Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute vor allem drei Schwerpunkte behandelt: Einer ist der Entwurf eines Gebäudeenergiegesetzes. Dieser stellt sozusagen die Umsetzung der Eckpunkte zum Klimaschutz dar und sieht insbesondere Einschränkungen für den Einbau von Ölheizungen ab 2026 und die Weiterentwicklung von wirtschaftlichen Standards für Gebäudeneubauten vor. Dann haben wir den Agrarbericht 2019 und ein Gesetz über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen behandelt. Das ist im Kern unsere Antwort auf die Forderung nach einer Energiebepreisung in Deutschland.
Für die jetzt folgende Befragung möchte ich noch zwei Schwerpunkte meines Hauses hinzufügen, die uns im Moment besonders beschäftigen: Das eine ist die Migrationslage, insbesondere ausgelöst durch die Situation in Syrien und in Griechenland, also die ostmediterrane Migrationsroute, wobei man hier die Westbalkanroute mitberücksichtigen muss. Nach Einschätzung der Bundespolizei befinden sich allein auf der Westbalkanroute im Moment 20 000 bis 30 000 Flüchtlinge, die in Flüchtlingslagern sind oder an Stellen, die wir nicht kennen. Das ist ein großes Thema, obwohl wir in Deutschland, was die Zuwanderung angeht, von geordneten Verhältnissen reden können. Wir werden bei Beibehaltung der aktuellen Situation weit unter dem Korridor liegen, der in der Koalition als verkraftbar für eine Volkswirtschaft vereinbart wurde. Trotzdem müssen wir auch der Entwicklung ins Auge sehen, dass der Migrationsdruck aus allen Himmelsrichtungen in Europa und an den Grenzen Europas sehr hoch ist. Das gilt insbesondere für die Region, die ich gerade genannt habe: Türkei, Griechenland und Westbalkanroute.
Das Zweite, was im Moment in meinem Geschäftsbereich von herausragender Bedeutung ist, sind die Herausforderungen für die innere Sicherheit im Zuge der Bekämpfung des Rechtsextremismus, des Rechtsterrorismus und des Antisemitismus. Das Bindeglied der unterschiedlichen Erscheinungsformen des Antisemitismus ist Rechtsextremismus. Antisemitismus war früher und ist auch heute noch stark ausgeprägt. Wir müssen das sehr klar im Blick haben. Wir haben dazu in der letzten Woche eine Innenministerkonferenz durchgeführt, und ich kann sagen, dass wir in vollkommener Übereinstimmung mit den Innenministern aller Bundesländer ein Konzept entwickelt haben, das nächste Woche im Bundeskabinett im Grundsatz beschlossen wird und von dem wir glauben, dass es sehr geeignet ist, wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus zu ergreifen. Ich füge hinzu: Wir wollen an keiner Stelle die Mittel für andere Sicherheitsvoraussetzungen oder ‑herausforderungen beschneiden. Das heißt, unser Kampf gegen den islamistischen Terrorismus und Ähnliches bleibt in vollem Umfang erhalten.
Das möge für den Einstieg genügen, Herr Präsident.
Danke sehr, Herr Bundesminister. – Die erste Frage stellt der Kollege Martin Hess, AfD.
Vielen Dank. – Herr Minister, die Bundesregierung plant ja die Verschärfung des Waffenrechts, um Terroristen und Extremisten den Zugang zu Schusswaffen zu erschweren. Sie gibt dabei an, die EU-Feuerwaffenrichtlinie umzusetzen. Wenn man sich aber Ihren Gesetzentwurf genauer anschaut, dann erkennt man sehr schnell, dass Sie weit über die Erfordernisse der europäischen Feuerwaffenrichtlinie hinausgehen, insbesondere im Bereich der Bedürfnisprüfung und des Verbots bestimmter Magazine, ohne dass dies einen zusätzlichen Sicherheitsgewinn bringt. Die letzten Vorfälle haben ja gezeigt, dass nicht diejenigen, die legal Waffen besitzen, unser Problem sind, sondern insbesondere der illegale Waffenhandel und die illegale Waffenherstellung. Darüber sind die Sportschützen in unserem Land natürlich sehr erbost.
Deshalb meine Frage an Sie: Warum gehen Sie in dem Gesetzentwurf so weit über die Erfordernisse der EU-Feuerwaffenrichtlinie hinaus und erschweren damit und verunmöglichen zum Teil auch in bestimmten Fällen unseren Sportschützen die Ausübung ihres Hobbys?
Bitte, Herr Bundesminister.
Wir setzen hier eine EU-Richtlinie um. Ich werde immer wieder mit dem Argument konfrontiert, ich würde sie schärfer umsetzen, als von der EU gefordert. Ich bin eher der umgekehrten Auffassung, nämlich dass ich an die Grenzen dessen gehe, was juristisch noch verantwortbar ist. Zum Beispiel kann mir niemand erklären, warum ein Sportschütze Magazine mit mehr als 20 Schuss braucht, also halbautomatische Waffen.
Ich höre immer wieder, ich hätte die Bedürfnisprüfung gegenüber der EU-Richtlinie verschärft. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn jemand zehn Jahre in einem Schützenverein ist, dann gehe ich bei ihm davon aus, dass man keine Bedürfnisprüfung mehr durchführen muss. Wenn Sie in dem Gesetz etwas anderes finden, sagen Sie es mir bitte. Ich persönlich habe mit Schützenverbänden gesprochen, auch mit den Büchsenmachern, die möglicherweise ebenfalls von der Bürokratie erfasst werden. Sie sind – jedenfalls mir gegenüber – sehr zufrieden gewesen.
Das Einzige, was jetzt verschärft werden soll, ist die Gewährleistung; das wollen wir nächsten Mittwoch im Kabinett im Grundsatz beschließen. Dabei geht es darum, dass Waffen nicht in die Hände von Rechtsextremisten oder anderen Extremisten gehören. Das wird verschärft. Aber das wird die Sportschützen, die wir als Personen, die keine Probleme machen, kennen, nicht tangieren.
Danke sehr. – Nachfrage, Herr Hess?
Ja.
Bitte, gern.
Herr Minister, ich korrigiere Sie ungern, aber die frühere Bedürfnisprüfung sah eben keine Wiederholungsprüfung ohne konkreten Anhaltspunkt vor. Die jetzige gesetzliche Vorlage sieht genau das vor.
Meine konkrete Nachfrage: Im Zusammenhang mit der Verschärfung des Waffenrechts wird ja auch die Regelabfrage beim Verfassungsschutz thematisiert. Das würde zweifelsohne unsere Sportschützen unter einen Generalverdacht stellen. Deshalb die Frage an Sie: Wie positionieren Sie sich zur Regelabfrage beim Verfassungsschutz, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bereits jetzt effektive Maßnahmen im Waffengesetz enthalten sind, um Extremisten zu bekämpfen und vom Waffenbesitz auszuschließen?
Wir haben hier gemeinsam mit den Bundesländern, die ja für den Vollzug des Waffenrechts zuständig sind, eine Meinung entwickelt. Übrigens hat der Bundesrat mit 16 zu 0 die Entscheidung getroffen, dass wir diese Regelüberprüfung machen werden – nicht um jemanden unter Generalverdacht zu stellen, sondern um jenen, die in rechtsextremistischen oder linksextremistischen Szenen unterwegs sind, keine Waffenerlaubnisse zu erteilen oder, wenn sie erteilt sind, diese wieder zu entziehen. Mir geht es nicht um einen Generalverdacht; darum geht es keinem der Beteiligten, auch den Bundesländern und den Koalitionsfraktionen nicht. Vielmehr geht es darum, Waffen nicht in die Hände von extremistischen Kräften in diesem Lande kommen zu lassen.
Ich möchte in aller Ernsthaftigkeit hinzufügen: Wir verdanken es nach meiner festen Überzeugung bei all der Katastrophe und dem mörderischen Verbrechen von Halle auch dem deutschen Waffenrecht, dass der Schaden und das Leid nicht noch größer geworden sind.
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Danke sehr. – Gibt es zu dem Thema im Augenblick weitere Fragen? – Das ist nicht der Fall. – Dann stellt die nächste Frage der Kollege Helge Lindh, SPD.
Herr Minister, wir erleben ja leider Zeiten, in denen vonseiten des Extremismus, insbesondere des Rechtsextremismus, die Demokratie fundamental infrage gestellt, sogar bekämpft wird. Eine Antwort darauf kann aber sein, sie selbst besonders zu stärken. Wir haben nun im Koalitionsvertrag die klare Absichtserklärung, eine Demokratiekommission – das hat eine Vorgeschichte, die in die letzte Legislaturperiode zurückreicht – zu gründen, die unter anderem Fragen direkter Demokratie, aber auch darüber hinaus Fragen der Stärkung der repräsentativen Demokratie angehen will. Wie begleiten Sie dieses Ansinnen der Koalition?
Wir werden nächste Woche ein Mehrpunktekonzept beschließen, und zwar – ich sage das noch einmal – in vollkommener Übereinstimmung mit allen Bundesländern. Ein Punkt ist die Prävention: Wie können wir an jene Personen stärker herankommen? Wie können wir unsere demokratischen Strukturen stärken? – Künftig werden wir zum Beispiel die Beleidigung und die Bedrohung von Kommunalbeamten unter Strafe stellen, was derzeit nicht mit ausreichend rechtlicher Sicherheit gewährleistet ist.
Aber wir brauchen auch nach meiner festen Überzeugung zur Stärkung des Demokratieverständnisses auf Bundesebene rechtliche Grundlagen. Diesbezüglich bin ich im Gespräch mit Frau Giffey. Wir werden die auf diesem Gebiet besten Spezialisten aus Deutschland einladen, damit wir eine wirklich substanziierte Grundlage für die Gesetzgebung bekommen. Das ist dringend notwendig. Wir haben eine völlig neue Täterstruktur – das sage ich, ohne die alte Täterstruktur zu verniedlichen –, eben diese Einzeltäter. Wir müssen Überlegungen anstellen, wie wir verhindern können, dass sie frustriert sind und als einsame Wölfe unterwegs sind. Wir müssen Überlegungen anstellen, wie wir an diese Menschen herankommen.
Bitte, Herr Lindh.
Sie haben fast schon die Frage meiner Kollegin Frau Dr. Högl zum Kontext Demokratiefördergesetz mitbeantwortet.
Ich wollte mit meiner Frage auf die Kommission hinaus, die die Weiterentwicklung der Demokratie begleiten soll, die sich konkret mit der Frage beschäftigen soll, welche Elemente von Bürgerbeteiligung etc. wir stärken können. Die Gründung dieser Kommission ist eindeutig und unmissverständlich im Koalitionsvertrag festgehalten.
Sie fragen hier einen Bundesinnenminister, der in seiner früheren Funktion als Parteivorsitzender dafür gesorgt hat, dass dies im Koalitionsvertrag steht. Das geschah nicht immer zur Freude meiner Umgebung, wie Sie wissen. Das liegt jetzt nicht in meiner Hand. Es ist nicht an mir, auf das Parlament Einfluss zu nehmen, wie es in dieser Sache weiter vorgeht. Das ist eine Sache des Parlaments.
Wenn es dazu im Moment keine weiteren Fragen gibt, dann stellt der Kollege Thomae, FDP, die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister, Sie waren am 4. Oktober 2019 in der Türkei, haben in Ankara Ihren türkischen Innenministerkollegen, Herrn Soylu, getroffen. Dabei haben Sie das Engagement der Türkei in der Migrationsfrage sehr gelobt, Sie haben es als geradezu welthistorisch bezeichnet. Fünf Tage später, am 9. Oktober, begann die Nordsyrien-Offensive der türkischen Armee. Bei dieser Offensive kamen auch deutsche IS-Kämpfer und deutsche IS-Angehörige aus dortigen Lagern und Haftanstalten frei. Meine Frage an Sie: Wie schätzen Sie persönlich die Gefahr ein, dass Deutsche, die sich bislang in Nordsyrien in Gefangenschaft befunden haben, unbemerkt in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren und hier möglicherweise eine Gefahr darstellen? Sind Sie mit dieser Gefahr vertraut? Gibt es ein Gesamtkonzept der Bundesregierung? Kennen Sie die Identität dieser Personen?
Wir sehen seit vielen Monaten schon darauf. Ich habe seit Monaten die gleiche Auffassung, die wir in der Bundesregierung sehr konsequent verfolgen:
Erstens müssen die Identitäten sicher geklärt sein. Da wird viel behauptet. Ich kann nur sagen, dass es bei allen Einzelfällen anderer Art, mit denen ich in den letzten Monaten beschäftigt war, um Vielfachidentitäten ging, 12, 14 Identitäten. Ich habe das früher für unvorstellbar gehalten; aber das ist leider Realität. Deshalb lege ich Wert darauf, dass die Identität sichergestellt ist.
Zweitens ist zu klären, ob es einen Strafverfolgungsanspruch eines anderen Landes gibt. In diesem Fall ist das sehr häufig der Irak. Der muss die Todesstrafe natürlich ausschließen.
Deshalb bin ich gegen Kollektivzurückführung und dafür, dass man sich immer den Einzelfall anschaut, unter Beachtung dieser beiden Bedingungen. Zum Beispiel haben wir in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt vier Waisenkinder übernommen. Niemand wird im Ernst bestreiten können, dass dies die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht gefährdet und dass dies aus humanen Gründen angezeigt ist. Aber bei den IS-Kämpfern bin ich sehr vorsichtig. Deshalb habe ich nach wie vor diese Bedingungen. Das, was die Franzosen mal vorhatten, kollektiv zurückzuführen, haben sie selbst aufgegeben. Ich wäre dazu auch nicht bereit.
Eine Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Minister. – Diesen Punkt will ich vertiefen: Wäre es nicht richtig gewesen, zu einem früheren Zeitpunkt zu versuchen, die Kontrolle über solche Personen zu erhalten, die jetzt möglicherweise unkontrolliert aus Lagern entkommen und möglicherweise unkontrolliert nach Deutschland reisen und hier möglicherweise ohne unsere Kenntnis Taten vorbereiten? Rächt sich nicht jetzt unter Sicherheitsgesichtspunkten die bisherige Untätigkeit der Bundesregierung?
Nein. Das wäre nicht richtig gewesen, zumal wir in der Vergangenheit überhaupt keinen konsularischen Zugang hatten.
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Danke sehr. Dazu weitere Fragen? – Frau Kollegin Polat.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Seehofer, wenn Sie sagen, dass Sie die Identitäten bisher nicht überprüfen konnten – wir sprechen ja von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern –, dann muss ich doch noch mal nachhaken. Sie verfolgen eine Politik der gesteuerten Migration; das betonen Sie zumindest immer. Jetzt haben wir eine ungesteuerte, unkontrollierte Bewegung von potenziellen IS-Kämpferinnen und IS-Kämpfern, die – das wissen wir mittlerweile – aus den Lagern geflohen sind. Sehen Sie hierdurch das Sicherheitsinteresse Deutschlands gefährdet?
Nein.
Sie dürfen auch eine Nachfrage stellen.
Und wieso nicht?
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Weil ich Ihre Argumentation nicht teile. In aller Ernsthaftigkeit: Für einen Innenminister eines Landes muss an erster Stelle die Sicherheit des eigenen Landes und der Bevölkerung stehen.
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Für diejenigen, die ausgezogen sind, um gegen dieses Land, seine Werteordnung und Grundordnung zu kämpfen, kann ich nicht die Arme ausbreiten und sagen: Kommt alle wieder zurück.
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Es gibt Einzelne, die vor Gericht klagen; das sind Einzelfälle. Wenn das Gericht die deutsche Identität belegen kann, dann greift unser Grundgesetz, das zu einer eindeutigen Handlung zwingt. Mir geht es darum, dass wir jetzt keine Politik betreiben, die dazu führt, dass noch Zusätzliche zu uns kommen, weil wir uns darum bemühen. Das wird mit mir nicht stattfinden.
Danke sehr. – Wenn es dazu keine weiteren Fragen gibt, dann stellt der Kollege Hans-Jürgen Irmer, CDU/CSU, die nächste Frage.
Herr Präsident! Verehrter Herr Minister, die Grundproblematik ist, dass wir in Deutschland eine hohe Zahl von Asylbewerbern haben, die im Grunde genommen aus Gründen zu uns kommen, die man menschlich verstehen kann, die aber mit rechtlichen Aspekten, also dem Grundgesetz, nicht vereinbar sind. Das heißt, die Mehrzahl derer, die kommen, haben andere Gründe als eine politische Verfolgung. Wir wollen auf Dauer sicherstellen, dass diejenigen, die politisch verfolgt werden, entsprechenden Schutz finden können. Das ist, glaube ich, unstreitig.
Die Grundproblematik ist: Um die Akzeptanz für das Grundrecht auf Asyl zu erhalten, müssen wir alles daransetzen, dass diejenigen, die aus missbräuchlichen Gründen kommen, konsequenterweise wieder abgeschoben werden. Wir haben dazu, wie ich finde, im Juni dieses Jahres ein gutes Gesetz beschlossen, das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz. Gleichwohl gibt es bei der Umsetzung der Abschiebung Probleme. Die Frage ist, ob es erkennbare Unterschiede bei der Abschiebung zwischen den einzelnen Bundesländern gibt oder ob für alle gleichermaßen zutrifft, dass Probleme vorhanden sind.
Herr Kollege, wir teilen Ihre Analyse voll, auch hinsichtlich unserer Verpflichtung, dass Menschen, die wegen ihres Glaubens oder ihrer politischen Überzeugung um ihr Leben fürchten müssen, bei uns Schutz bekommen. Diesen Schutz gewährt übrigens kein anderes Land in Europa so wie die Bundesrepublik Deutschland. Das ist der humane Aspekt.
Das kann auf Dauer nur funktionieren – das ist meine These seit vier Jahren; die habe ich schon vertreten, da war ich noch bayerischer Ministerpräsident –, wenn Recht und Ordnung herrschen und die weit überwiegende Mehrheit der Nichtschutzbedürftigen unser Land wieder verlassen muss. Das ist eine Schwachstelle in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat noch vor der Sommerpause ein ganzes Migrationspaket verabschiedet, insbesondere das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz. Das ist jetzt drei Monate in Kraft. Ich habe Anfang dieser Woche meinem Haus den Auftrag gegeben, für die nächste Innenministerkonferenz Anfang Dezember detailliert aufzustellen, in welchen Bundesländern wie viele Ausreisepflichtige sind, aus welchen Ländern sie kommen, in welche Länder sie zurückzuführen sind und ob es Hinderungsgründe gibt. Ich werde diese Aufstellung – modern „Evaluierung“ genannt – auch dem Parlament hier, dem Deutschen Bundestag, zur Verfügung stellen; denn für die Abschiebung und für die Rückführung sind die Bundesländer zuständig.
