechen – wird meine Frau sofort nach einem Rosenkranz greifen, obwohl sie frisch gewählte evangelische Kirchengemeinderätin ist.
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Es ist nicht nachvollziehbar. Ich wüsste auch nicht, was das mit irgendeiner Religion zu tun hat, was Sie hier erzählen.
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– Nein, bitte nicht erklären. Das war Erklärung genug.
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Wir sind jetzt in der Haushaltsdebatte, und die Haushaltsdebatte ist ja immer die Debatte der Wahrheit. Im Haushalt sieht man, wofür das Geld verteilt wird, was also die Prioritäten der Politik sind. Ich zitiere:
Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland ist ganz besonders an der Stabilität der internationalen Beziehungen interessiert. Spannungen schlagen bei uns schneller und gründlicher zum Nachteil unseres Landes aus, als dies in anderen Ländern der Welt der Fall ist. Mißverständnisse und Unberechenbarkeit unserer Politik wären für uns in unserer geopolitischen Lage besonders gefährlich. Eben deshalb ist die Politik unseres Landes auf Klarheit, auf Festigkeit und auf Verläßlichkeit ausgerichtet.
Zitat Ende. – Das könnte von Helmut Schmidt sein, ist aber von Helmut Kohl, der damals gerade frisch Bundeskanzler geworden war. Klarheit, Festigkeit und Verlässlichkeit forderte er im Jahre 1982. Ich glaube, diese Maßstäbe sind auch bis heute – zumindest gerade jetzt – besonders notwendig.
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Schauen wir uns den Haushalt an. Es gibt eine Debatte, die auch aus dem Ausland massiv hier reingetragen wird, über die 2 Prozent, die man für den Verteidigungsbereich ausgeben solle. Hier fehlt mir etwas. Es gibt immer wieder die Rhetorik von den politischen Lösungen, also davon, dass man erst politische Lösungen anstreben muss; das ist ja auch richtig. Aber wo ist denn eigentlich die Debatte darüber, wo der Unterbau dafür herkommen soll? Wo ist denn die Debatte darüber, dass das Auswärtige Amt dafür auch die Mittel haben sollte?
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Man denkt ja: Da redet ein sozialdemokratischer Finanzminister mit einem sozialdemokratischen Außenminister; da wird schon etwas Gutes bei herauskommen. Heraus kommt aber eine Plafondentwicklung: Im Jahr 2023 wird es in diesem Bereich eine Absenkung der Mittel in Höhe von 600 Millionen Euro geben. Gleichzeitig erklärt die Frau Bundeskanzlerin total glücklich, wie viel mehr Geld man für den Verteidigungsbereich ausgeben wolle. Das ist ein massives Versagen in genau dem Einzelplan, über den wir hier reden, weil da die Kapazitäten für genau diese politischen Lösungen fehlen.
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Ich bin sehr froh, dass die Haushälterinnen und Haushälter – aus unserer Sicht natürlich eindeutig und allen voran unsere wundervolle Kollegin Frau Deligöz – sich dafür eingesetzt haben, dass es jetzt einen Maßgabebeschluss darüber gibt, dass über die Personalreserve wenigstens gesprochen wird.
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Denn es ist nicht nur ein schlichtes Gesetz, das umgesetzt werden muss, aber seit Jahren nicht umgesetzt wird. Es ist auch Teil des Koalitionsvertrages. Wenn Leute in der Personalreserve fehlen, können die Diplomatinnen und Diplomaten sich nicht gescheit auf ihre nächsten Posten vorbereiten, beispielsweise weil sie Jobs machen müssen, statt Sprachkurse zu belegen. Auch das wirkt sich auf die Qualität der Arbeit aus.
Das alles führt dazu, dass es eben Klarheit, Festigkeit und Verlässlichkeit nicht gibt. Dafür gibt es keinen Unterbau, und dafür gibt es auch nicht den Mut. Wo ist denn die Klarheit der Bundesregierung, wenn es darum geht, sich auf die Seite derjenigen zu stellen, die im Iran auf die Straße gehen, weil sie schlicht verzweifelt sind, die keine Solidarität und Aufmerksamkeit erfahren und denen das Internet abgedreht wird? Wo ist die Klarheit der Bundesregierung, wenn es darum geht, dass dieser Tage die Hisbollah in Libanon auf die Demonstrierenden losgeht? Wo ist denn da eigentlich eine Verurteilung?
Wo ist denn die klare Position der Bundesregierung, die nicht nur deutlich macht, dass man es falsch findet, wenn auf friedliche Demonstrierende im Irak geschossen wird, sondern auch darüber redet, dass dort die Bundeswehr eigentlich eine Sicherheitssektorreform durchführen soll? Das führt aber nicht zu nichts; es führt nur dazu, dass die Sicherheitskräfte am Ende auf Demonstrierende schießen. Das ist sicher nicht der Sinn der Bundeswehrübung dort. Aber wenn wir nicht einmal darauf Einfluss haben im Irak, dann sollten wir doch überlegen, ob der Einsatz dort so überhaupt Sinn macht.
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Wo ist die Festigkeit, wenn es darum geht, das Thema Uiguren – die Berichte von deren verheerender Situation, die man gesehen hat, sind erschreckend – bei den nächsten offiziellen Gesprächen mit der chinesischen Seite anzusprechen? Wo ist die Festigkeit, wenn es darum geht, den Amerikanern gegenüber klarzumachen – nein, ich will die Chinesen und die Amerikaner nicht vergleichen –, dass wir nicht einfach zugucken werden, wie sie diplomatische Erfolge wie zum Beispiel beim Atomabkommen mit dem Iran einfach mit einem Tweet beiseiteschieben, und wir nicht imstande sind, etwas dagegenzusetzen, weil der Mut fehlt für ein Instrument namens INSTEX, das einfach Geld braucht?
Wo ist die Verlässlichkeit, wenn die Partnerstaaten auf uns schauen und mittlerweile nicht mehr wissen, ob sie auf Mutlos-Maas schauen sollen oder auf eine Verteidigungsministerin, die glaubt, sie könne das Wunder von Bern wiederholen, indem sie immer größere Versprechen gibt, die irreal sind, die aber von der Union bejubelt werden, weil man sich ja freut, dass man jetzt mal wieder wer sei? Das ist keine verlässliche Politik. Das ist wirr.
Ich habe wirklich eine Bitte, gerade in diesen Zeiten: Hören Sie auf, die ganze Zeit darüber zu reden, ob diese Große Koalition weitermachen soll oder nicht! Reden Sie doch mal darüber, wofür Sie weitermachen wollen!
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Das fehlt komplett, und nirgendwo ist es so sichtbar und so dramatisch wie in der Außenpolitik.
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Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Heiko Maas.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme gerade von der Personalversammlung im Auswärtigen Amt. Vielleicht ist die Personalversammlung im Auswärtigen Amt ja ein ganz guter Spiegel für Erfolg oder Misserfolg von Haushaltsberatungen. Denn letztlich sitzen dort diejenigen, die unsere Außenpolitik oft unter schwierigsten Bedingungen im Ausland gestalten, nämlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes. Die, kann ich Ihnen sagen, freuen sich über diesen Haushalt.
Ehrlich gesagt: Wenn man einen Haushalt hat, der im Verfahren noch einmal wesentlich aufgestockt worden ist und der mittlerweile auf einen Rekordwert von nie dagewesenen fast 6 Milliarden Euro kommt, dann fällt es mir schwer, zu verstehen, wie man das noch kleinreden kann. Ich frage mich: Was wollen Sie denn noch? Einen Rekord-Rekord-Haushalt, einen Hyperrekord-Haushalt? Ich sage Ihnen auch: Jeder, der heute hier in der Opposition ist, würde sich, wenn er in der Regierung wäre und diesen Haushalt vorlegen könnte, darüber freuen und das hier ganz anders verkaufen. Das gehört auch zur Wahrheit.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, das hat etwas mit gestiegenen Anforderungen an die Außenpolitik zu tun. Ich will Ihnen nur einige Beispiele nennen:
In Genf ist endlich das Verfassungskomitee für Syrien zusammengekommen. Monatelang ist darüber gestritten worden. Wir haben das ganz maßgeblich unterstützt – politisch, logistisch, finanziell –, und wir werden das auch weiterhin tun. Wir werden auch weiterhin darauf drängen, dass dieses Komitee kein Feigenblatt wird, sondern sich alle, und damit auch das Assad-Regime, ernsthaft engagieren, um für die politische Lösung, die dieser Konflikt braucht, einen Beitrag leisten zu können.
Gestern war António Guterres in Berlin. Wir haben darüber gesprochen, welchen Beitrag Deutschland leisten kann, damit die unterschiedlichen Formate, die es gibt – die Small Group auf der einen und die Astana-Group auf der anderen Seite –, näher zusammenkommen, um den Weg freizumachen für eine politische Lösung.
In Libyen gibt es mittlerweile den sogenannten Berlin-Prozess. Unter der Führung von Deutschland werden seit einigen Wochen Gespräche mit Anrainerstaaten, aber auch mit den Libyern selber darüber geführt, wie wir eine politische Lösung für diesen Krieg finden können, der schon viel zu lange andauert und der sich im Moment wirklich in einer Art und Weise in diesem Land breitmacht, von der wir dachten, dass wir sie schon hinter uns gelassen hätten.
Zum Ukraine-Konflikt werden wir am 9. Dezember ein Gipfeltreffen des Normandie-Formates haben. Auch hier sind wir zusammen mit unseren französischen Freunden führend dabei, das, was wir an positiver Dynamik haben, seitdem Selenskyj Präsident ist, hinzuleiten in eine Wiederbelebung des Minsker Prozesses.
In Afghanistan haben uns die Vereinigten Staaten zusammen mit Norwegen darum gebeten, nach einer Wiederaufnahme der Verhandlungen mit den Taliban eine Friedenskonferenz zu veranstalten, in der die Taliban und die afghanische Regierung einen Friedensvertrag schließen sollen.
Im Jemen gibt es erste positive Signale, dass die Huthis und die Saudis miteinander sprechen, und zwar unmittelbar. Martin Griffiths, der Beauftragte der Vereinten Nationen, hat angefragt, ob wir die Friedensgespräche, die daraus folgen sollen, dann auch tatsächlich in Deutschland stattfinden lassen würden, im Nachgang zu den Gesprächen, die es in Stockholm im Dezember letzten Jahres gab.
Wer das sieht und wer über die Verantwortung Deutschlands in der Welt spricht, der muss zur Kenntnis nehmen, dass in all diesen Krisen, mit denen wir es im Moment zu tun haben, Deutschland mittlerweile meistens die führende Rolle bei der Konfliktlösung übernommen hat. Ich finde, das ist eine gute Art und Weise, Verantwortung in der Welt zu übernehmen.
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Das gilt auch für den Sicherheitsrat. Dort geht es nicht nur um Krisendiplomatie, sondern auch um Krisenprävention. Wir setzen die Themen nukleare Abrüstung, Klimawandel und Frauenkonflikte auf die Tagesordnung. Wir haben dazu auch Ergebnisse erzielt, die dort bisher leider nicht zu erzielen gewesen sind.
Das, was hier diskutiert worden ist, ist der große Aufwuchs bei der humanitären Hilfe. Wenn man sich bei so vielen internationalen Konflikten engagiert, dann wird auch erwartet, dass man materielle Beiträge liefert, um den Menschen vor Ort zu helfen, und dass man einen Plan hat, wie diese Länder wieder aufgebaut werden. Also: humanitäre Hilfe, Stabilisierung, Ertüchtigung. Was dazu im Haushalt steht, ist eine gute Grundlage.
Auch in Europa werden wir gefordert sein, und zwar noch stärker als bisher. Im November beginnt unser Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates, und wir stehen auch in den Startlöchern für die EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres. Aufgaben gibt es mehr als genug: die Ausgestaltung möglichst enger künftiger Beziehungen zu Großbritannien, die Umsetzung einer echten europäischen Außenpolitik gegenüber Ländern wie Russland oder China, die Verhandlungen über den Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre und – was uns schon gelungen ist und was in diesem Haushalt steht; Doris Barnett hat es erwähnt – der Aufbau von Krisenmanagementfähigkeiten, auch mit Blick auf die Konflikte in unserer Nachbarschaft. Dazu werden wir in Berlin im kommenden Jahr ein europäisches Exzellenzzentrum gründen und damit ganz wesentlich auch hier die führende Rolle in Europa übernehmen.
Das Gleiche gilt für die NATO. Ja, bei allen Diskussionen über die NATO: Wir haben uns innerhalb der Bundesregierung sehr geschlossen gegenüber der Öffentlichkeit festgelegt. Wir wollen, dass die NATO, die wir brauchen, und auch das transatlantische Verhältnis zukunftsfähig gemacht werden. Ja, wir müssen über die Vorschläge reden, die es gibt, aber dazu brauchen wir vernünftige Prozesse; denn es nützt nichts, ständig neue Vorschläge zu machen, ohne dass es irgendein Ergebnis gibt. Eine sogenannte Wiseman-Group – die letzte Vorsitzende der Wiseman-Group war übrigens Madeleine Albright – wurde eingerichtet und so die Grundlagen dafür gelegt, dass man gemeinsam eine strategische Plattform hat, auf der man innerhalb der NATO arbeitet. So arbeitet man eben in internationalen Organisationen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss will ich erwähnen, dass wir all das nicht alleine tun und dass wir nicht alleine stehen. Unserer Allianz für den Multilateralismus gehören mittlerweile über 60 Länder an. Wir treiben gemeinsam acht konkrete Initiativen voran, von Abrüstung bis hin zum Menschenrechtsschutz. Was wir bewegen können, hat sich gerade in Genf gezeigt, wo sich auf unsere Initiative hin 125 Staaten nach jahrelangen Verhandlungen auf Leitprinzipien für den Umgang mit Letalen Autonomen Waffensystemen festgelegt haben.
Alles in allem: Die deutsche Außenpolitik ist nicht disruptiv, sie ist das Gegenteil davon. Sie setzt vielmehr der disruptiven Realität etwas entgegen. Unsere Beiträge zur Lösung internationaler Konflikte sind nichts anderes als Beiträge für mehr Frieden auf der Welt. Dafür sind wir mit diesem Haushalt gut ausgestattet.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Roland Hartwig für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Helmut Kohl berief sich gerne auf Bismarck, der gesagt hatte: Politik ist keine Wissenschaft. Politik ist, dass man Gottes Schritt durch die Weltgeschichte hört, dann zuspringt und versucht, einen Zipfel seines Mantels zu fassen, dass man mit ihm fortgerissen wird. -
Beide Männer dienten ihrem Land in Umbruchzeiten, und beide erwiesen sich als Staatsmänner, als sie die Gunst der Stunde erkannten und zum Wohle Deutschlands nutzten. Bismarck gelang die deutsche Einigung, Kohl die Wiedervereinigung.
Heute leben wir wieder in Umbruchzeiten. Herr Minister Maas, Sie ahnen bereits, worauf ich hinaus möchte: Das Erkennen des historischen Moments, das mutige Zuspringen und Zupacken, ist Ihre Stärke nicht.
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Sie bewegen sich vorzugsweise in Ihrer ideologischen Komfortzone, und dort, wo Sie sie einmal verlassen müssen, wirkt es hastig und konzeptlos. Ihr Lieblingsprojekt ist die sogenannte Allianz der Multilateralisten, die Sie zwar ins Leben gerufen haben, aber nicht mit Leben füllen können, wie es ein deutscher Diplomat formulierte. Als Sie zu dem Thema vor der UN-Generalversammlung gesprochen haben, war der Saal fast leer. Ein weiteres Ihrer Projekte ist der Donnerstag der Demokratie in Anlehnung an Fridays for Future. Herr Maas, sind das wirklich Ihre Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit?
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Ein weiteres Beispiel: Seit 2001 sind deutsche Soldaten in Afghanistan. Viele haben dort ihr Leben gelassen. Die Zahl der getöteten Zivilisten ist so hoch wie noch nie seit 2001. Im Interesse der afghanischen Bevölkerung, aber auch unserer eigenen, wäre es dringend geboten, hier endlich zu einer Friedenslösung zu kommen. In Ihrer Amtszeit als Außenminister haben die USA, Russland und China jeweils unabhängig voneinander Gespräche mit den Akteuren in Afghanistan geführt. Es waren keine nennenswerten Bemühungen von Ihrer Seite erkennbar, gemeinsam mit diesen Staaten an einer Beilegung des Konfliktes zu arbeiten. Stattdessen haben Sie auf eine Kooperation mit Norwegen gesetzt.
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Die Ausgaben Ihres Ministeriums sind auch deshalb so massiv angestiegen, weil es nicht gelingt, politische Lösungen für die Krisen unserer Welt zu finden. Sie versuchen, das mit immer mehr Geld für humanitäre Maßnahmen zu kompensieren, und haben dabei nicht einmal annähernd einen zuverlässigen Überblick über die Verwendung der Mittel. Hinzu kommt, dass Sie viele Projekte finanzieren, die sich nicht der neutralen humanitären Nothilfe verschreiben, sondern eine Ideologie in andere Länder transportieren sollen, die sich destabilisierend auf die dortigen Gesellschaften auswirkt.
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Das ist vor dem Hintergrund eines ohnehin schon instabilen internationalen Systems einfach nur unverantwortlich.
Unabhängig von der eigenen politischen Einstellung hat man den Sozialdemokraten, als sie noch eine Volkspartei waren, für zwei Dinge Respekt zollen müssen: für ihren Einsatz für die Interessen der deutschen Arbeiterschaft und ihr Wissen um die Bedeutung Russlands für die Zukunft des europäischen Projektes. Dass sich die Partei inzwischen überwiegend mit Gender und der Auflösung des Nationalstaates beschäftigt und kein Ohr mehr hat für die Sorgen des kleinen Mannes, ist dem generellen Verlust der sozialdemokratischen Werte geschuldet. Am Verlust der Russland-Perspektive, Herr Maas, haben Sie persönlich entscheidenden Anteil.
Die Idee von Europa beschäftigt die Menschen schon seit der Antike. Sie können von dort den Bogen spannen über Karl den Großen als erstem europäischen Herrscher zu deutschen Revolutionären von 1848 und ihrer Vision von Deutschland als Teil eines Hauses gleichberechtigter freier Vertragsstaaten; ein Bild, das übrigens 1989 von Gorbatschow wieder aufgegriffen wurde. Putin sprach 2001 an diesem Rednerpult von der Einheit der europäischen Kultur. Er sagte: Niemand bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber er sei der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen werde, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen Ressourcen und Potenzialen vereinigen würde.
Statt sich der historischen Frage zu stellen, wie ein europäischer Kulturraum von Nationalstaaten unter Einbeziehung Russlands gestaltet werden kann, verstecken Sie sich hinter der Ukraine-Krise. Niemand in Europa kann Interesse an einem neuen Kalten Krieg haben oder daran, Russland in die Arme Chinas zu treiben.
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Um den Aufgaben der Zeit gewachsen zu sein, braucht man die richtigen Personen an der Spitze, ebenso wie auf allen anderen Ebenen des Auswärtigen Amtes. Der Unmut in Ihrem Hause ist groß darüber, dass gewichtige Stellen immer häufiger nicht mit erfahrenen Diplomaten besetzt werden, sondern mit Genossen aus dem sozialdemokratischen Umfeld, denen man diese Stellen zuschiebt.
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Auch in einem anderen Bereich haben Sie sich den Staat zur Beute gemacht. Sie genehmigen sich inzwischen fast doppelt so viele Steuergelder wie noch 2005, um Ihre parteinahen Stiftungen zu finanzieren. Weit über eine halbe Milliarde Euro pro Jahr müssen die Bürger unseres Landes inzwischen dafür bezahlen. So gelingt es vor allem Ihrer Partei, Herr Maas, die eigenen Leute trotz schwindenden Rückhalts in der Bevölkerung gut zu versorgen.
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Statt Versorgungsmentalität und ideologischem Klein-Klein brauchen wir wieder staatsmännische Verantwortung für die großen Herausforderungen unserer Zeit.
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Wir brauchen Politiker, die dazu auch willens und in der Lage sind. Ich fürchte, Herr Maas, Sie gehören nicht dazu.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Johann Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor zwei Jahren hat Außenminister Steinmeier vor der UN-Vollversammlung gesagt, die Welt sei aus den Fugen. Seitdem mussten wir erleben, dass die Kriege in Syrien, in Libyen und im Jemen fortdauern, der Iran in der Straße von Hormus europäische Schiffe gekapert hat, die Türkei völkerrechtswidrig in Nordsyrien einmarschiert ist und nun eine gemeinsame militärische Kontrolle mit Russland organisiert, nachdem der US-Präsident ohne Abstimmung oder auch nur Information an die Verbündeten eigene Truppen zurückzog, dass die USA einseitig von Israel besetzte Gebiete anerkannten, dass China in der Welt und auch vermehrt in Europa nicht nur wirtschaftlich, sondern auch immer mehr politisch Einfluss nimmt und inzwischen in mindestens drei europäischen Staaten, nämlich Griechenland, Ungarn und Montenegro, politische Abhängigkeiten geschaffen hat, dass Russland den INF-Vertrag nachweislich gebrochen hat und dass der Versöhnungsprozess in Afghanistan durch den plötzlichen Verhandlungsabbruch durch die amerikanische Regierung ins Stocken geraten ist.
Die bittere Erkenntnis also ist: Die Erosion einer regelbasierten Weltordnung geht leider weiter; die Vereinten Nationen sind de facto gelähmt; der Sicherheitsrat – die Kanzlerin hat es angesprochen – ist blockiert. Damit steht nichts weniger als die Grundlage unserer Freiheit, unserer Sicherheit und unseres Wohlstands auf dem Spiel.
Deswegen stellt sich die Frage: Was tun wir? Was tut Europa?
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Einer der wichtigsten europäischen Staaten, die UN-Veto- und Atommacht Großbritannien macht sich nach den Worten ihres Premiers raus aus der EU, um endlich ihr eigenes Potenzial zu entfesseln.
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Nun gut, wir sehen das anders und glauben, überwiegend jedenfalls, dass wir unser Potenzial nur in und mit der EU entfalten können; ich glaube, dazu besteht hier im Hause eine breite Übereinstimmung.
Schauen wir uns doch mal an, wie sich die beiden wichtigsten europäischen Staaten, nämlich Deutschland und Frankreich, in den letzten Tagen und Wochen außen- und sicherheitspolitisch wahrnehmbar dazu geäußert haben: Deutschland ist wahrgenommen worden mit einer Klage über eine mangelnde Information und Abstimmung bei einer sicherheitspolitischen Initiative, auch noch geäußert im Ausland. Frankreich ist mit einer ebenso schnellen wie hoffnungslosen Hirntoddiagnose betreffend keinen geringeren als unser einziges, unverzichtbares Verteidigungsbündnis gehört worden. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Mindeste, was wir uns an dieser Stelle eingestehen müssen, ist: Das ist zu wenig. Wir müssen mehr leisten, wenn wir verantwortungsvolle Außenpolitik für Europa und für Deutschland formulieren wollen.
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Was also müsste deutsche Außenpolitik anpacken, priorisieren, jedenfalls versuchen?
Erstens muss aus meiner Sicht endlich die Achse Paris–Berlin wieder wirksam auf die Spur gebracht werden.
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Das Auswärtige Amt ist hier an vorderster Stelle gefordert. Es gibt, Herr Außenminister, ein Strategiepapier, das im Auswärtigen Ausschuss im Frühjahr vorgestellt worden ist. Da steht eine Roadmap drin, da stehen Abläufe drin, da stehen konkrete Vorhaben drin. In diesem November, der ja in den nächsten Tagen beendet sein wird, sollte ein konkreter deutsch-französischer Vorschlag für einen EU-Sicherheitsrat auf den Tisch gelegt werden. Wir warten darauf. Deutschland und Frankreich müssen gemeinsam handeln. Wir erwarten von unserer Bundesregierung, dass sie das entsprechend priorisiert.
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Zweitens. Das Bündnis der Multilateralisten ist richtig; aber nur Gespräche und Konferenzen am Rande der Vereinten Nationen sind nicht ausreichend. Wir müssen endlich gemeinsam mit diesen Staaten Politik formulieren.
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Wie wäre es denn, wenn wir gemeinsam mit Kanada, wenn wir gemeinsam mit Japan, mit Australien und natürlich den Staaten der Europäischen Union eine Antwort auf die Sicherheitsanforderungen im 5G-Netz geben? Diese Staaten sind dazu bereit. Wenn wir mit diesen Staaten gemeinsam eine Antwort geben, wird es in Peking darauf eine andere Reaktion, wird es eine andere Akzeptanz geben, als wenn wir das alleine machen. Das heißt, wir müssen da gemeinsam handeln.
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Drittens. Ich glaube, Deutschland muss bereit sein, seine Interessen schnörkelloser zu formulieren und dann auch zu wahren; es muss auch bereit sein, darüber zu sprechen. Dazu gehört an allererster Stelle natürlich unsere NATO, die aus meiner Sicht nicht hirntot ist, aber in den Extremitäten Schwächen hat. Deswegen sage ich: Ein weiterer Arbeitskreis, und seien es noch so weise Menschen, hilft der NATO, glaube ich, nicht weiter. Man muss die NATO einfach machen, um es einfach zu formulieren. Das heißt, Deutschland muss seine Beiträge zur Existenz der NATO, das heißt, seine finanziellen Beiträge, leisten.
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Dann werden wir gemeinsam handlungsfähig sein.
Ich halte viel davon, dass wir Interessen, auch in anderen Regionen der Welt, miteinander formulieren. Die Initiative der Bundesverteidigungsministerin, zu sagen, dass wir ein Interesse an der Freiheit des Seeverkehrs, an der Freiheit der Navigation im Süd- und Ostchinesischen Meer haben – übrigens genauso wie an der Straße von Hormus, übrigens genauso wie im Schwarzen Meer –, ist für eine Seehandelsnation wie Deutschland existenziell. Ich halte nichts davon, diese Initiative dadurch zu diskreditieren, zu behaupten, dass wir sozusagen wieder den „Platz an der Sonne“ suchten. Nein, wir verteidigen – wiederum im Bündnis der Multilateralisten – unsere liberale Weltordnung, unsere regelbasierte Weltordnung. Und das heißt auch, es muss freien Seeverkehr geben. Das ist die Voraussetzung nicht nur für Frieden und Freiheit, sondern auch für Welthandel, und da ist Deutschland richtig aufgehoben.
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Ich glaube, Deutschland muss auch sicherheitspolitisch neu handlungsfähig werden und darüber nachdenken, ob man nicht in der Tat einen Nationalen Sicherheitsrat gründet. Dieser Vorschlag ist erneut in die Diskussion eingebracht worden. Ich darf darauf verweisen, dass es ihn in vielen anderen Staaten gibt, die ähnlich organisiert sind wie Deutschland, auch parlamentarische Demokratien, auch Demokratien, die voraussetzen, dass das Parlament entsprechenden Einsätzen der Bundeswehr, was ja nur der Extremfall ist, zustimmt. Zuletzt hat das Japan, das eine ähnlich restriktive Handhabung bei militärischen Mitteln hat wie die Bundesrepublik Deutschland, richtigerweise beschlossen.
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Wir müssen dazu bereit sein, sicherheitspolitische Interessen zu formulieren. Diese sind nicht nur mit militärische Macht zu umschreiben, sie umfassen den Cyberraum, sie umfassen bedauerlicherweise mittlerweile auch den Weltraum, sie umfassen auch wirtschaftliche Aktivitäten – Stichwort „5G“ – in einem Umfang, wie wir das nicht haben erwarten können. Deshalb sage ich: Deutschland muss sicherheitspolitisch erwachsen werden und muss auch über einen Nationalen Sicherheitsrat diskutieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael Link das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Kollegin Barnett und dem Kollegen Karl sehr dankbar, dass wir es tatsächlich geschafft haben, das Thema Personalreserve voranzubringen. Mit Ausnahme der AfD-Fraktion haben alle an dieser Stelle zugestimmt. Ich glaube, das ist wichtig. Aber für Sie, Herr Minister, gibt es gerade mit Blick auf die Entscheidung des Ausschusses zur Personalreserve überhaupt keinen Grund, selbstzufrieden zu sein; denn der Ausschuss musste die Aufgabe erledigen, die schon längst von der Regierung hätte erledigt werden müssen.
Wir versuchen mit der Personalreserve, die Schräglage in diesem Haushalt zu beseitigen, doch sie besteht nach wie vor. Es ist wichtig, das in der Öffentlichkeit immer wieder zu sagen: Die Aufgaben sind natürlich gewachsen, und es fließt sehr viel mehr in humanitäre Hilfe; aber die großen Zahlen dieses Haushalts verdecken, dass die Strukturen des Hauses nicht mitgewachsen sind. Das ist ein Problem. Das Haus muss – wir haben es oft gehört – leistungsfähiger werden, unter anderem durch mehr Personal, ja. Die Stellen müssen aber auch besetzt werden. Es müssen aber auch die Fähigkeiten geschaffen werden. Die Ausstattungskrise und die bestehenden Managementprobleme im Auswärtigen Amt darf keiner ignorieren. Daran müssen wir weiter arbeiten.
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Tatsache ist, dass der Gesamtetat leicht gestiegen ist; aber die Mittel für den so wichtigen multilateralen Bereich sinken leicht. Deshalb sagen wir der Bundesregierung ganz klar: Multilateralismus muss man leben, nicht nur loben. Wir als FDP haben mit unseren Anträgen gezeigt, wie man den Multilateralismus wirklich stärkt, wie man den UNHCR, also das Flüchtlingshilfswerk, oder das Rote Kreuz oder das Welternährungsprogramm arbeitsfähiger macht.
Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist die übertriebene Mittelbindung, wo die Regierung fast schon selbstverliebt ist. Die Regierung fasst die Mittelbindung, zum Beispiel für Mittel, die sie an den UNHCR gibt, viel zu eng. Das würgt die Arbeitsfähigkeit des UNHCR in vielen Bereichen ab. Wir brauchen hier mehr freie Mittel. Die Bundesregierung hat das 2016 auf dem Humanitären Weltgipfel verstanden und sich verpflichtet, bis 2020, also bis zu diesem Haushalt, 30 Prozent aller Mittel in diesem Bereich ohne Mittelbindung zur Verfügung zu stellen. Fehlanzeige! Das ist nicht erreicht. Das Ziel ist weit verfehlt. Insofern hat die Bundesregierung ihre auf dem Humanitären Weltgipfel gegebene Zusage gebrochen.
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Kolleginnen und Kollegen, weltweit wächst der Druck auf die Menschenrechtsverteidiger. Deshalb wollen wir als FDP mehr in den internationalen Menschenrechtsschutz investieren. Viele Organisationen leisten hier eine fantastische Arbeit, die wir stärker unterstützen wollen. Der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, der Europarat, die autonomen Institutionen der OSZE, sie alle wollen wir stärken. Auch im Auswärtigen Amt selbst wäre es angebracht, den Stab und die Projektarbeit der Menschenrechtsbeauftragten, Kollegin Kofler, zu stärken. Gerade Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden zunehmend Opfer von Überwachung, Einschüchterung und Gewalt. Diesen mutigen Verteidigern der Freiheit wollen wir mit einem gezielten Förderprogramm zur Seite stehen. Da macht die Bundesregierung zu wenig.
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Die Digitalisierung und die technologischen Vereinfachungen sind gerade angesprochen worden. Das wäre ein Gebot der Stunde. Kollege Leutert hat dazu Stellung genommen. Die digitale Infrastruktur an unseren Botschaften und genauso in der Zentrale ist immer noch verheerend. Ja, es ist angegangen worden, aber es dauert zu lange. Wir bräuchten Tempo bei der Visumsvergabe. Wir können nicht weitere zwei, drei Jahre warten, bis wir die zwei Jahre Wartezeit abgebaut haben. Hier machen uns andere EU-Staaten vor, wie es geht. Hier brauchen wir Tempo. Deshalb besteht auch da kein Grund zu Selbstzufriedenheit.
Als Freie Demokraten setzen wir uns dafür ein, 3 Prozent unserer Wirtschaftskraft – es geht um die berühmten drei D, also Diplomacy, Defense, Development; Diplomatie, Verteidigung, Entwicklung – für vernetzte internationale Sicherheit einzusetzen. Deshalb brauchen wir mehr Abstimmung innerhalb der Bundesregierung in diesen Bereichen. Einfach nur mehr Geld und zusätzliche Stellen reichen nicht. Wir müssen stattdessen eines in den Griff bekommen, nämlich dass das Auswärtige Amt einerseits zu wenig und andererseits zu viel Geld hat: zu wenig Geld gemessen an den Aufgaben, aber zu viel Geld, weil es gar nicht alles „verbauen“ kann, weil zum Beispiel Personal fehlt und in vielen Bereichen die Kapazitäten fehlen. Dieses Paradox müssen wir in den Griff bekommen. Denn die internationalen Aufgaben werden deutlich mehr. Dies wird mit diesem Haushalt nur sehr, sehr zaghaft angegangen.
