Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine ganz alltägliche Entscheidung, die wir heute treffen. In jahrzehntelangen Debatten ist es den Ländern und dem Bund nicht gelungen, das Grundsteuerrecht zu reformieren. Wir bringen diese Aufgabe heute zu einem erfolgreichen Abschluss. Ich glaube, wir geben den Ländern für die Umsetzung hinreichend Zeit, nämlich bis zum 31. Dezember 2024.
Wir ändern das Grundgesetz in den Artikeln 72, 105 und 125b so, dass die Gesetzgebungskompetenz des Bundes eindeutig geregelt und den Ländern Spielraum für eigene Gesetze eröffnet wird. Die Diskussion war nicht einfach. Es ist aber der in unserer Zeit viel zu gering geschätzte Kompromiss, zu dem demokratische Parteien in der Demokratie fähig sind – mit Ausnahme der AfD.
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Weil mit der Grundsteuer die letzte vermögensbezogene Steuer in Deutschland erhalten bleibt, wird den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern sicherlich ein Stein vom Herzen fallen. Wir erhalten und sichern kommunale Einnahmen in einer Größenordnung von rund 15 Milliarden Euro im Jahr. Ihr Wegfall ab dem 1. Januar 2020, also ab kommenden Januar, hätte dem öffentlichen Finanzierungssystem erheblichen Schaden zugefügt, auch die kommunale Selbstverwaltung wäre bedroht worden. Leidtragende einer solchen Entwicklung wären die Bürgerinnen und Bürger gewesen, deren Kommunen ihre Infrastruktur nicht mehr hätten sicherstellen können.
Ihre Belastung, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die im Durchschnitt bei etwa 18 bis 20 Cent pro Quadratmeter im Monat liegt, wollen wir insgesamt gesehen nicht erhöhen. Darum geht es uns überhaupt nicht. Durch die drastische Reduzierung der bundeseinheitlichen Steuermesszahl nehmen wir unsere Verantwortung wahr, damit das Gesamtvolumen der Grundsteuer in Höhe von etwa 15 Milliarden Euro maßgeblich erhalten bleibt. Das ist eben Aufkommensneutralität.
Die Verantwortung der Kommunen über die Höhe des kommunalen Hebesatzes bleibt gesichert, das kommunale Hebesatzrecht bleibt erhalten. Das ist für uns unverzichtbar. Vergessen Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, also all die Horrorszenarien um explodierende Mieten und Umzugszwänge, die von interessierter Seite in die Diskussion um die Grundsteuer eingebracht worden sind. Alles heiße Luft!
Lange Zeit erschien es so, als könne man sich auf der Basis von Kompromissen auf ein bundesweit einheitliches Bewertungsrecht verständigen. Erst sehr spät hat sich vor allem Bayern mit seinen Länderinteressen quergestellt.
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Das hat zu einer Öffnungsklausel geführt. Kompromiss eben! Dennoch bleibt das bundesweit gültige Bewertungsrecht bestehen. Kein Kompromiss! Wir halten weiterhin ein Grundsteuerrecht, das neben der Fläche auch den Wert von Grundstücken und Immobilien berücksichtigt, weil sich darin die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit spiegelt, für richtig und angemessen. Und das ist gut so! Das ist für uns von der SPD wichtig. Das ist ein Erfolg der SPD.
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Die neue Grundsteuer ist gerecht; denn wir stellen sicher, dass der Villenbesitzer in einer begehrten Lage nicht bessergestellt wird und weniger Steuern zahlt als der Besitzer einer einfachen Immobilie in einer Randlage. Diese eklatante Ungerechtigkeit nehmen Befürworter des sogenannten reinen Flächenmodells, wenn es denn irgendwann überhaupt kommen sollte, bewusst in Kauf.
Wir beschließen heute eine Gesetzesreform aus drei Elementen. Wir fangen mit der Grundgesetzänderung an. Wir sichern auf diese Art und Weise explizit die Bundeskompetenz für die Grundsteuer. Das ist damit eindeutig und zukunftsfest. Die Länder können die Öffnungsklausel nutzen, um eigene Grundsteuergesetze zu beschließen. Wir sorgen aber auch dafür, dass sich kein Land auf Kosten anderer Länder bereichert. Für die Berechnung des Länderfinanzausgleichs gibt es eine bundeseinheitliche Berechnung auf der Grundlage des Bewertungsrechtes des Bundes. Das bleibt so, und das ist auch wichtig.
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Dieser Punkt war bis zuletzt Gegenstand vieler Diskussionen, weil es hier Misstrauen gab. Deswegen Folgendes:
Erstens: die Öffnungsklausel. Sie ist im Steuerrecht nicht Ausdruck von Föderalismus, sondern sie ist Ausdruck von Provinzialismus
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und im Übrigen eine Variante, vor der die Wirtschaft, Herr Michelbach, massiv warnt, weil sie genau weiß, dass sie Bürokratie in Reinform produziert. Das ist so. Sie konterkariert im Übrigen auch das Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse; dies nur als kleiner Tipp an Herrn Seehofer.
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– Das ist überhaupt kein Quatsch. Denken Sie nach, dann kommen Sie darauf.
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Zweitens: die Schattenrechnung. Sie suggeriert, dass Bürger eine doppelte Grundsteuererklärung abgeben müssten, einmal nach Bundes- und einmal nach Landesrecht. Das ist einfach Unsinn. Wir wollen und werden daraus keine Zusatzbelastungen für die Bürgerinnen und Bürger machen.
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Deshalb war es für uns nicht so dramatisch, vor allem der FDP-Fraktion durch leichte Änderungen bei Formulierungen entgegenzukommen, um unverhältnismäßigen Aufwand für die Verwaltungen und die Bürgerinnen und Bürger auch sprachlich auszuschließen. Die FDP kann das zu ihrem Erfolg erklären. Das ist in Ordnung. Jeder muss seine Zustimmung legitimieren. Ich sage auf jeden Fall herzlichen Dank dafür.
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Wenn wir in das Bewertungsgesetz schauen, sehen wir, dass für uns die wertabhängigen Grundlagen für die Berechnung der Grundsteuer besonders wichtig sind. Wir wollen eine gerechte Steuer. Warum? Das Bundesverfassungsgericht hat die veralteten Einheitswerte für verfassungswidrig erklärt, weil sie gegen das Gleichheitsgebot verstoßen, weil die tatsächlichen Werte dabei von den Steuern entkoppelt worden sind. Im Flächenmodell werden unterschiedliche Immobilien gleichgesetzt. Das heißt mit anderen Worten, eine Ungerechtigkeit wird durch eine andere Ungerechtigkeit ersetzt. Daher ist das Einfach-Modell aus unserer Sicht ein Einfach-ungerecht-Modell.
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Wir halten es für problematisch und auch für klageanfällig.
Jetzt kommen wir zum Bürokratiemonster. Dieser Vorwurf kommt immer aus einer bestimmten Ecke. In die Berechnung der Grundsteuer werden künftig für Wohnbaugrundstücke fünf Parameter eingehen: Grundstücksfläche, Bodenrichtwert, Immobilienwert, Alter des Gebäudes und Mietniveaustufe. Heute sind es 20. Statt 20 jetzt 5 – ist das mehr Bürokratie?
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Für Gewerbegrundstücke sinkt die Zahl der Angaben von 30 auf maximal 8. Statt 30 nun 8 – ist das mehr Bürokratie? Nein, ist es nicht.
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Ob die Bürokratie bei der Flächensteuer geringer werden wird, werden wir noch sehen.
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– Weil da jahrelang von den Ländern nichts gemacht wurde.
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– Ganz genau. Daran waren Sie in den Ländern mit beteiligt. So ist das.
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– Doch, auch wir waren dabei. Deswegen machen wir das ja. Wir helfen Ihnen, dass auch Sie zustimmen können.
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Gerne wird auch die Behauptung aufgegriffen, das Ganze sei ein Mietenturbo oder ein Steuerturbo.
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Eines ist klar: Wer aufgrund der überholten Berechnungsgrundlagen ungerechtfertigt zu viel zahlt, wird künftig weniger zahlen. Wer aus denselben Gründen heute vergleichsweise zu wenig zahlt, wird in der Zukunft mehr zahlen. Das ist schlicht und ergreifend so. Das ist unbestreitbar richtig, egal in welchem Modell.
Die Grundsteuer ist aber die am wenigsten beklagte Steuer in Deutschland. Das zeigt zweierlei: Sie wird akzeptiert und ist in der Höhe nicht so belastend. Sie treibt niemanden aus der Wohnung oder macht das Wohnen unbezahlbar. Auch die Kommunen haben sich zum gemeinsamen Ziel der Aufkommensneutralität bekannt. Das ist gut so.
Herr Präsident, ich will noch ein paar Sätze zur Grundsteuer C sagen. Sie ist für uns ein Beitrag zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, ein Stück weit jedenfalls Sicherung der kommunalen Freiheit. Das ist für uns wichtig. Die Kommunen dürfen selber entscheiden, ob und aus welchen Überlegungen sie die Grundsteuer C erheben wollen, zum Beispiel um den Wohnungsmarkt zu mobilisieren, um Spekulationen einzudämmen oder aus allgemeinen Gründen der Stadtentwicklung. Das ist gut so.
Ich möchte mich zu guter Letzt bei allen Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, der FDP und von den Linken herzlich bedanken, die im parlamentarischen Verfahren, vor allem in den zahlreichen Berichterstattergesprächen mit der Koalition, konstruktiv und verantwortungsvoll an dieser Grundsteuerreform mitgewirkt haben. Ebenso möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BMF bedanken, namentlich bei Minister Olaf Scholz. Mein besonderer Dank gilt dem Kollegen Fritz Güntzler. Ich will das an dieser Stelle ausdrücklich feststellen. Lieber Fritz, wer so konstruktiv und teamfähig in den gemeinsamen Gesprächen agiert, dem traue ich auch zu, die anspruchsvolle Aufgabe des neuen Kapitäns des FC Bundestag zu erfüllen. Herzlichen Glückwunsch auch dazu.
Vielen Dank an Sie alle.
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Albrecht Glaser, AfD, hat als nächster Redner das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das vorgelegte Gesetzespaket der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen ist der Versuch, ein viele Jahre lang verdrängtes Problem kurz vor Ablauf der durch das Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist bis Ende des Jahres auf Teufel komm raus zu lösen. Die Grundsteuer ist ein Fossil aus der Agrargesellschaft, als Landnutzung noch eine große Quelle von Wohlstand war. Sie wurde zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten auf die Bodennutzung zum Wohnen erstreckt. Um den Steuergegenstand messbar zu machen, musste er bewertet werden. Eine Substanzbewertung dieses Steuergegenstandes erschien lange Zeit einfacher als die Erfassung von Einkommen.
Im Zuge des Aufbaus der Einkommensteuersystematik im 19. Jahrhundert wurden folgerichtig die Erträge aus Verpachtung von Boden, aus Waldnutzung und aus Vermietung von Gebäuden der Einkommensteuer unterworfen. Da – unbeschadet vieler neu erfundener Steuern – einmal erhobene Steuern wegen fiskalischer Gier ein ewiges Leben haben, weste die Grundsteuer neben der Einkommensteuer einfach weiter. Da der Obrigkeitsstaat noch keine rationale, verfassungsrechtlich legitimierte Steuererhebung kannte, störte das so lange nicht, bis die moderne Steuertheorie – auch und gerade durch das Bundesverfassungsgericht auf vortreffliche Weise entwickelt – die Fragen nach den Erhebungsgründen, der Leistungsgerechtigkeit und der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen stellte. Zudem verlangt die Steuertheorie ein ökonomisches Verhältnis zwischen Steueraufkommen und dem Erhebungsaufwand.
Bei all diesen Kriterien sieht die Grundsteuer alt aus. Um beim Einfachen anzufangen: Das jährliche Aufkommen der Grundsteuer beträgt knapp 14 Milliarden Euro. Das sind rund 2 Prozent des Steueraufkommens des Gesamtstaates. Um es zu erzielen, müssen 35 Millionen Besteuerungsobjekte, vorwiegend Häuser und Wohnungen, periodisch bewertet werden. Dafür braucht es mehrere Tausend Steuerbeamte, die demnächst eingestellt werden sollen – es gibt sie gar nicht –, die jedoch nur zeitweise damit beschäftigt sind; im Übrigen streichen sie das Finanzamt an. Da die Bewertung schon in der Vergangenheit nicht geklappt hatte und zum letzten Mal 1936 stattfand, musste das Bundesverfassungsgericht schon allein deshalb die in diesen Jahren erhobene Grundsteuer für verfassungswidrig erklären. Das hat es mit vorheriger, mit reichhaltiger Ansage 2018 getan; von jedem Fachmenschen war das lange erwartet worden und vorhergesehen.
Das Bundesverfassungsgericht musste sich dabei zur steuertheoretischen Begründung der Grundsteuer nicht vertieft äußern. An anderer Stelle allerdings hat es festgestellt, dass der Gesetzgeber den Belastungsgrund einer Steuer im Gesetz erkennbar machen muss. In der Begründung zur jetzigen Vorlage, welche als Steuergegenstand den Wert von Grund und Boden ansieht und bestimmte Bewertungsverfahren vorschreibt, um ihn zu ermitteln, wird der Sollertrag des Steuergegenstandes als Belastungsobjekt angegeben. Was aber soll das sein, der Sollertrag? Sie alle sind erstaunt. Wenn man Erträge aus Immobilien erzielt, unterliegen diese der Ertragsteuer. Wenn man jedoch sein Haus oder seine Wohnung selbst nutzt oder eine Wiese im Außenbereich hat, hat man keine Erträge.
Nebenbei: In der aktiven Landwirtschaft wird mit der linken Hand Grundsteuer erhoben, und mit der rechten wird subventioniert. Das aber nur am Rande.
Sollerträge sind daher eine Fata Morgana, eine perverse mentale Konstruktion, und das allemal, wenn nicht einmal mit dem Steuerobjekt verbundene Schulden berücksichtigt werden. Das zu 80 Prozent eingeschuldete Gebäude löst die gleiche Grundsteuer aus wie das schuldenfreie Gebäude. Das zum Thema Leistungsfähigkeit. Die Isterträge werden bereits besteuert. Zweimal auf denselben Steuergegenstand zuzugreifen, kann auch nicht verfassungsgemäß sein.
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Der konfiskatorische Charakter dieser Steuer ist also offenkundig. Die Fantasie im Rechtsstaat ist allerdings eingegrenzt. Das wird dieses Projekt noch begleiten. Die Witwe, die mit kleiner Rente in ihrer Eigentumswohnung lebt, wird durch die Grundsteuer – nebenbei auch durch die Rundfunksteuer – im Existenzminimum eingeschränkt. Das alles riecht nach Verfassungswidrigkeit und wird von klugen Köpfen auch so gesehen.
Da die Grundsteuer bei Vermietung an die Mieter weitergereicht werden kann, werden sich speziell die Großstadtmieter wundern – entgegen den jetzigen Ankündigungen –, wenn demnächst die neuen Wertverhältnisse in neue Belastungen umgesetzt werden. In einer Stadt wie Berlin mit einem Hebesatz von über 1 000, einer der höchsten in der ganzen Bundesrepublik, wird diese mieterunfreundliche Politik hoffentlich die entsprechende Reaktion erzeugen.
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Die Operation Grundsteuer wird in einzelnen Bundesländern bereits als sehr unangenehm empfunden; sie erscheint unheimlich. Deshalb fordern diese Länder – als Notausgang für Helden gewissermaßen – eine Öffnung durch das Grundgesetz für eine eigene legislative Möglichkeit. Auch hierfür bedarf es einer Verfassungsänderung. Sie sehen, meine Damen und Herren: Chaos auf allen Rängen.
Die AfD hat daher einen Modellvorschlag eingebracht, der den Kommunen, welche die ausschließliche Ertragshoheit der Grundsteuer haben, die derzeit zu einem Aufkommen von etwa 12 Prozent ihrer Steuereinnahmen führt, zu angemessenen Ersatzeinnahmen verhilft und dennoch Steuersystematik, Verfassungsrecht und Erhebungsökonomie respektiert. Hätte man sich früher vernünftige Gedanken gemacht, wäre man jetzt nicht in Zeitnot. Reformunfähigkeit, meine Damen und Herren, hat Folgen!
Auf eine Kuriosität muss noch hingewiesen werden. Die Clara-Zetkin-Kommunisten in diesem Hause wollen jetzt den Kampf gegen die 45 Prozent der Bürger, die sich Wohneigentum geschaffen haben. Dieser Kampf muss gefochten werden.
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Er muss gefochten werden in dem Land, in dem die niedrigste Wohnungseigentumsquote in der gesamten EU existiert. 45 Prozent der Bürger dieses Landes haben Eigentum, und über 80 Prozent sehnen sich seit Jahrzehnten beständig danach, es zu bekommen. Das können wir verhindern. Das kriegen wir hin: Steuern auf die Vermögenssubstanz, auch wenn damit keine Erträge erzielt werden. Meine Damen und Herren, das ist Sozialismus, und es ist verfassungswidrig und müsste daher den Verfassungsschutz interessieren.
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Statt sich ein Land von Wohnungseigentümern vorzustellen – das könnte man ja mal machen –, muss der selbstverantwortliche Bürger bekämpft werden; denn mit ihm kann man keine Revolutionen machen. Das ist das Problem.
Da diese verkorkste und unter Zeitdruck zusammengeschusterte Grundsteuerreform einer Verfassungsänderung bedarf, musste die kleine Große Koalition eine verfassungsändernde Mehrheit besorgen. Wie bekommt man die FDP und die Grünen ins Boot? Die Gegenleistungen der Regierungskoalition kennen wir nicht. Vielleicht gibt es demnächst wieder Richterwahlen für die obersten Gerichte?
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Auf alle Fälle hat es diesmal geklappt: Die einen bekamen die Baulandsteuer – Grundsteuer C genannt – mit einem extra erhöhten Hebesatz. Den anderen wurde durch Ministerwort versprochen, den Verwaltungsaufwand in Grenzen zu halten.
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– Lieber Herr Dürr, wenn Sie doch einmal zivilisatorische Grundregeln der Kommunikation einhalten würden.
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Wenn man wüsste, wie die Wurst hergestellt wird, würde man sie nicht essen – da hilft auch eine debile Lache nichts, Herr Dürr –, sagt ein metzgerkritisches Sprichwort. So etwas Ähnliches könnte auch für Gesetze gelten und deren mangelnde Autorität beim Bürger.
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Das Verfassungsgericht wird über dieses dubiose Gesetz befinden müssen, und es wird darüber befinden, davon können Sie ausgehen. Das Ergebnis ist offen.
Wenn über 60 Prozent der Bürger mit der Arbeit dieser Regierung unzufrieden sind – das sagt eine jüngste Umfrage –, dann hat das seine guten Gründe. Diese Grundsteuerreformruine ist einer davon.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Andreas Jung, CDU/CSU.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Paket, das wir heute beschließen werden, ist ein Paket zur Stärkung kommunaler Selbstverwaltung. Es ist ein Paket zur Stärkung föderaler Vielfalt, es fördert bezahlbaren Wohnraum, und es vermeidet unnötige Bürokratie. Und damit ist es ein gutes Ergebnis.
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Es ist ein Durchbruch nach zugegebenermaßen schwierigen Verhandlungen, da es bei den Fraktionen in diesem Haus, auch innerhalb der Großen Koalition, und bei denen, die die Grundgesetzänderung mittragen, unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber es bestand die Notwendigkeit, ein gemeinsames Ergebnis zu finden, weil das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Ihr müsst eine Neuregelung machen. Wenn ihr in diesem Jahr keine Neuregelung schafft, dann wird nächstes Jahr keine Grundsteuer erhoben. – Es geht um Einnahmen in Höhe von 14 Milliarden Euro für die Städte und Gemeinden in Deutschland. Um diese zu sichern, haben wir uns in der Großen Koalition und darüber hinaus jetzt auch mit den Ländern, mit FDP und Grünen, zusammengerauft. Ich darf mich bei allen Beteiligten sehr herzlich bedanken. Wir werden damit unserer Verantwortung als Demokraten gerecht und können den Kommunen das Signal geben: Die Einnahmen aus der Grundsteuer sind gesichert.
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Wir tun dies mit der Durchsetzung der Öffnungsklausel, mit dem Bekenntnis zu föderaler Vielfalt; das ist ein neuer Weg. Herr Kollege Daldrup, ich will es bei aller großkoalitionären Nächstenliebe doch deutlich sagen: Wer Föderalismus als Provinzialismus verspottet
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– das haben Sie getan –, hat ein grundlegend falsches Verständnis von unserem Staatsaufbau und von Subsidiarität.
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Deshalb sage ich es extra für Sie frei nach Willy Brandt und Klaus Wowereit: Wir wollen mehr Föderalismus wagen. Und das ist auch gut so.
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Ich finde, das, was wir hier tun, kann auch für andere Dinge prägend sein. Warum? Was machen wir denn hier? Wir sagen: Wir haben eine kommunale Steuer, und der Aufwand kommt zu 100 Prozent den Kommunen zugute. Die Kommunen haben ein Hebesatzrecht, das schon heute ausgeübt wird, mit Hebesätzen von 0 bis fast 1 000 Prozent. Das heißt, wir haben unterschiedliche Regelungen, und das ist auch richtig, weil wir unterschiedliche Gegebenheiten haben zwischen Kiel und Konstanz, zwischen Stadtstaaten und Flächenländern, zwischen Hotspots, wo Menschen Wohnungen suchen, und Gebieten, in denen Häuser leerstehen. Deshalb ist es richtig, dass wir auf unterschiedliche Gegebenheiten entsprechend reagieren und nicht alles über einen Kamm scheren, sondern unterschiedliche, flexible Lösungen ermöglichen. Dass die Länder in Zukunft ihre eigene Grundsteuer erheben können, ist richtig. Das haben wir gemeinsam beschlossen, das werden wir gemeinsam auf den Weg bringen. Das ist ein Fortschritt für den Föderalismus und ein Beispiel für passgenaue, gute Lösungen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger.
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Unsere Leitlinie in dieser Diskussion war das, was wir gemeinsam im Koalitionsvertrag vereinbart haben, nämlich dass wir bezahlbaren Wohnraum sichern wollen. Dem muss sich die Grundsteuerreform unterordnen. Unser Ziel ist eben nicht, möglichst hohe Steuern zu erheben; denn wir sind der Überzeugung, dass eine höhere Grundsteuer immer, selbst wenn man an der Umlagefähigkeit herumgeschraubt hätte, was wir Gott sei Dank verhindern konnten, zu höheren Mieten und zu Belastungen im Bereich Wohnen führt. Deshalb war unsere Maxime, einerseits die Einnahmen der Kommunen zu sichern, andererseits aber höhere Mieten, eine höhere Belastung zu verhindern. Das erreichen wir mit diesem Gesetz.
Wir erreichen es dadurch, dass man nicht tatsächliche Mieten ansetzt, sondern Durchschnittsmieten. Wir erreichen es dadurch, dass man auf den Metropolenzuschlag verzichtet hat, der eine Doppel- und Dreifachbelastung bedeutet hätte. Und wir erreichen es insgesamt dadurch, dass wir durch die Bundesregelung und die Öffnung für Länderklauseln einen Wettbewerb um das beste Modell und damit auch einen Wettbewerb darum ermöglichen, wie am besten das Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu sichern, erreicht werden kann. Deshalb ist das heute ein sehr wichtiger Beitrag, auch zu dem Ziel der Großen Koalition, das wir insgesamt in Deutschland haben: bezahlbaren Wohnraum sichern.
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Darüber hinaus sind wir diese Reform angegangen in dem Geiste, unnötige Bürokratie zu verhindern. Das spiegelt sich wider in den Regelungen, die wir im Bundesgesetz finden, wo es gelungen ist, entgegen den ersten Vorschlägen, eine Regelung zu finden, bei der man nicht an jeden einzelnen Mietvertrag ranmuss, sondern aus allgemein zugänglichen Quellen die Grundsteuer erheben kann. Wir erreichen es dadurch, dass wir bei Gewerbeimmobilien das Sachwertverfahren vereinbaren konnten. Wir erreichen es dadurch, dass bei der Landwirtschaft die bewährten Regelungen fortgeführt werden können, und wir erreichen es letztlich auch dadurch, dass ein Land, wenn es von der Öffnungsklausel Gebrauch macht, keine Doppelerhebung vornehmen muss. Das hätte zu zusätzlichem bürokratischen Aufwand geführt
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und hätte die Gefahr einer Aushöhlung der Öffnungsklausel mit sich gebracht.
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Das ist endgültig vom Tisch. Das ist richtig und trägt dazu bei, unnötige Bürokratie zu verhindern, die Öffnungsklausel zu stärken und insgesamt eine Grundsteuerreform umzusetzen, hinter der wir aus Überzeugung stehen können. Wir erreichen ein gutes Ergebnis.
Herzlichen Dank.
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Christian Dürr, FDP, ist der nächste Redner.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind ja in Wahrheit zwei Punkte, über die wir heute reden. Zum Ersten sprechen wir heute über den Entwurf eines Grundsteuergesetzes von Union und SPD – ich komme darauf inhaltlich gleich noch zu sprechen –, und zum Zweiten geht es um die Einführung einer Länderöffnungsklausel im Grundgesetz, die den Bundesländern die Möglichkeit eröffnet, eigene Grundsteuergesetze zu erlassen.
Ich will Ihnen, Herr Daldrup und Herr Jung, danken, dass Sie die Forderungen der Freien Demokraten in Bezug auf die Länderöffnung übernommen haben. Es drohte eine komplizierte Doppelbürokratie, durch die die Länderöffnung, wie Sie zu Recht gesagt haben, ins Leere gelaufen wäre. Kein Land wird gezwungen, das Bundesgesetz anzuwenden. Dieser politische Erfolg der Freien Demokraten ist vor allem ein politischer Erfolg für die Haus- und Grundbesitzer und für die Mieterinnen und Mieter in Deutschland.
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Alle Bundesländer bekommen die Möglichkeit, ein unkompliziertes Flächenmodell bei der Grundsteuer einzuführen. Die Haus- und Wohnungseigentümer brauchen ihre Immobilien nicht mit viel Aufwand zu bewerten. All die negativen Effekte eines bürokratischen Bewertungsmodells werden vermieden. Ich fordere alle 16 Bundesländer auf, davon auch Gebrauch zu machen.
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Es liegt jetzt an den Landesregierungen und Landesparlamenten, das zu tun.
Ich komme zu dem anderen Punkt. Warum ist eine solche Länderöffnung überhaupt notwendig geworden? Warum ist sie so wichtig?
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Sie ist so wichtig, weil Sie heute ein Grundsteuergesetz beschließen wollen, welches die Bundesländer gezwungen hätte, eine Katastrophe für die Mieter und Hauseigentümer herbeizuführen. 35 Millionen Immobilien hätten neu bewertet werden müssen,
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und zwar alle paar Jahre. Tausende neue Stellen in den Finanzverwaltungen sind dafür notwendig. Das ganze Gesetz ist ein Bürokratiemonster. Deswegen werden wir es ablehnen.
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Das trifft die Eigentümer.
Ich komme jetzt auf die Mieterinnen und Mieter zu sprechen. Dieses Gesetz ist der personifizierte Olaf-Scholz-Mietenturbo.
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Die Grundlage für die Höhe der Grundsteuer sollen nach Ihrem Willen, nach dem Willen der Großen Koalition, die Mieten und Grundstückswerte sein. Mit anderen Worten: Dort, wo die Mieten hoch sind, werden sie durch dieses Gesetz weiter steigen. Das ist die faktische Einführung der kalten Progression bei der Grundsteuer.
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Steigende Mieten führen zu steigender Grundsteuer, meine Damen und Herren.
Deswegen ist der wahre politische Erfolg, dass kein Land gezwungen wird, so etwas einzuführen. Es ist ein gigantischer Fehler von Union und SPD, diesem Scholz-Modell jemals zugestimmt zu haben.
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Ich will zum Schluss eine Frage stellen. Diese Problematik des Gesetzentwurfs von Olaf Scholz ist von der Union ja gesehen worden. Warum hat Olaf Scholz so etwas überhaupt vorgelegt? Ich habe mir in den letzten Wochen die Berichterstattung in der Sommerpause angeschaut. Das „Hamburger Abendblatt“ schrieb am 27. Juli dieses Jahres:
Als der Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) noch Hamburgs Erster Bürgermeister war, lehnte er das Wertemodell vehement ab, wohlwissend, dass vor allem in Hamburg die Grundstückswerte deutlich gestiegen waren. Als Bundesminister brachte er hingegen einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, der das Wertemodell favorisiert. Viele
– auch wir -
fragen sich: Was ist auf dem Weg von Hamburg nach Berlin mit dem Mann passiert?
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Olaf Scholz weiß, dass das Bewertungsmodell schlecht ist. Die Union weiß, dass das Bewertungsmodell schlecht ist. Es ist wirklich ein politischer Erfolg am heutigen Tage, dass kein einziges der 16 Bundesländer dieses Bewertungsmodell anwenden muss, sondern stattdessen das Flächenmodell der Freien Demokraten umsetzen kann.
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Ich will zum Schluss etwas zum Stichwort Umlagefähigkeit sagen. Die Grünen werden gleich sagen: Halt! Die Mieten müssen ja gar nicht steigen, wenn die Umlagefähigkeit abgeschafft wird. – Ihre Behauptung, dass die Mieten dann nicht steigen, ist doch ein Märchen; denn die Vermieter werden das logischerweise in die Kaltmiete mit einrechnen. Ihre Antwort darauf lautet: staatliche Mieten. Es wird am Ende dadurch in Deutschland, gerade in solchen Hotspots wie Berlin, keine einzige neue Wohnung entstehen.
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Denkt man das zu Ende, so ist das Ergebnis Ihrer Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, dass der Wohnungsbau komplett in staatliche Hand kommt. Das ist 40 Jahre lang wenige Meter von hier ausprobiert worden. Das funktioniert nicht; das müssen wir verhindern. Die Marktwirtschaft ist die bessere Antwort, insbesondere am Wohnungsmarkt.
Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Fabio De Masi, Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grundsteuer in ihrer jetzigen Form ist verfassungswidrig. Die Einheitswerte zur Ermittlung des Wertes von Grundstücken und Immobilien wurden im Westen zuletzt 1964 und im Osten 1935 festgesetzt. Der Wert von etwa 36 Millionen Grundstücken hat sich seither total verändert, und es kommt zu großen Ungerechtigkeiten.
Ohne eine Reform der Grundsteuer würden in den Kommunen zukünftig 14 Milliarden Euro jährlich fehlen. Kommunen brauchen aber Busse, Turnhallen und Schulen; denn Kommune ist dort, wo wir leben und arbeiten.
Die Grundsteuer beträgt derzeit durchschnittlich 175 Euro im Jahr oder 50 Cent pro Tag; daran soll sich auch nichts ändern. Natürlich zahlt niemand gerne Steuern; aber es ist wie in jeder Gemeinschaft: Alle müssen den Abwasch machen. Wo es eine gute Infrastruktur gibt, profitieren auch die Hausbesitzer. Der Wert ihrer Grundstücke und Immobilien steigt.
Wie in jeder Gemeinschaft ist es aber entscheidend, wer den Abwasch macht und wie oft. Ist es der Besitzer eines kleinen Einfamilienhauses, ist es die Krankenschwester, die nur zur Miete wohnt, oder ist es der Eigentümer einer Villa am Starnberger See?
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Herr Glaser, Sie haben ja gerade behauptet, die Linke würde Politik gegen 45 Prozent der Bevölkerung machen. Das ist in der Sache natürlich falsch.
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Ich will Sie nur darauf hinweisen, dass dies im Umkehrschluss bedeuten würde, wir würden Politik für 55 Prozent der Bevölkerung machen.
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Darauf wollte ich hinweisen.
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Sie haben ja als Kämmerer in Frankfurt ein paar Milliönchen in den Sand gesetzt. Kopfrechnen scheint nicht so Ihre Stärke zu sein.
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Wenn die Hauspreise steigen, profitieren davon in erster Linie die Eigentümer, nicht die Mieter. Die Mieter zahlen dann vor allem höhere Mieten. Da die Miete in die Berechnung der Grundsteuer einberechnet wird, ziehen Mietsteigerungen dann häufig auch eine Erhöhung der Nebenkosten wegen höherer Grundsteuer nach sich. Das ist doppelt ungerecht. Die Linke fordert daher, dass die Umlage der Grundsteuer auf die Mieterinnen und Mieter gestoppt wird.
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Viele Menschen fürchten, dass es mit der Reform der Grundsteuer wegen der gestiegenen Hauspreise auch zu einer Explosion der Steuern kommt. Aber die Reform der Grundsteuer soll neutral sein. Es sollen auch weiterhin nicht mehr als die 14 Milliarden Euro eingenommen werden. Die Kommunen müssen dazu die Hebesätze anpassen.
Wenn es zu Veränderungen für die Steuerzahler kommt, am Ende aber nicht mehr Geld eingenommen werden soll, geht dies nur, wenn einige mehr zahlen als vorher und andere weniger als vorher. Beim wertabhängigen Modell spielt nicht nur die Größe des Grundstücks eine Rolle, sondern auch der Wert der Immobilie, die darauf steht. Beim Flächenmodell spielt nur die Wohn- und Grundstücksfläche eine Rolle. Die Linke befürwortet ein wertabhängiges Modell;
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denn es ist eben ein Unterschied, ob eine Hütte oder eine Villa auf einem gleichgroßen Grundstück steht. Die Linke will daher „Friede den Hütten!“ und die Union will Friede den Palästen. Das ist der Unterschied.
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Wir haben den ursprünglichen Entwurf des Finanzministers für ein wertabhängiges Modell begrüßt. Auch wir unterstützen die Grundsteuer C, mit der ein eigenes Hebesatzrecht der Kommunen für unbebaute, aber baureife Grundstücke geschaffen wird. Wer mit Bauland spekuliert, statt zu bauen, kann dann stärker besteuert werden. Das will auch die Linke.
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Leider gab es am Ende aber auch viele schlechte Kompromisse mit der Union.
Erstens. Das wertabhängige Modell wurde durch Pauschalisierungen verwässert.
Zweitens. Bayern wollte eine Extrawurst mit einer Öffnungsklausel.
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Damit ist auch ein reines Flächenmodell möglich. Dann wird auf 1 Quadratmeter Wohnfläche einer Villa am Starnberger See kaum mehr Grundsteuer entfallen als auf den einer Sozialwohnung in München. Da Bayern aber nicht auf Geld verzichten will, zahlt der Sozialmieter relativ gesehen mehr und der Villenbesitzer relativ gesehen weniger. Das ist nicht christlich, das ist nicht sozial, das ist einfach nur dreist.
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Und für diesen Unfug soll jetzt auch extra das Grundgesetz geändert werden.
Drittens gibt dies Bayern die Möglichkeit, seine Finanzkraft klein und sich im Länderfinanzausgleich ärmer zu rechnen. Damit dies aber nicht passiert, muss das im Gesetz festgeschrieben werden. Damit auch die FDP noch ihre Wahlkampfshow hat, musste zusätzlich ins Gesetz, dass es nicht mehr Bürokratie durch die Nutzung der Öffnungsklausel geben wird. Denn die Steuer muss dann für den Länderfinanzausgleich theoretisch gleich zweimal ermittelt werden: einmal nach Scholz und einmal nach Söder.
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Auf Deutsch: Die FDP feiert die Öffnungsklausel, die mehr Bürokratie schafft, feiert aber auch, dass sie eine Regel gegen mehr Bürokratie im Gesetz verankert habe. Klingt bescheuert, ist auch bescheuert.
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Es gilt wohl der alte Satz von Bismarck, wonach es manchmal besser ist, wenn die Bevölkerung nicht mitbekommt, wie zwei Dinge gemacht werden: Blutwürste und Gesetze.
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Hätte Herr Scholz die Kompromisse mit der Linken statt mit der FDP gesucht, hätte es in den letzten Tagen harte Verhandlungen für Millionen Mieterinnen und Mieter gegeben und nicht so einen Unfug wie mit der FDP.
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Die Linke wird sich daher bei der Abstimmung zum Grundsteuer-Reformgesetz enthalten. Der Grundsteuer C gegen Spekulationen mit Bauland stimmen wir zu. Die Grundgesetzänderung überzeugt uns jedoch nicht, und wir beantragen heute namentliche Abstimmung. Die Umlage der Grundsteuer auf die Mieterinnen und Mieter in der Betriebskostenverordnung zu stoppen, das ist unsere Verantwortung.
Vielen Dank.
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Stefan Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit ganzen 18 Monaten wissen wir: Die Grundsteuer ist verfassungswidrig. Und erst seit wenigen Monaten beraten wir Abgeordnete über eine neue Grundsteuer. Mehr als ein ganzes Jahr lang liefen die Gespräche und Verhandlungen im Hinterzimmer. Das war schlechter Stil. Das hat den Prozess nur erschwert. Das hat zu erheblichen Sorgen vieler Bürgermeisterinnen und Bürgermeister geführt, und das zu Recht; denn wir reden hier über nicht weniger als 15 Milliarden Euro, mit denen Schulen, Schwimmbäder und Kulturangebote finanziert werden, also das gesamte Sozialleben einer Kommune.
Nun ist es aber endlich geschafft. Das Grundsteuer-Reformgesetz steht. Endlich können die Kommunen aufatmen und auch weiterhin mit den Einnahmen rechnen. Ein großer Wurf ist das Gesetzespaket gleichwohl nicht geworden. Mit dem ersten Manko dürfen sich die kommunalen Wohnungsunternehmen herumschlagen, wenn sie künftig eine niedrigere Grundsteuermesszahl in Anspruch nehmen wollen. Um zum Beispiel mehr Sozialwohnungen bauen zu können, müssen sie einen Gewinnabführungsvertrag mit den Kommunen nachweisen. Die kommunalen Spitzenverbände haben in der Anhörung klipp und klar gesagt, dass es so was in keiner einzigen Kommune in Deutschland gibt. Die Regelung läuft also vollkommen ins Leere. Aber statt die Formulierung einfach aus dem Gesetz rauszulassen, hält die Bundesregierung, halten die Koalitionsfraktionen an dieser sinnlosen Forderung fest. Ganz ehrlich: Schade!
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Eine der großen Ungerechtigkeiten rund um die Grundsteuer bleibt wohl leider erhalten. Sie muss nämlich weiter von den Mieterinnen und Mietern gezahlt werden. Ja, auch Sie haben etwas von den Grundsteuereinnahmen. Sie nutzen schließlich die Infrastruktur der Kommune. Aber Vermieterinnen und Vermieter profitieren doppelt: Zum einen können sie höhere Mieten erzielen – das wurde hier ja auch zu Recht dargestellt –, zum anderen steigt der Wert der Immobilie. Es ist völlig absurd, dass die Bundesregierung die Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf Mieten nicht abschaffen will.
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Wir Grüne wollen das ändern. Ringen Sie sich durch, und stimmen Sie nachher unserem Gesetzentwurf zu. Die Umlage der Grundsteuer auf Mieterinnen und Mieter ist und bleibt ungerecht. Aber das muss nicht so bleiben. Das können wir hier ändern.
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Lassen Sie mich zurückkommen zu den eigentlichen Grundsteuergesetzentwürfen. Die FDP hat im letzten Moment auf stur gestellt. Das hätte den Kompromiss zur Grundsteuer fast noch gekippt. Und warum? Sie wollte unbedingt kleine kosmetische Änderungen, Korrekturen am Gesetzentwurf durchsetzen. Diese Änderungen sind zwar nicht weiter tragisch, aber eben auch nicht weiter wirklich relevant.
({3})
Oder auf gut Bayerisch gesagt: Nutzt’s nix, so schad’s nix.
({4})
Für das größte Manko allerdings an diesem Kompromiss sorgte wie so häufig die CSU. Die CSU hat es wieder einmal geschafft, eine Extrawurst für sich herauszuholen, diesmal mit der Länderöffnungsklausel, nur um das ungerechte Flächenmodell in Bayern einführen zu können.
({5})
Mit der Länderöffnungsklausel öffnet die Bundesregierung Tür und Tor für einen Flickenteppich aus bis zu 16 verschiedenen Grundsteuern. Ich bin überzeugt: Wir brauchen keine Öffnungsklausel. Das Bundesmodell ist das verständlichere und gerechtere Modell für die Bürgerinnen und Bürger. Und sonderlich kompliziert ist es auch nicht; das wurde in der Anhörung auch deutlich.
({6})
Hier müssen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen aus der Union und der FDP, sich endlich auch einmal ehrlich machen. Wenn wir eine aufkommensneutrale Grundsteuer wollen – und alle wollen sie –, dann bedeutet das, dass die Kommunen durch ihr Hebesatzrecht am Ende genauso viel einnehmen wie bisher.
({7})
Es wird aber zu individuellen Lastenverschiebungen kommen. Einige werden zwangsläufig mehr, andere weniger zahlen. Dieses Phänomen wird es bei allen Modellen geben, egal wie einfach oder komplex sie am Ende sind. Die Länderöffnungsklausel wird das nicht lösen können.
({8})
Und dann werden einige Bürgerinnen und Bürger trotz Ihres Flächenmodells mehr Grundsteuer zahlen müssen als bisher und in vielen Fällen auch mehr, als sie nach dem Bundesmodell bezahlen müssten.
Seien Sie so ehrlich, und sagen Sie das den Menschen. Sie werden erklären müssen, warum man für ein heruntergekommenes Häuschen auf dem Land mehr Grundsteuer zahlen muss als für eine Stadtvilla.
({9})
Die Kritik der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, von Stadt- und Gemeinderäten ist jetzt schon hörbar. Dieser Kritik werden Sie sich stellen müssen.
Der Kompromiss zur Grundsteuer enthält aber auch erfreuliche und gute Punkte. Besonders zufrieden bin ich mit der Einführung und Ausgestaltung der Grundsteuer C. Sie ermöglicht den Städten und Gemeinden, der Bodenspekulation einen Riegel vorzuschieben. Das ist dringend notwendig.
({10})
Ich freue mich auch, dass auf unser Bemühen hin künftig nicht nur Kommunen mit Wohnungsnot die Grundsteuer C anwenden dürfen, sondern alle; denn gerade im Rahmen einer aktiven Stadtentwicklung kann die Grundsteuer C ein geeignetes Instrument für alle Kommunen sein. Noch besser wäre es natürlich gewesen, hätte es mir gefallen, wenn das Gesetz zur Grundsteuer C sofort und nicht erst in fünf Jahren zur Anwendung gekommen wäre. Aber besser spät als nie!
({11})
Unterm Strich muss ich sagen: Wir sind nicht mit allen Punkten glücklich. Man hätte es besser machen können. Aber uns Grünen war und ist wichtig, dass die Kommunen endlich Sicherheit haben über ihre Einnahmen und nicht weiter bangen müssen. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf heute auch zustimmen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Jetzt hat das Wort der Kollege Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An der Neuregelung der Grundsteuer haben wir mehr als ein Jahr lang sehr intensiv gearbeitet. Das Ziel von CDU und CSU war von Anfang an eine Reform, die einfach und transparent ist, die verfassungskonform ist, die Mieter und Eigentümer nicht überfordert, die eine wichtige kommunale Steuer sichert und die zudem föderalismusfreundlich ist. Vor allem wollten wir eine umfassende Länderöffnungsklausel, weil die Immobilienwerte in Deutschland nun mal sehr unterschiedlich sind. Und deshalb ist diese Öffnungsklausel richtig, meine Damen und Herren.
({0})
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiss, der den Ländern große Eigenständigkeit garantiert. Wir kommen der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach, eine Grundsteuerreform noch vor Ende 2019 abzuschließen. Wir sichern damit eine wichtige Quelle für die Finanzierung der kommunalen Infrastruktur und stärken damit unsere Städte und Gemeinden. Hier entsteht ab sofort Planungssicherheit für unsere Kommunen.
({1})
CDU und CSU waren von Anfang an für eine umfassende Öffnungsklausel. Wir halten sie nicht nur wegen der unterschiedlichen Immobilienwerte für sehr wichtig, sondern auch deshalb, weil das von Bundesfinanzminister Scholz ursprünglich vorgeschlagene wertabhängige Besteuerungsmodell nach unserer Auffassung zu kompliziert, intransparent und aufwendig war. Es wurde nachgebessert. Es könnte wegen der Berechnung auf der Basis von Bodenrichtwerten und Mieten nach wie vor zu einem gefährlichen und fortdauernden Erhöhungsautomatismus bei der Grundsteuer führen.
({2})
Das wollen wir nicht. Es bedeutet eine reale Gefahr einer Grundsteuerexplosion zulasten von Eigentümern und Mietern, gerade in den Ballungsgebieten mit jetzt schon sehr hoher Preisdynamik bei den Immobilien.
Die Öffnungsklausel dagegen macht den Weg frei für ein flächenbasiertes Steuermodell, das Eigentümer, Mieter, Bürger und Betriebe vor Überforderung schützt.
Noch eines: Die Grundsteuer muss eine Objektsteuer zur Mitfinanzierung der kommunalen Infrastruktur bleiben. Sie darf nicht als verdeckte Einkommen- oder Vermögensteuer durch die Hintertür missbraucht werden, meine Damen und Herren.
({3})
Im Übrigen: Eine wertabhängige Grundsteuer kann nicht gerechter sein, weil in einem Gebäude ärmere und reichere Mieter leben.
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Die Grundsteuer als Objektsteuer darf damit heute nicht zur Klassenkampfsteuer umgemünzt werden.
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Vielmehr muss die Steuer auf das Objekt bezogen werden. Nur das kann gerecht sein, meine Damen und Herren.
Ich möchte deshalb von dieser Stelle die Länder ausdrücklich ermutigen – ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesratsbank heute voll besetzt ist –,
({6})
von der Öffnungsklausel umfassend Gebrauch zu machen.
Meine Damen und Herren, letztlich verantwortlich für die Höhe der Grundsteuer sind natürlich unsere Kommunen. Auch das gehört zur Wahrheit. Wir achten die kommunalen Hebesatzrechte. Deshalb haben wir, auch mit dem Kollegen Haase, der unsere Kommunalpolitiker vertritt, intensiv darum gerungen und vereinbart, dass dieses Gesetz nicht zu Steuererhöhungen auf breiter Ebene genutzt wird und der Grundsatz der Aufkommensneutralität gewahrt bleibt. Hier haben unsere Kommunen gegenüber unseren Bürgern eine große Mitverantwortung.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, der Grundsteuerreform und der damit verbundenen Grundgesetzänderung zuzustimmen. Ohne die Grundgesetzänderung, die die Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer in die Hände des Bundes legt, ist diese Reform nicht verfassungsfest. Das hat die Anhörung deutlich gezeigt. Mir wäre es lieber gewesen, die Länder hätten die Reform selbst in die Hand genommen.
({7})
Ich meine, wir sollten heute alle zufrieden sein, dass dieser Kompromiss zustande gekommen ist, insbesondere auch mit unserem Koalitionspartner, der eine andere Ausgangslage hatte. Die SPD sollte für diesen Kompromiss werben und das eigene Gesetz nicht gleich wieder schlecht machen. Ich meine, wir haben allen Grund, dem Gesetzentwurf heute zufrieden zuzustimmen.
({8})
Herzlichen Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding, SPD.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Glaser hat vorhin die FDP ermahnt, sie möge doch die zivilisatorischen Regeln einhalten. Das ist ein ganz guter Satz, obwohl ich nicht glaube, dass es bei ihnen nötig ist.
Herr Glaser hat im Ausschuss zur Grundsteuer gesprochen. Er sprach von dem Gesetz als Torso, übersetzte das mit Ungeheuer, und sagte, wir würden eine palliative Gesetzgebung machen. Das haben wir noch einigermaßen ruhig überstanden. Er sprach aber dann davon, dass Professor Tappe ein Gefälligkeitsgutachten gemacht habe, dass es den Sollertrag nicht gäbe und dass der Sollertrag – ich zitiere wörtlich – wie eine Vergewaltigung auf offener Straße sei. Das haben wir dann nicht mehr ausgehalten.
({0})
Wenn dieser Mensch heute andere ermahnt, die zivilisatorischen Grundregeln einzuhalten, spricht das für sich.
({1})
Ich würde sagen: Sie entfremden uns von unserer eigenen Sprache.
({2})
Sie machen uns sozusagen heimatlos, obwohl wir den Ort nie wechseln. Etwas Schlimmeres gibt es nicht.
({3})
Herr Kollege Binding, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Glaser?
Nein, nein. Auf diesem Niveau lasse ich keine Zwischenfragen zu. – Es ging uns immer um das Wie – wie wollen wir die Steuer erheben? –, niemals um das Ob, weil es um die Sicherung einer wichtigen Einnahmequelle für die Kommunen geht. Das war unser Grundsatz. Das Schöne ist: Alle Fraktionen waren sich einig. Deshalb stimmt das, was Hans Michelbach gesagt hat; wir alle können jetzt auf das Erreichte stolz sein.
Trotzdem gab es ganz gewisse Unterschiede, auf die ich jetzt eingehe. Die CSU hat eine Öffnungsklausel erreicht.
({0})
Man könnte auch sagen, die CSU hat Bayern ein bisschen isoliert, aber damit die Tür für alle aufgestoßen; denn es ist ein teuer erkaufter Sieg. Man nennt das Pyrrhussieg. Er bereitet einen Flickenteppich vor und führt ein bisschen in die Kleinstaaterei zurück. Es ist mehr Bürokratie. Das Flächenmodell ist – gegen alle Aussagen von euch – nicht einfacher, sondern komplizierter.
Ich ergänze zum Gedankengang von Herrn Jung: Die Parzellierung von Steuerrecht ist kein Zeichen von Freiheit. Es ist oft ein Zeichen von Dummheit. Der Föderalismus funktioniert unter dem Dach allgemeiner Regeln für Deutschland besser als bei einem divergenten Flickenteppich, den keiner mehr im Griff hat.
({1})
Wie gut das funktioniert, erkennt man auf einer niederen oder höheren Ebene, je nachdem, wie man es möchte, der Kommunen. Sie haben die Freiheit, das Hebesatzrecht anzuwenden. Diese Freiheit haben wir erhalten. Wir kennen den Freiheitsbegriff unter einem einheitlichen Modell. Das ist die eigentliche Qualität dieser Gesetzgebung.
({2})
Trotz dieser Kritik und um anzudeuten, worüber wir uns gestritten haben, will ich allen danken: der CDU, der CSU, der SPD, der FDP und den Grünen. Sie zusammen zu bringen, ist nicht einfach.
({3})
– Ja, logisch. – Wenn die Opposition mitmacht, zeigt das auch etwas ganz Besonderes. Es zeigt nämlich, dass die Opposition und die Regierungskoalition staatspolitische Verantwortung übernehmen und sich nicht, wenn die Not am größten ist, vom Acker stehlen, sondern einen Kompromiss mittragen, der jedem auf gleiche Weise irgendwie ein bisschen wehtut.
({4})
Ich will zwei Leute nennen, die diesen Kompromiss besonders ausgefochten haben: Bernhard Daldrup und Fritz Güntzler. Diese beiden Berichterstatter haben dies verhandelt. Ich finde, das ist richtig gut gelungen; denn Ihr hattet die jeweiligen Fraktionen und die Opposition mit ihren Bedingungen noch im Schlepptau, wo es immer geknistert hat. Ich finde, es war eine ganz besondere Leistung, wie ihr das ausgetragen habt. Vielen Dank dafür.
({5})
Das Flächenmodell hat keine wertbasierte Berechnung. Das finde ich schwierig. Auch Herr Dürr hat etwas zum Flächenmodell gesagt. Hier ist die Bruttogrundfläche die Basis. Die zu definieren, bliebe im Moment noch offen. Darauf will ich aber nicht genau eingehen, weil das Flächenmodell nicht einfacher und gerecht ist, sondern tatsächlich komplizierter und streitanfälliger ist. Keine Gebäudefläche ist bislang korrekt berechnet. Wer das Häuschen am Stadtrand mit dem gleichen Maßstab misst wie das Luxusgebäude in der Innenstadt, der macht aus unserer Sicht einen Fehler.
({6})
Das ist auch die Hauptdiskrepanz. Wir wollen, dass Leute, die viel mehr haben, wenigstens ein klein wenig mehr bezahlen. Das ist soziale Gerechtigkeit, die sich sehen lassen kann.
({7})
Dass das wertabhängige Modell einfacher sein kann, hat der Finanzminister nun bewiesen. Im alten Modell hatten wir 20 Werte, jetzt haben wir 5, bezogen auf die Gewerbegrundstücke, musste man früher 30 Werte angeben und jetzt nur noch 8. Dazu kann man sagen: Wer weiß, dass 8 kleiner ist als 20, der weiß auch, dass das neue Modell einfacher ist als das alte.
({8})
Herr Glaser hat heute noch etwas Interessantes gesagt. Ich erwähne es nur, um anzudeuten, wie sich eine bestimmte Logik übersetzt. Er hat über die Eigentumsquote gesprochen und gesagt, 45 Prozent der Eigentümer werden jetzt bekämpft. Zu diesem Begriff will ich etwas sagen: Wer die Eigentumsquote in den Blick nimmt, der weiß sicher auch, dass die höchste Eigentumsquote in Rumänien ist und die niedrigste in der Schweiz. Wer daraus etwas ableiten will, der muss ein bisschen genauer nachdenken als nur diese Worte zu benutzen.
({9})
Christian Dürr hat gesagt, dass der Bürgermeister in Hamburg, Olaf Scholz, gegen das wertabhängige Modell war. Das stimmt. Aber damals war das wertabhängige Modell unter der Bedingung, dass es keine einheitliche Messzahl gab. Aber die einheitliche Messzahl hat er jetzt eingeführt. Insofern meine große Bitte: Nur Vergleichbares miteinander vergleichen und nicht irgendwas miteinander vergleichen. Dann wird es schnell falsch.
({10})
Mein letzter Satz. Wir hätten sehr gerne die Möglichkeit, die Grundsteuer auf die Mieter umzulegen, abgeschafft. Diese Steuer ist ja eine Steuer auf das Eigentum und nicht auf die Miete. Das bleibt sicherlich noch eine kleine Aufgabe für die Zukunft; die haben wir uns vorgenommen.
In diesem Sinne: Alles Gute und vielen Dank.
({11})
Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Albrecht Glaser, AfD.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Verehrter Herr Binding, ich muss deshalb intervenieren, weil Sie mir wahrheitswidrig unterstellt haben, ich hätte in der Finanzausschusssitzung gesagt: eine Vergewaltigung auf öffentlicher Straße.
({0})
Ich glaube, ich habe es wortwörtlich so wiederholt, wie Sie es gesagt haben. Und wenn Sie das bestätigen, wird es nicht wahrer.
({1})
Wir werden das anhand des Protokolls nachvollziehen. Ich versichere Ihnen, dass Sie gelogen haben, wenn Sie das jetzt behaupten. Ich habe gesprochen von einer Vergewaltigung der Steuertheorie.
({2})
Und dieses Sprachbild haben Sie nicht verstanden, weil das schon oberhalb Ihrer mentalen Fähigkeiten liegt.
({3})
Wir werden den Wahrheitsbeweis erbringen mit dem Protokoll. Können Sie sich drauf verlassen! Dann werden wir das hier noch mal nacharbeiten.