Danke sehr.
Wir haben ihnen Möglichkeiten dazu gegeben, und jetzt wollen wir prüfen, ob sie diese Möglichkeiten auch nutzen.
Herr Kollege Irmer, Nachfrage.
Danke schön. – Herr Minister, wäre es da nicht des Schweißes der Edlen wert, mal darüber nachzudenken, ob wir nicht versuchen sollten, die Zuständigkeit für die Abschiebungen auf den Bund zu übertragen, um nach Möglichkeit nach einheitlichen Standards und Kriterien abschieben zu können? Es gibt ja Bundesländer wie beispielsweise das rot-rot-grün regierte Berlin, wo in der Koalitionsvereinbarung festgehalten wurde, dass eine Abschiebung de facto nicht stattfinden soll. Nach meinem Kenntnisstand müssten 20 000, 30 000 Personen abgeschoben werden. Sie werden aber nicht abgeschoben, was zulasten des Berliner Steuerzahlers geht. Deshalb: Gibt es die Überlegung, ob man das nicht auf der Bundesebene zentralisieren könnte?
Wir als Bund unterstützen die Bundesländer, die zuständig sind, massiv mit 2 000 Polizeibeamten, die in der Flugbegleitung tätig sind. Damit auch das mal öffentlich genannt ist: Für circa 40 Flüchtlinge, die zurückgeführt werden, brauchen wir 100 Polizeibeamte. Daneben unterstützen wir die Bundesländer sehr stark bei der Beschaffung von Ersatzpapieren. Oft bedeutet ja das Fehlen von Papieren Schwierigkeiten.
Ich möchte mir jetzt nicht anmaßen, eine neue, zusätzliche Kompetenz für den Bund und für mich zu fordern. Ich würde mir das zutrauen, aber weil immer gesagt wird, es gebe Abschiebungshindernisse, kann ich nur darauf hinweisen: Bei uns leben circa 18 000 Menschen aus Afghanistan, die keinen Schutzbedarf bei uns haben. Wir als Bund organisieren Sammelflüge mit Polizeibegleitung des Bundes, und ich sage Ihnen jetzt: Wenn der Freistaat Bayern
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– und Sachsen, aber der Freistaat Bayern ist ein bisschen größer – –
Oben leuchtet eine rote Ampel, Herr Seehofer.
Herr Präsident, wenn ich das zu Ende sagen darf! Dafür spare ich die Zeit bei anderen Antworten wieder ein.
Trotzdem müssen wir uns alle gemeinsam an die Regeln halten.
Ich bin sehr regelkonform. – Ohne Bayern und Sachsen wäre der Flieger weitgehend leer.
Danke sehr, Herr Bundesminister. – Gibt es dazu noch Nachfragen? – Bitte, Herr Kollege Wendt, Sie haben eine Nachfrage zu diesem Thema.
Herr Innenminister, vielen Dank. Sie haben das Thema Migration angesprochen. Die Lage auf dem westlichen Balkan treibt uns um, und wir müssen da zügig für Ordnung sorgen. Ich glaube, das sind wir unserer Bevölkerung gerade nach den Ereignissen von vor vier Jahren schuldig.
Deswegen meine konkrete Frage: Was ist seitens der Bundesregierung aktuell in Planung, um konkret mit kurzfristig wirkenden Exekutivmaßnahmen die Situation dort zu stabilisieren und die Regierungen auf dem westlichen Balkan bei der Unterbringung, Versorgung und gegebenenfalls auch Rückführung zu unterstützen? Wenn Sie dazu kurz ausführen könnten, wäre ich dankbar.
Die Größe des Problems sollte auch noch mal erwähnt werden: In der Türkei und an der Grenze zur Türkei geht es um 8 Millionen Flüchtlinge; 3 Millionen potenzielle Flüchtlinge stehen vor den Toren. In Griechenland sind die Inseln hoffnungslos überfüllt. Wir prognostizieren dort eine Steigerung von 60 Prozent. Darüber hinaus schätzt unsere Bundespolizei, dass auf der Westbalkanroute 20 000 bis 30 000 Flüchtlinge in unterschiedlichen Situationen verharren.
Da müssen wir helfen. Wir werben in Europa dafür, und wir bieten den Griechen und den Balkanstaaten polizeiliche und administrative Unterstützung und Ähnliches an. Wir können das Nachdenken nicht erst beginnen, wenn die Flüchtlinge an unserer Grenze stehen.
Danke sehr. – Nachfrage? – Bitte.
Ich habe eine kleine Nachfrage. – Das ist sehr richtig; deswegen müssen wir ja zügig handeln, weshalb ich nach den konkreten Maßnahmen gefragt habe.
Ich habe eine konkrete Nachfrage: Wir wissen, dass in Serbien eine liberalere Visapolitik als im Schengen-Raum betrieben wird und dass viele Nichtschutzbedürftige über Serbien einreisen und dann versuchen, zu Fuß, über Land, in den Schengen-Raum – besonders nach Deutschland – zu kommen. Gibt es konkrete Gespräche mit der serbischen Regierung darüber, dass sie eventuell ihre Visapolitik verschärft und bei der Einreise am Belgrader Flughafen gegebenenfalls intensiver nach den Weiterreisegründen fragt – das könnte gegebenenfalls auch in Kooperation mit der Bundespolizei und Frontex geschehen, die dort unterstützend wirken könnten –, so wie wir das vor vier Jahren ja schon einmal zügig und relativ unbürokratisch, würde man sagen, gemacht haben?
Diese Bemühungen gibt es, und zwar nicht nur in Serbien, sondern auch in Kroatien, Bosnien, Bulgarien, Slowenien und Mazedonien.
Ich kann nur sagen: Ich weise seit einigen Monaten darauf hin. Am Anfang war ich Kassandra. „Muss das immer sein?“, bin ich gefragt worden. Ich sagte: Das muss sein, weil wir uns auf diese Situation einstellen müssen, und zwar präventiv. Hier stimme ich Ihnen zu. Wir sind hier im Gespräch, und jede Art von Hilfe, die wir leisten können und die von den Ländern erwünscht wird, leisten wir.
Danke sehr. – Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Kraft von der AfD das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben gerade die enormen Aufwendungen geschildert, die notwendig sind, um dringend ausreisepflichtige Personen außer Landes zu schaffen. Ich kann aus eigener Erfahrung berichten: Ich bin vom Westbalkan aus dem Urlaub nach Hause gefahren und wurde am Autobahnübergang Walserberg weder angehalten, noch hat sich ein Polizist für mich interessiert, noch musste ich irgendein Dokument vorzeigen. Dies beschreibt den Stand Ihrer Grenzsicherungen.
Halten Sie es angesichts dieser offenen und ungesicherten Grenzen nicht für einen Fall von massiver Geldverschwendung, dass Sie auf der einen Seite sehr viele Ressourcen und Kosten aufwenden, um Leute, die sofort ausreisepflichtig sind, außer Landes zu schaffen, während auf der anderen Seite diese bei ungesicherten Grenzen morgen sofort wieder hier sein können? Ist das nicht reine Geldverschwendung?
Nein. Die Außengrenzen der Europäischen Union werden im Moment leider Gottes nicht ausreichend geschützt. Deshalb entspricht es meiner Überzeugung: Solange die Außengrenzen nicht ausreichend geschützt sind, müssen wir die Binnengrenzen schützen.
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Deshalb habe ich die Grenzkontrollen zwischen Österreich und Deutschland, die im November ausgelaufen wären, verlängert. Außerdem habe ich angewiesen, dass alle Grenzen in Deutschland von der Bundespolizei verstärkt überwacht werden, weil wir wissen, dass der Migrationsdruck hoch ist.
Die andere Frage, welche Befugnisse die Polizei an den Grenzen hat, hat uns als Koalition vor einem Jahr schon mal beschäftigt. Sie ist von der Koalition beantwortet worden, und diese Entscheidung stelle ich bis auf Weiteres nicht infrage.
Danke sehr. – Die nächste Nachfrage dazu stellt jetzt Frau Polat. Danach komme ich zur nächsten Frage von Kollegin Pau. – Frau Polat.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Seehofer, Sie haben unter anderem Afghanistan angesprochen. Wir sind hier an der Seite aller großen Kirchen und der gesamten Wohlfahrtspflege. 14 Bundesländer haben erklärt, nicht in das unsichere Land Afghanistan – außer schwere Straftäter – abzuschieben, weil sich sonst eine humanitäre Katastrophe abzeichnen könnte. Das gilt genauso in Bezug auf das Verhalten der Bundesregierung – und vor allem von Ihnen – im Rahmen der Gespräche zum EU-Türkei-Deal.
Sie waren der Minister, der kurz vor der völkerrechtswidrigen Invasion in der Türkei war und mit Erdogan und einigen Beteiligten der Regierung gesprochen hat, um Zusagen über finanzielle Mittel zu machen. Sie haben das jetzt nicht angesprochen, sondern die Türkei bewusst ausgeklammert, und Sie haben öffentlich erklärt, auch der Kommissionspräsidentin Ihre Eindrücke schildern zu wollen, insbesondere beispielsweise von den Maßnahmen zur Grenzsicherung.
Frau Polat!
Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden humanitären Katastrophe für syrische und kurdische Flüchtlinge aus der Türkei – das sind türkische Staatsbürger – frage ich Sie: Sind Sie noch der Meinung, in dieser Frage mit der Türkei zusammenarbeiten zu können?
Ja, ich bin dezidiert der Meinung. Man muss sauber zwischen der Beurteilung der militärischen Operation und der Frage der Migration trennen.
Ich sage es noch mal: Die Migration ist für die Türkei eine große Belastung. 8 Millionen Flüchtlinge sind entweder schon im Lande oder vor den Toren des Landes. Deshalb liegt es auch im deutschen Interesse, wenn wir die Erklärung zwischen der Europäischen Union und der Türkei stärken und weiterhin am Leben halten.
Um das auch mal zu sagen: Wir verschenken das Geld nicht an die türkische Regierung, sondern es wird für Bildung, Arbeitsplätze und Gesundheitsversorgung eingesetzt.
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Ich bin ein Anhänger der europäisch-türkischen Erklärung, weil sie den Türken hilft, aber vor allem auch im deutschen Interesse ist.
Ich wollte jetzt nicht der anderen Frage ausweichen. Diese können Sie jetzt noch mal stellen. Dann haben wir neue Redezeit.
Sie darf noch eine Nachfrage stellen. – Und sie möchte.
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– Das haben wir gestern Abend besprochen.
Es ist aber wichtig, weil wir nicht nur eine humanitäre Katastrophe für die syrischen Flüchtlinge haben. Es geht auch um Geflüchtete aus der Türkei, mit türkischer Staatsbürgerschaft. Wir sprechen hier von der kurdischen Minderheit; das ist Ihnen bekannt.
Ja.
Sie wollen jetzt mit dem Präsidenten, der diese Minderheit unterdrückt, über Grenzüberwachung sprechen und diesem Präsidenten Mittel in die Hand geben. Wir fragen Sie, auch aufgrund unserer Verantwortung im Rahmen des Völkerrechts, der Genfer Flüchtlingskonvention: Halten Sie das für vertretbar?
Sie haben in der Frage mehrere Unterstellungen gemacht, die nicht zutreffen. Ich habe mit den türkischen Regierungsvertretern mit keiner Silbe über diese Fragen gesprochen, die Sie hier genannt haben.
Mich hat als deutscher Innenminister interessiert: Was ist notwendig, damit das europäisch-türkische Abkommen weiterhin gilt und gestärkt wird? Das hat mir die türkische Seite durch jeden Minister und durch den stellvertretenden Staatspräsidenten erklärt. Ihr Problem war einerseits, dass die Griechen zu wenig Syrer in die Türkei zurückführen, weil sie dann befürchten: Wenn die Syrer nicht zurückgeführt werden, kommen immer mehr in die Türkei.
Andererseits sind es die Verpflichtungen der Europäischen Union gegenüber der Türkei, die aus Sicht der Türkei nicht vollständig erfüllt sind. Deshalb hatte ich den zuständigen Kommissar der Europäischen Union dabei. – Das war das Ziel meiner Reise nach Ankara.
Danke sehr. – Jetzt stellt die nächste Frage die Kollegin Petra Pau, Die Linke.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben selbst den Schwerpunkt „Bekämpfung des Rechtsterrorismus“ an den Anfang Ihrer Ausführungen gestellt. Ich habe Fragen zu zwei Komplexen.
Das eine: Haben Sie in der vergangenen Woche mit den Landesinnenministern Verabredungen getroffen, wie man die über 600 mit Haftbefehl gesuchten Rechtsextremisten der Haft zuführt, insbesondere die wegen Gewalttaten verurteilten Rechtsextremisten, die sich bisher dieser Haft entzogen haben? Das andere: Gibt es Verabredungen zu Maßnahmen zur Entwaffnung der Szene?
Zum Ersten: Wir haben mit den Innenministern der Länder über diesen Punkt nicht gesprochen. Er ist heute im Innenausschuss des Deutschen Bundestages – Sie haben teilgenommen – angesprochen worden. Dieser Frage geht jetzt das Innenministerium nach, wobei der Chef des Bundeskriminalamtes darauf hingewiesen hat, dass es ein sich ständig austauschender Personenkreis ist: Manche kommen in Haft, dafür kommen andere aufgrund eines Haftbefehls in die Statistik. – Also, da bitte ich abzuwarten. Das stellen wir für Sie zusammen. – Das andere Thema? Wenn Sie das noch mal kurz antippen.
Die Entwaffnung der Szene.
Ja, die Entwaffnung. – Es ist auch meine Auffassung, dass wir Menschen, die in extremistischen Gruppierungen sind, wenn sie eine Waffenerlaubnis haben, diese Waffenerlaubnis entziehen. Wir werden das nächste Woche im Kabinett beschließen und dann die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen, damit der Deutsche Bundestag das dazu erforderliche Gesetz verabschieden kann.
Danke sehr. – Nachfrage?
Ja.
Frau Pau.
Sie haben schon das Maßnahmenpaket angesprochen, das Sie in der nächsten Woche im Kabinett auf der Tagesordnung haben. Unter Punkt 5 Ihrer Maßnahmen haben Sie sich zum Ziel gesetzt, extremistische Veranstaltungen zu unterbinden. Mich interessiert schon, was Sie nächste Woche vorschlagen, um da den Ländern und Kommunen etwas an die Hand zu geben.
Das Versammlungsrecht ist einerseits ein hohes Gut; da sind wir uns sicherlich einig. Andererseits ist die Frage: Wie kann man beispielsweise gar nicht angemeldete Versammlungen wie jüngst in Themar und anderswo unterbinden? Gerade bei diesen Veranstaltungen und Konzerten radikalisieren sich Menschen und gehen – das wissen wir – immer schneller zur Tat über.
Wir, Justizministerium und Innenministerium, werden dazu einen Vorschlag machen, wobei ich dieses Thema noch erweitern möchte, weil es mittlerweile zu einer Systemfrage geworden ist. Wir finden immer schwerer Kommunalpolitiker, die bereit sind, bei Kommunalwahlen zu kandidieren, weil sie sich bedroht fühlen.
Zwei Dinge, die in dieser Woche passiert sind: Das eine ist die Veranstaltung eines Bundestagsabgeordneten in Berlin zum Antisemitismus. Die Veranstaltung verläuft ganz normal, und anschließend erscheinen Vermummte und demolieren die Veranstaltungsräume, insbesondere die Fenster. Das andere: Ich halte es für absolut nicht hinnehmbar, dass ein Bundesinnenminister a. D. eine Buchvorlesung machen will und von Extremisten daran gehindert wird.
Dazu kann ein Rechtsstaat nicht schweigen. Das sind Dinge, die wir nicht dulden dürfen und bei denen wir überlegen müssen, in welcher Form wir – mit Polizeipräsenz und dort, wo es rechtsstaatlich einwandfrei möglich ist auf der Ebene unseres Grundgesetzes, auch durch gesetzliche Befugnisse – reagieren können. Ich möchte solche Erscheinungen nicht hinnehmen und dazu auch nicht schweigen. Ich hoffe, das ist die Meinung des ganzen Parlaments.
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Danke sehr. – Wenn es dazu im Moment keine weiteren Fragen gibt, stellt der Kollege Stefan Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen, die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Frage, Herr Bundesminister, bezieht sich auf die Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, der Sie vorstanden und in deren Abschlussbericht, den dann Ihr Haus bzw. Sie vorgelegt haben, viele Vorschlägen seitens der Länder und der kommunalen Spitzenverbände festgehalten wurden.
Aus meiner Sicht ist von diesen Vorschlägen konkret nicht viel übernommen worden. Es ist vieles in dem Bericht, was man machen könnte, was man mit den Ländern besprechen sollte. Ich möchte von Ihnen ganz konkret wissen: Welche konkreten Handlungen sind Sie seit Vorliegen dieses Kommissionsberichts angegangen, einerseits, und andererseits, wie sind konkrete Vorschläge im Haushalt des Bundes finanziell hinterlegt?
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland – das war ein Ergebnis der Kommission – in vielen Regionen Disparitäten im Vergleich zu anderen Regionen, nicht nur in Ostdeutschland, sondern in ganz Deutschland. Deshalb brauchen wir eine konzentrierte Politik zur Herstellung von gleichwertigen Lebensverhältnissen, die wiederum dazu dient, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken.
Was den Bund angeht, so sind alle Maßnahmen übernommen worden, die von dieser Kommission empfohlen werden, zum Beispiel die Entschuldung von strukturschwachen Kommunen, ein Förderprogramm für den ländlichen Raum anstelle der GAK, eine Berücksichtigung der demografischen Entwicklung in den Regionen durch die regionale Wirtschaftsförderung sowie die politische Zielsetzung, mit der Wirtschaft zu reden, damit auch in den ländlichen Räumen investiert wird und nicht bei jeder Entscheidung über einen Behördenstandort immer nur Frankfurt, München oder Hamburg genannt werden.
