Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es ist jetzt gut vier Wochen her, dass die Regierung das Klimaschutzpaket auf den Weg gebracht hat. Das ist das größte Paket im Bereich Klimaschutz, das Deutschland je gesehen hat. Sie wissen: Die Reaktionen darauf waren durchaus unterschiedlich. Viele junge Menschen gehen weiter auf die Straße. Sie möchten, dass wir sofort alle Kohlekraftwerke in Deutschland stilllegen. Das ist eine radikale Forderung. Ich kann nachvollziehen, dass die Erderhitzung wirklich Ängste auslöst, existenzielle Ängste. Aber ich verstehe auch diejenigen, die Angst haben um ihren Arbeitsplatz, die sich Sorgen machen wegen der ganzen Veränderungen, die wir im Moment sehen. Auch das sollte man nicht einfach vom Tisch wischen.
Ich antworte allen gemeinsam: Panik ist wirklich eine schlechte Beraterin, auch weil sie zu dieser gesellschaftlichen, zu dieser medialen Polarisierung beiträgt, die wir erleben. Ich werbe dafür, dass wir hier einen demokratischen Aushandlungsprozess machen.
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Wir machen gute Kompromisse, wir machen Kompromisse, die gesamtgesellschaftlich tragfähig sind; denn Klimaschutz braucht den Rückhalt in der Bevölkerung.
Ich werbe gleichzeitig dafür, dass wir ehrgeizigen Klimaschutz machen. Ich sage ganz klar: Ich bin als Umweltministerin erst dann zufrieden, wenn der Ausstoß dieser klimaschädlichen Treibhausgase wirklich deutlich sinkt und wenn wir endlich wieder auf Kurs sind.
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Ich meine: Das Klimapaket ist wirklich eine gute Basis. Es markiert einen echten Neuanfang. Es wird Einfluss haben auf ganz viele Entscheidungen in Unternehmen und bei den Menschen. Es wird dabei helfen, dass wir für unsere Kinder, unsere Enkel einen lebenswerten Planeten erhalten können.
Das Herzstück dieses Klimaschutzprogramms ist das Klimaschutzgesetz, das hier heute in erster Lesung beraten wird. Dafür hat die SPD viele Jahre lang gekämpft. Es ist ein gesetzlicher Fahrplan Richtung Treibhausgasneutralität, und zwar weltweit der allererste dieser Art.
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Klimaschutz bekommt jetzt klare Regeln; er wird endlich für alle verbindlich. Das mache ich an vier Punkten fest:
Erstens. Jeder Bereich wird jetzt angemessen zum Klimaschutz beitragen. Das Gesetz schreibt genau fest, wie viel CO2 in den Gebäuden, im Verkehr, in der Landwirtschaft, bei der Energie und in der Industrie jedes Jahr ausgestoßen werden darf, und zwar auf die Tonne genau.
Zweitens. Das Klimaschutzgesetz wird die Art, wie die Bundesregierung beim Klimaschutz zusammenarbeitet, fundamental verbessern. Es macht die zuständigen Ministerinnen und Minister wirklich dafür verantwortlich, in ihrem Bereich die Ziele auch zu erreichen. Es ist unsere Antwort auf die Versäumnisse der Vergangenheit.
Drittens. Wenn es Fehleinschätzungen gibt, wenn wir zu optimistisch geschätzt haben sollten, dann wird das Klimaschutzgesetz dafür sorgen, dass nachgesteuert wird. Es wird regelmäßig kontrolliert werden, ob die Emissionen auch wirklich sinken. Wenn nicht, dann wird nachgelegt werden müssen. Das gilt übrigens auch für den sozialen Ausgleich: Wenn die geplanten Entlastungen nicht ausreichen, dann wird auch hier nachgesteuert werden.
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Viertens. Jeder Bereich muss perspektivisch runter auf null Emissionen. Das ist es, was Treibhausgasneutralität 2050 bedeutet. Keiner kann sich mehr hinter dem anderen verstecken. Wir müssen heute, jetzt die richtigen Weichen dafür stellen.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, das ist viel Arbeit. Es liegt ein arbeitsintensiver Herbst vor uns – in der Regierung ganz genauso wie hier im Parlament. Lassen Sie uns gemeinsam etwas schaffen, das gut ist für den Klimaschutz und gut für die Zukunft unseres Landes!
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heiko Wildberg, AfD.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Entwurf eines Klimaschutzgesetzes geht es um nicht weniger als die Rettung des Weltklimas oder zumindest einen bedeutenden Beitrag dazu – angeblich. Tatsächlich aber ist dieser Gesetzentwurf ein Verbots- und Steuererhöhungsprogramm, wie man es seit den Zeiten des mittelalterlichen Ablasshandels nicht mehr gesehen hat.
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Als Geowissenschaftler möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass die wissenschaftliche Basis dieses Gesetzentwurfes wie auch des gesamten Klimapaketes mehr als dürftig ist. Nehmen wir zum Beispiel die Klimamodelle des Weltklimarates. Diese sind nicht einmal ansatzweise in der Lage, die Klimaentwicklung nachzuvollziehen,
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weder die der vergangenen Jahrzehnte mit den bekannten Klimafolgen noch die der letzten zehntausend Jahre. Wie können sie dann für die Zukunft gelten?
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Meine Damen und Herren, die Debatten, ob man den CO2-Ausstoß am besten durch einen pseudomarktwirtschaftlichen Zertifikatehandel oder besser durch staatliche Zwangsmaßnahmen verringert, sind deswegen obsolet, überflüssig, niente.
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In unserem Land wird es immer schwieriger, ergebnisoffene Diskussionen ohne Scheuklappen in Parlamenten und besonders auch in Universitäten zu führen; die Kollegen Lindner und de Maizière haben das jüngst am eigenen Leibe erfahren müssen, meine Damen und Herren. Die größte Fehlleistung bei diesem Klimapaket ist jedoch die staatlich geförderte, zumindest aber oft geduldete Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen als Demonstranten, die das Zustandekommen dieses Gesetzentwurfes begleitet haben.
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Meine Damen und Herren, ein selbstbewusstes Parlament hätte unter diesem äußeren Druck wahrscheinlich die Debatte um dieses Thema auf einen weniger belasteten Zeitpunkt verschieben können, aber das ist nun mal nicht so.
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Wir werfen mal einen Blick in das Gesetz und schauen, was es mit den Bürgern macht: Es bevormundet unsere Bürger, es macht das Leben teurer, es ist sozial ungerecht, es kostet Arbeitsplätze, es gefährdet unsere Freiheit und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
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Es ist ein Schritt in die Deindustrialisierung unseres Heimatlandes.
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Nur eines macht dieser Gesetzentwurf nicht, nämlich einen wesentlichen Beitrag zur Rettung des Weltklimas zu leisten, wofür er eigentlich gedacht ist. Das ist eine ziemliche Blamage, meine Damen und Herren.
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Aber ich bin zuversichtlich, dass die Zahl derjenigen Wissenschaftler deutlich zunimmt, die das mit dem menschengemachten Klimawandel kritisch sehen. Jüngst haben sich 400 Wissenschaftler so positioniert und an die UNO gewandt. Ich sehe die neuen Forschungsergebnisse aus China, aus Russland und auch von der NASA, die zu dem Schluss gekommen sind, dass das mit dem menschengemachten Klimawandel nicht länger haltbar ist. Deswegen denke ich: Weg mit diesem Klima!
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– Weg mit diesem Klimagesetz! Das wäre ein Befreiungsschlag für unser Land.
Danke schön.
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Andreas Jung, CDU/CSU, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Einbringung leiten wir die parlamentarische Umsetzung des Klimapakets ein. Wir bringen damit einen Paradigmenwechsel in der deutschen Klimapolitik auf den Weg. Wir ziehen die Konsequenzen daraus, dass eine Lücke entstanden ist, und treffen Sorge dafür, dass so etwas nicht mehr passieren kann. Wir machen Tempo beim Klimaschutz. Wir bringen jetzt buchstäblich PS auf die Schiene. Wir gehen diese Aufgaben ambitioniert und konkret mit gesetzlichen Vorgaben und finanziellen Förderungen an.
Herr Dr. Wildberg, warum tun wir das? Sie haben gerade die Wissenschaft kritisiert und deren Ergebnisse infrage gestellt. Ich war in der vorletzten Woche am Bodensee im Wald bei unserem Förster. Er sagte: Wenn ich mir die Entwicklung anschaue, wenn ich mir den Zustand unserer Wälder ansehe, dann komme ich zu dem Schluss: Die Wissenschaft übertreibt nicht; sie untertreibt. Tut deshalb was, und tut es entschieden! – Daran sehen Sie: Es geht um die Verbundenheit mit der Natur, aber es geht auch um die Bewahrung der Heimat. Weil wir unsere Heimat lieben und bewahren wollen, machen wir jetzt ganz ambitioniert Klimaschutz.
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Darum geht es. Das leitet uns. Es wird auch getragen und ist die Erwartung von vielen Menschen in unserem Land, auch Landwirten übrigens, die dieselben Erfahrungen haben und denselben Handlungsdruck verspüren. Deshalb machen wir Klimaschutz jetzt verbindlich.
Bisher waren Klimaziele Programmsätze der Regierung.
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Jetzt wird Klimaschutz gesetzlich verankert. Mit dem Klimaschutzgesetz verankern wir das Klimaschutzprogramm 2030. Wir verankern das Ziel der Klimaneutralität 2050. Wir sagen damit: Wir wollen unsere Klimapolitik zu einem Teil des Erfolges europäischer Klimapolitik machen; denn Ursula von der Leyen wird genau das in Europa umsetzen und Europa damit zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Das ist absolut notwendig, damit wir es global und gemeinsam schaffen. Da machen wir uns entschieden auf den Weg bzw. schreiten auf diesem fort.
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Durch die gesetzliche Festschreibung erreichen wir jetzt Verbindlichkeit. Dazu will ich ganz klar sagen: Für uns gelten Recht und Ordnung. Ein Gesetz muss eingehalten werden. Deshalb ist es richtig, dass wir die Kontrollmechanismen entsprechend normieren. Ralph Brinkhaus hat in der letzten Debatte hier im Bundestag gesagt: Wir werden in der Zukunft nicht nur Haushaltswochen im Deutschen Bundestag haben; wir werden in Klimawochen Plenartage haben, an denen wir die Minister hier Ressort für Ressort über die Fortschritte in ihren Ressorts berichten lassen.
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Denn im Klimaschutzgesetz werden die Ziele in Jahresscheiben und für jedes Ressort normiert. Es wird dann sofort geschaut und geprüft: Sind die Ziele erreicht worden? Wenn das nicht der Fall ist, gilt das Leistungsprinzip. Dann muss nachgebessert werden. Dann muss der jeweilige Minister umgehend Vorschläge vorlegen, wie die Ziele noch erreicht werden können.
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Das ist richtig. Das ist die Verbindlichkeit, die wir brauchen. Das bringt uns einen entscheidenden Schritt voran. Deshalb sage ich: Es ist ein Paradigmenwechsel.
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Es ist richtig, dass man sich zum Ressortprinzip bekennt, aber auch zur Gesamtverantwortung. Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und liegt natürlich in der Gesamtverantwortung der Regierung. Wenn man sieht – man kennt es aus Unternehmen und aus der Schule –, dass man in einem Bereich nicht so schnell vorankommt, wie es sein müsste, weil man zum Beispiel eine soziale Haltelinie einzieht, weil man zum Beispiel sagt: „Wir dürfen Menschen nicht mit zu hohen Preisen überfordern, sondern müssen Schritt für Schritt vorangehen“, dann ist es richtig, nicht in Silos zu denken, sondern ganzheitlich und zu sagen: Das können wir für ein Jahr in einem anderen Bereich ausgleichen. CO2 bleibt CO2. Entscheidend ist, dass wir unter dem Strich unser Klimaziel erreichen. – Genau dafür machen wir uns auf den Weg. Deshalb ist es ein ganz entscheidender Fortschritt.
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Herr Kollege, es ist keine Steuererhöhung. Was wir hier machen, bedeutet, dass wir besser steuern, aber nicht, dass wir mehr Steuern haben werden. Wir machen CO2 zum Maßstab. Das sehen Sie zum Beispiel daran, dass das klimafreundliche Bahnfahren durch die Reduzierung der Mehrwertsteuer billiger wird und das Fliegen durch die Erhöhung der Ticketabgabe teurer wird. Sie sehen es daran, dass wir den Einstieg in die Bepreisung mit einem Emissionshandel beim Verkehr und bei Gebäuden machen. Ein Klimainstrument sollte eben nicht eine Steuer sein, die Geld in die Kasse bringt, aber Klimaziele nicht erreicht, sondern eines, mit dem wir Schritt für Schritt unsere Ziele erreichen. Es wird in vielen weiteren Bereichen umgesetzt, zum Beispiel durch die Förderung klimafreundlicher Mobilität auch auf der Straße, bei der Förderung von Dienstwagen, mit Kaufprämien – wir haben ein Investitionspaket für Klimaschutz mit 54 Milliarden Euro, wie es Deutschland noch nicht gesehen hat.
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Herr Kollege Jung, die Kollegin von Storch würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
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Ich würde meine Ausführungen hier gerne fortführen.
Sie haben sie abgelehnt?
Ja.
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Möchten Sie generell keine Zwischenfragen?
Jedenfalls diese Zwischenfrage möchte ich nicht akzeptieren.
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Wir werden diese Dinge mit dem Investitionspaket ganz konsequent umsetzen, indem wir in Innovationen investieren. Das ist für uns das Entscheidende. Wir wollen Klimaschutz mit Innovationen umsetzen. Wir wollen klimafreundliche Mobilität auf der Schiene und mit dem Auto umsetzen. Wir wollen die Gebäudesanierung endlich voranbringen. Wie oft haben wir – auch hier im Bundestag – über die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung diskutiert? Wir haben sie hier schon einmal auf den Weg gebracht. Sie ist dann im Bundesrat gescheitert.
Deshalb ist es uns wichtig, dass jetzt alle in ein Boot kommen bzw. sich hinter diese Ziele stellen. Wir wollen die Gespräche mit der FDP, den Grünen und mit den Ländern in Offenheit führen, damit wir am Ende ein Ergebnis erreichen, hinter dem sich viele versammeln können und das länger trägt als eine Legislaturperiode. Das ist unser Anspruch. Daran hängen viele Erwartungen, und dafür sind Investitionen von Bürgern und Unternehmen notwendig.
Unsere Aufgabe ist es, hier gemeinsam Verantwortung zu zeigen. Wir haben es in der letzten Woche bei einem Thema geschafft, das ganz umstritten war: bei der Grundsteuerreform. Am Ende haben wir mit Union, SPD, FDP und Grünen ein Ergebnis erreicht. Auch beim Thema Klimaschutz müssen wir ein Ergebnis erreichen. Das sollten wir uns vornehmen.
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Unsere Offenheit dafür ist da. Wir gehen mit einem guten Angebot, mit einem klaren Programm in diesen Prozess, den wir jetzt einleiten. Wir freuen uns auf die Beratungen und haben den Anspruch, in diesem Jahr damit fertig zu werden, damit wir in diesem Jahr das Signal geben können: Wir werden unsere Klimaziele erreichen. Verbindlichkeit ist hergestellt, und die Dinge dazu sind auf den Weg gebracht.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Frank Sitta, FDP.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klimaschutz ist eine, wenn nicht gar die Herausforderung unserer Zeit. Klimaschutz ist zu wichtig, um dabei Zeit und auch Geld zu verschwenden. Umso wichtiger wäre es doch, jetzt mutig voranzuschreiten. Umso wichtiger wäre es doch, jetzt den effizientesten und kostengünstigsten Weg für einen funktionierenden Klimaschutz zu suchen. Umso wichtiger wäre es doch, jetzt zu zeigen, dass sich Klimaschutz und Wachstum nicht ausschließen. Umso wichtiger wäre es doch, jetzt alles dafür zu tun, dass die Menschen in unserem Land Klimaschutz als Chance verstehen und nicht als Bedrohung.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, was präsentieren Sie uns stattdessen heute? Eine ganze Fülle von Einzelmaßnahmen und einen nationalen Emissionshandel mit Festpreis, der, wenn wir ehrlich sind, nichts weiter ist als eine verkappte CO2-Steuer ohne jegliche Lenkungswirkung!
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Hierbei – das ist das Traurigste – nehmen Sie wissentlich einen erheblichen Kollateralschaden in Kauf. Denn weder das Klima noch die Bürger dieses Landes werden davon profitieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. Im Gegenteil: Schon jetzt ist absehbar, dass Deutschland die Klimaschutzziele so kaum erreichen wird. Denn ein CO2-Limit, also einen echten CO2-Deckel, der die Menge begrenzt, gibt es in Ihren Vorschlägen nicht. Da helfen dann auch keine Sektorziele mit Ressortverantwortung und Sofortprogramm.
Klimawochen, das macht mir eher Angst. Erklären Sie doch den Bürgern im Land einmal, was ein Sofortprogramm bedeutet. Was passiert denn, wenn der Verkehrsminister sein Ziel nicht erreicht? Kommt dann das Tempolimit auf Umwegen? Gibt es dann flächendeckende Fahrverbote? Dürfen dann an einigen Tagen nur noch Fahrzeuge mit geraden Zahlen auf den Nummernschildern fahren und an anderen nur welche mit ungeraden? Was soll das sein? Ich glaube, die Antwort darauf sind Sie den Bürgern in unserem Land schuldig.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir, ein Bild zu nutzen. Wer Fischbestände konsequent schützen will, führt doch keine Steuer auf Fisch oder, um in Ihrer Logik zu bleiben, einen Festpreis für Fisch ein. Er wird was tun? Er wird Fangquoten festsetzen.
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Eine solche Quote, ein Limit, brauchen wir für CO2.
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Wo das CO2 dann eingespart wird, sollte nicht die Entscheidung von Politikern sein
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– es freut mich, dass ich Sie erheitere; die Fische werden es mir danken –,
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sondern sollte das Ergebnis von Angebot und Nachfrage sein.
Das absehbare Verfehlen der Klimaschutzziele wird unnötig teure Folgen haben. Die Bundesregierung wird Folgendes tun: Sie wird dann im europäischen Ausland auf Zertifikate-Shoppingtour gehen müssen, um diese jetzt schon absehbare Lücke in den ersten Jahren zu stopfen.
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Das ist Pech, Pech für den Steuerzahler in Deutschland; denn er muss erst die nationalen Maßnahmen bezahlen und später dann auch noch den Zukauf von Emissionsrechten. Ich finde, auch das sollten die Bürger in unserem Land wissen.
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– Ja, das erzähle ich Ihnen gleich.
Der Kern Ihres Programms soll also ein nationaler Emissionshandel für die Sektoren Verkehr und Gebäude sein. Dabei – das muss ich noch mal betonen – ist das Wort „Emissionshandel“ nichts weiter als ein Etikett für eine kraftlose Mischung aus einer CO2-Steuer und einem unflexiblen Handelsplacebo mit einem sehr, sehr engen Preiskorridor. Einen Lenkungseffekt wird es so nicht geben, und das Traurige ist: Sie wissen das. – Geld wird natürlich trotzdem fleißig eingenommen, ob an der Zapfsäule oder über die Heizkostenrechnung. Mit diesem Geld sollen dann Maßnahmen finanziert werden, die wenig bis gar nichts bringen; denn eine Priorisierung hinsichtlich des Verhältnisses von Kosten und Wirksamkeit ist nirgends erkennbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie einen wirksamen Emissionshandel oder lieber Mikromanagement betreiben wollen. Wollen Sie endlich mehr Marktwirtschaft wagen, oder locken doch die süßen Verlockungen der sozialistischen Planwirtschaft?
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Es wird Sie nicht wundern: Ich rate Ihnen zu Ersterem. Beides zusammen macht jedenfalls keinen Sinn.
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Ihr ganzes Klimaschutzprogramm ist nicht durchdacht. Schlimmer noch: Die Bundesregierung schafft es sogar, das Teure mit dem Nutzlosen zu verbinden. Teuer wird es für den deutschen Steuerzahler,
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und nutzlos ist das Ganze für das Klima. Das ist schon eine Glanzleistung, liebe Große Koalition.
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Eines muss ich heute noch mal betonen: Das alles wäre ein Stück weit vermeidbar gewesen.
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Auch wenn wir jetzt das Hohelied auf die parlamentarische Beratung hören: Die Bundesvorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, hat großspurig einen Klimakonsens angekündigt. Eine parteiübergreifende, vernünftige und verhältnismäßige Lösung wäre in unserem Land tatsächlich bitter nötig; denn wir sehen ja, dass dieses Thema eben nicht nur in Legislaturperioden gedacht werden kann.
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Wir standen für Gespräche bereit; aber es gab nicht mal Gesprächsangebote. Stattdessen jagen Sie jetzt das Resultat Ihres innerkoalitionären Rosenkrieges Hals über Kopf durch die Parlamente. Und das können wir nur kritisieren.
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Aber ich komme noch mal auf den Kern Ihres Klimaschutzprogramms zurück, den vermeintlichen Emissionshandel. Ein richtiger Emissionshandel ist – liebe Grüne, jetzt gut zuhören; jetzt kommt unser Vorschlag – Teil unseres Klimaschutzantrags.
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Bei uns – und das unterscheidet unsere Vorlagen – ist eben auch drin, was draufsteht: echte Marktpreise, das Prinzip von Angebot und Nachfrage, Anreize für Innovationen und Kosteneffizienz.
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Wir wollen die Sektoren Verkehr und Gebäude – es ist ja richtig, dort anzusetzen – vernünftig in den bestehenden EU-Emissionshandel integrieren, weshalb wir diesen ganzen planwirtschaftlichen Ballast nicht brauchen.
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Je mehr Sektoren Zertifikate miteinander handeln, umso intensiver wird nach kostengünstigem Klimaschutz gesucht. Schon dadurch sparen wir, und das ist doch die Aufgabe von Parlamentariern in diesem Parlament: dafür zu sorgen, den effizientesten, kostengünstigsten Weg zu finden.
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Sie begründen Ihre Maßnahmenflut oft mit dem Hinweis auf soziale Verträglichkeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage Sie, was ist denn sozialer, als ebendiesen kostengünstigsten Weg zur Erfüllung der Einsparziele zu suchen?
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Ich weise noch mal darauf hin: Welche Kraft hat dieses Land und seine Bürger eigentlich in der Vergangenheit am weitesten und nachhaltigsten nach vorne gebracht? Das ist die Kraft der sozialen Marktwirtschaft. Sie funktioniert jedoch nur, wenn es auch Anreize, wenn es die Freiheit gibt, neue Ideen und Innovationen auszuprobieren. Genau diese Kraft könnten wir mit einem cleveren, echten Emissionshandel auch im Bereich des Klimaschutzes buchstäblich auf die Straße bringen. Packen wir es also endlich an, und verheddern wir uns nicht im ständigen Klein-Klein-Basar der gegenseitigen Geschenke innerhalb der Großen Koalition.
Ganz nebenbei bleibt bei unserem Konzept natürlich auch viel mehr Geld für die Entlastung von Bürgern und Unternehmen übrig. Es bleibt mehr Geld für die Erforschung und Entwicklung klimaschonender Technologien; denn – auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu –: Wir brauchen Technologien zum Entzug, zur Speicherung, zur Nutzung im CO2-Kreislauf. Wir wollen uns um diese Erkenntnis nicht herumdrücken. Wir setzen hier voll auf Technologieoffenheit – und das weltweit.
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Wir machen also Ernst mit globalem Klimaschutz, nicht indem wir uns mit überambitionierten nationalen Zielen und Symbolpolitik brüsten. Nein, wir achten darauf, dass Deutschland sich selbst und damit der Welt zeigt, dass sich Wachstum und Klimaschutz nicht ausschließen. Denn wer seine Bürger mit immer mehr Regulierungen drangsaliert und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft riskiert, wird zum abschreckenden Beispiel.
Klimaschutz – das ist doch allen hier bewusst – ist eine globale Herausforderung, und sie kann auch nur gemeinsam und global gelöst werden; das funktioniert nur global. Ehrliche Nachahmer für unsere Klimaschutzpakete und Klimaschutzmaßnahmen finden wird doch nur, wenn sich Menschen und Märkte weltweit auf die Suche nach kostengünstigem Klimaschutz machen. Machen wir also CO2. zum Rohstoff und Klimaschutz zum Wachstumsmotor! Dann – da bin ich mir sicher – folgt uns die Welt,
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und dann folgen uns auch die Menschen in unserem Land.
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Wer also in diesem Haus Klimaschutz ernst nimmt, dem machen wir mit unserem Antrag ein sehr, sehr gutes Angebot.
Vielen, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kanzlerin und drei ihrer Minister flogen wenige Tage nach Verabschiedung des Klimapakets mit drei Flugzeugen der Luftwaffe zum UN-Klimagipfel nach New York. Finden Sie das glaubwürdig oder vorbildlich? Ich nicht, meine Damen und Herren.
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Wie wollen Sie denn einem Pendler erklären, dass er eine Abgabe auf CO2 zahlen soll, um das Klima zu retten, wenn Sie mit einer einzigen Dienstreise mehr CO2 produzieren, als ein Pendler in seinem ganzen Arbeitsleben verursachen kann?
Es gibt eine einfache Lösung, vonseiten der Bundesregierung zumindest etwas beizutragen. Bundesregierung und Bundesbeamte haben 2018 rund 344 000 Flugkilometer zurückgelegt. Sie könnten doch sofort beschließen, dass Bundesbeamte in Zukunft innerhalb Deutschlands nicht mehr fliegen, sondern mit der Bahn fahren.
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Der entscheidende Punkt ist doch: Wenn die Klimakrise gestoppt werden soll, dann müssen wir für Klimagerechtigkeit sorgen.
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Sie aber haben bisher jede Krise auf den Rücken der Unter- und Mittelschicht abgewälzt. Die Finanzkrise mussten doch nicht Ackermann & Co bezahlen. Für den Bankenrettungsschirm von 480 Milliarden Euro mussten die einfachen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aufkommen, und das ist grob ungerecht, meine Damen und Herren.
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Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, und der Bundesrechnungshof haben Sie für das Klimapaket kritisiert, weil es sozial ungerecht ist. Warum sind eigentlich bei Ihnen Gewinner und Verlierer bei jeder Krise immer die gleichen? Warum wollen Sie für Kohlekraftwerke, die schon abgeschrieben sind, auch noch Entschädigung zahlen? Das ist doch nicht vernünftig; das können wir doch nicht hinnehmen, meine Damen und Herren.
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Warum sollen die Kosten der energetischen Sanierung den Mieterinnen und Mietern aufgebrummt werden?
Meine Damen und Herren, das grundsätzliche Problem der Klimapolitik ist doch ein anderes. Ich will es mal zugespitzt sagen: Sie haben ein unchristliches Menschenbild.
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Sie sehen die Menschen als Umweltzerstörer, die umerzogen werden müssen. Mit Zuckerbrot und Peitsche soll die Klimakrise gelöst werden. Das ist aber der falsche Ansatz! Die nächste Generation, die jungen Leute sind viel klüger. Die Jugend fordert nämlich: Ändert das System und nicht das Klima! – Und das ist die richtige Forderung.
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Der Sozialphilosoph Hartmut Rosa schreibt – ich zitiere –:
Jeder, der sich auf dem kapitalistischen Markt bewegt, fühlt sich für sein Überleben zu etwas gezwungen, das er jenseits des Marktes niemals anstreben würde. Niemand will die Umwelt zerstören, aber die Notwendigkeit, Produktionskosten zu senken, zwingt ihn dazu ...
Die kapitalistischen Verhältnisse machen die Menschen zu Umweltzerstörern. Wir müssen also unsere Produktionsweise verändern, wenn wir überleben wollen, meine Damen und Herren.
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Sie alle kennen Goethes „Zauberlehrling“. Die vorletzte Strophe lautet:
Und sie laufen! Naß und nässer Wirds im Saal und auf den Stufen: Welch entsetzliches Gewässer!
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Herr und Meister, hör mich rufen! - Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.
Ich finde, Goethes „Zauberlehrling“ muss auf das Deckblatt des Klimapakets.
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Wir brauchen keine Bundesregierung aus unbeholfenen Zauberlehrlingen, und ein Meister wird auch nicht kommen. Also ist die dringendste Aufgabe ein radikaler ökonomischer Wandel. Wir müssen uns mit den Profitmaximierern anlegen; einfacher ist es nicht zu haben. Dieser Erkenntnis dürfen wir uns nicht verschließen. Wir kämpfen für eine radikale Veränderung der ökonomischen Verhältnisse. Nur Klimawandel – das ist zu wenig. Wir müssen das System ändern, nicht das Klima.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man muss noch mal klarstellen, worüber wir hier überhaupt reden.
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Wir reden über ein Klimapaket – oder man sagt besser: Klimapäckchen –, das am Ende, wenn man es wirklich mal zusammenrechnet, im günstigsten Falle – und das ist wirklich freundlich gerechnet für die Große Koalition -
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vielleicht nur ein Drittel der eigenen Klimaschutzziele erreicht und die Ziele des Pariser Klimaabkommens gar nicht.
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Das, was Sie hier vorlegen, ist ein Armutszeugnis. Das hat mit ambitioniertem Klimaschutz überhaupt nichts zu tun. Das muss hier noch mal klar gesagt werden.
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Das Problem ist nicht nur das, was in diesem Klimapaket drinsteht. Das Problem ist vor allen Dingen das, was nicht drinsteht.
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Ich will nur zwei Dinge nennen:
Da ist erstens der Abbau umweltschädlicher Subventionen. Das Umweltbundesamt, die eigene Behörde der Bundesregierung, sagt: Wir subventionieren die Schädigung des Klimas jedes Jahr mit 57 Milliarden Euro. – Wer Klimaschutz in Deutschland anpacken will, wer Klimaschutzziele erreichen will, der muss da ran. Aber Sie reden nicht mal über die Subventionen für fossil betriebene Dienstwagen und Diesel; das ist überhaupt kein Thema für Sie. Und deshalb werden Sie die Klimaschutzziele verfehlen: weil Sie sich da überhaupt nicht rantrauen.
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Wir können zweitens viel über Wasserstoff, über E-Fuels, über alles Mögliche reden, aber am Ende ist die Basis der Ausbau der erneuerbaren Energien. Da guckt man in dieses Klimapaket, und was findet man? Nichts, womit man nach vorne geht.
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Ganz im Gegenteil: Sie bremsen die Erneuerbaren weiter aus, und das finde ich an der Stelle, ehrlich gesagt, skandalös, meine Damen und Herren. Das ist ein absolutes Unding.
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Kommen wir zum Grundproblem – wir erleben das jetzt auch wieder –: Sie verabreden irgendetwas, aber auf dem Weg zur Umsetzung geht schon wieder die Hälfte verloren. Im Paket steht: Kfz-Steuer CO2-konform machen. – Wo ist das hier? Da kommt gar nichts!
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Das ist Andi Scheuer wohl offensichtlich vom Lastwagen gefallen. Das kommt an der Stelle gar nicht an; denn Sie packen die Maßnahmen, die Sie selber vorschlagen, nicht konkret an.
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Insgesamt muss man nach dem 20. September und dieser skurrilen Nachtsitzung, die es da gegeben hat, feststellen: Die CDU/CSU ist weiterhin die Todeszone einer engagierten Energiewende- und Klimapolitik. Aber ehrlich gesagt: Ich habe auch gelernt, dass die Forderungen von Svenja Schulze ganz offensichtlich null und nichts mit der Position der SPD zu tun haben; denn anders kann ich mir nicht erklären, wie der Bundesfinanzminister diese Woche im Interview sagen kann: Der CO2-Preis ist eigentlich ziemlich hoch. – Ich staune: Der Mann scheint offensichtlich Humor zu haben, meine Damen und Herren.
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Wenn ich mir dann dieses zusammengekloppte Bürokratiemonster CO2-Preis und das Gesetz dahinter angucke, von dem die Verfassungsrechtler uns jetzt schon sagen: „Das wird am Ende gekippt werden“, dann beschleicht mich, ehrlich gesagt, das Gefühl von Pkw-Maut in der Großen Koalition, und das kann nicht sein. Mit einem solchen CO2-Preis, mit einer solchen gesetzlichen Grundlage schaffen wir keinen Anreiz für CO2-armes Verhalten.
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Damit bin ich beim Klimaschutzgesetz. Da, meine Damen und Herren, hat die Große Koalition es ja geschafft, so ziemlich alles rauszunehmen, was ein sinnvolles und ambitioniertes Klimaschutzgesetz ausmachen könnte. Vor allen Dingen fehlen darin die Maßnahmen und die Sanktionen. Das wird so enden, wie wir es bei der Energiewende heute schon erleben: dass einmal im Jahr ein Bericht vorgelegt wird, in den Peter Altmaier, Julia Klöckner und Andi Scheuer am Ende zwei Löcher reinmachen, und wieder nichts passiert. Das ist im Kern Ihr Klimaschutzgesetz. Ohne konkrete Maßnahmen, ohne Sanktionen wird das nicht funktionieren.
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Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir jetzt in den Ausschüssen und mit dem Bundesrat darüber reden, einzelne Dinge zu verbessern. Aber ich persönlich habe die Hoffnung aufgegeben, dass diese Koalition irgendwann noch mal in der Lage ist, ambitionierte Klimaschutzpolitik zu machen.
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Ich hoffe da auf die Vernunft der SPD-Basis, dass sie diesem Drama ein Ende macht, damit in Deutschland andere Klimapolitik gestalten können,
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damit wir endlich was für Klimaschutz, für dieses Land und für die Wirtschaft tun können.
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Die ist an der Stelle nämlich viel weiter, als Sie es sind.
Ich danke Ihnen.
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Jetzt hat das Wort der Bundesfinanzminister Olaf Scholz.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Klimaschutzprogramm, all die Maßnahmen, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, sind ziemlich umfassend. Das hat es am Anfang ermöglicht, dass man über jeweils einzelne Teile geredet hat, die einem jeweils selber wichtig sind. Das hat es auch ermöglicht, dass man bis heute glatt drüber hinwegredet, ohne sich mit den Einzelheiten zu beschäftigen.
Aber die Sache ändert sich. Fast Woche für Woche gibt es neue gesetzliche Beschlüsse, die auf den Weg gebracht werden und die wir auch hier im Deutschen Bundestag beraten. Ich sage Ihnen voraus: Das endet nicht mit dem, was wir heute tun, es geht auch Schlag auf Schlag so weiter.
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Eine ganze Reihe von Maßnahmen ist vorgesehen, und der Ton der Debatte ändert sich mit jedem gesetzlichen Vorschlag. Meine Vorhersage im Hinblick auf die ganzen Klimaprogramme, die wir auf den Weg gebracht haben: Das wird eine Liebe auf den zweiten Blick.
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Wir werden zeigen, dass wir das Klima wirklich schützen können.
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Ich will auch sagen, warum das so ist. An einigen Stellen haben ja manche in ihren großen Reden plötzlich gestutzt. Ich sage: Sie werden noch öfter stutzen. Es wurde gesagt, das seien ganz kleine Maßnahmen, damit sei überhaupt nichts verbunden, die Bepreisung von CO2, das sei ganz wenig. Und plötzlich hört man, wie viele zusätzliche Milliarden, nämlich weit über 10 Milliarden Euro, an Einnahmen aus zusätzlichen Abgaben und Steuern allein bis 2023 zustande kommen, um Investitionen in Höhe von 54 Milliarden Euro zu finanzieren. Ganz leise haben einige gezuckt und gesagt: „Das könnte ja möglicherweise doch was sein“, sind dann aber gleich wieder in ihren Trott verfallen.
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Gott sei Dank gibt es eine erste, eine zweite und eine dritte Lesung. Stück für Stück werden Sie merken: Da passiert wirklich eine ganze Menge. Wir haben eine Menge Dinge auf den Weg gebracht.
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Zum Beispiel ist es so, dass wir dafür Sorge tragen, dass die Kfz-Steuer für neue Fahrzeuge steigen wird, und natürlich ist klar, dass das noch dieses Jahr kommt. Wir arbeiten daran, das jetzt umzusetzen. Natürlich ist es so, dass wir gesagt haben: Wir werden die Nutzung von Flugzeugen verteuern, indem wir die Luftverkehrsteuer erhöhen, und wir reduzieren die Mehrwertsteuer auf Bahntickets als eine ganz wesentliche Maßnahme zu nachhaltiger Mobilität.
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Natürlich ist es so, dass wir dafür Sorge getragen haben, dass die Lkw-Nutzung auf den Bundesstraßen und auf den Bundesautobahnen erheblich teurer wird, verbunden mit milliardenschweren zusätzlichen Einnahmen wegen der CO2-Bepreisung. Auch das gehört zu den Finanzierungskonzepten, die wir auf den Weg gebracht haben. Und natürlich gehört dazu – wir werden das noch im Einzelnen beraten – die CO2-Bepreisung, die Jahr für Jahr einen höheren Umfang haben wird und Mitte der 20er-Jahre erhebliche Summen erreichen wird – wenn es uns nicht bis dahin gelingt, die Klimaschutzmaßnahmen erfolgreich umgesetzt zu haben. Alles das ist nicht wenig, sondern sehr, sehr viel. Das sollte man bedenken.
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Übrigens ist es aus meiner Sicht so, dass wir als demokratische Politiker genau wissen müssen und wissen sollten, über was und über wen wir reden. Wir reden hier über die Lebensverhältnisse von 40 Millionen Haushalten, wir reden hier über die Lebensverhältnisse von 40 Millionen Männern und Frauen, die in Deutschland ein Auto besitzen. Und wenn wir Entscheidungen zu diesem Thema treffen, dann müssen wir schon sagen: Das geht nicht so weiter, wie es heute ist. Da muss etwas passieren. Aber wir geben den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, sich umzustellen, rechtzeitig die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und wir sagen ihnen nicht: „Wir machen schon mal alles teurer, obwohl du dein Auto noch drei, vier, fünf, sechs, sieben Jahre weiterfährst“, oder: „Wir machen schon mal alles teurer, aber du musst deine Heizung irgendwann später austauschen“. Wir fördern jetzt. Alles wird Stück für Stück teurer; aber jeder, der nicht handelt, wird es bald spüren. Das ist die richtige Botschaft.
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Zu dem Konzept, das wir hier auf den Weg gebracht haben, gehört auch, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern Unterstützung geben, und zwar nicht nur durch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets, sondern zum Beispiel auch durch die steuerliche Förderung energetischer Sanierungsmaßnahmen; denn um die geht es jetzt ja. Das muss jetzt stattfinden. Das ist das, was hier mit einem massiven Programm – im Übrigen sehr, sehr unbürokratisch – möglich gemacht wird.
Dann haben wir auch dafür gesorgt, dass es im Hinblick auf die Zeit bis zum nächsten Autokauf eine Entlastung gibt. Es ist ja ein wenig beiseitegelassen worden, dass dies eine befristete Regelung ist. Aber die Anhebung der Entfernungspauschale ist dazu da, damit man sich umstellen kann. Wir haben sie durch eine sozialpolitische Innovation, nämlich durch eine Mobilitätsprämie, ergänzt, damit auch diejenigen profitieren, die kein zu versteuerndes Einkommen haben und zu wenig verdienen.
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Ich finde, das alles ist ziemlich ausgewogen. Noch einmal: Es wird eine Liebe auf den zweiten Blick geben, meine Damen und Herren.
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Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Bruno Hollnagel, AfD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Absicht des Klimapakets ist es, CO2-Emissionen zu reduzieren. Wie? Indem der Preis zum Beispiel für Benzin künstlich verteuert wird. Die Idee dabei ist: Der steigende Preis senkt die Nachfrage – zum Beispiel nach Benzin – und damit die CO2-Emissionen. Theoretisch richtig, praktisch nicht. Beweis: Schweden. In Schweden wurde 1990/91 eine Klimasteuer eingeführt. Die Wirkung: Die CO2-Emissionen stiegen. Erst als ab 2017 steuerfreier Diesel auf den Markt kam, also eine preiswerte Alternative, kam es dazu, dass die CO2-Emissionen gesenkt werden konnten.
Was lernen wir daraus?
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Gibt es keine preiswerte Alternative – und in Deutschland gibt es sie nicht –, bewirkt eine CO2-Steuer nur zweierlei: Erstens. Sie mindert den Wohlstand der Bürger. Zweitens. Sie schadet dem Standort Deutschland.
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Als Politiker sind wir gehalten, sorgfältig mit Steuergeldern umzugehen. Wenn wir Steuergeld ausgeben, dann müssen wir also genau wissen, was wir dafür bekommen. Kennen wir, allgemein wissenschaftlich anerkannt, den genauen Einfluss der menschengemachten CO2-Emissionen auf die Weltklimatemperatur? Antwort: Nein.
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Nun verweisen Sie möglicherweise auf eine Formel des Weltklimarates. Unterstellen wir einmal, dass diese Formel richtig wäre, so könnten wir folgende Rechnung aufstellen: Die gesamte jährliche CO2-Emission Deutschlands würde das Weltklima genau um 0,000653 Grad erhöhen. Das ist fast nichts.
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Da wir niemals alle, sondern nur einen Teil der CO2-Emissionen einsparen könnten, ist die Möglichkeit, das Klima durch eine CO2-Steuer überhaupt beeinflussen zu können, praktisch null.
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Diese Null würde uns viele, viele Milliarden kosten. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit ist gebrochen.
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Werfen Sie doch mal einen Blick auf die Lausitz. Dort wird der Betrieb eines Kohlekraftwerks eingestellt. Es sollen 38 Milliarden Euro investiert werden, um unter anderem die Lausitz nicht ins ökonomische Nirwana abstürzen zu lassen.
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Jetzt die konkrete Frage: Welchen Klimaeffekt haben denn diese 38 Milliarden Euro?
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Das können Sie nicht benennen? Klar. Denn das ist nicht möglich.
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Zur gleichen Zeit aber werden in der Welt 1 400 Kohlekraftwerke geplant oder bereits gebaut. Welchen Einfluss hat es also, wenn Deutschland die 38 Milliarden Euro verschwendet? Es hat keinen Einfluss.
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Nein, meine Damen und Herren. Die Welt wird nicht am deutschen Wesen genesen, und eine deutsche CO2-Steuer wird es schon erst recht nicht richten.
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Nun noch ein Problemfeld: Wenn der Staat an CO2-Emissionen verdient, weil er dadurch Einnahmen generiert, wird der Staat kein Interesse daran haben, die CO2-Einnahmen zu verhindern. Er hat also ein Interesse an CO2-Emissionen. Nun sagen Sie: Ja, er nimmt das Geld und verteilt es wieder. – Dann hätten wir aber genau den Effekt, dass die Einnahmen schließlich genommen werden, umverteilt werden müssen und der Staat wieder zur bürokratischen Krake wird. Das ist ebenfalls zu verhindern.
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Meine Damen und Herren, die CO2-Besteuerung gefährdet den Wirtschaftsstandort Deutschland, sie gefährdet den Wohlstand Deutschlands. Die aktuelle Klimapolitik gefährdet die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. Das ist zu verhindern.
Danke schön.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Koalition legt hier ein wohlabgewogenes Paket vor. Es ist wohlabgewogen: ökologisch, sozial, ökonomisch, eben etwas, das sich – das ist mir besonders wichtig – nicht gegen die ländlichen Räume und nicht gegen die gebeutelte Landwirtschaft richtet,
({0})
sondern das auch diese Aspekte sinnvoll im Blick hat.
({1})
Man darf in diesem Fall natürlich nicht erwarten, von der Opposition gelobt zu werden. Im Gegenteil: Diese Diskussion hier läuft so, wie es abzusehen war. Die AfD macht das immer gleiche, nämlich pseudowissenschaftliche Zahlenspielchen.
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Ich hätte die dringende Bitte, dass Sie, wenn Sie nicht über Klimawandel reden wollen, mal über die Frage der Nachhaltigkeit, des Ressourcenschutzes und des Umweltschutzes diskutieren.
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Es ist doch wohl überhaupt nicht zu bestreiten, dass es Sinn macht, auch unter diesen Gesichtspunkten umzusteuern in dieser Republik.
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– Na ja, ich hatte gehofft, dass Herr Hollnagel über die Alternativen spricht und sagt: Jawohl, mit dem, was Sie hier fördern wollen, entwickeln Sie innovative Alternativen. – Das ist doch die Idee hinter dem, was wir heute hier vorstellen, nämlich über Anreize dafür zu sorgen, dass sich Innovationen entwickeln. Das halte ich für ganz zentral bei der ganzen Geschichte. Da redet nur leider in diesem Haus keiner drüber.
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Letztendlich, meine Damen und Herren, wird man nicht über Verhaltensänderung etwas am Klimawandel ändern; das sage ich auch an die Adresse der Grünen. Darum geht es doch nicht. Wenn Sie sich angucken, dass die Fluggastzahlen in diesem Jahr wieder um Millionen gestiegen sind, dann merken Sie: Da geht es nicht um Verhaltensänderung. Wir werden vielmehr im technischen Bereich dafür sorgen müssen, dass in Zukunft Mobilität in dieser Welt erhalten bleibt, und das geht nur mit deutscher Ingenieurskunst; davon bin ich fest überzeugt.
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Das Plädoyer für die soziale Marktwirtschaft – die FDP in allen Ehren – teile ich in weiten Zügen. Es hätte mich noch mehr gefreut, wenn Sie uns ein bisschen dafür gelobt hätten, dass wir den Nukleus für den Emissionshandel gelegt und die Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Das hätte man auch positiv ausdrücken können.
Sie haben auf der anderen Seite Die Linke damit gleich gereizt, mal ehrlich zu sein und zu sagen: Wir wollen den Systemwechsel. – Darum geht es nämlich der linken Seite des Hauses: unter dem Deckmantel des Klimawandels dafür zu sorgen, dass man die soziale Marktwirtschaft endlich abschafft.
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Die Grünen tun das, was sie immer tun: die Themen kleinreden, von „Päckchen“ sprechen und sagen: Klimaschutz muss wehtun. – Ich weiß nicht, was die Idee dahinter ist, dass Sie den Menschen an der Stelle wehtun wollen. Wahrscheinlich ist es die Vorstellung, dass es nicht Ihre Klientel trifft; denn letztendlich werden die Gutsituierten das alles bezahlen können.
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Aber wenn es gemacht wird, wie Sie es machen wollen – über Verbote und Geld –, dann wird das dazu führen, dass viele Schichten in unserer Gesellschaft sich Mobilität nicht mehr leisten können, dass sie Probleme bekommen, das Heizen zu bezahlen. Das bitte ich an der Stelle auch zu berücksichtigen.
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Eigentlich wollte ich heute nicht über „Kobold“ in Handys reden. Ich wollte auch nicht über das Thema reden, wie man im Stromnetz Strom speichert. Das wollte ich Ihnen alles ersparen.
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– Ich wollte es Ihnen ersparen, aber Sie schreien schon wieder so laut. – Konzentrieren Sie sich doch mal auf das, was technisch möglich ist,
({11})
und machen Sie hier keine Pippi-Langstrumpf-Politik, wo man sich überlegt, was denn alles nicht geht. Es wäre schon mal schön, wenn Sie im Blick hätten, was technisch nicht geht.
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Dann kämen Sie, Herr Krischer, auch an den Punkt, dass Sie merken, wo die Haken und Ösen der Komplettumstellung auf erneuerbare Energien sind.
Herr Kollege Nüßlein, der Kollege Sitta würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja.
({0})
Oh doch. – Lieber Präsident, vielen Dank fürs Zulassen der Zwischenfrage. Herr Dr. Nüßlein, danke auch dafür.
Sie haben es ja direkt angesprochen, und ich möchte sagen: Schön, das Wort „Emissionshandel“ ist im Klimapaket enthalten. – Nach dem Prinzip Hoffnung hoffen wir mal das Beste in den nächsten Jahren.
Ich möchte Sie was anderes fragen. In der letzten Debatte zum Thema Klima hat unser Fraktionsvorsitzender Christian Lindner hier gesprochen.
({0})
– Wo ist denn der Verkehrsminister?
({1})
Darum geht es ja gar nicht. – Da haben Sie für viele hörbar dazwischengerufen: Ihr habt doch unser Klimapaket überhaupt nicht verstanden! – Gedankenstrich: Ich im Übrigen auch nicht. Können Sie zum einen bestätigen, dass Sie das gesagt haben? Zum anderen würde ich gerne wissen: Was ist in der Zwischenzeit passiert, dass Sie jetzt zum flammenden Verfechter dieses Klimapaketes geworden sind?
Vielen Dank.
({2})
Lieber Herr Kollege, ich habe bei der letzten Rede hier den ursprünglich im Raum stehenden Ansatz eines Klimaschutzgesetzes kritisiert,
({0})
bei dem sehr repressiv die Rollen zwischen den Ressorts verteilt wurden, bei dem es ursprünglich nur um Schuldzuweisungen ging, bei dem es um die Frage ging: Schaffen wir einen Klimarat, der praktisch über der Regierung steht, der die Regierung in die Schranken weist, der sehr undemokratisch besetzt ist? Wenn Sie sich informiert hätten, was jetzt tatsächlich zum Beschluss steht, dann hätten Sie festgestellt, dass wir all die Dinge rausverhandelt haben, die aus unserer Sicht dieses Thema verfälscht hätten.
({1})
Wir sind aber geblieben bei dem Aspekt der jährlichen Überprüfung der Ergebnisse und der Notwendigkeit, den Druck zu erhöhen, damit die Regierung handelt. Im Übrigen sollten wir die Ausübung dieses Drucks nicht an einen Klimarat delegieren, meine Damen und Herren. Der Druck kommt aus diesem Deutschen Bundestag. Es ist nämlich unsere Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, und das werden wir auch entsprechend tun.
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Ich gehe davon aus, dass Sie verstanden haben, was ich beim letzten Mal hier in aller Klarheit gemeint habe.
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Ich bleibe an der Stelle noch mal ganz kurz, meine Damen und Herren, bei den Grünen. Sie können in den nächsten wenigen Wochen zeigen, wie ernst Sie es meinen.
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Wir wollen mit diesem Gesetz am 29. November den Bundesrat erreichen. Bei der Gelegenheit stelle ich fest, dass Sie in neun Länderregierungen vertreten sind.
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Ich erwarte, nachdem Sie jetzt die ganze Zeit gepredigt haben, wie dringend notwendig Handeln und wie groß der Zeitdruck an der Stelle ist,
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dass Sie die Initiativen der Koalition im Bundesrat offensiv befürworten.
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– Passen Sie auf. Es wird ja noch schlimmer.
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Ein Teil der ganzen Thematik ist die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Dieses Thema hat eine lange Geschichte, und alle, die hier rumlaufen und sagen, man hätte zu wenig gemacht, müssen sich überlegen, was ihr Beitrag war. Das sage ich insbesondere den Grünen. Wir haben das Thema 2011 und 2014 auf der Agenda gehabt. Immer abgelehnt!
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Ich bin in großer Sorge, dass uns das wieder passiert, weil die Länder 500 Millionen Euro dafür aufbringen müssen. 500 Millionen Euro, meine Damen und Herren: Was ist das schon in dem Zusammenhang, wo doch die Aufgabe so groß ist?
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Da wünsche ich mir, dass Sie das offensiv flankieren, dass Sie sagen: Jawohl, das wollen wir; das ist eine zentrale Maßnahme im Bereich der Wärme, die hilft, CO2 zu reduzieren. – Unterstützen Sie das. Zeigen Sie an der Stelle mal, dass Sie konstruktiv sein können. Ich verspreche Ihnen: Bei der nächsten Rede bin ich dann auch bereit, Sie entsprechend zu loben.
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Vielen herzlichen Dank fürs Zuhören.
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Nächster Redner ist der Kollege Lorenz Beutin, Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich möchte damit anfangen, darüber zu erzählen, dass wir 2008 erlebt haben, dass mit der Finanz- und Wirtschaftskrise die Geschichte, dass der Markt alles regeln würde, an ihr Ende gekommen ist.
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Die wenigsten glauben heutzutage noch, dass Immobilienspekulation, dass grenzenloses Wachstum und dass das Verscherbeln unseres Öffentlichen irgendwas Gutes in der Gesellschaft bewirken, und das ist richtig so.
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Stellen Sie sich doch einmal ein Haus vor. Dieses Haus ist sehr alt. Die Luft steht schon. Es ist wochenlang nicht mehr gelüftet worden, und Sie können quasi den Mief riechen. Dann kommen einige der Bewohnerinnen in diesem Haus auf die Idee – die ist ganz neu und revolutionär –, einfach mal die Fenster aufzumachen und den frischen Wind hereinzulassen. Diejenigen, die diesen frischen Wind hereingelassen haben, das sind die Hunderttausenden, die wir Woche für Woche, Monat für Monat seit einem Jahr auf den Straßen erleben, die für Klimagerechtigkeit stehen, die sagen: „Wir können unsere Gesellschaft verändern“, die sagen: „Wir können unsere Zukunft gemeinsam gestalten“. Genau das ist es, wovon wir lernen müssen.
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Aber diese Bundesregierung legt uns nun ein Klimapäckchen vor, das wieder den Geist der Vergangenheit atmet. Bei diesem Klimapäckchen meinen Sie, man könne das irgendwie über den CO2-Preis regeln, der Markt werde das alles regeln, die Individuen würden sich irgendwie alle umstellen und es werde schon klappen. Nein, das hat die letzten 10, 20 Jahre nicht geklappt. Das hat bei der Rente nicht geklappt. Das hat bei der Arbeit nicht geklappt. Das hat beim bezahlbaren Wohnen nicht geklappt. Und das wird auch beim Klimaschutz scheitern.
({3})
Dieses Hoffen auf den Markt bedeutet: Sie wollen einen CO2-Preis einführen. Das DIW hat es Ihnen vorgerechnet, der Bundesrechnungshof hat es Ihnen vorgerechnet: Es trifft vor allem die einkommensschwachen Haushalte durch steigende Benzinpreise, durch steigende Heizölpreise. Auf der anderen Seite erhöhen Sie durch eine Pendlerpauschale die Einkommen derjenigen in diesem Land, die eh viel haben. Nein, wir müssen endlich anfangen, Klimaschutz für die vielen zu machen, nicht für die wenigen, einen Klimaschutz für die Mehrheit unserer Bevölkerung.
({4})
Das bedeutet: Wir brauchen endlich gesellschaftliche Regelungen, die für alle gelten, wir brauchen Gesetze, und wir brauchen auch Verbote, an die sich alle dann zu halten haben; denn es geht darum, dass wir einen neuen Gesellschaftsvertrag brauchen. Wir brauchen eine Mobilitätsgarantie für alle in dieser Gesellschaft. Wir brauchen eine Sozialgarantie für alle in unserer Gesellschaft. Und das bedeutet, dass wir die Energiewende in die Hände der Bürgerinnen geben, dass wir eine Verkehrswende machen, die nicht nur eine Antriebswende ist, dass wir energetische Sanierung gerecht für alle machen, auch für die einkommensschwachen Haushalte.
({5})
Wir müssen uns unsere Gesellschaft zurückholen. Wir müssen den Glauben, dass wir unsere Zukunft gemeinsam gestalten können, wiedergewinnen. Dafür brauchen wir etwas anderes als dieses belanglose Klimapäckchen. Wir brauchen echten Klimaschutz, und zwar jetzt und sofort.
Vielen Dank.
({6})
Lisa Badum, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor über sechs Monaten stand ich auch hier, als wir über Fridays for Future diskutiert haben. Sie können ja lachen; aber ich hatte damals tatsächlich Hoffnung, dass diese weltweite Bewegung auch bei uns ankommen würde. Ein Ende der ritualisierten Debatten, ein Anfang echter Politik für die Zukunft! Heute bin ich enttäuscht und wütend. Können wir wirklich nicht mehr schaffen als das, was Sie hier vorlegen?
({0})
Wir reden seit Jahren davon, eine Sitzung des Umweltausschusses nach der anderen – geballtes Expertenwissen, eine ganze Generation, die auf die Straße geht. Und ja: Es würde gehen. Wir können einen schnellen Kohleausstieg machen, wir können einen Passivhausstandard für neue Gebäude einführen, und wir könnten einen CO2-Preis mit echter Lenkungswirkung sozial gerecht einführen.
({1})
Das ist nur ein Bruchteil der Maßnahmen, die möglich sind, wenn wir Wirtschaft und Gesellschaft neu denken, wenn wir die Menschen mitnehmen und begeistern. Aber Sie wollen die Leute nicht begeistern. Ihr politischer Horizont endet immer beim kleinsten gemeinsamen Nenner.
({2})
Ein Beispiel ist Ihre Idee der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung, hier viel gepriesen. Sie haben nicht ausgeschlossen, dass Sie von der neuen Tür über eine neue Ölheizung wahllos ohne Effizienzstandard fördern, allein um niemanden zu vergrätzen.
({3})
Somit haben Sie eine politische Maßnahme, die den Steuerzahler viel kostet und keine ökologische Lenkungswirkung hat. Glückwunsch!
({4})
Sie konnten sich zweitens auch nicht entscheiden, ob Sie einen CO2-Preis oder einen Emissionshandel einführen wollen.
