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Schönen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat heute die Beschlüsse des Klimakabinetts vom letzten Freitag noch einmal aufgegriffen und die wesentlichen Weichenstellungen für die Klimaentwicklung in Deutschland in den nächsten Jahren heute noch einmal beschlossen.
Worum geht es? Wir müssen den menschengemachten Klimawandel aufhalten. Die Erderwärmung hat heute Dimensionen erreicht, von denen wir wissen, dass sie bereits jetzt und auch absehbar in den nächsten Jahren Folgen für unser Zusammenleben auf diesem Planeten haben werden. Deshalb ist es unverzichtbar, dass wir mit allen unseren Möglichkeiten gegenhalten.
Was die Regierung jetzt mit dem Entwurf eines Klimaschutzgesetzes auf den Weg gebracht hat, ist zunächst einmal ein großer Fortschritt. Dieses Klimaschutzgesetz legt fest, wie die Zielsetzungen der Regierung bei der Reduktion von Treibhausgasen in unserem Land erfüllt werden können und wie das auf die einzelnen Sektoren, die vom europäischen Emissionshandelssystem nicht bereits heute erfasst sind, aufgeteilt wird, also zum Beispiel auf die Sektoren Verkehr, Wohnen und Heizen, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und kleine Industrieunternehmen. Diese Reduktionsziele werden jedes Jahr beobachtet, darüber wird berichtet, und die Regierung wird, falls die Zielsetzungen nicht eingehalten werden, Jahr für Jahr daraus Konsequenzen ziehen. Ich glaube, das ist ein ganz neuer, moderner Mechanismus, den wir hier etabliert haben, der dazu beitragen wird, dass wir bei der Zielerfüllung besser als in der Vergangenheit sein werden.
Die zweite große Herausforderung ist, dass wir Veränderungen auf den Weg bringen, indem wir die entscheidenden Weichen stellen.
Der erste Punkt ist die Frage der Mobilität. Wir müssen die Bewegung in unserem Land mit weniger CO2-Ausstoß organisieren, und deshalb sind massive Investitionen in diesem Bereich auf den Weg gebracht. Ganz besonders gilt das für den Ausbau des schienengebundenen Verkehrs. Der Vorstand der Deutschen Bahn hat die Beschlüsse der Regierung für sich so zusammengefasst, dass er gesagt hat: Das ist das größte Investitionsprogramm für die Bahn in ihrer 180-jährigen Geschichte. Ob das so stimmt, weiß ich nicht genau; aber jedenfalls ist es doch ein sehr massives Programm. Wir werden das Eigenkapital Jahr für Jahr um 1 Milliarde Euro anheben; das sind insgesamt 10 Milliarden Euro im nächsten Jahrzehnt. Wir werden darüber hinaus die Mittel für den metropolenbezogenen Verkehr, also für U-Bahnen und S-Bahnen, ausweiten – diese Mittel sind jetzt schon auf 1 Milliarde Euro ausgeweitet worden, und diese Mittel werden darüber hinaus auf 2 Milliarden Euro ansteigen –, sodass jetzt überall in Deutschland Planungen für all das vorgenommen werden können, was notwendig ist: neue Straßenbahnen, neue S-Bahnen, neue U-Bahnen. Darüber sollte nicht mehr geredet werden, sondern es sollte und kann zur Tat geschritten werden.
Außerdem werden wir die Elektromobilität in Deutschland, die Elektrifizierung des Verkehrs, ermöglichen, indem 1 Million Ladepunkte im öffentlichen Raum errichtet werden und indem wir die Netzinfrastruktur so ertüchtigen, dass sie auch das Laden zu Hause und in den Betrieben besser verkraftet, als es heute der Fall ist. Auch das ist ein großer, bedeutender Fortschritt.
Der dritte Komplex ist, dass wir in der Frage des Heizens, in der Frage der Sanierung unserer Gebäude im Hinblick auf Wärmeverbrauch große finanzielle Möglichkeiten bereitgestellt haben und auch eine Entscheidung getroffen haben, die lautet: Die Nutzung der Ölheizung geht ihrem Ende entgegen. Wir werden in Deutschland auf andere, erneuerbare Formen der Wärmeproduktion übergehen.
Begleitet wird das Investitionsprogramm von 54 Milliarden Euro bis 2023 und von weit über 100 Milliarden Euro bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts durch eine ganze Reihe von Maßnahmen, die den Ausstoß von CO2 teurer machen. An allererster Stelle werden wir bei Neufahrzeugen die Kfz-Steuer anheben, wenn sie einen hohen CO2-Ausstoß haben. An zweiter Stelle werden wir dafür sorgen, dass der CO2-Ausstoß von Lkw bei der Maut intensiver berücksichtigt wird, als es bisher der Fall ist. Das wird auch Milliarden Einnahmen generieren. Zum Dritten werden wir dafür Sorge tragen, dass es eine CO2-Bepreisung gibt. Das fängt 2021 an, steigt dann Jahr für Jahr, und ab 2026 wird dann ein Marktpreis ermittelt, der entsteht, wenn man festlegt, wie viel CO2 Deutschland nach seinen eigenen Zielsetzungen überhaupt noch ausstoßen darf und welchen Ausstoß wir real haben. Das wird dazu beitragen, dass jeder weiß, wenn er jetzt nicht die richtigen Investitionen tätigt, wenn er jetzt nicht die Subventionen, die Finanzmittel, die wir bereitstellen, nutzt, dann wird das dazu führen, dass gewissermaßen alles Stück für Stück teurer wird.
Ich glaube, zusammen mit all diesen Maßnahmen haben wir eine echte Chance, es zu erreichen, dass die Klimaziele für 2030 nicht verfehlt werden. Das ist aber aus meiner Sicht auch notwendig und ein ehrgeiziges, richtiges Programm.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Bundesminister, wir reden hier nur noch über das Klima. Ich habe das Gefühl, dass wir in diesem Land gar keine anderen Probleme mehr haben. Wenn dem so wäre, wäre es ja gut. Aber ich habe das Gefühl – auch meine Fraktion –, dass das ein Schattenkampf ist.
Ich möchte mit Ihnen aber über den Solidaritätszuschlag reden. Ihr Ministerium hat 2008 ausdrücklich eine rechtliche Überprüfung des Solidaritätszuschlages angekündigt, nachdem damals der Bundesrechnungshof auf eine ungleiche Erhebung bei gleichen Einkommen hingewiesen hatte. Wollen Sie uns das Ergebnis dieser Überprüfung mitteilen? Dann frage ich Sie: Haben Sie in Ihre Finanzpläne Planungsreserven aufgenommen, die eine Rückzahlung bei durch das Bundesverfassungsgericht erkannter Verfassungswidrigkeit abdecken?
Schönen Dank für Ihre Frage. – Ich bin sehr froh darüber, dass die Bundesregierung dem Bundestag jetzt ein Gesetz zugeleitet hat, in dem wir den Solidaritätszuschlag für 90 Prozent derjenigen aufheben, die ihn heute zahlen. Das wird ab 2021 der Fall sein – und dann auch Jahr für Jahr. Übrigens bringt das eine Entlastung von über 10 Milliarden Euro. Das wird auch noch dadurch ergänzt, dass 6,5 Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine weitere Entlastung bekommen.
Aus unserer Sicht führt das dazu, dass wir eine verfassungsfeste, gute Lösung entwickelt haben, die es aber möglich macht, die fortlaufenden Aufgaben, die mit der deutschen Einheit verbunden sind, weiter zu finanzieren; davon gibt es ja noch eine ganze Reihe. Das Ende des Solidarpaktes ist nicht das Ende der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West haben. Auch deshalb ist es notwendig, dass wir weiter Einnahmen im Zusammenhang mit dem Solidaritätszuschlag garantieren.
Wir sind ganz sicher, dass das eine verfassungsfeste Lösung ist. Deshalb brauchen wir auch keine Rücklagen für den Fall zu bilden, dass wir uns geirrt haben.
Warum wollen Sie auf eine jahrzehntelange komplette Sonderbelastung unserer Steuerbürger durch eine Ergänzungsabgabe Solidaritätszuschlag nicht einfach eine komplette Sonderentlastung der Bürger folgen lassen?
Wir organisieren gerade eine massive Sonderentlastung der Bürgerinnen und Bürger; denn das ist es ja, wenn 96,5 Prozent der Bürgerinnen und Bürger weniger als bisher oder gar nichts mehr zahlen. Insofern ist das auch ein kleines Konjunkturprogramm, das wir auf diese Art und Weise auf den Weg bringen, und es findet sich übrigens ausschließlich im Bundeshaushalt wieder und keineswegs in den Länder- und Gemeindehaushalten. Das, glaube ich, ist auch eine gute Fügung der Entscheidung, die wir in diesem Zusammenhang zustande gebracht haben.
Ich bin fest davon überzeugt, dass diejenigen, die 500 000 oder 1 Million Euro im Jahr verdienen, weiter die Aufgabe mit schultern können, die wir in Deutschland im Zusammenhang mit der deutschen Einheit haben. Es wäre in dieser Zeit ein falsches Signal, auch dort die Erhebung des Solidaritätszuschlages jetzt einzustellen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich komme auf ihre Ausführungen zu Beginn zurück, nämlich zum Thema „Zertifikate und erste Phase bis 2026“, was Sie angesprochen haben. Die Zertifikate werden ja zum Festpreis ausgegeben. Es handelt sich also um eine faktische CO2-Steuer, weil der Preis im Klimapaket von vornherein, zu Beginn der Phase, auf 10 Euro festgelegt worden ist. Für eine solche Steuer wäre eine Änderung des Grundgesetzes notwendig, weil es eine neue Steuer ist. Das sieht, nebenbei gesagt, auch ihre geschätzte Kollegin aus dem Bundesumweltministerium so, die das gerade im Umweltausschuss noch einmal bestätigt hat. Ohne eine Grundgesetzänderung wäre also von vornherein ein wesentlicher Teil des Klimapaketes verfassungswidrig, und es wäre nicht möglich, es umzusetzen.
Meine Frage lautet: Streben Sie, strebt die Bundesregierung in dieser Frage eine Grundgesetzänderung an, oder gehen Sie beim Klimapaket in einem wesentlichen Teil von Beginn an in den bewussten Verfassungsbruch?
Schönen Dank für Ihre Frage, weil sie offenbar die Vorbereitung eines Gerüchts ist, dem man am besten entgegentritt, bevor es sich verbreitet.
Ja, wenn man eine CO2-Steuer erhöbe und sie als solche eigenständig einführte, dann müsste es dazu eine Steuererhebungskompetenz geben, die in der Verfassung eigenständig gesucht werden müsste. Würde man, was wir jetzt aber nicht gemacht haben, zum Beispiel einfach die vorhandenen Energiesteuern erhöhen und dabei im Kopf haben, dass das etwas mit der hohen CO2-Belastung durch Heiz- und Kraftstoffe zu tun hat, dann wäre das mit der Verfassung und der Gesetzgebungskompetenz des Bundes bereits vollständig gedeckt.
Aber diesen Weg beschreiten wir gar nicht, sondern der Weg, den die Bundesregierung jetzt gewählt hat, ist, dass wir mit Zertifikaten handeln. Das ist eine Abgabe gewissermaßen auf das Inverkehrbringen von Heiz- und Kraftstoffen. Das ist nach unserer Überzeugung in jedem Fall von der gegenwärtigen Gesetzgebungskompetenz gedeckt, und das gilt natürlich erst recht für den Zeitpunkt, wenn mit diesen Zertifikaten gehandelt wird.
Wir haben ein solches Emissionshandelssystem europaweit bereits etabliert, übrigens ohne das Grundgesetz zu ändern. Das funktioniert ganz gut. Das wird uns im nationalen Rahmen auch gelingen.
Ja, direkt dazu. – Das ETS unterscheidet sich davon an dieser Stelle fundamental; denn es gibt keinen festen Preis, der durch die Politik festgelegt wird, sondern, im Gegenteil, der Preis bildet sich richtigerweise am Markt, und die Politik entscheidet über die Menge.
Deswegen frage ich noch einmal deutlich, zumal die Bundesumweltministerin im Umweltausschuss gerade gesagt hat, dass bis 2026, bis zumindest der Korridor kommt, dort eine Rechtsunsicherheit herrscht: Gehen Sie hier erneut – wir hatten das bei der Pkw-Maut; wir haben es derzeit beim Soli – in die komplette Rechtsunsicherheit? Wenn der Klimapakt Ihnen so wichtig ist, Herr Minister Scholz, wie kann es dann sein, dass Sie an dieser Stelle alle Bedenken, auch verfassungsrechtliche Bedenken, wegwischen?
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Denn ein durch die Politik festgelegter Preis auf CO2 ist eine CO2-Steuer; das kann gar nichts anderes sein.
Ich teile Ihre Ausgangsannahme nicht. Es handelt sich um den Verkauf von Zertifikaten.
Vielen Dank für das Wort. – Sehr geehrter Herr Minister, wir sprechen gerade über den Zertifikatehandel. Der hat in der öffentlichen Reaktion große Diskussionen hervorgerufen. Meine Nachfrage bezieht sich darauf: Warum ist die Entscheidung in dieser Richtung gefallen? Uns Sozialdemokraten ist natürlich vor allem die soziale Ausgewogenheit wichtig. Wie ist das bei diesem System abgesichert?
Wir sagen, dass es neben den Energiesteuern, die wir heute bereits erheben, zusätzlich eine Bepreisung von CO2 bei Heiz- und Kraftstoffen geben muss, damit allen klar wird, dass es eine hohe Belastung für unsere Umwelt, für das Klima ist, wenn CO2 ausgestoßen wird.
Das wollen wir auf eine bestimmte Art und Weise einführen: dass zunächst einmal Stück für Stück ein höherer Preis für die Zertifikate zugrunde gelegt wird. Dann wird auf der Basis des eingeführten Zertifikatepreises ein Handelssystem etabliert. Das geschieht, indem wir als Ausgangspunkt die Menge an CO2 nehmen, die wir nach unserer Effort-Sharing-Verständigung in der Europäischen Union und nach unseren eigenen Zielsetzungen, die wir auch im Klimaschutzgesetz niederlegen, überhaupt ausgeben können. Darüber wird sich dann in der zweiten Phase eine Preissteigerung ergeben, die vermutlich erheblich höher ist als die Preissteigerung, die am Anfang durch die feste Bepreisung der Zertifikate ausgelöst wird.
Damit das so funktioniert, haben wir dafür Sorge getragen, dass es ein hohes Angebot gibt, zum Beispiel Heizungen mit bis zu 40 Prozent Subventionen umzurüsten. Wir haben sichergestellt, dass es eine Erleichterung gibt, weil wir zum Beispiel beim Wohngeld eine Erhöhung vorsehen werden. Wir haben sichergestellt, dass es keine Überwälzung auf die Mieter in unbegrenzter Höhe geben kann. Wir haben sichergestellt, dass es eine Reduzierung der Strompreise geben kann, indem wir mit den Zertifikateerlösen im nächsten Jahrzehnt Stück für Stück die EEG-Umlage reduzieren und dazu beitragen, dass man sich das leisten kann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben darüber gesprochen, dass Bestandteil des Klimapakets oder Klimapäckchens, je nachdem, die energetische Gebäudesanierung ist. Können Sie den Mieterinnen und Mietern heute versichern, dass durch diese energetische Gebäudesanierung die Mieten nicht steigen werden? Dann wäre es natürlich gut, zu wissen, wie viel Geld Sie dafür einplanen.
Zunächst einmal haben wir bereits heute sehr umfangreiche Förderprogramme der KfW für die Sanierung von Wohngebäuden, in denen zum Beispiel Mieter leben. Diese Programme werden verbessert, durch einen höheren Zuschussanteil, was dazu beitragen wird, dass die auf die Miete umzulegenden Kosten geringer sind.
Wir haben mit den Gesetzen, die wir auf den Weg gebracht haben, die teilweise schon beschlossen sind oder demnächst noch beschlossen werden, sichergestellt, dass die Modernisierungsumlage begrenzt wird, und haben jetzt im Rahmen der Beschlüsse der Bundesregierung vereinbart, dass es nicht so sein kann, dass ein höherer CO2-Preis durch die Zertifikate uneingeschränkt auf die Miete umgelegt werden kann. Für ärmere Mieterinnen und Mieter haben wir eine Erhöhung des Wohngelds vorgesehen. Ich glaube, das ist ein sozial ausgewogenes Paket, das genau den Zielsetzungen dient, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben.
Vielen Dank. – Ich habe Sie richtig verstanden, dass es quasi nicht mietenneutral sein wird, und verbinde das mit der Frage, ob Sie es nicht für richtig halten, für die Finanzierung eines größeren Klimapakets die Vermögensteuer einzuführen.
Ich halte die Vermögensteuer für eine Steuer, die in Deutschland mal wieder erhoben werden sollte. Dazu hat die Partei, der ich angehöre, einen klugen Vorschlag entwickelt. Allerdings kann ich das hier nicht als gemeinsame Haltung der Regierung verkünden.