Das ist eine Politik, die ich in Bayern über zehn Jahre mit großem Erfolg durchgeführt habe und die auch zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse geführt hat. Diese Strukturpolitik wird die Bundesregierung auch in Deutschland realisieren. Viele Behörden sind schon verlagert worden. Ich könnte sie alle aufzählen, wenn sie mir alle einfielen.
Danke sehr. – Damit Ihr Gedächtnis nicht zu stark geprüft wird, weise ich Sie darauf hin, dass die rote Ampel wieder leuchtet. – Der Kollege Schmidt möchte eine Nachfrage stellen.
So ist es, vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben zum Schluss die Behördenverlagerungen dargestellt. Ja, zahlreiche Verlagerungen haben Sie auch in Ihrer Zeit als Ministerpräsident gemacht. Die weiteren Ergebnisse der damaligen Enquete-Kommission des Bayerischen Landtages, die sehr umfassend Vorschläge gemacht hat, sind aber aus meiner Sicht ähnlich wie jetzt die Ergebnisse der Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ nur sehr spärlich umgesetzt worden.
Konkret haben Sie das Thema Altschulden angesprochen. Da habe ich Ihrem Schreiben entnommen: Wenn die Länder sich einig sind und sich zusammentun, ist der Bund bereit, sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen. – Ich habe Sie gefragt und möchte diese Frage jetzt wiederholen: Was haben Sie, ohne auf das Signal der Länder, der kommunalen Spitzenverbänden oder von wem auch immer zu warten, ganz konkret getan, und mit welchen Zahlen ist das im Haushalt des Bundes hinterlegt?
Der Innenminister hat bei dem Thema „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ eine konzeptionelle und koordinierende Funktion. Deshalb gab es zu den Ergebnissen einen Kabinettsbeschluss, der alle Ressortmitglieder bindet. Diese Bindung führt dazu, dass jeder Ressortminister in seinem Bereich und in seinem Haushalt die Beschlüsse umsetzt.
Ich habe auch der Festlegung im Kabinett zugestimmt, dass der Bundesfinanzminister diese Gespräche mit den Ländern und Kommunen führt. Die sind schwer genug; aber wir werden nur mit investitionsfähigen Kommunen gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen. Deshalb sind diese Gespräche notwendig.
Danke sehr. – Dazu eine Nachfrage? – Frau Kollegin Haßelmann, bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, Sie hatten in Ihrem Kommissionsbericht die Idee, dass nicht abgerufene Fördermittel gebündelt und dann für andere Ziele im Rahmen der Kommissionsvorschläge etatisiert und ausgegeben werden sollen. Ab welchem Haushaltsjahr soll das passieren, und über welche Größenordnung reden wir da? Und meine zweite Frage: Ab welchem Jahr soll der Gleichwertigkeitscheck, den Sie vorgeschlagen haben, gelten? Ist der Gleichwertigkeitscheck jetzt in jedem Gesetzesvorhaben, das das Kabinett beschließt – wir haben allein schon diese Woche ganz viele Gesetzesvorhaben –, drin, oder soll der auch erst ab 2020 oder 2021 stattfinden?
Es ist gut, dass Sie mich darauf hinweisen.
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Ich schaue jetzt noch mal, dass das ab sofort immer bei der Bewertung eines Gesetzes mit berücksichtigt wird. Es ist ja wirklich nicht schwer, festzustellen, ob ein Gesetz dem Ziel „gleichwertige Lebensverhältnisse“ dient oder nicht; das kann man von allen Ressorts noch verlangen.
Ich darf nur mal darauf hinweisen: Das Ergebnis der bayerischen Strukturpolitik von über 20 Jahren ist: Früher hatten wir – gerade im Winter – eine Spreizung der Arbeitslosigkeit von 15, 20 und 25 Prozent, je nach Region. Aktuell ist die Situation so: Die Spreizung bei der Arbeitslosigkeit beträgt noch ein Komma etwas Prozent; das ist der Erfolg dieser Strukturpolitik. Es lohnt sich, Universitäten und Behörden in den ländlichen Raum zu verlagern. Es lohnt sich auch, wenn Konzerne im ländlichen Raum investieren.
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Das ist das Ziel, und damit kommt auch der gesellschaftliche Zusammenhalt wieder stärker zum Tragen.
Vielen Dank. – Nachfragen? – Frau Haßelmann, aber, wenn es geht, kurz.
Ich mache es kurz.
Ich bin Präsident des Deutschen Bundestages und nicht des Bayerischen Landtags.
Alles klar. Ich bin auch keine bayerische Abgeordnete. Deshalb: Bei allem Interesse für Bayern – das ist ein schönes Land – interessiert mich, was wir hier mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und Ihrem Kommissionsbericht machen. Deshalb frage ich zum Ersten nach den überjährigen Fördermitteln: Wie hoch ist deren Zahl? Und zum Zweiten: Wann ist das Datum für die Einführung des Gleichwertigkeitschecks in allen Gesetzentwürfen? Wir haben, glaube ich, diese Woche allein sieben Gesetzentwürfe. Da habe ich ihn nicht gefunden.
Zum Letzteren habe ich Ihnen zugesagt, dass ich mich darum kümmere, damit Sie bald dazu etwas finden. Was das andere angeht: Es drängt den Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium – weil er mir die Antwort wahrscheinlich nicht zutraut.
Dann erteile ich dem Herrn Staatssekretär das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich traue Ihnen natürlich alles zu.
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Da die Haushaltsansätze, deren Mittel überjährig ausgeschüttet werden sollen, im Haushaltsplan des Wirtschaftsministeriums angesiedelt sind, kann ich Ihnen, Frau Abgeordnete Haßelmann, sagen, dass wir im kommenden Jahr Förderrichtlinien für ein neues Programm aufstellen werden und dass zuerst überjährige Mittel, die im Haushaltsjahr 2020 nicht verausgabt werden, dann 2021 aus dem Bereich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur” zur Verfügung stehen werden. Zur Höhe kann man noch nichts sagen, weil wir nicht wissen, wie der Abfluss der Mittel ist. In der Vergangenheit war es so, dass rund 80 Prozent der Mittel abgerufen wurden, sodass 20 Prozent übrig blieben. Das wären dann rund 120 Millionen Euro für das Haushaltsjahr 2021.
Vielen Dank. – Jetzt stellt die nächste Frage der Kollege Dr. Gottfried Curio, AfD.
Vielen Dank. – Herr Minister, es ist bekannt, dass die Mittelmeermigranten keine Flüchtlinge sind. Wer quer über einen ganzen Kontinent durch sichere Drittstaaten nach Libyen reist, nur um sich von dort ohne Not nach Europa verschiffen zu lassen, der flieht nicht – oder nicht mehr. Ebenso unstrittig ist, dass die gewiss richtige Rettung aus der oft ohne Not herbeigeführten Seenot nachfolgend nichts erfordert außer der Verbringung der Aufgegriffenen in einen der vielen sicheren afrikanischen Häfen, gewiss nicht einen Transport nach Europa. Dieses hat weder etwas mit Gewährung von Schutz noch mit Seenotrettung zu tun. Weitertransporte nach Europa inklusive Aufnahmequote können deshalb so auch nicht begründet werden. Da es sich also eindeutig um die Beförderung illegaler Zuwanderung handelt, frage ich: Wie kommen Sie dazu, diese unberechtigten Zusagen von 25 Prozent Aufnahmegarantien zu machen, womit Sie das für Deutschland so schädliche Unrecht der massenhaften illegalen Zuwanderung nicht nur mit einem zusätzlichen Anreiz versehen, sondern auch noch quasi institutionell legitimieren, anstatt diese Personen generell nach Afrika zurückzubringen?
Herr Curio, wir sollten uns in der Politik auch an den Wahrheiten orientieren. Sie wissen: Seit Jahren bin ich Verfechter einer begrenzten Zuwanderung, weil nur dann die Humanität im Lande funktionieren kann. Dabei bleibe ich auch.
Bei der Seenotrettung haben wir bisher in 14 Monaten, also in mehr als einem Jahr, ganze 225 Personen in Deutschland aufgenommen. Jetzt sage ich Ihnen in aller Offenheit: Bei 225 Personen, die wir vor dem Ertrinken gerettet haben,
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sollten wir, glaube ich, solche Diskussionen nicht führen.
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Wir nehmen an einem Tag auf den Landrouten die doppelte Zahl von Flüchtlingen auf,
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als wir in einem ganzen Jahr in der Seenotrettung aufgenommen haben.
Dann habe ich mit den anderen Staaten vereinbart – leider wird das nicht ausreichend veröffentlicht –: Sollte sich das verändern, weil die Schleuser plötzlich hier eine Möglichkeit sehen, ihre skrupellosen Geschäfte zu betreiben, dann kann ich sofort um 15 Uhr erklären: Deutschland ist nicht mehr bereit. – Und das würde ich auch erklären bei Missbrauch. Dann ist es nämlich keine Seenotrettung mehr; dann ist es ein Taxidienst zwischen Afrika und Europa.
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– Sie dürfen auch klatschen, wenn Sie der Meinung sind, dass das richtig ist.
Herr Curio, wenn Sie mögen, eine Nachfrage. – Bitte.
„Seenotrettung“ ist nicht „Weiterverbringung nach Europa“, wie gesagt. – Aber: Erklären Sie doch bitte, wie denn die restlichen 75 Prozent, die von anderen europäischen Staaten aufgenommen werden sollen, künftig daran gehindert werden sollen, im Rahmen der europäischen Binnenmigration nach Deutschland weiterzureisen – der übliche, mit erheblichen Zahlen belegte Asyltourismus,
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dies in Anbetracht der Tatsache, dass Sie sich ja wie Ihr Vorgänger weigern, der Pflicht eines effektiven Schutzes der deutschen Grenze nachzukommen, und das, obwohl Sie pro Jahr 200 000 illegale Migranten erwarten.
Erwarten wir nicht.
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– Aber das ist eine Höchstgrenze, die wir, jedenfalls solange ich in der Verantwortung bin, nie erreicht haben und auch in diesem Jahr nicht erreichen werden.
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Wir werden diesen Korridor weit unterschreiten.
Und jetzt konfrontieren Sie nicht einen Innenminister, der eine klare Vorstellung hatte und hat, wie wir an unseren Binnengrenzen vorgehen müssen, wenn sich da wieder andere Entwicklungen zeigen würden. Das ist ja vor einem Jahr hinreichend diskutiert worden. Deshalb bin ich mit den Maßnahmen, die die Koalition in den letzten Jahren beschlossen hat, sehr zufrieden, weil sie Wirkung zeigen. Wir haben jetzt 110 000 Menschen; darunter sind 20 000 Kinder im ersten Lebensjahr, die hier geboren worden sind. Das heißt: Wirklich über die Grenze kamen 90 000 Leute. Das ist der niedrigste Wert seit vielen Jahren.
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Und da sollten wir als Deutscher Bundestag, die wir viele Gesetze dazu beschlossen haben, auch mal froh sein, dass unsere Gesetze in der Praxis ihre Wirkung entfalten.
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Der Kollege Kraft möchte eine weitere Frage dazu stellen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie sagten gerade zum Kollegen Curio, dass über die Landgrenzen Deutschlands circa doppelt so viele –
400.
– Asylbewerber einreisen wie über die Mittelmeerroute. Ich frage Sie daher im Hinblick auf Artikel 16a des Grundgesetzes: Welche unsicheren Nachbarstaaten hat denn Deutschland, und aus welchen unsicheren Nicht-EU-Staaten reisen denn diese Personen ein, sodass sie nach Artikel 16a Grundgesetz einen realistischen und nachvollziehbaren Grund für politisches Asyl in Deutschland haben?
Zwei Drittel der Asylbewerber kommen aus Afghanistan, Irak, Iran – –
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– Bitte, wir sollten uns nicht nur ein bisschen an der Wahrheit, sondern auch an der Sachlichkeit orientieren.
Ich beginne noch mal. – Ich hoffe, das wird nicht auf die Redezeit angerechnet.
Doch, die Uhr läuft, gnadenlos.
Aus Afghanistan, Irak, Iran, Syrien kommen zwei Drittel. Das ist die gleiche Region; deshalb ist die Westbalkanroute für uns so wichtig. Über das zu diskutieren, ist mir wichtiger, als über 225 Seenotflüchtlinge.
Österreich hat im Moment eine geschäftsführende Regierung. Das macht es auch noch ein bisschen schwerer.
Danke sehr. – Der Kollege Hilse möchte noch eine Frage dazu stellen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte noch mal darauf hinweisen, dass Herr Kraft explizit danach gefragt hat, aus welchen unsicheren europäischen Staaten, an die wir grenzen, auf dem Landweg Migranten kommen könnten, um dann quasi einen Asylanspruch nach Artikel 16a zu bekommen. Es ging nicht darum, wo die irgendwann mal gestartet sind, sondern darum, woher sie letztendlich kommen; denn der Artikel 16a regelt das ja sehr klar.
Ja, aber die Realität ist auch sehr klar: Dublin funktioniert nicht.
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Wir hatten bisher die Regelung, dass ein Flüchtling in dem Staat Schutz bekommt, den er in Europa zuerst betritt. Dann hat sich in den letzten Jahren das Problem der sekundären Migration herausgebildet, das sehr intensiv gehandhabt wird. Und die Regelung, die in Europa vereinbart ist, die Flüchtlinge wieder zurückzuführen, funktioniert nicht. Die meisten Staaten beantworten die Briefe gar nicht, die zur Abstimmung notwendig sind. So schaut die Situation aus. Deshalb brauchen wir eine neue, gemeinsame Asylpolitik in Europa: weil Dublin innerhalb von Europa nicht funktioniert.
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Danke sehr. – Jetzt lasse ich noch eine Nachfrage zu diesem Thema vom Kollegen Hess zu, und dann stellt die nächste Frage die Kollegin Ute Vogt.
Herr Innenminister, Sie haben zutreffend dargestellt, dass Dublin nicht funktioniert. Aufgrund der Gesamtlage ist es ja nicht unwahrscheinlich – es ist sogar mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen –, dass es zu einem Anstieg bestimmter Flüchtlingsströme, egal aus welcher Richtung, kommen kann respektive kommen wird. Sind Sie bereit, dann das Erforderliche zum Schutz der deutschen Grenzen zu unternehmen und nicht wieder, wie 2015, darauf zu verzichten und einen massiven Anstieg von Flüchtlingsströmen in unser Land zuzulassen?
Unsere erste Priorität besteht in der Hilfe und Unterstützung für die Länder, die ich vorhin genannt habe: Türkei, Griechenland, Balkanländer, Westbalkanländer. Sie dürfen davon ausgehen, dass ein Innenminister auf alle Eventualitäten vorbereitet ist; aber ich rede nicht über Eventualitäten, die im Moment nicht Realität sind. Es ist aber meine Pflicht, darauf hinzuweisen, dass wir hier ein Problem bekommen können. Das habe ich in den letzten Monaten getan, und deshalb habe ich auch die Reisen durchgeführt; denn die beste Lösung ist immer noch, die Menschen in der Nähe ihrer Heimat zu behalten, damit sie bei einer Befriedung im Lande wieder in ihre Heimat zurückkehren und beim Aufbau helfen können.
Danke sehr. – Jetzt stellt die nächste Frage die Kollegin Vogt, SPD.
Danke, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, ich habe mit Freude gehört, dass Sie mit uns der Meinung sind, dass Rechtsextremismus auch eine Frage von Bildung, insbesondere politischer Bildung, und von Aufklärung ist und dass unsere Demokratie auch einer entsprechenden Stärkung durch gesetzliche Regelungen bedarf. Ich möchte Sie konkret fragen, wie Sie zu der Idee stehen, ein Demokratiefördergesetz auf den Weg zu bringen; denn wir als SPD würden uns freuen, dafür von Ihrer Seite eine aktive Unterstützung zu erhalten, um andere Kolleginnen und Kollegen zu dieser Idee mitzunehmen.
Ich war als Parteivorsitzender auch in dieser Richtung am Abschluss des Koalitionsvertrages beteiligt, und ich stehe zu dem, was wir vereinbart haben. Jetzt kommt es darauf an, Frau Kollegin, dass die Bundesregierung den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages konkrete Inhalte präsentiert und nicht abstrakte Begriffe. Die kann man meinetwegen gebrauchen; aber entscheidend für ein Gremium wie den Deutschen Bundestag ist, dass wir konkret sagen, mit welchen Maßnahmen der Schutz, die Bildung und Ähnliches gefördert werden sollen. Darauf kommt es jetzt in den nächsten Wochen an, und da bitte ich um Ihre Unterstützung.
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Dann stellt die nächste Frage der Kollege Benjamin Strasser, FDP.
Herr Minister, meine Fragen drehen sich um das Maßnahmenpaket Rechtsextremismus, das Sie in der Öffentlichkeit ja teilweise schon vorgestellt haben. Im Juni wurde im Innenausschuss bekannt gegeben, dass jetzt ein RADAR-iTE rechts, also ein Gefährdersystem, etabliert werden soll, ähnlich wie es das ja schon seit 2017 für den Bereich des islamistischen Terrorismus gibt. Nach meinen Informationen soll dieses System 2020 entwickelt werden und 2022 startbereit sein.
Da stellen sich aus meiner Sicht jetzt folgende Fragen: Da wir ein ähnliches Personenpotenzial haben – 24 000 Rechtsextremisten, 26 000 Islamisten –, hat man 2017 im Innenministerium eruiert, ob man ein solches Gefährdersystem auch für den Rechtsextremismus etabliert. Und: Weswegen dauert das so lange, wenn es ein solches System ja eigentlich schon gibt? Also, warum brauchen Sie zwei Jahre, um ein RADAR-iTE rechts zu entwickeln? Wenn Sie dazu etwas ausführen könnten, wäre das nett.
Ich bin seit dem 14. März 2018 Innenminister. Ich kann Ihnen jetzt über Einzelheiten in den Vorjahren, nach denen Sie gefragt haben, keine Auskunft geben, weil mir die Gestaltung der Gegenwart und Zukunft am wichtigsten ist.