({4})
Dann erzählen Sie von den Rumänen und den Schweizern. Ich weiß gar nicht, was Sie damit beweisen wollen. Verehrter Herr Binding, man hat in ganz Europa ja in allen Staaten ein höheres Vermögen der Privatfamilien als in Deutschland – wir sind ein armes Land, entgegen anderslautenden Meldungen –, weil die Quote beim Wohnungsbesitz – beim Wohnungseigentum, um es exakt zu sagen – in all den Ländern, übrigens auch in den romanischen Ländern am Mittelmeer, ungeheuer hoch ist. Italien und Spanien haben Wohnungseigentumsquoten von 70 bis 80 Prozent. Wenn man aber Grunderwerbsteuer und Grundsteuer macht und wenn man für das Ansparen, um eine Immobilie zu erwerben, keine Zinsen bekommt, dann wird dieses Land dauerhaft und nachhaltig das Land der wenigen Wohnungsbesitzer sein. Das mag ein Leitbild sein von Leuten, die Wohnungen für Staatseigentum halten, bei dem man vielleicht ab und zu was nutzen darf. Wer aber eine Eigentümergesellschaft vor Augen hat – ich glaube, das ist die Mehrheit der Bevölkerung in diesem Lande; alle Meinungsumfragen besagen das –, der muss eine völlige andere Politik machen, und die andere Politik wollen wir haben.
Herr Kollege Glaser.
Bitte sehr.
Zwischenbemerkungen müssen kurz sein.
Herr Präsident, Ihre Ermahnung ist mir Befehl.
Herzlichen Dank.
({0})
Herr Kollege Binding, Sie dürfen erwidern. Sie haben das Wort.
({0})
Herr Glaser, um die Sache korrekt zu machen: Sie haben recht. Sie haben im Ausschuss nicht gesagt: Vergewaltigung auf öffentlicher Straße. Sie haben gesagt: Vergewaltigung auf offener Straße.
({0})
Sie haben dann nach unserer Intervention gesagt, dass sei ein Sprachbild, und haben mehrmals das Wort „Sprachbild“ benutzt.
({1})
Ich sage Ihnen: Das ist kein Sprachbild, das ist widerlich, geschmacklos und beschämend.
({2})
Jetzt hat das Wort der Kollege Fritz Güntzler, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Sie haben einen Eindruck bekommen, wie die Diskussion im Finanzausschuss teilweise gelaufen ist. Im Großen und Ganzen war sie über die Fraktionsgrenzen hinweg – das ist heute mehrfach angesprochen worden – sehr konstruktiv. Leider hat sich auch hier wieder die AfD vollständig ins Abseits gestellt. Was Herr Glaser für ein Niveau verfolgt, das haben wir eben wieder mitbekommen.
({0})
Meine Damen und Herren, heute ist ein guter Tag für die Kommunen. Über 11 000 Kommunen haben nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April des letzten Jahres etwas gezittert, ob wir es hinbekommen, ein neues Grundsteuergesetz zu machen. Denn die Frist würde ja ablaufen, und damit hätte die Grundsteuer ab dem 1. Januar des nächsten Jahres nicht mehr erhoben werden können. Wir können Meldung machen: Wir haben geliefert. Heute werden wir ein Grundsteuergesetz beschließen mit einer Grundgesetzänderung und der Einführung der Grundsteuer C. Ich nehme an, dass die Länderkammer dem Ganzen auch zustimmen wird.
Dass das Verfahren recht komplex war, haben wir gemerkt, als wir jeweils mit den Bundesländern verhandelt haben. Denn man konnte nicht einfach sagen: Die A-Länder sind für dieses, die B-Länder sind für jenes. – Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir in den 16 Bundesländern mittlerweile unterschiedliche Konstellationen haben. Es ist übrigens eine Stärke unserer Demokratie, dass wir immer zusammenfinden und den Kompromiss suchen, so wie wir ihn hier auch jetzt gefunden haben.
Mit dem Wissen von heute – 556 Tage nach dem Urteil – hätte man am Anfang vielleicht mehr darüber nachdenken können, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, es komplett freizugeben, sodass die Länder in eigener Befugnis alles entschieden und wir uns als Bundesgesetzgeber herausgehalten hätten.
({1})
Ich weiß, das wäre für die SPD nicht machbar gewesen. Aber ich glaube, ein Freigabegesetz wäre vielleicht gar nicht so verkehrt gewesen.
Wir haben jetzt ein verfassungskonformes Gesetz vorliegen. Es ist rechtssicher, anders als uns der Hobbyjurist Glaser das weismachen wollte.
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Ich frage mich, ob Herr Glaser den Gesetzentwurf tatsächlich mal gelesen hat. Er nimmt immer wieder Bezug – er unterhält sich jetzt hier auch leidenschaftlich – auf den Belastungsgrund der Grundsteuer. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Urteil gesagt, wir als Gesetzgeber haben einen sehr weiten Spielraum, etwas zu regeln; wir müssen nur klar den Belastungsgrund der Grundsteuer ins Gesetz schreiben und daraus folgerichtig die Bewertung ableiten. Das tut dieser Gesetzentwurf. Herr Glaser, ich empfehle Ihnen die Seiten 81 ff. der Gesetzesbegründung. Dort wird der Belastungsgrund eindeutig benannt und folgerichtig daraus die Bewertung hergeleitet. Dass man auch einen anderen Belastungsgrund bei der Grundsteuer unterstellen kann, ist in der Steuerwissenschaft völlig unumstritten; kann man machen.
Das, was der Bundesfinanzminister hier gemacht hat, ist ein gangbarer Weg, das geht in die Richtung eines wertabhängigen Modells. Selbstverständlich kann man auch ein wertunabhängiges Modell machen. Das muss man auch mal klarstellen: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt: Es gibt nur diese eine Lösung. – Vielmehr sind beide Lösungen möglich: das wertunabhängige und das wertabhängige Modell. Das Problem war: Wenn Sie dem einen oder dem anderen Modell anhängen, dann ist es schwierig, die Dinge zusammenzubringen. Den Kompromiss da zu finden, ist nicht ganz einfach. Es ist ja schon über Jahre hinweg versucht worden; ich sage mal: Südländermodell, Nordländermodell, Thüringer Modell. Dann hat der Bundesrat mal ein Kostenwertmodell beschlossen gegen die Stimmen von Bayern und Hamburg – damals zu Recht. Der Bundesfinanzminister war als Bürgermeister gegen ein wertabhängiges Modell, und das lag, lieber Lothar Binding, nicht nur an der Steuermesszahl. Es war eine klare Entscheidung. Ich finde es klug, dass der jetzige Hamburger Bürgermeister, der ehemalige Finanzsenator Tschentscher, nach wie vor der Meinung ist, dass ein Flächenmodell wahrscheinlich besser wäre als ein wertabhängiges Modell. Aber insgesamt ist es gut, dass wir zu diesem Ergebnis gekommen sind.
Wenn wir beim Belastungsgrund der Grundsteuer sind: Es geht darum, dass die Bürgerinnen und Bürger für die Inanspruchnahme von Infrastrukturleistungen einen Beitrag über ihre Gebühren und Beiträge leisten. Wenn es aber so ist, dass es um die Inanspruchnahme durch die Mieterinnen und Mieter geht, dann ist es auch folgerichtig, dass die Mieterinnen und Mieter die Grundsteuer zu tragen haben, dass die Umlagefähigkeit bleiben muss. Das ist eigentlich die Konsequenz aus dem Belastungsgrund der Grundsteuer. Das kann man meines Erachtens nicht anders darstellen. Von daher ist es klug, dass wir dabei bleiben, wie es jetzt geregelt ist.
({3})
Das Bundesgesetz verursacht bei uns teilweise auch Schmerzen; es ist mehrfach angesprochen worden. Wir sind froh, dass wir einiges erreichen konnten. Am Anfang war es sehr komplex – ich würde nicht von einem Bürokratiemonster reden wollen; das geziemt sich nicht in der Koalition –,
({4})
und es wäre schon schwierig geworden. Von daher ist es gut, dass wir einige Vereinfachungen erzielen konnten. Einige Fragen haben wir noch, ich nenne nur das Stichwort der Bodenrichtwerte, die nicht justiziabel sind. Das ist, glaube ich, schon ein Problem. Wir sollten beobachten, wie letztendlich damit umgegangen wird.
Ich hoffe, die Länder werden die Öffnungsklausel in Anspruch nehmen. Wir werden einen tollen Wettbewerb sehen. Mein niedersächsischer Finanzminister Reinhold Hilbers hat ein kluges Modell vorgeschlagen. Ich hoffe, dass sich viele Länder anschließen werden.
Abschließend möchte auch ich allen Beteiligten ganz herzlich danken für die wirklich meist konstruktiven Diskussionen, insbesondere natürlich auch meinem Kollegen Bernhard Daldrup. Übrigens vielen Dank für die Glückwünsche zur Wahl des Kapitäns des FC Bundestages!
({5})
Lieber Bernhard Daldrup, wenn ich dich so im Ausschuss beobachte: Ich würde mich freuen, wenn du deine Ausputzerqualitäten dem FC Bundestag zur Verfügung stellen könntest.
Herzlichen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Florian Toncar,
({0})
der heute seinen 40. Geburtstag feiert, wozu ich im Namen des Hauses herzlich gratuliere.
({1})
Vielen Dank, Herr Präsident, für die freundliche und diskrete Behandlung dieses wichtigen Datums.
({0})
Ab jetzt hat Verdrängung endgültig keinen Sinn mehr. Aber ich bedanke mich sehr bei allen.
Herr Kollege Toncar, Sie sind Schwabe, -
Ja.
– und bei den Schwaben sagt man, sie würden mit 40 „gscheid“. Jetzt beweisen Sie es.
({0})
Die Hürden sind jetzt nicht gerade tiefer gelegt worden.
({0})
Aber ich muss sagen, Herr Präsident: Es ist zumindest so, dass man vor 40 in unserem gemeinsamen Heimatbundesland mit dem, was man sagt, überhaupt nicht ernst genommen wird. Insofern versuche ich jetzt mal, die erste Rede in einem Zustand zu halten, wo einem wenigstens zugehört wird.
({1})
Zum Gesetz selbst. Politisch ist das schon ein interessantes Grundkonstrukt, das hier gewählt wird. Wir bekommen ein Bundesgesetz bei der Grundsteuer, und die Länder sollen was Eigenes machen dürfen. Das ist letzten Endes dem Hintergrund geschuldet, dass sich die Koalition auf Bundesebene nur mit allergrößter Mühe überhaupt auf ein gemeinsames Modell einigen konnte.
Wenn man es mal bewertet, ist es im Grunde so: Die SPD legt mit einem Boot in Richtung Scholz-Modell ab, und die Union hat sich viele kleine Rettungsboote geschnappt, sitzt darin und fährt in eine andere Richtung, nämlich Richtung Länder. Sie sind also eigentlich längst in getrennten Booten unterwegs. Sie wollen heute Handlungsfähigkeit zeigen, wollen zeigen, dass das Land gut regiert wird. Aber in Wahrheit segeln Sie in unterschiedliche Richtungen.
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Zu der Frage, wie einfach es wird. Das Flächenmodell, das wir wollen, hat entscheidende Vorteile. Man braucht weniger Angaben dafür als bei jedem irgendwie gearteten wertbasierten Modell. Es reichen die Grundstücksgröße und die Gebäudefläche. Bei jedem wertabhängigen Modell braucht man mehr Angaben.
Der andere Vorteil, Kollege Binding, Kollege Daldrup, beim Flächenmodell ist: Da müssen Sie einmal die Angaben einholen, nämlich die Fläche, und solange nicht umgebaut wird oder sich irgendetwas mit der Immobilie ändert, können Sie das auf alle Ewigkeit weiterrechnen, also jedes Jahr die Grundsteuer ohne weitere Angaben ermitteln. Das ist sehr viel einfacher als das, was Sie hier heute vorgelegt haben.
({3})
Jetzt haben Sie versucht, ein wertabhängiges Modell zu machen, aber in Wahrheit ist es das natürlich auch nicht; denn wenn man es wirklich wertabhängig machen will, müsste man sich jedes Objekt einzeln anschauen. Bei Ihrem Modell kann es passieren, dass zwei Häuser in direkter Nachbarschaft oder zwei Wohnungen nebeneinander im selben Haus, die sehr unterschiedlich erhalten sind oder eine sehr unterschiedliche Ausstattung haben, bei der Grundsteuer, obwohl sie unterschiedlich viel wert sind, letzten Endes gleichbehandelt werden. Sie sind also letztlich damit gescheitert, ein wirklich wertabhängiges Modell zu machen.
({4})
Sie machen es nur kompliziert, aber nicht wertabhängig.
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Und das sagt nicht nur die FDP. Das hat in der Anhörung auch die Präsidentin des Instituts Finanzen und Steuern, Frau Professor Hey, gesagt, die deswegen auch damit rechnet bzw. in den Raum stellte, dass verfassungswidrig sein könnte, was Sie da machen.
Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat uns gestern noch mal bestätigt: Durch die vielen Typisierungen, die Sie verwenden, um Werte am Ende irgendwie zu ermitteln, kommt es zu Ungleichbehandlungen, die Ihr Gesetz verfassungswidrig werden lassen könnten.
Olaf Scholz, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat vor den Krawallen vor dem G-20-Gipfel in Hamburg gesagt: Kein Problem, wir machen ja auch den Hafengeburtstag; wir haben das hingekriegt. – Das Ergebnis ist bekannt. Ich fürchte, das Grundsteuermodell, das Sie heute beschließen, wird Olaf Scholzʼ zweiter politischer Hafengeburtstag, wenn Sie nicht davon Abstand nehmen.
({6})
Deswegen ist es gut, dass wir die Möglichkeit schaffen, über die Grundgesetzänderung zumindest einen Ausweg aus diesem bürokratischen und nicht stimmigen Modell aufzuzeigen.
Ich bin froh und zufrieden, dass es auch gelungen ist, das jetzt wirklich effektiv auszugestalten. Hätte man das Gesetz so gelassen, wie es bis Mittwoch aussah, dann hätte das zur Folge gehabt, dass Doppelbewertungen jedes einzelnen Grundstücks für den Länderfinanzausgleich hätten gemacht werden müssen. Das haben wir rausgenommen; das war für uns Freie Demokraten auch Voraussetzung dafür, dass wir zustimmen, weil die Grundgesetzänderung nur so funktionieren wird. Wir haben es hingekriegt, dafür bedanke ich mich. Es war den Kampf auch wert, und er war nötig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Unterm Strich ist aus meiner Sicht jetzt jeder Landtag im ganzen Bundesgebiet gefragt, sich Gedanken zu machen: Wie kann man die Grundsteuer wirklich einfacher und rechtssicher regeln? Da werden wir Freien Demokraten vor Ort unseren Beitrag leisten.
Die Grundgesetzänderung machen wir mit. Das Bewertungsrecht, das Sie heute vorlegen – das Grundsteuermodell –, lehnen wir ab.
({8})
Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Christian Haase, CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schließe mich dem Dank meiner Vorredner aus kommunaler Sicht natürlich an. Ich will nur noch vier Stichpunkte liefern.
Der erste ist die Länderöffnungsklausel. Die Lage bei der Grundsteuer vor Ort ist nicht homogen. Mit der Länderöffnungsklausel legen wir die Grundsatzfragen der Besteuerung nach dem Subsidiaritätsprinzip zurück in Länderhände. Ich glaube, das ist richtig. Die Grundsteuer ist eine reine Kommunalsteuer. Die Kommunen sind Teil der Länder, und ich traue den Ländern freiheitliche und verantwortliche Entscheidungen zu. Wir als CDU/CSU tun das, andere in diesem Hause offensichtlich nicht.
Zweiter Punkt: Baudenkmäler. Der Erhalt von Baudenkmälern liegt unstrittig im öffentlichen Interesse. Ich habe deshalb nicht verstanden, warum die bisherige Anerkennung im ersten Gesetzentwurf nicht enthalten, sondern einfach gestrichen worden war. Ich bin Abgeordneter einer Region der Klöster, Kirchen, Burgen, Schlösser und Herrensitze. Ich denke an die Wasserschlösser in Vinsebeck oder Neuenheerse oder an die Schlösser Lippe oder Rheder, und ich weiß, welche Verantwortung private Eigentümer an der Stelle übernehmen. Insofern begrüße ich die im parlamentarischen Verfahren vorgenommenen Änderungen.
({0})
Dritter Punkt: Aufkommensneutralität. Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden: Die Kommunen wollen diese Gesetzesänderung nicht dazu benutzen, zusätzliche Steuereinnahmen zu generieren. Ich möchte aber – auch für die kommunale Seite – trotzdem warnen. Wir können hier nicht Aufkommensneutralität predigen und den Kommunen auf der anderen Seite neue Steine in den Rucksack legen. Ich denke an das Angehörigen-Entlastungsgesetz, das im Augenblick in der Beratung ist; da drohen neue kommunale Belastungen in Höhe von 1 Milliarde Euro. Wenn wir hier etwas beschließen und sagen: „Die Kommunen sollen die Steuern nicht erhöhen“, sie aber an anderer Stelle gezwungen werden, quasi indirekt, die Steuern zu erhöhen, dann ist das nicht der Weg, den wir von kommunaler Seite richtig finden.
Mein letzter Punkt ist die Grundsteuer C und die Grundsteuer W. Die Grundsteuer C ist in diesem Gesetzespaket enthalten. Die Grundsteuer W wie „Wind“ wird in einem weiteren Gesetzespaket kommen. Ich glaube, beide sind nicht verpflichtend angelegt und sind damit ein Beitrag zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung.
Und es ist auch richtig – das ist erst kurz vor Schluss in das Gesetz hineingekommen –, den Anwendungsbereich der Grundsteuer C auch auf städtebauliche Belange auszuweiten und nicht nur auf den dringenden Wohnbedarf zu konzentrieren. Ich glaube, das hilft den Kommunen vor Ort bei einer vernünftigen Anwendung dieser Grundsteuer.
Die Grundsteuer W wie „Wind“ – das hatte ich bereits erwähnt – kann ein Beitrag zur Stärkung der Akzeptanz von Windenergieanlagen sein. Lange haben wir um Akzeptanzfragen gerungen, und gern hätte ich an dieser Stelle noch viel mehr erreicht als das, was im Augenblick vorgesehen ist. Aber ich glaube, hier hat die starke Lobbyarbeit der Windkraftbranche zugeschlagen. Ich weiß um den Lobbyismus hier in Berlin, und ich glaube auch: Es gibt keinen guten und keinen schlechten. Aber insgesamt möchte ich mahnen: Der Lobbyismus darf nicht dazu führen, dass wir den Prozess der eigenen Meinungsbildung negieren. Den sollten wir nach wie vor selbst führen. Mit dieser Grundsteuerreform ist uns das gelungen, und deshalb danke ich allen Fraktionen noch einmal, die hier zu einem guten Gesetz beigetragen haben.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich persönlich finde es richtig gut, dass wir heute in der Kernzeit digitalpolitische Themen diskutieren, auch wenn man bei der Anzahl der Anträge das Gefühl hat, hier heute eine Digitalisierungswoche der FDP zu erleben.
({0})
Wenn man sich allerdings die Anträge anschaut, stellt man sich an der einen oder anderen Stelle doch die Grönemeyer-Frage: Was soll das?
({1})
Beispielsweise der Antrag „Smart Germany – Bundesministerium für Digitalisierung etablieren“ ist ja nichts Neues.
({2})
Man kennt das jetzt ja schon seit einigen Jahren. Diese Forderung wird gerade auch seitens der FDP immer und immer wieder hier vorgetragen. Ich erinnere mich an eine Rede des Kollegen Brandenburg vom November 2018 zur KI-Strategie der Bundesregierung. Darin sagte er unter anderem, ein Digitalministerium sei das einzig Wahre.
({3})
Das hat anscheinend eine ungemein hohe Bedeutung für die FDP. Heia Safari! Wie oft und wie lange wollen wir uns noch mit diesen Themen beschäftigen?
({4})
Auf den ersten Blick mag man meinen, dass es eine gute Idee ist und auch gut gemeint ist. Auf den zweiten Blick, wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass das alles doch nicht so einfach ist. Das möchte ich auch gern begründen.
Wenn wir uns vor Augen führen, dass das Thema Digitalisierung einen großen Querschnitt unserer Gesellschaft widerspiegelt, dann erkennen wir, dass nicht nur ein einziges Ministerium davon betroffen ist, sondern mittlerweile alle Häuser, die wir in Berlin haben. Beispielsweise die Zuständigkeit für die elektronische Patientenakte oder den digitalen Impfpass aus dem Gesundheitsministerium herauszulösen, also aus dem Ministerium, in dem die Fachleute sitzen, und in ein Digitalministerium zu überführen, ist aus meiner Sicht nicht der richtige Weg. Wenn man weiterschaut und feststellt, dass zum Beispiel der Bereich Cyberwar, wo es möglicherweise auch um Aus- und Aufrüstung geht, ein fachspezifisches und spezielles Thema, aus dem Verteidigungsministerium herausgelöst werden soll, um ihn in ein Digitalministerium zu überführen, dann ist das aus meiner Sicht nicht der richtige Weg, meine Damen und Herren. Ich glaube, dass es ohne fachlichen Hintergrund nicht geht. Deshalb bin ich und sind wir von der Union von einem Digitalministerium nicht überzeugt.
Wichtig ist, dass die vielen digitalpolitischen Maßnahmen, die in den verschiedenen Ministerien geplant werden, gut koordiniert werden, und das erfolgt ja auch.
({5})
Das erfolgt im Kanzleramt durch unsere Staatsministerin Dorothee Bär.
({6})
Dort wird ein guter Job geleistet.
Auch der internationale Vergleich zeigt: Digitalministerien erfassen oft nur einen kleinen und spezifischen Ausschnitt der Digitalisierung. Ich nenne beispielhaft Polen. Das polnische Digitalministerium ist ausschließlich für den Breitbandausbau und für die Digitalisierung der Verwaltung verantwortlich. Eine andere Aufgabe hat dieses Ministerium derzeit nicht. Da fragt man sich: Ist das erforderlich und zwingend notwendig? Kurzum: Aus unserer Sicht ist ein Digitalministerium bei uns in Deutschland weder sinnvoll noch praktikabel.
Der zweite Antrag der FDP befasst sich mit dem Thema IT-Sicherheit. Die Themensetzung kann ich erst einmal begrüßen. IT-Sicherheit ist ein wichtiges Thema, das die breite Gesellschaft in unserem Land betrifft. Auch mit den Inhalten kann ich in Teilen mitgehen. Das betrifft zum Beispiel die Haushaltsausstattung in diesem Bereich. Wenn ich mehr Sicherheitsbehörden fordere, dann brauche ich auch mehr Personal, dann brauche ich auch eine bessere Ausstattung.
Gewundert habe ich mich allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, ähnlich wie in meiner Rede vor ein paar Monaten zum FDP-Antrag „Innovationsbotschafter entsenden“, über die neue Staatsgläubigkeit der FDP gerade in Fragen der Hochtechnologie. Es ist schon spannend, dass aktuell eine liberale Partei dem Staat anscheinend mehr vertraut als den Anwendern und Nutzern selbst.
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Der Staat soll zukünftig für die ganze IT-Sicherheit zuständig sein.
Das sehen wir anders. Wir wollen den Nutzer in die Selbstverantwortung bringen und ihn stärken. Auch darüber müssen wir einmal reden, wenn wir über IT-Sicherheit debattieren. Jedes Netz ist ja nur so sicher wie der Anwender, der es verwendet. Denken wir hier nur einmal an die Zahlen: Über 60 Prozent der Deutschen nutzen ein und dasselbe Passwort für unterschiedliche Onlineaccounts.
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Wenn „00000“, „ichliebedich“ oder „Schalke04“ zu den beliebtesten Passwörtern gehören, nützt auch die beste IT-Sicherheit nichts.
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– Das sind aber die beliebtesten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bekomme das Signal vom Präsidenten. Es ist immer ärgerlich, wenn am Ende der Redezeit noch so viel Redetext übrig ist. Aber es ist, wie es ist. Ich kann nur sagen, dass wir den Anträgen in dieser Form nicht zustimmen werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Beermann. – Sie sehen, dass ich heute etwas großzügiger bin. Ich möchte auch gemocht werden von den Kolleginnen und Kollegen.
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Als nächste Rednerin hat die Kollegin Joana Cotar, AfD-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Die FDP braucht mal wieder ein bisschen Aufmerksamkeit. So besprechen wir unter dem heutigen Tagesordnungspunkt tatsächlich 17 ihrer digitalen Anträge. In dieser vereinbarten 60-Minuten-Debatte kann kein einziger Antrag voll zur Geltung kommen. Aber darum geht es auch weniger. Es geht um Marketing und ein bisschen Show. Wir sind im Landtagswahlkampf in Thüringen, und die Partei zittert um den Einzug in den Landtag. Da kann ein bisschen Schützenhilfe aus dem Bundestag nicht schaden. Ich glaube zwar nicht, dass das die Wähler beeindrucken wird, aber ich gönne Ihnen den Versuch.
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Wenn man so viele Anträge raushaut, sollte man aber zumindest darauf achten, dass sie sich nicht widersprechen.
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Vor Kurzem forderten Sie noch, Funkfrequenzen für Medien und Kultur dauerhaft zu erhalten. Jetzt fordern Sie die Zurverfügungstellung der Frequenzen und eine Neuverhandlung mit den Ländern. Ja, was denn nun? Wusste da die rechte Hand nicht, was die linke tut? Manchmal ist Qualität eben doch besser als Quantität, liebe Kollegen.
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Aber ich will nicht nur kritisieren. Ich finde es ja gut, dass sich zumindest die Opposition für die Digitalisierung in diesem Land einsetzt und der lahmen Ente Bundesregierung Beine machen will; denn unsere technophobe Regierung scheint der Meinung zu sein, dass man dieses Neuland einfach aussitzen kann.
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Anders kann ich mir die Lethargie nicht erklären, mit der die Verantwortlichen an das Thema herangehen.
Ja, in jeder Rede der SPD und der Union hören wir die berühmten Buzz-Wörter: Industrie 4.0, Gigabitgesellschaft, KI, autonomes Fahren. Man könnte hier im Plenum direkt Bullshit-Bingo spielen. Aber wie ernst es der Regierung ist, sehen wir, nachdem die Anträge hier im Plenum behandelt worden sind, an der Überweisung in die Ausschüsse. Jeder Antrag zur Digitalen Agenda wird eben nicht in den Ausschuss „Digitale Agenda“ überwiesen, weil dieser nicht einmal federführend ist. Jedes Mal, wenn die Überweisung strittig ist, stimmen alle Oppositionsparteien für die Überweisung in den Ausschuss „Digitale Agenda“ und die Regierungsparteien dagegen. Und so landen auch die Anträge der FDP heute im Ausschuss für Inneres und Heimat, im Finanzausschuss, in den Ausschüssen für Gesundheit, Bau, Auswärtiges, Umwelt, Kultur – die Digitalpolitiker dürfen nur mitberaten. Dabei haben Sie doch wirklich gute Leute im Digitalausschuss sitzen, werte Kollegen von der Union und der SPD. Lassen Sie die doch endlich einmal machen! Dann wird es vielleicht auch etwas mit der Digitalisierung in diesem Land.
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Und richten Sie endlich das geforderte Digitalministerium ein, eine Stelle, die dieses Chaos, das Sie all die Jahre angerichtet haben, koordiniert. Ja, Digitalisierung ist ein Querschnittsthema; ja, es betrifft alle Ministerien. Aber das ist Umweltschutz auch, und trotzdem haben wir ein Umweltministerium. Beenden Sie endlich diesen Kompetenzwirrwarr!
Deutschland ist im internationalen Vergleich weniger wettbewerbsfähig als noch im Vorjahr. In der neuen Rangliste des Weltwirtschaftsforums sind wir von Platz 3 auf Platz 7 zurückgefallen. Überholt wurden wir von Hongkong, den Niederlanden, der Schweiz und Japan. Ein Grund für die Abstufung ist der Nachholbedarf Deutschlands bei der Informationstechnologie: Deutschland hat ein Infrastrukturproblem. Bei Internetverbindungen über Glasfaserkabel landet Deutschland auf Platz 72, bei mobilen Breitbandanschlüssen auf Platz 58. Und dabei klingelt mir noch das Versprechen von Frau Merkel in den Ohren, Deutschland zur Gigabitgesellschaft zu machen. Wie so vieles ist auch das nur ein Lippenbekenntnis!
Bezeichnenderweise entwickelt sich auch das wichtigste und teuerste Digitalprojekt der Bundesregierung, die Modernisierung der IT der Bundesverwaltung, zum milliardenteuren Fiasko. Sie können es einfach nicht, meine Damen und Herren.
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Spitze sind wir dagegen bei der Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet und bei der Forderung nach immer mehr Überwachung der Bürger. Die Union bringt es ja tatsächlich fertig, im Zusammenhang mit Halle die Gamerszene unter Generalverdacht zu stellen und die Killerspieldebatte wieder aufzumachen, mit lauter und deutlicher Forderung nach Zensur. Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.
Während in den anderen Ländern die Zukunft längst begonnen hat, fährt diese Bundesregierung den Wirtschaftsstandort Deutschland mit Vollgas an die Wand. Es fehlt an Wille, Verständnis, Mut, Flexibilität, Organisation, schlicht an allem.
Wachen Sie auf, meine Damen und Herren der Regierung! In der Digitalisierung darf es kein Vielleicht oder Später geben, sonst gehört die Zukunft nicht uns, sondern anderen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jede Zeit hat ihre Begriffe, und unsere Zeit ist stark vom Digitalen geprägt: Gestern war noch alles in der Cloud, heute wird es mit der Blockchain gebändigt.
Die FDP-Fraktion legt einen ganzen Strauß von Anträgen vor, die sich um den Begriff „smart“ drehen: Smart Building, Smart City, Smart Germany – so viel Smartness, man möchte fast von einer „Smart FDP“ sprechen.
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Wir sind wirklich beeindruckt. Ganz ehrlich: Wenn ich nur die Titel eurer Anträge vorlesen würde, wäre meine Redezeit um;
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deswegen ist das schwierig. Ich habe auch manchmal Zweifel, wie lange die Legislatur noch währt, aber so viel Torschlusspanik muss nun wirklich nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
An der Fülle der Anträge sieht man, was es heißt, wenn alle sagen, die Digitalisierung durchdringe alle Bereiche unseres Lebens. Andere sagen einfach: Digital ist das neue Normal. – Damit ist am besten erklärt, warum die Forderung nach einem Digitalministerium, in die faktisch jeder Ihrer Anträge gipfelt, total aus der Zeit gefallen ist, liebe Kollegen von der FDP. Das Digitale lebt heute längst nicht mehr in einer Nische, sondern, wie gesagt, in allen Bereichen. Deshalb ist es in allen Ministerien und übrigens in allen Ausschüssen gut angesiedelt.
Ich beschränke mich wegen der Kürze der Zeit auf einen Begriff, der in der Digitalisierung eine große Rolle spielt: die Offenheit. Gestern haben wir bei einem parlamentarischen Frühstück der Open Knowledge Foundation zusammengesessen und haben uns beraten, wie wir diesen Gedanken der Offenheit in die Köpfe und in die Herzen der Regierenden, der Behörden und der Parlamentarier tragen könnten. Wie können wir deutlich machen, dass gerade in heutigen Zeiten offene Daten, Transparenz und Beteiligung wichtige Grundlagen für die Schaffung neuen Vertrauens in das Regieren, in politisches und staatliches Handeln wären? Dieses Vertrauen hat in jüngster Zeit durchaus etwas gelitten.
Außerdem ergeben sich durch die Öffnung der Daten Perspektiven für die Zivilgesellschaft und neue Geschäftsmodelle. Aber auch die Verwaltung selbst kann davon profitieren, auf das Wissen der jeweils anderen zugreifen zu können. Wenn man die Daten vorher aufräumen muss, dann kann man sogar selbst davon profitieren. Den Plädoyers der Grünen und der Linken für mehr Offenheit können wir also durchaus zustimmen, auch wenn sie in der Umsetzung vielleicht etwas ungenau und unausgegoren sind.
Wir haben hier kurz vor Ende der vergangenen Legislatur ein Open-Data-Gesetz beschlossen, in dem wir die unmittelbaren Bundesbehörden verpflichtet haben, ihre nicht personenbezogenen Daten der Öffentlichkeit bereitzustellen. Grüne und Linke fordern die Bundesregierung jetzt auf, das Open-Data-Gesetz zu novellieren, gerade zwei Jahre, nachdem es in Kraft ist. Ist das ungerecht? Nein, weil auch wir mit der Umsetzung bislang unzufrieden sind. Ist es zu früh? Nein, weil auch wir den Sachstandsbericht durchaus als erste Evaluation interpretieren können und schon Ideen entwickeln, wie es weitergehen könnte. Und doch kommen die Anträge etwas zu früh; denn ein zweites Open-Data-Gesetz ist ja im Koalitionsvertrag vereinbart. Jetzt, wo auch die Opposition dafür ist, dürfen wir sicher erwarten, dass das Ministerium, auch wenn kein Vertreter anwesend ist, in Bälde mit konkreten Eckpunkten auf uns zukommt.
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Auch bei der Nutzung von Open-Source-Software in der Verwaltung liegen unsere Positionen nicht weit auseinander. Erst vor einigen Wochen hat eine Studie im Auftrag des Innenministeriums ergeben, dass die Verwaltung in Deutschland in hohem Maße von Produkten von Monopolisten abhängt und dass dies eine erhebliche Gefahr für die digitale Souveränität und vor allem auch für die Unabhängigkeit und die Zuverlässigkeit staatlichen Handelns darstellt. Daran müssten wir noch arbeiten. Für die Entwicklung offener Architekturen und den Einsatz offen lizenzierter Software gibt es handfeste Gründe. Kostenersparnis gehört übrigens nicht dazu; denn Open Source ist nicht umsonst, und wenn ihr Einsatz sinnvoll sein soll, dann darf er auch nicht kostenlos sein.
Nicht nur beim Ausrollen der 5G-Infrastruktur, sondern auch bei der Konsolidierung der IT des Bundes, der Länder und der Kommunen wären wir also mit einer Strategie für mehr Offenheit, mehr Unabhängigkeit und mehr digitale Souveränität gut beraten. Es ist zu hoffen, dass auch die Anträge der Opposition ihren Beitrag zu dieser Überzeugung leisten, auch wenn wir ihnen nicht zustimmen können.
Danke.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Esken. In Verfolgung Ihrer Rede stimme ich Ihnen zu, dass die Präsenz der Bundesregierung bei diesem Thema durchaus ausbaufähig wäre.
Als nächster Redner hat der Kollege Manuel Höferlin, FDP-Fraktion, das Wort.
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Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir stellen heute einen Antrag zur Einrichtung eines Digitalisierungsministeriums. Insgesamt sind es 25 Anträge, die wir diese Woche zum Thema „Smart Germany“ ins Plenum eingebracht haben. Sie ziehen sich tatsächlich quer durch alle Gebiete: Innen, Infrastruktur, Verkehr, Gesundheit, Finanzen, Umwelt, Außen, Kultur – ich könnte noch mehr nennen. Bei all diesen digitalen Themen geht es um Federführung und Koordination.
Ich habe wieder die alten Argumente gehört – von Saskia Esken, von Maik Beermann –, wir wollten das Digitale aus den Fachministerien herausreißen, das sei eine überkommene Vorstellung und total abwegig. Das ist nicht nur für uns falsch, auch einzelne Personen aus Ihren eigenen Fraktionen haben das schon zu Recht anders gesehen. Alexander Dobrindt zum Beispiel hat gesagt: Wir können mit einem Digitalministerium unsere Schlagkraft deutlich erhöhen und uns gemeinsam mit der Wirtschaft an die Spitze kämpfen in der neuen, digitalen Weltordnung.
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Auch Bitkom, BDI und IT-Mittelstand unterstützen uns. Bei der SPD hat sich Lars Klingbeil 2018 für einen Digitalminister ausgesprochen. Tabea Rößner, die gleich noch sprechen wird, hat im Juli 2019 gesagt, ein Digitalministerium könne man sich auch vorstellen, sie habe ihre Meinung geändert. Und ganz frisch: Mitte 2019 sagte – damals noch in der Bundesregierung – Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zu diesem Thema: „Ein Nebeneinanderher und Tempostopper können wir uns einfach nicht mehr leisten“, und sprach sich für ein Digitalministerium aus. So abwegig kann unsere Vorstellung nicht sein, wie Sie es hier darstellen, meine Damen und Herren.
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Heute haben wir das Thema „Digitalisierung Deutschlands“; es ist hier verkürzt an der Tafel dargestellt. In Wahrheit, meine Damen und Herren, geht es aber um die digitale Transformation.
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Das ist der entscheidende Unterschied, den manche wohl einfach noch nicht verstanden haben. Es geht um die Transformation in der digitalen Welt von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Bei der Wirtschaft klappt das schon sehr, sehr gut, bei der Gesellschaft und der Politik sind wir da, vor allen Dingen hier im digitalen bzw. pseudodigitalen Berlin, noch nicht angekommen. Ich höre hier immer wieder, auch am Mittwoch bei der Befragung, aus der Bundesregierung: Wir sind auf einem guten Weg. – Meine Damen und Herren, das höre ich seit fünf bis zehn Jahren beim Thema Digitalisierung. Die Menschen können es einfach nicht mehr hören; es muss endlich etwas passieren. Denken wir doch einmal ein paar Sachen neu.
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Ich war gerade letzte Woche mit dem Digitalausschuss in Kanada; einige Kollegen waren dabei. Wir haben mit dem Minister für digitale Transformation in Québec gesprochen. Dort gibt es auch eine Digitalstrategie, eine Strategie zur digitalen Transformation. Die sogenannte Digitalstrategie der Bundesregierung listet 111 Einzelprojekte auf – ohne Zeitplan, ohne Priorisierung, ohne Bezug zueinander. Das ist kein Projektmanagement, wie man es bei diesem Thema bräuchte. Deswegen gibt es hier in Deutschland keine richtige digitale Strategie, es wird nicht richtig koordiniert, und das sollten wir dringend ändern.
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Die Frage, die sich hier stellt, ist doch: Wollen wir den digitalen Wandel gestalten, oder sollen wir ihn über uns ergehen lassen? Stattfinden wird er in jedem Fall, meine Damen und Herren. Aber wenn wir ihn nicht gestalten, werden wir ihn zumindest hier in Deutschland über uns ergehen lassen müssen. Er wird woanders in der Welt geschehen, und wir werden ihn dann mitmachen können. Das wollen wir nicht. Wir wollen ihn aktiv gestalten.
Am Mittwoch hat mein Kollege Sitta Herrn Bundesminister Braun die Frage gestellt, ob denn nicht ein Digitalministerium der bessere Weg sein könnte. Auch er hat das nicht grundsätzlich abgelehnt. Er sagte, das sei eine philosophische Frage, das könne man nicht mehr in dieser Legislaturperiode machen, die Entscheidungen seien getroffen.
Übrigens: Die Koordination funktioniert auch jetzt nicht. Natürlich ist Digitalisierung eine Querschnittsaufgabe. Unser Vorschlag zur Schaffung eines Digitalministeriums bedeutet aber nicht das Herausreißen des Digitalen. Herr Beermann sprach das Gesundheitsministerium an, dass dort dann keine Kompetenz mehr vorhanden sei. Wir wollen ja gerade nicht die Gesundheitskompetenz aus dem Gesundheitsministerium abziehen, sondern Digitalkompetenz hinzufügen.
Auch in diesem Haus müsste sich einiges ändern. Die Ausschüsse – Frau Cotar sagte es – sind Fachausschüsse. Warum denken wir denn hier nicht einmal neu, wenn die digitale Transformation alles umwälzt? Auch in diesem Haus könnten zwei Ausschüsse einen gemeinsamen Unterausschuss bilden und gemeinsam ein Projekt bearbeiten. Dann kämen nämlich die Kompetenz aus dem Gesundheitsbereich und die Kompetenz aus dem digitalen Bereich zueinander, und die beiden Fachministerien, die sonst nicht zusammen sind, würden nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten.
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Herr Braun sagte, das sei philosophisch, das könne man vielleicht demnächst machen. Wollen wir wirklich warten? Nein. Wir brauchen jetzt ein Update für Deutschland, meine Damen und Herren. Das kann nicht länger warten.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Höferlin. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Anke Domscheit-Berg, Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich zitiere: „123456“, „12345“, „123456789“, „ficken“, „12345678“, das sind die fünf häufigsten Passwörter einer halben Million E-Mail-Konten, die das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut 2018 analysierte. Warum nur, haben Medien gefragt, nutzen so viele Menschen Passwörter, die man leicht erraten kann, wo doch ein E-Mail-Postfach auch höchst private Dinge enthält? Wann, fragen wir uns in der Linksfraktion, übernimmt die Bundesregierung Verantwortung für den digitalen Verbraucherschutz und untersagt Anbietern, solche Passwörter zu akzeptieren? Ja, jeder trägt natürlich eigene Verantwortung. Aber wenn das reichen würde, gäbe es auch keine Schranken an Bahnübergängen.
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Kluger Verbraucherschutz besteht außerdem aus Informationspflichten. Deshalb kleben Energiesparsymbole auf Waschmaschinen und Mindesthaltbarkeitsdaten auf Käsepackungen. Was aber weder auf Handys oder smarten Toastern klebt, ist ein Datum, bis zu dem die Hersteller Softwareupdates garantieren, mit denen sie neu gefundene Sicherheitslücken schließen. Deshalb gehört ein Mindest-Update-Datum zu den notwendigen Standards für IT-Sicherheit, deren Einführung wir fordern.
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Überfällig ist auch die Produkthaftpflicht für IT-Produkte. Die bisherige Haftpflicht greift nämlich zum Beispiel nur, wenn der vernetzte Kühlschrank ausläuft, aber nicht, wenn er als Teil eines Botnetzes Schaden anrichtet.
Außerdem braucht es endlich eine Meldepflicht für gefundene Sicherheitslücken, um sie schneller schließen zu können. Und weil es keine Schwachstellen gibt, die nur aus guten Motiven ausgenutzt werden, muss sie auch für staatlichen Stellen gelten. Denn wenn sich Geheimdienste Hintertüren zu häufig genutzter Software offenhalten, um sie später zu Überwachungszwecken auszunutzen, setzen sie unser aller vernetzte Welt unkalkulierbaren Sicherheitsrisiken aus.
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Schon gar nicht darf der Staat bei einem Hackerangriff einen Hackergegenangriff starten. Das ist nämlich keine Verteidigung mehr, und wenn man sie hundertmal „aktive Cyberabwehr“ nennt. Derlei Praktiken würden gegen geltendes Recht verstoßen und Eskalationen mit unabsehbaren Folgen garantieren. Die Linke fordert daher die Bundesregierung erneut auf, Maßnahmen zu unterlassen, die unser aller IT-Sicherheit gefährden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch über einen zweiten Antrag meiner Fraktion sprechen, der heute zur Debatte steht. Wir fordern darin die Bundesregierung auf, dem Grundsatz „Öffentliches Geld? Öffentliches Gut!“ – abgekürzt ÖGÖG – zu folgen, also alle Inhalte, die mit Steuergeldern von der Allgemeinheit finanziert wurden, auch der Allgemeinheit frei zur Verfügung zu stellen. So sollten alle von Verwaltungen gesammelten Daten mit wenigen Ausnahmen zeitnah, kostenlos, maschinenlesbar und ohne jegliche Nutzeneinschränkung frei zur Verfügung stehen und damit zu Open Data werden.
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Die Bundesregierung will übrigens weltweit Vorreiterin im Bereich Open Data werden. Ich beschäftige mich nun schon seit zehn Jahren mit dem Thema und kann sagen: Ein Mangel an verbalem Ehrgeiz besteht zwar nicht, aber leider an Umsetzungskompetenz. Das Open-Data-Gesetz der Bundesregierung war ein Schuss in den Ofen; das ergab Ihre eigene Studie. Aber immerhin wissen wir seit Mittwoch, dass unsere Kritik an der ursprünglich für 2021 geplanten Evaluation dieses Gesetzes Gehör fand und ihre Ergebnisse nun doch Ende 2019 vorliegen werden. Damit ist der Weg frei für ein besseres Gesetz.
Unser Grundsatz „ÖGÖG“ bezieht sich aber nicht nur auf staatlich gesammelte Daten wie Wetter-, Verkehrs- oder Katasterdaten, die Grundlage für nützliche Apps sein können. Auch Bildungsmaterialien, die mit Steuergeldern entwickelt worden sind, müssen als Open Educational Resources frei zur Verfügung stehen, gleichermaßen Forschungsergebnisse aus öffentlich finanzierter Forschung und digitalisierte Kulturschätze aus öffentlichen Museen und Archiven, damit Kunst und Kultur auch im ländlichen Raum, auch bei mir in Brandenburg im Wahlkreis, zugänglicher werden.
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Manche Schritte gehen schon in die richtige Richtung, aber reichen nicht. So beschloss das Auswärtige Amt, sein politisches Archiv mit Millionen von Dokumenten und Bildern zu veröffentlichen – aber leider mit einer Lizenz, die eben keine beliebige Nutzung erlaubt, sodass sie so auf dem Weg zu Open Data auf den allerletzten Metern einfach stehen bleibt. So wird man nicht Vorreiterin.
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Auch Software, die der Staat entwickeln lässt, muss Open Source sein. Und Dokumente, die Ergebnisse staatlichen Handelns sind, gehören maschinenlesbar und frei ins Netz: Gerichtsurteile, Amtliche Mitteilungsblätter, Gesetze oder Gutachten samt der ihnen zugrundeliegenden Daten. Also zum Beispiel auch die Ergebnisse der Abgastests des Kraftfahrt-Bundesamts zum Ausstoß von Stickoxiden bei Dieselautos, die bisher – und zwar jahrelang – unter Verschluss waren und erst vor Gericht eingeklagt werden mussten. So etwas geht einfach mal gar nicht.
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Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unseren Anträgen. Und, wie immer, bin ich im Übrigen der Meinung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen absolut nichts im Strafgesetzbuch verloren haben. § 219a gehört abgeschafft.
Vielen Dank.
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Ja, Frau Kollegin Anke Domscheit-Berg. Das Wort bei der Kodierung hätte ich jetzt nicht erraten.
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Als nächste Rednerin hat die Kollegin Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zeigt: Bei der Digitalisierung gibt es zahllose Baustellen. Die Bundesregierung könnte an jeder Stelle anfangen und eine nach der anderen abräumen. Aber was macht sie? Nichts. Ich verrate Ihnen etwas: Die Digitalisierung findet statt, ganz ohne Ihr Zutun. Dabei müssten Sie sie endlich gestalten; denn alles, was sich jetzt in eine falsche Richtung entwickelt, ist später umso schwerer zurückzuholen. Wir bieten Ihnen ein breites Portfolio an Handlungsoptionen. Sagen Sie einfach Danke und nehmen Sie es.
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Zum Beispiel im Bereich offene Standards: welch große Chancen die für alle bieten! Offene Standards sind leicht zugänglich, weiterentwickelbar und ermöglichen einen selbstbestimmten Umgang mit Geräten, Daten und Informationen. Sie befördern Innovation, stärken die Wahlfreiheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern und erhöhen die Sicherheit in der digitalen Welt.
Unser Antrag zeigt Ihnen all diese Potenziale quer durch die Digitalpolitik: von Interoperabilität bis zum Recht auf Reparatur. Ich begreife nicht, warum die Bundesregierung diesen wichtigen Treiber für eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung so sträflich vernachlässigt.
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Im Koalitionsvertrag – Kollegin Esken hat es angesprochen – ist ein zweites Open-Data-Gesetz versprochen. Damit soll die Verwaltung alle Daten von sich aus standardmäßig zur Verfügung stellen. Auf das Gesetz warten wir aber immer noch. Gleichzeitig wird die Non-Profit-Organisation FragDenStaat mit Verweis auf das Urheberrecht verklagt, weil sie das Gutachten einer Bundesbehörde zu Glyphosat öffentlich gemacht hat. Mir wäre das an Ihrer Stelle peinlich. Statt andere zu verklagen, sollten Sie erst einmal Ihre Versprechen einlösen.
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Die Digitalisierung zu gestalten, ist mehr, als einen Podcast zu machen. Die Kanzlerin wirkt übrigens wie eine Märchenerzählerin, wenn sie wundervolle Dinge wie den zweiten Aktionsplan zur Open Government Partnership verspricht, mit dem sich Bürgerinnen und Bürger über Regierung und Parlament besser informieren können. Im wahren Leben sieht es aber ganz anders aus; denn die Union sperrt sich weiterhin, Ausschüsse öffentlich tagen zu lassen.
Unser Parlament ist das meistbesuchte der Welt – aber nur, was die Reichstagskuppel angeht. Bei Open Government und Open Data haben uns inzwischen viele Länder überholt, die nicht auf eine so lange demokratische Tradition wie wir zurückblicken können. Also bei mir weckt das Ehrgeiz, bei Ihnen offenbar nicht.
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Auch bei freier Software stolpern wir ordentlich hinterher. Zwar strapaziert die Bundesregierung – auch Saskia Esken hat das eben gesagt – bei jeder Gelegenheit die digitale Souveränität, bei der eigenen Technik setzt sie aber nicht auf Open-Source-Lösungen. Erst kürzlich trudelte im Innenministerium das Ergebnis einer Studie ein, die aufzeigte, dass die Bundesregierung, die Ministerien und die obersten Behörden in hohem Maße vom Softwareanbieter Microsoft abhängig sind.
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Ist es verantwortbar, auf einen einzigen Konzern derart angewiesen zu sein? Sie geben damit nicht nur die Kontrolle aus der Hand, es bremst Innovation, gefährdet die IT-Sicherheit und kann zudem extrem teuer werden. Was könnte man nicht alles Sinnvolles mit dem Geld anstellen, das Sie Microsoft in den Rachen werfen!
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Apropos IT-Sicherheit. Während wir in der Warteschleife für das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 versauern, weigert sich die Bundesregierung, echte Verschlüsselung für alle anzubieten. Stattdessen geht sie lieber noch ein paar Sicherheitslücken auf dem Schwarzmarkt shoppen, damit sie die Bürgerinnen und Bürger besser überwachen kann. Das darf doch wohl nicht sein.
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Ich könnte ewig so weitermachen. Der Breitbandausbau ist ein Jammerspiel epischen Ausmaßes. Wie schön wäre es, wenn wir alle endlich auch im Zug Richtung Wahlkreis wichtige Telefonate führen könnten, ohne dass die Verbindung ständig abreißt.
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Oder man könnte auch Digitalisierung und Klimaschutz zusammendenken.
Ich fasse zusammen: Über der Reichstagskuppel lacht heute die Sonne, über Deutschlands Digitalpolitik lacht die ganze Welt.
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– Es ist sexistisch, wenn man „süß“ zu einer Rednerin sagt.
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Einer der Gründe all dieser Baustellen ist die fehlende Koordination. Die einzelnen Bemühungen verpuffen. Ein Digitalministerium ist aber nicht zwingend der alleinige Heilsbringer, wie die FDP glaubt. Digitalministerium hin oder her – das ist eigentlich gar nicht die zentrale Frage. Es käme darauf an, wie man es aufstellt.
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Ich brauche nicht viel Fantasie, um mir ein schlecht geführtes Digitalministerium in einer Großen Koalition vorzustellen.
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Dabei sind mit der Staatsministerin für Digitalisierung und dem Digitalkabinett theoretisch eigentlich die Grundlagen für eine gute Koordinierung geschaffen. Aber die praktische Umsetzung ist schlecht. Da gebe ich gar nicht Doro Bär die Schuld. Sie hat wenig Kompetenzen, Budget oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und im Digitalkabinett sitzen zudem noch viele Digitalisierungsbremser.
Ich kann Ihnen jedenfalls versichern: Wir Grüne haben eine Menge Ideen und auch den Willen, die vielen Baustellen endlich anzupacken.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Rößner. – Ich habe darüber nachgedacht, weil Sie erklärt haben, zu einer Rednerin „süß“ zu sagen, sei sexistisch, ob ich einen Ordnungsruf erteilen muss. Ich bin mir aber noch nicht ganz schlüssig, ob das wirklich sexistisch ist, weil meine Frau häufiger zu mir sagt, ich sei süß. Aber sei es drum.
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Als nächster Redner hat der geschätzte Kollege Patrick Schnieder, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte hat einen gewissen Unterhaltungswert. Ich möchte sie aber nicht so fortsetzen, weder mit Abkürzungen – „ÖGÖG“, „oink, oink“ oder wie auch immer – noch mit der Diskussion der Frage,
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ob bestimmte Äußerungen, die in gewissem Kontext durchaus anerkannt sind, sexistisch sind. Wir sollten das nicht zu hoch hängen.
Ich möchte mir aus dem Bauchladen, den uns die FDP heute serviert,
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ein Thema herausgreifen, nämlich die Mobilfunkversorgung. Dieses Thema berührt die Menschen in vielen Regionen in Deutschland, auch in meinem Wahlkreis, sehr stark. Ich will Ihnen durchaus zustimmen, wenn Sie in Ihrem Antrag formulieren, die Mobilfunkversorgung sei absolut unbefriedigend. Eine Unterversorgung können wir so nicht akzeptieren, können wir so nicht bestehen lassen. Diese betrifft vor allem den ländlichen Raum. Die Kollegin hat mit einem Satz dieses Thema dann auch noch aufgegriffen. Es trifft uns in Rheinland-Pfalz, Herr Kollege Höferlin, ganz besonders, aber die Menschen in manch einem anderen Bundesland auch, dass unterwegs Verbindungen abreißen, dass es Dörfer und Weiler gibt, die nicht versorgt sind, die unterversorgt sind. Es geht nicht nur um die weißen Flecken, es geht auch um die grauen Flecken.
Da haben wir uns auf den Weg gemacht. Die Situation ist heute – das sage ich noch einmal – unbefriedigend, aber ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren zu einer deutlichen Verbesserung kommen werden. Deshalb stellt sich zunächst die Frage, wo die Ursachen für diese Probleme liegen. Das liegt zum einen an der Siedlungsstruktur. Deshalb bin ich auch immer etwas vorsichtig bei all den Vergleichen, die wir mit anderen Ländern anstellen. So richtig es ist, unsere Situation an deren zu messen und messen zu lassen, so muss man doch immer auf die Besonderheiten hinweisen. Wir haben eine sehr heterogene Siedlungsstruktur. Wir haben eine Flächenversorgung, die deutlich aufwendiger und schwieriger ist.
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Das Beispiel Kanada ist ungeeignet. Auch das Beispiel Schweden ist im Vergleich ungeeignet, weil es dort immer auch Agglomerationsräume gibt.
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Dies ist mit der Situation in Deutschland, wenn man ganz Deutschland betrachtet, nicht vergleichbar. Da muss man schon genau hinschauen. Trotzdem ist es ein Anreiz, bei der Versorgung letztlich so gut zu werden wie diese Länder.
Wir haben bisher beim Vergabedesign – das geht weit zurück – viel zu stark auf die Versorgung einzelner Haushalte gesetzt als auf die Versorgung von Flächen. Das fing schon bei der ersten Auktion an; da ging es zu einem Großteil ums Geld. Bei der Auktion im Jahr 2010 – übrigens unter Wirtschaftsminister Brüderle – fiel die Versorgungsauflage schon etwas stärker ins Gewicht. Jetzt haben wir bei der Versteigerung der 5G-Frequenzen deutlich stärker einbezogen, auch verstärkt in die Fläche zu kommen. Das halte ich für den richtigen Weg.