Die Auslagerung zum Beispiel von einigen Aufgaben an ein Bundesamt ist okay und gut. Das unterstützen wir. Das macht das Haus stärker; denn es braucht mehr politisch-strategische Steuerung. Für diese Strukturen müsste mehr da sein. Es fehlt leider an politisch-strategischer Steuerung, gerade auch an der Spitze dieses Hauses. Deshalb lehnen wir diesen Etat ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Über 1 000 Menschen sind in diesem Jahr im Mittelmeer auf ihrer Flucht ertrunken. Es ist das sechste Jahr in Folge, dass über 1 000 Menschen sterben mussten. Wir finden, dass dieses Sterben im Mittelmeer endlich beendet werden muss.
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Das unwürdige Geschacher der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, wer jetzt wie viele dieser Handvoll Menschen in seinem Land aufnimmt, die vor Not, Terror und Krieg fliehen, darf so nicht weitergehen. Dass sie überhaupt gerettet werden, haben wir NGOs zu verdanken und mutigen Menschen wie den Kapitäninnen und Kapitänen Carola Rackete, Klaus Peter Reisch, Pia Klemm, Stefan Schmidt und ihren Crews. Sie sind die wahren Heldinnen und Helden unserer Zeit.
({1})
Aber ist es nicht eigentlich die Aufgabe von Staaten, Seenotrettung zu organisieren?
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Wir beantragen heute erneut in diesem Haushalt die Einrichtung einer staatlichen zivilen Seenotrettung. Deutschland muss hier nicht auf eine Einigung in Brüssel warten, Herr Maas. Wir können einfach vorangehen.
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Ich möchte ein zweites Thema ansprechen, über das ich mich bei Ihnen immer sehr ärgere. Ich kann bei Ihnen sehr häufig keine konsistente klare Linie erkennen, was Ihren Standpunkt betrifft, sondern erlebe immer wieder doppelte Standards. Dazu ein Beispiel: Zwei Länder brechen das Völkerrecht, missachten gegenüber ihren Nachbarn das in der UN-Charta festgelegte Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt. In einem Fall verhängt Deutschland Sanktionen, Dialogformate werden beendet, Waffen werden sowieso nicht geliefert. Im anderen Fall haben Sie, Herr Maas, freundlich darum gebeten, dass die Stationierung der Truppen doch bitte nicht so lange dauern möge, aber man solle im Militärbündnis bleiben. Die laufenden Waffenlieferungen gehen erst einmal weiter; bei den kommenden schaut man dann. Das eine Land ist die Türkei, das andere Land ist Russland. Diese doppelten Standards sind absurd.
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Übrigens, was soll eigentlich „nicht so lange“ heißen? Die Türkei ist vor 23 Monaten in Afrin einmarschiert. Das heißt, seit 23 Monaten befinden sich türkische Soldatinnen und Soldaten auf dem Boden eines fremden Landes. Was heißt hier „nicht so lange“? Wie lange soll man da noch warten?
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Ich bringe ein weiteres Beispiel, das mir am Herzen liegt. Sie haben sich ja mit Joshua Wong getroffen. Sie haben gesagt, Sie wünschten sich einen gesamtgesellschaftlichen Dialog zwischen Hongkong und der chinesischen Zentralregierung. Das alles ist nicht falsch. Aber in einem anderen Fall hier bei uns in Europa höre ich vom Auswärtigen Amt nur dröhnendes Schweigen. Nun möchte ich die Volksrepublik China und Spanien nicht gleichsetzen. Aber Spanien ist ein demokratisches Land. Spanien steht für Demokratie, für Pressefreiheit, für Meinungsfreiheit ein. Es kann doch nicht sein, dass, wie es heute geschehen ist, die Wahl der Präsidentin der Europäischen Kommission stattfindet, ohne dass drei demokratisch gewählte spanische Abgeordnete dabei sein können. Das ist nicht akzeptabel.
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Wir sind keine Separatisten. Wir sind keine Freunde dieser Bewegung. Aber wir möchten, dass Menschen friedlich für ihre Position eintreten können – in Hongkong und auch in Katalonien. Eine glaubwürdige konsistente Außenpolitik würde bedeuten, dass man die Einhaltung des Völkerrechts gegenüber allen gleichermaßen einfordert. Sie würde bedeuten, dass man vernünftige diplomatische Beziehungen und Dialog mit allen Ländern, auch mit schwierigen, unterhält, dass man nirgends Wirtschaftssanktionen, die die einfache Bevölkerung betreffen, verhängt. Eines sollte eigentlich ganz selbstverständlich sein, ist es aber nicht: dass man die Ausbildung und Ausrüstung von Armeen und Sicherheitskräften und die Lieferung von Waffen an Diktaturen und Autokratien nicht durchführt.
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Das tun Sie leider. Sie setzen diese Politik auch mit diesem Haushalt fort. Deshalb werden wir zu diesem Haushalt Nein sagen.
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Das Wort hat Dr. Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir über den deutschen Haushalt reden, reden wir auch über den deutschen Beitrag zum europäischen Haushalt. Vielleicht zur Einordnung: Der gesamte europäische Haushalt ist 2020 doppelt so groß wie der Haushalt von Nordrhein-Westfalen. Zur Einordnung des deutschen Beitrags: Wenn man alles abrechnet, was an Deutschland zurückfließt, also zum Beispiel Landwirtschaftsgelder und Strukturfondsgelder, stellt man fest: Der deutsche Beitrag liegt gemessen am Bruttoinlandsprodukt bei 0,4 Prozent. Das ist schon aufgerundet. Von diesen 0,4 Prozent wird alles finanziert: Erasmus, Forschung, Agrargelder, Strukturfonds. Es ist interessant, dies hinsichtlich der Debatten, die wir später führen werden, einmal ins Verhältnis zu setzen. Beim Verteidigungsetat zum Beispiel gilt das Ziel von 2 Prozent für Verteidigungsausgaben als gesetzt.
({0})
Im Vergleich dazu: 0,4 Prozent für alles, was wir bei der Europäischen Union leisten.
Jetzt gerade finden die Verhandlungen für den neuen mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 statt. Wir haben sehr große Herausforderungen vor uns. Wir wollen, dass 2027 die Schulen freitags wieder voll sind, weil wir die Klimakrise erfolgreich angehen. Wir wollen 5G-Netze, die nicht chinesisch kontrolliert sind. Wir wollen auf keinen Fall Spielball zwischen den Großmächten Russland, China und den USA sein oder werden. Da hat Herr Macron sicherlich nicht die richtige Vokabel benutzt. Aber, Herr Maas, einfach eine Arbeitsgruppe zu gründen, täuscht doch nicht darüber hinweg, dass die NATO in einer existenziellen Krise ist. Das ist der aktuelle Zustand der NATO.
Wir sollten hier ernsthaft darüber debattieren, was es für Europa und was es für den europäischen Haushalt bedeutet, wenn wir diese Herausforderung ernst nehmen. 0,4 Prozent sind nämlich nicht ausreichend, wenn wir europäische Souveränität wirklich gestalten wollen im Rahmen der NATO, wie wir es bisher getan haben.
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Dieses Ziel, diese neuen Aufgaben zu bewältigen, kann man auf unterschiedlichen Wegen erreichen. Man kann bei den aktuellen Ausgaben kürzen; das wäre der erste Weg. Man kann zweitens neue Eigenmittel einführen. Man kann drittens die nationalen Beiträge erhöhen. Zu allen drei Wegen sagen Sie Nein.
Zu den Kürzungen: Ich habe gestern niemanden von der CDU/CSU-Fraktion bei den Treckern gesehen, der gesagt hat, dass wir jetzt die europäischen Agrargelder kürzen. Dies hat übrigens niemand aus diesem Haus gesagt. Das heißt, die Kürzungen werden nicht kommen. Wir würden die Gelder gerne umschichten, damit die Landwirte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft begleitet werden.
Der zweite Weg: neue Eigenmittel. Eine Plastiksteuer wurde von der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Digitalsteuer, Finanztransaktionsteuer – diese Bundesregierung sagt generell: Nein, keine Eigenmittel. – Auch dieser Weg ist verschlossen.
Bei dem dritten Weg – wie erhöhen wir den europäischen Haushalt an sich? – sagt diese Bundesregierung: 1 Prozent vom europäischen Bruttonationaleinkommen. Das bedeutet eine De-facto-Kürzung des europäischen Haushaltes, wenn der Brexit kommt. Alle Experten haben gesagt: Wenn wir den Haushalt nach dem Brexit halten wollen, brauchen wir 1,16 Prozent. Das heißt, diese Bundesregierung geht mit einer Kürzung in die nächsten sieben, zehn Jahre, in denen so viel von uns abhängt. Das nenne ich Zukunftsverweigerung, Herr Maas.
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Ich möchte wirklich an Sie appellieren: Gehen Sie von der Bremse! Nehmen Sie diese Herausforderungen an, vor denen Deutschland und Europa stehen! Das ist doch die Zukunftsaufgabe. Das wird vom gesamten Haus unterstützt. Ich weiß nicht, woran es Ihnen mangelt: Mut, Weitsicht, was auch immer. Gehen Sie von der Bremse. Tun Sie diesem Land einen Gefallen.
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Ich möchte ganz zum Schluss einen Dank an dieses Haus aussprechen: Fraktionsübergreifend haben Sie bei einem wichtigen Thema die falschen Entscheidungen der Minister wieder rückgängig gemacht. Sie haben zum Beispiel die Mittel für das Deutsch-Französische Jugendwerk wieder erhöht. Es war absolut notwendig, diese nicht zu kürzen, wenn Merkel und Macron sagen: Wir wollen das stärken. – Außerdem ging es um die Brücken zwischen Deutschland und Frankreich im Eisenbahnverkehr und darum, Mobilitätsstudien zu ermöglichen. Das kam alles aus diesem Haus. Danke, dass Sie das ermöglicht haben.
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Das Wort hat Dr. Katja Leikert für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir wollen, ist Sicherheit, und was wir ganz sicher nicht brauchen, ist die Angst, die Sie hier rechts gerne verbreiten und die sich heute schon wieder den ganzen Tag wie eine rote Linie durch die Debatten zieht.
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Wenn wir uns die Welt anschauen, dann sehen wir, dass wir Europäerinnen und Europäer, wir Deutschen sicherlich in einer der sichersten und freiesten Zeiten leben. Die Europäerinnen und Europäer haben sich eben sehr klug entschieden bei der letzten Wahl zum Europäischen Parlament. 201 Millionen Europäerinnen und Europäer haben sich für eine stabile Europäische Union ausgesprochen. Sie haben die Mitte gestärkt und sich für Freiheit, Wohlstand und Sicherheit entschieden.
Die Menschen wissen eben ganz genau, worauf es ankommt. Sie wollen echte Lösungen für die großen Herausforderungen, und sie wollen, dass Europa zusammenhält, weil sie ganz genau spüren, dass auf die großen Fragen eben nur eine starke Gemeinschaft antworten kann. Was sie nicht wollen, ist dieser dumpfsinnige Nationalismus, der immer wieder von Ihrer Seite, hier am rechten Rand, kommt.
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Wir brauchen keinen Rückzug in den Nationalstaat, wir brauchen eine ganz ehrliche Analyse: Was kann die Europäische Union gut, und wo muss sie eben besser werden? Die Europäische Union wird ganz klar daran gemessen werden, wie sie mit den großen Fragen umgeht: von Klimaschutz, Digitalisierung, aber ganz besonders auch in dem Bereich Außen- und Sicherheitspolitik.
Es ist ja überhaupt kein Geheimnis, und wir müssen nicht drum herumreden: Wenn es ernst wird, dann ducken wir uns gerne mal weg, dann verlassen wir uns gerne auf andere. Oder, wie der Politikwissenschaftler Robert Kagan einmal gesagt hat: Die USA machen das Essen – Europa macht den Abwasch. Selbst diese Arbeitsteilung scheint mittlerweile ein Stück weit obsolet geworden zu sein.
Wir in der CDU/CSU-Fraktion sind überzeugte Transatlantiker, und wir sind überzeugte Europäer. Gerade deshalb sagen wir: Es ist richtig, dass wir mehr tun müssen, und es ist höchste Zeit, dass wir uns von der Position des Zaungastes verabschieden.
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Graf Lambsdorff, ich schätze Sie sehr, aber was das Thema Ideenlosigkeit angeht, möchte ich Sie gerne vom Gegenteil überzeugen. Gerade Ursula von der Leyen, unsere neue Kommissionspräsidentin, ist hier vorangegangen und hat eine ambitionierte Agenda vorgelegt, gerade für den Bereich Außen- und Sicherheitspolitik.
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– Ja, sehr gut.
Es ist richtig, dass die Entscheidungsprozesse der Europäischen Union modernisiert werden. Diese Entscheidungsprozesse stammen noch aus einer Zeit, als die Europäische Gemeinschaft sechs westeuropäische Staaten umfasst hat. Mittlerweile sind es 28 Staaten. Was wir brauchen, sind mehr qualifizierte Mehrheitsentscheidungen, um die Europäische Union handlungsfähiger werden zu lassen.
Was wir ganz sicherlich auch brauchen, ist eine stärkere europäische Verteidigungsfähigkeit. Wir wollen eine Armee der Europäer aufbauen. Das wird natürlich nicht heute passieren, das wird nicht morgen passieren. Dafür braucht es Zwischenschritte, wie zum Beispiel einen Verbund europäischer Streitkräfte, wo gemeinsam Fähigkeiten geplant, beschafft und betrieben werden.
Was wir auch brauchen, ist natürlich mehr Effizienz bei gemeinsamen Rüstungskooperationsprojekten. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir den Mut haben, hier Souveränität auch ein Stück weit abzugeben, dann werden wir mehr Sicherheit gewinnen.
Und Sicherheit ist natürlich – das wurde mehrfach angesprochen; wir müssen das jetzt endlich umsetzen – mehr als nur gute Ausrüstung. Sicherheit ist auch, dass wir die Bereiche Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und Verteidigung stärker miteinander verzahnen. „Vernetzte Sicherheitspolitik“ ist hier das Stichwort. Wir brauchen eine kluge EU-Afrika-Politik, wir brauchen aber auch kluge Abrüstungsinitiativen und verstärkt Nichtverbreitungsmaßnahmen. Die EU hat beim Beispiel Iran gezeigt, dass wir das leisten können, aber wir müssen hier einfach mehr tun.
Liebe Franziska, du hast eben den mehrjährigen Finanzrahmen angesprochen. Auch hier brauchen wir mehr Reformbereitschaft. Es ist eben nicht so, dass wir nominell weniger Geld zur Verfügung hätten – auch in dem nächsten mehrjährigen Finanzrahmen nicht, selbst wenn die Briten jetzt die Europäische Union verlassen. Wir haben uns zusammen mit unserem Koalitionspartner im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, weiterhin 1 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens an die Europäische Union zu zahlen. Das bedeutet nominell 10 Milliarden Euro mehr pro Jahr, als wir jetzt schon zahlen. Das ist eine ganz klare Zusage.
Selbstverständlich gilt für den europäischen Haushalt das, was auch für den nationalen Haushalt gilt: Wir müssen auch streng sein mit dem europäischen Haushalt, und der europäische Haushalt muss ganz klar einen Mehrwert bringen.
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Wir haben die großen Herausforderungen skizziert, vor denen Europa steht; ich brauche das hier nicht zu wiederholen: Migrationskrise, Neuausrichtung der US-Politik, Klimaschutz usw.
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All das muss sich auch in dem neuen Haushalt widerspiegeln, und die Prioritäten für mehr gemeinsame Forschung, mehr Innovation, mehr Digitalisierung, mehr Klimaschutz und natürlich auch mehr gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik müssen klar justiert werden. Es ist auch klar – und auch diese Debatte müssen wir ehrlich führen –, dass die traditionellen Ausgabenbereiche, wie „Agrar und Kohäsion“, nicht in demselben Maße aufwachsen können.
Sehr geehrte Damen und Herren, es ist ganz klar: Das Projekt Europa wird sich daran messen lassen müssen, wie gut es sich in den großen Fragen bewährt.
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Wir von der CDU/CSU wollen eine starke, handlungsfähige Europäische Union. Ich kann Sie nur einladen, mit uns diesen Weg gemeinsam zu gehen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Christian Petry für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben wieder eine Europäische Kommission, die gewählt ist und arbeiten kann. Das ist zunächst mal ein guter Tag für Europa. Wir haben auch etwas über das Arbeitsprogramm gehört. Da ist vieles drin, was schon in den Bewerbungsreden und in der Präsentation der Kandidaten genannt wurde, und auch das lässt hoffen für Europa und für die neuen Weichenstellungen. Wir sind gespannt, ob denn auch alles eingehalten wird.
Der Start war natürlich ein bisschen schwierig. Wir haben bei der Europawahl motivierte Bürgerinnen und Bürger und eine hohe Wahlbeteiligung gehabt. Es gab das Spitzenkandidatenprinzip, das mit einer sehr fragwürdigen Zeitschiene direkt über Bord geworfen wurde. Es wurde ein Zeitdruck aufgebaut, der nicht da war, und letztlich kam es dazu, dass die Vorschläge so sind, wie sie sind. Gleichwohl: Nun ist die Kommission da, und wir wollen selbstverständlich die Politik der Europäischen Union auch über den Haushalt des Auswärtigen Amtes begleiten.
Die Mehrheitsfindung und die Bewältigung des Brexit sind wichtige Themen. Außerdem geht es um die Frage: Wie erweitern wir uns? In Bezug auf den Balkan ist das immer noch offen. Das ist eine schwierige Situation. Ich glaube, wir haben hier im Deutschen Bundestag einen sehr weisen und sinnvollen Beschluss gefasst. Unsere französischen Partner, Dänemark und die Niederlande haben dies noch nicht mitgemacht.
Wir haben auch die Zusage, dass das soziale Europa weiter in die Herzen der Menschen gebracht wird, zum Beispiel durch die Arbeitslosenrückversicherung und den europäischen Mindestlohn. Aber auch der Green New Deal – es geht um die neuen Aufgaben – ist ein Schwerpunkt. Wir sprechen hier von einem roten Fingerabdruck. Bei den Stellungnahmen im Europäischen Parlament wurde heute gesagt – das hat mir gut gefallen –, der Green New Deal sei so was wie eine Wassermelone; sie ist außen grün, aber innen muss sie ganz viel Rot haben, damit dies auch sozial akzeptiert und umgesetzt werden kann.
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– Herr Lambsdorff, ein bisschen mehr Eigenkritik wäre an dieser Stelle gut gewesen, wenn Sie andere kritisieren. Weil Sie es mit Herrn Macron ein bisschen besser können, haben Sie seine „Hirntod“-Kritik irgendwie so ein bisschen als unangemessen abgetan. Alles andere haben Sie scharf kritisiert. Sie sollten mal nicht so selbstgefällig sein, sondern eher das große Ganze sehen.
({1})
Ich glaube, dass wir noch sehr viel vorhaben, und ich erwarte von der Europäischen Union und unserer Flankierung, dass wir auch in der Handelspolitik die Nachhaltigkeitskriterien beachten und eine europäische Industriepolitik betreiben, die unseren industriellen Bestand sichert und stärkt. Auch das ist wichtig, und Sozialdemokraten werden dies dort entsprechend einbringen.
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Wir haben in diesem Haushalt die Vorbereitung für den mehrjährigen Finanzrahmen getroffen. Frau Leikert, es ist nicht 1 Prozent des Bruttonationaleinkommens, sondern es ist mehr vereinbart. Die Basis der Verhandlungen ist 1 Prozent. Das steht jetzt drin. Wo wir am Ende landen – Franziska Brantner hat es gesagt, obwohl da netto und brutto ein bisschen verwechselt wurde –, ist auch klar:
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Natürlich sind es beim mehrjährigen Finanzrahmen schon mehr. 0,4 Prozent waren es netto, 1 Prozent und 1,06 bzw. 1,08 Prozent sind es brutto.
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Hier werden wir den Außenminister darin bestärken, dass er hier gut verhandelt und wir die Ausfinanzierung der Europäischen Union entsprechend vornehmen.
Ich möchte an dieser Stelle Heiko Maas dafür danken, dass er diese Aufgaben für uns bewältigt. Michael Roth möchte ich selbstverständlich für die vielen Kontakte danken, die wir untereinander im Jahr haben, sodass wir dies alles so gestalten können.
Herr Kollege Petry.
Wir werden ein starkes Europa brauchen: Denn wir sind in Europa eingebettet. Wir brauchen dafür klare Zuständigkeiten. Ich wünsche mir für die nächsten Jahre deutlich mehr Engagement aus dem Kanzleramt in dieser Frage.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Dann passt auch das Vorgehen des Auswärtigen Amtes. In diesem Sinne freue ich mich auf die kommende Zeit. Wir haben Visionen für Europa.
Glück auf!
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Ich bitte, bei den weiteren Verhandlungen alle Danksagungen schon in die Redezeit einzurechnen und sie nicht hintendran zu hängen.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer Zeit von Umbruch, von Umbrüchen, von Auflösung von Ordnung und der Entstehung von neuen Machtpolen und neuen Machtzentren. Die Bürger erwarten, brauchen Orientierung, damit sie Vertrauen darin haben können, dass wir das schaffen.
Orientierung geben wir nicht und können wir nicht geben, wenn wir reagieren, wenn wir hinterherlaufen, sondern wir brauchen eine strategische Sicht. Wir brauchen Gestaltungs- und Handlungswillen. Darin stimmen wir, glaube ich, überein; das ist mehrfach gesagt worden. Ich möchte mich auf ein Thema konzentrieren und dazu einige Anmerkungen machen. Das Thema lautet China.
Dieses Thema ist heute mehrfach angesprochen und auch von der Bundeskanzlerin völlig zu Recht mit ins Zentrum ihrer Rede gestellt worden. Gerade seitdem Xi Jinping die Macht in China übernommen hat, erleben wir eine dramatische Veränderung in diesem Land. Wir haben einen völlig neuen geopolitischen Machtanspruch Chinas. Wir haben eine neue technologisch-wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und zum Teil Überlegenheit gegenüber europäischen Firmen und Ländern. Wir haben eine konsequente Überwachung, teilweise Unterdrückung eigener Bürger, ethnischer und religiöser Minderheiten mit modernsten digitalen Methoden. Und wir haben eine inzwischen nicht mehr begrenzte, weder zeitlich noch durch die Prinzipien der kollektiven Führung, monolithische Führung der Partei und des Staates.
Meine Damen und Herren, das sind so dramatische Veränderungen und Herausforderungen, die nur eine Schlussfolgerung gebieten, nämlich: Wir brauchen eine China-Strategie,
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die wir nicht haben, glaube ich. Am besten wäre eine westliche China-Strategie. Diese ist im Moment noch nicht erkennbar. Aber sicher wäre es gut, eine europäische China-Strategie zu haben. Aber damit die entsteht, brauchen wir eine strategische Meinungsbildung in Deutschland;
({1})
denn in Europa schaut man auf uns und auf die Weichenstellungen, die wir vornehmen.
({2})
Und das gibt es zum Teil ja auch. Es wird immer gesagt: Wir brauchen das. Bei dem Thema 5G zum Beispiel gibt es eine Risikobewertung der Europäischen Kommission. Sie spricht ganz eindeutig von den Gefahren und Verwundbarkeiten für das 5G-Netz, die entstehen, wenn Unternehmen, die unter staatlichem Einfluss stehen, dieses Netz ausbauen.
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Dieser Bewertung hat Deutschland zugestimmt. Es ist eine richtige Position, meine Damen und Herren, dass das so verabschiedet worden ist.
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Ich würde Sie bitten, Herr Kollege Maas: Wenn Sie sich – Deutschland hat ja auf der europäischen Ebene dafürgestimmt – für die Verbreitung der Information unseres Abstimmungsverhaltens im Bereich der Bundesregierung verwenden könnten und wenn auch die Bundesnetzagentur einen Hinweis darauf bekommt, wie sich Deutschland auf europäischer Ebene richtig verhält, dann wäre das, glaube ich, gut.
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Die Herausforderungen aus China für uns bestehen darin, dass China gleichzeitig alles ist: Partner, Wettbewerber und Widersacher. Die Europäische Kommission hat China einen „systemischen Rivalen“ genannt.
Ich fange mit dem ersten Punkt an: Ja, wir wollen China als Partner haben. China ist eine Realität, an der keiner vorbeikommt. Darum wollen wir diese Partnerschaft haben und pflegen. Zum Beispiel im Bereich des Klimaschutzes ist sie unverzichtbar. China hat einen steigenden CO2-Ausstoß. Sein Anteil ist inzwischen bei 27 Prozent der globalen CO2-Emissionen angekommen. Wenn wir den Klimawandel bekämpfen wollen, geht das nicht ohne China, schon gar nicht gegen China. Vielmehr brauchen wir China als Partner an dieser Stelle.
Zweitens: China als Wettbewerber. Noch ist das Verhältnis von Import und Export ausgeglichen. Noch haben wir eine Win-win-Situation. Aber die Entwicklungsrichtung im Verhältnis zu China ist eine andere. China drängt technologisch bzw. in seiner Wettbewerbsfähigkeit immer weiter vor, auch in klassische deutsche Kompetenzgebiete im Bereich der Industrie. Im Bereich der künstlichen Intelligenz ist China weit voraus. Da ist die Frage: Sind wir schon abgehängt oder noch anschlussfähig? Das heißt, hier verändert sich die Entwicklungsrichtung in der Weise, dass China dominant wird und wir an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen.
Darum, glaube ich, ist die Herstellung, die Beibehaltung von wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit auf der Basis von Innovation das Herzstück einer deutschen und europäischen China-Strategie. Wenn uns das nicht gelingt, können wir allen Einsatz für Menschenrechte, Geopolitik und Multilateralismus vergessen, meine Damen und Herren. Es geht um dieses Herzstück, das wir erhalten müssen.
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Darum ist es, glaube ich, geboten, dass wir Abhängigkeiten gegenüber China vermeiden und reduzieren, dass wir unsere Absatzmärkte diversifizieren. In einer solchen Phase, in der sich das Zeitfenster langsam schließt – noch haben wir die Möglichkeit, auf China Einfluss auszuüben, weil Deutschland China braucht, aber China auch Deutschland braucht –, in einer solchen Situation, in der wir technologische Abhängigkeiten reduzieren müssen, in der wir unsere Kompetenzen steigern müssen, wäre es fatal falsch, wenn wir den Ausbau des 5G-Netzes an China outsourcen würden, statt eine europäische industrielle Kompetenz zu entwickeln, meine Damen und Herren.
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Mein letzter Punkt: China als Widersacher. Nur zwei Anmerkungen. Erstens. China hat fundamental andere Werte. China steht zu seinen Werten. Auch wir Europäer sollten zu unseren Werten stehen, meine Damen und Herren. Wir werden nicht stärker, wenn wir unsere Werte kompromittieren.
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Zweitens – ich kann hier nur eine Anmerkung machen, weil mir die Zeit davonläuft –: Multilateralismus. China hat ein relativ selektives Verhältnis zum internationalen Recht.
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Im Südchinesischen Meer passt das internationale Recht dem chinesischen Machtanspruch nicht. Wir sind aber doch alle Multilateralisten. Wir sind doch für die regelbasierte Ordnung. Also müssen wir wenigstens mal in die Lage kommen, rational darüber zu diskutieren: Was heißt es, wenn ein so großes marktmächtiges Land sich so verhält und das internationale Recht verletzt? Dann ist das nicht der „Platz an der Sonne“; dann ist das nicht irgendein imperialistisches Denken, sondern es geht um unseren glaubwürdigen, effektiven Einsatz für einen regelbasierten Multilateralismus – auch gegenüber China, meine Damen und Herren.
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Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten haben Menschenrechte und humanitäre Hilfe global eine solche Herausforderung dargestellt wie heute. Millionen Menschen haben oder wollen ihre Heimat verlassen, um Ausweglosigkeit und Gewalt zu entrinnen.
Für viele ist das freie Europa die Hoffnung. Umso wichtiger bleibt, dass wir die Menschen darin bestärken und aktiv unterstützen, ihren Weg nicht nach Europa, sondern in ihrem eigenen Land zu machen. Das ist ein Gebot der Humanität und auch ein Gebot der Klugheit. Wir setzen der Migration dort was entgegen, wo wir die Ursachen bekämpfen. Das ist kluge Strategie.
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Deutschland packt bei der humanitären Hilfe immer ganz vorne mit an. Fast 1,6 Milliarden Euro im aktuellen Haushalt: Da ist seit 2012 eine Vervielfachung festzustellen. Das betrifft im Übrigen nicht nur die staatliche Hilfe. Das betrifft auch tausendfach privaten Einsatz. So möchte ich hier, sicherlich auch im Namen des ganzen Hauses, den vielen großen und kleinen Initiativen von Herzen danken, die eine der besten deutschen Traditionen am Leben erhalten, nämlich Menschen in Not zu helfen.
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Dabei gilt auch: Wir wollen, dass humanitäre Hilfe Stück für Stück weniger erforderlich wird. Denn es ist ja wahr: Humanitäre Hilfe, so wichtig sie ist, bedeutet oft auch Versagen, nämlich Versagen, rechtzeitig gehandelt zu haben. Sie ist sozusagen das Pflaster auf die Wunde.
Es ist aber nicht die beste Lösung, vor allem Pflaster auf Wunden zu kleben. Erfolg ist, aktiv und früh genug zu verhindern, dass Wunden überhaupt erst entstehen, und genau das verfolgen wir mit unseren Ansätzen von Krisenprävention, von Klimaschutz, von Kooperation bis hin zur Stärkung von Zivilgesellschaft. Das ist der Kern unserer Menschenrechtspolitik. Wir leisten durch Eintreten für die Rechte der Menschen auf der ganzen Welt einen zentralen Beitrag dazu, dass Krieg, Flucht und Migration nicht zum Kennzeichen dieses Jahrhunderts werden. Das ist angesichts von erstmals über 70 Millionen Menschen weltweit, die in diesem Jahr auf der Flucht sind, und von 135 Millionen Menschen, die auf Hilfe zum Überleben angewiesen sind – also zwei Negativrekorde, die wieder gebrochen worden sind –, eine komplexe Herausforderung, der wir uns noch Jahrzehnte stellen müssen. Das ist die Wahrheit, und das müssen wir, das können wir und, liebe Kolleginnen und Kollegen, das werden wir auch tun.
Bei einer Debatte über Menschenrechte kommt man in diesen Tagen ganz sicher nicht an der massiven Unterdrückung der Menschenrechte in China vorbei. Es ist hohe Zeit, dass wir global die kommunistische Führung Chinas unter ihrem Diktator auf Lebenszeit als das Risiko begreifen, das der neue chinesische Totalitarismus global bedeutet. Es ist eine sehr gefährliche Kombination aus totaler digitaler Überwachung und mittelalterlicher Repression. Das Modell China ist das Modell Totalitarismus 2.0. Wenn wir dem nicht entgegentreten, wird sich dieses Krebsgeschwür global weiter ausbreiten. Das zeigt ja auch das Interesse von Staaten wie Russland, wie Saudi-Arabien an diesen Überwachungsapparaten und ‑techniken, die gegen die Uiguren gerade eingesetzt werden. Auch deswegen ist es wichtig, dass wir nicht naiv sind bei der Frage der nationalen Sicherheit, bei der Frage von Huawei und dass wir es eben nicht zu einem Einfallstor für Spionage und Sabotage werden lassen.
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Wie sehr die Chinesen selbst die Freiheit lieben, zeigen nicht nur die Ereignisse von 1989, sondern auch die von 2019. In Hongkong haben die Chinesen gerade bei der freien Wahl den Kommunisten eine klare Absage erteilt. Deutschland und die internationale Gemeinschaft tun gut daran, die Freiheit Hongkongs zu verteidigen, wie auch die Unterdrückung der Uiguren und anderer Hunderter Millionen ethnischer und religiöser Minderheiten wie der Tibeter – ein kultureller Genozid – oder der über 80 Millionen Christen, die in China verfolgt werden, nicht länger still zu dulden.
Wir als Deutscher Bundestag stehen dabei ganz eindeutig nicht auf der Seite einer, so muss man fast sagen, turbokapitalistischen kommunistischen Partei. Wir ergreifen Partei für die Menschenrechte, gegen Unterdrückung und gegen Totalitarismus.