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Also haben Sie ein Frankenstein-System aus beidem erschaffen, dass es einem kalt über den Rücken läuft. Mit diesem Monstrum bleibt dreckige Energie weiterhin zu billig.
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Sie belasten sogar Menschen mit kleinem und geringem Einkommen, und Ihr Modell ist auch noch rechtlich fragwürdig. Das ist tatsächlich derartig monströs, dass Sie es sogar geschafft haben, FDP und Grüne in ihrer Gegnerschaft zu vereinen. Auch hier: Glückwunsch!
({7})
Aktuell wollen Sie es allen recht machen und erreichen am Ende gar nichts.
({8})
Das verschwendet Ressourcen, entfaltet keinerlei Lenkungswirkung und erzeugt keine Aufbruchstimmung.
({9})
Wie könnte es gehen? Sie holen die Leute nicht ab, indem Sie niemanden vergrätzen wollen, sondern indem Sie auf ihre Forderungen eingehen, sie beteiligen und klare Leitplanken für die Wirtschaft und die Gesellschaft der Zukunft vorsehen. Wirkliche Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung bei Windprojekten, nicht eine Pseudobeteiligung, wie Sie sie vorsehen, eine echte Förderung von emissionsfreier Mobilität, klimaneutrales Wohnen in Deutschland, eine zukunftsfähige Wirtschaft jenseits fossiler Energie und ein Klimaschutzgesetz mit echten Zielen und Kontrollen der Ministerien – hier können Sie noch nachbessern.
Weil wir ein gemeinsames Ziel haben, weil es sich bei der Klimakrise und beim Artensterben um einen besonders schweren Fall der Unumkehrbarkeit von Entscheidungen handelt, weil wir hier Entscheidungen treffen, die wir später nicht mehr korrigieren können, sollten wir die Rituale beenden und den Mut für eine echte Klimapolitik haben, weil wir uns hier im Bundestag selbst verpflichten müssen für die nachfolgenden Generationen.
Vielen Dank.
({10})
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Matthias Miersch, SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor neun Jahren hat die SPD-Bundestagsfraktion hier in diesem Haus die Einführung eines Klimaschutzgesetzes beantragt. Damals gab es nicht Fridays for Future, aber damals gab es schon große Gegenbewegungen, die gesagt haben: Wir wollen nicht diese Formen von Verbindlichkeit. Wir wollen nicht die Festlegung von Ministerien.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist die erste Lesung. Ich sage allen Danke, die in diesen neun Jahren mit mir und anderen an diesem Klimaschutzgesetz gearbeitet haben.
({0})
Frau Badum, vielleicht haben Sie in den nächsten Wochen noch einmal die Chance, den Gesetzentwurf zu studieren, wenn Sie sagen, es fehlt die Kontrolle.
({1})
Was steht denn in dem Klimaschutzgesetz? Wir verpflichten diese Bundesregierung. Klimaschutzziele werden rechtsverbindlich, wir gießen sie in Gesetzesform. Wir verpflichten die Minister, hier Rechenschaft abzulegen, und zwar jedes Jahr. Wir verpflichten die Ministerien, hier gegenzusteuern.
({2})
Was wollen Sie eigentlich noch?
({3})
Ich bin dem Kollegen Brinkhaus dankbar und sage für die SPD-Bundestagsfraktion:
({4})
Natürlich ist das für uns als selbstbewusste Parlamentarier die Vorlage dafür, dass der Bericht jedes Jahr ressortspezifisch und genau diskutiert wird. Wir werden den Ministerinnen und Ministern,
({5})
die blockieren, Beine machen. Wir werden sie nicht damit durchkommen lassen, wenn sie diese Ziele nicht erreichen.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, dieses Maß an Selbstgerechtigkeit, das Sie von Debatte zu Debatte mehr an den Tag legen, nervt mich wirklich.
({7})
Wenn Sie hier vom Klimapäckchen reden, dann frage ich Sie: Was haben Sie eigentlich bei Jamaika hinbekommen?
({8})
Sie haben nicht einmal die Briefmarke für ein solches Päckchen hinbekommen.
({9})
Vom Klimaschutzgesetz war nicht die Rede. Sie sind bereits daran gescheitert, den Kohleausstieg für die ersten Jahre zu organisieren. Das ist die Wahrheit.
({10})
Schauen Sie sich an, welche Koalitionsverträge Sie schließen, was Sie mit den Abständen bei Windkraft etc. beschließen. Das ist viel restriktiver als das, was wir auf den Weg bringen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Herr Sitta, Sie sind mir als Klimaschützer noch nicht aufgefallen.
({12})
Aber ich will Ihnen sagen: Wir haben einen grundsätzlichen Dissens.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Selbstverständlich.
Bitte.
Danke. – Ich möchte gerne noch einmal etwas klarstellen, weil Sie das Argument immer wieder verwenden und behaupten, wir würden restriktivere Abstände für Windkraftanlagen beschließen, als Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorlegen.
({0})
Frau Kollegin, stellen Sie Ihre Zwischenfrage.
Danke schön. Ich möchte gerne weiterreden. – Nehmen wir das Beispiel Schleswig-Holstein, das mir gerade mehrfach zugerufen wurde. Schleswig-Holstein hat festgelegt: Für den Fall, dass die Fläche ausreicht, will man einen Abstand einhalten – niemand wird etwas dagegen haben –, für den Fall, dass die Fläche nicht ausreicht, gilt kein Abstand. Sie haben den Abstand nicht nur über dem Klimaschutz angeordnet und sagen: Abstand über alles, Klimaschutz kann unter den Tisch fallen. – Sie müssen doch zugeben, dass das klimapolitisch schlechter ist. Sie haben zusätzlich noch einen Abstand von 1 000 Metern für siedlungsähnliche Strukturen eingeführt. Dass Ihre Abstandsregelung restriktiver ist, kann man daran sehen, dass die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, und zwar inklusive der CDU und der FDP, sofort gesagt hat: Hier werden wir wohl Ausnahmeregelungen schaffen müssen. Bei dieser Regelung können wir nicht mitgehen; denn diese Abstände sind für uns zu hart. – Deshalb möchte ich hier ein für alle Mal festhalten, dass diese Geschichte eine Legende ist und einfach nicht den Fakten entspricht.
Danke schön.
({0})
Frau Badum, vielen Dank für Ihre Zwischenfrage bzw. ‑bemerkung.
({0})
Es gibt ja die Möglichkeit, in den nächsten Wochen zu testen, was Sie in den Jamaika-Verhandlungen vereinbart haben und was Sie in den Bundesländern machen, auch bezogen auf Abstandsregeln. Jetzt haben Sie relativ lange gebraucht, die schleswig-holsteinische Regel zu erklären. Ich sage Ihnen aber: Es ist ganz einfach. Wir können das gemeinsam machen, weil die Abstandsregel von 1 000 Metern noch nicht in diesem Paket enthalten ist. Sie kommt noch. Dann werden wir einmal sehen. Was haben Sie denn in Hessen vereinbart? 1 000 Meter.
({1})
Was haben Sie denn mit uns zusammen in Rheinland-Pfalz vereinbart? 1 000 Meter.
({2})
Was haben die Linken in Thüringen mit Grünen und SPD vereinbart? 1 000 Meter. Was passiert eigentlich in Schleswig-Holstein, weil Sie die komplizierte Regelung erklärt haben, die Robert Habeck verhandelt hat?
({3})
Sie berechnen seit Jahren, was diese Regelung bedeutet. Sie haben ein Moratorium für den Ausbau der Windkraft verlängert, mit der Folge, dass der Bundesverband der Windenergie sagt – –
({4})
– Bleiben Sie ruhig stehen, das müssen Sie ertragen.
({5})
Ich weiß, Frau Badum, es wird ganz schrecklich für Sie, wenn Sie mit Realitäten konfrontiert werden.
({6})
Frau Badum, das, was augenblicklich in Schleswig-Holstein passiert, ist gar kein Ausbau, weil nichts mehr passiert, weil Sie ein Moratorium verhängt haben.
({7})
Herr Sitta, ich habe Sie nicht vergessen. Das, was uns unterscheidet, ist scheinbar diese blinde Marktgläubigkeit. Sie reden von einem Lenkungs-CO2-Preis: Was meinen Sie damit? In der Schweiz sind es im Heizungsbereich derzeit 90 Franken, das sind knapp 90 Euro. Sie fragen sich, ob dieser Preis überhaupt Lenkung entfaltet. Wie hoch soll der Preis bei Ihnen sein? Wenn Sie einen ungezügelten Markt haben, dann werden Sie irgendwann Menschen über den Preis zwingen. Ihre Klientel wird sich alles weiter leisten können, jede Umweltverschmutzung.
({8})
Aber weite Teile der Bevölkerung werden ihn sich nicht leisten können. Die Sozialdemokratie wird diesen Weg niemals mitmachen.
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Deswegen ist es uns so wichtig, in den nächsten Jahren Milliarden in die Hand zu nehmen, um beispielsweise in die Infrastruktur der Zukunft, in die Mobilität der Zukunft für alle zu investieren. Das ist die Voraussetzung, um Akzeptanz für diese Regelungen zu finden. Dafür treten wir in den nächsten Wochen, in den nächsten Monaten und in den nächsten Jahren ein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Marc Bernhard, AfD.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Ihre Klimahysterie wirkt, und zwar extrem negativ auf unser soziales Klima in Deutschland.
Unsere Automobilindustrie ist das erste Opfer Ihrer verantwortungslosen grünen Wahnsinnspolitik.
({0})
Mit der Verteufelung des Autos zerstören Sie Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland. Die direkte Folge Ihrer Politik ist, dass internationale Konzerne wie Daimler, von Ihnen bejubelt und beklatscht, ankündigen, in Zukunft in Deutschland CO2-neutral produzieren zu wollen. Und was ist die einfachste Möglichkeit, CO2-neutral zu produzieren? – Das Werk in Deutschland zu schließen und in China wiederzueröffnen.
({1})
Dort kann Daimler dank Ihres Pariser Klimaabkommens bis 2030 völlig unbegrenzt CO2 ausstoßen, die Mitarbeiter hier entlassen und dort zu einem Viertel der Kosten neue einstellen.
Die Meldungen über Firmenschließungen und Stellenabbau überschlagen sich: Daimler 10 000, Bosch 15 000, VW 19 000, Conti 20 000, um nur einige wenige zu nennen. Insgesamt stehen eine ganze Großstadt und die Existenz vieler Tausender Familien auf der Kündigungsliste Ihrer verantwortungslosen Politik.
({2})
Durch Ihre vermurkste Energiewende haben wir die höchsten Energiepreise in Europa. Bis 2025 wird jede deutsche Familie insgesamt rund 25 000 Euro allein für diesen Irrsinn bezahlt haben. Und was macht die Regierung? – Sie rennt in panikartigem, blindem Aktionismus einem 16-jährigen Schulmädchen hinterher.
({3})
Selbst der Bundesrechnungshof urteilt über Ihr Klimapaket – wörtlich –: „Nachteile für Geringverdiener“, „Belastung für Rentner“, „ungerecht“ und „unsozial“. Der Mieterbund rechnet für einen durchschnittlichen Haushalt mit einer Mieterhöhung von 200 Euro pro Monat und zusätzlich einer Steigerung der Heizkosten um mehr als 20 Prozent.
Ihr Mogelpaket für die Menschen erhebt Steuern für alles, aber wirklich für alles: fürs Arbeiten, fürs Wohnen, fürs Essen und sogar fürs Atmen, denn fast 10 Prozent des menschengemachten CO2 entsteht nur durch das Atmen.
({4})
Sie spielen hier den Weltenretter, versagen aber im eigenen Land in jedem Bereich: innere Sicherheit, Migration, Rente, Bundeswehr und Wohnungsnot.
({5})
Retten Sie doch erst mal Deutschland, indem Sie endlich zurücktreten!
({6})
Volkmar Vogel, CDU/CSU, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Klimaziele, die wir uns gesetzt haben, gelten und werden umgesetzt. Natürlich bedarf es dazu der Mitwirkung aller. Das heißt, wir alle haben unseren Beitrag dazu zu leisten. Wenn ich „alle“ sage, meine ich nicht nur die fünf Sektoren, die wir haben – Industrie, Verkehr, Energieerzeugung, Landwirtschaft und Gebäude –, sondern auch, dass wir passgenaue Angebote für die Städte und den ländlichen Raum mit ihren unterschiedlichen Bedingungen machen müssen. Wir denken außerdem an die Menschen, die es nicht so dicke haben, Leute mit kleinem Geldbeutel. Auch denen wird ein Angebot gemacht, sich zu beteiligen; denn wir brauchen eine Breitenwirkung.
Eines hat die heutige Diskussion gezeigt: Es gibt zwei Gruppen – das spiegelt sich auch im Parlament wider –: Die einen sagen: Klimaschutz ist Quatsch, brauchen wir nicht, überhaupt nicht notwendig, und die andere Gruppe sagt: Alles viel zu wenig. Wir müssen sofort etwas tun. – Ich glaube, das, was wir uns mit der Klimaschutzgesetzgebung zum Ziel gesetzt haben, ist der richtige Weg. Den sollten wir weiter beschreiten. Daran werden wir arbeiten.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hierbei lassen wir uns von Prinzipien leiten. Wir wollen Anreize statt Verbote. Wir wollen fördern und maßvoll fordern. Wir geben Freiraum für Technologien, um der Innovation Vorschub zu leisten. Wir wollen, dass die Technologien den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Das ist ein wesentlicher Punkt, um das Wirtschaftlichkeitsgebot einzuhalten. Wir wollen nicht, dass durch Klimaschutzmaßnahmen das Eigentum der Menschen gefährdet wird und sie dadurch in eine soziale Schieflage geraten.
({1})
Die soziale Fairness zwischen allen Beteiligten ist maßgeblich, um eine Breitenwirkung zu erreichen. Wir werden die entstehenden Belastungen abfedern – das gilt insbesondere für Leute mit einem kleinen Geldbeutel – und sehr darauf achten, dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht gefährdet wird, indem den entstehenden Gefahren gegengesteuert wird.
Der Gebäudebereich schlägt beim CO2-Ausstoß mit einem hohen Anteil von 14 Prozent zu Buche. Ich freue mich sehr darüber, dass es einen Durchbruch bei der steuerlichen Sonderabschreibung für energetische Sanierung gegeben hat. Meine Kolleginnen Antje Tillmann und Anja Weisgerber werden dazu näher ausführen.
Neben der steuerlichen Förderung ist auch die Förderung durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wichtig. Es wird ein Bundesförderprogramm für die Gebäude geben, ein Programm mit drei Schwerpunkten. Bisher hatten wir vier Programme mit zehn Schwerpunkten. Wenn wir dann noch die Antragstellung in eine Hand geben, dann kann man mit einfachen und schnellen Möglichkeiten zu einer entsprechenden Förderung kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, steuerliche Förderung für die, für die es sich lohnt, CO2-Gebäudesanierungsprogramm für die, die mit den steuerlichen Vergünstigungen nicht so viel anfangen können – das zusammen ist letztendlich ein Konjunkturprogramm für unser Handwerk, für unseren Mittelstand. Derzeit ist zwar die Situation am Bau aufgrund des Ziels, mehr Wohnraumkapazitäten zu schaffen, gut, aber es werden Zeiten kommen, in denen es wieder eng wird. Und da ist es gut, wenn wir etwas für die Wirtschaft tun und gleichzeitig das Klima schützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Ehrlichkeit gehört: Ja, Klimaschutz kostet Geld. Klimaschutz wird uns alle belasten. Diese Lasten müssen jedoch vertretbar sein. Und wenn diese vertretbar sind, sieht es auch jeder ein, und jeder wird mitwirken.
Es ist wichtig, beispielsweise zwischen Stadt und Land zu unterscheiden. Durch eine Erhöhung der Pendlerpauschale muss es für die Menschen, die zur Arbeit fahren müssen, eine entsprechende Entlastung geben. Auch beim Wohngeld werden wir sicherlich nachbessern und für die Mieterinnen und Mieter eine weitere Lösung finden. Und wir geben eine weitere Milliarde für eine Verbesserung des ÖPNV-Angebots sowohl in den Städten, aber auch im ländlichen Raum. Darüber hinaus werden wir die Frage von Einzelheizungen, die es vor allem im ländlichen Raum gibt, in Angriff nehmen, indem die Auswechslung von öl- oder gasbetriebenen Einzelheizungen hin zu klimafreundlichen Techniken mit bis zu 60 Prozent gefördert wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein Strauß von Maßnahmen, den wir auf den Weg bringen werden. Davon werden wir uns nicht beirren lassen.
Lassen Sie mich kurz einen Blick nach vorne werfen auf die Frage der Nachhaltigkeit im Gebäudebereich. CO2-neutrale Baustoffe, auch regional bezogene Baustoffe werden in Zukunft eine Rolle spielen. Deren Verwendung werden wir fördern.
Ich komme zum Schluss. Durch Transparenz und dadurch, dass wir nicht überfordern, Anreize geben, breit informieren und beraten, werden wir eine Breitenwirkung erzeugen. Dafür steht diese Koalition. Wer nichts machen will, der setzt unsere Schöpfung aufs Spiel, und wer überzieht, setzt den gesamten Prozess aufs Spiel.
Danke schön.
({2})
Jetzt erteile ich dem Kollegen Marco Bülow das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag ist eigentlich die Entscheidungsmitte. Das heißt, wir müssen uns aufmachen, um selbstbewusst über dieses Klimapaket zu sprechen und es an den Stellen zu verbessern, wo es nötig ist. Genau das erwarte ich von den Regierungsfraktionen, nämlich dass sie nicht alles, was von der Bundesregierung kommt, schönreden, sondern dass sie sich die Punkte ansehen, dass sie mit den Expertinnen und Experten sprechen,
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dass sie mit der Öffentlichkeit sprechen, dass sie diskutieren und dann auch Änderungen vornehmen. Aber hier wird alles schöngeredet oder höchstens über andere Fraktionen geschimpft, die es vielleicht noch schlechter machen.
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Das kann nicht der Stil sein, sondern wir müssen das in die Hand nehmen. Man hat ja immer das Gefühl, das Paket sei schon längst beschlossen. Nein, es wird hier beschlossen.
Darüber hinaus müssen wir die Bewegungen ins Parlament holen. Wir müssen hier mit denen reden. Doch was ist passiert? Ich habe im August an die Bundesregierung die Anfrage gestellt, wo Gespräche zum Klimapaket stattfinden. Wochenlang habe ich darauf keine Antwort bekommen. Vor zwei Wochen habe ich dann ein Schreiben mit einem kurzen Satz erhalten, dass es noch keine Gespräche gegeben habe. Es kann doch nicht sein, dass ein Klimapaket auf den Weg gebracht wird und es keine Gespräche mit Verbänden, Initiativen, Expertinnen und Experten gibt. Wo ist das Selbstbewusstsein dieses Hauses, wenn das nicht angemahnt wird? Genau darauf müssen wir eingehen.
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Wir sollten uns genau angucken, was zum Beispiel im IPCC-Bericht steht. Es gibt eine Kurzform für Parlamentarier und Entscheidungsträger. Professor Rahmstorf hat angefragt, wie viele den Bericht gelesen haben. Das würde mich auch interessieren; denn wenn ihn mehr gelesen hätten oder Professor Quaschning, Frau Maja Göpel und vielen anderen Experten zugehört hätten, dann würde das Klimapaket deutlich anders aussehen. Dann würden wir hier eine umfassendere Debatte führen und nicht nur über das Paket sprechen, das im Parlament beraten wird.
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Wir sollten ernsthaft über das Thema diskutieren. Es kann nicht sein, dass die einzigen Jubelstürme, die es heute gab, darin bestehen, einer anderen Fraktion vorzuwerfen, dass sie in einigen Bundesländern noch weniger gemacht hat. Das kann doch nicht der Stil der Politik sein! Vielmehr müssen wir schauen: In welchen Bereichen gehen wir gemeinsam voran? Welche Themen sind wichtig? Zum Thema Energieeffizienz steht zum Beispiel herzlich wenig im Energiepaket. Energiesuffizienz wird überhaupt nicht erwähnt. Oder schauen wir uns das Thema erneuerbare Energien an, zum Beispiel die Windkraft. Wo ist die Debatte darüber, dass wir eigentlich, wenn wir umsteigen, mehr Strom brauchen? Das heißt, der Anteil an Strom, den die Erneuerbaren derzeit abdecken, muss verdoppelt werden. Das ist eine Diskussion, die wir hier führen müssten.
Der Finanzminister spricht hier über die Liebe auf den zweiten Blick.
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Nein, wir brauchen nicht die Liebe auf den zweiten Blick, wir brauchen echte Liebe, und das sofort. Vielleicht hat er sich auch vertan.
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Er hat Milliarden fürs Klima versprochen, aber was wir in zwei Jahren kriegen, ist eine Erhöhung der Mittel im Verteidigungshaushalt von über 6 Milliarden Euro. Im Bereich Umwelt- und Klimaschutz sind es 2,6 Milliarden Euro – das ist weniger als die Erhöhung –, und davon müssen 1,3 Milliarden Euro aufgewendet werden, um den Irrweg der Atomenergie zu verlassen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist vorbei.
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Mein letzter Satz: Das Klimapaket ist erstens unzureichend. Zweitens ist es unsozial. Das haben die Experten des DIW und auch andere bei der Anhörung gesagt. Es ist ein Feigenblatt ohne Blätter.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Kollege Bülow, wenn Sie mal nicht über Liebe oder Verteidigung sprechen wollen, sondern über den Klimaschutz, dann sind Sie herzlich eingeladen.
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Am 4. November werden wir eine Anhörung zu diesem Thema durchführen, bei der wir die Sachverständigen natürlich fragen werden, ob sie mit dem vorliegenden Paket einverstanden sind. Sie haben nicht verstanden, dass die erste Lesung der Beginn einer Debatte ist.
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Das tun wir heute. Auf dem Weg werden wir durch Änderungsanträge mit Sicherheit an der einen oder anderen Stelle nachjustieren.
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Der vorliegende Gesetzentwurf ist gut. Schon im zweiten Anlauf haben wir uns auf die Förderung der energetischen Gebäudesanierung geeinigt. Es wurde schon gesagt: Wir haben es 2011 schon einmal versucht. Ich gebe gerne zu, dass ich froh bin, dass junge Menschen uns Druck gemacht haben, sodass wir jetzt einen zweiten Anlauf nehmen.
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Wir werden die energetische Gebäudesanierung auf den Weg bringen. Wir werden Heizungstausch, Einbau von Fenstern und Dämmung von Außenfassaden mit bis zu 40 000 Euro steuerlich fördern. Den Klimaleugnern in diesem Haus sage ich: Es kann doch keiner, der bei Verstand ist, es richtig finden, dass wir Heizwärme durch ungedämmte Fenster nach außen schieben. Das ist für niemanden gut, weder für das Klima noch für denjenigen, der das bezahlen muss. Deshalb werden wir diesen Teil des Gesetzentwurfs auf jeden Fall auf den Weg bringen.
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Für diejenigen, die keine Steuern zahlen, gibt es schon seit Jahren KfW-Programme, die wir noch einmal verbessern werden. Sanierungswillige können Zuschüsse durch das Marktanreizprogramm Erneuerbare Energien und durch das CO2-Gebäudesanierungsprogramm erhalten, damit auch sie ihre Wohnungen auf den aktuellen Stand bringen können. Auch das fördern wir mit diesem Gesetz.
Frau Kollegin Tillmann, der Kollege Hilse würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Nein, danke.
Keine Zwischenfrage.
Wir sorgen für die Bepreisung von klimaunfreundlichen Maßnahmen zu einem ausgeglichenen Verhältnis, zum Beispiel mit der Einführung der Luftverkehrsteuer. Flüge werden sich um 470 Millionen Euro verteuern. Ich nenne ein Beispiel: Ein Flug nach Mallorca wird um 6 Euro teurer, ein Flug nach Ägypten um 10 Euro. Diejenigen, die Flüge buchen, werden das bestimmt gerne bezahlen, wenn sie wissen, dass Bahnfahren dadurch billiger wird. Wir werden Bahnfahrten, insbesondere die über 50 Kilometer Strecke, im Schnitt um 10 Prozent vergünstigen. Die Mehrwertsteuersenkung soll eins zu eins an die Kundinnen und Kunden der Bahn weitergegeben werden, sodass diejenigen profitieren, die die Bahn regelmäßig nutzen. Ich sagen Ihnen aus eigener Erfahrung: Menschen nutzen die Bahn, wenn sie attraktiv wird. Die Strecke Berlin–Erfurt–München ist ständig überbucht. Wir möchten, dass sich die Menschen für klimafreundliche Fortbewegung entscheiden.
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Kritisiert wurde die Entfernungspauschale. Dazu muss man wissen, dass wir die Pendlerpauschale seit 15 Jahren nicht mehr erhöht haben. Jeder hier im Haus wird aber zugestehen, dass sich die Kosten massiv erhöht haben. Das Leistungsfähigkeitsprinzip in unserem Steuerrecht sieht vor, dass die Kosten, die im Zusammenhang mit Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit entstehen, abgezogen werden können. Es ist längst überfällig, dass wir die Entfernungspauschale erhöhen. Wir tun das sehr dosiert. Wir erhöhen die Pauschale ab dem 21. Kilometer um 5 Cent.
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Das ist ausgewogen für diejenigen, die für geringe Einkünfte zum Teil weit fahren müssen. Das sind diejenigen, die jeden Morgen aufstehen, 40 Stunden in der Woche arbeiten und dafür pro Tag noch eine Stunde auf der Autobahn stehen. Denjenigen können wir nicht unbegrenzt die durch das Klimapaket entstehenden Kosten zumuten. Deshalb gibt es die Vergünstigungen.
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Im Ausgleich dazu haben wir für diejenigen, die keine Steuern zahlen, die Mobilitätsprämie vorgesehen. Ich sage ganz offen: Das könnte noch besser sein. Ich unterstütze das Ziel, dass auch denjenigen, die keine Steuern zahlen, aber sich trotzdem bemühen, für ihren eigenen Lebensunterhalt aufzukommen, die sich bemühen, sich ihr eigenes Einkommen zu erarbeiten, einen Ausgleich erhalten. Die Mobilitätsprämie, wie sie im Gesetzentwurf vorgeschlagen ist, ist noch nicht der Weg, den wir uns vorstellen, aber wir haben in den nächsten Wochen Zeit, bessere Vorschläge zu erarbeiten. Richtig ist, die Nichtsteuerzahler von den Kosten, die die Arbeit betreffen, zu entlasten. Das werden wir tun. Wir werden über die entsprechenden Vorschläge in der nächsten Woche beraten.
Ich kann Sie nur auffordern: Machen wir uns auf den Weg, um dieses gute Gesetz noch besser zu machen. Das tun wir bis zur Anhörung am 4. November, bis zur nächsten Sitzungswoche. Ich fordere Sie auf, das mit uns zu begleiten.
Danke.
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Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Kollegen Hilse, AfD.
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– Ich habe heute nicht geredet.
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Frau Tillmann, ich weiß nicht, wie es kommt, dass Sie immer wieder die alte Mär bringen, dass wir Klimaleugner wären. Noch mal für alle hier: Wir leugnen den Klimawandel nicht. Er ist ein natürliches Phänomen seit Hunderten Millionen von Jahren.
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Wir bezweifeln nur, dass die menschengemachten CO2-Emissionen einen maßgeblichen Einfluss auf das Klima haben. Ich frage mich wirklich: Sind es mangelnde kognitive Fähigkeiten oder ist es einfach Bösartigkeit, dass Sie immer wieder diese Lüge behaupten?
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Zu meiner Frage, die ich eigentlich stellen wollte. Ich habe Frau Schulze im Ausschuss gefragt, ob die Bundesregierung durchgerechnet hat, wie viel Tonnen CO2 durch das Klimaschutzgesetz eingespart werden und wie hoch die Vermeidungskosten pro Tonne sein werden. Sie hat dazu keine Angaben gemacht.
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Diese Angaben haben Sie wahrscheinlich auch jetzt nicht, aber das ist das, was mich interessiert. Was denken Sie: Wie viel Tonnen CO2 werden Sie mit dem Klimaschutzgesetz einsparen, und wie hoch sind die Vermeidungskosten insgesamt?
Frau Kollegin Tillmann, Sie können antworten.
Sie fühlen sich angesprochen, aber – Punkt eins – nicht in jeder Rede im Deutschen Bundestag geht es um die AfD. Es gibt durchaus Reden, die sich mit Inhalten befassen.
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Punkt zwei. Wenn Sie sich trotzdem angesprochen fühlen, dann liegt das vielleicht daran, dass alle Ihre Vorredner den Klimawandel sehr wohl geleugnet haben.
({1})
Punkt drei. Dass Sie mit Beleidigungen auf sich aufmerksam machen, macht es nicht besser. Lassen Sie uns mit dem Klimaschutz beschäftigen, dann ist uns beiden geholfen.
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Nächster Redner ist der Kollege Bernhard Daldrup, SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Hilse, wir haben eben gehört, dass Ihr Kollege Herr Bernhard davon gesprochen hat, dass eines der Kernprobleme des Klimawandels der CO2-Ausstoß beim menschlichen Atmen sei.
({0})
Wenn man das so sieht, dann ist, ehrlich gesagt, nur noch der Hinweis nötig: Das ist das deutsche Parlament und nicht der Komödiantenstadel.
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Ich sage Ihnen Folgendes: Wenn mich junge Menschen nach den Protesten und nach dem Klimaschutz fragen, dann sage ich ihnen sehr deutlich: Empörung ist gut – das kann man gut verstehen –, Protest ist gut, aber Empörung, die nicht in Enttäuschung münden will, braucht den Willen und die Bereitschaft zum politischen Handeln, zur Veränderung. Und zu praktischer Politik sind wir bereit, das ist unser Weg.
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Man kann diese Gesetzentwürfe im Detail kritisieren; aber es ist fundamental – Matthias Miersch hat darauf hingewiesen –, dass diese Koalition dafür gesorgt hat, dass der Klimaschutz in Zukunft das leitende Handlungsprinzip dieser und künftiger Regierungen ist.
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Ich will aus Zeitgründen nur kurz auf einige steuerliche Maßnahmen eingehen; denn sie verknüpfen die Anreize für klimafreundliches Verhalten mit der Leistungsfähigkeit der Betroffenen, also die ökologische mit der sozialen Dimension, was für uns immer ein wichtiger Gesichtspunkt ist:
Wir machen das Bahnfahren preiswerter, billiger und das klimaschädliche Fliegen teurer; Frau Tillmann hat darauf hingewiesen. Wir senken die Mehrwertsteuer auf Bahnfahrkarten und erhöhen gleichzeitig die Luftverkehrsteuer. Die ökologischen Folgekosten werden in größerem Umfang Teil des Ticketpreises, übrigens trotz eines relativ aufdringlichen Lobbyismus. Aber eigentlich bräuchten wir, zugegeben, eine Distanzklasse, die auf der Kurzstrecke den direkten Vergleich zwischen Bahn und Flugzeug ermöglicht. Darüber wird zu diskutieren sein. Wir sind aber bei der Alternative, der Bahn, noch nicht so weit.
Wir schaffen ab 2020 einen steuerlichen Anreiz, die eigene Wohnung oder das eigene Haus am Gebäude oder auch im Gebäude klimafreundlicher zu machen. Dafür gibt es zum Teil erhebliche steuerliche Förderungen. Das ist eine gute Angelegenheit. Wir wollen uns aber nicht nur darauf konzentrieren, sondern auch gemeinsame Lösungen im Quartier einbeziehen. Ich glaube, auch das ist ein wichtiger Gesichtspunkt; Innovation City lässt grüßen.
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Nicht zuletzt hat es eine Auseinandersetzung über die Windenergie gegeben. Ich glaube, jenseits der Debatte ist es auf jeden Fall vernünftig, für Kommunen einen Anreiz zu schaffen, Standortflächen zu mobilisieren, beispielsweise auch unterhalb der Abstandsfläche von 1 000 Metern. Ob dies durch eine Grundsteuer W gelingen wird, das werden wir sehen. Das ist nicht so einfach.
Der Umbau und der Umstieg auf klimaschonende Mobilität brauchen ein bisschen Zeit. Deshalb erhöhen wir von 2021 bis 2026 die Entfernungspauschale, wie es schon dargestellt worden ist. Ob dabei die Begrenzung auf Strecken ab dem 21. Kilometer zu rechtfertigen und rechtsfest ist, das werden wir noch sehen. Gerecht wäre es auf jeden Fall, die Pauschale als Abzug von der Steuerschuld und nicht nur als Abzug von der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer zu gewähren. Dann hätte das auch eine soziale Wirkung.
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Ich will noch darauf hinweisen, dass wir auch die Geringverdiener im Blick haben. Für die mehr als 200 000 Betroffenen führen wir eine Mobilitätsprämie ein, die sich an der Pendlerpauschale orientiert. Für uns ist nicht der Weg der Auszahlung das Kernproblem. Für uns ist die soziale Tragfähigkeit für die Menschen wichtig. Das ist jedenfalls ein wichtiger Gesichtspunkt.
Ich möchte zum Schluss ein kleines Zitat bringen, wenn ich das noch darf, Herr Präsident.
Wenn es ein kleines ist.
Ich möchte hier ein kleines Zitat von einem großen deutschen Philosophen vortragen, der uns immer wieder gemahnt hat. Dieses Zitat hat mich immer begleitet. Er hat gesagt:
Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.
Das ist eine Mahnung, von der ich glaube, dass sie ganz gut ist.
Danke schön.
({0})
Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Gesetzentwürfe, über die wir heute in erster Lesung diskutieren, sind erst der Anfang einer Serie von Gesetzentwürfen, die wir in den nächsten Wochen und Monaten verabschieden werden. Sie sind Teil eines umfassenden Klimapaketes. Das Klimapaket besteht aus einer ganzen Reihe von Maßnahmen, aus über 60 Maßnahmen, von denen viele auch von der Opposition schon gefordert wurden. Ich sage nur: Aufhebung des 52-GW-Deckels bei der Photovoltaik.
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Ferner enthält dieses Paket ein striktes Monitoring, eine Kontrolle der einzelnen Sektoren und ein Nachsteuern, und zwar sektorübergreifend, bei Zielverfehlungen. Das ist echte Erfolgskontrolle, die ebenfalls von ihrer Fraktion gefordert wurde.
Frau Kollegin Weisgerber, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Frau Weisgerber, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprachen gerade von der Abschaffung des Solardeckels, also des 52-Gigawatt-Deckels, was Teil des Klimapakets, des Beschlusses der Bundesregierung ist. Allerdings diskutieren wir darüber heute leider nicht hier im Parlament; denn weder die Bundesregierung noch die Koalition haben einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt. Wir wissen auch nicht, wann damit zu rechnen ist.
({0})
Ich glaube, dass das sehr, sehr dringend ist; denn wir haben schon deutlich über 48 Gigawatt Solarkapazität in Deutschland installiert.
Wenn ich das, was Kollegen und Kolleginnen aus der Koalition immer wieder sagen – das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; es ist total wichtig, dass alle Fraktionen hier zusammenarbeiten; es ist total wichtig, dass wir schnell vorankommen –, wirklich ernst nehme, dann frage ich mich: Warum haben Sie dann unseren Gesetzentwurf, in dem die Abschaffung des 52-Gigawatt-Deckels im Bereich der Photovoltaik als Ziel stand, im Wirtschaftsausschuss abgelehnt? Wir hätten ihn dort beschließen können. Wir hätten ihn auch heute im Parlament beschließen können. Dann wäre er sofort in Kraft getreten. Das wäre ein deutliches Signal an die Solarindustrie, an die Solarbranche gewesen, und wir hätten alle gemeinsam, miteinander einen wirklich wirksamen Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Aber Sie haben aus Prinzip oder aus irgendwelchen Ritualen heraus das nicht tun wollen.
Frau Kollegin, Zwischenfragen sollen kurz sein.
Genau.
Und der Sinn Ihrer Frage ist klar. – Frau Weisgerber.
Ich frage Sie: Wann werden Sie diesen Gesetzentwurf denn bitte schön vorlegen?
Jetzt ist gut.
Sehr geehrte Kollegin Verlinden, genau dieses politische Spiel haben Sie im Wirtschaftsausschuss und auch hier im Plenum schon probiert; Herr Kollege Krischer hat den Vorwurf mir gegenüber schon formuliert. Dieses Gesetz wird in diesem Jahr noch auf den Weg gebracht.
({0})
Ich kann Sie nur ermuntern, in genau diesem parteiübergreifenden Konsens diesem Gesetzentwurf dann zuzustimmen.
Danke schön.
({1})
Die Frage ist beantwortet. – Vielen Dank.
Ich komme zu einem weiteren Punkt des Paketes, zur CO2-Bepreisung. Nach einer Einstiegsphase wird sich der Preis am Markt bilden. Dieser Preis kann durchaus sehr stark steigen. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Bürgern am Anfang die Möglichkeit geben, auf klimafreundliche Technologien umzusteigen, und zwar mit einem umfassenden Anreizpaket, das sie jetzt nutzen sollten. Ein so umfassendes Paket hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben,
({0})
auch nicht unter Rot-Grün. Ich würde mir wünschen, dass man dies zumindest mit einem Satz anerkennt, bevor man als Opposition zur Standardkritik überwechselt.
({1})
Ich möchte den Schwerpunkt jetzt auf den Gebäudesektor legen, weil dies ein Schlüsselsektor zur Erreichung unserer Klimaziele ist. Ein Drittel der CO2-Emissionen entstehen im Gebäudesektor. Es war mir als Klimapolitikerin wirklich ein Herzensanliegen, das große Einsparpotenzial im Gebäudesektor zu nutzen. Deswegen bin ich stolz auf das Energieeffizienzpaket für den Gebäudebereich. Heute steigen wir in die steuerliche Förderung ein. In Zukunft werden die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, Steuern zu sparen, wenn sie ihr Haus energetisch sanieren. Oder sie können weiterhin – es ist mir wichtig, das zu betonen – die bestehenden Zuschussprogramme der KfW nutzen. Wir werden auch diese Programme in Zukunft noch attraktiver, noch verbraucherfreundlicher gestalten und finanziell aufstocken. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist eine gute Nachricht für das Klima, und das ist eine gute Nachricht für alle Eigenheimbesitzer, die ihr Haus oder ihre Wohnung klimafreundlich sanieren.
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Mit dem Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht schaffen wir die Grundlage für die steuerliche Förderung. Wer in den nächsten Jahren zum Beispiel Fenster austauscht, Wände dämmt, Heizungen optimiert, wird 20 Prozent der Kosten von maximal 200 000 Euro über drei Jahre hinweg abschreiben können. Das sind sage und schreibe bis zu 40 000 Euro Steuervorteil – neben dem Zuschussprogramm; das möchte ich im gleichen Atemzug erwähnen. Uns ist wichtig, dass dieses Steuerinstrument unbürokratisch und einfach ausgestaltet wird und dennoch eine Qualitätskontrolle garantiert wird; denn die förderfähigen Maßnahmen werden in einer Verordnung festgelegt. Sie müssen zu mehr Energieeffizienz führen. Die Handwerker werden dies bestätigen, und sie werden auch dafür haften. Damit ist die Erfolgskontrolle garantiert.
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Mit 90 000 Steuerberatern haben wir die besten Promoter für die energetische Gebäudesanierung. Ich setze mich dafür ein, dass man bei einer Bündelung von Einzelmaßnahmen einen zusätzlichen Steuerbonus bekommt, vor allen Dingen, wenn dies auf der Basis eines Sanierungsfahrplans geschieht, der meiner Meinung nach auch steuerlich absetzbar sein sollte.
Meine Damen und Herren, jetzt kommt es auf die Bundesländer an: Seien Sie konstruktiv, stimmen Sie diesem Gesetz im Bundesrat zu, und legen Sie dem gesamten Klimapaket keine Steine in den Weg.
Vielen Dank.
({4})
Damit schließe ich die Aussprache.
Vielen Dank. – Guten Morgen! Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Landwirte und liebe Bewohner der ländlichen Räume! Eines vorweg: Die AfD steht für die Stärkung der ländlichen Räume in Deutschland.
({0})
Machen wir einmal eine Bestandsaufnahme: Deutschland wurde durch die Altparteien vor die Wand gefahren.
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Wir sind bereits mitten in einer Rezession. Wir sehen das nicht nur in den Städten, sondern wir sehen insbesondere in den ländlichen Räumen die Auswirkungen. Auf diese Räume zielen wir mit unserem Antrag ab.
Was sind die Probleme? Wir haben es mit maroder Infrastruktur zu tun, mit Straßen, die Flickenteppiche sind, mit einem Internet mit einer Bandbreite, das häufig nur futuristisches Wunschdenken ist, ohne dass es dafür eine Lösung gibt, mit mangelhaften Telefonnetzen, Leerständen in den Dörfern, fehlenden Einkaufsmöglichkeiten, fehlenden Arbeitsplätzen, mangelnder Mobilität, gerade mit Blick auf den öffentlichen Personennahverkehr. Dies führt zur Bevölkerungsabwanderung, insbesondere von jungen Menschen. Die Folge ist eine Überalterung auf dem Land. Das zeigt das nächste Problem, nämlich eine mangelnde medizinische Versorgung auf dem Land.
Landwirtschaft hat über Jahrhunderte unseren Menschen die Ernährung gesichert, eine Zukunft und eine Existenzgrundlage geboten. Das sehen viele heute nicht mehr. Wie gesagt, insbesondere junge Menschen wandern aus den ländlichen Räumen ab. Wir erleben eine Politik auf ideologischer Basis – gegen die Interessen der Landbevölkerung und gegen die Interessen unserer Landwirte. Das, meine Damen und Herren, ist Irrwitz. Das haben Sie von den Altparteien zu verantworten.
({2})
Anfang der Woche gab es Demonstrationen von Zehntausenden von Landwirten quer durch Deutschland, die Seite an Seite mit unseren Abgeordneten, den Abgeordneten der AfD,
({3})
gegen die fehlgeleitete Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung, die viel zu praxisfern und bürokratisch ist, protestiert haben: von Bonn über Erfurt, Hamburg, München bis Berlin. Das war eine echte Bewegung auf der Straße. Das macht mir Hoffnung, dass sich auf dem Land in Deutschland etwas ändern wird.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der FDP?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Keuter. – Sie haben gerade erwähnt, dass Sie die Missstände im ländlichen Raum sehen und Sie deshalb heute dazu einen Antrag vorlegen. Sie haben festgestellt, dass in dieser Woche Bauernproteste stattgefunden haben, und haben die Verknüpfung hergestellt, dass die AfD-Abgeordneten Seite an Seite mit den protestierenden Bauern gelaufen wären.
Das ist eine Lüge.
({0})
Die Landwirte sind nicht an der Seite der AfD auf die Straße gegangen, sondern die Landwirte sind auf die Straße gegangen und mit Treckern in die deutschen Großstädte gefahren, um allen Politikern den Dialog anzubieten, um endlich darauf aufmerksam zu machen, wofür sie stehen, was alles schiefläuft und wo ihre Ängste, Sorgen und Nöte sind. Das, was Sie hier machen, ist billigste Bauernfängerei.
({1})
Ich glaube, mit dem Begriff „Bauernfängerei“ diffamieren und diskreditieren Sie unsere Landwirte. Es ist ja schön, Frau Kollegin, dass Sie den Dialog mit unseren Landwirten aufnehmen wollen und sich als Politik angesprochen fühlen.
({0})
Aber da müssen Sie ein bisschen eher aufstehen; denn die AfD hat die Gespräche schon auf der Straße geführt.
({1})
– Hören Sie mir mal zu, jetzt bin ich mit Antworten dran. – Wenn Sie wissen wollen, wer von uns mit den Landwirten auf der Straße war: Die Kollegen sitzen dort. Der Kollege Brandner spricht gleich noch nach mir.
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Wenn Sie möchten, kann er gerne von seinen Erfahrungen berichten. Wir waren auf der Straße. Wir haben den Dialog schon eher gesucht.
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– Wir können das gerne später draußen diskutieren, sonst sprengen wir hier den Rahmen. – Mit unserem Antrag zielen wir darauf ab, die ländlichen Räume zu stärken. Hören Sie sich unsere Vorschläge an. Stimmen Sie uns zu. Wirken Sie mit. Ich möchte Sie nicht ausschließen. Wenn Sie als FDP an der Stärkung der ländlichen Räume mitwirken wollen:
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Herzlich gerne! – Vielen Dank, Sie können sich setzen.
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Überzogener Insektenschutz, Düngeverordnung, Freihandelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten, immer neue Auflagen in der Tierhaltung: Das sind nur einige Schlagworte, die unsere Landwirte beschäftigen. Ich stelle fest: Unsere Landwirte sind Naturschützer. Und Naturschutz ist Heimatschutz, meine Damen und Herren!
({6})
Die ländlichen Räume sind derzeit abgehängt, ja, sie sind in einer gefährlichen Abwärtsspirale. Der Karren ist in den Dreck gefahren. Aber wie bekommen wir ihn da wieder raus? Wir benötigen dafür eine Strategie,
({7})
nicht nur eine Strategie für Deutschland, sondern insbesondere eine Strategie für unsere ländlichen Räume. Deshalb beantragen wir, dass der Bundestag die Bundesregierung auffordert, die Gründung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe herbeizuführen,
({8})
die unter der Berücksichtigung der Bedürfnisse der ländlichen Räume und strukturschwachen Regionen mit Blick auf staatliche Daseinsvorsorge eine Steuerreform entwickelt. Ziele sollen sein: Stärkung der Finanzkraft der Länder, Aufteilung der Gemeinschaftssteuern, Entwicklung von Finanzausgleichssystemen, die Wirkung zeigen, und die Prüfung, ob und wie weit Renationalisierungen der Struktur- und Landwirtschaftsfonds der EU hier sinnvoll eingepasst werden können.
Sie haben den Karren in den Dreck gefahren! Ziehen Sie ihn heraus! Wäre die Situation nicht so ernst, wir würden uns zurücklehnen, eine Tüte Popcorn nehmen und gucken, wie Sie das machen.
({9})
Vollziehen Sie eine Politikwende: weg von ideologischer Politik, hin zu gesundem Menschenverstand. Ziehen Sie Konsequenzen, bevor das Volk Sie abstrafen wird.
({10})
Wenn Sie die Probleme nicht lösen, wird dies bald die neue Volkspartei AfD tun.
Liebe Bürger, insbesondere in den ländlichen Räumen, seien Sie sich sicher: Die AfD wird die Probleme lösen, wenn sie in Regierungsverantwortung kommt,
({11})
und sie wird diese Missstände beseitigen. Das honorieren die Bürger, wie die letzten Landtagswahlen gezeigt haben. Mit Spannung schauen wir jetzt nach Thüringen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Mark Hauptmann, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Es handelt sich hier wie bei vielen Anträgen im parlamentarischen Verfahren um einen typischen AfD-Antrag: Populismus in Vollendung. Zunächst wird ein düsteres, ein verzerrtes Bild der Gegenwart gezeichnet und dann Angst vor der Zukunft geschürt.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen in diesem Land keine Angstmacher wie Sie, Herr Keuter. Wir brauchen Mutmacher. Wir brauchen niemanden, der immer nur die Leistungen der Vergangenheit negativ beurteilt, sondern jemanden, der die Leistungen der Menschen in diesem Land anerkennt.
({1})
Die Leistungen der Menschen haben wir in den letzten 30 Jahren in einem einzigartigen Projekt gesehen, das mit der deutschen Wiedervereinigung verbunden ist. Wenn Sie davon sprechen, dass wir den Karren in den Dreck gefahren haben,
({2})
wenn Sie davon sprechen, dass die Altparteien die Schuld dafür tragen, dass der ländliche Raum nicht so attraktiv ist, dann möchte ich Ihnen zwei Sachen sagen.
Nummer eins. Wir haben aktuell die längste wirtschaftliche Wachstumsphase, seitdem Ludwig Erhard Wirtschaftsminister war.
({3})
Zehn Jahre in Folge Wirtschaftswachstum: Dafür stehen die Parteien hier in der Mitte dieses Hauses.
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Nummer zwei. Wir sehen ganz deutlich, dass wir einen starken ländlichen Raum brauchen. Ich frage mich: Was hat die AfD in irgendeiner Weise in irgendeinem Parlament in irgendeiner Form für den ländlichen Raum getan?
({5})
Sie haben bis jetzt noch nicht in einem Kommunalparlament, in einem Landesparlament oder hier im Bundesparlament
({6})
eine einzige Sache für den ländlichen Raum getan. Das sind die Fakten, die wir uns hier anschauen müssen.
({7})
Sie reden großkotzig über die Leistungen der Menschen und über ihre Köpfe hinweg, ohne anzuerkennen, wie wir in den letzten Jahren mit vielen Maßnahmen den ländlichen Raum massiv gestärkt haben, beispielsweise mit der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, auf die mein Kollege Jan Metzler gleich noch eingeht, beispielsweise mit der Schaffung eines gesamtdeutschen Fördersystems, mit Programmen zur Stärkung der Infrastruktur, der Innovation, zur Sicherung der Fachkräftebasis, aber eben auch zur Städtebauförderung. Es war die letzte Bundesregierung, die die höchsten Ausgaben für die Kommunen in diesem Land bereitgestellt hat.
({8})
Zu behaupten, man würde die Kommunen hierbei nicht unterstützen, ist eine Falschaussage, die Sie treffen.
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Nächster Punkt. Sie haben gerade die Landwirtschaft angesprochen und gehen in Ihrem Antrag darauf ein, dass Sie die europäische Unterstützung der Landwirtschaftspolitik, so wie wir sie als einen Grundpfeiler der Europäischen Union aufgebaut haben, wieder einreißen wollen. Wir sind bei der Unterstützung der Landwirtschaft unglaublich vorangekommen. Die Bauern und Landwirte in unserem Land sind heute doch nicht mehr nur von den Preisen für Weizen oder Schweinehälften abhängig, sondern sie haben mit den erneuerbaren Energien von der Biomasse über die Photovoltaikanlagen bis hin zur Windkraft ganz andere Einnahmequellen. Was wir im Bereich der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren im Deutschen Bundestag beschlossen haben, ist ein Konjunkturprogramm für den ländlichen Raum und nicht etwa eine Fehlunterstützung.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade seitens des Bundes haben wir unglaublich viele Mittel in den letzten Jahren im Bereich des ländlichen Raumes zur Verfügung gestellt. Aber – das ist ein wichtiger Punkt dieser Debatte –: Allein mit Steuergeldern werden wir den ländlichen Raum nicht erfolgreich und zukunftsgerecht aufrechterhalten können. Deswegen geht es um die Rahmenbedingungen vor Ort. Wir müssen sicherstellen, dass wir im ländlichen Raum die ärztliche Versorgung gewährleisten,
({11})
dass wir die schulische Versorgung gewährleisten. Wir müssen den Mittelstand weiter fördern – das machen wir bereits mit Programmen wie INNO-KOM und ZIM –,
({12})
indem wir Start-ups und Gründer im ländlichen Raum unterstützen
({13})
und indem wir natürlich auch bei der Agrarpolitik darauf achten, dass wir die Landwirte nicht verunglimpfen.
Wir müssen sagen: Die Landwirte sind die wichtige Basis, die Nahrung und gute Produkte für uns alle tagtäglich schaffen. Das sind die eigentlichen Helden der schwarzen Null am Monatsende, diejenigen, die früh aufstehen, in den Stall gehen, sich zuerst um ihre Tiere und dann um das eigene Wohl kümmern, die gute, qualitative Lebensmittel zur Verfügung stellen. Diese Menschen haben von der Politik, von uns allen Wertschätzung verdient und nicht Missachtung und Verunglimpfung, wie das hier teilweise befördert wird.
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Herr Keuter, Sie haben in Ihrem letzten Punkt den Freistaat Thüringen angesprochen: Wir haben Landtagswahl in Thüringen, und wir sehen, dass wir in Thüringen mit Rot-Rot-Grün eine Landesregierung haben, die in den letzten Jahren nicht etwa den ländlichen Raum im Blick hatte, sondern vor allem die Perlenkette entlang der A 4.
({15})
Es gibt beispielsweise den Entwurf eines Schulgesetzes, der die Schulstandorte im ländlichen Raum ausdünnt. Es gibt eine Tendenz, die Berufsschulen aus dem ländlichen Raum herauszuziehen, wenn für die Berufsschule keine 15 Personen mehr zur Verfügung stehen.
({16})
Wir sagen: Das ist genau der falsche Weg. Ich muss die Berufsschulen im ländlichen Raum halten; ich darf sie nicht weiter zentralisieren.
Herr Kollege Hauptmann, der Kollege Lenkert würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Immer sehr gerne.
Herr Kollege Hauptmann, danke, dass Sie die Zwischenfrage oder ‑bemerkung zulassen. – Ich wollte Sie daran erinnern, dass die Schließung der Ausbildungsstandorte in der Legislaturperiode bis 2014 beschlossen worden ist; in dieser Zeit hat die CDU regiert. Sie haben sich an die ländlichen Räume nicht herangetraut; bei den Schulen haben Sie nichts gemacht. Wir haben jetzt mit Rot-Rot-Grün ein Gesetz geschaffen, das dafür sorgt, dass auch die kleinen Schulen mit nur 40 Kindern erhalten bleiben. Sie haben in den ländlichen Räumen aber einiges komplett vernachlässigt: Sie haben in fünf Jahren ganze 60 Millionen Euro für die Instandsetzung und Sanierung von Schulgebäuden bereitgestellt. Wir als Linke haben in den letzten fünf Jahren zusammen mit den Grünen und der SPD über 400 Millionen Euro bereitgestellt, damit die Schulen im ländlichen Raum saniert werden können. Das ist Politik für die ländlichen Räume.
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Wir haben über 3 500 neue Lehrinnen und Lehrer eingestellt. In Ihrer gesamten Legislatur waren es 1 250. Sie hätten die Schulen gar nicht mehr mit Lehrerinnen und Lehrern besetzen können, wenn Sie Ihre Politik fortgesetzt hätten. Gott sei Dank haben wir diese Politik geändert und haben es deswegen in Thüringen geschafft, die Schulen im ländlichen Raum überhaupt erhalten zu können.
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Mit der CDU wären sie zu, weil es keine Lehrer gegeben hätte.
Herr Kollege Lenkert, besten Dank für die Frage, die mir die Möglichkeit gibt, auch noch mal auf Ihre Versäumnisse hinzuweisen. – In diesem aktuellen Schuljahr haben wir im Freistaat Thüringen 938 000 Ausfallstunden an Thüringer Schulen. Ich habe allein in meinem Wahlkreis 60 Schulklassen, die am Ende des Schuljahres in den Kernfächern keine Noten mehr bekommen.
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– Herr Lenkert, wer schreit, hat immer Unrecht. Sie beweisen das auf vortrefflichste Art und Weise. Seit zehn Jahren trägt kein CDU-Minister mehr Verantwortung für die Schulsysteme im Freistaat Thüringen, vielmehr sind Sie verantwortlich dafür, dass wir Lehrermangel haben, dass wir Unterrichtsausfall haben, dass Noten auf den Zeugnissen fehlen.
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Das ist nicht zukunftsgewandt, sondern das ist eine Schande für die Kinder, die die Zukunft in diesem Land weitergestalten wollen; denn denen verweigern Sie die Zukunft.
Ihre Landesregierung war, als wir als Bund 5 Milliarden Euro für den DigitalPakt Schule auf den Tisch gelegt haben, noch nicht einmal in der Lage, zu sagen: Der Bund bezahlt, wir nehmen das Geld, wir investieren in die Digitalisierung der Schulen. – Sie haben es abgelehnt. Das ist die Wahrheit, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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Und es geht weiter: Als wir im Bund den ÖPNV weiter gestärkt haben, indem die Finanzmittel an den Freistaat erhöht wurden, haben Sie angekündigt, bei den ÖPNV-Verbindungen den Takt im Schienennetz auszudünnen.
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Wen trifft das? Das trifft Senioren, das trifft Azubis, das trifft Schülerinnen und Schüler. An denen haben Sie sich hier versündigt.
Ich komme zu einem nächsten Punkt: Als wir als Bund die Mittel von Alexander Dobrindt – eben war er noch hier – für den Breitbandausbau in diesem Land bereitgestellt haben, hat der Freistaat Thüringen in den ersten beiden Runden nicht einen einzigen Euro beantragt. Das ist die Realität von Rot-Rot-Grün in Thüringen.
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Wir geben das Geld seitens des Bundes, aber Sie sichern nicht die Kofinanzierung seitens des Landes.