Daneben darf man aber auch nicht verschweigen, dass die rechtlichen Anforderungen an Mobilfunkstandorte hoch sind. Überhaupt geeignete Liegenschaften für Funkmasten zu finden, ist nicht so einfach. Auch da müssen wir schneller werden. Das Planungsrecht muss besser werden. Es darf nicht sein, dass wir auf der einen Seite Verbesserungen fordern, uns aber auf der anderen Seite vor Ort im konkreten Fall an die Spitze der Bewegung setzen, um das Aufstellen von Funkmasten zu verhindern.
Was haben wir unternommen? Auf dem Mobilfunkgipfel 2018 gab es die Zusage der Telekommunikationsunternehmen, bis Ende 2020 99 Prozent der Haushalte bundesweit, bis 2021 99 Prozent der Haushalte in jedem Bundesland mit LTE zu versorgen. Das ist ein wichtiger weiterer Schritt. Fläche ist wichtig. Das haben wir bei der Versteigerung der 5G-Frequenzen in Angriff genommen mit den Flächenkriterien, die dort enthalten sind. Wir werden 1 400 zusätzliche Mobilfunkmasten in unterversorgten Regionen errichten. Wir wollen die Probleme, die letztlich verbleiben, mit einer staatlichen Mobilfunkgesellschaft in den Griff bekommen, um dem Anspruch, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu schaffen, gerecht zu werden.
Ich komme aus einem Grenzraum mit Belgien und Luxemburg als Nachbarn. Wir müssen auch die Versorgung der Grenzregionen verbessern. Auch da ist ein wichtiger Schritt unternommen worden. Das BMVI hat Anfang Oktober eine Vereinbarung mit der Bundesnetzagentur getroffen, sodass die zulässige Einstrahlung ins Nachbarland in Zukunft auch vollständig genutzt werden kann.
Deshalb kann ich als Fazit festhalten: Die Mobilfunkstrategie des Bundes wird systematisch abgearbeitet. Wir haben wichtige Entscheidungen getroffen, die Weichen richtig gestellt. Wir werden deutliche Verbesserungen in unterversorgten Regionen bekommen. Dennoch: Auch bei den neuen Zielen handelt es sich um Zwischenschritte, denen weitere Schritte bis zu einer Versorgung sämtlicher Haushalte und Verkehrswege in Deutschland folgen müssen und folgen werden.
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Vielen Dank, Herr Kollege Schnieder. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Michael Espendiller, AfD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die FDP hat 17 Anträge zur Digitalisierung unter diesem Tagesordnungspunkt eingebracht. Eine ausführliche Debatte ist eigentlich nicht möglich und auch nicht erwünscht. Exemplarisch mache ich das an dem Antrag „Smart Germany – CO2 an die digitale Kette legen“.
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– Schauen wir gleich. – Beantragt wird hier die Einführung einer Blockchain-basierten digitalen Währung mit dem Ziel, einen künstlichen Markt für die Speicherung von CO2 zu schaffen.
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Pro gespeicherter Tonne CO2 soll ein Coin ausgegeben werden. Gegründet werden soll dafür ein staatlicher Verein, der aus Umwelt- und Klimaschutzverbänden besteht. Er soll die Ausgabe dieser Coins kontrollieren und auch die Maßnahmen in den Ländern weltweit kontrollieren. Da frage ich mich: Wie soll denn das funktionieren?
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Wenn zum Beispiel ein Maßnahmenpaket gemacht wird, um in Afrika Bäume zu pflanzen, soll dann ein Umweltschutzverband aus Deutschland dort hinfahren und die Umsetzung nachprüfen? Sie öffnen damit dem Missbrauch Tür und Tor. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.
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Auch Ihr Grundansatz ist falsch. Denn CO2 ist kein Killergas. Die Debatte zum Thema „CO2 und Klima“ ist mir zu unwissenschaftlich.
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Wir könnten hier jetzt viel über Rückstrahlungswerte, Sättigungswerte, Wolkenbildungsfaktoren und Sonnenaktivität diskutieren. Gerade die letzten zwei Punkte haben viel mit dem Weltklima zu tun. Ich möchte hier eine Sache ausräumen, nämlich den 97-Prozent-Konsens der Wissenschaftler.
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Sie alle nutzen diese Zahl immer und immer und immer wieder als Argument für Ihre überteuerten Klimaschutzmaßnahmen. Wie kommt diese Zahl eigentlich zustande? Sie berufen sich hier auf eine Studie von John Cook aus dem Jahr 2013. Sie ist über 300 000-mal heruntergeladen worden, wird in den Medien oft zitiert, selbst Barack Obama hat sich schon auf sie berufen.
Schauen wir uns diese Studie einmal an. Was wurde da gemacht? John Cook hat 11 944 wissenschaftliche Arbeiten untersucht. Als Erstes hat er 8 000 davon aussortiert, weil sie sich zum Klimawandel nicht positionieren. Es gibt eine Definition von Klimakonsens, die Sie hier alle nutzen. Ich zitiere einmal: Der Mensch macht mehr als die Hälfte der Erderwärmung seit 1950 aus. – Dieser Aussage, werte Kollegen, stimmen 0,54 Prozent der untersuchten Studien von John Cook zu.
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0,54 Prozent der Wissenschaftler teilen diese Aussage.
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Mit welchem statistischen Zaubertrick macht man jetzt aber 97 Prozent daraus? Es gibt viele Wissenschaftler, die sagen, dass es einen Treibhauseffekt gibt. Manche sagen, der Mensch hat etwas damit zu tun. Manche sagen, das ist nicht so.
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Diese Wissenschaftler sagen aber nicht, wie stark dieser Effekt ist. In der Statistik gehen Sie jetzt hin und fügen diese Wissenschaftler zu denen hinzu, die den Klimakonsens teilen. Das ist wissenschaftlich nicht sauber.
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Unterm Strich: Dieser Klimakonsens ist wissenschaftlicher Nonsens. Sie berufen sich hier auf eine Quelle, die Sie selber nicht geprüft haben. Nach einer Rede des Kollegen Hilse in einer Debatte hier im Bundestag hat der Phoenix-Kommentator gesagt, Herr Hilse kenne diesen 97-Prozent-Konsens nicht. Herr Hilse kennt aber die Studie von John Cook und weiß, dass das Unsinn ist. Es kann nicht sein, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender
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solche falschen Zahlen ohne kritische Überprüfung immer wieder veröffentlicht.
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Es ist Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender, objektiv und neutral zu berichten. Bei einem Budget in Höhe von 9 Milliarden Euro kann man das auch erwarten.
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Für diejenigen, dir mir die Zahlen, die ich gerade genannt habe, nicht glauben möchten, nenne ich jetzt einmal direkt die Quelle. Das ist Professor Legates et al., also zusammen mit den Kollegen, veröffentlicht 2015. Die wissenschaftliche Arbeit heißt „Climate Consensus and ‚Misinformationʼ“, veröffentlicht in „Science & Education“, Volume 24, Issue 3, Seite 299 bis 318.
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Das sollten Sie unbedingt einmal lesen, bevor Sie hier wieder irgendwelche Milliardenprogramme beschließen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Espendiller. – Die Range ist für alle weit bei diesem Thema Digitales.
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Jens Zimmermann, SPD-Fraktion, das Wort.
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Hier liegt, glaube ich, noch ein Aluhut, Herr Kollege, den Sie vergessen haben.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich mir die Vielzahl der Anträge der FDP heute anschaue, denke ich, dass hier nach dem Motto „Viel hilft viel“ und mit der Gießkanne vorgegangen wird. Ob dieses Vorgehen am Ende smart ist, da bin ich mir nicht ganz sicher. Aber wenn man sich einmal anschaut, welche Themenbereiche abgedeckt werden, kann man sagen: Mit so vielen Anträgen trifft man ganz automatisch bei vielen Themen auf unsere Zustimmung. Das habe ich gestern schon in der Debatte zu einem anderen Antrag gesagt.
Wenn ich mir die Ministerien anschaue, die betroffen sind, also Innen, Wirtschaft, Umwelt, Außen, Finanzen, Recht, Verkehr, Kultur, Gesundheit
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und noch viele andere, dann zeigt sich natürlich, dass wir beim Thema Digitalisierung Koordination notwendig haben, dass diese wichtig ist. Jetzt wird gleich der Kollege wieder in Erregung kommen. Denn ich sage: Die Frage, ob ein Digitalministerium das am Ende löst, ist heute für mich wieder nicht beantwortet worden. Das ist ein schönes Bild. Man könnte sich vorstellen, dass es hier im Bundestag ein bisschen schwarz-weiß wird, Christian Lindner sitzt im Unterhemd da. Das ist irgendwie die Geschichte dahinter, die erzählt wird. Aber warum der Aufbau eines Digitalministeriums eine so gute Idee sei, hat auch das Beispiel Kanada für mich überhaupt nicht gezeigt. Denn in Kanada ist die Digitalministerin gleichzeitig die Chefin des Treasury Boards.
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Es gibt dort auch nicht ein Ministerium, so wie ihr euch das vorstellt.
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Kanada ist zwar ein sehr gutes Beispiel – an ganz vielen Stellen sind die wirklich Vorreiter und ein gutes Beispiel für uns –, aber sie sind definitiv kein Vorreiter, wenn es darum geht, hier ein großes Digitalministerium einzuführen, meine Damen und Herren.
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Ich schaue mir die Situation an, wie sie heute ist.
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Es gibt im Kanzleramt eine große Einheit, die sich per se darum kümmert, die Regierungsgeschäfte zwischen den Ministerien zu koordinieren.
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Genau das ist im Digitalbereich auch möglich.
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Jetzt wird gesagt, man will kein Digitalministerium, das 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat.
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Das wollt ihr nicht; das verstehe ich auch. Aber was ist es denn dann? Das heißt, es wird einfach ein zweites Kanzleramt mit Spiegelressorts für jedes andere Ressort aufgebaut. Das halten wir für keine sinnvolle Idee, meine Damen und Herren.
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Herr Kollege Dr. Zimmermann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Espendiller?
Nein. – Wir wollen ja über das Thema Digitalisierung reden. Ich picke mir einmal einen zweiten Antrag heraus. Dort wird das Thema Libra genannt, das Thema „digitale Finanzen“. Es wundert mich, dass man sich dort so weit aus dem Fenster lehnt und sagt: Libra darf auf keinen Fall verhindert werden.
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Dass wir als Koalition und auch das Finanzministerium digitale Tokens nicht verhindern wollen, das will ich hier ganz klar sagen. Aber eines verstehe ich wirklich nicht. Ich dachte, die FDP steht für Marktwirtschaft und Wettbewerb. Warum man dann in einem Antrag schreibt, dass man ein Kartell von Finanzunternehmen und Digitalunternehmen bei dem Versuch, eine private Parallelwährung einzuführen, schützen möchte, das verstehe ich nicht, meine Damen und Herren.
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– Das steht da drin. Das ist sogar die Überschrift: „Libra nicht verbieten“. Das ist die Forderung der FDP. – Wir sagen: keine privaten Parallelwährungen. Das würde erneut in die Krise führen, meine Damen und Herren.
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Das zeigt aber auch schon, wie schwierig es ist, wenn man die Gießkanne rausholt nach dem Motto „Viel hilft viel“ und sich nur als Ziel setzt: Wir machen eine Themenwoche. – So haben Sie es selbst genannt. Das ist eine legitime Idee. Aber ich würde sagen: Diese Woche und diese ganzen Debatten haben gezeigt, dass es sinnvoller wäre, sich einige Anträge herauszusuchen und über diese ordentlich und intensiv zu diskutieren, statt hier diesen Rundumschlag zu machen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmermann. – Die AfD-Fraktion hat um eine Kurzintervention gebeten, die ich zulasse. Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Espendiller.
Herr Kollege Zimmermann, Sie haben gerade zu Eingang Ihrer Rede gesagt, hier liege noch ein Aluhut rum. Das bezog sich sicherlich auf mich. Ich habe vorhin in meiner Rede eine wissenschaftliche Studie zitiert. Ich habe die Studie von John Cook zum Thema Klimakonsens auseinandergenommen, natürlich kurz und kompakt.
Ich habe jetzt eine Frage an Sie. Ich habe die Studie eines Klimawissenschaftlers aus den USA zitiert. Möchten Sie diese einmal lesen und sich ein eigenes Bild davon machen? Ja oder nein?
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Herr Kollege Dr. Zimmermann, wollen Sie antworten? Ja oder nein?
Wir wissen ja spätestens seit der Anhörung über die Einführung der Pkw-Maut, dass Sie für jedes Argument jederzeit eine Studie finden und jederzeit auch einen Experten, der Ihre Meinung vertritt.
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Sie können mir die Studie gerne geben. Ich schaue sie mir auch an. Ich schaue mir alle Meinungen an, weil ich an einer ergebnisoffenen Diskussion interessiert bin. Aber das, was Sie eben hier zum Antrag abgeliefert haben, hat nicht den Eindruck erweckt, dass Sie Interesse an pluralen Meinungen haben. Vielmehr haben Sie die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler, die hinsichtlich CO2 und Klimaerwärmung zu klaren Einschätzungen kommen, sofort politisch frontal angegriffen. Das ist nicht unser Stil. Das ist Ihr Stil.
Herzlichen Dank.
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Damit ist diese Kurzintervention erledigt. – Als Nächstes hat der Kollege Mario Brandenburg, FDP-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! 25 Anträge zum Thema Digitales von meiner Fraktion: Jeder für sich ist relevant, aber einer wurde dann – man muss sagen: leider – doch etwas relevanter. Unser Antrag zum Thema Games hätte eigentlich nur auf das sich anbahnende großkoalitionäre Versagen beim Thema Games-Förderung hinweisen sollen. Aber als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hat Ihr Minister für Internetkultur und differenzierte Aussagen, Herr Seehofer,
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noch mal nachgelegt und gleich alle Gamer unter Generalverdacht gestellt.
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Das kann man machen, nur sollte man sich dann auch überlegen, wen man damit eigentlich alles meint; denn die Hälfte der Deutschen spielt bereits Videospiele. Die Branche setzt pro Jahr mehr als 4 Milliarden Euro mit Produkten und Spielen mitten in unserer Gesellschaft um. Eine Messe wie die Gamescom lockt jährlich fast 400 000 Menschen nach Köln – und das übrigens international, bunt und friedlich. Wer diese Menschen, nämlich die Mitte unserer Gesellschaft, auf diese Weise stigmatisiert, handelt bemerkenswert undifferenziert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ich habe das zur Aussprache gebracht, weil ich selbst seit meinem dritten oder vierten Lebensjahr Videospiele spiele: Ich bin mit „Super Mario“ im heimischen Wohnzimmer auf Gumbas gehüpft.
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Bei „Mortal Kombat“ habe ich gelernt, wie man Eingeweide herausreißt. Ich durfte bei „Doom“ Monster zersägen. Und ich habe in vielen Nächten im Teamspeak mit irgendwelchen Menschen darüber geredet, wie ich meine Sniper Skills verbessere. Aber eines hatte ich in 30 Jahren Gaming nie: den Eindruck, dass ich deswegen verdächtig bin oder verdächtig sein sollte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Noch ein Wort zu den Kritikern: Es geht hier nicht darum, irgendetwas wegzuwischen oder irgendetwas zu verschweigen. Natürlich gibt es immer Strömungen, die versuchen, Tools zu benutzen oder Plattformen zu unterwandern. Aber Gaming ist ganz einfach in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Deswegen sind auch die gesellschaftlichen Probleme im Gaming angekommen. Während wir in der Realwelt immer mit Angeboten zu Hilfe eilen – das ist absolut richtig –, von Prävention zu Exit-Strategien, gibt es für die digitale Welt einfach nur den Generalverdacht. Das ist vollkommen falsch und erzeugt mehr Kollateralschaden, als dass es dem Thema hilft.
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Den spärlichen Rest meiner Redezeit möchte ich für ein Fazit nutzen: Videospiele sind inzwischen Teil unserer gesellschaftlichen Kultur geworden, genauso wie Literatur, Musik oder Filme. Sollte Herr Seehofer das hören: Geben Sie sich einen Ruck! Revidieren Sie Ihre unglückliche Aussage, und revanchieren Sie sich bei der Games-Community mit einer ordentlichen Games-Förderung für den Games-Standort Deutschland!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Brandenburg. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Karsten Möring, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Brandenburg, ich möchte Sie jetzt gerne fragen, ob Sie den Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen kennen. Analog dazu kann man feststellen,
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– ach, hören Sie mal! –, dass zwar sehr viele Terroristen einen Gamer-Hintergrund haben. Das heißt aber nicht, dass jeder Gamer Terrorist wird.
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Das ist der entscheidende Punkt dabei, dass es offensichtlich Menschen gibt, die darauf anders reagieren als die Masse der Menschen. Dass der Bundesinnenminister darauf hingewiesen hat, finde ich richtig. Wenn Sie daraus eine Verdächtigung der ganzen Gamer-Szene machen, dann ist das das typische oppositionelle Übertreiben. Das kann ich Ihnen nachsehen; aber es wird dadurch nicht richtiger.
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Wenn man sich jetzt die Anträge anschaut, die wir heute auf dem Tisch haben, dann stellt man fest: Die FDP feiert in dieser Woche eine Digitalisierungsorgie. Man hat fast den Eindruck, Sie möchten das D in Ihrem Parteinamen durch Digitalisierung ersetzen: Die Freie Digitalisierungspartei Deutschlands.
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– Wir machen das schon bei uns.
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Das Schöne an einer solchen Omnibus-Debatte, in der Sie uns eine solche Masse an Anträgen vorgeben, ist, dass für jeden etwas dabei ist und man sich aussuchen kann, was man sich vornehmen möchte. Anders als der Kollege von der AfD, der behauptete, er wolle über die Digitalisierungskette für CO2 reden, und nur das Übliche abgespult hat, was wir von der AfD zu diesem Thema immer hören, möchte ich mich diesem Antrag in der Tat etwas intensiver widmen.
Sie haben in dem Antrag ein paar wirklich richtige Punkte genannt. Es ist richtig, dass wir uns über die Frage der CO2-Speicherung ernsthaft Gedanken machen müssen; denn alle Berichte sagen, dass es eine CO2-Neutralität ohne Speicherung nicht geben wird. Dass das in Deutschland ein schwieriges Thema ist, wissen wir alle, und trotzdem können wir dem auf die Dauer nicht ausweichen. Wir müssen es angehen. Das ist richtig.
Es ist auch sinnvoll, zu überlegen, ob die Bereitstellung von CO2-Senken nicht positiv vergütet werden muss. Da aber liegt der Teufel schon im Detail. Wenn wir 2050 klimaneutral sein wollen, dann brauchen wir für die Emissionen, die zwingend immer noch da sein werden, Senken, die das aufwiegen. Was Sie vorschlagen, ist aber zu kurz gedacht. Ich will das an einem Beispiel erläutern. Wenn wir über die Frage nachdenken, welchen Nutzen Wald beispielsweise für die CO2-Bilanz hat, dann ist völlig klar, dass er einen positiven Nutzen hat und dass er eine CO2-Senke von großer Bedeutung ist. Aber – jetzt kommt der entscheidende Punkt –: Eine CO2-Senke, die zur Klimaneutralität beiträgt, kann nur eine Senke sein, die das CO2 dauerhaft fixiert. Und der Wald kann höchstens ein Fließgleichgewicht bringen;
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denn wir entnehmen dem Wald natürlich Holz als Rohstoff, und das geht irgendwann wieder als CO2-Emission in die Atmosphäre.
Für die anderen Beispiele, die Sie da im Blick haben, gilt das genauso. Ihre Idee, einem privaten Verein die Kontrolle und Zertifizierung zu übertragen – ich lasse mal die Spielerei mit dem Arbil Coin weg –, halte ich für sehr blauäugig. Denn die Kontrolle – und das ist die entscheidende Frage –, ob das aufgeht, für 1 Tonne CO2-Emission 1 Tonne CO2 in einer Senke verschwinden zu lassen, funktioniert eben nur dann, wenn sichergestellt ist, dass es a) keinen Missbrauch gibt – das haben Sie angesprochen – und b) die Frage der Dauerhaftigkeit geklärt ist. Das können Sie mit Ihrem Vorschlag überhaupt nicht regeln. Das können Sie auf diese Weise gar nicht garantieren. Das macht natürlich auch einen wesentlichen Teil des Problems aus.
Herr Kollege, erlauben Sie zwei Zwischenfragen, einmal aus der FDP-Fraktion des Kollegen Köhler und einmal aus der AfD-Fraktion?
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Also, ich glaube, wir sollten uns das an einem Freitagmittag ersparen.
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Nein, ich würde gerne fortfahren.
Wo man Digitalisierung sinnvoll anwenden kann, haben wir uns mit einigen Kollegen aus dem Baubereich kürzlich in Köln angeschaut. Wir haben eine Siedlung besucht, die hochdigitalisiert ihre Energieversorgung, ihr Emissionsverhalten, Heizsysteme und Ähnliches regelt. Der Witz bei der Digitalisierung dort ist: Wir brauchen Vorhersagen über den Verbrauch: Wann wird was – Heißwasser, Wärme – gebraucht. Das ist eine sehr umfassende Gestaltung, die in diesem Bereich dazu führt, 60 bis 80 Prozent CO2-Emissionen einzusparen – und das zu vertretbaren Preisen. Das geht nur mit Digitalisierung, mit Algorithmen, mit künstlicher Intelligenz. Das ist eine musterhafte Vorgabe. Da ist es sinnvoll.
Überlegen Sie nur mal, was das Schürfen Ihrer Kryptowährung an zusätzlichem Energieaufwand kostet.
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Vergessen Sie das! Machen Sie Digitalisierung mit Augenmaß und kommen Sie auf den Boden der Tatsachen zurück.
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Da, wo es sinnvoll ist, machen wir es; aber eine Spielwiese ist die Digitalisierung nicht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Herr Präsident, ich liege sieben Sekunden unter meiner Redezeit.
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Die verlieren wir jetzt wieder, Herr Kollege, weil die FDP-Fraktion eine Kurzintervention beantragt hat, die ich zulasse. – Der Kollege Köhler hat das Wort.
Lieber Kollege Möring, ich schätze Sie und durchaus auch Ihr Wissen in der Debatte. Sie hatten gerade erwähnt, dass nachrechenbar CO2-Emissionen, die sozusagen im Forstsektor gespeichert werden, nicht langfristig gespeichert werden. Dem widerspricht zum Beispiel die Bundesregierung in der Verordnung zu Land Use, Land-Use Change and Forestry, kurz: LULUCF, in der sehr explizit darauf hingewiesen wird, dass eine nachhaltige Holznutzung natürlich langfristig dem CO2-Kreislauf zugutekommt und damit auch als Speicherung agiert und wir so auch zielgenau das Einsetzen unseres Arbil Coins dafür nutzen können, langfristig CO2 zu speichern. Würden Sie dem widersprechen, und wenn ja, wieso?
Herr Kollege, Sie wollen bestimmt antworten.
Aber natürlich; denn zusätzliche Redezeit ist immer gut. – Sie haben natürlich auch recht. Aber der entscheidende Punkt, den ich angesprochen habe, betrifft die Frage, wie das organisiert wird.
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Selbstverständlich ist eine nachhaltige Forstwirtschaft eine Möglichkeit für eine CO2-Senke, die wir überhaupt nicht ignorieren dürfen. Der entscheidende Punkt ist nur: Wenn diese Emissionen irgendwann wieder freigesetzt werden, hilft uns das nichts.
Das, was man machen kann bzw. muss, wenn man eine Bilanzierung vernünftig und objektiv angehen will, ist beispielsweise, nur den Zuwachs zu begünstigen. Vor allen Dingen muss man sicherstellen, dass es per Saldo immer zu einem weiteren Zuwachs kommt oder es mindestens beim Status quo bleibt. Im Falle des Status quo gibt es keinen zusätzlichen Nutzen mehr. Das ist der entscheidende Punkt dabei.
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Damit ist die Kurzintervention beendet. – Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Timon Gremmels, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP hat in dieser Woche 25 Anträge zum Thema „Smart Germany“ auf den Weg gebracht. Leider ist das alles sehr viel mehr Schein als Sein.
Ich habe mir mit Freude mal die Mühe gemacht und im Duden nachgeschaut, was „smart“ bedeutet. „Smart“ steht für „von modischer und auffallend erlesener Eleganz“.
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Das mag vielleicht auf Ihren Fraktionsvorsitzenden zutreffen,
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gilt aber nicht für die Anträge, die Sie uns heute hier präsentiert haben. Sie sind alle sehr dünn und haben weder Eleganz, noch sind sie modisch. Sie sind aus meiner Sicht sehr dünn.
Lassen Sie mich das am Thema „Digitalisierung der Energiewende und des Klimaschutzes“ deutlich machen. Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Ich glaube, dass die Digitalisierung der nächste Schritt Energiewende sein kann, ein richtiger Motor und Antrieb dafür.
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In diesem Bereich präsentieren Sie gar nichts.
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Es wäre wichtig gewesen, im Bereich der Erzeugung von Energie, im Bereich der Verteilung von Energie, im Bereich der Speicherung und Flexibilisierung von Energie, im Bereich des Vertriebs von Energie deutlich mehr zu machen.
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Aber da sind Sie blank; da präsentieren Sie gar nichts; da ist die FDP nicht auf der Höhe der Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?
Nein. – Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass auch ich mir in der Tat Ihren Antrag mit dem Titel „Smart Germany – CO2 an die Kette legen“ angeguckt habe. Es geht darin in erster Linie um die Frage, wie Sie das finanzieren wollen. Sogenannte Coins sollen über einen Verein, der unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung – was immer das sein soll – stehen soll, ausgegeben werden.
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Ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich: Wir müssen Verbraucherinnen und Verbraucher schützen.
Ein Kernelement der staatlichen Souveränität ist die Herausgabe einer Währung, wir werden sie nicht Privatunternehmen überlassen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Höferlin?
Nein. – Diesen schlauen Satz hat unser Bundesfinanzminister Olaf Scholz gesagt. Es ist also staatliche Aufgabe, Währungen herauszugeben, und nicht die von Vereinen, die unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung stehen. Das ist aus unserer Sicht nicht auf der Höhe der Zeit und dient auch nicht dem Verbraucherschutz, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Wenn Ihnen die Frage, was die Digitalisierung im Bereich der Energiewende und des Klimaschutzes bewirken könnte, wirklich von der Sache her am Herzen läge, hätten Sie sich mal mit der Blockchain-Strategie der Bundesregierung beschäftigt. Vielleicht hat Ihnen dazu aber die Zeit gefehlt. Sie wissen, dass die Bundesregierung Mitte September eine sehr umfassende Blockchain-Strategie vorgelegt hat. Es geht dabei auch um die Möglichkeiten, die wir in diesem Bereich für die Energiewende sehen. Es gibt gute Projekte, die wir schon auf dem Weg gebracht haben. Ich nenne beispielsweise das Programm „Smart Service Welt II“, das Förderprogramm „SINTEG -Schaufenster Intelligente Energie“ und das Kopernikus-Projekt „ENSURE – Neue Netzstrukturen“. Im Bereich der Blockchain-Technologie liegt eine wirkliche Chance für die Energiewende. Darauf sollten wir uns konzentrieren; da könnte man ansetzen. Dazu hört man von der FDP leider gar nichts, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Ja, natürlich kann es auch sein, dass die Digitalisierung der Energiewende zusätzliches Geld kosten und CO2 zusätzlich emittieren wird. Das ist richtig. Schon heute ist es so, dass am Internetknoten in Frankfurt mehr Energie verbraucht wird als am Frankfurter Flughafen. Bisher ist es so, dass die großen Rechenzentren die Wärme, die bei der Kühlung ihrer Rechenzentren entsteht, in die Luft blasen. Ich glaube, dass man diese Wärme intelligenter nutzen könnte. Das sind die großen Herausforderungen bei der Digitalisierung der Energiewende.
Lassen Sie mich deshalb zum Schluss sagen: Die Digitalisierung ist der nächste Schritt bei der Energiewende. Um da voranzukommen, reicht aber eine smarte Oppositionsrhetorik nicht aus. Wir brauchen vielmehr knallharte Regierungsarbeit.
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Darauf können Sie sich bei der SPD verlassen. In diesem Sinne: Glück auf!
Ich danke Ihnen.
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Herzlichen Dank, Herr Kollege Gremmels. – Sowohl die AfD-Fraktion als auch die FDP-Fraktion haben um eine Kurzintervention gebeten. Ich habe das abgelehnt. Erstens hatten beide Fraktionen schon eine. Zweitens bin ich zwar für die Folgen der Verzögerung heute dankenswerterweise nicht mehr zuständig, aber ich möchte auch Ihnen ersparen, dass Sie nach 18 Uhr hier noch tagen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Volkmar Vogel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ja eine ganze smarte Flotte an Anträgen vonseiten der FDP vorliegen. Herr Kollege Gremmels, auch ich habe mich mit der Definition des Wortes „smart“ beschäftigt. Ich würde es ein bisschen anders definieren.
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Ich glaube, smart heißt vernetzt und miteinander kommunizieren. Smart Germany heißt letztendlich auf gut Deutsch: vernetztes, miteinander kommunizierendes Deutschland.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, um den Worten des Präsidenten zu folgen: Alles hängt mit allem zusammen. Insbesondere gilt das natürlich für die digitale Welt. Das zeigte sich heute auch von Anfang an in unserer vielschichtigen Debatte, die ich mit großem Interesse verfolgt habe.
Ich möchte mich auf den Baubereich konzentrieren – Stichwort „Smart City“ – vernetzte Stadt. Wir nutzen hier die digitalen Technologien in allen Bereichen des kommunalen Zusammenlebens. Das wird bereits in der Smart City Charta von 2017 deutlich. Deutlich ist aber auch zu sagen: Wir wollen diesen Prozess nicht einfach sich selbst überlassen, sondern wir wollen ihn aktiv gestalten, und zwar zum Nutzen einer nachhaltigen Stadtentwicklung, für eine Energieerzeugung, die auf Energieeffizienz optimiert ist und das Beste dabei herausholt, für einen vernetzten ÖPNV zum Wohle der Kunden, die ihn benutzen, und nicht zuletzt auch im Rahmen einer sozialen Vernetzung der Bürger zum Vorteil der Einzelnen. Die Smart City Charta wirkt auch in allen Siedlungsstrukturen. Wenn wir City hören, denken wir zwar immer nur an die großen Metropolen. Nein, sie wirkt in allen Strukturen.
Während wir hier noch über die Einrichtung eines Digitalministeriums reden, haben wir uns im Innenministerium – in Klammern: Bauministerium – des Themas angenommen und sind schon ein Stück weiter. Wir haben ein Pilotprojekt auf den Weg gebracht, das sich mit vier Kategorien der Siedlungsstruktur beschäftigt: große und mittlere Städte, Kleinstädte und Landgemeinden und auch die interkommunale Zusammenarbeit in den Landkreisen. Für insgesamt 50 Projekte stehen insgesamt 750 Millionen Euro zur Verfügung. Wir haben in der ersten Staffel mit 13 Projekten begonnen. Dafür stehen 150 Millionen Euro zur Verfügung. Ich kann Ihnen berichten: Meine Geburtsstadt Gera ist in dieser ersten Charge dabei. Dort wird schon gearbeitet. Man hat Arbeitsgruppen gebildet, die die einzelnen Themenfelder abbilden. Man ist in intensiven Vorbereitungen und will bereits 2021 mit der Umsetzung beginnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Es wird bereits gehandelt, und, um es noch einmal zu sagen: Klar, alles hängt mit allem zusammen.
Wenn wir ein Gebäude errichten und es bewirtschaften, stellt sich die Frage, wie wir es benennen. Ich verweise auf den Begriff „Building Information Modeling“. Mein Kollege Michael Kießling beschäftigt sich mit diesem Thema und ist auf einem guten Weg. Auch hier werden die Vorteile genutzt. Wir vernetzen Quartiere, um damit die Energiebereitstellung zu optimieren, die Energieeffizienz zu verbessern und den ÖPNV zu gestalten. In der nächsten Phase wollen wir auch dafür sorgen, dass ganze Kommunen untereinander digital kommunizieren und sich auf diesem Wege austauschen können.
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Das sind Chancen, die wir nutzen müssen, das sind Chancen, die wir nutzen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Der Bund wird diesen Prozess auch in Zusammenarbeit mit der KfW weiter fördern. Die Weichen sind gestellt. Wir handeln. Zusätzlicher Entschließungsanträge, liebe Kollegen von der FDP, bedarf es diesbezüglich nicht. Vielmehr ist es wichtig, dass wir jetzt daran weiterarbeiten, damit das, was hier auf den Weg gebracht wird, umgesetzt wird.
Vielen Dank.
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Und die Zeit habe ich auch noch eingehalten. Vielen Dank, Herr Präsident.
Dafür weise ich Sie auch nicht darauf hin, dass ich nicht Vorsitzender, sondern Präsident dieses Hauses bin.
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Also, eigentlich nur Vizepräsident,
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aber der gerade amtierende Sitzungspräsident.
Ich schließe die Aussprache.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde nicht zum Dauerredner. – Vor einem Jahr hat der Wohnungsbaugipfel getagt. Ein Jahr nach diesem Termin verabschieden wir heute das Wohngeldstärkungsgesetz in zweiter und dritter Lesung – ein sehr guter Tag für einige Hunderttausend Menschen und Haushalte, die davon profitieren werden. Es ist wirklich ein guter Tag.
Seit 2016 handelt es sich um die erste Anpassung dieses Gesetzes. Diese Anpassung hat es in sich, nicht nur weil wir zukünftig alle zwei Jahre über die Anpassung beschließen und damit eine Art Dynamisierung haben, die eine regelmäßige Anpassung an sich verändernde Mietniveaus und Bedürfnisse möglich macht, sondern auch weil wir mit diesem Gesetz eine deutliche Leistungsausweitung vornehmen, sowohl was die Höhe der Beträge als auch die Zahl der Berechtigten angeht. Die Zahl der Berechtigten wird erwartet mit ungefähr 660 000 Haushalten. Das sind deutlich mehr, als nach der 2016er-Regelung begünstigt waren.
Im Einzelnen haben wir eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, unter anderem die Einführung einer Mietenstufe VII. Die trägt der Tatsache Rechnung, dass es in einigen Gemeinden zu erheblich größeren Mietsteigerungen gekommen ist als in anderen. Hier geht es darum, dass wir für eine Abweichung von mindestens 35 Prozent über dem durchschnittlichen Mietniveau diese Mietstufe VII neu geschaffen haben. Wir haben für die Schwerbehinderten einen höheren Freibetrag. Wir haben einen Betrag von insgesamt 1,2 Milliarden Euro bereitgestellt, der zwischen Bund und Ländern hälftig geteilt wird. Auch wenn die Länder den Versuch gemacht haben, ihren Anteil zu verkleinern, so ist doch darauf hinzuweisen, dass es sich hier um eine Aufgabe handelt, die beide gemeinsam zu tragen haben, und dass das Wohngeld, wenn es in ausreichendem Maße bereitgestellt wird, auch dazu führt, dass die Sozialkassen der Kommunen entlastet werden. Da der sogenannte Drehtüreffekt, der im Laufe der Zeit eintritt, weil Menschen aus dem Wohngeld herausfallen und SGB-II- oder SGB-XII-Leistungen in Anspruch nehmen, eine etwas unangenehme Angelegenheit ist, weil wir natürlich Verwaltungsaufwand haben, so ist es umso wichtiger, dass wir zeitnah Anpassungsvorgänge durchführen.
Es ist festgestellt worden und auch öffentlich durchaus häufiger kritisiert worden, dass die Zahl der Wohngeldberechtigten deutlich größer ist als die Zahl derjenigen, die das Wohngeld tatsächlich beantragen und bekommen. Von daher muss man sagen, dass es eine Notwendigkeit gibt, auf einfache Weise deutlich zu machen, wie man an Wohngeld kommt. Es gibt eine ganze Reihe von Initiativen in verschiedenen Kommunen. Ich habe kürzlich eine Broschüre in Leichter Sprache aus Bochum gesehen, die absolut vorbildlich ist. Auch Nordrhein-Westfalen hat eine Broschüre zur Anleitung herausgegeben, die etwas umfänglicher ist. Ein entscheidender Punkt dabei ist – das zeigen uns Untersuchungen und Berichte aus Betreuungsorganisationen –, dass viele Menschen, die einen Anspruch auf Wohngeld haben, nicht darauf zurückgreifen: aus Scham oder weil sie es mit Sozialleistungen verwechseln. Hier muss man deutlich machen, dass es sich um unterschiedliche Leistungen handelt. Wir müssen auch dafür werben, dass sie in Anspruch genommen werden. Das Wohngeld ist eine Leistung, die im Bereich der Wohnungsfürsorge und im Bereich der Wohnraumversorgung neben der sozialen Wohnraumförderung und der steuerlichen Förderung für den freien Wohnungsbau, den wir auch auf den Weg gebracht haben, eine wichtige, ergänzende Rolle spielt. Das darf man nicht übersehen. Deswegen muss man das immer wieder betonen und die Leute animieren, diese Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen.
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Wir haben im Vorfeld über die Frage einer Klimakomponente diskutiert, die hier nicht realisiert wird, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es dafür noch kein vernünftiges handhabbares Verfahren gibt, wie man dies einrichten kann. Es gibt Forschungsaufträge für die BBSR, die bisher zu keinem belastbaren Ergebnis gekommen sind. Diese Forschungen gehen weiter. Wir werden versuchen, in näherer Zukunft zu einem Verfahren zu kommen, das eine belastbare Einbeziehung der Klimakomponente in das Wohngeld möglich macht. Aber Sie wissen auch alle, dass im Klimapaket festgelegt ist, dass zum Ausgleich der CO2-Bepreisung eine Steigerung der Mittel um 10 Prozent vorgesehen ist. Die soll spätestens dann in Kraft treten, wenn wir die CO2-Bepreisung haben und diesen Ausgleich schaffen. Das spielt also ineinander. Vielleicht erreichen wir dafür eine gemeinsame Lösung.
Ich glaube, von den Linken ist kritisiert worden, dass die Zahl der Empfängerhaushalte gegenüber 2010 deutlich abgenommen hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage, wie viele Haushalte Wohngeld beziehen, kann man positiv oder negativ nicht alleine daran messen, wie viele es sind; denn es gilt auch der Umkehrschluss. Wenn die Zahl der berechtigten Haushalte bei einer auskömmlichen Finanzierung und bei vernünftigen Grenzen kleiner wird, heißt das auch, dass es für viele nicht mehr notwendig ist, diese Mittel in Anspruch zu nehmen. Das kann man eigentlich nur als positive Entwicklung sehen. Deswegen ist die reine Frage, wie viele Haushalte das jetzt begünstigt, kein Maßstab dafür, ob es sich um ein gutes oder schlechtes Gesetz handelt.
Das, was ich zum Thema Leistungsausweitung und Erhöhung der Mittel gesagt habe, zeigt uns, dass wir für die, die es brauchen, bessere Leistungen anbieten. Das ist gut.
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Deswegen möchte ich Sie bitten, diesem Gesetz zuzustimmen. Ich bin sicher, meine Kollegin Nissen wird auf ein paar Punkte eingehen, die wir auch im Vorfeld diskutiert haben, die aber aus nachvollziehbaren Gründen so nicht realisiert werden können. Ich weise nur auf einen Punkt hin, der mir wichtig war, der ihr wichtig ist und den sie wahrscheinlich gleich vortragen wird,
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aber ich kann es mir nicht verkneifen, zu sagen: Wir haben für die Wohnungen auf den Inseln ohne Festlandanschluss eine wunderbare, gute Lösung gefunden. Details, denke ich, kommen gleich.
Vielen Dank für die Zusammenarbeit. Sie war sehr gut und sehr erfreulich.
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Ich bedanke mich ausdrücklich dafür.
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Vielen Dank, Herr Kollege Möring. – Ob die Details gleich kommen, weiß ich nicht. Als nächster Redner hat der Kollege Udo Hemmelgarn, AfD-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tribünen! Beim Lesen des Wohngeld- und Mietenberichts 2018 hat man den Eindruck: alles gar nicht so schlimm. Ja, die Mieten steigen, aber nur moderat. Ja, die Betriebskosten steigen, aber nur etwas. Ja, die Bestandsmieten steigen, aber sogar weniger als die allgemeine Inflationsrate.
Wohngeld scheint für diese Bundesregierung nur ein kleines Thema zu sein, bei dem es darauf ankommt, ein vernünftiges Mittelmaß zu finden zwischen der Unterstützung finanziell Schwächerer einerseits und der gebotenen Sparsamkeit des Staates andererseits. Weit gefehlt! Wohngeld ist ein hochbrisantes Thema. Schließlich ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt, insbesondere in unseren Metropolen, katastrophal. Davon ist im Wohngeld- und Mietenbericht 2018 nichts zu lesen.
Derzeit ist neben der Sicherung einer angemessenen Rente die Wohnsituation unserer Bürger die größte Herausforderung der Politik unseres Landes für das kommende Jahrzehnt. Es ist die große soziale Frage. Die Berichte in allen Medien, die Berichte aller Forschungsinstitute und die Reportagen auf allen TV-Kanälen beschreiben immer wieder den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in unseren Städten. Der eigene Anspruch der Bundesregierung, absolut notwendige 1,5 Millionen neue Wohnungen in dieser Legislatur zu bauen, wird bei Weitem nicht erreicht. Das eingeführte Baukindergeld wird zu über 70 Prozent für den bereits bestehenden Wohnraum in Anspruch genommen, also aus unserer Sicht ein reiner Mitnahmeeffekt.
Der Wohngipfel 2018 hat im Grunde nichts gebracht.
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Er war eine reine Showveranstaltung zur Beruhigung der Gemüter.
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Selbstverständlich muss alles unternommen werden, den Wohnungsbau weiter anzukurbeln und mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, aber mit den richtigen Mitteln. Die vorgelegten Berichte zeigen auch auf, wie dringend eine Erhöhung des Wohngeldes ist, um wenigstens die akut schlimmsten Fälle zu lindern. Aber es geht um weit mehr. In der Frage des Wohngeldes stecken die globalen Konzepte unseres Wirtschaftens. Es geht hier auch um die fundamentale Frage: Wollen wir mehr staatliche Planwirtschaft oder mehr soziale Marktwirtschaft? Linke und Grüne und sogar große Teile der SPD hängen immer noch ihrem Traum einer staatlich organisierten Planwirtschaft nach. Sie fordern mehr staatlichen Wohnungsbau
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und verjagen mit einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen die privaten Investoren. Auf der Nachfrageseite brauchen wir dringend, um mehr Druck auf die Mietpreise zu erzielen, einen rigorosen Stopp des Zuzugs sogenannter Flüchtlinge
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und die Reduzierung der Zahl auf das rechtliche und humanitär gebotene Maß
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und gleichzeitig die konsequente Rückführung aller, die sich nach wie vor unberechtigt und geduldet in unserem Land aufhalten.
({5})
Wir brauchen auch einen rigorosen Stopp des unberechtigten Zuzugs von Bürgern aus anderen EU-Staaten, dringende Maßnahmen zur Beendigung der Landflucht, die immer mehr Bürger aus den ländlichen Regionen in die Großstädte befördert. Kaum etwas davon wird realisiert, höchstens ganz zögerlich und ineffektiv.
Um den Wohnungsbau anzukurbeln, brauchen wir auf der Angebotsseite dringend die komplette Aufhebung der irrsinnigen Mietpreisbremse, eine Deckelung der Grunderwerbsteuer auf 3,5 Prozent, eine Erhöhung der linearen Abschreibung auf 3 Prozent pro anno und das Aussetzen der unsinnigen und überteuren Energieeinsparverordnung
({6})
und zudem auf kommunaler Ebene die komplette Abschaffung der Grundsteuer. Zur Kompensation hat die AfD-Fraktion bereits ein Reformmodell vorgelegt.
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Nichts dergleichen ist in Sichtweite. Private Investoren ziehen sich zunehmend zurück bzw. engagieren sich nur noch für Luxuswohnungen in Edelquartieren. So wird der Ruf nach dem Staat als Bauherr natürlich immer lauter. Die Plattenbausiedlungen aus der DDR lassen grüßen.
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Ein marktwirtschaftliches Engagement von Investoren ist letztlich die einzige Möglichkeit, dem Dilemma von Wohnungsmangel einerseits und drohender Planwirtschaft andererseits zu entrinnen. Eine lupenreine Marktwirtschaft hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Das Kapital wandert automatisch dorthin, wo es die höchste Rendite zu erwarten hat. Dabei kann es passieren, dass die Interessen der Bürger, vor allem der weniger begüterten, auf der Strecke bleiben. Oft droht eine soziale Schieflage, wenn Menschen mit durchschnittlichem Einkommen sich den erforderlichen Wohnraum nicht oder kaum noch leisten können. Nur mithilfe eines angemessenen Wohngelds lässt sich der soziale Charakter der sozialen Marktwirtschaft erhalten. Das Thema Wohngeld ist nicht nur hochbrisant, es ist fundamental für unsere gesellschaftliche Ordnung.
Meine Damen und Herren, auf den ersten Blick hat der vorgelegte Entwurf einige Vorteile. Das Wohngeld steigt um durchschnittlich 9 Prozent, und es wird eine siebte Mietstufe eingeführt, um den besonders hohen Mietsteigerungen in den Großstädten gerecht zu werden. Doch schaut man sich den Entwurf etwas genauer an, dann entdeckt man natürlich auch Mängel. Die letzte Wohngelderhöhung gab es im Jahr 2016. Das sind ganze vier Jahre, die ins Land gegangen sind. Das ist ein Skandal. Auch die zukünftige Anpassung des Wohngeldes innerhalb von zwei Jahren ist angesichts der rasanten Steigerung der Mieten nicht ausreichend. Das Wohngeld wird für jeweils ein Jahr gewährt. Wir brauchen auch hier eine jährliche automatische Anpassung der Höhe des Wohngelds.
({9})
Die Erhöhung ist zu niedrig. Bereits im Wohngeld- und Mietenbericht 2018 heißt es:
2017 wendeten die Mieterhaushalte 29 Prozent ihres Einkommens für die Bruttowarmmiete auf.
Inzwischen ist die Belastung auf über 30 Prozent angestiegen. Das ist schwer erträglich. So sinnvoll die Einführung der siebten Mietstufe ist, so seltsam erscheint es, dass Großstädte wie Berlin, Hamburg oder Leipzig mit nur einer Mietenstufe abgebildet werden. Das wird den tatsächlichen Verhältnissen kaum gerecht und führt zur sozialen Entmischung. Es ist zu befürchten, dass sozial schwächere Mieter auf bestimmte, schlechtere Gebiete in diesen Städten beschränkt bleiben. So betreibt man Ghettoisierung. Hier muss nachjustiert werden.
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Kurzum: Die Wohngelderhöhung muss kräftiger ausfallen, in kürzeren Abständen erfolgen, und die Mietstufen müssen differenzierter werden. Um Bürger dazu zu bewegen, weiter in den ländlichen Regionen zu wohnen bzw. dorthin zurückzukehren, sind in erster Linie infrastrukturelle Maßnahmen notwendig, überirdisch und unterirdisch, und natürlich muss die Nahversorgung verbessert werden. Gleichzeitig muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass wieder mehr Unternehmen im ländlichen Raum investieren und so Arbeitsplätze schaffen.
Wir nutzen derzeit in keiner Weise die Ressourcen des ländlichen Raumes. Dort stehen derzeit mehr als 2 Millionen Wohnungen leer. Beenden wir endlich die Landflucht und starten wir die Flucht zurück aufs Land. Um Bürger dazu zu bewegen, wieder in die ländlichen Regionen zu ziehen, kann auch das Wohngeld eine Unterstützung sein. So könnte man eine Regelung einführen, die besagt, dass ein Wohngeldberechtigter, der in eine Region mit einer niedrigen Mietstufe umzieht, für einen Zeitraum von zwei Jahren weiterhin das Wohngeld nach der bisherigen Mietstufe erhält. Zurzeit bedeutet ein Umzug in eine Region mit einer niedrigeren Mietstufe bei gleicher Miete einen realen Einkommensverlust.
Zusammenfassend stelle ich fest: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelingt ein Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation. So helfen wir den Mietern in unserem Land. Ziel muss eine effektive und zeitnahe Unterstützung dieses Personenkreises sein. Wir verstehen den vorliegenden Gesetzentwurf als ersten Schritt in die richtige Richtung und werden dem Entwurf zustimmen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Hemmelgarn. – Und nun hat die Kollegin Ulli Nissen, SPD-Fraktion, das Wort.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es klasse, dass Sie Frankfurt so schön finden. Ich kann Ihnen da nur zustimmen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute die Wohngeldreform auf den Weg bringen. Ich danke allen, die daran mitgearbeitet haben. Insbesondere möchte ich meinem Kollegen Karsten Möring herzlich danken. Die Zusammenarbeit war großartig.
Unser Ziel ist klar: Mehr bezahlbarer Wohnraum muss her. Bezahlbares Wohnen ist eine wichtige Forderung der Nachhaltigkeitsziele 2030, den SDGs, denen wir uns verpflichtet haben. Dafür brauchen wir ein Zusammenspiel aus mehr Investitionen, sozialem Wohnungsbau und zielgenauen Änderungen in der Miet- und in der Sozialpolitik, und all das tun wir.
Das Wohngeld erfüllt eine entscheidende sozialpolitische Funktion. Diese stärken wir durch den heute vorliegenden Gesetzentwurf. Mit dem Wohngeldstärkungsgesetz bekommen ab 1. Januar 2020 mehr Haushalte mehr Wohngeld. Davon profitieren 660 000 Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ein Zweipersonenhaushalt bekam bisher durchschnittlich 145 Euro Wohngeld pro Monat, ab 1. Januar 2020 sind es durch unsere Reform dann durchschnittlich 190 Euro. Das ist eine starke Steigerung.
Erstmalig wird das Wohngeld dynamisiert. Dies war schon lange eine Forderung der SPD. Schön, dass das jetzt kommt. Das Wohngeld wird jetzt regelmäßig alle zwei Jahre an die eingetretene Miet- und Einkommensentwicklung angepasst. Damit sichern wir die mit der Wohngeldreform im Jahr 2020 erreichte Entlastungswirkung des Wohngeldes auch für die kommenden Jahre. Weniger Haushalte werden dadurch zwischen Wohngeld, Arbeitslosengeld sowie Sozialhilfe hin- und herwechseln. Des Weiteren werden die Höchstbeträge, bis zu denen die Miete bezuschusst werden kann, regional gestaffelt angehoben.
Durch die Einführung einer neuen Mietenstufe VII werden höhere Mieten in angespannten Wohnungsmärkten berücksichtigt. Mietenstufe VII erhalten nun 38 Kreise und Gemeinden mit einer Abweichung des Mietenniveaus von 35 Prozent und höher gegenüber dem Bundesdurchschnitt. Von den 38 Kreisen mit Mietenstufe VII liegen zufälligerweise 33 in Bayern. In Hessen gibt es nur eine, aber dazu gehört nicht der Wahlkreis, aus dem ich komme, wo die Mieten in den letzten Jahren explodiert sind. Die öffentliche Anhörung zur Wohngeldreform hat ergeben, dass wir weitere Untersuchungen brauchen, um die Verbreiterung der Datenbasis für die Einordnung von Kommunen in die Mietenstufen vorzunehmen. Der Gesetzentwurf sieht zudem die Erhöhung des seit 1990 nicht mehr angepassten Einkommensfreibetrages für Menschen mit einer Schwerbehinderung von 1 500 auf 1 800 Euro jährlich vor.
Karsten, du hast es angesprochen: Im parlamentarischen Verfahren ist es uns gelungen, eine Lösung für die Inseln ohne Festlandanschluss zu finden. Wenn die Fähre nicht fährt, dann haben die Menschen keine Möglichkeit, zurück aufs Land zu kommen. Es ist wichtig, dass wir dort eine Lösung gefunden haben. Das Mietenniveau auf diesen Inseln ist in der Regel wesentlich höher als in den ihnen zugeordneten jeweiligen Kreisen auf dem Festland. Damit unterstützen wir Haushalte mit niedrigen Einkommen auf diesen Inseln.
Eine nach wie vor offene Baustelle bleibt die Klimakomponente beim Wohngeld. Bisher haben wir noch keinen praktikablen Weg gefunden, wie diese Klimakomponente lenkungswirksam und bürokratiearm umzusetzen wäre. Anfang 2019 wurde dazu ein neues Gutachten in Auftrag gegeben. Dies soll neue Alternativen für ein im Wohngeld praktikables Nachweisverfahren entwickeln. Ich hoffe, Anfang 2020 liegen die Ergebnisse vor. Wir erwarten darüber hinaus für das nächste Jahr ein weiteres Gesetzgebungsverfahren zum Wohngeld. Das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung sieht eine pauschale 10-prozentige Erhöhung des Wohngeldes zum 1. Januar 2021 vor. Diese Erhöhung ist als Ausgleich und zur Vermeidung sozialer Härten bei steigenden Heizkosten vorgesehen.
Auch muss es eine Informations- und Öffentlichkeitskampagne geben, um das Wohngeld bekannter zu machen. Denn viele Anspruchsberechtigte stellen gar keinen Antrag.
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Zum Beispiel wissen viele Eigentümer einer Immobilie nicht, dass auch sie Anspruch auf Unterstützung haben. Dann heißt es Lastenzuschuss. Dies wird bei selbst genutztem Wohneigentum gezahlt, wenn die Wohnkosten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Anspruchsberechtigten übersteigen. Für viele ist bisher nur der Notverkauf ihrer Immobilie die letzte Lösung. Zu den Wohnkosten gehören auch Ausgaben für Zins und Tilgung der Immobilienkredite und die Bewirtschaftungskosten. Ich wäre froh, wenn wir die betroffenen Menschen informieren könnten, damit sie diese Chance nutzen.
Wir müssen auch die Förderung von barrierearmem bzw. barrierefreiem Wohnraum bei der Weiterentwicklung des Wohngeldsystems berücksichtigen. Gut, dass wir beim Wohngeld deutliche Verbesserungen geschaffen haben. Wir haben auch beim Mietrecht gehandelt. Das Mietrechtsanpassungsgesetz ist am 1. Januar 2019 in Kraft getreten.
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Bundesweit darf die Miete nach Modernisierung nur noch um maximal 3 Euro pro Quadratmeter im Monat innerhalb von 6 Jahren erhöht werden, bei Mieten unter 7 Euro pro Quadratmeter sogar nur um 2 Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ging deutlich über die Forderungen im Koalitionsvertrag hinaus. Ich finde das großartig.
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Gerade diese Woche gab es ein super Urteil in München. Der Mieterverein München – danke dafür – hatte mit einer Musterfeststellungsklage Erfolg. Er hatte stellvertretend für mehr als 130 Mieter einer Wohnanlage im Stadtteil Schwabing gegen eine drastische Mieterhöhung geklagt, die mit einer Modernisierung begründet wurde. Konkret sollten die Mieten um 5 bis 13 Euro pro Quadratmeter erhöht werden. Die Modernisierung wurde kurz vor dem Jahresende 2018 angekündigt, erst zwei Jahre später sollte sie umgesetzt werden. Zum Zeitpunkt der Ankündigung war es noch erlaubt, zeitlich unbegrenzt jährlich 11 Prozent der Kosten dafür auf die Mieter umzulegen. Seit 2019 gilt zum Glück unser neues Recht, wonach nur noch ein geringerer Teil der Modernisierungskosten auf Mieter umgelegt werden darf.