Ja. Sehr freundlich. – Ist Ihnen bekannt, dass bei der KfW die Förderung erst ab einer gewissen Grenze anfängt und dass es darunter niedrigschwellige Energiesparmaßnahmen gibt, die für den kleinen Haushalt sicherlich finanzierungsbedürftig wären? Ist es beabsichtigt, hier etwas zu ändern, die Summen herabzusetzen?
Es ist mir bekannt, was Sie gesagt haben, und es ist beabsichtigt, etwas zu ändern. Wir haben gesagt: Wir wollen eine stärkere Modularisierung, damit man mit kleinen einzelnen Maßnahmen schon klimawirksame Effekte bewirken kann. Das gilt einmal für die KfW-Programme, die einen besseren Förderanteil haben sollen. Das gilt aber natürlich auch zum Beispiel für die in eigenen Ein- oder Zweifamilienhäusern vorgenommene energetische Gebäudesanierung. Die wollen wir steuerlich begünstigen, aber auch dort eine solche Modularisierung ermöglichen, sodass man auch mit kleineren Maßnahmen schon etwas bewirken kann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte auf das Thema Grundsteuer zu sprechen kommen. Die verbleibende Zeit für die Reform dieser Steuer ist nun doch schon denkwürdig knapp. Über 11 000 Kommunen sitzen auf heißen Kohlen, wenn man so will, und warten, dass endlich eine Reform kommt. Die Anhörung, aber insbesondere auch die Debatten der letzten zwei Wochen, auch in der Öffentlichkeit, haben mir viele Ungereimtheiten gezeigt. Es gibt viele Diskussionen, die momentan noch ausgetragen werden. Das geht bis hin zu Debatten um das Scheitern der Reform und eine Freigabe an die Länder, was natürlich eine Katastrophe darstellen würde – angesichts der kurzen verbleibenden Zeit und der 17 Monate, die seit dem Urteil des Verfassungsgerichts bereits verstrichen sind.
Ich frage Sie nach dem Zeitplan und nach offenen Punkten, die aus Ihrer Sicht in der Beratungszeit noch ausdiskutiert werden sollten.
Schönen Dank für Ihre Frage und noch mehr schönen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit, die mir von überall berichtet wird, aus den Parlamentsausschüssen und insgesamt, was den Bundestag betrifft.
Wir wissen, dass es eine große Herausforderung ist, wenn wir jetzt eine Gesetzgebung zustande bringen müssen und wollen, die neben dem eigentlichen Gesetz und den ganzen Teilgesetzen, die dazugehören, auch noch eine Grundgesetzänderung beinhaltet. Mein Eindruck ist aber, dass alle mit ausreichender politischer Klugheit darangehen, weil sie um ihre Verantwortung dafür wissen, dass diese für die Kommunen so wichtige Steuer in Zukunft erhalten bleibt.
Grundlegenden Änderungsbedarf haben wir jedenfalls aus den Beratungen nicht erkannt, sind aber sehr kooperationswillig, in Gesprächen mit den Abgeordneten fachliche Fragen und Bedenken zu erörtern und dafür Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Aus meiner Sicht kann das Gesetz – es ist jetzt in der Hand des Parlaments – zügig beraten werden und so schnell wie möglich fertig werden. An uns soll es nicht liegen.
Ich glaube auch, dass es notwendig ist, dass wir diese Einnahmequelle von über 14 Milliarden Euro als eine der wichtigsten Einnahmequellen für die Kommunen erhalten. Nichtsdestoweniger muss ich schon nachhaken; denn, wie gesagt, zuletzt gab es Debatten, die sich vom kompletten Fallenlassen des jetzigen Gesetzentwurfs über eine Neuplanung bis hin zur Freigabe an die Länder erstreckten. All das sind Debatten, die aus meiner Sicht in diesem engen zeitlichen Korridor hoch problematisch sind.
Ich möchte Sie ganz konkret fragen, welche Position Sie zu der noch offenen Frage des Länderfinanzausgleichs einnehmen. Da ist ja die Frage, welche Berechnungsgrundlage aufgenommen werden soll, wenn die Länder durch die geplante Abweichungsklausel eigene Abweichungen vornehmen können, und welche Veränderungen insbesondere im Bereich der Grundsteuer C noch möglich oder denkbar sind. Konkret möchte ich den Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände ansprechen, eine Grundsteuer C nicht nur in Gebieten mit hoher Wohnungsnot anzusetzen, sondern grundsätzlich.
Zunächst einmal zu der ersten Frage, die Sie gestellt haben. Ich glaube, dass mit dem Gesetzentwurf eine gute Lösung gefunden wurde; denn er besagt, dass das zu beschließende Bundesgesetz auch der Maßstab für den Länderfinanzausgleich ist. Darüber gab und gibt es ein Einvernehmen mit allen 16 Ländern, mit denen ich das vorher sehr sorgfältig diskutiert habe. Insofern wird sich im Laufe der weiteren Beratungen nur die Frage stellen: Wie kann man sich sicher fühlen, dass das Problem auf pragmatische Weise gelöst wird? Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Frage, weil sie mir die Gelegenheit gibt, klarzustellen: Wir werden als Gesetzgeber wahrscheinlich überfordert sein, jetzt Berechnungsmethoden für Gesetze zu entwickeln, die wir noch gar nicht kennen; die einzelnen Länder haben für sich möglicherweise andere gefunden. Aber aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens folgt, dass der Bund zusammen mit den Ländern eine pragmatische Regelung entwickeln wird, wenn es so weit ist. Darauf kann sich eigentlich jeder verlassen; das gehört sich so.
Ein Satz zur Grundsteuer C. Wir haben den Vorschlag gemacht, dass man sie erheben kann mit einem Sonderhebungsrecht für die Gemeinden in Bezug auf Grundstücke, die unbebaut sind, aber bebaut werden könnten, also baureife Grundstücke. Da gibt es den Wunsch, den Sie in Ihrer Frage formuliert haben. Wir haben das in unserem Gesetzentwurf nicht vorgesehen, weil wir uns verfassungsrechtlich ein bisschen beengt fühlten, da wir dieses gesonderte Heberecht begründen müssten. Aber bei dieser Frage kann man nicht sagen: Das ist 100 Prozent so oder 100 Prozent so. Es ist sicherlich mehr 51 : 49, und da kann das Parlament auch eine eigene Bewertung vornehmen.
Herr Minister, ebenfalls eine Frage zur Grundsteuer. Mit welcher Mehrbelastung für Mieter und Hauseigentümer rechnen Sie durch diese Reform, in Sonderheit im großstädtischen Bereich? Dort spiegelt sich ja die Wertaufholung im Bewertungssystem wider, auch in dem, das Sie zugrunde legen. Ergo muss es zu Erhöhungen kommen, und zwar genau da, wo die Mieten besonders hoch sind. Wenn Sie dazu bitte Ausführungen machen könnten.
Bevor Sie jetzt sagen, die Kommunen würden die Hebesätze senken, möchte ich, um diesem Einwand vorzubeugen, gleich hinzufügen: Sie haben keinen Hebel, mit dem Sie die Kommunen zwingen könnten, die Hebesätze zu senken. Wie wollen Sie dieses Problem also lösen?
Zunächst einmal wird es keine Anhebung des Grundsteueraufkommens zwischen dem Tag vor der Reform und dem Tag nach der Reform geben; davon bin ich sehr überzeugt. Wir haben die rechtlichen Instrumente bereitgestellt, um dafür zu sorgen, dass es in jeder Gemeinde hinterher wie vorher das gleiche Aufkommen gibt. Ich bin im Gegensatz zu Ihnen voller Vertrauen in die Vertreter der Kommunen – die Bürgermeister, die Gemeinderäte, die Stadträte – und in die Parlamente, die darüber zu entscheiden haben. Alle werden die Hebesätze in ihren Gemeinden so reduzieren, dass es für die Gemeinden insgesamt nicht zu einer Anhebung kommen wird, auch nicht in den Großstädten. Was geschehen kann und wird, ist, dass einzelne Grundstücke eine andere Belastung haben. Einige werden weniger belastet, andere mehr. Das ergibt sich aber folgerichtig aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ja die Differenzierung, die wir heute haben, kritisiert hat.
Okay. Ich dachte, Kontrolle wäre besser. – Dann frage ich noch zu den verfassungsrechtlichen Problemen; die haben wir auch bei diesem Thema wieder. Es sind namhafte Staats- und Verfassungsrechtler – nicht nur die AfD –, die sagen, dass diese Reform gar nicht verfassungsfest sein kann. Sie wollen den Kommunen mit dieser Reform die Sicherheit bieten, dass die Finanzierung klappt. Wie wollen Sie die verfassungsrechtlichen Fragen lösen, respektive warum ignorieren Sie diese?
Es gibt keine verfassungsrechtlichen Probleme mit der jetzt vorgeschlagenen Grundsteuerreform. Sie folgt weitgehend dem Modell, das wir haben. Das Bundesverfassungsgericht hat das Modell nicht insgesamt infrage gestellt, sondern nur gesagt: Das Modell, nach dem Grundstücke in einer Kommune, die gleich viel wert sind, trotzdem unterschiedlich bewertet werden, wie es heute der Fall ist, kann so nicht weiter angewandt werden. Also geht es eigentlich nur darum, dass wir das überkommene – wenn auch funktionierende – Grundsteuerrecht ein bisschen modernisieren, digitalisieren und dann die Instrumente entwickeln, die dafür sorgen, dass bei gleichartigen Grundstücken der gleiche Besteuerungsmaßstab angelegt werden kann. Das wird geschafft.
Eine Frage, die verfassungsrechtlich diskutiert worden ist – die einen bewerten sie so, die anderen so –, ist, ob es wegen der Notwendigkeit der Bundeseinheitlichkeit eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gibt. Diese Frage löst – hoffentlich – der Deutsche Bundestag zusammen mit dem Bundesrat durch die von uns vorgeschlagene Grundgesetzänderung.
Herr Minister, in Ihrer Amtszeit haben Sie maßgeblich die Einführung einer Aktiensteuer bzw. Finanztransaktionsteuer nach französischem Vorbild vorangetrieben. In Ihrer Amtszeit wird der Solidaritätszuschlag auf Kapitalerträge nicht abgeschafft werden. In Ihrer Amtszeit werden die Totalverluste aus Anlagen nicht mehr anrechenbar sein. Das ist etwas, was nicht die Großen, die Agilen trifft, sondern die Kleinen, die auch beim Solidaritätszuschlag sehr schnell unter die 801-Euro-Grenze fallen.
Glauben Sie, dass man damit den Menschen, die Eigenvorsorge betreiben, Wertschätzung entgegenbringt, und glauben Sie, dass das ohne Wirkung auf die Vorsorge für das Alter sein wird und ohne Wirkung darauf, dass die Menschen in Aktien anlegen und wir die Vermögensschere in unserem Land schmälern?
Es gehört ja zum etablierten öffentlichen Sprech dazu, dass man sich immer die Fälle heraussucht, die man für ganz andere braucht. Wenn wir über den Solidaritätszuschlag und seine weitgehende Abschaffung sprechen, dann wird völlig ignoriert, dass diejenigen, die ihn heute zahlen, vorwiegend Einkommensmillionäre sind oder immerhin ein paar Hunderttausend Euro im Jahr verdienen.
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Das Gleiche gilt für die anderen Dinge, die Sie benannt haben.
Zur Besteuerung von Finanztransaktionen. Ich glaube, dass es richtig ist, dass die letzte Bundesregierung und mein Vorgänger sich diese Sache vorgenommen haben und wir das vorantreiben. Das stand im Vertrag über die Regierungsbildung in der letzten Legislaturperiode und steht auch im jetzigen Koalitionsvertrag. Wir haben schon in der letzten Legislaturperiode eine verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Ländern etabliert, und es scheint sich jetzt herauszubilden, dass wir einen gemeinsamen Vorschlag machen können, der dem französischen Modell folgt. Das, finde ich, ist ein guter Prozess, auch wenn er etwas lange gedauert hat. Sorgen muss man sich wegen der Aktienkultur in Deutschland nicht machen. Eine solche Steuer gibt es so ähnlich an der Londoner Börse – das ist keine kleine Börse – und an der Pariser Börse, und sie funktioniert ohne Beeinträchtigung der Aktienkultur und der Geldanlage auf diese Art und Weise.
Gut. – Ich möchte aber nachfragen. Die Finanztransaktionsteuer wurde ins Leben gerufen, um die Finanzmärkte zu zähmen. Sie ist jetzt eine Aktiensteuer; denn sie wird nicht auf Derivate erhoben. Wie stellen Sie sich vor, dass Finanzmärkte auf diese Weise gezähmt werden?
Die zweite Frage: Was sind konkrete Maßnahmen, mit denen Sie die Aktienkultur, die in unserem Land unterentwickelt ist -
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das sehen wir an den Aktienbeständen, an den Vermögensbeständen der Menschen –, in Ihrer Amtszeit fördern wollen?
Also, noch einmal – damit es nicht falsch in den Umlauf kommt –: Ich habe gesagt, das betrifft vor allem Einkommensmillionäre, aber auch Menschen, die ein paar Hunderttausend Euro im Jahr verdienen,
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und das ist auch richtig so.
Was die Frage der Aktienkultur betrifft, so glaube ich, dass wir uns damit sehr sorgfältig beschäftigen müssen. Es scheint Ursachen zu geben, die überhaupt nichts mit dem steuerlichen Bereich zu tun haben; denn in anderen Ländern mit sehr ähnlichen Regelungen entscheiden sich viel mehr Menschen dafür, ihr Geld in Aktien anzulegen. Ich würde das auch bei uns sehr begrüßen. In den USA werden Unternehmen zu 80 Prozent aus Equity und zu 20 Prozent aus Krediten finanziert, in Europa ist es genau anders herum. Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre es, dass es zu einer 50-zu-50-Aufteilung kommt. Das wäre schon einmal ein großer Fortschritt.
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Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass wir Mentalitätsschranken überwinden müssen, damit das besser wird, und dafür werben müssen, dass das so wird.
Ganz sicher müssen wir uns auch darüber Gedanken machen, ob die Produkte, die wir heute anbieten, nicht möglicherweise auch deshalb weniger attraktiv sind, weil die Aktienanteile auch bei den Kapitalsammelstellen sehr begrenzt sind. Darüber nachzudenken, das lohnt sich auf alle Fälle.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich will noch mal zum Klimapaket zurückkommen. Wenn ich die öffentliche Berichterstattung und Kommentierung von weiten Teilen der Wissenschaft richtig verstehe, ist ein Hauptkritikpunkt, dass jetzt kein lenkungswirkender CO2-Preis eingeführt wird. Können Sie noch mal die Motivation der Bundesregierung schildern, jetzt darauf zu verzichten, einen CO2-Preis, der sofort Lenkungswirkung hat, der sofort Verhalten ändert, einzuführen, und ihn stattdessen schrittweise einzuführen?
Schönen Dank für die Frage. – Zunächst einmal will ich noch mal darauf verweisen, dass wir ein Gesamtpaket mit Fördermaßnahmen haben – alles zusammen 54 Milliarden Euro bis 2023 –, mit Investitionen in Infrastruktur, aber auch zur Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger bei der Umstellung der Dinge, die sie tun, zum Beispiel wie sie sich bewegen oder wie sie heizen.
Zweitens ist es aus unserer Sicht so, dass es sehr schwer ist, festzustellen, bei welchem Betrag ein CO2-Preis liegen müsste, der dazu führt, dass man gewissermaßen aus dem Druck der Brieftasche heraus Entscheidungen trifft.
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Der kann sehr hoch sein, und das kann dazu führen, dass Millionen Bürgerinnen und Bürger dann nicht mehr mitkommen. Wir müssen natürlich bedenken: Wie kann jemand, der sich ein Auto gekauft hat und nicht morgen früh ein neues kauft, damit zurechtkommen? Wie kann jemand, der seine Heizungsanlage nicht in den nächsten drei Wochen renovieren wird, damit zurechtkommen?
Aus unserer Sicht ist es deshalb richtig, dass wir einen steigenden CO2-Preis etablieren. Das beginnt schon 2021, er steigt dann bis 2025. Danach wird dann, je nachdem, wie viele CO2-Zertifikate ausgegeben werden müssen, ein höherer Preis entstehen. In dieser Zeit kann sich aber jeder wegen all der Maßnahmen, die wir getroffen haben, darauf vorbereiten und umstellen, sodass er dann wegen geringeren CO2-Verbrauchs auch mit dem Budget, das er zu Hause hat, und mit seinen eigenen Möglichkeiten zurechtkommen kann. Alles andere ist vielleicht mehr Ideologie als wirklich kluge Politik.