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Das ist Fakt und zeigt zum Beispiel, wie Sie den ländlichen Raum gerade beim Ausbau der Zukunftsinfrastruktur des Breitbands vernachlässigt haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen es schon: Wir haben eine hitzige Debatte, wir haben Lautsprecher von rechts und links, allerdings von der Linken oder der AfD selten etwas gehört, was wirkliche Wertschätzung und ein Interesse an den Menschen im ländlichen Raum zeigt. Diese Menschen wollen wir in der Mitte dieses Hauses, in der Koalition nicht vergessen. Wir wollen sie wertschätzen, wir wollen sie unterstützen, und wir wollen vor allem die Infrastruktur der Zukunft über Breitband und 5G nicht nur bis zu jeder Milchkanne, sondern auch bis zu jedem Wald und jedem Acker bringen; denn wir müssen 5G auch in der Landwirtschaft bereitstellen. Dafür bitten wir um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gestern darauf hingewiesen, dass wir der Deutsche Bundestag und kein Landtag sind. Ich sage es nur noch mal zur Erinnerung.
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Nächster Redner ist der Kollege Gerald Ullrich. Bitte.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Lieber Mark, das meiste von dem, was du gesagt hast, stimmt zu 100 Prozent, und das kann ich eigentlich nur unterstützen.
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Wir stehen ganz kurz vor einer Landtagswahl, und wir reden im Zuge dieser Landtagswahl auch wieder einmal über den ländlichen Raum. Nun komme ich aus Thüringen – genauer gesagt: aus dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen in Südthüringen – und habe mir vorgenommen, in dieser Legislatur alle Bürgermeister, alle Landräte, alle Institutionen und alle Verbände zu besuchen. Zum größten Teil bin ich damit auch fertig geworden. Ich kann Ihnen sagen: Wenn man den Menschen zuhört, begreift man auch, was die wirklichen Probleme des ländlichen Raumes sind. Zum großen Teil werden sie falsch dargestellt – und ja, zum Teil liegen sie auch an Berlin, und zwar nicht, weil wir so viel, sondern weil wir eindeutig das Falsche für den ländlichen Raum machen.
({1})
Wir beschließen zu viele Dinge, die es gar nicht mehr ermöglichen, dass sich der ländliche Raum aus sich selbst heraus erneuern kann und es einen wirklichen Fortschritt gibt. Die einhellige Aussage aller Kommunalpolitiker ist: Hört auf, in Berlin Dinge zu beschließen, die uns hier im Land auf die Füße fallen. – Ich will nur einige davon nennen: Familienstärkungsgesetz, Wohngeld, Kindergartenzuschlag, Teilhabepaket, Beteiligung bei stationärer Unterbringung in der Pflege und Unterhaltsvorschuss. Das sind alles gutgemeinte Dinge. Das Problem dabei ist jedoch, dass der Bund damit die Länder teilweise finanziert, die Länder aber – insbesondere auch das Bundesland Thüringen – sehr klebrige Finger haben.
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Dieses Geld kommt einfach nicht in den Ländern und den Kommunen an, nämlich da, wo es hingehört. Das ist der riesengroße Fehler, den wir begehen.
Wir müssen auch sehen, dass auf dem Land einige Dinge schlicht und einfach teurer zu organisieren sind. Ich nenne nur den ÖPNV. Sie können den ÖPNV in einer Stadt deutlich besser und effektiver organisieren und kostengünstiger halten, als Sie das im ländlichen Raum tun können.
Ich bin einigermaßen verwundert über den Vorschlag im AfD-Antrag – ich zitiere –, „zukunftsorientierte Finanzausgleichssysteme zu entwickeln, die eigenverantwortlich von den Ländern innerhalb der Länder durchgeführt werden“.
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Das Ganze nennt sich KFA, kommunaler Finanzausgleich. – Dass Sie das nicht verstehen, ist mir klar; das können Sie mir glauben.
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Die Frage ist, wie wir diesen kommunalen Finanzausgleich gestalten, ob wir ihn so gestalten, dass das für die Kommunen und die Städte in dem Land einen Nutzen hat, oder ob es nur darum geht, mit den einbehaltenen Geldern Wahlversprechen zu finanzieren. Gerade in Thüringen merken wir sehr deutlich, dass es zum größten Teil dafür verwendet wird, Wahlversprechen zu realisieren.
Was mich aber noch mehr wundert, sind Ihre Ausführungen zur Landwirtschaft. Sie sprechen von einer Renationalisierung der Struktur- und Landwirtschaftsfonds. Das ist ja wirklich eine Lachnummer. Ich möchte Ihnen gerne einmal erklären, was passiert, wenn Sie das Ganze wieder renationalisieren: Andere Länder werden es genauso machen. Das heißt, wir werden einen Subventionswettbewerb bekommen. Dieser Subventionswettbewerb wird darin enden, dass einzelne Länder wieder Zollschranken aufbauen, und wenn wir Zollschranken haben, haben wir auch keinen gemeinsamen Binnenmarkt mehr. Dann ist der Binnenmarkt am Ende. – Bisher habe ich Ihre Aussagen immer so verstanden, dass Sie den Binnenmarkt auch in Zukunft gerne haben möchten, weil er unserem Land sehr viel Wohlstand und Nutzen bringt. Wenn umgesetzt würde, was Sie hier fordern, würde es im Rahmen eines Überbietungswettbewerbes mit Sicherheit nicht dazu kommen, dass der Binnenmarkt gestärkt wird. Das wird es nicht geben; das können Sie mir glauben.
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Sie fordern wieder einmal das Ende der EU. Das ist eigentlich alles. Dann schreiben Sie das so einfach in Ihren Antrag. Die Messen dazu sind gelesen. Man weiß doch, was man davon zu halten hat.
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Zu den Vorschlägen, die wir machen, um den ländlichen Raum wirklich zu stärken. Hier geht es hauptsächlich um Bildung. Wir fordern, dass Grundschulen und auch Berufsschulen Teil der Infrastruktur werden. Genauso wichtig wie eine Stromleitung, eine Wasserleitung, eine Abwasserleitung ist, dass wir die Schulen im Ort halten; denn Menschen ziehen nur dorthin, wo auch eine Schule ist. Wir brauchen den Breitbandausbau, die Forschung und die schnelle Einführung von autonomem Fahren, damit auch ältere Menschen die Möglichkeit haben, von A nach B zu kommen. Wir brauchen den Erhalt und die Förderung von Vereinsstrukturen; das ist sehr wichtig.
Herr Kollege.
Wir brauchen unbürokratisches Bauen. Entsprechend sollten wir die Freigrenze in der Grunderwerbsteuer erhalten. – Frau Präsidentin, mein letzter Satz: Wir brauchen berufsfreundliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Thüringen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Gerald Ullrich.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen von mir an Sie. – Als nächster Redner kommt jetzt Frank Junge für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich vorausschicken, dass unsere Fraktion nicht einen einzigen Thüringer in die Debatte schickt,
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ganz einfach deshalb, weil wir hier den Landtagswahlkampf nicht vorwegnehmen wollen.
Wir wollen vielmehr auf den Antrag schauen, der – Herr Keuter, das sage ich ausdrücklich – sich einfügt in die Reihe der attrappenhaften parlamentarischen Initiativen, die uns von Ihnen vorgelegt werden. Die Machart ist immer gleich: Sie beschreiben ein Problem, fast immer in eskalierender Art und Weise, verknüpfen dies mit wilden Behauptungen,
({1})
und wenn es darum geht, konkrete, klare, umsetzbare Lösungsvorschläge zu bringen, dann glänzen Sie mit Substanzlosigkeit.
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Sie versuchen, den Menschen den Kümmerer vorzugaukeln, liefern in Wahrheit aber ständig heiße Luft. In meinen Augen ist das scheinheilig und verlogen.
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Ihr Antrag ist ein Paradebeispiel dafür. Um Bevölkerungsabwanderung, mangelnde Attraktivität der Wirtschaftsstandorte, ungenügende Investitionen, Fachkräftemangel, fehlende Arbeitsplätze und die Überschuldung der ländlichen Regionen zu bekämpfen,
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fordern Sie, die Finanzkraft der Länder zu stärken, die Aufteilung der Gemeinschaftssteuern und ihre Finanzierungsquellen zu ändern und zukunftsorientiere Finanzausgleichssysteme zu entwickeln.
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Klasse! Ich glaube, niemand in diesem Haus hat etwas gegen diese Aufzählung.
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Aber wie geht es jetzt weiter? Wo sind Ihre konkreten Vorschläge?
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Wie wollen Sie Steuern besser aufteilen? Wie sehen Ihre wahnsinnig innovativen Finanzausgleichssysteme aus?
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Darüber, welche Ideen Sie haben, lassen Sie uns hier völlig im Unklaren. Das bleiben Sie uns schuldig, wahrscheinlich weil Sie dazu schlicht und einfach gar nichts haben.
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Ich möchte zwei Punkte in Erinnerung rufen. Erstens. Um gerechtere Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern zu bekommen, haben wir in der letzten Wahlperiode den Länderfinanzausgleich komplett neu geregelt. Wir haben unter diesem Aspekt dafür gesorgt, dass die Aufgabenverantwortung des Bundes wächst und dass eine Entlastung für die Länder in Milliardenhöhe erfolgt.
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Dass das insbesondere den strukturschwachen Bereichen, den Kommunen in den ländlichen Räumen zugutekommt, steht völlig außer Frage.
Zweitens. Zu den wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen zählen auch in strukturschwachen Bereichen die Gewerbe-, die Einkommen- und die Grundsteuer. Wer also will, dass das Steueraufkommen in den strukturschwachen Bereichen, in den finanzschwachen Kommunen wächst, der unternimmt alles, damit diese Steuern fließen. Genau das haben wir letzte Woche getan, indem wir hier die Grundsteuerreform beschlossen haben. Vor diesem Hintergrund haben wir den Kommunen mehr Spielraum gegeben und dafür gesorgt, dass fast 15 Milliarden Euro Einnahmen bei den Kommunen verbleiben. Ich will nur hinzufügen, dass Sie aus Ihrer Fraktion sich mit 84 Nein- und 7 nicht abgegebenen Stimmen gegen diesen Antrag ausgesprochen haben.
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Ich nenne das scheinheilig. Mit Ihrem Antrag hier tun Sie nur so, als ob. Wenn es aber darauf ankommt, treffen Sie die falschen Entscheidungen.
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Zum Schluss will ich betonen, dass die Stärkung strukturschwacher Räume in Ost und West eine riesige Aufgabe für uns alle bleibt, insbesondere für meine Fraktion. Um hier noch weiter und noch besser voranzukommen, werden wir ein gesamtdeutsches Fördersystem schaffen – das wurde hier schon erwähnt –, mit dem bewährte Instrumente der Wirtschaftsförderung gebündelt und auf Bedürftigkeit, nicht auf Himmelsrichtungen ausgerichtet werden.
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Damit werden wir zielgerichteter als bisher wirtschaftsnahe Infrastruktur entwickeln und Innovationen fördern. Das ist und bleibt der beste Weg, Regionen für Ansiedlungen attraktiv zu machen, aus denen dann Beschäftigung und Wertschöpfung entstehen.
Ihre Phrasen, Floskeln und leeren Worte bringen uns bei der Bewältigung solcher Aufgaben keinen Millimeter voran.
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Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frank Junge. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Alexander Ulrich.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme nicht aus Thüringen. Ich hoffe, man sieht es mir nach.
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Offensichtlich geht es heute ja nicht um die ländlichen Regionen; das ist schade. Eine Debatte über die ländlichen Regionen wäre dringend notwendig, und einer solchen Debatte wollen wir uns auch gerne stellen. Aber es geht der AfD und offensichtlich auch der CDU mit Herrn Hauptmann nur um die Thüringen-Wahl.
({1})
Ich finde, die Menschen an den Endgeräten sollten wissen, dass hier ein Thema missbraucht wird für die Wahl am Sonntag.
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Dabei müssen wir uns alle anstrengen, damit die ländlichen Regionen in Deutschland nicht weiter abgehängt werden.
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Wenn man sich den Antrag der AfD anschaut, sieht man: Er ist dünner als dünn. Da steht gar nichts drin. Da wird eine Überschrift benutzt, die sich gut anhört – „Stärkung ländlicher Räume“ –, und dann liest und liest man und findet nichts außer: Wir bilden einen Arbeitskreis.
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Ganz ehrlich, ich habe noch nie eine Kernzeitdebatte erlebt, die so dünn war. Dafür steht die AfD im Deutschen Bundestag.
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Ich komme aus Rheinland-Pfalz, genauer gesagt aus der Westpfalz. Das ist die Region um Kaiserslautern, Pirmasens, Zweibrücken. Ich kann Ihnen sagen: Das ist eine Region, die wirklich sehr strukturschwach ist. Wir haben dort mit die höchste Arbeitslosigkeit in Rheinland-Pfalz. Von den zehn höchstverschuldeten Kommunen kommen sechs aus Rheinland-Pfalz, darunter auch Pirmasens, Zweibrücken und Kaiserslautern.
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Wir haben in dieser Region mit dem Kreis Kusel den höchstverschuldeten Kreis in ganz Deutschland. Ich kann Ihnen sagen, wozu das führt. Das führt dazu, dass in diesen Regionen die Infrastruktur zerfällt, dass in diesen Regionen die Landärzte aussterben, dass in diesen Regionen die Schulen in einem schlechten Zustand sind, dass in diesen Regionen in vielen Ortschaften kein Bus mehr fährt, dass es in diesen Regionen und Dörfern schlechte Internet- und Mobilfunknetze gibt und in der Folge weniger Arbeitsplätze und weniger Ansiedlungen. Die jungen Menschen ziehen fort.
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So ist die Situation in einer Region in Rheinland-Pfalz, in der Westpfalz. – Eine CDU-Abgeordnete nickt mir zu; sie kennt sich da auch ganz gut aus.
Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass wir über die ländlichen Regionen nachdenken, aber nicht auf Grundlage eines solchen Scheinantrags, wie er von der AfD hier eingebracht wurde.
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Mit diesem Antrag würde kein Problem gelöst. Es werden zwar ein paar Dinge angesprochen, aber er benennt kein Thema, bei dem man ansetzen könnte.
Ich glaube, wir müssen bei dem Thema ansetzen: Wie ist die kommunale Finanzsituation? Die Finanzlage vieler Städte, Gemeinden und Landkreise ist alarmierend; das haben wir festgestellt. Der Investitionsrückstand der Kommunen beläuft sich mittlerweile auf 138 Milliarden Euro. Insbesondere im Bereich Verkehr und bei den Schulen ist der Investitionsbedarf enorm. Dabei gibt es sicher regionale Unterschiede. Die Schere zwischen armen und reichen Kommunen geht aber immer weiter auseinander.
Wir müssen festhalten: Von einer Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland kann schon lange nicht mehr gesprochen werden. Das ist das Ergebnis der Politik der Bundesregierungen seit mindestens 1998. SPD, Union, FDP und Grüne – sie haben in unterschiedlichen Farbzusammenstellungen diese Bundesregierungen gestellt – haben beschlossen, den Kommunen immer mehr Aufgaben zu übertragen, ohne ihnen mehr Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Im Ergebnis sind viele Kommunen überschuldet und können ihre Pflichtaufgaben nicht mehr erfüllen.
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Deshalb müssen wir uns hier an die eigene Nase fassen. Wir dürfen im Bundestag nur noch Gesetze beschließen, die die Kommunen nicht einseitig belasten. Dafür tun wir viel zu wenig. Jeder von Ihnen, der auch in der Kommunalpolitik tätig ist, weiß, dass die Kommunen für viele Aufgaben zuständig sind, ohne dass Bund oder Land entsprechende Finanzmittel zur Verfügung stellt. Deshalb sollte es wieder heißen: Kein Gesetz auf Kosten Dritter! Das Konnexitätsprinzip muss eingehalten werden, damit die kommunale Selbstverwaltung nach Artikel 28 Grundgesetz erhalten bleiben kann.
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Wenn man sich den AfD-Antrag einmal etwas genauer anschaut, stellt man fest, dass darin gegen Ende von der Situation der Landwirtschaft und dem Landwirtschaftsfonds der Europäischen Union die Rede ist. Das, was Sie hier fordern, zeigt, dass die AfD von der Europäischen Union keine Ahnung hat; denn Deutschland profitiert mit am meisten von diesem Fonds.
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– Das, was Sie sagen, ist Quatsch! Wir sind an dritter Stelle der Top-Empfängerländer. Jährlich fließen 6,5 Milliarden Euro an deutsche Landwirte. Hinzu kommen 28 Milliarden Euro
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aus dem Struktur- und Investitionsfonds der EU, die seit 2014 nach Deutschland geflossen sind. Nach Mecklenburg-Vorpommern – da kommen Sie doch her, Herr Komning; diese Zahl habe ich extra für Sie herausgesucht – flossen in dem Zeitraum 968 Millionen Euro. Wie wollen Sie Ihren Leuten daheim erzählen, dass die AfD aus stumpfem Nationalismus auf diese Gelder verzichten will?
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Der Antrag der AfD bietet keine Grundlage für eine würdevolle Debatte in diesem Parlament. Es ist weniger als nichts, was Sie für die Kommunen tun. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Im Landkreis Kaiserslautern hat sich die AfD in den Kreistag wählen lassen. Wir hatten seit dem Sommer zwei Kreistagssitzungen. Von der AfD hat man in beiden Kreistagssitzungen noch kein einziges Wort gehört. Das ist AfD-Politik in den ländlichen Regionen.
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Verschenken Sie am Sonntag Ihre Stimme nicht an eine AfD, die nichts machen will. Ganz nebenbei: Wir haben in Thüringen mit Bodo Ramelow einen sehr beliebten Ministerpräsidenten. Er wird das auch bleiben.
Vielen Dank.
({15})
Vielen Dank, Alexander Ulrich. – Nächste Rednerin in der Debatte: Claudia Müller für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ursprünglich angekündigt war ein Antrag zum Thema „Stärkung strukturschwacher Regionen“, dann war etwas von Wirtschaftsförderung zu lesen. Wenn man sich anschaut, wer von Ihnen den Antrag eingebracht hat, stellt man fest, dass es sich um Ihre Mitglieder des Wirtschaftsausschusses handelt. Der Antrag hat damit aber überhaupt nichts zu tun. Es wird wieder einmal etwas versprochen, was nicht gehalten wird. Das kennen wir schon. Ihre Rede, Herr Keuter, hatte ebenfalls nichts mit Ihrem Antrag zu tun; denn Landwirtschaft kam darin überhaupt nicht vor.
({0})
Sie haben an Ihrem eigenen Thema vorbeigeredet.
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Sie tun etwas, was ich wirklich für sehr schändlich halte. Bei Ihnen heißt es: ländlicher Raum gleich strukturschwacher Raum. Sie reden den ländlichen Raum schlecht. Bei Ihnen geht es um Abwanderung und um abgebaute Infrastruktur, und bei Ihnen sind alle ländlichen Räume strukturschwach. Das wird dem Thema schlicht und ergreifend nicht gerecht.
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Gleichzeitig vergessen Sie, dass es auch strukturschwache urbane Räume gibt.
({3})
Sie sind so schlicht gestrickt. Sie sehen das Thema nicht; Sie wollen es nicht sehen. Stattdessen halten Sie hier wilde Reden am Thema vorbei und machen in diesem Haus Wahlkampf für Ihren gerichtlich bestätigten Faschisten Höcke.
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Lösungsvorschläge machen Sie keine. Im Gegenteil, Sie erzählen etwas von Arbeitskreisen. Sie sagen, wir sollten den Kommunen mehr Macht geben, möglicherweise auch die, Steuern selbst zu gestalten. Gleichzeitig soll der Bund mögliche Ausfälle bezahlen. Zur Renationalisierung der Strukturhilfefonds ist alles gesagt worden. Ich habe selten so viel Schwachsinn in einem so kurzen Antrag gelesen.
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Wirkliche Ideen haben Sie nicht. Die Frage, wie wir die ländlichen Regionen, die es nötig haben, stärken, damit sie gleichwertige Lebensverhältnisse erreichen, beantworten Sie nicht. Wie schaffen wir es denn, eine gute Infrastruktur für die Digitalisierung, im Bereich Verkehr und bei der Bildung zu schaffen? Wie schaffen wir eine gute Wirtschaftsförderung in diesen Regionen? Darauf geben Sie keine Antwort. Auch auf das Thema Fachkräfte kommen Sie kaum zu sprechen;
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denn Sie müssten dann ja zugeben, dass wir Einwanderung und ein gutes Einwanderungsgesetz brauchen. Das ist auch ein Thema im Bereich Wirtschaftsförderung.
Man muss zu Ihrem Antrag ganz klar sagen: Wenn Sie wirklich etwas zum Thema „Stärkung ländlicher Räume“ machen wollen, dann konzentrieren Sie sich auf die drei „T“; denn diese braucht es: Technik, Talente und – das fehlt Ihnen – Toleranz.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Claudia Müller. – Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Oliver Wittke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel der Politik der Bundesregierung ist es, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen. Das tun wir nicht nur, weil es eine Verpflichtung nach Artikel 72 des Grundgesetzes dazu gibt und auch in § 2 des Raumordnungsgesetzes eine entsprechende Passage zu finden ist, sondern weil wir fest davon überzeugt sind, dass wir alle Regionen in Deutschland lebenswert gestalten müssen.
Ich will allerdings etwas differenzierter argumentieren, als es der Redner der AfD-Fraktion hier getan hat; denn es gibt nicht den Ballungsraum oder den ländlichen Raum in Deutschland. Wir haben Gott sei Dank starke ländliche Räume. Das sehen Sie, wenn Sie beispielsweise in den Landkreis Potsdam-Mittelmark oder den Kreis Coesfeld oder andere Landkreise gehen. Wir haben aber auch schwache Ballungsräume. Ich selbst komme aus dem Ruhrgebiet, aus einer Stadt mit einer Arbeitslosenquote, die immer noch bei 13 Prozent liegt, und mit einer SGB-II-Quote von 24,8 Prozent.
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Auch wenn Sie nach Saarlouis oder Frankfurt an der Oder gehen, sehen Sie, dass es auch Städte gibt, um die wir uns kümmern müssen, in denen wir gleichwertige Lebensverhältnisse anstreben müssen.
({1})
Das Muster, nach dem die AfD hier vorgeht, ist bekannt. Sie versucht, unterschiedliche Räume gegeneinander auszuspielen. Sie versucht, zu spalten und nicht zu vereinen, was eigentlich das Gebot der Stunde wäre.
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Die Politik der Bundesregierung ist es, passgenaue Hilfen anzubieten. Man muss vielleicht dem Ruhrgebiet bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit helfen. Man muss vielleicht dem Schwarzwald beim Ausbau der digitalen Infrastruktur unter die Arme greifen. Die digitale Infrastruktur ist im Ruhrgebiet, im Ballungsraum, kein Problem. Aber im wirtschaftlich starken Schwarzwald ist die digitale Infrastruktur ein Problem. Darum muss man differenziert argumentieren. Man muss fein unterscheiden und genau hinschauen, wo die Probleme in Deutschland liegen.
Das tun wir mit einem neuen gesamtdeutschen Fördersystem, in dem wir 22 Förderprogramme aus sechs unterschiedlichen Ministerien unter einem gemeinsamen Dach zusammenfassen. Ich finde, das ist eine großartige Leistung. Wer die Eitelkeit von Bundesministerien ein ganz klein wenig kennt, weiß einzuschätzen, was wir da hinbekommen haben. Wir werden die Hilfen aus den unterschiedlichen Häusern, gleich unter welcher Couleur sie geführt sind, zum ersten Mal aufeinander abgestimmt zusammenführen, um passgenaue Hilfen geben zu können.
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Das ist, wie ich finde, ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu schaffen.
Es bedarf auch keiner Bund-Länder-Arbeitsgruppe; denn die hat es längst gegeben. Sie hat ihre Arbeit abgeschlossen. Bei der Erarbeitung dieses gesamtdeutschen Fördersystems waren alle 16 Bundesländer dabei; 14 von ihnen haben am Ende zugestimmt. Auch das ist eine großartige Leistung: Es haben sich nicht nur sechs Bundesministerien zusammengefunden, sondern auch ländlich geprägte Bundesländer, großstädtisch geprägte Bundesländer, Stadtstaaten wie Bremen und Berlin, die mitgemacht haben, um das großartige Ziel, ein neues Fördersystem auf den Weg zu bringen, zu erreichen. Dass die drei kommunalen Spitzenverbände, darunter der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städtetag, ebenfalls zugestimmt haben, habe ich ursprünglich für unmöglich gehalten. Wer die kommunale Familie ein klein wenig kennt, der weiß von den dort herrschenden Eitelkeiten. Wir haben das geschafft, weil wir fest davon überzeugt sind, dass wir differenziert vorgehen müssen, dass wir nicht in Panikmache verfallen dürfen, wenn es darum geht, die Lebensverhältnisse in Deutschland Stück für Stück besser zu machen.
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Dass das eine große Gemeinschaftsleistung ist, will ich daran festmachen, dass selbstverständlich auch die Bundesländer ihren Beitrag leisten müssen. Strukturpolitik ist in unserem föderalen System in Deutschland zuvörderst Aufgabe der Bundesländer. Wir vom Bund können helfen, und das tun wir auch, beispielsweise mit den Gemeinschaftsaufgaben, der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.
Aber auch da gibt es große Unterschiede. Das will ich Ihnen am Beispiel Thüringen deutlich machen, auch wenn ich nicht aus Thüringen komme. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ist bis 2014/2015 von Thüringen gut angenommen worden. Die Mittel aus dieser Gemeinschaftsaufgabe sind in dieser Zeit zu fast 100 Prozent, in einigen Jahren sogar zu über 100 Prozent abgerufen worden, zum Beispiel im Jahr 2009 mit 108 Prozent. Dann kam ein Regierungswechsel. Seitdem Rot-Rot-Grün in Thüringen regiert, werden weniger Mittel abgerufen. Sie verbleiben in Berlin oder gehen in andere Bundesländer, beispielsweise nach Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern. Diese beiden Länder machen eine exzellente Strukturpolitik und rufen die Mittel zu über 100 Prozent ab.
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Ich will Ihnen die Zahlen nennen: 2016 sind gerade noch 87 Prozent nach Thüringen abgeflossen, 2017 und 2018 waren es 86 bzw. 88 Prozent. Wenn schon Hilfen, die angeboten werden, nicht abgerufen werden, muss sich niemand aus Thüringen hier hinstellen und sagen: Wir brauchen mehr Hilfe. – Das muss anders werden.
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Die AfD fordert, die Finanzkraft der Länder zu stärken, um den Kommunen helfen zu können. Ich will nur darauf hinweisen, dass der Deutsche Bundestag einen neuen Bund-Länder-Finanzausgleich auf den Weg gebracht hat, der den Bundesländern 2020 etwa 10 Milliarden Euro zusätzlich bringen wird.
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Wie kann man vor dem Hintergrund, dass 10 Milliarden Euro zusätzlich an die Länder gehen, sagen, da müsse noch mehr, mehr und mehr kommen? Das hat doch mit seriöser Politik nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Das ist Populismus pur.
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Eine letzte Bemerkung zum Thema Renationalisierung. Renationalisierung – was für ein schlimmes Wort!
({9})
Was wir in der Strukturpolitik brauchen, ist eine Europäisierung, weil Strukturwandel eben nicht an den Grenzen Halt macht. Es gibt viele Projekte zwischen Brandenburg und Polen, zwischen dem Bayerischen Wald und Tschechien, zwischen dem Niederrhein und den Niederlanden, wo grenzüberschreitend Strukturwandel betrieben und Strukturprobleme bekämpft werden. So geht erfolgreiche Strukturpolitik!
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Dass wir in Deutschland davon profitieren, sieht man an den Zahlen. Für den ländlichen Raum haben wir in der Förderperiode 2014 bis 2020 9,4 Milliarden Euro bekommen, aus dem EFRE für die strukturschwachen Regionen 10,7 Milliarden Euro, aus dem Europäischen Sozialfonds 7,5 Milliarden Euro und über die ETZ noch einmal 1 Milliarde Euro. Das heißt, allein in der letzten Förderperiode hat Europa den Wandel in den schwachen Regionen Deutschlands mit 28,6 Milliarden Euro unterstützt. Ich finde, das ist eine großartige Leistung und zeigt, dass die Solidarität innerhalb Europas den schwachen Regionen gilt, den schwachen Regionen in Deutschland, in Tschechien, in den Niederlanden, in Italien und in anderen Ländern in Europa. So muss Strukturpolitik aussehen!
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Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir werden uns nicht beirren lassen, weiterhin am Verfassungsziel festzuhalten, die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland anzustreben. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch: Wir werden gleichwertige Lebensverhältnisse nie im Sinne von gleichen Lebensverhältnissen erreichen; denn dafür ist Deutschland viel zu vielfältig, dafür ist Deutschland in seinen Regionen viel zu bunt, viel zu unterschiedlich. Wir können versuchen, Defizite auszugleichen; aber Gott sei Dank lebt es sich in Gelsenkirchen anders als in Berlin und im Salzlandkreis anders als in Sankt Wendel oder anderswo in der Republik. Diese Vielfalt ist es, die Deutschland ausmacht.
({12})
– Oder im Rheingau. Der Weinanbau funktioniert im Rheingau besser als in Mecklenburg-Vorpommern. Dafür ist der Fischfang in Mecklenburg-Vorpommern besser als bei uns im Ruhrgebiet.
({13})
Lassen Sie uns diese Vielfalt leben, die wir in Deutschland haben! Lassen Sie sie uns genießen! Wir werden weiter daran arbeiten, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Oliver Wittke. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Stephan Brandner.
({0})
Meine Damen und Herren! Ich hatte mir für meine Rede so einiges aufgeschrieben, aber ich glaube, ich muss erst einmal Stellung nehmen zu einigen Punkten, die hier gesagt worden sind.
Herr Wittke, zunächst einmal haben Sie natürlich recht. Wenn Sie der SED-Regierung in Thüringen unterstellen, dass sie es nicht kann, dann haben Sie recht. Nichts anderes werde ich von hier aus sagen.
({0})
Insofern war es sehr aufschlussreich, die Redeschlacht zwischen Herrn Hauptmann aus Thüringen und Herrn Lenkert aus Thüringen zu verfolgen. Die einen haben fast 25 Jahre lang versucht, gut zu regieren, die anderen fünf Jahre; beide haben klassisch versagt. Und dann stellen sie sich auch noch hierhin und schieben sich gegenseitig die Schuld für die teilweise desaströsen Zustände in Thüringen zu.
({1})
Es ist schön, dabei zuzuschauen, wie sich die Altparteien hier politisch gegenseitig an die Gurgel gehen.
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Meine Damen und Herren, es redet ein Migrant zu Ihnen. Thüringen ist mein Heimatland seit knapp 25 Jahren. Ich bin dort relativ gut integriert, mit der Sprache hapert es noch ein bisschen. Aber Thüringen ist ein gutes Beispiel dafür, wie es sich auf die ganze Region auswirkt, wenn große Gebiete abgehängt werden. Warum Thüringen? Einige Vorredner sind auf Thüringen eingegangen. Deshalb mache ich das auch.
Rund 90 Prozent der Fläche in Thüringen sind ländlicher Raum. Er ist liebenswerte Heimat, Arbeits- und Lebensraum vieler fleißiger Thüringer. Leider gibt es nur wenige Leuchttürme: Erfurt, Weimar und Jena entlang der A4. Die Ausstrahlung auf die Region ist gering. Die Regierenden in Thüringen – das waren mittlerweile alle Parteien, die es gibt – haben für den ländlichen Raum überwiegend warme Worte übrig, aber keine Taten und kein Geld. Die AfD wird das anders machen. Das kann ich Ihnen sagen.
({3})
Herr Brandner, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gleich, nach meiner Einleitung. – Im Übrigen gibt es solche problematischen urbanen Gebiete – das wurde bereits angesprochen – auch in Thüringen. Für die Thüringer Landesregierungen hörte Thüringen eigentlich immer östlich der A9 auf. Deshalb ist zum Beispiel Gera eine problematische Stadt.
Herr Kollege, von Angesicht zu Angesicht. – Bitte schön.
Herr Brandner, vielen Dank, dass Sie meine Frage zulassen. – Sie haben angesprochen, dass es im Freistaat Thüringen starke Städte und schwache ländliche Räume gibt. Ich möchte Ihnen explizit erwidern, dass das so nicht der Fall ist, dass wir auch einen starken ländlichen Raum haben. Wir haben die höchste Beschäftigungsquote in ganz Deutschland, mittlerweile mehr Einpendler aus Bayern als Pendler aus Thüringen nach Bayern, und bei 3 Prozent Arbeitslosigkeit mehr offene Stellen als Arbeitslose, und das im ländlichen Raum südlich des Rennsteigs. Das zeigt, dass Sie wahrscheinlich noch nicht so gut integriert sind, wie Sie selber glauben. Sie kennen den Freistaat Thüringen offenbar doch nicht so genau. Wieso verkennen Sie die Erfolge, die wir auch im ländlichen Raum, in der Fläche haben?
({0})
Hätten Sie mir zugehört und sich nicht auf Ihre Zwischenfrage vorbereitet, hätten Sie mitbekommen, dass ich gesagt habe, dass es schon einige Leuchttürme gibt, die natürlich in den ländlichen Raum ausstrahlen.
({0})
– Entschuldigung! Fahren Sie doch einmal durch Thüringen. Es hat doch einen Grund, warum die zweite Staatspartei in Thüringen, die CDU, inzwischen so abgestraft wird. Die Leute haben einfach die Schnauze voll von Ihrer Altparteienpolitik in Thüringen.
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Sie wollen einen neuen Anfang. Und warum wollen sie einen neuen Anfang? Weil sie genau sehen, dass die Regierung der CDU über 25 Jahre und auch die Regierung der Altkommunisten über fünf Jahre gar nichts gebracht haben. Da wurde allenfalls verwaltet. Da wurde nicht gestaltet, da wurde Thüringen keinen Millimeter vorangebracht. Das ist die Wahrheit. Das werden Sie am Sonntag auf den Wahlzetteln dann auch sehen. – Schön, dass die Zeit schon weiterläuft, obwohl ich noch die Frage beantworte. Danke schön.
Meine Damen und Herren, geplagt von der demografischen Entwicklung ist der ländliche Raum in Vergessenheit geraten. Er wird an den Rand gedrängt. Der Bus fährt meistens gar nicht und wenn überhaupt, dann zweimal am Tag. Bahnstrecken sind abgewickelt worden. Gasthäuser mussten schließen. Sparkassenfilialen stehen leer. Hausärzte auf dem Land gibt es nicht mehr; keiner wird für die Arbeit dort gefunden. Junge Familien entscheiden sich aus der Not heraus, in die Städte zu ziehen und sich dort teure Mietwohnungen zu nehmen, weil sie ihren Kindern Busfahrten über Land, die gefährlich und lang sind, nicht zumuten wollen. Die Dorfbilder sind verschandelt, das Landschaftsbild auch. Häuser stehen leer. Es ist eine Katastrophe, was Sie sehen, wenn Sie in manche Gebiete in Thüringen fahren.
Aber auch die Landwirte, die Bauern, die unsere Lebensmittelversorgung sicherstellen und wichtige Arbeitsplätze im ländlichen Raum schaffen, haben unter der Politik der Altparteien zu leiden, die Bauern, die wertvolle Kulturlandschaften in Thüringen hegen und pflegen. Sie entdecken die Bauern immer nur in Wahlkampfzeiten. Zu Recht beklagen die Bauern Drangsalierungen aus Brüssel, aus dem Land und aus Berlin. Sie beklagen Verordnungen, Einschränkungen und Auflagen, die sie von ihrer eigentlichen Arbeit abhalten. Sie müssen bürokratische Monster bewältigen.
Ich hätte jetzt gerne auf die engagierte Fragestellerin der FDP geantwortet; aber sie ist nicht mehr da. Typisch FDP: Heiße Luft rausblasen und dann abhauen.
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Tolle Sache, wie Ihre Truppe arbeitet.
Ich war in Erfurt und bin eine halbe Stunde lang bei der Bauerndemo mitgefahren.
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Ich habe erlebt, wie uns als AfD vom Straßenrand aus zugejubelt wurde. Das werden Sie auch am Sonntag auf den Wahlzetteln sehen.
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Wir sind für Subsidiarität, für Eigenverantwortung im ländlichen Raum. Wir wollen keinen obrigkeitshörigen Zentralstaat à la DDR. Wir wollen nicht nur mehr Demokratie wagen, sondern wir wollen mehr Demokratie leben. Das unterscheidet uns ganz gewaltig von Ihnen.
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Wir stehen für Eigenverantwortung des ländlichen Raums und gegen Altparteienzentralismus.
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Wir wollen nicht, dass im ländlichen Raum der Letzte das Licht ausknipst. Wir wollen wirklich blühende Landschaften im ländlichen Raum, die junge Menschen anziehen, die unserer Heimat neuen Schwung verleihen.
Vielen Dank für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf den Wahlsonntag am übermorgigen Tage.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Johann Saathoff.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, für die sozialdemokratische Fraktion sowieso, aber auch für viele andere Parteien hier im Parlament kann ich sagen: Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der die Starken für die Schwachen eintreten.
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Ich hatte bei der ersten Lektüre des Antrages gedacht: Das will jetzt plötzlich auch die AfD mit ihrem Länderfinanzausgleich erreichen. Denn dort heißt es, die strukturstarken sollen für die schwächeren Regionen zahlen. Also wäre Solidarität eigentlich das Stichwort der Stunde gewesen; zugegeben, das sind ungewöhnliche Töne aus der ganz rechten Ecke. Aber die Debatte heute hat Sie in dieser Frage demaskiert.
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Solidarität ist das wenigste, was Sie wollen. Solidarität streben Sie mit Sicherheit nicht an.
In dem Antrag wird die Gründung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgeschlagen. Das hat es schon gegeben, wobei es keine Arbeitsgruppe, sondern eine Kommission war,
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nämlich die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Diese Kommission hat im Juli 2019, also vor drei Monaten, ihren Abschlussbericht vorgelegt. Diesen haben Sie mit keinem Wort erwähnt.
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Dieser ganze Bericht ist an Ihnen vorbeigegangen. Sie tun aber so, als kümmern Sie sich um die ländlichen Räume.
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Was war das Ergebnis dieses Berichtes? Das Ergebnis war, dass die Bundesregierung die Fördermaßnahmen in einem einheitlichen Fördersystem bündeln wird. Mein Kollege Frank Junge hat ausführlich darauf hingewiesen. Die bislang regional beschränkten Förderprogramme werden auf alle Regionen ausgeweitet, und die Bedarfe werden verteilt auf Ost und West, auf Nord und Süd, und zwar auf Stadt und Land. Das stellt eine gute Grundlage dar, um die zusätzlichen Mittel aus dem Bundesprogramm Ländliche Entwicklung auch wirklich sinnvoll für ländliche Räume zu verausgaben.
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Natürlich kann und muss man dafür sorgen, dass über diese Fördermittel Infrastruktur in den ländlichen Räumen geschaffen wird. Bestes Beispiel dafür ist das Strukturstärkungsgesetz. Auch dies haben Sie heute mit keinem Wort erwähnt.
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40 Milliarden Euro werden zur Verfügung gestellt, um Regionen, die vom Strukturwandel im Zusammenhang mit dem menschengemachten Klimawandel betroffen sind, zu helfen.
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Ziel ist, dass diese Regionen nicht abgehängt werden, sondern entwickelt werden. Herr Brandner, ich bin auf Ihr Abstimmungsverhalten in dieser Sache gespannt.
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Ostfriesland – das will ich an dieser Stelle sagen – hatte vor einigen Jahren noch eine starke Schiffbauindustrie. Diese ist jetzt fast vollständig verschwunden, und zwar ohne Milliardenhilfen aus Berlin.
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Das wollen wir anderen Regionen nicht zumuten. Dat wassen stuur Tieden – so haben die Ostfriesen das in ihrer Sprache damals beschrieben –: Es waren schwere Zeiten, die damals auf uns zukamen. Die Ostfriesen haben früh erkannt, dass ein relativ junger Wirtschaftsfaktor für sie eine Perspektive ist und überall im ländlichen Raum eine Perspektive sein könnte. Welcher Wirtschaftsfaktor ist das?
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Das sind die erneuerbaren Energien.
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Das hat für Wertschöpfung gesorgt und für viele, viele Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Für uns war das Teil einer adäquaten Lösung für strukturschwache Regionen, wie Sie es in Ihrem Antrag schreiben.
Im weiteren Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel und für eine Energiewende finden wir viele Chancen und Potenziale für Menschen in ländlichen Räumen, denen Sie sich, wenn Sie sich wirklich darum kümmern wollten, einmal zuwenden sollten.
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Mit Blick auf die Europäische Union, auf die EU, schlägt die AfD eine Renationalisierung vor; wir haben das heute schon gehört.
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Spätestens da ist es vorbei mit der eingangs erwähnten und zur Schau gestellten Solidarität der äußerst Rechten im Parlament. Sie wollen die Vorteile der EU mitnehmen, aber sie wollen nichts zur Gemeinschaft beitragen.
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Als Starker wollen Sie den Schwachen nicht helfen. Das hat mit Solidarität nichts zu tun. Das ist nichts anderes als Schmarotzen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Johann Saathoff. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Oliver Luksic.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Problem ist nicht die Unterscheidung zwischen Ost und West oder zwischen Stadt und Land. Wir haben eine Reihe ländlicher Räume – denken wir an Baden-Württemberg, das Sauerland –, wo wir besonders viele Hidden Champions und Wachstumsregionen haben.
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Das Problem ist, dass wir einzelne abgehängte Gebiete aufgrund von wirtschaftlichen Transformationsprozessen haben. Das ist in der Tat zum Beispiel die Westpfalz, die der Kollege Ulrich angesprochen hat. Das betrifft auch den Ruhrpott, Teile Ostdeutschlands und das Saarland. Deswegen müssen wir auf diese Transformationsprozesse schauen,
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beispielsweise im Saarland, das ein Stück weit ein Frühindikator für Deutschland ist, weil es da einen hohen Industrieanteil und eine starke Exportorientierung gibt. Dort haben wir schon Rezession. Das droht jetzt in ganz Deutschland. Das ist ein Stück weit auch das Erbe von Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland.
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Das eine Problem, das wir haben – darüber müssen wir reden, nicht über Subventionen –, ist die Lage unserer Industrie. Dort wird nicht mehr investiert. In der Chemieindustrie wird nicht mehr investiert. In der Stahlindustrie wird nicht mehr investiert. Das Problem ist: In Sonntagsreden bekennen sich hier alle zur starken industriellen Basis, die uns durch die Krise gebracht hat. Aber montags bis samstags wird in Brüssel, aber auch hier im Hohen Haus, mit Klimapaket und EEG das Gegenteil gemacht.
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Das führt dazu, dass zum Beispiel die Stahlindustrie im Saarland, die hoch innovativ ist, deren Stahl wir in Brücken, in Automobilen, im Hochbau und übrigens auch in Windrädern für die Energiewende finden, in ihrer Existenz bedroht ist. Bald kommt der Stahl nur noch aus China. Dann ist für das Klima nichts gewonnen, aber die Arbeitsplätze und die Wertschöpfung sind verloren. Dann haben wir abgehängte Regionen in Deutschland.
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Der zweite Bereich, in dem abgehängte Regionen drohen, ist der Bereich Automobil. Dort stehen wir vor einer riesigen Krise.
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Nicht nur das Volumensegment – Stichwort „Ford“ –, sondern auch die Zulieferer fangen an, Menschen zu entlassen, weil die Elektrifizierung – unterstützt von der Bundesregierung – zu Einbußen führt. Eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 37,5 Prozent beim Pkw und minus 30 Prozent beim Lkw – es macht überhaupt keinen Sinn, diesen zu elektrifizieren – ist jetzt beschlossen worden.
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Das führt dazu, dass die Wertschöpfungskette immer kürzer wird. Batterien werden aus Asien importiert. Das fängt jetzt schon an. Es wird nicht mehr investiert. Die Fahrzeuge werden teurer, gleichzeitig verdient die Industrie daran aber nicht mehr.
Das hat eine doppelt negative Auswirkung. Zum einen verlieren wir hochbezahlte Facharbeiter. Zum anderen wird gerade der ländliche Raum abgehängt, weil Mobilität mittelfristig bald nicht mehr erschwinglich ist. Wenn wir nicht endlich aufhören mit diesem ideologisch motivierten Kulturkampf gegen den Verbrennungsmotor, gegen das Automobil, werden ganze Regionen in Deutschland massiv abgehängt werden.
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Deswegen ist es neben einer vernünftigen Energie- und Klimapolitik, die notwendig ist, damit verschiedene Regionen nicht abgehängt werden, wichtig, die Infrastruktur in der Fläche zu stärken. Ein Vertreter des BMVI ist gerade nicht anwesend; kommt bestimmt gleich wieder. Im Bereich 5G sind wir ganz schwach, im Mobilfunk auch. Wir müssen in der Forschung nicht nur die vorhandenen Leuchttürme stärken, sondern stärker in die Fläche gehen. Wir müssen den besonders überschuldeten Kommunen helfen, weil sie sich in einer Spirale befinden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Wirtschaftsstruktur nicht einseitig wie beispielsweise im Saarland gefährdet wird. Dann haben wir keine abgehängten Regionen und wieder gleichwertige Lebensverhältnisse. Das ist das Ziel der Freien Demokraten.
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Vielen Dank, Oliver Luksic. – Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen: Stefan Schmidt.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der AfD zeugt einmal mehr von eklatanter Ahnungs- und Ideenlosigkeit. Sie beklagen eine vielfach fehlgeleitete Steuer- und Strukturpolitik. Wie man es besser machen kann, wissen sie aber offensichtlich nicht. Dazu steht in diesem Antrag nichts.
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– Nein, Sie müssen jetzt einmal aufpassen. Sie können bei mir noch etwas lernen. Sie haben das auch bitter nötig; das sage ich Ihnen ganz ehrlich.
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Das, was in Ihrem Antrag steht, ist niveaulos. Sie möchten einen Arbeitskreis streng nach dem Prinzip: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis.
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Diesen wollen Sie mit ein paar schwammigen Prüfaufträgen versehen. Wir haben doch gerade erst die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ eingesetzt, die Beratungen dauerten über ein Jahr lang, die Bestandsaufnahme seitens der Bundesregierung war zugegebenermaßen rein beschreibend, aber doch mit dem Verständnis dafür, dass es sehr unterschiedliche Lebensbedingungen gibt, gravierende regionale Unterschiede im Hinblick auf Nahverkehr, Breitband, Mobilfunkanbindung, auf die Verteilung kommunaler Schulden, auf Investitionen, Jobchancen usw. usf. Umso mehr müssen wir als Parlament gerade jetzt das Augenmerk darauf richten, diese Unterschiede zu beseitigen und gleiche Chancen zu ermöglichen, unabhängig vom Wohnort.
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Wir brauchen keine neue Kommission. Wir brauchen konkrete Vorschläge zur Umsetzung.
Wir Grüne haben konkrete Vorschläge vorgelegt. Drei Maßnahmen will ich kurz skizzieren. Erstens, die drückende Last kommunaler Altschulden abbauen. Ich denke, hier muss der Bund eine Führungsrolle einnehmen, alle Beteiligten an einen Tisch holen und eine solidarische Altschuldenhilfe auf die Beine stellen.
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Zweitens, eine höhere Beteiligung an den Kosten für Unterkunft, um gerade den Kommunen, die es nicht so leicht haben, zu helfen, wieder zu investieren.
Drittens fordern wir eine weitere Gemeinschaftsaufgabe zwischen Bund und Ländern, die der regionalen Daseinsvorsorge, um gezielt strukturschwache Regionen zu fördern. Wir Grüne haben dazu hier im Bundestag zwei umfangreiche Anträge eingebracht. Die hätten Sie lesen sollen, daran hätten Sie sich konkret orientieren können.
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Der AfD-Antrag ist viel zu einseitig
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und geht an der Realität völlig vorbei. Sie tun so, als ob Strukturschwäche allein ein Problem ländlicher Regionen wäre. Es geht doch nicht um Stadt oder Land, um Ost oder West. Wir müssen alle strukturschwachen Regionen fördern, egal wo sie liegen, anstatt einen Keil zwischen Stadt und Land zu treiben, anstatt die Gesellschaft zu spalten, wie Sie es tun.
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Bitte, meine Damen und Herren der AfD, verschonen Sie uns in Zukunft mit solchen Anträgen! Den parlamentarischen Niveaulimbo gewinnen Sie auch ohne Ihre Initiativen.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank, Stefan Schmidt. – Nächster Redner: Jan Metzler für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Ende einer solchen Debatte reden zu dürfen, hat den Vorteil, dass man all das, was hier platziert wurde, vom Rednerpult aus einmal ein Stück weit zusammenfassen kann. Ich möchte zunächst auf drei Punkte eingehen.
Feststellung Nummer eins. Die Qualität dieses Antrags wird auch am Ende dieser Debatte nicht besser.
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Feststellung Nummer zwei. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, ich mache Politik wie viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus aus einer grundsätzlich optimistischen Haltung heraus und nicht durch das An-den-Horizont-Zeichnen der apokalyptischen Reiter 2.0.
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Feststellung Nummer drei. Wer ländliche Räume insgesamt fördern möchte, wird feststellen – das hat der Parlamentarische Staatssekretär Oliver Wittke treffend gesagt –: Es gibt nicht den ländlichen Raum. Es gibt nicht den urbanen Raum. Man muss es im Gesamtkontext sehen. Und wer das außer Acht lässt, der wird sich an der falschen Stelle auf den Weg machen.
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Noch eines: Ganz im Ernst, wer angesichts von Digitalisierung und all diesen Herausforderungen so kurz springt wie Sie in Ihrem Antrag, der wird keinen Beitrag für die Zukunft des ländlichen Raums leisten. Was Sie tun, ist, den ländlichen Raum so zu beschreiben, dass in Ihrem Kontext gewissermaßen alles jenseits von München, Berlin, Dresden Ödland wäre. Ich bin selbst ein leidenschaftliches Kind des ländlichen Raums. Ich bin wirklich mit Leidenschaft für den ländlichen Raum aktiv: in diesem Haus, aber eben auch im Rahmen meiner kommunalpolitischen Tätigkeit, die mich in diesem Zusammenhang auch leitet. Deshalb sage ich: So einfach ist es dann auch nicht. Wer den rhetorischen Keil an dieser Stelle ansetzt und angesichts einer immer fragileren Situation in der Gesellschaft dazu übergeht, einzelne Teile dieser Gesellschaft geografisch oder innerhalb der Gesamtgesellschaft auseinanderzutreiben, der wird im Endeffekt die Axt an die Grundlage dieses demokratischen Gemeinwesens legen.
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Eines möchte ich festhalten: Wir fühlen uns demgegenüber verpflichtet, was im Grundgesetz verankert ist, der Herstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in diesem Land. In diesem Zusammenhang möchte ich überhaupt nicht außer Acht lassen, dass es in den ländlichen Räumen gewaltige Herausforderungen gibt. Aber ich mache auch nicht – das möchte ich auch sagen – alles schlecht, indem ich das, was hervorragend funktioniert, ignoriere. Wenn ich auf die 1 200 Hidden Champions blicke, die es in diesem Land gibt, die vor allem klein und mittelständisch geprägt sind, dann sind sie vor allem im ländlichen Raum zu finden. Diese Potenziale gilt es zu bewahren. Aber wir müssen den ländlichen Raum auch im Gesamtkontext sehen und ihn fit machen für die Zukunft.
Zwei Feststellungen in diesem Zusammenhang. Seit 1969 gibt es die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. In diesem Zusammenhang kann man von einem Erfolgsmodell sprechen, Bayern steht seit 1969 exemplarisch dafür. Der Kollege Karl Holmeier beteiligt sich an der Debatte für diese Gemeinschaftsaufgabe. Man kann sich in seinem Wahlkreis anschauen, was die Region Cham an Strukturwandel durchgemacht hat, wo insbesondere die GRW als markanter Motor und Treiber sie in die Zukunft geführt hat. Lieber Kollege Frank Junge, wir haben 2016 im Unterausschuss „Regionale Wirtschaftspolitik“ gemeinsam daran gearbeitet, einen Antrag auf den Weg zu bringen, der ein gesamtdeutsches Fördersystem im Blick hat, unabhängig davon, ob Stadt, Land, Nord, Süd, Ost, West. Das ist jetzt Teil des Koalitionsvertrags geworden und Teil unserer Politik. Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ wurde in diesem Zusammenhang schon angesprochen und sie hat ihre Empfehlungen abgegeben. Ich möchte auf drei Beispiele eingehen.
Erstens. Der Bund wird Neuansiedlungen und Ausgründungen von Behörden und Forschungseinrichtungen bevorzugt in strukturschwachen und vom Strukturwandel betroffenen Regionen vornehmen. Zweitens, zum Ehrenamt. Wie oft wird das Ehrenamt gelobt; das tun wir alle. Wir fühlen uns zu Recht dem Ehrenamt verpflichtet. Die Bundesregierung wird jetzt eine Stiftung für Engagement und Ehrenamt gründen.
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Wir werden diese auch entsprechend voranbringen. Drittens. Der Bund wird künftig bei allen Gesetzesvorhaben prüfen, welche Wirkung sie auf die Wahrung und Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland haben. Das ist wirklich ein Novum, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen fühlen wir uns dem verpflichtet.
Ich sage es zum Abschluss noch einmal: Ich bin ein leidenschaftliches Kind und ein leidenschaftlicher Kämpfer für den ländlichen Raum. Ich betreibe Politik aus dem Grundsatz des Optimismus heraus und nicht aus dem Grundsatz der Spaltung. Das eint mich mit vielen Kolleginnen und Kollegen, das macht mich stolz.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Jan Metzler. – Letzter Redner in der Debatte: Falko Mohrs für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier über zwei dünne Seiten Antrag der AfD. Die erste Seite beschreibt lapidar die Probleme und Herausforderungen strukturschwacher Regionen. Ich sage Ihnen das als jemand, der auch aus einer strukturschwachen Region, dem Landkreis Helmstedt, kommt. Das, was Sie hier an Banalität auf der ersten Seite Ihres Antrags zusammengetragen haben, ist so etwas von überflüssig.
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Ich sage Ihnen noch etwas. Wenn man Verantwortung für eine Region hat, dann schreibt man nicht irgendwelche oberflächlichen Dinge auf, sondern dann kämpft man dafür.
({1})
Aus dieser Motivation heraus haben wir es zum Beispiel geschafft, mit dem Strukturstärkungsgesetz 90 Millionen Euro in den Landkreis Helmstedt zu bringen. Das bringt einer Region, die mit dem Strukturwandel beschäftigt ist, mehr als zwei dünne Seiten Antrag.
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Ich komme auf das Beispiel Kaiserslautern zurück; Herr Ulrich hat darüber gesprochen. Dazu sagt der Antrag der AfD nichts. Vielleicht sollten Sie sich das einfach einmal zum Vorbild nehmen. Sie wissen, wie der Satz endet: Wenn man keine Ahnung hat, dann …
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Meine Damen und Herren der AfD, nehmen Sie sich das als Beispiel.
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Auf der zweiten Seite stehen noch ein paar Phrasen. Das ist ein bisschen AfD-Bullshit-Bingo. Ich habe Ihre Textbausteine zu Flüchtlingen, Gleichstellung und Klima gesucht
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– Habe ich nicht gefunden.
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Was ich aber gefunden habe, ist eine konkrete Forderung zur Renationalisierung des Landwirtschaftsfonds der EU.
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Das, muss ich sagen, ist schon der absolute Hammer. Wir haben das eben schon gehört: Wir reden über fast 30 Milliarden Euro, von denen wir als Deutschland, von denen unsere Regionen in Deutschland in der letzten Förderperiode profitiert haben.
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Sie haben in dieser Woche so getan, als ob Sie von Anfang an die Verfechter der Landwirtschaft in unserem Land gewesen sind. Ihr Abgeordneter Herr Protschka, der sich vielleicht gerne als Schwergewicht sehen möchte, hatte gestern Abend die Frechheit, hier so zu tun, als ob Sie für die Zukunft der jungen Landwirte in diesem Land stehen. Sie vergessen aber völlig, dass 38 000 Junglandwirte im letzten Jahr genau von der Förderung der Europäischen Union profitiert haben, die Sie abschaffen wollen. Das ist verlogen.
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Das ist genau die Art und Weise, wie Sie als AfD Politik machen. Das ist aber nicht die Art und Weise, wie wir strukturschwachen Regionen in unserem Land helfen, meine Damen und Herren.
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Herr Mohrs, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Herrn Brandner?
Also, noch mehr Bullshit-Bingo ertrage ich heute nicht. Nein.
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So, jetzt hat Herr Mohrs das Wort.
Was wir als Bundesregierung, was wir als Parlament in den letzten Monaten auf den Weg gebracht haben, ist doch genau, dass wir sagen: Wir wollen ein gesamtdeutsches Fördersystem, das eben nicht nach Regionen oder nach Himmelsrichtungen fördert, sondern sich daran orientiert, was vor Ort gebraucht wird. Mit dem Strukturstärkungsgesetz werden wir deswegen 40 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um den Regionen, die im Strukturwandel sind, zu helfen, diesen Strukturwandel auch zu gestalten. Wir haben den Sonderrahmen zur Förderung der ländlichen Räume gestaltet, um allein in einer Säule mit über 30 Millionen Euro den Regionen zu helfen, die es nötig haben. Das ist nur eine der Säulen, die ich hier aufzählen möchte.