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Nach Ansicht des Mietervereins ging es dem Immobilienunternehmen darum, "gerade noch altes Recht abgreifen" zu können. Dem wurde ein Riegel vorgeschoben. Die Spanne zwischen der Ankündigung der Modernisierung und der tatsächlichen Durchführung sei zu lang, sagte der Vorsitzende Richter. Diese Entscheidung freut mich sehr, insbesondere weil ich Berichterstatterin für dieses Thema bin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin jetzt sechs Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages, und ich finde es großartig, dass ich für eine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen sorgen kann. Das macht mich stolz, das macht mich glücklich.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Nissen. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Daniel Föst, FDP-Fraktion.
({0})
Definitiv ist München eine sehr schöne Stadt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Wohngeldreform war zweifelsohne überfällig. Die Mieten explodieren. Normale Menschen können sich die Mietsteigerungen kaum noch leisten. Immer mehr sind auf Wohngeld angewiesen. Die Entwicklung auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist ein Armutszeugnis für diese Regierung und damit auch
ein Armutszeugnis für den zuständigen Minister.
({0})
Beim Wohngeld anzusetzen, ist richtig. Mit dem Wohngeld werden diejenigen zielgenau unterstützt, deren Einkommen nicht für die Miete reicht. Das Wohngeld ist sozial. Das Wohngeld schützt die Menschen vor Verdrängung aus ihrem Viertel. Deswegen ist es richtig, das Wohngeld zu stärken. Es musste verbessert und es muss regelmäßig angepasst werden.
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Wir Freie Demokraten sagen deshalb ganz klar: Die Wohngeldreform geht in die richtige Richtung. Aber sie geht bei Weitem nicht weit genug. Wir finden gut, dass mit der regelmäßigen Anpassung eine Kernforderung der FDP umgesetzt wurde.
Die Erhöhung ist auch richtig, die Einführung der weiteren Mietstufe auch. Aber was weiterhin schlecht, was weiterhin katastrophal ist: An den Schnittstellen zwischen den verschiedenen Sozialleistungen wird es auch in Zukunft große Reibungsverluste geben. Da werden die Menschen oft im Jahrestakt hin- und hergereicht zwischen Wohngeld, Hartz IV, Hilfe zu den Kosten der Unterkunft und Kinderzuschlag. Jedes Jahr neue Antragsbürokratie, jedes Jahr ein anderes Amt, das zuständig ist, und jedes Jahr um Unterstützung bitten. Hier schafft die Reform keine Verbesserung, keine Erleichterung, und das ist wirklich schade.
({2})
Dabei gibt es gerade für dieses Problem gute Konzepte zur Vereinfachung, zum Beispiel vom ifo-Institut oder von der staatseigenen Agentur für Arbeit oder – wenn Sie es politisch wollen – von der FDP. Wir Liberale wollen das „Liberale Bürgergeld“. Wir wollen eine einheitliche und unbürokratische Grundsicherung und damit die Menschen unterstützen und entlasten.
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Apropos Bürokratie: Wir wollen nicht nur den Sozialstaat leistungsfähiger machen, nicht nur die Unterstützung vereinfachen, sondern auch die Beantragung. Meine Steuererklärung kann ich mittlerweile digital machen. Warum geht das nicht mit den Anträgen für Sozialleistungen?
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Ich kann verstehen, dass Herr Minister Seehofer Angst vor dem Internet hat – da sind ja die bösen Gamer. Aber wir müssen endlich einmal anfangen, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.
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Deshalb wollen wir Freie Demokraten mit dem „Liberalen Bürgergeld“ ein einfaches, intuitiv bedienbares digitales Antragsportal einführen – weniger Bürokratie, Entlastung der Verwaltung und das Allerwichtigste: Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger. Dann haben wir ein Smart Germany mit einem smarten „Liberalen Bürgergeld“.
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Werte Kolleginnen und Kollegen, zwei Jahre hat die Regierung jetzt gebraucht, um hier das Gesetz zum Wohngeld vorzulegen. Aber bereits im nächsten Jahr müssen wir es wieder aufschnüren; denn dann kommen die Beschlüsse zum Klimapaket. Frei nach Sepp Herberger: Nach der Wohngeldreform ist vor der Wohngeldreform.
({7})
Das Ganze wirkt einfach nur unkoordiniert, ineffizient und planlos,
({8})
aber – sorry to say – das scheint das Arbeitsmotto dieser Regierung zu sein.
Es wäre mit der Wohngeldreform viel gegangen. Es wäre mit der Wohngeldreform viel mehr gegangen, um die Bürger zu entlasten. Ich finde es sehr schade, dass wir diese Chancen nicht genutzt haben.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Föst. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Caren Lay, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Preise für Mietwohnungen in den Städten explodieren. Sie haben sich völlig entkoppelt von der Entwicklung der Löhne, von der Entwicklung der Einkommen, und das ist das eigentliche Problem.
({0})
In der Folge müssen viele Menschen einen unzumutbar großen Anteil ihres Einkommens für die Miete ausgeben, und daran wird leider auch die vorliegende Wohngeldreform nichts ändern.
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Auch wir als Linke finden natürlich, dass die Anpassung des Wohngeldes, eine Wohngeldreform, dringend nötig ist. Aber leider greift die Reform, die Sie heute vorgelegt haben, viel zu kurz; sie ist halbherzig. Denn erstens ist das Wohngeld einfach nicht hoch genug. Das liegt schon allein daran, dass es das letzte Mal vor drei Jahren erhöht wurde.
Das Zweite ist, dass die gesamte Berechnungsmethode nicht hinreichend ist. Für die Berechnung des Wohngeldes werden eben nicht die realen Mieten, sondern nur bestimmte Mieten zur Grundlage genommen, und im Ergebnis kann das Wohngeld die reale Mietsteigerung nicht abbilden. Daran wird auch die vorliegende Reform nichts ändern, und das ist wirklich schade.
({2})
Was ich aber wirklich das Schärfste finde, ist, dass mit der vorliegenden Reform in sage und schreibe 164 Städten und Gemeinden die Erhöhung des Wohngeldes ausbleiben wird, weil sie durch die Systematik der Mietstufen herabgestuft werden. Da muss ich schon sagen, dass ich es angesichts des Mietenwahnsinns wirklich absurd finde, eine Reform zu machen, in der für Haushalte das Wohngeld am Ende auch noch sinkt. Das kann man wirklich niemandem erklären.
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Ich finde es in der Tat falsch – das ist vorhin schon angesprochen worden –, dass hier eine Wohngeldsystematik oder eine Reform vorliegt, in der nach und nach der Kreis der Empfänger immer kleiner wird. Das kann angesichts des Mietenwahnsinns in den Städten nicht der richtige Weg sein.
({4})
Seit vielen Jahren kritisieren wir als Linke, dass die Heizkosten aus der Berechnung des Wohngeldes herausgenommen wurden. Auch daran wird diese Reform leider nichts ändern. Wir finden, auch die Heizkosten müssen beim Wohngeld berücksichtigt werden. Das Wohngeld muss sich endlich an den realen Wohnkosten orientieren.
({5})
Und völlig ausgeklammert wird das, was Umweltverbände, was der Deutsche Mieterbund wirklich seit vielen Jahren fordern und was angesichts der Klimakrise auch dringend notwendig wäre, nämlich eine Klimakomponente einzuführen. Wir wollen, dass sich auch Wohngeldbezieher eine sanierte Wohnung leisten können. Aber ohne eine solche Klimakomponente im bisherigen System der Modernisierungsumlagen müssen ärmere Mieterinnen und Mieter entweder in den unsanierten Wohnungen wohnen, oder sie fliegen nach der Sanierung raus, weil die Miete zu hoch wird. Das findet tausendfach in unseren Städten statt, und das kann doch wirklich kein Mensch wollen!
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Deswegen muss ein modernes Wohngeld eben auch die Kosten für die energetische Sanierung berücksichtigen. Sie muss gefördert werden. Wir müssen die Verdrängung durch diese Modernisierung verhindern, und deswegen brauchen wir eine Klimakomponente beim Wohngeld.
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Meine Damen und Herren, das Wohngeld muss also erstens deutlich ausgeweitet werden. Es muss zweitens jährlich angepasst werden. Es muss drittens die Heizkosten berücksichtigen und viertens eine Klimakomponente beinhalten. Aber das Wichtigste ist: Ein Wohngeld muss so konzipiert sein, dass es die extremen Belastungen durch den Mietenwahnsinn verhindert. Es gibt den guten Grundsatz, dass kein Haushalt mehr als 30 Prozent des Einkommens für das Wohnen ausgeben müssen sollte. Dafür müsste ein soziales Wohngeld, dafür müsste eine soziale Wohnungspolitik sorgen.
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Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluss noch ein paar grundsätzliche Dinge zum Instrument des Wohngeldes sagen. Natürlich sagen wir als Linke: Solange es nicht genug bezahlbare Wohnungen gibt, brauchen wir das Wohngeld. – Aber ich sage auch, gerade weil das auch von der FDP und der AfD als Mittel der Wahl dargestellt wird: Die sogenannte Subjektförderung ist es für uns als Linke nicht; denn erstens wird ja mit dem Wohngeld – das muss man einfach sehen – faktisch die Rendite privater Großvermieter und Konzerne subventioniert.
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Zweitens kann die Verdrängung aus den Innenstädten durch das Instrument des Wohngeldes nicht verhindert werden.
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Drittens sind die Kosten für Wohngeld und auch die Kosten der Unterkunft seit der Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit explodiert. Das sind einfach die Fakten.
({11})
Und viertens – und das ist entscheidend –: Das Wohngeld schafft keine einzige neue Wohnung. Das ist doch Ihr Argument, das Sie immer gegen den Mietendeckel anführen. Das muss an dieser Stelle eben auch gelten.
({12})
Ein deutlich nachhaltigerer Ansatz sind mehr bezahlbare Wohnungen, sind mehr öffentlich geförderte Wohnungen, sind mehr gemeinnützig bewirtschaftete Wohnungen. Aber was ist denn da Ihre Politik, die Politik der Bundesregierung? Ich sehe Herrn Seehofer gar nicht bei dieser sehr wichtigen Debatte. Das finde ich wirklich schade, aber das ist ja auch nichts Neues.
({13})
In den letzten Jahren sind jährlich über 40 000 Sozialwohnungen aus der Bindung herausgefallen; die Tendenz bei dem Bestand ist weiter sinkend. Millionen Menschen hätten einen Anspruch auf Sozialwohnungen, bekommen aber keine. Deswegen sagen wir als Linke: Wer einen Anspruch auf eine Sozialwohnung hat, der sollte doch wenigstens Anspruch auf Wohngeld haben. Das wäre eine wirklich soziale Reform des Wohngeldes.
Vielen Dank.
({14})
Vielen Dank, Frau Kollegin Lay. – Vielleicht zur Information des Hauses: Die CSU hat heute Parteitag.
Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident Kubicki! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute entscheiden wir über die Reform des Wohngeldes, und – einige Kolleginnen und Kollegen haben es ja schon angesprochen – dabei geht es um die Wohnkostenbelastung der Menschen in Deutschland.
2010 lag die Wohnkostenbelastung aller deutschen Haushalte im Durchschnitt bei 22,5 Prozent. Heute liegt sie bei 27,2 Prozent. Die Überlastungsgrenze eines Haushaltes durch die Kosten des Wohnens liegt bei 30 Prozent, sprich: Wir sind im Durchschnitt aller deutschen Haushalte mit den Wohnkosten nahe an der Überlastung. Ich finde, das ist ein Alarmsignal. Wir befinden uns wohnungspolitisch angesichts dieser Zahlen in einer wirklich prekären Situation. Deswegen kann ich nicht verstehen, dass Sie so tun, als ob nichts wäre, und als Große Koalition einfach so weitermachen mit dieser Wohngeldreform, die man vor 5, 10 oder 15 Jahren hätte machen können, aber nicht in einer so prekären Situation.
({0})
Das Wohngeld wird mit dieser Novelle nicht strukturell gestärkt, es wird nicht strukturell modernisiert, es wird nicht an die Erfordernisse der Klimakrise angepasst, es löst nicht die Schnittstellenprobleme bei den sozialen Sicherungssystemen. Das ist zwar eine Wohngeldnovelle – ja, Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt –, aber Sie haben angesichts der Herausforderungen auf den Wohnungsmärkten trotzdem eigentlich nicht geliefert.
({1})
Schauen wir uns doch einmal an, was Sie als Erfolg vermelden: 660 000 Menschen werden nun Wohngeld erhalten. Das sind mehr als in der Vergangenheit – das ist richtig –, aber 2010 hatten wir in Deutschland 1 Million Wohngeldempfänger. Ich meine, das muss die Zielmarke sein. Wir müssen wieder mehr Menschen aus den anderen sozialen Sicherungssystemen in das vorgelagerte Sicherungssystem des Wohngelds holen.
({2})
Dass Sie das nicht machen und Sie, Herr Möring, mit dem Kopf schütteln, zeigt, dass Ihnen der politische Wille dazu leider fehlt.
Sie sagen, die Dynamisierung ist ein Fortschritt. Das ist richtig. Aber warum wird die Anpassung nur alle zwei Jahre vorgenommen? Bei den Kosten der Unterkunft wird die Anpassung jedes Jahr vorgenommen.
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Dann ist das doch auch beim Wohngeld möglich. Auch hier fehlt Ihnen der politische Wille, um die Reform deutlich besser auszugestalten.
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Ulli Nissen, die Gretchenfrage bei dieser Reform ist die Frage: Wie berechnet sich eigentlich das Wohngeld in Deutschland? Das Wohngeld in Deutschland – das muss man den Menschen da draußen auch mal sagen – wird berechnet, indem man alle Wohngeldhaushalte zusammennimmt und daraus die Wohngeldstufen errechnet.
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Das bildet aber nicht das reale Marktgeschehen in Frankfurt, Stuttgart oder Berlin ab, sondern nur die Wohngeldempfängerhaushalte in Frankfurt, Stuttgart oder Berlin. Wir haben aber massive Wohnkostensteigerungen da draußen, und die werden eben hier nicht abgebildet. Deswegen springt man mit dieser Reform zu kurz.
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Hier braucht es dringend eine grundsätzlich andere Berechnung.
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Ich habe die Schnittstellenproblematik angesprochen. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der in Hartz IV ist, am Ende mehr Geld hat als jemand, der voll arbeitet und Wohngeld erhält. Das ist aber heute Realität. Das ist doch ein riesiges soziales Problem. Es ist auch arbeitsmarktpolitisch ein riesiges soziales Problem, dass wir Arbeit hier nicht wirklich fördern und die Arbeit nicht in den Vordergrund stellen. Deswegen sage ich: Wir müssen diese Schnittstellenprobleme lösen.
In der Anhörung gab es einen ganz klaren Vorschlag dazu: die Einführung eines Erwerbstätigenfreibetrages, den Caritas und andere gefordert haben. Das wäre eine Möglichkeit, 230 000 Haushalte aus Hartz IV ins Wohngeld zu holen, 460 000 Haushalten zum ersten Mal das Wohngeld zu ermöglichen. Damit wären wir bei über 1 Million Wohngeldbeziehern. Das wäre eine echte Sozialreform, eine wirkliche Stärkung des Sozialstaates Deutschland, und das in einer Zeit, in der dieses Land fragil ist, in der wir über die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen sprechen, in der wir darüber sprechen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und der prekäre Sektor immer größer wird. Das wäre notwendig gewesen, aber dazu haben Sie nicht die Kraft gehabt, und leider hat auch die SPD nicht die Kraft gehabt, das hier zu erstreiten.
({8})
Dass Sie die Probleme bei den ostfriesischen Inseln gelöst haben – das wurde schon angesprochen –, ist sehr gut. Wir begrüßen das. Wir Grüne haben das Thema in den Beratungen immer wieder eingebracht. Ich finde aber, es hätte eine Selbstverständlichkeit sein müssen, dass diese Bundesregierung sich dieses Problems schon im Gesetzentwurf annimmt,
({9})
aber sie brauchte die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, um das hineinzuschreiben.
Ulli Nissen, du meldest dich ja immer wieder mit Zwischenrufen zu Wort. Die SPD hat in den letzten Wochen mit, so würde ich es mal sagen, allen Kanonen der sozialen Gerechtigkeit auf die grüne Klimapolitik geschossen.
({10})
Wenn ich mir jetzt diese Sozialreform, die Wohngeldnovelle, anschaue, die die SPD hier vertritt, stelle ich fest, dass eine Klimakomponente nicht enthalten ist. Sie ist nicht enthalten, weil euch der politische Wille fehlt, das durchzusetzen,
({11})
und weil euch der politische Wille fehlt, Klima und soziale Gerechtigkeit zusammenzudenken.
({12})
Die Tatsache, dass man erst Anfang dieses Jahres ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, ist doch wirklich hanebüchen. Wir reden schon jahrelang über die Klimakomponente. Die Große Koalition hat das in den Koalitionsvertrag geschrieben. Letztlich ist diese Wohngeldnovelle beim Punkt Klimakomponente ein gebrochenes Versprechen der SPD und der Union – und nichts anderes.
({13})
Zum Schluss. Eines ist klar: Diese Novelle entbindet Sie nicht davon, weiter mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau zu geben. Viele Wohngeldempfänger in Deutschland sind angewiesen auf eine Sozialwohnung in der Stadt. Ich habe vorhin die Zahlen genannt, die die reale Belastung der Menschen durch die Kosten des Wohnens widerspiegeln. Diese Belastung spüren sie in ihrem Geldbeutel. Die Tatsache, dass Sie im Haushalt nun die Mittel für den sozialen Wohnungsbau um eine halbe Milliarde kürzen, ist wirklich nicht hinnehmbar.
({14})
Das sagen Ihnen auch die eigenen Länder; das sagen Ihnen auch die Bauminister der Länder.
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Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss?
Deswegen sage ich es noch einmal: Erhöhen Sie im Haushalt die Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Das ist dringend notwendig. Erst dann werden Sie Ihrer Verantwortung als sozialdemokratische Partei und als Union gerecht.
Danke schön.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Kühn. – Nächster Redner ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Marco Wanderwitz für die Bundesregierung.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vorteil, wenn man nach Rednern der Opposition spricht, ist, dass man das eine oder andere richtigstellen kann. Das will ich gerne tun.
Zunächst möchte ich aber darauf hinweisen, dass ich in der Anhörung deutlich mehr Zustimmung als Kritik von den Sachverständigen wahrgenommen habe.
({0})
– Sie benennen ja auch Sachverständige. Jetzt hören Sie mal zu. Sieben Minuten sind auszuhalten.
Wenn ich lese und höre, was die Journalistinnen und Journalisten, die sich sehr intensiv mit dieser Branche und dieser politischen Thematik beschäftigen, in den Zeitungen schreiben bzw. im Rundfunk und im Fernsehen sagen, dann stelle ich fest, dass wir für diese Wohngeldnovelle ziemlich viel Lob bekommen. Ich finde, zu Recht. Wir können über vieles, was den Wohnungsmarkt in Deutschland derzeit betrifft, trefflich streiten – das tun wir auch –, aber mit der Wohngeldreform liefern wir jetzt, wie ich glaube, etwas ziemlich Gutes.
Wir erhöhen die Förderkraft des Wohngelds erheblich. Führen wir uns einmal die Zahlen vor Augen: Wir, sowohl der Bund als auch die Länder, werden künftig 1,2 Milliarden Euro für das Wohngeld zur Verfügung stellen. Damit werden künftig 660 000 und damit 180 000 Haushalte mehr als bisher in den Genuss des Wohngeldes kommen. Außerdem heben wir die Höchstbeträge gestaffelt an und führen die neue, schon erwähnte Stufe VII in den Wohnungsmärkten, in denen es besonders pressiert, ein.
Und wir führen eine Dynamisierung ein. Künftig wird das Wohngeld alle zwei Jahre angepasst, automatisch, ohne dass wir das jedes Mal mühselig beschließen müssen. Ich finde: Da es eine solche Dynamisierung bisher noch nicht gegeben hat, ist das ein wirklich großer Fortschritt.
({1})
Da wir das Ganze auch evaluieren wollen, können und werden wir in wenigen Jahren darüber sprechen, ob der gewählte Zweijahreszeitraum richtig ist. Unserer Ansicht nach ist er gut geeignet. Das hat natürlich auch etwas mit Bürokratie zu tun. Deswegen haben wir den Zeitraum von zwei Jahren gewählt.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit einen kleinen Exkurs machen – ich habe ja gesagt, dass ich das eine oder andere mit abräume –: Wenn wir über steigende, über explodierende Mieten sprechen, dann sprechen wir vor allen Dingen immer wieder über Neuvermietungsmieten, die aber nur etwa 5 Prozent des gesamten Mietmarktes in unserem Land ausmachen. Das sage ich, um die Größenordnungen ein bisschen zurechtzurücken. Es ist eben so, dass die Bestandsmieten, also die Mieten der anderen 95 Prozent, in den letzten Jahren nicht so stark gestiegen sind – nämlich unterhalb des Niveaus der Preisentwicklung. Das sind Fakten. Ich finde, die sollte man in einer solchen Debatte auch mal erwähnen.
Ferner möchte ich erwähnen, dass wir richtigerweise gesagt haben: Wenn wir jetzt das ambitionierte Klimaschutzpaket verabschieden, bei dem wir insbesondere den Gebäude- und den Wohnsektor erheblich in die Pflicht nehmen, müssen wir berücksichtigen, dass die kostenintensiven Sanierungen auf die Kaltmieten durchschlagen. Deswegen haben wir gesagt, dass wir für diejenigen Mieter, die sich das nicht leisten können, einen Aufschlag von 10 Prozent auf das Wohngeld brauchen. Das brauchen wir, wenn im Jahr 2021 die CO2-Bepreisung kommt. Wir haben also noch ein ganzes Jahr Zeit, um dieses aus meiner Sicht relativ schmale Gesetz zu machen. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, das jetzt krampfhaft in diese Wohngeldnovelle hineinzupacken. Auch deswegen haben wir uns entschieden, es einzeln zu machen.
Die Stärkung des Wohngeldes ist für uns ein ganz wichtiger Baustein im Rahmen unserer Gesamtstrategie für bezahlbares Wohnen. Aber letztlich ist es – ähnlich beispielsweise den Mietpreisbegrenzungen – nur eine Operation, die insbesondere deshalb notwendig ist, weil es eben nicht genügend bezahlbaren Wohnraum in der Fläche im Land gibt. Insofern ist das Thema „mehr Bauland“ mindestens genauso wichtig. Die Baulandkommission hat ihr Ergebnis vor der Sommerpause geliefert. Wir arbeiten aktuell an der sich daraus ergebenden Baugesetzbuchnovelle, die wir noch dieses Jahr vorlegen werden, um sie dann hoffentlich im ersten Quartal nächsten Jahres in diesem Hause beraten und verabschieden zu können. Diese Novelle soll insbesondere dazu dienen, mehr Bauland im Innenbereich wie in moderater Weise in den angrenzenden Bereichen zur Verfügung zu stellen. Die Länder sind in der Tat intensiv mit dem Thema Bauordnungsrecht beschäftigt, weil das unmittelbar damit zusammenhängt.
Wir sind dabei, die insbesondere durch die Baukostensenkungskommission unterbreiteten Vorschläge abzuarbeiten. Da geht es insbesondere um Normung. Das ist ein dickes Brett. Das haben, glaube ich, alle, die sich damit befasst haben, schon gemerkt. Es geht beispielsweise um das Thema serielles Bauen. Damit schließen wir jetzt den Kreis beim Thema serielles Sanieren. Es geht natürlich auch um Fachkräfte; denn die Baubranche ist weitestgehend ausgelastet, und deswegen ist der weitere Kapazitätsaufbau insbesondere an einen Zuwachs von Fachkräften gebunden. Ich erwähne hier das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, aber auch die umfangreiche Zusammenarbeit mit der Bauwirtschaft auf dem Gebiet der Gewinnung von neuen Fachkräften im Inland. Ich erwähne den Mitarbeiterwohnungsbau; in diesem Bereich gehen wir als Bund über die BImA voran. Wir wollen für unsere eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser Legislaturperiode mehrere Tausend Wohnungen bauen. Wir werben auch dafür, dass andere Unternehmen diesem Beispiel folgen. Wir haben dafür erst jüngst steuerliche Regelungen angepasst, die das attraktiver machen.
Der soziale Wohnungsbau ist angesprochen worden; auch er ist ein wichtiges Thema. Wenn die 1 Milliarde Euro Bundesgeld, die wir künftig zur Verfügung stellen, eins zu eins im sozialen Wohnungsbau ankommt, dann wird dieses Geld deutlich mehr bewirken als die 1,5 Milliarden Euro, die wir die letzten beiden Jahre den Ländern gegeben haben.
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Ein kleiner Exkurs an dieser Stelle. Wir als Bund waren früher mal zuständig für den sozialen Wohnungsbau. Dann gab es eine Föderalismusreform. Dann sind die Länder allein zuständig gewesen. In dieser Zeit hat sich die Zahl der vorhandenen Sozialwohnungen halbiert, weil die Länder in Summe nicht genügend gemacht haben. Einige wenige Länder, wie beispielsweise Hamburg, stechen heraus. Das Gros der Länder hat aber bei dieser Aufgabe versagt. Deswegen haben wir gemeinsam eine Grundgesetzänderung vorgenommen. Deswegen sind wir jetzt wieder mit zuständig. Deswegen geben wir jetzt 1 Milliarde Euro Bundesgeld für den sozialen Wohnungsbau. Ich glaube, das wird uns erheblich helfen.
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Die 1,5 Milliarden Euro, die in den letzten Jahren bereitgestellt worden sind, sind nicht an der richtigen Stelle angekommen. Zwar haben die Länder sie für investive Zwecke verwendet, aber leider nicht für das, wofür sie eigentlich vorgesehen waren, nämlich für den sozialen Wohnungsbau. Wir stellen sicher, dass der Bund künftig Jahr für Jahr 1 Milliarde Euro in den sozialen Wohnungsbau investiert, für den er mit zuständig ist. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.
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Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Hagen Reinhold, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mit Zahlen zu den Empfängerhaushalten beginnen. Da muss ich den Grünen leider widersprechen. Herr Kühn, die Zielmarke der Grünen mag sein 1 Million Wohngeldempfänger. Die Zielmarke der FDP ist 0,0 Millionen Wohngeldempfänger. Das ist ein Ziel, das man haben sollte. Ich möchte, dass in Deutschland jeder von seiner Arbeit und von dem Geld, das er verdient, sich eine Wohnung leisten kann.
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Das ist ein langfristiges Ziel, wofür es sich zu streiten lohnt.
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Darüber, dass wir für den Übergang noch Wohngeld brauchen, müssen wir nicht reden; aber die Zielmarke und wie wir sie erreichen, das muss definiert werden. Wie schaffen wir das denn? Zuerst mit der weltbesten Bildung, einer guten digitalen Ausstattung an den Schulen, damit die Menschen für die Zukunft gut qualifiziert sind, mit guten Erfolgen bei der Weiterbildung.
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All das ist wichtig. Wichtig sind auch eine starke Wirtschaft und Betriebe, die gute Löhne zahlen müssen; das gehört mit dazu.
Warum setze ich das an den Anfang, und warum rede ich darüber? Weil wir heute einige Elemente gar nicht besprechen. Es ist ja so – auch das ist von Ihnen, Frau Lay, Herr Kühn, gekommen; Sie haben es zu Recht dargestellt –, dass die Mietbelastung in den letzten 20 Jahren gerade mal um 4 Prozent gestiegen ist. Trotzdem ist das ärgerlich. Warum ist das so, wo doch die Nettokaltmieten in den letzten 20 Jahren um 35 Prozent, die Einkommen aber um 47 Prozent gestiegen sind? Das liegt unter anderem daran – das dürfte auch Ihnen klar sein –, dass wir mittlerweile viel zu viel Quadratmeter Wohnfläche pro Person verbrauchen.
Nun bin ich als Liberaler der Letzte, der irgendjemandem vorschreibt, in welcher Wohnung mit welcher Größe er zu leben hat. Aber wir müssen doch genauso in Angriff nehmen, dass wir in Deutschland zurzeit nicht in der Lage sind, unseren Wohnungsbestand, der mittlerweile 50, 100, 150 Jahre alt ist, an den jetzigen Bedarf anzupassen. Wir haben nun mal nicht wie noch vor 50 Jahren Familien, die auf 60 Quadratmetern wohnen. Mittlerweile wohnt der durchschnittliche Rentner in einer Mietwohnung auf 60 Quadratmetern. Auch dafür braucht es Lösungen, damit wir dieses Wohngeld in Deutschland langfristig gar nicht mehr brauchen. Punkt, Ende, aus! Darum kümmert sich hier zurzeit leider kaum einer.
Ganz das Gegenteil ist der Fall; da sieht man wieder, in welcher Gedankenwelt gerade hier agiert wird. In Berlin hat man zurzeit einen Flächenverbrauch von 39,3 Quadratmetern pro Person. Die Linken meinen wie auch die Grünen und die SPD, wie im geplanten Mietendeckelgesetz zum Ausdruck kommt, 50 Quadratmeter seien auch noch angemessen. Stünden in Berlin 50 Quadratmeter Wohnfläche pro Person zur Verfügung, würde das zur Folge haben, dass 500 000 Menschen obdachlos wären. Dementsprechend ist Ihre Politik. Eine solche Politik treibt die Leute eher raus als rein.
Wir sollten uns, genauso wie um dynamisiertes Wohngeld und einen Zuschuss dazu, darum kümmern, dass wir sukzessive nicht mehr darüber reden müssen, welche Mietstufen es in Heidelberg, Weimar, Stuttgart, Berlin oder wo auch immer gibt, sondern darüber, wie wir dieses Land so umgestaltet kriegen, dass jeder angemessenen Wohnraum findet, also den Wohnraum, den er braucht.
Wir haben riesige Chancen beim Umbau unserer Städte und Gemeinden. Das müssen wir sowieso in nächster Zeit anpacken, weil wir energetisch sanieren müssen, weil wir eine Energiewende zu vollziehen haben. In diesem Zuge könnte man enorm viel machen, um jedem in Deutschland angemessenen Wohnraum zu verschaffen. Ich bitte Sie, auch mal darüber nachzudenken und nicht nur darüber zu reden, wie viele Empfängerhaushalte infrage kommen. Für mich wäre es ein gutes Zeichen, wenn es in zehn Jahren deutlich weniger wären. Für mich wäre es ein noch besseres Zeichen, wenn es für die, die es sich wirklich nicht leisten können, viel unbürokratischer zugehen würde.
Ansonsten helfen Sie mit, dass sich in diesem Land demnächst jeder den Wohnraum leisten kann, den er braucht, und dafür braucht es deutlich mehr als nur das Wohngeldstärkungsgesetz.
Danke.
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Vielen Dank, Herr Kollege Reinhold. – Sie sind ja fast schneller als ich. Das ist ja schon hervorragend.
Als nächster Redner hat der Kollege Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion, das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf des Wohngeldstärkungsgesetzes. Vielfach ist dazu schon Stellung genommen worden. Ferner liegen aber auch noch zwei Anträge, einer der FDP und einer der Linken, vor. Ich will zu Beginn ein paar Bemerkungen zum Wohngeld- und Mietenbericht 2018 machen.
Wir haben es hier mit deutschen Wohnungsmärkten zu tun, die regional sehr unterschiedlich sind. Wir haben wachsende Städte und Regionen mit Zuwanderung und explodierenden Mieten. Wir haben andere Städte und ländliche Regionen mit Leerständen, mit wirtschaftlichen Strukturproblemen; die Situation in ganz Deutschland ist sehr differenziert.
Man kann über die Baufertigstellungen, die es in den letzten Jahren gegeben hat, so reden – Vorsicht jetzt, Chris –: Das Niveau der Baufertigstellungen konnte 2017 auf 285 000 Wohnungen und damit um beachtliche 80 Prozent im Vergleich zu 2009 – das war ja eben dein Bezugsjahr – erhöht werden. Man kann es sich immer so aussuchen, wie man es gerade braucht. Man kann es aber auch so darstellen: Wir wollen 1,5 Millionen bezahlbare Wohnungen schaffen und brauchen dazu jedes Jahr 350 000 neue Wohnungen.
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Daran gemessen wird dieses Ziel verfehlt.
Man könnte dann die Frage stellen: Wer baut denn da eigentlich? Man könnte sich mal den sozialen Wohnungsbau in Baden-Württemberg oder von mir aus in Nordrhein-Westfalen angucken, wo es vor einiger Zeit einen Regierungswechsel gab. Dann würde man sehen: Die bauen da nicht so viel. Die könnten aber mehr machen.
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Aber die haben alle ihren Finger nur auf uns gerichtet.
Ich glaube, wir müssen uns zwei Dinge merken:
Erstens. Wir dürfen nicht nur über Berlin – über Mietendeckel wie die Linken oder über Zuzugsbegrenzungen wie die CDU – reden, sondern wir müssen auch mal darüber nachdenken, ob die Lage etwas anders wäre, wenn sich große Konzerne sozialer verhalten hätten, wenn sie sich beispielsweise an die Mietpreisbremse gehalten hätten. Ich weiß ja, dass einige hier diese ganzen Geschichten auch zur Feindbildpflege brauchen,
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Herr Hemmelgarn, aus „Hemmelgarn“ wird dann immer wieder „Seemannsgarn“.
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Zweitens. Wohnungsbau ist kein Konjunkturpaket. Die Sinuskurve von Leerstand bis Knappheit sollte eigentlich in eine aufsteigende Gerade verwandelt werden. Dazu sind kontinuierliche Investitionen nötig, damit wir eine konstante Auslastung der Bauindustrie haben. Heute wird massiv investiert. Vom kommunalen Investitionsprogramm bis zum Klimapaket wird es massive weitere Investitionen in Bau und Infrastruktur geben. Das wird so sein.
Die Bauindustrie hat gute Rahmenbedingungen seitens des Staates. Sie wissen, dass ich hier schon öfter über Bauüberhänge gesprochen habe. Das BMI hat mir auf Anfrage mitgeteilt: Ende 2018 gab es in Deutschland rund 700 000 bereits genehmigte, aber nicht fertiggestellte Wohnungen. Der große Überhang liegt in diesem Fall nicht an fehlenden Grundstücken, nicht am Personal, nicht am Baurecht, nicht an fehlenden Mitarbeitern; die Bauwirtschaft kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlicht und ergreifend nicht nach. Spekulation ist übrigens bei dem Thema nicht ausgeschlossen.
Was tun wir eigentlich dagegen? Viele von Ihnen wissen das, deswegen kann ich das sozusagen auf ein paar Punkte reduzieren – auch der Staatssekretär hat das eben schon gesagt –: sozialer Wohnungsbau, Baukindergeld, Wohngeld – das ist alles auf Rekordniveau –, die fortgeführte Städtebauförderung; in der Summe 13 Milliarden Euro. Das ist beachtlich viel Geld.
Der Bund investiert 5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau. Wir ändern das Grundgesetz mit der Folge, die eben beschrieben worden ist. Ursprünglich waren für 2020 noch 512 Millionen Euro vorgesehen. Wenn jetzt 1 Milliarde Euro zur Verfügung steht, dann ist das keine Kürzung, sondern eine Verdopplung des ursprünglichen Betrages – ein Betrag, den wir unmittelbar einsetzen können; das muss man schlicht und ergreifend einmal sehen.
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Wir schaffen zusätzliche Bedingungen bei der Sonder-AfA – das ist eben auch schon angesprochen worden –: über vier Jahre bis zu jährlich 5 Prozent der Bemessungsgrundlage; auch das wird helfen.
Beim Parlamentarischen Abend des Deutschen Mieterbundes gestern ist die SPD für ihre Mietenpolitik, für ihre Vorstellungen und die Weiterentwicklung sehr gelobt worden.
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– Das meine ich auch, zu Recht; keine Frage.
Ich glaube, die absurdeste Debatte, die man hier führen kann, ist die, die Grundsteuer und die Mietenexplosion in einen kausalen Zusammenhang zu bringen. Das ist schlicht und ergreifend nur Unsinn.
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Wir machen in der nächsten Zeit noch eine ganze Menge zum Schutz von Mieterinnen und Mietern, beispielsweise die Verlängerung des Betrachtungszeitraums für die ortsübliche Vergleichsmiete beim Mietspiegel auf sechs Jahre, die Verlängerung der Geltungsdauer der Mietpreisbremse, die rückwirkende Rückzahlungspflicht bei Verstoß gegen die Mietpreisbremse,
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die Verschärfung des Umwandlungsverbots von Mietwohnungen – die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen ist für Spekulanten ein Riesengeschäft – und ähnliche Dinge mehr. Die Bundesregierung soll in Absprache mit den Bundesländern bis zum Ende des Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Möglichkeiten zur Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen reduziert.
Wir erleichtern den Wohnungsneubau, auch den Eigentumserwerb. Es wird künftig für Käuferinnen und Käufer von Immobilien nur noch eine hälftige Beteiligung bei der Maklerprovision geben. Das ist auch positiv.
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Wir evaluieren die Wohnungsbauprämie. Wir werden das Bau- und Bodenrecht novellieren – mit ganz unterschiedlichen Perspektiven, mit einem besseren Zugriff auf das Bodenrecht, weil das eine große soziale Frage ist, aber auch mit Beschleunigungen in Genehmigungsverfahren. Mit anderen Worten: Es wird relativ viel getan, auch für den sozialen Kontext des Bauens, beispielsweise mit der Städtebauförderung.
Ich habe jetzt noch gar nicht viel gesagt
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zum Wohnungspaket, zum Wohngeld im Einzelnen, weil das schon viele andere getan haben. Für die Hinweise auf die Musterfeststellungsklage bin ich sehr dankbar.
Ich sage schlicht und ergreifend: Es ist ein gutes Gesetz. Es trägt eine sozialdemokratische Handschrift. Es werden mehr Menschen mehr Wohngeld bekommen, und das ist gut. Es sind 660 000 Haushalte. Es wird eine Dynamisierung geben. Sie alle hätten es doch gar nicht für möglich gehalten, dass es so schnell kommt, setzen jetzt aber noch einen drauf mit der Forderung, dass die Dynamisierung jährlich passieren müsse.
Ich darf Sie an die Zeit erinnern.
Ach, Entschuldigung.
Ja, die Zeit ist schon lange um.
Ich habe es gar nicht gemerkt, Frau Präsidentin.
Sie haben es gar nicht gemerkt, schade. Aber ich erinnere Sie gern. Kommen Sie zum Schluss.
Wir haben, glaube ich, ein ziemlich gutes Gesetz gemacht und uns sogar um Detailprobleme wie die Inseln ohne Festlandanschluss gekümmert. Wir beschließen ein gutes Gesetz für ein solidarisches Land, das wir stabilisieren wollen. Ich hoffe, Sie machen mit.
Danke schön.
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Vielen Dank, Bernhard Daldrup.
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Ich grüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Hören Sie auch so einen Hall? Ein Wahnsinnssound, oder? Das ist gottesdienstmäßig. Jetzt geht es in Würde weiter. – Das ist ja irre. Können Sie mal den Sound ein bisschen regeln? – Wow!
Letzter Redner in dieser hallenden Debatte: Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin, wir grüßen Sie auch ganz herzlich. Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte der vergangenen Monate habe ich oft gehört: Wohnen, die soziale Frage unserer Zeit. – Ich sage: Nein, das stimmt nicht. Wohnen ist immer eine soziale Frage, nicht nur eine soziale Frage unserer Zeit, und davon haben wir uns als Union auch leiten lassen.
Was ist für den Menschen wichtiger als das berühmte Dach über dem Kopf oder, noch besser, sein Dach über dem Kopf, nämlich dass er in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus leben kann? Nicht alle können das, und nicht alle wollen das. Aber umso wichtiger ist, dass jeder dieses Dach über dem Kopf hat. Wenn wir an die schweren Zeiten in Deutschland, besonders nach dem Krieg, zurückdenken, stellen wir fest: Da war es nicht so; da fehlte vielen dieses Dach über dem Kopf.
Das Problem, vor dem wir jetzt vor allen Dingen stehen – das müssen wir auch mal sagen –, ist, dass jeder sein Dach über dem Kopf behalten kann, dass er seine Miete zahlen kann, dass er seinen Verpflichtungen nachkommen kann. Da sage ich: Das Wohngeldstärkungsgesetz ist ein gutes soziales Gesetz, an dem wir gemeinsam gearbeitet haben. Wir sind mit diesem Gesetz weiter auf dem richtigen Weg. Es heißt ganz steril und anonym: Es ist eine Subjektförderung. – Wenn wir von „Subjektförderung“ reden, dann meinen wir letztendlich Menschen, Familien, die ein Dach über dem Kopf haben und das auch behalten wollen.
Das Wohngeld nach dem Wohngeldstärkungsgesetz ist sozial treffsicher, entspricht der individuellen Lebenssituation des Einzelnen und ist auch regional differenziert. Antragsberechtigt sind Mieter – eine Vielzahl von Mietern –, aber natürlich auch, soweit die Voraussetzungen zutreffen, Eigenheimbesitzer oder Besitzer einer Wohnung, für den sogenannten Lastenzuschuss.
Bund und Länder stellen 2020 insgesamt 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Das heißt, dass ein Zweipersonenhaushalt, der bisher vielleicht im Durchschnitt 145 Euro bekommen hat, in Zukunft 190 Euro bekommt. Das hilft der Familienkasse, im Portemonnaie schon sehr.
Auch die Kommunen haben unter Umständen einen Vorteil, nämlich dann, wenn sie bei der Grundsicherung entlastet werden, weil die Zahlungsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen. Wir führen eine Dynamisierung ein, eine Verstetigung der weiteren Erhöhungen.
Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen; damit haben wir das Problem auch noch nicht gelöst. Neben der Subjektförderung ist es wichtig, dass wir das Objekt, die Mietwohnung oder das Haus, weiter im Blick behalten. Da ist meiner Meinung nach das Wichtigste, dass es uns gelingt, notwendigen Wohnraum zu schaffen, kostengünstig zu bauen, sodass es bezahlbare Mieten gibt. Dann erübrigt sich dieser Mietzuschuss. Es ist allemal besser, wenn wir keinen Mietzuschuss zahlen müssen, weil die Menschen die Miete aus ihrem Lebensunterhalt bezahlen können.
Es ist mitnichten so, dass wir in den vergangenen Monaten nichts gemacht haben. Wir haben das Baukindergeld auf den Weg gebracht. Wir haben eine Sonderabschreibungsmöglichkeit für den Mietwohnungsneubau geschaffen. Wir werden, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Frage der Wohnungsbauprämie aufrufen. Das heißt unter dem Strich: Die Koalition stellt sich dieser Aufgabe und wird auch weiter an ihr arbeiten.
Wir wollen mehr sozialen Wohnungsbau. Es ist Aufgabe der Länder. Der Herr Staatssekretär hat das schon deutlich zum Ausdruck gebracht. Wichtig ist, dass die von uns zur Verfügung gestellten Mittel durch die Länder abgerufen und zweckentsprechend eingesetzt werden. In diesem Fall, wenn das eintritt, werden die notwendigen Mittel an die Länder auch ausgezahlt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten in der Vergangenheit sehr stark die Metropolen im Blick. Wir haben die Baugesetzgebung diesbezüglich geändert, die Baunutzungsverordnung überarbeitet, Wohnen und Arbeiten auch in städtischen Quartieren erleichtert, durch Abstandsregelungen Nachverdichtungen ermöglicht, damit Wohnungsneubau und Erweiterung möglich sind.
Wir werfen unseren Blick natürlich auch in den ländlichen Raum, in die kleinen Städte und die kleinen Gemeinden. Die Baulandkommission hat die wesentlichen Entscheidungen getroffen, die in den nächsten Wochen und Monaten in Gesetze gekleidet werden. Wir wollen auch in ländlichen Regionen Arbeiten und Wohnen besser miteinander verzahnen. Wir wollen erleichtern, dass nicht mehr benötigte landwirtschaftliche Gebäude in ländlichen Räumen zu Wohnzwecken, aber auch zu gewerblichen Zwecken umgenutzt werden können. Wir wollen Lückenbebauungen erleichtern, damit auch möglichst viele junge Menschen entweder in ihre Heimat zurückkehren oder sie gar nicht verlassen müssen.
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Alles das hilft, die Metropolen zu entlasten und die Situation zu entspannen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Debatte zum Wohngeldstärkungsgesetz – jedenfalls ist das mein Resümee der jetzigen Debatte – hat gezeigt: Die Opposition hat Kritik – das ist richtig –, aber kein grundsätzliches Nein zu dem, was wir hier auf den Weg bringen. Es ist richtig, und ich bitte, dass Sie dem zustimmen. Es hilft, den sozialen Frieden in unserem Land zu erhalten, und es hilft vor allen Dingen, dass jeder sein Dach über dem Kopf behalten darf.
Danke schön.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle wünschen uns eine Welt frei von Gewalt, von Terror und von Missbrauch. Wir wünschen uns eine Welt ohne körperliche und seelische Misshandlungen, die oft die Schwächsten der Schwachen treffen. Aber wir wissen auch, meine Damen und Herren, dass es in unserer offenen Gesellschaft absolute Prävention und absolute Sicherheit nicht geben kann und nicht geben wird.
Eine offene Gesellschaft ist leider immer auch verwundbar. Das haben wir im Dezember 2016 schmerzlich erlebt bei dem furchtbaren islamistisch motivierten Terroranschlag hier in Berlin auf dem Breitscheidplatz, und das mussten wir leider jüngst, vor einigen Tagen, wieder erleben beim rechtsextrem motivierten Terroranschlag am 9. Oktober in Halle. Was mich stört, meine Damen und Herren, ist, dass nach Gewalttaten und nach solchen Anschlägen in der öffentlichen Berichterstattung und in allzu vielen Medien in unserem Land sehr, sehr viel über die Täter berichtet wird, aber viel zu wenig über die Opfer dieser Gewalttaten.
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Die Opfer, die Leidtragenden, die müssen im Mittelpunkt stehen. Mit diesem Gesetzentwurf zum neuen Sozialen Entschädigungsrecht stellen wir die Interessen der Opfer von Gewalttaten und von Kriminalität in den Mittelpunkt.
Bislang war das Entschädigungsrecht auf die Opfer der beiden Weltkriege konzentriert und auf deren Situation ausgerichtet. Die Regelungen für diesen Personenkreis ergeben sich aus dem Bundesversorgungsgesetz, das aus den 1950er-Jahren stammt. Dem Ganzen liegt ein Kriegsfolgenentschädigungsgesetz aus den 50er-Jahren zugrunde. Das ist heute Gott sei Dank längst nicht mehr unsere Lebenswirklichkeit. Wir haben eine andere Lebenswirklichkeit, und genau darauf ist dieses neue Soziale Entschädigungsrecht ausgerichtet.
Meine Damen und Herren, mit den Regelungen, die wir zusammenfassen, schaffen wir im Übrigen ein neues Sozialgesetzbuch. Gleichzeitig ist mir aber wichtig, an dieser Stelle deutlich zu machen – das ist auch in den intensiven Gesprächen mit vielen Opferverbänden ein Thema gewesen –, dass mit dem neuen Sozialen Entschädigungsrecht niemand, der nach dem bisherigen Recht Leistungen bezieht, schlechtergestellt wird. Das ist eine klare Botschaft des Vertrauensschutzes.
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Was dieses Soziale Entschädigungsrecht allerdings leistet, ist, dass wir mehr Menschen erreichen und dass es mehr und bessere Leistungen gibt. Das ist eine wichtige Nachricht für Menschen, die Schlimmes erlebt haben. Uns ist wichtig, dass die Opfer von Gewalttaten den Weg zurückfinden ins Arbeitsleben, in einen geregelten Alltag und in die vollständige soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das ist für viele betroffene Menschen, die Opfer von Gewalttaten geworden sind, kein einfacher Weg; das ist ein harter Weg. Aber wir sagen als Staat und Gesellschaft: Es darf kein einsamer Weg sein. Wir wollen den Menschen auf diesem Weg effektiv helfen. Deshalb bauen wir ein Hilfesystem auf, bei dem mitfühlend und respektvoll mit den Opfern umgegangen wird, das aber auch effektiv und zielgenau wirken soll.
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Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir mit diesem Gesetz beispielsweise die wertvolle Arbeit von Traumaambulanzen stärken. Ich habe mir hier in Berlin angeguckt, was da geleistet wird. Wir können vielen Opfern von Gewalttaten helfen, auch die seelischen, die psychischen Folgen zu bewältigen, die aus Gewalttaten resultieren, indem wir sie frühzeitig an Traumaambulanzen verweisen. Hier erhalten Opfer von Gewalttaten mit psychischen und körperlichen Folgen frühzeitig Hilfe, Beratung und Betreuung. Mit diesem Gesetz werden die Leistungen der Traumaambulanzen flächendeckend zugänglich gemacht, ergänzt um ein individuelles Fallmanagement.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, mir ist wichtig, dass wir mit diesem Gesetz auch die Opfer von sexueller Gewalt in den Blick nehmen. In den letzten Jahrzehnten haben sich mehr Menschen geöffnet, und es gibt auch mehr öffentliche Berichterstattung über dieses Thema. Das sind Menschen, die oft ein Leben lang mit seelischen und teilweise auch mit körperlichen Schäden zu kämpfen haben. Viele dieser Opfer können sich erst viele Jahre später öffnen und offen über das reden, was ihnen passiert ist. Bisher war es nach geltendem Recht für diese Frauen und Männer besonders schwierig, nachzuweisen, dass der Missbrauch Ursache für aktuelle und manchmal auch spätere psychische Erkrankungen ist. Diese Beweisführung wird mit dem Sozialen Entschädigungsrecht künftig wesentlich einfacher. Es ist eine Frage von Würde und Gerechtigkeit, dass wir Menschen, die schweren Missbrauch erlebt haben, auch später noch helfen können und dass wir dafür sorgen, dass sie nicht mühsam eine Beweiskette führen müssen, die sie dann vielleicht ein zweites Mal traumatisiert. Ich halte das für einen wesentlichen Schritt.
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Es geht uns in diesem Gesetz beispielsweise auch um die Frauen und Männer, die Opfer von schwerem Stalking geworden sind. Das ist ja bis vor einiger Zeit noch nicht so im öffentlichen Bewusstsein gewesen. Wir haben erst langsam, Schritt für Schritt dafür gesorgt, dass zum Beispiel im Strafgesetzbuch eine entsprechende Verschärfung der Regelung vorgenommen wurde. Aber auch schweres Stalking hat für die betroffenen Menschen, für die Opfer, oft erhebliche psychische Folgen. Deshalb bekommen sie mit diesem Gesetzentwurf erstmals einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung.
Was man auch nicht vergessen darf und was uns vor allen Dingen infolge des Berichts des früheren Opferbeauftragten Kurt Beck nach dem furchtbaren Terroranschlag am Breitscheidplatz beschäftigt hat, ist die Situation von Menschen, die zwar nicht selbst attackiert wurden, die aber miterleben mussten, wie andere attackiert oder gar umgebracht wurden. Die Zeugen von Gewalttaten, von Kriminalität und von Terroranschlägen sind oft auch Opfer geworden, weil sie schwer traumatisiert wurden – sie sind dem äußeren Anschein nach unversehrt, aber seelisch oft schwer verletzt. Auch sie werden zukünftig einen Anspruch auf Leistungen haben, und zwar unabhängig von der bisherigen Restriktion aufgrund ihrer persönlichen Vorgeschichte, aufgrund der emotionalen Nähe zu den Opfern, die körperlich attackiert wurden. Auch das ist eine wesentliche Konsequenz, die Menschen helfen wird.
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Eine weitere Lehre aus dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz ist übrigens, meine Damen und Herren, dass künftig nicht mehr die Staatsangehörigkeit darüber entscheidet, welche Leistungen Menschen bekommen. Alle, die hier in Deutschland Opfer von Gewalttaten werden, werden gleichbehandelt.
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Weil beim Anschlag auf dem Breitscheidplatz zum Beispiel Menschen israelischer Nationalität Opfer geworden sind, hatten wir ganz schwierige Diskussionen über die Frage, wie es denn um deren Entschädigungsrecht und das der Angehörigen bestellt ist. Das ist etwas, was mir wichtig ist: Unsere offene Gesellschaft versucht, alles zu tun, um mit den Mitteln des Rechtsstaates, der Prävention, der Polizei und der Justizbehörden Kriminalität und Gewalt, wo immer es geht, zu verhindern, bevor sie entstehen. Das ist die staatliche Verantwortung zum Schutz unseres Gemeinwesens. In einer offenen Gesellschaft ist dieser Schutz aber nicht immer möglich. Und wenn – wie beim Breitscheidplatz – die staatliche Schutzverantwortung eben nicht wahrgenommen werden kann, dann muss die soziale Schutzverantwortung greifen, dann muss Opfern, und zwar unabhängig von ihrer Nationalität, auf deutschem Boden Hilfe gewährt werden, meine Damen und Herren.
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Wer Opfer einer Gewalttat wird, der hat unsere Solidarität und unser vollstes Mitgefühl verdient. Wir können erlittenes Leid nicht rückgängig machen. Aber es ist unsere Verantwortung, die Betroffenen auf ihrem schwierigen Weg zu begleiten. Es geht um Licht, um Licht der Hoffnung da, wo es dunkel ist. Ich bitte Sie in der anstehenden parlamentarischen Beratung für dieses wesentliche neue Recht, das neue Sozialgesetzbuch des Sozialen Entschädigungsrechts, ganz herzlich um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Minister Hubertus Heil. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Martin Sichert.
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Meine Damen und Herren! Herr Minister Heil, Sie haben gerade wunderschön gesagt, dass Sie die Opfer nach den Taten in den Mittelpunkt stellen. Das ist der große Unterschied zu uns: Wir hingegen versuchen nämlich, dafür zu sorgen, dass sie gar nicht erst zu Opfern werden.
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Artikel 1 des Grundgesetzes besagt:
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Der Staat hat also an allererster Stelle dafür zu sorgen, dass den Menschen die Würde nicht genommen wird. Seine vordringlichste Aufgabe ist, Menschen zu schützen und Ursachen zu bekämpfen, die Menschen die Würde nehmen.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, so steht es im Grundgesetz. Die Würde ist nicht mit Geld kompensierbar. Und zur Würde des Menschen gehört auch, dass jeder nach seinem freien Willen entscheiden darf.
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Was Sie hier bei der Impfgesetzgebung machen, ist das Gegenteil davon. Sie wollen auf der einen Seite eine Impfpflicht für Masern einführen, obwohl in vielen – auch europäischen – Ländern mit Impfpflicht deutlich mehr Menschen an Masern erkranken als in Deutschland. Auf der anderen Seite wollen Sie dann die Entschädigung für Leute verbessern, die von der Impfung Schäden davontragen. Das ist etwas, was wir von der Regierung immer wieder sehen: Man ersetzt Freiwilligkeit durch Zwang, und für die auftretenden Schäden wird dann großzügig das hart verdiente Geld der Steuerzahler verteilt.
Lassen Sie uns doch mal den Geist des Grundgesetzes, den Geist der Würde des Menschen und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung leben: Lassen wir jeden frei entscheiden, ob er geimpft werden möchte oder nicht!
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Das wäre ein starkes Zeichen, dass der Staat die Würde und Eigenverantwortung der Bürger respektiert.