Eine kleine Nachfrage. – Die Bundesregierung hat sich zur Etablierung des Klimakabinetts entschieden, um die Minderungsziele der einzelnen Ministerien jährlich zu überprüfen. Jetzt kommt wieder der Einwand: Aber es gibt keinen ausreichenden Kontrollmechanismus. – Können Sie noch mal darstellen: Was denkt sich die Bundesregierung? Wie wird dieser Kontrollmechanismus auch im Kontext der europäischen Regelung aussehen?
Es wird eine sehr scharfe Überprüfung geben. Jedes Jahr wird berichtet werden, wie sich der CO2-Ausstoß in den einzelnen Sektoren entwickelt haben wird. Dazu wird sich die Bundesregierung dann verhalten können. Wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, wird noch mal nachgeprüft werden, ob die Zahlen richtig sind. Der jeweils zuständige Fachminister und das Klimakabinett müssen bei Zielverfehlung dann daraus Schlussfolgerungen ziehen und Beschlüsse fassen. Das ist eine richtige Differenz zur heutigen Situation.
Ich bin fest davon überzeugt, dass das der wesentliche Schritt ist, der dazu führen wird, dass wir 2030 die Klimaziele erreichen – anders als 2020, wo das wohl leider nicht gelingen wird.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Menschen, die nicht wie Sie oder ich in der glücklichen Lage sind, sich die Miete in den Innenstädten leisten zu können, können ihr Auto häufig ja nur stehen lassen, wenn sie über hinreichend Zugang zu Bahnen oder Bussen verfügen.
Der Investitionsstau bei der Deutschen Bahn beträgt 57 Milliarden Euro. Seit 1994 sind 6 500 Streckenkilometer stillgelegt worden. Ich weiß, Sie haben das Eigenkapital bei der Deutschen Bahn jetzt etwas erhöht, aber: Bis wann planen Sie, diesen Investitionsstau hier in Deutschland bei der Bahn behoben zu haben?
Wenn Sie sich zum Beispiel die Vereinbarung, die wir zuletzt zur Finanzierung der Bahn getroffen hatten, anschauen, die LuFV, wo es um 86 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren geht, und wenn Sie sich all die anderen Entscheidungen anschauen, dann sehen Sie, dass es um milliardenschwere Förderungen der Investitionstätigkeit bei der Bahn geht. Das alles zusammengerechnet ergibt sehr hohe Beträge, wie Sie der Summe, die ich eben genannt habe, entnehmen können.
Wenn Sie alle Gelder, die der Bundeshaushalt auf die eine oder andere Weise für den Schienenverkehr bereitstellt, zusammenrechnen, kommen Sie Jahr für Jahr auf über 20 Milliarden Euro. Auch das ist eine ganze Menge Geld.
Mit den Entscheidungen, die wir jetzt im Rahmen des Klimakabinetts getroffen haben, wird das noch mal dramatisch ausgeweitet. Sie haben schon gehört, wie sehr sich die Deutsche Bahn darüber freut; so plant sie Bestellungen neuer Züge, Verbesserungen von Verkehrsverbindungen und Investitionen in die Infrastruktur. Dazu gehört nicht nur die Eigenkapitalerhöhung, dazu gehört auch die permanente Anhebung der Regionalisierungsmittel. Dazu gehört auch, dass wir die Mittel für die Gemeindeverkehrsfinanzierung noch mal dramatisch anheben, um zum Beispiel Planungen für neue S-Bahnstrecken auf den Weg zu bringen.
Es freut mich, Herr Minister, dass sich der Bahnvorstand freut. Dennoch: Sie haben hier kürzlich gesagt, dass man erst mehr Geld in die Hand nehmen sollte, investieren sollte, wenn der Abschwung da ist. Wir als Bundesrepublik zahlen derzeit minus 0,5 Prozent Zinsen auf den Kapitalmärkten. Ich möchte Sie fragen: Was sind denn die Kalkulationen des BMF, wie lange Investitionen Zeit brauchen, bis sie wirken und die Nachfrage stabilisieren?
Wir haben jetzt ein großes Klimaprogramm auf den Weg gebracht. Ich habe schon gesagt: Wenn man das alles zusammenrechnet, kommt man in den nächsten zehn Jahren schnell auf eine Summe, die über 150 Milliarden Euro umfassen könnte. Das wird Auswirkungen haben auf die Infrastruktur, auf die Verbesserung der Mobilität, auf die Art und Weise, wie wir heizen. Und natürlich hat es immer auch Folgen für das wirtschaftliche Wachstum, wenn das in dem Ausmaße geschieht.
Und da wir uns gute zusätzliche Einnahmemöglichkeiten bei dieser Gelegenheit mitverschafft haben, werden wir das auch gut bezahlen können. Zum Beispiel werden die verschiedenen Abgaben, die ich eben beschrieben habe, dazu beitragen, dass das gut ausbilanziert ist.
Herr Finanzminister, Sie hatten eben schon selber angesprochen, dass sich die SPD Ende August dieses Jahres mal wieder positiv zur Vermögensteuer geäußert hat. Es ist ja lange her, dass sie es das letzte Mal getan hat. Sie selber hatten davon gesprochen, dass es sich um ein Konzept handle. Andere Mitglieder Ihrer Partei, zum Beispiel der ehemalige Staatssekretär Mark Rackles aus Berlin, sagen: Das ist kein Konzept, das ist eine Ansammlung von alten Beschlüssen. – Und auch ich als Steuerexpertin vermisse die eine oder andere Genauigkeit. Deswegen wollte ich Ihnen noch mal die Gelegenheit geben, darzustellen, wie Sie sich das vorstellen.
Also: 1 Prozent Steuersatz, das haben wir verstanden. Dass es 10 Milliarden Euro bringen soll, haben wir auch verstanden. Aber wer ist denn eigentlich genau das Steuersubjekt außer natürlichen Personen? Wie machen Sie es bei Unternehmen, Personengesellschaften und Körperschaften? Die andere Frage ist: Wie hoch wird der Freibetrag sein bei der so konzipierten Vermögensteuer?
Zunächst einmal ist das ein Konzept, das die Sozialdemokratische Partei entwickelt und vorgestellt hat. Ich habe mich mit den Freunden, die das gemacht haben, immer intensiv unterhalten und halte das auch für einen klugen Beschluss.
Aus meiner Sicht es doch etwas merkwürdig, wie es in Deutschland dazu gekommen ist, dass die Vermögensteuer nicht mehr erhoben wird. Es ist ja nie vom Deutschen Bundestag beschlossen worden, dass das so nicht mehr gemacht werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr gesagt, dass die Vermögensteuer nicht mehr so erhoben werden kann, wie das bis dahin geschehen war, nämlich zum Beispiel wegen der unterschiedlichen Bewertung von Grundvermögen, Kapitalvermögen und Barvermögen bei der Vermögensteuer. Das würde mit dem Vorschlag, der jetzt hier gemacht wird, alles vernünftig aufgelöst. Die Orientierung ist, es im Wesentlichen so zu machen wie in der Schweiz.
Könnten Sie uns vielleicht noch mal erläutern, wie Sie sich das persönlich vorstellen? Sie hatten ja eben gesagt, dass Sie daran mitgewirkt haben, Herr Finanzminister.
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und als solcher weiß er ja, wie man Steuergesetzgebung macht. Er hat sich ja auch persönlich eingebracht. – Ich frage Sie deshalb: Wie stellen Sie persönlich sich die Übertragung des Schweizer Modells auf Deutschland vor?
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Welche Eckpunkte werden das zum Beispiel beim Thema Freibetrag und zum Thema „Wer ist das Steuersubjekt?“ sein?
Wie Sie gesehen haben, haben wir uns an einem Konzept orientiert, aber ein paar Festlegungen nicht getroffen – sehr bewusst, weil sie der Diskussion zugänglich sein sollen. Dass es einen Freibetrag geben soll, ist etwas, was uns in der Dimension, wie es hier eine Rolle spielen wird, von dem Schweizer Modell unterscheidet. Wir können uns auch vorstellen, dass es bei sehr großem Vermögen eine Progression geben soll. Das wäre auch ein Unterschied zu dieser Sache.
Im Übrigen ist es so, dass wir einen Weg finden müssen, wie man Privatvermögen, aber auch Unternehmensvermögen vernünftig in diese Besteuerung einbezieht. Das ist in der Schweiz aus meiner Sicht gar nicht so schlecht gelöst. Außerdem ist die Orientierung an diesem Modell auch deshalb klug, weil sie dazu beiträgt, dass man sich nicht so aufregt; denn wenn die das können, können wir das schon lange.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben am 19. August in n-tv angekündigt, dass ein mögliches Konjunkturprogramm 50 Milliarden Euro kosten würde. Nun haben wir gehört, dass das Klimapaket, das jetzt verabschiedet worden ist, netto ungefähr 54 Milliarden Euro kosten wird. Die Frage ist: Wie stellen Sie sich die Finanzierung dieses Gesamtbetrages von etwa 100 Milliarden Euro – zugegebenermaßen innerhalb von vier Jahren – vor?
Zunächst einmal zu dem, was ich gesagt habe. Ich habe darauf verwiesen, dass eine Krise sehr viel Geld kosten kann. Das habe ich auch noch in sehr guter Erinnerung. Bei der letzten war ich nämlich Bundesminister für Arbeit und Soziales und habe gemerkt, wie in 10-Milliarden-Schritten die Ausgaben größer und die Einnahmen geringer wurden. Und deshalb kann man vielleicht als Faustregel sagen: Eine schwere Krise wie die 2008 kann den deutschen Staat schon mal 50 Milliarden Euro kosten. Ich habe dann gesagt: Das können wir uns auch leisten, weil wir eine solide Haushaltspolitik machen und gerade dabei sind, die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung auf unter 60 Prozent zu drücken.
Zu den Summen, die Sie genannt haben: Bis 2023 sind es 54 Milliarden Euro. Ich habe dann über das ganze Jahrzehnt gesprochen und darüber, wie viel es insgesamt ausmacht. Die Finanzierung erfolgt aus den Einnahmen des europäischen Emissionshandelssystems, aus den Einnahmen der höheren Kfz-Steuer, aus der Einnahme, die mit der höheren CO2-Bemautung verbunden ist, und natürlich aus der Einnahme, die sich mit dem CO2-Preis dann Stück für Stück ergibt.
Laut Artikel der „FAZ“ sieht es so aus, dass, diese Einnahmen vorausgesetzt, trotzdem noch ein zu finanzierender Bereich von netto 54 Milliarden Euro dastehen würde. Sie haben vorhin auch einige Sachen aufgeführt, die unbedingt nötig sind. Was Sie als Tatsachen nicht aufgeführt haben, war, dass wir marode Brücken haben, die mittelfristig renoviert und instand gesetzt werden müssen. Das betrifft immerhin 84 Prozent aller Brücken in Deutschland. Außerdem wissen Sie, dass zwischen 30 und 70 Prozent des militärischen Geräts in Deutschland nicht einsatzfähig ist. Wie bitte wollen Sie die Maßnahmen, um das wieder instand zu setzen, um das wieder zum Laufen zu bringen, finanzieren?
Die massiven Maßnahmen an Investitionen in den Schienenverkehr – zusätzlich zu denen, die wir bereits auf den Weg gebracht hatten und die alle gut finanziert sind – werden dazu beitragen, dass sich genau diese Probleme, was zum Beispiel die Schieneninfrastruktur betrifft, verflüchtigen werden. Daran muss jetzt im Rahmen der Möglichkeiten, die wir geschaffen haben, hart gearbeitet werden.
Sie werden den Klimabeschlüssen der Bundesregierung entnommen haben, dass wir uns auch Veränderungen des Planungsrechtes vorstellen. Eine Frage, die wir zum Beispiel sehr genau erörtern wollen, ist, ob man den Neubau von Brücken, die schon da sind, einem komplett neuen Planverfahren unterwerfen muss oder ob man sie einfach ersetzen kann. Das ist nicht ganz einfach, aber zumindest ein lohnenswerter Gedanke.
Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben eben noch einmal deutlich gemacht, dass Sie die Weiterführung des Solidaritätszuschlags auch über 2021 hinaus für eine Frage der Gerechtigkeit halten. Ich darf Sie konfrontieren mit dem, was die SPD vor der letzten Bundestagswahl den deutschen Wählern gesagt hat. Ich zitiere Seite 52 des SPD-Bundestagswahlkampfprogramms:
Aber dauerhaft kann auch der verbliebene Solidaritätszuschlag nicht erhoben werden. Wir werden deshalb auch den restlichen Solidaritätszuschlag stufenweise abschmelzen.
Dasselbe hat die CDU/CSU gesagt.
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Sie haben in der Koalition, zumindest was die Abschmelzung angeht, eigentlich keinen Dissens. Sie sind vor die Wähler getreten mit einer Aussage, die Sie jetzt als Finanzminister wieder einkassiert haben.
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Ich möchte Sie fragen, was das für die Glaubwürdigkeit des Regierungshandelns und der Politik der Bundesregierung bedeutet.
Der Respekt vor dem Parlament verbietet mir gewissermaßen, ständig darauf hinzuweisen, dass Sie die Dinge nicht falsch zitieren sollen; aber ich möchte es doch noch einmal tun.
Was wir vorgeschlagen haben, ist exakt das, was die Bundesregierung jetzt macht. Und natürlich wird es irgendwann weitergehen. In dem Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, steht übrigens auch drin, dass es später weitere Schritte geben muss. Welche Schritte das sein werden und wann sie stattfinden, hat die Bundesregierung für sich nicht festgelegt. Darüber gibt es auch unterschiedliche Ansichten. Die sozialdemokratische Partei kann sich zum Beispiel vorstellen, dass das durch eine Einbeziehung in den Einkommensteuertarif erfolgen kann.
Sie sollten Ihre Wahlprogramme vielleicht mit Beipackzetteln versehen, damit man das Kleingedruckte auch lesen kann. – Ich möchte aber noch einmal auf die verfassungsrechtliche Lage zurückkommen. Es ist ja nicht irgendwer, der Sorgen hat, dass das verfassungswidrig ist: Es ist der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Professor Papier, es ist der Bundesrechnungshof, es ist der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Das sind doch alles Autoritäten, die man nicht einfach beiseitewischen kann. Ich möchte Sie deshalb fragen, und zwar öffentlich: Was passiert, wenn Professor Papier, der Bundesrechnungshof und der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages recht haben und Olaf Scholz, der Minister, falsch liegt und der Solidaritätszuschlag eines Tages für verfassungswidrig erklärt wird? Was sind die Folgen für den Haushalt, wenn das so eintreten sollte?
Ich finde, dass Sie schon unterstellen sollten, dass sich alle sehr sorgfältig Gedanken über die Frage gemacht haben, was verfassungsrechtlich zulässig ist. Ich teile die von Ihnen hier insistierte Haltung nicht und will deshalb dazu sagen: Eine Möglichkeit, die immer besteht, ist, dass man es in den Einkommensteuertarif überführt. Das haben wir übrigens in unserem Wahlprogramm vorgeschlagen, allerdings im Zusammenhang mit der Regierungsbildung nicht zu einer gemeinsamen Ansicht voranbringen können.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister! Ich möchte noch einmal auf das Klimaschutzprogramm 2030 und Ihre Ausführungen zu Beginn der heutigen Sitzung zurückkommen. In dem Programm stehen ja ein paar Dinge, die man relativ schnell umsetzen kann: Ich nenne mal die Abschaffung des PV-Deckels – Photovoltaik – oder auch die Stärkung von Mieterstrommodellen. Aber auch das Klimaschutzgesetz ist ja etwas, was schnell umgesetzt werden kann. Vielleicht können Sie aus Sicht der Bundesregierung erläutern, wie der Zeitplan für die Umsetzung der Maßnahmen ist, wann wir mit den ersten Gesetzentwürfen rechnen können. – Danke.
Schönen Dank. – In der Tat sind wir sehr froh darüber – das will ich gerne noch einmal unterstreichen –, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt wieder vorankommt: Der PV-Deckel ist weg, es kann wieder Solarenergie in Deutschland zugebaut werden. Wir werden mehr Onshorewindanlagen, auch in den südlichen Ländern Deutschlands, und mehr Offshorewindanlagen haben. – Das ist ein großer Fortschritt. Man kann nicht aus der Kohleverstromung aussteigen und keine neuen Erzeugungskapazitäten mit Erneuerbaren schaffen.