Meine Damen und Herren, wenn man auf zwei Seiten mit Phrasen die Probleme ganzer Regionen lösen möchte, dann ist das schäbig, dann ist das populistisch, dann ist das AfD.
Danke schön.
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Vielen Dank, Falko Mohrs. – Damit schließe ich die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten den Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung, und ich beginne mit einem Zitat:
[Sie] schuf eine neue und wundervolle Welt und zur gleichen Zeit eine neue Hölle. Sie gab der Wahrheit Flügel und der Unwahrheit ein doppeltes Flügelpaar. Sie wurde der Begründer und Beschützer menschlicher Freiheit, und doch ermöglichte sie Despotismus, wo er zuvor nicht möglich war.
Nein, die Rede ist nicht von der Digitalisierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern von der Erfindung des Buchdrucks. Und doch bringt Mark Twain mit diesen Worten, meine ich, auf den Punkt, was man – zugegebenermaßen in etwas sperrigem Amtsdeutsch – auch im Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung nachlesen kann: Die Medienrevolution hat heute wie damals zwei Gesichter. Jene vor gut 500 Jahren hat demokratischen Errungenschaften den Weg geebnet. Heute geht es darum, genau diese Errungenschaften zu verteidigen.
({0})
Wie gehen wir gegen Hassrede, Cybermobbing und Desinformation vor? Wie sichern wir mediale Vielfalt und Qualitätsjournalismus, die Basis für freie Meinungsbildung und politische Mündigkeit? Welche Rolle spielt dabei die Entwicklung öffentlich-rechtlicher Medienangebote? Diesen Schwerpunkten widmet sich der vorliegende Bericht.
Vor welchen Herausforderungen wir stehen, hat kürzlich auch eine Allensbach-Studie bestätigt: Nur 17 Prozent – immerhin – sehen das Internet als Forum des freien politischen Meinungsaustauschs. Das dürfte angesichts der im Netz zu beobachtenden Verrohung des öffentlichen Diskurses, der richtig brutalen Abwertung anderer Sichtweisen und der überproportionalen Hör- und Sichtbarkeit extremistischer Positionen auch niemanden mehr überraschen. Offensichtlich fordert nämlich die Digitalisierung nicht nur etablierte Geschäftsmodelle heraus, sondern auch unsere Demokratie. Deren Kern ist der vermittelnde Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen und Weltanschauungen. Digitale Plattformen, wo immer mehr Menschen sich heute bevorzugt informieren und austauschen, fördern aber Polarisierung mehr als Verständigung, und sie begünstigen eher die Verbreitung von Desinformation als von gut recherchierten Inhalten. Damit dürfen und werden wir uns nicht abfinden.
({1})
Hier müssen wir mit medienpolitischen Maßnahmen gegensteuern.
Ich will das am Beispiel des Leistungsschutzrechts erläutern. Es soll dazu beitragen, dass mediale Vielfalt erhalten und Qualitätsjournalismus finanzierbar bleiben. Für mich steht außer Frage, dass Suchmaschinenbetreiber mit hoher Marktmacht eben auch Verantwortung tragen für die Auffindbarkeit von Inhalten, die nach journalistischen Qualitätsstandards erstellt wurden. Eine freie Presse ist die wirksamste Waffe gegen Desinformation und Manipulation. Sie ist die Hüterin einer offenen Gesellschaft und Wächterin einer lebendigen Demokratie.
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Die Bundesregierung hat deshalb auf europäischer Ebene im parteiübergreifenden Konsens für das Leistungsschutzrecht und für die Verlegerbeteiligung gekämpft. Umso bedauerlicher fände ich es, wenn wir nun warten müssten, bis auch der letzte Artikel der EU-Urheberrechtsrichtlinie umgesetzt ist. Ich appelliere deshalb dringlich an alle Beteiligten: Lassen Sie uns das Leistungsschutzrecht und die Verlegerbeteiligung jetzt zügig umsetzen, am besten, indem wir genau diese beiden Teile aus der EU-Urheberrechtsrichtlinie vorziehen. Es geht hier um den Schutz journalistischer Qualität und medialer Vielfalt und damit natürlich wieder einmal um den Kern unseres demokratischen Selbstverständnisses.
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In Deutschland haben wir – auch aus unserer historischen Verantwortung heraus – ein fein austariertes Medienbild, eine gute Medienordnung, die es wert ist, verteidigt und weiterentwickelt zu werden. Wir dürfen und werden es nicht den IT-Konzernen überlassen, Rahmen und Regeln des demokratischen Diskurses zu setzen. Sorgen wir also in enger Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und auf der europäischen Ebene dafür, dass digitale Technologie unserer Demokratie dienen kann. Der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung ist dafür hoffentlich ein guter Wegweiser.
Danke schön.
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Vielen Dank, Monika Grütters. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Martin Renner.
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Grüß Gott, Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Zuschauer! Auch ich beginne mit einem Zitat eines Lyrikers, nämlich Rainer Maria Rilke. Er schrieb:
Nichts legt die Menschen so sehr im Irrtum fest wie die tägliche Wiederholung dieses Irrtums.
Ist das die bewusste Maxime und heimliche Agenda der Bundesregierung?
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Herr im Himmel! Hatten wir doch am Mittwoch bei der Debatte über Meinungsfreiheit eine abgeordnete Dame von der Regierungskoalition, die hier am Pult sagte: Mit Ihnen rede ich gar nicht über Meinungsfreiheit.
Und schon sind wir beim Thema Medien- und Kommunikationsbericht. Wie die Regierung auf Grundlage des hervorragenden und sachlichen Gutachtens des Hans-Bredow-Instituts zu ihren Schlussfolgerungen gelangen kann, kann niemand mit gesundem, konservativem, freiheitlichem Verstand nachvollziehen. Die nach dem Rezept der Bundesregierung gebackene Medientorte kann in unserer digitalisierten Medienwelt niemandem schmecken.
({1})
Ihr Rezept für Medienpolitik ist hoffnungslos veraltet. Die Backzutaten sind schon lange verdorben. Der Gesetzgeber humpelt der Rasanz technologischer Entwicklung Lichtjahre hinterher, reißt eine regulatorische Hürde nach der anderen und fällt von einem Loch der Verantwortungslosigkeit in das nächste.
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In hervorragend detaillierten und umfassenden 80 Punkten weist das Gutachten des Hans-Bredow-Instituts der Regierung den richtigen Weg, benennt zahlreiche höchst komplexe Aufgaben, die dringend gelöst werden müssten. Doch was macht unsere international-sozialistisch gepolte und verstrahlte Regierung damit?
({3})
Sie panscht daraus einen Kaiserschmarren, bestehend aus den Teigfetzen „Hasstirade“, „Desinformation“, „Filterblasen“ und anderen Begrifflichkeiten.
({4})
Für Filterblasen sind laut Gutachten des Hans-Bredow-Instituts kaum empirische Belege vorhanden. Hassrede? Hassrede ist doch oft nichts anderes als das kritische Hinterfragen von marxistischen und globalistischen Dogmen, in denen sich unser regierendes Politikkartell so gerne ideologiesatt suhlt.
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Die Regierung bejubelt in ihrem Bericht das NetzDG und übergeht zahlreiche, im Gutachten deutlich benannte Fakten, die die fundamentalen Risiken für die Grundrechte durch dieses NetzDG beschreiben. Die Regierung tut alles, um die so existent gewordene Deutungshoheit und Meinungsdominanz des etablierten politmedialen Komplexes zu erhalten.
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Und nennt das dann mit unglaublicher Chuzpe: Sicherung des offenen Zugangs zu öffentlicher Kommunikation und bestimmten Medienangeboten.
Die Regierung will keine Lösungen für Konsumenten und den Bürger. Stattdessen grübelt sie verzweifelt, wie sie ihr kulturmarxistisches Agitprop-Werkzeug namens öffentlich-rechtlicher Rundfunk stärken und dem Bürger zu immer höheren Kosten aufzwingen kann – alles dies zur Sicherung ihrer abgründigen, ökoradikalen Gesinnungserziehung des immer noch braven Bürgers,
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nach dem Motto: Auf in den Kampf gegen die Freiheit des Internets! – Eine Freiheit, die dem zwangsfinanzierten Meinungskartell durch stetige Gegenöffentlichkeit den Resonanzraum abgraben könnte.
({8})
– Schreien Sie doch nicht so. – Den wahrhaftig offenen Meinungspluralismus im Internet will die Regierung mithilfe quasizensorischer Maßnahmen also einengen, ungeachtet aller deutlichen Warnungen und rechtlichen Hürden, die in dem Gutachten schon fast überdeutlich benannt sind.
Fakt ist: Die gesamte Medienpolitik und hier insbesondere die Struktur, die Funktion und der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehören dringend auf den Prüfstand.
({9})
Es bedarf einer grundlegenden, ja radikalen Reform. Ja, „radikal“, im Sinne des Wortes: nämlich von den Wurzeln her angegangen.
({10})
– Ich schreie doch gar nicht. – Wo ist denn der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Binnenpluralismus innerhalb der Medien, wenn annähernd 75 Prozent der deutschen Journalisten sich selbst politisch im linken oder sehr linken Spektrum verorten?
Wir reden auch über Zensur. Diese dient maßgeblich der Freiheit der Meinungsbildung – die verbotene Zensur –; so schreibt es das Bundesverfassungsgericht in seinem dritten Rundfunkurteil. Ich rufe vehement zu: Stopp, Regierung! Keinen Millimeter weiter mehr nach links!
({11})
Denken Sie an Ihre Redezeit!
Die Beschlussfassung der Regierung lehnen wir ab. Bei dem Antrag der Linken – es sind sehr viele richtige Punkte drin – enthalten wir uns.
Gehet hin in Frieden; ihr seid entlassen! – Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Martin Rabanus.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Kommen wir wieder zu dem zurück, worum es in der jetzigen Debatte tatsächlich geht, nämlich um den Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung. Ich danke dem Hans-Bredow-Institut für die hervorragende Arbeit und der Bundesregierung für die Vorlage dieses Berichtes. Denn dieser Bericht zeigt uns detailliert, wie die Digitalisierung und die Verschmelzung unterschiedlichster Mediengattungen – also die sogenannte Konvergenz – Medienmärkte, Medienverhalten und Nutzungsverhalten rasant verändern. Eine funktionierende öffentliche Kommunikation – im Bericht ist das als „kommunikative Grundversorgung“ benannt – ist grundlegend in der Bedeutung für unser Gemeinwesen und für unsere Demokratie. Deswegen muss es unser Ziel sein, Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit, mediale Vielfalt sowie Pluralismus von Meinungen und Inhalten zu sichern.
Ich will, meine sehr verehrten Damen und Herren, zwei thematische Schwerpunkte herausgreifen:
Der erste Punkt ist tatsächlich die Meinungsfreiheit und die Frage, wie wir eigentlich mehr Verantwortung und Teilhabe auch im Netz erreichen können. Denn die gesellschaftlichen Diskussionen im Netz und insbesondere in den sozialen Netzwerken sind von Fake News und Hate Speech geprägt. Gezielte Falschmeldungen, Propaganda, Hassreden sind aber eine Gefahr für ein friedliches Zusammenleben in unserer freien, offenen und demokratischen Gesellschaft. Und das – da bin ich ganz einer Meinung mit Frau Staatsministerin Grütters – können wir so nicht hinnehmen.
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Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass es sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt Regeln gibt, Regeln des Zusammenlebens und des Miteinanders, und – viel wichtiger – dass wir sie auch durchsetzen.
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Deswegen ist es auch richtig, dass die Koalition das NetzDG auf den Weg gebracht hat. Deswegen ist es auch richtig, dass wir im Zusammenhang mit dem Evaluierungsprozess des NetzDGs schauen, an welchen Stellen nachgesteuert werden muss, ohne dabei die Freiheit, die Meinungsfreiheit und die Pluralität einzuschränken, sondern sie zu sichern.
Ich danke auch den Ländern, die nun bei den Beratungen des Medienstaatsvertrages dabei sind, die großen Plattformen und Intermediäre mit aufzunehmen und dafür zu sorgen, dass sie im Rahmen einer Regulierung ihrer Verantwortung besser gerecht werden können.
Ich komme zum zweiten Punkt. Ich will die Gelegenheit nutzen, um zu betonen, dass wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion zur dualen Medienordnung stehen und dass wir auch zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen. Dies tun wir im Respekt vor der Länderkompetenz und sagen auch dazu, dass wir den Auftrag und die Struktur der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durchaus geschärft sehen wollen und natürlich auch wollen, dass das Beitragsaufkommen möglichst effizient eingesetzt wird. Der Medien- und Kommunikationsbericht attestiert den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aber auch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, eben wegen der Staatsferne und wegen des effizienten Mitteleinsatzes.
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, drei Punkte zum Abschluss sagen. Erstens stellen wir im internationalen Vergleich fest, dass Demokratie und Meinungsfreiheit unter Druck sind. Deswegen stützen und unterstützen wir unsere Deutsche Welle als unsere Stimme im Ausland.
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Zweitens bekräftigt der Antrag, den wir parallel eingebracht haben, auch unsere Forderung nach Einsetzung eines VN-Sonderbeauftragten. Drittens und abschließend, Frau Präsidentin, finden wir es wichtig, dass wir solche Debatten immer wieder führen, auch auf der Basis solcher Berichte, die wir gerne im Zweijahresabstand hätten. Denn es geht darum, Pressefreiheit und Meinungsfreiheit im Interesse unserer Demokratie zu sichern.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Martin Rabanus. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Thomas Hacker.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung gibt auf 290 Seiten eine politische und systemische Bestandsanalyse ab. Vielen aufgeführten Punkten, Frau Staatsministerin, können wir Freie Demokraten zustimmen. Dennoch bleiben insgesamt mehr Fragen offen, als Antworten gegeben werden. Wir debattieren heute, Ende Oktober 2019, den Bericht der Bundesregierung 2018, der Anfang des Jahres vorgelegt wurde. Dieser Bericht wiederum bezieht sich auf eine Analyse des Hans-Bredow-Instituts für die Jahre 2013 bis 2016. Ich denke, das allein illustriert eines der Probleme, die wir in Deutschland haben, ganz gut. Während heute ein US-Präsident über Twitter regiert und die Welt in Angst und Schrecken versetzt, befindet die Bundesregierung über den Stand sozialer Netzwerke von vor sechs Jahren. „Seiner Zeit hinterherhinken“ ist hier noch ein euphemistischer Ausdruck.
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Hassrede, Desinformation, Cybermobbing und Cybergrooming sind wichtige Herausforderungen für unsere Gesellschaft. Gerade Cybergrooming, also das Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Minderjährigen im Internet, wird in Ihrem Bericht lediglich ein einziges Mal erwähnt, und zwar in der Einleitung. Maßnahmen, Ideen, um diese Phänomene zu bekämpfen, finden wir nicht. Es darf nicht sein, meine Damen und Herren von der Union und von der SPD, dass der Eindruck entsteht, dass wir unsere Kinder und Jugendlichen nicht schützen wollen vor Hass und Pädophilie im Netz. Es sind doch die Kinder, die Schwächsten und Verletzbarsten, für die wir zu allererst Sorge tragen müssen.
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Meine Damen und Herren, das Internet ist nicht der Wilde Westen. Auch im Internet gibt es jetzt schon Regeln und Gesetze. Diese müssen aber auch konsequent angewandt und durchgesetzt werden.
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Bestehende Aufsichts-, Kontroll- und Strafverfolgungsorgane müssen aktiv werden, um stärker gegen Verletzungen der Persönlichkeit vorzugehen. Kräfte und Know-how sind zu bündeln, damit wir effektiv Hassrede, Desinformation, Cybermobbing und ‑grooming entgegentreten können. Wir brauchen eine intensivere Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften mit den Medienunternehmen und Medienanstalten, und das vor allem auch international.
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Vor allem, meine Damen und Herren, brauchen wir eine gestärkte Medienkompetenz bei jungen Menschen, aber auch im höheren Alter, lebenslanges Lernen, um alle Altersklassen gegen die Irrlichter des Internets zu wappnen.
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Beim zweiten Thema, den offenen Kommunikationskanälen, haben wir den Glauben an Werte nicht verloren. Informationsfreiheit und Meinungsfreiheit gehen Hand in Hand. Es sind hohe Güter, die nicht in allen Rechtsordnungen der Welt selbstverständlich sind. Es braucht Spielregeln, um diese Werte zu schützen und offene Kommunikation mit Leben zu erfüllen. Der Staat, meine Damen und Herren, ist dabei Inhaber des Gewaltmonopols und sollte sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen lassen.
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Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben wir letzte Woche ausführlich an dieser Stelle debattiert. Ja, wir Freien Demokraten wollen einen fokussierten öffentlichen Rundfunk, einen starken, einen meinungsstarken. Das Konzept der Freien Demokraten steht.
Lösungen dagegen fehlen bei einem weiteren wichtigen Thema, dem Medienkartellrecht. Meinungsfreiheit braucht auch Meinungsvielfalt. Unser Medienkonzentrationsrecht stammt noch aus dem Jahr 1997. In diesem Jahr wurde übrigens Netflix gegründet – als Versandhändler von Videokassetten. An Facebook und YouTube war noch nicht zu denken. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf nicht der Regulierungsrahmen sein, in dem wir uns immer noch bewegen. Hier müssen wir handeln. Sie wissen schon, was mit denen passiert, die nicht mit der Zeit gehen. Es ist höchste Eisenbahn.
Vielen Dank.
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Vielen herzlichen Dank, Thomas Hacker. – Nächste Rednerin: Doris Achelwilm für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Anwesende! Manchmal dreht sich die Welt ja schneller, als die Regierung es wahrhaben will. Wir diskutieren heute einen Medien- und Kommunikationsbericht, der seit 1976 regelmäßig erstellt wird und jetzt aber zehn Jahre, zwischen 2008 und 2019, nicht mehr erschienen war. Kleine Rückblende auf die Dynamiken in diesem Zeitraum: 2008 waren 65 Prozent der Menschen in Deutschland online. Heute sind es fast 90 Prozent. 2008 waren noch viele Menschen bei MySpace. Das war ein soziales Netzwerk, das heute kaum noch wer kennt. 2008 gab es auch noch kein Instagram, und niemand wusste vom kurz zuvor gegründeten Spotify. StudiVZ war mit über 5 Millionen Nutzerinnen und Nutzern noch das größte deutsche soziale Netzwerk. Es expandierte zu dieser Zeit auf den englischsprachigen Markt und ging dann 2017 auch schon wieder insolvent.
Wir sehen an diesen nur wenigen plastischen Beispielen: Seit 2008 hat sich in der digitalen Mediennutzung tatsächlich sehr viel getan.
Auch in der analogen Medienwelt ist dieser Strukturwandel längst angekommen und erfordert politisches Handeln. Zeitungsverlage sind fusioniert. Gerade im ländlichen Raum wurden Redaktionen geschlossen oder aufgekauft und dann trotzdem dichtgemacht. Andere kleine Zeitungen wurden in ihren Möglichkeiten für Qualitätsjournalismus dermaßen gekürzt, dass sie kaum noch als eigenständige Regionalzeitungen sichtbar sind. Das ist ein Riesenproblem.
Die Marktmacht der großen Konzernplattformen Google, Amazon, Facebook – wir kennen sie – ist in dieser Zeit massiv größer geworden. Gleichzeitig erhöhte sich der kommerzielle und tarifliche Druck auf Beschäftigte der sogenannten klassischen Medien im Print- und im Rundfunkbereich, aber auch auf Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller. Sie alle müssen wieder unter besseren Bedingungen arbeiten können und in Betrachtungen zum Medienwandel auch eine Rolle spielen. Auch das gehört für uns Linke zu guter Medienpolitik.
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Der nun vorliegende neue Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung hat in dieser Hinsicht sehr viele Leerstellen – einige sind hier benannt worden. Diese Ansicht teilen wir. Grundsätzlich fehlen klare Ideen und konkrete Ziele, wie denn nun im Rahmen der europäischen und der deutschen Medienregulierung auf die Digitalisierung, auf den Konzentrationsdruck und das Zeitungssterben reagiert werden könnte. Es fehlen klare Ansätze zur Regulierung der Markt- und Meinungsmacht von YouTube und Facebook. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist dafür nicht geeignet und auch medienpolitisch keine große Hilfe.
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Das Leistungsschutzrecht ist es aus unserer Sicht ebenso wenig. Wir fordern nach wie vor seine Abschaffung. Was wir dagegen umgesetzt sehen möchten, ist echte Transparenz über die Algorithmen, damit klarer ist, nach welcher Logik unsere Suchergebnisse und Aufmerksamkeitslenker im Netz eigentlich gelistet werden.
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Wir wollen echte Diskriminierungsfreiheit bei der Auffindbarkeit der Angebote, die konsequente Einhaltung des Datenschutzrechtes auf Facebook und Google und echte Steuern, die diese Konzerne hier und in der EU zahlen müssen.
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Nichts davon ist bisher angemessen realisiert worden. Wir bedauern das sehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, Medienpolitik ist im Wesentlichen Angelegenheit der Länder, nicht des Bundes; das ist bekannt. Trotzdem gibt es verschiedenste Schnittstellen, Kooperationsmöglichkeiten, die wir besser nutzen und gestalten müssen. Als Linke wollen wir das duale Rundfunksystem in der Zuständigkeit der Länder belassen. Das haben die Alliierten vielleicht ja auch mit Blick auf Leute, die heute im Bundestag wieder ihre rechten Parolen schwingen und den Öffentlich-Rechtlichen weghaben wollen, aus guten Gründen auch so eingerichtet.
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Was wir ebenfalls wollen: Die Bundesregierung und das zuständige Kanzleramt sollen nicht länger lamentieren, kaum was vorlegen oder sich ansonsten auf Nichtzuständigkeit berufen. Das Bundesverfassungsgericht schließlich hat nämlich sehr unmissverständlich erklärt, dass ein allgemeiner, gleicher Zugang zu Infos zum Grundauftrag des Sozialstaates gehört. Deshalb ist Medienpolitik sowohl aus arbeitnehmerrechtlichen Gründen wie auch aus der Perspektive der Nutzer und gesellschaftspolitisch ein ungemein wichtiges Thema. Bei zunehmender Medienkonzentration und wachsendem Einfluss weniger mächtiger Konzerne wird das auch noch zunehmend relevanter.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Genau diesen Eindruck liefert der Medien- und Kommunikationsbericht aus unserer Sicht noch sehr ungenügend. Eine Reihe von Vorschlägen haben wir in unserem Antrag dargelegt. Wir hoffen, dass sie Gehör finden, dass sie wahrgenommen werden.
Danke für die Aufmerksamkeit und ein schönes Wochenende!
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Vielen Dank, Doris Achelwilm. – Nächste Rednerin: für Bündnis 90/Die Grünen Margit Stumpp.
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Sehr geehrte Frau Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was lange währt, wird endlich gut – gilt oft, aber nicht immer. Der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung ist dafür ein schlagendes Beispiel. Er ist schlicht enttäuschend. Nach konkreten politischen Maßnahmen sucht man im Bericht vergeblich. Man liest vielmehr altbekannte Absichtsbekundungen, die schon lange umgesetzt sein könnten, wenn, ja wenn die Medienpolitik der GroKo nicht so mutlos und die Staatsministerin in Sachen Kultur und Medien nicht so einseitig ambitioniert wäre.
Besonders erschreckend ist die Planlosigkeit bei der Plattformregulierung. Mit Facebook, Twitter und Co sind privatrechtliche Strukturen entstanden, innerhalb derer öffentliche Debatten geführt werden. Diese oligopolistischen Macht- und Meinungsmechanismen wirken demokratiegefährdend. Wirksame Regulierung tut dringend not; das haben wir gerade gehört.
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Aussagen dazu im Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung? Keine! Fehlanzeige! Im Gegenteil: Das Geschäftsmodell „Daten gegen Leistung“ stützt die Bundesregierung, indem sie Tracking von Nutzerinnen und Nutzern als legitim einstuft, im Gegensatz zur EU. Daten sammeln first, Bürgerrechte second – das ist nicht akzeptabel, weder analog noch digital.
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Wir fordern die Einhaltung des Kopplungsverbots, wie es auch die DSGVO vorschreibt.
Zur Medienkonzentration, einer der größten Herausforderungen in der Medienpolitik, kommt auch nicht viel. Dabei ist die Entwicklung dramatisch. Die Top Zehn der Zeitungsverlage verkauften im Jahr 2018 über 60 Prozent der Gesamtauflage. Der Löwenanteil der Werbeeinnahmen ist schon lange ins Digitale abgewandert. Immer mehr Verlage setzen auf Zentralredaktionen und entlassen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bislang vor Ort berichtet haben. Der letzte Medienkonzentrationsbericht der KEK spricht Bände. Eine derartige Marktkonzentration bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Medien- und Meinungsvielfalt. Staatsministerin Grütters ist dies in ihrem Bericht nicht einmal eine Fußnote wert.
Journalistische Arbeit ist im klassischen Verlagswesen und online chronisch unterfinanziert. Wir brauchen dringend ein Konzept für eine staatsferne Medienvielfaltsförderung, die in erster Linie kleinen und unabhängigen Medienanbietern auf lokaler und regionaler Ebene zugutekommt.
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Deshalb fordern wir als einen Baustein der Medienvielfaltsförderung die Anerkennung der Gemeinnützigkeit für den Journalismus in der Abgabenordnung. Ein solches Konzept fehlt der Bundesregierung. Historischen Vertrieb mit fragwürdigen Mitteln zu fördern, ist keine Lösung. Das gilt auch für die Überlegung, „für die Anbieter werbefinanzierter gebündelter Medienangebote im Internet einen dezidierten urheberrechtlichen Integritätsschutz zu schaffen“. So heißt es in Grüttersʼ Bericht. Damit will die Bundesregierung Adblockern den Garaus machen. Das heißt faktisch, den Usern wird die Hoheit über den eigenen Bildschirm entzogen.
Der einzige Ansatz zur Medienvielfaltssicherung im Bericht ist die Einrichtung eines Medieninnovationsfonds. Es bleibt offen, ob Monika Grütters, die an dieser Stelle keinerlei Zuständigkeit hat, die Ministerpräsidenten der Bundesländer bereits von ihrem Vorschlag überzeugt hat.
Wir brauchen einen Medien- und Kommunikationsbericht, ja, öfter und aktueller. Unklar bleibt, warum SPD und Union unseren entsprechenden Antrag im Ausschuss für Kultur und Medien noch abgelehnt haben, dies jetzt aber in ihrem Entschließungsantrag genau so fordern.
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Was wir brauchen, sind bessere Daten, vor allem aber substanzieller Inhalt und politische Ideen. Daran mangelt es dieser Regierung heftig. Es gibt noch viel zu tun.
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Vielen Dank, Margit Stumpp. – Nächste Rednerin: Yvonne Magwas für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass wir zur Kernzeit im Plenum den Medien- und Kommunikationsbericht besprechen. Das unterstreicht auch die Wichtigkeit des Themas.
Ja, der Medien- und Kommunikationsbericht gibt einen guten Überblick über die aktuellen Herausforderungen unseres Mediensystems und wie man dessen wesentliche Grundzüge, nämlich die Medien- und Meinungsfreiheit, den fairen Wettbewerb und die Vielfalt der Medien, in einer immer komplexeren, digitalen und konvergenten Medienwelt sichert.
Ja, aus unserer Sicht setzt der Bericht wichtige und richtige Schwerpunkte. Es geht um das Vorgehen gegen Hassrede, gegen Cybermobbing und Desinformation in sozialen Netzwerken, und es geht um die Sicherung des Zugangs zu öffentlicher Kommunikation. Die Bundesregierung macht hier sehr klar deutlich, dass soziale Netzwerke und Plattformen stärker in die Verantwortung genommen werden und Anreize für ein vielfältiges Medienangebot geschaffen werden müssen. Ja, das unterstützen wir als Fraktion, und das ist auch richtig so.
Wir schauen aber auch auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches wir 2017 eingeführt haben. Es ist ein wichtiges Instrument gegen die Verbreitung strafbarer Inhalte auf sozialen Plattformen, gegen Hass und Hetze im Internet. Einer Umfrage von „Report München“ zufolge kommt es zum Beispiel bei weiblichen Bundestagsabgeordneten zu erschreckenden Ergebnissen: 87 Prozent wurden bereits Ziel von Hass und Bedrohung im Netz. Einige gaben an, nahezu täglich damit konfrontiert zu sein. In 57 Prozent der Fälle sind es sexistische Anfeindungen. Problem ist jedoch, dass bei zwei Dritteln die Verfahren eingestellt wurden, andere liegen seit Jahren auf Eis. Ein besonders abscheuliches Beispiel für Hass im Netz ist der rechtsextreme Anschlag in Halle. Er zeigt, dass aus Hassrede Taten werden können. Unser Rechtsstaat muss hier dringend klare Antworten finden. Wir begrüßen daher auch die Initiative unserer Rechtspolitiker. Die Anhörung im Rechtsausschuss hat sehr deutlich gezeigt, dass eine engere Zusammenarbeit der Netzwerkbetreiber mit den Strafverfolgungsbehörden dringend notwendig ist.
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Ein wichtiges Thema ist auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk. In Zeiten von Fake News, Desinformation und Populismus trägt der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen bei. Ja, wir stehen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Für den verbesserten Rückhalt, auch in der Bevölkerung, bedarf es klarerer Strukturen und eines klar definierten Auftrags. Wir begrüßen daher auch die Initiative der Länder, die den notwendigen Reformprozess zur Struktur und zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Gang gebracht hat.
Um die Bedeutsamkeit des Medien- und Kommunikationsberichtes zu unterstreichen, haben wir als Koalition einen Entschließungsantrag auf den Weg gebracht; Kollege Rabanus hat schon wesentliche Punkte genannt. Ja, es geht um den Schutz von Journalistinnen und Journalisten. Darum setzen wir uns auch für die Berufung eines UN-Sonderbeauftragten ein. Das haben wir festgeschrieben. Aber es geht auch um das Thema Medienkompetenz, und zwar in jedem Alter, bei jungen Menschen, aber auch bei älteren Menschen. Medienkompetenz ist für alle Generationen eine Voraussetzung, um digitale Medien und Programme sinnvoll zu nutzen.
Wir halten es zudem für wichtig, dass die Marktmächtigen und für die öffentliche Kommunikation entscheidenden Medienintermediäre stärker als bislang reguliert werden. Es ist deshalb wichtig, mit den Ländern über eine Weiterentwicklung des Medienkonzentrationsrechtes ins Gespräch zu kommen. Kollege Rabanus, ich pflichte Ihnen bei: Es wäre schön, wenn wir in kürzeren Zeitabständen hier im Hohen Haus über dieses Thema diskutieren, und zwar wieder zur Kernzeit; denn es geht um einen fairen Wettbewerb, es geht um Meinungsfreiheit, es geht um die Vielfalt der Medien, es geht um unsere Demokratie.
In diesem Sinne: Recht herzlichen Dank und allen ein schönes Wochenende.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Magwas. – Nächste Rednerin: Saska Esken für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Eine Kollegin hat es gesagt: Fünf Jahre sind in der Medien- und Kommunikationswelt eine sehr lange Zeit. – Es wäre unsere Aufgabe, wesentlich regelmäßiger darauf zu schauen, ob unsere Regeln und Gesetze den aktuellen Entwicklungen eigentlich noch gerecht werden, auch darüber hinaus zu schauen, wie wir es in der Enquete-Kommission KI auch mit Blick auf Medien und Kommunikation tun. Das ist dringend notwendig.
Medien beleuchten und begleiten als vierte Gewalt das Handeln von Politik. Das tun sie kritisch. Das ist auch richtig so. Sie sind damit einer der wichtigsten Pfeiler unserer Demokratie. Mit der Digitalisierung sind neue Formen des journalistischen Arbeitens und der Veröffentlichung entstanden, aber auch neue Wege der Informationsbeschaffung. Meine drei erwachsenen Kinder schalten nicht um 20 Uhr den Fernseher ein, um sich bei der „Tagesschau“ über das Weltgeschehen zu informieren. Sie haben nicht mal einen Fernseher. Sie informieren sich und sie bilden ihre Meinung, wann und wo sie wollen: auf Blogs und Webseiten, auf Twitter und Facebook, auf Instagram oder auf YouTube-Kanälen, aber auch und natürlich bei den digitalen Angeboten der klassischen Medien. Die Medienwelt ist also sehr vielfältig geworden.
Außerhalb der Fachpolitik war diese Vielfalt bis vor Kurzem kein Thema. Der YouTuber Rezo hat uns mit seinem Video kurz vor der Europawahl noch einmal aufgerüttelt. Er hat gegen die Politik der CDU – ja, auch der SPD – gewettert und damit medial für viel Furore gesorgt. Dahinter war ziemlich viel Feuer. Viele sind sich erst jetzt bewusst geworden, dass auch Onlineangebote wie YouTube-Kanäle eine legitime und ernstzunehmende Quelle von Informationen und zur Meinungsbildung sein können. Es ist, glaube ich, gut, dass diese Botschaft angekommen ist, auch wenn die Reaktionen teils verstörend waren.
Die CDU-Vorsitzende beklagte sich über Meinungsmache vor Wahlen. Ich frage mich schon, wie sie bisher den eigenen Wahlkampf eingeordnet hat. Meinungsmache vor Wahlen ist eigentlich eher etwas Normales. Es war plötzlich die Rede von einer neuen Informationsordnung. Da klopft ein bisschen das Neuland an die Tür.
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Die Anerkennung und die Wertschätzung der klassischen Medien als Informationsquelle haben unter anderem damit zu tun, dass bei der Berichterstattung journalistische Grundsätze eingehalten werden, Fakten und Wahrheitsgehalt von Beiträgen, die Sorgfalt bei der Recherche, der Quellenschutz. Für Presse und Rundfunk gibt es Selbstregulierungs- und Aufsichtsgremien, die solche Standards vorschreiben und die deren Einhaltung überprüfen helfen. Im Pressekodex sind solche Grundsätze festgehalten. Öffentlich-rechtliche Medien haben obendrein eine besondere Sorgfaltspflicht.
Für neue Onlinemedien wie YouTube-Kanäle gibt es aber bisher keine vergleichbaren Standards. Ich finde es deshalb lobenswert, dass sich Rundfunkkommissionen der Länder aktuell darüber Gedanken machen, wie solche Regeln für sogenannte Telemedien aussehen könnten und welche Onlineinhalte darunterfallen sollen. Onlinemedien, die geschäftsmäßig regelmäßig Nachrichten und politische Informationen publizieren, sollen anerkannte journalistische Grundsätze einhalten. Auch Blogs und Videokanäle sollen nicht als Nachrichtenangebot getarnt daherkommen und dann eigentlich nur Meinungen oder gar Desinformationen verbreiten. Klar ist aber auch: Rezo würde nicht darunterfallen – Klagemauer TV schon.
Klar ist darüber hinaus: Wir müssen dem Presse- und Medienrecht zwar Leitlinien geben, aber wir müssen Zurückhaltung üben. Wir können froh sein, dass in Zeiten, in denen Tageszeitungen und lineares Fernsehen den Gewohnheiten vieler Bürger nicht mehr entsprechen, neue Formen des Journalismus entstehen können, in neuen Umfeldern, die die Bürger auch erreichen.
Ebenso klar muss aber auch sein: Presse- und Meinungsfreiheit sind sehr hohe Güter. Wir als Politik müssen wieder lernen, uns mit Kritik argumentativ auseinanderzusetzen oder auch einmal einzuräumen, dass sie recht hat, anstatt uns in der großen Mehrheit, zum Beispiel der gar nicht mehr so Großen Koalition, zu verstecken und womöglich überall Gesetze gegen Kritik zu erlassen, die auf eine Einschränkung der Meinungsfreiheit hinauslaufen. Das wäre nicht empfehlenswert.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Saskia Esken. – Letzter Redner in dieser Debatte: Nikolas Löbel für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Vorredner haben darauf hingewiesen, dass seit dem letzten Medien- und Kommunikationsbericht schon einige Zeit, zu viel Zeit, ins Land gezogen ist; aber was lange währt, wird endlich gut.
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Frau Staatsministerin Grütters hat schon einmal in einer Fragestunde verdeutlicht, warum dies so ist. Die Entwicklung der technischen und medialen Möglichkeiten schreitet derart schnell voran, dass die große Fülle an Aspekten dieser sich stets wandelnden Medienlandschaft, die man behandeln könnte und müsste, gar nicht berücksichtigt werden kann. Darum sollte es auch nicht gehen. Es zählt die Qualität.
Daher widmet sich der Medien- und Kommunikationsbericht 2018 den drängendsten Fragen unserer Tage. Mit den Veränderungen in der Medien- und Kommunikationslandschaft haben die Anforderungen an Politik in den vergangenen zehn Jahren erheblich zugenommen. Hate Speech, Fake News, Cybermobbing, Hetze – die Liste der Beispiele ist lang, und viele von Ihnen sind schon darauf eingegangen.
Der Medien- und Kommunikationsbericht ist auch daher so gelungen, weil man das als eines der drängendsten Probleme in der medialen Welt zu einem seiner drei Schwerpunkte gemacht hat. Wir haben leider erst kürzlich in Halle wieder gesehen, wie aus niedergeschriebenen Wörtern Taten werden können. Die Radikalisierung des Täters fand offenbar zu einem erheblichen Teil auch vor dem Bildschirm statt. Dort drangen scheinbar gefährdende Inhalte ungefiltert in die Geisteswelt des Täters ein. Der Verbreitung derartiger Inhalte dürfen wir nicht tatenlos zusehen.
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Wir sehen dabei ganz klar Intermediäre, also Google, Facebook und Co, in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich keine gefährdenden oder gegen Menschen gerichteten Inhalte auf ihren Plattformen befinden. Dabei kommt eben dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz seit 2017 eine besondere Rolle zu. Darauf wurde bereits eingegangen.
Als Außenpolitiker möchte ich an dieser Stelle explizit auf die Stärkung der Deutschen Welle Bezug nehmen, die im letzten Jahr ihr 65-jähriges Jubiläum feierte. Gerade die Steigerung des finanziellen Budgets auf das Niveau der Auslandssender der großen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist sehr zu begrüßen. Der Haushalt der Deutschen Welle ist im Zeitraum von 2013 bis 2018 von etwa 277 Millionen Euro auf rund 326 Millionen Euro angewachsen. Das sind 49 Millionen Euro mehr innerhalb von fünf Jahren. Ich glaube, das hat sich auch gelohnt.
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Die Deutsche Welle kann auf eine erhebliche Steigerung ihrer Nutzerzahlen in den letzten Jahren verweisen. Weltweit erreicht die Deutsche Welle aktuell 197 Millionen wöchentliche Nutzerkontakte. 2018 waren es noch 162 Millionen pro Woche. Bis 2021 soll die wöchentliche Nutzerzahl sogar auf 210 Millionen gesteigert werden. Das arabische Angebot war 2018 dabei für mehr als ein Drittel der Onlinereichweite der Deutschen Welle verantwortlich. Das zeigt: Die Deutsche Welle ist wichtig. Sie ist die Stimme Deutschlands in der Welt und hat ganz bewusst eine besondere Bedeutung.
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Sie dient nicht nur der Verbreitung objektiver Nachrichten, sondern auch der Vermittlung unserer Werte und Überzeugungen. Es ist wichtig, dass unsere Werte wie Toleranz, Freiheit und Demokratie immer wieder thematisiert werden; denn in vielen Ländern der Welt sind diese Werte aktuell in Gefahr. Die Beiträge der Deutschen Welle stehen für Verlässlichkeit, für Objektivität. Es gilt, diesen guten Ruf weiterhin auszuweiten und auch künftig für eine entsprechende Reichweite der Deutschen Welle in der Welt zu sorgen.
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Damit diese objektive Berichterstattung gewährleistet werden kann, brauchen wir einen internationalen Einsatz für unabhängigen Journalismus. Die Forderung der Schaffung eines hauptamtlichen UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten begrüßen wir daher explizit. Dem schließen wir uns an.
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Ich komme – –
Sie kommen jetzt zum Schluss.
Ich komme jetzt zum Schluss.
Ja.
Der Medien- und Kommunikationsbericht 2018 stellt somit eine geeignete Grundlage dar, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen und die Fragen der Zukunft in diesem Bereich mit den richtigen Antworten zu versehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Uns allen ein schönes Wochenende.
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Vielen herzlichen Dank, Nikolas Löbel von der CDU/CSU-Fraktion. – Damit schließe ich die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder, könnte man sagen, legt die Fraktion Die Linke Anträge zur Umsiedlung aller Bundesministerien von Bonn nach Berlin vor, und immer wieder aufs Neue – ich vermute auch heute – wird der Bundestag diese Anträge ablehnen.
Das Berlin/Bonn-Gesetz bietet aus meiner Sicht einen sicheren Rahmen, in dem wir uns bewegen. Man könnte es durchaus als Strukturpolitik verstehen, was damals vor beinahe 30 Jahren auf den Weg gebracht wurde, um sicherzustellen, dass Bonn dauerhaft Behörden in der eigenen Stadt hat, Beschäftigten eine Arbeit geben und gute Jobs anbieten kann.
Wenn man sich anschaut, wie sich die Immobiliensituation in Berlin in den letzten Jahren entwickelt hat, dann muss man ganz realistisch sagen, dass erhebliche Kosten damit verbunden wären, neue Behördenstandorte hier in Berlin zu schaffen. Es würde gewaltige Kosten verursachen, neu zu bauen und umzuziehen. Es ist fraglich, ob die reine Effizienz sinnvoll in den Blick genommen werden könnte in der Argumentation, warum jetzt endlich alle Behörden von Bonn nach Berlin umziehen müssten. Schließlich setzen Sie sich selbst in Widerspruch, wenn Sie auf der einen Seite die Verlagerung von Behörden aus Berlin, aus den großen Städten heraus in die Fläche verlangen, aber auf der anderen Seite alles in Berlin konzentrieren wollen.
Zu den anderen Anträgen. Ja, es gibt Defizite bei der Verteilung von Bundesbehörden in den neuen Ländern. Ja, wir haben in den Bundesbehörden zu wenige Ostdeutsche in Spitzenpositionen und in Führungsverantwortung. Klar ist aus meiner Sicht, dass überall dort, wo Bundesbehörden vor Ort in der Fläche präsent sind, Jobs angeboten werden, sodass diejenigen, die in den neuen Ländern wohnen, tatsächlich partizipieren und einen Arbeitsplatz bei einer Bundesbehörde finden können. Den größten Vorteil bilden aus meiner Sicht nicht die Spitzenjobs, sondern die Jobs, die in der Fläche des Landes angeboten werden, auch und gerade in den neuen Bundesländern. Es ist aus meiner Sicht deswegen viel wichtiger, sich darum zu kümmern, den Rückstand bei den Behördenansiedelungen in den neuen Bundesländern aufzuholen.
Wenn Die Linke mit Verweis auf Artikel 36 Absatz 1 Grundgesetz die Einführung einer Ostquote fordert, dann verkennt sie, obwohl das hier schon mehrfach ausgeführt wurde, dass Artikel 36 nicht einen individuellen Anspruch generiert, sondern dass er, schon aus der Weimarer Republik stammend, sicherstellen sollte, dass die Bundesländer einen fairen Anteil an der bundesstaatlichen Verteilung haben.
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Das wird heute sichergestellt durch die Konstruktion des Bundesrates, wo die Bundesländer ihre Rechte, ihre Belange in der Bundespolitik geltend machen können.
Wenn man Artikel 36 Grundgesetz Absatz 1 und Absatz 2 richtig liest, dann sieht man, dass es – wie im gesamten verfassungsrechtlichen Gefüge unseres Landes – nicht Ostdeutschland als verfassungsrechtliches Konstrukt gibt, sondern Bundesländer.
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Konsequenterweise müssten Sie eine Bundesländerquote fordern und keine Ostquote.
Wenn man auf Artikel 36 Absatz 2 schaut, dann stellt man fest, dass dort sogar etwas von „landsmannschaftlichen Verhältnissen“ steht. Wenn Sie die Verfassung ernst nähmen, dann könnten Sie es auf die Spitze treiben und fordern, dass auch Landsmannschaften berücksichtigt werden, etwa die Sorben. Oder Sie müssten sich entscheiden, ob es eine extra Quote für Thüringer oder für bayerische Franken geben soll.
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Das zeigt schon, dass das ein ganz problematisches Ansinnen ist, das juristisch und praktisch kaum einer vernünftigen Abgrenzung zugänglich ist.
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Meine Damen und Herren, ich will gar nicht bestreiten, dass die Quote von Ostdeutschen in Bezug auf die Repräsentation in Führungspositionen unbefriedigend ist. Das ist auch aus Sicht der obersten Bundesbehörden unbefriedigend, weil damit das Know-how, das Wissen in den Bundesländern, bislang nicht in der Weise genutzt wird, wie es genutzt werden könnte. Da ist noch Luft nach oben; da ist noch Potenzial.
Zur Wahrheit gehört auch, dass es Gründe für diese Situation gibt. Vor 30 Jahren gab es im Zuge der Friedlichen Revolution und mit dem Aufbau der Verwaltung in den neuen Bundesländern den ausdrücklichen Willen, einen Elitenwechsel auch in den Verwaltungen herbeizuführen. Das ging nur mit gut ausgebildeten, weit überwiegend jungen Menschen aus dem Westen, die auch heute noch dort arbeiten. Wir werden aber in den nächsten zehn Jahren erleben, dass etwa 60 Prozent aller Beschäftigten in den Verwaltungen, in den Behörden in den neuen Bundesländern in den Ruhestand gehen. Dann besteht die Chance, aber auch die Verantwortung, junge Nachwuchsführungskräfte zu gewinnen, um sie auf Topjobs zu setzen. Damit können wir eine entsprechende Repräsentation der gesamten Bevölkerung in den Blick nehmen.
Vielleicht, liebe Kollegen von den Grünen, sorry, von den Linken,
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sollten Sie sich an die eigene Nase fassen, wenn es um die Verantwortung geht, dort tätig zu werden, wo man es selber kann. In Thüringen ist die Situation so, dass es dort einen Spitzenkandidaten aus den alten Bundesländern gibt und dass 7 von 12 Staatssekretären aus dem Westen sind. Das zeigt, dass Sie selbst nicht ernst nehmen, was Sie hier mit großem Klamauk veranstalten.
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Ja, die Beschlüsse der Föderalismuskommission aus dem Jahr 1992 harren immer noch der Umsetzung, die wir uns wünschen würden. Es ist nicht genug getan worden, insbesondere ab den 2000er-Jahren. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass gerade diese Bundesregierung in den letzten zwei Jahren sehr viel angestoßen hat, dass wir uns auf einem guten Weg befinden, etwa mit der Ansiedlung des Kompetenz- und Informationszentrums Wald und Holz, mit dem neuen Strafsenat in Leipzig, mit der Agentur für Disruptive Innovationen in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien, mit einem Ausbildungszentrum für den Zoll, mit allen fünf Zukunftszentren zur Bewältigung der digitalen Transformation und als jüngstes Beispiel mit der Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen und mit der jetzt anstehenden Gründung der Bundesstiftung für Engagement und Ehrenamt.
Ich glaube, wir befinden uns auf dem richtigen Weg, obwohl wir durchaus noch mehr tun können und – ich sage ganz klar – auch tun müssen. Diese Legislaturperiode bietet noch Gelegenheit dazu. Der Bund hat die Chance – er wird sie mit Sicherheit auch umsetzen –, in den nächsten zwei Jahren Behördenansiedlungen und Jobs aus Bundesbehörden heraus in die Fläche der neuen Bundesländer zu verlegen.
Es ist mir in diesem Zusammenhang auch wichtig, deutlich zu machen, dass das keine ausschließliche Aufgabe des Bundes ist. Vielmehr haben bei der Kompetenzverteilung auch die Länder eine eigene Verantwortung. Zur Flächenverteilung von Behörden, auch von Landesbehörden, sage ich ganz klar: Auch die Länder müssen dazu beitragen, in die Fläche der Länder hinein die Repräsentanz des Staates sicherzustellen. Man kann sich ein Beispiel nehmen an den Bayern, die über viele Jahre Strukturpolitik mit der Ansiedlung von Behörden, von Universitäten und von Instituten betrieben haben. Man sieht, dass das positive Effekte hat.
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Sie sehen: Es bedarf nicht der Anträge der Opposition, damit wir uns um die wichtigen Themen kümmern. Das haben wir in den letzten anderthalb Jahren aus meiner Sicht getan. Es hilft nicht, mit Anträgen einfach nur eine Quote zu fordern. Das ist alles nur Augenwischerei. Das soll immer wieder den Mythos vom armen, benachteiligten Ossi betonen. Ich glaube, wir haben allen Anlass, stolz auf das Erreichte zu sein. Wir haben gerade jetzt in den Jubiläumsjahren, 30 Jahre Friedliche Revolution und deutsche Einheit, die Situation, dass das, was Artikel 33 Grundgesetz besagt, nämlich dass wir die Mitarbeiter nach dem Leistungsprinzip aussuchen, die Chance, dass junge Ostdeutsche in Führungsverantwortung kommen, verbessert, und zwar mehr als je zuvor.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Christian Hirte. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Anton Friesen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Bürger! „Neue Bundeseinrichtungen und ‑institutionen sind grundsätzlich in den neuen Ländern anzusiedeln.“ Eine „annähernd ausgewogene Verteilung von Bundeseinrichtungen und ‑institutionen über alle Länder“ soll erreicht werden. – Klingt aktuell, oder? Tatsächlich sind es Zitate aus der Beschlussempfehlung des Ältestenrates zu den Vorschlägen der Unabhängigen Föderalismuskommission vom 27. Mai 1992. Da war Deutschland noch nicht einmal zwei Jahre wieder einig Vaterland. Jetzt sind es schon fast 30.
Aber auch fast 30 Jahre nach der Wende haben Sie, die hier schon länger Regierenden, die vom Bundestag 1992 angenommenen Beschlussempfehlungen immer noch nicht umgesetzt. Mehr als symbolisch hierfür ist, dass 90 Prozent aller Bundesbehörden – 90 Prozent – ihren Hauptsitz im Westen haben. Nur ganze 10 Prozent verteilen sich über die ostdeutschen Flächenländer. Durchschnittlich kommen in Deutschland 2,3 Bundesbeschäftigte pro 1 000 Einwohner, in Sachsen sind es dagegen nur 0,9, in Thüringen sogar nur 0,7. Damit ist Thüringen auf dem letzten und Sachsen auf dem vorletzten Platz.
In den Jahren 2014 bis 2017 wurden 23 neue Bundeseinrichtungen inklusive der außeruniversitären Forschungseinrichtungen gegründet. Nur ganze drei davon kamen nach Ostdeutschland. Daran ändert auch Ihr neuer Aktionismus rein gar nichts, Herr Hirte. Sie hatten 30 Jahre Zeit.
Gerade in Zeiten wachsender Entfremdung zwischen Ost und West brauchen wir neue Bundesbehörden vor Ort, damit sich die Menschen bei uns in den neuen Bundesländern nicht als Bürger zweiter Klasse fühlen, denen man wie sitzengebliebenen Schülern erklärt, was Demokratie ist und was Meinungsfreiheit bedeutet. Glauben Sie mir, die Mutbürger im Osten wissen es besser; sie waren es, die durch friedliche Massendemonstrationen das SED-Regime zum Sturz gebracht haben.
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Bundesbehörden vor Ort bringen neue Arbeitsplätze, sie stärken die regionalen und lokalen Wirtschaftskreisläufe, und sie sind auch und gerade ein Signal an die strukturschwachen Regionen: Wir, die Bundesrepublik Deutschland, geben euch nicht auf. – Auch die Bundeshauptstadt profitiert übrigens davon. Der überhitzte Wohnungsmarkt wird entlastet, und die Mieten sinken wieder. Nicht zuletzt wird damit der soziokulturellen und ideologischen Berliner Filterblase vorgebeugt. Vor Ort lernen die Bundesbeamten das andere, das ländliche Deutschland kennen und die ganze Vielfalt unseres Landes.
Andere föderal verfasste Staaten machen Deutschland vor, was geht, wenn der politische Wille da ist:
In Österreich hat die damalige schwarz-blaue Regierung unter anderem das Umweltbundesamt von Wien nach Klosterneuburg verlegt und das Bundesamt für Wasserwirtschaft von der Hauptstadt nach Scharfling am Mondsee in Oberösterreich.
In den Vereinigten Staaten haben die Republikaner einen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsieht, 90 Prozent der Bundesbeamten bis 2023 aus Washington, D. C., raus aufs Land zu verlegen. Bereits jetzt wurden zwei wichtige Forschungseinrichtungen des Landwirtschaftsministeriums von Washington nach Kansas City umgesiedelt.
Anstatt Kommissionen zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse einzusetzen, stellen Sie diese Gleichwertigkeit doch endlich her. Untersuchungen und Studien gibt es genug, und das Grundgesetz spricht eine ganz klare Sprache: Artikel 20, Artikel 72 Absatz 2 und Artikel 106 Absatz 3 Satz 4 Nummer 2 drücken ganz klar die Verpflichtung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im ganzen Bundesgebiet aus.
Wie wäre es also, wenn wir eine neue Bundeshochschule zum Beispiel in Thüringen einrichten? Thüringen verfügt bislang mit dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt nur über eine einzige oberste Bundesbehörde mit vergleichsweise geringem Personalbestand. Zudem gibt es bei uns in den neuen Bundesländern überhaupt keine einzige Bundeshochschule. Dabei haben wir beste Ausgangsbedingungen. Allein durch die Zugstrecke der deutschen Einheit hat man eine wunderbare Zugverbindung. Man ist in 1 Stunde und 45 Minuten von der Bundeshauptstadt in der Landeshauptstadt angelangt, und zwar ohne Umstiege. Außerdem gibt es vor Ort einen wunderbaren, aber regional wenig ausgelasteten internationalen Flughafen Erfurt-Weimar.
Aber auch andere Städte in Thüringen wie zum Beispiel Suhl bieten eine gut ausgebaute Infrastruktur, bieten wunderbare Veranstaltungsräumlichkeiten, die in Deutschland zur Spitzenklasse gehören. Zudem würde eine Bundeshochschule in Suhl junge Menschen in eine Stadt holen, die das höchste Durchschnittsalter Deutschlands hat und massiv von Überalterung betroffen ist.
Auch in anderen Regionen gibt es gute Standortbedingungen. In Nordthüringen gibt es durch die traurige Tatsache der Deindustrialisierung genügend Bauland. Des Weiteren hat die Bundeswehr durch ihren Rückzug aus dieser Region leerstehende Kasernen und auch andere Objekte hinterlassen, die durch Bundesbehörden genutzt werden können. Mit dem Zug erreicht man Mühlhausen von Berlin kommend in nur drei Stunden. Zum Vergleich: Nach Bonn ist man mindestens fünf Stunden unterwegs.
Es wurde schon zu viel debattiert und zu wenig getan. Deswegen fordern wir als AfD mit dem Schriftsteller Goethe:
Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehn!
Zu guter Letzt möchte ich das vielleicht Wichtigste erwähnen: Allen Thüringern, die diese Freiheit, die diese Demokratie mit erkämpft haben, möchte ich ganz herzlich zum heutigen Tag der Thüringer Verfassung gratulieren.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Anton Friesen. – Nächste Rednerin: Sonja Amalie Steffen für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Ja, jetzt geht es in der Tat um Ostdeutschland, und das ist gut so. Allerdings sind die Anträge, zu denen ich jetzt Stellung nehmen werde, nicht nur gut. Ich sage Ihnen auch, warum: Die Linksfraktion will mit ihrem Antrag eine Ostquote in Bundesbehörden durchsetzen. Außerdem will sie die schnellstmögliche Verlagerung aller Bundesministerien von Bonn nach Berlin. Und die AfD-Fraktion fordert die Verlagerung von Bundesbehörden in die neuen Bundesländer. – Aber der Reihe nach.
Ich beginne mit der Ostquote in Bundesbehörden: Uns liegen Zahlen des Bundesinnenministeriums vor. Danach sind von 1 750 Referatsleitern und Referatsleiterinnen in den Bundesministerien und dem Bundeskanzleramt 217 in Ostdeutschland geboren. Das ist ein Anteil von 12 Prozent, wobei der Anteil der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung 17 Prozent beträgt. Bei den Abteilungsleitern sieht die Zahl schon schlechter aus: Von 121 Abteilungsleitern sind nur 3 in Ostdeutschland geboren.
Ich stelle dazu zwei Dinge fest:
Erstens. Bei den Abteilungsleitern sieht es in der Tat nicht gut aus, bei den Referatsleitern schon etwas besser; es könnte aber auch hier besser sein.
Zweitens will ich aber die Argumentation des Antrags der Linken etwas relativieren. Der Antrag besagt: Ostdeutschland stellt 17 Prozent der Gesamtbevölkerung; deshalb sollen auch 17 Prozent der Beamten in den Bundesministerien in Ostdeutschland geboren sein. – Ja, aber bekanntlich hat der Mauerfall dazu geführt, dass viele Menschen von Ost nach West und viele Menschen von West nach Ost gezogen sind; denn wir sind jetzt ein Land, und alle Menschen genießen Freizügigkeit. In Ostdeutschland leben also viele Menschen, die nicht in Ostdeutschland geboren sind, und in Westdeutschland leben viele Menschen, die nicht in Westdeutschland geboren sind. Deshalb, liebe Linke, hinkt die Argumentation.