Ich bin froh, dass wir jetzt einen Konsens haben. Seit vielen Monaten warne ich in der Öffentlichkeit vor der hohen Gefährdungslage beim Rechtsextremismus und vor den entsprechenden Bedrohungen. Leider Gottes ist ja auch viel Schreckliches passiert. Ich bin froh, dass wir jetzt Einigkeit zwischen Bund und Ländern und den beiden Koalitionsfraktionen über dieses Maßnahmenpaket haben. Das werden wir jetzt so zügig umsetzen wie möglich.
Ich darf hier vor dem ganzen Plenum noch einmal sagen, was ich im Innenausschuss schon gesagt habe: Bei meinem Besuch in Halle gab es zwei wirklich nachdenklich machende Äußerungen; einmal der Juden, der Bevölkerung dort: Nur Worte! Wir befürchten, dass den Worten keine Taten folgen. – Deshalb ist es wichtig, dass die Koalition handelt. Das Zweite war ein Zuruf eines jungen Bürgers: Ihr könnt uns nicht schützen. – Es ist für einen Innenminister ein Hammerschlag – das darf ich Ihnen sagen –, wenn jemand in die Stille des Gedenkens ruft: Ihr könnt uns nicht schützen. – Deshalb haben wir eine verdammte Pflicht, jetzt zügig und wirksam zu handeln.
Danke sehr. – Nachfrage?
Ja. – Ein zweiter Vorschlag, den Sie ebenfalls im Juni gemacht haben, ist ja das Verbot von Combat 18, einer rechtsterroristischen Gruppierung. Wir hatten hier parlamentarische Anfragen von unterschiedlichen Fraktionen, auf die die Bundesregierung immer wieder geantwortet hat, es gebe keine verbotsfähige Struktur. Sie sehen das offensichtlich anders und haben eine intensive Prüfung angekündigt. Im September haben die Innenminister von Niedersachsen, Thüringen und Hessen Sie aufgefordert, dieses Verbot schnell umzusetzen. Deswegen möchte ich Sie fragen, welche konkreten Schritte Sie seit Juni betreffend ein Verbot von Combat 18 eingeleitet haben, ob Sie sich über den Fortgang im BMI haben informieren lassen und ob Sie uns heute einen neuen Stand dazu verkünden können.
Wenn ich das öffentlich sage, wird das auch getan. Ich lasse mich regelmäßig über den Fortgang informieren. Wir führen derzeit sechs Prüfungen bezüglich rechtsextremistischer Vereinigungen durch, und die müssen rechtsstaatlich einwandfrei durchgeführt werden. Wir brauchen die Zusammenarbeit mit den Ländern, was die Beweismittel angeht, und wir machen das sehr zügig. Sie waren heute selbst im Innenausschuss, als der zuständige Mitarbeiter gesagt hat: Wir werden da in den nächsten Wochen auch Entscheidungen fällen können. – Aber ich bitte immer um Respekt: Wir müssen uns, anders als die Gegner des Rechtsstaats, an die rechtsstaatlichen Regeln halten.
Der Kollege Kuhle möchte gerne eine Nachfrage stellen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben bei Ihrer Pressekonferenz in Halle an der Saale und auch in öffentlichen Äußerungen im Nachgang zu dem terroristischen Anschlag mehrfach Bezug genommen auf den Gesetzentwurf aus Ihrem Haus zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts. Da geht es ja insbesondere um die Ausdehnung der Instrumente der Quellentelekommunikationsüberwachung und der Onlinedurchsuchung auf das Bundesamt für Verfassungsschutz. Das Bundesministerium der Justiz war in der Vergangenheit gegen diesen Entwurf, und es ist jetzt mehrfach angedeutet worden, dass sich eine Einigung zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium der Justiz anbahnt. Wie sieht diese Einigung aus? Wann wird das Parlament darüber in Kenntnis gesetzt? Und die wichtigste Frage ist doch: Hätten die Maßnahmen, Quellentelekommunikationsüberwachung und Onlinedurchsuchung, überhaupt dazu beigetragen, diesen Anschlag in Halle an der Saale zu verhindern? – Vielen Dank.
Zur ersten Frage. Wir realisieren durch den Kabinettsbeschluss voraussichtlich nächsten Mittwoch – es läuft ja noch die Ressortanhörung – das erste Maßnahmenpaket; das sind die Dinge, auf die wir uns mit den Ländern und in der Koalition verständigt haben. Für die Verfassungsschutznovelle und das Bundespolizeigesetz brauchen wir noch etwas Zeit für die Beratungen. Auch das muss sorgfältig erarbeitet werden und rechtsstaatlich einwandfrei sein und in der Praxis die Wirkung entfalten, die wir uns davon versprechen. Auch dieses wird realisiert, aber nicht in dem gleichen Tempo wie die anderen Dinge, die Sie kennen.
Zweitens. Es ist immer furchtbar schwer, ex post zu bewerten, ob das Vorhandensein weiterer Gesetze zur Aufdeckung oder Verhinderung einer Straftat oder eines Terrorakts geführt hätte. Ich habe mich nie an solchen Diskussionen beteiligt.
Danke sehr. – Herr Thomae hat noch eine Nachfrage dazu.
Ja. Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie sind meinem Kollegen Strasser, glaube ich, eine Antwort schuldig geblieben, die Antwort auf die Frage nach dem Aufbau des Radarsystems „rechts“. Wie ist da der Stand der Dinge? Wie schreitet das Vorhaben voran?
Es läuft sehr gut. Herr Strasser hat ja heute schon an anderer Stelle den Chef des BKA selbst danach gefragt; er kennt die Antwort. Deshalb verweise ich auf die Antwort des Präsidenten des Bundeskriminalamtes.
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– Sie waren bis zu diesem Zeitpunkt anwesend, aber dann nicht mehr. – Also, es läuft 2020/2021, hat er ausgeführt auf Ihre Frage.
Danke sehr. – Jetzt stellt die nächste Frage die Kollegin Caren Lay, Die Linke.
Herr Minister, vielen Dank. – Seit vielen Jahren hält ja der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus an. Wir hatten ehemals 3 Millionen Sozialwohnungen; davon sind gerade einmal noch 1,1 Millionen Sozialwohnungen übrig. Auch im letzten Jahr sind unterm Strich 43 000 Sozialwohnungen weggefallen. Angesichts der Situation, dass die Mietpreise ja in ganz vielen Großstädten durch die Decke gehen, ist das, glaube ich, das falsche Signal. Wie rechtfertigen Sie vor diesem Hintergrund, dass in Ihrem Haushaltsentwurf die Mittel für den sozialen Wohnungsbau von bislang 1,5 Milliarden Euro auf nur noch 1 Milliarde Euro gekürzt werden sollen? Halten Sie es angesichts des dramatischen Niedergangs der Anzahl an Sozialwohnungen wirklich für gerechtfertigt, diese Mittel zu kürzen?
Normalerweise würde die Förderung des sozialen Wohnungsbaus durch den Bund im Jahre 2020 auslaufen. Die soziale Verantwortung der Koalition kommt dadurch zum Ausdruck, dass wir eine Grundgesetzänderung durchgeführt haben mit dem Ergebnis, dass der soziale Wohnungsbau auch künftig, und zwar nicht nur in den Jahren 2020 und 2021, sondern auch danach, vom Bund gefördert wird.
Er bleibt aber auch Aufgabe der Länder. Ich halte es politisch für hochproblematisch, dass der Bund dauerhaft eine Aufgabe übernimmt, die eigentlich ausgelaufen wäre, und dann erlebt, dass nicht wenige Länder ihre Mittel nicht oder nicht zielgerichtet für den sozialen Wohnungsbau einsetzen. Das ist leider eine Sache, die wir politisch, auch durch eine Debatte, klären müssen. Der Bund wird seiner Verantwortung im sozialen Wohnungsbau sehr wohl gerecht.
Nachfrage?
Selbstverständlich. – Ich möchte gerne eine Nachfrage stellen. Wir waren uns ja einig bei der Grundgesetzänderung; deswegen hat die Linksfraktion sie ja auch in der vergangenen Legislatur angeregt. Die Frage ist jetzt – trotz der berechtigten Kritik an der falschen Mittelverwendung; auch das eint uns –: Was tun Sie dafür, dass die Länder diese Mittel jetzt tatsächlich nur noch für den sozialen Wohnungsbau ausgeben und nicht, wie in vielen Ländern, beispielsweise für die Eigenheimförderung? Und was wird dafür getan, dass die Sozialbindung nicht mehr ausläuft? Das ist ja das eigentliche Problem. Nach unserer Auffassung muss gelten: einmal gefördert, immer gebunden. Eine Sozialwohnung, die gefördert wurde, muss dauerhaft als Sozialwohnung gelten. – Wie ist da Ihr Verhandlungsstand mit den Ländern?
Zum einen: Wir wirken auf der Fachministerebene, aber auch im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz pausenlos auf die Länder ein, dass die Mittel für den sozialen Wohnungsbau zielgerichtet eingesetzt werden.
Zum anderen: Das Auslaufen der Sozialbindung bedeutet ja nicht, dass die Mieter ihre Wohnung verlieren, sondern es fällt die Sozialbindung weg. Die Diskussion, die wir vor vielen Jahren hatten, nämlich ob die Mieter dann die Wohnung für weitere Berechtigte frei machen müssen, gibt es in Deutschland Gott sei Dank nicht mehr.
Danke sehr. – Jetzt hat der Kollege Daniel Föst eine Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bauminister, nachdem wir jetzt beim Wohnungsbau sind, habe ich eine Nachfrage zum Mietendeckel in Berlin. Die Bauindustrie, die Baubranche hat ja gesagt: Der Wohnungsbau in Berlin wird komplett zum Erliegen kommen durch diesen Mietendeckel. Mehrere Gutachter, unter anderem der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier, haben festgestellt, der Mietendeckel sei verfassungswidrig, da der Bund die Mietfrage abschließend regelt. Das Land Berlin stellt da die Bundesgesetzgebung infrage, ignoriert sie, gibt sich ein eigenes Recht. Meine Frage an Sie als Bauminister ist: Wie geht die Bundesregierung mit diesem Affront um? Müsste die Bundesregierung nicht eine Klärung über ein Normenkontrollverfahren herbeiführen oder vielleicht sogar ein Bund-Länder-Streitverfahren initiieren?
Also, wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft, und da müssen beide Pole berücksichtigt werden. Ich bin sehr dafür, dass wir ein Konzept haben für Investoren – das haben wir als Regierung, und zwar in einem Umfang wie noch nie – und dass in neue Wohnungen investiert wird, von der steuerlichen Abschreibung über das Baukindergeld, über den sozialen Wohnungsbau etc. und auch den Bau von Wohnungen für Bedienstete des Bundes. Auf der anderen Seite müssen wir schauen, dass das Mietrecht sozial ausgestaltet ist. Ich bin zum Beispiel derjenige, der die Verlängerung des Vergleichszeitraums für den Mietspiegel von vier auf sechs Jahre betrieben hat, weil unser damaliger bayerischer Justizminister der Meinung war, das sei eine sehr wirksame Maßnahme. Ich halte allerdings nichts von Begriffen, die da herumgeistern, wie „Enteignung“, „Deckel“ und „Moratorium“, weil das die Investoren nur davon abhält, neue Wohnungen zu bauen. Und ohne neue Wohnungen werden wir die Wohnungsproblematik nicht lösen. Das ist meine Auffassung.
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Nachfrage? – Aber ich muss jetzt auf 30 Sekunden bestehen, weil wir eigentlich schon über die Zeit hinaus sind.
Das kriegen wir hin, Herr Präsident. – Ich teile Ihre Meinung: Wir brauchen Wohnungen. Das Konzept, das die Bundesregierung verfolgt, scheint nur bedingt aufzugehen; man schaue sich den Rückgang der Zahl der Baugenehmigungen an.
Aber ich muss noch einmal zu meiner Frage zurückkommen: Wenn ehemalige Verfassungsrichter sagen, dass das Mietrecht abschließend auf Bundesebene geregelt ist, wäre es dann nicht notwendig, dass die Bundesregierung diese Klarheit auch herbeiführt, durch ein Normenkontrollverfahren oder durch ein Bund-Länder-Streitverfahren?
Ein Halbsatz zum Rückgang der Zahl der Baugenehmigungen: Wir haben 700 000 erteilte Baugenehmigungen, die noch nicht realisiert sind. Zusätzlich wurden im letzten Jahr noch einmal 304 000 Baugenehmigungen erteilt. – Das nur zur wahren Lage. Die Bauwirtschaft brummt und hat ihre Kapazitäten, was die Arbeitsplätze angeht, um 3 Prozent erhöht.
Wir haben ein schmuckes und gutes Justizministerium, das für das Mietrecht zuständig ist. Der Parlamentarische Staatssekretär wird das be- -
Halt, halt, halt, -
Entschuldigung!
– das lasse ich jetzt nicht mehr zu.
Liebe Kollegen, ich lasse noch eine Nachfrage zu, die des Kollegen Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, aber dann ist entsprechend unseren Regeln die Regierungsbefragung beendet.
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– Das mag sein; aber die Zeit ist abgelaufen.
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Sie hatten die letzte Frage gestellt, und dazu gibt es Nachfragen. Jetzt hat der Kollege Kühn das Wort.
Danke, Herr Präsident, für die Möglichkeit, hier noch eine Frage zu stellen. Meine Frage geht auch zur Bau- und Wohnungspolitik. Heute wurde im Kabinett das Gebäudeenergiegesetz beschlossen.
Das ist jetzt aber nicht zu dem Thema, Herr Kollege, mit allem Respekt.
Das ist zur heutigen Kabinettssitzung, zur Baupolitik.
Dann stellen Sie halt die Frage noch. – Gut, wir können ja bis 18 Uhr machen.
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Dann müssen wir aber erst einen entsprechenden Beschluss fassen. Bis dahin ist die Tagesordnung anders festgestellt.
Herr Kühn, das ist jetzt die letzte Frage und die letzte Antwort.
Gut. – Heute haben Sie im Kabinett über das Gebäudeenergiegesetz beschlossen. Darin werden ja die Ziele für den Gebäudebereich hinsichtlich des Klimaschutzes definiert. Ist es richtig, dass Sie mit diesem Gesetz Abstand nehmen von dem Ziel, dass es einen klimaneutralen Gebäudebestand bis zum Jahr 2050 gibt? Nach allen Vorlagen, die wir haben, haben Sie diesen Satz konsequent aus dem Entwurf herausgestrichen. Und was ist dann das Ziel der Bundesregierung für den Gebäudebestand bis zum Jahr 2050?
Diese Annahme ist nicht richtig. Ich möchte schon noch einmal darauf hinweisen, dass bei Neubauten ab 2026 grundsätzlich eine Ölheizung verboten wird, es sei denn, im ländlichen Raum gibt es keine Alternativen. Ich finde, das ist eine gute Lösung. Vor allem ist es gut, dass Bestandsbauten hier nicht einbezogen werden. Das wäre ein hohes Maß an Planwirtschaft. Und sehen Sie bitte immer daneben auch die Maßnahmen, die wir beschlossen haben: Gebäudesanierung, Auswechseln der Heizkessel mit 40 Prozent Förderung. Sie müssen das im Zusammenhang sehen, und im Zusammenhang erreichen wir im Gebäudebereich das Einsparvolumen, das wir bis 2030 erreichen müssen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure sehr, dass bei einem für mich und für uns alle, glaube ich, wichtigen Thema das Haus suboptimal besetzt ist.
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Man kann gar nicht so schräg denken wie andere. Dass uns jetzt aus verschiedenen Quellen vorgeworfen wird, wir würden das Narrativ der AfD bespielen, indem wir über Meinungsfreiheit diskutieren wollen, ist schon ein Stück aus dem Tollhaus.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, in jüngster Zeit erleben wir, dass der politische Meinungskampf in Deutschland nicht mehr ausschließlich mit friedlichen Mitteln ausgetragen wird, sondern immer häufiger rechtsstaatliche Grenzen überschritten werden. Dabei wird der politische Mitbewerber denunziert, Wahlkreisbüros oder Privatwohnungen werden beschmiert, Morddrohungen werden ausgesprochen, und es gibt sogar körperliche Attacken.
Ich glaube, es ist Aufgabe der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, deutlich zu machen, dass sie Rechtsbrüche im politischen Meinungskampf nicht tolerieren, nicht gutheißen, dass es keine klammheimliche Freude gibt, sondern dass sie solche Sachen klar verurteilen, egal welche Person oder welche Parteizentrale gerade angegriffen wird.
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Keine Ideologie, keine Überzeugung, kann für sich in Anspruch nehmen, über dem Gesetz zu stehen. Kein Motiv kann so lauter sein, dass man unsere Rechtsordnung brechen darf. Artikel 1 unseres Grundgesetzes muss die unumstößliche Grundlage auch in der politischen Auseinandersetzung sein.
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Gerade wir Abgeordnete, Vertreter eines Verfassungsorgans, sind aufgerufen, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Das gilt sogar – und ich muss das betonen –, wenn der Kontrahent ein politischer Extremist ist. Selbst dann hat er einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Achtung und Schutz seiner Menschenwürde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können bezweifeln, dass die Aktivisten, die unseren Kollegen Thomas de Maizière am Montag an einer Lesung in Göttingen hinderten, dabei Besucher bepöbelten und anrempelten, Artikel 1 unseres Grundgesetzes im Sinn hatten. Wir müssen bezweifeln, dass diejenigen, die Bernd Lucke in Hamburg an seiner Vorlesung hinderten, ihn schubsten und als Nazischwein beleidigten, seine Menschenwürde achteten, und es ist offenkundig, dass diejenigen, die Morddrohungen gegen politische Entscheidungsträger ausstoßen, das Gegenteil dessen wollen, was unsere Verfassung vorsieht.
All diese Vorkommnisse sind keine Lappalien. Sie sollten uns endlich aufrütteln. Gerade Abgeordnete des Deutschen Bundestages haben eine Vorbildfunktion für die Debattenkultur im Land. Wenn wir uns nicht von solchen Rechtsbrüchen klar distanzieren – gerade wenn es Vertreter der anderen Seite des politischen Spektrums betrifft –, dann machen wir uns über kurz oder lang selbst mitschuldig an der Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses.