({3})
Aber zur Würde des Menschen gehört nicht nur die freie Entscheidung, sondern auch die psychische wie physische Unversehrtheit. Und auch hier ergreifen Sie keine Maßnahmen zum Schutz der Bürger, sondern Sie kennen nur den Griff in den Geldbeutel der Steuerzahler.
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Terre des Femmes berichtet aktuell, dass in Deutschland über 70 000 Frauen genital verstümmelt sind und mehr als 17 600 Mädchen gefährdet sind, das gleiche Schicksal zu erleiden.
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Seit Jahren steigen die Zahlen der Genitalverstümmelungen durch die Zuwanderung von Menschen aus archaischen Kulturkreisen. Warum schützen Sie denn diese Frauen nicht? Und was ist mit der Würde von Hunderttausenden jungen Frauen in Deutschland, die nicht frei sind in der Wahl ihres Ehepartners, weil sie aus Kulturen kommen, in denen sie zwangsverheiratet werden oder mit dem Tod bedroht werden, wenn sie jemanden aus einer anderen Kultur heiraten?
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Das alles sind Opfer von sexueller Gewalt in Deutschland. Warum treten Sie denn Artikel 1 mit Füßen, wenn es um die Würde dieser Mädchen und dieser jungen Frauen in Deutschland geht?
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Nach zwei Jahren Bundestag weiß ich, warum Sie sich hier so aufregen
({8})
und warum Sie diese Mädchen und Frauen nicht schützen. Sie müssten nämlich zugeben, dass Multikulti gescheitert ist;
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denn der einzige Weg, diese Frauen und Mädchen zu schützen, ist, dass eine gleichberechtigte freiheitliche Leitkultur in unserem Land etabliert wird
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und sich nicht jeder Zugereiste aufführen kann wie in seinem Heimatland.
({11})
Aber statt dass Sie Verantwortung übernehmen, machen Sie alles noch schlimmer: Sie schaffen einen weiteren Anreiz, die Würde dieser Frauen mit Füßen zu treten,
({12})
indem Sie mit Ihrem hier vorgelegten Gesetzentwurf die Genitalverstümmelung mit einem finanziellen Anreiz von 400 Euro monatlich versehen.
({13})
Hören Sie auf, zu versuchen, Ihre Fehler mit dem Griff zum Scheckbuch zu vertuschen, sondern handeln Sie endlich, um die Würde der Schwächsten in dieser Gesellschaft zu schützen!
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Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf – der Minister hat es ja auch angesprochen –, dass das Gesetz eine Folge der Auswirkungen des verheerenden Terroranschlags vom Breitscheidplatz ist. Wir sind hier aber nicht im Nahen Osten, wo man mit Blutgeld selbst Morde sühnen kann.
({15})
Den Angehörigen der Opfer im Nachhinein Geld und Unterstützung zukommen zu lassen, mag kurzfristig manche besänftigen, macht die Taten aber nicht ungeschehen und löst auch keine Probleme. Wir brauchen hier kein Blutgeldgesetz, sondern eine Bekämpfung von Ursachen!
({16})
– Ja, ja, regen Sie sich alle nur auf. – Dieser Gesetzentwurf zeigt Ihre Hilflosigkeit und ist letztlich nichts anderes als die Bankrotterklärung Ihrer Politik der inneren Sicherheit.
({17})
Um die Ursachen des Terrors zu bekämpfen, bräuchten wir einen klaren Kampf gegen Extremismus jeder Art, aber darin versagen Sie kläglich.
({18})
SPD, Grüne und Linke suchen den Schulterschluss mit Rechtsextremisten,
({19})
solange die Rechtsextremisten nicht Deutsche, sondern Türken sind.
({20})
Am Tag der Deutschen Einheit waren Vertreter Ihrer drei Parteien bei einer Veranstaltung, die nicht nur von einer, sondern gleich von vier nationalistisch-islamistisch gesinnten Organisationen, darunter der bekanntesten rechtsextremen türkischen Gruppe, den Grauen Wölfen, ausgerichtet wurde. Sie hofieren nicht nur Linksextremisten, sondern auch Rechtsextremisten und Islamisten.
({21})
Und dann bezeichnen Sie sich immer wieder als demokratische Fraktionen. Was für ein Hohn, was für ein Witz.
({22})
Ein Abgeordneter der Linken, Harald Weinberg, hat den Anschlag von Ansbach mit 15 Verletzten und einem Toten mitermöglicht,
({23})
indem er sich im Vorfeld tatkräftig dafür einsetzte, dass der Attentäter im Land bleiben darf.
Die Bundesregierung sorgt für ein Klima des Terrors zwischen Kurden und Türken auf deutschen Straßen, indem sie sich gegen ein Waffenembargo einsetzt
({24})
und sich damit eindeutig auf die Seite des Islamisten Erdogan schlägt. In DITIB-Moscheen in Deutschland predigt man für einen Sieg des Bündnisses aus türkischer Armee und Islamisten des IS,
({25})
und die Bundesregierung schaut tatenlos zu.
74 Genozide gab es an den Jesiden. 74 Völkermorde. Ähnlich wie die Juden sind sie eine quer durch die Geschichte immer wieder massakrierte Bevölkerungsgruppe. Wissen Sie, wer die Einzigen waren, die versucht haben,
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die Jesiden beim letzten Völkermord vor den Islamisten zu schützen? Wissen Sie, wer es war? Das waren die von Erdogan bekämpften Kurden von YPG und PKK.
({27})
Und Sie von der Bundesregierung stehen auf der Seite der Islamisten Erdogans und des „Islamischen Staates“.
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Sie sind die Unterstützer von Völkermördern! Schlimmer kann man die deutsche Geschichte kaum mit Füßen treten.
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Wissen Sie, was Linksextremisten, Rechtsextremisten, Islamisten und die Bundesregierung gemeinsam haben? Die Befeuerung des Antisemitismus und des Kampfes gegen Israel. Reden wir doch mal Klartext: Wenn Sie Antisemitismus nicht propagandistisch ausschlachten können, stören Sie sich doch überhaupt nicht daran.
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Ganz im Gegenteil: Bei den Vereinten Nationen stimmen Sie ständig der Verurteilung Israels zu
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und befeuern so auch den Antisemitismus in Deutschland.
({32})
Erst vorgestern konnten wir wieder sehen, dass die Bundesregierung im Gegensatz zu vielen anderen Staaten nicht mal in der Lage ist, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen.
({33})
Stattdessen paktieren Sie ständig mit arabischen Staaten bei der UN gegen Israel,
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mit Staaten, die am liebsten heute statt morgen einen erneuten Holocaust an den Juden vollbringen und Israel auslöschen würden.
({35})
Statt Ihre Politik zu ändern, legen Sie hier einen Entwurf vor, mit dem Sie den Opfern von Gewalttaten, die durch Ihre Politik verursacht werden, schneller Geld zukommen lassen.
({36})
Was Deutschland aber wirklich brauchen würde, ist ein Wechsel in der Politik.
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Jede Moschee, in der für einen Sieg Erdogans gebetet wurde, gehört geschlossen, und jedem, der da gebetet hat, ein Freiflugschein in die Türkei geschenkt. Wir müssen uns klar gegen den Antisemitismus und den Kampf gegen Israel stellen;
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denn das ist die Klammer, die alle Extremisten vereint.
({39})
Und dass Sie von der Linken hier deswegen so rumschreien,
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zeigt, dass das wirklich die vereinende Klammer für alle Extremisten ist.
Lassen Sie uns gemeinsam zu Israel bekennen, der einzigen funktionierenden Demokratie im Nahen Osten. Lassen Sie uns dieses Bekenntnis zu Israel ablegen, um jedem Rechtsextremisten, jedem Islamisten und jedem Linksextremisten die Zornesröte ins Gesicht zu treiben und klarzumachen: Nie wieder Antisemitismus, keinen Rechtsextremismus, keinen Linksextremismus,
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keinen Islamismus auf deutschem Boden!
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Das ist die Politik im Sinne der Opfer.
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Die Redefreiheit in unserem Haus ist eine großartige Freiheit und Errungenschaft und von allergrößter Bedeutung in einer Demokratie. Aber diese Rede hat in hohem Maße die Grenze des politischen Anstands überschritten.
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Ein Gesetz, das jetzt vorgelegt worden ist, über das sich vortrefflich der politische Streit darüber anbietet, wie man es am besten gestalten kann, als „Blutgeldgesetz“ zu beschreiben, ist in hohem Maße – in hohem Maße! – zu rügen.
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Deshalb bekommt jetzt Hubertus Heil das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege!
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Hubertus Heil hat das Wort zu einer Kurzintervention.
Sehr geehrter Herr Kollege! Ich stelle fest, dass Sie zum Gesetzentwurf an sich, in dem es ja um die Frage geht, wie wir Opfern von Gewalttaten besser helfen, nichts gesagt haben, dass Sie meiner Rede offensichtlich auch nicht zugehört haben, in der ich deutlich gemacht habe, dass es eine staatliche Verpflichtung ist, alles zu tun, wo immer es geht, um Menschen vor Gewalt und Kriminalität zu schützen. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass es in einer offenen Gesellschaft, in einer nicht totalitären Gesellschaft keine absolute Sicherheit gibt.
Wenn Sie mal in Israel waren – ich weiß nicht, ob Sie je im Leben in Israel waren – und dort mit staatlichen Stellen geredet haben – es gibt einen großen Sicherheitsapparat in dieser Demokratie; sie versuchen, sich gegen Gewalt und Terror zu wehren, sie mussten aber eben auch ein soziales Entschädigungsrecht entwickeln, weil Menschen auch in dieser Gesellschaft Opfer von Anschlägen geworden sind –, dann wissen Sie, wie wichtig das ist.
Aber eines will ich Ihnen ins Stammbuch schreiben: Sie haben heute nichts zum Thema gesagt; Ihre Beispiele sind ja immer sehr einschlägig, zum Beispiel die Opfer von rechtsextremistischem Terror, Frauen, die von Skinheads geschlagen wurden und Ähnliches. Sie haben vielmehr versucht, diese Debatte zu missbrauchen für Ihre Agitation. Dazu kann ich Ihnen nur ein Zitat von Kurt Schumacher aus dem Jahre 1932 in diesem Haus nennen. Wissen Sie, wie er Nationalismus wie Ihre Reden genannt hat? Die Mobilisierung des menschlichen Schweinehunds. – Ich finde, das haben Sie mit dem Begriff „Blutgeld“ zum Ausdruck gebracht. Sie sollten sich schämen für diese Rede.
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Sie sollten sich dafür schämen, dass Sie kein Wort des Mitgefühls mit Menschen, die Opfer sind, gesagt haben. Sie haben nicht gesagt, wie man Opfern hilft. Stattdessen haben Sie die Opfer von Gewalttaten für Ihre nationalistische Hetze in diesem Haus missbraucht. Dafür sollten Sie sich schämen und entschuldigen, mein Herr. Das wollte ich Ihnen sagen.
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Herr Sichert, Sie können antworten.
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– Er kann, wenn er will.
Herr Heil, ich würde mich freuen, wenn Sie auch aufstehen würden, um mir zuzuhören.
Bei einer Kurzintervention kann er entscheiden, ob er stehen bleibt oder nicht.
Gut. – Sie haben mir tatsächlich auch nicht richtig zugehört;
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denn ich habe diverse Problembereiche angesprochen, in denen Sie neue Problemfälle schaffen, beispielsweise bei den genitalverstümmelten Frauen, bei den Mädchen, die in Deutschland von Genitalverstümmelungen bedroht sind.
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Es ist nicht unsere vordringlichste Aufgabe, mit dem Geldbeutel rumzulaufen und Leuten Geld zu geben, die Opfer geworden sind. Natürlich gehört auch das zu einer staatlichen Aufgabe. Aber die vordringlichste Aufgabe des Staates ist, dafür zu sorgen, dass Menschen überhaupt nicht erst Opfer werden.
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Das muss angegangen werden.
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Das heißt, wir müssen uns klar positionieren. Wir müssen klar gegen Parallelgesellschaften einschreiten, in denen Frauen zwangsverheiratet, vergewaltigt und geschlagen werden.
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Wir müssen uns klar positionieren; denn es sind Hunderttausende Fälle von sexualisierter Gewalt in diesem Land. Wir müssen uns positionieren gegen Zehntausende Fälle von Genitalverstümmelungen.
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Wir müssen uns auch positionieren gegen den Terror, der Europa seit etlichen Jahren erfasst hat, und die Ursachen dieses Terrors bekämpfen.
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Wenn man aus dem Anschlag am Breitscheidplatz lernt, dass man den Opfern schneller Leistungen zur Verfügung stellen muss, dann ist das eine Konsequenz. Die sinnvollere Konsequenz wäre aber, zu sagen: Wir wollen dafür sorgen, dass es nicht mehr möglich ist, wie Anis Amri, als jemand, der ausreisepflichtig ist, monatelang in Deutschland zu bleiben, dass es nicht möglich ist, mit mehreren Identitäten den eigenen Aufenthalt zu verschleiern, usw.
Die Zeit ist um, Herr Sichert.
Das wäre eine wirklich sinnvolle Politik -
Die Zeit ist vorbei.
– im Sinne der Opfer.
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Wir kommen jetzt zur Debatte. Das Wort hat Peter Aumer für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich könnte man sich jetzt alles Aufgeschriebene sparen; denn das, was wir gerade erlebt haben, war bar jeden Anstands.
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Herr Sichert und liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD,
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Sie haben weder das Opferentschädigungsgesetz verstanden noch das Grundgesetz.
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Herr Sichert, wenn Sie die Worte „Würde des Menschen“ in den Mund nehmen und mit dieser Rede die Würde der Opfer mit Füßen treten, dann ist das ein Akt in diesem Hause, der den Menschen, die ihr Leben für unseren Staat gelassen haben, nicht gerecht wird.
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– Das war keine Kritik. Das war Ihr Umgang mit Menschen, die ihr Leben für unseren Staat gelassen haben. Sie als Polizist sollten wissen, wie es ist, wenn Menschen für den Staat ihr Leben lassen,
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wenn der Staat es nicht schützen konnte. Darüber reden wir. Mit diesem Gesetz sollen Menschen, die den Schutz des Staates nicht genießen konnten, eine Entschädigung bekommen.
Klar, unsere Aufgabe muss zuallererst sein, Anschläge zu verhindern. Wenn uns das aber trotz aller Maßnahmen nicht gelingt, dann muss man den betroffenen Menschen und den Angehörigen von Opfern die notwendige staatliche Unterstützung geben, damit sie weiterhin gut in unserem Land leben können.
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Dieser Aufgabe, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Bundesregierung mit der Vorlage dieses neuen Sozialgesetzbuches vorbildlich nachgekommen. Ein solches Sozialgesetzbuch gibt es so nirgendwo sonst in Europa. Wenn Sie das mit Ihrer Tirade an Hass überschütten – ich weiß nicht, wie man das sonst bezeichnen kann –, dann ist das wirklich erbärmlich, und damit werden Sie, wie gesagt, den Menschen auch nicht gerecht.
Wir wollen eine optimale Entschädigung erreichen. Betroffene Menschen haben uns gesagt, dass das bisher nicht funktioniert. Es gibt einen offenen Brief der Opfer vom Breitscheidplatz an die Bundeskanzlerin, in dem sie darum bitten, dass ein besseres, ein optimiertes Gesetz erarbeitet wird. Wenn man nach Halle schaut, so muss man feststellen, dass auch dort Menschen ihr Leben lassen mussten, dass es auch dort Opfer gab. Um sie und die Angehörigen müssen wir uns kümmern. Sie sprachen hier von Genitalverstümmelung und sonstigen Dingen, das betrifft aber nur einen kleinen Ausschnitt dieses Gesetzentwurfes. Sie haben ihn, Herr Sichert, wahrscheinlich nicht einmal gelesen. Das ist wirklich ein trauriger Part.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind auf die Forderungen der Opfer vom Breitscheidplatz eingegangen. In diesem Gesetz wollen wir nicht nur Regelungen für die Opfer, sondern auch für die Hinterbliebenen finden. Die Opfer vom Breitscheidplatz haben ihren Brief mit dem Titel „Eine Frage des Respekts“ überschrieben. Ich glaube, dass wir mit dem neuen Sozialgesetzbuch den Opfern diesen Respekt entgegengebracht haben,
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und zwar in vielerlei Ausgestaltung: mit besseren Entschädigungsleistungen, mit besseren Pflegeleistungen, mit besseren Maßnahmen zur Schnellversorgung, mit Traumaambulanzen; der Minister hat das eben aufgeführt. All dies ist dem Respekt vor den Opfern geschuldet. Wir haben es sehr schnell geschafft – es hätte natürlich schneller gehen können, aber das ist der einzige Kritikpunkt –, gemeinsam mit den Opferverbänden einen Gesetzentwurf vorzulegen, den wahrscheinlich nur die AfD in dieser Form kritisieren wird.
Unsere Aufgabe wird es sein, dieses Gesetz in den nächsten Wochen noch ein klein wenig besser zu machen, nämlich in den Gesprächen mit den Bundesländern oder wenn es um das Thema des sexuellen Missbrauchs geht. Hier kann man die eine oder andere Regelung vielleicht noch ein klein wenig verstärken. Vielleicht schaffen wir es auch, das Gesetz schneller einzuführen, als das bisher geplant ist.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Grundgedanke ist der Respekt vor den Opfern, die eine Gewalttat erlitten haben. Sie müssen weiterhin vor allem das Vertrauen in unseren Rechtsstaat behalten. Deswegen ist der Entwurf dieses neuen Sozialgesetzbuches, den wir heute auf den Weg bringen und in den nächsten Wochen beraten werden, ein Meilenstein – ein Meilenstein, getragen von Vertrauen und Respekt. Beides müssen wir, wie ich glaube, gemeinsam hier in diesem Hohen Hause stärken.
An die AfD kann ich nur appellieren: Machen Sie so etwas nicht mehr.
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Das ist nicht nur Populismus, das ist ein Zeichen von Respektlosigkeit, von menschenverachtendem Vorgehen,
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nicht nur, Herr Sichert, dass Sie das gesagt haben, auch dass Ihre Fraktion, lieber Herr Gauland, in dieser Intensität geklatscht hat. Ich hoffe, Sie verstehen, was dieses Gesetz tut. Lesen Sie es einfach einmal durch, sprechen Sie mit den Opferverbänden, sprechen Sie mit den Opfern. Dann wird eine nächste Debatte in dieser Art und Weise nicht mehr funktionieren.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Peter Aumer. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Jens Beeck.
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Hochverehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, die sich an der Beratung dieses Gesetzentwurfes beteiligen! Man kann das, was Sie gerade hier getan haben, Herr Sichert, insbesondere dann, wenn man häufiger das zweifelhafte Privileg hat, nach Ihnen reden zu müssen, eigentlich kaum fassen. Sie sprechen von der Gewalt gegen Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen. Wir befassen uns heute mit einem Gesetz, das unsere Soldaten im Einsatz für unser Land schützen soll, Kinder und Jugendliche, die sexuellen Missbrauch erlitten haben, Opfer von Terror und anderem mehr. Sie nehmen das Wort „Würde“ in den Mund und halten eine solche Rede in diesem Haus. Sie begreifen gar nicht, dass das, was Sie hier machen, auch schon Gewalt ist.
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In Ihrer Rede benutzen Sie die von der Präsidentin zu Recht gerügte Formulierung des „Blutgeldes“ und sprechen danach von der Würde der Opfer. Es müsste selbst Ihnen auffallen, wie erbärmlich das ist.
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Wir erleben hier leider ein weiteres Mal, dass Sie keine Idee davon haben, wie man Sozialpolitik eigentlich betreibt, wie man in der Sozialpolitik empathisch vorgeht und wie man mit der Verantwortung, die jeder Abgeordnete dieses Hauses hoffentlich für sich empfindet, eigentlich umgeht. Sie paaren das mit einer moralischen Erbärmlichkeit, und so bleibt nichts übrig als Hetze und Hass.
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Ich kann Ihnen sagen, dass sich der ganze Rest des Hauses – Gott sei Dank – nicht beteiligt.
Ich will meine Rede nun kurz halten und will Ihnen, Herr Bundesminister Heil, will Ihnen, Frau Staatssekretärin Griese, ausdrücklich anbieten, dass sich die Fraktion der Freien Demokraten konstruktiv bei den kommenden Anhörungen, bei den weiteren Beratungen zu diesem Gesetz beteiligt in dem Einvernehmen mit fast allen Fraktionen in diesem Hause, um am Ende das zu erreichen, was wir alle wollen, nämlich den Menschen, die aus diesen unterschiedlichen Gründen massiv betroffen sind, das Maximum an staatlicher Hilfe zu gewähren. Dass wir das sicherstellen, daran werden wir mitwirken.
Es gibt eine Reihe von Fragen, auf die jetzt noch einzugehen sich eigentlich nicht mehr anbietet. Diese Fragen werden wir in den kommenden Debatten erörtern. Ansonsten wünsche ich mir sehr, dass wir dabei den Erfolg haben, den sich andere offensichtlich nicht einmal wünschen.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.
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Vielen Dank, Jens Beeck. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einer Woche wurde ein brutaler Terrorangriff auf die Synagoge in Halle verübt. Ein Neonazi tötete zwei unschuldige Menschen. Und auch das zeigt: Es ist höchste Zeit, dass wir hier im Bundestag über ein besseres Entschädigungsrecht für die Opfer von Gewalt sprechen. Wir sollten gründlich, aber zügig beraten, damit wir wirklich alle gemeinsam – bis auf die rechte Seite hier – Hilfe leisten können.
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Apropos zügig: Schon im Koalitionsvertrag von 2013 stand, dass das Recht der Sozialen Entschädigung und der Opferentschädigung neu zu regeln sei. Sechs Jahre Wartezeit, das ist eine lange Zeit für die Opfer, und wir sollten sie nicht verlängern.
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Die Bundesregierung sagt, seit 1990 seien 84 Menschen von Rechtsextremen getötet worden. Die Amadeu-Antonio-Stiftung allerdings sagt uns, dass 198 Menschen durch rechte Gewalt zu Tode gekommen sind. Ich finde, diese Diskrepanz in den Zahlen zeigt: Bundesregierung, Landesregierungen und Justiz dürfen nicht auf dem rechten Auge blind sein. Wenn wir wirklich effektiv rechten Terror bekämpfen wollen, dann müssen wir auch rechtsradikale Strukturen bei Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten aufdecken und endgültig auflösen.
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Doch es geht in diesem Gesetzentwurf nicht nur um Opfer rechter Gewalt, es geht um alle Gewaltopfer. Wir wissen aus den Konsultationen mit den Ländern, dass die Zahl der Menschen, die sich überhaupt in den Behördendschungel begeben, relativ klein ist. Ich bewundere aufrichtig die Menschen, die die Kraft und die Zähigkeit aufbringen, ihr Recht durchzusetzen; denn leider haben viele Gewaltopfer größte Schwierigkeiten, eine staatliche Entschädigung zu erhalten. Deswegen möchte ich einige Probleme aus dem vorgelegten Gesetzentwurf aufgreifen. Wir können ja in den Ausschussberatungen alle gemeinsam an der Verbesserung arbeiten.
Insbesondere Menschen, die als Kinder und Jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, scheitern oft an den hohen Anforderungen der Behörden. In den Stellungnahmen zu diesem Gesetzentwurf gab es im Vorfeld heftige Kritik am geplanten Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt. So sollten Frauen, die bei ihren gewalttätigen Partnern bleiben, nicht entschädigt werden. Aber wir wissen doch alle, wie kompliziert es für Betroffene von häuslicher Gewalt aufgrund fortgesetzter Demütigungen und körperlicher Angriffe häufig ist, wie verunsichert sie in ihrem Selbstwertgefühl sind, welche Furcht sie haben, wie es ihnen an Selbstvertrauen mangelt. Also müssen wir doch dazu beitragen, dass diese Frauen, die außerstande sind, sich früh von dem Täter zu trennen, von uns allen unterstützt werden.
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In dem vorliegenden Entwurf steht, dass auch Betroffene von häuslicher Gewalt nicht mehr grundsätzlich von Leistungen ausgeschlossen sein sollen, wenn sie sich nicht trennen. Auch die Pflicht zur Strafanzeige wurde gestrichen. Das sollten wir unbedingt beibehalten. Denn das ist eine Verbesserung.
Es gibt allerdings auch Verschlechterungen im Vergleich zum bisherigen Recht. In Kapitel zehn wurde, zumindest im Entwurf, ein ganz erheblicher Eingriff vorgelegt, und zwar sollen Gewaltopfer nur dann einen Ausgleich für Einkommensverluste erhalten, wenn sie vorher bereits ein Einkommen erzielt haben. Das ist kompliziert, insbesondere für Betroffene von Menschenhandel, von Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution, aber auch für Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, wegen Erwerbsunfähigkeit, Behinderung oder wegen fehlender Arbeitserlaubnis vor der Tat kein angemessenes Einkommen erzielt haben. Wir wollen nicht, dass sie schlechtergestellt werden. Wir wollen ihnen Chancen für den weiteren Lebensweg geben.
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Ich möchte einen weiteren Kritikpunkt aus den schon an uns eingesandten Stellungnahmen aufgreifen. Opfer von Gewalt, die von Polizisten oder anderen Amtsträgern geschädigt worden sind, sollen – so sieht es der Entwurf vor – schlechtergestellt werden als Berechtigte, die von einer Privatperson geschädigt wurden. Ich finde, das ist nicht hinnehmbar.
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Diese Regelung hat gerade in Anbetracht des umfassenden staatlichen Versagens bei der Aufklärung der Mordserie des sogenannten NSU einen mehr als bitteren Beigeschmack.
Von Vorrednern ist bereits erwähnt worden, dass der Gesetzesentwurf mehrere Verbesserungen enthält, die von Verbänden lange gefordert worden sind. Dazu gehören die Einbeziehung psychischer Gewalt und die Etablierung von Traumaambulanzen für schnelle psychotherapeutische Unterstützung. Auch die deutlich erhöhten monatlichen Zahlungen für Geschädigte und die vollständige Gleichbehandlung von Deutschen und Ausländern unabhängig vom Aufenthaltsrecht sind deutliche Verbesserungen, die unbedingt gesichert werden müssen.
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Allerdings sollen die meisten Regelungen erst im Jahre 2024 in Kraft treten. Taten, die zwischen 2020 und 2024 verübt werden, sollen noch nach dem alten Recht beurteilt werden. Das heißt, für viele Betroffene käme das Gesetz zu spät. Es braucht daher eine Regelung zu rückwirkenden Entschädigungsleistungen.
Entscheidend ist, dass wir die bürokratischen Hürden für die Opfer von Gewalt reduzieren. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass irgendetwas unternommen wird, um Ansprüche abzuwehren. Die Opfer brauchen unsere Hilfe. Helfen wir.
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Vielen Dank, Gesine Lötzsch. – Nächster Redner: Sven Lehmann für Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen für ihre Reaktion auf die Rede von Herrn Sichert danken. Ich hoffe sehr, dass sehr, sehr viele Menschen diese Rede gehört haben, damit sie sehen, wie egal Ihnen die Opfer von Gewalt sind, wie sehr Sie die Opfer von Gewalt verhöhnen und wie sehr Sie insgesamt Menschen verhöhnen. Sie sollten sich schämen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, wir Grünen begrüßen es ausdrücklich, dass die Bundesregierung jetzt endlich eine Reform der Opferentschädigung auf den Weg bringt und die bisherigen Einzelgesetze in einem neuen SGB XIV neu regelt. Dafür vielen Dank.
In unserem Staatsverständnis ist die Opferentschädigung absolut zentral. Wenn der Staat seiner Pflicht zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger nicht nachgekommen ist, trägt er eine besondere Verantwortung für die Betroffenen. Er muss sich in angemessener Weise um die Opfer kümmern, eine bestmögliche Rehabilitierung und Heilbehandlung ermöglichen sowie die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen entschädigen.
Eine der dunkelsten Taten, die man sich überhaupt vorstellen kann, ist sexueller Missbrauch. Der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ forderte bereits im Jahr 2011 eine umfassende Reform der Opferentschädigung. Ich möchte an dieser Stelle von einem Fall berichten, der uns, glaube ich, viel darüber sagt, was in der Opferentschädigung künftig anders und besser werden muss. Georgia Schmidt-Lendner erzählte Anfang des Jahres dem „Spiegel“ ihre Geschichte. Sie wurde als Kind und Jugendliche missbraucht und versuchte als 14-Jährige, sich das Leben zu nehmen. Jahrelang litt sie unter Depressionen. Bis heute kämpft sie mit den Folgen des Missbrauchs. Ärzte, Therapeuten und amtliche Dokumente belegen ihre Aussagen als glaubhaft. Doch als sie 2003 eine Rente nach dem OEG beantragte, erhielt sie zwei Jahre später einen Ablehnungsbescheid. Auch der Widerspruch wurde acht Monate später abgelehnt. In der Begründung hieß es, dass ihr Grad der Schädigung zu gering ausfiele und ihre Depressionen ebenso gut vom Verlust ihrer Tochter herrühren könnten.
Unser Ziel muss es sein, dass Fälle wie der von Georgia Schmidt-Lendner künftig einen anderen Ausgang nehmen.
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Keine betroffene Person sollte fast drei Jahre bis zu einem finalen Bescheid warten müssen. Wir müssen lange und aufreibende Verfahren mit dem Risiko einer Retraumatisierung verhindern. Wenn Schädigungen wie im Fall dieser Frau von unterschiedlichen Stellen bestätigt werden, muss eine Entschädigung gewährt werden. Denn ein Entschädigungsanspruch darf nicht daran scheitern, dass eventuell auch andere Faktoren zu Beeinträchtigungen beigetragen haben und die Schädigung im Zuge einer Gewalttat als zu klein eingestuft wird. Wir müssen erreichen, dass Opferentschädigung hürdenarm, schnell und einfach gewährt wird.
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Dazu gehören alle notwendigen medizinischen Leistungen und angemessene Entschädigungszahlungen. Betroffene dürfen in diesen Verfahren nicht in die Rolle der Bittsteller gedrängt werden. Es ist der Staat, der in diesen Verfahren die Pflicht hat.
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Das Sozialministerium hatte Ende letzten Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diesem Anspruch noch nicht gerecht wurde. Er sah unter anderem vor, den Ausgleichsgedanken der Opferentschädigung deutlich stärker in den Hintergrund zu rücken. Dabei ist das Ziel der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt wichtig, aber es darf nicht zulasten der eigentlichen Entschädigungsleistungen gehen. Es ist gut, dass die Bundesregierung auf die starke Kritik der Verbände eingegangen ist und den Referentenentwurf deutlich nachgebessert hat. Dafür vielen Dank, ganz besonders an Staatssekretärin Kerstin Griese, die da sehr viel investiert hat. Vielen Dank dafür.
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Der nun vorliegende Gesetzentwurf umfasst in der Tat sehr viele Verbesserungen der Opferentschädigung. Die Entschädigungszahlungen werden erhöht. Psychische Gewalttaten werden zukünftig entschädigt. Die schnellen Hilfen sind mit dem Zugang zu Traumaambulanzen gewährleistet. Auch die Folgen von Gewalttaten, die mit einem Kraftfahrzeug verübt wurden, sollen entschädigt werden. Auch die Regelungen zu Beweiserleichterungen und bestärkter Wahrscheinlichkeit sind in der Tat sehr positiv. Es ist zentral, dass im Gesetzentwurf nun der Ausgleichsgedanke der Opferentschädigung erhalten bleibt.
Aber es gibt auch Bereiche, bei denen wir Grünen noch Verbesserungsbedarf sehen.
Erstens. Wir müssen sicherstellen, dass alle Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gemäß dem Grundsatz „Nein heißt Nein“ vom neuen SGB XIV erfasst werden und dass dies nicht erst ab 2024, sondern bereits zeitnah Anwendung findet.
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Zweitens. Die Behandlung in Traumaambulanzen kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir eine breite regionale Abdeckung erreichen und diese auch über gut geschultes Personal verfügen. Ein besonderes Augenmerk müssen wir hier auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen richten und die gruppenspezifische Ausrichtung von Traumaambulanzen stärken.
Drittens. Zu klären ist auch die Frage der administrativen Zuständigkeiten. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme bereits die „Leistungen aus einer Hand“ gefordert und vor einer Leistungszersplitterung gewarnt. Hier muss sichergestellt sein, dass dies nicht zulasten des Leistungsumfangs geht.
Viertens. Um schnelle und gute Verfahren zu ermöglichen, müssen wir die Regelungen zur vorläufigen Entscheidung verbessern und sicherstellen, dass die zuständigen Behörden mit ausreichend und qualifiziertem Personal ausgestattet sind.
An diesen Stellen muss der Bundestag nachbessern. Deswegen zum Abschluss noch ein Appell an die Koalitionsfraktionen: Das zukünftige SGB XIV wird die Opferentschädigung über Jahrzehnte prägen. Lassen Sie uns deshalb die parlamentarischen Beratungen mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und Ruhe angehen. Ermöglichen Sie bitte, dass der Gesetzentwurf nicht unmittelbar nach der Ausschussanhörung fertiggestellt wird, sondern dass wir gemeinsam und mit breiter Mehrheit das bestmögliche Gesetz zur Opferentschädigung beschließen. Diese Ernsthaftigkeit sind wir als Deutscher Bundestag den Opfern schuldig.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Sven Lehmann. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Matthias Bartke.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Sichert, zu Ihrer Rede nur einen einzigen Satz: Das war die schlimmste Rede, die hetzerischste Rede, die jemals ein Mitglied des Sozialausschusses im Deutschen Bundestag gehalten hat.
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Ich will mein altes Leben zurück. Das ist meist der sehnlichste Wunsch eines Menschen, der Opfer einer Gewalttat wurde. Doch leider ist das meist kaum möglich. Die Tat hat Spuren hinterlassen, äußerliche und innerliche. Die Gewalttat kann nicht ungeschehen gemacht werden. Doch Opfer sagen auch oft: Ich kann lernen, mit den Folgen zu leben und umzugehen. Dabei wollen wir sie bestmöglich unterstützen. Deshalb reformieren wir das Soziale Entschädigungsrecht, meine Damen und Herren.
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Die Wenigsten wissen: Das deutsche Opferentschädigungsrecht ist das großzügigste auf der ganzen Welt. Es ist großzügig, aber leider überhaupt nicht mehr zeitgemäß; denn es basiert auf dem alten Kriegsopferrecht von 1950. Heute gibt es glücklicherweise immer weniger Kriegsopfer. Heute geht es vor allem um Opfer von krimineller Gewalt, von sexueller Gewalt, von psychischer Gewalt. Aber es geht auch um Opfer von Terroranschlägen wie dem furchtbaren Anschlag von Halle in der vergangenen Woche.
Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen, dass der Opferbeauftragte der Bundesregierung, unser Kollege Dr. Edgar Franke, viel Expertise zu diesem Gesetzentwurf beigetragen hat. Er hätte heute auch gerne hier geredet. Aber er muss heute einen wichtigen Termin bei den Opfern des Terroranschlags in Halle wahrnehmen. Das hat natürlich Vorrang.
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Dr. Franke hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass er voll und ganz hinter dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf steht. Mit dem neuen SGB XIV haben mehr Menschen Anspruch auf Leistungen. Künftig können auch Opfer psychischer Gewalt Unterstützung in Anspruch nehmen. Das hilft zum Beispiel Opfern von schwerem Stalking oder von Menschenhandel.
Meine Damen und Herren, drei wesentliche Elemente des neuen SGB XIV möchte ich Ihnen besonders ans Herz legen:
Das Erste ist die Einführung von Traumaambulanzen; das wurde bereits gesagt. Opfer von Gewalttaten brauchen Hilfen, damit die eine Tat nicht das ganze weitere Leben bestimmt. Die eine Gewalttat erschüttert das Leben bis in die Grundfesten. Und aus der Traumaforschung wissen wir: In solchen Situationen ist es entscheidend, schnell zu reagieren, damit sich das Trauma nicht chronifiziert. Die vielleicht wichtigste Neuerung ist daher die flächendeckende Einführung von Traumaambulanzen. Psychologen, Psychotherapeuten und Ärzte behandeln dort Gewaltopfer. Sie helfen, die schreckliche Tat psychisch zu verarbeiten.
Mit dem neuen Gesetzentwurf führen wir zum ersten Mal einen Rechtsanspruch auf Behandlung in einer Traumaambulanz ein. Anspruch darauf haben auch Kinder und Jugendliche und auch Angehörige von Gewaltopfern, die ja selbst oft mit der Tat zu kämpfen haben. Das Beste und Wichtigste ist, dass ein Besuch in einer Traumaambulanz wirklich sehr schnell möglich ist. Opfer können dorthin gehen, auch wenn sie noch keinen Antrag auf soziale Entschädigung gestellt haben. So sorgen wir dafür, dass Opfer ins Leben zurückfinden können, meine Damen und Herren.
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Zweitens werden wir mit dem SGB XIV künftig jedem Opfer einen Fallmanager oder eine Fallmanagerin zur Seite stellen. Denn was brauchen Menschen, die Opfer einer Gewalttat wurden? Sie brauchen zunächst jemanden, der ihnen bei der Antragsstellung für ihre Entschädigungsleistung hilft, der ihnen wie ein Behördenscout einen Weg durch das bürokratische Dickicht weist. Die Medikamentenrechnung reiche ich bei der Krankenkasse ein, so viel ist noch klar. Aber wohin wende ich mich, wenn ich meine Wohnung umbauen lassen muss, weil ich zum Beispiel wegen einer Lähmung einen Treppenlift brauche? Menschen, die Opfer einer Gewalttat wurden, befinden sich häufig in einer Ausnahmesituation. Mit den neuen Fallmanagern sorgen wir dafür, dass sie an die Hand genommen werden. Der Fallmanager klärt dann jeden Schritt mit dem Opfer. Er hilft bei allen weiteren Antragstellungen, sei es bei der Pflegekasse für den barrierefreien Umbau der Wohnung oder bei der Unfallkasse für eine neue Prothese. Der Fallmanager wird der Ansprechpartner für das Opfer.
Meine Damen und Herren, Opfer benötigen jedoch nicht nur einen Behördenscout. Sie brauchen vor allem erst einmal finanzielle Sicherheit. Deshalb erhöhen wir drittens auch die monatlichen Entschädigungszahlungen, und zwar deutlich. Die monatlichen Renten sind wichtig, um den Opfern finanzielle Sicherheit zu geben, wenn das Leben ansonsten aus dem Takt geraten ist. Natürlich: Alles Geld der Welt kann die Tat nicht wiedergutmachen. Aber Geld kann helfen, die negativen Folgen zu mildern. So sorgen wir dafür, dass Opfer ins Leben zurückfinden können. Wir bestärken sie auf ihrem Weg der psychischen Genesung. Wir unterstützen sie bei allen Anträgen nach der Tat, und wir erhöhen ihre finanzielle Sicherheit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sozialminister Heil hat bei der Erstellung des Gesetzentwurfs die Expertise der Opferverbände weitgehend mit einbezogen. Das gilt insbesondere für den Weißen Ring. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass der Weiße Ring eine Broschüre erstellt hat, in der er unseren Gesetzentwurf sehr positiv kommentiert. Es heißt dort, es
ist jetzt ein Soziales Entschädigungsrecht auf den Weg gebracht worden, das Opfern von Kriminalität und ihren Angehörigen entscheidende Verbesserungen bringen wird.
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Meine Damen und Herren, das neue SGB XIV ist modern, unbürokratisch und großzügig. Damit setzen wir Maßstäbe im Opferschutz.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank, Dr. Bartke. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Peter Weiß.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Neuregelung des Sozialen Entschädigungsrechts schreiben wir, auch wenn es ein bisschen hochgestochen klingen mag, ein Stück deutsche Sozialgeschichte, weil wir zum ersten Mal für die Entschädigung von Opfern – das hat angefangen 1950 mit der Kriegsopferentschädigung –, für die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten, von Opfern von Terroranschlägen und von Opfern von sexualisierter Gewalt, ein gemeinsames Gesetz schaffen: das Sozialgesetzbuch XIV. Das ist eine große Aufgabe, die wir in der parlamentarischen Beratung jetzt noch weiter bearbeiten werden. Ich finde, wir können wirklich stolz sein, dass wir ein modernes, leistungsfähiges Entschädigungsrecht in Deutschland schaffen, das nicht mehr in verschiedenste Bestimmungen und Gesetze aufgesplittert ist, sondern in einem Sozialgesetzbuch zusammengefasst wird. Das ist ein großer Tag.
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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Opferentschädigung ist natürlich nicht mit Geld zu machen. Das erlittene Unrecht, das Leid, persönlich und auch für die Familie, ist nicht mit Geld gutzumachen. Aber das Entscheidende ist doch: Mit der Opferentschädigung geben wir, das Parlament, geben wir, der Staat, denen, die Schlimmes erlebt und erlitten haben, ein Stück ihrer Würde wieder zurück. Und vor allen Dingen: Wir zeigen uns solidarisch mit den Opfern und ihren Familien. Das ist der entscheidende Sinn von Opferentschädigung.
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Deshalb ist es eine zusätzliche Grausamkeit und eine Verhöhnung und Verachtung von Opfern, wenn man für Opferentschädigung jenes Wort benutzt, das vorher in einer Rede vorgetragen wurde. Ich will es hier nicht mehr wiederholen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten, auch in der Art und Weise, wie wir dieses Thema hier beraten, alle zusammen dafür sorgen, dass Menschen, die Opfer einer Gewalttat geworden sind, wissen können: Ja, diejenigen, die politische Verantwortung in diesem Land tragen, stehen zuallererst an ihrer Seite und wollen ihnen ihre Würde wieder zurückgeben und stehen an der Seite ihrer Familien. Diese klare Botschaft sollten wir nach außen senden.
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Dazu gehört auch etwas, was wir in diesem Gesetz ebenfalls regeln: der schnelle Zugang zu fachlich kompetenter Hilfe; es ist bereits von den Vorrednern erwähnt worden. Die Traumaambulanzen sind zu nennen. Da will ich gerne unterstreichen, dass ich spezialisierte Traumaambulanzen auch für Kinder und Jugendliche für notwendig halte. Mit diesen Hilfen schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass Opfer die Möglichkeit haben, das, was sie erlitten haben, in einer angemessenen Art und Weise zu verarbeiten und eine neue Lebensperspektive für sich zu entwickeln. Opferentschädigung ist auch: eine neue Lebensperspektive für Menschen, die Schlimmes erlitten haben.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, zum Opferentschädigungsrecht gehört historisch zuallererst die Kriegsopferentschädigung. Auch wenn aufgrund des Alters nur noch wenige Kriegsopfer unter uns leben, schreiben wir mit diesem Gesetz klar und deutlich fest: Das, was wir in der Kriegsopferentschädigung an Leistungen zugesagt haben, bleibt auch für die Zukunft garantiert. Unsere Solidarität gilt uneingeschränkt den Menschen, die im Krieg Schlimmes erlebt haben, die für verbrecherische Ziele in den Krieg gezogen sind, die mit Verletzungen und Verwundungen nach Hause gekommen sind. Keine Abstriche bei der Opferentschädigung für diejenigen, die in den Krieg gezogen sind!
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Ein weiterer Punkt ist – darüber haben wir im Vorfeld lange diskutiert –: Für jemanden, der Opfer einer Gewalttat wird, ist ja vielleicht auch das, was er sich als berufliche Perspektive einmal vorgenommen hat, nicht mehr möglich. Deswegen ist ein wichtiger Bestandteil des Opferentschädigungsgesetzes der Berufsschadensausgleich. Ich bin sehr froh, dass wir bei diesem Berufsschadensausgleich auch in Zukunft daran anknüpfen: „Welche Prognose für die weitere berufliche Entwicklung hätte bestanden, wenn der Betreffende nicht Opfer dieser Gewalttat geworden wäre?“ und die Opferentschädigung danach bemessen. Ich freue mich sehr, dass wir eine klare Regelung zum Berufsschadensausgleich in dieses Gesetz hineingeschrieben haben.
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Herr Weiß, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich habe schon gemerkt, dass Sie mich zur Ordnung rufen, was die Redezeit anbelangt. Deswegen will ich auch gerne zum Schluss kommen.
Nur, was die Redezeit anbelangt.
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Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich würde mir wünschen, dass dieses Opferentschädigungsgesetz, gerade weil es um die Würde der Opfer geht, mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit finden würde und vielleicht auch unsere Medien breiter über das berichten würden, was wir hier in Gang setzen; denn ich glaube, das Sozialgesetzbuch XIV ist ein großartiges Gesetz mit einer großartigen Neubestimmung. Das kann sich wirklich – in der Tat auch international, Herr Kollege Bartke – sehen lassen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Peter Weiß. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Pascal Kober.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister Heil! Es ist nur zu begrüßen, dass es wirklich zu einer Neuordnung und einer Erweiterung der Versorgung von Menschen, die Opfer von Gewalttaten geworden sind, kommen wird. Eine Verbesserung unseres sozialen Entschädigungsrechts ist in greifbare Nähe gerückt, und wir als Freie Demokraten unterstützen dies ausdrücklich und freuen uns darüber sehr.
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Als Gesellschaft – Sie, Herr Bundesminister, haben es gesagt, andere Rednerinnen und Redner auch – können wir nicht verhindern, dass Menschen Opfer von Gewalttaten werden. Aber wir können natürlich unsere Solidarität ganz konkret zum Ausdruck bringen, indem wir die entsprechenden Hilfsangebote auch wirklich zur Verfügung stellen.
Es ist unsere Absicht, hier zu einer Verbesserung zu kommen. Wir als Freie Demokraten unterstützen dies ausdrücklich. Wir freuen uns, dass wir wirklich einen Schritt vorankommen – mit Ihnen, der Bundesregierung, aber auch mit vielen Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus. Nach dieser Debatte muss man ausdrücklich sagen: bedauerlicherweise nicht mit allen.
In den anstehenden parlamentarischen Beratungen werden wir sicherlich an der einen oder anderen Stelle noch über Details diskutieren. Mir geht es da beispielsweise ganz konkret um die Versorgung der im Dienst an Körper und Seele verwundeten Soldatinnen und Soldaten. Da frage ich mich und mit mir meine Fraktion, ob es wirklich notwendig ist, liebe Bundesregierung, an der Ungleichbehandlung oder Andersbehandlung der vor 2011 verwundeten Soldatinnen und Soldaten und der nach 2011 verwundeten Soldatinnen und Soldaten festzuhalten.
Sie kündigen eine deutliche Verbesserung für die Soldatinnen und Soldaten, die vor 2011 verwundet worden sind, an. Aber es wird anders geregelt als für die, die nach 2011 verwundet wurden. Das irritiert Soldatinnen und Soldaten. Ich glaube, wir haben hier gerade als Bundestag eine ganz besondere Verantwortung; denn es geht um Menschen, die für unsere politischen Einschätzungen, für unsere politischen Entscheidungen ganz bewusst unter Gefahr für ihr Leben und ihre Gesundheit in den Einsatz gehen. Deshalb ist die Frage, ob wir hier nicht eine einfachere und besser nachvollziehbare Lösung finden können.
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Ein anderer Zusammenhang ist auch klar: Das beste Recht ist nur so viel wert, wie entsprechende Versorgungsstrukturen vorhanden sind. Deshalb dürfen wir nicht nachlassen und müssen auch in Zukunft auf der Versorgungsseite immer wieder nachbessern und erweitern. Ganz entscheidend wird sein, dass die Menschen ihr Recht tatsächlich in Anspruch nehmen können, weil Versorgungsstrukturen vorhanden sind.
Ich freue mich ganz ausdrücklich, dass die Bundesregierung eine Initiative aus dem Parlament aufgegriffen hat und die tiergestützte Traumatherapie für Soldatinnen und Soldaten – explizit die pferdegestützte Traumatherapie – auf den Weg bringen möchte.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Pascal Kober. – Nächster Redner: Torbjörn Kartes für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Mit dem Sozialen Entschädigungsrecht tritt der Staat Menschen zur Seite, denen Unrecht, Schmerz und Leid widerfahren sind. Es geht darum, Menschen in unfassbar belastenden Situationen beizustehen, ihnen bei der Bewältigung eines Traumas zu helfen und Schädigungsfolgen so gering wie möglich zu halten. Entscheidend hierfür ist: Gewaltopfer müssen Leistungen deutlich schneller und zielgerichteter als bisher erhalten.
Dies ist eine wesentliche Folge auch der Auswirkungen des verheerenden Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz in Berlin; das ist heute schon mehrfach erwähnt worden. Dadurch ist noch einmal aufgezeigt worden, dass unser Entschädigungsrecht – ich sage es mal so – durchaus in die Jahre gekommen ist. Deshalb regeln wir unser Entschädigungsrecht jetzt umfassend neu, und ich möchte ganz deutlich sagen: Dieses Gesetz ist alles andere als eine Kleinigkeit. Es zeigt vor allen Dingen: Wir sind handlungsfähig. Wir arbeiten mit aller Kraft an konkreten, spürbaren Verbesserungen für die Menschen in unserem Land.
Ich möchte auch sagen: Herr Sichert, es ist eine Schande, es ist ein parlamentarischer Tiefpunkt, wie ich finde, dass Sie diese Debatte heute für Ihre billige Propaganda genutzt haben.
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Mit diesem Gesetz möchten wir insbesondere denjenigen besser helfen, die in ihrer Kindheit oder Jugend Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind. Den Opfern solcher Gewalttaten müssen wir vor allen Dingen schnell, unbürokratisch und umfassend zur Seite stehen. Deswegen hat meine Fraktion in ihrem Positionspapier schon sehr früh unter anderem die flächendeckende Einrichtung von Traumaambulanzen gefordert. Dort erhalten Betroffene psychotherapeutische Akutversorgung. Wir wissen aus Studien, dass Frühintervention Traumabelastung ganz erheblich mindern kann.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Angebote von Traumaambulanzen nun zum ersten Mal gesetzlich verankert und sollen flächendeckend – das ist entscheidend – als möglichst niedrigschwelliges Angebot eingerichtet werden.
Wer in meinem Wahlkreis – Ludwigshafen/Frankenthal – momentan Opfer einer Gewalttat wird, muss nach Kaiserslautern oder Mainz fahren, um Akuthilfe zu erhalten. Es ist, denke ich, allen klar, dass dieses schon räumlich gesehen viel zu weit und eine Hürde ist, die es mit diesem Gesetz zu beseitigen gilt.
Es gibt eine weitere Hürde, die es zu überwinden gilt. Viele Opfer sexuellen Missbrauchs sind bisher daran gescheitert, Entschädigungen zu erhalten, da die Kausalkette zwischen schädigendem Ereignis, der Schädigung und der Schädigungsfolge nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte. Deshalb führen wir eine weitreichende Vermutungsregelung ein. Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge genügt nun die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Das ist wichtig, gerade wenn es darum geht, schnelle und zielgerichtete Hilfe zu leisten, und weil wir eben wissen, dass diese Sachverhalte oft nur sehr, sehr schwer rechtssicher zu beweisen sind. Deshalb ist das für die Opfer eine sehr, sehr wichtige Regelung, um überhaupt Hilfe in Anspruch nehmen zu können.
Wichtig ist auch, dass das neue Soziale Entschädigungsrecht als Opfer einer Gewalttat nunmehr auch solche Personen anerkennt, die durch psychische Gewalt eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben. Dies ist wichtig, gerade weil wir wissen, dass sexualisierte Gewalt viele Formen und auch eben Folgen haben kann. Auch erhebliche gegen die geschädigte Person gerichtete Verhaltensweisen im Internet, also neue Formen von Gewalt, werden hierfür ausreichend sein. Es ist wichtig, dass wir hierauf reagieren, weil wir immer wieder deutlich machen müssen, dass gerade das Internet eben kein rechtsfreier Raum sein darf.
Ja, es ist wichtig, dass wir solche Straftaten konsequent verfolgen. Bislang war daher die Anzeigenerstattung durch das Opfer Voraussetzung für eine Leistungserbringung nach dem Gesetz. Dies muss im Regelfall – das möchte ich auch sagen – weiter so sein, weil wir nur so besser vor Wiederholungstätern schützen können. Wir erkennen gleichzeitig aber auch an, dass eine Anzeige unzumutbar sein kann, wenn eine enge verwandtschaftliche oder eine eheliche Beziehung zur Täterin oder zum Täter besteht. In diesen Fällen – das ist wichtig – führt eine fehlende Strafanzeige eben nicht zur Versagung von Leistungen; auch das ist eine wichtige Regelung, die wir heute auf den Weg bringen.
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Abschließend: Wichtig ist meiner Fraktion – das möchte ich noch sagen – die Fortführung des Fonds Sexueller Missbrauch. Das Bundesfamilienministerium hat rund 45 Millionen Euro im Haushalt 2020 dafür eingestellt. Aus diesem Fonds erhalten Menschen Unterstützung, deren Bedürfnisse nicht durch das bestehende sozialrechtliche Hilfesystem gedeckt werden und auch nicht durch das neue Opferentschädigungsrecht. Der Fonds ist und bleibt eine wichtige Ergänzung, auch in Zukunft. Er ist ein Signal an alle Betroffenen: Wer Hilfe braucht, der soll, der muss sie auch bekommen. In diesem Sinne wünsche ich uns gute Beratungen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Torbjörn Kartes. – Letzter Redner in der Debatte: Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selten kommt man in eine Debatte – zumindest was das Thema angeht, und es gibt auch eine so große Übereinstimmung –, wo ich so dankbar bin, was die Vorschläge, die vom Ministerium kommen und von uns jetzt bewertet werden, angeht. Das hat sich dann um 13.24 Uhr schlagartig geändert, nicht dem Inhalt nach, sondern weil ich mich fragte, auf welchen Weg wir da in der Debatte geführt wurden. – Ich bin aus zwei Gründen besonders dankbar:
Sie, Minister Heil, haben am Anfang gesagt: Wir müssen uns die Opfer vor Augen führen. – Ich bin ja Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales wie auch im Menschenrechtsausschuss. Als Menschenrechtler freue ich mich besonders, dass das Thema Menschenhandel von Ihnen und von einem anderen Kollegen angesprochen worden ist. Heute ist der Europäische Tag gegen Menschenhandel, und ich habe einige Kollegen gesehen, die mit diesem Bändchen rumlaufen und ganz bewusst für Freiheit auftreten. Ich freue mich darüber, dass das jetzt den Grund und Boden abgibt und vielleicht auch den Grundwasserspiegel hebt, auch für andere als Vorbild.
Zum Zweiten freue ich mich als ehemaliger Sozialarbeiter. Da habe ich tatsächlich eine Person vor Augen: Damaris – Name geändert, aus Absicht. In meiner Sozialarbeiterzeit hatte ich eine Tafel gegründet. Meine erste Mitarbeiterin war diese Damaris. Ja, und sie war schusselig. Das haben wir alles darauf geschoben, dass sie ein bisschen einfach gestrickt war. Und dann hatte sie eine Macke irgendwo am Kopf. Dafür gab es eine Erklärung: Ich bin an der Kellertreppe hängen geblieben. – Und Ähnliches. Irgendwann mal besuchte ich ihren Mann im Krankenhaus, weil er im Wald umgefallen war. Ich habe ihn gefragt, was denn los sei, wenn man ihn beim nächsten Mal nicht pünktlich fände, und Scherze gemacht. Am nächsten Tag hat er sich selbst mit Unterschrift aus dem Krankenhaus entlassen. Die erste Tat war, zum Telefon zu gehen und seine Frau anzurufen, um Damaris anzukündigen: Du, da kommen nachher zwei Männer. Sei bitte zu Hause, die haben schon für dich bezahlt. – Da überschneiden sich die beiden Themen „Menschenhandel“ und „sexueller Missbrauch“. Sie ist sofort abgehauen. Das ist für jeden von uns nachvollziehbar. Sie ist dann ein paar Tage später, als sie vermutet hat, dass er nicht zu Hause ist, in die Wohnung, um irgendwas zu holen, und fand ihn tot in der Wohnung liegen. Dann konnte sie sich öffnen, und dann hat sie erzählt, was sie alles in ihrer Familie, in ihrer Ehe, in ihrer Beziehung erlebt hat.