Das führt uns zu einer Frage, die wir hier schon oft erörtert haben: Wer ist denn heutzutage, 30 Jahre nach dem Mauerfall, eigentlich Ostdeutscher, und wer ist Westdeutsche? Sicher, es gibt klare Fälle; aber es gibt auch ganz viele Zweifelsfälle. Was ist entscheidend? Der Geburtsort, auch wenn man dort kaum gelebt hat? Der Schul- oder Ausbildungsort? Der am längsten genutzte Wohnort, der letzte Wohnort oder vielleicht der Ort, in dem man verbeamtet wird? Das können wir für sehr viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr juristisch definieren. Ich finde, es ist ein großes Glück, dass das so ist.
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Es ist beispielsweise für mich ein großes Glück, dass ich vor mehr als 20 Jahren vom Rheinland nach Ostdeutschland, nämlich ins wunderschöne Stralsund, gezogen bin. Das ermöglichte es mir, heute hier einen der schönsten Wahlkreise Deutschlands zu vertreten. Meine älteste Tochter ist in Bergisch Gladbach geboren. Als sie vier Jahre alt war, sind wir nach Stralsund gezogen. Bedeutet das, dass sie Ostdeutsche ist, oder ist sie juristisch Westdeutsche? Meine beiden weiteren Töchter sind in Stralsund und in Demmin geboren. Die wären dann wahrscheinlich am ehesten Ostdeutsche. Und schließlich die Kanzlerin, die übrigens auch meine Wahlkreiskollegin ist: Sie ist in Hamburg geboren. Nach ihrer Definition wäre sie Westdeutsche. – Wir sehen: Die Geburtsortsstatistik ist eine zweifelhafte Grundlage für die Diskussion heute.
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Meine Damen und Herren, Artikel 36 des Grundgesetzes, auf den Sie sich berufen, verlangt, dass bei den obersten Bundesbehörden Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden sind. Bei der Umsetzung dieser Bestimmung gehen die Behörden nicht nach dem Geburtsort vor. Das heißt also, eine Beamtin aus Rheinland-Pfalz wird Rheinland-Pfalz zugeordnet, auch wenn sie in Ostberlin geboren ist. Genauso wird ein Bewerber, der in Erfurt lebt, Thüringen zugeordnet, auch wenn er in Bonn geboren ist.
Die Linken sagen jetzt: Das mit dem Artikel 36 des Grundgesetzes ist ein riesengroßes Problem, und das muss behoben werden. – Wir stellen aber fest: Artikel 36 des Grundgesetzes ist ein Artikel, über den das Bundesverfassungsgericht tatsächlich noch nie etwas gesagt hat. Warum ist das so? Weil es noch nie ein Bundesland gegeben hat, das den Bund verklagt hat, da Artikel 36 nicht ordentlich umgesetzt worden sei. Die Bundesländer wären aber die einzig möglichen Kläger; denn nur ihre Interessen sollen geschützt werden.
Übrigens, an die Linke-Fraktion gerichtet: Bodo Ramelow ist bis heute nicht zum Bundesverfassungsgericht gezogen, damit mehr Thüringer in den Bundesministerien sitzen.
Also, so schlimm steht es um den Artikel 36 des Grundgesetzes nicht. Eine Ostquote, wie sie der Fraktion der Linken vorschwebt, halten wir jedenfalls rechtlich für nicht umsetzbar.
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Ich könnte jetzt noch was zur Verlagerung der Bundesministerien nach Berlin sagen. Darüber konnten wir im Koalitionsvertrag keine Einigung erzielen. Das ist eine Geschichte, über die man mit Sicherheit noch diskutieren sollte und muss. Aber Sie wissen selber, dass hier die Interessenlagen sehr unterschiedlich sind.
Ich will aber noch was zum AfD-Antrag sagen. Die AfD-Fraktion möchte, dass die Bundesbehörden vorrangig in Ostdeutschland errichtet werden. Sie, Herr Friesen, haben das sehr deutlich dargestellt. Aber – jetzt kommt der Werbeblock für Bundesbehörden in Ostdeutschland – ich rede jetzt über Ostdeutschland und nicht über Österreich und nicht über die USA, Herr Friesen. Deshalb passen Sie gut auf!
In Neustrelitz wird demnächst eine wunderbare Behörde errichtet: die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Sie wird mit 80 Stellen ins Leben gerufen. In Brandenburg wird demnächst die Außenstelle des Auswärtigen Amtes mit zunächst 300 Stellen ins Leben gerufen, deren Zahl wir auf 1 000 Stellen erhöhen werden. In Erfurt werden wir ein Bundesamt für Beschaffung mit 80 Stellen errichten. In Leipzig wird es das Fernstraßenamt geben, die Agentur für Sprunginnovationen und einen neuen Senat des BGH.
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Vielleicht ist da aber auch noch Raum für eine – wie sagten Sie? – Bundeshochschule. Darüber kann man reden.
Aber wir müssen doch feststellen: Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass in Ostdeutschland Bundesbehörden errichtet werden. Dazu benötigen wir keinen AfD-Antrag.
Vielen Dank und ein schönes Wochenende!
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Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Linda Teuteberg das Wort.
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ja, dass Artikel 36 des Grundgesetzes das Anliegen dieses Antrages nicht wirklich trägt, darüber haben wir in dieser Debatte auch beim ersten Mal, als dieser Antrag beraten wurde, schon vieles gesagt. Deshalb will ich darauf gar nicht weiter eingehen; denn auch das würde davon ablenken, dass die Nennung eines Artikels unserer Verfassung die politische Diskussion über ein reales Problem sowieso nicht ersetzen kann, über einen Befund, der von Menschen wahrgenommen wird, nämlich über die Frage der Repräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen. Insofern sollten wir uns damit auch auseinandersetzen. Die öffentliche Debatte ist richtig und wichtig. Aber die Art und Weise, wie sie geführt wird, könnte Teil des Problems und nicht der Lösung sein.
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An dieser Stelle darf ein Hinweis nicht fehlen. Besonders unverfroren finde ich, dass ausgerechnet Die Linke einen Zustand beklagt, ja politisch bewirtschaftet, der ursprünglich gerade in der Bildungs- und Personalpolitik ihres Rechtsvorgängers SED wurzelt, den sie selbst geschaffen hat, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Das ist zynisch. Sie hat damit übrigens auch die Notwendigkeit eines Elitenwechsels geschaffen, den die Mehrheit der Ostdeutschen wollte.
Sosehr das auch eine positive, eine friedliche Revolution war: Heute vor 30 Jahren wies Erich Mielke die erhöhte Kampfbereitschaft und das Tragen der Schusswaffe an. Das zeigt noch mal, wer da in dieser Friedlichen Revolution auf welcher Seite stand.
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Es ist doch ein großes Glück für unser Land – das hat Frau Kollegin Steffen eben richtig angesprochen –, dass man gar nicht mehr immer genau unterscheiden kann, wer Ost- und Westdeutscher ist. Ich finde vor allem, dass es eine neue Generation Ostdeutscher gibt, die, unbeeinträchtigt von politischer Maßgabe, ihre Bildungschancen nutzen konnte und bei Bildungschancen oder Sozialisation nicht mehr von politischen Vorgaben einer Partei abhingen, meine Damen und Herren.
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Deshalb will ich gar nicht weiter in diese problematische Diskussion darüber einsteigen, wie hilfreich eigentlich der Begriff „Ostdeutscher“ ist; denn die meisten haben sich vor der Wiedervereinigung schon als Deutsche im geteilten Deutschland gefühlt und nicht als Ostdeutsche und haben an der Zusammengehörigkeit festgehalten.
Die Frage ist auch: Wie wollen wir das praktisch handhaben? Sind Westdeutsche dann, wenn sie den größeren Teil ihrer Berufstätigkeit in Ostdeutschland verbracht haben, lebenslang Westdeutsche? Oder haben die mehr als 4 Millionen Ostdeutschen, die seit 1949 die DDR verlassen haben, ihren Status als Ostdeutsche verloren? Wenn sie in den Osten zurückkehrten, dann waren sie in den Augen der Linken plötzlich Westdeutsche – eine bestechende Logik.
Aber vor allem – das ist mir besonders wichtig für unsere heutigen Debatten –: Wie will eigentlich jemand glaubwürdig für Weltoffenheit und Toleranz eintreten, der schon unter den eigenen Landsleuten vermeintliche und tatsächliche Unterschiede betont, meine Damen und Herren?
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Wollen Sie eine Art Blutsrecht der Abstammung schaffen? Oder wollen Sie auf das problematische Wohnortprinzip, das hier gerade schon erläutert wurde, abstellen? Entscheidend soll nun also die Sozialisation sein, eine diffuse, rechtlich schwer fassbare Kategorie. Wie viel Zeit des Lebens und der Berufstätigkeit in einem Teil Deutschlands soll dafür ausreichen?
Wichtig ist doch, dass wir Durchlässigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten nach Bildung und Eignung, nach Leistung und Befähigung sichern. Das ist wichtig in unserem Rechtsstaat, in unserer sozialen Marktwirtschaft – für jeden Einzelnen und für unsere Gesellschaft. Das gilt auch im Osten unserer Republik. Wir müssen das überwinden, was nur aus den genannten historischen Besonderheiten erklärt werden kann.
Wenn es darum geht, jetzt dafür zu sorgen, dass das eben kein Dauerzustand wird, sondern sich das mit neuen Generationen verändert, hilft uns weder eine Opfererzählung von struktureller Benachteiligung noch eine zweifelhafte Quote. Es ist hier auch schon gesagt worden: Die ostdeutschen Länder selbst haben ja nicht geklagt. Sie selbst haben übrigens unzureichend davon Gebrauch gemacht, ihre Bediensteten an Bundesbehörden und Bundesgerichte abzuordnen.
Natürlich kann uns der Zustand nicht dauerhaft zufriedenstellen. Wir müssen etwas tun, um die Situation zu normalisieren. Die Alternative zu einer gesetzlichen Quote lautet hier wie bei anderen Themen ja nicht, nichts zu tun. Ich würde mir wünschen, dass wir endlich genauere, und zwar aktuelle Zahlen bekommen; denn die, die hier manchmal genannt werden, sind sehr selektiv. Sie erfassen zum Beispiel in der Politik nur Mitglieder der Bundesregierung und in der Wirtschaft nur DAX-Vorstände. Die Führungspositionen sind in unserer Gesellschaft aber breiter gestreut.
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Schließlich müssen wir generell dafür sorgen, dass Bewerbungsverfahren und die Ausschreibungspraxis genau dieser Durchlässigkeit gerecht werden und eine flächendeckende durchlässige Rekrutierung aus dem ganzen Bundesgebiet sicherstellen.
Es gibt also Handlungsbedarf. Doch eine Quote wäre die falsche Therapie. Sie ist übrigens – da sind wieder beide Ränder und beide populistischen Richtungen beieinander;
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das machen sie sonst auch gerne – eine einfache Lösung für ein hochkomplexes Problem. Sie ist übrigens eine Therapie, die zurückblickt, die juristisch nicht haltbar ist und deshalb neue Enttäuschungen produzieren wird, weil sie vor Gerichten keinen Bestand hätte. Vor allem aber wird sie junge Ostdeutsche nicht ermutigen, Teil der gesellschaftlichen Führungsgruppe in unserem Land zu werden, der sie nach ihrer Fähigkeit und Eignung werden können. Da gibt es allen Anlass zu Selbstbewusstsein.
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Unter den Ostdeutschen sind nämlich einige der Besten. Aber nicht jede Generation hatte aus den genannten Gründen die Chance, die Laufbahnvoraussetzungen für Bundesbehörden und oberste Gerichte zu erwerben. Da nützt es eben nichts, Stimmungsmache vor ostdeutschen Landtagswahlen zu betreiben, wie das einige hier tun.
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Das bedeutet jetzt, dass wir die Menschen ermutigen sollten, mit Selbstbewusstsein in Bewerbungsverfahren zu gehen, dass auch ostdeutsche Landesregierungen und Landesverwaltungen eine vorausschauende, aktive Personalentwicklung betreiben sollten und dass wir nicht Diskussionen führen sollten, die Ostdeutsche noch weiter stigmatisieren. Darum geht es uns Freien Demokraten.
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Wir brauchen weitere Anstrengungen dafür, die deutsche Einheit positiv weiterzuentwickeln und zu vollenden. Die Quote ist dafür die falsche Therapie, meine Damen und Herren.
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Das Wort hat der Kollege Matthias Höhn für die Fraktion Die Linke.
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Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir uns erinnern: 1991 ging es im Deutschen Bundestag um den künftigen Sitz von Regierung und Parlament im gerade wieder geeinten Deutschland. Die Mehrheit damals für Berlin war hauchdünn. Nur 18 Stimmen haben den Unterschied gemacht: 338 waren für Berlin, 320 wollten die Amtsgeschäfte in Bonn so belassen, wie sie waren.
Ich finde, dieses knappe Ergebnis ist bis heute durchaus interessant. Während auf dem Gebiet der ehemaligen DDR im Osten der vollständige Umbau der Gesellschaft gerade erst so richtig Fahrt aufgenommen hat, wollten doch eine ganze Reihe in der alten Bonner Bundesrepublik, dass die Dinge einfach so weiterliefen, wie sie waren. Da, wo das eben nicht ging, wie bei der Frage „Berlin oder Bonn?“, setzte man eben Kompensationen durch – wie im Berlin/Bonn-Gesetz.
Wir lassen uns diesen Verbleib Tausender Beamter aller Ministerien sehr viel kosten – bis heute. Das bedeutet fast 19 000 Dienstreisen im Jahr, zwei Drittel davon klimaschädlich mit dem Flugzeug. Allein im letzten Jahr kostete den Steuerzahler die Teilung des Regierungssitzes 8,6 Millionen Euro. Das geht jetzt schon 20 Jahre so, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich finde, dass damit Schluss sein muss.
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Während im Osten beinahe kein Stein auf dem anderen blieb – es ist ja schon viel darüber geredet worden –, ist im Westen durchaus versucht worden, das ein oder andere an Privilegien zu verteidigen. Eigentlich wurde jeder Ostdeutsche – wir haben über den Elitentransfer hier schon einiges gehört – in die zweite Reihe gedrängt und musste sich beruflich und gänzlich neu erfinden. Die erste Reihe wurde frei, und zwar für Westdeutsche, die in den neuen Ländern ihre Karrieren aufbauten und die später Kollegen und Nachfolger nachzogen, die wiederum aus dem Westen kamen. Dieser Elitentransfer, der ja mittlerweile von niemandem bestritten wird, wurde zeitlich nicht begrenzt, und das war ein Fehler. Deshalb nützt die Ansiedlung von Bundesbehörden im Osten erst dann wirklich etwas, wenn dort auch Ostdeutsche arbeiten, meine sehr verehrten Damen und Herren, sowohl in der Breite als auch in der Spitze.
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Nicht nur wir im Deutschen Bundestag blicken zurzeit auf zwei zentrale Jubiläen der deutsch-deutschen Geschichte. Politik und Öffentlichkeit würdigen – und das sehr zu Recht – die historischen Leistungen der Ostdeutschen von 1989 und 1990. Aber: Keiner der Menschen, deren Entschlossenheit und deren Wille zur Freiheit wir seit 30 Jahren feiern, darf heute auch nur eine einzige Universität in Deutschland leiten, nicht im Osten und schon gar nicht im Westen. Keine der Frauen und keiner der Männer, die beispielsweise am Runden Tisch über die neue Verfassung geredet haben, steht heute einem der obersten Gerichte in einem ostdeutschen Bundesland vor – die Reihe ließe sich fortsetzen –, niemand von den damals 16 Millionen Männern und Frauen aus der DDR. Das ist eigentlich schwer zu begreifen, und es ist nicht akzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Deswegen gibt es von uns die Forderung an die Bundesregierung, aktiv zu werden. Die Bundesregierung muss den Ostdeutschen die Frage beantworten, warum sie Einzigartiges und Besonderes in der deutschen Geschichte zu leisten vermochten – das stellt niemand infrage –, aber es im vereinten Deutschland kaum an die Spitze schaffen. Dieses Ungleichgewicht belastet das Versprechen der Demokratie auf Freiheit und Gleichheit. Und wenn Demokratie unglaubwürdig ist, dann wird sie leider auch infrage gestellt. Die Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs ist eben auch eine Machtfrage. Das ist sie zwischen Mann und Frau, das ist sie zwischen Ost und West, das ist sie zwischen Einheimischen und Migranten und zwischen vielen anderen Gruppen. Deswegen haben wir eine so hohe Zustimmung in der Gesellschaft, in der Bevölkerung bei Quotenregelungen, nicht nur bei der Frage Ost/West, sondern natürlich auch für Frauen und beispielsweise auch für Migranten. Im Übrigen haben wir hohe Zustimmungsquoten bei Jungen wie bei Alten.
Wer die Demokratie verteidigen will, der muss deren Werte ernst nehmen. Eine Ostquote, über die auch heute wieder sehr gern und manchmal sehr absurd gestritten wird, existiert eigentlich bereits, und zwar im Grundgesetz. Lassen Sie mich den Einschub zu der immer wieder bemühten Definitionsfrage machen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, solange Sie ohne Zögern in der Lage sind, mir bei der Rente ganz klar zu definieren, wer ein Ostdeutscher und wer ein Westdeutscher ist, akzeptiere ich nicht, dass Sie erklären, dass das bei Spitzenpositionen nicht definierbar ist, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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In Artikel 36 Grundgesetz heißt es wörtlich:
Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden.
Nichts anderes beantragen wir, als dass dieser Artikel 36 endlich verwirklicht wird. Das wird er nicht; das hat auch die Bundesregierung nicht bestritten. Das angemessene Verhältnis ist nicht abgebildet. Wenn Sie meinen, sich diesem Problem nicht stellen zu müssen, oder wenn sie es mit Definitionsfragen wegwischen wollen, dann seien Sie so konsequent und beantragen hier, Artikel 36 zu streichen. Das tun Sie nicht.
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Solange dieser Artikel in der Verfassung steht, bestehen wir darauf, dass er eingehalten wird, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Der letzte Erlass des Bundesinnenministeriums, der sich mit der Gewinnung ostdeutscher Beamter beschäftigt, ist von 2001; er ist also 18 Jahre alt. Und so wie die Bundesregierung 1990 und danach vieles dafür getan hat, westdeutsche Beamte in den ostdeutschen Bundesländern zu installieren, so muss sie jetzt endlich auch etwas dafür tun, um den Verfassungsauftrag des Staates zur Gleichbehandlung umzusetzen, auch und gerade in der Frage von Spitzenfunktionen. Es ist Ihre Aufgabe, Ostdeutsche dort zu fördern, wo die Bundesregierung beamtenrechtlichen Zugriff hat. Das wäre in der Tat nur ein erster Schritt, aber den sollten wir gehen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Steffi Lemke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ein Problem – das wurde von meinen Vorrednern hinreichend beschrieben; ich will aufgrund der kurzen Redezeit die Zahlen nicht wiederholen –, und dieses Problem ist gravierend, objektiv und muss behoben werden. Die Lösung, die uns die Fraktion Die Linke mit der Ostquote vorschlägt, ist allerdings nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, weil sie in die komplett falsche Richtung zeigt. Das sage ich als Vertreterin einer Partei, die für ihre obersten Bundesgremien eine Ostquote hatte: Für den Bundesvorstand der Grünen und den Parteirat galt diese und ist 2008 ausgelaufen.
Vielleicht ist das größte Problem Ihres Vorschlages, dass er schlichtweg zu spät kommt, weil er gegenwärtig keine adäquate Lösung mehr sein kann. Das beweisen Sie am allerbesten, indem Sie sich in Ihrem Antrag um eine Definition, wer Ostdeutscher ist, herumdrücken. Sie nehmen diese Definition nicht vor, weil Sie es nicht können.
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Herr Gysi hat das hier bei der Einbringung dieses Antrags damit umgangen, dass er auf den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages verwies. Wenn man in dessen Gutachten hineinschaut, merkt man die ganze Krux dieses Problems; denn der Wissenschaftliche Dienst sagt: Entweder können es Leute sein, die heute bereits älter sind als 30 Jahre – sprich: vor 1989 im Osten gelebt haben –, oder welche, deren Eltern vor 1989 für längere Zeit im Osten gelebt haben. – Das ist angesichts einer Biografie, wie sie Bodo Ramelow hat, der seit Anfang der 90er-Jahre in Thüringen lebt und arbeitet, absurd, und das zeigt, dass Ihre Lösung schlicht und einfach keine ist. Dieser Vorschlag soll bei den Menschen im Osten erneut so ein bisschen Wohlgefühl nach dem Motto „Wir nehmen euch ernst; wir kennen eure Probleme“ verbreiten; er beinhaltet aber keine Problemlösung. Das ist das, was ich mit „komplett falsche Richtung“ meine.
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Ich glaube, dass wir im Osten gerade in den nächsten Jahren völlig andere Probleme haben werden – zu Herrn Hirte komme ich gleich noch –, weil wir so viele unbesetzte Stellen haben werden – sei es im Verwaltungsapparat, bei den Behörden, in der Justiz –, dass wir eher in einem Konkurrenzkampf mit den alten Bundesländern darum stehen, wer denn Polizisten, Beamte, Lehrer, Richter und Ärzte in seinem jeweiligen Bundesland halten kann. Dort attraktive Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen, das ist die Kernaufgabe für die neuen Bundesländer und für einen relevanten Teil von Regionen in den alten Bundesländern.
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Ich habe außerdem als jemand, der aus Sachsen-Anhalt kommt, gar kein Interesse daran, qualifizierte, junge, engagierte Leute jetzt zwanghaft irgendwo außerhalb von Sachsen-Anhalt platzieren zu müssen. Ich möchte, dass sie bei uns bleiben, dass sie in Sachsen-Anhalt wirken und dass sie dort ihre beruflichen Karrieren und privaten Lebensläufe begründen und nicht so wie Anfang der 90er-Jahre in Massen in die alten Bundesländer gehen.
Herr Hirte, ich möchte Sie dennoch ansprechen. Denn die Rede, die Sie eben gehalten haben, haben Sie im März dieses Jahres mehr oder weniger schon einmal gehalten. Ich erwarte von einem Vertreter der Bundesregierung mehr als Problemanalysen.
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Sie haben zugestimmt, Sie haben das große Problem beklagt und bejammert, aber keinen einzigen Satz dazu gesagt, was Sie zur Hebung des Anteils von Menschen mit ostdeutscher Biografie in den oberen und obersten Bundesbehörden planen, was Sie seit März getan haben und was Sie in den nächsten zwölf Monaten tun werden. Das werden wir von Ihnen einfordern. Ich will wissen, was Sie den ganzen Tag für die Lösung dieses Problems und auch anderer Probleme tun.
Kollegin Lemke.
Ich schlage Ihnen vor, dass Sie selber aktiv werden und diesbezüglich einen Aktionsplan auflegen.
Danke.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Marian Wendt das Wort.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wir leben heute in einem freien Europa, ein freies Europa, welches vor 30 Jahren hart erkämpft und hart erarbeitet wurde – hart erarbeitet vor allem von denjenigen, die 1989 auf die Straße gingen, die Reformen, freie Wahlen und Reisefreiheit forderten. Der Wunsch nach Freiheit und einem Leben im geeinten Deutschland war für die Menschen größer als die Angst vor der Gewalt und der Stasi, die Angst vor dem Unterdrückungsapparat, den Ihre Vorgänger stützten, denen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, die Stange hielten.
({0})
Es war nämlich die SED mit ihrem alleinigen Führungsanspruch in der ehemaligen DDR, die schuld am wirtschaftlichen Kollaps des Unrechtsstaates war. Das Ende kennen wir alle: Es war ein glückliches.
({1})
Die DDR lag zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung wirtschaftlich am Boden.
({2})
Die Sozialistische Einheitspartei benannte sich in „PDS“ und später in „Partei Die Linke“ um. Heute sitzen Sie als Erben hier im Bundestag,
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fordern eine Ostquote und präsentieren sich als vermeintliches Sprachrohr der östlichen Länder. Schämen Sie sich eigentlich nicht?
({4})
Meine Damen und Herren, es klingt so absurd,
({5})
als wenn der Feuerwehrmann seinen selbstgelegten Brand löscht,
({6})
um sich nachher als großer Held feiern zu lassen. Aus meiner Sicht ist das einfach nur charakterlos von Ihnen.
({7})
Jahrelang haben Sie Verantwortung für den Osten unseres Landes getragen, haben die Wirtschaft ruiniert
({8})
und dafür gesorgt, dass sich heute einige dort abgehängt fühlen.
({9})
Sie haben die Menschen kleingeredet und ihnen das Selbstbewusstsein genommen. Nun wollen Sie sich als Retter der Ostdeutschen feiern lassen und fordern eine Quote in Bundesbehörden. Aber ich sage Ihnen eines: Wir brauchen Ihre Heuchelei nicht.
({10})
Die Menschen brauchen Verantwortliche in Politik, Regierung und Verwaltung, die auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung angekommen sind
({11})
und die die Regeln des Rechtsstaates achten und verstehen. Bei Ihnen habe ich da nämlich Zweifel.
({12})
Sie legen uns einen Antrag vor, in dem Sie eine Ostquote für Bundesbehörden fordern. Dabei beziehen Sie sich auf Artikel 36 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Haben Sie diesen Absatz und den ganzen Artikel überhaupt vollständig gelesen?
({13})
Das Grundgesetz spricht nämlich von Länderquoten und nicht von Quoten nach Himmelsrichtungen. Ihr ganzer Antrag ist so schludrig und juristisch widersinnig ausgearbeitet, dass ich Ihnen nur folgenden Tipp geben kann: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück und schauen Sie sich die Rechtsquelle richtig an, bevor Sie hier so einen Radau machen!
({14})
Aber sei’s drum.
Mit Ihrem Antrag stigmatisieren Sie wieder einmal die Menschen, die Ihre Vorgänger 40 Jahre lang kleingehalten haben.
({15})
Wir brauchen aber keine Ostquoten in Bundesbehörden, welche wieder zu Stigmatisierungen führen. Wir setzen im öffentlichen Dienst auf Eignung, Befähigung, fachliche Leistung.
({16})
Diese Bestenauslese können Sie übrigens auch im Grundgesetz – in Artikel 33 Absatz 2 – nachlesen.
({17})
Mitleidsquoten brauchen die Menschen in Nord-, Süd-, Ost- oder Westdeutschland nicht.
({18})
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass die Mitarbeiter der Behörden des Bundes und deren nachgeordneter Verwaltungen so bunt sind wie unser Land. Deshalb haben wir in den letzten Jahren sehr erfolgreich neue Behörden oder Zweigstellen nicht nur in den Metropolen, sondern auch im ländlichen Raum Ostdeutschlands angesiedelt. Hier darf ich beispielsweise das BSI in Freital, das THW-Ausbildungszentrum in Brandenburg an der Havel, die Cyberagentur in meinem Wahlkreis in der Region Leipzig/Halle oder auch das Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau erwähnen. Wir reden nicht nur, wir machen es einfach.
({19})
Niemand braucht Ratschläge der SED-Erben, die 40 Jahre lang meine Heimat heruntergewirtschaftet haben. Und es braucht schon gar nicht einen Bodo Ramelow in Thüringen,
({20})
der das Unrecht in der DDR immer noch nicht anerkennt.
({21})
Wir stehen für einen starken, leistungsfähigen Rechtsstaat, dessen Behörden in allen Ländern stark präsent sind und in denen die Menschen motiviert und engagiert arbeiten, ohne dass sie durch Quoten dazu gezwungen werden.
({22})
Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag konsequenterweise ab.
Vielen Dank.
({23})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Karamba Diaby das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Eine ehrliche Haut“ stand auf dem Wahlplakat, und darauf war ein fast nackter Mann zu sehen. Im Bundestagswahlkampf 1994 bewarb sich ein SPD-Kandidat mit diesem Plakat. Er wollte Aufmerksamkeit erzeugen und einen Dialog anstoßen. Bis heute führt er diesen Dialog, und zwar als Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Thomas Krüger, der im thüringischen Buttstädt geboren und am Ostberliner Stadtrand aufgewachsen ist, gehört heute zu einem sehr kleinen Kreis von Führungskräften, die ostdeutsche Wurzeln haben.
Gucken wir uns die Zahlen genauer an: Von den 109 Abteilungsleitern in allen Bundesministerien stammten 2017 nur 4 aus Ostdeutschland.
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Von den Chefs der 100 größten ostdeutschen Unternehmen stammen nur 28 aus Ostdeutschland.
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Von den 190 DAX-Vorständen stammen nur 3 aus Ostdeutschland.
({2})
Und Anfang 2019 wurde bekannt, dass es keinen ostdeutschen Uni-Rektor mehr gibt; Herr Kollege Höhn hat das schon angesprochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt Politiker, die sagen, es habe keinen Nachteil, aus den neuen Bundesländern zu sein. Das ist offenkundig falsch.
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Richtig ist: Dieser Nachteil ist nicht naturgegeben; er ist menschengemacht und kann durch Menschenhand wieder behoben werden. – Damit komme ich zum heutige vorliegenden Vorschlag der Linksfraktion, eine Ostquote einzuführen.
Ich habe hier im Plenum schon mal die Frage gestellt, ob ich als Ostdeutscher gesehen werde.
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Auch die Linken haben mir bis jetzt keine Antwort gegeben. Manche würden mir sogar absprechen, Deutscher zu sein. Ich bin im Senegal vor 57 Jahren geboren und lebe seit über 33 Jahren in Halle an der Saale. Und was ist denn mit den Zehntausenden von Vertragsarbeitnehmern aus der ehemaligen DDR? Hier gibt es auf jeden Fall noch Unschärfen in der Definition des Antrags der Linken, die wir überwinden müssen. Damit wir hier wirklich über Ostquoten diskutieren können, müssen wir erst mal über diese Definition diskutieren.
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Als ich mit 20 Jahren nach Leipzig und später nach Halle/Saale kam, gab es nicht die breite Wahrnehmung, dass man Ostdeutscher ist. Erst nach der Wende wurden wir zu Ostdeutschen gemacht. 8 000 Betriebe, 13 000 Privatisierungen, 3 Millionen verlorene Arbeitsplätze – das sind die erlebten Benachteiligungen, die Folgen für die Selbst- und Fremdwahrnehmung hatten.
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Meine Damen und Herren, gestern berichtete Thomas Krüger – selbstverständlich angezogen – im Kuratorium der Bundeszentrale für politische Bildung über den Wahl-O-Mat, über die politische Gewalt in der Gesellschaft, über die Stärkung der politischen Bildung im ländlichen Raum. Er hat eine wichtige Aufgabe: Als er zu Beginn der 2000er-Jahre zur Bundeszentrale für politische Bildung kam, sei sie, also die Einrichtung, durch und durch rheinisch gewesen. Unter ihm hat sich die Zahl der ostdeutschen Mitarbeiter verdoppelt.
Lassen Sie uns also mit Menschen wie Thomas Krüger nach Lösungen suchen, um eine bessere Repräsentation von Ostdeutschen zu verwirklichen.
Danke schön.
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Das Wort hat die Kollegin Daniela Wagner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wendt, Sie könnten nach 30 Jahren echt langsam mal die Leier einstellen, was die Linke im Osten alles verbrochen hat.
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Es ist jetzt wirklich langsam gut damit, für alles und jedes herhalten zu müssen.
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Was wir hinsichtlich einer zeitgemäßen Weiterentwicklung des Berlin/Bonn-Gesetzes vor allen Dingen brauchen, sind ein transparenter Dialog und Entscheidungsprozesse mit gesellschaftlichen Debatten; denn es gibt viel Unkenntnis. Was wir sicherlich nicht brauchen – das sage ich an die Adresse der Linken –, sind populistische Schnellschüsse oder ein offensichtlicher Ostwahlkampf. Mal eben alle Bundeseinrichtungen vollständig nach Berlin zu verlagern, springt definitiv zu kurz, überfordert Berlin und hilft dem Osten letztlich wenig.
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Sie ignorieren auch die Ergebnisse des Statusberichts der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich aus der 18. Wahlperiode. Dieser hat nämlich gezeigt, dass Einstellungen überproportional häufig am Dienstort Berlin erfolgen. Das gilt für alle Ressorts. In dem Bericht wird auch ausgeführt, dass sich bei gleichbleibender Tendenz der Einstellungszahlen und aufgrund der Altersstruktur die Abwanderung nach Berlin beschleunigen wird. Möglicherweise bauen Sie also mit Ihrem Antrag mehr Gegensätze auf, als unsere Gesellschaft angesichts der aktuellen Lage brauchen kann.
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Meine Damen und Herren von der CDU, auch die wenig durchdachte Vergabe der Batteriezellforschung nach Münster ist sehr ärgerlich. Hier hätte man den Osten mehr im Blick haben können.
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Dass diese Vergabe ausgerechnet in den Wahlkreis der zuständigen Bundesministerin erfolgt ist, ist wirklich selten dämlich.
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Das ist Wasser auf die Mühle von Populisten und fördert letztlich Politikverdrossenheit.
Wir brauchen ein Konzept mit objektiven Kriterien für die Verteilung neuer und die Erweiterung bestehender Bundeseinrichtungen, und die Bundesregierung ist gut beraten, ein solches Konzept in einem transparenten Prozess zu erarbeiten, dem Bundestag vorzulegen und vor allen Dingen die Bürgerschaft – und zwar alle, Ost wie West – mitzunehmen.
Sie sollten dem Beschluss der Unabhängigen Föderalismuskommission von 1992, Landeseinrichtungen und ‑institutionen grundsätzlich in den neuen Ländern anzusiedeln, endlich Geltung verschaffen. Diese Entscheidung wurde damals zu Recht mit großer Mehrheit getroffen, und sie ist heute noch genauso richtig wie 1992. Gehen Sie also an die Arbeit!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Torsten Schweiger für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht zum ersten Mal debattieren wir hier die Frage des Länderproporzes bei Bundesbehörden und ‑einrichtungen. Ich denke, wir tun das heute auch nicht zum letzten Mal; denn die Ansiedlung bzw. die gleichmäßige Verteilung der Bundesbehörden – so meine ich jedenfalls – ist seit 30 Jahren ein Thema. Es ist auch gut so, dass es immer wieder einmal zur Sprache kommt, um zu schauen, ob man auf dem richtigen Weg ist.
Der Ausgangspunkt – das wurde heute schon von vielen Rednern angesprochen – war die Unabhängige Föderalismuskommission des Bundestages und der Bundesländer. In ihren Vorschlägen aus dem Mai 1992 hieß es, die Bundesbehörden sollten vorrangig – vorrangig, nicht ausschließlich – im Osten angesiedelt werden; denn man hatte natürlich im Blick, dass die Ansiedlung nicht nur nach Himmelsrichtung vorgenommen werden sollte. Vielmehr sollten die Bundesbehörden auch dort angesiedelt werden, wo es strukturelle Hilfe braucht.
Richtig ist sicherlich – das wurde heute mehrmals genannt, und auch ich bin dieser Meinung –, dass es in den ostdeutschen Bundesländern im Hinblick auf die Präsenz dieser Behörden noch einen Nachholbedarf gibt. Es gab aber – das ist ebenso festzustellen – noch nie zuvor so viele Neuansiedlungen von Bundesbehörden in den ostdeutschen Ländern, insbesondere in dieser Legislatur.
Beispiele wurden heute genannt. Einige möchte ich noch einmal nennen, um sie in Erinnerung zu rufen: das Fernstraßen-Bundesamt, der Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig, die Ausbildungszentren für den Zoll und für das Technische Hilfswerk, die fünf neuen Zukunftszentren und, und, und. Darüber hinaus werden weitere Ansiedlungen in dieser Legislatur erfolgen; das ist mir besonders wichtig; denn es zeigt, dass wir im Moment auch ohne die Quote, die gefordert wurde, auf dem richtigen Weg sind.
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Im Strukturstärkungsgesetz ist verankert, dass weitere 5 000 Stellen für die Reviere insbesondere in den ostdeutschen Ländern im Bereich der unmittelbaren Bundesverwaltung geplant sind. Allein im dem Verantwortungsbereich des BMI sind 1 500 Stellen geplant. Ich denke, das ist ein guter Aufwuchs, der den Revieren guttut.
Die Anträge, über die wir heute debattieren, kommen vom Grundgedanken nicht nur zu spät, weil die Umsetzung schon läuft, nein, auch die Schlussfolgerungen der eingesetzten Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, die im „Deutschland-Plan“ formuliert sind, zeigen, dass eine ausschließliche Ausrichtung nach Himmelsrichtungen nicht der richtige Ansatz ist. Strukturschwäche ist als Kriterium besser geeignet. Mittlerweile gibt es strukturschwache Regionen nicht nur im Osten der Republik; das wissen wir alle.
Ein paar Sätze noch zur Ostquote: Mal davon abgesehen, was die Definition eines Ostdeutschen sein soll – darauf gehe ich heute nicht mehr ein, weil das schon erschöpfend diskutiert wurde –, denke ich, dass sich das nach mittlerweile 30 Jahren nicht mehr abgrenzungsscharf herausfinden lässt. Zumindest ich persönlich bin froh darüber, dass wir hier anders diskutieren. Bei Einstellungen nach Eignungs- und Leistungsprinzipien zu unterscheiden, geht weiterhin in die richtige Richtung.
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Eine Ostquote lässt sich nach unserer Rechtsauffassung jedenfalls auch nicht auf den Artikel 36 Grundgesetz stützen. Die Stellenausschreibungen bieten da bessere Möglichkeiten; davon bin ich überzeugt. Die Reservierung eines Stellenanteils, also die Einstellung von Menschen, die möglicherweise aus bisher weniger vertretenen Bundesländern kommen, ist besser als eine Quote.
Die Clearingstelle – das hat heute noch keiner gesagt; ich will es erwähnen –, die ja im BMI angesiedelt ist, soll hier die Koordination übernehmen. Sie soll bei weiteren Ansiedlungen insbesondere darauf achten, dass die Ansiedlung – das ist mir eigentlich viel wichtiger – dezentral erfolgt, also nicht nur in Oberzentren, sondern auch in den ländlichen Räumen. Ich denke, dort ist der Nachholbedarf besonders groß.
Fazit zu den heutigen Anträgen: Ich glaube, sie kommen etwas spät. Wir sind längst in der Umsetzung und müssen weitermachen. Das, was hier gefordert wird, ist richtig; aber zu den Anträgen gibt es von uns bisher keine Zustimmung.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vielen Tausend Handwerksbetriebe in Deutschland, ihre Meister und ihre Mitarbeiter genießen in unserem Land, aber auch bei unseren Nachbarn ein ganz großes, ein enormes Ansehen. Das hat etwas zu tun mit der herausragenden Qualität ihrer Arbeit. Das hat etwas damit zu tun, dass sie, wie schon seit vielen Jahrhunderten, einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zum wirtschaftlichen Wohlergehen des Landes leisten. Das wird nicht nur von den Menschen in Deutschland anerkannt, sondern auch vom Deutschen Bundestag, zumindest von den meisten Fraktionen in diesem Parlament, und von der Bundesregierung. Wir bekennen uns seit vielen Jahren gemeinsam zum Meisterbrief und zum Erhalt der Meisterpflicht. Es ist ein wichtiges Signal, dass wir die Anliegen des Handwerks in Deutschland ernst nehmen, und zwar wir gemeinsam: die Mehrheit des Deutschen Bundestages, die Regierungsfraktionen und die Bundesregierung. Das ist gerade in der heutigen schwierigen konjunkturellen Lage von großer Bedeutung.
Ich habe Ihnen in der vergangenen Woche die Herbstprojektion der Bundesregierung vorgestellt. Die Konjunkturzahlen zeigen ein gespaltenes Bild: Während es vor allem in den exportorientierten Bereichen der Industrie, auch der mittelständischen Industrie, zu einer Wachstumspause gekommen ist, die schon einige Zeit anhält – beispielsweise überall dort, wo Autozulieferer betroffen sind –, ist die Konjunktur gerade im Bereich der Bauwirtschaft und des Handwerks ungebrochen. Damit trägt das Handwerk dazu bei, in dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage eine dauerhafte Rezession zu verhindern. Wir haben im Handwerk neue Höchststände bei der Kapazitätsauslastung und bei den Auftragsreichweiten der Betriebe sowie steigende Umsätze und Beschäftigung.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn das Konjunkturwetter in diesem Bereich gut ist, müssen wir heute die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir auch in Zukunft ein leistungsfähiges Handwerk mit Menschen, die gerne dort arbeiten, in Deutschland beheimatet haben. Ich habe aus diesem Grund eine Mittelstandsstrategie vorgelegt, die große Wertschätzung insbesondere für die mittelständische Wirtschaft zum Ausdruck bringt und auch die Leistung des Handwerks würdigt.
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Einer der Punkte ist die Wiedereinführung der Meisterpflicht in einer Reihe von Handwerksberufen, für die sie vor einigen Jahren abgeschafft worden ist. Es geht hier um Wertschätzung, aber es geht vor allen Dingen auch um Qualität, um Qualifizierung und um nachhaltiges Unternehmertum. Wir haben uns als Regierungskoalition im Koalitionsvertrag darauf verständigt, das Handwerk noch stärker anzuerkennen und zu fördern, die Handwerksrechtsnovelle von 2004 zu evaluieren und die Wiedereinführung der Meisterpflicht für einzelne Berufsbilder im Einklang mit deutschem und europäischem Recht zu prüfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Prozess, der seit nunmehr eineinhalb Jahren stattgefunden hat, ist ein herausragendes Beispiel für die Zusammenarbeit von Parlament und Bundesregierung bei der Gestaltung und Ausarbeitung von Gesetzen. Wir haben im Jahre 2018 eine Koalitionsarbeitsgruppe „Meisterbrief“ eingerichtet. Ich möchte den beiden Vorsitzenden Carsten Linnemann und Sören Bartol ganz besonderen Dank aussprechen für die große gemeinschaftliche Teamarbeit, die mit allen Angehörigen dieser Arbeitsgruppe, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Ministeriums, aber auch mit den Verbänden, insbesondere dem Zentralverband des Deutschen Handwerks, geleistet worden ist.
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Das Ergebnis ist: Nach einem umfassenden Konsultationsverfahren und nach einer Sachverständigenanhörung durch den Wirtschaftsausschuss haben wir breiten Konsens erzielt und werden für insgesamt zwölf Gewerke wieder eine Zulassungspflicht einführen. Diese Gewerke werden von der Anlage B der Handwerksordnung zurück in die Anlage A überführt. Es sind dies: Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Betonstein- und Terrazzohersteller, Estrichleger, Behälter- und Apparatebauer, Parkettleger, Rollladen- und Sonnenschutztechniker, Drechsler und Holzspielzeugmacher, Böttcher, Raumausstatter, Glasveredler, Orgel- und Harmoniumbauer, Schilder- und Lichtreklamehersteller.
Wir tragen damit der besonderen Gefahrgeneigtheit gegenüber Dritten Rechnung. Bei drei Gewerken orientieren wir uns an deren Relevanz für den Erhalt unseres Kulturerbes. Auch das ist ein berechtigtes Anliegen der Politik, dass wir ein über viele Jahrhunderte gewachsenes Kulturerbe stärken und für die Zukunft erhalten, indem wir den notwendigen Wissenstransfer und die duale Berufsausbildung sicherstellen. Gleichzeitig fördern wir durch die parallel auf den Weg gebrachten Verbesserungen beim Meister-BAföG noch stärker die Fortbildung der künftigen Meister.
Einige Handwerke, die nicht in der Liste dieser zwölf Gewerke enthalten sind, sind mit der getroffenen Auswahl verständlicherweise nicht zufrieden. Aber es gehört zu einem parlamentarisch-politischen Prozess dazu, dass man es am Ende nicht allen recht machen kann. Für uns standen das Grundgesetz und das europäische Recht im Vordergrund. Wir wollten eine Regelung vorlegen, die sich an diesen sehr strengen Anforderungen orientiert. Deshalb kamen nur gefahrgeneigte Handwerke oder eben die Wahrung des Kulturerbes als Begründung in Betracht. Ich bin überzeugt, dass diese Auswahl jede Herausforderung bestehen wird, sei es vor dem Europäischen Gerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht.
Im Übrigen haben wir im Gesetzentwurf beschlossen, dass das Ergebnis evaluiert werden soll. Dann werden wir auch die Frage stellen, ob diese Argumente in der Zukunft für weitere Gewerke Gültigkeit haben können. Im Augenblick ist es wichtig, dass wir juristische Risiken vermeiden und die Zustimmung zum Meisterbrief, zur Meisterpflicht insgesamt wieder stärken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Meisterbrief ist ein wichtiges Gütesiegel nicht nur für die Qualität von handwerklicher Arbeit, sondern für die deutsche Wirtschaft insgesamt. Er gewährleistet einen Vorsprung an Wissen in praktischer und in betriebswirtschaftlicher Hinsicht. Die Menschen vertrauen ihren Meisterbetrieben und der von diesen erbrachten Qualität. Deshalb möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei allen bedanken, die daran mitgewirkt haben, diesen wichtigen Gesetzentwurf zustande zu bringen. Wir machen einen wichtigen Schritt, um das Handwerk für die nächsten Jahrzehnte zukunftsfähig zu machen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Tino Chrupalla für die AfD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Landsleute! Liebe Handwerker! Die Bundesregierung hat beschlossen, die Meisterpflicht für zwölf Gewerke wieder einzuführen und damit die Handwerksnovelle von 2004 teilweise rückgängig zu machen. Dazu kann man eigentlich nur sagen: Na also, Herr Altmaier, geht doch!
Eine Frage aber müssen Sie sich gefallen lassen, und ich bin sicher, dass das auch viele Handwerksmeister in unserem Land interessiert: Warum hat das eigentlich so lange gedauert?
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Die Nachteile zeichneten sich schon seit mehr als 15 Jahren ab. Uns haben Sie damals vorgeworfen, wir würden das EU-Recht missachten, als wir den Antrag zur Wiedereinführung der Meisterpflicht einbrachten. Immer wieder hat man das EU-Recht vorgeschoben und die Rückkehr zum Meister hinausgezögert, obwohl kluge Leute das schon lange als Fehler erkannt hatten.
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In einer Anhörung, die dieses Jahr stattfand, erfuhren wir von dem Gutachter Herrn Professor Burgi, dass es hier überhaupt keine Kollision mit dem EU-Recht gibt. Im Gegenteil: Es gibt genügend Begründungen, die es uns ermöglichen, das EU-Recht zu umgehen, um unsere nationalen Interessen zu wahren. Wussten Sie das etwa nicht? Sie haben hier ja genügend Juristen. Warum wurde erst jetzt festgestellt, dass das EU-Recht sehr wohl Spielraum für die Berücksichtigung nationaler Interessen lässt? Ist das vielleicht in anderen Bereichen auch so? Das würde mich brennend interessieren.
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Die Begründungen in Ihrem Entwurf, Herr Altmaier, warum ein jeweiliges Gewerk rückvermeistert werden soll, erscheinen mir bisweilen etwas willkürlich. Sie haben es angedeutet. Warum fällt eigentlich der Geigenbauermeister unter Kulturgutschutz und der Orgelbauermeister unter Gefahrenschutz? Aber was soll’s.
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Eine andere wichtige Frage habe ich auch noch: Warum tun Sie sich eigentlich so schwer mit einem Bekenntnis zu unseren guten Traditionen? Anstelle eines deutlichen Bekenntnisses zum traditionellen Handwerk führt das BMWi eine Kampagne für das digitale Handwerk. Meinen Sie wirklich, dass so das Handwerk attraktiver wird? Es ist Jahrhunderte ohne Algorithmen ausgekommen. Verstehen Sie mich nicht falsch, nichts gegen Digitalisierung – manche Tools sind wirklich hilfreich –, aber traditionelles Handwerk ist eben traditionelles Handwerk und hat seine Daseinsberechtigung.
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Wie gesagt, ich freue mich außerordentlich, dass Sie sich jetzt für die Wiedereinführung der Meisterpflicht für immerhin zwölf Gewerke entschieden haben. Das ist ein guter Anfang. Ich würde mir natürlich noch ein deutlicheres Bekenntnis zum traditionellen Handwerk wünschen. Das ist eigentlich nicht so schwer. Wir müssen ja nicht gleich ein Folkloreministerium wie in Polen einführen. Aber vielleicht können wir uns an den Österreichern orientieren. Dort hat das Bundeskanzleramt im Jahr 2016 eine Studie anfertigen lassen mit dem Titel „Traditionelles Handwerk als immaterielles Kulturerbe und Wirtschaftsfaktor in Österreich“. Genau darum geht es. Ich möchte einmal vorlesen, wie die Österreicher es auf Seite eins formulieren:
Traditionelles Handwerk in Österreich braucht ein neues Selbstverständnis und mehr öffentliches Bewusstsein für seinen gesellschaftlichen Wert, um erhalten zu bleiben. Ganze Berufszweige und das damit verbundene Wissen und Können sind vom Aussterben bedroht: Es ist Zeit, diesen negativen Tendenzen entgegenzuwirken. Nicht nur als nachhaltige Antwort auf die Massenproduktion globaler Märkte und überbordenden Konsum, sondern auch im Hinblick auf ein sinnvolles und aussichtsreiches Ausbildungs- und Berufsangebot für kommende Generationen.
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Besser hätte ich es nicht sagen können. Diese Studie wurde übrigens von der österreichischen UNESCO-Kommission im Auftrag des Bundeskanzleramtes und des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft erstellt.
So, und jetzt freuen wir uns auf die Rückvermeisterung der anderen Gewerke und auf die neue Kampagne des BMWi mit dem Titel „Traditionelles Handwerk in Deutschland – identitätsstiftendes kulturelles Erbe und Rückgrat deutscher Wirtschaftskraft“.
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Sie können diese Idee gerne übernehmen, Herr Altmaier, ohne meinen Namen zu nennen. Das macht Herr Kretschmer in Sachsen übrigens auch immer so. Mir soll es recht sein. Uns geht es schließlich um die Sache.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Sören Bartol das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur Produkte aus Deutschland genießen weltweit den besten Ruf – eine Harvard-Studie hat das erst vor wenigen Wochen wieder bestätigt –; „Made in Germany“ ist und bleibt Gütesiegel für Wertarbeit, allen Unkenrufen zum Trotz. Auch deutsches Handwerk gilt als vorbildlich, als Synonym für Qualität. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist der Meisterbrief. Um Qualität, Verbraucherschutz und ein hohes Ausbildungsniveau auch in Zukunft zu sichern, wollen wir mit der Änderung der Handwerksordnung für zwölf Gewerke die Meisterpflicht wieder einführen. Unsere Handwerkerinnen und Handwerker wissen ganz genau, was sie tun. Sie haben ihr Handwerk von der Pike auf gelernt, eine dreijährige duale Ausbildung mit klaren Regeln, Auflagen und einer Abschlussprüfung absolviert.
Der höchste klassische Berufsabschluss im Handwerk, den man bei uns erwerben kann, der Meistertitel, steht für verbriefte Qualität. Mindestens ebenso wichtig ist: Meisterinnen und Meister geben ihr Können und ihr Wissen an ihre Auszubildenden und ihre Gesellen weiter. Handwerkerinnen und Handwerker leisten in ihrem Beruf jeden Tag gute Arbeit. Als Teil des Mittelstandes bilden sie das Rückgrat unserer Wirtschaft. Mit ihrer Arbeit tradieren sie jahrhundertealtes Wissen und Kulturgut, verknüpfen es mit Neuem und sorgen so für Innovationen und Wertschöpfung in Deutschland.
Idealerweise geschieht all das mit Tarifbindung. Diese ist allerdings im Handwerk seit Jahren rückläufig. Aus sozialdemokratischer Sicht ist dies eine inakzeptable Entwicklung. Neben Tariftreueklauseln in den Ländervergabegesetzen brauchen wir auch hier ein Bundestariftreuegesetz, wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil es fordert, schon um handwerkliche Berufe auch für junge Menschen attraktiver zu machen.
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Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Wiedereinführung der Meisterpflicht zu prüfen. Warum tun wir das? Seit der Novelle von 2004 haben sich viele Berufsbilder stark verändert. Es gibt Handwerke, in denen die unsachgemäße Ausführung für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur schlimm ist und sie schädigt, sondern es kann auch lebensgefährlich sein. Man denke an Estrich- und auch Fliesenleger, Stichwort „Pfusch am Bau“.
Außerdem wollen wir bestimmte Handwerke schützen, die vom Kulturgüterschutz erfasst werden: Drechsler, Holzspielzeugmacher und Orgelbauer. Daher ist eine Reglementierung der Ausübung der betroffenen Handwerksberufe zum Schutz von Leben und Gesundheit sowie zur Wahrung von Kulturgütern und immateriellem Kulturerbe erforderlich. Entscheidend für die Einführung der Meisterpflicht ist also, ob es sich um gefahrgeneigte Handwerke handelt, ob das jeweilige Handwerk vom Kulturgüterschutz erfasst wird oder als immaterielles Kulturgut anzusehen ist.
Die Liberalisierung der Handwerksordnung von 2004 hatte leider neben dem erfreulichen Anstieg der Selbstständigen in den zulassungsfreien Berufen auch einen Rückgang der Auszubildendenzahlen zur Folge, der nicht in unser aller Sinne sein kann. Die Meisterpflicht trägt durch hochwertige berufliche Aus- und Weiterbildung maßgeblich zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses bei, den wir in diesen Zeiten so dringend brauchen. Unser Ziel: mehr Qualität für Verbraucherinnen und Verbraucher und mehr Nachwuchs im Handwerk durch bessere Ausbildung.
In der Koalitionsarbeitsgruppe „Meisterbrief“ haben wir die Gutachten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und der Gewerkschaften diskutiert. Wir haben ein Konsultationsverfahren durchgeführt – hier geht unser Dank an das Bundeswirtschaftsministerium, vor allen Dingen an diejenigen Beamtinnen und Beamten, die das ausgeführt haben –, in dem wir alle Gewerke intensiv angehört haben. Auf dieser Basis haben wir uns entschieden, die Meisterpflicht in zwölf Gewerken wieder einzuführen. Neben dem Dank an diejenigen, die das durchgeführt haben, geht unser Dank auch an den Bundeswirtschaftsminister Altmaier, an den Kollegen Linnemann und natürlich an alle Mitglieder der Koalitionsarbeitsgruppe, die dort viel Zeit und Arbeit investiert haben. Ich möchte mich persönlich für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken.
Der Meisterbrief ist die beste Garantie für Qualitätsarbeit, Verbraucherschutz, Leistungsfähigkeit und Innovationskraft. Mit der Wiedereinführung der Meisterpflicht schreiben wir die Erfolgsgeschichte des deutschen Handwerks fort.
Vielen Dank.
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Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Manfred Todtenhausen das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, es ist schön, dass Sie selber hier sind, dass Sie sich für solch ein wichtiges Thema die Zeit genommen haben. Das machen Sie ja nicht immer.
Es freut mich persönlich sehr, wie oft ich diese Woche an dieser Stelle die Worte „Handwerk“ und „Mittelstand“ gehört habe. Bei allen Themen kamen sie vor. Es scheint dem Bundestag also wichtig zu sein. Sie, Herr Minister, haben dies gerade noch einmal betont.
Das Handwerk hat es auch verdient. Es ist stark als Arbeitgeber, als Ausbilder der Nation und als Innovator. Handwerk ist aber noch mehr. Es steht immer noch für Arbeitgeber, die sich ihrem Umfeld vor Ort verbunden fühlen und die Werte leben, die für Beschäftigung und Integration auf dem Arbeitsmarkt sorgen und nicht fragen, woher man kommt, sondern fragen, wohin man möchte.
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Sprich: Handwerk verbindet hohe Qualität „Made in Germany“ mit einem Aufstiegsversprechen für all diejenigen, die es wollen und sich anstrengen. Das ist soziale Marktwirtschaft pur. Das ist auch FDP pur.
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Handwerker stehen für Qualität und gute Arbeit, also nicht für Pfusch am Bau, sondern dafür, dass der Verbraucher nachhaltig vor Schäden und Gefahren geschützt wird. Genau das ist der Punkt. Genau das begründet für uns Freie Demokraten die mögliche Wiedereinführung der Meisterpflicht in entsprechend definierten Gewerken. Denn wir wissen: Es braucht die Meisterqualifikation zur Ausbildung von Fachkräften, zur Einschätzung und Abwehr von Gefahren. Das gilt vor allem bei der Vermeidung von Schäden am Bau. Denn diese treten bekanntlich häufig erst nach vielen Jahren auf.