In der Sache werden wir jetzt festlegen, wann die entsprechenden Gesetzentwürfe kommen. Der Ehrgeiz der Regierung ist, möglichst viel noch in diesem Jahr dem Deutschen Bundestag zuzuleiten, damit darüber beraten werden kann und es schnell losgeht. Das gilt natürlich für die von Ihnen angesprochenen Gesetze allemal. Das Klimaschutzgesetz hat, glaube ich, höchste Priorität.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, es gab im letzten Jahr ein Urteil zur Gemeinnützigkeit von sogenannten Nichtregierungsorganisationen, in dem konkreten Fall betraf es die Organisation Attac. Jetzt gibt es bei verschiedensten Organisationen Befürchtungen, dass mit diesem Urteil auch Schwierigkeiten für andere Organisationen verbunden sind, die sich ebenfalls immer so zwischen gemeinnützigen Zwecken und Beteiligung an der politischen Willensbildung bewegen. Von dort kommt der Vorstoß, eine Erweiterung des Katalogs in der Abgabenordnung, was die förderungswürdigen Zwecke sind, vorzunehmen. Teilen Sie diesen Vorschlag? Wird in Ihrem Hause an einer solchen Überarbeitung, Erweiterung gearbeitet?
Wir wollen das Gemeinnützigkeitsrecht insgesamt überarbeiten und hoffen, dass wir noch dieses Jahr einen Gesetzentwurf dem Deutschen Bundestag zur Beratung vorlegen werden. Da werden viele, viele andere Fragen vorwiegend eine Rolle spielen, zum Beispiel – das bewegt viele – das Thema „Freifunk“ oder Ähnliches. Wir suchen aber auch nach Wegen, eine Klarstellung im Hinblick auf die Gemeinnützigkeit solcher Organisationen zustande zu bringen.
Das Urteil, das Sie angesprochen haben, bringt eigentlich keine große Veränderung der bestehenden Rechtslage mit sich. Aber wir spüren natürlich die Verunsicherung, die es bei vielen ausgelöst hat. Deshalb suchen wir nach einem Weg, wie wir ohne substanzielle Änderung der Rechtslage die Unsicherheit beseitigen können; denn meine Einschätzung und auch die des Ministeriums ist: Fast 100 Prozent der Organisationen müssen sich keine Sorgen machen und sind zu Recht als gemeinnützig eingestuft.
Sehr gerne. – Ich würde gerne noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen und Ihre Meinung dazu hören. Wenn man sich das Urteil anschaut, stellt man fest: Das Gericht hält an einer sehr klaren Unterscheidung zwischen politischer Betätigung und förderungswürdigen Zwecken fest.
Glauben Sie nicht auch, dass im Zuge der letzten Jahrzehnte eine andere Form von Bürgerbeteiligung, von gesellschaftlichem Engagement, von Engagement in solchen Nichtregierungsorganisationen – ich bleibe mal bei dieser Hilfsbezeichnung – eingetreten ist, die eine andere Justierung dieses Verhältnisses, natürlich ohne den parlamentarischen Rahmen zu sprengen, notwendig macht?
Es ist immer wichtig, Gesetze klug zu machen. Deshalb darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die heutige Rechtslage ist aus sehr richtigen Gründen entstanden. Es hat eine Zeit in der Geschichte dieser Republik gegeben, in der Vereine, die sich als gemeinnützig und der Staatsbürgerschaftsförderung zugänglich verstanden haben, die Finanzierung von politischer Tätigkeit von Parteien übernommen haben. Deshalb haben wir eine große, klare Differenzierung zwischen allgemeinpolitischer Tätigkeit und der Tätigkeit, die man sich im gemeinnützigen Bereich vorstellen kann, die auch ins Politische hinausreichen kann. Das ist gewissermaßen die Lage.
Wir müssen eigentlich nur klarstellen, dass es dabei bleibt. Ein Blick in die USA kann einem zeigen, wohin es führt, wenn große, gar nicht so gemeinnützige Organisationen im Prinzip sehr reaktionäre politische Veranstaltungen mit sehr viel Geld unterstützen. Dazu sollte es in Deutschland nicht kommen.
Herr Minister, ich möchte Sie nach einem sehr wichtigen politischen Projekt fragen, und zwar nach der Grundrente. Wir Grünen sprechen da gerne von Garantierente. Ich habe jetzt zur Kenntnis genommen, dass es bei der Großen Koalition den Willen gibt, noch im Oktober eine Einigung zu erzielen und einen Beschluss für die Einführung einer Grundrente mit Wirkung ab 1. Januar 2021 zu fassen.
Wir stecken ja in den Haushaltsberatungen – zugegeben und klar gesagt – für den Haushalt 2020. Dort spielen ja auch die Finanzsituation der Rentenversicherung und der Haushaltsplan für die Folgejahre, also 2020 f., eine Rolle. Deswegen möchte ich Sie fragen: Werden Sie noch vor dem Abschluss der Haushaltsberatungen im November im Deutschen Bundestag den Haushaltsausschuss von sich aus mit der Finanzierung einer Grundrente befassen? Ich habe nämlich verstanden, dass dort Haushaltsmittel, und zwar eventuell von mehr als 2 Milliarden Euro, zu veranschlagen sind.
Schönen Dank für die Frage. – Ich will erst mal Ihren Optimismus unterstützen, dass es der Regierungskoalition gelingt, eine Verständigung auf eine Grundrente zustande zu bringen. Wir müssen es aber erst mal geschafft haben – wenn ich das dazusagen darf. Die Gespräche sind aber sehr weit fortgeschritten, und sie sind auch sehr intensiv.
Neben der Frage, wie man die Grundrente ausgestaltet – dabei wird es darauf ankommen, dass sie sich nicht nur an 100 000, sondern vielleicht an 2 Millionen Bürgerinnen und Bürger richtet, die sich auch gemeint fühlen –, wird es auch darauf ankommen, wie man sie finanziert. Die Diskussionen darüber haben erst begonnen. Sie kennen die Vorschläge, die die Sozialdemokratische Partei dazu gemacht hat und die sich auch auf Mehreinnahmen beziehen. Über einige davon haben wir schon diskutiert, zum Beispiel einen Teil über die Einnahmen aus einer Besteuerung von Finanztransaktionen zu finanzieren.
Ich spreche Sie ja jetzt in Ihrer Rolle als Finanzminister an. Deswegen möchte ich wissen, ob Sie – Sie sind ja auch ein optimistischer Politiker – beabsichtigen bzw. einen Grund dafür sehen, den Haushaltsausschuss wegen möglicher Finanzierung durch den Haushalt zu befassen, und ob Sie ausschließen können – so hoffe ich –, dass eine Grundrente ausschließlich über die Rücklage der Rentenversicherung finanziert würde.
Ich möchte auch darum bitten, mir die Frage zu beantworten, ob zum Einigungskorridor gehören könnte, Ehepaare gemeinsam zu betrachten; denn ich höre, dass Sie sich nicht mehr so sehr über eine mögliche Vermögensprüfung, sondern eher über eine Einkommensprüfung – was ich vernünftig finde – und dort zu berücksichtigende Grenzen streiten.
Ich glaube, dass es keinen Sinn macht, die Details einer Diskussion zwischen verschiedenen Politikern, die das zunächst mal in ihrer Eigenschaft als Vertreter von Parteien miteinander besprechen, hier wiederzugeben. Aber ich will dem Anliegen, das Sie zum Ausdruck gebracht haben, Rechnung tragen: Ja, ich bin davon überzeugt, dass eine Finanzierung aus dem Haushalt substanziell sein muss und dass es deshalb auch um Steuereinnahmen, auch um zusätzliche Steuereinnahmen, geht, damit das nicht durch einen Griff in irgendwelche Kassen erfolgt.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, wir haben heute sehr viel über die großen Ziele gesprochen, die Sie mit der Festsetzung der Reduktionsziele für CO2 und dem Klimapaket, das verabschiedet worden ist, ins Auge gefasst haben. Wir haben darüber gesprochen, dass kontrolliert werden muss, ob CO2 eingespart wird, und dass es gegebenenfalls Konsequenzen geben muss, wenn es nicht eingespart wird.
Ich möchte jetzt gerne nach dem weitergehenden Ziel fragen; denn das Ziel ist ja nicht, CO2 einzusparen, sondern den Temperaturanstieg zu verhindern. Dafür, haben Sie gesagt, werden bis 2023 54 Milliarden Euro und bis 2030 100 Milliarden Euro ausgegeben. Ich möchte gerne wissen: Um wie viel Grad wird denn der Temperaturanstieg für diese 100 Milliarden Euro voraussichtlich reduziert werden können? Was ist das Ergebnis dieses Paketes von 100 Milliarden Euro, ausgedrückt in Grad Celsius, gerne auch in Hundertstel oder Tausendstel Grad?
Schönen Dank für Ihre Frage. – Dieser liegt ein planetares Missverständnis zugrunde. Das planetare Missverständnis Ihrer Frage ist, dass wir alle auf unterschiedlichen Globen leben würden. Tatsächlich aber ist die Erderwärmung etwas, was Veränderungen in der ganzen Welt herbeiführt. Deshalb ist die Frage, die Sie eigentlich stellen – das diskutieren Sie ja nicht nur hier –: Macht es eigentlich Sinn, dass wir in Deutschland etwas tun, wenn überall auf der Welt weiter CO2 in großem Ausmaß ausgestoßen wird, wenn neue Kohlekraftwerke entstehen,
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wenn traditionelle Fahrzeuge auf der ganzen Welt verkauft werden, Millionen dazukommen und das dann die Erderwärmung nicht aufhält?
Die Antwort auf diese Frage ist: Ja. Denn mit den Technologien und den Wirtschaftsweisen, die wir hier entwickeln, entstehen welche, die auf der ganzen Welt nutzbar sein werden, und zwar als bezahlbare, geeignete Formen, um ein gutes Leben in großem Wohlstand mit weniger CO2-Ausstoß zu führen. Dadurch können wir dann den menschengemachten Klimawandel und die Erderwärmung besser aufhalten als ohne dieses Handeln.
Also ein konkretes Klimaziel können Sie für 100 Milliarden Euro nicht angeben; das stelle ich fest.
Welches sind denn die Länder, von denen Sie annehmen, dass sie Deutschland auf diesem Weg folgen werden? Wenn wir Vorbild sein wollen mit unseren Maßnahmen und den Innovationen, die wir entwickeln: Welche Länder, glauben Sie, werden Deutschland auf diesem Weg der maximalen CO2-Reduktion folgen? Denken Sie, dass namentlich China und die USA da mitmachen werden und wir einen Sinneswandel dort erleben?
Zunächst mal gibt es natürlich Zielsetzungen, die sehr konkret sind. Wir haben das 2-Prozent-Ziel.
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Wir haben sogar miteinander formuliert, dass wir eigentlich versuchen müssen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, was sehr, sehr schwer sein wird, wie jeder weiß.
Ja, ich bin fest davon überzeugt, dass die technologische Innovationskraft und die Innovationssprünge, die wir in Deutschland auf den Weg bringen, dazu führen werden, dass auch andere Länder, auch China und die USA, das so machen werden, wie wir es hier auf den Weg bringen.
Herr Bundesminister, wir haben uns in der Großen Koalition zum Thema Dezentralisierung im Koalitionsvertrag geeinigt. Ihr Kollege Horst Seehofer hat gemeinsam mit Ihren anderen Kollegen die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ begleitet. Unter anderem ist dabei ein wichtiger Punkt die Dezentralisierung, sprich: Bundesbehörden und nachgeordnete Einrichtungen in den ländlichen Raum zu bringen, um strukturschwache Regionen wieder aufzuwerten.
Ich frage Sie, Herr Minister: Wie halten Sie es in Ihrem Bereich? Welche Behörden und nachgeordneten Einrichtungen werden wann in welchem ländlichen Raum angesiedelt werden? Welche Strategie verfolgen Sie als Bundesfinanzminister, und wer koordiniert das in Ihrem Haus?
Zunächst mal beschreiben Sie ganz richtig, was die Bundesregierung sich vorgenommen hat, insbesondere auch im Hinblick auf den Strukturwandel, der mit dem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung verbunden ist. Noch mal ganz verstärkt: Wir werden Einrichtungen des Bundes überall ansiedeln. Das Bundesministerium der Finanzen tut das genauso wie viele andere. Es ist ja eine sehr große Institution mit sehr großen Behörden. Ich nenne zum Beispiel den Zoll mit seinen ganzen Handlungsmöglichkeiten. Da entstehen genügend Gelegenheiten, dafür zu sorgen, dass wir eine dezentrale institutionelle Verankerung in Deutschland haben, die gerade in den Gebieten nützt, nach denen Sie fragen.
Ja. – Ich möchte etwas konkreter werden, Herr Bundesminister. In Ihrer Amtszeit ist unter anderem die Entscheidung gefallen, den Zollstandort nach Leipzig zu verlegen. Das ist meines Erachtens nicht sehr dezentral. In Ihrer Amtszeit ist die Entscheidung gefallen, den Standort Bonn des Bundeszentralamts für Steuern weiter zu forcieren und dort die Mitarbeiterkapazitäten zu erhöhen. In Ihrer Amtszeit ist die Entscheidung gefallen, die FIU, die Financial Intelligence Unit, vom Kölner Außenbezirk in die Kölner Innenstadt umzuziehen.
Ich frage Sie noch mal deutlicher, Herr Finanzminister: Wann will das Bundesfinanzministerium, Ihren Worten folgend, nicht nur den Koalitionsvertrag der Großen Koalition umsetzen, sondern den Worten auch Taten folgen lassen, Behörden und nachgeordnete Einrichtungen in den ländlichen Raum zu bringen?
Ich habe schon gesagt, wie das geschieht, und das können Sie ja auch fortlaufend beobachten. Deshalb noch mal zu den von Ihnen konkret angesprochenen Entscheidungen: Die sind alle sehr richtig und vertretbar. Ich glaube, dass es eine gute Entscheidung ist, Leipzig zu stärken. Das ist auch ein Beitrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland, besonders im Hinblick auf das Ereignis „30 Jahre deutsche Einheit“, wenn ich das noch einmal unterstreichen darf. Sie haben zwei sehr schlagkräftige Institutionen benannt, die wir weiter profilieren und ausbauen wollen, weil wir große Probleme haben. Das gilt auch für die FIU und deren Aufgabenprofil. Es ist wichtig, dass wir sie stärken, dass wir sie ausbauen, dass wir ihre Infrastruktur verbessern. Alles das habe ich auf den Weg gebracht und werde es auch weiter tun.
Sehr geehrter Herr Präsident, vielen herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben auf die Frage des Kollegen Dürr gerade ausgeführt, dass es sich aus Ihrer Sicht bei der Bepreisung, die Sie im Klimakabinett angeregt haben, nicht um eine CO2-Steuer handelt. Es freut mich, dass das aus Ihrer Sicht so ist, aber das wird sich sicherlich noch zeigen.
Handelt es sich aber nicht um eine Steuer, muss es sich – Sie sagten es – um ein Emissionshandelssystem handeln, obwohl am Anfang ja noch kein Handel stattfindet. Trotzdem hat aber die Frage, um was es sich handelt, weiterhin Bestand. Bei der CO2-Steuer hätten Sie die Möglichkeit, über eine Grundgesetzänderung dafür zu sorgen, dass sie einführbar wäre. Bei einem Emissionshandelssystem haben Sie diese Möglichkeit der Grundgesetzänderung nicht. Das Problem ist aber, dass Sie über den Fixpreis ja auch einen Höchstpreis festlegen – Sie wollen ihn ab 2027 ja auch einführen – und dass dieser vom Bundesverfassungsgericht in einem Urteil als verfassungswidrig erklärt wurde, weil er den Zielen des Emissionshandels nicht gerecht wird.
Wie wollen Sie mit dieser Rechtsunsicherheit bzw. Rechtsunklarheit umgehen, wenn Sie ein solches Instrument einführen? Sie können ja vielleicht das Verkehrsministerium fragen, wie solche Rechtsunsicherheiten geklärt werden können, bevor man so etwas beschließt.
Wir klären alle Rechtsfragen vorher und erörtern sie sorgfältig mit Ihnen. Ich bin ganz sicher, dass Sie voller Begeisterung dem Gesetz zustimmen werden.
Danke für die Antwort. – Ich würde gerne die Frage wiederholen. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass es im Rahmen eines Emissionshandels keine Höchstpreise geben kann.
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Es darf keine geben. Das geht nicht, weil es dem System widerspricht. Es geht also entweder um eine Steuer, die Sie eben abgelehnt haben, oder um ein Handelssystem. Wie wollen Sie damit umgehen? Wie können Sie jetzt ein Instrument beschließen, das Sie mit anderen Maßnahmen als Kernstück einer Klimapolitik beschreiben, und uns dann nicht die Möglichkeit geben, zu sagen: „Ja, das ist doch das, was funktioniert und umgesetzt wird“?
Wie ich Ihnen vorhin schon erläutert habe, haben wir ja zwei Phasen. In der ersten Phase wird ein Stück für Stück steigender Preis für die Zertifikate eine Rolle spielen. Das ist auch notwendig, weil wir die Sache ja implementieren müssen und alle sich auf diese Preisveränderungen einstellen müssen. Wir nutzen die Zeit, um bis dahin ein Emissionshandelssystem zu etablieren, dessen Idee natürlich ist, dass wir die Zahl der Zertifikate festlegen und sich darüber ein Marktpreis bildet.