Dieses ganze Trauma, dieses ganze Schicksal dahinter müssen wir uns vor Augen führen, wenn wir verstehen wollen, was Menschen begegnen kann. Dann konnte sie sich öffnen und mir als Leiter der Einrichtung auch erzählen, dass sie am Heiligen Abend im Jahr zuvor den Fehler gemacht hatte, sich neben mich zu setzen – wir hatten eine Feier für Menschen am Rand der Gesellschaft gemacht –, und aus Eifersucht hatte sie von ihrem Mann die größten Prügel ihres Lebens dafür bekommen. Auf einmal ist man hautnah dran. Deshalb freue ich mich über das Leistungsspektrum bei der Reform für Opfer sexueller Gewalt.
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Ich freue mich über die gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung von Traumaambulanzen. Ich freue mich, dass dies nicht nur in Akutfällen, sondern auch zur Bewältigung wieder hochkommender, zum Teil sehr weit zurückliegender Erlebnisse möglich ist. Bei Damaris war es so: Wenige Monate später hat sie sich einem ähnlich gestrickten Mann an den Hals geworfen.
Ich freue mich über die Einführung der Vermutungsregelung. Bislang musste der Nachweis geführt werden, dass eine Kausalität zwischen der Gewalttat und den Schädigungsfolgen besteht. Dieser war sehr schwer zu erbringen. Wenn man nicht nur den Fall von Damaris, sondern auch viele andere kennt, weiß man das. Diese Reform enthält eine weitgehende Vermutungsregelung zum Nachweis der Kausalität zugunsten von Opfern psychischer Gewalt.
Es ist sehr gut, dass es in den meisten Fällen keine Anzeigepflicht gibt. Sie, Frau Lötzsch, haben das angesprochen. Bislang war Anzeigeerstattung die Grundvoraussetzung. Wenn man Menschen ganz am Rand oder ganz im Schatten und mit viel Scham kennt und vor Augen hat, dann weiß man: Das ist fast nicht möglich für diese Menschen. Jetzt muss man keine Strafanzeige mehr stellen.
Ich freue mich über die Erleichterungen bei der Antragstellung für die Traumaambulanz. Sie hatten das angesprochen, Herr Heil. Ich bin dankbar, dass es keinen Anspruchs- und Leistungsausschluss mehr bei Rückkehr zum Täter gibt; denn das ist eine ambivalente Beziehung. Bei dem, was in diesem geschlossenen System passiert, ist oft die einzige Person, zu der man überhaupt gehen kann, der, der auch der Gewalttäter war.
Der Gewaltbegriff wird ausgeweitet. Sexualisierte Gewalt äußert sich eben nicht nur durch körperliche Angriffe, sondern auch in anderen Formen, die nötigend auf die Willensentscheidung der Betroffenen einwirken. Daher sind die Leistungen und die soziale Entschädigung nicht nur für Opfer körperlicher, sondern auch für die Opfer psychischer Gewalt möglich.
Es freut mich unter anderem auch als Menschenrechtler – damit komme ich zum Schluss –, dass es auch Leistungen für Betroffene geben wird, die durch die Herstellung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung von Kinderpornografie geschädigt worden sind und geschädigt werden – in unserem Land leider viel zu viel. Ich wünschte mir, dass wir sogar über die Fälle nachdenken, wo die Schädigung von hier ausgeht, aber in einem anderen Land, durch die neue Mobilität, stattfindet, dass wir darüber nachdenken.
Herr Heinrich, jetzt aber wirklich.
Herr Kartes hat gerade den Fonds Sexueller Missbrauch angesprochen; ich will das nicht wiederholen. Ich freue mich, dass Herr Spahn vorgestern noch einen Zusatz gebracht hat: Spurensicherung als Kassenleistung. Lassen Sie uns darüber nachdenken, ob es vielleicht nicht sogar sinnvoll ist, das noch hinzuzufügen.
Ganz herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Abgeordnetenkollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 100 Milliarden Euro jährlich beträgt der geschätzte Schaden durch Geldwäsche. Ich glaube, diese Zahl vermittelt Ihnen ein Gefühl für die Dimension des Problems, insbesondere wenn Sie sich noch mal vor Augen führen, dass Geldwäsche zwar selber eine Straftat ist, aber eben vor allem dazu dient, schwere und schwerste andere Straftaten wie beispielsweise Menschenhandel, Waffenhandel, Drogenschmuggel oder Steuerhinterziehung zu verschleiern. Verhinderung und Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ist der Bundesregierung daher ein wichtiges Anliegen.
Mit dem hier jetzt vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir auf eine Reihe von Veränderungen und neuen Herausforderungen, die sich in der Vergangenheit ergeben haben, ein und passen die Bekämpfungsinstrumente entsprechend an. Wir setzen hier zum einen die Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie um, zum anderen beziehen wir aber auch Erkenntnisse aus der Nationalen Risikoanalyse, NRA, im Bereich Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ein, die vom Bundesministerium der Finanzen durchgeführt wurde. Der Abschlussbericht wird allen Abgeordneten ab nächster Woche zur Verfügung stehen. Ich glaube, er wird uns bei der Beratung des Gesetzentwurfs gute Dienste leisten.
Identifiziert worden sind verschiedene Hauptrisikofelder. Insbesondere sind das anonyme Transaktionen wie beispielsweise hohe Bargeldzahlungen im Edelmetall- oder Immobilienbereich, verschachtelte Gesellschaftsformen, die den wirtschaftlich Berechtigten nur sehr schwer erkennen lassen, oder auch Finanztransfers mit Transaktionen in Kryptowährungen.
Was liegt konkret an? Wir werden neue Berufsgruppen in den Kreis der geldwäscherechtlich Verpflichteten aufnehmen. Diese werden erstmalig ein geldwäscherechtliches Risikomanagement vornehmen, Sorgfaltspflichten einhalten – dazu gehören beispielsweise Identifizierungspflichten bei Käufern von Edelmetallen – und bei Vorliegen entsprechender Tatsachen gegebenenfalls eine Verdachtsmeldung abgeben müssen.
Im Finanzsektor nehmen wir die Kryptowährungen auf. Ich glaube, auf diesen Bereich werden wir in Zukunft genau schauen; denn er ist relativ neu. Wenn es um die Verschleierung von Straftaten geht – das wissen wir alle –, sind die Täter oft sehr kreativ. Und wir wollen nicht, dass dieser grundsätzlich hoffnungsvolle Bereich dafür ausgenutzt wird.
Das schon bestehende Transparenzregister, in dem wirtschaftlich Berechtigte eines Unternehmens erfasst sind, wird künftig der Öffentlichkeit zugänglich sein. Natürlich werden die personenbezogenen Daten geschützt.
Zum Thema Edelmetallhandel. Hier wird in Zukunft schon ab 2 000 Euro genau geprüft werden, wer kauft, damit keine größeren Summen verschleiert werden können.
Zum Thema Immobiliensektor möchte ich insbesondere ansprechen, dass an Immobilientransaktionen Beteiligte wie Notare, Rechtsanwälte oder Steuerberater in Zukunft stärker in der Pflicht sind, Verdächtiges aufzunehmen. Wir sorgen aber auch dafür, dass diese mehr Rechtssicherheit haben, indem wir die Sachverhalte konkretisieren.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der uns sehr wichtig ist. Wir haben mit der Financial Intelligence Unit ein sehr gutes Instrument, um Geldwäscheverdachtsfälle aufzugreifen und sichtbar zu machen. Das Problem ist leider – ich habe es eingangs geschildert –: Geldwäsche ist eine Straftat, die in der Regel andere Straftaten und damit zusammenhängende Gewinne verschleiert. Deswegen brauchen wir eine gute Zusammenarbeit der einzelnen Behörden. Wir schaffen hier die Möglichkeit, dass die FIU weiß, dass ein Verdachtsfall besteht, wenn in einem anderen Kontext ermittelt wird. Es geht nicht darum, dass sensible Daten freigegeben werden. Die FIU soll nur wissen: Hier liegt etwas vor. Da wollen wir ran. – Dafür schaffen wir die Grundlagen. Wir müssen diese Institution vernünftig stärken, damit wir wirksam vorgehen können.
Ich komme zum Schluss und weise noch einmal darauf hin, dass unsere Bestrebungen, die wir hier angegangen sind, im nächsten Jahr von der FATF überprüft werden. Es steht eine Deutschlandprüfung an. Wir sind verpflichtet, hier etwas Vernünftiges vorzulegen. In meinen Augen sind wir mit diesem Gesetzentwurf gut gerüstet, um auf den neuesten Stand zu kommen. In diesem Sinne sage ich: Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Gesetzentwurf arbeiten und mehr Licht ins Dunkel der Hundertmilliarden bringen, um Geldwäsche wirksam zu bekämpfen und in Zukunft zu verhindern.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Sarah Ryglewski. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Jörn König.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen und an den Fernsehbildschirmen! Uns allen liegt heute der Entwurf eines Gesetzes vor, das eine Geldwäscherichtlinie der EU in ein deutsches Gesetz gießen soll. Es ist ein ansprechendes Bürokratiemonster geworden, mit immerhin 155 Seiten. Es ist auch nicht die erste oder zweite, auch nicht die dritte Geldwäscherichtlinie; es ist schon die vierte Richtlinie zum Thema.
Wir haben in Deutschland eine sehr dezentrale und damit stabile Bankenstruktur mit etwa 1 200 Sparkassen und Volksbanken. Diese im Vergleich eher sehr kleinen Banken trifft der Bürokratieaufwand, der mit dieser Geldwäscherichtlinie einhergeht, deutlich mehr als die Großbanken. Fast alles, was die EZB oder die EU machen oder eben nicht machen, trifft bemerkenswerterweise die deutschen Banken. Kein Wunder, dass Deutschland bei der Bankenstabilität inzwischen mit Platz 64 nur noch im Mittelfeld ist. Es ist einfach nur beschämend, wie Deutschland unter dieser Regierung überall ins Mittelmaßnirwana abrutscht.
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Wie sind denn eigentlich die bisherigen Erfahrungen? Es gibt eine neue Behörde, die Financial Intelligence Unit, an die Verdachtsfälle gemeldet werden müssen. Jede Bank hat zwangsweise einen Geldwäschebeauftragten, der verdächtige Transaktionen melden muss. Thorsten Höche, Chefjustiziar beim Bundesverband deutscher Banken, sagt dazu:
Mit Blick auf die Rechtslage ziehen es die Beauftragten vor, auffällige Transaktionen schnell zu melden anstatt zu warten.
Aus Angst und um nicht aufzufallen, melden einige Beauftragte auch nur irgendwelche Fälle, damit es im Durchschnitt passt.
Wie sieht das Ergebnis dieses Riesenaufwandes aus? Im Jahr 2018 waren von den 77 000 gemeldeten Verdachtsfällen nur ganze 275 Fälle relevant für die Justiz. Das sind 0,36 Prozent. Der Berg kreißte und gebar eine Maus.
Aber wie das mit Bürokratien so ist: Nachdem wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen. Mit der vierten und fünften Geldwäscherichtlinie wird der Kreis der Verpflichteten – wir haben es gerade gehört – nochmals deutlich erweitert. Neben Kreditinstituten, Zahlungsinstituten, Lebensversicherern, Wertpapierfirmen, Investmentfonds, Versicherungsvermittlern, Abschlussprüfern,
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externen Buchprüfern, Steuerberatern, Notaren, Rechtsanwälten, Dienstleistern für Trusts oder Gesellschaften,
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Immobilienmaklern, Händlern gibt es neue Verpflichtete wie Plattformen zum Umtausch virtueller Währungen, also die Bitcoins dieser Welt, Mietmakler, Güterhändler und Kunsthändler. Zum Verpflichtetenkreis gehört nun jede Person, die als wesentliche geschäftliche oder gewerbliche Tätigkeit materielle Hilfe, Unterstützung oder Beratung im Hinblick auf Steuerangelegenheiten leistet. So unterliegen zukünftig auch – man höre und staune – Lohnsteuerhilfevereine den Vorgaben des Geldwäschegesetzes. Lohnsteuerhilfevereine sind also potenzielle Helfer bei der Geldwäsche. Freie Berufe wie Immobilienmakler, Edelmetallhändler
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und Kunsthändler sind verpflichtet, eine Risikoanalyse durchzuführen und auch ein Risikomanagement aufzubauen, selbst wenn dieser Betrag über 10 000 Euro unbar, also über Konten, transferiert wird. Die betroffenen ehrbaren Berufe danken für diesen Sonderaufwand schon einmal herzlich im Voraus.
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Damit wir uns richtig verstehen: Geldwäsche ist sicher ein Thema mit zunehmender Relevanz. Die Zielgruppe sind Kriminelle und Korrupte. Aber die stetige Gängelung und Bespitzelung trifft immer mehr ehrliche Leute wie eben Bankkaufleute, Steuerberater und nun sogar Kunsthändler.
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Sie sollten nicht die Symptome mit unangemessenem Aufwand bekämpfen, sondern die Kriminellen direkt. Warum werden dann in den Städten Drogenszenen, Gewaltkriminalität, Zuhälterei und Schutzgelderpressung akzeptiert und geduldet, siehe den Görlitzer Park in Berlin?
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Das ist ähnlich wie in der Einwanderungspolitik: Offene Grenzen, aber jedes Volksfest und jeder Weihnachtsmarkt braucht Merkelpoller und Polizeischutz.
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Im Zusammenhang mit diesem Gesetz ist auch eine Regelung vorgesehen, dass Banken und Sparkassen keine Bitcoins oder andere digitale Währungen verwahren oder damit handeln dürfen. Dieses innovative Geschäftsfeld sollte aus Sicht der AfD auch für etablierte Banken offen sein, da wir für Freiheit in diesem Hochtechnologiebereich stehen. Der Staat sollte in diesem Bereich die neu entstandenen Produkte und Dienstleistungen einfach nur juristisch einordnen, damit Rechtssicherheit herrscht. Beschränkungen sind hier der falsche Weg. Für etablierte, aber innovative Institute ist dies ein Weg, um unsere vielfältige Bankenlandschaft durch Erschließung neuer Geschäftsfelder dauerhaft zu erhalten.
Insgesamt sollten wir Geldwäsche effizient bekämpfen. Wir bestätigen somit die Zielrichtung des Gesetzes. Den aus unserer Sicht zu hohen Aufwand für die Mitglieder ehrbarer Berufe halten wir für nicht gerechtfertigt. Eher sollten die Kriminellen und deren Geldquellen direkt bekämpft werden.
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Denken Sie an Ihre Redezeit.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Frau Merkel wegen ihrer Messertoten als Kanzlerin zurücktreten muss.
Vielen Dank.
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Danke schön, Herr König. – Nächster Redner: Sepp Müller für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir zurück zum Thema. Unter Geldwäsche verstehen wir nicht die paar Euro, die in der Waschmaschine in der Hosentasche mitgewaschen werden. Nein, unter Geldwäsche verstehen wir Geld, welches unrechtmäßig erworben, in den Wirtschaftskreislauf gebracht und somit faktisch legalisiert wurde.
Ein Beispiel zum besseren Verständnis: Der Drogendealer Max treibt im Monat 20 000 Euro ein. Max ist clever und zahlt es nicht bei der Sparkasse ein. Warum? Ab 10 000 Euro muss er sich erklären und sagen, woher das Geld kommt. Verweigert er dies, so veranlasst der Geldwäschebeauftragte der Sparkasse eine Verdachtsmeldung. Deswegen bunkert Max sein Geld zu Hause. Nach drei Jahren ist sein Kopfkissen so voll, dass Max schon fast im Stehen schlafen muss. Max ist clever. Er nimmt sein Geld und kauft davon ein Wohnungspaket in Berlin. Warum? Hier fragt niemand, woher das Geld kommt; denn Max hat seinen Geldkoffer dabei und bezahlt in bar. Monatlich erhält Max nun 4 500 Euro Mieteinnahmen, die er ordnungsgemäß bei der Steuererklärung angibt. Diese wird für richtig befunden. Er zahlt korrekt seine Steuern. Da Max pfiffig ist, macht er das Geschäft nicht nur einmal, sondern zwei-, drei-, viermal. Warum? Weil er es kann.
Was sich vielleicht spaßig anhört, ist leider tierischer Ernst. Das passiert im Übrigen bei Immobiliengeschäften. Der Spaß hört auch deswegen auf, weil der Terrorattentäter vom Breitscheidplatz, Anis Amri, und arabische Clanmitglieder dieses Geschäftsmodell angewendet haben. Zuletzt wurden in Berlin 70 Immobilien beschlagnahmt. Das ist aber erst die Spitze des Eisbergs. Auf diesem Wege – ich denke, ich spreche im Namen des gesamten Hauses – möchte ich mich bei allen Beteiligten für diesen Ermittlungserfolg bedanken.
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Damit diese Erfolge in den nächsten Jahren weiter zunehmen, sagen wir als Große Koalition der Geldwäsche den Kampf an.
Was haben wir bisher unternommen? Geldwäsche findet über Ländergrenzen hinweg statt. Wir haben mit der FIU, mit der Financial Intelligence Unit, eine Experteneinheit geschaffen, die mittlerweile mit 475 Experten innerhalb des Zolls ausgestattet ist; anfänglich waren es 26 Mitarbeiter beim Bundeskriminalamt. Diese Geldwäschebekämpfungseinheit hat schnelleren Zugriff auf Daten aus anderen Staaten. Wir haben das Instrument der Verdachtsmeldung eingeführt. Hiermit sammelt die Einheit alle Meldungen, wertet sie aus und beurteilt sie. Sie entscheidet durch ihre Experten, ob es sich tatsächlich um Geldwäsche handelt oder nicht. Wir haben auch ein zentrales elektronisches Transparenzregister eingeführt. Der Bußgeldrahmen für schwerwiegende, wiederholte und systematische Verstöße wurde deutlich angehoben. Sie sehen: Wir handeln.
Aber wenn schon alles erledigt ist, warum müssen wir jetzt noch etwas tun? Weil wir als Große Koalition Typen wie Max keinen Zentimeter mehr lassen wollen; wir wollen ihm das Leben schwer machen. Wir als Union – und ich spreche hier auch für die SPD – sind fest entschlossen, jedes Schlupfloch, welches sich in den letzten Jahren aufgetan hat, zu schließen.
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Erstens. Wir werden mit dem Gesetz die Befugnisse der Experten stärken. Sie werden zukünftig schneller und auf mehr Informationen der Strafverfolgungsbehörden zugreifen können. Es ist doch regelrecht schizophren, dass gerade aus den Datenbeständen, unter deren Verwendung Ermittlungen gegen Terrorverdächtige laufen, kaum Informationen an die Experten im Geldwäschebereich gegangen sind. Wir lassen es nicht zu, dass sich Terroristen in Deutschland finanzieren. Wir trocknen die Finanzströme für linke, rechte und religiöse Extremisten aus.
Zweitens. Wir begegnen neuen Bewegungen am Finanzmarkt. Wir werden Kryptowährungen mit in den Fokus nehmen. Egal ob in Euro, Dollar, Bitcoin oder Libra, wir sagen: keine Handbreit den Geldwäschern.
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Drittens. Wir erweitern den Kreis der Verpflichteten. Unter anderem werden jetzt die Mietmakler und Autohändler mit erfasst.
Viertens. Wir kommen den europäischen Vorgaben nach und werden das Transparenzregister für die gesamte Öffentlichkeit zugänglich machen.
Heute erfolgte durch die Parlamentarische Staatssekretärin Ryglewski der erste Aufschlag im Parlament zu diesem Gesetz. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen im parlamentarischen Verfahren den Entwurf zum Geldwäschebekämpfungsgesetz der Regierung noch besser machen. Dazu nur elf Punkte:
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Erstens. Anders als andere halten wir als Union am Bargeld fest.
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Jeder hat bis jetzt, kann aktuell und wird zukünftig weiterhin seine Brötchen beim Bäcker mit Bargeld bezahlen dürfen.
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Zweitens. Zusätzliche bürokratische Hürden im vorauseilenden Gehorsam lehnen wir ab. Wir schauen uns nationale Sondersituationen ganz besonders an. Dazu gehört insbesondere die Berufsgruppe der Syndikusrechtsanwälte. Diese gibt es in der Form in kaum einem anderen EU-Land.
Drittens. Internationale Betreiber von digitalen Plattformen verweigern deutschen Zahlungsdienstleistern in vielen Fällen den Zugang zu ihren Plattformen, beispielsweise Apple Pay. Das ist auch für den Bereich der Geldwäsche- und Betrugsprävention relevant. Ob und inwieweit die Zahlungsauslösung durch Betrüger erfolgt, kann von dem dahinterstehenden Kreditinstitut damit nicht nachvollzogen werden. Die Verhinderung der Giganten wie Apple im Hinblick auf den Zugang zu deren Plattformen verstärkt diesen Trend sehr stark. Die Geldwäscheprävention wird erschwert. Es ist in unseren Augen an der Zeit, hier zu handeln!
Viertens. Für uns ist denklogisch, dass Aufsichtsbehörden im Nichtfinanzbereich auch gleichzeitig die Bußgeldbehörden sind. Warum dies im Entwurf beispielsweise bei den Steuerberater- und Rechtsanwaltskammern nicht der Fall ist, werden wir nicht nur hinterfragen; wir wollen das auch ändern.
Fünftens. Klar ist, dass jede Geldwäscheverdachtsmeldung gleichzeitig eine strafbefreiende Wirkung haben muss. Es ist unverständlich, dass aktuell eine Doppelmeldung, sowohl an die Experten als auch an die Strafverfolgungsbehörden, zu erfolgen hat. Wir stehen für Bürokratieabbau. Mit einer Bündelung schaffen wir den dringend notwendigen Abbau von Bürokratie. Wir fokussieren uns auf das Wesentliche und straffen die Ermittlungen.
Sechstens; das ist gerade für die Ehrenamtlichen so wichtig. 500 000 eingetragene Vereine, darunter Sportvereine, Kulturvereine oder auch der Männergesangsverein Nuttlar, erhielten in den letzten Wochen Post vom Bundesanzeiger. Hier wurde ihnen die Gebühr für den Eintrag im Transparenzregister mitgeteilt. Liebe Kollegen, auch der SPD: Es gilt für uns der Koalitionsvertrag. Wir wollen und werden das Ehrenamt unterstützen. Für uns als Union ist klar: Hier sollen den Worten auch Taten folgen. Deswegen setzen wir uns für die Abschaffung der Gebühren für gemeinnützige Vereine ein.
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Siebtens. Wir nehmen das Transparenzregister noch einmal genau unter die Lupe. Durchsichtigkeit bei Geldwäsche ist richtig. Sie darf aber nicht dazu führen, dass datenschutzrechtliche Gesichtspunkte ausgehebelt werden. Es verbietet sich, Unternehmer unter Generalverdacht zu stellen. Dass gerade die Grünen und die Linken das fordern, ist fast schon symptomatisch. Die einen begründen es aus der Ideologie der Verbote heraus, die anderen aus der Kritik an der sozialen Marktwirtschaft. Wir als Union werden es nicht durchgehen lassen, dass das Rückgrat unserer Volkswirtschaft durch diese ständigen Frontalangriffe von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken kaputtgemacht wird.
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Deswegen setzen wir uns für ein Transparenzregister mit Maß und Mitte ein. Die berechtigten Ziele sollen beibehalten werden. Gleichzeitig müssen Firmeninhaber geschützt werden.
Wir dulden keine Fälle wie das letzte unsägliche Beispiel einer Familie aus Berlin. Sie waren und sind mit ihrem Unternehmen sehr erfolgreich, und seit 2017 findet man diese Familie auch im Transparenzregister. Seitdem werden die Kinder von Bodyguards beschützt. Mittlerweile wurde einer der Aufpasser angegriffen, schwer verletzt und ist nun querschnittsgelähmt. Ob es einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Register gibt, konnte nicht ausgeschlossen werden. Klar ist, wer wie die Grünen und die Linken die Unternehmer immer an den Pranger stellt, nimmt sehenden Auges in Kauf, dass solche Taten nicht ausgeschlossen sind.
Achtens. Ja, wir setzen uns für mehr Transparenz zur Bekämpfung von Geldwäsche ein. Das gilt für beide Seiten der Medaille, für die, die eingetragen sind, die Unternehmer, und die anderen, die anfragen, beispielsweise die Nichtregierungsorganisationen. Transparency International, das Netzwerk Steuergerechtigkeit oder die Bürgerinitiative Finanzwende, die sich selbst für grenzenlose Transparenz einsetzen, müssen sich genauso erklären. In der Vergangenheit gab es bei Organisationen wie Transparency International die eine oder andere Ungereimtheit bei den Finanzströmen. Woher kommen zum Beispiel ihre Spenden? Wer sind die Entscheider und wer nur die Geldgeber? Deswegen setzen wir uns als Union für Transparenz auf beiden Seiten ein. Hierzu hat unser Kollege, Herr Professor Heribert Hirte, einen sehr guten Vorschlag vorgelegt. Diesen werden wir aufgreifen.
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Neuntens. Der Geldwäschebeauftragte einer Volksbank, Sparkasse oder privaten Bank ist aktuell persönlich haftend für seine Tätigkeit. Wir wollen, dass der Vorstand eines Kreditinstituts – wie bei allen anderen Handlungen seines Institutes auch – dafür haftet und geradesteht. Wir als Union stehen für den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land.
Zehntens. Den vielbeschworenen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt erreichen wir nur dann, wenn wir in Deutschland keine Sonderrolle spielen. Beispielsweise ist es nicht nachzuvollziehen, dass wir in Deutschland maximal 100-Euro-Geldkarten an Tankstellen erwerben können, aber in unseren europäischen Nachbarländern 150-Euro-Geldkarten. Hier setzen wir uns als Union für eine Vereinheitlichung ein.
Elftens. Zum Schluss werden wir sehr kritisch prüfen – sehr geehrte Frau Ryglewski, da haben Sie unsere volle Unterstützung –, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen im Immobilienbereich ausreichen. Wir werden in den nächsten Wochen mit den Experten sprechen und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen.
Lieber Max, du siehst also: Geldwäsche in Deutschland wird sich zukünftig nicht mehr lohnen. Aber wir als Große Koalition bieten dir eine Alternative. Wir suchen dich als Arbeitskraft in der deutschen Wirtschaft. Knapp 790 000 freie Arbeitsplätze warten auf dich. Dafür haben wir die Rahmenbedingungen geschaffen. Deswegen kannst du schon morgen anfangen, mit ehrlicher Arbeit dein Geld zu verdienen. Das Leben als Geldwäscher machen wir dir von Tag zu Tag schwerer.
Herzlichen Dank.
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Mein Geld nehme ich mit, ja?
Und ich dachte, Sie lassen das Geld für uns da. – Vielen Dank, Sepp Müller.
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Markus Herbrand.
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Es kommt auch eher selten vor, dass das Pult gesenkt werden muss, wenn ich spreche.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung ist ja zunächst einmal eine Anklage gegen sich selbst. Die Bundesregierung musste sich eingestehen, dass in Deutschland rund 100 Milliarden Euro jährlich gewaschen werden – ein Eldorado für Geldwäscher –, und das ist eher eine konservative Schätzung der Bundesregierung. Nächstes Jahr – das wurde schon gesagt – wird Deutschland hinsichtlich seiner Bemühungen, die Geldwäsche zu bekämpfen, von der FATF, einem der OECD angegliederten Gremium, geprüft. Die Bundesregierung zittert schon vor Angst, weil der Zustand der Geldwäschebekämpfung in Deutschland so schlecht ist, dass wir aufpassen müssen, nicht mit Ländern wie dem Irak oder Afghanistan auf eine Stufe gestellt zu werden.
Dass Deutschland bis zum Hals im Geldwäschechaos steckt, ist aber – das muss auch gesagt werden – nicht nur ein Versagen des Bundes. Auch die Länder leisten hierzu ihren unrühmlichen Beitrag. Ich will als Beispiel das Land Thüringen nennen. Dort gibt es nicht einmal vier Personen, die für alle Schmuckhändler, Autoverkäufer, Spielhallen und Immobilienmakler im gesamten Bundesland Thüringen zuständig sind. Das ist ein schlechter Scherz.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen das deutsche Geldwäscheproblem sachlich und überlegt angehen. Mit dem vorliegenden Entwurf der Bundesregierung tun wir das leider nicht. Hier wird eher auf Aktionismus gesetzt. Für die Praxis geschieht wenig Sinnvolles. Wieder einmal schießen Sie über die EU-Vorgaben hinaus, ganz nach dem Motto „Viel hilft viel“.
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Es gibt immer wieder neue Regeln. Dabei sollten wir zunächst die bereits vorhandenen Möglichkeiten und bestehenden Gesetze ausschöpfen.
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Ich will Ihnen Beispiele nennen. In der Abgabenordnung gibt es die Verpflichtung für Finanzämter, Hinweise auf Geldwäsche und Korruption mitzuteilen. Das ist in der Praxis allerdings so gut wie nie der Fall. Ähnlich ist es bei der Steuerfahndung. Sie ist nach dem Geldwäschegesetz ebenfalls verpflichtet, ihre Informationen mit anderen Behörden zu teilen. Ganz selten geschieht dies in der Praxis.
Schon die Umsetzung der letzten Geldwäscherichtlinie hat bei uns kaum zu spürbaren Besserungen geführt, und dieses Schicksal prophezeie ich Ihrem Vorschlag zur Umsetzung dieser Richtlinie auch. Anstatt die wirklichen Probleme, zum Beispiel auch im Nichtfinanzsektor, anzugehen, verschärfen Sie die Regel zum Transparenzregister auf Kosten unverhältnismäßiger Eingriffe in den Datenschutz. Bei aller Wichtigkeit, die wir der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung einräumen müssen, darf man die Grundsätze des Datenschutzes nicht leichtfertig über Bord werfen.
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Außerdem erweitern Sie den Kreis derjenigen, die Meldungen nach dem GWG abzugeben haben. Den wirtschaftlich Berechtigten ausfindig zu machen, verursacht aber bei vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen einen sehr hohen, für sie nicht nachvollziehbaren Aufwand.
Meine Damen und Herren, keiner hier im Hause bezweifelt, dass wir bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung deutlich besser werden müssen. Wir verschließen dabei auch nicht die Augen vor neuen Herausforderungen. Dazu gehört etwa der genauere Blick auf virtuelle Währungen, die potenziell für kriminelle und terroristische Zwecke missbraucht werden können. Diese neuen Herausforderungen brauchen auch neue Antworten; das ist klar. Dennoch müssen Mittel und Zweck immer im Einklang stehen. Darauf werden wir im Gesetzgebungsverfahren achten.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Markus Herbrand. – Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Fabio De Masi.
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Müller, es freut mich, dass Sie Max auf die Finger schauen wollen, aber ich möchte den Kollegen Straubinger gegen diese unhaltbaren Anschuldigungen ausdrücklich in Schutz nehmen.
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Deutschland ist ein Paradies für Geldwäsche. Der Anti-Mafia-Staatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato, sagt: Wäre er Mafioso, würde er in Deutschland investieren. – Wir haben eine Party mit Betongold; insbesondere im Immobiliensektor herrschen große Probleme. Es geht um hässliche Dinge. Es geht um Korruption, Steuerflucht, Menschen-, Drogen- und Waffenhandel sowie die Finanzierung von Terrorismus. Das Bundesministerium der Finanzen schätzt den Umfang der Geldwäsche in Deutschland auf 100 Milliarden Euro jährlich.
Die EU verpflichtet den Finanzminister, ein neues Geldwäschegesetz vorzulegen. Einige Maßnahmen begrüßen wir.
Erstens. Das Transparenzregister, das über die wahren Eigentümer von Firmen aufklärt, soll öffentlich werden. Das ist allerdings keine Heldentat von Olaf Scholz, sondern eine Vorgabe der EU. Und Kryptogeschäfte sollen besser reguliert werden. Das ist auch bitter nötig, weil mit Libra und Co ein Darknet der Finanzen droht. Es ist aber nicht entscheidend, dass das Register öffentlich ist. Entscheidend ist, dass wahre Angaben drinstehen. Wir haben Meldeschwellen, nach denen man erst ab einem Anteil von 25 Prozent einer Firma darin auftaucht. Das heißt, man kann das Register mit Rocco und vier Brüdern austricksen.
Zweitens steigt im Immobiliensektor eine Party mit Betongold. Das treibt auch die Mieten. Ich bin kein Anhänger der Abschaffung des Bargeldes; aber es ist absurd, dass man in Deutschland ganze Wohnblöcke mit einem argentinischen Rindslederkoffer voller Geldscheine kaufen kann.
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Drittens brauchen wir ein Immobilienregister, in dem die wahren Eigentümer der Immobilien stehen. Und wir sollten Immobilienkäufe wieder über Notaranderkonten abwickeln, damit die Notare sehen, wohin das Geld fließt. Das Problem ist, dass die wahren Eigentümer eben nicht in den Grundbüchern stehen. Daher sollten Firmen dazu verpflichtet werden, den wahren Eigentümer von Immobilien gegenüber den Behörden offenzulegen. Ansonsten können Immobilien eben auch beschlagnahmt werden.
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Viertens haben wir ein erhebliches Problem im Nichtfinanzsektor, bei Notaren, Autohändlern oder Kunsthändlern. Dort sind die Bundesländer für die Aufsicht zuständig, von Standesbeamten bis zu Gerichtspräsidenten. Ich habe es hier schon einmal in einer Debatte gesagt: Ich habe keine Zweifel; Standesbeamte können toll Ehen schließen. Aber sie sind die falsche Adresse für die Geldwäschebekämpfung. – 2018 kamen nur 0,8 Prozent aller Verdachtsmeldungen aus dem Nichtfinanzsektor. Wir brauchen dringend strengere Kontrollen und Bußgelder.
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Fünftens ist das Problem bei der Financial Intelligence Unit des Zolls bei uns immer noch nicht gelöst. Es gab einige Fälle, Verdachtsmeldungen mit Bezug zur Terrorismusfinanzierung, in denen die Gelder nicht mehr eingefroren werden konnten, weil die Verdachtsmeldungen zu spät bearbeitet wurden.
Sechstens müssen wir die Strafverfolgung in Deutschland eben auch dadurch stärken, dass Landeskriminalämter von Anfang an wieder in die Erstbewertung dieser Verdachtsmeldungen einbezogen sind.
Siebtens sollten wir – auf elf Punkte komme ich wegen meiner Redezeit wahrscheinlich leider nicht – auch die schwere Steuerhinterziehung zur Vortat der Geldwäsche definieren. Nur dann können Staatsanwälte wegen Geldwäsche ermitteln.
Achtens braucht Deutschland eine Bundesfinanzpolizei wie Italien und ein Unternehmensstrafrecht. Banken, die wiederholt Beihilfe zur Geldwäsche leisten, ist die Lizenz zu entziehen.
Neuntens brauchen wir die beherzte Nutzung des Instruments der Vermögensabschöpfung. Wer über den Ku'damm mit seinem Ferrari rast und sich dem Verdacht aussetzt, in Geldwäsche involviert zu sein, der soll nachweisen, dass er dieses Auto mit legalen Mitteln erworben hat. Wenn er das nicht kann, muss man ihm das Spielzeug wegnehmen.
Wir haben also noch viel zu tun.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen herzlichen Dank, Fabio De Masi.
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort gebe, möchte ich ganz herzlich auf der Tribüne Vertreter des irischen Supreme Court begrüßen. – A warm welcome to you of the Supreme Court of Ireland in our house!
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I hope you enjoy it!
Nächste Rednerin: Dr. Irene Mihalic für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Deutschland ist ein attraktiver Ort für internationale Investitionen, für die legalen, aber leider auch für die illegalen. Darum ist es selbstverständlich höchste Zeit, dass wir hier über Geldwäsche reden.
Expertinnen und Experten schätzen, dass sich das Geldwäschevolumen in Deutschland – das ist vorhin schon einmal gesagt worden – auf bis zu 100 Milliarden Euro jährlich beläuft. Auch die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie kommt zu einem ähnlich erschütternden Ergebnis. Vor allem die Aufsicht im Nichtfinanzsektor scheint von eklatanten Defiziten geprägt zu sein. Hierzu zählt zum Beispiel die Immobilienbranche, aber auch der Handel mit hochwertigen Wirtschaftsgütern, die einen hohen Wiederverkaufswert haben.
Meine Damen und Herren, diese Erkenntnisse sind nicht neu. Auch die Warnungen der Wissenschaft und der Strafverfolgungsbehörden sind nicht neu. Kollege De Masi hat eben Roberto Scarpinato zitiert, den Oberstaatsanwalt aus Sizilien, der ebenfalls vor unglaublichen Geldströmen von Italien nach Deutschland warnt.
Ein entschiedenes Vorgehen der Bundesregierung ist bisher allerdings nicht erkennbar. Vielmehr ist ihr Handeln von Ideenlosigkeit geprägt, und das ist nicht gut, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Ohne die Vorgaben der Europäischen Union bzw. ohne die umzusetzende Geldwäscherichtlinie würden wir wahrscheinlich gar nicht über das Thema sprechen. Dabei ist die Geldwäschebekämpfung vielleicht das schärfste Schwert, das wir zur Bekämpfung bandenmäßiger und organisierter Kriminalität haben; denn ohne den Grundsatz „follow the money“ könnten viele Straftaten überhaupt nicht aufgeklärt werden, angefangen beim systematischen Steuerbetrug bis hin zum internationalen Drogen- oder sogar Menschenhandel. Meine Damen und Herren, das sind alles keine Kavaliersdelikte, sondern ganz schwere und vor allen Dingen auch gemeinschädliche Straftaten. Das müssen wir dringend zur Kenntnis nehmen.
({1})
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie enthält einige gute Ansätze – das will ich hier überhaupt nicht bestreiten –; aber er greift in einigen Punkten wirklich zu kurz. Insbesondere die Maßnahmen im Immobiliensektor, einem Hochrisikobereich, sind nicht ausreichend. Wir Grüne haben erst kürzlich genau zu diesem Thema einen Antrag mit einigen Vorschlägen vorgelegt. Ich weiß nicht, ob wir auf elf Punkte kommen oder auf acht, aber es sind sicherlich einige vernünftige Punkte dabei. Beispielsweise könnten Barzahlungen bei Immobiliengeschäften ab einem gewissen Schwellenbetrag generell untersagt werden. Oder Notare könnten dazu verpflichtet werden, Beurkundungen gar nicht erst vorzunehmen, wenn Zweifel an der Herkunft des Geldes bestehen.
Die notwendigen regulatorischen Anpassungen werden aber allesamt ins Leere laufen, wenn die Financial Investigation Unit nach ihrem desaströsen Fehlstart nicht endlich vom Kopf auf die Füße gestellt wird.
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Meine Damen und Herren der Bundesregierung, dieses Chaos bei der FIU hat die Geldwäschebekämpfung für einen ganz erheblichen Zeitraum praktisch lahmgelegt, und das geht voll auf Ihr Konto.
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Die Folgen für die Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung sind kaum absehbar. Stellen Sie sicher, dass die FIU ihre Aufgabe erfüllt und vor allen Dingen mit qualifiziertem Personal ausgestattet wird, welches auch in der Lage ist, fundierte Analysen zu erstellen. Stellen Sie sicher, dass die zuständigen Polizeibehörden die Informationen über Verdachtsfälle zeitnah erhalten, damit sie Ermittlungen einleiten können, bevor Spuren verwischt sind. Sorgen Sie für eine effektive Geldwäschebekämpfung, ohne dabei rechtsstaatliche Grundsätze zu schleifen. Und vor allen Dingen: Nehmen Sie das Thema Geldwäschebekämpfung endlich wirklich ernst. In Ihrem Gesetzentwurf ist dazu noch ein bisschen Luft nach oben!
Ganz herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Jens Zimmermann für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Situation in Berlin zurzeit anschaut, dann muss man sagen, dass wir beim Kampf gegen Geldwäsche einen großen Erfolg zu verzeichnen haben. Zum ersten Mal sind 70 Immobilien beschlagnahmt worden, die im Bereich der bandenmäßigen Kriminalität eine Rolle gespielt haben. Das ist ein großer Erfolg. Dieser Erfolg ist auf die Einführung der Vermögensabschöpfung zurückzuführen, die wir hier im Hohen Haus auf den Weg gebracht haben.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Ermittlerinnen und Ermittler in diesem Bereich die nötigen Instrumente an die Hand bekommen, um diesen schwierigen Kampf ausfechten zu können. Dafür wollen wir mit der Umsetzung der Geldwäscherichtlinie sorgen.
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Es ist wichtig, dass wir gerade im Immobiliensektor schauen, wie wir dafür sorgen können, dass, wenn ein Verdacht besteht, auch die entsprechenden Meldungen gemacht werden. Da sind viele involviert, zum Beispiel Makler und Notare. Wir wollen im Zuge der Umsetzung der Geldwäscherichtlinie dafür sorgen, dass ganz klar geregelt ist: Wer einen Verdacht hat, der muss diesen melden, er soll am Ende aber nicht dafür haftbar gemacht werden können, dass er diese Meldung abgegeben hat. – Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Verbesserung, die wir auf den Weg bringen, meine Damen und Herren.
({1})
Da die Financial Intelligence Unit schon mehrfach angesprochen worden ist, ist es mir wichtig, zu sagen: Wir haben diese Financial Intelligence Unit nach OECD-Vorbild gebildet; wer an der FIU Kritik äußert, der sollte sie auch an die FATF richten. Diese Intelligence-Einheit ist im Aufbau. Da ist nicht alles glatt gelaufen. Aber wer jetzt hier kritisiert, dass die FIU nicht gut arbeiten kann, der muss sich auch anschauen, was dazu im Regierungsentwurf steht. Wir sagen nämlich: Wenn in den Datenbanken der Länder ein Treffer erzielt wird, erhält die Financial Intelligence Unit eine werthaltige Meldung. Das wird in den Datenbanken der Länder zur organisierten Kriminalität geprüft. – Und was ist der aktuelle Stand? Die Financial Intelligence Unit bekommt keine Rückmeldung. Das wollen wir mit diesem Gesetz ändern.
Jetzt komme ich zu den Kolleginnen und Kollegen der Grünen und auch zu den Kolleginnen und Kollegen der Linken.
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– Die Grünen sind in neun Landesregierungen dabei, Frau Kollegin. Der Bundesrat hat die Bundesregierung in seiner Stellungnahme aufgefordert, das wieder zu streichen. Der Bundesrat möchte, dass wir einen weiteren Rückschritt beim Kampf gegen Geldwäschebekämpfung machen. Dafür tragen Sie eine Mitverantwortung, Frau Kollegin.
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Es geht natürlich auch um das Thema Kryptowerte. Das ist ein zweites wichtiges Thema. Am 5. September sind 95 000 Bitcoins überwiesen worden. Das hört sich erst einmal nicht ganz so viel an. 95 000 ist zwar eine hohe Summe, das entspricht aber ungefähr 1 Milliarde Dollar. 1 Milliarde Dollar wurde transferiert, niemand weiß, von wem an wen. Deswegen ist es wichtig, dass wir in diesem Bereich die gleichen geldwäscherechtlichen Vorkehrungen treffen wie im sonstigen Finanzbereich. Ich glaube, die Strategie, dass die Sparkassen und Volksbanken sich jetzt durch Dienstleistungen im Bereich Bitcoins sanieren sollen, ist, glaube ich, eine sehr wackelige Strategie. Es ist ganz klar: Wer das machen möchte, muss die gleichen Sorgfaltspflichten erfüllen wie alle anderen Finanzinstitute auch.
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Ich glaube, in der Anhörung werden wir eine spannende Diskussion über dieses Thema haben. Wir haben koalitionsseitig einige weitere Themen eingebracht. Der Kollege Müller hat einiges davon schon erwähnt. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir es schaffen würden, seitens des Bundes eine klare Position gegenüber den Ländern einzunehmen und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die den Kampf gegen Geldwäsche für uns führen, die notwendigen Instrumente an die Hand bekommen.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 19/13827 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Niederlassungserlaubnis erhält ein Ausländer einen dauerhaften Aufenthaltstitel, das Schlüsselrecht für viele weitere Rechte – ein streng zu schützendes Gut, das nur nach klaren Regeln sorgsam und gerecht zu handhaben ist.
An dieser Klarheit und Gerechtigkeit mangelt es. Die gegenwärtigen Bestimmungen bevorteilen Asylanten, Genfer-Konvention-Flüchtlinge, Resettlement-Flüchtlinge im Vergleich zu sonstigen Ausländern. Also: Problem Ungleichbehandlung. Da hat man abgeschwächte Voraussetzungen, was speziell diese Gruppe stark begünstigt. So reicht für die Vorzugsausländer beim Sprachniveau der deutschen Sprache schon weniger als „ausreichende Beherrschung“ und statt fünf Jahren Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung schon null Jahre, und statt vollständiger eigener Sicherung des Lebensunterhalts reicht schon die Hälfte, und bei Sicherung zu drei Vierteln und Beherrschung der deutschen Sprache winkt der Anspruch auf die Niederlassungserlaubnis schon nach drei Jahren. Das, meine Damen und Herren, ist in Wahrheit nichts anderes als ein Ansiedlungsprogramm.
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Problem falsche Logik. Diese Bevorteilung entbehrt jeder logischen Begründung. Diese Personen kommen ja meist als Schutzbedürftige lediglich aufgrund der jeweils aktuellen Zustände in ihrem Heimatland. Sie sind auch mit einem befristeten Aufenthaltstitel in Sicherheit und voll versorgt. Also: geringerer Einwanderungsstatus, aber dafür mehr Privilegien? Ein doppelter Unsinn – weg damit!
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Problem Wählertäuschung. Schutzgründe bestehen nur so lange wie der Fluchtgrund im Heimatland. Kanzlerin Merkel sagte 2016:
… das ist ein temporärer Aufenthaltsstatus. Und wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist, … ihr … wieder in eure Heimat zurückgeht.
Stattdessen jetzt eine dauernde Aufenthaltsregelung? Da darf der Bürger sich fragen, ob er wiederum, wie im September 2015, in seinen Erwartungen an Recht und Gesetz getäuscht werden soll.
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Problem Kosten. Bei Erteilung dauerhafter Aufenthaltstitel mit gegebenenfalls jahrzehntelangem Bezug von Sozialleistungen ist höchste Wachsamkeit geboten. Die forcierte massenhafte Migration in unsere Sozialsysteme muss beendet werden.
Problem falsche Anreize. Zu den schon weltweit einmalig attraktiven Aufnahmebedingungen Deutschlands kommt diese Privilegierung noch hinzu. Auch wegen dieser Verstärkung des Magneten ist ihre Abschaffung geboten.
({3})
Problem Sekundärmigration. Solche Privilegierung erzeugt erst die Binnenmigration des Asyltourismus innerhalb Europas. In 2018 gab es in Deutschland fast 50 000 Asylgesuche mehr, als Migranten in ganz Europa eingereist waren. Diese Leute wissen nur zu gut, weshalb sie weiter nach Deutschland wollen. Dem Irrsinn dieser speziell deutschen Anreize muss ein Riegel vorgeschoben werden.
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Problem ideologische Politik. Diese Verstetigung des Aufenthalts der sogenannten Flüchtlinge um jeden Preis ordnet sich ein in eine eklatante ideologische Linie von ähnlich sachfremden Gesetzen: -
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Herr Curio, ich habe die Redezeit angehalten. Gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der Grünenfraktion?
Nein. – Fachkräftezuwanderungsgesetz, das jeden Zuwanderungswilligen bevorzugt, völlig unabhängig davon, ob er benötigt wird: Wegfall der Vorrangprüfung, der Beschränkung auf Mangelberufe, der Voraussetzung einer Arbeitsplatzzusage, oder Ausbildungsduldungsgesetz, das jeden abgelehnten Asylbewerber, der Deutschland in der Regel betrogen und finanziell geschädigt hat, mittels Spurwechsel doch noch an den deutschen Boden heften will – ein weiterer Migrationsanreiz. Die Absicht, hiermit die künftige Wählerdemografie zu eigenen Gunsten zu verschieben, darf der Regierung unterstellt werden. Fehlender Grenzschutz, Bruch von Dublin III – das heißt: Zuständigkeit des Erstzutrittsstaats – runden das Bild ab.
Und jetzt Herrn Seehofers Zusage: Jeden Vierten nehmen wir, bitte. – Warum nicht ein Foto, wie er abzählt! Das wäre eine würdige Fortsetzung von weiland Frau Merkels Selfie-Reisewerbung.
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Und jetzt die jedes Maß sprengende Kriminalisierung der AfD. Herr Laschet will uns „bis aufs Messer“ bekämpfen – offenbar in Migrantenbrauchtum schon gut integriert.
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Sie soll davon ablenken, dass die Regierung permanent aus Illegalität Legalität machen will und so Illegalität fördert.
Meine Damen und Herren, die Niederlassungserlaubnis ist meist der entscheidende Schritt zum Erwerb der Staatsbürgerschaft, wo dann ohne Not und massenhaft kulturfremde und oft nicht integrationswillige Ausländer zu Wahlberechtigten gemacht werden. Deshalb Schluss mit so einer inländerfeindlichen Politik, die zunehmend auch die Souveränität der deutschen Bürger hierzulande aushebelt.
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Alle Abgeordneten des gesunden Menschenverstands müssen gemeinsam eine schadenstiftende Regierung aus dem Sattel heben, und das bald.
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Das Wort hat der Abgeordnete Alexander Throm für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal ein Antrag der AfD zum Aufenthaltsgesetz. Diesmal hat die AfD eine himmelschreiende Ungerechtigkeit bei der Erteilung von Niederlassungserlaubnissen entdeckt. Ich zitiere aus dem Gesetzentwurf: Das schafft „Ausländer erster und zweiter Klasse“.
({0})
Hoppla! Was ist da denn los bei der AfD? Man reibt sich verwundert die Augen. Will die AfD jetzt den Ausländern zweiter Klasse helfen? Nein, ganz im Gegenteil: Sie will mit diesem Gesetzentwurf alle Ausländer zu Ausländern zweiter Klasse machen.
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Und dann diese Vorführung hier heute von Ihnen, Herr Curio. Sie bleiben damit der Linie der AfD treu. Ich will durchaus zugestehen, dass der Gesetzentwurf, wie Sie ihn formuliert und begründet haben, zwar falsche und schlechte Argumente beinhaltet; aber sachlich. Das, was Sie heute hier betreiben, ist Hetze, Angstmache und das Verdrehen von Tatsachen, und das ist Ihre Masche.
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Jetzt zum Thema zurück. In der Tat, wir haben mit dem Integrationsgesetz 2016 eine saubere Differenzierung und Abstufung für die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen vorgenommen.
({3})
Damals wurde nämlich die Erfüllung der Voraussetzungen, als Asylbewerber anerkannt zu werden oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention Schutz zu erhalten, deutlich verschärft. Bis dahin, 2016, konnte die Niederlassungserlaubnis nämlich bereits nach drei Jahren ohne die Erfüllung weiterer Voraussetzungen erreicht werden, quasi durch Absitzen der Zeit. Das war nicht zielführend.
Deswegen haben wir hier klare Kriterien eingeführt: etwa Vorhandensein von ausreichendem Wohnraum, hinreichende Deutschkenntnisse und überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts. Wenn das gegeben ist, dann kann man nach fünf Jahren die Niederlassungserlaubnis erhalten. Wenn man ganz besondere Integrationsanstrengungen vorgenommen hat, dann kann man sie schon nach drei Jahren erhalten, nämlich dann, wenn man seinen Lebensunterhalt weit überwiegend sichern kann. Das sind nach Ihrer Definition die Ausländer erster Klasse.
Die Ausländer zweiter Klasse sind alle anderen, einschließlich der subsidiär Schutzberechtigten.
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An die stellen wir in der Tat höhere Anforderungen: eine volle Lebensunterhaltssicherung und bessere Deutschkenntnisse und die Erfüllung weiterer Voraussetzungen. Warum – das hätten Sie sich doch einmal überlegen sollen – gibt es da eine Differenzierung? Ganz einfach: weil diejenigen, die asylberechtigt oder anerkannter Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind, in ihrer Person direkt verfolgt sind. Diese Menschen genießen gerade vor dem Hintergrund unseres Mottos „Humanität und Härte“ zunächst unseren Schutz und unsere Fürsorge.
Da diese Menschen persönlich verfolgt sind, werden sie in ihrer weit überwiegenden Zahl in Deutschland bleiben. Das müssen wir mit aller Ehrlichkeit sagen. Es gehört dazu, dass auch Sie das Ihren Wählerinnen und Wählern sagen.
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Es geht um diejenigen, die persönlich verfolgt sind.
Darüber hinaus müssen wir auch Integrationsbemühungen fördern, und wir sollen dazu auch motivieren. Genau dies tun wir, indem wir hier eine klare Abstufung vorgenommen haben. Deswegen halten wir auch an dieser Regel fest.
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Nochmals: Wir haben es mit Personen zu tun, die persönlich verfolgt sind.
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Deswegen wäre es eigentlich gut, wenn auch Sie einmal eine Differenzierung vornehmen würden. Dann können wir Ihnen hier nämlich die Sorge vor einer großen Ungerechtigkeit nehmen. Wir nehmen diese Differenzierung vor. Ich würde vorschlagen, dass Sie das in Zukunft auch tun
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– Sie haben es, glaube ich, nicht verstanden –,
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und diese unerträgliche Hetze, die Sie hier in diesem Hohen Hause immer wieder vollführen, einfach unterlassen.
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Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Benjamin Strasser das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Und täglich grüßt das Murmeltier“ wäre eigentlich der bessere Titel für diese Debatte: einmal wieder völlig überraschend ein Gesetzentwurf aus der rechten Ecke zum Thema Flüchtlinge. Diesmal geht es um das Aufenthaltsgesetz. Alles nicht unbekannt, möchte man meinen; doch zwei Dinge sind komplett neu in Ihrem Papier.
Erstens. Kollege Throm, mir ist auch aufgefallen, dass die AfD in ihrer Gesetzesbegründung von Ausländern erster und zweiter Klasse spricht. Ich dachte, für die AfD gibt es gar keine Ausländer erster Klasse. Das ist schon einmal bemerkenswert.
Zweitens. Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, liebe Kolleginnen und Kollegen: An keiner einzigen Stelle hat der Kollege Curio eine konkrete Zahl genannt, und das ist sehr ungewöhnlich, weil Sie von der AfD bei Flüchtlingsdebatten mit Millionen nur so um sich werfen.
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Sie können das Problem nicht in Zahlen beziffern; denn Sie wissen ganz genau, dass Ihre These, die Niederlassungserlaubnis würde von Schutzsuchenden geradezu ausgenutzt, den Zahlen gar nicht standhält – ganz nach dem Motto: Verwirre mich nicht mit Fakten; meine Meinung steht fest.