Gerade in diesem Jahr, in dem sich der Fall der Mauer zum 30. Mal jährt, im Übrigen auch zum 70. Mal die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, wird es noch einmal deutlich: Die Menschenrechte zählen zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb werden wir die Menschen und ihre Rechte immer verteidigen, im Kleinen wie im Großen. Menschenrechte sind – das wissen wir aus der eigenen jüngeren Geschichte – unteilbar. Sie haben die Teilung unseres Landes und unseres Kontinentes überwunden. Weil die Menschen in Leipzig und anderswo ihre Rechte eingefordert haben, wurde die Friedliche Revolution ein historischer Erfolg. Das dient immer dem Frieden, im Inneren, zwischen den Nationen, unter den Völkern. Dafür setzen wir uns auch weiterhin ein: für ein friedliches und menschenwürdiges Leben, und das überall.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Eine seriöse Planung des Verteidigungshaushaltes ist nur möglich, wenn man weiß, was die Bundeswehr können muss. Der Auftrag der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung. Aber wie sieht die Verteidigung unseres Vaterlandes heute aus? Die Bundesregierung weiß das nicht. Im Kalten Krieg war die Sache klar: 1 400 Kilometer innerdeutsche Grenze mussten verteidigt werden. Wenn man weiß, was auf der Feindseite steht, und weiß, was die eigenen Truppen können, lässt sich der Bedarf an Personal und Material verlässlich kalkulieren. Daraus ergibt sich dann ein seriöser Verteidigungshaushalt.
Heute ist die militärpolitische Planung komplizierter. Deutschland ist kein potenzieller Frontstaat mehr. Ort, Dauer und Art einer notwendigen Verteidigung sind wesentlich schwerer zu berechnen. Das entbindet die Bundesregierung aber nicht von der Pflicht, eine solche Planung trotzdem vorzunehmen. Nur dann kann der Bundestag tatsächlich beurteilen, was die Bundeswehr mit 45 Milliarden Euro macht.
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Tatsache ist: Die Bundesregierung hat solche Planungen nicht. In den schwammig formulierten drei Heften aus dem BMVg – Weißbuch, KdB, „Fähigkeitsprofil“ – sind diese existenziell wichtigen Ausplanungen für die Verteidigung Deutschlands nicht enthalten. So bleibt die Feststellung: Der Verteidigungshaushalt der Bundesregierung basiert zu einem erheblichen Teil auf Gefühlen: auf dem Gefühl, die Bundeswehr brauche von allem mehr, und dem Gefühl, von der eigenen 2-Prozent-Zusage an die NATO getrieben zu werden. Gefühle aber sind die denkbar schlechteste Planungsgrundlage für Streitkräfte.
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Was muss die Bundeswehr also tun? Als wichtigste Aufgabe muss sie einen Plan zur Verteidigung Deutschlands und zum deutschen Beitrag zur Bündnisverteidigung erarbeiten: Wo müssen wir verteidigen? Wie lange müssen wir durchhalten? Welche Kräfte braucht die Bundeswehr dazu? Klar ist, Verteidigung ist heute nicht mehr „all in“, also überall, mit allem, was wir haben, auf unbegrenzte Zeit; das ist nicht möglich und auch nicht nötig.
Das heißt aber: Verteidigung heute findet in Schwerpunkten statt. Diese Schwerpunkte liegen dann auch nicht an der deutschen Grenze, sondern möglicherweise 500 Kilometer weiter ostwärts. Was braucht die Bundeswehr also, um einer solchen Aufgabe gewachsen zu sein? Schwere Transporthubschrauber? Hochmobile Einsatzkräfte? Erst wenn man einen solchen Bedarf ermittelt hat, ist seriöse Finanzplanung möglich. Deutschland ist im Falle eines Angriffs auf das Bündnisgebiet heute rückwärtiger Raum. Geschossen wird woanders. Doch auch der rückwärtige Raum braucht eine solide finanzpolitische Planung. Wie viele Eisenbahnstrecken braucht Deutschland in einem solchen Falle, wie viele Munitionsdepots? Wo werden die verbündeten Truppen untergebracht? Welche Kräfte braucht die Bundeswehr, um Infrastruktur und die Truppenbewegungen zur Front zu schützen? Alles nicht bekannt. Woher also weiß dann die Bundesregierung, dass die 45 Milliarden Euro sinnvoll ausgegeben werden?
Aus diesem Grund sitzt der Bundesregierung auch ihre gemachte Zusage von 2 Prozent gegenüber der NATO im Nacken. Es stimmt schon: Die nationalen Verteidigungsausgaben an der Höhe eines schwankenden Bruttoinlandsprodukts festzumachen, ist nicht klug. Trotzdem hat die Regierung Merkel das unterschrieben.
Besser ist, Verantwortung für das eigene Land zu übernehmen.
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Verantwortung heißt, die Kosten für die äußere Sicherheit Deutschlands nicht auf andere abzuwälzen. Das hat unser Land in eine zu große Abhängigkeit gebracht. Verantwortung heißt, die Bundeswehr so auszurüsten, dass sie zur Landes- und Bündnisverteidigung befähigt ist. Verantwortung heißt, die NATO im Sinne deutscher Sicherheit zu gestalten.
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Die Bundesregierung muss ihre Spinnerei mit einer EU-Armee aufgeben und sich angemessen im Bündnis einbringen.
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Dann kann die NATO zu einem Verteidigungsbündnis werden, in dem die Europäer – die Europäer! – für ihren Kontinent selbst die Verantwortung übernehmen, mit starker deutscher Führung.
Verantwortung heißt nicht: mehr Auslandseinsätze rund um den Globus mit unklarem Ziel und ungewissem Ausgang.
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Meine Damen und Herren, an der Sicherheitspolitik der Bundesregierung hat sich nichts verbessert: substanzlose Syrien-Vorschläge, strategielose Auslandseinsätze, Beschaffungsmisere und das Abschieben echter politischer Führung auf immer neue Arbeitsgruppen. Deprimierende Routine seit über 14 Jahren, und das für fast 45 Milliarden Euro!
Danke fürs Zuhören, nicht für Ihre strategielose Sicherheitspolitik.
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Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die wichtigste Botschaft dieser Debatte möchte ich gleich am Anfang loswerden: Der Verteidigungshaushalt wächst zum sechsten Mal in Folge.
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Wir durchbrechen die Schallmauer von 45 Milliarden Euro. Wir werden im nächsten Jahr eine NATO-Quote von 1,42 Prozent erreichen.
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Meine Damen und Herren, da es hier in Deutschland und im Hohen Haus Fragen und Diskussionen zur Verlässlichkeit der deutschen Regierung in Bezug auf die Einhaltung der Zusagen gibt, bitte ich, folgende Zahlen zu beachten: Wir waren 2015, als wir die Zusagen gegenüber der NATO gemacht haben, bei 1,18 Prozent. 2018 haben wir die Ausgaben auf 1,2 Prozent gesteigert. Wir sind jetzt bei 1,42 Prozent, und wir werden unsere Zusage, 2024 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, locker einhalten.
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Das ist die Botschaft, die heute auch an unsere internationalen Partner gerichtet ist. Unsere internationalen Partner sind natürlich ob der Diskussionen in Deutschland immer wieder nervös. Ich sage immer: Keep calm and trust Germany!
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Der Bundestag hat in den vergangenen Jahren immer noch etwas draufgelegt für die Bundeswehr und für unsere Soldatinnen und Soldaten. So werden wir es auch dieses Jahr machen.
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Frau Bundesministerin, es ist Ihr erster Haushalt, und Sie haben es in wenigen Monaten geschafft, in diesem bereits guten Haushalt einen eigenen Akzent zu setzen. Durch Ihren großen persönlichen Einsatz in den letzten Wochen ist es gelungen, dass wir noch einmal 134 Millionen Euro obendrauf haben legen können, und zwar für Munition und Übungen.
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Frau Ministerin, vielen Dank. Ich glaube, mit diesem Haushalt können Sie ruhigen Gewissens zum NATO-Gipfel nach London fahren.
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Er ist ein Zeichen dafür, dass Deutschland seine Verpflichtungen gegenüber seinen Partnerländern erfüllt.
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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Geld haben ist das eine, Geld sinnvoll investieren ist das andere. Ich bin der Ministerin dankbar, dass sie als eine der ersten Maßnahmen die Neuorganisation der Beschaffung in die Hand genommen und schon nach wenigen Wochen die ersten Entscheidungen dazu getroffen hat; denn wir laufen hier in ein echtes Problem. Auf der einen Seite haben wir eine hohe Qualität bei der Beschaffung erreicht. Wir haben umfangreiche Vorschriften, wir beteiligen den Bundesrechnungshof, wir gewinnen regelmäßig vor Gerichten, wenn Rügen ausgesprochen werden, es werden Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen durchgeführt. Die Beschaffung in Deutschland läuft gut und richtig ab. Auf der anderen Seite wächst die Bundeswehr und wächst der Bedarf der Bundeswehr deutlich schneller als die Beschaffungsorganisation. Das führt dazu, dass der Stapel der unerledigten Vorgänge bei den Bearbeitern immer größer wird.
Jetzt wollen wir nicht an die Qualität der Beschaffung, an die Qualität der Entscheidungen, aber wir müssen darangehen, den Vergabeprozess effizienter zu machen. Da gibt es noch Potenzial, und es lohnt sich, auch einmal einen Blick über den Tellerrand in die anderen europäischen Länder zu werfen. Ich saß gemeinsam mit Professor Eßig von der Universität der Bundeswehr München im Expertenrat zur Neuorganisation der Beschaffung. Er hat jetzt eine interessante Studie veröffentlicht, in der er sich die Rüstungsbeschaffungen in Europa einmal angesehen hat. Es gibt eine Datenbank, in der alle öffentlichen europaweiten Ausschreibungen abgebildet sind. Wenn man den Bereich Sicherheit und Verteidigung nimmt, stellt man fest, dass fast 25 Prozent der Vergaben aus Deutschland kommen. Nummer zwei ist Polen – die haben schon halb so viel wie wir –, und Großbritannien und Frankreich sind bei der Anzahl weit abgeschlagen. Wenn man sich dann aber anschaut, wie hoch die Vergabesumme im Durchschnitt ist, stellt man fest, dass es in Deutschland etwa 2,8 Millionen Euro, in Großbritannien gut 18 Millionen Euro und in Frankreich 75,8 Millionen Euro pro Vergabe sind. Das heißt, um die gleiche Summe zu erreichen, die Frankreich in einem Rutsch vergibt, brauchen wir in Deutschland 27 Einzelvergaben.
Meine Damen und Herren, jetzt kann man das positiv sehen, weil wir damit den europaweiten Wettbewerb fördern. Aber wenn man sich anschaut, dass wir im Schnitt pro Ausschreibung weniger als zwei Angebote bekommen, bedeutet das, dass es hier großes Potenzial gibt, Beschaffungen zu bündeln und auch den Prozess weiter zu verschlanken und größere Lose auszuschreiben. Die Ministerin hat viele Maßnahmen angekündigt und bereits ihre Umsetzung angewiesen, und ich hoffe, dass das dazu führen wird, dass wir insgesamt einen besseren und schlankeren Beschaffungsprozess haben werden; denn sonst werden wir die Bedarfe der Bundeswehr in Zukunft nicht decken können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zum Haushalt sagen.
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Wir haben nämlich nicht nur das Thema „Beschaffung und Material“ in den Mittelpunkt gestellt, sondern auch die Soldatinnen und Soldaten. Unser Ziel mit diesem Haushalt war, ganz gezielt die Soldatinnen und Soldaten zu stärken. Ich will ganz kurz vier Bereiche anschneiden, damit Sie sehen, in welche Richtung wir gedacht haben und was wir umgesetzt haben.
Da sind zum Ersten die Stellenverbesserungen. Wir haben im Haushalt zahlreiche Stellenverbesserungen vorgenommen, indem insgesamt über 4 000 neue Beförderungsstellen geschaffen werden. Das heißt, im kommenden Jahr müssen 4 000 Soldaten weniger lange warten und können schneller befördert werden, wenn sie die Eignung und Leistung bereits erreicht haben. Es sind genügend Stellen dafür vorhanden.
Das Zweite ist: Wir stärken die Verantwortung vor Ort, indem wir den Kommandeuren ein Handgeld in Höhe von 25 000 Euro in die Hand geben. Dadurch wird Verantwortung nach unten verlagert. Sie haben schneller die Möglichkeit, auch unbürokratisch etwas zu beschaffen. Sie müssen sich im Nachhinein dafür rechtfertigen, es aber nicht im Vorhinein beantragen.
Das dritte Beispiel. Wir investieren massiv in die persönliche Ausrüstung. Alleine den Titel für Bekleidung heben wir um 155 Millionen Euro an. Das wird bei jedem Soldaten im nächsten Jahr spürbar ankommen.
Das vierte Beispiel. Wir setzen das kostenlose Bahnfahren für Soldaten in Uniform um.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Vor weniger als einem Jahr haben wir als CSU-Landesgruppe das auf unserer Klausurtagung in Kloster Seeon beschlossen. Ich bin der Ministerin unendlich dankbar, dass sie dieses wichtige Thema aufgegriffen und umgesetzt hat. Das ist ein deutliches Zeichen der Wertschätzung für unsere Soldatinnen und Soldaten. Sie werden in der Öffentlichkeit sichtbarer; da gehören sie auch hin.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zu dem Haushalt. Es ist ein guter Haushalt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege Karsten Klein.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zum Beginn erst einmal Ihnen, Frau Ministerin, und natürlich auch dem gesamten Ministerium für die gute Zusammenarbeit während der Haushaltsberatungen und der Beantwortung der vielen Fragen danken. Lieber Reinhard Brandl, auch dir als Hauptberichterstatter natürlich recht herzlichen Dank und auch an alle Mitberichterstatter einen herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit.
Ich will aber die Gelegenheit auch nutzen, liebe Kolleginnen und Kollegen, um mich bei den Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst, den sie für dieses Land jeden Tag erbringen, zu bedanken. Sie schützen unseren Frieden und unsere Freiheit. Das ist allen Lobes wert.
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Zu dieser Wertschätzung gehört aber auch, dass wir es der Bundeswehr ermöglichen, an Jobbörsen zum Beispiel an Hochschulen teilzunehmen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle an betroffene Mitglieder und nachgeordnete Parteiorgane von hier vertretenen Fraktionen appellieren, da vielleicht einmal das Gespräch mit Jugendorganisationen zu führen; denn es ist wichtig, dass unsere Truppe hochqualifiziertes Personal anwerben kann. Und dann ist es schlecht, wenn bestimmte Hochschulgruppierungen das permanent verhindern.
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Die Ausrüstungssituation der Truppe, liebe Kolleginnen und Kollegen, und die Herausforderungen der internationalen Sicherheit – ich will das am Anfang hier noch einmal klipp und klar benennen – machen für uns Freie Demokraten einen kontinuierlichen Mittelaufwuchs bei der Bundeswehr absolut nötig. Das stellen wir hier in keiner Weise infrage. Aber, Frau Ministerin, wie ist die aktuelle Situation? Der Kollege Brandl ist darauf kurz eingegangen. Natürlich könnte man bei einem ersten Blick auf die Vergangenheit und die Aufwüchse im Verteidigungsetat zu dem Schluss kommen, dass das schon hervorragende zusätzliche Mittel sind. Aber bei genauerem Hinschauen stellt man fest, dass diese Steigerungen leider immer erst auf den letzten Metern erzielt worden sind.
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Ein kontinuierlicher Aufwuchs und damit eine Planung von großen Rüstungsprojekten wird durch Ihr Verhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, verhindert. Das gilt es, Frau Ministerin, endlich abzustellen.
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Ich bin da bei Weitem nicht so optimistisch wie der Kollege Dr. Brandl; denn der Blick in die Zukunft, in Ihren mittelfristigen Finanzplan, zeigt doch, dass es genau so weitergeht. Die Mittel stagnieren nicht nur, sondern sie gehen sogar absolut zurück. Das trifft übrigens noch viel extremer auf die NATO-Quote zu.
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Damit verhindern Sie, dass große, wichtige Investitionsprojekte wie zum Beispiel der schwere Transporthubschrauber endlich eingeführt werden können und damit die Truppe versorgt wird.
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Noch extremer wird es natürlich in so einem Etat wie bei Ihnen, Frau Ministerin, wo wir über eine Personalquote von 43 Prozent sprechen; denn das zeigt, dass auch bei stagnierenden Mitteln immer weniger für Beschaffung zur Verfügung steht als in den aktuellen Jahren. Deshalb muss endlich die Trendwende bei der langfristigen Mittelausstattung Ihres Etats erreicht werden.
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Ich will auch an dieser Stelle noch darauf hinweisen: Ich glaube nicht, dass Sie, wenn Sie jetzt zum NATO-Gipfel fahren, so viel Schulterklopfen bekommen, wie das hier angekündigt worden ist; denn die Partnerinnen und Partner sehen, dass wir auf das 1,5-Prozent-Ziel, das Sie für 2024 angekündigt haben, in keiner Weise zuarbeiten. Viele Investitionen und Gelder in diesem Haushalt, viele Projekte sind nicht mit Mitteln in der mittelfristigen Finanzplanung hinterlegt, sind also Nullbuchungen in diesem Haushalt. Das muss man auch den Soldatinnen und Soldaten klar sagen.
Uns ist aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Mittel alleine kein Selbstzweck sind. Es bringt ja nichts, den Trichter immer größer zu machen, aber den Trichterdurchfluss genauso klein zu lassen. Deshalb besteht die Frage der Effizienz des Beschaffungssystems. Auch die Effektivität, nämlich das, was am Ende bei der Truppe ankommt und wie viel die Truppe zur Verfügung hat, ist nach wie vor verbesserungswürdig.
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Da lohnt auch ein Blick in den aktuellen Bericht zur Einsatzbereitschaft der Waffensysteme. Das ist eigentlich als Geheim eingestuft; aber wir konnten das ja diese Woche alle in der Presse nachlesen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, die jetzt veröffentlicht worden sind, dann stellt man fest, dass sich an dieser Einsatzbereitschaft überhaupt nichts getan hat in den letzten Jahren. Das ist genau das, glaube ich, was die Soldatinnen und die Soldaten umtreibt: dass wir hier zwar über große Summen reden, die immer wieder in den Haushalt eingestellt werden, aber am Ende bei den Soldatinnen und Soldaten viel zu wenig ankommt.
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Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eines hinweisen, Frau Ministerin: Meine Fraktion hat große Bedenken, dass aufgrund dieser Diskussion – auch über schon bestehende Systeme und deren Fortführung – der Blick verstellt wird für die entscheidenden Fragen für die Zukunft, nämlich bei der Digitalisierung der Truppe und bei den möglichen Cyberangriffen auf unser Land. Wir sind in diesem Bereich noch viel zu wenig nach vorne gegangen. Wir brauchen da noch viel mehr Investitionen, viel mehr Engagement der Bundesregierung. Wir drohen hier wirklich den Anschluss zu verlieren, um mit den Partnerinnen und Partnern auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Deshalb möchte ich Sie nachdrücklich bitten, da endlich Gas zu geben.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Nicht der schönste Panzer entscheidet in Zukunft die Gefechte, sondern die richtigen Kommunikationssysteme.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Klein. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Dennis Rohde, SPD-Fraktion.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist das sechste Mal, dass wir in dieser Legislaturperiode über den Einzelplan 14 hier im Plenum diskutieren. Das eine oder andere, was hier an Argumenten ausgetauscht wird, ist und war ja vorhersehbar. Die einen sprechen davon, dass wir die Bundeswehr vernünftig ausrüsten. Die anderen verkehren das und sprechen darüber, wir würden aufrüsten. Dann gibt es die anderen, die sagen, wir müssten mehr Geld ausgeben, wir müssten Quoten erfüllen, und wieder andere sagen: Eigentlich muss das Geld in ganz anderen Bereichen verausgabt werden.
Ich finde aber, es muss uns in dieser Debatte im Kern immer um etwas anderes gehen: Es geht zentral um unsere Verantwortung als Parlament gegenüber unserer Parlamentsarmee. Wir entscheiden über die Einsätze der Soldatinnen und Soldaten, und wir haben als Umkehrschluss sicherzustellen, dass sie die von uns übertragenen Aufgaben auch in Gänze wahrnehmen können. Das ist unsere Verantwortung, das kommt für uns auch in diesem Einzelplan zum Ausdruck.
({0})
Wenn ich über die Verantwortung eines Parlaments gegenüber seiner Parlamentsarmee spreche, dann, finde ich, gehört auch noch etwas anderes dazu, nämlich dass wir es gemeinsam als Parlament nicht zulassen, dass Debatten über Einsätze der Bundeswehr innenpolitisch motiviert, initiiert oder geführt werden. Dieser Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten muss auch von diesem Parlament ausgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Einsätze der Bundeswehr müssen immer außen- und sicherheitspolitisch begründet werden, sie müssen immer die Werte und die Festschreibung unseres Grundgesetzes berücksichtigen, und sie dürfen niemals zur Selbstverständlichkeit verkommen.
Wir als Sozialdemokraten haben bereits in der letzten Debatte hier deutlich gemacht, dass für uns die sicherheits- und einsatzrelevante Infrastruktur der Bundeswehr in staatliche Hand gehört. Ich finde, man muss umso mehr zu dem Ergebnis kommen, wenn man sich die veränderte globale Lage ansieht. Man muss umso mehr zu dem Ergebnis kommen, wenn man sich das Weißbuch der Bundesregierung ansieht. Man muss umso mehr auch zu diesem Ergebnis kommen, wenn man sich die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses ansieht. Deshalb begrüßen wir als Sozialdemokraten ganz ausdrücklich die gemeinsame Entscheidung in der Koalition, die gemeinsame Entscheidung mit CDU/CSU und mit dem Verteidigungsministerium, die Heeresinstandsetzungswerke nicht zu verkaufen. Das ist die richtige Entscheidung. Sie ist konsequent, und, ich glaube, sie ist auch nachhaltig.
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Dieser grundsätzliche Gedanke – dass die sicherheitsrelevante Infrastruktur in staatliche Hand gehört – gilt perspektivisch auch beim Gefechtsübungszentrum. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat beschlossen, den Auftrag letztmalig extern zu vergeben, und das Verteidigungsministerium aufgefordert, die Voraussetzungen zu schaffen, es zukünftig im Eigenbetrieb zu machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Staat vor privat statt privat vor Staat.
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Das muss das Credo einer verantwortungsbewussten Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert sein.
Liebe Kollegen, es gibt sicherlich Bereiche, wo dieser Grundsatz aufgrund externer Einflüsse nicht allzu leicht darstellbar ist. Dazu gehört sicherlich der hartumkämpfte Arbeitsmarkt im IT-Bereich.
Ich möchte für die Sozialdemokraten hier noch einmal deutlich machen: Uns ist bewusst, die Digitalisierung macht auch vor der Bundeswehr nicht halt. Cybersicherheit wird zunehmend wichtiger; das erleben wir tagtäglich, auch in unseren Debatten, zum Beispiel heute Morgen, als es um das 5G-Netz ging. Deshalb gibt es gute Gründe, eine Cyberagentur einzurichten, eine Agentur, die Schlüsseltechnologien in der Cybersicherheit für die Bundesrepublik nutzbar machen wird.
In den letzten Wochen wurde oft kritisiert, dass die SPD die Gründung dieser Cyberagentur im Raum Halle-Leipzig ausgebremst hat. Ich möchte daher etwas intensiver auf diesen Punkt eingehen; denn ich finde, am Beispiel dieser Agentur kann man etwas Grundsätzliches deutlich machen. Es geht dabei auch um das Selbstverständnis dieses Parlaments. Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dass wir uns Zeit genommen haben, war notwendig und richtig. Eine Frage kommt doch auch immer wieder auf uns als Parlamentarier zu, nämlich: Was habt ihr eigentlich aus dem Untersuchungsausschuss gelernt, und was verändert ihr eigentlich in eurer Politik?
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Zur Wahrheit gehört: Im Bundesministerium der Verteidigung wurden Strukturen verändert, es wurden Arbeitsabläufe verändert. Frau Ministerin, auch wenn wir das Ausmaß der Auswirkungen noch nicht kennen, begrüßen wir das sehr. Aber zur Wahrheit gehört eben auch: Der Bundestag hat ja nicht nur ein Auskunftsrecht gegenüber der Regierung. Wir als Deutscher Bundestag haben zuvorderst einen verfassungsrechtlichen Auftrag, nämlich die Kontrolle der Regierung, die Kontrolle der Ministerien und auch die Kontrolle der ihnen nachgeordneten Bereiche, wie zum Beispiel der GmbHs.
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Wir als Deutscher Bundestag müssen uns eine Frage stellen: Konnten wir diesem Auftrag in der Vergangenheit eigentlich gerecht werden? Ich finde, man kann nur zu einer Antwort kommen: Wir sind diesem Auftrag nicht gerecht geworden. Ich will ein Beispiel nennen. Wenn es in verschiedenen GmbHs im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums erhebliche Verwerfungen zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsführung gibt, wenn es Streit um wesentliche Zielrichtungen der Firmen und damit auch Streit um einen Teil der Ausrichtung der Regierung gibt und der Deutsche Bundestag das Ganze erst mitbekommt, wenn am Ende die Scherben zusammengefegt werden, dann funktioniert das System nicht.
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Wenn das bestehende System nicht funktioniert, dann ist es unsere Verantwortung, Konsequenzen zu ziehen und das nicht funktionierende System zu verändern.
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Genau das tun wir mit der Cyberagentur. Wir schlagen ein neues Kapitel parlamentarischer Kontrolle mit dieser GmbH auf. Ab sofort sitzen Parlamentarier im Aufsichtsrat; wir bekommen also mit, wenn es Streit gibt, und wir bekommen auch mit, wenn es Verwerfungen gibt. Nun bin ich kein Freund davon, parlamentarische Kontrolle nach außen zu verlagern. Ich finde, parlamentarische Kontrolle gehört ins Parlament, und am Ende des Tages werden auch nicht alle Fraktionen im Aufsichtsrat vertreten sein können. Daher ist es umso wichtiger, dass wir mit der Cyberagentur ein engmaschiges Berichtswesen für das Parlament festschreiben.
({8})
Daher ist es umso wichtiger, dass wir vollständige Transparenz bei Anfragen aus dem parlamentarischen Raum vertraglich festgehalten haben.
({9})
Daher ist es umso wichtiger, dass sich der Deutsche Bundestag die Zustimmungspflicht bei wesentlichen Veränderungen dieser GmbH gesichert hat. Es darf keine Ausgründung, es darf keine Erweiterung ohne unsere Zustimmung geben.
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Es ist auch wichtig, festzuhalten, dass diese im hochsicherheitsrelevanten Bereich des Innenministeriums und Verteidigungsministeriums veranlagte GmbH nicht für Dritte, nicht für die Privatwirtschaft tätig werden kann. Damit senken wir die Gefahr, dass es einen Wissenstransfer weg vom Staat gibt.
All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat das parlamentarische Verfahren gebracht. Ich finde, das ist wirklich ein neues Kapitel parlamentarischer Kontrolle, das wir hier festschreiben.
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Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Abschließend: Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, als ein selbstbewusstes Parlament eine Verantwortung gegenüber der Exekutive. An uns gehen die Missstände nicht vorbei. Wir verändern Strukturen dort, wo es notwendig ist. Ich finde, wir können sagen: Wir als Parlament haben auch aus den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses gelernt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Rohde. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Michael Leutert.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, seit mehreren Jahren führen wir eine ziemlich absurde Debatte bei uns im Land, nämlich die Debatte um das 2-Prozent-Ziel, also 2 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt für Verteidigung auszugeben. Die Debatte ist deshalb absurd, weil wir nicht fragen: Wie ist die Problemlage? Welche Aufgaben leiten sich daraus ab, und wie viele Mittel bräuchten wir dafür? Vielmehr wird zuerst festgestellt: So viel soll ausgegeben werden, und dann überlegen wir uns, was wir damit machen wollen. – Diese Debatte dauert an. Sie beginnen eine neue Debatte, die genauso absurd ist, mit dem gleichen Konstruktionsfehler, indem Sie sagen, wir bräuchten mehr Auslandseinsätze. Die brauchen wir nicht, liebe Ministerin.
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Ich dachte immer, wir freuen uns hier, wenn Auslandseinsätze beendet werden.
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Ich dachte immer, wir freuen uns, wenn Konflikte nicht mit Waffen gelöst werden, wenn wir friedliche Lösungen finden. Aber offensichtlich habe ich mich geirrt. Ich sage Ihnen: Solche Debatten sind verantwortungslos, mindestens den Soldatinnen und Soldaten gegenüber.
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Wegen dieser Auslandseinsätze – der Kollege Brandl hat es angesprochen – wird in letzter Zeit wieder verstärkt darüber gesprochen, dass man den Soldatinnen und Soldaten mehr Dank und Anerkennung entgegenbringen sollte.
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Sie nehmen daher für ein Mittel Geld in die Hand, nämlich dass die Soldatinnen und Soldaten ab nächstem Jahr kostenlos Bahn fahren können,
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allerdings nur in Uniform.
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Ich frage mich, wieso das?
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Hat ein Soldat, der in Zivil fährt, den Dank und die Anerkennung nicht mehr verdient?
Die Auflösung ist eigentlich ganz einfach – Kollege Brandl hat es auch kurz anklingen lassen –: Im Kern geht es bei dieser Maßnahme überhaupt nicht um Dank und Anerkennung.
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Im Kern geht es darum, die Bundeswehr stärker in der Öffentlichkeit zu verankern.
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Ich sage Ihnen: Damit instrumentalisieren Sie die Soldatinnen und Soldaten für einen politischen Zweck, den sie vielleicht überhaupt nicht mittragen wollen. Das ist das Problem.
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Wenn es Ihnen um das Erscheinungsbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit ernst ist, dann kümmern Sie sich einmal um die folgenden zwei Dinge. Es wird jedes Jahr viel Geld für eine Werbungagentur zur Anwerbung von Nachwuchs ausgegeben. Diese Agentur ist dieses Jahr mit einem Plakat aufgefallen, auf dem stand: Bundeswehr „Gas, Wasser, Schießen“. Dieser Spruch in Verbindung mit deutschem Militär ist so etwas von geschichtsvergessen und historisch verantwortungslos, dass man da eigentlich Konsequenzen ziehen müsste.
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Die Konsequenzen – ich habe nachgefragt – sind aber gleich null. Man denkt, es gibt dabei einen gewissen Lerneffekt. Aber der Lerneffekt hat nicht eingesetzt. Heute haben wir die Meldung gelesen, dass auf dem offiziellen Instagram-Account der Bundeswehr eine Wehrmachtsuniform mit Hakenkreuz gepostet wurde mit dem Spruch:
Auch Mode ist ein Aspekt. Bis heute halten sich militärische Stilelemente in der Haute Couture.
Was soll damit eigentlich gesagt werden?
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Was ist das für eine Aussage? Mit solchen Fehltritten werden alle Soldatinnen und Soldaten in Mithaftung genommen, und dann sollen sie in der Öffentlichkeit auch noch mit Stolz die Uniform tragen. Das passt nicht zusammen.
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Kümmern Sie sich um diese Probleme. Es muss Konsequenzen für die Werbeagentur geben. Sie müssen Konsequenzen aus diesem Instagram-Skandal ziehen. Nehmen Sie rechtsextreme Tendenzen und Vorfälle ernst und gehen Sie dagegen in der Truppe vor. Helfen Sie auch den Soldatinnen und Soldaten, die davon betroffen sind, und setzen Sie sich mit dafür ein, dass es beim Wehrbeauftragten eine Melde- und Präventionsstelle gegen Rechtsextremismus gibt.
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So können Sie das Image der Bundeswehr in der Öffentlichkeit aufpolieren, aber nicht, indem hier Debatten über mehr Auslandseinsätze angezettelt werden.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Leutert. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Dr. Tobias Lindner.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brandl, ich war ganz beeindruckt, zu sehen, mit welcher Begeisterung Sie in der Lage sind, hier an diesem Pult Ausgabenhöhen und Prozentzahlen vorzutragen und wie glücklich Sie das macht. Wir diskutieren nicht nur das sechste Jahr in Folge über einen steigenden Wehretat, sondern wir reden auch das sechste Jahr in Folge darüber, wo es bei der Bundeswehr, trotz allem, was sie in den Auslandseinsätzen leistet, vor allem wenn wir auf Liegenschaften, Material und die Einsatzbereitschaft schauen, Baustellen gibt. Meine Fraktion kommt zu dem Ergebnis: Am Geld kann es offensichtlich nicht gelegen haben. Geld ist in Hülle und Fülle vorhanden. Es liegt an den Prozessen; deswegen nützt mehr Geld an dieser Stelle auch nichts, Herr Kollege.
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Frau Ministerin, wenn ich mir das Beschaffungskapitel Ihres Haushalts anschaue, dann frage ich mich: Ja, ist denn schon Weihnachten? – Das Ganze erinnert eher an einen Wunschzettel als an eine wirklich durchdachte, strategische Planung, welche Systeme die Bundeswehr tatsächlich braucht und welche Priorität haben. Sie wollen allein 3,4 Milliarden Euro für eine Euro-Drohne ausgeben, 8 bis 9 Milliarden Euro für ein Luftverteidigungssystem. Hinzu kommen die Nachfolge des Tornados und andere Dinge wie der schwere Transporthubschrauber. Das jetzt eingesetzte Modell ist älter als ich. Das wird wieder um ein Jahr geschoben. Was aus dem Mehrzweckkampfschiff wird, weiß im Moment kein Mensch.
Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass das alles mittelfristig nicht nur nicht finanziert ist. Die meisten Vorhaben sind vielmehr durch das Bundesministerium der Finanzen qualifiziert gesperrt worden. Wenn man nachfragt, warum das so ist, lautet die Antwort: Ja, weil diese ganzen Vorhaben noch nicht haushaltsreif sind.
Am Ende des Tages, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird es zu Folgendem führen: Beschafft wird für die Truppe nicht das werden, was am dringendsten ist, was am wichtigsten ist und was wir jetzt brauchen; beschafft wird werden, was entweder der Beschaffungsapparat oder die Rüstungsindustrie liefern kann. Das ist ein Zufallsmechanismus. Das hat nichts mit einer durchdachten militärischen Planung zu tun, und das ist ein Vorgehen, das meine Fraktion nicht unterstützen wird.
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Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. Uns hat heute am späten Vormittag ein Schreiben Ihres Staatssekretärs Dr. Tauber erreicht, in dem er uns informiert, dass die Marine den Anfangsflugbetrieb mit dem neuen Marinehubschrauber – ich betone: mit dem neuen Marinehubschrauber – NH90 Sea Lion vorerst nicht aufnehmen wird. Wir haben von der Firma Airbus bisher ein Exemplar mit großem Medientamtam erhalten.
Jetzt hat man bei der Überprüfung herausgefunden, dass deutlich mehr als 150 Positionen der interaktiven elektronischen technischen Dokumentation fehlerhaft sind. Die Rede ist von „erheblichen Fehlern, die einen sicheren Flugbetrieb des Hubschraubers aktuell nicht verantworten lassen“.
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– Kollege Gädechens, ich mache Ihnen nicht den Vorwurf, dass Sie irgendwie an dem Hubschrauber herumgeschraubt haben.
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Darum geht es mir nicht. Ich glaube, da muss man das Kind beim Namen nennen. Das war keine Qualitätsarbeit der Firma Airbus Helicopters – um das ganz deutlich zu sagen.
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Es zeigt aber eben nun mal, dass der Glaube „Wir kaufen ein paar neue Systeme und stellen sie auf den Hof, dann wird alles bei der Bundeswehr besser“ doch ein Irrglaube ist.
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Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt, zur materiellen Einsatzbereitschaft. Frau Kramp-Karrenbauer, wir als Mitglieder des Verteidigungsausschusses warten in diesen Tagen sehr gespannt, wann uns der nächste Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft erreichen wird. Bei „Spiegel Online“ konnten wir lesen, dass von 93 Tornados nur 20 flugbereit sind, von 53 Tiger-Kampfhubschraubern 12 flugfähig sind und von 284 Schützenpanzern Puma 67 einsatzbereit sind. Das ist aus zweierlei Sicht, ehrlich gesagt, skandalös, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der erste Punkt ist: Die Trendwende Material, also das Vorhaben von Frau von der Leyen, die alles besser machen sollte, wurde im Jahr 2016 verkündet. Seitdem ist der Wehretat um 10 Milliarden Euro gestiegen. Wenn wir hier auf die nackten Zahlen gucken und sehen, dass sich nichts signifikant verbessert hat, dann wird doch klar, dass mehr Geld an dieser Stelle nicht die Lösung ist.
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Der zweite Punkt, Frau Ministerin, ist: Seit Neuestem sind diese Zahlen ja alle geheim. Wenn diese nicht bei „Spiegel Online“ gestanden hätten, dann könnten wir hier, in diesem Parlament, noch nicht einmal eine ernstgemeinte Debatte über den Zustand unserer Bundeswehr führen. Ich bin sehr gespannt, ob Ihr nächster Bericht auch wieder der Geheimhaltung unterliegt oder ob Sie eine solche Debatte ermöglichen.
Wir haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur Chaos bei der Prioritätensetzung. Wir haben nicht nur Chaos bei der materiellen Einsatzbereitschaft. Nein, wir haben auch Chaos in dieser Bundesregierung in Bezug auf den sicherheits- und außenpolitischen Kompass. Wenn SMS-Diplomatie in dieser Bundesregierung an der Tagesordnung ist, dann wird auch ein Nationaler Sicherheitsrat diese Probleme nicht lösen können.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Lindner. – Nächste Rednerin ist für die Bundesregierung die Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Soldatinnen und Soldaten! Ich freue mich, dass ich heute den ersten Haushalt, der letztendlich auch unter meiner Verantwortung die Endabstimmung passieren wird, hier noch einmal verteidigen darf. Und das gilt im wahrsten Sinne des Wortes; denn ich habe die eine oder andere Äußerung von dem einen oder anderen Kollegen aus der Opposition gehört und muss mich schon etwas wundern.
Ich habe unsere Beratungen in den zahlreichen Sitzungen des Verteidigungsausschusses und des Haushaltsausschusses eigentlich so wahrgenommen, dass viele der Fragen, die Sie gestellt haben, offen und sehr selbstkritisch miteinander besprochen worden sind. Insofern habe ich das Gefühl, dass der eine oder andere hier einem Ritual folgt und ein gewisses Zerrbild der Bundeswehr zeichnet, das der Realität so nicht entspricht.
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Die Bundeswehr – und das zeigt auch die Präsenz der Soldatinnen und Soldaten heute – ist eine Armee aus Staatsbürgern in Uniform, die in der Mitte der Gesellschaft steht und aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Da gehört sie auch hin.
Deswegen: Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass zu dem Post auf Instagram, der eben angesprochen worden ist, ganz deutlich sagen: Dieser Post ist nicht akzeptabel. Er ist deswegen auch völlig zu Recht zurückgezogen worden. Die entsprechende Stelle hat um Entschuldigung für diesen Post gebeten, und dieser Entschuldigung schließe auch ich mich ausdrücklich an; denn dieser Post passt nicht zu dem, was in unserem Traditionserlass zugrunde gelegt ist, dass nämlich die Wehrmacht grundsätzlich als Institution für die Bundeswehr in keiner Weise sinn- und traditionsstiftend ist. Daran gibt es keinen Zweifel.
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Wir haben das entsprechende Gespräch geführt. Es sind dort persönliche Fehler passiert. Aber eine herzliche Bitte habe ich: Wir haben mit den betroffenen Mitarbeitern der Stelle gesprochen. Bisher gibt es keinen Anhaltspunkt für irgendein politisches Motiv.
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Ich möchte herzlich darum bitten, hier nicht mit solchen Anschuldigungen gegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus diesen Bereichen aufzutreten, bevor Sie nicht entsprechende Beweise haben.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundeswehr und die Soldatinnen und Soldaten tragen zu Recht den Wahlspruch: „Wir. Dienen. Deutschland.“ – Und das tun sie. Dieser Dienst ist ein gefährlicher Dienst. Es ist ein Dienst, der nicht nur im Innern, nicht nur in Deutschland und im Bundesgebiet der NATO stattfindet; es ist auch ein Dienst, der im Ausland stattfindet.
Frau Bundesministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke?
Gerne.
Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie, Frau Ministerin, haben gerade gesagt, es gebe keinerlei Veranlassung, ein politisches Motiv hinter dem Post zu vermuten. Welches Motiv könnte es denn sonst sein?
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Oder anders gefragt: Sind Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so ungebildet, so naiv, dass ihnen so etwas unterlaufen kann?
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Zuerst einmal, sehr geehrte Frau Abgeordnete, habe ich eben gesagt: Wir haben mit den Betreffenden sofort die Gespräche aufgenommen. Und bisher gibt es keinen Anlass dafür, ein politisches Motiv anzunehmen. Es gibt keine Hinweise darauf. Wenn es diese Hinweise gibt, dann nehmen wir das sehr ernst; aber bis es sie gibt, würde ich bitten, davon Abstand zu nehmen, Beschuldigungen einfach in den Raum zu stellen.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Dienst der Soldatinnen und Soldaten ist kein einfacher Dienst. Er ist gefährlich. Daran erinnern uns in diesen Tagen insbesondere die 13 französischen Soldatinnen und Soldaten, die bei dem schweren Hubschrauberunfall in Mali ums Leben gekommen sind.
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Auch an sie möchte ich heute erinnern. Ich glaube, es ist auch ein Zeichen deutsch-französischer Solidarität, dass wir das an dieser Stelle tun.
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Das macht aber auch deutlich, dass wir Sicherheitspolitik hier diskutieren müssen. Wenn von deutschen Interessen gesprochen wird, müssen wir uns vor Augen führen: Wir müssen in diesem Haus die Debatte darüber führen, wo deutsche Interessen, wo unsere Sicherheitsinteressen, etwa im Kampf gegen und beim Schutz vor islamistischem Terrorismus und anderem, auch gewährleistet werden. Sie werden im Moment in Afghanistan gewährleistet. Sie werden im Moment in der Sahelzone und in anderen Gebieten gewährleistet.
Niemand in diesem Haus – ich als Verteidigungsministerin am allerwenigsten – will einfach wahllos Soldatinnen und Soldaten irgendwohin in gefährliche Einsätze schicken. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir in der Welt Verantwortung tragen und eines der Länder sind, das wie kaum ein anderes auf freie Schifffahrt angewiesen ist, weil wir mit die meisten Container auf den Weltmeeren transportieren, dann ist es gut, hier in diesem Haus von freier Schifffahrt und der Freiheit der Seewege zu reden. Der Glaube, dass immer irgendwelche anderen Nationen ihren Kopf hinhalten und ihre Soldaten schicken, damit diese Freiheit gewährleistet ist, fehlt mir. Darauf müssen wir uns einstellen. Das ist die Debatte, die geführt werden muss,
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Sie muss in einem Bündnis geführt werden, und dieses Bündnis – das sage ich hier ganz deutlich – ist und bleibt die NATO. Die NATO ist der Eckstein unserer Sicherheitsarchitektur, und in der NATO ist das insbesondere die Zusammenarbeit und die Freundschaft mit den Amerikanern. Ich habe heute mit dem General gesprochen, der bis zum Sommer für ein Jahr die Verantwortung für unsere Truppen in Afghanistan getragen hat. Wenn Sie sich mit diesem Mann unterhalten, wenn er Ihnen erzählt, wie oft er es amerikanischen Soldaten zu verdanken hat, dass sie unsere Soldaten in gefährlichen Situationen geschützt haben, kann man nur sagen: Gott sei Dank gibt es die transatlantische Freundschaft, und wir müssen alles daransetzen, dass sie auch erhalten bleibt.
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Deswegen: Ja, mehr europäische Verteidigungszusammenarbeit, aber nicht um die NATO zu ersetzen, auch nicht, um sie in den Strukturen zu doppeln, sondern um den europäischen Pfeiler in der NATO zu verstärken. Denn auch hier kann es sein, dass wir in Situationen kommen, wo jemand sagt: Das ist vor allen Dinge Sache der Europäerinnen und Europäer. – Wir spüren heute, dass wir, wenn das jeder für sich alleine tut, nicht sehr weit kommen. Deswegen wollen wir das in diesem Sinne auch in der Arbeitsgruppe, die wir in der Bundesregierung insgesamt angeregt haben, mit den Freundinnen und Freunden in der NATO besprechen, um ein gutes Miteinander von europäischer Verteidigungsinitiative und von NATO-Anstrengungen zu finden. Dazu brauchen wir aber eine Bundeswehr, die entsprechend ausgestattet ist.
Es stimmt nicht, dass es keinen Plan gibt, wie diese Ausstattung aussehen soll. Wir haben uns verpflichtet, bis 2031 10 Prozent aller Fähigkeiten, die in der Bündnis- und Landesverteidigung gebraucht werden und die in der NATO, im Weißbuch der Bundesregierung, im Fähigkeitsprofil festgelegt sind, zur Verfügung zu stellen. Wir haben die Planungen, und wir wissen: Wir brauchen bis 2031, bis wir das entsprechend erreicht haben. Das ist die Grundlage, auf der wir arbeiten. Das ist die Grundlage, auf der wir mehr Geld brauchen, nicht nur in 2020, sondern auch in der mittelfristigen Finanzplanung. Dafür treten wir gemeinsam ein. Das sind wir der Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten schuldig, das sind wir aber auch der Solidarität im Bündnis der NATO und mit den europäischen Partnern schuldig.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich müssen dazu die Abläufe besser werden. Wir wissen doch – es ist kein Geheimnis; es ist transparent, seit vielen Jahren –, dass die Prozesse zu langsam sind, dass die Einsatzbereitschaft nicht hoch genug ist und dass Geld alleine nichts nützt. Diese Debatte ist doch hier schon tausendmal geführt worden. Deswegen braucht man es nicht zu skandalisieren und so zu tun, als ob es etwas Neues wäre. Das, worum wir uns kümmern müssen – das ist die Aufgabe; insbesondere fürs nächste Jahr –, ist, dass wir die Ausstattung verbessern, dass wir die Einsatzfähigkeit verbessern, dass wir die Prozesse besser steuern. Das ist die Aufgabe, die das Ministerium sich vorgenommen hat. Auch da freue ich mich auf die kritische und konstruktive Begleitung, insbesondere der Kolleginnen und Kollegen im zuständigen Ausschuss.
Ich will mit Blick auf das Beispiel, das der Kollege Lindner genannt hat, nur eines sagen: Wir haben die Hubschrauber jetzt ausgeliefert bekommen. Diese Hubschrauber sind an sich auch flugfähig; das will ich an dieser Stelle deutlich sagen.
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– Sie sind technisch flugfähig. – Aber wenn wir dazu die Handbücher bekommen mit den Prozessen, die in der Art und Weise, wie sie aufgesetzt sind, nicht gewährleisten, dass man ordentlich warten kann, dann gebieten es die Fürsorge und der Schutz für die Pilotinnen und Piloten, dass,
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solange das nicht geregelt ist, keiner dieser Hubschrauber in die Luft geht. Deswegen ist diese Entscheidung, die wir an dieser Stelle getroffen haben, richtig.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken, bedanken dafür, dass es möglich war, in den Beratungen zu diesem Haushalt nicht nur die Ansätze zu erhalten, sondern vor allen Dingen auch noch etwas beim Thema Munition und beim Thema Übungen draufzulegen. Ich hoffe auf die gleiche positive Begleitung, wenn es im nächsten Jahr darum geht, die mittelfristige Finanzplanung entsprechend aufzustellen und damit deutlich zu machen: Die Soldatinnen und Soldaten haben unsere Unterstützung, unseren Dank verdient, beim Bahnfahren, bei den Gelöbnissen, aber insbesondere dann, wenn wir hier das Geld organisieren, das wir für deren Schutz und deren Ausstattung brauchen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Die AfD-Fraktion hat für den Kollegen Lucassen eine Kurzintervention beantragt. Herr Lucassen, Sie haben das Wort.
Frau Ministerin, zum Thema Wehrmachtsuniform. Wenn Sie insinuieren, Ihr Haus oder Soldaten Ihres Verantwortungsbereiches hätten einen Fehler gemacht, als sie diese Wehrmachtsuniform veröffentlicht haben, dann sagen Sie bitte auch ganz deutlich, dass die Wehrmacht keine Naziarmee war
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und dass viele Soldaten – dazu gehörten auch Graf von Stauffenberg oder Helmut Schmidt – zu dieser Zeit lieber eine andere Kleidung getragen hätten. Millionen von Soldaten hätten lieber eine andere Kleidung getragen, mein Vater auch. Sagen Sie es so deutlich.
Frau Ministerin, Sie können, müssen aber nicht antworten.
Ich antworte gerne darauf. – Wir haben im Traditionserlass der Bundeswehr sehr deutlich gemacht, dass die Wehrmacht als Ganzes, als Institution, nicht die Grundlage ist, um eine gute Tradition für die Bundeswehr zu gewährleisten. Wir haben ausdrücklich gesagt: Diejenigen, die im Widerstand waren, sind davon entsprechend ausgenommen. – Dieser Traditionserlass ist lange und heftig diskutiert worden, aber er ist ausdiskutiert. Er ist eine gute Grundlage für den heutigen Umgang innerhalb der Bundeswehr.
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Das, was mit diesem Post passiert ist, vor allen Dingen in der Kombination des Bildes mit dem Text, ist nicht akzeptabel, und es dient dazu und ist geeignet dazu, das Ansehen der Bundeswehr in unserer Gesellschaft und in der Öffentlichkeit zu schädigen. Deswegen ist es richtig, dass das sehr kritisch mit der entsprechenden Stelle besprochen wird.
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Wir haben eine weitere Kurzintervention. Der Kollege Neu, Fraktion Die Linke, hat das Wort.
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– Frau Kollegin Strack-Zimmermann, es ist das gute Recht von Parlamentariern, zu fragen oder eine Kurzintervention zu beantragen, auch wenn Ihnen das nicht gefällt. Da ich das zugelassen habe, können Sie davon ausgehen, dass ich sehr sorgfältig darauf achte, dass die Usancen eingehalten werden, freundlicherweise auch von Ihnen.
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Frau Ministerin, wir sind es ja gewohnt, dass solche Vorfälle immer als Einzelfälle betrachtet werden. Dahinter stecken keine Systematik und auch keine ideologische Orientierung, sondern immer bedauerliche Einzelfälle. Man hat nachgefragt, und das Ganze hat sich als unideologisch herausgestellt, wie auch gerade wieder von Ihnen ausgeführt. Ich habe hier ein Bild von einem Soldaten im Bus in Bonn.
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Da ging es jetzt nicht um Rechtsradikalismus, aber dennoch um eine Aussage, die ich sehr bedenklich finde. Auf seinem Bundeswehrrucksack trägt er folgenden Spruch – das wurde von einer Bürgerin fotografiert und mir zugeschickt –: „Krieg ist scheiße. Aber der Sound ist geil!“
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Das ist auch eine Verherrlichung des Militärs oder des Krieges. Wir verhalten Sie sich dazu? Das ist ein offizieller Bundeswehrrucksack, von einem Soldaten in der Öffentlichkeit getragen. Gibt es da keine Maßnahmen?
Herr Kollege Neu, ich darf darauf hinweisen, dass die Kurzintervention sich auf den Gegenstand der Beratung beziehen sollte.
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Dass Sie ein Bild auf Ihrem Handy haben, von wem auch immer das gekommen sein mag, ist schon deshalb problematisch, weil niemand von uns verifizieren kann, ob es sich dabei vielleicht nicht um Fake News handelt, was ja gelegentlich vorkommen soll. Deshalb habe ich große Probleme damit, dass die Ministerin darauf überhaupt antworten kann. Erstens kennt sie das Bild gar nicht, zweitens haben Sie eine Behauptung in den Raum gestellt, die sie erst einmal verifizieren müsste.
Frau Ministerin, Sie können natürlich darauf antworten, aber es ist aus meiner Sicht momentan nicht angemessen, bei der Beratung des Bundeshaushaltes der Verteidigung diese Frage aufzuwerfen.
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Die Frau Ministerin will darauf, wie ich finde, zu Recht, nicht antworten.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Martin Hohmann, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verteidigungshaushalt für das Jahr 2020 erfährt eine Steigerung auf rund 45 Milliarden Euro. Das ist sehr zu begrüßen. Ebenso positiv ist die Aufnahme des schweren Transporthubschraubers, wenn auch über Verpflichtungsermächtigungen. Die Ankündigung der Ministerin, die Heeresinstandsetzung bei den HIL-Werken und diese in Staatshand zu belassen, kommt sowohl bei den dortigen Mitarbeitern als auch im Urteil der Fachleute gut an. Dass Sie, Frau Ministerin, mit Ihrem politischen Gewicht das 2-Prozent-Versprechen gegenüber der NATO unterstützen, hebt sich wohltuend von Äußerungen Ihrer Vorgängerin ab. Diese hatte bei der Truppe allgemein ein Haltungsproblem ausgemacht, wohingegen Sie gegenüber der Mitarbeiterschaft des Ministeriums einen Generalverdacht ausgeschlossen haben. Das große öffentliche Gelöbnis am 12. November vor dem Reichstag entsprach Ihrer Absicht, Frau Ministerin, die Bundeswehr in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. Auf ähnlicher Ebene liegt Ihr entschlossenes Handeln, Soldaten in Uniform ähnlich wie Polizisten – natürlich in Uniform; diese Frage kam vorhin hier auf – kostenfreies Bahnfahren zu ermöglichen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich mich hier über unsere Ministerin in für AfD-Verhältnisse relativ lobender Weise äußere, so ändert das doch nichts an grundlegenden Unterschieden.
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Einer davon betrifft Auslandseinsätze. Die meisten Auslandseinsätze unserer Soldaten sind nicht im deutschen Interesse
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und dienen nicht dazu, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen – daher unser klares Nein.
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Es gibt noch einen weiteren Unterschied zu Grundsätzen der heutigen Bundeswehr. Er liegt in der Frage: Woher kommen soldatische Tugenden? Ich spreche von Tugenden aus dreihundert Jahren deutscher Militärgeschichte mit markanten Ereignissen wie den Befreiungskriegen und markanten Persönlichkeiten wie Scharnhorst und Gneisenau. Unlängst wurde bei einem Internetauftritt der Bundeswehr die schon hier zitierte Wehrmachtsuniform gezeigt. Es erhob sich ein politisch unterstützter Shitstorm. Ich stelle drei Fragen: Hatten die damals lebenden Männer denn eine andere Wahl, als Soldat zu werden? Übertreiben wir nicht die Fixierung auf die Jahre 1933 bis 1945?
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Wird an den Soldaten, die damals gekämpft haben
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– mein mehrfach verwundeter und hochbetagt gestorbener Vater gehörte zu ihnen; ich nenne hier auch die ehemaligen Offiziere Richard von Weizsäcker, Helmut Schmidt, Heinrich Graf von Einsiedel
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und Dr. Alfred Dregger –, nicht so etwas wie ein Geschichtsexorzismus vollzogen?
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Diese Diskussion besteht seit Beginn der Bundesrepublik. Es war Bundeskanzler Dr. Adenauer, der am 3. Dezember 1952 vor dem Deutschen Bundestag, damals in Bonn, sagte – wörtliches Zitat aus dem Bundestagsprotokoll –:
Ich möchte heute vor diesem Hohen Hause im Namen der Bundesregierung erklären, daß wir alle Waffenträger unseres Volkes …
– Erster und Zweiter Weltkrieg muss damit gemeint sein –
die im Namen der hohen soldatischen Überlieferung ehrenhaft zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft gekämpft haben, anerkennen.
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(Beifall bei den Regierungsparteien.)
– CDU/CSU, FDP –
Wir sind überzeugt,
– so Adenauer weiter –
daß der gute Ruf und die große Leistung des deutschen Soldaten trotz aller Schmähungen während der vergangenen Jahre in unserem Volke noch lebendig sind und auch bleiben werden.
(Beifall bei den Regierungsparteien …)
Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf Lambsdorff?
Ich will jetzt abschließen; vielen Dank, Herr Präsident.
Es muß unsere gemeinsame Aufgabe sein
– so Adenauer weiter –
– und ich bin sicher, wir werden sie lösen –, die sittlichen Werte des deutschen Soldatentums mit der Demokratie zu verschmelzen.
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Wer wollte den Worten dieses unmittelbaren Zeitzeugen, dieses großen deutschen Staatsmannes und christlich geprägten Patrioten widersprechen?
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– Da irren Sie sich.
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Herr Kollege, herzlichen Dank.
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Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Siemtje Möller, SPD-Fraktion.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mittendrin sollte es sein, inmitten der Republik, also in Berlin, mittendrin im politischen Herzen, also vor dem Reichstag, und mittendrin auch in der Bevölkerung, um wieder mittendrin auch im politischen Diskurs der Gesellschaft zu sein, rundum: Wo steht eigentlich die Bundeswehr, und welche Verortung soll sie haben in der Gesellschaft?
Ich war genauso wie viele andere – auch im Moment anwesende Kolleginnen und Kollegen – dabei vor dem Reichstag, als die Rekrutinnen und Rekruten, umfangen vom Parlamentarismus, ihr feierliches Gelöbnis abgelegt haben. Ich finde, das war eine gute und sinnvolle Idee. Dass auf diese Weise – im Rücken das Parlament, von Angesicht zu Angesicht mit dem Bundestagspräsidenten und auch mit vielen Abgeordneten – dieses Gelöbnis abgelegt wurde und damit der Begriff „Parlamentsarmee“, der ja hier häufig benutzt und häufig verwendet wird, vor dem Reichstag mit Leben erfüllt wurde, das war eine gute und sinnvolle Idee.
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Ich möchte aber auch der Vollständigkeit halber sagen: Das Gelöbnis war nicht vollständig gut umgesetzt. Denn die Verortung im gesellschaftlichen Diskurs und eine physische Teilhabe von großen Teilen der Bevölkerung war nicht gegeben.
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Dementsprechend muss man hier sagen: Es war eine gute, sinnvolle Idee, und sie wurde aus meiner Sicht auch in einem würdigen Rahmen umgesetzt, in der Umsetzung ist aber noch Luft nach oben.
So ähnlich verhält es sich mit dem Haushaltsvollzug. Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist Sicherheit viel wert, soziale Sicherheit beispielsweise, die wir mit der Grundrente stärken wollen. Uns ist auch die innere Sicherheit viel wert: mehr Stellen für Polizei oder auch bei der Integration. Uns ist die äußere Sicherheit auch viel wert; das zeigen wir dadurch, dass wir bei den Steigerungen des Etats des Bundesverteidigungsministeriums mitgehen. Das ist uns viel wert, weil uns die Rolle Deutschlands innerhalb der NATO, innerhalb der EU und innerhalb der Welt bewusst und lieb und teuer ist.
Uns ist ebenso bewusst, dass wir große Investitionsvorhaben gestalten müssen, dass wir sie umsetzen müssen, schultern müssen und dass dieser Investitionsstau natürlich auch nur mit einem gewissen Finanzrahmen bewältigt werden kann.
In diesem Zusammenhang wird immer wieder von den Steigerungen gesprochen, die dazu dienen, die Etatziele der NATO zu erreichen. Ich finde, dass, wenn wir alleinig über die Annäherung reden, sich diese Zahl quasi im luftleeren Raum befindet. Denn es geht nicht darum, dass wir die 2 Prozent erreichen, um die 2 Prozent zu erreichen, sondern wir müssen darüber reden, welche strategischen Ziele wir in dieser sich verändernden Welt als Bundesrepublik Deutschland haben und welche Fähigkeiten wir anlegen und wie wir sie erreichen wollen.
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Ich finde, die Debatte ist insgesamt recht oberflächlich. Es wurde heute schon gesagt, dass sich diese NATO-Quote auf das Bruttoinlandsprodukt bezieht. Wenn man zynisch wäre, müsste man begrüßen, wenn wir ein negatives Wirtschaftswachstum bekommen; denn dann hätten wir die 2 Prozent sofort erreicht. Ich will das nicht. Wir könnten auch verlangen, dass beispielsweise alle Leistungen für Feuerwehren einberechnet werden. Das wird bei uns im Moment nicht gemacht, in Frankreich beispielsweise aber schon. Dann lägen wir deutlich jenseits der 2 Prozent. Das ist also eine Debatte, die sich im luftleeren Raum bewegt. Wir dürfen nicht nur, sagen wir, l’art pour l’art machen, sondern müssen wirklich darüber reden: Welche Fähigkeiten, was wollen wir wann erreichen? Das ist die eine Sache.
Die andere Sache ist: Ich finde, es wird dem Etat und auch dem Vorgehen innerhalb des Verteidigungsausschusses und dem Ministerium nicht gerecht, wenn wir nicht darüber sprechen, was wir schon erreicht haben: Wir haben über zehn Jahre eine deutliche Etatsteigerung erreicht und können deswegen auch große Vorhaben angehen.
Ich finde gleichzeitig, dass wir, wenn wir uns auf die 2 Prozent fokussieren, nicht vergessen dürfen, darüber zu sprechen, wie wir das Geld sachgerecht und zielführend ausgeben, beispielsweise im Bereich Infrastruktur: Der Flughafen Wittmundhafen des Taktischen Luftwaffengeschwaders 71 „Richthofen“ beispielsweise – NATO-Hochwertfähigkeit – muss dringend saniert werden. Es muss auch gewährleistet werden: Wie bekommen wir das Geld möglichst schnell dort vor Ort verbaut, und wie ermöglichen wir es der Bundeswehr, ihre Aufgaben dort vor Ort ordentlich zu leisten?
Ein anderes Beispiel ist die Unterbringung. Es gibt Unterkünfte, die gebaut werden müssen, bei denen es ewig dauert, bis das umgesetzt wird. Es gibt auch Unterkünfte, die müssten instandgesetzt werden, sodass überall eine warme Dusche möglich ist. Das ist nicht überall so. Ich finde, das ist eine Sache, die wir auch besprechen müssen: wie wir dieses Geld sachgerecht und zielführend ausgeben.
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Wie machen wir es im Bereich Beschaffung? Wir haben aus dem Untersuchungsausschuss gelernt, müssen sagen: Wir können uns nicht nur teuer beraten lassen, sondern wir müssen insgesamt die Beschaffungsorganisation umstellen. Ich freue mich, dass das auch heute hier so gesagt wurde. Wir müssen auch im Bereich Instandsetzung darüber sprechen: Wie können wir zielführender und sachgerechter dorthin kommen, dass die Instandsetzung schneller wird und die Einsatzbereitschaft verbessert wird? Vor Ort treffe ich häufig frustrierte Soldatinnen und Soldaten. Ich weiß, viele Kolleginnen und Kollegen hier sprechen mit den Soldatinnen und Soldaten. Ich treffe auf viel Frust. Beispielsweise fehlt ein Zelt, um einen Ausbildungsteil umsetzen zu können, realisieren zu können, ein Zelt, das seit zehn Jahren angefordert wird. Diese Soldatinnen und Soldaten sagen vor Ort, sie seien nicht nur frustriert, sondern zum Teil auch resigniert, weil sich nichts verändert, weil es so lange dauert, weil sie die Probleme seit vielen Jahren immer wieder bei den zuständigen Stellen anbringen und dementsprechend manchmal die Lust und die Motivation verlieren. Ich möchte diesen Soldatinnen und Soldaten, auch allen Zivilbeschäftigten zurufen: Nur weil man sich so daran gewöhnt hat, ist es nicht normal, und es ist auch nicht egal.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden das weiterhin nicht hinnehmen. Wir werden im Untersuchungsausschuss, in den Verhandlungen und in den Beratungen weiterhin alles daransetzen, dass das, was wir als Parlament zur Verfügung stellen, schneller, sachgerechter und in Eigenregie als Staat auf dem Hof, in den Häfen, in den Unterkünften und bei Mann und Frau ankommt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, seit Sie im Amt sind, hagelt es Grundsatzreden. Sie fordern, dass Deutschland mehr internationale Verantwortung übernehmen muss. Sie wollen den hehren Worten der letzten Jahre Taten folgen lassen, unmissverständlich durch mehr militärisches Engagement. Damit provozieren Sie eine gesamtgesellschaftliche Debatte, die nicht nur Freudentränen auslösen wird, sondern auch harte Reaktionen.
Wir Freie Demokraten greifen gern in diese Debatte ein; denn sie ist nicht nur überfällig, sondern sie wird auch zu Recht von unseren europäischen Freunden erwartet. Der polnische Außenminister hat gestern erklärt, er habe keine Angst vor einer starken Bundeswehr. Er hat erklärt, er habe Angst vor einer schwachen Bundeswehr. Europa versteht, dass wir Diskussionen über Einsätze in Europa führen. Aber Europa hat die Nase voll von einer Politik, bei der wir in diesem Land nur mit Reflexen reagieren.
Sie, Frau Ministerin, werden sich nicht nur an Ihren kühnen Ankündigungen messen lassen müssen. Das fängt schon damit an, dass man Vorschläge aus Frankreich nicht einfach unbeantwortet lässt. Der Vorschlag der Franzosen, sowohl den Einsatz in Mali in einen robusteren Einsatz zu verändern, als auch in der Straße von Hormus eine europäische Mission auf den Weg zu bringen, zeigt: Es gibt in Paris schon ganz konkrete Vorstellungen. Und was sagt die Bundesregierung? Kein Kommentar.
Frau Ministerin – ich gehe davon aus, dass Sie mir zuhören, während Sie auf Ihr Handy gucken –, Sie erinnern bei dem 2-Prozent-Ziel immer wieder an den Konsens 2014. Aber die Schlussfolgerungen daraus haben Sie offensichtlich vergessen. Es gibt nämlich nicht nur das internationale Krisenmanagement. Im Weißbuch steht zu Recht, dass wir die Landes- und Bündnisverteidigung wieder im Fokus haben müssen. Und da kommt – nichts.
Meine Damen und Herren, wer sein Haus nicht sichert, braucht nicht über die Inneneinrichtung zu diskutieren. Ich würde mir wünschen, wenn wir über die Sicherheit von Deutschland und Europa sprechen, dass hier das ganze Kabinett säße; denn das ist elementar für das, was wir auch im sozialen Bereich in Deutschland in Zukunft tun und tun werden.