Die einzige Frage ist: Wie kommt man dahin, dass es am Anfang keine preislichen Ausschläge gibt? Diesbezüglich halten wir in unseren Planungen und Erwägungen einen Höchstpreis als Regelmechanismus am Anfang für geeignet. Zielsetzung ist natürlich, davon auf zwei Weisen wegzukommen, nämlich erstens, indem sich das über den Markt regelt, und zweitens, indem wir mit der Reduktion der CO2-Emissionen aufgrund der Zertifikate, die wir ausgeben, dahin kommen, dass die Preise nicht ständig steigen, sondern sich irgendwann auf ein niedrigeres Niveau reduzieren.
Sie haben den Plänen der Bundesregierung vielleicht auch noch entnommen, dass wir uns einen Mindestpreis im Rahmen eines noch zu etablierenden europäischen Emissionshandelssystems, das sich auch auf die Sektoren Wohnen, Heizen, Mobilität, Landwirtschaft, kleine Industriebetriebe und Abfallwirtschaft bezieht, vorstellen können und versuchen, die europäischen Partner davon zu überzeugen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, wie wir wissen, können internationale Konzerne ihre Bilanz so gestalten, dass sie größtenteils keine Steuern mehr zahlen müssen. Deswegen ist natürlich eine weltweite Mindestbesteuerung ein Ziel. Wie ich höre, sind Sie optimistisch, dass wir das nächstes Jahr erreichen können. Ich habe natürlich Vertrauen in Ihren Optimismus, weiß aber, dass das in der EU bei einigen unserer Partnerstaaten noch umstritten ist. Deshalb frage ich: Wie weit sind die Verhandlungen, und wäre es nicht auch eine Option, wenn man erst mal national damit beginnen würde nach dem Motto „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“?
Schönen Dank für diese Frage. – Wir haben in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Aktivitäten in internationaler Dimension vorgenommen, bei denen es uns mehrfach gelungen ist – auch meinem Vorgänger, wenn ich das an dieser Stelle sagen darf –, international etwas zu vereinbaren, was vorher in der EU nicht möglich war. Das wird, glaube ich, auch hier wieder der Fall sein, wenn wir nämlich eine internationale Verständigung bei OECD, G 7 und G 20 über ein System der Mindestbesteuerung zustande kriegen, die es dann viel einfacher macht – so haben sich auch alle erklärt –, das europaweit zu etablieren. Gegenwärtig haben wir eine Reihe von rechtlichen Beschränkungen, die wir auf diese Weise politisch überwinden könnten.
Meine Idee ist, dass die globale Mindestbesteuerung Anfang des nächsten Jahres als Vorschlag vorliegen wird, sodass wir dann den Rest des Jahres nutzen können, um eine internationale Vereinbarung zustande zu bringen, die wir dann ganz schnell in europäisches Recht überführen wollen. Ich hoffe, dass unsere europäische Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres dann dabei hilft, das auch tatsächlich hinzukriegen. Also: Über diese Sache wird nicht nur geredet. Das wird sehr schnell kommen; da bin ich sehr zuversichtlich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt zahlreiche Gründe, warum viele Menschen im Nahen Osten leiden: Diktatoren, Kriege, Oppression. Und einer dieser Kriege ist der zunehmende und derzeit omnipräsente Stellvertreterkrieg im Jemen mit den bestehenden Anspannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien.
Der Iran ist ein sehr schwieriger Akteur in der Region. Die Menschenrechtslage im Lande ist verheerend. Wir alle kennen den Fall von Frau Sahar Khodayari, die sterben musste, weil sie ein Fußballfan war; das sogenannte Blue Girl. Nicht nur für Fußballfans ist die Menschenrechtslage im Iran verheerend. Die andauernden existenziellen Drohungen in Richtung Israel sind nicht akzeptabel, und die Regionalpolitik des Landes ist verheerend in Syrien, im Libanon oder etwa im Irak.
Auch Saudi-Arabien ist ein ganz, ganz schwieriger Akteur in der Gegend. Die Regionalpolitik ist nicht minder aggressiv, in Bahrain etwa, in Pakistan oder im Jemen. Die Finanzierung von salafistischen und dschihadistischen Strukturen bis in unsere Fußgängerzonen ist nicht hinnehmbar. Und auch die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist verheerend. Raif Badawi ist weiterhin im Gefängnis; auch für ihn werden wir alles tun, damit er freikommt.
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Mitten in diesen Anspannungen geschehen nun die Anschläge auf die Raffinerien in Abqaiq und Churais. Damit wurden auf einen Schlag 5 Prozent der Weltölversorgung getroffen, und das in der spannungsvollen Ostprovinz Saudi-Arabiens und in einer Zeit, in der die Spannungen am Persischen Golf massiv zunehmen. Ich erinnere an die Kaperungen von Tankern, die es gegeben hat.
Es gibt viele Schuldzuweisungen. Die kamen sehr schnell, die waren nicht überraschend. Und es gibt, wenn man sich anschaut, was genau passiert ist, zumindest eine große Plausibilität für die Verantwortung des Irans für diese Angriffe in der einen oder anderen Art und Weise.
Seit Mai 2015 gab es allein 80 Angriffe der Huthis auf das Territorium Saudi-Arabiens. Es herrscht seit viereinhalb Jahren ein verheerender Krieg im Jemen, und es gab zahlreiche Angriffe der Allianz um Saudi-Arabien auf viele, viele zivile Einrichtungen im Jemen. Das traditionell ärmste Land der arabischen Welt ist mittlerweile von der Allianz in die Steinzeit gebombt worden. Unabhängig von der Frage, wer an dem Beginn des Krieges schuld ist: Die Hauptproblematik für die Zivilbevölkerung, die wichtigste Ursache für die humanitäre Katastrophe im Jemen ist die Blockade des Landes durch die Allianz um Saudi-Arabien.
In dieser schwierigen Lage wollen wir sehen, was die Bundesregierung tut. Nun trifft sich Frau Merkel am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Macron und mit Boris Johnson und erklärt, dass die Verantwortung des Irans für diese Angriffe sicher sei. Gleichzeitig gibt es aber eine von den Vereinten Nationen entsandte Gruppe von Experten, die genau untersuchen sollen, was da passiert.
Was sind die Ergebnisse dieser Leute denn eigentlich noch wert, wenn Frau Merkel vorher erklärt hat, dass die Ergebnisse eigentlich klar feststünden?
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Da wird doch die Arbeit dieser unabhängigen Untersuchung massiv unterminiert, und gleichzeitig wird auch jeder Handlungsspielraum für deutsche Diplomatie zu Vermittlungszwecken im Nahen Osten minimiert.
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Dasselbe wie Frau Merkel sagt auch die Frau Verteidigungsministerin. Der Außenminister hat zu dieser Sache bisher, glaube ich, noch gar nichts gesagt – es ist zumindest bei mir nicht angekommen –; auch sehr bezeichnend.
Gleichzeitig erklärt der Außenminister, Jemen sei ein Schwerpunkt der Arbeit während der Mitgliedschaft Deutschlands im VN-Sicherheitsrat. Vor einigen Wochen gab es wiederum in Jemen eine massive Eskalation, diesmal, weil es innerhalb der Allianz, zwischen den VAE und Saudi-Arabien, Spannungen in der Frage der Souveränität des Südens des Landes gibt. Da gibt es Gefechte, da sterben Leute, jetzt auch in den Regionen, die nicht von den Huthis beherrscht werden. Deutschland hat dieses Thema nicht einmal in den Sicherheitsrat eingebracht. Wo ist da die Schwerpunktsetzung? Was passiert da eigentlich? Was ist denn da der Anspruch? Da ist einfach gar nichts.
Die einzige Idee, die wir in den letzten Wochen aus der Koalition gehört haben, kam vom Kollegen Jürgen Hardt, der direkt nach den Anschlägen gesagt hat: Jetzt müsste die Sozialdemokratie endlich aufhören, zu blockieren, dass Waffen nach Saudi-Arabien geliefert werden.
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Ich glaube, das ist die falschest denkbare Konsequenz, die man aus dieser Eskalation ziehen kann.
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Diese Eskalation hat sehr viel Potenzial für unglaublich große Kriege, für sehr viel mehr Leid als das, was wir bisher schon erleben. Die nächste Eskalationsstufe würde eine Nuklearisierung des Nahen Ostens bedeuten. Dass der Iran die Bombe anstreben würde, ist offenkundig. Dass Saudi-Arabien dasselbe täte, auch. Dass beide Seiten in den Regionen sehr viele Eskalationsmöglichkeiten haben, dass sehr viele Menschen in diesen Ländern werden leiden müssen, wenn nicht substanziell, wenn nicht schnell und wenn nicht entschieden geholfen wird, ist offensichtlich.
Die Bundesregierung hat vor eineinhalb Jahren erklärt, sie werde das Atomabkommen retten, beispielsweise durch den Zahlungsmechanismus INSTEX mit dem Iran. Es ist irgendwann einmal eine Konstruktion entstanden; Geld ist nicht ernsthaft investiert worden und erst recht nicht politisches Kapital. Das ist angesichts der massiven Bedrohung des Weltfriedens, der wir gerade ausgesetzt sind, einfach zu wenig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat eines der wichtigsten aktuellen Themen, und deswegen ist es gut, dass wir in dieser Sitzungswoche Gelegenheit haben, darüber zu sprechen. Ich teile die Auffassung von Omid Nouripour, dass der Luftschlag gegen die Raffinerie in Saudi-Arabien aufs Schärfste zu verurteilen ist. Es ist sozusagen der Super-GAU für eine Landesverteidigung, wenn man hinnehmen muss, dass fremde Mächte mit Flugzeugen, Drohnen oder Marschflugkörpern in das eigene Land eindringen und eine derart große Verwüstung anrichten. Ich bin froh, dass keine der Seiten mit einer militärischen Eskalation auf diesen Angriff reagiert hat, auch wenn für mich klar ist, dass derjenige, der hinter diesem Luftschlag steckt, nur der Iran sein kann. Ich glaube nicht, dass die Huthis dazu in der Lage wären.
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Auch alle Dienste, die sich mit dieser Frage beschäftigen, kommen zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Indizien alles für den Iran als Verantwortlichen spricht. Den gerichtsfesten Beweis – das kennen wir auch aus anderen Zusammenhängen –, der zum Beispiel in einem Strafprozess in Deutschland notwendig ist,
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die Smoking Gun, können wir natürlich nicht finden, weil wir nicht die Möglichkeit haben, zum Beispiel auf dem Territorium des Iran Untersuchungen durchzuführen. Deswegen wird man bei der Bewertung solcher Vorgänge – das ist völkerrechtlich auch völlig legitim – immer auf die Indizienkette setzen müssen. Wenn drei große europäische Nationen – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – ebenso wie die USA zu diesem Ergebnis kommen, dann ist da etwas dran.
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Ich vertraue der Bundesregierung, dass sie ihre Position auf Basis der Erkenntnisse sorgfältig abgewogen hat.
Die Frage ist: Was bedeutet das eigentlich für unser Verhalten gegenüber dem Iran, nachdem wir ja in den letzten Jahren viele Hochs und Tiefs im Hinblick auf die Iranpolitik erlebt haben? Ich habe das Gefühl, dass wir in Deutschland immer noch der Hoffnung anhängen, dass die positive Stimmung, die durch den Abschluss des Atomabkommens entstanden ist, auch in andere Bereiche trägt. Wir hatten gehofft, dass mit diesem Atomabkommen auch die Tür für Gespräche über ein weniger aggressives Verhalten des Iran geöffnet wird, etwa hinsichtlich der Unterstützung von Terrorismus, der Bedrohung Israels oder auch des Kriegs im Jemen. Das ist leider nicht eingetreten. Aus meiner Sicht ist der Iran aggressiver als jemals zuvor. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten nicht nur diesen Luftschlag erlebt, sondern auch viele andere Dinge. Darüber hinaus gibt es eine massive Unterstützung der aufständischen Huthis im Jemen durch den Iran.
Ich finde es gut, dass die E 3, also die drei europäischen Partner des JCPoA, sich nun entschlossen haben, einen Schritt weiterzugehen und zu sagen: Natürlich wäre es gut, wenn es eine Weiterentwicklung des Abkommens gäbe, aber dann müssen Aspekte mit einbezogen werden, die in dem bisherigen Abkommen, das sich nur auf die atomare Bewaffnung konzentrierte, nicht vorkommen.
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Ich finde, das ist eine ganz wichtige Weiterentwicklung der Politik und vielleicht auch ein Common Ground, eine gemeinsame Basis dafür, dass möglicherweise die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und Deutschland, also die sechs, die den Vertrag mit dem Iran geschlossen haben, vorankommen.
Ich bin darüber hinaus der Meinung, dass Deutschland und Europa alle Anstrengungen für einen neuen Anlauf unternehmen sollten, um den Frieden im Jemen voranzubringen bzw. herbeizuführen. Es gab hoffnungsvolle Signale, zum Beispiel entmilitarisierte Zonen und Waffenstillstand in bestimmten Regionen. Das hat sich leider nicht im positiven Sinne weiterentwickelt. Aber ich glaube, wenn es uns als Europäer, vielleicht sogar als Deutsche, gelingen würde, zum Beispiel durch eine internationale Konferenz, an der natürlich auch der Iran beteiligt sein müsste, was von anderen massiv kritisiert werden würde – das ist einer der Hinderungsgründe für eine solche Konferenz –, einen Anlauf zu unternehmen, dieses unendliche Leid der jemenitischen Zivilbevölkerung zu beenden, könnten wir die Region damit auch ein Stück weit sicherer machen.
Zur Sicherheit gehört auch, dass sich Staaten gegen solche Luftschläge schützen können. Deswegen sollten wir überlegen, ob wir den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien entsprechende Möglichkeiten zur Beschaffung defensiver Waffen geben sollten. Ich glaube, das bleibt weiter auf der Tagesordnung. Darüber sollten wir reden. Wenn wir über Patroullienboote und Luftabwehr reden, reden wir nicht über Waffen, mit denen man andere bedrohen kann, sondern über Waffen, mit denen man sich selbst schützen kann. Darauf hat, finde ich, jedes Land ein Recht.
Danke schön.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste im Deutschen Bundestag und zu Hause an den Bildschirmen! 2017/2018 haben wir Bilder aus dem Iran gesehen: Junge Menschen sind auf die Straße gegangen, und es schien sich ein iranischer Frühling zu entwickeln. Veränderungen im Lande waren möglich, schienen greifbar, und selbst in der politischen Führungsriege hatte sich einiges bewegt.
Heute stehen wir vor einer völlig neuen Situation. Die Politik gegenüber dem Iran hat nicht zum Erfolg geführt. Auch wir, die AfD-Fraktion, sind der Meinung, dass das Atomabkommen mit dem Iran nicht hätte gekündigt werden sollen. Wir halten das für einen Fehler der amerikanischen Politik. Besser wäre gewesen: Pacta sunt servanda. Verträge müssen gehalten werden! Allerdings – Herr Hardt, Sie haben es erwähnt –: Die Zeiten haben sich geändert. Wenn wir denn noch Einfluss in Washington hätten, hätten wir gemeinsam mit den Amerikanern darauf drängen können, dass dieser Vertrag nachverhandelt wird, und zwar genau in den Fragen, die in diesem Vertrag nicht enthalten sind und die für uns wichtig sind. Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen, nicht nur in der Iran-Politik. Vielmehr ist der gesamte Nahe Osten destabilisiert. Sie kennen die Länder alle: Syrien, Irak, Libyen, Jemen. Die Politik des Westens ist völlig gescheitert.
Die Frage ist aber – deswegen sitzen wir ja im Deutschen Bundestag –: Was kann die deutsche Politik nun beitragen? Wir hatten viele Jahre einen massiven und guten Einfluss in die iranische Politik hinein. Unsere Beziehungen sind traditionell gut gewesen. Davon ist heute nichts übrig geblieben. Wir Deutschen sitzen am Katzentisch. Es mag keiner glauben, dass wir noch maßgeblichen Einfluss haben, nicht auf unsere Verbündeten, erst recht nicht auf die amerikanischen Verbündeten. Sie haben es verfolgt: Herr Macron hat gerade im nationalen Alleingang entschieden, eine Schiffseinheit in die Straße von Hormus zu schicken. Da gab es keine Absprache mit dem deutschen Außenminister, und mit den Briten in Zeiten des Brexit schon gar nicht. Wir haben es verpasst, uns als Iran-Kenner so einzubringen, dass wir die Mitsprache haben, die wir hätten haben können. Und wir haben es nicht geschafft, auf die Länder im Nahen Osten einzuwirken.