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Für einen Demokraten muss es gleichgültig sein, welche Gesinnung hinter einer antidemokratischen Aktion steht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bundesverfassungsgericht hat der Meinungsfreiheit in verschiedenen Urteilen immer wieder eine zentrale Bedeutung für unser Gemeinwesen zugeschrieben. Meinungsfreiheit, so das Gericht, ist für eine freiheitlich-demokratische Staatsform schlechthin konstituierend. Die Meinungsfreiheit ist deshalb fast grenzenlos. Das gilt selbstverständlich auch für die freie Presse. Aber auch die Medien haben eine Verantwortung für die Debattenkultur in unserem Land.
Ich sage es hier ganz deutlich: Was die „Bild“-Zeitung gestern mit dem Bundespräsidenten, mit einer Vizepräsidentin dieses Hauses und auch mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin veranstaltet hat, sprengt die Grenzen des Anstands.
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Wer politische Institutionen und Entscheidungsträger steckbriefartig als Antisemiten bezeichnet, schürt selbst Ressentiments, Hass und Hetze, der demontiert die Grundlage unserer freien Gesellschaft. Ich erwarte von einer Zeitung, die noch immer eine enorme Reichweite im Land hat, dass sie sich ihrer Verantwortung für unsere Debattenkultur bewusst ist und sich entsprechend verhält.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere demokratische Streitkultur zu verteidigen, erfordert mehr Stärke, als wir bisher aufgebracht haben. Es erfordert, dass zuerst wir diese Spielregeln gegen jedermann verteidigen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Meinungskorridor nicht weiter eingeengt wird, sondern offen bleibt. Eine plurale Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass sie Vielfalt zelebriert und nicht andere Meinungen pauschal abqualifiziert oder Menschen niedergebrüllt werden.
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Wenn mehr als zwei Drittel der Menschen in unserem Land glauben, man könne seine Meinung zu bestimmten Themen nicht mehr frei äußern, dann haben wir ein Demokratieproblem. Gerade wir müssen in der politischen Auseinandersetzung dokumentieren, dass Meinungsfreiheit mehr ist, als die eigene Meinung zu transportieren, nämlich auch, die andere im Zweifel zu verteidigen, sofern sie sich im Rahmen des rechtlich Erlaubten befindet. Schalten wir hier nicht bald um, werden die Grundlagen unserer Freiheit zerstört, und das kann niemand ernsthaft wollen.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Anlass für die heutige Aktuelle Stunde sind die Geschehnisse, die uns alle wachrütteln: die Morddrohungen gegen Politiker, die eingeschlagenen Fensterscheiben – gerade in der letzten Nacht hat es auch noch unseren Kollegen Jan-Marco Luczak getroffen –, die Störung von Vorlesungen. Das ist ein Meinungsterror, der keine andere Meinung zulassen kann.
Das ist aber nicht nur ein Problem für die Politiker, sondern für jeden Nutzer im Netz. Jeder, der in seiner Blase mit der falschen Meinung daherkommt, muss mit Mobbing, Shitstorms und dergleichen leben, was auch in die reale, analoge Welt übergreift. Ich muss sagen: Das sind Ereignisse, die ich mir vor wenigen Jahren noch nicht hätte vorstellen können. Und ich weigere mich, mich daran zu gewöhnen.
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Die Meinungsfreiheit ist eines der vornehmsten Grundrechte. Sie ist konstitutiv für unsere Gesellschaft, für unsere Demokratie und richtet sich eigentlich primär gegen den Staat, gegen Eingriffe des Staates.
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Aber wir erleben nun, dass die neuen Gefahren vor allem von anderen Menschen ausgehen, die auch noch meinen, dass sie ihre Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen. Denen müssen wir sagen: Schmierereien an Politikerbüros, eingeschlagene Fensterscheiben und Drohung mit Gewalt, das ist nicht Meinung, sondern das ist ganz klar Straftat.
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Es sind nicht nur diese Dinge, die die Meinungsfreiheit verletzen, sondern es sind schon der Shitstorm, der Hass, die Bedrohung und die Beleidigung, die die Menschen mundtot machen – oft unter dem Deckmantel der Anonymität. Das ist eine neue Form der Zensur, die sich die Gesellschaft gleichsam selber verordnet und gegen die wir entschieden antreten müssen.
Mir fällt auf, dass sich dabei rechtes Lager und linkes Lager in ihren Extremen gar nicht groß voneinander unterscheiden. Man muss ja manchmal raten: Ist diese Fensterscheibe jetzt von einem rechten Aktivisten oder von einem linken Aktivisten zerschlagen worden?
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– Na ja, es gibt für beides Beispiele. – Das führt zu einer Polarisierung, die selbst zur Bedrohung der Meinungsfreiheit wird.
Das zeigt sich schon in aktuellen Studien: Eine Allensbach-Studie hat gesagt, dass sich die Mehrheit der Menschen praktisch schon im vorauseilenden Gehorsam bei Tabuthemen oder bei als solchen empfundenen zurückhält, und auch eine neue Shell-Studie sagt, dass die zweitgrößte Sorge der Jugendlichen im Alter bis 25 eine wachsende Feindschaft zwischen den Lagern unterschiedlicher Meinungen ist. Sie befürchten, dass sich hier die Gesellschaft weiter spaltet.
Deshalb müssen wir überlegen: Haben wir als Staat eine neue Aufgabe? Was müssen wir tun, um hier die Meinungsfreiheit zwischen den Bürgern wieder neu auszutarieren und den Schutz der Meinungsfreiheit zu stärken?
Ein wichtiger Schritt dabei war das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Es gab anfangs ja viel Skepsis. Ich nehme sehr zufrieden wahr, dass sich die Diskussion heute eigentlich eher darum dreht, ob der Schutz ausreicht. Nach dem Attentat auf Walter Lübcke und dem Anschlag von Halle haben sich da die Parameter verschoben, und wir haben, glaube ich, mittlerweile eine große Einigkeit, dass wir hier den Schutz verbessern müssen.
Wir hatten eine Anhörung im Rechtsausschuss, in der auch das wirklich der Tenor bei der überwiegenden Zahl der Sachverständigen war. Vor allem auch die zivilgesellschaftliche Initiative „ichbinhier“ hat ganz klar gesagt, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz den richtigen Ansatz hat.
Da erwarte ich im Übrigen auch ein Umdenken bei der FDP. Die FDP will das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ja eigentlich aufheben – bis auf die Regelung zum inländischen Briefkasten, den ihr noch weiter behalten wollt. Ich glaube, das ist zu kurz gesprungen. Darüber müssen wir noch mal reden.
Aus unserer Sicht gibt es verschiedene Punkte, die hier verbessert werden müssen: Stärkung der regulierten Selbstregulierung auf der einen Seite, aber vor allem auch eine verbesserte Zusammenarbeit der Plattformen mit der Staatsanwaltschaft auf der anderen Seite. Wir meinen: Da, wo die zuständige Stelle, der Staatsanwalt, sagt: „Hier ist eine Äußerung wirklich strafwürdig; sie verwirklicht einen Straftatbestand“, darf der Deckmantel der Anonymität nicht weiter reichen.
Noch eines ist mir wichtig: Gerade wir in der Politik haben eine Vorbildfunktion. So wie wir hier unsere Debatten führen, so schallt es auch in die Bevölkerung hinaus. Wenn wir unsere Redefreiheit hier dazu missbrauchen, um die Institutionen des Staates anzugreifen und das Grundvertrauen der Bürger in diese zu erodieren, dann missbrauchen wir unsere Meinungsfreiheit. Wir müssen hier konstruktive, lösungsorientierte Debatten führen, um damit in die Bevölkerung hinein ein Zeichen zu senden.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Martin Reichardt für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist bezeichnend und alarmierend für den Zustand in Deutschland, dass wir uns heute im Hohen Hause mit dem Thema „Meinungsfreiheit in Deutschland verteidigen“ beschäftigen müssen.
Herrscht in Deutschland Meinungsfreiheit, wenn 78 Prozent der Deutschen sagen, man könne seine Meinung zu bestimmten Themen nur mit Vorsicht frei äußern? Ich sage: Nein! Herrscht in Deutschland Meinungsfreiheit, wenn in der Shell-Studie 68 Prozent der Jugendlichen die Aussage bejahen: „In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne als Rassist beschimpft zu werden“? Ich sage: Nein! Herrscht in Deutschland Meinungsfreiheit, wenn Jugendliche, die den Mut zur Wahrheit besitzen und nicht dem Meinungsmainstream folgen, als „empfänglich für Rechtspopulisten“ verunglimpft werden? Ich sage: Nein!
Die Verantwortlichen für den Verlust an Meinungsfreiheit in Deutschland, meine Damen und Herren, die sitzen hier im Deutschen Bundestag.
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Ich muss es in aller Deutlichkeit sagen. Ich klage Linke, Grüne und SPD an, für dieses Klima in Deutschland verantwortlich zu sein.
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Sie – Sie! – sind die Gesinnungstotalitaristen, die im jakobinischen Wahn jeden als „Rassisten“ und „Nazi“ diffamieren, der Kritik an Masseneinwanderung oder Migrationsfolgen oder schlicht an Ihrem totalitären Weltbild übt, meine Damen und Herren, und das ist sehr traurig.
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Sie von der Union, Sie hätten die Pflicht, die Meinungsfreiheit zu schützen und diesem Treiben entgegenzuwirken.
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Sie tun das nicht. Sie koalieren oder arbeiten mit den entsprechenden Kräften zusammen. Das ist Ihre historische Schuld, und die gilt es hier festzustellen, meine Damen und Herren.
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Die Shell-Studie aber entlarvt, dass Jugendliche nicht vor alten weißen Männern Angst haben, wie Sie, Frau Bayram, das hier kürzlich konstatiert haben. Nein, die Jugendlichen in Deutschland, die haben Angst vor Meinungstotalitaristen wie Ihnen, und das müssen wir leider feststellen.
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Die Jugend kennt die Hunderte Einzelfälle, in denen Deutsche von kriminellen Migranten verletzt und getötet wurden. Sie weiß, dass hier immer wieder verharmlost und unter den Teppich gekehrt werden soll.
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Anders ist es nämlich nicht zu erklären, dass in der Shell-Studie 50 Prozent der Jugendlichen der Meinung sind, sie würden von dieser Regierung die Wahrheit nicht gesagt bekommen, meine Damen und Herren. Das hat Gründe.
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Die Jugendlichen wissen, dass für die Linken jeder ein Nazi ist, der Kritik an Masseneinwanderung äußert.
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Das – das muss hier klar gesagt werden – ist eine ungeheuerliche Beleidigung für die Bürger, für die Jugendlichen. Es ist auf der anderen Seite eine ungeheuerliche Relativierung der NS-Verbrechen. Das verbitten wir uns als AfD-Fraktion, meine Damen und Herren.
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Jugendliche sind politisch interessiert. Sie nehmen jedoch die unverhohlenen Gewaltaufforderungen gegen Andersdenkende in Deutschland sehr wohl zur Kenntnis. Sie nehmen zur Kenntnis, dass ein Ralf Stegner fordert, das politische Personal der Gegner anzugreifen. Sie nehmen auch zur Kenntnis, dass in Juso-Posts Andersdenkende mit Baseballschlägern bedroht werden, meine Damen und Herren.
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Sie wissen auch, dass linksgrüne Lehrer in der Schule ihnen bei falscher Meinungsäußerung die Zukunft verbauen können.
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Das schafft ein Klima, das der Demokratie abträglich ist.
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Die Menschen sehen auch, dass das linke Establishment wohlwollend zusieht, wenn Fahrzeuge abgefackelt und Menschen bedroht werden, sofern es sich bei diesen Menschen um sogenannte Rechtspopulisten handelt. Mittlerweile sind aber auch schon Politiker von FDP und CDU betroffen. Wir wissen das.
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Diese Haltung, meine Damen und Herren – ich wende mich nach links – ist nicht neu. Gewalt ist Teil der linken politischen DNA.
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So etwas wird deutlich in einem Satz von monströser Menschenverachtung, der seinerzeit nach den feigen Morden an Ponto, Buback und Schleyer gefallen ist.
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Er lautet, meine Damen und Herren:
Bei den drei hohen Herren mag mir keine rechte Trauer aufkommen, das sage ich ganz offen für mich.
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Meine Damen und Herren, ist dieser Satz von Joschka Fischer oder von Christian Klar? Wir wissen es: Er ist von Joschka Fischer. Joschka Fischer ist bis heute eine grüne Ikone. Christian Klar ging bei den Linken ein und aus.
Meine Damen und Herren, das deutsche Volk stellt Ihnen allen ein verheerendes Urteil aus.
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Sie sind mit Ihrem unklaren Verhältnis zur Gewalt die Totengräber der Meinungsfreiheit und damit letztlich der Demokratie in Deutschland.
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Aber – das will ich Ihnen auch ganz klar sagen – trotz Antifa-Gewalt und Staatsmillionen für linke Hetze werden Sie das Volk verlieren, -
Herr Reichardt, achten Sie bitte auf die Redezeit.
– so wie Sie es 1989 trotz Mauer und Stasi verloren haben.
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Ich sage Ihnen jetzt zum Abschluss:
Sie müssen zum Schluss kommen.
Wir als AfD, wir sind die Partei, die sich immer gegen jede Form von Extremismus und Antisemitismus gewandt hat. Das ist unsere politische DNA.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Saskia Esken das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diese Richtung des Parlaments sage ich: Mit Ihnen, mit einer Partei, die Portale zur Denunziation von Lehrkräften eingerichtet hat, die Ihnen unliebsam sind,
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die schwarze Listen mit Namen von Journalisten aufstellt, die unliebsame Meinungen äußern, rede ich gar nicht über die Meinungsfreiheit.
({1})
– Nein, mit Ihnen rede ich nicht über die Meinungsfreiheit.
Auf Antrag der FDP diskutieren wir über die Meinungsfreiheit.
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– Jetzt sind Sie mal still!
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Ehrlich gesagt: Ich habe bis jetzt noch kein Wort über die Meinungsfreiheit gehört, sondern nur darüber, ob Meinungen geäußert werden können, dass man Meinungen äußert und wie man sie wahrnimmt. Die Meinungsfreiheit wird in unserer Verfassung gegenüber dem Staat gewährt. Der Staat darf die Meinungsfreiheit nicht einschränken. Er tut es nur im Rahmen des Strafgesetzes.
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– Sind Sie jetzt dran, oder bin ich jetzt dran? Alles klar. Das würde ich auch vorschlagen. Sie haben gerade gesprochen; das war lang genug. – Volksverhetzung, Verleumdung und Beleidigung sind eben nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Es ist zum Beispiel auch nicht erlaubt, den Holocaust zu leugnen. Vieles andere, was wir zum Beispiel hier jeden Tag erleben müssen, ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt und schwer zu ertragen. Aber wir halten es aus. Wir sind eine starke demokratische Gesellschaft.
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Wir haben die sprachgesetzlichen Beschränkungen vor langer Zeit vereinbart. Sie werden meines Wissens selten infrage gestellt. Die wenigen Beschränkungen der Meinungsfreiheit sind also Konsens. In Deutschland gibt es eine sehr weitgehende Meinungsfreiheit – und das seit langer Zeit.
Warum diskutieren wir also heute über die Meinungsfreiheit, über das Thema „Meinungsfreiheit in Deutschland verteidigen“? Gibt es neue Bestrebungen des Staates gegen die Meinungsfreiheit, die wir irgendwie verpasst haben? Aktueller Aufhänger unserer Debatte ist eine Allensbach-Umfrage, die die Zeitung mit den vier großen Buchstaben noch einmal aufgewärmt hat. Ich zitiere:
Erschreckende Umfragen: Deutsche trauen sich nicht, offen ihre Meinung zu sagen!
Renate Köcher von Allensbach hat mit der Interpretation ihrer Umfrage in einem Namensbeitrag für die „FAZ“ ein erschreckendes Fehlverständnis der Meinungsfreiheit an den Tag gelegt. In diesen fast schon suggestiven Fragen und Befunden geht es eben nicht um Beschränkungen der Meinungsfreiheit durch den Staat oder durch andere dunkle Mächte. Es geht schlicht darum, ob man fürchten muss, für eine geäußerte Meinung Widerspruch oder Kritik zu ernten.
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Liebe Frau Köcher, es gibt in Deutschland ein Recht darauf, so ziemlich jede Meinung zu äußern, ohne staatliche Repression zu befürchten.
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Es droht uns kein Maulkorb. Es droht uns kein Berufsverbot, keine Gefängnisstrafe.
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Es gibt andere Länder auf dieser Welt, wo das so ist. Dass man eine Meinung aber ohne Widerspruch oder ohne Kritik äußern darf, dafür ist unsere Verfassung nun wirklich nicht zuständig, und ich glaube, das ist auch gut so.
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Die „Zeit Online“ macht dazu deutlich – ich zitiere –:
Vor allem aber schützt keine Meinungsfreiheit vor der Meinungsfreiheit der anderen. Kritik, auch harte, gehört zum freien Diskurs, und das gilt für alle gleichermaßen.
Ganz aktuell empört sich nun der Vorsitzende der Liberalen darüber – leider ist er nicht da –, dass er auf Einladung der Liberalen Hochschulgruppe an der Hamburger Uni sprechen sollte, die Veranstaltung vom Präsidenten aber abgesagt wurde. Herr Lindner hat deshalb einen Brief an die Hamburger Wissenschaftssenatorin Fegebank geschrieben und fordert sie darin auf, sich klar hinter die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit zu stellen. Lieber Kollege Lindner, die Meinungs- und auch die Wissenschaftsfreiheit sind vom Staat zu gewähren, nicht von der Präsidentin einer Hochschule.
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– Nein, sie ist keine Vertreterin des Staates; sie hat Hausrecht. Der Staat ist aber nicht dafür zuständig, Ihnen ein Podium zu gewähren oder ein Publikum zu garantieren.
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Auch Sie, Herr Lindner – richten Sie es ihm vielleicht aus –, haben, wie ich gehört habe, einen bekannten deutschen Satiriker aus Ihrer Debattenplattform bei Twitter ausgeschlossen, man hat gesagt: geblockt. Nach Ihrem Verständnis der Meinungsfreiheit könnte ich ebenso gut an Sie appellieren: Herr Lindner, heben Sie diesen Block wieder auf; gewähren Sie meinem Genossen Jan Böhmermann Meinungsfreiheit. – Also ehrlich!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesellschaft hat im Großen und Ganzen verlernt, in aller Ruhe mit unterschiedlichen Meinungen umzugehen und sauber zu diskutieren.