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Wenn Sie, Frau Ministerin, über weitere Missionen laut nachdenken, dann erklären Sie uns bitte, wie das praktisch aussehen soll.
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Der Grundbetrieb in der Bundeswehr ist bereits jetzt am Limit. Wollen Sie ihn wie eine Zitrone auspressen? Sie wissen, solange die Personaldecke nicht wächst und die Materialfrage nicht gelöst wird, können Sie nicht eine einzige neue Aufgabe angehen. Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu verbessern, ist aber Ihre Pflicht als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt. Wenn Sie A wie „Aktion“ sagen, dann müssen Sie auch B wie „Beschaffung“ sagen. Das hat Frau Merkel heute Morgen nicht gemacht. Sie ist beim A hängen geblieben; beim B war die Luft schon raus.
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Meine Damen und Herren, der Verteidigungshaushalt wächst im Kern. Ja, das ist gut. Die schlechte Nachricht ist – –
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– Ja, Sie müssen es ertragen, lieber Kollege. Das ist nicht lustig, was wir hier besprechen.
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Es gibt mehr Geld, aber es kommt nicht bei den Soldatinnen und Soldaten an. Fahren Sie doch einmal in die Kasernen und fragen! Das ist doch kein Witz, der hier gemacht wird.
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Das ist die Realität. Machen Sie mal die Augen auf! Das wird auch nicht besser, wenn Sie reinrufen.
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Die schlechte Nachricht ist, dass bei den Soldatinnen und Soldaten die Dinge, die sie jeden Tag benötigen, nicht ankommen. Wie wäre es – ein Vorschlag –, wenn das Beschaffungsamt auch mal denjenigen zuhören würde, die mit dem Material arbeiten müssen, anstatt bei jeder Beschaffung immer den optimalen Alleskönner entwickeln zu lassen? Das kostet irre viel Zeit, die wir nicht haben, und verursacht ein Vielfaches an Kosten.
({7})
Meine Damen und Herren, wenn das Ministerium unsere Soldatinnen und Soldaten vermehrt in die von Ihnen angedachten Missionen schicken will, wenn Deutschland ernsthaft weltweit friedensstiftend in Krisengebieten präsent sein soll, dann gibt es nur ein einziges Szenario: Stoppen Sie Ihren immerwährenden Streit in der Koalition! Sie gefährden damit nicht nur die nationale Sicherheit; Sie machen Deutschland verteidigungspolitisch weltweit zu einer Witzfigur.
({8})
Frau Ministerin, sorgen Sie dafür, dass aus der Bundeswehr eine vollausgestattete moderne Armee wird!
({9})
Wenn Sie es nicht zum Schutz des Hauses tun wollen, dann machen Sie es zum Schutze unserer Soldatinnen und Soldaten, denen ich an dieser Stelle auch im Namen der Freien Demokraten für ihren Einsatz in Deutschland, in Europa und weltweit herzlich danken möchte.
Vielen Dank.
({10})
Vielen Dank, Frau Kollegin Strack-Zimmermann. – Ich habe kurz durchgezählt und will darauf hinweisen, dass die Präsenz der Bundesregierung in etwa der Präsenz der Abgeordneten dieses Hauses entspricht.
({0})
– Frau Kollegin, bei aller Wertschätzung, aber ich glaube nicht, dass die Bezahlung das ausschlaggebende Argument ist.
({1})
Als nächster Redner hat für die Fraktion Die Linke der Kollege Tobias Pflüger das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses hat der Militärhaushalt eine Höhe von 45,1 Milliarden Euro.
({1})
Nach NATO-Kriterien sind es erstmals über 50 Milliarden Euro. So hoch war der Militärhaushalt in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie. Wir halten diese Höhe von 50 Milliarden Euro für grottenfalsch.
({2})
Das sind 1,69 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Aber nicht nur das: Es sind 6,04 Milliarden Euro mehr, als die Bundeswehr im Jahr 2018 überhaupt ausgegeben hat. 6 Milliarden Euro mehr in zwei Jahren! Sie sagen es selbst in ihrer Münchner Rede, Frau Ministerin:
Es hat keinen Zweck, dass wir nur Geld in den Haushalt einstellen, das wir nicht umsetzen können …
Ich will das mal sehr deutlich sagen: Statt hier Milliarden zu verpulvern, sollten Sie endlich abrüsten statt aufrüsten.
({3})
Und warum das alles? Von Ihnen, Frau Ministerin, haben wir schon einiges an neuen Vorschlägen gehört. Ein europäischer Flugzeugträger sollte her, eine europäische Mission in der Straße von Hormus oder eine Schutzzone in Syrien. Das wäre im Übrigen ein Bundeswehreinsatz in einem Kriegsgebiet. Dann wollen Sie einen nationalen Sicherheitsrat oder Patrouillenfahrten im Südchinesischen Meer. Sie haben vorgeschlagen, die Einsätze in Mali und Niger – im Übrigen immer noch nicht mandatiert – auszuweiten. Aber wohin genau, das wissen Sie nicht.
Ich glaube, wir bekommen hier einen Vorschlag nach dem nächsten. Ich habe den Eindruck, es geht darum: Es muss mit aller Gewalt militärisch basierte Weltpolitik gemacht werden. – Das halten wir für falsch.
({4})
Sie haben in Ihrer Grundsatzrede in München keinen Zweifel gelassen, wohin es gehen soll – Zitat –:
… die Bereitschaft, gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern das Spektrum militärischer Mittel wenn nötig auszuschöpfen.
Und dann brachten Sie es auf den Punkt, direkt im Anschluss, wie das Spektrum militärischer Mittel ausgeschöpft werden soll – Zitat –:
So, wie wir es in Afghanistan schon bei der Bekämpfung des Terrorismus gezeigt haben.
Na, großartig: 18 Jahre Krieg in Afghanistan und kein Ende in Sicht. Und das soll jetzt das „role model“ für Bundeswehreinsätze werden? Ich kann nur sagen: Nein, danke!
({5})
Wir hatten gestern die Hilfsorganisation medico international im Bundestag zu Gast. Die haben uns sehr deutlich gesagt: In Afghanistan ist seit 2014 wieder offener Krieg, weswegen nicht nur der Bundeswehreinsatz dort falsch ist, sondern sich auch Abschiebungen dorthin von selbst verbieten.
({6})
Ich will hier mal ein Dokument zeigen, von dem ich glaube, dass sich die Bevölkerung mehr damit beschäftigen soll. Das ist ein Dokument, in dem beschrieben wird, in welchem Zustand die verschiedenen Rüstungsprojekte sind.
({7})
Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele. Eurofighter: Abweichung zur ursprünglichen geplanten Auslieferung: 154 Monate später; Mehrkosten von 6,7 Milliarden Euro. A400M: plus 148 Monate und Mehrkosten in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. NATO-Hubschrauber NH90: 134 Monate Verspätung und Mehrkosten in Höhe von 1,3 Milliarden Euro. – Die Rüstungsprojekte kommen später als geplant, Sie kosten ein Vielfaches dessen, was zu Beginn vertraglich vereinbart wurde, und sie erfüllen häufig die Anforderungen nicht, die an sie gestellt wurden. So etwas gäbe es im zivilen Bereich nicht.
({8})
Gerade mussten A400M-Transportflugzeuge zurückgegeben werden.
Ich kann nur sagen: Was angeschafft wird für die Bundeswehr, soll dann auch später exportiert werden. Das braucht niemand. Klipp und klar: Wir halten diese Beschaffungen und natürlich auch die anschließenden Exporte für falsch und gefährlich.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Ich komme zum Schluss.
({0})
Sie sagen, Sie wollen einen Haushalt von 45 bis 50 Milliarden Euro. Wir sagen: Das ist Aufrüstung.
({1})
Das wollen wir nicht. Das lehnen wir ab.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Pflüger. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, wie Sie bereits wissen, sind wir Grüne mit der Erhöhung des Verteidigungsetats nicht einverstanden.
({0})
Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir nicht für eine gute und funktionierende Ausrüstung der Bundeswehr sind.
({1})
Wir stehen zu den Streitkräften und wollen, dass diese sowohl für die Landesverteidigung als auch im Einzelfall für die Unterstützung von UN-Missionen gerüstet sind. Jeder, der die Vereinten Nationen stärken und ernsthaft für politische Einigungen im Sicherheitsrat eintreten will, hat im Übrigen unsere Unterstützung.
({2})
Einsparen sollten Sie aber Einsätze, die ohne UN-Mandat als Koalition der Willigen außerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit stattfinden und damit den Multilateralismus schwächen. Diese Einsätze belasten die Bundeswehr unnötig, weil sie per se nicht geeignet sind, Frieden und Sicherheit in der Welt wiederherzustellen.
({3})
Doch nun zu Ausrüstung, Beschaffung und Entwicklung. Wir haben da schon immer kritisiert und gesagt, dass zunächst das Beschaffungswesen reformiert werden muss, bevor man mehr Geld in ein defizitäres System gibt. Was wir aber zuletzt im Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre hören mussten, übersteigt alle meine schlimmsten Befürchtungen. Rechtswidrige freihändige Vergabeverfahren wurden weder bei der BWI noch bei der HIL versehentlich, sondern systematisch und vorsätzlich durchgesetzt. Treue und loyale Beamte und Mitarbeiter wurden von eigenmächtigen Akteuren unter Druck gesetzt, bis hin zur Nötigung, und fanden leider nicht die erhoffte und notwendige Unterstützung aus der Führungsebene.
({4})
Ich bin tief beeindruckt von der Haltung der mutigen Zeuginnen und Zeugen, die trotz des jahrelangen Drucks ihre Loyalität zu Recht und Gesetz nicht aufgegeben und immer wieder versucht haben, Schaden für das öffentliche, also unser aller Vermögen zu vermeiden.
({5})
Ich möchte mich als Volksvertreterin beispielhaft bedanken bei den Zeugen Moseler und Dippel für die Aufklärung der Vorgänge um die HIL GmbH, bei den Zeugen Veit und Kloevekorn im Hinblick auf die BWI und bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Bundesrechnungshofs, ohne deren Untersuchungen die Aufklärung nicht möglich gewesen wäre.
({6})
Der Schaden ist nicht nur finanziell unermesslich, und wir kennen letztlich immer nur Ausschnitte aus dem Gesamtbild. Frau Ministerin, dieser ungeheuerliche Umgang mit öffentlichen Geldern muss nicht nur aufgeklärt und abgestellt werden. Was wir den Hinweisgebern und der öffentlichen Hand schulden, ist, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Protokolle der Beweisaufnahme sind ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Am besten schicken Sie als Ministerin die Akten höchstpersönlich dorthin.
({7})
Was die Verantwortlichen dort an öffentlichem Vermögen verschwendet haben, kann die Truppe weder bei Winterkleidung noch bei Stiefeln oder Nachtsichtgeräten wieder einsparen.
Nun noch zum Thema Entwicklung. Die größten und teuersten Projekte sollen berechtigterweise in Zukunft europäisch entwickelt werden. Sowohl die Eurodrohne als auch das Kampfflugzeug FCAS sollen gemeinsam mit den Franzosen entwickelt werden, und das ist dem Grunde nach auch richtig. Aber warum sollen diese hochmodernen sicherheitsrelevanten Systeme dann an Drittstaaten veräußert werden, die mit uns in keinerlei Bündnis stehen? Mit dem Zusatzabkommen zum Aachener Vertrag hat die Bundesregierung unseren französischen Partnern versprochen, dem Verkauf dieser Systeme nicht zu widersprechen, egal an wen verkauft wird. Angeblich sei der europäische Markt und damit die Stückzahl zu klein, wenn wir nicht weltweit exportieren.
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Das wiederum entspricht aber nicht unseren europäischen Sicherheitsinteressen und stärkt auch nicht die europäische Souveränität.
({9})
– Es geht hier nicht um Industriepolitik, Herr Kollege, sondern um Sicherheitspolitik. Das müssen wir mit unseren Partnern klären, und zwar bevor die Verträge unterschrieben werden.
({10})
Frau Ministerin, mit dem bestehenden Etat hätten auch schon in den letzten Jahren die dringendsten Bedürfnisse der Truppe befriedigt werden können. Solange das Geld aber vorrangig in mangelhaften Verträgen mit der Industrie versickert und bei überflüssigen Beratern landet,
({11})
statt bei den Soldatinnen und Soldaten, wird es von uns kein grünes Licht für einen höheren Verteidigungsetat geben.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank, Frau Kollegin Keul. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Lieber Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst der Bundesministerin für Verteidigung sehr herzlich gratulieren. Sie hat ja in schwierigen Zeiten das Amt übernommen, und das ist von mancher kritischen Nachfrage begleitet gewesen, die sicherlich im damaligen Kontext auch gerechtfertigt gewesen ist. Aber wir haben eine Ministerin erlebt, die sich dieser Aufgabe voll und ganz angenommen hat, die bei den Soldatinnen und Soldaten ankommt,
({0})
weil sie merken, dass diese Frau persönlich für die Soldatinnen und Soldaten und für zivile Beschäftigte engagiert ist und mutig sicherheitspolitische Diskussionen in Deutschland anführt. Deswegen, Frau Ministerin, herzlichen Glückwunsch! Das war ein guter Auftakt in diesem neuen Amt. Das hat der Bundesregierung und das hat vor allen Dingen der Bundeswehr unseres Landes sehr gutgetan.
({1})
Wir diskutieren heute über die Finanzen. Die Finanzausstattung der Bundeswehr richtet sich natürlich nach den Anforderungen, denen sie sich zur Verteidigung unseres Landes gegenübersieht, nicht nach irgendwelchen abstrakten Zahlen oder Zusagen – so wichtig sie auch sind –, die wir im internationalen Rahmen gemacht haben. Da gibt es ganz neue Herausforderungen.
Herr Lucassen, in der heutigen Zeit ist natürlich die Frage des Frontstaates nicht mehr wie in den 80er-Jahren zu beantworten. Was den Cyberraum angeht, muss man sich die Frage stellen, wer denn eigentlich Frontstaat und wer rückwärtiger Raum ist. Diese klassischen Fragestellungen bilden nur noch einen Teil der sicherheitspolitischen Herausforderung ab. Die Vereinigten Staaten von Amerika richten ein neues Kommando für den Weltraum ein. Auch da kommen wir mit dem Bild von Frontstaat und rückwärtigem Raum nicht mehr weiter. Es gibt ganz neue Herausforderungen. Die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit hat mit dem Weißbuch darauf reagiert und natürlich auch auf das feindliche Verhalten Russlands mit der Annexion der Krim und der im Übrigen andauernden Intervention in der Ostukraine. Daraus ist die Konzeption der Bundeswehr und daraus ist das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr entwickelt worden.
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erwarte von allen Kollegen, auch von denen der Opposition, die hier über Finanzmittel streiten und die behaupten, es sei zu viel Geld, oder die erklären, wie die Grünen, sie würden den Verteidigungsetat nicht mittragen – das muss ich hier wirklich kritisieren –: Schauen Sie sich das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr an!
({2})
Wenn wir bis 2023 ein Brigadeäquivalent und einen gemischten Einsatzverband „Luft“ – nur um zwei wichtige Beispiele zu nennen – haben wollen, wenn wir die Digitalisierung schaffen wollen, dann brauchen wir dringend diese Verstärkung der Mittel im Verteidigungsetat. Darauf ist die Bundeswehr dringend angewiesen.
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Das sind nicht irgendwelche Luftbuchungen, sondern das sind konkrete Ausplanungen.
Das muss ich auch dazusagen, Herr Kollege Lindner: Man kann nicht auf der einen Seite sagen, da bleibe ja Geld liegen, das könne nicht richtig ausgegeben werden, und auf der anderen Seite dann wieder Beschaffungsvorhaben nicht transparent ausgestalten wollen
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oder wie die Kollegin Keul hier sagen, es seien alles überflüssige Beraterverträge. So platt kann man das Thema nicht erledigen.
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Natürlich müssen wir Beraterverträge hinterfragen, aber es gibt viele wichtige, notwendige Beratungen, die die Bundeswehr in Anspruch nimmt,
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die sie gerade braucht, um auf Augenhöhe mit der Industrie Verträge zu verhandeln und Beschaffungsvorhaben durchzuführen. Da gibt es auch viele ganz, ganz notwendige Beraterverträge. Was wirklich nicht geht, ist, auf der einen Seite von uns zu verlangen, dass es ein rechtsstaatliches, kompliziertes Beschaffungsverfahren gibt – und wenn da irgendwas schiefgeht, gibt es gleich einen Untersuchungsausschuss –, und auf der anderen Seite zu beklagen, dass Geld liegen bleibt.
({7})
Diese Rechnung geht nicht auf, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Ein weiterer Punkt ist: Wenn hier beklagt wird, dass die Einsatzbereitschaft nicht hinreichend hoch ist, dann muss man eben in der Tat dazusagen: Auch dazu braucht die Bundeswehr mehr Geld.
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Die Art und Weise, wie hier über die Probleme mit dem Helikopter gesprochen worden ist, gefällt mir, muss ich sagen, auch nicht ganz. Die Ministerin hat erläutert, aus welchen Gründen die Maschinen jetzt unten bleiben müssen. Das ist schlecht und sicherlich bedauerlich, aber das liegt nicht an den Soldatinnen und Soldaten, für die wir hier Verantwortung tragen.
({9})
Man muss der deutschen Industrie sagen, dass wir erwarten, dass entsprechende Qualitätsarbeit abgeliefert wird. Sie werden gut bezahlt. Die Verantwortung liegt hier im Bereich der Industrie, und das muss in diesem Zusammenhang klar angesprochen werden. Die Schuld darf nicht den Soldaten in die Schuhe geschoben werden.
({10})
Worum geht es also? Es geht nicht um Zahlenkolonnen und auch nicht um abstrakte Prozentzahlen. Beim Verteidigungsetat geht es vielmehr um den Kern staatlicher Existenz, um den Kern staatlichen Handelns, um Verteidigung im ganz klassischen Sinne. Das ist notwendig. Dass wir das mehr unterstreichen und dass wir den Menschen, die sich dafür einsetzen, die entsprechende Anerkennung gewähren, das finde ich richtig, das ist notwendig, und das tut Deutschland gut. Ich freue mich über jede Soldatin und über jeden Soldaten, die oder den ich zukünftig in Uniform in der Deutschen Bahn sehen werde. Ich finde, sie haben es verdient, kostenlos mit der Bahn zu fahren. Das ist eine Anerkennung. Das sollte man nicht bekritteln.
({11})
Ich freue mich auch über das feierliche Gelöbnis. Das kann man noch offener gestalten. Es fand nicht nur eines vor dem Reichstag statt, sondern es hat viele in ganz Deutschland gegeben. Wenn möglichst viele Abgeordnete dorthin kämen, wäre das gut. Ich sage ganz offen: Wir schauen uns da auch gern mal um. Die Unionsfraktion war sehr breit vertreten, aber alle anderen Fraktionen könnten noch nachlegen.
({12})
Wenn man eine Parlamentsarmee verlangt, dann muss man auch draußen bei den Soldatinnen und Soldaten sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch da wird abgerechnet.
({13})
Abschließend ein Wort zu der schwierigen Einsatzdebatte. Die Ministerin hat mitnichten gesagt, es müssten wahnsinnig viele Einsätze sein. Ich sage: Endlich gibt es in der Bundesregierung wieder eine Ministerin, die sich zu unserer Verantwortung bekennt. Wir haben eine schlimme Flüchtlingskrise erlebt, die sich aus Syrien zu uns, insbesondere nach Deutschland, ergossen hat. Ich glaube, keiner hier möchte eine zweite. Das humanitäre Leid vor Ort ist wirklich schlimm.
({14})
Deswegen finde ich es einfach unterdurchschnittlich, wenn hier über Abstimmungsfragen diskutiert wird. Wenn die Bundesministerin der Verteidigung einen Vorschlag macht, nach dem es statt einer russisch-türkischen Kontrolle in diesem Gebiet eine von den Vereinten Nationen organisierte Aufsicht unter Beteiligung unserer deutschen Soldatinnen und Soldaten gibt, dann bedeutet das erstens mehr Sicherheit für uns und zweitens für die Menschen vor Ort mehr Humanität. Deswegen sollten wir uns hinter solche Vorschläge stellen und sie nicht kleinkariert kritisieren.
({15})
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({16})
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wadephul. – Erlauben Sie mir eine Anmerkung: Es wäre nicht klug, wenn wir jetzt dazu übergehen würden, die Frage zu stellen, welche Fraktionen des Deutschen Bundestages bei dem Gelöbnis wie stark vertreten gewesen sind.
({0})
– Das weiß ich nicht, ob er recht hat. Ich war ja auch anwesend. Aber unabhängig davon: Das Parlament war insgesamt sehr gut vertreten, und das ist das Wesentliche.
({1})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Wolfgang Hellmich, SPD-Fraktion.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielen Dank für Ihre Worte, Herr Präsident; denn das erspart es mir, über Wahrnehmungsschwierigkeiten zu sprechen. – Das Gelöbnis war ein sehr eindrucksvolles. Es hat mich wie auch die Debatte heute an ein Versprechen erinnert, das Helmut Schmidt bei einem Gelöbnis vor dem Deutschen Reichstag gegeben hat: Deutschland wird die Soldatinnen und Soldaten nie wieder missbrauchen. – Ich glaube, das ist ein Satz, der tatsächlich für die Mehrheit dieses Parlamentes gilt, nicht nur für uns Sozialdemokraten.
({0})
Eine zweite Bemerkung. Herr Klein, ich weiß genau, wen Sie vorhin gemeint haben. Mich haben in meinem heimischen Sprengel in der letzten Zeit zwei Jusos angesprochen und die Frage gestellt, wie sie denn wohl zur Bundeswehr kommen könnten. Jetzt frage ich Sie: Wie viel junge Liberale haben Sie denn in letzter Zeit gefragt, wie man zur Bundeswehr kommen kann?
({1})
Ich denke, die Frage war rhetorisch gemeint. Das soll so stehen bleiben. Man sollte sich überlegen, worüber man spricht.
Der vorliegende Haushalt, liebe Kolleginnen und Kollegen, drückt klar das Bemühen aus, die Soldatinnen und Soldaten gemäß dem, was sie brauchen, auszustatten und auszurüsten. Mehr als 45 Milliarden Euro stehen im Haushalt für das zur Verfügung, was sinnvoll, geplant und nach vorne gerichtet ausgegeben werden kann. Mit den Verpflichtungsermächtigungen – wir reden über den Haushalt – in Höhe von über 40 Milliarden Euro bekommt die Bundeswehr die Planungssicherheit, die sie bei den großen Projekten, bei der Beschaffung von Munition und bei der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten in den nächsten Jahren benötigt.
Lassen Sie mich das anhand des schwierigen, offenen und sehr konstruktiv zu gestaltenden Themas Digitalisierung festmachen. Hierbei geht es nicht um die Ausstattung der Bundeswehr mit Handys und Smartphones, sondern es geht um die Einführung eines sehr komplexen Systems, das die komplette Führungs- und Kommandostruktur der gesamten Bundeswehr und die Kommunikation und die Interoperabilität in Abstimmung mit der NATO und der EU verändern wird. Mit den Einrichtungen und Abteilungen im BMVg, im BAAINBw, im Kommando der Bundeswehr, der BWI, der Cyberagentur – es gibt einige Beispiele mehr – wird eine Struktur gebaut, mit der die ganze Komplexität abgebildet wird. Die entsprechenden Mittel sind in verschiedenen Teilen des Haushalts verankert. Wenn wir eine voll ausgestattete Brigade des Heeres, eine voll digitalisierte Brigade des Heeres bis 2023 der VJTF zur Verfügung stellen wollen, dann müssen wir mit Hochdruck an diesem Projekt arbeiten. Das betrifft aber genauso gut die Marine, die Luftwaffe und erst recht den Cyberraum. Dies wird viel Geld kosten, und es wird auch die Strukturen im Haushalt in Anspruch nehmen. Dort muss das alles abgebildet werden.
Es braucht aber auch die Expertise der Menschen bei der Bundeswehr, um diese Projekte umzusetzen. Wenn wir diese nicht haben, dann werden wir den Aufbau der Expertise in der Bundeswehr vornehmen müssen, statt die Aufgaben aus der Bundeswehr zu verlagern. Es ist richtig, beim Personalaufbau im BAAINBw, im BMVg sowie in den Teilstreitkräften und Organisationsbereichen mit Hochdruck dafür zu sorgen, dass die Lücken in der Übergangszeit geschlossen werden.
({2})
Es ist eine ganze Menge über die Wirkung des Untersuchungsausschusses gesagt worden. Mit der öffentlichen Wirkung bin ich in der Tat konfrontiert. Es wird oft gefragt: Was tut ihr denn da? Es geht nicht um das Ob; es geht um das Wie und um das Maß der Unterstützung. Es kann nicht sein, dass der Staat bei einer seiner Kernaufgaben, nämlich dem Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger – und das ist Auftrag der Bundeswehr –, die steuernden Aufgaben an Private vergibt. Sie gehören in die öffentliche Hand.
({3})
Ich habe beim Thema Digitalisierung bewusst „wir“ gesagt; denn die Komplexität und die zeitliche Dimension machen es erforderlich, dass wir Abgeordnete, erst recht die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker im Verteidigungsausschuss, frühzeitig, das heißt von Anfang an, und sehr umfassend in die komplexen Entwicklungsprozesse eingebunden werden. Wir sollten nicht erst ganz am Ende, wenn es um die 25-Millionen-Vorlagen geht, unsere Kontrollfunktion wahrnehmen. Das erfordert – so habe ich den Kollegen Rohde vorhin verstanden – ein Umdenken im BMVg, aber das erspart uns am Ende viel Zeit und auch viel Arbeit. „Vertrauen statt Distanz“ ist hier die Devise. Es geht schließlich um unsere gemeinsame Bundeswehr.
({4})
Im Koalitionsvertrag und auch durch die durchgängig nötigen gesetzgeberischen Maßnahmen im Starke-Truppe-Gesetz wird deutlich, dass es das Bestreben der diese Koalition tragenden Fraktionen ist, sich ganz besonders um diejenigen Soldatinnen und Soldaten zu bemühen, die bei ihrem Einsatz für unser Land an Körper und Seele zu Schaden gekommen sind. Deshalb begrüße ich es sehr – das war unsere Idee –, dass in die Leistungen der Bundeswehr für Soldatinnen und Soldaten und zivile Mitarbeiter auch die Familien einbezogen werden; denn die Arbeit an Leib und Seele kann nur gemeinsam funktionieren. Nur so kann es eine gute Zukunft geben. Das entspricht der Aufgabe der Bundeswehr. Das entspricht unserer Aufgabe für all diejenigen, die ihren Dienst tun. Das dient der Unterstützung ihrer Familien, ohne die sie ihren Dienst nicht tun könnten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Hellmich. – Letzter Redner zu diesem Einzeletat ist der Kollege Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 14 für das Jahr 2020 umfasst 45,1 Milliarden Euro. Ich danke an erster Stelle den Haushältern, die die Forderungen aus dem Verteidigungsausschuss aufgenommen haben, die sich dafür eingesetzt haben, die das entschieden haben und das so umgesetzt haben, dass wir in dieser Woche darüber beraten können, nicht nur in unserem Ressort. Und ich danke Ihnen, Frau Verteidigungsministerin, dafür, dass Sie stellvertretend für das BMVg so deutlich dargestellt haben, worauf es ankommt, was wichtig ist. Auf diese Punkte möchte ich gerne noch einmal eingehen.
Ich möchte aber auch sagen, dass mich die Kurzinterventionen vonseiten der Fraktion Die Linke und vonseiten der Fraktion der AfD, also von den beiden Außenseiten des Parlaments, doch irritiert haben. Sie haben versucht, diese Debatte über den Haushalt zu missbrauchen. Dazu gab es ein deutliches Zeichen – wer das verfolgt hat, weiß, was ich meine –: Auf der Besuchertribüne saß eine ganze Reihe Soldatinnen und Soldaten; die haben das Plenum entnervt verlassen. – Also, wir sollten schon bei der Politik bleiben, meine Damen und Herren.
({0})
– Wenn Sie jetzt anfangen, zu lachen, dann will ich Ihnen auch sagen: Das, was der Kollege Lucassen hier zur nationalen Verteidigungspolitik gesagt hat, war in gewissem Sinne beschränkt,
({1})
ja, sogar begrenzt.
({2})
Wer glaubt, dass man heute Politik in eigenen Grenzen macht, dass man Politik nur national macht, der gefährdet die Sicherheit unseres Landes. Sicherheit ist integriert in Institutionen. Deshalb ist es gut, dass wir diesen Haushalt heute gemeinsam, als Koalition, verabschieden, meine Damen und Herren.
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Wir müssen vielmehr die Strukturen stärken, nämlich NATO, Vereinte Nationen und auch die EU. Deswegen ist es gut, dass wir jetzt 1,42 Prozent nach NATO-Kriterien in die Sicherheit investieren. Das Ziel von 1,5 Prozent ist von der Verteidigungsministerin klar benannt worden, auch heute Morgen von unserer Bundeskanzlerin. Und 2 Prozent halten wir als Ziel fest bis spätestens 2031; das haben Sie gesagt, Frau Kramp-Karrenbauer, und die Kanzlerin hat das heute deutlich bestätigt. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen haben sich ja fundamental geändert. Wir sind gefordert, Bündnis- und Landesverteidigung durchzuführen und gleichzeitig Krisenprävention zu betreiben, weil heutzutage alles mit allem zu tun hat. Wir haben ein klares Konzept, aufbauend auf dem Weißbuch, auf der Konzeption der Bundeswehr, das entsprechend dem Fähigkeitsprofil tun zu können, immer mit dem Anspruch, auch auf das Unvorhergesehene vorbereitet zu sein.
Ich freue mich, dass sich die FDP auch für die Exekutive interessiert, das heißt für die Bundeswehr, und nicht nur für die Legislative. Bei der Forderung nach 2 Prozent wissen wir Sie an unserer Seite. Wer aber gleichzeitig Einsparungen von 900 Millionen Euro einfordert, Frau Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann,
({4})
der muss das im Verteidigungsausschuss eines Tages noch mal erklären.
Wir sagen ganz klar: Die Bundeswehr braucht das, was sie benötigt, um den Auftrag zu erfüllen. Das sind in 2020 45,1 Milliarden Euro. Aber die Tendenz ist klar: Die Bundeswehr braucht mehr, meine Damen und Herren.
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Wir müssen die Ausrüstung stärken, und zwar bei Munition und Ersatzteilen. Wir müssen Modernisierungen durchführen. Neue Systeme müssen eingeführt werden. Wir müssen die Digitalisierung sichern, damit wir beispielsweise im internationalen Funkverkehr gut aufgestellt sind. Wir müssen die Rahmenbedingungen für die Truppe weiter verbessern. Wir haben in dieser Legislaturperiode schon das Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz und das Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz beschlossen, weil wir als Koalition ein Zeichen setzen wollen. Wir wollen, dass die Rahmenbedingungen für den Beruf, der ein Beruf wie kein anderer ist, gut sind. Wir wollen, dass die Soldatinnen und Soldaten sich anerkannt fühlen, dass die Versorgung gut ist, dass die Zulagen passen. Wir wollen, dass dies ein motivierender Faktor ist; denn sicherheitspolitisch ist die Truppe stark gefordert. Sicherheitspolitisch ist Deutschland stark gefordert.
Wir müssen die Sicherheit unseres Landes gewährleisten, im Bündnis unsere Verpflichtungen erfüllen, und wir müssen die europäische Säule als eine Säule innerhalb der NATO weiter stärken, ob mit PESCO oder mit integrierten Bataillonen, wie zum Beispiel dem deutsch-niederländischen Panzerbataillon. Es geht immer auch um die Erwartungshaltung unserer Nachbarn. Es geht darum, dass wir als Anlehnungspartner stark sind, dass wir Verantwortung übernehmen, dass wir auch politische Führung übernehmen. Das ist Ausdruck von Glaubwürdigkeit, von angemessener Sicherheitsvorsorge. Wir folgen dabei einem vernetzten Ansatz aus Diplomatie, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und militärischem Wirken. Die Maßgabe ist dabei immer: Abschreckung und Demokratie. Das ist Kennzeichen unserer Sicherheitspolitik. Deswegen, meine Damen und Herren, sind CDU und CSU die Parteien für die Sicherheit in unserem Land und für die Bundeswehr.