Herr Hardt, Sie haben völlig recht – das war ja einmal ein Vorschlag von uns, und auch der Kollege Trittin hat das im Ausschuss erwähnt –: Eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten unter Einbeziehung aller würde dazu beitragen, wieder einen langsamen Prozess der Stabilisierung in Gang zu setzen, ähnlich wie bei der KSZE damals in Helsinki. Auch das war nicht ein Abkommen, sondern ein Prozess, der über viele Jahre lief und zur Vertrauensbildung und schließlich auch zur Stabilisierung in Europa beigetragen hat. Dessen Ende feiern wir in diesem Jahr mit dem Fall der Mauer vor 30 Jahren.
Der deutsche Einfluss existiert in dieser Form nicht mehr. Herr Maas hat in der Tat noch keinen Kommentar zur Situation im Golf abgegeben; ich habe nichts gehört. Vor allen Dingen – wir haben es erlebt –: Die Führerschaft hat Herr Macron übernommen. Wir als Iran-Kenner sind außen vor. Herr Macron hat in Biarritz eindrucksvoll gezeigt, wie man Politik betreibt; seinen nationalen Alleingang habe ich schon erwähnt. Auch die Visite der Kanzlerin bei der UN in New York hat unsere Position nicht gestärkt; dazu haben wir nichts gehört.
An die Bundesregierung gerichtet: Zu Zeiten eines Helmut Kohl und eines Hans-Dietrich Genscher war Deutschland in der Tat einmal ein Global Player. Ich selber war als Journalist damals Zeuge, als George Bush zu Helmut Kohl sagte: Helmut, we are partners in leadership. – Von diesen Zeiten sind wir weit entfernt. Damals waren wir in der Tat Global Player. Heute sind wir nur noch Global Payer. Das ist der Unterschied.
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Ein Helmut Kohl hätte den iranischen Außenminister nach Biarritz mitgebracht – nicht Herr Macron, ein Helmut Kohl hätte das gemacht. Ein Helmut Kohl hätte in New York mit dem iranischen Außenminister in seiner Suite als Überraschungsgast gesessen, und ein Helmut Kohl hätte es auch noch geschafft, den amerikanischen Präsidenten in diese Suite einzuladen. So ändern sich die Zeiten. Man kann es vielleicht so zusammenfassen: In früheren Zeiten zählte das Erreichte. In den heutigen Zeiten der deutschen Außenpolitik scheint das Erzählte zu reichen.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in den letzten Wochen eine zugespitzte, hochgefährliche Lage in der Golfregion entstanden. Vorangegangen sind Jahre von Stellvertreterkriegen in dieser Region mit unglaublich hohen Verlusten bei der Zivilbevölkerung. Und wenn es in dieser Zeit so etwas wie einen Lichtblick gegeben hat, dann war es ganz sicher das Atomabkommen mit dem Iran aus dem Jahre 2015. Der Deal war ganz einfach: Aufhebung der Sanktionen, Ermöglichung einer wirtschaftlichen Entwicklung im Iran gegen den schrittweisen Verzicht auf die Fortführung des Atomprogramms. Zu diesem Vertrag hat ganz maßgeblich unser damaliger Außenminister Frank-Walter Steinmeier beigetragen; das war ein großer Erfolg einer auf Deeskalation ausgerichteten Außenpolitik und Diplomatie.
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Das hat auch funktioniert. Nach den Feststellungen der Internationalen Atomenergiebehörde hat sich der Iran an dieses Abkommen gehalten.
Natürlich sind mit diesem Abkommen keineswegs alle Probleme gelöst. Der Iran ist in den vergangenen Jahren weiter ein destabilisierender Faktor in der Region gewesen. Er rüstet die Hisbollah mit Raketen auf, droht Israel mit Vernichtung. Er ist mit zahlreichen Milizen im syrischen Bürgerkrieg und will sich dort mit den Revolutionsgarden festsetzen. Er unterstützt die Huthi-Rebellen im Jemen. Hier muss die internationale Gemeinschaft Mittel und Wege finden, dem Iran Einhalt zu gebieten. Aber dafür war es weder notwendig noch richtig, das Atomabkommen mit dem Iran zu kündigen. Im Gegenteil: Das war ein schwerer Fehler des amerikanischen Präsidenten.
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Die verschärften Sanktionen bringen den Iran dazu, das Atomabkommen nun seinerseits Schritt für Schritt zu verlassen. Auch den Europäern, die an dem Vertrag festhalten wollen, ist es faktisch unmöglich, den Zweck dieses Vertrages zu erfüllen. Die Strategie des maximalen Drucks hat eine erneute Eskalation in Gang gesetzt. Vorläufiger Höhepunkt ist der Terrorangriff auf die saudischen Ölanlagen. Das Ergebnis ist ein großer außenpolitischer Scherbenhaufen, ein sicherheitspolitisches und diplomatisches Desaster ersten Ranges.
Donald Trump kann seine saudischen Bündnispartner nicht schützen. Saudi-Arabien ist trotz des dritthöchsten Militäretats der Welt nicht in der Lage, sich gegen solche Angriffe zu verteidigen. Es ist jetzt eine Situation entstanden, in der sich die Ziele der einen Seite nicht ohne Gesichtsverlust auf der anderen Seite verwirklichen lassen. Der Iran kann nicht ohne Gesichtsverlust auf den von ihm ausgehandelten Vertrag verzichten, und auch Donald Trump könnte nach all dem, was in den letzten Wochen passiert ist, nicht ohne Gesichtsverlust wieder in diesen Vertrag einsteigen.
Was lernen wir daraus? Erstens. Militärische Aktionen können nicht zur Lösung dieses Konfliktes beitragen. Eine Politik, die den Nahen Osten befrieden will, darf nicht auf maximalem Druck und Einschüchterung basieren. Sie muss Verhandlungsbereitschaft und Diplomatie einsetzen. Ich kann nur sagen: Es ist ein erster guter Schritt, dass Donald Trump in New York noch einmal erklärt hat, dass er auf militärische Angriffe verzichten will. Das ist erfreulich.
Zweitens. Deutschland hat richtig gehandelt und am Nuklearvertrag mit dem Iran festgehalten. Die europäische Linie, in diesem Konflikt eng abgestimmt zu bleiben und auf Deeskalation zu setzen, ist ebenfalls richtig.
Drittens. Auch wenn die Lage schwierig ist, ist sie nicht hoffnungslos. Die Vereinten Nationen, in den letzten Jahren oft durch Veto-Erklärungen im Sicherheitsrat geschwächt, haben jetzt bei ihrer Hauptversammlung in New York ihren Wert bewiesen. Dort sind die Akteure zusammengetroffen und haben miteinander geredet. Das muss jetzt weitergehen. Die E3 müssen an diesem Vertrag festhalten, aber gemeinsam einen neuen Verhandlungsansatz finden und dürfen nicht nur über die Umsetzung des Atomvertrages, sondern müssen auch über Themen der regionalen Sicherheit reden.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung, und zwar in meiner Funktion als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, einer Funktion, die ich nicht für meine Fraktion, sondern für das ganze Haus wahrnehme. Wir begrüßen es in dieser Parlamentariergruppe selbstverständlich fraktionsübergreifend, wenn Menschen in Deutschland friedlich für die Belange der Palästinenserinnen und Palästinenser demonstrieren. Was wir allerdings wirklich nicht verstehen können, ist, dass bei einer solchen Demonstration, die um 17 Uhr hier vor dem Brandenburger Tor beginnt, musikalische Hassprediger zu Wort kommen,
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die in ihren Texten davon gesungen haben, Tel Aviv zerbomben und Juden zertreten zu wollen. Wir würden uns wünschen, dass die Behörden bei antisemitischen Äußerungen und bei Volksverhetzung
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konsequent einschreiten.
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Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde dreht sich um die Eskalation am Golf. Die Lage dort ist gefährlich. In New York, während der Generalversammlung der Vereinten Nationen, wird sich jetzt mit entscheiden, ob es in der Region einen großen Krieg geben wird oder nicht. UN-Generalsekretär Guterres hat mehr als eindrücklich davor gewarnt, dass es die alarmierende Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts am Golf gibt. Angesichts der angespannten Lage, so Guterres, brauche es nicht mehr als eine kleine Fehlkalkulation, um eine große Konfrontation auszulösen. Er hat die internationale Gemeinschaft ausdrücklich dazu aufgerufen, Vernunft und Zurückhaltung walten zu lassen.
Ich bin dankbar für die Positionierung der Regierungen in Riad und in Washington, die angesichts dieses wirklich eklatanten Angriffs, der eklatanten Verletzung des Völkerrechts, dieser massiven Verletzung der saudischen Souveränität bisher mit großer Zurückhaltung reagiert haben. Kollege Oppermann hat es gerade gesagt: Auch Donald Trump hat in seiner Rede nicht weiter eskalierend, sondern eher deeskalierend gewirkt. Das macht noch einmal deutlich, dass im Mittleren Osten die aggressive Macht, der Eskalationsfaktor, der destabilisierende Staat der Iran ist.
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Meine Damen und Herren, der Iran unterstützt das syrische Regime, die libanesische Hisbollah, die Huthi-Miliz im Jemen. Die iranische Führung treibt ein ballistisches Raketenprogramm voran, betreibt ein Nuklearprogramm mit militärischen Zwecken und bestreitet das Existenzrecht Israels, der einzigen Demokratie im Nahen Osten. In dieser Situation hat Omid Nouripour völlig recht, wenn er sagt: Man muss die Vereinten Nationen ermitteln lassen, wer konkret hinter den Angriffen steht. – Ja, aber ganz ehrlich, lieber Kollege Nouripour: Gibt es irgendeine andere plausible Erklärung als die, dass es der Iran war?
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In diesem Zusammenhang finde ich es richtig, wenn Deutschland, Frankreich und England benennen, wer hinter dem Angriff steckt, und gleichzeitig deutlich machen, dass sie sich damit eben nicht kritiklos an die Seite der USA stellen, die das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt haben. Im Gegenteil: Wenn man die Äußerungen der Staats- und Regierungschefs liest, von Merkel, Macron und Johnson, dann stellt man fest, dass eine Reform des JCPoA bzw. Verhandlungen über das JCPoA angestrebt werden, und das ist richtig.
Nur, wenn man eine solche Äußerung macht, dann muss dies auch Konsequenzen haben. Warum wird der iranische Botschafter nicht einbestellt? Warum gibt es keine Aufforderung zu einer größeren Friedenskonferenz? Warum gibt es keine Bemühungen um direkte Kontakte zwischen den USA und dem Iran, so wie Emmanuel Macron das macht? Die Bundeskanzlerin ist ja in New York. Sie hat sich mit Donald Trump und mit Hassan Rohani getroffen. Ich finde es wirklich unverständlich – das muss ich hier als überzeugter Multilateralist sagen –, dass die Bundeskanzlerin nicht selber vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen spricht. Macron, Johnson, Rohani, Trump, alle reden dort. Die Bundeskanzlerin erklärt die deutsche Sicht der Dinge nicht. Ich finde das falsch, meine Damen und Herren.
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Ich fände es richtig, wenn wir auf der höchsten Ebene, auch vor der Generalversammlung, diplomatisch auftreten würden.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Ich habe auch vom Bundesaußenminister bisher keine Äußerungen gehört. Die einzige Äußerung, die ich aus den Reihen der SPD gehört habe – außer den Einlassungen des Kollegen Oppermann –, kam vom Kollegen Mützenich, der sich im Interview mit dem Deutschlandfunk überrascht zeigte von der Festlegung der Bundesregierung. Ich muss das als Oppositionspolitiker hier so klar markieren: Wenn in solch zentralen Fragen zwischen den Regierungsfraktionen derartige Sprachlosigkeit herrscht, dann ist das kein gutes Zeichen für die deutsche Außenpolitik.
Herzlichen Dank.
Noch ist es nicht so weit, Herr Präsident. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Für uns ist klar, dass Iran die Verantwortung für diesen Angriff trägt. Es gibt keine andere plausible Erklärung“, heißt es in der Erklärung von Frau Merkel, Herrn Macron und Boris Johnson. Heute Morgen hat die Bundesregierung uns Abgeordnete im Auswärtigen Ausschuss informiert, dass sie keine eigenen Erkenntnisse und Informationen über die Urheberschaft der Angriffe auf die saudischen Ölanlagen hat. Ihre Informationen stammen also bisher allein aus öffentlich zugänglichen Quellen oder von fremden Geheimdiensten. Aufgrund dieser auch in der Vergangenheit so vertrauenswürdigen Quellen wie den US-Geheimdiensten – man darf nur an die Massenvernichtungswaffenlüge im Falle des Irak erinnern – steht für die Bundesregierung gleich der Schuldige für die Angriffe fest. Das heißt: Ohne jeden Beweis, ohne jeden Beleg, allein aufgrund des Ausschlusses anderer Möglichkeiten kommt die Bundesregierung zu diesen schwerwiegenden Anschuldigungen.
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Mit einer solch abenteuerlichen Schuldargumentation käme man bei keinem einzigen ordentlichen Gericht hier in Deutschland durch.
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Heute Morgen wurde im Ausschuss auch etwas anderes ganz klar, nämlich dass das Rechtsverständnis der Bundesregierung einer eher mittelalterlichen Inquisition ähnelt, wo jeder Beschuldigte immer gleich auch der Schuldige ist. Ich finde, das ist ein schwarzer Tag in der Geschichte der deutschen Diplomatie. Dass Sie als Regierung auf Beweise und Belege verzichten, ist das eine, aber dass Sie auch noch ausschließen, es gebe keine andere Möglichkeit, kann man nur noch als fahrlässig und gefährlich bezeichnen.
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Denn Sie wissen – das ist auch gut dokumentiert –, dass die Huthis im Jemen seit Jahren weit im saudischen Kernland liegende Ziele mit Drohnen und auch Raketen angreifen. Das wissen Sie. Die Huthis haben es ja selbst als eine Vergeltung bezeichnet für die fortdauernde Bombardierung ziviler Ziele im Jemen durch die Saudis, und sie haben sich als die Täter dieser Angriffe bezichtigt. Sie reden viel von Plausibilitäten, aber Sie haben nicht einmal erklärt, warum diese Täterschaft der Huthis für Sie nicht plausibel ist. Diese Antwort sind Sie uns schuldig geblieben.
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Deshalb fordern wir als Linke: Legen Sie dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit die Grundlage für Ihre Anschuldigungen offen vor! Das sind Sie der Öffentlichkeit in Deutschland schuldig.
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In ihrer Erklärung mahnt die Bundesregierung dann auch den Iran, das Atomabkommen einzuhalten, verliert aber kein einziges Wort über die Kündigung des Abkommens durch die USA und den Wirtschaftskrieg Trumps, der das Fortbestehen des Abkommens mit den anderen Staaten torpedieren will. Aber, meine Damen und Herren, Sie können doch nicht verschweigen, was die Quelle dieser ganzen Eskalation ist, nämlich die USA, die dieses Abkommen einfach gekündigt haben.
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Es fällt eben auf, dass die Zeitspanne, in der Sie Donald Trump auf dem Pfad der Eskalation folgen, immer kürzer wird. Sie haben sich mit dieser Erklärung auf die Seite der US-Politik geschlagen. Ich finde, mit einer solchen Erklärung hat die Bundesregierung auch ihre Position als ein möglicher Vermittler geschwächt.
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Die Bundesregierung geht in ihrer Erklärung noch weiter und spricht von uneingeschränkter Solidarität mit dem Königreich Saudi-Arabien.
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Das ist wirklich unerträglich. Von „uneingeschränkter Solidarität“ sprach in diesem Haus auch ein ehemaliger Bundeskanzler. Das Ergebnis ist, dass die Bundeswehr seit 18 Jahren in Afghanistan stationiert ist. Ich fordere von der Bundesregierung, die Frage zu beantworten: Was bedeutet uneingeschränkte Solidarität mit Saudi-Arabien?
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Eine uneingeschränkte Solidarität mit einem Regime, das den islamistischen Terrorismus weltweit fördert, das al-Qaida mit Waffen unterstützt, das die Zivilbevölkerung im Jemen bombardiert und vor dessen – ich zitiere – „impulsiver Interventionspolitik“ der Bundesnachrichtendienst die Bundesregierung selber gewarnt hat, ganz zu schweigen von brutalen Ermordungen von Journalisten wie Khashoggi und anderen Regimekritikern! Ihre Solidaritätserklärung mit diesen blutigen Schlächtern in Riad ist ein Schlag ins Gesicht jeder freiheitsliebenden Person in diesem Land.
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Die Scharfmacher von der Union haben ihre Solidarität ja schon Tage vorher und auch heute im Ausschuss bekundet und wollen sie auch noch beweisen, indem sie den saudischen Schlächtern gleich noch mehr Waffen für ihren barbarischen Krieg im Jemen liefern.
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Ich finde es ungeheuerlich von Ihnen aus der Union, dass Sie Deutschland mit mehr Waffen an diesem verbrecherischen Krieg im Jemen beteiligen wollen.
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Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Not in our name – nicht in unserem Namen! Keine Solidarität mit solchen islamistischen Schlächtern in Riad!
Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut und richtig, dass wir uns heute in einer Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages mit der Lage am Persischen Golf beschäftigen
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– gerne nehmen wir den Ball auf –; denn es ist wirklich an der Zeit, eine Bilanz unserer Iran-Politik zu ziehen. Seit Jahren gewinnt der Iran trotz des abgeschlossenen Atomwaffenabkommens, JCPoA, in der Region immer mehr Einfluss. Die Steigerung des politischen und des militärischen Einflusses des Iran in der Region führt zu einer weiteren Destabilisierung vieler Staaten und damit der gesamten Region. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Herr Michaelis, nennt dieses Vorgehen gerne „die strategische Geduld des Iran“. Es ist immer das Gleiche: Der Iran begeht, ob als unmittelbarer oder mittelbarer Täter, regelmäßig Anschläge und versucht danach stets, durch diplomatische Anstrengung seine strategische Ausgangsposition zu verbessern. Für mich ist der Iran damit der Hauptaggressor in der Region.
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Die größte Gefahr für die internationale Sicherheitsarchitektur geht zurzeit eindeutig vom Iran aus.
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Natürlich müssen wir alle beteiligten Staaten in diesen unterschiedlichen Konflikten in der Region gleichermaßen kritisch bewerten und begleiten.
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Dennoch geht eben die größte Gefahr vom Iran aus. Die Anschläge auf die Ölfelder in Saudi-Arabien waren eben auch eine Attacke auf die globale Energiesicherheit der internationalen Gemeinschaft. Bei den Anschlägen auf die Ölfelder in Saudi-Arabien handelt es sich aber vor allen Dingen um eine schwere Verletzung des Völkerrechts und eine mutwillige Verletzung territorialen Rechts durch den Iran. Man stelle sich einmal vor, es wäre ein anderer Staat gewesen, der eine solche Attacke durchgeführt hätte:
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Der Aufschrei in diesem Haus von der linken Seite wäre deutlich lauter gewesen.
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Die zurückhaltenden und besonnenen Reaktionen des Königreichs, aber auch der USA sind für mich einerseits erstaunlich, aber andererseits eben auch zu begrüßen.
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Ebenso zu begrüßen ist, dass Saudi-Arabien der internationalen Gemeinschaft angeboten hat, vor Ort für eine umfassende Aufklärung durch eine unabhängige Kommission der Vereinten Nationen zu sorgen.
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Ich finde es aber auch folgerichtig, dass eine politische Bewertung schon jetzt stattfindet. Dass die E 3, dass Deutschland, Frankreich und Großbritannien in diesen Tagen die Anschläge in die alleinige iranische Verantwortung gestellt haben, ist folgerichtig und politisch richtig.
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Die Bewertung zeigt aber eben auch eine neue diplomatische Qualität, die nun folgerichtig einer neuen Ausrichtung internationaler Anstrengungen bedarf, um die Krise politisch zu lösen. Wir wollen sie politisch lösen. Deswegen: Wenn die E 3 die Angriffe verurteilen und die Verantwortung klar dem Iran zuweisen, muss das jetzt auch politische Konsequenzen haben. Wir müssen den Einfluss des Iran in der Region zurückdrängen. Wir glauben, dass wir dafür eine Überarbeitung des bisherigen Atomwaffenabkommens und eine Ausweitung des Abkommens auf das laufende iranische Raketenprogramm brauchen. Dazu braucht es eine neue Initiative der E 3, und es braucht alle wesentlichen internationalen Partner am Tisch, die maßgeblich für die internationale Sicherheitsarchitektur Verantwortung tragen, also auch und vor allen Dingen die USA. Denn gegen die Ausweitung der Sanktionen der USA gegen den Iran werden wir nur schwer ankommen. Deswegen müssen wir gemeinsam mit den USA zu einer Neuausrichtung unserer Iran-Politik kommen. Es liegt nicht in unserem Interesse, eine militärische Intervention herbeizureden, überhaupt nicht. Selbst der amerikanische Außenminister Pompeo hat deutlich gemacht, dass die USA keine militärische Lösung des Konflikts sehen.
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Ich glaube schon, dass wir gemeinsam rote Linien definieren müssen, die der Iran einzuhalten hat, in dem Wissen, dass ein weiteres kontinuierliches Verletzen internationalen Rechts durch den Iran auch empfindliche Konsequenzen für den Iran haben kann und haben muss. Dabei sollte es Aufgabe deutscher Außenpolitik sein, hier Verantwortung und Führung zu übernehmen. Dabei sollten wir aufpassen, dass wir den Dialog mit den Konfliktparteien nicht zu einseitig führen und dadurch vielleicht unbewusst die falschen Signale setzen. Ja, wir müssen den Dialog mit dem Iran suchen; denn eine Politik des maximalen Drucks und der diplomatischen Eiszeit führt nachweisbar nicht zu dem Ziel einer politischen Lösung. Wir brauchen den Dialog, wir brauchen den Dialog aber in alle Richtungen. Das eine sind Gespräche und Treffen mit dem iranischen Präsidenten Rohani oder der Besuch des deutschen Bundesaußenministers im Iran selbst, das andere sind offene Gesprächskanäle mit allen anderen beteiligten Staaten, erst recht auch in und nach Saudi-Arabien, die dann einen ganz wesentlichen Beitrag zur internationalen Sicherheitsarchitektur leisten.
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In diesem Sinne müssen wir als Deutschland mehr Verantwortung in der Region und für die Region übernehmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Die Situation am Golf ist in der Tat gefährlich: nicht für den Weltfrieden – den gibt es nämlich nicht –, sondern für viele Länder in der Welt und damit auch für Deutschland. Wenn sich die zahlreichen kleinen Kriege im Nahen und Mittleren Osten zu einem großen Krieg auswachsen sollten, kann sich eine militärische Konfrontation entwickeln, deren Dynamik nicht abschätzbar ist. In so einem Fall wird auch Deutschland die Auswirkungen unmittelbar zu spüren bekommen. Der Ölpreis springt nach oben, Heizen und Auto fahren werden noch teurer. Fast die gesamten Lebenshaltungskosten werden steigen. Deutsche Exporte werden noch mehr einbrechen, als sie es durch die Sanktionen ohnehin schon sind. Kurzum: Ein großer Krieg am Golf wird Deutschlands Ökonomie hart treffen.
Durch einen großen Krieg werden sich auch neue Flüchtlingsströme in Marsch setzen. Ihr Hauptziel wird wieder Deutschland sein. Momentan kommen jeden Monat 12 000 Migranten über die deutsche Grenze. Ein großer Krieg am Golf kann die Zahl rasend schnell verzehnfachen. Der Iran und die Türkei drohen ja bereits jetzt damit, die Schleusen zu öffnen. Es liegt also unverkennbar im deutschen Interesse, dass sich die Lage am Golf stabilisiert. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, dabei nach Kräften zu unterstützen. Aber wie? Im Werkzeugkasten der deutschen Außenpolitik ist nicht viel drin. Die Sanktionen gegen Staaten in der Region haben in keiner Weise zu einer Verbesserung der Lage beigetragen. Im Gegenteil: Die Verbindungen zu Deutschlands starken Verbündeten sind gestört wie noch nie.
Die Bundesregierung fährt auf der linken Spur und sieht alle entgegenkommenden Fahrzeuge als Geisterfahrer. Deutschland ist isoliert wie seit Jahrzehnten nicht. Als Ersatz ruft der deutsche Außenminister eine „Allianz der Multilateralisten“ aus. Bisherige Mitglieder: Frankreich, Mexiko, Ghana, Chile, Singapur und Kanada. Nicht dabei: die USA, Großbritannien, Russland oder irgendein anderes starkes und verlässliches Land. Das ist Außenpolitik im Slim-Fit-Format. So wird das nichts mit der Stabilität am Golf.
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Auch die Fachpolitiker aus den Parteien hier haben nichts als ihre üblichen Appelle. Jürgen Hardt, CDU: Iran muss sich endlich wieder ans Völkerrecht halten. – Haben Sie schon eine Rückmeldung aus Teheran, Herr Hardt?
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Rolf Mützenich, SPD: Entscheidend ist, sich weiter für das Atomabkommen starkzumachen. – Um sich starkzumachen, braucht man Stärke. Schließlich noch Robert Habeck von den Grünen: Er kann sich nämlich eine „europäische Militärmission“ vorstellen. Alles Vorschläge, die für Twitter reichen, aber nicht, um einen Krieg zu verhindern. Dafür braucht es Realpolitik.
Die Sprengkraft der Golfregion ist historisch begründet. Religion, willkürliche Grenzen und Machtpolitik bilden seit dem Ende des Ersten Weltkriegs eine toxische Mischung. Und trotzdem blieb die Region über viele Jahrzehnte stabil. Warum war das so? Weil die Regierungen dort jahrzehntelang für Stabilität sorgten. Gaddafi, Saddam, Assad, Mubarak, die Saudis – Garanten der Stabilität. Und heute? Chaos, wohin man schaut. Die Politik der Bundesregierung hat zu dieser chaotischen Lage entscheidend beigetragen. Denn statt Realpolitik mit denen zu machen, die für Stabilität sorgen können, ist die Hypermoral zur ersten Pflicht der deutschen Außenpolitik geworden. Wichtig für die Regierung ist, wer moralisch integer ist, nicht, wer für Ruhe sorgt.
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Das ist ein kapitaler Fehler, der ungleich mehr Menschenleben fordert, Hunderttausende in den letzten Jahren.
Um die Lage am Golf zu stabilisieren, muss die Bundesregierung potente Key Player identifizieren, sich zu ihnen bekennen, sie unterstützen und eventuell auch ausrüsten. Es ist auch höchste Zeit, dass die Bundesregierung ihre „Assad muss weg“-Parole zurücknimmt. Zuerst muss Stabilität her.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Good Governance kommt später. Ein Prinzip, das sowohl Helmut Kohl als auch Helmut Schmidt immer beherzigten.
Danke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne Zweifel – darauf ist zu Recht verschiedentlich hingewiesen worden – spielt der Iran eine aggressive Rolle in der Region und stellt die internationale Sicherheit und den Frieden in der Region auf eine schwere Probe, zuletzt durch diese Angriffe, die die saudi-arabische Infrastruktur getroffen haben. Man muss mit Blick auf die Region aber auch feststellen, dass die Politik des maximalen Drucks aus Washington maximal gescheitert ist. Deshalb ist es gut, dass die Europäer in dieser Region eine eigenständige Politik verfolgen. Gerade die asymmetrische Kriegsführung des Iran und seiner Proxys in der Region belegen einmal mehr die Notwendigkeit, eine politische Lösung für die Probleme in der Region anzustreben, und dass eine militärische Lösung ein Irrweg ist. Deshalb – bei allem Verständnis für die Sicherheitsbedürfnisse von Saudi-Arabien –: Die Lösung kann auch nicht sein, dass wir in dieser Situation neue Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien genehmigen.
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Nein, gerade weil es um asymmetrische Kriegsführung geht, ist die Reaktion von Saudi-Arabien, von den Vereinigten Arabischen Emiraten in den letzten Tagen und Wochen so begrüßenswert, aber auch plausibel und nachvollziehbar. Sie setzen darauf, dass Dialog und Deeskalation ihre eigene Stabilität, den Strukturwandel, den die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien – weg vom Öl hin zu einer diversifizierten Volkswirtschaft – anstreben, unterstützen. Denn eines ist klar: Wenn der Krieg am Golf erst einmal losbricht, dann gibt es keine Kreuzfahrtschiffe mehr, dann ist der Traum, eine Logistikdrehscheibe zu werden, ausgeträumt. – Deshalb gibt es auch sehr viele rationale Argumente dafür, dass gerade die Golfstaaten in dieser Situation nicht auf eine militärische Lösung setzen. Deshalb ist jetzt, nach der Zuspitzung am Golf durch die Angriffe auf saudi-arabische Ölanlagen, die Chance für eine politische Lösung aus meiner Sicht mehr denn je gegeben. Deshalb ist es so wichtig, dass die Europäer mit der E-3-Erklärung von dieser Woche noch einmal deutlich gemacht haben, wie sie eine politische Lösung angehen wollen. Leider können wir – das ist der Unterschied zum iranischen Atomabkommen – in dieser Frage auf die Unterstützung der Amerikaner nur sehr begrenzt zählen. Steinmeier hatte John Kerry an seiner Seite; Heiko Maas Mike Pompeo – Fragezeichen?
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Deshalb ist die Einigkeit der europäischen Haltung besonders wichtig; das ist in dieser Erklärung noch einmal deutlich geworden.
Jawohl, die Verantwortung des Irans für die Angriffe ist plausibel. Seien wir einmal ehrlich: Es kommt letzten Endes nicht entscheidend darauf an, ob es der Iran selbst war, der den Angriff organisiert hat, oder seine Proxys. In dieser Situation war es wichtig, dass auch die Europäer dem Iran Grenzen aufgezeigt haben, was seine Aktivitäten in der Region anbelangt. Zwei Absätze der Erklärung waren der Deeskalation und dem Dialog gewidmet, der Bewahrung des iranischen Atomabkommens und dem Bekenntnis zu diesem Abkommen als Grundlage für Frieden und Stabilität in der Regierung. Übrigens: Von den Europäern sind keine neuen Sanktionsdrohungen ausgesprochen worden. Deshalb ist jetzt mehr denn je die Stunde für diplomatische Anstrengungen.
Dass heute weder Niels Annen noch Heiko Maas dieser Aktuellen Stunde beiwohnen können, hat damit zu tun, dass die deutsche Außenpolitik zusammen mit den Europäern die Vollversammlung der Vereinten Nationen jetzt dazu nutzt, um Gespräche zu führen. Natürlich redet die Bundesregierung – aktuell in dieser Woche, aber auch in den Monaten davor – mit allen Seiten: Heiko Maas mit Zarif und al-Jubeir, Niels Annen war selbst in der Region unterwegs, und – Premiere! – die Bundeskanzlerin trifft zum ersten Mal den iranischen Präsidenten zu einem direkten Gespräch. Das zeigt doch an, dass in Abstimmung mit den anderen Europäern die Bundesregierung gerade in dieser Woche die Chance für Deeskalation und Dialog nutzen will.
Für uns ist eines klar: Bilaterale Gespräche zwischen USA und Iran sind zur Entspannung der Situation notwendig. Wir brauchen aber auch einen regionalen Sicherheitsdialog über alle Aspekte der Spannungen in der Region, nicht nur über die atomare Bewaffnung des Irans. Deshalb ist es gut, dass die Joint Commission des JCPoA heute ebenfalls tagt, wenn auch leider ohne die USA. Aber das zeigt an, dass gerade für die Lösung der regionalen Sicherheitsprobleme dieses iranische Atomabkommen immer noch der richtige Rahmen ist; die anderen Fragen müssen ausgehend von diesem Rahmen geklärt werden. Dafür sollten wir uns in Deutschland alle gemeinsam einsetzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, das meiststrapazierte Wort in diesem Zusammenhang ist „Deeskalation“ – vielleicht nicht so bei Herrn Hardt, der ja einem der Spoiler in dieser Region Waffen liefern möchte. Aber alle anderen reden von Deeskalation.
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Ich finde, dass man denjenigen, die versichern, sie wollen keinen Krieg, es durchaus ein Stück abnehmen kann – das gilt für alle Beteiligten –, weil die Interessen, die sie dort haben, dermaßen massiv sind, dass sie bei einem Krieg nur verlieren können. Aber wir wissen, dass in einer solchen Situation die Gefahr besteht, dass man die andere Seite falsch einschätzt, und dass aus seiner solchen Fehleinschätzung genau wieder Eskalation entsteht.
Wir müssen uns doch die Frage stellen, warum in einer solchen Situation plötzlich wieder dieser Stand an Eskalation erreicht ist und das Land mit den dritthöchsten Militärausgaben der Welt nicht in der Lage war, seine Industrieanlagen zu schützen. Ich finde die ganze Diskussion über Täter oder sonst was irrelevant. Selbst wenn die Huthis mit ihrer Selbstbezichtigung recht haben: Selbstverständlich hätten sie es ohne die logistische Unterstützung des Iran nicht geschafft; da muss man an dieser Stelle doch gar nicht darum herumreden.
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Aber: Warum kommt es eigentlich so weit? Das will ich Ihnen sagen. Für diese Konflikte, für die falsche und aggressive Politik des Iran im Libanon, für die falsche Politik der Saudis im Jemen gibt es ganz diverse Ursachen. Aber die Ursache für die jüngste Eskalation lässt sich zeitlich genau bestimmen: Es ist der Tag gewesen, an dem Donald Trump das Abkommen mit dem Iran aufgekündigt und massive Sanktionen verhängt hat.
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Genau dies ist der Ausgangspunkt der Eskalation. Die Politik des maximalen Drucks – ich würde mich freuen, wenn der Kollege Schmid recht hätte, wenn er sagt, dass gesehen wird, dass sie gescheitert ist – wird jetzt noch einmal radikalisiert. In der Sackgasse wird also an dieser Stelle noch einmal Gas gegeben.