({1})
Aber ich will vor der Öffentlichkeit und im Plenum einmal die Fakten darlegen, die Sie wahrscheinlich wissentlich verschweigen. Ein Blick in das Ausländerzentralregister macht deutlich, dass seit dem Integrationsgesetz 2016 – das benennen Sie auch – die Zahl der Schutzsuchenden mit unbefristetem Aufenthaltsstatus von 268 265 am Ende des Jahres 2016 auf 265 465 Personen am Ende des Jahres 2018 zurückgegangen ist. Wenn Sie also von einem Pull-Faktor sprechen, dann ist das eine Sogwirkung nach unten und nicht nach oben, wie Sie in Ihrer Gesetzesbegründung behaupten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit habe ich mich eigentlich genug mit diesem Gesetzentwurf einer Fraktion beschäftigt, die Zuwanderung nicht nur rundherum ablehnt, sondern sie auch mit kruden Definitionen wie „Umvolkung“ und anderen Begriffen „verschönert“. Wohin das führt, das haben wir ja letzte Woche erlebt.
Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ein kurzes Wort an die Regierungsfraktionen. Mit Ihrem Klein-Klein in der Einwanderungspolitik machen Sie es gerade diesen Leuten viel zu leicht. Ihr Stückwerk beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz löst viele Fragen nicht. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz aus einem Guss. Solange Sie das nicht schaffen, werden Sie solche Reden hier nicht verhindern können.
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Wir Freie Demokraten haben einen Vorschlag für ein Einwanderungsgesetzbuch eingebracht, das alles regelt: die Einwanderung nach Deutschland, den Schutz von Schutzbedürftigen, aber auch die Themen „Abschiebung“ und „Ausreise“.
Zum letzten Thema, Abschiebung, möchte ich schon noch einmal ein Wort sagen. Wahr bleibt: Sie schieben die Falschen ab in diesem Land. Sie schieben die Menschen ab, die sich integriert haben. Sie schieben die Menschen ab, die einen Arbeitsplatz haben,
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die bei Handwerkern, bei Unternehmen an der Werkbank arbeiten und einen Beitrag für unser Gemeinwesen leisten. Auf der anderen Seite sind Sie nicht in der Lage, die wirklich gefährlichen Personen außer Landes zu bringen. Der Fall Sami A. hat es gezeigt. Innenminister Seehofer hat groß angekündigt, den Fall zur Chefsache zu machen. Das Land NRW hat er damit alleingelassen. Integrationsminister Stamp musste handeln. Herr Seehofer hat nur geredet. Deswegen der Appell an Sie: Sorgen Sie für eine geregelte Einwanderung nach Deutschland, damit Fachkräfte auch die Chance haben, auf unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen!
Vielen herzlichen Dank.
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Das Wort hat Dr. Lars Castellucci für die SPD-Fraktion.
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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es darum, wer unter welchen Bedingungen einen sicheren Aufenthaltsstatus in unserem Land erhalten soll. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist klar: Wir arbeiten dafür, dass alle Menschen einen sicheren Aufenthalt, einen sicheren Stand im Leben haben. Es gehört für uns zur Würde des Menschen, ihn nicht dauerhaft in der Unsicherheit zu lassen. Freiheit ist unser erster Grundwert, aber Freiheit braucht auch ein Maß an Sicherheit. Diese zu erhalten und zu stärken, bei uns, aber auch in internationaler Zusammenarbeit, das ist unser fortgesetztes Streben.
({0})
Unser Aufenthaltsgesetz regelt, wer unter welchen Bedingungen hier im Land bleiben kann. Diese Regelungen sind wichtig; denn Freiheit bedeutet natürlich nicht, dass jeder machen kann, was er will. Freiheit trifft immer auch auf die des anderen. Im Aufenthaltsgesetz ist geregelt, wie man unser Land rechtmäßig betritt, und auch, wie man es wieder zu verlassen hat, wenn man sich unrechtmäßig aufhält. Diese Regeln müssen eingehalten werden, und daran arbeitet diese Koalition mit großem Nachdruck.
({1})
Dabei liegen durchaus auch noch Aufgaben vor uns; das ist unbestreitbar. Noch immer leben viele Menschen mit ungesichertem Aufenthalt unter uns. Über Jahre hangeln sie sich von Duldung zu Duldung. Das ist für niemanden gut. Sie können nicht mehr zurück, aber sie können bei uns auch nicht richtig ankommen. Diese sogenannten Kettenduldungen müssen wir überwinden.
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Insgesamt – Herr Strasser, da gebe ich Ihnen durchaus recht – ist unser Aufenthaltsrecht zu kompliziert und zu unübersichtlich. Wir sind ein Einwanderungsland. Es ist eine historische Leistung dieser Koalition und insbesondere der SPD-Bundestagsfraktion, die das durchgesetzt hat, dass wir ein Einwanderungsgesetz haben.
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Aber wir sind damit noch nicht am Ende. Auch wir wollen ein Einwanderungsrecht aus einem Guss, stimmig und in sich kohärent. Das werden wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr erreichen, aber es bleibt unser Vorhaben, an dem wir festhalten.
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Nun zum vorliegenden Gesetzentwurf. Es geht darin darum, dass Flüchtlinge im Vergleich zu Migrantinnen und Migranten unter erleichterten Bedingungen einen dauerhaften Aufenthalt in unserem Land, eine Niederlassungserlaubnis erreichen können. Es wird in diesem Gesetzentwurf behauptet, das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger sei gestört, und es ist von Privilegierungen die Rede. Offensichtlich soll es nach Auffassung der AfD beim Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger so sein: Nur dann, wenn man alles gleichbehandle, sei alles gut. – Das ist aber, glaube ich, nicht der Fall.
Stellen wir uns einmal vor: Sollen in Deutschland alle die gleichen Steuern bezahlen? Nein. Wir sagen: Starke Schultern sollen mehr tragen als schwache Schultern. Es ist richtig, große Vermögen stärker heranzuziehen. Man kann nicht gleichmachen, was nicht gleich ist. Es ist gut, dass wir hier Ungleiches auch ungleich behandeln.
Oder sollen wir Rentnerinnen und Rentner, die an der Theaterkasse oder beim Eintritt in den Zoo eine Ermäßigung bekommen, gleichbehandeln? Nein. Wir sagen: Die Ungleichbehandlung ist gut. Wer sein Leben lang hier gearbeitet hat, der hat, wenn er dann in den verdienten Ruhestand geht und nicht mehr das Gehalt bezieht, das er oder sie vorher hatte, ein Anrecht darauf, dass wir ihm entgegenkommen. Das ist auch eine Wertschätzung gegenüber diesen Gruppen.
Gerecht ist nicht, einfach alle gleichzubehandeln. Es ist gerecht, auch einmal Gleiches gleichzubehandeln und Ungleiches ungleich zu behandeln. Man kann Äpfel und Birnen, liebe AfD-Fraktion, miteinander vergleichen, aber man sollte dann nicht zu dem Schluss kommen, dass Äpfel und Birnen das Gleiche sind;
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sonst offenbart man einmal mehr, dass man etwas an den Augen hat. Es ist so: Gerade wenn es um Menschen in Not geht, um Geflüchtete, schauen Sie nicht hin, sondern sind ideologisch verblendet, und dann kommen auch solche Vorlagen dabei heraus.
Es gibt eine gute Begründung für die Ungleichbehandlung von Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten, was den Zugang zur Niederlassungserlaubnis angeht. Stellen Sie sich vor: Es ist irgendwo Krieg. Dann kann niemand anfangen, noch schnell einen Deutschkurs zu machen, um die Voraussetzungen zu haben, die wir hier von den Menschen verlangen, sondern dann muss man sich in Sicherheit bringen. Die Startvoraussetzungen sind unterschiedlich. Deswegen ist es auch richtig, dass wir diese beiden Gruppen unterschiedlich behandeln.
Die einen haben es schwerer; die anderen haben es leichter. Interessant ist – das ist auch schon hervorgehoben worden –, dass Ihr Verbesserungsvorschlag nun darin liegt, es für alle gleich schwer zu machen. Ich finde, das kann man bei AfD-Politik grundsätzlich als Überschrift wählen. Immer dann, wenn Sie etwas vorschlagen, wird es hinterher schlechter – für alle. Auch das kommt in diesem Gesetzentwurf einmal mehr zum Ausdruck.
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Ich behandele diesen Gesetzentwurf bislang als eine Sachfrage, aber wir wissen natürlich alle: Es ist gar keine. Wir haben die Begrifflichkeit wieder gehört: „Vorzugsausländer“, von einem „Ansiedlungsprogramm“ war die Rede. Es geht Ihnen einmal mehr darum, Geflüchtete so darzustellen, als würden sie bevorzugt behandelt, als würde ihnen etwas gegeben und anderen nicht. Sie schüren damit ausgerechnet den Neid auf eine der schwächsten Gruppen im Land, auf Menschen, die Schlimmes erlebt haben, die ihre Heimat verlassen mussten, die um ihre Angehörigen bangen. Und es ist so: Mit dieser Art von Hetze schüren Sie und sind Sie mitverantwortlich für ein Klima, das in diesem Land am Ende zu Attentaten und zu Übergriffen, wie wir sie am Wochenende gesehen haben, führt.
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Das ist die Wahrheit, und mit dieser Verantwortung müssen Sie leben.
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In dem Antrag sprechen Sie sich auch für eine einheitliche, gerechte und moderne Migrationspolitik aus. Zum Glück führen Sie die nicht aus. Ich möchte Ihnen aber sagen, wofür wir als Sozialdemokraten arbeiten. Wir haben ein Einwanderungsgesetz geschaffen, und wir treten dafür ein, dass es klare und vernünftige europäische Regeln zur Einwanderung gibt, die uns helfen, die Migration zu steuern und zu ordnen. Wir wollen ein entschlossenes Handeln, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden, und wir setzen uns ein für globale Gerechtigkeit, damit Menschen, egal wo sie geboren sind oder wo sie leben, eine faire Perspektive haben. Das sind die Aufgaben, die vor uns liegen. Sie verdienen unseren vollen Einsatz, und sie haben den vollen Einsatz der SPD-Bundestagsfraktion.
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Noch einmal: Aufenthaltsrecht – das klingt vielleicht erst mal abstrakt; aber es geht um Grundlegendes. Es geht darum, dass Menschen einen sicheren Stand im Leben brauchen. Dazu gehört, dass man nach einem arbeitsreichen Leben in diesem Land in Würde alt werden kann. Deswegen kämpfen wir für eine Grundrente. Dazu gehört, dass wir handeln, wenn Arbeitsplätze wegzufallen drohen. Deswegen Investitionen auf einem Rekordniveau, deswegen unsere Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Weiterbildung.
({10})
Dazu gehört auch, dass Menschen, die wegen politischer Verfolgung oder Bürgerkrieg in ihren Heimatländern auch absehbar keine Bleibe haben können, bei uns ankommen können, dass sie Hilfe finden, Schutz finden und Unterstützung dabei, dass sie als unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger zum Erfolg dieses Landes beitragen können. Für diese Politik, die unser Land zusammenführt und stark macht, bitte ich das ganze Haus um Unterstützung.
Vielen Dank.
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Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, teile ich Ihnen mit, dass ich mir das Vorabprotokoll dieser Debatte hierher bestellt habe. Ich meine, wahrgenommen zu haben, dass es aus der Fraktion der AfD eben eine Beleidigung gegeben hat. Ich prüfe das natürlich und behalte mir ausdrücklich vor, wenn das so stattgefunden hat, das nachträglich auch entsprechend zu sanktionieren.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Gökay Akbulut aus der Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD versucht mit diesem Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes, den rechtlichen Rahmen wieder einmal zu verschieben – und zwar ganz weit nach rechts außerhalb des rechtlichen Rahmens. Das ist aber mit uns nicht zu machen.
({0})
Nach Ihrem Wunsch sollen Flüchtlinge für den Erhalt einer Niederlassungserlaubnis die gleichen Anforderungen erfüllen müssen wie alle anderen Drittstaatsangehörige.
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Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist das Ergebnis der Schreckensherrschaft zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Der völkerrechtlich verbindliche Vertrag regelt das Grundrecht auf Asyl. Sie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf von einer nicht gerechtfertigten „Privilegierung von … Flüchtlingen“. Das ist schlichtweg falsch. Wenn Sie wirklich etwas gegen die wahren Privilegierten in unserer Gesellschaft unternehmen möchten, dann sollten Sie sich vielleicht für die Erbschaft- oder Vermögensteuer aussprechen.
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Nach Artikel 34 der Genfer Flüchtlingskonvention gilt der Grundsatz, die „Eingliederung und Einbürgerung der Flüchtlinge zu erleichtern“. Und natürlich gibt es gute Gründe dafür, dass Menschen, die als Geflüchtete hierherkommen, anders zu behandeln sind als beispielsweise Fachkräfte, die hier für ein Unternehmen arbeiten. Menschen, die flüchten, haben häufig nicht die Möglichkeiten, die solche Fachkräfte oder andere Gruppen haben; denn sie können die ökonomischen Anforderungen meistens nicht bereits nach wenigen Jahren erfüllen. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen hat man gerade Artikel 34 der Genfer Flüchtlingskonvention geschaffen. Das ist auch gut so.
Schlimmer als dieser Gesetzentwurf der AfD, von der man ja nichts anderes erwarten kann, ist, dass auch die Große Koalition mit dem sogenannten Integrationsgesetz die Voraussetzung für die Aufenthaltsverfestigung bei anerkannten Flüchtlingen verschärft hat. Durch diese Verschärfungen sollen im Grunde genommen Flüchtlinge nicht wirklich ankommen, sie sollen „abschiebbar“ gehalten werden. Auch nach jahrelangem Aufenthalt und trotz Arbeit und guter Integration sollen sie nach wie vor mit einer Abschiebung rechnen müssen.
Die Betroffenen stecken oftmals jahrelang in einem Teufelskreis. Sie haben keine sichere Aufenthaltsperspektive und deshalb kaum Chancen auf dem Arbeits- oder Ausbildungsmarkt. Ohne Sicherung des Lebensunterhaltes bekommen sie aber keinen gesicherten Aufenthaltsstatus. Dennoch haben laut den aktuellen Zahlen des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung knapp 40 Prozent der Geflüchteten inzwischen einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz.
Außerdem bereichern sie auch unsere Gesellschaft kulturell im Gegensatz zu der AfD.
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So ging der Deutsche Buchpreis diese Woche an Sascha Stanisic. Ein junger Mensch, der als Kriegsflüchtling aus Bosnien nach Deutschland kam, bereichert nun die deutsche Literatur, und das ist auch gut so.
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Diese Beispiele sollten unsere Perspektive sein: die Menschen hier ankommen lassen, ihnen aufenthaltsrechtliche Sicherheiten geben, sie bei der Integration unterstützen und ihnen die gleichen Rechte einräumen. Menschen fliehen vor Krieg und Verfolgung, verlieren ihre Wohnung, Perspektive, Freunde und Familienmitglieder. Der einzige Weg aus diesem Elend ist nun mal die Flucht – so wie aktuell aus Syrien, Jemen und vielen anderen Kriegs- und Krisenherden, die Sie ja nicht sehen wollen oder können.
Man möchte niemandem wünschen, in der Haut der Menschen zu stecken, die diesen Schritt wagen müssen. Mit diesem Gesetzentwurf machen Sie deutlich, dass Sie sich von dem Grundsatz, dass Geflüchteten Schutz und eine Perspektive geboten werden muss, distanzieren. Dabei stellt unter anderem die Genfer Flüchtlingskommission das Gegenstück zum Naziregime dar. Sie ist ein Mahnmal für uns und für unsere Gesellschaft. Wir müssen diesen wichtigen Grundsatz verteidigen. Dafür steht Die Linke.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mal wieder einer dieser klassischen Initiativen der AfD, frei der Logik folgend: Was kann man eigentlich noch alles unternehmen, um geflüchteten Menschen in Deutschland das Ankommen und das Leben so schwer wie möglich zu machen.
Dabei arbeitet dieser Gesetzentwurf mit den klassischen Methoden, die wir von der AfD nur zu gut kennen. Er spielt wieder einmal verschiedene Gruppen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, gegeneinander aus. Er ignoriert die schwierigen Lebensumstände von Geflüchteten und packt Menschen in eine wirklich unerträgliche Verwertungslogik.
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Man fragt sich: Was muss eigentlich bei einem falsch laufen, wenn man behauptet, dass es gerechter zugeht, wenn man anerkannte Flüchtlinge mit Zuwanderern gleichstellt? Wie kann man allen Ernstes gesetzlich manifestieren wollen, dass ein Mensch, der zum Schutze seines Lebens vor Krieg geflohen ist, häufig alles verloren hat – Heimat, Arbeit, Besitz, Familie, Zukunft –, die gleichen Anforderungen für eine Niederlassung erfüllen muss, die jemand zu erfüllen hat, der in seinem Heimatland einen Bildungsabschluss erworben hat, sich vorbereiten konnte, schon ein bisschen Deutsch gelernt hat und freiwillig nach Deutschland kommt, um hier zu arbeiten?
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Das hat doch nichts mit Gleichstellung zu tun. Nein, dieser Gesetzentwurf hat ein einziges Ziel: Er soll einfach nur die Perspektive zerstören, dauerhaft in Deutschland bleiben zu können.
Ich gebe zu: Zu der Erkenntnis, dass gerade anerkannte Flüchtlinge diese Perspektive, diese Sicherheit brauchen, um sich zu integrieren, gerade wenn sie bereits seit Jahren in unserem Land leben, dass sie diese Sicherheit brauchen, um überhaupt die Chance zu haben, auf dem Arbeitsmarkt außerhalb des Niedriglohnsektors anzukommen, zu dieser Erkenntnis braucht es Empathie und die Bereitschaft, sich in die Lebenslage von geflüchteten Menschen hineinzuversetzen. Und wenn man mal ehrlich ist: Aufgabe humanitärer Politik, das, was Politikerinnen und Politiker zu leisten haben, ist, genau das im Auge zu behalten. Aber Augenmaß, Herz, Anstand in Ihren Reihen zu finden, wenn es um Geflüchtete geht, das ist Zeitverschwendung.
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So viel habe ich in den vergangenen Jahren gelernt.
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Deshalb überrascht dieser Gesetzentwurf auch nicht.
Aber dass Sie dann auch noch die Genfer Flüchtlingskommission und das europäische Recht, das Ihnen bei dieser Frage doch sonst piepegal ist, bemühen, um die Standards in Deutschland abzusenken, wenn es um den Anrechnungszeitraum des Aufenthaltes in Deutschland geht, ist so etwas von dreist, wirklich dreist.
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Das europäische Recht und die Genfer Flüchtlingskommission formulieren eine Mindestanforderung. Warum? Das verstehen Sie nicht; das weiß ich. Flüchtlinge sollen geschützt werden vor einem Race to the Bottom, damit Brüder im Geiste wie zum Beispiel Orban in Ungarn nicht auch noch an solche Rechte die Axt anlegen – und das ist auch richtig so.
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Es wird Sie also nicht überraschen, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. Ich freue mich auch, wenn das hier im Hause unter den Demokraten Konsens ist.
Ich wünsche mir wirklich, dass wir endlich die Ärmel hochkrempeln, dass wir beherzt die Aufgaben angehen, die die Integration von Menschen mit sich bringt – das ist nicht immer leicht –, und dass wir aufhören, ständig zu begrenzen, und stattdessen Menschen von Anfang an in die Lage versetzen, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, sich in Deutschland eine Zukunft aufzubauen.
Dass ausgerechnet ein CSU-Innenminister nun zu der späten Einsicht gelangt ist, dass es europäische Lösungen statt nationaler Alleingänge braucht, ist – das kann man auch mal sagen – sehr überraschend für uns Grüne. Umso mehr bestürzt und irritiert es uns, zu erleben, wie viel Gegenwind Horst Seehofer für diese Initiative jetzt gerade aus den eigenen Reihen bekommt. Ich kann nur sagen: Wir Grüne stehen an seiner Seite in dem Bemühen, Menschen, die in der EU Schutz suchen, solidarisch auf die Mitgliedstaaten zu verteilen und ein faires Asylverfahren in allen Ländern zu gewährleisten.
Wenn am Ende eines Verfahrens ein Schutzanspruch bescheinigt wird, dann ist es unsere Aufgabe, diesen Menschen hier eine Perspektive zu bieten, ihnen dabei zu helfen, sich zu integrieren, und sie hier wirklich ankommen zu lassen; denn – das muss man auch sagen – gerade das Beispiel Syrien zeigt, wie langwierig und vertrackt manche Konflikte verlaufen können. Wer hier gegen die sichere Bleibeperspektive der Betroffenen Stimmung macht, der gefährdet unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt, unseren Frieden und verspielt eben auch die Chance einer guten Integrationspolitik.
Herzlichen Dank.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Michael Kuffer das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Aufenthaltsgesetz ist eines der zentralen Instrumente unserer Ausländerpolitik, und selbstverständlich stehen wir als CSU zu unserem Versprechen an die Bürger für eine Politik der dauerhaften Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Wir wissen, wir handeln dabei mit dem Mandat der Mehrheit unserer Bevölkerung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Humanität und Ordnung – diesen Zweiklang haben wir immer wieder betont, und er ist auch für die hiesige Debatte wichtig. Wir wollen die Reaktion auf internationale Krisen und die Humanität in Einklang bringen mit den innenpolitischen Interessen und der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit Deutschlands.
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Als CSU haben wir uns dabei wahrlich nie dem Verdacht ausgesetzt, nicht bis zuletzt hart in der Sache und, wenn es sein muss, um jedes einzelne Detail verhandelt und gekämpft zu haben. Dabei mussten wir – das wissen Sie – auch manches Mal die Schmerzgrenzen in Fraktion und Koalition ausreizen. Wir handeln dabei aber aus Überzeugung und werden es jederzeit wieder tun, wenn es sein muss. Und das hat sich auch ausgezahlt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das gilt gerade mit Blick auf die weitreichenden Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre, sei es die massive Senkung der Asylantragszahlen, die wir damit erreicht haben, die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte oder die Stärkung und Ordnung im Bereich der Rückführung. Die CSU hat jeweils geliefert.
Aus diesem Grund, liebe Kollegen von der AfD, lassen wir uns auch von Ihnen heute keinen Sand in die Augen streuen, wenn Sie wieder einmal versuchen, mit Ihrem Gesetzentwurf den Eindruck zu erwecken, hier dringend notwendige und angeblich längst überfällige Änderungen auf den Weg bringen zu müssen. Das ist nämlich schlicht nicht der Fall. Ich will Ihnen auch erklären, warum es hier überhaupt keinen Handlungsbedarf gibt.
Die von Ihnen angemahnten Unterschiede in den Voraussetzungen zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz und einer solchen nach § 26 Absatz 3 Aufenthaltsgesetz betreffen eben nicht, anders als von Ihnen behauptet, zwei vollkommen vergleichbare Personengruppen; vielmehr unterscheiden sie sich wesentlich. Der wesentliche Unterschied an dieser Stelle besteht in einem unterschiedlichen Grund und einem gänzlich unterschiedlichen Aufbau für die Aufenthaltserteilung in Deutschland.
Wohingegen Personen, die für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 3 zu bewerten sind, vor Beginn ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik beispielsweise aus privaten Gründen oder auch, um hier zu arbeiten, die geforderten Kriterien bereits erbringen mussten, um überhaupt eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen, handelt es sich bei der zweiten Gruppe um Menschen, die einen Aufenthaltstitel aus ganz anderen Gründen, nämlich aus humanitären Gründen, haben. Sie können diese beiden Gruppen nicht gleichsetzen. Das meine ich gar nicht in erster Linie moralisch – das auch –, sondern vor allem schlicht rechtstechnisch.
Einfach ausgedrückt: Bei der einen Gruppe, nämlich der Gruppe der Ausländer ohne humanitäre Aufenthaltsgründe, ist die Integration Voraussetzung für das Bleiberecht, bei der anderen Gruppe, der Gruppe der Ausländer mit humanitären Aufenthaltsgründen, ist die Integration die notwendige Konsequenz aus dem Bleiberecht, das aus anderen Gründen besteht.
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Oder noch einfacher gesagt: Im einen Fall folgt das Bleiberecht der Integration, im anderen Fall die Integration dem Bleiberecht.
Ich will noch einmal darauf hinweisen: Mit der von uns im Zuge des Integrationsgesetzes initiierten Gesetzesverschärfung im Jahr 2016 haben wir die Hürden für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bereits erheblich erhöht und damit ein vernünftiges und stimmiges Maß erreicht. Insofern gibt es keinen Änderungsbedarf. So wie es ist, ist es gut, und so wie es ist, soll es auch bleiben. Deshalb werden wir Ihren Gesetzentwurf, der schlichtweg sinnlos ist, ablehnen.
Vielen Dank.
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Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Detlef Seif für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die von der AfD vorgeschlagene Gesetzesänderung würde der besonderen Lage der betroffenen Personen nicht gerecht werden. Es handelt sich einerseits um anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte, andererseits aber auch um Resettlement-Flüchtlinge. Das sind besonders betroffene Personen, zum Beispiel Überlebende von Folter und Gewalt und besonders gefährdete Frauen oder Mädchen.
Meine Damen und Herren von der AfD, Herr Curio, Sie haben heute einmal mehr gezeigt, dass Sie eigentlich die Timm-Thaler-Partei sind, die Partei, die ihr Herz verkauft hat. Der AfD-Gesetzentwurf ist kaltherzig. Was Sie vorgetragen haben, ist zynisch. Keinerlei Empathie ist vorhanden und erkennbar. Natürlich können Sie bei dieser Grundeinstellung nicht nachvollziehen, dass wir diesen besonders betroffenen, gefährdeten Personenkreis auch schützen. Aber ich sage Ihnen eins: Alle anderen Personen in diesem Hause werden ihrer Verantwortung gerecht, haben das Herz an der richtigen Stelle und werden auch zukünftig diesen besonderen Personenkreis schützen.
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Um eins klarzustellen: Für alle anderen Antragsteller, diejenigen, deren Anträge abgelehnt wurden, zum Beispiel in den Fällen eines Verbots der Abschiebung oder in Fällen, in denen eine Abschiebung aus sonstigen rechtlichen Gründen nicht möglich ist, gelten selbstverständlich die höheren Voraussetzungen des § 9 Aufenthaltsgesetz,
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genauso wie für den großen Kreis der subsidiär Schutzberechtigten. Sie bauschen ein Problem auf, das keins ist; denn in § 26 werden überwiegende Lebensunterhaltssicherung und hinreichende Sprachkenntnisse vorausgesetzt.
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Das sind bereits Voraussetzungen, die für viele Flüchtlinge unüberwindbar sind, die sie nie erfüllen werden. Die Regelung fordert nämlich, dass sie ihren Lebensunterhalt zu mindestens 50 Prozent sicherstellen. Das bedeutet für eine mehrköpfige Familie ein Einkommen von 1 000 Euro netto oder auch weitaus mehr. Das Sprachniveau A2 – darüber lachen wir vielleicht – werden viele Flüchtlinge nie erreichen. Deshalb wird das auch in der Zukunft theoretischer Natur bleiben und kein Massenproblem sein.
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Aber es gibt etwas viel Gravierenderes – ich habe, direkt gesagt, den Gesetzentwurf nicht gelesen; da ist sicher wieder irgendein rechtlicher Fehler drin oder irgendetwas dogmatisch falsch –: Die Bundeskanzlerin hat gesagt, man müsse den Menschen aber auch sagen, dass es sich um einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus handelt. Daraus leiten Sie jetzt ab, die Ansicht der Bundesregierung – so behaupten Sie – stehe im eklatanten Widerspruch zur privilegierten Niederlassungserlaubnis. Das ist falsch und entspricht nicht der Rechtslage. Natürlich haben wir im Wege eines zweistufigen Verwaltungsverfahrens – ob das gewünscht ist oder nicht, ist eine andere Frage – rein rechtlich die Möglichkeit, über das BAMF den Status als Asylberechtigter, den Status als Flüchtling zu entziehen, wenn in der Heimat keine Verfolgung mehr droht. Und wenn dieser erste Schritt in dem zweistufigen Verfahren getan ist, dann kann die Ausländerbehörde natürlich im zweiten Schritt auch die Aufenthaltserlaubnis, hier die Niederlassungserlaubnis, widerrufen. Das haben Sie nicht gesehen und behaupten hier Falsches.
Der AfD-Antrag ist abzulehnen. Er gehört in den Bundestagsschredder. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Vielen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Masern gehören zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten des Menschen. Sie sind alles andere als eine harmlose Kinderkrankheit. Masern können mit schweren Komplikationen und Folgeerkrankungen einhergehen. In seltenen Fällen enden sie sogar tödlich.
Eine große Zahl von Kindern, von Jugendlichen und von Erwachsenen ist heute nicht geimpft. So kommt es, dass allein in diesem Jahr deutschlandweit mehr als 490 Masernfälle gemeldet worden sind. Das ist die aktuelle Situation.
Was ist unser Ziel, und wo wollen wir hin? Wir wollen die Masern ausrotten. Ich will, dass kein Kind mehr an Masern erkrankt, und ich will, dass niemand mehr an den Folgen dieser Krankheit stirbt.
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Die Ausbreitung von Masern kann unterbunden werden. Dazu ist es erforderlich, dass mindestens 95 Prozent der Bevölkerung gegen Masern immun sind. Dann entsteht ein Gemeinschaftsschutz, von dem auch diejenigen profitieren, die sich selbst gar nicht impfen lassen können. Den besten Schutz vor Masern bieten Impfungen. Es ist doch eine Errungenschaft der Zivilisation und ein Erfolg des medizinischen Fortschritts, dass wir heute hochwirksame und verträgliche Impfstoffe zur Verfügung haben.
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Wahr ist auch: Die Rahmenbedingungen für die Impfprävention sind in den letzten Jahren verbessert worden. Aber obwohl die Rahmenbedingungen verbessert worden sind, gibt es heute noch Impflücken, insbesondere beim Masernschutz. Auch das gehört zur aktuellen Lage dazu.
Mit einem Gesetz wollen wir nun weitere Maßnahmen ergreifen. Der Schutz vor Masern wird verbessert, und die Prävention durch Schutzimpfungen wird weiter gestärkt. Was sieht dieser Gesetzentwurf nun vor? Kinder und diejenigen, die in die Schule und in die Kitas kommen, müssen einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern oder aber eine Immunität gegen Masern aufweisen. Dies gilt auch für Personen, die zum Beispiel in Asylbewerberunterkünften untergebracht werden sollen. Gleiches soll für diejenigen gelten, die in solchen Einrichtungen oder auch in medizinischen Einrichtungen tätig sind. Ich sage: Das ist konsequent.
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Entsprechende Nachweise über den Masernimpfschutz oder die ‑immunität müssen grundsätzlich gegenüber der Leitung der jeweiligen Einrichtungen erbracht werden. Wer einen entsprechenden Nachweis nicht erbringen kann, darf in den genannten Einrichtungen grundsätzlich nicht aufgenommen oder tätig werden. Dies gilt im Übrigen nicht für schulpflichtige Kinder und Jugendliche, weil klar ist: Die Schulpflicht hat Vorrang.
Aber das ist noch nicht alles. Zusätzlich sehen wir weitere wesentliche Schritte vor, um die Impfprävention in unserem Land zu stärken. So soll zum Beispiel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Bevölkerung verstärkt zielgruppenspezifisch informieren. Fachärzte sollen unabhängig von Fachgebietsgrenzen impfen dürfen. Und: Die Impfdokumentation soll künftig auch elektronisch erfolgen.
Meine Damen und Herren, im 70. Jahr des Bestehens des Grundgesetzes haben wir natürlich im Blick, dass unsere Verfassung insbesondere das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit garantiert. Daraus folgt aber nicht nur ein Abwehrrecht der Bürgerinnen und Bürger, sondern daraus folgt eben auch eine Pflicht, und zwar die Pflicht des Staates, die Gesundheit insbesondere der Schwächsten in dieser Gesellschaft aktiv zu schützen. Ich denke dabei zum Beispiel an Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Ich denke insbesondere an Säuglinge.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung zwar keine allgemeine Impfpflicht vorgesehen. Vielmehr haben wir die Regelungen zu einem verpflichtenden Masernschutz so zugeschnitten, dass insbesondere die Personen geschützt werden, die in Einrichtungen regelmäßig mit anderen Personen in Kontakt kommen.
Unser Gesetz sieht auch vor, dass die Bevölkerung besser über das Thema Impfen zu informieren ist. Aber ich sage: Informieren alleine reicht nicht. Deswegen gehen wir mit diesem Gesetz nun einen Schritt weiter. Wir haben nämlich nicht nur eine Verantwortung für das, was wir tun, sondern wir haben auch eine Verantwortung für das, was wir nicht tun. Deswegen: Handeln wir konsequent. Für unsere Kinder!
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Ulrich Oehme für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Dem Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, können wir als AfD nicht zustimmen. Er ist der wiederholte und gezielte Angriff auf die Freiheitsrechte unserer Bürger. Anstatt die Bürger in dieser wichtigen Frage mitzunehmen, werden wieder Zwang und Sanktionen bei Verstößen angedroht.
Lassen Sie mich unsere Hauptkritikpunkte noch mal zusammenfassen.
Erstens. Das Gesetz betrifft hauptsächlich die Impfung von Kindern, obwohl deren Durchimpfungsrate mit 97,1 Prozent bei Erstimpfung über den 95 Prozent, der Vorgabe der WHO, liegt.
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Das zeigt uns doch, dass die Eltern sehr verantwortungsvoll handeln. Die eigentliche Impflücke bei den Erwachsenen im Alter zwischen 20 und 50 wird damit nicht geschlossen. Nicht zuletzt würden circa 88 Prozent der Kinder sinnlos ein zweites Mal zwangsgeimpft. Cui bono? Wem nützt das?
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Zweitens. Frankreich und Tschechien beispielsweise weisen trotz Impfpflicht eine höhere Rate an Masernerkrankungen als Deutschland auf. Zwang führt zu Widerstand, auch bei denen, die sich freiwillig impfen lassen.
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Menschen holen sich ihre Freiheit auf anderen Wegen wieder.
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Wollen Sie den Zwang dann noch mehr erhöhen? Einen Vorgeschmack bieten Ihre Fraktionskollegen in Thüringen. Dort will man bezüglich aller Empfehlungen der Ständigen Impfkommission pflichtimpfen. Wem nützt es?
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Drittens. Im Gesetzentwurf zur Masernimpfung verbirgt sich auch, dass, wenn Mehrfachimpfstoffe zur Verfügung stehen, diese verwendet werden müssen. Damit wird die Mitimpfung gegen andere Erreger legitimiert.
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Es wird derzeit kaum ausschließlich gegen Masern, sondern hauptsächlich gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft.
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Und wer bestimmt zukünftig, welche anderen Stoffe noch mitgeimpft werden? Die Industrie?
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Warum dann nicht noch Tetanus, Diphtherie, Pneumokokken in den Impfstoff packen?
Viertens. Weiterhin wird ganz bewusst vergessen, dass sowohl Bund als auch Länder bereits über Instrumente zur Epidemiebekämpfung verfügen. Die Voraussetzung für die Klassifizierung von Masern als Epidemie, die eine Impfpflicht nach § 20 Absatz 6 bzw. Absatz 7 Infektionsschutzgesetz legitimieren würde, besteht nach Aussage des Robert-Koch-Institutes derzeit überhaupt nicht.
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Nicht zuletzt möchte ich anmerken, dass der Gesetzentwurf ein Verstoß gegen mehrere im Grundgesetz verankerte Grundrechte ist, beispielsweise das Recht auf körperliche Unversehrtheit,
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das Elternrecht und das Gleichheitsrecht im Verhältnis zwischen Kind und Eltern.
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Wir möchten nicht, dass der Staat die Aufgaben der Eltern übernimmt.
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In einem darf man Grünen und FDP aber zustimmen: Niedrigschwellige Angebote und Aufklärung würden in der Tat dabei helfen, auch bei diesem Thema das Vertrauen und die Zustimmung der Bevölkerung wieder zu erhöhen,
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aber nur dadurch und nicht durch Zwang. Deshalb begrüßen wir höhere Aufwendungen für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Allerdings verstehen wir nicht, warum jetzt das Thema Masern überhaupt so in den Vordergrund gerückt wird.
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Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts der letzten 20 Jahre beweisen, dass die Zahl der Erkrankungen ständig schwankt. So gab es 2001 6 139 Erkrankungen und 2018 nur 543.
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6 139 Erkrankungen: Das sind gerade einmal 0,007 Prozent der Bevölkerung. Gibt es nicht wichtigere Probleme in diesem Land?
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Wie sieht die Bundesregierung das Thema Krankenhaushygiene und Schutz vor multiresistenten Keimen?
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Den 56 Maserntoten zwischen 2007 und 2017 stehen rund 2 400 Tote allein im Jahr 2015 entgegen. Das sind sechs Tote pro Tag. Reaktion der Bundesregierung: keine.
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Wir müssen wieder das herstellen, was die Menschen in diesem Land verloren haben: Vertrauen in die Institutionen und in die Gerechtigkeit des Staates.
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Beenden wir diese Farce und geben den Menschen das zurück, was man ihnen immer wieder nehmen möchte: die freiwillige, informierte, selbstbestimmte Entscheidung über ihre eigene Gesundheit. Wem nützt es? Den Bürgern, uns, unserem Land.
Liebe Kollegen, ich freue mich schon auf die öffentliche Anhörung am Mittwoch und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Glück auf!
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Das Wort hat die Abgeordnete Sabine Dittmar für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wenn man dem Herrn Oehme so zuhört, meint man, die Welt sei voller Impfgegner und ‑skeptiker. Glücklicherweise haben Ihre Kollegen im Brandenburger Landtag da eine andere Position.
Tatsache ist doch, Kolleginnen und Kollegen, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung sehr wohl weiß, dass Impfungen ein medizinischer Segen sind. Impfungen schützen nicht nur die eigene Gesundheit, sie schützen auch das Umfeld. Wenn es aber eine so große Impfbereitschaft gibt: Warum verfehlen wir dann Jahr für Jahr erneut das erklärte Ziel, Masern zu eliminieren?
Seit über 40 Jahren stehen hierfür wirksame und auch sehr gut verträgliche Impfstoffe zur Verfügung. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung initiierte mehrere Aufklärungskampagnen. Die Überprüfung des Impfstatus ist Gegenstand von diversen Vorsorge- und Gesundheitsuntersuchungen. Mittlerweile ist vor jedem Kitabesuch der Nachweis einer Impfberatung zu erbringen. Trotz all dieser Bemühungen und Regelungen haben wir weiterhin nicht tolerierbare Impflücken.
Wir benötigen bei der Masernzweitimpfung eine Impfquote von 95 Prozent, um die Herdenimmunität zu erreichen. Davon sind wir weit, weit entfernt. Für dieses Jahr sind beim Robert-Koch-Institut schon wieder fast 500 Masernfälle erfasst. 95-prozentige Herdenimmunität bedeutet, dass es in Deutschland nicht mehr als 80 Masernfälle im Jahr geben darf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Masern sind keineswegs eine harmlose Kinderkrankheit.
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Masern sind eine der ansteckendsten Erkrankungen weltweit. Wenn Sie als ungeschützte Person Kontakt mit einem Maserkranken haben, erkranken Sie zu fast 100 Prozent an Masern. Masern sind nicht nur hochvirulent. Sie sind auch hochgefährlich. Bei etwa jedem zehnten Betroffenen treten Komplikationen auf: von der Lungenentzündung bis hin zur Hirnhautentzündung. Aber besonders dramatisch sind die Spätfolgen, die oftmals erst Jahre nach der Infektion auftreten. Ich spreche hier von der subakut sklerosierenden Panenzephalitis, SSPE: Masernviren zerstören die Nervenzellen im Gehirn und führen letztendlich zum Tod.
Warum erzähle ich das so ausführlich? Masern und ein an SSPE erkrankter Patient waren Thema meiner ersten ärztlichen Prüfung. Diese dramatische Krankengeschichte hat meine Einstellung zum Thema Impfen tief geprägt. Der Junge infizierte sich im ersten Lebensjahr mit Masern, also zu einem Zeitpunkt, als der Nestschutz nachließ, die Impfung aber noch nicht durchgeführt werden konnte.
Und genau darum geht es im Masernschutzgesetz: Durch die Erhöhung der Impfquote wollen wir die Herdenimmunität erreichen. Wir wollen vulnerable Personengruppen besser schützen, also Personen, die zum Beispiel aufgrund einer Erkrankung nicht geimpft werden dürfen, und insbesondere Kinder unter neun Monaten. Deshalb halte ich es für vertretbar, notwendig und verhältnismäßig, den Nachweis eines ausreichenden Impfschutzes für Kinder, die in Gemeinschaftseinrichtungen betreut werden, und für Personen, die dort arbeiten, zu verlangen.
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Mit dieser Forderung befinde ich mich in guter Gesellschaft. Nicht nur der Deutsche Ärztetag und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, sondern laut Umfragen auch die Mehrheit der Bevölkerung stehen hinter dieser sogenannten Impfpflicht. Die Impfung ist ein leichter und zeitlich begrenzter Eingriff in die persönliche Freiheit – das hat der Staatssekretär dargestellt –, der aber von einem großen gesellschaftlichen Nutzen ist. Ich meine, die individuelle Entscheidungsfreiheit endet dort, wo die Gesundheit und sogar das Leben anderer wissentlich gefährdet werden.
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Sehr geehrte Damen und Herren, Impfungen schützen uns wirksam vor Erkrankungen. Ich möchte Sie daher direkt an die Grippeschutzimpfung erinnern. Jetzt, bei diesem herbstlichen Schmuddelwetter, ist die richtige Zeit dafür. Damit Sie es in Zukunft auch noch leichter haben und es niedrigschwelliger ist, sich gegen Grippe impfen zu lassen, haben wir gleich auch noch einen Änderungsantrag eingebracht, der es Apotheken zukünftig im Rahmen eines Modellversuchs ermöglichen wird, die Impfung durchzuführen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche ein schönes Wochenende.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Ullmann für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatten wir eine so hohe Lebenserwartung. Warum ist das so? Dank des medizinischen Fortschrittes, dank der medizinischen Forschung und dank der Möglichkeiten der Impfung gegen viele Infektionskrankheiten! Erst seit Kurzem gibt es sogar einen Ebola-Impfstoff auf dieser Welt. Das ist etwas Gutes, und dafür kämpfen wir auch in der Politik hier in Berlin.
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Wer heutzutage noch Masernpartys feiert, seine Kinder zu Masernpartys schickt, begeht für mich ganz klar Körperverletzung. Das muss aufhören, und wir werden uns hier im Bundestag dafür einsetzen, dass das nicht mehr weitergeht.
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Impfungen sind nämlich effektiv und auch sicher, liebe AfD. Impfungen verhindern Leid, Impfungen verhindern den Tod. Wer das leugnet, gehört zu den Verschwörungstheoretikern, die meinen, dass HIV eine Erfindung der CIA ist.
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Warum sind die Impfraten so niedrig? Wir haben das ja gerade schon andiskutiert. Unser Land ist sicherlich nicht voller Impfgegner. Es ist eher ein Problem des Vergessens und des Nichtwissens. Deswegen frage ich mich: Warum fokussiert sich der Gesetzentwurf nur auf Masern und nicht auch auf andere Erkrankungen wie zum Beispiel Hepatitis oder HPV? Dazu ist im Gesetzentwurf leider nichts zu finden.
Was ist mit den Erwachsenen, die außerhalb der Kitas beruflich mit gefährdeten Kindern zu tun haben, zum Beispiel in Krankenhäusern? Ich denke hier auch nicht nur an die klassischen Kinderkrankheiten, sondern auch an andere Infektionskrankheiten, die existieren. Frau Dittmar hat gerade die Grippeschutzimpfung erwähnt. Wir können empfehlen: Auch hier im Bundestag gibt es diese Impfung.
Niedrige Impfraten sind ein Indikativ für fehlendes Impfwissen. Ich frage Sie auch hier im Plenum – schauen Sie in Ihren Impfausweisen nach –: Wer von Ihnen kennt den Impfstatus bei Keuchhusten? – Nachdem Sie 18 Jahre alt geworden sind, sollten Sie mindestens einmal geimpft worden sein. Wenn nicht: Unsere Bundestagsärztin steht Ihnen sicherlich zur Verfügung, um das nachzuholen.
Machen wir uns doch ehrlich: Wenn Eltern bzw. ihren Kindern Impfungen niederschwellig angeboten werden oder automatisierte digitale Systeme sie daran erinnern würden, dann wären unsere Impfraten besser.
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Wir würden so – wissenschaftlich fundiert – die WHO-Impfquote von 95 Prozent erreichen. Das geht freiwillig, eigenverantwortlich und ohne Zwang.
Als Oppositionspartei bieten wir der Regierung Hilfestellung an. In unseren Anträgen haben wir das Thema „Niedrigschwellige Angebote“ angesprochen. Wir haben heute gehört, dass Gesundheitskompetenz durchaus etwas Wichtiges ist – auch hier im Bundestag. Dafür sollte man früh sorgen – auch bei Kindern. Das ist eine Generationenaufgabe.
Wir Freie Demokraten setzen auf Eigenverantwortung und Stärkung des Einzelnen. Doch wenn Kinder noch heute, im 21. Jahrhundert, an impfpräventablen Infektionen erkranken, leiden oder gar sterben, dann verstehen wir, dann verstehe ich als Arzt keinen Spaß mehr. Da besteht ganz klar politischer Handlungsbedarf.
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Die liberale Lebensphilosophie beinhaltet Verantwortung, auch und gerade für unsere Gesellschaft. Jeder kann eigenverantwortlich die von uns jetzt vorgeschlagenen niederschwelligen Impfangebote annehmen. Als Gesellschaft haben wir natürlich Verantwortung für alle Kinder. Wenn Eltern ihre Kinder nicht adäquat schützen, muss der Start ähnlich wie bei der Schulpflicht oder einer Kindeswohlgefährdung eingreifen. Wir Freie Demokraten sind bereit, diese Verantwortung mitzutragen.
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Das bedeutet in letzter Konsequenz die Impfpflicht. Deshalb machen Sie – Herr Dr. Gebhart kann es dem Minister gerne ausrichten – Gebrauch von der Serviceopposition. Wir bieten Ihnen an, das Masernschutzgesetz zu verbessern und ein gutes Impfgesetz zu entwickeln. Dafür stehen wir bereit. Auch ich freue mich auf die Auseinandersetzung und die Diskussion im Ausschuss.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Susanne Ferschl für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Masern sind eine hochansteckende und gefährliche Krankheit. In Europa gab es über Jahrhunderte hinweg Krankheiten, Seuchen und Epidemien, die Millionen Menschen das Leben gekostet haben. Impfungen haben diesen Zustand beendet. Im 21. Jahrhundert sollte nun wirklich niemand mehr Schaden durch vermeidbare Krankheiten nehmen.
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Vor allem Menschen, die aufgrund ihres Alters oder chronischer Krankheiten nicht oder noch nicht geimpft werden können, brauchen ganz dringend den Schutz der geimpften Mehrheit, den sogenannten Herdenschutz.
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Es geht also nicht allein um eine individuelle Entscheidung, sondern auch um Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Aus all diesen Gründen befürworten wir das Ziel des Gesetzentwurfes.
In diesem Gesetzentwurf heißt es einleitend, dass das Impfen vernachlässigt wurde und es deshalb jetzt Impflücken gibt. Das stimmt. Der Staat hat sich aus der Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung vor Epidemien über die letzten Jahre immer weiter zurückgezogen. Deswegen gibt es heute kaum noch aufsuchende Impfaktionen, zum Beispiel in Schulen und Kitas. Das war früher in Ost und West gang und gäbe. Ich kann mich da noch gut an meine eigene Kindheit erinnern; da war dies üblich.
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Es gibt auch keine flächendeckenden Angebote in Betrieben, Jobcentern, Vereinen, Obdachlosenunterkünften usw. Das ist auch gar nicht möglich; denn durch die neoliberale Politik ist der öffentliche Gesundheitsdienst kaputtgespart worden.
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Das sind doch die Gründe für die Impflücken und nicht die Impfmüdigkeit der Bevölkerung. Wer hat das zu verantworten? Fragen Sie sich doch einmal, wer in den letzten Jahren den Gesundheitsminister gestellt hat, meine Damen und Herren von der CDU.
Man muss Menschen niedrigschwellige, kostenlose und lebensnahe Angebote machen. Ärzte müssen stärker über Impfschutz informieren und den Impfstatus der Patienten kontrollieren; das vorgeschlagene digitale Impfregister ist hier vielleicht ein sinnvoller Weg. Dies gilt insbesondere für erwachsene Patienten. Denn bei denen gibt es die größten Impflücken. Diese werden von dem geplanten Gesetz gar nicht erfasst.
Ich persönlich bin der Meinung, dass diese Maßnahmen hätten ergriffen werden müssen, bevor man auf eine Impfpflicht setzt, die man in letzter Konsequenz mit einem Bußgeld durchsetzen will. Machen wir uns doch nichts vor: Die zahlungskräftigen Impfskeptiker werden sich freikaufen, und gerade diejenigen, die Unterstützung brauchen und vielleicht nur aus Unwissen nicht impfen, werden zur Kasse gebeten.
Statt die Weichen in der Vergangenheit richtig zu stellen, spart man die öffentliche Daseinsvorsorge kaputt, stellt dann erstaunt fest, dass es Impflücken gibt, und sieht sich dann gezwungen, ad hoc zu reagieren. Ich würde endlich von Bundesregierungen eine vorausschauende Politik erwarten.
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Dass staatlicher Zwang polarisiert, ist doch klar. Das heißt, die emotionale Debatte, die jetzt geführt wird, haben Sie letztlich mit zu verantworten.
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Wir haben jetzt sachlich darüber zu diskutieren, wie man einen wirksamen Herdenschutz herstellt. Entweder setzt man zuerst auf Aufklärung und Impfanreize, um dann zu evaluieren und erst danach gegebenenfalls eine Impfpflicht einzuführen, oder man kürzt den Weg ab und setzt parallel gleich auf eine Impfpflicht. Dabei ist in jedem Fall das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit mit dem Gemeinwohlinteresse sorgfältig abzuwägen. Diese Entscheidung müssen wir jetzt treffen. Das müssen wir – da bin ich ehrlich – auch in meiner Fraktion. Im Ziel sind wir uns aber einig: Wir brauchen dringend höhere Impfquoten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Kordula Schulz-Asche für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte sehr viele Jahre beruflich mit Infektionskrankheiten zu tun. Ich kann Ihnen sagen, ich habe Kinder gesehen, die aufgrund einer Masernerkrankung an Meningitis gestorben sind. Daher ist für mich – das gilt auch für meine Fraktion – klar: Sich impfen zu lassen, ist nicht nur Selbstschutz, sondern auch ein Akt gesellschaftlicher Solidarität.
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Ich weiß auch: Nötig sind starke Institutionen, glaubhafte Institutionen, die regelmäßig wissenschaftlich fundierte Empfehlungen zur Impfung der Bevölkerung geben. Glücklicherweise haben wir in Deutschland solche Institutionen. Ich nenne hier für viele andere das Robert-Koch-Institut und die unabhängige Ständige Impfkommission. Ich möchte an dieser Stelle besonders diesen beiden Institutionen unseren Dank aussprechen.
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Wir haben in Deutschland regional sehr unterschiedliche Impfquoten. Hier müssen wir – das wurde gerade gesagt; recht herzlichen Dank dafür – endlich die öffentlichen Gesundheitsämter in den Kreisen und Städten wieder stärken. Sie machen die Arbeit vor Ort, vernetzt mit dem Robert-Koch-Institut und vernetzt mit der Weltgesundheitsorganisation. Sie sind der Schlüssel für eine wirkungsvolle Bekämpfung aller Infektionskrankheiten.
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Für Masern empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation eine flächendeckende Impfquote von 95 Prozent in der Bevölkerung. Für den vollen Impfschutz sind zwei Impfungen notwendig. Kinder in Deutschland sind mit der Erstimpfung zu 97 Prozent geimpft, allerdings – auch das muss man beachten – sind es bei der zweiten Impfung nur noch 93 Prozent. Deshalb setzt unser Antrag gerade hier an: bei den Kindertagesstätten. Denn wir wollen, dass alle Kinder diese Bildungseinrichtungen besuchen können, gerade auch die Kinder, die aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst geimpft werden können. Das ist für uns ein ganz wesentlicher Punkt. Deswegen haben wir unseren Antrag dazu eingebracht.
Das größte Problem mit dem Schutz vor Masern haben wir jedoch bei den jungen Erwachsenen. Bei diesen liegt die Impfquote bei unter 50 Prozent. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird diese Gruppe überhaupt nicht erwähnt. Sie reden von Impfschutz. Jede Familienfeier wird zur Gefahr, weil die jungen Erwachsenen dort genauso hingehen wie die ungeimpften Kinder oder die Säuglinge, die noch nicht geimpft werden können. Das ist ein großes Loch in Ihrem Gesetzentwurf. Das zeigt, dass die Bundesregierung keine umfassende Impfstrategie vorlegen kann.
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Was gehört zu einer solchen Impfstrategie? Dazu gehört, dass zielgruppen- und regional angepasste Aufklärung stattfindet, dass die Impfangebote leicht zugänglich sind und sich in den Alltag der Menschen integrieren lassen, damit man nicht einen halben Tag Urlaub nehmen muss, um sein Kind impfen zu lassen. Natürlich brauchen wir endlich einen digitalen Impfpass mit Erinnerungsfunktion, der bitte schön auch international kompatibel ist.
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Wir sehen die Bedeutung eines solchen Impfpasses bei den Tetanusimpfungen. In Deutschland wird jeder Mensch, der einen Unfall hat, gegen Tetanus geimpft, weil man nicht feststellen kann, ob er bereits geimpft ist oder nicht. Das zeigt doch, wie wichtig es ist, moderne Techniken einzusetzen, um zu wissen, wer einen ausreichenden Impfschutz hat und wer nicht.
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Impfungen sind Selbstschutz und Solidarität. Das geht nur mit einer umfassenden Impfstrategie. Leider ist der Gesetzentwurf der Großen Koalition davon weit entfernt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Stephan Pilsinger das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Wochen haben mich zahlreiche Zuschriften von engagierten Bürgerinnen und Bürgern erreicht, die ihre Bedenken zur verpflichtenden Masernimpfung geäußert haben. Dieses Engagement respektiere ich sehr.
Als Gesundheitspolitiker und vor allem auch als Arzt warne ich aber ausdrücklich davor, die Masern zu unterschätzen. Masern gehören zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten, die wir kennen. Zudem werden Masernviren ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen. Das ist ein wichtiger Punkt; denn das heißt, dass wir dieses Virus durch lückenlose Impfungen ausrotten können. Das ist nicht nur seit über 35 Jahren das Ziel der Weltgesundheitsorganisation, sondern sollte auch das Ziel des Deutschen Bundestages sein.
({0})
Leider scheinen wir uns aktuell von diesem Ziel eher zu entfernen: Alleine bis Mai dieses Jahres wurden dem Robert-Koch-Institut bereits 420 Fälle von Masern gemeldet. Im Jahr 2018 waren es über das gesamte Jahr gesehen nur etwa 540 Fälle.
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Das können wir in einem Land mit einem solch fortschrittlichen Gesundheitssystem einfach nicht akzeptieren.