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Die Willensbildung und die kontroverse Debatte ist unsere Aufgabe; auch das steht in der Verfassung. Wir als Parteien haben die Aufgabe, die Willensbildung zu befördern, und zwar auch in kontroversen Debatten.
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Da müssen wir aushalten, dass Menschen ihre Meinung sagen.
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„Die Zeit“ ist zu der Auffassung gelangt: Wenn Allensbach auf der Grundlage dieser Studie behauptet, die Meinungsfreiheit in Deutschland sei in Gefahr, dann bedient sie rechte Ressentiments. – Darauf sollten wir uns nicht einlassen.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat der Kollege Friedrich Straetmanns für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Meinungsfreiheit, wie sie in Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz festgelegt ist, ist ein hohes Gut und ihre Verteidigung eine ehrenwerte Angelegenheit.
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Ich muss Ihnen hier nicht erklären, dass es sich bei der Meinungsfreiheit um ein Schutzrecht gegen den Staat handelt, jedoch die bisherige Debatte zeigt, dass wir hier über etwas ganz anderes reden, nämlich die Richtung und die Art und Weise, die Debatten in der Gesellschaft eingeschlagen haben. Ich komme nicht umhin, zu sagen, dass mir das großes Unbehagen bereitet.
Da ist beispielsweise der Hang zur brachialen Polarisierung und die zunehmende Brutalität und Lautstärke der Sprache. Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, gehöre ich eher zu den leiseren Mitgliedern meiner Fraktion und kann Ihnen sagen: Ich würde mir manchmal auch von den eigenen Leuten Dinge anders wünschen. Aber wir müssen uns in dieser Angelegenheit als Demokratinnen und Demokraten doch gerademachen und dürfen uns keinen Illusionen hingeben, wo diese Dinge herkommen, die die Diskussionskultur vergiften. Sie kommen von rechts außen und haben ihre Repräsentanten in dieser Truppe gefunden.
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Ihnen wird tagein, tagaus der Raum gegeben, mit ihrem Geschrei und wüstem Gepöbel unsere Debatten hier im Haus zu prägen.
Damit nicht genug. Auf Straßen und Marktplätzen dieser Republik werden in einer unerträglichen Wortwahl Themen und Inhalte in die Welt gesetzt, die noch vor nicht allzu langer Zeit undenkbar gewesen wären.
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Das Schlimmste aber ist, dass den selbsternannten Vertreterinnen und Vertretern der bürgerlichen Mitte kein Gebrüll da draußen zu grob ist, als dass es nicht in der einen oder anderen Form Eingang in unsere Debatten finden würde.
Der Vorfall mit Herrn Lindner an der Uni Hamburg ist angesprochen worden. Ich will zu der Kollegin Esken noch einen Nachsatz bringen: Nach der Vergabeordnung für Räumlichkeiten der Uni Hamburg, Raumvergabebestimmungen, heißt es in § 4 Nummer 6d, dass Räume nicht wegen parteipolitischer Veranstaltungen vergeben werden.
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Es liegt dann doch nahe, dass vielleicht eine solche Veranstaltung dort stattfinden sollte.
Ich will aber Herrn Lindner die Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht absprechen. Zu Recht beklagt er, dass das Wohnhaus eines Parteikollegen aus Thüringen mit Farbe besprüht worden ist. Das ist ein Beispiel für Angriffe auf das Privatleben politisch engagierter Menschen, wie sie sich in den letzten Jahren zunehmend gehäuft haben.
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Aus diesem Grund forderte kürzlich der Parlamentarische Geschäftsführer meiner Fraktion, Jan Korte, dass die Privatadressen dieser Menschen besser geschützt werden müssen – ein Vorhaben, dem sich die Justizministerin offensichtlich anzuschließen gedenkt.
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Das begrüße ich ausdrücklich.
Aber Sie und Ihre Kollegen wie auch Mitglieder der Unionsfraktion handeln im Hinblick auf diese Bedrohungen falsch. Sie versuchen, das Gebrüll von rechts zu beschwichtigen, indem Sie nach links austeilen, weil Ihnen das der einfachere Weg zu sein scheint. Herr Kubicki hat das ja in der Begründung seines Ordnungsrufs gegen meine Fraktionskollegin Martina Renner auch ausdrücklich so festgehalten. Der Ordnungsruf erfolgte, um diese Truppe hier rechts zu beruhigen. Wenn das als Strategie für den bürgerlichen Antifaschismus im Jahre 2019 Schule macht, dann ist es um unsere Demokratie schlecht bestellt.
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Denn diese Leute werden sich nicht beruhigen lassen. Bisher haben sie noch jeden Zentimeter Raum, den Sie ihnen gelassen haben, für sich und für ihre spalterische und hetzerische Propaganda genutzt. Wenn wir also über die Verhinderung einer Vorlesung wie die von Herrn Lucke in Hamburg reden, müssen wir diesen Aspekt immer auch im Hinterkopf behalten.
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Bei aller begründeten Kritik am Vorgehen der Studierenden: Die Verrohung geht von rechts aus und wird auch erst aufhören, wenn die bürgerliche Mitte aufhört, ihr immer wieder nachzugeben, wie auch hier und heute in dieser Debatte.
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Diese Bedrohung hat doch weit gravierendere Auswirkungen als den Ausfall einer Vorlesungseinheit zu Makroökonomie II. Kommunalpolitikerinnen und ‑politiker ziehen sich zurück, weil sie den Druck auf sich und ihre Familien einfach nicht mehr aushalten, und das nicht erst seit letzter Woche.
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Meinungsfreiheit bedeutet nicht, wie das von rechts immer gerne dargestellt wird, dass man Dinge widerspruchsfrei äußern kann.
Ich begrüße übrigens sehr, dass im Anschluss an die Protestaktion gegen Herrn Lucke an der Universität ein moderiertes Gespräch der Unileitung mit ihm und dem AStA stattgefunden hat und sein Seminar am nächsten Tag stattfinden konnte.
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Dass er aber kurz darauf – und damit nur wenige Tage nach dem Anschlag von Halle – seine eigene Situation mit der von Juden im Dritten Reich gleichsetzt, trägt keinesfalls zu einer Beruhigung der Lage bei.
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Wir sollten alle etwas runterfahren und nicht mit dem Finger aufeinander zeigen.
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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Manuela Rottmann das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin Pau! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Morde an Politikern, ernstzunehmende Morddrohungen im Landtagswahlkampf in Thüringen, unterbundene Vorlesungen, unterbundene Lesungen, Schmierereien an Privathäusern: Der Zustand unseres Gemeinwesens ist bedroht.
Also reden wir über Meinungsfreiheit. Was ist das? Meinungsfreiheit ist das Recht, seine Meinung zu bilden und zu äußern. Sie umfasst aber nicht das Recht, andere zu beleidigen und zu bedrohen. Sie umfasst nicht das Recht, andere an der Äußerung ihrer Meinung zu hindern durch Nötigung oder Drohung. Sie umfasst aber auch nicht den Anspruch, dass einem gefälligst nicht widersprochen wird.
({0})
Im Gegenteil: Ohne das Recht auf Widerspruch gibt es keine Meinungsfreiheit.
Diejenigen, die in den letzten Tagen universitäre Veranstaltungen oder Lesungen unmöglich gemacht haben, mögen für einen kurzen Moment einen irrigen Eindruck von Stärke erlebt haben. In Wirklichkeit haben diese Leute ihre eigene Schwäche offenbart. Veranstaltungen von Bernd Lucke in Hamburg, Thomas de Maizière in Göttingen und Christian Lindner in Bochum zu unterbinden, ist kein heroischer Akt.
({1})
Es legt nur offen, dass denen, die das tun, wahrscheinlich der Mut fehlt, dort für Humanität, Frieden und Demokratie zu streiten, wo es dafür wirklich Mut braucht und wo man viel zu oft ganz alleine ist, wenn man persönlich bedroht wird: in der Dorfkneipe, am Arbeitsplatz, als Bürgermeisterin im Rathaus. In diesen Zeiten zu meinen, die Blockade eines Literaturfestivals hätte irgendetwas mit Freiheit oder Mut zu tun, finde ich anmaßend und dumm.
({2})
Unsere politische Kultur ist in einem ernsten Zustand, in einem verdammt ernsten Zustand. Deshalb habe ich eigentlich erwartet, dass es der FDP mit der Anmeldung dieser Aktuellen Stunde ernst ist. Was mir aber wirklich leid tut: Das ist es offensichtlich nicht.
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Christian Lindner hat nämlich das alles, über was ich gerade geredet habe, gestern vor der Presse nur ganz kurz gestreift. Viel breiter ist er darauf eingegangen, dass die Universität Hamburg ihm die Nutzung eines Raums für eine Veranstaltung mit der Liberalen Hochschulgruppe nicht gewährt hat. Auch das sei ein Angriff auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Das sei ihm noch in keinem anderen Bundesland passiert, und deshalb müsse da ein Zusammenhang zur grünen Wissenschaftssenatorin bestehen.
({4})
Christian Lindner tourt tatsächlich auf Einladung der liberalen Hochschulgruppen durch Hörsäle in ganz Deutschland, bevorzugt in Bundesländern, die kurz vor Landtagswahlen stehen.
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Die Veranstaltungen haben manchmal gar kein Thema, oder sie heißen „Christian Lindner im Dialog“ oder irgendetwas mit Liberalismus.
({6})
Die FDP hat also schlicht in den vergangenen Jahren einen Weg gefunden, sich die Raummieten für Wahlkampfveranstaltungen zu sparen, und auf diese Masche hatte die Uni Hamburg offensichtlich keine Lust mehr.
({7})
Christian Lindner hat Fake News verbreitet, als er behauptet hat, das sei ihm noch in keinem anderen Bundesland passiert. Im Juni, vor der sächsischen Landtagswahl, hat ihm die Technische Universität Chemnitz die Nutzung eines Raums für die gleiche Art von Veranstaltung untersagt mit dem Verweis auf das Neutralitätsgebot.
({8})
Gab es da eine Aktuelle Stunde? Wurde da die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit bemüht?
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Gab es einen Brief an die sächsische Wissenschaftsministerin? Wo ist denn da der Unterschied? Sagen Sie mir doch mal den Unterschied!
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Nicht überall, wo Christian Lindner ein Brötchen isst, ist die Wissenschaftsfreiheit bedroht.
({11})
Die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit umfasst nicht das Recht, kostenlos Räume für Wahlkampfveranstaltungen an Hochschulen zu nutzen – so banal ist das.
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Katharina Fegebank zu unterstellen, sie habe nichts anderes zu tun, als die Raumvergabe ihrer Hochschulen durchzusehen, ist ein verzweifelter Schrei nach Aufmerksamkeit für die FDP vor zwei Landtagswahlen, sonst nichts.
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Unser Problem in Deutschland ist, dass Menschen, die sich zu den Werten dieses Landes bekennen, mit Hass und mit Drohungen überzogen werden. Das ist unser gemeinsames Problem. Darauf brauchen wir Antworten, von uns genauso wie von Ihnen von der FDP, aber keine Fake-News-Luftballons.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas de Maizière für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich heute in dieser Debatte zu Wort gemeldet nicht zuerst als Betroffener des Vorfalls in Göttingen. Ich möchte für all diejenigen sprechen, die schon eine ähnliche Situation erlebt haben; ich bin da keine Ausnahme und kein besonderes Beispiel.
Ich spreche für die vielen Bürgermeister, die vielen ehrenamtlichen Kommunalpolitiker und viele Kollegen dieses Hauses, die auch schon am Sprechen gehindert worden sind. Ich möchte für den Veranstalter in Göttingen sprechen, der persönlich bedrängt und attackiert wurde. Und ich möchte für die 300 Bürgerinnen und Bürger in Göttingen sprechen, die – vielleicht auch strittig – über meine Positionen diskutieren wollten, dafür sogar Geld bezahlt haben, aber nicht gelassen wurden. Die aggressive Blockade richtete sich gegen mich, aber die Leidtragenden waren demokratische Bürgerinnen und Bürger. Sie wurden in Mithaftung genommen für die Meinungskampagne einer radikalen politischen Minderheit, die noch nicht einmal zu ihrem Handeln stand, sondern sich hinter Masken, Schals und Mützen verschanzte.
({0})
Deswegen werde ich die Veranstaltung in Göttingen übrigens auch sehr gerne wiederholen.
({1})
Was da geschehen ist, kennen wir – ich jedenfalls – schon von linksextremen Chaoten; das ist schlimm genug. Neu ist aber etwas anderes. Ich bin enttäuscht und auch traurig darüber, dass Fridays for Future in Göttingen an vorderster Stelle dabei war, die Treppe besetzt hielt und die Aktion inhaltlich rechtfertigte. Die Veranstaltung hatte nichts mit dem Klimaschutz zu tun.
({2})
Wenn Fridays for Future in Göttingen sich an so etwas beteiligt, diskreditiert das aus meiner Sicht das wichtige Thema des Klimaschutzes.
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Vor allem aber diskreditiert es die Bewegung selbst, die sich viel Reputation und Respekt erworben hat.
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Deswegen finde ich es auch nicht zu viel verlangt, dass sich die bundesweiten Koordinatoren von Fridays for Future schnell dazu äußern, ob solche Aktionen für die Haltung der ganzen Bewegung stehen und ob sie so etwas als legitimes Mittel für ihre Anliegen begreifen.
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Wenn sie dazu schweigen, während die Aktion von vielen politischen Parteien verurteilt worden ist, dann wäre das beschämend für viele junge Leute, denen es wirklich um den Klimaschutz geht, und es würde ein trübes Licht auf die ganze Bewegung richten.
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Mir geht es aber, meine Damen und Herren, um drei grundsätzliche Punkte zur Meinungsfreiheit; auch deswegen habe ich mich gemeldet. Der Kampf um Meinungsfreiheit ist keine Forderung an rechts oder links, sondern in alle Richtungen. Sie ist genauso eine Forderung an Politik wie an Wissenschaft, an Kultur, an Religion und an Medien. Zur Meinungsfreiheit gehört – und deswegen bin ich dafür –, dass ein umstrittener Professor, dessen Meinung mir nicht gefällt, in Hamburg eine Vorlesung halten kann. Zur Meinungsfreiheit gehört – und deswegen bin ich dafür –, dass ein Verlag, dessen Programm mir nicht gefällt, auf der Frankfurter Buchmesse einen angemessenen Platz bekommt.
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Zur Meinungsfreiheit gehört – und deshalb bin ich dafür –, dass eine politische Künstlergruppe, deren Aktion mir überhaupt nicht gefällt, Betonquader aufstellen kann und das für Kunst hält.
Liebe Kollegin Esken, es gibt wahrscheinlich keinen rechtlichen Anspruch des Vorsitzenden der FDP darauf, in der Hamburger Universität zu sprechen; das mag sein. Aber es würde dem Geist der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit entsprechen, dass er dort diskutieren kann. Daher finde ich die Verweigerung kleinkariert.
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Meinungsfreiheit ist für mich keine Frage von ja oder nein oder von schwarz oder weiß. Die Frage ist nicht nur, ob jemand etwas sagen darf, es ist genauso die Frage, wie jemand etwas sagt, und übrigens auch, wie zugehört wird. Für mich ist Meinungsfreiheit auch die Forderung nach Respekt, nach Gewaltlosigkeit, nach Anstand und Sachlichkeit, nach Ausgewogenheit und Angemessenheit. Für mich gehören zur Meinungsfreiheit – darauf hat unsere grüne Kollegin hingewiesen – natürlich auch Schranken und Grenzen.
Das kann bedeuten, dass man bestimmte Dinge eben nicht sagen darf, weil sie strafbar sind. Das kann bedeuten, dass man bestimmte Dinge jedenfalls nicht in einer bestimmten Weise sagen darf, also: Kritik ja, aber ohne Beleidigungen wie gegenüber unserer Kollegin Renate Künast. Und das kann, ja das muss bedeuten, dass man auf Hass und Hetze verzichtet. Das mag manchmal vielleicht sogar rechtlich zulässig sein; aber es bleibt politisch unanständig.
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Bei der Debatte über die Meinungsfreiheit geht es aber um noch viel mehr. Wir werden es in Zukunft wohl mit noch viel mehr unterschiedlichen, mit viel mehr extremen und polarisierenden Meinungen zu tun haben – leider. In einer digitalen Gesellschaft wird dieses Meinungsspektrum weit verbreitet. Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt, auch harte Meinungen und Polemik, muss man aushalten können. Aber wenn Meinungsfreiheit im Internet missbraucht wird, dann müssen wir rechtsstaatliche Wege finden, um herauszufinden, wer im Internet dafür verantwortlich ist. Das ist kein trivialer Vorgang, meine Damen und Herren;
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da gucke ich gerade die Grünen an.
Und wir werden in Zukunft noch viel häufiger vor der Frage stehen, was eigentlich Meinungen sind. Sind das persönliche Ansichten von Menschen, oder sind das durch Algorithmen verstärkte oder von Algorithmen erzeugte Stimmungen von Maschinen? Sind auch manipulierte Bilder eine Form von Meinung? Und wie können wir das eine von dem anderen unterscheiden? Wenn wir fragen, wie es um den Schutz der Meinungsfreiheit in unserem Land steht, dann müssen wir diese zentralen Fragen angehen.
Zum Schluss ein Wunsch.
Kollege de Maizière, achten Sie auf die Zeit.
Meine Damen und Herren, ich wünsche mir, dass wir alle allgemein für mehr Mäßigung und Nüchternheit in der politischen Auseinandersetzung und im demokratischen Meinungsstreit werben. Den Grünen sage ich: Es gibt einen schönen Grundsatz – den finde ich sehr gut –: Wenn es ein Problem gibt, -
Es tut mir leid, Ihre Redezeit ist zu Ende.
– dann schau lieber in den Spiegel und nicht aus dem Fenster.
Meine Damen und Herren, vielen Dank.
({0})
Das Wort hat Dr. Marc Jongen für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist hoch an der Zeit; denn die Meinungsfreiheit ist nicht nur bedroht, wie es heute schon mehrfach hieß, sondern Artikel 5 Grundgesetz wird in Deutschland tagtäglich gebrochen, eine Zensur findet wieder statt.
