Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/13/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen an der Schwelle eines neuen Jahrzehnts. In wenigen Monaten enden die 2010er-Jahre, die 2020er-Jahre beginnen. Bevor wir darüber reden, wie wir in die nächsten zehn Jahre gehen, möchte ich vermessen, wo wir heute am Arbeitsmarkt und in der Sozialpolitik stehen. Tatsache ist, dass sich der Arbeitsmarkt in den letzten zehn Jahren sehr, sehr gut entwickelt hat. Die Arbeitslosigkeit ist um ein Drittel reduziert worden. Heute sind über 5,5 Millionen Menschen mehr in Lohn und Brot als vor zehn Jahren; ich rede von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. In manchen Branchen und einigen Regionen herrscht faktisch Vollbeschäftigung. In der Grundsicherung sind heute über 1 Million Menschen weniger als vor zehn Jahren als Langzeitarbeitslose zu vermelden. Die Bruttolöhne in Deutschland sind im Durchschnitt um mehr als ein Viertel gestiegen, ebenso übrigens die Renten. Ich erwähne das nicht, meine Damen und Herren, um kleinzureden, vor welchen Herausforderungen wir jetzt stehen. Ich sage auch nicht, dass das die gesamte Lebenswirklichkeit in Deutschland erfasst. Aber wenn wir jetzt in die 20er-Jahre gehen, dann bieten die letzten zehn Jahre, dann bietet das, was die Menschen in diesem Land geleistet haben, allen Grund zu realistischer Zuversicht, dass wir die Aufgaben, die wir vor uns haben, auch bewältigen können. Dieses Land kann stolz darauf sein, was in den letzten zehn Jahren geleistet wurde. ({0}) Aber es geht nicht allein um gute Bilanzen und Statistiken. Es geht um mehr, nämlich um die Frage, ob wir das Kernversprechen der sozialen Marktwirtschaft erneuern wollen. Dieses Kernversprechen lautet, dass wir in diesem Land nicht wirtschaftliche Stärke und Reichtum für wenige wollen, sondern Wohlstand und Sicherheit für viele. Wir sagen: Wir müssen dieses Kernversprechen erneuern, weil das heute in der Lebenswirklichkeit vieler Menschen nicht mehr Realität ist. Wenn wir Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft dieses Landes haben wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass der Fortschritt, der sich jetzt durch technologischen Wandel abzeichnet, nicht Fortschritt für wenige im Sinne von Wohlstand für wenige ist, sondern sozialer Fortschritt für das ganze Land. ({1}) Denn richtig ist, dass trotz aller Erfolge der Aufschwung im letzten Jahrzehnt nicht bei allen Menschen angekommen ist. Wir reden hier nicht über statistische Kollateralschäden. Wir reden über ganz konkrete Lebensschicksale von Menschen, Menschen wie beispielsweise Herrn Schmidt aus Heidelberg, den ich kennengelernt habe. Herr Schmidt ist heute um die 40 Jahre alt. Vor vielen Jahren hat er einen ziemlich großen Schicksalsschlag erlitten. Seine Eltern sind relativ früh gestorben; das hat ihn aus der Bahn geworfen. Er hat seine Arbeit verloren, irgendwann auch seine Wohnung. Er war über 20 Jahre langzeitarbeitslos und eine Zeit lang, wie gesagt, auch wohnungslos. Solche Biografien, solche Lebensschicksale von Menschen haben wir im Blick. Ich war froh, dass mir Herr Schmidt, als wir miteinander geredet haben, mitteilen konnte, dass er jetzt Arbeit gefunden hat. Damit ist er einer von 30 000 Menschen, die durch den sozialen Arbeitsmarkt, den wir im letzten Jahr auf den Weg gebracht haben, Arbeit gefunden haben. ({2}) Herr Schmidt arbeitet jetzt als Hausmeister in einer Schule, und