({6})
Heute Morgen ist in der Generaldebatte abgebildet worden, wo die Herausforderungen liegen: Das ist das Vorgehen des russischen Präsidenten, beispielsweise die Annexion der Krim; das sind destabilisierende Faktoren innerhalb Nordafrikas, beispielsweise in Mali, wo es darum geht, dass wir Stabilität und Sicherheit erzeugen, damit die Menschen eine Perspektive haben; und das ist die Aufgabe, entsprechend dem Völkerrecht die Seewege offenzuhalten, weil Völkerrecht geachtet werden muss. All das fordert uns in vielen Belangen. Deswegen müssen wir deutlich machen: Der mittelfristige Finanzplan reicht so noch nicht aus; er muss weiter gestärkt werden. Das ist eine klare Forderung an die Bundesregierung. Das müssen wir dann auch gemeinsam im Parlament als Haushaltsgesetzgeber umsetzen.
Ich möchte noch einen Punkt im Zusammenhang mit dem Thema Bundessicherheitsrat ansprechen. Der jetzige Sicherheitsrat ist ausschließlich dazu da, Rüstungsgenehmigungen zu erteilen oder meistens auch nicht zu erteilen.
({7})
Aber die Idee, dass wir einen Sicherheitsrat brauchen, wie unsere Verteidigungsministerin es sagte, der eine nach vorne gerichtete, vorsorgliche Sicherheitspolitik betreibt und konzeptionell arbeitet, ist gut. Das ist ein guter Gedanke. Es ist auch ein guter Gedanke, zu sagen: Wir lassen nicht zu, dass die Türkei und Russland auf der Syrien-Konferenz in Sotschi Teile Syriens aufteilen. Wir müssen vielmehr sagen: Es ist auch Teil unserer Verantwortung, uns werteorientiert darum zu kümmern. Wir müssen die Sicherheitsarchitektur im Ganzen im Auge haben, meine Damen und Herren. Das muss unsere Aufgabe sein.
Der Haushalt 2020 umfasst 45,1 Milliarden Euro. Das ist angemessen, notwendig, sinnvoll. Wir müssen weiter in die Sicherheit investieren.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss?
Dafür stehen wir ein. Deswegen bitten wir am Ende der Woche um Zustimmung zu diesem Haushalt.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Otte. – Damit schließe ich die Aussprache.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Haushalt des Entwicklungsministeriums für das kommende Jahr soll um rund 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf knapp 11 Milliarden Euro angehoben werden. Damit ist das Volumen in fünf Jahren um fast 70 Prozent angestiegen.
({0})
Aber die Annahme, dass immer mehr immer besser ist, ist falsch.
({1})
Qualität – das heißt Nachhaltigkeit, Wirksamkeit und Effizienz – sollte vor Quantität gehen, meine Damen und Herren.
({2})
Nach wie vor werden Mittel an Hunderte von Trägern für Tausende Projekte in rund 100 Ländern ausgeschüttet.
({3})
Der Herr Minister sprach schon vor einigen Jahren von einem Paradigmenwechsel; aber noch hat sich nichts Wesentliches geändert. Es fällt schwer, eine entwicklungspolitische Strategie zu erkennen.
({4})
Zur Armutsbekämpfung, zur Hilfe zur Selbsthilfe und zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit kommt jetzt auch noch die angebliche globale Klimarettung hinzu. Die Kanzlerin hat nun gar im Vorbeigehen 1 Milliarde Euro an Indien für umweltfreundliche Verkehrsinfrastruktur zugesagt. 100 Millionen Euro davon sind als Zuschuss gedacht und der Rest als Darlehen. Ein Land, das beim Bruttoinlandsprodukt weltweit an siebter Stelle steht, ein Land, das Atommacht ist und ein eigenes Mondlandeprogramm betreibt, dieses Land kann kein Empfängerland der deutschen Entwicklungspolitik sein, meine Damen und Herren.
({5})
Deutschland kann weder im Inland mit der Aufnahme von Millionen von Flüchtlingen oder mit seiner Klimapolitik die Welt retten, noch kann unser Land im Ausland durch Entwicklungspolitik die Welt retten. Am deutschen Wesen soll wieder einmal die Welt genesen. Was für eine Hybris, meine Damen und Herren!
({6})
Ja, Deutschland soll einen Beitrag zur Entwicklung von Lebensperspektiven in der Welt leisten. Was wir aber vor allem brauchen, ist eine Konzentration auf gezielte Projekte in Schlüsselländern. Schwerpunkt sollten afrikanische Länder sein, insbesondere bei der Bekämpfung von Fluchtursachen. Hier könnte mit den richtigen Projekten viel erreicht werden.
Dazu gehört die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen“ allerdings nicht. Der schöne Name – wieder einmal ein schöner Name für ein Vorhaben – verschleiert, dass das selbstgesteckte Ziel verfehlt wird. Das Programm „Perspektive Heimat“ etwa verstärkt eher noch die Anreize, nach Deutschland zu kommen.
({7})
Denn wer es nach Deutschland geschafft hat, kann darauf hoffen, mit einer finanziellen Ausstattung wieder zurückzukehren.
({8})
Teure Alimentierung ist keine Entwicklung, meine Damen und Herren.
({9})
In der Entwicklungspolitik will meine Fraktion einen stärkeren Fokus auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Kooperation mit der deutschen Wirtschaft legen.
({10})
Nur die Schaffung von Produktion in den Entwicklungsländern bewirkt eine nachhaltige Verbesserung der Lebensperspektiven und trägt zur Reduzierung von Migrationsbewegungen bei.
Äußerst fraglich ist, inwieweit die neu ins Leben gerufenen Sonderinitiativen mit ihren klingenden Namen wie „EINEWELT ohne Hunger“ oder „Fluchtursachen bekämpfen“ die richtigen Instrumente sind. Sie umfassen einen wesentlichen Teil des Entwicklungshaushalts. Dabei heben sie die haushalterische Trennung zwischen technischer und finanzieller Zusammenarbeit auf. Weiterhin unterliegen die Sonderinitiativen nicht den selbstformulierten entwicklungspolitischen Leitlinien. Wir schließen uns in diesem Punkt der Kritik des Bundesrechnungshofes an und wollen die Sonderinitiativen in ihrer jetzigen Form auflösen und in die reguläre Haushaltssystematik überführen.
({11})
Wir kritisieren die Bestrebung, die Kontrolle der geförderten Maßnahmen durch den Haushaltsausschuss und den Bundestag einzuschränken. Im Haushaltsausschuss wurde gegen die Stimmen der AfD unlängst beschlossen, das Berichtswesen zu den Fördermaßnahmen deutlich zu reduzieren. Dies kritisieren wir aufs Schärfste, meine Damen und Herren.
({12})
Wir fordern auch weiterhin eine vollständige regelmäßige und transparente Offenlegung der geförderten Projekte, nicht nur auf ausdrückliche Nachfrage im Berichterstattergespräch. Wir wollen neben voller Transparenz auch eine bessere Evaluierung der entwicklungspolitischen Maßnahmen und eine Stärkung des Deutschen Evaluierungsinstituts. Sehr geehrter Herr Minister Müller, wir müssen zurückkehren zur Vernunft und zur realistischen Einschätzung unserer Möglichkeiten.
({13})
Gesinnungsethische Wunschträume helfen nicht weiter, meine Damen und Herren!
({14})
Deutschland darf sich nicht verzetteln. Der Zweck und die Wirkung vieler Projekte sind äußerst fragwürdig.
({15})
Nicht wenige Mittel versickern in den Taschen korrupter Herrscher oder sonstiger Gruppen in den Entwicklungsländern. Die Vielzahl der Projekte ist gar nicht kontrollierbar, meine Damen und Herren. Wir brauchen endlich einen Paradigmenwechsel. Wir brauchen eine Konzentration. Wir brauchen einen stärkeren Fokus auf wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Vielen Dank, meine Damen und Herren, für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Münz. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Carsten Körber, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst in der letzten Sitzungswoche fand die legendäre Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses statt. Jetzt beraten wir hier im Hohen Hause im Plenum in zweiter und dritter Lesung den Bundesetat 2020, und am Freitag, nach Lage der Dinge, werden wir ihn endgültig beschließen. Und wie es sich für vernünftige Haushaltsberatungen gehört, haben wir wieder hart und kontrovers in der Sache, aber immer fair im persönlichen Umgang miteinander gerungen und zum Teil auch mal gestritten. Ich finde, das ist auch richtig so; denn immerhin tragen wir ja eine immense Verantwortung für einen Etat von insgesamt nunmehr über 360 Milliarden Euro. Das Ergebnis dieses Streitens und Ringens, das kann sich sehen lassen. Denn was zeigt es?
Es zeigt erstens: Die Koalition hat auch für das kommende Haushaltsjahr ihr Verantwortungsbewusstsein unter Beweis gestellt.
Zweitens. Zum siebten Mal in Folge seit 2014 halten wir die schwarze Null ein und machen keine neuen Schulden.
Drittens. Schon in diesem Jahr halten wir erstmals wieder seit 2002 die Maastricht-Defizitgrenze ein. Das heißt, dass unsere Schulden unter der Grenze von 60 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts liegen. Das ist gut und richtig.
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Aber so ein Ergebnis fällt nicht vom Himmel. Dafür braucht es über Jahre einen langen Atem und einen klaren Kompass, und diesen hat diese Koalition.
Mehr noch – viertens –: Der schwarzen Null gesellt sich jetzt mit dem Haushalt 2020 erstmals klar erkennbar die grüne Null hinzu. Mit diesem Haushalt intensivieren wir deutlich unsere Bemühungen, unser Land bis 2050 klimaneutral zu machen.
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Der erfolgreiche Verlauf der Bereinigungssitzung ist ein Beleg dafür, dass diese Koalition funktioniert. Wir arbeiten hart an unseren Themen und liefern allen Unkenrufen zum Trotz.
Was für den Haushalt insgesamt gilt, das gilt im Besonderen auch für den Etat des BMZ. Das ist auch ein wirklich guter Beweis, dass wir als Koalition beim BMZ-Etat gut zusammengearbeitet haben.
Zuallererst möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen, meinen Dank für das gute und konstruktive, manchmal auch kontroverse Miteinander während der wirklich intensiven Beratungen in den vergangenen Wochen. Mein Dank geht zuallererst an Minister Müller und sein Haus und die vielen wirklich fleißigen Mitarbeiter dort. Er geht natürlich auch besonders an meine Kollegin Mitberichterstatterin aus der Koalition Sonja Steffen und an alle weiteren Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstatter.
Welche Schwerpunkte haben wir nun im BMZ-Etat 2020? Die Themen Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit gehören wirklich zu den maßgeblichen Politikfeldern dieser schwarz-roten Koalition, jedes einzeln für sich, aber besonders in ihrer Kombination. So steht dem BMZ im kommenden Jahr für den internationalen Klimaschutz durch den Beschluss des Klimakabinetts eine halbe Milliarde Euro zusätzlich zur Verfügung.
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Das ist ein starkes Signal, nicht zuletzt an unsere internationalen Partner; denn man darf eines bei dieser Sache nicht vergessen: In den Entwicklungsländern kostet die Einsparung einer bestimmten Menge CO2 lediglich circa 10 Prozent dessen, was sie bei uns kostet. Mir persönlich ist es ziemlich gleich, wo auf dieser Welt CO2 eingespart wird. Wichtig ist, dass wir es einsparen. Mit diesen 500 Millionen Euro können wir in Entwicklungsländern CO2 in solch einer Menge einsparen, für die wir in Deutschland 5 Milliarden Euro bezahlen müssten.
Insgesamt erhält Minister Müller für seine Arbeit im nächsten Jahr den Rekordetat von nunmehr gut 10,8 Milliarden Euro. Damit ist Deutschland auch im Jahre 2020 einer der größten Geber in der Entwicklungszusammenarbeit. Ich meine, das ist ein starkes Signal.
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– Doch. – Dieses Signal, meine Damen und Herren, kann sich sehen lassen.
Worauf haben wir uns denn jetzt in den Beratungen genau verständigt? Wir haben unser internationales Engagement, vor allem in der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit, noch weiter gestärkt. International steht ja der Multilateralismus weiter unter starkem Druck. Die Rückbesinnung auf die vermeintlich gute alte Zeit nationaler Alleingänge und der Selbstbezogenheit ist leider offenbar wieder modern geworden. Dabei ist dieses Verhalten nicht nur geschichtsvergessen, egoistisch und engstirnig, nein, es ist noch mehr, nämlich in Teilen regelrecht dumm und – das ist noch schlimmer für uns – auch ziemlich gefährlich. Deshalb haben wir mit diesem BMZ-Haushalt ein ganz bewusstes Zeichen für einen starken Multilateralismus gesetzt. Vergessen wir eines nicht: Dem Multilateralismus und der mit ihm verbundenen freiheitlichen Weltordnung verdankt Deutschland, verdankt Europa und verdankt die gesamte westliche Welt über 70 Jahre Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand.
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Wir haben die deutschen Beiträge für die Vereinten Nationen deutlich gesteigert. Vor allem wachsen auf: die Mittel für das UN-Entwicklungsprogramm, UNDP, um 10 Millionen Euro, die Mittel für das UN-Kinderhilfswerk, UNICEF, um 10 Millionen Euro und die Mittel für die Global Polio Eradication Initiative, GPEI – dabei geht es um den weltweiten Kampf gegen Kinderlähmung –, um 35 Millionen Euro.
Neben unserem multilateralen Engagement setzen wir natürlich und vor allem auch auf die verstärkte Förderung der deutschen Akteure. So fördern wir verstärkt das Engagement der deutschen Wirtschaft in Afrika und in anderen Regionen in der Welt mit plus 15 Millionen Euro. Auch der internationale Austausch von Wissenschaftlern, Studenten, Experten ist in einer zunehmend vernetzten Welt unverzichtbar. Deshalb haben wir für den wichtigen Bereich der Aus- und Fortbildung 7 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt. Beide Handlungsfelder sind geeignet, um unsere Partner – vor allem in Afrika – dabei zu unterstützen, in Zukunft auch selbst ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und einen eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelstand zu entwickeln.
Die Beratungen haben sich nach meiner festen Überzeugung wirklich gelohnt. Wir haben hier ein Ergebnis erzielt, welches unserer Verantwortung in der Welt gerecht wird. Und wir haben geliefert! Unsere Welt ist zunehmend vernetzt. Alles hängt mit allem zusammen, und deshalb ist dieser Haushalt der beste Beweis und Ausdruck für unser internationales Engagement. Wir übernehmen Verantwortung in einer Zeit, in der sich viele aus der Verantwortung zurückziehen. Das gilt international, das gilt auch für Teile unserer Gesellschaft, und das gilt leider auch für Teile dieses Hauses.
Deshalb sage ich umso deutlicher: Der Etat ist der beste Beweis dafür, dass Deutschland seiner internationalen Verantwortung gerecht wird – und dies in enger Kooperation mit unseren internationalen Partnern. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung zu diesem Einzelplan.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Körber. Das war passgenau. – Nächster Redner ist der Kollege Olaf in der Beek, FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Berliner Bubble hat sich in der vergangenen Woche an der „G20 Compact with Africa“-Konferenz in Berlin erfreut. Das Ziel – mehr private Investitionen in Afrika – teilen wir ausdrücklich. Real entpuppt sie sich allerdings als zahnloser Tiger und wird leider von kaum jemandem in der deutschen Wirtschaft wahrgenommen.
Teil der deutschen Unterstützung ist der Entwicklungsinvestitionsfonds. 1 Milliarde Euro wurde bis 2021 für diesen Fonds versprochen. Davon wurden bisher nur 125 Millionen Euro im Jahr 2019 und 160 Millionen Euro im Jahr 2020 hinterlegt. Es sieht also mau aus. Im Vergleich ließ China aufhorchen: 60 Milliarden Dollar sollen im selben Zeitraum in Afrika investiert werden. Eine andere Dimension! Frau Merkel quittierte die Bilanz mit: „Wir steigern uns …“ Fast zynisch, lieber Herr Minister Müller, scheint Ihr an die Wirtschaft gerichteter Appell, „mutiger“ bei Investitionen in Afrika zu sein. Ein völlig verzerrtes Bild! Es sind nicht etwa ängstliche Unternehmer, sondern die von Ihnen gesetzten Rahmenbedingungen, die einen deutschen Investitionsboom in Afrika verhindern.
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Wir brauchen bessere staatliche Risikoabsicherungen für Investitionen in Afrika und eine unbürokratische Bereitstellung von Krediten für kleine und mittelständische Unternehmen.
Die „Compact with Africa“-Initiative ist fehlgeleitet, fehlgeleitet auch deshalb, weil man sich fast nur auf sogenannte Reformchampions beschränkt, also auf jene Länder, in denen politische, rechtliche und wirtschaftliche Reformen weit fortgeschritten sind. Dabei geraten die Ärmsten der Armen von insgesamt 47 Least Developed Countries in Vergessenheit. Hier ist Hilfe dringend notwendig.
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Zum Haushalt 2020. Wie bisher setzt der Minister großenteils auf bilaterale Zusammenarbeit. Die Erhöhung allerdings der Mittel, wie vom Kollegen Körber angesprochen, im Bereich multilateraler Programme, die wir gemeinsam mit unseren internationalen Partnern und Organisationen durchführen, ist ein richtiges und wichtiges Signal.
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Dieses kommt Organisationen wie zum Beispiel dem UNFPA oder der GPE zugute, die sich der Weltbevölkerung oder der globalen Bildung widmen. Das ist gut.
Zum Klimaschutz. Die Koalition erhöht die Mittel für den internationalen Klima- und Umweltschutz allein im Haushalt des BMZ um 500 Millionen Euro. Das ist wichtig und richtig. Problematisch ist jedoch, dass aufgrund der Zuständigkeiten der Ministerien trotz steigender Mittel keine abgestimmte Strategie erkennbar ist. Wir fordern ein Klima- und Umweltschutzkonzept aus einem Guss. Wir brauchen eine moderne und innovative Klimapolitik, eine Politik, die weder auf Technikvorgaben noch auf Verbote setzt, sondern den Wettbewerb emissionsarmer und klimaneutraler Energieträger fördert. Neben internationalen Aufforstungsprogrammen vertrauen wir auf die Kraft neuer Technologien und die Kreativität des Marktes.
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Wie wäre es, „Climate Engineering made in Germany“ zu fördern, um an das beste Gütesiegel der Welt anzuknüpfen?
Nun zu den Sonderinitiativen, der Portokasse, lieber Herr Minister, wobei man bei mittlerweile vier Sonderinitiativen eher vom Regelfall sprechen muss. Mich stört vor allem die Intransparenz. Es gibt quasi einen unkontrollierbaren Freifahrtschein für Gießkannenpolitik. Unsere Forderung bleibt eine Abschaffung der Sonderinitiativen und die Überführung eines Großteils der Mittel in multilaterale Programme. Raus aus den Ankündigungen und rein ins Machen! International vor national, mehr Wald und Technologien für den Klimaschutz! Und: Fluchtursachen für Menschen unterbinden! Das Haushaltsvolumen hat allemal das Potenzial dazu.
Liberale Entwicklungspolitik ist innovativ, fair und nachhaltig. Lassen Sie uns auf Augenhöhe mit Entwicklungsländern agieren und die Privatwirtschaft mit ins Boot holen. Ansonsten sind diese Länder den geopolitischen Interessen Chinas und seinen Staatskonzernen ausgeliefert. In Ruanda, einem Vorreiterland, wird Investoren der rote Teppich ausgerollt. Der fade Beigeschmack: Wirtschaftlicher Fortschritt geht dort nicht mit Demokratisierung einher. Ruanda nimmt sich nämlich China und nicht die westlichen Demokratien zum Vorbild.
Welche Gefahren von der Übermacht Chinas ausgehen, ist angesichts der Entwicklungen in Hongkong nicht zu übersehen. Wir fordern das Ende der Einstufung Chinas als Entwicklungsland und der subventionierten Kredite.
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Diese Einstufung ist weder in puncto Menschenrechte noch in puncto Wirtschaftsstärke zu vertreten. China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt.
Es ist auch nicht zu vertreten, wenn autokratische Staaten wie Ägypten als Reformchampion auserkoren werden. Ein ägyptischer Diktator könnte nicht stärker im Kontrast zu ihrer Initiative „Grüner Knopf“ und ihrem Vorhaben eines Lieferkettengesetzes stehen.
Lassen Sie uns alle an einer wertegeleiteten Entwicklungszusammenarbeit arbeiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege in der Beek. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Sonja Amalie Steffen das Wort – mit der Erlaubnis, ganz kurz ein Plakat hochzuhalten, das ich nicht genau erkennen kann. Darauf ist nichts Unanständiges?
Nein, Herr Präsident, natürlich nicht. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, keine Sorge, es ist auch nicht die Niebel-Delle auf diesem Plakat zu sehen, die wir nun Gott sei Dank überwunden haben, sondern das Plakat zeigt eine Steintafel aus Ägypten. Sie ist 3 400 Jahre alt. Sie zeigt – darin sind sich die Forscher ziemlich einig – einen Priester mit einer Krücke. Man geht davon aus, dass das schon die Folge einer Polio-Erkrankung war. Also: Wir können davon ausgehen, dass die Krankheit Polio schon seit mindestens 3 400 Jahren existiert.
Einige von Ihnen werden sich vielleicht noch daran erinnern: In den 50er-Jahren war Polio in Deutschland sehr, sehr weit verbreitet. Wir hatten 30 000 Fälle von Erkrankungen in Deutschland. Dann gab es 1961 die Impfmöglichkeit; das kennen bestimmt noch viele von uns. Der Spruch zu den Impfungen hieß: Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam. – Man hat sich einmal im Jahr ein Zuckerklümpchen mit dem Impfstoff in der Schule abgeholt. Das führte zu dem Ergebnis, dass 1990 die Kinderlähmung in Deutschland ausgerottet war. Das ist ein großartiges Ergebnis.
Aber das ist noch nicht weltweit so. Wir haben immer noch Polio-Erkrankungen in der Welt. Im Augenblick sind es wahrscheinlich noch 35 Fälle. Das klingt außerordentlich wenig. Aber um diese 35 Fälle auch noch zu bekämpfen und Polio endgültig auszurotten, brauchen wir einfach noch richtig viel Geld, weil wir richtig viel impfen müssen. Deshalb freue ich mich besonders – jetzt komme ich auf den Haushalt zu sprechen –, dass wir im Haushalt 2020 nun erstmalig, quasi als eigenen Titel, die Polio-Bekämpfung – wir haben sie schon immer gefördert – mit 35 Millionen Euro unterstützen können. Das ist ein wunderbares Beispiel für gute multilaterale Entwicklungszusammenarbeit.
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Übrigens zeigt dieses Konzept gegen Kinderlähmung – Sie haben es vorhin angesprochen – sehr erfolgreich und eindrucksvoll, wie viel die Weltgemeinschaft gemeinsam zum Beispiel gegen Krankheiten und für viele Dinge tun kann. Also, es wirkt sich aus, wenn wir multilateral helfen, wenn wir gemeinsam vorhandene Strukturen unterstützen und wenn wir zum Beispiel auch mit großen Unterstützern arbeiten. Bei Polio sind es die Rotarier, die hier wirklich unfassbar viel Arbeit leisten. Das macht wirkungsvolle Entwicklungszusammenarbeit aus.
Wir haben übrigens in diesem Haushalt 2020 noch etwas getan – ich weiß jetzt gar nicht, Herr in der Beek, ob Ihnen das aufgefallen ist –: Es gab einen Beschluss aus dem Jahr 1992, einen Maßgabebeschluss. Dieser Maßgabebeschluss – der Kollegin Hajduk sei Dank; sie hat ihn nämlich ausgegraben – sah vor, dass die Ausgaben für multilaterale Institutionen nicht über 30 Prozent steigen dürfen. Diesen Beschluss haben wir jetzt aufgehoben, ihn gibt es nicht mehr. Aber, Herr Minister Müller, Sie müssen jetzt auch keine Sorge haben: Wir werden jetzt nicht gleich die Sonderinitiativen in multilateralen Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit unterbringen und erst recht nicht die GIZ. An dieser Stelle herzlichen Dank für die Arbeit der GIZ.
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Aber wir von der SPD-Fraktion werden uns weiter dafür einsetzen, die multilateralen Hilfen zu erhöhen.
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Neben der Polio-Bekämpfung unterstützen wir die globale Impfallianz GAVI in diesem Haushalt für die nächsten fünf Jahre mit 600 Millionen Euro. Das ist richtig viel. Aber Sie müssen wissen: GAVI unterstützt beispielsweise auch den Kampf gegen Erkrankungen wie Ebola. Ich weiß, viele von Ihnen werden sich noch sehr gut daran erinnern: Wenn Ebola ausbricht, dann bricht auch allgemeine Panik in der Welt aus. Wir kennen alle die schrecklichen Bilder von den Ärzten und den Pflegerinnen und Pflegern in den Schutzanzügen. Wir wissen alle: Ebola breitet sich wahnsinnig schnell aus. Ebola ist eine Krankheit, die fast immer tödlich endet, und zwar sehr, sehr schnell.
Jetzt gibt es hier eine super tolle Nachricht: Es gibt einen Impfstoff gegen Ebola. Er ist sogar in Deutschland entwickelt worden und wird in Niedersachsen vertrieben. Das Besondere und das Tolle ist nun, dass wir weltweit gegen Ebola impfen können. Das, denke ich, ist einfach ein unheimlich gutes Zeichen. Deshalb können Sie sicher sein, Herr Minister: Wenn es dafür noch mehr Unterstützung erfordert, dann sind wir auf jeden Fall dabei.
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Ja, zum Thema Bildung wird meine liebe Kollegin Dagmar Ziegler noch vieles sagen. Deshalb will ich an dieser Stelle nur eines anmerken: Ich freue mich sehr, dass wir die Zuwendung für GPE noch einmal erhöhen konnten. Die jährlichen Mittel steigen von 9 Millionen Euro in 2017 auf 50 Millionen Euro in 2020; das gilt auch für die Zukunft. Das ist wunderbar, weil wir dann in einer Partnerschaft mit den Entwicklungsländern eben dafür sorgen, dass Bildung in den jeweiligen Ländern gefördert wird.
Des Weiteren möchte ich noch gerne UNICEF erwähnen. Wir fördern UNICEF, indem wir den Kernetat um weitere 10 Millionen Euro für die kommenden Jahre erhöht haben. Ich glaube, ich muss in diesem Haus wirklich niemandem erzählen, dass UNICEF – diese Organisation gibt es seit 73 Jahren – weltweit wirklich schon sehr vielen Kindern das Leben gerettet hat.
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Zum internationalen Klimaschutz habe ich gestern schon vieles erläutert. Ich will nur sagen: Wir von der SPD-Fraktion freuen uns sehr, dass wir auch im Klimapaket die Mittel für den internationalen Klimaschutz noch einmal um insgesamt 600 Millionen Euro erhöhen konnten. Davon fließen 100 Millionen Euro in das Umweltministerium und 500 Millionen Euro in Ihr Ministerium, Herr Minister Müller.
Letztendlich danke ich allen, die daran mitgewirkt haben. Aber ich möchte noch eines sagen: Sascha Raabe aus unserer Fraktion – ich glaube, das können alle bestätigen, zumindest alle von der SPD-Fraktion – ist jahrelang dabei und versucht immer, uns alle davon zu überzeugen, diesen Titel zu erhöhen. Das haben wir an dieser Stelle auch gemacht. Herzlichen Dank, lieber Sascha.
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Zum Schluss möchte ich noch ganz schnell den vielen, vielen Menschen danken, die in der Zivilgesellschaft unterwegs sind. Das fängt bei den Kirchen an und geht bis hin zu den Stiftungen, deren Etatvolumen wir auch noch erhöhen konnten. Es sind gerade die Stiftungen und die Kirchen, die immer noch in den Ländern tätig sind, auch wenn dort wirklich schlimme Krisen ausbrechen. Die Stiftungen und die Kirchen bleiben da, auch wenn sich viele schon verabschiedet haben.
An dieser Stelle also allen Menschen, die in Deutschland Entwicklungszusammenarbeit unterstützen, einen herzlichen Dank, aber vor allem auch denjenigen, die in der Welt unterwegs sind und unter schwierigsten Bedingungen Entwicklungshilfe leisten. Herzlichen Dank auch allen hier im Haushaltsausschuss, dem Minister, dem Hauptberichterstatter und den Mitberichterstattern.
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Ich glaube, wir schlagen einen guten Haushalt vor. Ich bitte um breite Unterstützung.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der Kollege Michael Leutert hat das Wort für die Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister, der Kollege Körber hat beim Dank schon so gut vorgelegt. Da will ich als Hauptberichterstatter nicht hintanstehen. Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen, Herr Müller, und Ihren Mitarbeitern für die konstruktive Zusammenarbeit.
Nun haben wir hier nach den Haushaltsberatungen ein Ergebnis vorliegen. Meine Einschätzung fällt, was das Ergebnis betrifft, natürlich anders aus, weil ich das nicht so positiv beurteile. Im Kern hat sich substanziell nichts verbessert. Die grundlegenden Probleme sind auch nicht gelöst worden. Sie verfügen im Jahr 2020, Herr Minister, über 10,9 Milliarden Euro. Da muss man klar sagen: Das selbstgesteckte Ziel der Koalition, das auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde, 0,7 Prozent des BIP für die Entwicklungshilfe aufzuwenden, ist auch diesmal wieder verfehlt worden.
Erstens ist das deshalb besonders traurig, weil die Debatte sich über so viele Jahre dahinschleppt. Zweitens habe ich das Gefühl – wir haben gerade über den Etat des Verteidigungsministeriums gesprochen –, dass im Bereich der Verteidigung, bei dem es um die Erreichung des 2-Prozent-Ziels geht, das Engagement einiger Kolleginnen und Kollegen doch etwas höher ist als beim 0,7-Prozent-Ziel.
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Herr Minister, das Verteidigungsministerium hat in den Haushaltsberatungen 137 Millionen Euro extra bekommen. Sie haben 10 Millionen Euro on top bekommen – wegen Wechselkursschwankungen. Im Koalitionsvertrag ist auch festgelegt, dass das Verhältnis zwischen ODA-Mitteln und dem Aufwuchs der Mittel für Verteidigung eins zu eins sein soll. Auch dieses Ziel ist verfehlt worden.
Ein weiterer Punkt sind die dramatisch niedrigen Verpflichtungsermächtigungen. Das ist ein ganz klares strukturelles Problem, das wir schon mehrmals besprochen haben. Verpflichtungsermächtigungen sind dafür da, für die Zukunft planen und Verträge abschließen zu können. Das ist also das Kerngeschäft, das Sie zu leisten haben. Die Verpflichtungsermächtigungen fallen für das nächste Jahr geringer aus als die Barmittel. Das heißt, Sie können nicht länger ausreichend planen. Der Grund dafür liegt einfach in der sogenannten mittelfristigen Finanzplanung: Ihr Etat soll im Jahr 2021 wieder um 1,5 Milliarden Euro gekürzt werden. Das ist das ganze Problem. Das bedeutet, Sie fahren hier nicht bloß auf Sicht, sondern Sie fahren blind durch die Gegend.
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Wenn Sie keine Verträge für die Zukunft abschließen können, wird es auch kompliziert, in den Haushaltsberatungen im nächsten Jahr mehr Barmittel zu mobilisieren, weil sich natürlich die Frage stellt: Für was denn? Wenn keine Verträge existieren, die eingehalten werden müssen, ist es natürlich problematisch, Barmittel obendrauf zu legen. Das heißt im Kern: Für die Entwicklungszusammenarbeit ist hier der Grundstein gelegt worden, dass das Ganze unstrukturiert, planlos und chaotisch sein wird.
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Fairerweise muss man dazusagen: Das liegt nicht an Ihnen. Sie würden sehr gern mehr Verpflichtungsermächtigungen und sehr gern auch mehr Barmittel nehmen. Aber da stellt sich dann natürlich die Frage nach Ihrem Verhältnis zu den Koalitionsfraktionen. Da ist in den Haushaltsverhandlungen Folgendes passiert:
Es wurde Ihnen durch die Koalitionsfraktionen Ihr wichtigstes Instrument, nämlich die Sonderinitiativen, also das Instrument, das Ihnen Flexibilität verleiht, zusammengestutzt. Das ist sozusagen ein Misstrauensantrag gegen Sie; so werte das zumindest ich. Es wurde die Anzahl der Sonderinitiativen begrenzt. Die Mittelhöhe der Sonderinitiativen wurde auf 10 Prozent des gesamten BMZ-Etats begrenzt, und bei der Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ wurden noch 140 Millionen Euro an eine andere Stelle weggegeben. Damit machen die Koalitionsfraktionen nichts anderes, als Sie ruhigzustellen, da Sie gefesselt sind.
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Wenn man einen Vergleich zum Auswärtigen Amt zieht, dann zeigt uns das ein Problem, das sich aus dem Gesamtzustand der Koalition ergibt. Man kann Ihnen ja viel vorwerfen. Man könnte Ihnen vorwerfen, dass die Ziele falsch sind. Man könnte Ihnen vorwerfen, dass Sie die falschen Prioritäten setzen. Man könnte Ihnen vorwerfen, dass Sie die falschen Instrumente nehmen. Aber eines kann man Ihnen definitiv nicht vorwerfen: Untätigkeit. Sie sprühen ja nur so vor Ideen.