({0})
Zensur wird wieder betrieben seitens des Gesetzgebers, also durch Sie, meine Damen und Herren von der GroKo, durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, durch diverse EU-Regularien und Exekutivmaßnahmen, die den Korridor des Sagbaren immer mehr einengen und freies Denken und Sprechen immer schärfer sanktionieren. Zensur wird betrieben von den Staatsmedien, deren Aufsichtsräte direkt oder indirekt von den Parteien kontrolliert werden und in denen sich ein Gesinnungsjournalismus ausgebreitet hat, der nicht mehr informiert und zum eigenen Urteil anleitet, sondern seine Zwangsbeitragszahler permanent erzieht und gängelt.
({1})
Eine bleierne Decke der politischen Korrektheit hat sich über das Land gelegt. Offene Debatten über zentrale Zukunftsfragen unserer Gesellschaft sind fast nicht mehr möglich. Schuld daran sind nicht die bösen Populisten, schuld daran ist Ihre Politik, werte Altparteien.
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Zensur wird aber auch betrieben von einem linken Mob auf der Straße – vermischt mit grüner und linker Parteijugend –, der Vorträge und Lesungen stört und blockiert, Professoren in Hörsälen niederbrüllt und physisch attackiert und der den Veranstaltern und Wirten offen mit Gewalt droht und diese auch durchführt, wenn sie es wagen, ihre Räume politisch missliebigen Personen oder Parteien zur Verfügung zu stellen.
Für die Alternative für Deutschland ist das tagtägliche Realität im demokratischen Rechtsstaat Deutschland. Deshalb können wir uns ein sehr bitteres Lächeln nicht verkneifen, wenn nun auch Herr Lindner von der FDP oder Herr de Maizière von der CDU – der eine an der Universität Hamburg, der andere beim Versuch einer Lesung in Göttingen – an ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gehindert worden sind, meist ja von sogenannten Linksaktivisten, in Wahrheit Linksfaschisten.
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Jetzt, wo es Ihnen selber passiert, ist die Empörung groß. Aber Sie haben dadurch Gelegenheit, zu begreifen: Es sind die Geister, die Sie selber riefen, die jetzt über Sie herfallen. – Mit diesen linksradikalen Kräften paktieren Sie in Wahrheit jedes Mal, wenn Sie sich hier mit Linken und Grünen zusammen „die demokratischen Fraktionen“ nennen und im Namen der Demokratie immer neue Maulkörbe erlassen und die Zensurmaßnahmen der EU durchwinken wie jüngst im Rahmen des Global Compact for Migration.
({4})
Vergangene Woche wurde Bernd Lucke, AfD-Mitbegründer und jetzt wieder Ökonomieprofessor an der Universität Hamburg, von einer linksextremen Meute im Hörsaal als „Nazischwein“ beschimpft und unter „Hau ab!“-Rufen aus dem Hörsaal vertrieben. Die Leitung der Exzellenzuniversität Hamburg zeigte sich exzellent nur im Lavieren und Relativieren dieser skandalösen Vorgänge.
Meine Damen und Herren, dieser Hörsaal dort ist nach Agathe Lasch benannt, einer jüdischen Professorin, die 1934 aus dem Hörsaal vertrieben worden ist. Heute wird Bernd Lucke daraus vertrieben.
({5})
Das ist nicht dasselbe, Gott sei Dank, aber diesen pikanten Zusammenhang sollten Sie sich einmal zu Gemüte führen.
Und Sie sollten erkennen, Sie von den sogenannten bürgerlichen Parteien, dass morgen Sie die „Nazischweine“ sein werden und Ihnen der Mund verboten wird, wenn Sie sich weiterhin von den Kulturmarxisten diktieren lassen, was politisch korrekt ist und was nicht.
({6})
Es sei denn, Sie passen sich bedingungslos an und verlieren den letzten Rest Ihrer Bürgerlichkeit.
({7})
Es gibt nur noch ganz wenige Altnazis in Deutschland; die vegetieren irgendwo über 90-jährig dahin.
({8})
Daneben gibt es ein paar tausend Neonazis, die hat die Polizei weitgehend im Griff; im Diskurs haben sie gottlob nichts zu sagen. Darüber hinaus ist der Schmähbegriff „Nazi“, der heute von Ihnen inflationär verwendet wird, nichts anderes als ein Mittel der niederträchtigen Diffamierung klassischer bürgerlicher und konservativer Positionen, meine Damen und Herren.
({9})
Jetzt höre ich Sie schon schreien: Aber die Hassrede, all die Diskriminierung und Herabsetzung, das muss doch geahndet werden! – Meine Damen und Herren, wir haben dafür bereits das Strafgesetzbuch. Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede: Diese Straftatbestände sind schon alle vorhanden. Aber wissen Sie, welche Beispiele die Bundeszentrale für politische Bildung für angebliche Hassrede bringt? Ich zitiere: „Bewusste Verbreitung uninformierter oder falscher Aussagen“, wie zum Beispiel „Flüchtlinge haben alle teure Handys“ oder „Flüchtlinge müssen im Supermarkt nicht bezahlen“. Das soll Hassrede sein.
({10})
Meine Damen und Herren, beides ist in großer Zahl nachweislich schon vorgekommen. Nur die Pauschalisierung ist zu beanstanden.
({11})
Wer die Benennung von Tatsachen als Hassrede brandmarkt, der will keine demokratische Debatte, der will zensieren, einschüchtern, unterdrücken.
({12})
Lassen wir nicht zu – ich komme zum Schluss –, dass der Begriff der Demokratie systematisch umgebogen und umgelogen wird zu einem Tarnnamen für Gesinnungsdiktatur. Wer im Namen der Demokratie die Meinungsfreiheit unterdrückt, der ist kein Demokrat, schon gar kein „Basisdemokrat“, sondern muss mit allen Mitteln des Rechtsstaats in die Schranken gewiesen werden. Das sollte hier in diesem Hohen Haus eigentlich Konsens sein.
({13})
Es gab dafür jetzt in der Debatte Gott sei Dank auch schon gute Ansätze: Herr Kubicki, Herr de Maizière.
Vielen Dank.
({14})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Barbara Hendricks das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicher bin ich nicht die einzige Abgeordnete in diesem Haus, die sich schon Beleidigungen hat anhören müssen, vermutlich gibt es kaum jemanden in den demokratischen Fraktionen,
({0})
der nicht schon bedroht, diffamiert und bepöbelt wurde.
({1})
– Es sind alle Mitglieder aller Fraktionen demokratisch gewählt – das ist nicht zu bestreiten –; aber es sind nicht nur Demokraten gewählt worden.
({2})
Ich persönlich bin meistens relativ gelassen mit Beleidigungen umgegangen, nur selten habe ich etwas zur Anzeige gebracht. Die Kollegin Renate Künast hat dies jedoch kürzlich getan. Sie wurde auf Facebook aufs Übelste beschimpft und hat sich dagegen gewehrt. Das Landgericht Berlin wertete Beschimpfungen wie – ich zitiere – „Dreckschwein“ und „Sondermüll“ allerdings nicht etwa als Beleidigungen, sondern als – ich zitiere wieder – „legitime Meinungsäußerungen“ mit Sachbezug. Die Richter hatten auch die Aussage, man müsse der Kollegin Renate Künast „die Fresse polieren“, als sachbezogen bewertet. Gegenstand des Gerichtsverfahrens waren auch noch deutlich schlimmere Beleidigungen, die ich hier nicht wiederholen will. Ich halte das Urteil für gefährlich.
({3})
Ich will nicht im eigentlichen Sinn eine Urteilsschelte machen. Aber im Ergebnis halte ich es für gefährlich.
({4})
Es zeigt ein Problem, das es zwar immer gab, das mit dem Wiedererstarken des Rechtsextremismus jedoch eine neue Dimension erreicht hat. Es geht um die Frage, was wir unter Meinungsfreiheit verstehen. Da lohnt natürlich ein Blick in Artikel 5 des Grundgesetzes:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
Dies ist ein hohes Gut und ein Gradmesser für alle demokratischen Staaten.
Das Grundgesetz garantiert jedem Menschen in Deutschland, seine Meinung frei zu äußern und sie mit anderen zu teilen – allerdings, und das darf nicht vergessen werden, ist die Voraussetzung allen Handelns in diesem Land Artikel 1 des Grundgesetzes:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Das berücksichtigt eben auch Artikel 5 des Grundgesetzes, indem zwar jedem das Recht eingeräumt wird, seine Meinung zu äußern, jedoch nur, solange die Würde anderer Menschen gewahrt wird. Dies vergessen leider viele, wenn sie davon reden, dass es in diesem Land keine echte Meinungsfreiheit und Pressefreiheit gebe.
Auch das Strafrecht setzt natürlich klare Grenzen: Es gibt zahlreiche Straftatbestände, die regeln, was noch unter Meinungsfreiheit zu verstehen ist und wo Grenzen überschritten werden. Dazu zählen unter anderem Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Volksverhetzung, und zwar ausdrücklich und einschließlich der Leugnung des Holocaust. Wenn in unserem Land eine wegen Leugnung des Holocaust rechtskräftig verurteilte Delinquentin einen Unterstützerkreis hat, der sie mit Finanzmitteln ausstattet, so ist das gewiss eine nonverbale Meinungsäußerung, aber als solche noch nicht strafbar.
Neben der rechtlichen Dimension gibt es natürlich auch eine politisch-philosophische Dimension, die für unser Zusammenleben ganz elementar ist. Rosa Luxemburg drückte es so aus: Die Freiheit ist immer auch zugleich die Freiheit der Andersdenkenden.
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Das impliziert, dass der Andersdenkende sich auf diese Freiheit berufen kann, aber unmittelbar und zugleich die Freiheit des wiederum Andersdenkenden zu respektieren hat.
Gerade unsere parlamentarische Demokratie lebt von der Vielfältigkeit der Meinungen, und über diese lässt sich natürlich vortrefflich streiten. Doch dabei geht es um inhaltliche, sachbezogene Differenzen. Ich bin nicht immer einer Meinung mit den Kolleginnen und Kollegen etwa der Union, respektiere jedoch ihre Meinung und weiß, dass auch die Abgeordneten von CDU und CSU meine Meinung respektieren. Dies ist eine wesentliche Errungenschaft unserer Demokratie.
Wir müssen jedoch unterscheiden zwischen Meinungen und Hetze. Denn leider sitzen heute in deutschen Parlamenten wieder Rechtsextremisten. Auch in diesem Haus gibt es Abgeordnete, die immer wieder die Meinungsfreiheit bedroht sehen, weil Menschen den kruden und teils menschenverachtenden Thesen der AfD widersprechen. Der Abgeordnete Gauland sagte im Mai, Grüne und Linke hätten sich schon seit Langem daran gemacht, die Meinungsfreiheit schleichend und schrittweise einzuschränken. Die beiden Vorredner der AfD haben genau dieses auch zum Ausdruck gebracht, wie Herr Gauland es auch im Mai gesagt hat.
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– Genau darauf kommen wir: Was ist die Wahrheit?
Herr Gauland, Ihnen und Ihren absurden Vorstellungen vom Traum eines völkischen und autoritären Staates zu widersprechen, ist nicht nur genau die Meinungsfreiheit, die sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes gewünscht haben, meiner Meinung nach ist es die Pflicht jeder Demokratin und jedes Demokraten in diesem Land,
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Ihnen immer zu widersprechen, wenn Sie und Ihre Anhänger Menschen ausgrenzen und Minderheiten gegeneinander ausspielen. Denn es gibt nicht die Freiheit, unwidersprochen nationalistische Hetze zu verbreiten.
Das verstehen Sie jedoch nicht. Sie verstehen unter Meinungsfreiheit, Ihre Ideologie zu verbreiten, und Sie sehen jede Kritik an Ihren Thesen als Einschränkung Ihrer Freiheit -
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Kollegin Hendricks, achten Sie bitte auf die Zeit.
– noch einen Satz, Frau Präsidentin – und leiten daraus eine vorgebliche Opferrolle ab.
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Genauso, wie wir die teils unerträglichen und herabwürdigenden Ausführungen der AfD in diesem Haus und in der öffentlichen Debatte ertragen müssen, werden Sie unseren Widerspruch ertragen müssen.
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Das Wort hat der Kollege Konstantin Kuhle für FDP-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong demonstrieren in diesen Tagen ständig Tausende Menschen, weil sie Angst davor haben, dass ihnen ganz grundlegende Menschen- und Bürgerrechte weggenommen werden. Zu diesen Menschen- und Bürgerrechten gehört auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Wir sollten uns in diesem Haus mit Sympathie und mit Solidarität an die Seite aller Menschen auf der Welt stellen, die für die Meinungsfreiheit demonstrieren, meine Damen und Herren.
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Das sollten wir tun, weil wir das große Geschenk erhalten haben, in einem Land leben zu dürfen, in dem die Meinungsfreiheit durch die beste Verfassung, die es auf deutschem Boden jemals gegeben hat, geschützt ist – und das ist das Grundgesetz. Wer, meine Damen und Herren, nicht in der Lage ist, eine Diktatur von einer Demokratie zu unterscheiden, der ist nicht nur ethisch und moralisch völlig verwahrlost, der ist auch ohne jeden inneren Kompass für eine politische Tätigkeit.
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Deswegen muss man klar sagen: Es macht einen Riesenunterschied, ob man in einem totalitären und in einem autoritären Regime lebt oder ob man in einem freiheitlichen Verfassungsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland lebt. Zu dieser Familie gehören auch wir hier im Deutschen Bundestag. Man muss einen klaren Strich zwischen diesen beiden Systemen ziehen.
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Davon sind, meine Damen und Herren, Extremisten auf beiden Seiten des politischen Spektrums betroffen; denn wir haben auf beiden Seiten des politischen Spektrums Extremisten, die ein romantisches Verhältnis zu Diktaturen haben.
Auf der einen Seite gibt es Rechtsextremisten, die nach Syrien fahren, um sich mit dem Assad-Regime zu treffen.
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Dazu sage ich: Syrien ist eine Diktatur. – Ich bin davon überzeugt, dass es in Deutschland genug Menschen gibt, die lieber in Deutschland leben wollen, wo die Meinungsfreiheit geschützt ist, und nicht in Syrien.
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Und, meine Damen und Herren, auf der anderen Seite gibt es Menschen aus der Linksfraktion, die nach Venezuela zu einem Präsidenten fahren, der die Oppositionellen ins Gefängnis schmeißt und das eigene Volk verhungern lässt, um mit dem ein Selfie zu machen. Dazu kann ich nur sagen: Es gibt in Deutschland genug Menschen, die bei uns leben wollen, weil hier die Meinungsfreiheit geschützt ist und nicht wie in einer Diktatur – in Venezuela – missachtet wird.
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Weil auf der Welt sehr genau beobachtet wird, wie die Situation der Meinungsfreiheit bei uns in Deutschland ist, müssen wir in Deutschland doch gerade die Meinungsfreiheit hochhalten, wertschätzen und verteidigen. Statt nur abstrakt über die Reichweite, über den Gehalt der Meinungsfreiheit zu diskutieren, müssen wir sie tagtäglich leben.
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Und das bedeutet, dass man skeptisch ist gegenüber staatlichen Maßnahmen wie einer Ausweitung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.
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Das bedeutet, dass man kritisch ist bei staatlichen Maßnahmen wie der Einführung von Uploadfiltern. Viele junge Menschen machen sich Sorgen um eine immer weitere Zensur, um eine immer weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit, gerade im Internet. Deswegen gehört auch ein wachsames Auge auf die Tätigkeiten des Staates zu einer Verteidigung der Meinungsfreiheit in Deutschland.
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Die Meinungsfreiheit muss aber nicht nur mit Blick auf den Staat verteidigt werden. Sie muss in Deutschland auch mit Blick auf die Gesellschaft verteidigt werden. Es ist absolut inakzeptabel, dass in meinem Wahlkreis in Göttingen der ehemalige Bundesminister Thomas de Maizière keine Autorenlesung halten kann. Ich kann mich an mein eigenes Studium erinnern – das ist noch nicht ganz so lange her –, wo Diskussionen mit dem damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière in Hamburg zu den absoluten Highlights gehörten. Er hat sich gut geschlagen; aber er hat auch zwei Stunden massiv von den Studierenden einstecken müssen. Beide haben ihren Punkt gemacht – der damalige Minister und die Studierenden.
Das ist doch die Art und Weise, wie wir unsere Studierenden an den Hochschulen, wie wir unsere Schüler an den Schulen auf den Meinungskampf vorbereiten wollen. Was wollen wir für Menschen, für Persönlichkeiten in den Universitäten und in den Hochschulen heranziehen? Wollen wir Menschen, die beim ersten Kontakt außerhalb ihrer Filterblase vor Empörung zusammenbrechen? Oder wollen wir Persönlichkeiten, die in der Lage sind, im Zweifelsfall auch in harter Diskussion die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Meinungskampf zu verteidigen?
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Wenn Sie das Zweite wollen, wenn Sie diese Persönlichkeiten wollen, meine Damen und Herren von der SPD, dann müssen Sie in Hamburg auch Christian Lindner reden lassen und nicht nur Sahra Wagenknecht.
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Die Tatsache, dass die Universität Hamburg derzeit eine Veranstaltung mit Sahra Wagenknecht genehmigt hat, aber eine Veranstaltung mit Christian Lindner nicht, zeugt mit Blick auf die Meinungsfreiheit von reiner Willkür. Und diese Entscheidung kann keinesfalls Bestand haben, meine Damen und Herren.
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Ich weiß, dass viele von Ihnen – ich halte das für ein ehrenwertes Anliegen – gerade deshalb mit Blick auf Diskussionen in Hochschulen und Schulen skeptisch sind, meine Damen und Herren von Linken, SPD und Grünen, weil Sie Sorge haben, dass dann die AfD-Vertreter dort zu Wort kommen. Aber ich kann Ihnen eines sagen: Die meisten von der AfD sind so schlecht, dass wir als Demokratinnen und Demokraten es immer schaffen werden, gegen die anzugehen.
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Wir werden es immer schaffen – mit den besseren Argumenten, mit unserer Leidenschaft, mit unserem Mut für die freiheitlich-demokratische Grundordnung –, auch in Diskussionen gegen die AfD Bestand zu haben. Ich habe mich noch nie vor einer Diskussion mit der AfD gedrückt. Ich werde das auch weiterhin nicht machen,
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weil ich davon überzeugt bin, dass wir Demokraten – nicht nur wir Freien Demokraten – die besseren Argumente in der Auseinandersetzung mit der AfD haben.