zwar – das klingt fast wie ein Märchen – in einer Waldorfschule. ({3}) Meine Damen und Herren, es geht um Menschen, und Arbeit macht eben einen Unterschied. Für Herrn Schmidt bedeutet Arbeit nicht nur Broterwerb, sondern auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das heißt, Kolleginnen und Kollegen zu haben, etwas zu leisten, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Das dürfen wir nicht vergessen. Arbeit macht den Unterschied, und Arbeit muss den Unterschied machen, wenn es beispielsweise darum geht, die Löhne in der Pflege zu verbessern. Wir haben im Sommer das Gesetz für bessere Löhne in der Pflege beschlossen als Ergebnis der Konzertierten Aktion Pflege – zusammen mit dem Kollegen Spahn, der Kollegin Giffey haben wir das auf den Weg gebracht –, weil es nicht nur darum geht, Menschen in Arbeit zu bringen, sondern auch darum, den Wert der Arbeit in diesem Land zu stärken, und das gilt vor allen Dingen für die Pflege. ({4}) Wir müssen dafür sorgen, dass im Wandel der Arbeitsgesellschaft, im Zeitalter der Digitalisierung die Digitalisierung nicht mit Ausbeutung verwechselt wird. Wir werden deshalb in der nächsten Woche im Bundeskabinett dafür sorgen, dass wir in der Paketbranche endlich eine Nachunternehmerhaftung bekommen, die dafür sorgt, dass die Menschen die Pakete, die beispielsweise über Amazon bestellt werden, tatsächlich unter fairen, anständigen Arbeitsbedingungen und dem notwendigen sozialen Schutz in Deutschland ausliefern. ({5}) Arbeit muss einen Unterschied machen, auch für Selbstständige, die wir in das System der Alterssicherung einbeziehen wollen. Wir haben auch im Bereich der Selbstständigen immer mehr Menschen, die ganz fleißig arbeiten, aber am Ende des Tages in die Grundsicherung fallen. Wir wollen und werden auch Normalverdiener in diesem Land entlasten, zum Beispiel die Angehörigen und Kinder von Pflegebedürftigen, damit Pflege in diesem Land nicht zu einem Thema wird, das Familien sozial spaltet. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz bringt eine Entlastung für die arbeitende Mitte in dieser Gesellschaft. Es bringt Frieden in die Gesellschaft, es bringt Frieden in die Familien; auch das bringen wir auf den Weg. ({6}) Aber, Herr Präsident, meine Damen und Herren, Arbeit muss auch einen Unterschied machen, was die Rente in Deutschland angeht. Ich habe beispielhaft auch Susanne Holtkotte in diesem Jahr kennengelernt, die in Bochum als Reinigungskraft in einem Krankenhaus arbeitet. Das ist ein harter Job. Susanne Holtkotte ist jetzt 48 Jahre alt. Sie putzt die Betten im Krankenhaus. Jeder von uns weiß, dass das eine ganz, ganz wichtige Tätigkeit für unsere Gesellschaft ist; es geht um Hygiene in Krankenhäusern. Sie verdient den Mindestlohn im Gebäudereinigerhandwerk, knapp über 11 Euro. Wenn sie in 18 Jahren in Rente geht, war sie 41 Jahre berufstätig – und hätte nach geltender Rechtslage eine Rente von nur 715 Euro. Susanne Holtkotte ist das klassische Beispiel dafür, dass wir endlich die Grundrente in Deutschland durchsetzen müssen. ({7}) – Ich glaube, Herr Dobrindt, dass wir als Koalition in der Lage sind, dieses Problem gemeinsam zu lösen. ({8}) Ich sage an die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen gerichtet: Mein Vorschlag liegt auf dem Tisch. Wir werden darüber in den nächsten Wochen verhandeln. Ich bin gern bereit, über die Zielgenauigkeit meines Vorschlages zu reden und das miteinander zu