Sie sehen, wir schauen genau hin, und wir können bei diesem Gesetzentwurf da mitgehen, wo der Schutz vor Gefahren und der Verbraucherschutz gerichtsfest begründet werden können, und zwar verfassungs- und europarechtlich. Bei Gewerken wie zum Beispiel dem Fliesenleger, dem Lichtreklamehersteller, dem Rollladen- und Sonnenschutztechniker oder im Apparatebau kann dies möglich sein und ergibt auch Sinn; die Anhörungen im Wirtschaftsministerium – ich war zwei Tage dabei – sowie im Ausschuss haben es belegt. Ihr Kulturgüterschutz macht es uns aber wiederum nicht einfacher. Soll der Orgelbauer dazugehören, weil er im Land von Bach und Beethoven ein schützenswertes Kulturgut ist oder weil große Kirchenorgeln extrem hohe statische Ansprüche haben? Ein Außenstehender kann auch überhaupt nicht verstehen, warum ein Böttcher dazugehört, aber nicht der Goldschmied, Bestatter, Fotograf und andere.
Meine Damen und Herren, wo Angebot und Nachfrage nach Fachkräften und Qualitätshandwerk heute gut funktionieren, sollten wir jeden Eingriff wohl überlegen. Deswegen ist es auch gut, dass der Bestandsschutz für bereits bestehende Betriebe abgesichert ist. Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, wir Freien Demokraten wollen mehr. Wir wollen künftigen Gründern und Übernehmern von Betrieben eine ausreichende Frist geben, um die Meisterausbildung berufsbegleitend zu absolvieren.
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Die Tagesschule bis zum Meister dauert im Allgemeinen ein Jahr, die Abendschule zwei Jahre. Denken wir also auch an die Fleißigen, die den Meister in der Abendschule neben dem Beruf machen. Ich bewundere diese Leute ganz besonders, ich hätte das nie geschafft; aber die gibt es. Darum müssen wir die Frist für den Nachweis des Meisterbriefes von 6 auf 24 Monate erhöhen. Wir werden dazu einen Antrag einbringen. Und gleichzeitig sollten wir dafür sorgen, dass erfolgreiche Meistergründer bundesweit von Lehrgangs- und Prüfungsgebühren befreit werden, so wie es unsere Partei in Niedersachsen und jetzt auch in Thüringen fordert.
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Das wäre ein sichtbares Zeichen, ein Beweis für die nötige Gleichstellung von beruflicher und akademischer Bildung. Ich glaube, das wollen wir alle.
Ich komme zum Schluss. Wenn wir es gemeinsam schaffen, den Meisterbrief europarechtlich abzusichern, sind wir auf Ihrer Seite. Das Handwerk und die duale Berufsausbildung sind Erfolgsgeschichten in Deutschland. Sie sind es wert, auch in Europa verankert zu werden. Wir werden dem Überweisungsantrag zustimmen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Handwerk ist ein bedeutender Faktor unseres Wirtschaftssystems. Es ist für viele Menschen die Existenzgrundlage, meist auch für die ganze Familie. Das Handwerk ist ein begehrter und weitverbreiteter Arbeitsplatz, und bei der Ausbildung bietet das Handwerk jedes Jahr Hunderttausenden einen Start ins Berufsleben. Deshalb sollten Gesetzesänderungen immer sensibel und mit Bedacht und natürlich auch einvernehmlich mit den Betroffenen, den Verbänden, den Beschäftigten vorgenommen werden.
Als Rot-Grün im Jahr 2004 die umfangreichste Änderung seit Bestehen der Handwerksordnung vorgenommen hat, fiel die Meisterpflicht in 53 Gewerken ersatzlos weg. Handwerker in den sogenannten B1-Gewerken brauchen seitdem zur Anmeldung ihres Gewerbes noch nicht einmal eine abgeschlossene Berufsausbildung. Leider konnten dies unsere beiden damals im Bundestag vertretenen Abgeordneten nicht verhindern. Die Auswirkungen jedoch waren verheerend: Die Ausbildungszahlen gingen zurück, der Preisdruck stieg, die Löhne sanken. Auch die Handwerksbetriebe veränderten sich: Auf der einen Seite entstanden riesige konzernähnliche Strukturen, und auf der anderen Seite stieg die Anzahl der oft schlecht sozial abgesicherten Solo-Selbstständigen massiv an. Daher ist es richtig, Herr Altmaier, dass die Bundesregierung endlich eine Initiative des Bundesrates aufnimmt und sich die Wiedereinführung der Meisterpflicht zumindest in einigen Gewerken vorgenommen hat. Das unterstützen wir als Linksfraktion.
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Doch diese Maßnahme allein wird die Probleme im Handwerk nicht lösen. Wir fordern deshalb von der Bundesregierung weitgehende Initiativen, um die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung im Handwerk attraktiver zu machen. Nur so lässt sich der Mangel an Fachkräften langfristig beheben. Denn Beschäftigte im Handwerk verdienen immer noch durchschnittlich circa 20 Prozent weniger als in anderen vergleichbaren Sektoren unserer Volkswirtschaft. Dies erklärt sich vor allem durch eine mangelnde Tarifbindung. Wir fordern deshalb von der Bundesregierung geeignete Maßnahmen, um die Tarifbindung zu erhöhen und auch flächendeckend durchzusetzen. Vor allem müssen auch sogenannte Subunternehmer zur Tariftreue verpflichtet werden.
Viel mehr Aufmerksamkeit verdienen ebenfalls die sogenannten Solo-Selbstständigen. Hier brauchen wir dringend einen gesetzlichen Rahmen, um für ihre soziale Absicherung, die Absicherung im Alter und vor allen Dingen auch für auskömmliche Honorare zu sorgen. Selbstausbeutung und das soziale Abseits im Alter sind leider weitverbreitet. Dies ist aus meiner Sicht, aus Sicht der Linksfraktion eine Frage des derzeitigen Systems und gehört dringend korrigiert.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Claudia Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es herrscht Einigkeit in diesem Haus: Wir alle wollen den Meisterbrief stärken. Wir alle wollen, dass wieder mehr Männer und Frauen Handwerksberufe erlernen und möglichst auch eine Meisterfortbildung machen. Wir alle wollen das Handwerk stärken, damit das Lohnniveau im Handwerk wieder steigt, das leider zu oft zu niedrig ist. Das hat auch der Kollege Lutze vorgetragen. Wir wollen auch den Fachkräftemangel angehen und Wettbewerbsverzerrungen beenden.
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Bei all diesen Zielen ist es aber durchaus fraglich, ob der vorgelegte Gesetzentwurf wirklich in allen Punkten spürbare Verbesserungen bringen wird. Sie schreiben in dem Gesetzentwurf zum Beispiel, dass jährlich durch die Meistervorbereitungskurse den Handwerkerinnen und Handwerkern Kosten in Höhe von 3 Millionen Euro entstehen. Der Normenkontrollrat beziffert die Kosten pro Prüfling auf 6 600 Euro, und dabei ist die Vorbereitungszeit nicht eingerechnet. Das heißt, eine Rückvermeisterung, die ja durchaus sinnvoll ist, ist ein Schritt. Viel sinnvoller wäre es aber, die Meistervorbereitung und ‑prüfung tatsächlich kostenfrei zu stellen;
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denn das wäre auch eine echte Gleichbehandlung von Studium und dualer Fortbildung. Das würde im Übrigen allen, die Meisterin und Meister werden wollen, helfen, nicht nur denjenigen in den Berufen, die jetzt rückvermeistert werden sollen.
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In allen Bereichen bleibt aber weiterhin das Problem der niedrigeren Einkommen bestehen; auch hier hilft die Rückvermeisterung nicht. Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung wären hier angezeigt.
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Ich hoffe, dass Sie an dieser Stelle noch mal nacharbeiten; denn höhere Einkommen würden helfen, mehr Fachkräfte im Handwerk zu halten. Die Quoten der Abwanderung vom Handwerk in die Industrie sind immer noch deutlich zu hoch, und der Lohn ist hier ein treibender Faktor. Da müssen wir ran. Das würde auch helfen, wieder mehr junge Leute davon zu überzeugen, einen Handwerksberuf zu erlernen.
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Um die Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, müssen wir natürlich auch die unterschiedlichen Lohnnebenkosten angehen, indem zum Beispiel für Selbstständige eine Rentenversicherungspflicht eingeführt wird. Die Meister haben sie ja – sie müssen 18 Jahre lang einzahlen –; für Selbstständige haben wir das nicht. Hier eine Rentenversicherungspflicht einzuführen, würde helfen, auch hier Gleichheit herzustellen.
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Ich will zu einem Punkt kommen, der bisher nur am Rande Thema ist. Wir sprechen in erster Linie immer nur von den Handwerkern und den Meistern. Es gibt aber auch Handwerkerinnen, und es gibt auch die Meisterin; auch wenn der Anteil bis jetzt noch sehr gering ist, steigt er langsam. Hier gibt es spezifische Probleme, insbesondere für die selbstständigen Frauen im Handwerk. Es gibt viele körperlich anstrengende Berufe, in denen man mit Gefahrenstoffen hantiert, Staub und Dämpfe einatmet – das können Frauen auch; das ist kein Thema –, es stellt sich aber die Frage: Was ist, wenn sie schwanger werden? Im Angestelltenbereich ist das kein Problem: Sie bekommen Beschäftigungsverbot, sie bekommen eine entsprechende Lohnausgleichszahlung.
Diese Form des Arbeitsschutzes gilt aber nicht für Selbstständige. Das heißt, eine selbstständige Meisterin steht vor der Frage: weiterarbeiten und mögliche Schädigungen für ihr Kind riskieren oder über Monate einen extrem hohen Verdienstausfall hinnehmen? Wenn wir mehr Frauen ins Handwerk bekommen wollen, sollten wir dieses Thema angehen, Herr Altmaier, das wäre eine wirklich schöne Sache. Das wäre ein Thema, das wir in den anstehenden Beratungen vielleicht beachten sollten.
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Um das Handwerk zu stärken, sollten wir gemeinsam in die Zukunft blicken und nicht immer nur zurück auf eine angeblich glorreiche Vergangenheit. Um den Fachkräftemangel wirklich anzugehen, brauchen wir mehr Investitionen in Bildung und Weiterbildung und eine echte Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Ausbildung.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Jens Koeppen das Wort.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Männer und Frauen im deutschen Handwerk! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung der Handwerksordnung wurde notwendig, weil wir Fehlentwicklungen entgegenwirken müssen, aber auch, weil wir die Sicherung des deutschen Handwerks im Blick haben und vor allen Dingen den Meistertitel stärken wollen.
Seit der Novelle im Jahr 2003 – es wurde mehrfach angesprochen – haben sich die Wirtschaft und insbesondere das deutsche Handwerk grundlegend verändert. Mit der Novellierung der Handwerksordnung im Jahre 2003 sollte der angeschlagenen Wirtschaft geholfen werden. Man hat im Zuge der Novelle versucht, durch die Rücküberführung einiger Handwerke aus der Anlage A in die Anlage B mehr Betriebe zu generieren, mehr Beschäftigung zu generieren, mehr Gründung im Handwerk zu generieren und generell neue Impulse zu setzen.
Das war vor 16 Jahren, und natürlich war die Situation damals eine andere. Da hatten wir eine Arbeitslosenquote von 11 Prozent, über 5 Millionen Menschen waren in Arbeitslosigkeit. Es gab zuhauf gute Ausbildungswillige, gute Gesellen. Heute hat sich das Bild komplett gedreht: Wir haben eine Arbeitslosenquote von unter 5 Prozent; das entsprach im August 2019 ungefähr 2,3 Millionen Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland lag im Jahre 2018 im Schnitt bei 4,7 Prozent; in Europa lag sie bei 12 Prozent. Das ist also ein Zeichen, dass das System funktioniert. Wir haben zurzeit aber einen massiven Fachkräftemangel.
Die Maßnahmen damals waren gut gemeint und verständlich, aber die Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Was ist passiert? Die guten Gesellen haben die Betriebe, die Meisterbetriebe verlassen und gesagt: Ich mache mich selbstständig, ich gründe ein eigenes Unternehmen. – Das hat eine Menge Betriebe generiert, aber nicht genügend Beschäftigung, anders als man sich das erhofft hat. Es gab viele Solo-Selbstständige, aber auch viele Insolvenzen und Gewährleistungsprobleme. Vor allen Dingen ging die Ausbildung im Bereich der Handwerke der Anlage B massiv zurück, und es gab einen Qualitäts- und Vertrauensverlust.
Dieser Fehlentwicklung wollen wir nun entgegentreten. Das ist keine Rolle rückwärts und auch keine „Rückvermeisterung“; denn so etwas gibt es ja letztendlich nicht bzw. kann es auch gar nicht geben. Vielmehr geht es um die Stärkung des deutschen Handwerks, und dafür stehen wir, meine Damen und Herren.
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Es geht auch um eine Stärkung des Meistertitels. Wofür steht denn der deutsche Meister? Das ist ein einzigartiger Qualitätsstandard, ein Zertifikat an sich. Er steht für Qualität, für Qualifikation, für Verbraucherschutz, für die Leistungsfähigkeit der kleinen und mittleren Betriebe, und vor allen Dingen – das ist ganz wichtig – steht er für die duale Ausbildung. Das ist ja eine einmalige Stärke in der deutschen Wirtschaft. Es ist der Wettbewerb der Besten, es ist der Wettbewerb der Könner. Darauf sind wir in Deutschland zu Recht stolz.
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Meine Damen und Herren, in den zurückliegenden Monaten gab es intensive Gespräche und Anhörungen mit den Handwerksbetrieben und Verbänden. Es gab Anhörungen mit Befürwortern und auch mit Gegnern dieser Handwerksordnungsnovelle. Wir mussten uns an ganz klaren Kriterien entlanghangeln. Es geht nicht so einfach, dass man sagt: Alles wieder zurück auf null. – Das funktioniert nicht. Wir haben nun mal die Europarechtskonformität zu beachten. Das hilft alles nichts. Im deutschen Recht mussten wir vor allen Dingen Artikel 12 Grundgesetz, den Schutz der Berufsfreiheit, beachten. Deswegen haben wir uns an folgenden Kriterien entlanggehangelt: präventive Gefahrenabwehr, Sicherung der Ausbildungsleistung und der Nachwuchsförderung, aber auch – das ist ganz wichtig; es wurde hier auch mehrfach angesprochen – Erhalt von immateriellen Kulturgütern und des Kulturerbes, um ein Handwerk nicht aussterben zu lassen, sondern dauerhaft zu erhalten und traditionelle Techniken und Fachwissen zu sichern.
Mit dem Gesetzentwurf überführen wir nun zwölf Handwerke, die vorher in der Anlage B1 aufgeführt waren, wieder in die Anlage A, aber auch weitere handwerksähnliche Gewerke aus Anlage B2 in Anlage B1, in die Liste derjenigen Handwerksbetriebe, die zulassungsfrei sind. Das ist eine Aufwertung.
Es wurde schon mehrfach angesprochen: Es konnten nicht alle Erwartungen erfüllt werden. Diesen Anspruch konnten wir auch gar nicht haben. Aber eins ist klar: Angesichts der vielen Gewerke, die angesprochen wurden, deren Vertreter auch uns immer wieder angesprochen haben, müssen wir in den nächsten fünf Jahren und in der Evaluation schauen, was noch passieren kann. Da müssen sich die Handwerksverbände, auch die Landesverbände, einig sein. Bei einem Gewerk waren sich die Landesverbände eben nicht einig, und da kann die Politik nicht sagen: Die einen wollen, die anderen wollen nicht; wir entscheiden jetzt darüber. – Also, für die nächsten fünf Jahre müssen wir uns das genau anschauen und den Verbänden sagen: Orientiert euch an den Kriterien, und dann gucken wir, ob eine entsprechende Eintragung in die einzelnen Rollen möglich ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Handwerk ist eine starke Säule, ich würde sogar sagen: die stärkste Säule unseres Wohlstandes. Das sage ich auch ganz stolz als Handwerksmeister. Sorgen wir dafür, dass das so bleibt. Schützen und pflegen wir das deutsche Handwerk!
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Sabine Poschmann das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Es ist vollbracht“, kann man heute sagen. Nach knapp einem Jahr liegt der Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der Meisterpflicht im Handwerk auf dem Tisch. Es ging nicht hopplahopp, wie wir das in letzter Zeit bei manchen Gesetzen feststellen mussten, sondern wir haben ein breites Beteiligungsverfahren gehabt. Es sind Gutachten erstellt worden, es ist eine Koalitionsarbeitsgruppe gegründet worden. Ich muss auch mit der Mär aufräumen, dass wir erst angefangen hätten, als der Bundesrat uns dazu aufgefordert hat. Vielmehr stand schon im Koalitionsvertrag, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen.
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Wir haben den ZDH eingebunden, wir haben den DGB eingebunden, wir haben viele Gespräche mit den Innungen geführt und vor allen Dingen die Anhörung mit allen Gewerken im Ministerium durchgeführt. Ich finde: Mehr geht nicht.
Was war unser Ziel bei diesem Vorhaben? Nicht, den Marktzugang für einige zu begrenzen, sondern – erstens – die Betriebe zukunftssicher zu machen. Dazu hatten wir Gutachten, die tatsächlich belegen: Wenn ein Meister an Bord ist, überlebt der Betrieb eine längere Zeit. Daraus kann man wiederum ableiten, dass die Kunden, also die Verbraucher, natürlich eine längere Bindung an den Betrieb haben, dass der Betrieb dann aber gleichzeitig auch ein Interesse daran hat, eine bestimmte Qualität zu liefern, Auszubildende, also Fachkräfte, heranzuführen und innovativ zu sein, damit er länger am Leben bleibt.
Das zweite Ziel war, das Ganze gerichtsfest zu machen. Wir möchten das nicht nach ein paar Jahren wieder zurückführen, sondern national und im europäischen Kontext über Jahre Beständigkeit sichern. Deshalb haben wir Voraussetzungen festgelegt: Zum einen muss der Beruf sich gewandelt haben, es muss sich schon etwas getan haben; das ist bei vielen Berufen so. Zum anderen muss er gefahrgeneigt sein oder unsere Kulturgüter schützen. Bei zwölf Gewerken traf das zu, bei anderen weniger; die sind nicht wieder in die Anlage A reingekommen. Es sind zum Beispiel stark vertretene Berufe wie der des Fliesenlegers, des Estrichlegers oder des Schilder- und Lichtreklameherstellers, aber auch weniger stark vertretene Berufe wieder reingekommen. Und wie eben schon gesagt: Natürlich gilt für alle anderen der Bestandsschutz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Meistertitel bzw. die Wiedervermeisterung ist nicht das Allheilmittel; darüber sind wir uns, glaube ich, klar. Attraktivität braucht mehr. Wenn wir Arbeitnehmer fragen: Dann sind das für sie natürlich eine gute Zukunftsperspektive, ein entsprechender Lohn, Urlaub, Freizeit. Wenn wir Arbeitgeber fragen, kommt meist als Antwort: Flexibilität. Ich weiß eine Lösung dafür: Tarifverträge.
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Wir müssen den Trend hier stoppen. Im Handwerk sind nur noch 30 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Damit liegen wir 20 Prozent unter dem Durchschnitt aller Gewerke, auch über das Handwerk hinaus. Mit Tarifverträgen binden wir nämlich die Fachkräfte von morgen, die im Moment auch vom Handwerk in die Industrie abwandern. Ich möchte an dieser Stelle nicht drohen, aber ich finde: Ankündigungen haben wir in diesem Bereich genug gehört. Es müssen jetzt auch mal Taten folgen. Ansonsten sind wir als Gesetzgeber gefragt und müssen eingreifen; denn gute Arbeit verdient gute Löhne.
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Zum Schluss möchte ich mich natürlich auch bei allen bedanken, die mitgewirkt haben. Man hat ganz stark gemerkt: Es geht uns hier um die Sache, nicht um Parteipolitik. Ich würde mir wünschen, dass wir eine Koalitionsarbeitsgruppe zum Thema Tarifbindung gründen. Denn dadurch würden wir die Qualität, die wir fordern und die wir vielleicht schon jetzt verbessern, doppelt so stark verbessern. Bei einer Serie würden wir sagen: Fortsetzung folgt.
Herzlichen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Minister Scheuer, die FDP-Bundestagsfraktion hat – trotz aller Unterschiede – kein grundsätzliches Problem mit der Verkehrspolitik von Andreas Scheuer und auch kein grundsätzliches Problem mit der Person Andreas Scheuer.
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Aber was wir beim Thema Maut haben erfahren müssen, das sprengt wirklich den Rahmen. Sie haben im Herbst letzten Jahres entschieden – trotz aller Kritik, trotz aller Bedenken, auch aus dem eigenen Haus –, einen Vertrag abzuschließen, wie es ihn sonst kein zweites Mal gibt. Sie haben einen Vertrag abgeschlossen, der immens hohe Schadensersatzzahlungen nach sich zieht. Sie haben selber die Nerven verloren und wollten das unbedingt machen. Sie haben mit öffentlichen Geldern gezockt, und das ist das Kernproblem. Bis heute haben Sie nicht mit einer Silbe Selbstkritik an den Tag gelegt. Auch deswegen ist es notwendig, das Ganze in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufzuarbeiten.
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Herr Minister Scheuer, Sie haben in mehreren Punkten schwere Fehler begangen. Sie haben zum einen im Herbst letzten Jahres nur ein Angebot auf dem Tisch gehabt – für 3 Milliarden Euro. Ich erinnere Sie daran, dass der Bundesrechnungshof Ihnen schon vor Jahren aufgeschrieben hat, dass die Maut nicht wirtschaftlich ist. Sie war ja dann sogar noch teurer, und genau davor hat der Bundesrechnungshof gewarnt. Gewarnt haben auch alle aus der Opposition und Ihre eigenen Beamten. Sogar Herr Bartol und damit Ihr Koalitionspartner SPD hat Sie davor gewarnt, den Auftrag vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu vergeben. Herr Dobrindt selber – er sitzt ja hier – hat gesagt, man müsse das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten.
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Sie haben das Urteil nicht abgewartet und einen Vertrag abgeschlossen, den es so kein zweites Mal gibt und der besonders schlecht für den deutschen Steuerzahler ist. Sie haben das Haushaltsrecht gebrochen, weil das mit Haushaltsklarheit und ‑wahrheit absolut nichts mehr zu tun hat. Auch das Vergaberecht wurde gebogen – hin und her – und auch gebrochen, weil zum einen extra das Vergabeverfahren für die Lkw-Maut an die Toll Collect gestoppt wurde, um Kosten zu verschieben. Das haben wir als einzige Fraktion rechtzeitig erkannt und kritisiert.
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Sie haben einen eigenen Haushaltstitel schaffen wollen, um Kosten rüberzuschieben. Hätten andere Anbieter gewusst, dass man auch über die AGES die Terminals mitnutzen kann, hätten sie wahrscheinlich geboten. Das war also eine wesentliche Änderung der Vergabe und insofern ein Bruch des Vergaberechtes.
Herr Minister Scheuer, Sie haben einen immensen Schaden verursacht.
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Wir wissen noch nicht, wie hoch der Schaden ist. Wir werden darüber diskutieren müssen. Auch dafür ist der U-Ausschuss leider vonnöten. Denn das versteht doch draußen alles kein Bürger mehr. Was soll denn die Verkäuferin an der Supermarktkasse denken, die bei sehr viel geringeren Vergehen ein Problem bekommt? Was soll der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens denken, der bei sehr viel geringeren Beträgen in der Haftung ist? Wir haben jetzt schon 86 Millionen Euro unnötig ausgegeben, weil Sie – koste es, was es wolle – Ihr Projekt aus dem bayerischen Bierzelt mit dem Kopf durch die Wand durchsetzen wollten. Es werden bald 100 Millionen Euro sein, vielleicht bald 300 oder 500 Millionen Euro. Wo ist Ihre Schmerzgrenze, oder sind Sie völlig schmerzfrei in dieser Frage?
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Uns stört auch insbesondere die Chuzpe, die Dreistigkeit, mit der Sie Fragen nicht beantworten, mit der Sie ablenken. Alle anderen sind schuld außer Ihnen. Das nervt langsam. Deswegen beantworten Sie mal die Fragen zu Toll Collect! Beantworten Sie mal die Fragen zu den Aufklärungsgesprächen! Es glaubt doch hier niemand im Raum, dass, wenn Sie sich mit den Spitzen von Kapsch und Eventim treffen, das ein Kaffeeklatsch ist, wo es nicht um das Wesentliche, um das Eingemachte geht. Natürlich haben Ihre Beamten da mitgeschrieben. Hören Sie auf, da den Deutschen Bundestag anzulügen!
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Auch darüber wird diskutiert werden. Es besteht der Verdacht, dass Sie die Unwahrheit gesagt haben. Sie haben dem deutschen Steuerzahler einen massiven Schaden zugefügt. Deswegen ist dieser Untersuchungsausschuss leider notwendig, und der wird für Sie äußerst unangenehm.
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Das Wort hat der Kollege Michael Frieser für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Luksic, das ist genau das, was man nicht machen darf, wenn man einen Untersuchungsausschuss auf den Weg bringen will: die Wertungen vorab vorzunehmen und genau zu wissen, was hinterher dabei herauskommt.
({0})
Dann sagen Sie nämlich am Ende des Tages selber, dass Sie eigentlich gar keinen Untersuchungsausschuss brauchen.
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Wenn ich eines sagen darf: Mit dem Begriff „Lüge“ brauchen wir überhaupt nicht zu arbeiten.
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Das Schicksal meint es gut mit mir. Schon in der letzten Legislaturperiode war ich stellvertretender Vorsitzender des 2. Untersuchungsausschusses. Man kann durchaus verschiedener Auffassung darüber sein, ob so etwas notwendig ist. Aber Sie müssen aufpassen; denn kein Untersuchungsgegenstand war jemals – und wird es in Zukunft wahrscheinlich auch nicht wieder sein – durch einen Minister so vorbereitet.
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Alle Unterlagen, alle Verträge, sogar die Absprache mit den Auftragnehmern bis hin zu Veröffentlichungen im Internet wurden den Kollegen zur Verfügung gestellt. Alle Fragenkataloge wurden fristgerecht beantwortet. Dann hinterher noch von Lüge zu reden, das ist in der Tat ein starkes Stück.
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Aber, meine aufgeregten Kollegen und Kolleginnen, dahinter steckt natürlich eine politische Botschaft.
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Man kann doch hinsichtlich der Infrastrukturabgabe unterschiedlicher Auffassung sein; der eine hält sie für richtig, der andere hält sie nicht für richtig.
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Aber es ist wohl unbestreitbar, dass eine Mehrheit der Deutschen immer schon gesagt hat: Also, ganz ehrlich, so falsch kann der Gedanke mit der Maut nicht sein.
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Dass man den Wählerinnen und Wählern ein Versprechen abgibt, das wir auch umsetzen und das am Ende auch durch den Verkehrsminister umzusetzen ist, das versteht sich von selbst.
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Ein Blick ins Grundgesetz reicht dafür vollkommen aus. Nichts anderes ist passiert, als dass wir versucht haben, das, was wir den Wählerinnen und Wählern versprochen haben, in die Tat umzusetzen.
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Das ist genau das legale, das richtige, das politisch verantwortungsvolle Verhalten dieses Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer. Und daran wird es auch keinen Zweifel geben.
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Jetzt müssen wir schon einmal darüber reden, dass es nicht sein kann, etwas in einen Ausschuss, nämlich in den Verkehrsausschuss, hineinzugeben, der alle Fragen beantworten und bearbeiten kann und wo die Kollegen – das sind übrigens Fachleute – tatsächlich bereits mit dem Thema beschäftigt sind, man dann aber diesen Verkehrsausschuss und diejenigen, die sich bis jetzt mit genau diesen Fragen beschäftigt haben, dieser Sache enthebt. Die einzige Folge eines Untersuchungsausschusses ist also: Jetzt fangen wir wieder von vorne an. Jetzt fangen wir mit genau dem, was wir bisher schon aufgearbeitet und an Unterlagen verteilt haben, erneut an.
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Ob das tatsächlich am Ende der Zeit der Aufarbeitung der Themen dient, ist, muss ich sagen, bisher zumindest, extrem zweifelhaft. Ich glaube auch nicht, dass das so hilft. Aber ein Untersuchungsausschuss ist das wichtigste, das schärfste Schwert, das die Minderheiten dieses Parlamentes haben. Deshalb muss man ganz besonders aufpassen, wie man damit umgeht.
({12})
Einem solchen Untersuchungsausschuss werden Rechte zugebilligt,
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die nicht mehr nur einem juristischen, sondern einem richterlichen Weg, einem prozessualen Weg folgen. Insofern ist es ganz entscheidend, dass man dabei auch darauf achtet, wie ein solcher Untersuchungsauftrag ausformuliert ist,
({14})
damit diejenigen, die verpflichtet werden, als Zeugen aufzutreten, als Sachverständige aufzutreten,
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auch ganz genau wissen, worauf sie sich einlassen. Es ist deshalb gute Übung, dass man das im Geschäftsordnungsausschuss noch mal überprüft
({16})
und sich zu dieser präzisen Vorlage äußert, zum Beispiel zu der Frage: Wo setzen wir, was den Untersuchungsgegenstand und den Untersuchungszeitpunkt angeht, in diesem Ausschuss eigentlich an?
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Wir werden uns diesem Ausschuss natürlich stellen. Das tun gute Demokraten.
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Hoffentlich bringt er eine Versachlichung dieser Debatte. Ich wünsche mir, dass wir in der Lage sind, eines eben genau nicht zu tun: bereits Wertungen, bereits Ergebnisse vorwegzunehmen, obwohl sie doch eigentlich erst am Ende der Arbeit eines solchen Untersuchungsausschusses stehen sollen.
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Ich meine, liebe Kollegen, wenn schon der Verkehrsausschuss konzentriert arbeitet, alle Fragen stellt, alle Fragenkataloge beantwortet bekommt, dann sollte sich eine Versachlichung der Debatte einstellen. Der Minister hat angeboten, zu jedem Zeitpunkt überall Rede und Antwort zu stehen.
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Wissen Sie, was im Ergebnis passiert ist? Es war einfach zu wenig Theaterdonner.
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Da kann ich nur sagen: Sie werden sich noch wundern, dass das mit dieser Skandalisierungsgier, die Sie hier an den Tag legen, im Untersuchungsausschuss gerade nicht funktioniert, wenn Sie sich fernab der Öffentlichkeit mit Fragen beschäftigen müssen, auf die ich mich als Jurist extrem freuen könnte.
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Da wird es nämlich um die Tiefen der europarechtlichen Vergabepraxis gehen. Da wird es um die Frage des Haushaltsrechtes gehen. Da wird es tatsächlich um die Frage des vorvertraglichen und vertraglichen Rechtes gehen. Da wird es auch um die Frage von Schadensersatzrechten gehen.
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Aber am Ende einer solchen Arbeit – und darauf wollen wir uns präzise einlassen – wird und kann natürlich nur stehen: Selbstverständlich soll auch die Minderheit in diesem Haus ihre Möglichkeit haben, sich mit diesem Untersuchungsgegenstand auseinanderzusetzen. Aber Theaterdonner ist genau das, was wir nicht brauchen. Ich hoffe, dass wir das bereits mit unserer Befassung im Geschäftsordnungsausschuss auch wirklich beweisen können.
Vielen Dank.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Wiehle für die AfD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Klarheit, Transparenz und Glaubwürdigkeit, das sind grundlegende Prinzipien, die für das Vertrauen des Volkes in seine Vertreter in der Politik erfüllt sein müssen.
({0})
Ist beim Umgang des Verkehrsministeriums mit dem Thema Pkw-Maut gegen diese Grundprinzipien verstoßen worden?
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Ich skizziere ein paar Fragen.
Stichwort „Klarheit“. Wurde das Projekt Infrastrukturabgabe, kurz Pkw-Maut, trotz eindeutiger Signale weiterverfolgt, dass es mit heutigem EU-Recht unvereinbar ist?
Stichwort „Transparenz“. Wurden die wesentlichen Hintergründe offengelegt, oder haben Verabredungen im Verborgenen stattgefunden, die man auch als wesentlich bezeichnen muss?
Stichwort „Glaubwürdigkeit“. Als ein Aktenwagen voller Ordner in den Saal des Verkehrsausschusses geschoben wurde, waren in diesen Ordnern alle entscheidenden Dinge dokumentiert, oder gab es mehr davon, auf Papier oder auch nur in den Köpfen?
Viele Fragen wurden aufgeworfen. Ja, vielleicht wurden sie gezielt aufgeworfen von Ministerjägern, die noch mehr die Schlagzeilen als die Wahrheit suchen. Fragen wurden auch provoziert durch Auftritte des Ministers, die mehr effektvoll als nüchtern aufklärend ankamen. Die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse an Antworten. Deshalb, meine Damen und Herren, unterstützt die AfD-Fraktion grundsätzlich den Untersuchungsausschuss.
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Gerade weil wir nicht einbezogen waren, haben wir die Freiheit, den Untersuchungsauftrag selbst unter die Lupe zu nehmen, den drei Fraktionen dieses Hauses formuliert haben.
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Anders als der Klub der Ultralinken, dem die FDP hier beispringt, können wir uns den Luxus der Objektivität leisten.
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Durch Wiederholungen wie beim Thema Risikomanagement wird der Fragenkatalog länger, aber nicht gehaltvoller. Auch die Antragsteller wollen doch die Bundesrepublik Deutschland vor Schaden bewahren wie hoffentlich alle in diesem Hause. Vertreter Ihrer Fraktionen haben aber den Teufel an die Wand gemalt und Riesenbeträge genannt,
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die die gekündigten Mautbetreiber als Schadensersatz fordern könnten. Haben Sie sich eigentlich mal überlegt, ob Sie mit diesem Wortgeklingel genau solche Forderungen heraufbeschwören?
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Eine sehr wichtige Frage wird nur am Rande gestreift: Welche Rolle spielt die Europäische Union bei diesem Mautdesaster?
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Wer lieber heute als morgen noch mehr Macht an die Zentrale in Brüssel abgeben will, wird diese Frage nicht stellen, und wer Angst davor hat, in Brüssel oder bei manchen Medien als Bösewicht dazustehen, wird auch den Mund halten. Wir von der AfD schweigen aber nicht.
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Viele europäische Länder haben vor Jahrzehnten eine Maut eingeführt. Es gehört zu den grundlegenden politischen Mechanismen, dass die betroffene Gruppe, die Autofahrer, vor übermäßiger Belastung geschützt und bei anderen Steuern und Abgaben dann milder behandelt wird. Wenn Deutschland jetzt nachziehen will, erhebt Brüssel Einspruch und stützt sich auf strenge Regularien. Das zeigt: Mit der wachsenden Zentralisierung der Europäischen Union haben wir klar an Freiheit verloren.
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Das müssen auch die CSU-Verkehrsminister gewusst haben, die das Pkw-Mautprojekt betrieben haben, wohl im Auftrag der Parteispitze, die auch noch mit lautstarker Wahlwerbung die EU-Kommission geradezu mit der Nase auf das Problem gestoßen hat.
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Mit der EU-Kommission hat sich das Verkehrsministerium nach langem Hin und Her geeinigt, und auch der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof hat noch Anfang 2019 in der deutschen Pkw-Maut kein Problem gesehen. Der EuGH selbst hat bekanntlich anders geurteilt. Das war leider abzusehen. Der EuGH steht im Ruf, dass er immer wieder die Macht der Brüsseler Zentrale stärkt, weniger im Ruf juristisch qualitätsvoller Urteile.
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Auch diese Tendenz dürfte durchaus einmal untersucht werden.
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Wir von der AfD-Fraktion wollen Klarheit, Transparenz und Glaubwürdigkeit. Wir stellen auch die Fragen, die jetzt nicht im Untersuchungsauftrag stehen, und wir wollen, dass auch dort Licht ins Dunkel gebracht wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Udo Schiefner für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Untersuchungsausschuss spreche, möchte ich aus Sicht der SPD noch mal festhalten: In den letzten sechs Jahren haben wir immer wieder gesagt, dass die Pkw-Maut nicht unser Verkehrsprojekt war. Die SPD hat 2013 ein umfangreiches sozialpolitisches Gesamtkonzept durchgesetzt, und dafür haben wir diese Pkw-Maut, die aus Bayern damals als Wahlkampfschlager kam, in Kauf genommen. Ebenfalls eindeutig hat meine Fraktion immer wieder ihre Bedingungen für eine Maut genannt. Ein wichtiger Punkt war für uns immer: Sie muss europarechtskonform sein.
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Dies haben wir auch immer wieder in den Beratungen vorgebracht. Nun wissen wir: Die EU-Hürde wurde eindeutig gerissen. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist nun endgültig klar: Die vom Verkehrsministerium geplante Maut war nicht mit dem europäischen Recht vereinbar.
Was bleibt jetzt von dieser Pkw-Maut? Viel politischer Streit, Nervosität, Aufgeregtheit, viele offene Fragen und zum Teil schwerwiegende Vorwürfe. Statt der erwarteten Einnahme in Höhe von einer halben Milliarde Euro bleiben am Ende schlimmstenfalls erhebliche Ausgaben. Wenn ich mir die Geschichte heute anschaue, muss ich feststellen: Nur Berufszyniker glauben noch immer, dass dies eine gute Idee war.
({1})
Und doch schreiben wir nun ein weiteres Kapitel mit Blick auf die Maut. Uns liegt nun der Antrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor. Dem Bundestag steht nach Artikel 44 des Grundgesetzes dieses Recht zu. Ich betone: Dies ist ein gutes und wichtiges Recht. In diesem Antrag wird unter anderem beklagt, dass das Verkehrsministerium Verträge mit Anbietern geschlossen hat, obwohl noch nicht das Urteil vorlag. Auch wir haben mehrmals darauf hingewiesen, dies doch bitte abzuwarten.
In der Presse wird dieses Thema seit Wochen hoch und runter debattiert; denn es geht letztlich auch um viel Geld. Angesichts einer medial so aufgeregt geführten Diskussion ist es aber richtig und umso wichtiger, dass wir jetzt allen Vorwürfen nachgehen und sie aufklären.
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Wir sind dazu aufgerufen, gemeinsam zu ermitteln, ob dem Verkehrsministerium berechtigter- oder unberechtigterweise fehlerhaftes Verhalten vorgeworfen wird.
„Der Untersuchungsausschuss ist eine Chance, um die Debatte zu versachlichen.“ Das hat der Minister vor einigen Tagen erklärt. Ich finde, so sollten wir an die Sache herangehen. Dabei setze ich darauf, dass die Oppositions- und Koalitionsfraktionen sowie alle Zeugen ernsthaft und konstruktiv mitwirken. Wir sind uns hoffentlich einig, dass ein Untersuchungsausschuss keine politische Showbühne ist. Wenn er dazu verkommt, denke ich, dann werden wir auch dem Grundgesetz nicht gerecht. Der Ausschuss soll uns echte Erkenntnisse bringen. Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich zusichern: Wir werden für maximale Transparenz eintreten
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und das gute Recht des Parlaments in vollem Umfang nutzen. Ich glaube, das sind wir dem Parlament, das letztendlich den Auftrag gibt, schuldig, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern.
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Unsere Aufgabe im Ausschuss sehe ich darin, eine faire und umfassende Verhandlung zu führen. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses sind weder Ankläger noch Verteidiger. Sie sind vielmehr Aufklärer dieses Parlamentes. Das sollten wir bei den Beratungen auch vor Augen haben.
Ich erwarte, dass alles auf den Tisch kommt und wir am Ende einen Abschlussbericht vorlegen können, der keine Fragen offenlässt.
Mit dieser Hoffnung danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jörg Cezanne für die Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Scheuer, Sie haben mit Ihrer falschen politischen Entscheidung im Dezember letzten Jahres, vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs Verträge über die Maut abzuschließen und hohe Entschädigungsleistungen mit den Betreibern zu diesem Zeitpunkt zu vereinbaren, Schaden für die Bundesrepublik Deutschland verursacht. Die politische Verantwortung dafür tragen Sie.
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Das wissen wir heute. Treten Sie zurück!
Sie haben weiterhin im Ausschuss Ihre Aufklärungsbereitschaft medienwirksam präsentiert. Sie haben die Unterlagen aber nicht vollständig zur Verfügung gestellt. Sie haben über die stattgefundenen Geheimgespräche erst informiert, als es schon in der Presse stand. Selbst dann haben Sie hier im Deutschen Bundestag noch über andere Termine, die ebenfalls stattgefunden haben, die Unwahrheit gesagt. Auf gut Deutsch: Sie haben uns belogen. Auch dafür müssen Sie zurücktreten.
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Jenseits dieser politischen Bewertung des Verhaltens des Ministers wird es im Untersuchungsausschuss für uns im Wesentlichen um zwei große Fragen gehen:
Auf welcher Informationsgrundlage ist dieser frühzeitige Vertragsabschluss zustande gekommen, wieso sind die Schadensersatzregelungen in dieser Form vereinbart worden, und aufgrund welcher Gespräche, Hausinterna oder sonstiger Informationen sind Sie davon ausgegangen, dass es mit dem Europäischen Gerichtshof gut gehen wird? – Das ist die erste große Frage, die wir uns stellen.
Die zweite große Frage bezieht sich natürlich auf die nachträgliche Veränderung der Ausschreibungsbedingungen im Laufe der Gespräche mit den Mautbetreibern. Das ist der Zeitraum von Oktober bis zum Ende des Vertragsabschlusses. Seit der vergangenen Woche wissen wir auch, dass es noch im Mai dieses Jahres eine Zustimmungsvereinbarung gegeben hat, dass es eine interne Vereinbarung gegeben hat, die ich nur als groben Verstoß gegen das Haushaltsrecht verurteilen kann.
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In dieser Vereinbarung ist die schon möglicherweise preisverdächtige Formulierung enthalten, dass Toll Collect für die Übernahme von Aufgaben, die eigentlich die Betreiber hätten leisten sollen, keine einem Drittvergleich vollständig entsprechende marktübliche Vergütung erhalten solle. Mit anderen Worten: Ein staatlicher Dienst, eine staatliche Behörde, leistet für einen privaten Betreiber Aufgaben und Dienste, die aber überhaupt nicht im entsprechenden Rahmen vergütet werden. Darüber wurde der Bundestag nicht informiert.
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Das ist ein so dramatischer Verstoß gegen das Haushaltsrecht, der allein schon Ihren Rücktritt erfordert.
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Um es noch einmal zum Abschluss zu bringen: Ja, wir könnten uns diesen Untersuchungsausschuss ersparen, wenn es gelingt, auch auf andere Weise eine vollständige Öffentlichkeit über das, was im Verkehrsministerium passiert ist, herzustellen. Treten Sie zurück, Herr Minister!
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Machen Sie den Weg frei für lückenlose Aufklärung! Lassen Sie uns eine unabhängige Untersuchung im Ministerium unter Einbeziehung der Bundestagsabgeordneten machen. Dann können wir uns das ganze Theater sparen.
Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Besessen von der Bierzeltidee Ihrer Partei, Herr Minister Scheuer, haben Sie der Umsetzung der Pkw-Maut alles untergeordnet, insbesondere die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
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Noch vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes haben Sie einen milliardenschweren Vertrag am Parlament vorbei unterschrieben. Dieser Vertrag enthält versteckte Kosten in Millionenhöhe für den Bund, verlagert die Risiken einseitig auf den Staat und hätte deshalb nie so unterschrieben werden dürfen.
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Sie sind mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zocken gegangen und haben dadurch einen Schaden in dreistelliger Millionenhöhe verursacht. Als Parlamentarier und Haushaltsgesetzgeber sehe ich uns im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in der Pflicht, diesen Sachverhalt vollständig aufzuklären. Deshalb brauchen wir einen Untersuchungsausschuss.
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Herr Minister, Sie haben immer wieder behauptet, Sie seien quasi gezwungen gewesen, das Vergabeverfahren zur Pkw-Maut noch im Jahr 2018 abzuschließen. Tatsächlich hätte das Vergabeverfahren aber bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes verlängert werden können. Ein solches Vorgehen wäre rechtlich möglich gewesen. Das ist das klare Ergebnis eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes.
Ganz im Stil eines Donald Trump stellen Sie sich nun hierhin und sagen, Sie seien Opfer einer bösen Kampagne der Opposition und die Opposition habe zwar immer die Maut, aber nie das Verfahren kritisiert. Das ist glatt gelogen. Ich habe hier ein Stück Papier in der Hand. Das ist das Protokoll des Verkehrsausschusses vom 7. November letzten Jahres. Dort haben wir eine Selbstbefassung beantragt und zum Vergabeverfahren nachgefragt. Die Kolleginnen und Kollegen haben das genauso getan wie wir.
Ich habe dort gefragt, wie es sein kann, dass das Vergabeverfahren für die Kontrolle der Maut noch vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vertraglich fixiert wurde. Es wurde mir mitgeteilt – der Kollege Ferlemann, der neben Ihnen sitzt, hat es gesagt –, Auswirkungen der Klagen auf das Verfahren sehe die Bundesregierung nicht, da sie davon ausgehen würde, dass die Klagen nicht erfolgreich sein würden. Es ist bekanntlich anders gekommen. Ich sage Ihnen, Herr Minister: Im Untersuchungsausschuss können Sie sich solche Erinnerungslücken nicht leisten; denn da müssen Sie unter Eid aussagen.
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Wir werden im Untersuchungsausschuss das Vergabeverfahren von vorne bis hinten durchleuchten. Mittlerweile kommen unabhängig voneinander drei Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass die Konditionen des Mautbetreibervertrages klar zum Nachteil des Bundes geschlossen wurden. Im Falle einer Kündigung aus ordnungspolitischen Gründen – dazu zählt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs – steht den Betreibern der entgangene Gewinn für die gesamte Laufzeit von zwölf Jahren zu.
Das TV-Magazin „Frontal 21“ hat sich den Businessplan der Betreiberfirma angesehen und mit Experten eine Umsatzrendite von sagenhaften 24 Prozent errechnet. Sechs Monate arbeiten, zwölf Jahre kassieren – es ist wirklich unglaublich, was hier unterschrieben wurde.
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Die Behauptung, man werde nicht zahlen müssen, weil es weitere Kündigungsgründe gebe, insbesondere Schlechtleistungen der Auftraggeber, ist konstruiert und durch die Aktenlage mittlerweile als unzutreffend entlarvt.
Im Oktober 2018 lag ein Angebot des letzten noch verbliebenen Betreibers für den Mautbetrieb in Höhe von 3 Milliarden Euro vor. Im Haushalt standen dafür aber nur 2 Milliarden Euro zur Verfügung. Unterschrieben wurde im Dezember dann ein Vertrag mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro . Wir fragen uns: Was ist eigentlich in der Zwischenzeit mit der 1 Milliarde Euro passiert?
Andreas Scheuer und sein Staatssekretär Gerhard Schulz, der übrigens später die Seiten gewechselt hat und Geschäftsführer von Toll Collect geworden ist, trafen sich mehrfach mit den künftigen Mautbetreibern Kapsch und Eventim. Mitten in der heißen Phase des Vergabeverfahrens fanden also Spitzengespräche statt, über die es angeblich keine Vermerke und Protokolle gab, die lediglich einem politischen Gedankenaustausch gedient haben sollen. Für wie beschränkt halten Sie uns eigentlich?
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Jeder Baustellenbesuch des Ministers zieht einen Meter Akten nach sich, und hier soll es keine Akten gegeben haben? Das halte ich für einen Witz. Die fehlende Veraktung ist ein klarer Rechtsbruch. Auch das bestätigt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes.
Kollege Kühn, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich komme zum Schluss. – Es wäre auch sinnvoll, das zu verakten, nämlich zum Schutz vor Korruption. Sie haben es nicht getan.
Wir haben viele Fragen, insbesondere zu den Kosten. Das Stammtischprojekt der CSU ist teuer. Schon jetzt betragen die Kosten mehr als 80 Millionen Euro . Hinzu kommen Schadenersatzzahlungen -
Setzen Sie bitte einen Punkt, und die Fragen verlagern wir dann in die Aufklärung.
– durch die Abwicklung des Mautverfahrens und des Schiedsverfahrens. Alles wird teuer. Sie tragen die politische Verantwortung für die Kosten. Kommen Sie Ihrer Verantwortung nach und treten Sie zurück.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Ulrich Lange das Wort.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein bisschen überrascht bin ich jetzt schon. „Wir stellen fest: Es wurde gezockt.“ Andere fordern den Rücktritt. – Ich dachte, wir sprechen über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und nicht über den Abschlussbericht.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Untersuchungsausschuss ist die Chance parlamentarischer Kontrolle. Das Ganze gehört sich nüchtern und unaufgeregt. Genau das Gegenteil erleben wir gerade. Ich sehe hier sehr viele sitzen, die bereits den einen oder anderen Untersuchungsausschuss hinter sich haben – ich auch. Die Tücken liegen bekanntlich im Detail, Punkt für Punkt, objektiv, ohne mediale Aufregung; denn nachts um 1 Uhr oder 2 Uhr, wenn „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ gesendet wurden, steht niemand mehr da und hört sich die juristischen Feinheiten an, um die wir nachts im Zweifel ringen werden.
Dann geht es um Sachverhaltsaufklärung, seriös und ernsthaft. Bitte nicht vergessen: Für uns alle gilt, es ist ein Rechtsstaat, und in einem Rechtsstaat gelten immer noch Untersuchungsgrundsatz und Unschuldsvermutung.
({1})
Das, was Sie zum jetzigen Zeitpunkt treiben, nämlich einen Rücktritt zu fordern, sind Vorverurteilungen. Das ist mit Blick auf den Rechtsstaat und die juristische Aufklärung alles andere als dienlich.
({2})
Lieber Kollege Luksic, gerade von jemandem, der sonst die Rechtsstaatspartei so hochhebt, erwarte – –
({3})
– Doch. Sie haben gesagt, als Sie auf den Platz zurückgegangen sind, es sei erledigt, wenn der Minister zurücktritt.
({4})
– Mein Vorteil ist, ich saß daneben. Deswegen spreche ich Sie direkt an.
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Ich wehre mich, wir wehren uns gegen Vorverurteilungen. Gerade von Ihnen erwarten wir anderes.
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Gerade von Ihnen erwarten wir, dass Sie sich, wenn Sie einen Untersuchungsausschuss wollen – das Recht haben Sie –, auf die kleinteilige Arbeit einlassen, die dann ansteht.
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Kleinteilig heißt nämlich rechtlich komplex und tatsächlich komplex. Hier muss man bei den Wörtern genau aufpassen.
({8})
Herr Kollege Kühn, es ist unseriös, von einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes bezüglich des Vergaberechts zu sprechen, wenn „Kurzinformation“ darübersteht. Eine Kurzinformation ist kein Gutachten. Da drin steht auch nichts über die Pkw-Maut,
({9})
sondern Inhalt ist eine reine Normbetrachtung im Vergaberecht.
({10})
Was heißt das? – Der Wissenschaftliche Dienst hat nichts anderes getan, als über eine Norm aufzuklären. Unseriös und politisch wird es dann, wenn man zwei Seiten aus einem Kommentar kopiert und behauptet, man habe den Sachverhalt unter diese Norm subsumiert. Ich weiß, Sie beide sind keine Juristen, aber Sie werden sich darüber mit Juristen auseinandersetzen müssen. So einfach ist die Sache im Detail nicht.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Untersuchungsausschuss hat die Aufgabe, rein exekutives Verhalten im Ministerium aufzuklären. Hierzu liegen bereits viele Ordner zum Lesen vor. An dieser Stelle bedanke ich mich herzlich beim BMVI und bei den dort handelnden Beamten; denn das muss ja immer nebenher gemacht werden. Ich finde, es gehört dazu, das an dieser Stelle einmal zu erwähnen.
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Aufklärungswille und Aufklärungsboykott – da kann ich wirklich nur den Kopf schütteln. Man kann sagen, man hätte das anders aufgearbeitet haben wollen – das ist möglich –, aber es waren genügend Ordner da, erst in der Geheimschutzstelle, dann offen.
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Dann waren genügend weitere Verträge und Schriftstücke da. Sie können ganz viel nachlesen. Trotzdem tun Sie so, als ob Sie alles wüssten. Vor dem Hintergrund frage ich im Umkehrschluss: Wenn Sie jetzt schon alles wissen und abschließend beurteilen können, wofür brauchen Sie dann einen Untersuchungsausschuss? – Doch nur zum medialen Klamauk oder weil Sie den Kopf eines Ministers wollen und es Ihnen nicht um die Sache geht.
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All diejenigen, die jetzt nie dabei gewesen sein wollen, bitte ich, sich zu erinnern. Selbst die Regierung in Thüringen, die sich am Sonntag zur Wahl stellt, hat ja mit der Maut noch ein Geschäft gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gehört einfach zur Wahrheit dazu. Thüringen, Rot-Rot-Grün, hätte über den Bundesrat die Möglichkeit gehabt, die Maut zu verhindern. Sie haben es nicht getan. Insofern bitte ich alle, die nicht dabei gewesen sein wollen, sich zu erinnern. Die Menschen im Lande werden es nicht vergessen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Verkehrspolitik steht in den nächsten Wochen und Monaten viel an: Klimaschutz, LuFV, Gemeindeverkehrsfinanzierung, Regionalisierungsmittel, Personenbeförderung, Strukturstärkungsgesetz, Mobilfunkausbau, Glasfaser. Wir haben viele Aufgaben. Wir werden auch den Untersuchungsausschuss meistern. Es ist Ihr Recht, ihn einzufordern; das steht Ihnen zu. Wir werden uns trotzdem mit unserem Minister gemeinsam um die Dinge kümmern, die die Bürger wollen und brauchen; denn das bringt unser Land voran.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion.
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„Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.“ Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Die Kanzlerin hatte recht. Sie brauchte zwar die Unterstützung des Europäischen Gerichtshofes, aber ich stelle fest: Die Pkw-Maut ist Geschichte, und das ist auch gut so.
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In der heutigen Debatte geht es um einige Fragen zur Vergabe, was die Erhebung und Kontrolle der Maut angeht: War der Zeitpunkt der Vergabe richtig? Wie sah es mit der Kostenberechnung aus? Gibt es mögliche Schadensersatzansprüche durch die Gestaltung des Vertrages? – Zu einigen dieser Fragen hat uns der Minister zeitnah dankenswerterweise sehr viele Informationen zur Verfügung gestellt, aber wie wir heute wissen,
({1})
kann das eventuell nicht ausreichend gewesen sein.
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Die Frage, die sich hier stellt, ist: Hat er uns alles gegeben, was erforderlich war, um den Sachverhalt aufzuklären, oder nicht? Wir können noch drei Stunden darüber debattieren, ob das so war oder nicht. Wir können das ganze Verfahren aber auch versachlichen und dem einen vernünftigen Rahmen geben. Dann brauchen wir über diese Fragen an dieser Stelle nicht mehr zu debattieren. Das machen wir heute, und das ist auch gut so.
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Ich sage aber ganz klar und deutlich: Ein Untersuchungsausschuss ist kein Instrument der Vorverurteilung, kein Instrument, um irgendjemanden an den Pranger zu stellen. Die SPD wird dafür sorgen, dass dieser Untersuchungsausschuss keine Bühne für Profilierungssucht und Anklagen wird.
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Meine Herren und Damen, Forderungen nach dem Rücktritt des Ministers, die wir hier heute gehört haben, ohne Kenntnis aller Fakten, gehören eindeutig zu diesem Verhalten.
Wir werden dafür sorgen, dass alle Fakten zu den noch offenen Fragen dargelegt werden,
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insbesondere zum Zustandekommen der Vergabe. Klar ist auch: Wenn Sie dem Hinweis der SPD gefolgt wären und gewartet hätten, bis der EuGH geurteilt hat, dann würden wir hier heute nicht über dieses Thema beraten und dann gäbe es keinen Untersuchungsausschuss.
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Wir werden heute die Einsetzung des Untersuchungsausschusses beschließen. Sie alle wissen, dass wir dort Zeugen vernehmen werden. Die Vernehmung von Zeugen ist etwas, was ich in meiner beruflichen Laufbahn sehr oft gemacht habe. Daher weiß ich auch: Wenn man Zeugen vernimmt, dient das ausschließlich der Wahrheitsfindung, nur der Wahrheitsfindung. In diesem Sinne bin ich gespannt, was wir in diesem Untersuchungsausschuss erfahren werden und freue mich auf die Ergebnisse.
Herzlichen Dank.
({7})
Damit schließe ich die Aussprache.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin dankbar, in Deutschland zu leben, einem Land, in dem es den Menschen besser geht als über 90 Prozent der Weltbevölkerung, einem Land, in dem sich Menschen engagieren, in dem sie sich einbringen können; und in Deutschland tun 30 Millionen Menschen genau das. Sie alle kennen solche Menschen, Menschen, die im Sommer mit der Wasserwacht den Badesee sichern, die Sportfeste, Dorffeste und Schützenfeste organisieren, die sich in der freiwilligen Feuerwehr engagieren und helfen, wo Hilfe gebraucht wird, oder die ehrenamtlich Kindern bei den Hausaufgaben und Seniorinnen und Senioren beim Einkaufen helfen. Sie alle sorgen dafür, dass der Laden läuft. Das tun sie in mehr als 600 000 Vereinen und gemeinnützigen Organisationen, ob in Mehrgenerationenhäusern, in Partnerschaften für Demokratie oder in Engagierten Städten.