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Sie bringen ja immer wieder was Neues zutage, ob das die Sonderinitiativen sind, ob das das Textilsiegel „Grüner Knopf“ ist, ob das die Reformpartnerschaften sind, ob das der Marshallplan mit Afrika ist. Das Ergebnis der Haushaltsberatungen ist: Sie bekommen 10 Millionen Euro mehr.
Zum Auswärtigen Amt fällt mir dagegen nichts ein. Es gibt dort keine Ideen, keine Schwerpunkte, keine Initiativen.
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Das Ergebnis ist: Das Auswärtige Amt bekommt 191 Millionen Euro mehr. Vielleicht sollten Sie sich daran mal ein Beispiel nehmen: Tun Sie ein Jahr lang mal nichts; vielleicht bekommen Sie dann auch mehr.
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Das ist symptomatisch für die Koalition: Stillstand wird hier belohnt. Das finde ich schade.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Anja Hajduk.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, bei allen guten Zahlen für das Jahr 2020 ist dieser BMZ-Haushalt, der Haushalt Ihres Ministeriums, Herr Müller, wie ich finde, kurzsichtig und deswegen auch nicht wirklich ehrgeizig.
Wir von den Grünen wollen einen ehrgeizigeren Etat, der auch aufzeigt, bis wann man das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklung auszugeben, erreichen möchte. Vor allen Dingen wollen wir nicht diese Brüche, die beim Übergang vom Jahr 2020 zum Jahr 2021 auftreten könnten. Diese Brüche würden bedeuten, dass der Haushalt des Entwicklungsministers um 14 Prozent abfällt. 14 Prozent sind 1,5 Milliarden Euro, und das ist ein Problem. Wenn dann die Sozialdemokraten oder das Finanzministerium uns glauben machen wollen, den Finanzplan müsse man doch nicht so ernst nehmen, da man im nächsten Jahr entsprechende Aufstockungen vornehme,
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dann muss man denen sagen, dass man aber im Jahr 2020 faktisch das Problem hat, keine mehrjährigen Zusagen mit Blick auf die vielen notwendigen Projekte geben zu können.
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Dieses Problem besteht gerade in dem multilateralen Bereich, über den auch Sie sich so positiv geäußert haben. Insofern ist es natürlich ein Riesenproblem, als Sie es dieses Jahr nicht wie im letzten Jahr geschafft haben, mehrere Hundert Millionen Euro für Verpflichtungsermächtigungen der nächsten Jahre zur Verfügung zu stellen, und das wollen wir doch nicht schönreden, Frau Kollegin Steffen.
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Ich kann dazu auch ein Beispiel bringen, woran man sieht, wie widersinnig das ist. Kanzlerin Merkel – Herr Müller strahlt mich schon an, weil er, glaube ich, meine Meinung teilt – war im September bei den Vereinten Nationen und hat die Zusage von zusätzlichen 500 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz gegeben. Damit löst Deutschland ein lang gegebenes Versprechen ein, nämlich 4 Milliarden Euro für den internationalen Klimaschutz ab 2020 bereitzustellen. Frau Merkel hat gesagt: ab 2020 und nicht für 2020, was ja bedeuten würde, dass für die Zeit danach hinter dem Ganzen ein Fragezeichen stehen würde. Dementsprechend ist es ein Problem, wenn im Finanzplan eine Summe nicht dauerhaft veranschlagt wird. Die internationale Gemeinschaft erwartet von uns ab 2020 4 Milliarden Euro für den internationalen Klimaschutz, und diese Zusage fehlt.
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Ich möchte noch auf einen anderen Punkt eingehen. Wir halten es in der Tat für erforderlich, dass die multilaterale Arbeit gestärkt wird; da kann ich den Kollegen aus der FDP nur zustimmen. In diesem Sinne ist es wichtig, dass da auch bei Ihnen, Herr Müller, der Schalter umgelegt wird. Wenn ich die ODA-Mittel von 2016 zugrunde lege – andere Zahlen stehen mir noch nicht so zur Verfügung – und gucke, wie viele davon multilateral eingesetzt wurden, dann stelle ich fest, dass das nur 20 Prozent waren. Vor Ihrer Amtszeit waren das 30 Prozent , und das ist eine Entwicklung, die ich nicht für richtig halte.
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Da muss man in eine andere Richtung gehen.
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- „30 Prozent von sehr viel weniger“, das stimmt. Aber es geht ja um die grundsätzlichen Leitlinien.
Ich erwähne das, Herr Gröhe, weil Ihre Kanzlerin – unsere Kanzlerin muss ich ja sagen; wir leben im selben Land –, Frau Merkel, dazu auffordert, den Multilateralismus weiterzuentwickeln, eine Agenda des Vertrauens zu schaffen. Da haben wir Deutsche eine besondere Aufgabe. Der Außenminister hat gesagt: Aktuell gilt es, eine Allianz der Multilateralisten zu schaffen, und deswegen ist auch in der Entwicklungszusammenarbeit eine Korrektur nötig.
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Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel, Herr Gröhe und Herr Minister Müller. Sie haben in der vergangenen Woche hier eine Konferenz zum Compact with Africa veranstaltet. Die Bundesregierung plante im laufenden Haushaltsjahr 2019 eine Beteiligung an einer Erhöhung des Kapitals für die Afrikanische Entwicklungsbank um 200 Prozent; wir hatten das also etatisiert. Dann haben bei den internationalen Verhandlungen andere leider gesagt: Wir beteiligen uns nur an einer Erhöhung um 125 Prozent. – Im 2019er-Etat haben wir also Mittel übrig. Wenn man für das laufende Jahr eine Erhöhung um 200 Prozent für richtig befunden hat, dann liegt es doch nahe, übriggebliebene Mittel für den Afrikanischen Entwicklungsfonds einzusetzen. Es geht darum, diese Mittel zu nehmen und multilateral für Afrika bereitzustellen. Das zur Verfügung stehende Geld hätten wir einfach im Entwurf des Haushaltsgesetzes 2020 als Verpflichtungsermächtigung veranschlagen können.
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Das haben Sie nicht gemacht; wir haben es beantragt. Warum haben Sie es eigentlich nicht gemacht?
Diese Mittel im Haushalt 2020 bereitzustellen, hätte die Bilanz verbessert, und das wäre nötig; denn sie würden in die sogenannten Least Developed Countries fließen, also in die ärmsten Länder, die wir gerade in der Zusammenarbeit mit Afrika nicht vergessen sollten.
Ich kann Ihnen nur zurufen: Im Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gibt es ein paar gute Entwicklungen; aber insgesamt werden sie den aktuellen Herausforderungen leider nicht gerecht. Wir arbeiten weiter daran und setzen auf das nächste Jahr.
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Jetzt hat als Nächstes das Wort der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Bitte schön, Herr Minister.
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Danke. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geht es den anderen auf der Welt auf die Dauer schlecht, dann wird es uns auf die Dauer nicht gut gehen, und deshalb lautet der Grundsatz „Der Starke hilft dem Schwachen“. Das gilt in der Familie; aber das gilt auch unter den Völkern.
Deutschland wird seiner Verantwortung gerecht. Wir tragen zur Bewältigung der globalen Herausforderungen bei. Ich möchte Ihnen, den Haushältern, dem deutschen Parlament, sagen: Die Politik für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat die Antworten auf die globalen Herausforderungen. Und: Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Das sind wir bei diesem Haushaltsansatz allen schuldig, auch den Bürgerinnen und Bürgern, den Steuerzahlern.
Wir helfen den Ärmsten in Not in den Krisen- und Flüchtlingsregionen der Welt. Heute Nacht wird gestorben: Tausende Kinder im Jemen und im Krisenbogen um Syrien, die auf Hilfe warten und für die Hilfe Überlebenshilfe ist, meine Damen und Herren. Aber es ist gelungen, die Fälle extremer Armut und Hunger seit 1990 mehr als zu halbieren. Und wenn wir noch mehr tun würden, wäre eine Welt ohne Hunger möglich, und zwar innerhalb der nächsten zehn Jahre mit Mitteln, die einem Viertel des weltweiten Verteidigungsaufkommens entsprechen; das bleibt das Ziel.
Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Wir stärken weltweit die Gesundheitsversorgung, Frau Steffen. Polio und Masern sind weltweit nahezu besiegt. Das ist großartig. Den deutschen Beitrag zu GFATM erhöhen wir auf 1 Milliarde Euro. Wir haben allein in zwei Jahren – da lade ich alle deutschen Kommunen ein – 60 neue Klinikpartnerschaften geschlossen. Herzlichen Dank!
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Wir fördern Bildung und Ausbildung; das ist ein Schwerpunkt. Unsere Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung bringt unsere berufliche Bildung nach Afrika und in die Entwicklungsländer. Und wir planen im kommenden Jahr eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem deutschen Handwerk. Heute haben 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen in der Welt – 90 Prozent! – Zugang zu Bildung. Es fehlen noch 10 Prozent, etwa in Afrika und in Indien. Aber vor 50 Jahren waren es nur 40 Prozent. Deshalb sage ich: Entwicklungszusammenarbeit wirkt.
Ein ganz besonderer Dank gilt den deutschen Kommunen für die Initiative „1 000 Schulen für unsere Welt“. Ich finde das großartig und danke besonders Stefan Rößle, der das zusammen mit dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Landkreistag initiiert hat. Sie haben im ersten Jahr 100 Schulen auf den Weg gebracht. Herzlichen Dank!
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Im Übrigen, meine Damen und Herren, die Sie zuhören: Sie alle können sich an dieser 1 000-Schulen-Initiative beteiligen. 50 000 Euro für eine Schule in Afrika verschaffen 500 Kindern Zugang zu Bildung.
Deutschland verstärkt die Maßnahmen für den internationalen Klimaschutz – Sie haben das angesprochen –; denn entscheiden wird sich die Klimafrage in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Hier danke ich dem Bundesfinanzminister, der Bundeskanzlerin, aber auch Ihnen allen aus dem Haushaltsausschuss für zusätzlich 500 Millionen Euro. Deutschland erfüllt damit seine internationalen Zusagen.
Ich könnte jetzt eine ganze Reihe von Programmen darstellen. Dazu gehört zum Beispiel der Green Climate Fund. Wir legen in Afrika ein Markteinführungsprogramm für erneuerbare Energien auf. Liebe Freunde von den Liberalen, da bieten sich auch technologische und wirtschaftliche Chancen für deutsche Unternehmen. Wir verstärken unsere Maßnahmen zum Regenwaldschutz, zum Meeresschutz und zum Mangrovenschutz. Wir verstärken damit die Markteinführung im Bereich Erneuerbare, wie ich gesagt habe. Aber wir könnten noch mehr tun.
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Außerdem setzen wir private Mittel ein; das ist ein neuer Akzent. Mit öffentlichen Geldern können wir die großen Herausforderungen auf den vielen Feldern nicht alleine schaffen. Aber private Gelder können Investitionen voranbringen. Dazu habe ich die neue Allianz für Entwicklung und Klima auf den Weg gebracht. Innerhalb von neun Monaten hat sie 500 Mitglieder und Unterstützer gewonnen, die ihre Unternehmen oder ihre Behörden klimaneutral aufstellen. Das BMZ wird das erste Ministerium sein, das nicht nur redet und fordert, sondern handelt.
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Ab 1. Januar 2020 ist es das erste deutsche Ministerium, das sich klimaneutral aufstellt. Wo bleibt der Deutsche Bundestag?
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Wo bleiben die Landesministerien? Jede öffentliche Behörde, jedes Ministerium sollte und muss uns folgen, sich klimaneutral aufstellen und sich der Allianz für Entwicklung und Klima anschließen.
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Entwicklungszusammenarbeit wirkt bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Wir haben geliefert und umgesetzt. Der Entwicklungsinvestitionsfonds wirkt. Erste Investitionsverträge sind unterschrieben, meine Damen und Herren. Neu ist, dass wir mit dem Senegal, Äthiopien und Marokko nun die sechste Reformpartnerschaft gestartet haben. Wir konzentrieren, und wir fordern unsere Partner: Kampf gegen Korruption, Einhaltung von Menschenrechten, Good Governance. Und was besonders erfreulich ist: Alle Reformpartner in Afrika haben nach dem Ease of Doing Business Index bei der Bekämpfung der Korruption und der Einhaltung der genannten Standards in den letzten Jahren wesentliche Erfolge erzielt.
Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Faire Lieferketten, keine Kinderarbeit, soziale und ökologische Standards sind ein Muss für alle. Der Grüne Knopf, den Sie hier an meinem Revers sehen, als erstes staatliches Siegel für ökologisch und sozial nachhaltig produzierte Textilien ist auf dem Markt. Sie können Ihre Weihnachtseinkäufe nun nachhaltig gestalten:
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statt Billigklamotten Kleidung mit dem Grünen Knopf, fair produziert.
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Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Wir setzen den Marshallplan mit Afrika um. Stichwort „Digitalisierung“: Wir unterstützen Smart Africa mit 200 Digitalprojekten, zum Beispiel mit dem Aufbau einer Wissensplattform Africa Cloud.
Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Ich fordere die Europäische Union auf, es uns gleichzutun. Richtung Brüssel sage ich: Wir brauchen vergleichbare Anstrengungen in Brüssel. Wir brauchen eine neue Afrikapolitik der Europäischen Union, einen stärkeren Marktzugang für afrikanische Produkte und eine Europäisierung des Marshallplan-Konzeptes.
Meine Damen und Herren, zum Schluss: Danke an die Zivilgesellschaft, an die Hunderttausenden von Expertinnen und Experten draußen in der Welt, in der GIZ, in der KfW! Mein Dank gilt meinen Staatssekretären Frau Flachsbarth, Herrn Barthle, Herrn Jäger und dem ganzen Haus, aber auch der Kanzlerin, allen Fraktionen und den Berichterstattern Herrn Körber, Frau Steffen und Frau Hajduk; ich schließe auch viele andere wie Sascha Raabe mit ein. Ohne euch hätte ich die Ergebnisse dieser Arbeit nicht erzielen können. Herzlichen Dank! Mit dem Haushalt 2020 setzen Sie ein starkes Zeichen.
Danke schön.
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Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Für die AfD hat jetzt das Wort der Kollege Markus Frohnmaier.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 3 Billionen US-Dollar flossen seit den 60er-Jahren als Entwicklungshilfe in die gesamte Welt. 2 Billionen davon gingen alleine nach Afrika. Das Resultat: Das Geld ist versickert, die Schweiz ist die größte Bank Afrikas.
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Die neuen afrikanischen Eliten investieren lieber in westliche Luxuslimousinen, aber nicht in das Wohlergehen ihrer Völker.
Und lernt die Bundesregierung daraus? Nein. Ihre Politik ist die Politik eines Süchtigen. Sie sind süchtig danach, die Schuld der gesamten Welt auf die Schultern der Industriestaaten zu laden als Buße für die drei Ks, die drei Säulen der weißen Schuld: Kolonialismus, Kapitalismus und – neuerdings – Klimawandel. Herr Müller und seine Heerscharen von Helfern sind süchtig danach, die Welt zu vergewohltätigen.
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Dabei wird die größte Herausforderung unserer Zeit von Ihnen völlig ausgeblendet. Bis 2050 wird sich die Bevölkerung in Afrika auf 2,5 Milliarden Menschen verdoppeln. Und was machen Sie? Sie überweisen lieber Steuergeld für Solarzellen auf marokkanischen Moscheen. Schon heute gelten zwei Drittel der 1,3 Milliarden Afrikaner als ausreisewillig. Wo sind denn Greta Thunberg, Hannah Blitz, Nike Mahlhaus und die ganzen anderen weißen privilegierten Fräuleins von Fridays for Future, um auf die Folgen für den Planeten und die Umwelt hinzuweisen? Wo ist Frau Merkel, die sagt: „Wenn ihr weiter ungebremst Kinder produziert, sprengt ihr euren Kontinent in die Luft“?
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Lieber verspricht die Kanzlerin 1 Milliarde Euro Steuergeld an Indien. Indien, Wirtschaftsgigant; Indien, die Atommacht; Indien, mit eigenem Raumfahrtprogramm. Die Kollegen von der CDU/CSU haben auch eines, aber das von Indien ist etwas ernstzunehmender. Der deutsche Steuerzahler darf jetzt also in Indien solarbetriebene Metrostationen und batteriebetriebene Rikschas finanzieren,
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wie uns die Medien in den letzten zwei Wochen über das, was Merkel dort an deutschem Steuergeld versprochen hat, berichtet haben.
In meiner Heimatgemeinde – vorhin wurde über Schulen gesprochen – hat man kein Geld für die Sanierung eines Grundschulgebäudes. Es regnet oben zum Dach rein.
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Sie schicken Geld nach Indien, während in Deutschland auch im Winter dieses Jahres 300 000 Familien der Strom abgedreht wird. Meine Damen und Herren, das ist soziale Perversion.
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Deshalb wollen wir 4 Milliarden Euro in Ihrem Etat, Herr Müller, einsparen. Geld, das in Deutschland gebraucht wird. Geld, das hier investiert werden muss. Geld, das bei unserem Bürger hier in Deutschland ankommen muss.
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Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner Dr. Sascha Raabe.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die ärmsten Menschen auf dieser Erde; denn es ist mit dem Haushalt 2020 jetzt zum zweiten Mal gelungen – nach dem Haushalt 2019 –, dass wir insgesamt jeweils 1 Milliarde Euro mehr für den Kampf gegen Hunger, Armut und Klimawandel zur Verfügung stellen können. Wir haben im letzten Jahr als Parlament die Mittel vom Entwurf bis zur Verabschiedung des Haushalts um 700 Millionen Euro steigern können, dieses Jahr noch einmal um über 600 Millionen Euro im BMZ und BMU zusammen.
Ich glaube, das ist etwas, was uns Mut macht, worauf wir stolz sein können und bei dem ich auch sage: Es macht mich froh, dass wir so eine gute Wirkung entfalten – auch gegen die Meinung derjenigen von der Rechtsaußenseite, die jedes Jahr hier stehen und immer wieder die Not der ärmsten Menschen, von hungernden Kindern ausspielen gegen Schulen in Deutschland, in die es reinregnet.
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Man muss beides tun! Man darf doch nicht Hunger gegen soziale Probleme in Deutschland ausspielen. Das ist unanständig und schäbig.
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Zum Glück sehen das auch die Menschen in Deutschland so.
Wir haben ganz viele – der Minister hat es angesprochen – Städtepartnerschaften. Wir haben Fairtrade-Towns, Fairtrade-Landkreise. Auch bei mir im Main-Kinzig-Kreis gibt es viele solcher Kommunen. Auch der Kreis macht sich da jetzt auf den Weg. Es gibt ganz viele Menschen, die bereit sind, privat zu spenden, weil sie wissen: Angesichts der Herausforderung, dass auf dem Nachbarkontinent Afrika die Bevölkerung so stark anwächst, kann doch die einzige Antwort nur sein, zu helfen, dass die Menschen dort würdige Lebensperspektiven, Zukunftsperspektiven haben.
Es geht übrigens die Geburtenrate in den Ländern zurück, in denen wirtschaftliche Perspektiven bestehen. Oft wir behauptet: Wenn wir impfen und Gesundheitsprogramme machen, dann werden doch noch mehr Kinder überleben. – Eine etwas zynische Betrachtungsweise.
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Etwas anderes ist der Fall: Dort, wo die Kindersterblichkeit sinkt, sinkt gleichzeitig die Geburtenrate; denn die Frauen wissen – auch mit Blick auf ihre Altersversorgung –, dass sie nicht mehr fünf, sechs oder sieben Kinder auf die Welt bringen müssen, damit zwei oder drei durchkommen. – Das macht Sinn; aber es müssen auch nicht alle verstehen. Ich bin stolz und froh, dass die Mehrheit dieses Hauses das verstanden hat und wir wieder einen so tollen Haushalt hinbekommen haben, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen.
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Natürlich ist nicht nur die Höhe eines Haushaltes wichtig – wir haben jetzt fast 11 Milliarden Euro für das Entwicklungsministerium bereitgestellt; das ist toll –, sondern es ist auch wichtig, für was wir die Mittel verwenden. Da, Sonja, gebe ich gerne das Lob an dich als unsere Haushälterin zurück. Wir haben im multilateralen Bereich deutliche Umschichtungen vorgenommen, gerade zum Beispiel für UNICEF, was mir besonders am Herzen gelegen hat, und für viele andere UN-Hilfsprogramme. Ich glaube, man muss immer schauen, wer was am besten kann, und da das Geld hingeben. Bilaterale Hilfe ist ebenso wichtig wie die multilaterale. Ich glaube, das passt zurzeit sehr gut zusammen, wie wir es auch im Haushalt abbilden.
Es ist auch gut, dass wir die Mittel der politischen Stiftungen aufgestockt haben; nicht von allen politischen Stiftungen. Die Stiftungen, die ich kenne – die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Stiftungen von der FDP, von den Grünen und von den Linken –,
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machen alle eine gute Arbeit vor Ort und helfen, die Demokratisierung voranzubringen, die Zivilgesellschaft zu stärken, Arbeitnehmerrechte zu stärken, Menschenrechte zu stärken. Sie alle setzen sich für gute Regierungsführung ein. Deren Mittel haben wir ebenso aufgestockt wie die Mittel für die zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland – „Brot für die Welt“, Welthungerhilfe, Misereor, wie sie alle heißen. Es ist gut, dass wir so viele Partner haben, die sich für Nachhaltigkeit und gegen Hunger und Armut einsetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Wir müssen aber auch einen Blick auf die Länder werfen, mit denen wir zusammenarbeiten, Herr Minister – Sie haben die Reformpartnerländer schon genannt, auch im anderen Portfolio –, wenn wir uns gemäß der Vereinbarung der Geber auf eine kleinere Anzahl konzentrieren wollen. Es ergibt ja auch Sinn, die Anzahl der Partnerländer zu verkleinern, weil in vielen Entwicklungsländern zu viele Geberländer unterwegs sind und die Ministerien zum Teil mit 20, 30 gut meinenden ausländischen Regierungsvertretern über die Entwicklungsprogramme reden sollen. Wenn wir aus einem Land rausgehen, geht ein anderes Land rein, das das dann vielleicht effizienter machen kann.
Aber es ist wirklich wichtig, dass wir beim Kriterium „gute Regierungsführung“ darauf achten, dass die Regierungen dort die Menschenrechte einhalten, dass dort Arbeitnehmerrechte eingehalten werden, keine ausbeuterische Kinderarbeit erfolgt und Korruption stark bekämpft wird.
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Ich war neulich mit der Deutsch-Mittelamerikanischen Parlamentariergruppe – da waren auch hier einige mit dabei – in Honduras. Dort werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Ich sprach soeben mit Frau Miriam Miranda vom Volk der Garifuna, einer indigenen Gruppe. Dort sind Morde von der Drogenmafia, aber auch von regierungsnahen Gruppen an der Tagesordnung, weil sich die Menschen dagegen wehren, dass ihnen das Land weggenommen wird. In dem Land besteht 97 Prozent Straflosigkeit. Das Parlament hat jetzt ein Gesetz verabschiedet, wonach Abgeordnete nicht strafverfolgt werden können, wenn sie Geld veruntreuen und die öffentlichen Kassen plündern. In dem Fall sage ich: Da müssen wir ein Stopp setzen und dem Land sagen: Nur dann, wenn ihr dieses Gesetz zurücknehmt, wenn ihr wieder auf den Pfad der Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung der Menschenrechte kommt, machen wir mit den staatlichen Stellen dort weiter Entwicklungszusammenarbeit; so lange nicht. Dann machen wir das lieber nur über die zivilgesellschaftlichen Gruppen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Wir müssen genau darauf gucken, dass die Länder ihren Verpflichtungen nachkommen. Wir müssen auch in unseren Handelsabkommen darauf achten, dass die Nachhaltigkeitskapitel geschärft und auch mit Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet werden, wenn Länder gegen Arbeitnehmerrechte verstoßen, mit Kinderarbeit Lohndumping betreiben, nur Hungerlöhne zahlen. Denn zollfrei in die EU sollte nur das rein, was unter menschenwürdigen, fairen Bedingungen hergestellt worden ist.
Das wollen auch viele Unternehmer; die wollen faire Wettbewerbsbedingungen. Die anständigen Unternehmer schützen wir vor den Ausbeutern. Denen und damit auch den Eliten in den Entwicklungsländern, die mit den Ausbeutern zusammenarbeiten, werden wir das Handwerk legen.
Aber ich sage auch: Zur Korruption gehören immer zwei. Es gehören diejenigen in den Ländern dazu, die Geld annehmen. Es gibt aber auch viele Unternehmen, die Schmiergeld zahlen und sich verantwortungslos verhalten. Deswegen ist es richtig, dass Hubertus Heil gemeinsam mit Minister Müller Initiativen ergreift, damit wir verbindliche gesetzliche Regelungen für ein Lieferkettengesetz bekommen, damit wir einen Nationalen Aktionsplan für Menschenrechte verbindlich machen, damit Unternehmen bestraft werden können, wenn sie gegen Menschenrechte verstoßen.
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In dem Sinne bietet unser Haushalt gute Voraussetzungen, Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung zu unterstützen. Ich bin zuversichtlich, dass wir den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen heute damit ein großes Stück näherkommen. Im nächsten Jahr, liebe Kollegin Hajduk, werden wir bestimmt auch wieder das, was im Finanzplan jetzt zu niedrig angesetzt wird, deutlich erhöhen,
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sodass wir dann vielleicht sagen können: Wir machen einen Hattrick – dreimal 1 Milliarden Euro mehr für ODA. – Das wär doch was fürs nächste Jahr. Dafür werden wir kämpfen.
Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Für die FDP-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Michael Georg Link.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich danke ganz herzlich den Kolleginnen und Kollegen Berichterstattern für die gute Zusammenarbeit und dem Team von Minister Müller für die vertrauensvolle Beantwortung der Fragen, die wir hatten; wir hatten ja wahrlich viele Fragen. Es hat sich gezeigt, dass wir bei der Frage der Ziele der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, mit Ausnahme des äußerst rechten Randes des politischen Spektrums, oft gar nicht weit auseinanderliegen. Aber wir streiten sehr wohl um die Wege, und wir streiten sehr wohl um die Art und Weise. Lassen Sie mich deshalb zunächst in den Dank auch noch die vielen Tausenden Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in der Entwicklungszusammenarbeit einschließen. Auch unsere Fraktion möchte Ihnen dafür danken, dass sie sich dafür einsetzen, dass Menschen überall auf der Welt in Würde leben können.
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Für uns Freie Demokraten ist klar, dass diese deutschen Alleingänge – da müssen wir schon ein bisschen Wasser in den Wein schütten –, die es gerade im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit sehr häufig gibt und die oft sehr wenig mit den EU-Nachbarn und mit der EU selbst abgestimmt sind, nichts helfen. Sie sind Aktionismus.
Trotz all dem, was punktuell gemacht wurde – die Kollegin Hajduk hat zu Recht darauf hingewiesen –, bräuchten wir deutlich mehr Geld vor allem für die Vereinten Nationen und multilaterale Ansätze. Wir haben deshalb Anträge eingebracht, die mehr Geld für UNICEF, mehr Geld für den Bildungsfonds und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen fordern. Wir fordern auch mehr Geld für Initiativen zur Familienplanung, mehr Geld für die Entwicklungsprogramme der Weltbank und mehr Geld für das Welternährungsprogramm. Wir haben das durch Umschichtungen aus den Sonderinitiativen finanziert; ich komme gleich darauf zu sprechen.
Aber was macht die Bundesregierung? Auf Druck des Ausschusses erhöht sie die Mittel punktuell. Sie sitzt im Sicherheitsrat, bleibt aber bei der Förderung der UN-Organisationen letzten Endes ein Scheinriese. Sie bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück. Sie behindert sogar sehr stark viele UN-Organisationen mit sehr eng gefassten Mittelbindungen. Diese engen Mittelbindungen führen dazu, dass zum Beispiel dem Welternährungsprogramm vorgeschrieben wird, in welchen Bereichen es arbeiten darf. Ich frage Sie, Herr Minister: Haben Sie etwa eine Glaskugel, die Ihnen zeigt, wo 2020 die größten Ernteausfälle sein werden oder wo Ebola ausbricht? Nein, diese Mittelbeschränkungen – der englische Fachbegriff lautet Earmarks – beschädigen das System der Vereinten Nationen und machen diese wichtigen Organisationen weniger handlungsfähig. Also, Multilateralismus muss man auch in der Praxis leben und nicht nur in Sonntagsreden loben.
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Wir streiten, liebe Kolleginnen und Kollegen, um den besten Weg, wie man die Koordinierung innerhalb der Bundesregierung vorantreiben könnte. Sage und schreibe 15 Ressorts engagieren sich in der Entwicklungszusammenarbeit. Ja, man kann fast sagen: Neben Herrn Müller gibt es noch 14 Co-Minister, und jeder von ihnen will glänzen.
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Wir fordern daher die Einrichtung eines ständigen Staatssekretärsausschusses, in dem diese Ministerien endlich eine gemeinsame Strategie entwickeln müssen, um auf EU-Ebene und in den Partnerländern vor Ort mit einer Stimme zu sprechen. Wir brauchen auch eine ressortübergreifende Evaluierung unserer Entwicklungszusammenarbeit; die Wirkungsorientierung muss besser geprüft werden. Doch da geht es bei der Bundesregierung – man schaue in die Berichte des Rechnungshofes – nur im Schneckentempo voran. Solange da nicht genug geschieht, können wir nicht einfach Ja zu Erhöhungen sagen.
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Wir sind bereit, mehr Geld in die Hand zu nehmen, wenn die Effizienz steigt. Wir fordern schon lange, dass wir nicht isoliert hier 0,7 Prozent für Entwicklung und da 2 Prozent für Verteidigung veranschlagen. Wir fordern, dass wir insgesamt 3 Prozent in international vernetzte Sicherheit investieren. Aber es muss bitte koordiniert und aufeinander abgestimmt sein.
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Der Entwicklungsminister ist übrigens auch auf dem Holzweg, wenn es um seine sogenannten Sonderinitiativen geht. Es muss endlich Schluss sein mit diesen Schattenhaushalten im BMZ. Sage und schreibe 10 Prozent seines Etats werden mit der Gießkanne verteilt. Der Bundesrechnungshof und meine Fraktion haben diesen PR-Etat – und es ist ein PR-Etat – immer wieder kritisiert. Aber anstatt dem Minister Korsettstangen einzuziehen, sagt die Mehrheit im Haushaltsausschuss: Lieber Minister, bitte mach nach der nächsten, nach der fünften Sonderinitiative Schluss. – Selbstbewusstes Parlament geht anders.
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Damit nicht genug: Statt Wege zu finden, wie wir deutsche Steuergelder effizienter einsetzen könnten – wir wollen ja mehr machen, aber eben effizienter –, entledigen sich die Koalitionsfraktionen auch noch einer ihrer wichtigsten parlamentarischen Kontrollfunktion, indem sie die Zustimmungsgrenze für neue Projekte – jetzt hören Sie genau zu – von 25 Millionen auf 50 Millionen Euro erhöhen. Das BMZ hat mit diesem Entschluss für die große Masse seiner Projekte – denn sie liegen zwischen 25 und 50 Millionen – einen Blankoscheck bekommen. Kolleginnen und Kollegen der Koalition, so verzwergen Sie den Haushaltsausschuss und das Budgetrecht dieses Hauses.
Der BMZ-Haushalt 2020 ist daher insgesamt eine herbe Enttäuschung. In der Entwicklungszusammenarbeit bleibt Deutschland weit hinter seinem Potenzial zurück. Deshalb lehnen wir diesen Etat ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Kollege Link. – Die Kollegin Helin Evrim Sommer ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
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Es geht bei der Entwicklungszusammenarbeit nicht um Almosen. Es geht um soziale Gerechtigkeit, und es geht um ein Leben in Würde.
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Weltweit hungern 821 Millionen Menschen, und das nicht nur in den 47 ärmsten Ländern wie Senegal, Mali und Burkina Faso. Auch in Indien leiden die Menschen unter Armut und Unterernährung.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich erzähle ich hier nichts Neues. Und doch entwickelt sich die deutsche Entwicklungspolitik in eine andere Richtung. Die Bundesregierung will weg von der Unterstützung von Staaten, die sie am nötigsten brauchen, hin zu mehr Belohnung für gute Führung, Kopfnoten zum Beispiel für die Bekämpfung von Korruption. Aber tatsächlich geht es Ihnen, lieber Herr Entwicklungsminister Müller, allein um Gewinnmaximierung bei Privatinvestitionen. Das Problem der Korruption spielt für Sie da gar keine Rolle. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Selbstverständlich müssen wir Korruption bekämpfen, bei uns und auch in den Ländern des Südens. Doch bei der unmittelbaren Versorgung von Menschen in Not hat das überhaupt nichts zu suchen.