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Dass die so schlecht sind, sieht man schon daran, dass sie es nötig haben, mit Michael Roth ein Mitglied der Bundesregierung anwaltlich abmahnen zu lassen, weil Michael Roth im Meinungskampf eine Äußerung gegen die AfD gemacht hat. Wie peinlich ist das eigentlich,
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dass ihr Mitgliedern dieses Hauses einen Anwalt auf den Hals hetzt, weil ihr die Meinung nicht ertragen könnt?
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Kollege Kuhle.
Das zeigt schon: Wir brauchen uns um die demokratische Auseinandersetzung keine Sorgen zu machen. Wir können gegen die Feinde der Demokratie Bestand haben, wenn wir die Meinungsfreiheit mutig und mit Leidenschaft nutzen.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Volker Ullrich das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Grundgesetz-Kommentar steht, die Meinungsfreiheit sei das vornehmste Grundrecht. Ich meine: Sie ist weit mehr. – Die Meinungsfreiheit ist nicht nur die Folge einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft, sondern sie ist ihre Voraussetzung. Meinungsfreiheit ist weitgehend; es gehören auch Meinungen dazu, die wir als abseitig oder unangenehm empfinden. Aber jeder, der eine solche Meinung äußert, muss auch Widerspruch ertragen können.
Die Grenze ist dort erreicht, wo das Strafrecht ins Spiel kommt, die Verletzung der Würde des Menschen, die Leugnung des Holocausts. Es gibt kein Recht auf Meinung, welche einen Straftatbestand erfüllt, und es gibt kein Recht auf Volksverhetzung und Antisemitismus.
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Gewalt oder Drohung kann niemals Teil einer politischen Auseinandersetzung sein. Auch das gehört dazu, wenn wir über Meinungsfreiheit sprechen.
Deswegen möchte ich die Ereignisse der letzten Woche kurz einordnen. Angriffe auf Wahlkreisbüros können unter keinen Umständen Teil einer politischen Auseinandersetzung sein; das ist strafrechtlich relevant und nichts anderes.
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Das Gleiche gilt für Lesungen von Bundestagskollegen. Auch hier kann man trefflich über den Inhalt dessen streiten, was die Kollegen zu sagen haben; aber sie müssen es sagen können. Und wenn im öffentlichen Raum Blockaden stattfinden, dann müssen wir durch Anwendung des Polizei- und Ordnungsrechts dafür sorgen, dass diese Meinung gehört und gesagt werden darf.
Und dann müssen wir über die Hochschulen sprechen. Nach unserer Auffassung sind Hochschulen Räume der Freiheit von Lehre und Forschung, aber auch Räume der Meinungs- und Gedankenfreiheit. Deswegen meine ich, dass selbst, wenn einem die Person eines Hochschullehrers überhaupt nicht passt und man seine Meinung nicht teilt, er doch die Vorlesung halten können muss.
Was die politische Auseinandersetzung betrifft, so meine ich, dass jede Partei gleich behandelt werden muss. Wir sollten zulassen, dass politischer Diskurs an Hochschulen auch stattfindet. Im Wappen der Stanford University steht geschrieben: „Die Luft der Freiheit weht“. Das sollte auch die Debatten an den Hochschulen bestimmen, meine Damen und Herren.
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Wir müssen aber auch auf das Gesamtbild achten. Es gibt Stimmen, auch hier im Hohen Haus, die sagen, in Deutschland gebe es Zensur oder die Meinungsfreiheit sei eingeschränkt und man dürfe nicht mehr alles sagen. Das sind Erzählungen von Extremisten,
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von Rechtspopulisten. Das ist die Erzählung all derjenigen, die unseren Staat verachten und damit auch Erschütterungen in das Vertrauen dieses Staates erzeugen wollen. Das sind keine Demokraten und Verteidiger der freien Meinungsäußerung; das sind diejenigen, die diesen Staat beseitigen wollen. Deswegen lassen wir Ihnen diese Erzählungen, meine Damen und Herren von der AfD, auch nicht durchgehen.
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Wichtig ist, wie wir kommunizieren. Wir sollten offen und mit Respekt kommunizieren. Wir sollten mit unserer Sprache darauf achten, dass sie nicht verroht ist. Wir sollten die Meinung des anderen respektieren, aber wenn sie uns nicht passt, uns auch dagegenstellen, aber mit einer Diktion, wie sie Demokraten entspricht, indem man respektvoll miteinander umgeht und nicht indem man verroht und andere Menschen ihrer Würde beraubt.
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Wir müssen auch über das Urteil des Landgerichts Berlin in Sachen Renate Künast sprechen. Auch wenn man viele Meinungen der Kollegin nicht teilt und auch wenn es uns im Deutschen Bundestag vielleicht nicht ansteht, Gerichtsurteile zu kommentieren, so meine ich schon, dass der Kernbereich der Würde, auch von Politikern, geschützt bleiben muss, damit ein offener, konstruktiver Dialog in unserem Land möglich bleibt.
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Deswegen gilt unsere Solidarität all denjenigen, die auf kommunaler Ebene, in den Stadt- und Gemeinderäten, als Bürgermeister, als Kreisräte angefeindet werden, weil sie für eine offene, tolerante und friedliche Gesellschaft eintreten, weil sie den politischen Diskurs suchen und damit auch Meinungs- und Redefreiheit zum Kernbestandteil unserer Demokratie machen. All diese Kollegen haben unsere Solidarität verdient. Wir sollten ein starkes Zeichen aussenden, dass wir als Bundestag hinter ihnen stehen.
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Ich möchte abschließend Timothy Garton Ash zitieren, der als Träger des Karlspreises zu Aachen heute nicht unerwähnt bleiben soll. Er hat ein großartiges Buch über die Meinungs- und Redefreiheit geschrieben. Er hat gesagt – ich zitiere –:
Wir – alle Menschen – müssen in der Lage und befähigt sein, frei unsere Meinung zu äußern und ohne Rücksicht auf Grenzen, Informationen und Ideen zu suchen, zu empfangen und mitzuteilen.
Das sollte uns leiten. Meinungs- und Redefreiheit bleibt ein wichtiger Bestandteil unserer demokratischen Ordnung.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Helge Lindh für die SPD-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Kollege Kuhle, ich habe weitestgehend mit Freude Ihren Ausführungen gelauscht, erlaube mir aber, anzumerken, dass allein dadurch, dass Herr Lindner mit JuLis an einer Hochschule spricht, sie nicht automatisch ihre eigene Filterblase und Echokammer verlassen. Dazu gehört noch mehr.
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Eigentlich wollte ich mich zu Beginn Herrn Reichardt und Herrn Jongen zuwenden und folgende Frage aufwerfen: Was bilden Sie sich eigentlich ein, wenn Sie hier behaupten, Sie sprächen für das Volk und die Jugend? Das Volk und die Jugend wollen zum überragenden Teil von Ihnen nachweislich nichts wissen.
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Ich habe nie verstanden, wieso Sie in Ausübung Ihrer Meinungsfreiheit, die Sie ja in diesem demokratischen Land genießen, hier immer von den Altparteien sprechen.
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Ist alt ein Makel? Ist es defizitär in diesem Land, alt zu sein?
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Ich glaube nicht.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte mein eigenes De-Maizière-Erlebnis und könnte es mir jetzt ganz einfach machen und sagen: Ich bin selbst Opfer dieser schrecklichen Gesinnungsdiktatur, von der Sie sprechen. Sie existiert aber nicht. Ich habe Folgendes erlebt: Ich wollte in Wuppertal, in meinem Wahlkreis, auf einer Kundgebung gegen eine Sprechstunde von drei AfD-Bundestagsabgeordneten sprechen und wurde davon abgehalten – zunächst auf der Bühne von mehreren Sprechern; immerhin mit einer Abstimmung –, begründet damit, dass ich in diesem Hause Anfang Januar das Migrationspaket offensiv vertreten und dem zugestimmt habe.
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Die Veranstaltung lief dann so, dass wir eine Stunde diskutiert haben, ob ich sprechen könne oder nicht. Am Ende habe ich gesprochen und darauf hingewiesen, dass wir in dieser einen Stunde leider diesen drei AfD-Abgeordneten ein Freudenfest bereitet haben, indem wir nämlich untereinander, unter Demokratinnen und Demokraten, diskutierten, ob wir Rassisten seien oder nicht, und uns nicht auf die eigentliche Herausforderung des Rassismus konzentrierten.
Meine Schlussfolgerung daraus ist aber nicht, zu denken, diejenigen, die verhindern wollten, dass ich da spreche, die die Meinungsfreiheit nicht wirklich verstanden haben, seien Ausüber einer Gesinnungsdiktatur – mitnichten. Meine und unsere Antwort darauf sollte sein, sie erst recht einzuladen, miteinander über Migrationspolitik, Klimapolitik und andere Fragen zu diskutieren; denn das sind der Kern und das Wesen unserer Demokratie. Das macht es aus. Und weil das so ist, weil wir keine Meinungsdiktatur und keine Gesinnungsdiktatur haben, nur deswegen können Sie hier so sprechen, wie Sie es tun. Sie haben Ihre eigenen Behauptungen glänzend widerlegt.
Die Geschichte über das Erlebnis der Einschränkung der Meinungsfreiheit auf meine eigenen Kosten ist aber noch nicht zu Ende. Ich war mit Herrn Frohnmaier bei „Studio Friedman“ zu Gast – das Thema war Antisemitismus – und musste erleben, wie mir Sympathisanten des Rechtspopulisten schrieben – das sind die harmlosesten Formulierungen –: Du Gollum, du Gnom mit Eunuchenstimme, du Ausgeburt der SPD-Inzucht. – Ich glaube, das macht deutlich, dass das, was Sie seitens der AfD hier in Bezug auf Meinungsfreiheit vorführen, zutiefst bigott ist.
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Sie fordern zu Recht für sich Meinungsfreiheit ein, wenn sie Sie aber trifft, treten Sie nicht wie die Vertreter des deutschen Volkes und der deutschen Jugend auf, sondern wie die Vertreter des Bundesverbandes der Mimosen und Selbstmitleidigen.
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Das ist genau der Punkt. Sie können selbst nicht mit Meinungsfreiheit umgehen, und Ihre Sympathisanten können das noch weniger. Deshalb reicht es, glaube ich, auch nicht, dass wir über Meinungsfreiheit sprechen, und es reicht auch nicht – auch wenn das sehr wichtig ist –, dass wir über das Grundgesetz sprechen. Es gibt noch andere Dinge, in die das eingebettet werden muss. Ich benenne diese Dinge: Es gibt so etwas wie politischen Anstand. Es gibt so etwas wie Respekt und Höflichkeit.
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Sie haben viel dazu beigetragen – da können wir uns alle auch manchmal kritisch betrachten –, dem Diskurs in diesem Land manchmal diesen Respekt und diese Höflichkeit auszutreiben. Viele begreifen Meinungsfreiheit nämlich als „man meint, das Recht zu haben, alles sagen zu können, und das unwidersprochen“. Das hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun. Es gibt zu Recht, richtigerweise bestimmte Tabus. Es gibt Dinge, die man nicht sagt. Dabei geht es nicht nur um die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit, sondern dies hat etwas mit den Grundwerten von deutschen Sekundärtugenden
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– wenn man sie so nennen mag – zu tun und damit, wie man anständig mit dem anderen umgeht. Das ist auch ein wesentliches Element. Dazu gehört auch – es wurde schon erwähnt –, dass Sie zum Beispiel den Kollegen Roth wiederholt mit Abmahnungen überziehen. Sie verstehen es nicht, mit Meinungsfreiheit umzugehen. Wenn Sie einmal davon selbst betroffen sind, ziehen Sie sich zurück und greifen zu allen Instrumenten, aber nicht zum Argument. Das zeigt Ihre Schwäche.
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Ich glaube, wir sollten uns nicht von dieser Unkunst der Instrumentalisierung des Missbrauchs treiben lassen. Wir sollten genug Vertrauen in die Demokratie haben, dass wir den Streit austragen können, dass wir das überstehen und dass diese Demokratie stärker sein wird -
Herr Kollege Lindh, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
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– als ihre Herausforderer. Ich freue mich – wenn ich das zum Schluss sagen darf – über die Linken und Grünen, die die von mir vertretene Migrationspolitik so hart wie möglich kritisieren; denn das macht meine Position klarer und besser.
Setzen Sie jetzt den Punkt.
Die Exzellenz aus dem anderen Lager – seien es die Liberalen, sei es die Union, seien es die Linken, seien es die Grünen – hilft uns und mir, unsere eigene Position zu stärken. Das ist es, was wir brauchen. Das ist der Kern von Meinungsfreiheit. Wir werden sie feiern und nicht verhindern.
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Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, diese Aktuelle Stunde, die wir heute zur Meinungsfreiheit hier hatten, hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Meinungsfreiheit in Deutschland ein Thema ist, über das wir erstens reden müssen – insofern war es richtig, eine solche Debatte aufzusetzen –, und dass sie zweitens natürlich eine juristische Dimension hat, aber vor allen Dingen eine politische und eine menschliche.
Und wenn man zur juristischen Dimension kommt: Ja, dann stimmt es, dann haben wir es in Artikel 5 unseres Grundgesetzes geregelt – wir schauen uns das Ranking von Reporter ohne Grenzen an und sehen, dass Deutschland seit Jahren und Jahrzehnten ganz oben steht. Ja, in der Tat, der Staat sorgt dafür, dass es Meinungsfreiheit in Deutschland gibt, und niemand, der hier oder sonst irgendwo in Deutschland spricht, muss befürchten, dass der Staat ihn dafür zur Rechenschaft zieht, wenn er sich im Rahmen des Strafrechts bewegt.
Und wenn wir einen Blick in die Welt werfen und in die Geschichte unseres Landes, dann sehen wir, dass das alles andere als selbstverständlich ist. Wenn wir in die Welt schauen, dann sehen wir, dass wir mit solchen Problemen weltweit überall zu kämpfen haben und bei uns in Deutschland nicht.
Und wenn wir in die Geschichte schauen und in diesem Herbst 30 Jahre Mauerfall gedenken, dann müssen wir eben auch wissen, dass die Mauer nicht nur die Fortbewegungsfreiheit der Menschen eingeschränkt hat, sondern dass sie auch ein Symbol für die Unfreiheit der Menschen war, und nur einen Steinwurf von diesem Platz entfernt, gab es Menschen, die etwas gesagt haben, das nicht botmäßig war, und dafür Repressalien durch den Staat zu erleiden hatten. Das ist in der Tat etwas, was wir auch in den Rahmen unserer Betrachtungen stellen müssen.
Trotzdem – es ist zitiert worden – gibt es viele Studien, die da sagen: Menschen fühlen sich unwohl, haben den Eindruck: Wenn ich meine Meinung nicht sage, wie sie ist, dann komme ich besser durchs Leben. Dann kann mir nichts passieren; dann werde ich nicht in irgendeine Ecke gestellt. – Das ist schon etwas, was wir ernst nehmen müssen.
Ich fand es gut, dass in dieser Debatte auch entfaltet wurde, dass Meinungsfreiheit immer auch ein Gegenstück hat und dass man das Gegenstück aushalten muss. Aber das, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, sprengt schon die Vorstellungskraft. Was sich Extremisten von links und von rechts und Ideologen, die glauben, dass sie die Wahrheit gepachtet haben, erlaubt haben bei der Blockade einer Vorlesung, bei der Blockade einer Buchlesung eines langjährigen Ministers,
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der als Verfassungsminister mehr als andere jeden Tag für den Schutz unserer Grundrechte und auch der Meinungsfreiheit eingestanden ist, wenn ein Kollege aus diesem Hause eine Veranstaltung zu Antisemitismus macht und anschließend sein Wahlkreisbüro in Schutt geschlagen wird, dann ist das etwas, was nicht akzeptabel ist.
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Und es ist genauso, es ist genau das Gleiche: Wir haben Ökoradikale auch hier in Berlin erlebt, die glauben, dass sie die Wahrheit gepachtet haben,
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die glauben, dass ihnen das das Recht gibt, sich über die demokratischen Spielregeln und auch die Regeln unseres Rechtsstaats hinwegzusetzen. Und das geht genauso wenig; weil, wenn jemand glaubt, dass sein Anliegen wichtiger ist als Demokratie, dann ist das der Anfang vom Ende.
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Wenn jemand glaubt, dass er bestimmen kann, was diskutiert werden kann und was nicht, dann ist genau das nicht akzeptabel.
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Ich erinnere mich sehr gut an die Rede des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble hier an dieser Stelle zu Beginn dieser Wahlperiode, als er darauf hingewiesen hat, dass niemand das Volk alleine vertritt – niemand hier von uns und auch sonst niemand in Deutschland. Wir kommen aus dem ganzen Land hier zusammen, und erst der Meinungsaustausch, der Diskurs über die Themen führt letztlich dazu, dass hier ein Volkswille gebildet wird, und das gilt im Deutschen Bundestag, und das gilt natürlich genauso in unserem Land insgesamt. Wir sollten nicht dem Trugschluss erliegen, dass nur wir allein wüssten, was die Wahrheit ist, was richtig ist.
Deswegen hat das Ganze neben der rechtlichen Komponente, um die wir uns kümmern müssen, eben auch eine zutiefst persönliche. Für die rechtliche Komponente, Frau Bundesjustizministerin, ist klar, dass wir für die Phänomene, die neu hinzukommen, Antworten finden müssen, dass wir Dinge, die wir im analogen Leben geregelt haben, eben auch für das Internet regeln müssen. Und wir müssen auch schauen, ob die Taten, die dort begangen werden, nicht ein höheres Unwerturteil verdienen als im analogen Leben, weil sie eben auch eine ganz andere Wirkung haben.
Das sind die Themen, um die wir uns kümmern müssen – und darüber hinaus aber auch die Frage, wie wir miteinander umgehen, dafür sind wir hier im Hause auch ein Stück weit Vorbild. Wir können ein gutes Vorbild sein oder ein schlechtes Vorbild sein für die Menschen. Wir sollten uns für Ersteres entscheiden, und wir sollten damit einen positiven Beitrag zur politischen Debatte in unserem Land leisten.
Herzlichen Dank.
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