Dieses großartige Engagement ist Gold wert und gleichzeitig unbezahlbar. Wir können es nicht verordnen. Wir können es nur fördern und unterstützen; denn es macht unser Land aus und hält unsere Gesellschaft zusammen.
({0})
Deshalb ist es gut und wichtig, dass wir als Vorsitzende der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ – gemeinsam mit dem Bundesinnenminister und der Landwirtschaftsministerin – der Bundesregierung vorgeschlagen haben, eine Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt zu gründen.
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Denn die Förderung von Engagement kann eine Antwort auf die Frage sein, wie wir für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland sorgen können. Als Bundesministerin, die für das ehrenamtliche Engagement zuständig ist, und als Kovorsitzende der Kommission freue ich mich, dass wir nach über einem Jahr Vorbereitungsarbeit heute den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt in erster Lesung einbringen und mit Ihnen darüber diskutieren können.
Wir wissen, dass Engagierte überall vor ähnlichen Problemen stehen, zum Beispiel, wenn es um Nachwuchssorgen geht, wenn es um die Unterstützung von Partnern und um rechtliche Fragen geht, um den ganzen Papierkram oder alles, was mit der Digitalisierung zusammenhängt. Wie wäre es, wenn nicht an allen 600 000 Vereinstischen im Land dieselben Probleme gelöst werden müssten, sondern es Hilfe aus einer Hand gäbe, wenn wir innovative Ideen im Bereich Digitalisierung anderen Organisationen zugänglich machen würden, damit engagierte Menschen ihre Zeit und Kraft nicht mit Papierkram verschwenden, sondern auf ihr Engagement verwenden? Mit der Stiftung schaffen wir einen Ansprechpartner zur Klärung all dieser Fragen, der Wissen teilt und für alle zugänglich macht, der beratend zur Seite steht, der die Engagementstrukturen in ländlichen wie in urbanen Räumen stärkt, der die Förderprogramme kennt und Kontakte vermitteln kann und diejenigen, die etwas machen wollen, unterstützt, an die Hand nimmt und ihnen Hilfestellung gibt, damit alle, die vor Ort anpacken wollen, das auch tun können, damit sie die Antworten bekommen, die sie dafür brauchen.
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Es gibt viele Regionen in Deutschland, in denen bürgerschaftliches Engagement schon sehr gut funktioniert, wo Stadtverwaltungen, Vereine, regionale Unternehmen und Bürgerstiftungen einen guten Draht zueinander haben und sich gegenseitig helfen, wenn der Schuh drückt. Diese Strukturen wollen wir weiter ausbauen, gerade in strukturschwachen und ländlichen Regionen, wo die weißen Flecken sind.
Ich hatte heute die Landjugend in meinem Ministerium zu Gast. Sie haben die Erntekrone für dieses Jahr überbracht. Die jungen Menschen haben mir erzählt, was sie sich wünschen, nämlich dass auf dem Land alles genauso gut erreichbar ist, dass die Jugend auch dort Möglichkeiten hat, dass das Engagement auch dort Unterstützung bekommt, wo sonst nicht so viel los ist. Deshalb ist es gut, dass wir uns gemeinsam darauf verständigt haben, gerade in den strukturschwachen Regionen in Ost und West mit dieser Stiftung zusätzliche Unterstützung zu geben, und mit dem Standort der Stiftung ein klares Zeichen setzen; der ist nämlich nicht in der Big City, sondern im ländlichen Raum, im Osten Deutschlands, in Mecklenburg-Vorpommern. Die Ressorts und die Regierungsfraktionen haben sich gemeinsam auf Neustrelitz als Standort verständigt. Ich glaube, das ist ein wichtiges Zeichen.
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Meine Damen und Herren, es heißt: Wer Engagement will, muss Sinn geben. – Wir wollen Sinn geben, und wir wollen dafür sorgen, dass das Gemeinwesen besser funktioniert, dass es gut gestaltet werden kann, dass unser Land sich gut entwickelt. Dazu soll die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt einen wichtigen Beitrag leisten. Sie soll Engagierten in Deutschland den Rücken stärken. Darüber freue ich mich.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Unterstützung, für die erste Lesung und alles, was noch kommt, für eine Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt.
Herzlichen Dank.
({4})
Nicole Höchst, AfD, ist die nächste Rednerin.
({0})
Herr Präsident! Werte Kollegen! Frau Ministerin! Als Partei, die sich auf allen Ebenen für das Ehrenamt starkmacht, begrüßt die AfD das Ansinnen der Bundesregierung, bürgerliches Engagement und Ehrenamt insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Räumen zu fördern und zu stärken. Es sei an dieser Stelle meine große Dankbarkeit und Wertschätzung all den Menschen gegenüber ausgedrückt, die sich mit ihrem Dienst an der Gesellschaft herausragend am Gelingen des Gemeinwesens überall beteiligen. Bürger sehen vor Ort, was notwendig ist, und engagieren sich entsprechend für das Wohl aller. Das ist großartig, und das sollte nicht an überbordender Demokratie, mangelnden Informationen über Organisationsentwicklung, DSGVO usw. scheitern.
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Eine zentrale Anlaufstelle auf Bundesebene mit Serviceangeboten, Informationen zur Organisationsentwicklung und dem Ziel der Vernetzung scheint der Bundesregierung geboten. Die AfD hinterfragt eindringlich, ob die Errichtung einer Stiftung hier der richtige Weg ist; denn es gibt viel grundsätzlich Nachdenkenswertes zum Thema Stiftungen.
In der „Stiftungswelt“ ist zu lesen, man wolle als Reaktion auf den Brexit und das Erstarken der sogenannten Rechtspopulisten in der Stiftungsarbeit klare Kante für demokratische Werte und ein geeintes Europa zeigen. Da kann man ja nicht ernsthaft dagegen sein, oder? Aber was hier passiert, ist genauso brisant wie besorgniserregend. Es wird nämlich unterstellt, dass ebenfalls demokratische, nur eben andere politische Ideen undemokratisch und einem geeinten Europa abträglich seien. Gegenüber ebendiesen wolle man klare Kante zeigen. Wie geschieht das? Da ist näher hinzusehen.
Stiftungen haben großen Einfluss, oft getragen von Steuermitteln. Ist es Sinn und Zweck von Stiftungen, zum politischen Machterhalt von Ideen beizutragen, die Teile der Bürger und Wähler ausschließen? Ist es Aufgabe von Stiftungsarbeit, andersdenkende, regierungskritische Bürger mit Etiketten wie „rechtspopulistisch“, „rechts“ usw. zu versehen
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und ihnen Meinungen abzusprechen? Ist es tatsächlich die Aufgabe von Stiftungen, sich das Recht herauszunehmen, gottgleich Entscheidungen zu treffen zwischen den guten und den bösen Meinungen und die Gesellschaft entsprechend aufzuspalten?
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Von was für einer Demokratie reden wir hier eigentlich?
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Von der, die auf dem Grundgesetz fußt? Wirklich?
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Oder reden wir von der von Ihnen allen hier mit Zähnen und Klauen verteidigten sogenannten Konsensdemokratie, die die Haltung von konsenskritischen Menschen anprangert und sie von der demokratischen Teilhabe ausschließt? Meine Damen und Herren, Ihre sogenannte Konsensdemokratie ist nicht mehr und nicht weniger als die Diktatur der herrschenden Haltung.
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Die Zusammensetzung des Stiftungsrats lässt weitere Schritte in diese Richtung befürchten; denn die in Ihrem Gesetzentwurf begünstigten vier Mitglieder des Deutschen Bundestages werden von der Regierung benannt. Auch der Vorstand der Stiftung, bestehend aus zwei hauptamtlichen Amigoposten für die Bundesregierung, wird von der Regierung bestellt. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Ebenfalls bedenklich ist die verklausulierte, rechtlich verbindliche Andockung von Bundesprogrammen. Da fällt mir sofort das Programm „Demokratie leben!“ ein mit seinem Hauptzweck,
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nichtlinke Ansichten unter dem Deckmäntelchen des Kampfes gegen rechts zu ächten.
Nehmen Sie eigentlich selbst gar nicht wahr, dass Ihre sogenannte Konsensdemokratie seltsame Blüten treibt? Zum Beispiel gestern Abend in meiner Heimatstadt Speyer: Unter der Ägide der SPD-Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler wurde mehrheitlich eine sogenannte Antidiskriminierungsagenda unterzeichnet, die die grundgesetzlich verbrieften Rechte einkürzt.
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Unter Berufung auf diese Antidiskriminierungsagenda werden zukünftig Bürger und Mandatsträger wegen ihrer politischen Anschauung diskriminiert.
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Nicht nur in Speyer, sondern auch im Bundestag herrscht seitens der Haltungsdemokraten
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bisweilen ein Demokratieverständnis, das sich besonders vom Artikel 3 Grundgesetz weit entfernt hat und das die Spaltung der Gesellschaft in besorgniserregender Weise befördert.
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Meine Damen und Herren, wie stellen Sie sicher, dass die geplante Stiftung wirklich den ehrenamtlich engagierten Bürgern dient und nicht zusätzlich Steigbügelhalter für eine Haltungsdiktatur in Deutschland sein wird? Als fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehende freiheitliche und konservative Demokraten lehnen wir Extremismus jedweder Couleur und Ausprägung ab.
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Die Stiftung einer Regierung, die zum Teil der Ideologie der Antifa nähersteht als unserem Grundgesetz, lehnen wir ab.
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Nie wieder Diktatur in Deutschland, nie wieder, auch keine rot-grün-sozialistische Haltungsdiktatur!
Vielen Dank.
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Martin Patzelt, CDU/CSU, ist der nächste Redner.
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Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Kollegin Höchst, wir wollten eigentlich über die Stiftung diskutieren.
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Wir wollten hier nicht die Befindlichkeit Ihrer Person oder Ihrer Fraktion zur Kenntnis nehmen.
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Um aus dieser Befindlichkeit herauszukommen, kann man allerhand tun, würde ich mal sagen.
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Zum Beispiel kann man in einer Stiftung produktiv und konstruktiv mitarbeiten. All das, was Sie zur Stiftung gesagt haben, fand ich in dem Entwurf überhaupt nicht wieder.
Frau Ministerin, der Gesetzentwurf liegt uns zur ersten Lesung vor. Er wird einer eingehenden parlamentarischen Beratung unterliegen. Sie selber haben gesagt: Mal sehen, was rauskommt. – Wir sind auch gespannt. Aber der Entwurf ist jetzt erst einmal da. Wir beschäftigen uns damit und nehmen ihn auch an. Der Gesetzentwurf durchlief ja schon in der Entstehungsphase eine erstaunliche Metamorphose, einen Wandlungsprozess.
Wir alle in diesem Haus sind überzeugt – ich glaube, auch die AfD –, dass wir mehr für das Ehrenamt und für das bürgerschaftliche Engagement tun müssen.
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Das wollen wir auch tun; aber über verbale Wertschätzung, über Auszeichnungen und Urkunden hinaus erwarten Ehrenamtliche mehr als Lippenbekenntnisse. Sie wollen eine faktische Unterstützung bei ihrer Arbeit, insbesondere an den Stellen, an denen sie sich behindert, gegängelt oder alleingelassen fühlen.
Wie kann das wirksam und nachhaltig geschehen? Die Fülle von Förderungen, Maßnahmen, Bestimmungen und Organisationsformen, die wir vorfinden, schafft Verwirrung. Wachsende bürokratische Barrieren wirken hemmend und demotivierend. Und die unterschiedlichen Akteure – Bund, Länder, Stiftungen – wissen oft nichts vom Engagement des anderen im Ehrenamt. Nötig wäre also tatsächlich eine Institution, die dies in der Gesamtheit betrachtet, sortiert, bewertet und transparent macht; siehe unsere Diskussion zur Ehrenamtskarte. Es ist wirklich notwendig, dass es für diesen Dschungel – so würde ich das fast nennen – eine Übersicht gibt. Das brauchen die Förderer wie die Geförderten gleichermaßen. Ferner müssen die Problemlagen und Bedarfe der Ehrenamtler und der Engagierten, die sich nun schon jahrelang öffentlich, aber auch in unserem Hause durch Stellungnahmen und in Anhörungen bemüht haben, wenn auch weitgehend ergebnislos – das muss ich leider kritisch sagen –, Gehör finden. Ihre Probleme müssen aufgegriffen werden.
Die Stiftung soll sammeln, strukturieren, und sie trägt das dann hoffentlich nachdrücklich an die Entscheider heran. Die Stiftung soll durch Unterstützung bei der Digitalisierung Ehrenamt und Engagement optimieren helfen, und sie soll nach Haushaltslage und potenziellen Zustiftungen von Privatleuten, aus der Wirtschaft und aus den Ländern – das ist ein kleiner Werbeblock; die Stiftung wird offen sein für Zustiftungen – finanzielle Mittel zur Finanzierung von Weiterbildungen, Vernetzungen und zur Förderung kleinerer Projekte verwenden. Schließlich kann die Stiftung die Ehrenamtler und Engagierten in dem schwer durchdringbaren Dickicht der Förderangebote, bei den komplizierten Antragstellungen und bei rechtlichen Aspekten – Datenschutz, Versicherungsschutz und Steuerrecht – wirksam unterstützen. Das Bundesnetzwerk berichtet uns, dass die Beschäftigung mit diesen Problemen mitunter 50 Prozent der freiwilligen, unbezahlten Zeit kostet – zulasten der inhaltlichen Arbeit –; und das nur, um den Laden am Laufen zu halten. Bestehende Unsicherheiten und Ängste sind aber Motivationskiller und bremsen das Engagement aus.
Im Koalitionsvertrag wurde verabredet, Ehrenamt und freiwilliges Engagement spürbar zu unterstützen. Wir wollen nun mit einer öffentlichen Ehrenamtsstiftung dieses Problem sachlich und fachlich aufgreifen. Wir wollen ohne Zugangsbarrieren allen Ehrenamtlern und freiwillig Engagierten durch Information Hilfe geben, auch durch konkrete individuelle Beratung und Unterstützung bei der Klärung rechtlicher und praktischer Probleme. In diesem Sinne kann die Stiftung auch eine Art Callcenter für Ehrenamtliche werden. Die Stiftung soll keine Doppelstrukturen und Mehrfachangebote aufbauen, wie das befürchtet wird, sondern schwarze Löcher – Sie sagten vorhin, Frau Ministerin, weiße Flecken – angehen. Sie soll da, wo Bedarf besteht, der nicht durch Dritte befriedigt wird, Erkenntnisse schaffen und Angebote organisieren. Die Stiftung soll sich also mit allen Institutionen und Instrumenten vernetzen, die bereits aktiv sind. So kann in unserem Land dann tatsächlich ein flächendeckendes Netzwerk entwickelt werden.
Mit dieser Konzeption soll die Stiftung gerade dort Unterstützung leisten, wo keine erfahrenen, starken Trägerorganisationen zur Verfügung stehen, dort, wo kleine, regional verstreute und in Rechtsfragen und Verwaltung oft unerfahrene und ängstliche Engagierte und Ehrenamtler Hilfe brauchen, damit sie weiter am Ball bleiben. Zu Recht wird diese Stiftung den Anspruch erfüllen müssen, gleichwertige Lebensverhältnisse in unserem Land für das Ehrenamt und durch das Ehrenamt zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, unsere Erwartungen an die Stiftung sind groß. Wir werden sehen, ob diese Erwartungen erfüllt werden. Wir geben der Stiftung viel Hoffnung, Erwartung und 30 Millionen Euro an finanziellen Mitteln im Jahr mit auf den Weg. Deshalb muss die Stiftung ein Erfolg werden. Wir wollen sie dabei unterstützen. Wir brauchen sie, wenn sie so funktioniert, wie wir es ihr ins Konzept geschrieben haben. Aber das wird noch ein weiter und anstrengender Weg werden.
Ich danke Ihnen.
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Jetzt hat das Wort der Kollege Grigorios Aggelidis, FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Etwa 30 Millionen Menschen haben im Jahr 2014 eine ehrenamtliche Tätigkeit ausgeübt, Menschen, die mit ihrem Engagement der Kitt unserer Gesellschaft sind, unser Leben bereichern, Gemeinwohl fördern, einen vielfältigen, wertvollen, unbezahlbaren Dienst für uns alle leisten. Deswegen ist es aus meiner Sicht auch eine zentrale Aufgabe des Bundestages, diesen Menschen den Rücken zu stärken, ihnen, wo immer es geht, Steine aus dem Weg zu räumen, sie zu entlasten und ihr Tun zu fördern.
({0})
Insofern begrüßen wir ausdrücklich das Ziel, genau das zu erreichen.
Sie wollen das mit einer Stiftung machen. Es soll ein dauerhaftes Zuschussprojekt sein, wie es der Bundesrechnungshof nennt. Wir engagieren uns finanziell in einem Bereich, für den eigentlich die Länder zuständig sind. Aber dann – das muss ich Ihnen ehrlich sagen – muss das Ganze auch richtig gut werden. Wenn ich mir nun den Gesetzentwurf ansehe, muss ich leider feststellen, dass er nicht gut ist und wir im Beratungsprozess tatsächlich einiges verbessern müssen.
Der Normenkontrollrat schreibt:
Der Regelungsentwurf ... entspricht insoweit nicht den Anforderungen einer Gesetzesvorlage an die Bundesregierung.
Weiter:
Der Mangel an Transparenz und Kostenbewusstsein konnte angesichts des aufgebauten Zeitdrucks nicht mehr behoben werden. Zum Ziel der Förderung von qualitativ hochwertiger und transparenter Rechtsetzung trägt dieses Vorhaben nicht bei.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich finde, das Ehrenamt hat Besseres verdient als das.
({1})
Entscheidend ist für uns auch, dass der Entwurf dann, wenn es darum geht, Doppelstrukturen zu vermeiden und die vorhandenen zivilen Netzwerke zu fördern und zu stärken, viel zu nebulös bleibt. Wenn ich Sie und auch die Vorredner von der Union höre, dann bin ich schon ein bisschen irritiert. Was wollen Sie denn eigentlich alles zentralistisch regeln? Mit welchem Know-how und wie lange wollen Sie das Callcenter eigentlich aufbauen, ein Know-how, das in den zahlreichen Verbänden in der ganzen Republik vorhanden ist? Da stellt sich schon die Frage, wie das funktionieren soll.
Aber vor allem ein Satz von Ihnen hat mich sehr irritiert, Frau Ministerin – vielleicht sollten Sie wirklich überlegen, von wem Sie Zitate übernehmen –: „Wer Engagement will, muss Sinn geben.“ Ich kann Ihnen eines versichern: Die 30 Millionen Ehrenamtler brauchen keinen Sinn aus Berlin. Sie suchen sich den Sinn selber. Es ist nämlich eine der Besonderheiten von Engagement, dass die Menschen sich dort engagieren, wo sie Sinn sehen.
({2})
Da wir gerade über Wertschätzung und Entlastung reden und darüber, den Menschen Steine aus dem Weg zu räumen, stelle ich mir die Frage: Wenn Sie hier 30 Millionen Euro in die Hand nehmen und 80 bis 100 Stellen aufbauen wollen, wo in Herrgotts Namen waren die Initiativen dieser Bundesregierung, die ich mehrmals angemahnt habe – und hier hat der Bundesgesetzgeber die alleinige Gesetzeskompetenz –, um das Ehrenamt endlich zu entlasten? Von der Datenschutz-Grundverordnung über Steuerregelungen bis hin zur Haftung, das sind die Dinge, die vielen Ehrenamtlern das Leben schwer machen. Wo bleiben entsprechende Initiativen?
Der Bericht Ihrer Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ – darüber haben wir am Mittwoch debattiert – hat uns fast alle, egal welcher Fraktion, zum Heulen gebracht. Darin steht etwas von Entlastung bei den Förderanträgen und von Gemeinnützigkeitsrecht. Mehr steht da nicht drin. Wir finden: Erstens. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln müssen die Engagementstrukturen zuallererst in Initiativen, Vereinen und Verbänden gefördert und gestärkt werden. Zweitens. Wenn es schon eine Stiftung geben soll, dann in einem transparenten, vertrauensvollen und gleichberechtigten Verhältnis mit im Bereich Engagement erfahrenen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Drittens. So wie wir das sehen, müssen – anders als im Entwurf, der im Februar dieses Jahres vorlag – Blaulicht- und kirchliche Organisationen, Vereine in Sport, Kultur und anderen Handlungsfeldern sowie Migrantenorganisationen einen Platz im Stiftungsrat erhalten und an den Entscheidungen und an der Umsetzung des Stiftungszwecks beteiligt werden.
Ehrenamt – lassen Sie mich das zuletzt sagen – ist das beste Programm für Demokratie, meine Damen und Herren.
({3})
Herr Kollege.
Letzter Satz.
Aber nur ein Satz.
Wir wollen vor allem das Ehrenamt entlasten und stärken. Lassen Sie uns damit endlich beginnen.
Vielen Dank.
({0})
Katrin Werner, Die Linke, ist die nächste Rednerin.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Endlich diskutieren wir über den Gesetzentwurf zur Einrichtung einer Ehrenamtsstiftung. Seit über einem Jahr wird dieses Anliegen angekündigt. Eigentlich sollte die Gründung der Stiftung schon im Februar beschlossen werden. Im Sommer war der Gesetzentwurf verschwunden, aber jetzt haben wir ihn vor uns liegen. Doch mit der ursprünglichen Planung – das wurde schon angesprochen – hat das hier wenig zu tun. Die Zivilgesellschaft spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Von der Stiftung zur Förderung und Unterstützung von Engagement ist eine Serviceagentur zur Information übrig geblieben.
In den bisherigen Beratungen zur Stiftung wurde oft und von vielen Seiten darauf hingewiesen, dass es eben keine Parallelstrukturen geben soll. Es ist aber verwunderlich, dass in den Stellungnahmen, die Ihnen vorliegen, die Verbände, zum Beispiel das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, der Deutsche Frauenrat oder auch die Diakonie, genau solche Parallelstrukturen aus diesem Gesetzentwurf herauslesen. Sie befürchten, dass die Arbeit, die sie bis jetzt machen, zukünftig von dieser Stiftung übernommen wird und die Verbände so verdrängt werden. Deshalb muss diese Stiftung als Förderstiftung eingerichtet werden. Die bestehenden Strukturen müssen unterstützt und gestärkt werden.
({0})
Ich glaube, dass man diese Ängste wirklich ernst nehmen muss. Ansonsten ist der Startschuss für diese Stiftung ziemlich verkorkst.
Die Stiftung soll bürgerschaftliches Engagement in ländlichen und strukturschwachen Regionen stärken. Das unterstützen wir ausdrücklich.
({1})
Doch dazu müssen die Förderungen und das Geld auch in diesen Regionen ankommen. Eine Stiftung, die aber vorrangig Information und Beratung übernehmen soll, wird dazu wenig beitragen können. Wir brauchen leicht zugängliche Förderung für kleine ehrenamtliche Initiativen vor Ort.
Darüber hinaus ist der Einfluss der Zivilgesellschaft in der Stiftung zwar wichtig, aber nach dem vorliegenden Entwurf sehr gering. Sie haben einerseits die drei Ministerien jetzt mit einem Vetorecht bei allen Entscheidungen ausgestattet. Andererseits sind von 19 Sitzen im Stiftungsrat nur 9 Sitze für die Zivilgesellschaft vorgesehen. Wie wollen Sie so die Vielfalt der Verbände, Organisationen, Initiativen und Vereine vertreten?
Es wurde schon angesprochen: In einer früheren Fassung sprachen Sie von einer „Brücke zur Zivilgesellschaft“ und hatten ein Kuratorium vorgeschlagen, das aus 25 Vertreterinnen und Vertretern aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Parlament besteht. Davon ist überhaupt keine Rede mehr. Diese Idee ist einfach stillschweigend bei den Beratungen verloren gegangen. Wir haben am Mittwoch in der Fragestunde genau danach noch einmal gefragt. Die Antwort darauf war nur ein Satz:
Die im Gesetzentwurf abgebildete Gremienstruktur zielt auf einen möglichst schlanken Stiftungsaufbau ab.
Das war es.
Jedoch konnte man in der heutigen Debatte zur Ostquote oder auch aus der Presse von Mitgliedern der Regierungsfraktionen erfahren, dass es 80 bis 100 Stellen geben soll. Wie passt das zusammen? Es soll einen schlanken Stiftungsaufbau geben; aber trotzdem reden Sie jetzt schon von 100 Stellen.
Noch ein kurzer Hinweis zur Stärkung des ländlichen und strukturschwachen Raums: Man hat sich schon jetzt, bevor die Stiftung da ist, auf Neustrelitz festgelegt. Warum denkt man nicht vielleicht auch über Vorpommern nach?
Frau Giffey, wenn Sie sagen, das bürgerschaftliche Engagement soll gestärkt werden, möchte ich Ihnen noch eines mit auf den Weg geben: Stärken Sie den Freiwilligendienst sowie das Programm „Menschen stärken Menschen“. Lassen Sie nicht zu, dass „Demokratie leben!“ jedes Jahr dafür kämpfen muss, eine langfristige Finanzierung zu bekommen. Sie haben groß angekündigt, das bürgerschaftliche Engagement zu stärken. Wir denken, da gibt es noch viel Luft nach oben hin.
Vielen Dank.
({2})
Dr. Anna Christmann, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Republik hat sich in den letzten Jahren verändert. Rechtextreme Gewalt nimmt zu, gewalttätige Sprache nimmt zu, und es gibt Kräfte, die unsere Gesellschaft spalten wollen.
({0})
Das haben wir auch heute leider wieder gesehen. Diese Entwicklung ist dramatisch; aber wir werden uns ihr entschlossen entgegenstellen und für Zusammenhalt einstehen.
({1})
„Wir“ meint dabei nicht eine bestimmte Partei, es meint auch nicht eine bestimmte Gruppe von Menschen, sondern „wir“ meint uns alle: die Gesellschaft, in der wir hier alle zusammenleben. Da gehört jeder dazu, der hier bei uns und mit uns lebt.
({2})
Wir sollten trotz aller Herausforderungen, die wir im Moment haben, sehr optimistisch sein. Es ist heute vielfach gesagt worden, und ich will das unterstreichen: Wir haben 30 Millionen Menschen, die sich genau für diese Gesellschaft einsetzen, und das ist gut so. Wir haben die vielen Engagierten, die anderen helfen, ohne dafür etwa eine Gegenleistung zu erwarten. Wir haben Menschen, die lebendige Orte aufrechterhalten, da wo sonst die letzte Gaststätte schon geschlossen hätte. Wir haben Menschen, die uns in Katastrophen helfen, wenn das nächste Hochwasser kommt. Und wir haben Menschen, die sich demokratiefeindlichen Entwicklungen entgegenstellen. Diese aktive Zivilgesellschaft ist unsere Stärke.
({3})
Es ist richtig, dass wir sie auf allen Ebenen nach Kräften unterstützen.
({4})
Deswegen begrüßen natürlich auch wir ausdrücklich, dass die Engagementstiftung jetzt kommen soll und damit 30 Millionen Euro in genau diese Förderung fließen sollen. Ich muss aber auch betonen, dass es total paradox ist, auf der einen Seite diese 30 Millionen Euro anzukündigen, auf der anderen Seite aber 59 Millionen Euro für die Freiwilligendienste und für das Programm „Menschen stärken Menschen“ zu streichen; diese Kürzungen stehen im Raum. Das macht natürlich keinen Sinn: auf der einen Seite weg, auf der anderen Seite dazu. Ich würde Sie doch sehr bitten, noch einmal über diesen Haushaltsentwurf zu gehen und insgesamt den Bereich Engagement zu stärken und ihn nicht im Endeffekt zu kürzen.
({5})
Auch wenn es gut ist, dass die Stiftung kommt, ist es für uns auch wichtig, wie sie kommt. Denn: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. – Das trifft leider auch auf diesen ersten Entwurf, den wir für die Stiftung vorliegen haben, zu. Was wir brauchen, ist eine echte Förderstiftung; das ist von einigen Kolleginnen und Kollegen schon zu Recht gesagt worden. Was wir nicht brauchen, ist eine Bundeseinrichtung, die viele Zuweisungen erhält, aber am Ende nichts bringt. Denn das Geld aus dem Haushalt muss auch bei den vielen Engagierten vor Ort ankommen und darf nicht zum größten Teil in den Strukturen der Stiftung verschwinden.
({6})
Das scheint uns mit dem Konzept, das bisher vorliegt, nicht sichergestellt. Auch Begriffe wie „Callcenter“ etc., die heute hier gefallen sind, klingen nicht danach. Es geht aus unserer Sicht weniger um eine Serviceagentur; denn dann würden im schlechtesten Fall die eben genannten Doppelstrukturen von den Strukturen entstehen, die längst da sind und von der Zivilgesellschaft schon geleistet werden. Es sind die Bürgerstiftungen, es sind die Freiwilligenagenturen, es ist das Bundesnetzwerk für bürgerschaftliches Engagement, die eine Vielzahl an Beratung leisten. Es kann nicht sein, dass es darum gehen soll, diese Strukturen zu doppeln, sondern es braucht wirklich die Förderung der Engagierten, die vor Ort für diese lebendige Zivilgesellschaft sorgen.
({7})
Dann ist da noch die Frage der Stiftungsorgane; dazu ist heute auch schon etwas gesagt worden. Warum sind Sie nicht einfach bei Ihren Plänen geblieben? Damals war noch vorgesehen, die Engagementszene in ein Kuratorium einzubinden. Dieses Kuratorium ist nun verschwunden. Das ist aus unserer Sicht ein fatales Zeichen an die Engagierten. Führen Sie das Kuratorium wieder ein, oder stocken Sie zumindest den Stiftungsrat auf. Das ist eine nachdrückliche Förderung für die Zivilgesellschaft.
({8})
Wir unterstützen mit großem Herzblut Projekte, die unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Deswegen: Machen Sie doch diese Stiftung auch zu einem solchen Projekt, das tatsächlich zur Förderung der Zivilgesellschaft beiträgt. Dann werden wir uns gerne in die Beratungen einbringen und diese Engagementstiftung am Ende auch unterstützen. Wir sehen aber noch einigen Bedarf an Verbesserungen, die wir hoffentlich in den nächsten Wochen erreichen können.
({9})
Silvia Breher, CDU/CSU-Fraktion, hat als Nächste das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag haben wir es versprochen, und jetzt bringen wir sie auf den Weg: die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Wir sprechen immer wieder darüber, hier und anderswo, und immer wieder betonen wir, wie wichtig uns das Ehrenamt ist. Ganz ehrlich – man kann es einfach nicht oft genug sagen –: Das Ehrenamt ist unbezahlbar. Ob in der freiwilligen Feuerwehr, im THW, im Sportverein, in den Verbänden, in der Kirche, in den anderen Vereinen oder einfach in der Nachbarschaft: Das selbstlose Engagement dieser über 30 Millionen Menschen in Deutschland ist unbezahlbar. Sie opfern ihre Freizeit für die Gemeinschaft, und das aus Leidenschaft und purer Überzeugung; das ist großartig.
Aber auch Ehrenamtliche stellen sich Fragen, die man eigentlich eher vom Job kennt: Was ist mit dem Datenschutz? Gibt es Fördermittel? Wie und wo muss oder kann ich die beantragen? Bin ich versichert? Was für Haftungsrisiken habe ich überhaupt? – Bislang gibt es keine zentrale Anlaufstelle für die Beantwortung dieser Fragen. Hier lassen wir die Ehrenamtlichen, die nicht in Strukturen eingebunden sind und nicht in ihrem Verband nachfragen können, ganz allein. Zum Beispiel bei mir im Wahlkreis, wo Ehrenamtliche rein genossenschaftlich und aus purem Engagement heraus die Gaststätte „Zum Schanko“ jetzt selber bewirtschaften; sie hatten nämlich niemanden, den sie hätten fragen können.
Es wäre schön gewesen, wenn sie schon das gehabt hätten, was wir jetzt, Frau Bundesministerin, gemeinsam auf den Weg bringen, nämlich die Stiftung mit der Servicestelle, die sich für die Ehrenamtlichen einsetzen soll. Ich kann den Telefonhörer in die Hand nehmen und dort anrufen oder total einfach eine Mail schreiben, wenn ich eine Frage habe: Wie funktioniert etwas? Wo kriege ich Hilfe? – Man wird beraten, man bekommt Antworten, oder es gibt Hinweise, wo ich fragen und welcher Experte mir weiterhelfen kann. Das wollen wir: Wir wollen die Ehrenamtlichen mit Hauptamt unterstützen, und eben keine Förderstiftung.
Durch den direkten Weg der Beratung haben wir dann auch ein Wissen in der Stiftung: Welche Fragen sind gerade aktuell? Was brennt den Ehrenamtlichen unter den Nägeln? Wo brauchen sie Hilfe? – Dann kann die Stiftung in dem entsprechenden Kompetenzzentrum etwas entwickeln und digitale Hilfestellung leisten, zum Beispiel bei der Frage: Wie finde ich ein Förderprogramm? Wie stelle ich einen Antrag? – Dafür gibt es in Zukunft digitale Konzepte, die im Rahmen dieser Stiftung entwickelt werden sollen.
Eine Frage ist für mich bei diesem Thema noch ganz wichtig: Wie stärken wir das Ehrenamt im ländlichen Raum und ganz besonders in strukturschwachen Gebieten, wo der Nachwuchs fehlt, wo Strukturen zu zerbrechen drohen? Auch dort wollen wir mit der Ehrenamtsstiftung ansetzen und einen Schwerpunkt der Arbeit setzen. Ein bisschen zeigen wir das auch schon mit der Vergabe des Sitzes der Stiftung in den ländlichen Raum nach Neustrelitz.
Im Mittelpunkt sollen und müssen aber die Ehrenamtlichen stehen. Die wollen wir mit dieser Stiftung unterstützen, und zwar direkt. Wir wollen Lösungen entwickeln und ihnen ganz konkret Hilfestellungen an die Hand geben, damit sie mehr Zeit für ihre eigentliche Arbeit – das Ehrenamt, das Engagement – haben.
Eines möchte ich an dieser Stelle noch ganz dringend sagen: Neben dieser Unterstützung brauchen Ehrenamtliche vor allen Dingen Wertschätzung und Anerkennung – in Zeiten, in denen es immer häufiger Angriffe, Beleidigungen, Beschimpfungen und Hate Speech gegen ehrenamtlich Engagierte, gegen Helfer und Retter im Rettungsdienst, sogar gegen ehrenamtliche Schiedsrichter auf dem Fußballplatz gibt. Maß und Mitte gehen hier verloren. Es ist für mich ein ganz deutliches Zeichen, sagen zu müssen: Wertschätzung und Anerkennung dienen unseren Ehrenamtlichen!
An dieser Stelle möchte ich im eigenen Namen und ganz besonders im Namen meiner Fraktion noch einmal an alle Ehrenamtlichen ein riesengroßes Dankeschön sagen.
Vielen Dank.
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Dr. Karamba Diaby, SPD, ist der nächste Redner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Immer wenn ich auf dem Weg zu einer Ausschusssitzung war oder eine Besuchergruppe getroffen habe, ging ich durch das Foyer und da sah ich ihn: Willy Brandt. – Natürlich nur Bilder von ihm, die im Rahmen einer Ausstellung der Willy-Brandt-Stiftung bis zum 8. November im Bundestag gezeigt werden.
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Willy Brandt: der Schriftsteller, der Widerstandskämpfer, der Schöpfer neuer politischer Ideen, der Außenminister, der erste sozialdemokratische Kanzler und natürlich der Friedensnobelpreisträger. Das müssen Sie sich jetzt anhören.
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Mit ihm als Person schwingen der politische Geist dieser Zeit und sein Anliegen an uns als Demokratinnen und Demokraten mit. Am 28. Oktober 1969, also ziemlich genau vor 50 Jahren, sagte Willy Brandt in seiner Regierungserklärung Folgendes:
Wir wollen eine Gesellschaft, die mehr Freiheit bietet und mehr Mitverantwortung fordert.
Und genau darum geht es auch heute.
Unsere Familienministerin Franziska Giffey hat gesagt: Demokratieförderung ist eine gesellschaftliche Daueraufgabe. – Seit Februar 2019 gibt es erstmals im Familienministerium eine eigene Abteilung für „Demokratie und Engagement“. Das ist ein wichtiges Zeichen. Aber wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen noch weit mehr.
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Denn: Engagement ist für die soziale und politische Gestaltung unserer Zukunft unverzichtbar, gerade in gesellschaftlich unruhigen Zeiten wie jetzt. Oder anders gesagt: Engagement ist die beste Medizin gegen Extremismus, meine Damen und Herren.
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Im Engagement wird Demokratie gelebt. Bürgerschaftliches Engagement lenkt das Augenmerk auf Defizite und Fehlentwicklungen. Es weist aber auch darüber hinaus und entwickelt neue Konzepte und Lösungsmodelle.
Im parlamentarischen Verfahren werden wir noch einige Details klären müssen. Was wir uns noch einmal genau anschauen sollten, ist zum Beispiel die Zusammensetzung des Stiftungsrates. Diese und andere Fragen werden wir bei der Anhörung am 9. Dezember mit Expertinnen und Experten der Zivilgesellschaft diskutieren.
Denn: Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf eine Engagementstiftung schaffen, die erfolgreich arbeiten kann, die neue Konzepte und Lösungsmodelle entwickelt und damit die demokratische Landschaft bereichert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns mit dieser Stiftung mehr Engagement wagen!
Danke schön.
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Dr. Silke Launert, CDU/CSU, hat jetzt das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Denn es handelt sich um deine Habe, wenn das Haus deines Nachbarn brennt. – Über 2 000 Jahre alt ist dieser Spruch eines römischen Philosophen, doch auch im Jahre 2019 hat er nichts an Bedeutung verloren. Über 30 Millionen Menschen in diesem Land engagieren sich ehrenamtlich und zeigen durch ihr Handeln, dass es ihnen gerade nicht gleichgültig ist, wenn das Haus des Nachbarn brennt. Sie schauen nicht einfach weg, wenn in ihrer Umgebung jemand Hilfe benötigt. Sie ziehen sich nicht ins Private zurück und sagen sich: Ich zuerst. – Nein, sie verlassen ihre Komfortzone, packen an, oder – bildlich gesprochen –: Sie nehmen den Wassereimer und löschen das Feuer.
Meine Vorredner haben sich schon ausführlich bedankt. Und auch wenn ich als spätere – leider bin ich ja immer die letzte zu diesem Thema – Rednerin mich wiederhole oder die anderen wiederhole: Man kann es nicht oft genug sagen: Danke!
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Vielen herzlichen Dank an all diejenigen, die sich um andere kümmern und nicht nur im sprichwörtlichen Sinne das Feuer des Nachbarn löschen. Vielen Dank an alle, die sich bei der freiwilligen Feuerwehr, dem THW, in der Hospizarbeit, in der Flüchtlingshilfe, im lokalen Tierschutz, im Umweltschutz, in Vereinen, aber auch in kirchlichen Gemeinden, in der Nachbarschaftshilfe oder in der Kommunalpolitik engagieren. Vielen herzlichen Dank an alle, die trotz eigener beruflicher und familiärer Verpflichtungen ihr Herz für andere öffnen, das Leid, die Probleme anderer sehen und lindern wollen, gesellschaftliche Herausforderungen lösen wollen, eigene Probleme zurückstellen und dafür oft den wohlverdienten Feierabend opfern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle kennen in unseren jeweiligen Wahlkreisen Vereine und Initiativen, von denen wir wissen, dass das gesellschaftliche Leben ohne sie ein anderes, ein ärmeres wäre. Ohne sie würde es an vielem mangeln: an Sport- und Freizeitangeboten, an Seelsorgern, an kulturellen Veranstaltungen, aber auch an Gemeinschaft, Zusammenhalt und – da denke ich an einige ältere Damen bei mir im Wahlkreis – Halt, den, wenn man alleine ist, so eine Vereinsmitgliedschaft auch geben kann.
Lassen Sie es mich klar und deutlich formulieren: Die ehrenamtlich Tätigen sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar.
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Nicht selten fehlt es den „Unverzichtbaren“ aber an ausreichender Unterstützung; denn immer wieder tauchen im Zusammenhang mit der Ausübung des Ehrenamts Fragen auf. Nicht nur die überbordende Bürokratie ist hier zu nennen. Oft hindert es sie, das zu machen, weshalb sie sich eigentlich ehrenamtlich engagieren. Es frisst zu viel Zeit, und sie wissen oft nicht, wo sie Hilfe finden. Genau da setzt die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt an.
Auch wenn die Vorstellungen, die wir zur konkreten Ausgestaltung haben, sehr unterschiedlich sind – insofern bin ich auf das parlamentarische Verfahren gespannt –: Einen Nutzen für die Ehrenamtlichen wird die Engagement- und Ehrenamtsstiftung haben: als zentrale Anlaufstelle für wichtige Fragen, wie zum Beispiel: Welche rechtlichen Voraussetzungen gilt es zu beachten? Welche Vorkehrungen muss ich beim Datenschutz berücksichtigen? Wo kann ich Fördermittel beantragen? – Da wird die Stiftung Ehrenamtlichen helfen und ihre Tätigkeit erleichtern.
Auch ich hoffe, dass dies nicht zulasten der Finanzierung der Freiwilligenprogramme geht und dass wir damit bei diesem Thema noch nicht am Ende sind. Wir müssen auch bei der Bürokratie, auch bei steuerlichen Regelungen etwas tun. Wir müssen den Engagierten, den „Brandlöschern“, den „Unverzichtbaren“ in dieser Gesellschaft helfen, ihnen Wertschätzung und Unterstützung geben – nicht nur durch Reden, sondern auch durch Taten. Wir müssen denen helfen, denen es eben nicht gleichgültig ist, wenn das Haus des Nachbarn brennt.
Vielen Dank.
({2})
Damit schließe ich die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Ihnen heute einen Gesetzentwurf vorstellen, der dazu beitragen wird, die Mieten bezahlbar zu halten. Von den circa 41 Millionen Wohnungen in Deutschland sind über 19 Millionen vermietet. Dass diese Wohnungen bezahlbar bleiben, ist ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung; denn anders als bei vielen anderen Gütern, auf die man notfalls verzichten kann, kann man dies beim Wohnen nicht.
Um Wohnen bezahlbar zu halten, haben wir in der letzten Legislaturperiode die Mietpreisbremse eingeführt. Diese wirkt, wie eine Evaluation zeigt. Trotzdem steigen die Mieten weiterhin stärker als die Inflation. Die Bundesregierung will daher mit weiteren Maßnahmen den steilen Anstieg der Mieten dämpfen.
Die erste dieser Maßnahmen ist, den Betrachtungszeitraum der ortsüblichen Vergleichsmiete von vier auf sechs Jahre zu verlängern. Dies wird zu einer Verlangsamung des Mietanstiegs führen, gerade für die Ballungsräume mit zuletzt stark steigenden Mieten.
Das funktioniert so: In Wohnungsmärkten mit stark steigenden Neuvertragsmieten ist die ortsübliche Vergleichsmiete ein wichtiges Steuerungsinstrument; denn immer dann, wenn der Vermieter die Miete erhöhen will, ist die ortsübliche Vergleichsmiete der Maßstab für die neue Miethöhe. Gleiches gilt, wenn im Geltungsbereich der Mietpreisbremse ein neuer Mietvertrag geschlossen wird. Auch dann kommt es auf die ortsübliche Vergleichsmiete an.
Bislang hat der Betrachtungszeitraum nur die Neuvermietungen oder Mieterhöhungen in den letzten vier Jahren einbezogen. Gerade in Ballungsgebieten hat die hohe Zahl der Neuvermietungen damit den Mietanstieg weiter befeuert. Indem wir den Betrachtungszeitraum auf die Mieten der letzten sechs Jahre ausdehnen, wird sich dieser Effekt abschwächen. Der Entwurf enthält eine großzügige Übergangsregelung, die die Fortgeltung bestehender Mietspiegel vorsieht. Damit tragen wir dem Umstand Rechnung, dass viele Gemeinden bereits Mietspiegel haben oder ihre Aktualisierung vorbereiten.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, nichtsdestoweniger sollte die Verlängerung des Betrachtungszeitraums schnell in Kraft treten. Wir müssen Kommunen mit stark steigenden Neuvertragsmieten die Möglichkeit geben, den Anstieg der ortsüblichen Vergleichsmiete zeitnah zu dämpfen. Ich bitte Sie daher, in den folgenden Beratungen konstruktiv mitzuarbeiten und uns bei diesem Gesetzentwurf zu unterstützen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Jens Maier, AfD, ist der nächste Redner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll der Betrachtungszeitraum für die ortsübliche Vergleichsmiete von vier auf sechs Jahre verlängert werden. Das ist eine gesetzestechnisch sehr einfache Lösung. Man tauscht, von Übergangsvorschriften abgesehen, im § 558 Absatz 2 Satz 1 BGB nur das Wort „vier“ gegen das Wort „sechs“ aus, und damit auf gut Sächsisch: Fertsch! Davon verspricht man sich allen Ernstes, Mietsteigerungen dämpfen zu können.
Die erste Frage, die sich stellt, ist: Warum soll es eigentlich nur eine Verlängerung auf sechs Jahre sein? Warum nicht auf zehn Jahre, wie unter anderem der DGB vorschlägt?
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Vielleicht kommt das noch im nächsten Schritt. Wer weiß? Es ist ja ein Entwurf, der aus einem SPD-Ministerium kommt.
Was hier betrieben wird, ist die sukzessive Abkopplung der Vergleichsmiete von der Marktmiete mit den sich daraus ergebenden negativen Folgen. Wie soll ein qualifizierter Mietspiegel am Markt noch akzeptiert werden und eine Befriedungsfunktion erfüllen, wenn er gar nicht mehr im Ungefähren die Marktlage widerspiegelt? Die Verlängerung des Betrachtungszeitraums entwertet die Regelung im BGB zum qualifizierten Mietpreisspiegel. Das ist ein falscher Weg.
Besser wäre es, wenn man die Aussagekraft eines Mietspiegels qualitativ verbessern würde, wie es im Koalitionsvertrag als Zielsetzung unter anderem vereinbart wurde. Dort heißt es auf Seite 111:
Wir wollen erreichen, dass die tatsächlichen Marktverhältnisse auf zuverlässiger Datengrundlage differenziert dargestellt werden.
Die Vergrößerung des Betrachtungszeitraums allein kommt dieser Zielsetzung nicht entgegen. Sie bewirkt das Gegenteil und ist daher abzulehnen.
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Hinzu kommt, dass das Gesetzesvorhaben von einer falschen Bewertung der Ausgangslage ausgeht. Die Behauptung, dass die viel jüngeren Angebotsmieten bei einem Betrachtungszeitraum von vier Jahren stärker ins Gewicht fallen als bei einem größeren Zeitraum und die Vergleichsmiete nach oben treiben würden, ist falsch. Der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen weist für Berlin darauf hin, dass für fast Dreiviertel der im Mietspiegel enthaltenen Verträge ausgeschlossen werden kann, dass es sich um Angebotsmieten der letzten vier Jahre handelt; denn die Mietverträge sind schlichtweg älter. Bestandsmieten bilden zu mindestens 75 Prozent die Grundlage der ortsüblichen Vergleichsmiete.
Wichtig ist, dass die Angebotsmieten von 2009 bis 2018 insgesamt erheblich gestiegen sind. Wichtig ist aber auch, dass sich die Angebotsmieten regional sehr unterschiedlich entwickelt haben. Wenn in vielen Regionen die Mieten stagnieren, zum Beispiel im Ruhrgebiet, im Burgenlandkreis oder im Vogtland, ist zumindest keine bundesweite Verlängerung des Betrachtungszeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete gerechtfertigt.
Ich sehe der Ausschussberatung entgegen.
Vielen Dank.
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Dr. Jan-Marco Luczak, CDU/CSU, hat jetzt das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, ist ein Baustein in einer Strategie, die wir als Große Koalition haben; denn wir wollen nicht, dass die Menschen aus ihren angestammten Wohnungen verdrängt werden. Deswegen haben wir uns beim Mietrecht viel vorgenommen. Wir haben – das darf ich an dieser Stelle sagen – auch schon sehr viel umgesetzt.
Wir haben zum Jahresanfang ein umfassendes Mieterschutzgesetz auf den Weg gebracht. Dafür haben wir uns die Mietpreisbremse noch einmal angeschaut und an bestimmten Stellen nachverhandelt. Wir haben für Transparenz auf dem Wohnungsmarkt gesorgt, indem wir eine Auskunftspflicht installiert haben.
Wir haben uns bei den Modernisierungsmieterhöhungen noch einmal angeschaut, welchen Grund diese großen Mieterhöhungen haben. Dem sind wir entgegengetreten und haben den Mieterhöhungssatz von 11 auf 8 Prozent reduziert. Wir haben gesagt: Es darf eine maximale Mieterhöhung nicht überschritten werden. Wir haben also eine Kappungsgrenze eingeführt.
Wir haben vor allen Dingen – das ist mir besonders wichtig – etwas gegen die schwarzen Schafe getan, also gegen diejenigen, die Wohnungen modernisieren und dabei nicht sagen: „Ich will altersgerecht umbauen“, oder: „Ich will energetisch modernisieren“, sondern das eigentliche Ziel haben, Menschen herauszumodernisieren. Dagegen haben wir uns verwehrt. Das wollen wir nicht. Deswegen haben wir gesagt: Das muss sanktioniert werden. – Jetzt gibt es einen Ordnungswidrigkeitentatbestand. All das gilt seit Anfang des Jahres.
Ich habe es bereits gesagt: Das, was wir jetzt machen, ist ein weiterer Baustein. Wir verlängern den Betrachtungszeitraum für die ortsübliche Vergleichsmiete von vier auf sechs Jahre. Die Wirkung, die das haben wird, hat die Staatssekretärin des BMJV gerade beschrieben. Das wird zu einer Dämpfung der Mieten führen, die die Verdrängungseffekte in ihrem Ausmaß begrenzen werden wird. Das ist gut und ein starkes Signal dafür, dass die Große Koalition an dieser Stelle handelt.
In diesem Gesetzentwurf ist außerdem vorgesehen – ich betrachte das etwas kritischer –, § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes zu verändern. Auch dort geht es darum – so sieht es der Gesetzentwurf vor –, den dort maßgeblichen Zeitraum von vier auf sechs Jahre zu verlängern. Es wird damit argumentiert, dass es eine Synchronität zwischen der ortsüblichen Vergleichsmiete und § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes geben muss. Ich persönlich sehe diese Synchronität nicht als zwingend an. Worum geht es denn bei § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes? Es geht darum, dass der Tatbestand der Ordnungswidrigkeit erfüllt ist bei Mietpreisüberhöhungen; manche sagen dazu auch: Wuchermiete. Das heißt, der Tatbestand nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetz ist schon ein anderer als bei der ortsüblichen Vergleichsmiete, und auch die Rechtsfolge ist – das ist viel wichtiger – natürlich eine viel schärfere. Es geht hier um eine scharfe Sanktion, nämlich um eine Ordnungswidrigkeit. Bis zu 50 000 Euro kann hier das Bußgeld betragen, wenn man die Miete zu stark erhöht.
Wenn wir jetzt auch in dieser Norm den Betrachtungszeitraum von vier auf sechs Jahre verändern, dann bedeutet das natürlich, dass es eine entsprechende Senkung gibt, und das heißt: Man überschreitet sozusagen die Hürde, ab der man in den Bereich einer Ordnungswidrigkeit kommt, viel, viel schneller. Das müssen wir uns, wie ich glaube, sehr genau anschauen, weil es nicht in allen Regionen möglich ist, leicht eine ortsübliche Vergleichsmiete festzustellen. Es gibt nicht überall in Deutschland Mietspiegel, schon gar keine rechtssicheren und transparenten Mietspiegel. Gerade in einer kleinen Gemeinde, in der es überhaupt keine Anhaltspunkte gibt, wie man die ortsübliche Vergleichsmiete feststellen kann, kann es zu wirklich schwerwiegenden Verwerfungen kommen, weil man als kleiner privater Vermieter ganz schnell im Bereich der Ordnungswidrigkeit ist.
({0})
Deswegen müssen wir uns das im parlamentarischen Verfahren noch einmal ganz genau anschauen. Ich glaube nicht, dass das zielführend ist.
Ich will an dieser Stelle noch einen weiteren Punkt ansprechen. Es ist schon bemerkenswert, dass wir als Große Koalition, dass wir von der CDU/CSU gemeinsam mit der SPD das Vergleichsmietensystem stärken. Darum geht es nämlich bei der ortsüblichen Vergleichsmiete. Wir haben ja im BGB ein System, das die Möglichkeiten sehr genau beschreibt und begrenzt, Mieterhöhungen im Bestand zu machen. Das fassen wir jetzt an. Das verändern wir, das verschärfen wir, indem wir den Betrachtungszeitraum für die Festsetzung der ortsüblichen Vergleichsmiete verändern.
Gleichzeitig haben wir aber jetzt Bestrebungen von einzelnen Ländern – insbesondere des Bundeslandes Berlin, das jetzt einen Mietendeckel beschlossen hat –, die im Prinzip genau das Gegenteil machen.
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– Moment, bevor Sie jetzt klatschen: Die machen ja genau das Gegenteil. Das System der Vergleichsmieten, wofür wir uns auf Bundesebene aussprechen, das wir stärken und anpassen, genau dieses System wird zukünftig, wenn der Mietendeckel in Berlin in Kraft tritt, überhaupt nicht mehr gelten. Dort gibt es dann keinen Mietspiegel mehr. Dort gibt es dann nicht mehr die guten Dinge, etwa die Begrenzung der Modernisierungsmieterhöhung. All das wird dort außer Kraft treten. Man müsste sich innerhalb der SPD einmal Gedanken darüber machen, ob man nicht das synchronisiert, was man auf Bundesebene macht und was man auf Landesebene macht.
({2})
Das passt beides nicht zusammen.
Ich persönlich bin der Auffassung, dass das nicht zusammenpasst. Dieser Mietendeckel wird den Menschen am Ende mehr schaden, als dass er ihnen Nutzen bringen wird. Ich glaube, dass wir dagegen vorgehen müssen. Dieser darf nicht in Kraft treten. Deswegen sollten wir das Bundesverfassungsgericht hier um eine Klärung bitten. Das geht so nicht. Der Mietendeckel ist verfassungswidrig.
({3})
Katharina Willkomm, FDP, hat jetzt das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass Politik mit der Betrachtung der Wirklichkeit beginnt, hat der Sozialdemokrat Kurt Schumacher gesagt. Das ist schon lange her, aber noch heute richtig. In den Koalitionsvertrag haben die Sozialdemokraten geschrieben, sie wollten die rechtssichere und zuverlässige Abbildung der Vergleichsmiete gewährleisten, sie wollten – ich zitiere –, „dass die tatsächlichen Marktverhältnisse auf zuverlässiger Datengrundlage differenziert dargestellt werden.“ Heute machen Sie exakt das Gegenteil, indem Sie den Betrachtungszeitraum sogar noch weiter in die Vergangenheit ausdehnen. Mit der Erfassung der Wirklichkeit hat das nichts mehr zu tun.
({0})
Nehmen Sie Ihre Mietpreisbremse. Die hat außer dem Interesse von Bauinvestoren noch überhaupt nichts gebremst. Deshalb verzerren Sie jetzt den Mietspiegel, um die Mieten zu drücken. Meine Damen und Herren, das mag ja mathematisch gehen, aber das verkennt die Funktion der Vergleichsmiete: Sie soll nicht die Miethöhe steuern, sie soll abbilden, was die Menschen jetzt an Miete zahlen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, akzeptieren Sie die Realität.
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Und wenn noch Zeit ist, schauen Sie heute vor der Heimfahrt noch bei den Berliner Genossen vorbei. Erklären Sie ihnen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes:
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Mietrecht macht der Bund!
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Die verfassungsrechtlichen Grenzen für den Eingriff in das Privateigentum können Sie bei der Gelegenheit auch gleich besprechen. Dann haben Sie sich Ihr Wochenende redlich verdient.
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Berlin könnte so vieles sein, vielleicht in Zukunft auch mal Vorbild für erfolgreiche Politik: für Politik, die mit der Betrachtung der Wirklichkeit beginnt, für Wohnungspolitik, die den Bürgern hilft und das Grundgesetz achtet, für Politik, die für die einen Wohn- und Freiraum schafft, ohne die anderen zu schikanieren.
Ein Wort noch zu dem Antrag der Grünen. Da wird es dann ganz bizarr. Den Mietanstieg bei Bestandsmieten auf höchstens 3 Prozent jährlich zu begrenzen,
({6})
das lässt ja noch eine gewisse Logik erkennen. Für den Mietspiegel auf die letzten 20 Jahre abzustellen, das ist reiner Unsinn. Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass wir gerade eine Grundsteuerreform hatten. Gerade eben erst, vor einer Woche! Warum hatten wir eine Grundsteuerreform? Weil unser Verfassungsgericht ein Problem damit hat, wenn der Staat auf veraltete Bemessungsgrundlagen abstellt.