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Tatsächlich bedeutet nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit, die Grundversorgung bei Gesundheit und Bildung zu unterstützen, also Schulen auch auf dem Land und in Flüchtlingslagern und ein kostenloses Gesundheitssystem für alle. Auch bei uns in Deutschland fragt der Arzt vor der OP nicht danach, ob unser Führungszeugnis in Ordnung ist. Menschenwürde ist bedingungslos, liebe Bundesregierung.
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Wie können wir dies erreichen? Die UN gibt uns einen Hinweis. Die reichen Länder sollen 0,2 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für die ärmsten Länder aufwenden. Um dies zu erreichen, sollten wir erstens den Anteil der öffentlichen Entwicklungsgelder endlich auf 0,7 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens anheben. Das ist die Vorgabe der Vereinten Nationen. Das haben wir in 50 Jahren nicht erreicht.
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Zweitens. Von diesen 0,7 Prozent sollten 0,2 Prozentpunkte vor allem in die Bereiche Gesundheit, Bildung und in Programme für Ernährungssouveränität fließen. Nur wer sich selbst ernähren kann, gesund und gut ausgebildet ist, hat eine Chance, die eigene Zukunft zu gestalten, übrigens genauso, wie wir das für uns ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen.
Drittens. Entwicklungszusammenarbeit bedeutet auch, in die Familienplanung und in die Stärkung von Frauenrechten zu investieren. Die freie Entscheidung der Menschen, vor allen Dingen der Frauen, muss im Mittelpunkt stehen. Das wäre eine nachhaltige Politik für ein Leben in Würde und mit der Chance auf Entwicklung. Das würden wir als Linke selbstverständlich gerne unterstützen.
Vielen Dank.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Ottmar von Holtz.
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Herr Präsident! Über Zahlen und Daten im Haushalt des BMZ ist bereits eine Menge gesagt worden; das möchte ich nicht alles wiederholen. Aber, Herr Minister Dr. Müller, eines möchte ich doch noch einmal betonen: Es ist zwar schön, dass der Haushalt des BMZ erneut anwächst, aber die Perspektive macht mir Sorge. Wir alle wissen um die Arbeitsbedingungen vor Ort im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Wir sind extrem auf Planungssicherheit angewiesen. Das trifft vor allem auf Projekte zu, die wir in fragilen Kontexten umsetzen. Ganz besonders trifft das die Projekte der zivilen Krisenprävention. Gerade sie sind existenziell davon abhängig, eine Langfristperspektive zu haben.
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Wir haben heute bei den außenpolitischen Themen viel über die neue Weltordnung und über die USA gehört, und wir haben Appelle an die Verantwortung Deutschlands und der EU gegenüber China gehört. Von all diesen Umwälzungen bleibt auch die Entwicklungszusammenarbeit nicht verschont.
Die USA ziehen sich aus vielen Bereichen zurück. China übernimmt die Rolle des Westens aus früheren Zeiten, als wir die Entwicklungsländer in die Schuldenfalle getrieben haben. Private Geldgeber drängen auf den Markt. Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung bietet allein im Gesundheitsbereich mehr Geld, als wir im gesamten Haushalt des BMZ haben. Wir müssen aufpassen, Herr Dr. Müller, dass sich die Politik nicht zu sehr auf dieses private Geld verlässt. Wer bestimmt dann am Ende die Agenda der globalen Gesundheit? Was machen wir, wenn dieses Geld plötzlich wegfällt? Ich finde, es kann nicht sein, dass wir eine so wichtige Arbeit wie die der Weltgesundheitsorganisation den Stiftungen überlassen.
Schauen wir nach Europa. Im Wahn, Migration unterbinden zu müssen, steuert man in Brüssel um und macht statt Fluchtursachenbekämpfung immer mehr Fluchtbekämpfung. So, wie das Nachbarschaftsinstrument NDICI geplant ist, schluckt es den Entwicklungsfonds und gute bisherige Instrumente wie das für Frieden und Stabilität, das IcSP. Angesichts einer Politik, die sich auf Verhinderung von Migration konzentriert, müssen wir befürchten, dass das Geld dieser sehr nützlichen Instrumente zweckentfremdet wird.
Herr Dr. Müller – ich spreche auch die Vertreterinnen der Bundeskanzlerin und des Ministers Scholz an –, machen Sie da nicht mit! Setzen Sie sich im Rat dafür ein, dass das Nachbarschaftsinstrument so, wie es bisher auf den Tisch liegt, nicht kommt!
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Herr Minister, erneut wollten Sie die Sonderinitiativen ausbauen. Sie haben die Reformpartnerschaften angesprochen. Das ist vom Ansatz her eine gute Sache. Sie haben aber in Ihrem Haus unwahrscheinlich viele Labels, und Sie haben auch den Marshallplan, soweit ich weiß, mit zwei Ländern initiiert. Unter einem Marshallplan stelle ich mir eigentlich etwas ganz anderes vor – Stichwort „Compact with Africa“.
Das gilt auch für die Sonderinitiativen. Ich bitte Sie: Lassen Sie diese unglücklichen Sonderinitiativen, die einer systematischen kohärenten EZ-Politik im Wege stehen. Vernachlässigen Sie nicht die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit! Nehmen Sie die wirklichen Herausforderungen an, die wir in der Entwicklungszusammenarbeit haben, beispielsweise in Bezug auf die Rechte von Frauen und Mädchen auf Bildung und Gesundheit und vor allem darauf, selbst bestimmen zu können, wann, von wem und wie viele Kinder sie haben wollen; denn das ist essenziell bei der Frage des starken Bevölkerungswachstums.
Rücken Sie das Motto „Leaving no one behind“ der Agenda 2030 in den Fokus! Wir warten ungeduldig auf Ihre Inklusionsstrategie. Lassen Sie die am wenigsten entwickelten Länder nicht im Stich!
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Die Bundesregierung hat sich in internationalen Abkommen nicht nur dem Kampf gegen Armut und Ungleichheit und gegen den Klimawandel verpflichtet. Deutschland muss die Agenda 2030 und ihre Nachhaltigkeitsziele endlich als Chance zur sozialökologischen Transformation nutzen. Da ist Ihr ODA-Beitrag zum globalen Klimaschutz noch lange nicht ausreichend.
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Zum Schluss noch ein paar Worte zur zivilen Krisenprävention; denn sie ist mitnichten nur ein Thema des Auswärtigen Amtes. Ressortgemeinsames Handeln ist das Gebot der Stunde. Immerhin kommt das meiste Geld im Bereich der zivilen Krisenprävention aus dem BMZ-Etat. Deswegen ist es für mich vollkommen unverständlich, Herr Müller, warum die Finanzierung des ZFD seit Jahren stagniert.
Herr Minister, vieles von dem, was Sie gesagt haben, ist richtig. Was wir uns wünschen, ist, dass die Bundesregierung nach diesen vielen Jahren der Worte endlich auch Taten folgen lässt.
Danke schön.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Hermann Gröhe.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Rekordinvestitionen, keine neuen Schulden, Entlastung der Bürgerinnen und Bürger – dies alles prägt diesen Haushalt und zeigt die wirtschaftliche Stärke dieses Landes und unseren Willen, diese Stärke zu erhalten. Zugleich unterstreichen wir mit dem Einzelplan 23, den wir hier beraten, unser Bekenntnis zur gewachsenen internationalen Verantwortung Deutschlands mit einem Haushalt von nahezu 10,9 Milliarden Euro. Das ist ein neuer Rekordwert; darauf sind wir stolz, meine Damen, meine Herren.
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Mir sei schon die Bemerkung erlaubt: Nach sieben mageren rot-grünen Jahren, in denen der Haushalt bei 4 Milliarden Euro stagnierte, gab es 14 gute Jahre. Und ich habe Sie, Frau Hajduk, so verstanden: Das soll so weitergehen. – Recht haben Sie! Vielen Dank für diese Bestätigung.
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Mit dieser Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung werden wir der Werteorientierung unserer Politik auch im internationalen Bereich gerecht. Wenn über 800 Millionen Menschen bitteren Hunger erleiden, 1,4 Milliarden Menschen in bitterster Armut leben, Hunderten Millionen von Menschen der Zugang zu Bildung, zu Ernährung, zu sauberem Wasser und zur Gesundheitsvorsorge verwehrt ist, dann darf uns dies als reiches Land nicht ruhen lassen. Weil wir wirksam helfen können, müssen wir auch helfen, meine Damen, meine Herren.
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Zugleich gilt: Der Kampf gegen bittere Armut, gegen Ausbeutung und Unterdrückung ist auch in unserem eigenen Interesse. Frieden, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit werden wir auch für uns auf Dauer nur erhalten können, wenn wir weltweit mehr Gerechtigkeit und Wohlergehen für alle Menschen erreichen.
Wenn Nationalisten weltweit und hier im Hause angesichts des millionenfachen Elends in der Welt der Abschottung das Wort reden oder – wie wir es heute erlebt haben – in billiger Weise Vorurteile gegen Entwicklungszusammenarbeit schüren, missachten sie die bittere Not von Millionen Menschen in aller Welt und leisten zugleich unserem eigenen Land einen Bärendienst.
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Niemand kann und will die Welt alleine retten, wie Sie es uns unterstellen.
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Aber wir werden Ihnen und Ihresgleichen nie mehr erlauben, die Welt an den Rand des Abgrunds zu führen; auch das gilt.
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– Die Antwort auf solch schäbige Töne ist der Rekordhaushalt.
Aber eine viel wichtigere Antwort ist der Einsatz Tausender Menschen aus unserem Land, die in staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, in den Kirchen in vielen Teilen der Welt partnerschaftlich an der Seite von Menschen arbeiten, die sich in Armutsgegenden für bessere Lebensbedingungen einsetzen. Diese Menschen nehmen häufig ein hohes eigenes Risiko auf sich. Ich denke etwa an diejenigen, die im Südsudan oder in Afghanistan helfen. Herzlichen Dank für diesen großartigen Einsatz.
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Meine Damen, meine Herren, es ist noch einmal unterstrichen worden, dass die zusätzlichen 500 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz diesen Rekordhaushalt möglich gemacht haben. In der Tat gilt: Maßnahmen für den Schutz des einen Klimas in der einen Welt werden eben nur dann erfolgreich sein, wenn wir entschlossenes Handeln im eigenen Land und internationale Anstrengungen zusammenführen.
Wir schulden dabei gerade denen Hilfe, die am wenigstens zum Klimawandel beitragen, aber am härtesten unter seinen Folgen leiden, nämlich den Menschen in den armen Ländern des Südens, meine Damen und Herren.
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Ihnen zu helfen, mit den Folgen des Klimawandels durch Anpassungsmaßnahmen fertigzuwerden, aber gleichzeitig auch eigene Maßnahmen des Klimaschutzes zu ergreifen, ist daher ein Gebot internationaler Solidarität.
Meine Damen, meine Herren, jedes Jahr gehen 13 Millionen Hektar Wald verloren. Ein Drittel der Mangroven an den Küsten sind bereits zerstört, und zwar mit gewaltigen Auswirkungen sowohl auf die Entwicklung des Klimas als auch auf den Schutz vor Überschwemmungen. Deswegen ist es gut, dass die Bundesrepublik Deutschland in über 15 Ländern Maßnahmen des Mangrovenschutzes unterstützt.
Es ist deutlich geworden, dass die Wasserressourcen in vielen Teilen der Regionen in einer Weise gefährdet sind, dass bereits mit der Reduktion um 40 Prozent der globalen Getreideproduktion gerechnet werden muss. All dies zeigt: Wassersicherheit und Ernährungssicherheit in vielen Teilen der Welt, vor allem aber in Afrika, sind ein Gebot, um für die Ärmsten der Armen die Folgen des Klimawandels abzufedern. Wir stehen zu dieser Verantwortung.
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Meine Damen, meine Herren, es ist darauf hingewiesen worden, dass auch die globale Gesundheit in besonderer Weise deutlich macht, dass nationale und internationale Politik Hand in Hand gehen müssen. Die Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten ist zu Recht eine vom Gesundheitsministerium und dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gemeinsam verantwortete Strategie, weil wir uns diesen globalen Gesundheitsgefahren nur gemeinsam stellen können. Deswegen ist eine Milliardenzusage an den Global Fund eine gute Nachricht für die Länder, denen geholfen wird. Aber im Sinne des gesamten Kampfes gegen diese Krankheiten ist es auch eine gute Nachricht für unser Land. Gut, dass wir diese Aufstockung vornehmen.
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Kollegin Steffen, Sie haben an „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“ erinnert. Wenn die letzten Meilen gegangen werden können, diese schreckliche Krankheit endlich ganz zu verbannen, dann ist es richtig, dass der Haushaltsausschuss 35 Millionen Euro zusätzlich in die Hand nimmt. Denn wir wissen, dass die letzten Meter oft die besonders anstrengenden sind. Wir dürfen nicht nachlassen und uns nicht vorzeitig freuen. Dass wir das großartige Ziel jetzt in den Blick nehmen und erreichen wollen, ist eine gute Nachricht. Danke an den Haushaltsausschuss für diesen Beschluss.
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Ich unterstreiche auch, was Sie zur Impfallianz GAVI gesagt haben und zur Hoffnung, im Haushaltsvollzug nachzusehen, ob noch ein Stückchen mehr Förderung möglich und notwendig ist.
Schließlich sei auch das mir erlaubt zu sagen: Ja, wir sind stolz auf diesen Rekordhaushalt. Wir können an einer Fülle von Maßnahmen aufzeigen, dass er Menschen hilft. Gleichzeitig wissen wir: Die Politik muss fortgesetzt werden. Deswegen können wir nicht zufrieden sein mit der Finanzplanung. Deswegen bleibt für die Zukunft viel gemeinsame Überzeugungsarbeit. Darauf freue ich mich.
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Vielen Dank, Herr Kollege Gröhe. – Der nächste Redner ist der Kollege Dietmar Friedhoff für die AfD-Fraktion.
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Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Eines der Entwicklungshemmnisse der Weltgemeinschaft sind die Kriege, Verfehlungen und Unterdrückungen, die irriger-, fälschlicher- und katastrophalerweise im Namen Gottes oder Allahs stattfinden, inklusive der Themen wie Zwangsbeschneidung, Frühverheiratung und Unterdrückung der Mädchen und Frauen. Diese nervende Überhöhung des Mannes über die Frau, das archaische Gehabe findet auch oder gerade hier seinen Ursprung.
Kommen wir zum Glauben und zur Bevölkerungsentwicklung. Es gibt zu schnell zu viele Menschen, sodass echte Nachhaltigkeit und Teilhabe an einem besseren Leben für alle Menschen gar nicht stattfinden kann. Fakt ist: Der Glaube spielt in der Entwicklung eines Volkes eine zentrale Rolle. Wenn aber zum Beispiel die katholische Kirche in Afrika nicht über Verhütung reden will oder der Islam Kinderehen duldet und den Mann über die Frau erhebt und Bildung für Frauen nicht fördert, dann sollten wir uns fragen, Herr Minister Müller, wie auf so einer Basis echte Weiterentwicklung überhaupt funktionieren kann.
Kommen wir zur Verantwortung. Eigenverantwortlichkeit der Menschen, dann der Staat und dann die Gemeinschaft der Völker – dieses System haben wir mittlerweile komplett auf den Kopf gestellt. So werden die Agenda 2030 und die 17 Nachhaltigkeitsziele nicht die Selbstverantwortung fördern, sondern vielmehr die Fremdbestimmung und die Fremdsteuerung. Dazu kommen Themen, die die Welt belasten: Kunststoffmüll, Umweltzerstörung und Ressourcenwahn. Ihre Antworten? Ihre Konzepte? Fehlanzeige! Und dabei könnten wir gerade hier mit unserem Know-how als Bundesrepublik Deutschland wirklich punkten, eine Riesenchance für unsere Wirtschaft.
Herr Müller, die Weltbevölkerung wird von Jahr zu Jahr um über 80 Millionen Menschen steigen. Afrika benötigt von Jahr zu Jahr 20 Millionen neue Arbeitsplätze. Wo genau sind hier erkennbar funktionierende Ansätze Ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit? Bevölkerungswachstumsbegrenzung und deutsche Wirtschaftsinteressen in einer nachhaltigen Entwicklung sollten Ihre Themen sein und nicht klimaneutrale Moscheen, Inklusionstoiletten in der Wüste und die Transformation der Welt.
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Sie reden von grünen Knöpfen, damit die indische Näherin – das waren Ihre Worte – ihr selbstgenähtes Kleid im Internetportal selbst verkaufen kann, damit wir es dann im Flugzeug für kleines Geld nach Deutschland fliegen – natürlich CO2-neutral – und so quasi in Ihrem globalen Dorf kaufen können. Die Geschichten von dem Herrn Entwicklungsminister erinnern uns doch immer etwas an die Augsburger oder hier besser Berliner Puppenkiste, diesmal an Dr. Gerd Knopf im ... Sie wissen bestimmt.
Was fehlt, ist die Realität in Bezug auf das Machbare und die Erkenntnis, dass zurzeit ein künstliches System ein anderes künstliches System nährt. Wir haben neben einer Migrationsindustrie leider Gottes schon seit Jahren eins: eine sich selbst versorgende Entwicklungsindustrie.
Was wollen wir? Wir wollen, dass Afrika endlich Afrika ist und nicht Afropa. Afrika ist ein reicher Kontinent, und es braucht nach Jahrzehnten fehlgeleiteter Entwicklungshilfe einen eigenen afrikanischen Anspruch auf Selbstverantwortung und eine eigene große Agenda Afrikas für Afrika. Hier sollten wir Partner jenseits ideologischer Glaubenslehren sein. Vielen lieben Dank. Der Haushalt ist abzulehnen.
Danke schön.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dagmar Ziegler.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei der Einbringungsrede sagte ich:
Der Haushalt des Deutschen Bundestages ist eben kein Selbstzweck. Das Parlament setzt die Prioritäten, gibt den Ministerien die Richtung vor und untersetzt dies mit finanziellen Mitteln.
Genau das haben wir gemacht. Deshalb ein ganz besonderer Dank an die Mitglieder des Haushaltsausschusses für unseren Bereich, insbesondere an Sonja Steffen und Carsten Körber.
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Wir haben es heute schon öfter gehört: Für das BMZ bedeutet das gegenüber 2019 ein Plus von 630 Millionen Euro. Ja, wir haben die ODA-Quote von 0,7 Prozent wieder nicht erreicht. Wir liegen ungefähr bei 0,51 Prozent. Aber man muss deutlich sagen: Wir sind auf einem guten Weg, und wir werden unseren internationalen Verpflichtungen mehr und mehr gerecht.
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Ein Wort noch zu der Forschung, die wir jetzt betreiben müssen. Sehr geehrter Herr Gröhe, wir müssen nachforschen – auch mit den Kollegen der FDP –, ob es statt der rot-grünen Koalition nicht die Niebel-Delle war, die den Abschwung im Haushalt verursacht hat.
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Aber das machen wir mal abseits.
Verantwortung ist die Überschrift und der Inhalt unserer Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben uns, glaube ich, wirklich lange Zeit mit diesem Wort „Entwicklungshilfe“ zufriedengegeben. Wir sollten dieses Wort einfach mal aus unserem Repertoire streichen und sagen: Es ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die wir pflegen wollen.
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Unser Reichtum ist zu stark auf den Schultern ärmerer Länder aufgebaut. Das wissen wir, und dies zu leugnen, ist, glaube ich, überflüssig. Nur wenn wir daran arbeiten, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, können wir globale Probleme wie Armut, wie Hunger und – ich sage es noch mal – wie Klimawandel bekämpfen. Grundpfeiler für uns Sozialdemokraten sind dabei Bildung und globale Gesundheit, gerade auch für Frauen und Mädchen. In diesen Feldern liegt das Fundament einer erfolgreichen Zukunft. Sie sind der Inbegriff von Hilfe zur Selbsthilfe; denn unser Credo „Aufstieg durch Bildung“ gilt eben weltweit.
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Deshalb ist die Förderung der Globalen Bildungspartnerschaft so wichtig. Denn wir wissen: Bildung ist der beste Motor für eine soziale, für eine gleichberechtigte wie auch ökonomisch starke Gesellschaft. Diese Förderung stellt einen Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit dar. Diese Mittel – wir haben es heute schon mehrfach gehört – sind auf 50 Millionen Euro gestiegen. Deshalb auch Dank an unseren Kollegen Christoph Matschie, der sich seit Jahren für diesen Bereich auch ehrenamtlich engagiert.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, erfolgreiche Bildung und ein selbstbestimmtes Leben setzen eine gute Gesundheitsversorgung voraus. Aus diesem Grunde haben wir dafür gesorgt, dass die Förderung der Globalen Initiative zur Ausrottung der Polio – da sind wir alle, glaube ich, über Fraktionsgrenzen hinweg begeistert dabei – im BMZ endlich auch einen festen Titel erhalten hat, auf 35 Millionen Euro erhöht und verstetigt wird. Dadurch geben wir Planungssicherheit und stellen Mittel zur Verfügung, durch die die hochansteckende Infektionskrankheit endlich ausgerottet werden kann. Meine liebe Kollegin Steffen hat das ja auch sehr anschaulich dargestellt. Weltweit gibt es zwar nur wenige Fälle, es erfordert jedoch ein ständig vorhandenes und auch hochprofessionalisiertes Radarsystem, um weitere Ausbrüche der Krankheit zu verhindern. Das kostet eben auch viel Geld.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns vor dem Hintergrund der UN-Weltbevölkerungskonferenz, die Mitte November in Nairobi stattfand, auf die Fahnen geschrieben, die sexuelle und reproduktive Gesundheit zu verbessern und die Rechte von Mädchen und Frauen weltweit zu stärken. Das ist unbedingt notwendig; denn bis 2050 dürfte sich die Bevölkerung in Afrika auf 2,5 Milliarden Menschen mehr als verdoppeln. In Afrika gibt es jedes Jahr circa 21 Millionen ungewollte Schwangerschaften von 15- bis 19-jährigen Mädchen. Der mangelnde Zugang zu Aufklärung und zu Verhütungsmitteln, aber auch ein Mangel an Gleichberechtigung und zu frühe Verheiratung statt längerer Schulbildung sind die Gründe. Hohe Geburtenraten beeinflussen aber die Entwicklungschancen eines Landes; das wissen wir sehr gut. Auch hat hochgerechnet die Anzahl der Menschen auf der Welt natürlich Folgen, bis hin zum Klimawandel. Deshalb sorgen wir mit einem Aufwuchs von 7 auf 8 Millionen Euro bei UN Woman und beim Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen von 33 auf 40 Millionen Euro dafür, die Rechte von Mädchen und Frauen zu stärken.
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In der letzten Ausschusssitzung hatte Die Linke interveniert, wir sollten für UNICEF mehr Geld zur Verfügung stellen. Wir sind – es wurde schon oft erwähnt – stolz, sagen zu können: Das haben wir geschafft.
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Wir haben es versprochen und haben es gehalten und sind gemeinsam, glaube ich, recht glücklich darüber. Deshalb, finde ich, können wir den Haushalt auch gemeinsam beschließen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Ziegler. – Der nächste Redner: der Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU-Fraktion.
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Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Entwicklungsministeriums ist typischerweise auch zu bezeichnen als der Haushalt der Nachhaltigkeit, der Haushalt für den Weltzukunftsvertrag, für die globalen Nachhaltigkeitsziele.
Damit ein solcher Haushalt ausgestattet werden kann, muss aber auch das Land selbst, muss Deutschland nachhaltig sein. Das bedeutet, auch seine eigenen Finanzen nachhaltig auszugestalten, und zwar im Interesse nachfolgender Generationen. Deswegen ist es großartig, dass wir hier erneut ohne neue Schulden auskommen. Dafür auch herzlichen Dank an den Bundesfinanzminister!
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Das sehen nicht alle Fraktionen so. Ich glaube, die Grünen haben jetzt im Zusammenhang mit ihren eigenen Vorstellungen zum Klimaschutz vor, neue Schulden aufzunehmen in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro. Das ist nicht unser Weg, weil das nämlich auch bedeuten würde, dass wir eben nicht mehr die Mittel zur Verfügung hätten, um denjenigen zu helfen, bei denen es am dringendsten notwendig ist. Und diese werden von Bundesminister Müller unterstützt.
Sein Thema – und das ist das Thema, das uns seit Jahren umtreibt, und ich meine, wegen dessen Ursächlichkeit hätte diese Debatte auch an den Anfang des heutigen Tages gehört – ist die gerechte Gestaltung der Globalisierung. Sein Thema ist, dass wir gemeinsam und in wechselseitiger Verantwortung zur guten Entwicklung auf diesem Planeten beitragen. Wenn wir das geschafft haben, dann haben wir ja die Voraussetzungen geschaffen, dass sich Krisen gar nicht erst entwickeln. Dann haben wir die Voraussetzungen geschaffen, dass das Auswärtige Amt vielleicht weniger an unmittelbarer humanitärer Hilfe leisten muss, dann haben wir die Voraussetzungen geschaffen, dass vielleicht Kriege sich nicht entwickeln. Von der logischen Folge her hätte die Debatte über diesen Haushalt also an den Anfang des heutigen Tages gehört.
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Lieber Bundesminister, lieber Gerd, du hast mit ungeheurem Engagement, mit ungeheurer Hartnäckigkeit – manche würden vielleicht auch sagen: Sturheit – dazu beigetragen, dass dein Etat, dass der Etat des Entwicklungsministeriums diese beachtliche Höhe erreicht hat. Und warum hast du das geschafft? Weil es dir einfach am Herzen liegt, weil es aus deinem Herzen kommt. Und das, glaube ich, ist niemandem verborgen in diesem Land, und ich glaube, das, was du in deinem Herzen hast, das trägst du auch hinaus, trägst du auch in unser Land hinaus und begeisterst viele Menschen, die sich da ehrenamtlich oder hauptamtlich engagieren. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige, beachtliche Unterstützung und Ermutigung all derjenigen, die hier etwas leisten.
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Ich möchte auf ein Thema, mit dem ich mich in der Berichterstattung persönlich befasst habe, noch kurz eingehen. Wir leisten aus dem Entwicklungshaushalt etwa 1 Milliarde Euro in den Europäischen Entwicklungsfonds. Der Europäische Entwicklungsfonds wird im Moment gespeist aus Beiträgen der Mitgliedstaaten, die in ihn einzahlen – die Osteuropäer proportional etwas weniger als andere Länder. Der Europäische Entwicklungsfonds soll jetzt vielleicht in den Haushalt der Europäischen Union überführt werden. Dagegen ist prinzipiell vielleicht nichts zu sagen, aber Kollege von Holtz hat es schon angesprochen: Ich sehe das dann kritisch, wenn in diesem neuen, größeren außen- und entwicklungspolitischen Instrument der EU dann vielleicht die Entwicklungspolitik unter Druck gerät und nicht mehr dieselbe Aufmerksamkeit bekommt, wie sie sie gegenwärtig genießt. Es ist mir also sehr wichtig, dass wir in den Verhandlungen – übrigens auch zum mehrjährigen Finanzrahmen – auch darauf ganz genau achten werden. Wenn der mehrjährige Finanzrahmen letzten Endes den Gesamthaushalt unter Druck bringt und der in das neue Finanzierungsinstrument integrierte EEF dann auch unter Druck kommt, dann hätten wir genau das Falsche, dann würde nämlich weniger Entwicklungsleistung aus der Europäischen Union erfolgen, und das darf nicht sein. Dann würde ich das Geld lieber in der Verantwortung des nationalen Haushalts belassen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Der letzte Redner zu diesem Einzelplan: der Kollege Stefan Sauer, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf der Tribüne! Ja, wenn wir über den Einzelplan 23 diskutieren, ist die Grundsatzfrage: Wie viel Geld ist es uns wert, Entwicklungshilfe zu leisten, und wo investieren wir das Geld, damit Menschen in Entwicklungsländern und Schwellenländern zu einem besseren Leben kommen?
Ihre Ausführungen, Herr Frohnmaier, führen mich als Schlussredner dazu, die zentralen Aufgabenfelder noch mal klarzumachen: Ich glaube, es geht nicht nur um die humanitäre Hilfe, die wir dort leisten – wo Sie ganz gerne um Sympathie werben, indem Sie sagen, das ist ja so weit weg –, sondern die Frage ist – das muss man auch sehen –: Was bringt es uns in Deutschland, und welchen Wert hat es für uns global? Und das sind nicht nur die drei Ks, die Sie genannt haben, sondern für mich sind das Klimaschutz, Migration und Sicherung des Friedens, die wir damit verfolgen
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und wo wir achtgeben müssen, dass uns da die Welt nicht aus den Fugen gerät. Die drei zentralen Aufgabenfelder sind aktiv zu behandeln, und da läuft uns die Zeit weg. Der einfache Dreisatz, den Sie hier immer gern bringen – „Alles Geld für Deutschland!“ –, springt da zu kurz und wird der komplexen Welt leider nicht gerecht.
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Entwicklungshilfe ist aus meiner Sicht gut investiertes Geld und gemessen an den Herausforderungen tatsächlich noch zu wenig. In der Generalaussprache zur Regierungspolitik heute Morgen hat der ein oder andere sogar gesagt: Was wir hier diskutieren, ist die dritte Säule der Außenpolitik. So wird es in Zukunft sicherlich auch haushaltstechnisch verankert werden. Deshalb habe ich angesichts dessen, was ich heute von den Berichterstattern gehört habe, keine Sorge, dass der strukturelle Wandel dann auch im Haushalt greifen wird und deshalb die Folgefinanzierung wirkungsvoll eingesetzt werden kann.
In Richtung FDP: Ja, Herr Link, Ziel und Weg, darüber kann man sich streiten. Ich glaube, die Anzahl der Änderungsanträge hat gezeigt, dass wir es auch tun. Es tut mir gut, zu wissen, dass zumindest das Haus bis zu Ihrer Kante Ja zur Entwicklungshilfe sagt – über den Weg streiten wir –, und es gibt leider noch eine bedauerliche Restgröße hier im Haus, die das anders sieht.
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Länder, Regionen und ganze Kontinente sollten die Möglichkeit haben, sich wirtschaftlich zu entwickeln, und zwar ohne die Fehler der Vergangenheit. Wir haben auf dem Weg zur Industrialisierung gelernt, wir haben Know-how aufgebaut, wir haben Technik, um es zu ermöglichen, dass wir umweltschonend zur Entwicklung beitragen.
Die Debatte zur Klimapolitik in unserem eigenen Land hat gezeigt, dass der Bürger heute an einem Punkt ist, wo er sagt: Da muss deutlich mehr passieren! Wenn der Anteil unseres Landes am weltweiten CO2-Ausstoß lediglich 2,2 Prozent ausmacht, dann muss die Schlussfolgerung sein, etwas globaler zu denken und dass wir diese globale Anstrengung zu unterstützen haben. Denn – der Minister hat es noch einmal ausgeführt – die Klimafrage entscheidet sich in den Entwicklungs- und Schwellenländern.
Der globale Süden und das eigene Interesse stehen deshalb für mich im Vordergrund, wenn ich sage: Wir haben zu helfen! Der Satz „Hilfe zur Selbsthilfe“, den wir gern nutzen, greift allmählich für uns selbst: Wir helfen, um uns selbst zu helfen. Es ist noch einmal schön ausgeführt worden: Wir haben hier Akzente zu setzen.
Lieber Minister Gerd Müller, Entwicklungsarbeit wirkt; das haben Sie mehrfach gesagt. Ich darf sagen, das stimmt. Wenn man sich die Ausgaben für die Programme anschaut, dann sieht man einen großen Blumenstrauß dessen, wie man sich weltweit engagieren kann. Das wird eindrucksvoll demonstriert. Nicht nur die Art der Hilfe ist vielseitig, sondern auch, wo man hilft – also lokal, wo es gebraucht wird. Ich darf sagen: Ich bin sehr zufrieden mit den Akzenten, die gesetzt werden. Ich bin auch dankbar, dass neben Klima- und Umweltschutz, die heute Abend maßgeblich Thema waren, auch noch andere Themen in Form von Programmen im Etat enthalten sind. Wir wissen: Übermäßig hohe Geburtenraten ist eines unserer Hauptprobleme. Ja, aber da haben wir auch schon Erfolge gehabt: in Ländern, in denen zunehmende Bildung bei den Frauen dann auch ihre Wirkung zeigt. Man kann also entsprechend gegensteuern.
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Es ist heute Abend viel Richtiges gesagt worden. Ich sehe uns da auf einem guten Weg. Ich kann unterstreichen, was Matern von Marschall gesagt hat: Einen derart authentischen Minister wie Sie, den müssen wir erst noch einmal auf die Welt bringen. Insofern: Vielen Dank für Ihr Engagement! Es ist motivierend für das komplette Ministerium. Die AfD kann sich daran ein Beispiel nehmen. Der Rest des Hauses ist auf einem guten Weg. Ich danke auch für die gute Zusammenarbeit im Ausschuss und wünsche uns weiterhin gute Beratungen. Ich stimme dem Einzelplan zu.
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