Was heißt vor diesem Hintergrund eigentlich „Deeskalation“? „Deeskalation“ vor diesem Hintergrund hieße doch, diese Politik der USA zu durchkreuzen, sie tatsächlich zu konterkarieren, sie ein Stück weit zu verhindern. Bevor Sie das für eine Unbotmäßigkeit halten, muss ich Sie darauf hinweisen, dass noch im letzten Jahr dies Konsens deutscher, französischer und britischer Außenpolitik gewesen war.
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Noch im November haben die drei Außen- und die drei Finanzminister erklärt:
Als Parteien des JCPoA haben wir uns dazu verpflichtet, unter anderem auf die Bewahrung und Offenhaltung effektiver Finanzkanäle mit Iran sowie an der Fortsetzung der iranischen Öl- und Gasexporte hinzuwirken.
Und was ist seitdem passiert? Überhaupt nichts! Die Exporte: Wir reden über die Einbrüche, die die Saudis haben; ja, schlimm. Aber schauen Sie einmal, was an Einbrüchen bei der Haupteinnahmequelle des Iran passiert ist? Die Öl- und Gasexporte sind auf ein Zehntel reduziert worden. Was der Iran zurzeit erfährt, ist ein Wirtschaftskrieg – mit extremen Folgen für das Land. Das ist der Kern, warum es zu dieser Eskalation kommt.
Wenn wir dieser Eskalation entgegenwirken wollen, dann müssen wir verdammt noch mal das tun, was wir versprochen haben, nämlich das Abkommen umsetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass legales Geschäft in Europa betrieben werden kann, und wir müssen sicherstellen, dass der Iran seinen Deal aus dem Abkommen, nämlich wirtschaftlich tätig sein zu können, auch tatsächlich bekommt. Das ist Deeskalation praktisch gemacht.
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Wenn Sie, Herr Löbel und Herr Hardt, über ein neues JCPoA reden, frage ich: Wer wäre eigentlich dagegen? Wir würden uns alle freuen, ein umfassenderes Abkommen zu haben. Dazu würden wahrscheinlich Sicherheitsgarantien für den Iran und für die Nachbarn des Iran gehören. Aber glauben Sie denn im Ernst, es gibt ein neues Abkommen, wenn man die eigenen Verpflichtungen aus diesem Abkommen einfach nicht erfüllt?
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Genau das werfe ich der Bundesregierung und dem Außenminister vor, nämlich dass er genau das, was er versprochen hat, nicht geliefert hat. Deswegen halte ich die Erklärung von New York – da mag ich mich in der Bewertung vom Kollegen Schmid unterscheiden – für falsch. Sie ist falsch, weil man nicht auf der einen Seite sagen kann: „Wir nutzen das Forum der Vereinten Nationen; wir wollen sie stärken“, und parallel dazu auf der anderen Seite einen laufenden Untersuchungsprozess der Vereinten Nationen mit einem Federstrich für Makulatur erklärt. Das ist das Gegenteil von einer Stärkung der Vereinten Nationen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Wenn man noch dazu nimmt, dass auch beim anderen Teil nichts passiert ist, muss ich sagen: So wird das nichts mit der europäischen Souveränität. Da rennt man am Ende dann doch wieder den USA hinterher, und das ist bitter.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich die Worte des Kollegen Nouripour mit denen des Kollegen Trittin kombiniere, dann stelle ich fest: Das passt schon am Anfang nicht immer hundertprozentig. Es ist sicherlich richtig, dass die USA durch die Kündigung des Abkommens mitursächlich für die Problematik sind; aber die alleinige Zuschiebung der Ursache an die USA halte ich für nicht angemessen.
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Wenn Sie sich die Geschichte der Region einmal anschauen, die vor Jahrzenten im Iran begonnen hat, sehen Sie, dass die Region Stück für Stück destabilisiert wurde; da sind Syrien, Libanon, Jemen und die Situation gegenüber Israel eigentlich erst die Schlusspunkte. Es wurde Misstrauen in die Golfstaaten hineingesät, nach Saudi-Arabien und in die Emirate, welches es immer unmöglicher gemacht hat, die Parteien zusammenzuführen.
Ich habe gut gefunden, Herr Trittin, dass Sie das Bestehen dieser Einflusssphäre des Iran bei den Angriffen auf Saudi-Arabien nicht bestritten haben. Ich hielte es für höchst problematisch, wenn wir hier einseitig argumentieren würden.
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Wir, der Westen, Amerikaner und Europäer, haben es bis jetzt geschafft, dass die Saudis nicht auf die Politik der Nadelstiche des Iran reagieren. Die große Gefahr ist: Indem wir die Gefahr von iranischer Seite in diesem Hause kleinreden, fühlen sich die Iraner möglicherweise ermuntert, ihre Politik fortzuführen. Irgendwann wird dann das Fass zum Überlaufen gebracht. Darum ist es dringend notwendig – bei der Bewertung Saudi-Arabiens und des Iran brauchen wir die Hand nicht umzudrehen –, die Frage zu klären: Wer hat auf den Iran den entsprechenden Einfluss? Wer hilft uns, den Iran wieder in den Dialog zu bringen? Wir arbeiten sehr stark an der Seite der europäischen Verbündeten darauf hin, mit den Amerikanern einen Weg zu finden. Kanzlerin Merkel, Macron und Johnson versuchen in New York und darüber hinaus, sich auf ein entsprechendes Prozedere zu einigen.
Was mir in der gesamten Diskussion abgeht, ist, dass in das entstehende ökonomische Vakuum im Iran – die Problematik wurde beschrieben – jetzt Russland und China hineinstoßen. Das ökonomische Thema spielt eine Rolle, aber klar ist auch: Wir brauchen diese Länder. Alle diejenigen, die sich enger Verbindungen nach Russland rühmen, sollten mithelfen, dass die iranische Führung über ökonomischen Druck, der von diesen Ländern entsprechend formuliert werden kann, zu einer Politik des Dialoges zurückfindet; denn heute herrscht in der Region und auch in den Staaten darüber hinaus Dialogunfähigkeit.
Die Weiterentwicklung des Atomabkommens ist dringend notwendig. Wichtig ist ein Signal an den Iran, dass wir entsprechende Formate zukünftig nicht mit allen möglichen Vorkonditionen beginnen. Jede Vorkondition, die formuliert wird, ist ein Beleg dafür, dass man eigentlich keine Lösung haben möchte. Wir müssen den Dialog in diesen Formaten mit so wenig Vorkonditionen wie möglich beginnen und aufbauen.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Bitte äußern. Die eine oder andere Wortmeldung hier hat sich weniger darauf bezogen, dass es außenpolitisch motiviert sein sollte, zu einer Lösung zu kommen. Vielmehr wurde der Blick primär darauf gerichtet, welche innenpolitische Wirkung man entfaltet. Das sollten wir bei einem so ernsten Thema, bei dem wir nicht wissen, welche Situation wir morgen vorfinden, tunlichst vermeiden.
Besten Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich im Wahlkreis oder in Berlin in Fußgängerzonen oder am Tresen angesprochen werde
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– es gibt ja unterschiedliche –, dann kommt die Frage: Kommt es zu einem neuen Krieg am Golf? Als Antwort muss ich geben: Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht, aber wir müssen alles dafür tun, dass es nicht dazu kommt. – Ich sage das bewusst deshalb, weil ich mich augenblicklich, wie viele von Ihnen, die wissen, dass das erste Opfer jeder kriegerischen Auseinandersetzung die Wahrheit ist, irgendwie an der Tür zum Vorhof der Lüge befinde. Ich sage dies deshalb, weil wir den Konflikt in der Golfregion viel zu eindimensional betrachten; denn im Wesentlichen sind es drei Konflikte, mit denen wir uns zu beschäftigen haben.
Zum einen handelt es sich um den nicht aufgelösten Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran um die militärische und wirtschaftliche Vorherrschaft in der Region. Das findet seinen Ausdruck in dem brutalen Stellvertreterkrieg, der zu Hungersnot und zu Verachtung gegenüber den Menschen im Jemen führt. Er führt aber auch dazu, dass sich die Stabilität, von der wir sprechen, in der Region endgültig verabschiedet hat. Der Stellvertreterkrieg hat gezeigt – das machen die Aussagen der Huthi-Rebellen aus dem Jemen deutlich –, dass wir neben der Gefahr, die die Aufkündigung der Vereinigten Staaten von Amerika von JCPoA in sich birgt, einer neuen atomaren Gefahr nicht nur in dieser Region, sondern auf der Welt gegenüberstehen.
Wir müssen uns darüber hinaus heimlich, still und leise mit einer militärischen Gefahr auseinandersetzen, über die in Deutschland zum Teil verniedlichend gesprochen wird, nämlich mit der Gefahr durch Drohnen, durch künstliche Intelligenzen, die nicht beherrschbar sind. Die Drohnengefahr hat ihren Ursprung im Krieg im Jemen. Nun hat der Einsatz von Drohnen in Saudi-Arabien zu verheerenden wirtschaftlichen Folgen geführt. Diese verheerenden wirtschaftlichen Folgen werden dem Iran zugeschrieben, aber nur aufgrund von Eigentum und logistischen Gründen. Deshalb ist es notwendig, dass nicht vorschnell Schuldzuweisungen erfolgen. Vielmehr sollten wir uns auf den Weg der Deeskalation zurückbegeben.
Es gibt einen dritten Konflikt in diesem Bereich, und das ist der Konflikt um freie Seewege, um die internationale Schifffahrt, um die freie Ausübung unserer europäischen wirtschaftlichen Interessen. Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir den Dialog sowohl mit Saudi-Arabien als auch mit dem Iran fortführen und dem Iran als einem der wesentlichen Player auf Augenhöhe begegnen. Ich sage ganz deutlich: Wir werden die internationale Schifffahrt vermutlich nur sichern können, wenn wir Europäer eine gemeinsame internationale Mission fernab des sogenannten Maximum Pressure und der Vorstellungen der Vereinigten Staaten von Amerika wählen. Nur wenn wir Europäerinnen und Europäer eigene Vorstellungen haben und eigene Sicherheitspolitik betreiben, werden wir zu Lösungen kommen.
Ich weiß nicht, ob wir einen Krieg verhindern können. Wir alle müssen mit aller Kraft das JCPoA wieder mit Leben füllen. Dazu ist es notwendig, dass der Iran seine wirtschaftliche Betätigung in Europa und über Europa hinaus umsetzt. Ich kann dem Kollegen Trittin nur zustimmen: Das wird der Schlüssel sein. Denn wenn der Iran weiterhin vom Handel ferngehalten wird, wird er seine Vormachtstellung auf andere Art und Weise zu erreichen versuchen. Unser Ziel muss sein, eine neue nukleare Auseinandersetzung, eine neue nukleare Gefahr, nicht nur im Nahen Osten, sondern auf der gesamten Welt, zu vermeiden. Dafür müssen wir alle Kraft einsetzen. Mit den Erklärungen, die in New York getätigt wurden, sind wir auf einem guten Weg, aber dieser Weg ist noch steinig, dieser Weg ist noch weit.
Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Großraumregion Golf haben wir es mit einer zugespitzten, gefährlichen Situation zu tun. Ich nenne nur die Situation im Jemen, den Stellvertreterkrieg, der mit Brutalität und vielen Zehntausenden von Opfern in der Zivilbevölkerung geführt wird. Ich nenne die Angriffe und die Festsetzung von Schiffen in der Straße von Hormus durch iranische Revolutionsgarden. Als vorläufig letzten Akt der Eskalation nenne ich den Anschlag mit Drohnen und Marschflugkörpern in Saudi-Arabien auf eine der größten Ölraffinerien der Welt. Dieser Anschlag auf die zivile Infrastruktur war auch ein Anschlag auf die Energieversorgung der Welt. Deswegen ist es richtig, ihn aufs Schärfste zu verurteilen. Es kann als gesichert angesehen werden, dass letztlich die Verantwortung, mindestens aber die politische Verantwortung, der Iran trägt. Deshalb ist es richtig, dass die E3, also Deutschland gemeinsam mit den Regierungen von Großbritannien und Frankreich, in diesem Sinne Stellung bezogen haben.
Man kann es fast schon als gelassen bezeichnen, wie Saudi-Arabien reagiert hat. Das ist positiv zu bewerten: Es hat nicht mit hitziger Rhetorik oder gar mit Übersprungreaktionen oder Vergeltungshandlungen geantwortet. Damit hat es – auch wenn dem Kollegen Trittin dieses Wort nicht gefällt – deeskalierend gewirkt. Gleichwohl ist nach wie vor nur ein kleiner Funke erforderlich, damit diese Spannungslage in der Golfregion eine militärische Dimension erfährt. Das ist alles noch sehr präsent.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Welche Rolle spielen die Vereinigten Staaten? Ich möchte den Blick auch auf die Zeit vor Donald Trump richten, auf die Zeit der Obama-Administration. Schon damals wurde beklagt, dass sich die USA unter Obama allenthalben als Weltpolizist zurückgezogen haben. Die USA wurden in der Rolle des Weltpolizisten zwar nicht geliebt, aber sie haben nach ihrem Rückzug ein Vakuum hinterlassen, das uns auch nicht gefallen kann, weil jetzt andere Mächte ihren Einfluss in dieser Region auszuweiten versuchen. Und dann kam Donald Trump. Er ist mit dem Wahlversprechen angetreten: Ich möchte die Amerikaner nicht in neue Kriege und Konflikte verwickeln. Im Gegenteil, ich werde unsere Truppen aus Afghanistan und Syrien schnell abziehen. – Gott sei Dank, möchte ich fast sagen, hat er hiervon Abstand genommen und eine Rolle rückwärts gemacht. Aber auch das schafft natürlich Verunsicherung.
In der angesichts der verschiedenen Interessen in diesen Kriegen und Konflikten kaum noch zu überschauenden Gemengelage muss sich Deutschland nicht nur zurechtfinden, sondern auch Position beziehen. Deutschland muss sich über seine eigenen Interessen klar werden. Es muss seine Interessen definieren und entlang dieser Linien politische Entscheidungen treffen und diese sodann in konkretes Handeln umsetzen.
Ich will das am Beispiel der Straße von Hormus, die ich eingangs kurz erwähnt hatte, klarmachen: Mit dem, was durch die Straße von Hormus transportiert wird, wird ein Fünftel des Ölhungers der Welt befriedigt. Auch deutsche Handelsschiffe passieren diese Meerenge. Das heißt, wir haben eigene Interessen, die es dort zu schützen gilt. Deswegen ist es richtig, dass wir uns darum bemühen, eine solide rechtliche Grundlage zu finden. Ideal wäre ein UN-Mandat. Das ist aber wegen der bekannten Position einiger Vetomächte unrealistisch. Das heißt, ein EU-Mandat könnte dafür herhalten. Gespräche, in denen man sich darüber abstimmt, wie das bewerkstelligt werden kann, finden bereits statt. Das ist nicht trivial. Ich glaube, es ist richtig, zu erkennen, dass wir schützenswerte eigene Interessen haben. Wir dürfen uns aber auch nicht selbst in eine Falle manövrieren, indem wir sagen: Ein Land geht mit ein oder zwei Schiffen in die Region, es geht vorweg und sendet eine Einladung an die anderen EU-Staaten aus, die dann folgen können. Nein, hier muss es eine Art Koalition der Willigen innerhalb der EU geben. Das ist ein richtiger Ansatz, meine Damen und Herren. Hier sollte Deutschland eine führende Rolle einnehmen.
Im Übrigen sehe ich mit Blick auf das JCPoA durchaus eine Chance, dass die Vereinigten Staaten wieder mit ins Boot geholt werden. Immerhin wurden bis zur Aufkündigung des Abkommens durch die Vereinigten Staaten im Mai letzten Jahres mit den USA Gespräche über eine regionale und inhaltliche Ausweitung des Anwendungsgebiets des JCPoA geführt. Es gilt, an diese Gespräche anzuknüpfen und diesen Weg weiter zu beschreiten. Mit Blick auf die Ausführungen des Kollegen Trittin möchte ich mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zwei Schlusssätze sagen: Es ist schlimm genug, dass es überhaupt eines Atomabkommens bedurfte.
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Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn wir das gar nicht erst über zwölf Jahre hinweg hätten verhandeln müssen, um die Aggressionen des Iran einzudämmen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Zu Ihrer Bemerkung zu den Bemühungen der Bundesregierung, legale wirtschaftliche Beziehungen mit dem Iran zu tätigen, sage ich: Die Bundesregierung hat sich als Speerspitze für das Instrumentarium INSTEX eingesetzt.
Herr Kollege, bitte, Sie haben jetzt Ihre Redezeit um 40 Sekunden überzogen.
Ich komme zum Schluss. Danke, Herr Präsident. – Die Europäische Union ist auf einem guten Weg, eine abgestimmte Position zu finden.
Vielen Dank.