Also. Blicken wir nicht in die Vergangenheit! Schauen wir nach vorn! Schaffen wir einen verlässlichen Mietspiegel und endlich mehr Wohnraum!
({7})
Caren Lay, Fraktion Die Linke, hat jetzt das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Mieten sind in den letzten zehn Jahren explodiert. Wer heute in München eine neue Wohnung mietet, der muss 60 Prozent mehr zahlen als noch vor zehn Jahren. In Stuttgart, Hannover, Nürnberg sind es über 50 Prozent mehr, was die Miete der neuen Mietverträge kostet. Deswegen muss man sagen, dass die Reform des Mietspiegels längst überfällig ist.
({0})
Wir als Wohnungspolitikerinnen und Wohnungspolitiker wissen das. Dieses Gesetz hätte längst kommen müssen.
Es läuft doch so: Die teuren Neuvertragsmieten, also die Mieten aufgrund neuer Mietverträge, die jetzt sehr viel teurer sind als früher, treiben den Mietspiegel und damit die Bestandsmieten steil nach oben; denn es fließen ja immer nur die letzten vier Jahre in die Berechnung des neuen Mietspiegels ein. Deswegen ist der Mietspiegel in der jetzigen Form ein Mieterhöhungsspiegel, weil die permanente Mieterhöhung sozusagen zur Rechtsgrundlage erhoben wird. Deswegen muss dieser Mechanismus endlich gebrochen werden!
({1})
Was Sie heute vorgelegt haben, kommt dieser Herausforderung aber überhaupt nicht nach. Sie nehmen jetzt nicht die letzten vier Jahre, sondern die letzten sechs Jahre als Grundlage. Aber auch in den letzten sechs Jahren sind die Mieten einfach exorbitant gestiegen. Deswegen bleibt diese Reform ein Tropfen auf den heißen Stein.
Sie glauben ja ehrlich gesagt auch selber nicht an die Wohltaten dieses Gesetzes, das Sie hier so anpreisen. Sie erwarten gerade mal eine Einsparung von 2,80 Euro im Monat. Hier von einer großen Entlastung der Mieterinnen und Mieter zu sprechen, ist wohl eine maßlose Übertreibung.
({2})
– Für jeden Haushalt 2,80 Euro nach Ihren eigenen Aussagen: Das wird doch dem Anspruch einer wirklichen Reform in keinster Weise gerecht!
({3})
Sie lösen noch nicht mal die Versprechungen aus Ihrem eigenen Koalitionsvertrag ein. Darin haben Sie geschrieben, der Mietspiegel solle nicht zwei, sondern drei Jahre gelten. Das hätte immerhin eine Entlastung gebracht. Das ist aber im Gesetz nicht vorgesehen. Was ebenfalls nicht vorgesehen ist, ist, dass man gesetzliche Mindeststandards für Mietspiegel festlegt.
({4})
Immer wieder werden Mietspiegel angefochten und umgangen, beispielsweise von der Deutsche Wohnen AG. Deswegen sagen wir als Linke: Wir brauchen klare gesetzliche Vorgaben, wie ein Mietspiegel auszusehen hat, damit er von den großen Konzernen nicht permanent angefochten werden kann.
({5})
Im Übrigen müssen aus unserer Sicht alle Mieten in die Berechnung des Mietspiegels einfließen. Wenn Sie von Vergleichsmietensystem sprechen, dann muss dies die Realität auch abbilden.
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Einfach immer nur die neuen, die teuren Mietverträge zur Berechnungsgrundlage zu nehmen, das treibt die Bestandsmieten weiter nach oben. Das wollen wir nicht.
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Weil es hier schon mehrfach eine Rolle gespielt hat: Das Land Berlin zeigt, wie es wirklich geht. Weil der Bund seit vielen Jahren seinen Aufgaben in der Mietenpolitik nicht nachkommt, machen wir als Linke es besser, machen wir es besser als rot-rot-grüner Senat.
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In Berlin wird es endlich einen wirkungsvollen Mietendeckel geben.
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Daran sollten sich die Länder, aber vielleicht auch einmal die Bundesregierung ein Beispiel nehmen.
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Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort.
({0})
Danke. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor nunmehr zwölf Jahren nahm die Finanzkrise in den USA mit faulen Immobilienkrediten ihren Anfang. Das löste eine Kettenreaktion aus, die Staaten an den Abgrund brachte, Banken in die Insolvenz schickte, die Immobilienpreise in Deutschland in ungeahnte Höhen hochschnellen und die Mieten in den großen Städten explodieren ließ. Diese Entwicklung bedroht unseren sozialen Zusammenhalt in vielen Ballungsräumen, in den großen Städten im Kern. In den letzten zehn Jahren ist etwas zerbrochen, nämlich die Gewissheit der Menschen, dass sie eine Wohnung finden werden. Zerbrochen ist der Glaube daran, dass die soziale Marktwirtschaft beim Wohnen noch funktioniert. Ich sage hier ganz klar: Wir müssen sie neu justieren, die soziale Marktwirtschaft,
({0})
wir müssen das Spannungsverhältnis zwischen Eigentum und dem Schutz des Eigentums auf der einen Seite und der sozialen Verpflichtung des Eigentums auf der anderen Seite neu justieren.
({1})
Angesichts dieser großen Herausforderungen reicht die Reform, Herr Luczak, die Sie heute hier vorgestellt haben, bei Weitem nicht aus. Das ist einfach nur Klein-Klein. Das ist ein typisches GroKo-Gesetz: Die Aufgabe ist riesengroß, als Reform heraus kommt eine Verlängerung des Betrachtungszeitraums von vier auf sechs Jahre, man verkauft das hier aber ganz groß. Das wird nicht reichen, um die Frage der sozialen Spaltung in den Städten zu lösen.
({2})
Man kann Kritik an dem Mietendeckel in Berlin haben. Aber das ist wenigstens der Versuch, diese Frage zu lösen, statt im Klein-Klein hängen zu bleiben.
({3})
Ich sage mal eines: Wenn Sie wirklich das Vergleichsmietensystem stabilisieren und das Mietrecht sozusagen in seiner Ausgleichsfunktion retten wollten, dann müssten Sie hier eine ganz andere Reform vorlegen und dürften nicht mit dem Finger nur nach Berlin zeigen. Zeigen Sie mal mit dem Finger auf sich,
({4})
und machen Sie sich mal Gedanken darüber, was diese Koalition im Mietrecht in den letzten Jahren alles nicht auf den Weg gebracht hat.
Der Betrachtungszeitraum, ich habe es gesagt, wurde von vier auf sechs Jahre verlängert. In den letzten zehn Jahren waren die Preissprünge enorm. Diese Reform bringt überhaupt nichts. Deswegen sagen wir ganz klar: „20 Jahre“ muss reingeschrieben werden,
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dann haben Sie einen dämpfenden Effekt, dann werden Sie die Mieten überhaupt nur stabilisieren.
Ja, natürlich ist das ein Eigentumseingriff,
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und der wird dem einen und dem anderen Spekulanten auch wehtun, aber er ist richtig.
({7})
Er ist auch gerechtfertigt.
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Er ist deswegen gerechtfertigt, weil wir in den Städten eine Notsituation haben. Und die Mietsteigerungen, die wir im letzten Jahrzehnt erlebt haben,
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haben wir in der Bundesrepublik in dieser Form noch nicht erlebt. Ich sage Ihnen: Diese Entwicklung muss gestoppt werden.
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Es braucht endlich eine Begrenzung des Anstiegs der Vertragsmieten. Deswegen müsste man an die Kappungsgrenze herangehen. Dazu haben Sie den Willen nicht. Das ist sehr schade. Damit lassen Sie eine Chance aus, wirklich was für die soziale Gerechtigkeit zu tun.
Ich erwarte eigentlich von Ihnen als SPD, dass Sie das Thema Kappungsgrenze noch mal aufgreifen; denn das ist ja die Gretchenfrage, die im Augenblick die Bestandsmieten sozusagen immer weiter nach oben zieht. Ich hoffe, dass Sie sich hier durchsetzen.
({11})
Zum Schluss. Der eine oder andere schreit jetzt immer wieder: Sozialismus! Sozialismus!
({12})
Ich glaube, das ist völlig falsch. Wir haben die Aufgabe, dieses Land zusammenzuhalten. Wir machen hier weitreichende Vorschläge, und ich erwarte, dass die Große Koalition endlich mal weitreichende Vorschläge macht, statt sich im Klein-Klein zu verheddern.
Danke schön.
({13})
Michael Groß, SPD, hat als Nächster das Wort.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer eine Wohnung mietet oder darin wohnt, darf nicht verarmen oder arm werden; das ist ein Zitat meiner neuen Justizministerin, und das ist auch Ziel dieses neuen Instrumentes in einem Instrumentenkasten, mit dem wir versuchen, soziale Wohnungsbaupolitik zu machen, soziale Politik für Mieter und Mieterinnen in diesem Land. Das muss unser Ziel sein.
({0})
Das ist nicht das einzige Instrument, sondern eines von vielen.
Ich muss mich schon wundern: Jetzt wird Kurt Schumacher schon von der FDP zitiert.
({1})
Wir scheinen Sie ja sehr zu beunruhigen. Beim letzten Mal haben Sie schon unseren Tag hier in der Fraktion kritisiert, mit dem wir darauf hingewiesen hatten, dass wir nicht in Wohnungen und Rendite investieren wollen, sondern in Menschen; das ist unser Ziel. Das hat Sie auch irritiert. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie Kurt Schumacher zitieren.
Wir haben ja eine Menge auf den Weg gebracht, die Große Koalition gemeinsam: Wir haben die Modernisierungsumlage gesenkt, von 11 auf 8 Prozent. Wir haben uns verständigt, dass wir diejenigen, die Menschen herausmodernisieren, mit Maßnahmen des Ordnungsrechts belegen wollen.
Ich muss Ihnen sagen: Darüber hinaus bin ich auch sehr dankbar, und zwar Eva Högl, dass sie den Mietendeckel in Berlin mit auf den Weg gebracht hat. Herzlichen Dank, Eva!
({2})
Ich glaube, dass das ein wichtiges Zeichen ist, dass Bund und Länder gemeinsam den Wohnungsmarkt gestalten müssen. Deswegen haben wir auch das Grundgesetz geändert, weil wir gesagt haben: Es gibt eine gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen, und die drei Ebenen müssen zusammenarbeiten. Ich will Sie nicht wieder damit langweilen, dass wir mehr staatliche Wohnungsbaugesellschaften brauchen, weil es da nicht in erster Linie um Rendite geht, sondern darum, dass die Menschen in ihren Wohnungen wohnen bleiben können und nicht modernisiert wird, um jemanden herauszutreiben, sondern modernisiert wird, um energetische Ziele zu erreichen, Klimaschutz zu betreiben. Das ist, glaube ich, eine vernünftige Sache.
({3})
Denjenigen, die jetzt ständig sagen: „Die Mietpreisbremse wirkt nicht“, muss ich noch einmal sagen: Es gibt inzwischen von mehreren Instituten Untersuchungen dazu, die sagen: Sie wirkt da, wo sie wirken kann. – Wenn Länder nicht in der Lage sind, sie umzusetzen, muss man natürlich die Länder auch kritisieren. Sie haben vielleicht die empirica-Studie wahrgenommen, in der noch einmal darauf hingewiesen wurde, dass in Berlin die Mieten im Vergleichszeitraum zum letzten Jahr eben nicht teurer geworden sind im Durchschnitt, sondern eher gesunken sind, zwar nur um ein paar Cent; aber immerhin haben wir so viel politischen Druck aufgebracht als Große Koalition,
({4})
dass wir keine drastischen Anstiege mehr bei der Miete haben.
({5})
Zum Schluss möchte ich Sie noch einmal darauf hinweisen: Wir haben heute wieder über viele Instrumente geredet. Ich glaube, die wichtigste Frage – Chris, hast du auch angesprochen – ist: Ist die Marktwirtschaft in der Lage, für einen Wohnungsmarkt zu sorgen, der sozial gerecht ist? Das ist er nicht; da sind wir uns einig.
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Wir müssen viel mehr darauf achten, dass zum Beispiel mit Grund und Boden nicht spekuliert wird; denn in den letzten zehn Jahren ist der Wert von Grund und Boden um 50 Prozent gestiegen,
({7})
und das ist ein Preistreiber bei den Mieten.
Danke schön.
({8})
Alexander Hoffmann, CDU/CSU, hat das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir am Ende dieser Debatte drei Bemerkungen.
Bemerkung Nummer eins. Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, gerade in den Ballungsräumen, ist zweifelsohne die soziale Frage dieses Jahrhunderts. Ich glaube, es ist auch legitim, über Instrumente nachzudenken wie zum Beispiel die Senkung der Modernisierungsumlage, die Etablierung einer Auskunftspflicht und auch über Instrumente, wie wir sie jetzt gerade beraten, nämlich die Verlängerung des Betrachtungszeitraums bei der ortsüblichen Vergleichsmiete oder auch im Rahmen von § 5 Absatz 2 Satz 1 Wirtschaftsstrafgesetz.
Das führt mich aber gleich zu Bemerkung Nummer zwei. Wir sollten – das habe ich heute in Teilen vermisst – bei jeder Debatte, und zwar fraktionsübergreifend, deutlich machen, dass wir uns bei all diesen Herausforderungen, die wir haben, auch ganz deutlich zur sozialen Marktwirtschaft bekennen.
({0})
Wir erleben in Teilen dieses Hauses – da gehören Sie leider dazu –, wir erleben in Berlin immer wieder den Lockruf harter planwirtschaftlicher Instrumente, die eigentlich nur die Symptome bekämpfen, aber nicht die Ursachen. Wenn man von der grundlegenden Idee der sozialen Marktwirtschaft ausgeht, dann weiß man, dass, wenn man bezahlbaren Wohnraum schaffen will, nur eines hilft, nämlich: Bauen, Bauen, Bauen.
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Das führt mich jetzt zu Bemerkung Nummer drei. Wenn nur Bauen, Bauen, Bauen hilft, dann muss ich Anreize setzen und schauen, dass jemand auch den Mut hat, Geld zu investieren. Das heißt, das Letzte, was ich machen darf, ist, Instrumente zu etablieren, die einen, der investieren will, abwürgen.
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Und da sehen wir tragischerweise in diesen Tagen hochoffiziell, wie man es nicht machen sollte, nämlich beim Mietendeckel von Berlin. Das ist klassisch ein Abwürgen der Investitionen.
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Versetzen Sie sich doch mal in die Lage eines Investors, der 40 Millionen Euro in ein Wohnungsbauprojekt investieren will. Glauben Sie tatsächlich, dass der das noch in Berlin macht?
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Nein, der macht das in einer anderen deutschen Großstadt,
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oder er geht gleich ins europäische Ausland, wenn mittlerweile, auf Bundesebene ja auch, aus mancher politischen Richtung sogar der Begriff der Enteignung kommt. Es gibt jetzt schon Befürchtungen von Handwerkern, die mit einem Einbruch von 40 Prozent der Aufträge im Bereich der Modernisierung von Wohnungen rechnen. Und fast 90 Prozent der Investoren im Bereich der Wohnungs- und Bauwirtschaft sagen heute schon, dass sie im Land Berlin ihre Investitionen zurückschrauben wollen.
Meine Damen, meine Herren, deswegen ist es sinnvoll, dass wir uns die Zeit nehmen, zur ursprünglichen Idee der sozialen Marktwirtschaft zurückzukehren.
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Ich hoffe, dass das in den weiteren parlamentarischen Beratungen auch bei Ihnen eine größere Rolle spielt. Sie werden erleben, dass dieser Mietendeckel mit Pauken und Trompeten durchfällt. Ich habe aber meine Zweifel, ob Sie das dazulernen lässt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Plötzlich ist der Strom abgedreht. In der Wohnung bleibt es dunkel, das Eisfach taut ab, die Lebensmittel im Kühlschrank verderben, die Kinder müssen ihre Hausaufgaben im Kerzenschein erledigen. Frau Markgraf hat dies als Kind am eigenen Leib erlebt. Ihre Mutter war alleinerziehend mit drei Kindern. Sie schaffte es nicht immer rechtzeitig, ihre Stromrechnungen zu begleichen. Dann geht die erste Mahnung ein. Danach folgt die Androhung einer Sperre. Nur drei Tage später dreht der Stromversorger den Strom ab. Um die Sperre wieder aufzuheben, muss sie nicht nur die offenen Rechnungen begleichen, sondern auch noch die hohen Gebühren für Sperrung und Entsperrung.
Die Geschichte von Frau Markgraf ist leider kein Einzelschicksal. Sie passiert täglich, tausendfach. Sie ist Alltag in Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt. Rund 300 000 Haushalten wurde im vergangenen Jahr der Strom abgedreht; weit über eine halbe Million Menschen sind betroffen.
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Jetzt denken sicher einige: Na ja, selber schuld, wenn man seine Rechnungen nicht bezahlt. – Stromsperren und Energiearmut sind aber kein persönliches Versagen. Sie sind ein politisches Problem, und deswegen müssen wir auch politisch etwas dagegen tun, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Für Stromsperren gibt es in der Regel zwei Ursachen: erstens zu wenig Einkommen und zweitens plötzliche, einschneidende Veränderungen im Leben.
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Dies kann eine Erkrankung, die Geburt eines Kindes oder auch der Tod eines Angehörigen sein. Der Staat hat hier eine besondere Fürsorgepflicht, der er aber nicht ausreichend nachkommt. Und besonders hart ist die Situation für Menschen in der Grundsicherung. Unser Verfassungsgericht hat klar geurteilt, dass die Versorgung mit Energie Teil des menschenwürdigen Existenzminimums ist. Der Regelsatz in der Grundsicherung ist aber eh schon auf Kante genäht. Und am Ende des Monats bleibt oft nur die Wahl: Bezahle ich meine Stromrechnung, oder kaufe ich mir etwas zu essen? Geht dann noch die Waschmaschine kaputt, droht schnell eine Verschuldungsspirale.
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So, was die tut jetzt die Bundesregierung? Sie macht es wie die drei Affen: Sie hört nichts, sie sieht nichts, sie sagt nichts. Sie ist noch nicht einmal gewillt, das Ausmaß und die Folgen der Energiearmut in Deutschland genauer zu messen, wie es die Europäische Union fordert. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf: Schauen Sie nicht länger weg, tun Sie endlich etwas gegen diese Form von extremer Armut!
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Wir Grüne legen heute einen Fünfpunkteplan vor, wie wir Stromsperren verhindern können.
Erstens. Wir brauchen eine deutliche Erhöhung der Grundsicherung und eine Stromkostenpauschale, die jährlich angepasst wird; denn Energie ist ein Grundrecht, und zwar für alle Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Zweitens. Wir brauchen bei sich abzeichnenden Stromschulden ein frühzeitiges Hilfesystem zwischen Energieversorgern, Jobcentern oder Sozialämtern. Die Stadt Saarbrücken hat es so geschafft, Stromsperren gänzlich zu verhindern. Dieses Beispiel sollte Schule machen.
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Drittens wollen wir dafür sorgen, dass Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung beim Kauf von energiesparenden Geräten stärker unterstützt werden. Heute werden nämlich vor allem günstige Geräte genehmigt, und künftig müssen die Geräte genehmigt werden, die besonders sparsam sind.
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Viertens müssen wir die Mahn- und Sperrfristen verlängern und die Folgekosten einer Sperrung deckeln. Es ist doch grotesk, dass die Folgekosten einer Stromsperre mitunter höher sind als die eigentliche Stromschuld. Das müssen wir ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Und wir müssen erfolgreiche Projekte zur Energiespar- und Schuldnerberatung wie die der Verbraucherzentralen stärker fördern, und wir müssen einen nationalen Aktionsplan gegen Energiearmut auflegen. So.
Unsere Vorschläge liegen also auf dem Tisch, und jetzt bin ich sehr gespannt auf Ihre. Denn eins muss klar sein: Nichtstun ist keine Alternative; denn jede Stromsperre ist eine zu viel.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Jens Koeppen, CDU/CSU, hat jetzt das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir mussten ja lange auf den Antrag warten. Seit 2012 ist er in jeder Legislaturperiode jedes Jahr regelmäßig dabei. Allerdings ist er nicht besser geworden. Sie haben die gleichen alten Argumente, die nachweislich – ich werde Sie darauf noch hinweisen – falsch sind.
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Allerdings hat sich eins geändert, zumindest bei Ihnen von den Grünen, bei Ihnen von den Linken noch nicht. Sie haben früher davon gesprochen, Stromsperren gesetzlich zu verbieten. Jetzt reden Sie wenigstens davon, dass Stromsperren zu verhindern sind. Das ist ja schon mal was, wo man zueinanderkommen kann. Man kann darüber reden, wie man das macht, wie man Stromsperren verhindert.
Es ist natürlich ein ernstzunehmendes Thema. Aber in Deutschland gibt es doch bereits ganz strenge und klare Regeln bei Stromsperren, und zwar, ob, wann und für wen der Energieerzeuger Stromsperren überhaupt verhängen darf. Das ist ganz klar geregelt. Es gibt Schuldnerberatungen. Die Sozialämter erteilen Auskunft, geben Hilfe, wenn eine Stromsperre droht oder bereits verhängt ist. Es gibt ein gutes Netz von Ansprechpartnern. Es gibt Hilfe für die betroffenen Menschen bei der Kommunikation mit dem Stromanbieter.
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– Sie können sich doch gerne melden und eine Zwischenfrage stellen.
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– Ja, genau.
In § 19 Absatz 2 der Stromgrundversorgungsverordnung ist generell geregelt, dass der Kunde mit mindestens 100 Euro im Rückstand sein muss, bevor der Energieversorger überhaupt aktiv werden darf. In den meisten Fällen darf der Energieversorger überhaupt keine Sperre verhängen, und zwar, wenn im Haushalt eine schwangere Frau wohnt, wenn im Haushalt Kinder leben, wenn im Haushalt alte oder behinderte Menschen leben.
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Wenn all diese Kriterien nicht vorliegen, muss die Sperre außerdem vier Wochen vorher angekündigt werden.
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Daher sind sowohl Ihre Ausführungen und Ihr Gekrähe falsch, weil wir hier eine ganz klare Rechtslage haben.
Was ist außerdem in Ihrem Antrag inhaltlich falsch? Beide Anträge reden davon, dass es eine wachsende Anzahl von Sperren gibt. Richtig ist: Wir haben eine Abnahme der Zahl von Stromsperren. Das stand ganz klar in der Antwort auf die Kleine Anfrage, die Sie an die Bundesregierung gestellt haben. Wir haben eine Tendenz zu weniger Stromsperren. Ich weiß gar nicht, was Sie da erzählen. Lesen Sie doch einfach mal Ihre eigenen Anfragen.
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– Sie könnten sie übrigens auch lesen.
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Hinzu kommt, dass bei der Grundsicherung im Regelsatz ein Betrag – er wird ständig dynamisiert – zur Deckung der Energiekosten enthalten ist. Mittlerweile liegt er bei 36 Euro. Verschiedene Studien und Portale haben gesagt, in solchen Fällen greift bei 39 Euro dieser Energiesatz. Also reden Sie nicht davon, dass nichts gemacht wird.
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Es gibt noch zu viele Betroffene; aber es liegt nicht an den Regelungen, sondern das Problem liegt möglicherweise – lassen Sie uns mal schauen, wie man das verbessern kann – an der Kommunikation, an der Anwendung der Regelungen, an der Transparenz und möglicherweise daran, wie man die Regeln, die es gibt, vermittelt.
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Es fehlt aber nicht – und das ist ganz klar – an den Schutzinstrumenten. Die Statistik ist eindeutig.
Die Hälfte aller Stromsperren betrifft Haushalte innerhalb der Grundsicherung; das ist richtig. Aber die Gründe der Stromsperren lassen sich nicht auf, wie Sie es schreiben, Energie- oder Einkommensarmut reduzieren. Vielmehr liegt das Problem vielleicht darin, dass es plötzliche Veränderungen im Leben bzw. im Lebensumfeld dieser Menschen gibt, etwa eingeschränkte Finanz- und Planungsfähigkeiten. Darüber, meine Damen und Herren, kann man doch aber reden, anstatt das Problem so zu verteufeln, wie Sie das machen.
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– Ich habe Ihnen doch gerade – ich weiß nicht, ob Sie überhaupt zugehört haben -
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die Maßnahmen, die jetzt gesetzlich geregelt sind, alle vorgetragen. Ich fange doch nicht noch mal von vorne an.
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Dann müssen Sie auch zu später Stunde, auch wenn es der letzte Antrag ist, mal zuhören, Herrgott noch mal!
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Das ist doch nicht so schwer. Das müssen doch alle machen. Es müssen alle zuhören, und das verlange ich auch von Ihnen. Wenn Sie einen Antrag einbringen, müssen Sie vor allen Dingen auch mal zuhören, was man Ihnen sagt, damit Sie nicht nächstes Jahr wieder mit der ollen Kamelle kommen.
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Lassen Sie uns darüber reden, wie wir es besser machen, wie wir die Kommunikation aufbauen, damit so etwas nicht passiert.
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Studien haben auch ergeben, dass ein Teil der Stromsperren – auch darüber müssen wir reden -
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auf das bewusste Ausnutzen der Grundversorgungspflichten zurückzuführen ist. Deswegen ist für mich klar: Ein Verbot von Stromsperren ist ein Fehlanreiz, und zwar zulasten der Energieversorgung und letztlich zulasten der Allgemeinheit; denn diejenigen, die sagen: „Ich bezahle die Stromrechnung nicht, weil ich es einfach nicht kann oder nicht will“, tun das aufgrund eines Fehlanreizes, und das müssen wir verhindern, liebe Kolleginnen und Kollegen von Grünen und Linken.
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Abschließend noch ein Wort zu den Energiepreisen. Trotz steigender Strompreise – und ein Grund dafür sind ja auch unsere Maßnahmen bei Energieversorgung und Energiewende – ist die Anzahl der Stromsperren zurückgegangen. Der Staat hat aber auch die Zuständigkeit, dafür zu sorgen, dass Energie kein Luxusgut wird. Deswegen müssen wir bei allen Maßnahmen, die wir bei der Energiewende, bei der Energieversorgung ergreifen, im Zieldreieck bleiben. Ich bleibe dabei, dass das Zieldreieck für uns alle sein sollte: Versorgungssicherheit, natürlich Umweltverträglichkeit, aber auch Bezahlbarkeit, damit so etwas nicht passiert.
Vielen Dank und schönes Wochenende!
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Steffen Kotré, AfD, hat jetzt das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Also, diese übereilten Anträge sind schon der Gipfel der Unverfrorenheit. Sie von den Links-Grünen sind dafür verantwortlich, dass die Strompreise hier durch die Decke schießen,
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nämlich mit der Energiewende, mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und mit dem überteuerten Strom aus Wind und Sonne.
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Das sind die Ursachen, warum unsere Energieversorgung so teuer ist.
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Und dann stellen Sie sich hierhin und beklagen diese hohen Strompreise. Diese Anträge sind der totale Hohn!
Die AfD-Fraktion hat schon lange darauf hingewiesen, dass die Strompreise durch die Decke schießen und sich der kleine Mann in Deutschland eine gute und ausreichende Energieversorgung fast nicht mehr leisten kann.
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Deutschland hat mit Dänemark zusammen die höchsten Strompreise weltweit. Wir packen also die Stromsteuer noch obendrauf, dann noch die Umsatzsteuer auf die Ökosteuer, und heraus kommt einer der weltweit höchsten Strompreise.
Woran liegt das nun? Das hatte ich eben eingangs skizziert: Das liegt daran, dass wir unsere Stromversorgung planwirtschaftlich umbauen.
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Neben der Bundesregierung sind Sie von den Links-Grünen dafür verantwortlich, dass sich viele Menschen in unserem Land Strom nicht mehr leisten können. Sie tragen dafür neben der Bundesregierung mit die Verantwortung.
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Deswegen brauchen Sie sich hier gar nicht hinzustellen und die Folgen zu beklagen.
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Denn wenn Sie die Folgen beklagen, dann zieht wohl der Wolf seinen Schafspelz über, und das ist der Gipfel der Unverfrorenheit, meine Damen und Herren.
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Der Dieb schreit: Haltet den Dieb! – Das ist links-grün.
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Sie von den Links-Grünen drücken mit aller Macht die planwirtschaftliche Energiewende durch, die zu diesen hohen Strompreisen führt.
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Wind- und Sonnenstrom muss durch Kohle-, Gas- und Kernenergiestrom subventioniert werden; denn Wind- und Sonnenstrom ist um ein Vielfaches teurer als Strom aus konventioneller Stromerzeugung.
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Und wer will den Anteil dieses teuren Stroms noch erhöhen? Richtig! Sie von den Links-Grünen wollen diesen teuren Anteil noch erhöhen.
An Wind- und Sonnenstrom verdienen Unternehmen und solche, die es sich leisten können. Die, die es sich nicht leisten können, sich eine Windenergieanlage zu bauen oder sich Photovoltaikanlagen aufs Dach zu packen, zahlen nämlich für die anderen mit in Form der EEG-Umlage. Das ist unsozial und zeigt noch mal, wofür Links-Grün steht, nämlich für die Umverteilung von Reich zu Arm. Das ist leider so.
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Da hilft auch kein Geschwafel über Bürgerenergie oder sonstige kosmetische, kleinere Veränderungen weiter. So ist diese vorgegaukelte Anteilnahme an denjenigen, die diese Preise also nicht bezahlen können, schier geheuchelt.
Damit aber nicht genug. Sie, meine Damen und Herren von den Links-Grünen, sind auch mit dafür verantwortlich, dass wir preiswerte, zukunftsfähige, saubere und sichere Technologien, zum Beispiel auch die Kernenergie, nicht weiter verfolgen. Sie tragen eben auch eine Mitschuld daran, dass wir energiepolitisch und technologisch unseren Vorsprung an der Weltspitze verlieren.
Außerdem wollen Sie den Kohleausstieg. Der kostet uns 100 bis 150 Milliarden Euro. Diese Kosten kommen noch obendrauf. Also: Zum Strompreis kommen noch die Kosten des Kohleausstiegs. Der kostet uns noch obendrauf.
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Das sind keine Erträge, das sind – um das noch mal klarzustellen – Kosten in Höhe von 100 bis 150 Milliarden Euro, die im Raum stehen. Sie wollen auch, dass sich die Produkte in Deutschland generell verteuern, mithilfe der CO2-Bepreisung.
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Also erzählen Sie hier bitte nichts von sozialer Politik. Dies glauben wir Ihnen nämlich nicht.
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Oder erklären Sie es mir! Erklären Sie mir bitte, wenn Sie mit dafür verantwortlich sind, dass die Strompreise steigen, wie Sie dann die Geringverdiener gerade bei den Strompreisen entlasten wollen. Ja, natürlich, klar: Ich kann die Strompreise hochtreiben und dann noch von Verboten reden. Der Berliner Senat ist ja auch dabei, Verbote zu installieren, vorher aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu schrotten. Aber das ist für uns keine Alternative.
Wir sagen ganz klar: Wir werden wieder eine bezahlbare Stromversorgung einführen.
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In Bulgarien zum Beispiel kostet der Strom ein Drittel unseres Preises, also 10 Cent. Und das, was man in Bulgarien kann, das können wir auch hier in Deutschland. Da werden wir wieder hinkommen. Wir werden diese verantwortungslosen Experimente der Energiewende beenden. Wir werden wieder einen vernünftigen Energiemix hier in Deutschland haben: mit Kohle, mit Gas, mit laufzeitverlängerter Kernenergie natürlich und mit einem vertretbaren Maß an erneuerbaren Energien.
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Wir werden den deutschen Sonderweg beenden und zu einer ausgewogenen und vernünftigen Energiepolitik zurückkehren, um Strom für alle wieder bezahlbar zu machen.
Vielen Dank.
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Johann Saathoff, SPD, ist der nächste Redner.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kotré, herzlichen Dank für die Präsentation Ihres Weltbilds als Gruß an die Hunderttausenden von jungen Menschen, die sich um die Zukunft Sorgen machen. Die wissen jetzt: Mit Ihrer Hilfe könnte man Kohle- und Nuklearenergie usw. wieder vorantreiben.
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Beim Thema Energiearmut reden wir über ein wichtiges Thema an der Schnittstelle von Energiepolitik und Sozialpolitik. Bei der Energiewende haben wir alle drei Ziele gleichermaßen im Blick – Kollege Koeppen hat darauf hingewiesen –: erstens natürlich Nachhaltigkeit – wir wollen dafür sorgen, dass die Energie verantwortlich produziert wird –, zweitens Zuverlässigkeit in Deutschland, aber auch Bezahlbarkeit als drittes Ziel. Bei Lektüre der Anträge von den Grünen und den Linken kam mir das noch einmal besonders in den Fokus. Auch das Ziel Bezahlbarkeit dürfen wir nicht aus den Augen verlieren; das ist absolut richtig.
Bei der Bezahlbarkeit macht es Sinn, sich mal die Bestandteile des Strompreises anzugucken. Da geht es zunächst mal um die Produktion der Energie. Da, würde ich sagen, sind wir mit den erneuerbaren Energien auf einem richtig guten Weg. Wir haben die Bezahlbarkeit stabil gehalten.
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Die Netzentgelte, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind regional extrem unterschiedlich und gehören dringend angefasst. Da müssen wir uns als Bundesregierung dann auch mal ans Schlafittchen fassen und sagen: Hier müssen gerechtere Netzentgelte her. – Die EEG-Umlage wird perspektivisch ab 2021, wenn nämlich die ersten geförderten Anlagen aus der EEG-Vergütung herausfallen, auch sinken.
Der Mechanismus des EEG ist leider nicht auf Ausgleich ausgerichtet worden; das war damals auch nicht Ziel des EEG. Das Ziel des EEG war, Erneuerbare-Energien-Anlagen marktfähig zu machen, und dieses Ziel ist erfüllt.
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Es hat sogar über 100 000 Menschen Arbeitsplätze gebracht, und darauf können wir stolz sein.
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Es wird jetzt aber auch Zeit, dass wir uns im Zuge des Klimapakets anschauen, wie man eine sozial ausgewogenere Lastenverteilung schafft, als das bisher der Fall war. Wie kann Menschen geholfen werden, die von Energiearmut betroffen sind? Bestes Mittel wäre eigentlich der Wechsel eines Stromanbieters. Denn viel zu viele Menschen sind noch im Grundversorgungstarif. Das ist aber bei einer negativen Schufa oft nicht möglich, und das sollten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, endlich beenden. Denn umgekehrt legt der Versorger ja auch nicht seine wirtschaftlichen Verhältnisse dar, wenn man dort Kunde werden will.
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Das heißt, wir werden gemeinsam dafür kämpfen müssen, dass Versorgerwechsel auch bei negativer Schufa endlich durchgesetzt werden.
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Außerdem lohnt es sich, ein besonderes Augenmerk auf die Kunden in der Grundversorgung zu legen. Dazu gibt es ein ganz tolles Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung. Es stellt sich nämlich die Frage, ob man die Grundversorgungstarife nicht eigentlich senken sollte. Ich denke, ja. Bisher waren es nämlich oft die Versorger, die anschließend wegen zu hoher Tarife in der Grundversorgung verurteilt wurden.
Parallel sollte man den Stromkostenanteil in der Grundsicherung anpassen, also mehr Grundsicherung bezahlen; denn die Bezugskosten für Energie sind in den letzten Jahren höher geworden. Die Stromverbräuche werden auch höher. Wenn wir unsere Sektorkopplungspläne ernst meinen, dann werden die Stromkosten zwangsläufig auch für die Familien, die Grundsicherung beziehen, höher werden.
Ich möchte abschließend noch auf den Stromspar-Check hinweisen, mittlerweile in 150 Städten und Gemeinden in Deutschland existent. Ich selber habe mir das in Oldenburg angeguckt, wo die Caritas Träger und damit letzten Endes auch Arbeitgeber für Menschen ist. Das ist ein tolles Angebot für Menschen, die Wohngeld oder Grundsicherung beziehen.
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Wat man neemlich neet bruukt, dat mutt man ok neet betahlen.
Wir werden das Clean Energy Package, das die EU verabschiedet hat, 2020 umsetzen. Es gibt eine Vielzahl von Regelungen, die erforderlich sind und die aufeinander abgestimmt werden. Dazu gehört neben der beschriebenen Entlastung der Menschen aus meiner persönlichen Sicht auch, dass niemand mehr aus der Stromversorgung fallen kann. Das ist dringend erforderlich bei der Verzahnung von Energiepolitik und Sozialpolitik.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Dr. Martin Neumann, FDP, hat jetzt das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer noch einarmig unterwegs möchte ich mich zu den beiden hier vorliegenden Anträgen äußern. Worum geht es? Es geht um Energiearmut und die daraus entstehenden Stromsperren für schutzbedürftige Kunden. Ja, die Antragsteller wollen sich für schutzbedürftige Kunden einsetzen. Aber jetzt muss ich die Antragsteller fragen, warum der Fokus nur auf Geringverdienern mit Regelsätzen oder Grundsicherung liegt. Was ist denn mit denjenigen, die da ganz knapp drüber liegen? Die Definition von „Energiearmut“, meine Damen und Herren und liebe Antragsteller, fehlt. Es fehlt auch die Antwort auf die Frage, wie wir da rangehen sollten, um das Thema dann tatsächlich zielgenau zu beherrschen. Keine konkreten Vorschläge sehe ich in den Anträgen.
Was fordern denn die Antragsteller? Die Grünen wollen eine aus dem Regelsatz der Grundsicherung ausgelagerte Stromkostenpauschale. Die Linken fordern eine Neuregelung der Stromgrundversorgungsverordnung, um Stromsperren aufgrund von Zahlungsunfähigkeit gesetzlich zu untersagen. Aber, meine Damen und Herren, Leistungen außerhalb des Regelsatzes verlangen viel, viel mehr Administration und Bürokratie. Geringverdiener, die knapp über der Grenze für einen Anspruch auf Sozialleistungen liegen, wären davon nicht betroffen, sind vielleicht aber auch stärker involviert. Meine Damen und Herren, die Lösung können doch nur niedrigere Energiepreise gleichermaßen für alle Einkommensschichten sein, die keine zusätzliche Bürokratie schaffen.
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Vielfach ist die Frage gestellt worden: Aber warum wollen wir Energiesparberatung nur für Geringverdiener und warum nicht Bildung im Energiebereich für alle Alters- und Einkommensgruppen voranbringen? Je mehr jeder Einzelne persönlich versteht, was im Rahmen der Energiewende passiert, desto eher steigt auch die Akzeptanz.
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Ausreichende Energieversorgung für schutzbedürftige Kunden ist ein Thema. Auch wir hatten eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, weil das nicht geklärt war. Wir haben als Antwort bekommen, dass es da tatsächlich auf jeden einzelnen Haushalt individuell ankommt.
Ich fasse mal zusammen: Wie können wir das Problem vermeiden?
Erstens. Wir gehen viel weiter als das, was Sie mit Ihrem Antrag hier vorhaben. Wir wollen nicht nur eine ausreichende Energieversorgung für schutzbedürftige Kunden sicherstellen, sondern für alle Menschen in diesem Land.
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Zweitens. Das wollen wir unbürokratisch und flächendeckend.
Drittens. Wir wollen das am einfachsten anhand niedrigerer Strompreise umsetzen. Wenn jeder Verbraucher von 1 gezahlten Euro 53 Cent an den Staat zahlt, wissen wir, woran das liegt. Die Abschaffung der Stromsteuer ist schon mehrfach diskutiert worden. Ein mittlerer Haushalt, der um die 3 500 Kilowattstunden pro Jahr umsetzt, würde 70 Euro im Jahr sparen. Von der EEG-Umlage, die dann etwa das Dreifache der Stromsteuer ausmacht, möchte ich an der Stelle gar nicht reden.
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Ein letzter Punkt, der mir auch unter dem Aspekt von Akzeptanz und Verständnis wichtig ist. Wir brauchen tatsächlich Bildungsmaßnahmen, die die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern, damit ein jeder mehr Verantwortung für sich selbst und auch für andere übernehmen kann.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Amira Mohamed Ali, Die Linke.
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Sehr geehrter Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wir, Die Linke, beantragen, dass Stromsperren gesetzlich verboten werden. Denn die Angst vor der nächsten Stromrechnung ist bittere Realität für viele Menschen in diesem Land, und das nehmen wir nicht hin.
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Herr Kollege Koeppen von der Union, ich bin entsetzt darüber, wie sehr Sie das Problem in Ihrem Redebeitrag nicht nur kleingeredet, sondern komplett ignoriert haben.
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Im Jahr 2017 wurde 361 000 Haushalten in Deutschland der Strom abgeschaltet – 361 000 Haushalten. Angedroht haben das die Energieversorger sogar 4,8 Millionen Haushalten. Und wer ist von Stromsperren betroffen? Das sind überwiegend Menschen, die in Not geraten sind und die die Rechnung nicht bezahlen können.
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Wenn der Strom abgeschaltet wird, dann ist die Lebensqualität von einem Moment auf den anderen zerstört. Die Lebensmittel im Kühlschrank verderben, kein elektrisches Gerät funktioniert mehr. Es gibt kein warmes Wasser, und oft bleibt auch die Heizung kalt.
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Gerichte stellen immer wieder zu Recht fest: Eine Wohnung ohne Strom ist unbewohnbar. Dennoch sind Stromsperren erlaubt.
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Im Jahr 2016 ist ein älteres Ehepaar in Bremen, bei denen der Strom abgeschaltet worden war, in seiner Wohnung an einer Kohlenmonoxidvergiftung gestorben. Es hatte versucht, sich auf einem kleinen Holzkohlegrill ein warmes Essen zuzubereiten. Das ist erschütternd. Es darf nicht geschehen, dass Menschen in unserem Land in solche Not geraten.
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Aktuell dürfen Energieversorger ab einem Rückstand von gerade einmal 100 Euro nach erfolgloser Mahnung den Strom abschalten. Es sind die gleichen Energieversorger, die Milliardenprofite einfahren. Das DAX-Unternehmen EON machte im letzten Jahr 3 Milliarden Euro Gewinn, und die Aktionäre durften sich über 1 Milliarde Euro Dividende freuen. Diesen Unternehmen soll es nicht zumutbar sein, Menschen in Not weiter mit Strom zu versorgen, auch wenn ein Zahlungsrückstand besteht? Das ist doch lächerlich.
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Wir als Linke sagen: Wir wollen eine Gesellschaft, in der Menschen nicht einfach abgehängt und in kalten, dunklen Wohnungen zurückgelassen werden können, weil sie eine Rechnung nicht bezahlen konnten.
Mit der Stromsperre hört es für die Betroffenen ja leider nicht auf. Der Kollege von den Grünen hat es bereits gesagt: Die Energieversorger verlangen für das Wiederanschalten des Stroms auch wieder Gebühren. Im Schnitt sind das 100 Euro. Das heißt, Menschen, die ohnehin in größter finanzieller Not sind, werden weiter belastet.
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Eine Abwärtsspirale der Schulden entsteht. Für dieses Problem gibt es eine Lösung, und genau das fordert Die Linke: Stromsperren müssen verboten werden.
Der Antrag der Grünen zu dem Thema erkennt das Problem an. Er schlägt auch Maßnahmen vor, die teilweise auch in die richtige Richtung gehen. Aber eine Verlängerung der Mahnfrist oder die Anhebung des Betrages, ab dem gemahnt und gesperrt werden kann, löst das Problem eben nicht. Es schließt nicht die Tür für diese menschenverachtende Praxis des Stromabschaltens, und die Schuldenfalle bleibt trotzdem bestehen.
Die Linke will außerdem, dass die Strompreise nicht immer weiter steigen und steigen, sondern dass sie endlich sinken.
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Seit Jahren kassieren die Stromkonzerne hemmungslos ab, und damit muss Schluss sein.
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Die Stromsteuer muss deutlich abgesenkt werden, und, ja, natürlich müssen die Energieversorger verpflichtet werden, Sozialtarife anzubieten für alle Menschen mit kleinen Renten, mit kleinen Einkommen und für Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger. Das geht in Frankreich. Das geht in Belgien. Das geht auch hier, meine Damen und Herren.
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– Können Sie von der rechten Seite mal aufhören, zu pöbeln. Das ist ja entsetzlich.
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Es gibt ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das ergibt sich aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes, also aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde und aus dem Sozialstaatsprinzip. Dazu gehört für uns Linke auch die Versorgung mit Strom.
Frau Kollegin.
Wer dieses Grundrecht nicht akzeptiert, hat es unserer Ansicht nach nicht verdient, zu regieren.
Danke schön.
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Kai Whittaker, CDU/CSU, hat jetzt das Wort.
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Herr Präsident! Werte Kollegen! Ja, wir reden über ein sehr ernstes Thema. Wenn einem Menschen der Strom abgestellt wird, dann ist das ein einschneidendes Erlebnis. Menschen fragen sich, ob sie sich den Strom leisten können, ob sie an einem modernen Leben in Deutschland teilhaben können. Weil es aber so ein ernstes Thema ist, Herr Kollege Lehmann, bin ich umso erschütterter, dass Sie mit Ihrer Fraktion einen Antrag vorlegen, in dem Sie mit Halbwahrheiten arbeiten und die Lage düsterer zeichnen, als sie ist. Ich möchte auf drei Punkte besonders eingehen.
Sie behaupten, dass die Stromsperren in Deutschland zugenommen haben. Ja, das stimmt, wenn man sich die Entwicklung vom Jahr 2016 auf das Jahr 2017 anschaut. Aber wir zeichnen seit 2011 auf, wie viele Haushalte in Deutschland davon betroffen sind. Wenn man sich diese Zahlen anschaut, dann wird man feststellen, dass wir heute weniger Stromsperren haben als in den Jahren 2013 und 2014 und dass wir über den gesamten Zeitraum, gemessen an der Anzahl der gesamten Haushalte, in Deutschland, einen konstant niedrigen Wert von 0,7 Prozent aller Haushalte in Deutschland haben, denen der Strom abgestellt wird.
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Energiearmut ist also kein zunehmendes Problem.
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Sie beklagen außerdem in Ihrem Antrag, dass der durchschnittliche Schuldenstand bei Menschen, denen der Strom abgeschaltet wird, bei 117 Euro liegt und dass das so hoch sei, dass es den Menschen kaum möglich ist, diesen Betrag zurückzubezahlen. Da kann ich nur sagen: Kein Wunder! Im Gesetz steht ja drin – § 19 Stromgrundversorgungsverordnung –, dass eine Sperre erst ab einem Schuldnerbetrag von 100 Euro möglich ist. Wenn Sie also wollen, dass der Betrag geringer ist, damit die Chance besteht, dass die Menschen es zurückzahlen können, dann müssten Sie diesen Betrag senken und nicht erhöhen. Das wäre die richtige Forderung.
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Im Übrigen – Herr Kollege Koeppen hat das schon richtig ausgeführt –: Der Strom darf dann nicht abgesperrt werden, wenn eine hinreichende Aussicht besteht, dass Kunden ihren Verpflichtungen nachkommen. Die Studie, die Sie in Ihrem Antrag zitieren, sagt ganz klipp und klar: Wer sich nach der ersten Mahnung bei seinem Stromlieferanten meldet und sagt: „Ich möchte meine Schulden in Raten bezahlen“, der ist raus, bei dem wird nicht gesperrt. So einfach ist die Rechtslage.
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Als Drittes beklagen Sie, dass es eine Lücke gibt zwischen den tatsächlichen Stromkosten und dem, was in der Grundsicherung bzw. im Grundbedarf für Strom kalkuliert ist.
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Da zitieren Sie die Plattform Verivox. Die hat diese Lücke bei 14 Prozent taxiert. Ich habe mir das mal angeguckt und war ganz erstaunt; denn Verivox rechnet mit einem Bedarf von 1 500 Kilowattstunden für einen Einpersonenhaushalt. Der Durchschnitt in Deutschland liegt aber bei 1 400 Kilowattstunden. Das ist schon mal ein Punkt. Ein anderer Punkt: Sie vergleichen Äpfel mit Birnen, weil Sie den durchschnittlichen Verbrauch nehmen. Da sind aber alle Haushalte drin, sowohl die ärmeren als auch die ganz reichen Haushalte, die natürlich einen etwas höheren Stromverbrauch haben. In diesem Zusammenhang ist aber nicht entscheidend, was der Durchschnitt verbraucht hat und was in der Grundsicherung kalkuliert ist, sondern die Frage: Kann ich mit der Grundsicherung meine Stromkosten bezahlen?
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Ich habe mir das angeschaut. Die Grundsicherung sieht vor, dass man im Jahr 443 Euro für Strom ausgeben kann. Wer auf einem Stromvergleichsportal nach einem Angebot für 1 400 Kilowattstunden sucht, wird ein Angebot für 438 Euro im Jahr finden. Das ist knapp kalkuliert, aber es ist innerhalb der Pauschale. Es ist in Deutschland möglich, mit der Grundsicherung seine Stromrechnung zu bezahlen.
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Insofern, finde ich, gehen Ihre Forderungen ins Leere.
Sie wollen einen eigenen Grundsicherungsbedarfssatz für Strom. Ich verstehe aber nicht, was der Nutzen sein soll; denn am Ende zahlen Sie das Geld ja auch bar an den Grundsicherungsempfänger aus. Das heißt, er hat das Geld zur freien Verfügung. Ob er es für den Strom einsetzt oder nicht, ist völlig egal. Insofern verstehe ich nicht, was der Zweck dieser Pauschale sein soll.
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Im Übrigen – auch das als Replik –: In der Grundsicherung ist der Anteil der Stromkosten dreimal so stark berücksichtigt wie im allgemeinen Verbraucherindex. Das heißt, wenn der Strompreis steigt, dann wird das sehr viel stärker in der Grundsicherung berücksichtigt als die Lohn- und Preissteigerungen beim Normalkunden. Insofern machen Sie da eine völlig falsche Rechnung auf.
Der eigentliche Unterschied zwischen Ihnen und uns ist: Sie wollen für jeden einzelnen Bedarf einen eigenen Topf haben.
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Wir als Union halten daran fest, dass wir mit Pauschalen arbeiten wollen. Wir wollen die Verwaltungskosten gering halten, wir wollen es einfach für die Menschen machen, und wir wollen mehr Zeit haben, uns darum zu kümmern, diese Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Das ist die eigentliche Aufgabe der Jobcentermitarbeiter und keine Taschenrechnerspiele, was am Monatsende bei den Leuten auf dem Konto ist.
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Was Ihr Hilfesystem bewirken soll, verstehe ich auch nicht; denn die eigentlich wirksamste Hilfe wäre, wenn die Jobcenter das Recht bekämen, die Stromrechnung direkt zu überweisen.
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Aber wissen Sie, was Sie damit machen? Damit liefern Sie den Energielieferanten eins zu eins die Information, wer von ihren Kunden Sozialleistungen empfängt und wer nicht. Damit stigmatisieren Sie Tausende von Menschen in Deutschland. Das, was Sie hier an diesem Pult immer beklagen, fordern Sie in Ihrem Antrag. Das ist die Wahrheit.
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Dann vermisse ich bei Ihrer Forderung den eigentlich konkretesten Teil, nämlich: Sie wollen diesen Sperrwert von 100 Euro erhöhen. Sie sagen aber nicht, um wie viel. Sie wollen die Frist für die Ankündigung zur Sperrung, die bisher vier Wochen beträgt, verlängern. Sie sagen aber nicht, um wie viel.
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Und Sie wollen die Mahnkosten deckeln. Sie sagen aber nicht, bei wie viel Euro. Da, wo Sie hätten konkret werden können, sind Sie nicht konkret geworden.
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Deshalb kann ich nur sagen: Das Problem wird nicht größer. Das Problem ist auch nicht unvermeidbar. Und: Das Problem haben wir schon in der jetzigen Gesetzgebung gelöst. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
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Klaus Mindrup, SPD, ist voraussichtlich der letzte Redner in dieser Debatte.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute sind ja die Zahlen von der Bundesnetzagentur veröffentlicht worden. 296 000 Stromsperren im letzten Jahr! Da kann ich dem Kollegen Lehmann von Bündnis 90/Die Grünen nur zustimmen: Jede Stromsperre ist eine Stromsperre zu viel.
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Energieversorgung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist Daseinsvorsorge, und die wird am besten gemacht von Stadtwerken und Genossenschaften. Wenn man sich anguckt, wer im Kampf gegen Energiearmut voranschreitet, dann muss man sagen: Es sind auch hier wieder die Stadtwerke und die Genossenschaften, die vorangehen, zum Beispiel beim Projekt „NRW bekämpft Energiearmut“ mit den Stadtwerken Bochum, den Wuppertaler Stadtwerken, RheinEnergie, den Stadtwerken Duisburg und Krefeld. Die Stadtwerke München haben ein gutes Beratungsangebot. Viele Stadtwerke kooperieren mit dem Stromspar-Check der Caritas, auch eine vernünftige Sache, besonders in Osnabrück.
Aber klar ist ja auch: Nicht alle sind so wie die Stadtwerke und die Genossenschaften. Der Kollege Saathoff hat gesagt, dass es deswegen da einen ganz klaren Handlungsbedarf gibt, und er hat für die SPD dargestellt, wo der liegt. Wir müssen diesen Weg gehen. Tatsächlich kann es nicht sein, dass wir in diesem Land Menschen den Strom einfach so abschalten. Das muss geändert werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte aber die Zeit nutzen, um noch auf einen anderen Aspekt einzugehen. Wir hatten eben ja das Thema Wohnen. Ich gucke mal zurück. Ich war Kommunalpolitiker in Berlin. Im Jahr 2002 kamen auf einmal Gutachter zu mir – ich lebe im Prenzlauer Berg – und haben gesagt: Wir brauchen ein Stadtrückbaukonzept für den Prenzlauer Berg. – Die sind davon ausgegangen die Bevölkerung in Prenzlauer Berg schrumpft, wir müssen Häuser abreißen, Schulen abreißen, weil man falsche Prognosen angestellt hatte. Wir wissen heute, dass das absoluter Unsinn war.
Genauso unrealistisch – das muss man hier auch deutlich sagen – sind die Prognosen des Bundeswirtschaftsministeriums für die Entwicklung des Stromverbrauchs in Deutschland. Das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass der Stromverbrauch in 2030 sinkt, und das in einer Zeit, wo wir wissen, dass Stromerzeugung eine Effizienztechnologie ist, dass wir Strom im Transportsektor brauchen, Stichwort „Elektromobilität“, dass wir Wärmepumpen brauchen und dass die Industrie klimaneutralen Strom einsetzen will. Die chemische Industrie hat ausgerechnet, dass sie, wenn sie klimaneutral werden will, so viel Strom braucht, wie wir im Augenblick in ganz Deutschland verbrauchen. Diese völlig unrealistische Prognose und die falschen Ausbaupfade müssen verändert werden.
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Wenn wir das nicht tun, gefährden wir den Industriestandort Deutschland, und wir werden beim Klimaschutz scheitern. Und – da bin ich wieder bei dem Thema der Debatte hier –: Es geht um die Bezahlbarkeit der Energieversorgung. Eines ist klar: Mangel führt immer zu steigenden Preisen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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In der Debatte zum vorherigen Tagesordnungspunkt haben wir gehört: Bauen, bauen, bauen. – Das gilt erst recht für neue Erneuerbare-Energien-Anlagen. Das ist die Aufgabe der nächsten Jahre: Bauen, bauen, bauen.
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Wer sagt, dass das zu teuer ist, dem muss man klar sagen: Gucken Sie sich an, wie sich die Preise entwickelt haben! – Das Fraunhofer-Institut hat gerade veröffentlicht, dass die Photovoltaik im Gebäudebereich konkurrenzlos günstig ist; gebäudenah erzeugt natürlich sehr gut. Auf Freiflächen ist es noch günstiger, aber wir müssen noch den Transport haben. Wind onshore und offshore, das ist auch sehr kostengünstig.
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Das ist billiger als alle fossilen Alternativen. Der entscheidende Punkt ist: CO2 wird jetzt teurer. Das ist eine weltweite Entwicklung. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, Sie wissen auch, dass in den USA die Kraftwerke stillgelegt werden, weil sie einfach nicht mehr wirtschaftlich sind. Lassen Sie uns den Weg zu den Erneuerbaren gehen! Das ist auch ein Kampf gegen die Energiearmut, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Tun wir doch nicht so, als seien wir alleine! Gucken Sie sich das in Kalifornien an! In Kalifornien wird es ein Gesetz geben, nach dem ab dem 1. Januar nächsten Jahres jedes bis zu dreistöckige Haus eine Photovoltaikanlage auf dem Dach haben muss. Das ist vernünftig, das ist sinnvoll, das ist auch planbar, das ist am Ende auch bezahlbar, wenn wir das in den Quartieren machen, wenn wir das gemeinsam mit den Mietern, mit den Stadtwerken und den Genossenschaften machen. Das ist eine soziale Energiewende, und die hilft uns allen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
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Danke sehr. – Damit schließe ich die Aussprache.