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Ich möchte Ihnen in drei Punkten gerne erläutern, warum ich Impfungen gegen Masern grundsätzlich für sinnvoll und auch für obligatorisch halte:
Erstens und ganz grundsätzlich. Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit, sondern eine hochansteckende Infektionskrankheit mit teilweise sehr schwerwiegenden Verläufen und Spätfolgen. Dabei können wir das verhindern; denn uns stehen gut verträgliche Impfungen zur Verfügung. Das Risiko einer Impfung ist deutlich geringer als das Risiko von Komplikationen bei einer Erkrankung.
Zweitens. Die Impfungen sind wirksam. Mithilfe der uns zur Verfügung stehenden Impfstoffe erreichen wir eine Immunität einfach und nebenwirkungsarm. Die Viruszirkulation ist gestoppt, wenn mindestens 95 Prozent der Bevölkerung einen vollständigen Impfschutz aufweisen. Das können wir erreichen. Vermehrte Krankheitsausbrüche in der jüngeren Vergangenheit zeigen uns jedoch: Hier bestehen noch immer Impflücken, und die sind wirklich gefährlich.
Denn – drittens – bestimmte Personen können nicht gegen Masern geimpft werden. Dazu zählen sehr junge Kinder, aber auch Menschen, die aufgrund einer schweren Erkrankung die Impfung nicht vertragen würden. Zudem gibt es Fälle, in denen Menschen überhaupt nicht oder nur vermindert auf eine Impfung ansprechen. All diese Gruppen müssen vor einer Ansteckung durch nicht geimpfte Personen geschützt werden. Hier gilt für mich ganz klar der Grundsatz: Die Freiheit des Einzelnen endet da, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird.
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Wir können nicht zulassen, dass diese besonders schutzbedürftigen Gruppen durch einen nicht ausreichenden Gemeinschaftsschutz gefährdet werden. Der vorliegende Entwurf zum Masernschutzgesetz sieht daher eine verpflichtende Impfung für bestimmte Gruppen vor. Das Impfen selbst bleibt dabei grundsätzlich freiwillig. Stattdessen müssen die betroffenen Personen entweder einen ausreichenden Impfschutz oder alternativ eine Immunität gegen Masern nachweisen, wenn sie eine entsprechende Einrichtung besuchen oder dort arbeiten wollen; eine Impfung kann und wird nicht durch unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden. Das halte ich für umsetzbar und sinnvoll. Daran ändern auch mögliche Manipulationsversuche nichts.
Mir ist zugetragen worden, dass eine solche verpflichtende Impfung auch umgangen werden kann, indem Einträge in Impfausweisen – vornehmlich im Ausland – gefälscht werden. Hier werden wir eine Regelung finden, die das verhindert und die Beteiligten scharf sanktioniert. Aus diesem Grund sollten wir bei Impfungen im Ausland überlegen, grundsätzlich einen Impftiter als Nachweis zu verlangen, also einen Bluttest, mit dem wir die Immunität einschätzen können.
Meine Damen und Herren, Masern sind eine gefährliche Krankheit. Sie besitzen eine hohe Ansteckungsfähigkeit. Eine Impfung schützt nicht nur diejenigen, die sie bekommen, sondern vor allem auch die Menschen, die aus bestimmten Gründen nicht geimpft werden können oder auf eine solche Impfung nicht ansprechen.
Ich denke, dieses Maß an Solidarität sollte man von den Bürgerinnen und Bürgern durchaus einfordern dürfen. Und dort, wo es gefährlich wird, fordern wir sie jetzt auch ein.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Martina Stamm-Fibich für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten heute ein Thema, das meiner Fraktion wie auch mir sehr am Herzen liegt. Die Prävention von vermeidbaren Infektionskrankheiten und insbesondere der Masern ist eine große Aufgabe. Wir haben uns in Deutschland bereits 2011 zum Ziel gesetzt, die Masern bis zum Jahr 2015 auszurotten. Heute, vier Jahre später, müssen wir leider feststellen, dass wir von der Eliminierung der Masern nach wie vor sehr weit entfernt sind. Als Voraussetzung für die Eliminierung der Masern – wir haben es gehört – gilt nach Angaben der WHO die Immunität von mehr als 95 Prozent der Bevölkerung; auch hiervon sind wir wirklich weit entfernt.
Der Geburtsjahrgang 2015 hat für die zweite Impfung eine Impfquote von 92,8 Prozent. Hinzu kommen die eklatanten Impflücken bei den nach 1970 geborenen Erwachsenen. Ja, ich gehöre noch zu einer Generation, die in Kita und Schule geimpft wurde, die noch Pockennarben am Arm hat
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und für die es ganz normal war, in der Schule geimpft zu werden. Wir müssen uns aber heute eingestehen, dass alle bisherigen Bemühungen, um die Durchimpfungsraten zu erreichen, nicht gegriffen haben. Gleichzeitig spricht auch die Zahl der Erkrankten eine deutliche Sprache. Jeder Fall ist einer zu viel.
Es ist deshalb richtig und notwendig, dass sich der Bundestag mit diesem Thema beschäftigt. Wir müssen uns letztlich die Frage stellen, wie wir die Impflücken, die in einigen Bereichen wirklich sehr minimal sind, schließen können und welche Maßnahmen hierfür geeignet und verhältnismäßig sind. Der Minister hat einen Gesetzentwurf vorgelegt und einen Lösungsansatz präsentiert, dessen zentrales Element die Verpflichtung zur Masernimpfung ist.
Es ist unumstritten, dass die Pflicht zur Impfung einen Eingriff in verschiedene Grundrechte der Bürger darstellt. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahme gibt es geteilte Meinungen. Der aktuelle Gesetzentwurf enthält viele Maßnahmen, auch solche zur Schließung der Impflücken bei den über 30-jährigen Erwachsenen.
Ich denke, es gibt in dem ganzen Verfahren noch viel zu diskutieren. Ich möchte auch, dass wir wieder darüber nachdenken, wie wir Recall-Systeme bei den Hausärzten verankern. Ich hoffe, dass wir auch durch diese Diskussion dazu anregen können, dass jeder einmal in seinen Impfpass schaut. Denn – der Kollege hat es angesprochen – es liegt nicht an der mangelnden Bereitschaft der Erwachsenen, sich impfen zu lassen. Das wissen wir aus allen Umfragen.
Ich glaube, dass wir uns bei diesem Thema, über das sicherlich eine sehr emotionale Diskussion geführt wird und bei dem man natürlich immer wieder Dinge hört, die einem zu denken geben, auch angefeuert von den Medien, immer wieder daran erinnern sollten: Wir sitzen alle im selben Boot. Ich denke, dass die Erhöhung der Impfquoten das Gebot der Stunde ist. Wir müssen über alle Mittel, die wir zur Verfügung haben, fair und sachlich miteinander diskutieren. Ich freue mich auf die Anhörung, und ich hoffe, dass wir dann ein wirklich gutes Gesetz für die Sicherheit der Menschen im Land schaffen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Rudolf Henke für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Impfungen gegen gefährliche Infektionskrankheiten zählen zu den größten Errungenschaften in der Geschichte der Medizin. Infektionskrankheiten galten sehr lange zu Recht als Geißeln der Menschheit. Die globalen Erfolge gegen die ausgerotteten Pocken und gegen die Kinderlähmung zeigen: Schutzimpfungen sind ein wirkungsvolles und kostengünstiges Mittel, um sich und andere vorbeugend vor vermeidbaren Ansteckungen zu schützen.
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Der Entwurf des Masernschutzgesetzes greift den Handlungsbedarf auf und setzt Schritte der Vorjahre konsequent fort. Ich will auch darauf aufmerksam machen, dass wir ja nicht am Anfang aller Bemühungen stehen. Vielmehr haben wir 2015 mit dem Präventionsgesetz den Impfschutz schon einmal gestärkt. Seitdem müssen Ärztinnen und Ärzte bei allen Untersuchungen für alle Altersgruppen den Impfschutz überprüfen und auf Mängel hinweisen. Die Kitaaufnahme ist seither an eine ärztliche Impfberatung geknüpft. Der „Nationale Aktionsplan 2015 – 2020 zur Elimination von Masern und Röteln in Deutschland“ ergänzt diese Maßnahmen in allen Altersgruppen. Deswegen ist der Vorwurf, man würde sich sonst um nichts kümmern, ja nicht richtig.
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Ob wir jetzt tatsächlich eine Impfpflicht einführen oder ob das eine Impfnachweispflicht ist, muss man auch vor dem Hintergrund des Verfassungsrechts natürlich noch mal genau überlegen.
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Meine Assoziation zur Impfpflicht ist folgende Situation: Ich denke an ein Kind, dessen Eltern sich weigern, es impfen zu lassen. Die Eltern bekommen Besuch von der Polizei. Das Kind wird ihnen entzogen und in ein Gesundheitsamt gebracht. Dort wird eine Pflichtimpfung durchgeführt. Das ist nirgendwo in diesem Gesetzentwurf vorgesehen. Genauso wenig ist vorgesehen, dass die Weigerung, ein Kind impfen zu lassen, dazu führt, dass man die Schulpflicht außer Kraft setzen kann.
Was allerdings vorgesehen ist, ist, dass jeder, der sich, ohne eine Maserninfektion gehabt zu haben, in eine Kindertagesstätte begeben will – ob als Kind oder als dort Beschäftigter –, nachweisen muss, dass die Impfung erfolgt ist. Das gilt auch für Schulen – ohne die Konsequenz, dass man die Schule nicht mehr besuchen kann, aber mit der Konsequenz, dass ein Bußgeld zahlen muss, wer nicht geimpft ist. In der Abwägung der Eingriffstiefe halte ich das für verfassungsrechtlich vertretbar.
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Ich glaube, es ist auch angesichts der Tatsache geboten, dass man sonst – und die milderen Mittel sind schon alle versucht worden in Deutschland – ein Risiko für diejenigen darstellt, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen. Ob der Terminus „Herdenschutz“ schön ist, weiß ich nicht;
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ich sage lieber „Gemeinschaftsschutz“.
Kollege Henke, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung aus der FDP-Fraktion?
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Ihr Kollege Pilsinger hat sich gerade dahin gehend geäußert, dass es seiner Meinung nach sogar sinnvoll wäre, eine Pflicht zur Titerbestimmung einzuführen. Was halten Sie davon? Es sind ja erhebliche Kosten damit verbunden, und es ist ein weiterer Eingriff; denn für eine Titerbestimmung muss Blut abgenommen werden. Was halten Sie von einer Pflicht zur Titerbestimmung?
Ich glaube, es ging Herrn Pilsinger bei der Pflicht zur Titerbestimmung um die Frage, ob es möglich ist, die Impfnachweispflicht durch Fehlbescheinigungen zu umgehen. Ärztinnen und Ärzte müssen in Deutschland aufgrund der starken Berufsüberwachung, die wir haben, mit Sanktionen bis hin zum Ausschluss von der Ausübung des Berufes rechnen. Wenn eine Fehldokumentation erfolgt, ist das eine Falschbeurkundung. Eine solche Falschbeurkundung hat strafrechtliche Konsequenzen in Deutschland, und sie hat berufsrechtliche Konsequenzen in Deutschland.
Das können wir bei im Ausland durchgeführten Impfungen nicht sicherstellen. Ich glaube, seine Frage geht in die Richtung, ob man darüber diskutieren muss, dass eine Pflicht zur Titerbestimmung in solchen Fällen hinzunehmen sei; darum ging es. Eine Titerbestimmung ist in der Tat mit einer weiteren Maßnahme, nämlich mit der Blutabnahme, und mit Kosten verbunden. Deswegen muss das abgewogen werden. Wir werden darüber in der Anhörung in der nächsten Woche sehr sorgfältig diskutieren können. Es ist also gut, dass diese Themen jetzt angesprochen werden. – Vielen Dank. Ich bin mit der Beantwortung Ihrer Frage fertig.
Lassen Sie mich noch einmal auf den für mich zentralen Punkt zurückkommen: Die Impfung ist eine kleine Belästigung, die einen großen Vorteil für die Menschen darstellt, die selbst nicht geimpft werden dürfen und einer Infektion, die sie das Leben kosten kann, schutzlos ausgesetzt wären. Ich glaube, in dieser Abwägung sind die Intention und auch der Ansatz, den der Minister gewählt hat, richtig. Wir werden uns natürlich darüber unterhalten müssen, ob über die Berufsausübenden, die geimpft werden müssen, hinaus – das sind 20-, 30- bis 50-Jährige – weitere Maßnahmen möglich sind, die die übrigen 20- bis 50-Jährigen erreichen.
Kollege Henke, können Sie das bitte auf die Anhörung und die Ausschussbefassung verschieben und einen Punkt setzen?
Ich bin sicher, dass wir nach der Anhörung zu einem guten und für eine breite Mehrheit zustimmungsfähigen Gesetzentwurf kommen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin es leid, jedes Mal, wenn ein Neonazi gemordet hat, immer wieder hören zu müssen, solche Taten seien neu oder überraschend. Wer schon einmal eine Synagoge besucht hat, mit Betroffenen rassistischer Gewalt gesprochen hat oder die Recherchen von Antifa-Gruppen zur Kenntnis nimmt, weiß: Rechter Terror hat Tradition.
In dieser Tradition stehen die Morde des NSU, die Attentate des Anders Breivik, der Anschlag im Einkaufszentrum nahe des Münchener Olympiastadions, der Mord an Walter Lübcke und der Anschlag in Halle. Diese Tradition reicht weit zurück in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Diese Tradition kann nur gebrochen werden, wenn sie richtig verstanden wird und die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Aber genau das geschieht nicht.
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Was steht einer konsequenten Bekämpfung der drohenden Gefahr des Rechtsterrors eigentlich im Weg? Ich nenne einige Punkte: Es ist das Ausbleiben spürbarer Sanktionen. Wie viele Unterstützer und Unterstützerinnen des NSU laufen immer noch frei herum, werden nicht angeklagt und nicht verurteilt? Es ist der mangelnde politische Wille. Netzwerke werden nicht konsequent ausgehoben – auch und gerade dort nicht, wo sie bis in Polizei und Bundeswehr reichen.
Es ist die Weigerung, die V-Leute der Inlandsgeheimdienste abzuschalten und den Schutz der rechtsextremen Strukturen damit zu beenden. Wer gestern die Meldungen verfolgt hat, weiß: Das Beispiel Andreas Temme und Stephan Ernst ist weiterer Beleg für diese Forderung. Es ist das Unvermögen oder der Unwille – ich weiß es nicht –, die Verbindung zwischen alltäglichem Rassismus, alltäglichem Antisemitismus und rechtem Terror zu erkennen. Rechter Terror ist nämlich nicht ohne rechte Normalität zu verstehen und erst recht nicht zu bekämpfen.
Wir brauchen natürlich mehr Kontrolle über Waffen. Wir brauchen einen demokratischen, personellen und auch politischen Wechsel in den zuständigen Behörden. Wir brauchen entschlossenere und systematischere Ermittlungen. Aber wir brauchen vor allem eine politische Offensive gegen den Rechtsruck, eine neue Kultur des Antifaschismus – auch in diesem Haus.
({1})
Wir können viel lernen, wenn wir den Betroffenen von Rechtsterror zuhören. Der Zentralrat der Juden und über 40 weitere jüdische Organisationen fanden in einer gemeinsamen Erklärung im Oktober 2018 klare Worte – ich zitiere –:
Die AfD ist eine Partei, in der Judenhass und die Relativierung bis zur Leugnung der Schoa ein Zuhause haben.
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Die AfD ist antidemokratisch, menschenverachtend und in weiten Teilen rechtsradikal.
Rechter Terror entsteht nicht in einer Parallelwelt. Wenn man manchmal das Gegenteil hört, dann ist das komplett falsch. Rechter Terror entsteht in unserem Alltag, und dort müssen wir ihn stoppen, auch in diesem Haus.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat der Kollege Christoph Bernstiel für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher aus dem Saalekreis und aus Halle auf der Besuchertribüne! Der gegebene Anlass in dieser Woche sollte uns alle dazu bewegen – und das sage ich mit Blick zur AfD, die ja heute auch noch spricht –, von Vergleichen mit anderen terroristischen Anschlägen in diesem Land abzusehen.
({0})
In dieser Woche – Frau Storch – geht es explizit um die Frage des Rechtsextremismus und auch um die Frage, wie wir diesem entgegentreten können. Linke und FDP haben dazu einen Antrag gestellt. In beiden Anträgen stehen tatsächlich gute Dinge drin, über die wir reden können und die auch richtig sind. Wo ich Ihnen allerdings nicht folgen kann, ist – und das, Frau Renner, haben Sie ja selber auch schon wieder deutlich gemacht –, dass es angeblich eine Mentalität des Nichtstuns gibt, dass die Behörden nicht hinschauen, dass das rechte Auge angeblich blind sein soll.
({1})
Das alles stimmt so nicht. Ich möchte Ihnen das gerne auch mit Fakten begründen.
Wir hatten den NSU-Untersuchungsausschuss. Dieser hat 47 Handlungsempfehlungen abgegeben, von denen die meisten größtenteils schon erfüllt wurden. Wir haben das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum gegründet, explizit für den Rechtsextremismus. Wir haben, noch bevor dieser furchtbare Anschlag in meiner Heimatstadt passiert ist, in den Haushaltsverhandlungen 700 neue Stellen für die Rechtsextremismusprävention für das BKA und das BfV zur Verfügung gestellt. Wir diskutieren über eine Novelle des Bundesverfassungsschutzgesetzes, auf die ich später noch eingehen will. Ihre Partei ist übrigens vehement dagegen. Wir haben eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes vorbereitet.
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Wir haben rechtsextreme Internetplattformen wie die Weisse Wölfe Terrorcrew und Altermedia verboten, und wir haben auch den Bereich der Prävention nicht aus den Augen verloren, meine Damen und Herren. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat in den letzten Jahren ihr Budget fast verdoppelt. Trotzdem, das muss man sagen, ist es uns nicht gelungen, diesen furchtbaren Anschlag zu verhindern.
Ich sage hier: Wir müssen auch vorsichtig sein, den Eindruck zu erwecken, dass es jemals einen Schutz geben wird vor solchen radikalen, wahnsinnigen Einzeltätern.
({3})
Minister Heil hat vorhin gesagt: In einer freien Gesellschaft wird es nie absolute Sicherheit geben. – Es gehört auch zu unserer Verantwortung, keine falschen Erwartungen zu wecken. Dennoch gibt es Handlungsfelder, auf denen wir sehr wohl noch etwas unternehmen können.
Ich danke der FDP explizit mit Blick auf das Waffenrecht. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass es keinen Generalverdacht gegen bzw. keine Kriminalisierung aller legalen Waffenbesitzer in unserem Land geben darf. Schauen wir nach Halle. Nach allem, was wir wissen, hat der Täter sich seine Waffen aus dem Internet besorgt. Er hat dort illegale Foren aufgesucht, er hat Bauanleitungen runtergeladen, mit deren Hilfe es möglich war, ganz normale Dinge aus dem Alltag zu Waffen umzufunktionieren.
Wenn wir darüber reden, dass wir da ansetzen wollen und das in Zukunft nicht mehr möglich machen wollen, dann müssen wir natürlich auch über Behörden sprechen.
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– Nein, wir reden nicht über eine Verschärfung des Waffenrechts, Frau Storch,
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sondern wir reden darüber, wie wir es schaffen, dass Rechtsextremisten gar nicht erst in die Lage versetzt werden, legal Waffen zu kaufen. Da reden wir über eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz.
Worüber ich reden möchte, ist, dass wir unseren Sicherheitsbehörden die Möglichkeit geben, passwortgeschützte Foren kontrollieren zu können, dass wir in der Lage sind, Onlinedurchsuchungen durchzuführen, dass wir die Vorratsdatenspeicherung haben, gegen die sich einige in diesem Haus nach wie vor vehement wehren.
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Und wir müssen auch darüber reden, dass wir Speicherfristen für Informationen über einmal straffällig gewordene Rechtsextremisten erhöhen. Wir hatten das im Fall Lübcke. Wir hatten Glück. Nach zehn Jahren müssen diese Akten gelöscht werden. Wir wollen diese Frist erhöhen auf 15 Jahre. Rechtsextremisten dürfen sich in diesem Land nicht verstecken, auch nicht im Internet.
({7})
Ich möchte noch etwas sagen zum Kampf gegen Rechtsextremismus und dazu, was mir letzte Woche in Halle aufgefallen ist. Wir müssen aufpassen, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus nicht anderen Extremen in die Karten spielt und dass das nicht missbraucht wird. Ich möchte Ihnen etwas berichten, was ich vor der Synagoge in Halle persönlich erlebt habe und was mich zutiefst schockiert hat. Am Donnerstag, als ein großer Medienauflauf dort war, kamen alle möglichen politischen Parteien, um ihr Beileid zu bekunden. Das schätze ich sehr. Es kam auch die Linkspartei, Ihre Kollegin. Doch die kam nicht allein. Sie kam mit der Antifa.
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Das können Sie jetzt erst mal bewerten, wie Sie möchten. Aber wenn ich dann dort Mitglieder der Antifa sehe, die vor der Synagoge einen Pullover tragen, auf dem steht: „Hass auf alles“, und sehe, dass ein weiteres Mitglied der Antifa mit Antifa-Pullover dort eine Armeehose trägt, wo Leute erschossen wurden, und ein weiteres Mitglied Ihrer Partei sich auf der Friedhofsmauer der Synagoge eine Zigarette dreht, drei Meter von der Blutlache weg, dann müssen Sie sich wirklich fragen, wo Ihr moralischer Kompass gerade hinzeigt.
({9})
– Ich kann das alles belegen. Empören Sie sich über Ihr Verhalten und nicht über das, was die Realität ist.
Meine Damen und Herren, dieses Land ist schon oft Opfer von verschiedenen terroristischen Anschlägen geworden. Bis jetzt ist es uns immer wieder gelungen, gegen alle Widerstände vorzugehen und freiheitlich weiterzuleben. Das wird uns auch im Kampf gegen Rechtsextremismus gelingen, aber nur, wenn wir unsere Behörden und Sicherheitsämter mit den nötigen Mitteln und auch den rechtlichen Befugnissen ausstatten. Wir sind auf dem besten Weg dahin.
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Ihr Kollege Dietmar Bartsch hat gesagt, er wird uns nicht behindern, wenn wir jetzt Anpassungen vornehmen müssen, die dringend notwendig sind. Wir nehmen Sie beim Wort.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Christian Wirth für die AfD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Rechtsterror stoppen, Opfer schützen. Natürlich! In einer aufgeklärten, humanistischen Welt ist kein Platz für irgendwelchen Extremismus, irgendwelche Gewalt, irgendwelchen Terror, egal ob von rechts, von links oder religiös motiviert. Hierzu bietet die AfD jede Zusammenarbeit an.
({0})
Aus diesem Grunde wollten wir nicht nur Ihren theoretischen Antrag heute besprechen. Wir haben einen praktischen Antrag zustellen wollen, nämlich Combat 18 zu verbieten.
({1})
Dass Sie von den Linken das verhindert haben, entlarvt zweierlei: Erstens. In Fragen der Demokratie haben Sie noch nicht einmal den sprichwörtlichen Status der Kinderschuhe erreicht. Zweitens. Hier handelt es sich wieder einmal um einen Schaufensterantrag, um sich am bürgerlichen, konservativen Teil der deutschen Bevölkerung abzuarbeiten.
({2})
Unser Mitgefühl gilt den Opfern von Halle wie auch dem schwerverletzten Opfer des Attentats von Limburg. Unser Mitgefühl gilt aber auch denen, die in der Synagoge in Halle, aber auch in Berlin Todesangst erleiden mussten, die ihren Schutz allein einer stabilen Tür bzw. ihrem Sicherheitsdienst zu verdanken hatten. Wo war die Polizei in Halle vor der Synagoge? Umso bedauerlicher ist es, dass auf dem Rücken der Toten und Betroffenen sofort eine Instrumentalisierung aller Parteien dahin gehend erfolgt ist: Die AfD hat an der Tat die Schuld.
({3})
Das war der Tenor der gesamten Woche. Frau Kramp-Karrenbauer sieht uns als politischen Arm des Rechtsradikalismus,
({4})
Herr Staatsminister Roth sogar als parlamentarischen Arm – warten Sie – des Rechtsterrorismus, und der CDU-Ministerpräsident von NRW, Laschet, will uns sogar bis aufs Messer bekämpfen. Als ob nicht 3 000 Messerattacken in NRW dieses Jahr genug sind! Welche Anregungen wollen Sie der Antifa bitte noch geben?
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Aber betrachten wir doch mal die Nazikeule, die von der Bevölkerung längst entlarvt ist. Es ist an der Zeit, gerade den jüngeren Zuschauern und Wählern wieder ein paar Fakten ins Gedächtnis zu rufen.
({6})
Dieses deutsche Parlament, das Parlament nach dem furchtbaren Weltkrieg und dem noch furchtbareren Holocaust, hatte nicht immer ein nachvollziehbares Verhältnis zum Rechtsextremismus; denn die hier anwesenden Parteien haben den Bundestag ohne Not pragmatisch und zynisch bis Ende der 80er-Jahre mit NSDAP-Mitgliedern bestückt.
({7})
So hat die CDU 35 ehemalige NSDAP-Mitglieder, die FDP 25, die SPD 12 und die CSU ebenfalls 12 und die Grünen immerhin ein ehemaliges NSDAP-Mitglied in den Bundestag entsandt.
({8})
Demgegenüber hat heute nur die AfD einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur NPD, um nur eine Organisation auf dieser Liste zu nennen. Aber gerade Die Linke als Antragsteller schlägt alle Parteien bei Weitem. Wie wir wissen, hat sich Die Linke 2009 höchstrichterlich erstritten, die Nachfolgepartei der SED zu sein. Bereits 1946 hat die SED in einem ersten Schritt und dann 1952
({9})
alle Unvereinbarkeitsbeschlüsse zu ehemaligen Parteimitgliedern der NSDAP und der Waffen-SS ohne Bedingungen aufgehoben. Auch wenn in der Außendarstellung der SED gerne über dieses Thema geschwiegen wurde, war sich die Führung der SED intern – ich zitiere – „des Wertes der ehemaligen Nationalsozialisten beim Aufbau der angestrebten Gesellschaft durchaus bewusst“.
({10})
So die Historiker Malycha und Winters in einer Studie über die SED.
({11})
Auf Deutsch: Hier wuchs zusammen, was zusammengehört: der Sozialismus Stalins und der Sozialismus Hitlers.
({12})
Und solange Sie nicht Ihre Vergangenheit aufarbeiten und sich nicht um die Opfer Ihres Unrechtregimes kümmern,
({13})
darüber hinaus die Gewalt der Antifa feiern wie in der letzten Plenarwoche, haben Sie nicht das Recht, den moralischen Finger zu erheben.
({14})
An die bürgerlichen Parteien: Hören Sie auf, Steuergelder zu verschleudern in einem angeblichen Kampf gegen rechts, der nur links-grüne Projekte zur Instrumentalisierung unserer Kinder und die Destabilisierung unserer Bevölkerung fördert.
({15})
– Herr Strasser, genau. – Stecken Sie das Geld in unsere totgesparten Sicherheitsbehörden, die den Rechtsterrorismus bekämpfen, und nicht in ehemalige Stasispitzel und ihre dubiosen Vereine.
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Gleiches gilt für den Antisemitismus. Solange Deutschland den Revolutionsgarden im Iran zur Revolution gratuliert und in unserer Hauptstadt Berlin der Al-Quds-Tag mit Umzügen der Hisbollah toleriert wird mit all seinen hässlichen Parolen gegen die Juden und Israel,
({17})
so lange muss man sich nicht wundern, wenn im Zuge dieser Demonstrationen rechte und linke Antisemiten Oberwasser bekommen.
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Lassen Sie uns gemeinsam den faulen Zahn des Antisemitismus ausreißen.
({19})
Dies gelingt aber nicht, wenn Sie nur die rechte Wurzel entfernen, aber die linke und die islamische Wurzel stehen lassen.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort hat der Kollege Dr. Lars Castellucci für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich hier heute als Sozialdemokrat stehe, um zum rechten Terror in Deutschland Stellung zu nehmen – besser gesagt: heute im Lichte dessen, was in der letzten Woche passiert ist, Stellung nehmen zu müssen –, dann denke ich an diejenigen von uns, die sich unter Gefährdung von Leib und Leben rechtem Terror entgegengestellt haben und selbst dem rechten Terror zum Opfer gefallen sind. Ihr Andenken muss uns heute immer noch Verpflichtung sein. Dass es der Menschheit offensichtlich nicht gelingt, sich von den niedrigsten Instinkten – von Hass, von Niedertracht, von Missgunst – zu befreien, ist unsagbar traurig und uns allen wieder auf schreckliche Weise vor Augen geführt worden. Aber für den Sieg des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun. Also nehmen wir diesen Kampf erneut auf, engagierter als bisher! Das ist der einzige Auftrag, der sich in dieser Situation für uns ergibt.
({0})
Es hat sich etwas verändert in unserem Land. Abwertung, Ausgrenzung, Verschwörungstheorien sind Alltag geworden. Man muss sich ja nur nach rechts in diesem Haus wenden, dann sieht man die parlamentarischen Wegbereiter dieses Klimas, in dem Übergriffe in Worten und Taten bis hin zu offenem Terror möglich werden.
Demokratie muss wehrhaft sein, und Antidemokraten, wie sie nun auch in diesem Parlament sitzen, verdienen nur eins: unseren Widerstand.
({1})
Und Antidemokraten nenne ich Sie von der AfD-Fraktion; denn Demokratie gründet im gleichen Respekt für jeden Menschen. Da verbietet es sich, fortgesetzt in Reden hier in diesem Parlament Menschen abzuwerten, Gruppen zu diffamieren und Menschen zu Sündenböcken zu machen.
({2})
– Sie müssen sich die Wahrheit hier schon anhören.
Der Innenminister hat es gestern nicht einmal geschafft, die ersten beiden Sätze seiner Rede zu sagen; schon haben Sie, als es um den antisemitischen Anschlag ging, gleich wieder das Wort „Islam“ in den Raum gerufen.
({3})
Das zeigt doch, was Ihre Agenda ist. Sie wollen aus diesen Anschlägen auch noch politisches Kapital schlagen.
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Sie missbrauchen die Opfer. Es ist eine Schande, was wir uns in diesem Parlament anhören müssen.
Es sind manche unter Ihnen, die jetzt gerade wieder etwas lauter sind, aber manche sind auch etwas leiser und vielleicht nicht mit den üblen Reden aufgefallen. Aber sie stützen die anderen in Ihren Reihen, die sich offen rassistisch und nationalistisch äußern. Es steht jedem von Ihnen frei, Regeln des Anstands einzuhalten und sich loszusagen von denen unter Ihnen, die vom „Vogelschiss in der Geschichte“, vom „Mahnmal der Schande“, von Umvolkung, von Vorteilsmigranten oder Ähnlichem sprechen. Ich rufe Sie zur Distanzierung von denen auf, die hier einen offenen Nazijargon pflegen.
({5})
Was ich allerdings nicht ertrage, ist das, was ich von Mittwoch bis heute hier erleben musste. Am Mittwoch hatten wir den Sankt-Michaels-Empfang der katholischen Kirche, bei dem unter anderem Ihr Kirchenbeauftragter anwesend war. Als Kardinal Marx in seiner bemerkenswerten Rede davon gesprochen hat, dass diese Gewalt, die wir gesehen haben, im Kleinen beginnt – in der Abwertung, in den Worten, in den fiesen, zynischen Bemerkungen, die auch in diesem Parlament stattfinden –, da hat Ihr Kirchenbeauftragter geklatscht und hat die Rede von Kardinal Marx unterstützt. Als Herr Dr. Curio vorhin gesprochen hat, hat er ebenfalls geklatscht.
({6})
Ich sage Ihnen: Solche Leute hießen in der Bibel Pharisäer, ich nenne es heute Heuchelei.
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Der Innenminister hat zwischenzeitlich den Rechtsextremismus als eine schwere Gefährdung unseres Staates anerkannt. Diese Einsicht aus dem Innenministerium kommt spät, aber sie ist gut, sie ist richtig. Jetzt kommt es darauf an, entsprechend zu handeln. Wir haben Jahre damit verloren, dass immer alles relativiert wurde. Es ist bis in unsere Städte und Gemeinden so gewesen. Wollte man irgendwo ein Bündnis gegen rechts gründen, schon hieß es: Nein, es muss auch eins gegen links und gegen alles Mögliche sein. – Solche Haltungen vor Ort und solche Nickeligkeiten vor Ort haben lange bewirkt, dass wir nicht die richtige Antwort gefunden haben. Ich hoffe, dass dieser Schulterschluss, der jetzt hier deutlich wird, auch auf alle Ebenen in unserem Land abstrahlt und dass wir nun gemeinsam und geschlossen auf allen Ebenen unseres Landes handeln werden.
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Gestern wurde ein Sofortprogramm der Regierung vorgestellt: Jüdische Einrichtungen müssen geschützt werden. Der Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt müssen organisatorisch und personell gestärkt werden. Wir brauchen eine Meldepflicht für Anbieter im Internet bezüglich Hassparolen. Wir brauchen Vereinsverbote von rechtsextremistischen Vereinen. Wir müssen an das Waffen- und Sprengstoffrecht herangehen. Und wir brauchen mehr Prävention. Dieses Sofortprogramm findet die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. Wir danken ausdrücklich dafür.
Ich möchte aber noch auf drei Bereiche eingehen.
Erstens. Demokratie vererbt sich nicht. Demokratie muss aber auch nicht immer wieder neu erfunden werden, sondern Demokratie verlangt steten Einsatz. Deswegen macht es keinen Sinn, diese wichtige Arbeit, die wir in diesem Land haben und die von dem Programm „Demokratie leben!“ gefördert wird, immer wieder abzubrechen und von den Leuten neue innovative Ansätze und Bewerbungen zu verlangen. Wir müssen die Arbeit der Demokratinnen und Demokraten in diesem Land auf eine verlässliche Grundlage stellen. Deswegen trete ich an dieser Stelle noch einmal mit allem Nachdruck dafür ein, dass wir endlich ein Demokratiefördergesetz bekommen.
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Ein zweiter Punkt ist die politische Bildung. Ja, Herr Kollege Bernstiel, Sie haben recht: Wir haben bei der Bundeszentrale viel getan. Ich muss auch sagen: Wenn ich mit Erzieherinnen spreche und sie mir beispielsweise davon berichten, dass sie schon mit den Kleinsten Demokratiekonferenzen abhalten, dann denke ich, dass das ein wichtiger, grundlegender Beitrag zur Stärkung der Demokratie in unserem Land ist, für den ich sehr dankbar bin.
Aber wenn ich mit Schülerinnen und Schülern spreche, dann höre ich ganz oft: Nun ja, Politik oder Gemeinschaftskunde ist gerade in irgendeiner Fächerkombination untergegangen. In diesem Halbjahr haben wir es gar nicht. Oder: Bis zur Zeit des Nationalsozialismus sind wir noch gar nicht durchgedrungen. – Ich glaube, wir haben auch den Auftrag, auf die Fragen von politischer Bildung in diesem Land einen neuen Blick zu werfen. Das halte ich für eine Lehre in dieser Zeit.
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Ich danke jetzt den Kolleginnen und Kollegen von Linken, Grünen und FDP, die Anträge vorgelegt haben. Wir sind sicherlich nicht bei allem der gleichen Meinung, was die einzelnen Maßnahmen angeht. Aber wir wissen Sie beim Kampf gegen rechts an unserer Seite. Dafür danke ich Ihnen ausdrücklich.
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Auch der Bundesvorstand der CDU hat am Wochenende eine programmatische Äußerung veröffentlicht. Ich denke, der Schulterschluss der Demokratinnen und Demokraten, der auch heute wieder in diesem Raum deutlich wird, tut gut.
Ich möchte die Frage stellen, ob wir nicht dahin kommen können, dass wir alle unsere Vorschläge gemeinsam auf einen Tisch legen.
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Wir sollten in dieser Zeit das Zeichen setzen, dass wir Demokratinnen und Demokraten nach entsprechender Analyse in der Lage sind, eine gemeinsame Strategie zu verfolgen. Vielleicht können Sie das in Ihren Fraktionen beraten. Unsere Fraktion ist bereit, den Kampf gegen den rechten Terror gemeinsam als Demokratinnen und Demokraten zu führen.
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In jedem Fall: Wir Demokratinnen und Demokraten sind mehr, wir sind stärker. Der rechte Terror wird in diesem Land nicht obsiegen können, weil die Guten alles dagegen tun.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Benjamin Strasser für die FDP Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jana L., Kevin S., Dr. Walter Lübcke – innerhalb von wenigen Monaten haben Rechtsterroristen in diesem Land drei Menschen getötet. Sie reihen sich ein in eine Liste von 170 Namen, Menschen, die von Rechtsradikalen, Neonazis und Rechtsterroristen seit dem Jahr 1990 in Deutschland ermordet worden sind. Es ist von Glück zu sprechen, dass der Attentäter von Halle nicht in die Synagoge eingedrungen ist und ein Blutbad unter deutschen Jüdinnen und Juden angerichtet hat. Wer angesichts der Zahl von 170 Menschen ernsthaft noch von „Alarmsignalen“ redet, wer im Innenausschuss mindestens zehnmal von „Zäsur“ spricht, der muss sich entgegenhalten lassen, dass er die Dimension des Rechtsterrorismus in unserem Land offensichtlich nicht begriffen hat.
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Dabei ist das Problem klar. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat bereits im Jahr 2014 in Deutschland 21 000 Rechtsextremisten gezählt. Im Jahr 2018 waren es schon 24 100, davon die Hälfte gewaltbereit. Und nein, Herr Kollege Bernstiel, diese Täter waren keine Einzeltäter. Diese Täter haben sich auch nicht allein im Internet radikalisiert, sondern die Taten basierten auf einem gesellschaftlichen Resonanzboden, auf dem die Täter ihre Taten legitimieren konnten.
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Darum müssen sich alle hier in diesem Haus fragen: Wer ernsthaft von „Umvolkung“ redet, wer vom „drohenden Volkstod“ redet und nicht begreift, dass das die Motive waren, die laut Aussage des Generalbundesanwalts den Attentäter von Halle zu seiner Tat getrieben haben,
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dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, beenden wir doch einfach das Klima des Hasses hier, beenden wir die andauernden Debatten darüber, welcher Extremismus schlimmer ist, welcher Antisemitismus schlimmer ist. Jeder Extremismus und Antisemitismus ist schlimm. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dazu durchringen könnten, beides ernsthaft zu verurteilen.
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Der Hass im Internet ist völlig entgrenzt und entgleist. Da hilft auch kein Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Vielmehr brauchen wir einen Auskunftsanspruch der Opfer im Fall der Beleidigung, ähnlich wie beim Urheberrecht nach richterlicher Anordnung. Es ist nicht verständlich, warum man das bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht durchsetzen kann.
Herr Kollege Bernstiel, was war die Konsequenz der Bundesregierung? Gab es Verfolgungsdruck auf die rechte Szene? Jahrelang hat Ihre Bundesregierung verneint, dass es Combat-18-Strukturen in Deutschland gibt.
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Nach dem Mord an Walter Lübcke gibt es sie plötzlich. Sie sollen nun verboten werden. Ich hätte mir mehr Konsequenz von dieser Bundesregierung gewünscht.
Und, liebe AfD, einen Satz zu Ihnen:
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Sie wollen Combat 18 verbieten lassen. Ich bin gespannt, ob Sie auch an unserer Seite sind, wenn wir die Identitäre Bewegung verbieten. Das müssen wir als Nächstes prüfen. Wir warten noch auf die Ergebnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
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Wir haben einen Antrag vorgelegt, der viele Maßnahmen enthält: Entwaffnung der rechtsextremen Szene, Verbesserungen im Bereich des GETZ, Änderung von Gesetzen auch im Bereich des Föderalismus.
Nur an einer Stelle verstehe ich Sie nicht, liebe Bundesregierung: Wo bleibt Ihre europäische Initiative zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, sodass wir Konzerte von Blood & Honour in Ungarn und Schießtrainings in Tschechien und in den Niederlanden unterbinden können? Das wäre eine konkrete Maßnahme, die ich mir wünschen würde.
Jetzt gilt es, nicht nur ernsthafte Gesichter zu machen, sondern ernsthaft zu handeln. Sie haben uns als Freie Demokraten an Ihrer Seite. Wir haben einen 13-Punkte-Plan vorgelegt. Wir hoffen, dass Sie ihn abschreiben werden.
Vielen herzlichen Dank.
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Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Dr. Irene Mihalic das Wort.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der antisemitische und rassistische Anschlag in Halle macht uns tief betroffen. Und wieder einmal wird davon gesprochen, dass dieser rechtsterroristische Akt eine Zäsur darstellt. Aber ist es nicht so, dass wir in den letzten Jahren schon mehrere solcher Zäsuren erlebt haben? Sie wurden schon genannt: der Anschlag von Anders Breivik, der NSU, Christchurch, das OEZ-Attentat, der Mord an Walter Lübcke. Es gab bereits vor dem Anschlag in Halle zahlreiche rechtsterroristische Taten, die man alle als Zäsur bezeichnen kann.
Das Problem ist aber, dass es im Handeln der Bundesregierung und der Sicherheitsbehörden keine Zäsur gab.
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Die Arbeitsweise der Sicherheitsbehörden hat sich nicht grundlegend verändert, die erforderliche Analysefähigkeit wurde nicht hergestellt, und auch das Waffenrecht wurde nicht nennenswert verschärft. Stattdessen werfen Sie mit Nebelkerzen nach dem Motto „Jetzt müssen wir uns mal die Gamerszene ein bisschen genauer anschauen“ oder ziehen alte Kamellen wie die Vorratsdatenspeicherung aus der Schublade.
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Herr Bernstiel, ich sage Ihnen: Der Europäische Gerichtshof hat Recht gesprochen. Und selbst wenn wir alle im Haus einer Meinung wären und Ja zur Vorratsdatenspeicherung sagen würden: Sie wird nicht kommen. Hören Sie endlich auf, Nebelkerzen zu schmeißen.
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Wo bleibt die Zäsur in ihrem Handeln angesichts der Kontinuität von rechtsextremem Terror, meine Damen und Herren? Tun Sie endlich, was getan werden muss.
Unser Antrag dazu liegt Ihnen vor. Zuallererst brauchen wir eine Taskforce „Rechtsextremismus“ im Bundesinnenministerium. Diese Taskforce soll die Prüfung von Informationsmöglichkeiten zentral koordinieren und vor allem einen erleichterten Zugang zu Beratungs- und Hilfsangeboten für diejenigen garantieren, die von Rechtsextremisten bedroht werden. Ganz entscheidend ist außerdem, dass die Analysefähigkeit im Bereich Rechtsextremismus massiv erhöht wird. Denn wie kann es sein, dass bei 12 700 gewaltbereiten Rechtsextremen gerade einmal 44 Personen als Gefährder eingestuft werden? Es fehlt in den Sicherheitsbehörden an Expertise,
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um vor allem den virtuell vernetzten Rechtsterrorismus auch nur ansatzweise zu verstehen.
Herr Bernstiel, im virtuellen und im nicht virtuellen Kontext ist es außerdem entscheidend, endlich von der Einzeltäterfokussierung wegzukommen und die rechtsextremen Vernetzungen zu erkennen und richtig einzuordnen.
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Der Täter von Halle war eingebettet in Online-Communities,
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in denen antisemitische und rassistische Positionen Normalität sind und rechtsterroristische Anschläge wie in Christchurch live übertragen werden, Communities, in denen ein Austausch über Waffenbau und Anschläge stattfindet und die dringend durch die Sicherheitsbehörden durchleuchtet werden müssen. Ja, es ist richtig: Dafür brauchen sie Expertise und nicht die Vorratsdatenspeicherung.
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Was wir aber auch mehr denn je brauchen, ist eine nachhaltige Stärkung und Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich gegen Antisemitismus und Rassismus einsetzen. Lieber Lars Castellucci, wenn Lars Klingbeil kritisiert, dass die „Stimmen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Künstlern und auch aus der SPD, die in den letzten Jahren gewarnt haben, dass sich am rechten Rand etwas zusammenbraut“ nicht gehört wurden, kann ich nur sagen: Es ist schon die eigenen Partei, die hier gerade die Axt anlegt. Es war ein SPD-geführtes Ministerium, das das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ um 8 Millionen Euro kürzen wollte; eine Forderung die am Tag des Anschlags von Halle noch schnell zurückgezogen wurde. Auch die Zukunft des Aussteigerprogramms Exit war bis gestern ungewiss. Aber die eigentliche Frage ist doch: Wie kann es sein, dass im aktuellen politischen Klima die Kürzung von Fördermitteln überhaupt in Betracht gezogen wird?
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Wir brauchen eine verlässliche Förderung der Arbeit zur Demokratiebildung gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, und – da sind wir ganz bei Ihnen – es braucht ein Demokratiefördergesetz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist natürlich richtig, nach dem Anschlag in Halle nicht in Aktionismus zu verfallen, aber wir dürfen uns auch nicht der Schockstarre hingeben. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ziehen Sie Konsequenzen und leiten Sie endlich die Zäsur in Ihrem Handeln ein.
Ganz herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Marc Henrichmann für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Am Ende der Debatte bleibt festzuhalten, dass wir in vielen Teilen im Ziel einig sind, aber sehr über Begrifflichkeiten streiten. Wir reden über Feinheiten.
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Festzuhalten ist doch: Wir haben nach den NSU-Morden einen Untersuchungsausschuss gehabt. Der hat einen Plan mit 47 Punkten aufgelegt. Ja, und die Länder und auch die beteiligten demokratischen Parteien dieses Hauses waren meines Wissens darin eingebunden.
Und ich habe in den letzten Monaten keine Länderregierung gehabt, keine Partei in diesem Haus, die gesagt hat: Ihr müsst mal gucken. Es gibt in Teilen – ich sage bewusst: in Teilen – der Gamerszene rechtsextreme Ausfälle.
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Insofern stellen wir doch einmal fest – und vielleicht sind wir uns da wenigstens einig –, dass wir Verschiebungen in einem Phänomen haben, das – ja – Rechtsextremismus heißt, und wir in Teilen auch schauen müssen, dass wir diesen Verschiebungen gerecht werden.
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Deswegen ist es richtig, dass der Bundesinnenminister 700 Stellen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus anmeldet. Wir müssen auch die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, auf eigene Erkenntnisse – und nicht nur auf Erkenntnisse befreundeter Dienste – zurückgreifen zu können, wenn es um die Bekämpfung geht.
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Der Hinweis auf das Waffenrecht ist auch in Teilen fadenscheinig. Nehmen wir beispielsweise die Frage mit den Magazinen. Wenn wir uns leidenschaftlich darüber streiten, ob Magazine das große Problem dieser Welt sind, aber feststellen, dass ein Täter in Halle diese Dinger mit einem 3-D-Drucker produziert, dann stoßen wir doch damit die Jäger, die Sportschützen vor den Kopf, die wir genau für diesen Konsens brauchen,
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dafür, einvernehmlich ein Waffenrecht zu schaffen. Wir sollten nicht den Konsens der Gesellschaft aufs Spiel setzen und eine weitere Spaltung riskieren.
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Es geht hier auch nicht um Begrifflichkeiten wie Vorratsdatenspeicherung, an der Sie sich alle hochziehen,
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sondern es geht auch um Fragen wie Speicherfristen, Onlinedurchsuchung, Quellen-TKÜ.
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Und da sage ich auch: Es geht ja dabei nicht nur um das Problem Extremismus von rechts, sondern auch um Kinderpornographie, Pädophile. Auch da müssen wir doch zu Potte kommen. Auch da haben wir Handlungsbedarf.
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Ich möchte auch nicht, dass dieses Land zur Bedenkenrepublik wird und wir uns jetzt wegen Begrifflichkeiten den Weg verbauen. Wenn als Erstes, wenn wir über Kompetenzen reden, Datenschutzbedenken geltend gemacht werden – und Datenschutz ist ein hohes Gut; gut, dass wir ihn in dieser Form haben – bzw. die dicke Keule ausgepackt wird, bevor der erste Plan auf dem Tisch liegt, bevor die Diskussion in Fahrt kommt, dann schaden wir der guten gemeinsamen Sache.
Ich halte auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz eben nicht für einen Rohrkrepierer, sondern halte es für wichtig, dass wir auch da herangehen. Hasssprache – Hate Speech – ist doch ein Problem dieser Zeit. Und was all diese Begrifflichkeiten angeht: Ja, da unterscheiden wir uns wahrscheinlich in der Tat von den Kollegen hier auf Rechtsaußen. Wer „Lügenpresse“, „Verräter“, „Mahnmal der Schande“ und „Vogelschiss“ in sein Vokabular aufnimmt, der muss sich halt nicht wundern, wenn sich Menschen in diesen Echokammern daran aufgeilen und zu Tätern werden. Das ist ganz klar eine Form von Mitschuld.
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Hinterfragen müssen wir auch, ob wir das Richtige tun. Die politische Bildung ist angeklungen. 82 Millionen, glaube ich, waren es, die den Wahl-O-Maten der Bundeszentrale für politische Bildung besuchten. Ich glaube, es gibt kein Programm gegen Extremismus, Islamismus, das eine ähnliche Konjunktur hat. Vielleicht müssen wir einmal schauen, wie wir da noch besser werden könnten; auch da gibt es Nachholbedarf.
Wenn die Mutter des Attentäters in Halle sagt, der Sohn habe ja gar keinen schlechten Eindruck gemacht, er habe nichts gegen Juden gehabt, nur gegen das Großkapital habe er gewettert, dann fehlt es vielleicht auch in der Bevölkerung an Feingespür, hier und da zu erkennen, wann sich jemand radikalisiert, und auch da besteht Handlungsbedarf.
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Ich glaube, wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens, der da heißt: „Respektvoller Umgang miteinander“ und einen Rechtsstaat. Wer auf dem Boden des Grundgesetzes steht und Straftaten verurteilt, der wirkt gegen Extremismus.
Und ich finde es schräg – Schlussbemerkung –, wenn ich in der letzten Sitzungswoche hier das Abfeiern der Antifa sehe. Eine große Tageszeitung hat es schön auf den Punkt gebracht:
Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist einer der wichtigsten, den Deutschland führen … muss. Mit der Antifa, die als Trojanisches Pferd ihre linksextreme Agenda in die Mitte der Gesellschaft schmuggelt, wird das nicht gelingen.
Es gibt keine gute Gewalt. Es gibt keinen Zweck, der Gewalt rechtfertigt. Feuer bekämpft man nicht mit Feuer. Kämpfen wir zusammen gegen jede Form von Extremismus, Islamismus und Gewalt!
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat Axel Müller für die CDU/CSU-Fraktion als letzter Redner in dieser Debatte.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner dieser Sitzungswoche zum Thema „Rechten Terror stoppen – Opfer schützen“ möchte ich zum Schluss die Perspektive doch noch etwas weiten.
Wir haben in dieser Woche im Deutschen Bundestag hier in Berlin im Plenum wie auch in den zuständigen Ausschüssen ausführlich, fundiert, überwiegend auch unaufgeregt über die brennenden Themen Extremismus und Terror gesprochen, Ansatzpunkte diskutiert, wie wir hier etwas verbessern können und erste Veränderungen auf den Weg gebracht.
Dazu von mir noch ein paar ganz grundsätzliche Gedanken: Terror, seien es der der RAF der 70er- und 80er-Jahre, der Neonazi-Terror der 80er-, 90er- und 2000er-Jahre oder die jüngsten Morde in Kassel und Halle, fordert unseren demokratischen Rechtsstaat auf das Schärfste heraus. Er rüttelt an den Fundamenten des Staates, weil er das Vertrauen der Menschen in die Wehrhaftigkeit des Staates erschüttert. Der Glaube und das Vertrauen der Menschen in den Staat werden maßgeblich davon getragen, dass der Staat unter Beweis stellt, dass er Leib und Leben der Menschen schützen kann. Terror ist die härteste Bewährungsprobe für den Rechtsstaat.
Ein ehemaliges Mitglied dieses Hauses, der ehemalige RAF-Verteidiger Hans-Christian Ströbele, hat in einer Diskussion im Jahre 2018 mit dem ehemaligen RAF-Ankläger Klaus Pflieger folgende These aufgestellt – ich zitiere –:
Ich bin heute noch der Meinung, dass sich der Rechtsstaat BRD nicht bewährt hat.
Meine Damen und Herren, ich bin grundsätzlich anderer Auffassung. Ich denke auch, dass der Diskussionspartner, Generalstaatsanwalt a. D. Klaus Pflieger, meine Meinung teilen würde; denn die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte des demokratischen Rechtsstaats.
Rechtsstaat und Demokratie sind untrennbar miteinander verbunden. Ein schwindendes Vertrauen in den Rechtsstaat, wie wir es in den letzten Jahren immer wieder feststellen – so hat es auch Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank in einem Interview mit der „Zeit“ gesagt –, ist auch ein Vertrauensverlust unserer Demokratie. Dazu bestünde unterm Strich nach meiner Einschätzung überhaupt kein Anlass. Keine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat jemals beispielsweise ein Gerichtsurteil ignoriert oder ihm nicht Folge geleistet.
Die heutige Debatte um die Änderung des Grundgesetzes zur Reform der Grundsteuer zeigt doch, dass die Bundesregierung, aber auch wir, das Parlament, einem Entscheid des obersten Gerichts gehorchen. Vertrauen gewinnt der demokratische Rechtsstaat aber nicht zurück, wenn man ihm mit Misstrauen begegnet, indem man wie die Antragssteller – wie auch viele andere, die heute hier gesprochen haben – aus einem gewissen Grundmisstrauen gegen die Organe des Rechtsstaats eine immer weiter gehende, nicht enden wollende Ausdehnung der parlamentarischen Befugnisse gegen die Sicherheitsbehörden fordert.
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Dazu gehört auch, dass man nicht jede Einschätzung der Ermittlungsbehörden, was die Einbindung eines Täters in ein vermutetes Netzwerk anbelangt, von vorneherein in Zweifel zieht, Herr Kollege Strasser, und überall Verschwörungen wittert.
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Damit gefährdet man zuweilen auch die Ermittlungserfolge der Polizeibehörden, der Sicherheitsbehörden.
Man gewinnt Vertrauen auch nicht, indem man Polizeibeauftragte als Oberaufsicht der Ermittlungsbehörden fordert. Vielmehr braucht der Staat Organe und unsere Unterstützung; und jedes Mitglied dieses Hohen Hauses kann das unter Beweis stellen, indem es sich an den Abstimmungen über die Gesetzesvorhaben, die den Rechtsstaat stützen, konstruktiv beteiligt.
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Einiges dazu ist gesagt worden, ich will es nicht wiederholen. Ich will nur noch einmal mit Blick auf die Redezeit auf einiges hinweisen: Verlängerung der Speicherfristen von DNA, Verschärfung im Strafgesetzbuch gegen Hassreden im Netz,
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Quellen-TKÜ und nicht zuletzt eine verbesserte Ausstattung der Organe von Polizei, Sicherheitsbehörden und Justiz. Und wenn Sie da, Herr Kollege Strasser, einmal konstruktiv mitwirken würden, nicht gegen alles wären,
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nicht ständig widersprechen würden,
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dann, glaube ich, wäre der Rechtsstaat erfolgreich. Er könnte besser arbeiten, wie wir es uns hier alle, aber auch die Menschen in unserem Land, wünschen.
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Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche ein schönes Wochenende.
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