klären. Aber eines will ich Susanne Holtkotte nach 41 Jahren Berufstätigkeit ersparen, nämlich dass sie zum Amt muss und erlebt, dass es um Fürsorgeleistungen geht. Die Rente, meine Damen und Herren, ist keine Fürsorgeleistung. Das ist ein erworbener Verdienst von Menschen. Es sind Anwartschaften, die Menschen erworben haben. ({9}) Wir müssen hier unterscheiden. Bei der Grundsicherung geht es um existenzsichernde Leistungen; da gibt es natürlich eine Bedürftigkeitsprüfung. ({10}) Wenn man nicht über die Runden kommt, muss man nachweisen, dass einem Unterstützung in Form von existenzsichernden Leistungen zusteht. Aber hier geht es ja darum, dass Menschen mehr bekommen als das Existenzminimum. Es geht um den Lohn für die Arbeit ihres Lebens. ({11}) Wir werden an Lösungen arbeiten, aber ich habe eine Bitte. Ich habe erlebt, wie meine beiden Amtsvorgängerinnen, Ursula von der Leyen und Andrea Nahles, versucht haben, die Grundrente auf den Weg zu bringen. Ich glaube, dass wir es an der Schwelle zum neuen Jahrzehnt als Staat, als Gesellschaft als notwendig ansehen, dieses Problem hinreichend zu lösen. Ich bin zuversichtlich, dass uns das in dieser Koalition gelingt. Wir stehen in der Pflicht. Wir werden uns einigen müssen, wir werden Kompromisse finden müssen. Aber am Ende muss eine Grundrente stehen, die diesen Namen auch verdient, meine Damen und Herren. ({12}) Es geht nicht nur um Statistiken und nicht nur um Einzelschicksale, sondern es geht um die Frage: Mit welcher Haltung geht diese Gesellschaft in das neue Jahrzehnt, ein Jahrzehnt voller Veränderungen, voller Wandel? Wie man gestern in einer Studie der Bertelsmann Stiftung nachlesen konnte, müssen wir feststellen, dass trotz der guten wirtschaftlichen Lage Sorgen und Ängste bis in die Mitte unserer Gesellschaft gekrochen sind, nämlich Sorgen, wie es weitergeht, Sorgen um die Zukunft in einer Arbeitsgesellschaft, die vom digitalen Wandel geprägt ist. Wir erleben ja auch, dass es inzwischen politische Scharlatane gibt, die Ängste und Sorgen schüren und versuchen, daraus ein Geschäftsmodell zu machen, ohne je ein Problem zu lösen, und die die Gesellschaft nur spalten. Das muss uns als Demokratinnen und Demokraten in diesem Hause aufrütteln. Dazu gehört, dass wir den Menschen nicht versprechen, sie vor dem Wandel beschützen zu können; das kann Politik nicht. Aber dass wir Chancen und Schutz in Zeiten des Wandels organisieren, das ist die Aufgabe eines modernen Sozialstaates, meine Damen und Herren. ({13}) Deshalb müssen wir vor allen Dingen den Arbeitsmarkt in den Blick nehmen. Das heißt, ganz konkret dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten von heute auch die Arbeit von morgen machen können. Mit dem Qualifizierungschancengesetz haben wir einen wichtigen Baustein gelegt, um in Weiterbildung zu investieren und die Fachkräftesicherung von Unternehmen zu unterstützen. Aber wir müssen mehr tun. Angesichts der konjunkturellen Risiken, die es in der Weltwirtschaft gibt, müssen wir dafür sorgen, dass wir auch in schwierigen Zeiten Beschäftigung sichern und auf Weiterbildung und Qualifizierung setzen. Das ist wirtschaftlich vernünftig, weil es die Fachkräftesicherung unterstützt. Aber es ist vor allen Dingen wichtig, damit Menschen in Zeiten rasanten Wandels spüren, dass wir es schaffen. Das ist uns vor zehn Jahren in der Finanzkrise mit den veränderten Regeln zur Kurzarbeit gelungen – Olaf Scholz war damals Arbeitsminister –, und das muss uns, falls es notwendig wird, auch gelingen durch die Verbindung von Kurzarbeit und Weiterbildung. Deshalb werde ich in diesem Herbst ein Arbeit-von-morgen-Gesetz vorlegen, meine Damen und Herren. ({14}) Zum Schluss. Wir stehen auch an der Schwelle zu einem neuen Jahrzehnt, was Wirtschaft und Arbeitsmarkt angeht. Ein großer amerikanischer Präsident – und glauben Sie mir, es gab große amerikanische Präsidenten - ({15}) hat in ganz anderer Zeit einmal den Satz gesagt: Wir haben nichts so sehr zu fürchten wie die Furcht selbst. ({16}) „The only thing we have to fear is fear itself“, sagte Roosevelt 1933. Das waren schlimme Zeiten der Depression; in solchen Zeiten befinden wir uns jetzt gar nicht. Aber da die Sorgen da sind, müssen wir in diesem Land sagen: Wir haben die Wahl zwischen Angst und realistischer Zuversicht. Wir wählen die Zuversicht, weil wir allen Grund dazu haben, mit Mut und Zuversicht an die Aufgaben am Arbeitsmarkt zu gehen. Das ist das, was diese Regierung gemeinsam leisten wird. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({17})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Uwe Witt, AfD. ({0})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste des Hohen Hauses! Herr Minister Heil, wenn ich Ihre Haushaltspläne dieser Legislatur lese, insbesondere diesen, dann frage ich mich, warum Sie Helmut Schmidts Aussage „Rate den Mitbürgern nicht das Angenehmste, sondern das Beste“ mal wieder nicht beachtet haben. Wieder mal doktern Sie an einem maroden System herum und setzen auf bereits zigmal gescheiterte Projekte. Das ist so, als wenn Sie mit einem Fahrzeug mit kapitalem Motorschaden in die Werkstatt fahren und man den Motor noch tunt, anstatt ihn auszutauschen. Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist nicht nur der größte Einzelhaushalt. Vor allen Dingen ist er derjenige, von dem direkt und indirekt die meisten Menschen in diesem Land betroffen sind. Daher ist das Motto „Weiter so“ gerade bei diesem Haushaltsplan eine Katastrophe für die Bürger dieses Landes. ({0}) Denn die Zeichen stehen auf Sturm. Die Experten haben düstere Prognosen. Die Zahl derer, die auf Unterstützungsleistungen aus dem Ministerium von Herrn Heil angewiesen sind, wird sich in den kommenden Jahren deutlich, wenn nicht sogar dramatisch, erhöhen. ({1}) Sie sollten doch wissen, was sich da am Horizont schon deutlich zusammenbraut. Allein die DAX-Konzerne wollen 150 000 Stellen in den nächsten zwölf Monaten abbauen. Aber es wird noch schlimmer. Durch Ihre verkorkste Klimapolitik stehen besonders viele Stellen in Deutschlands Schlüsselbranche, dem Automobilbau, auf dem Spiel. Ford, Volkswagen, Audi, BMW wollen bis 2021 an ihren deutschen Standorten über 50 000 Stellen streichen. Wie Sie alle wissen, sind dann immer auch die Zulieferbetriebe mit Zehntausenden von Mitarbeitern betroffen. Continental zum Beispiel rechnet mit deutlich fünfstelligem Personalabbau. Mahle hat sein Werk in Öhringen bereits geschlossen. Meine Damen und Herren, die deutsche Autoindustrie beschäftigt 800 000 Arbeitnehmer in unserem Vaterland. Nach der aktuellen Oliver-Wyman-Analyse benötigen die Autokonzerne durch Digitalisierung in den nächsten zehn Jahren 30 Prozent Mitarbeiter weniger. Herr Heil, Digitalisierung ist das Thema, das Sie und die Bundesregierung verschlafen haben. ({2}) Dazu kommt noch der Arbeitsplatzabbau aus Gründen der verkorksten Klimapolitik und der Rezession. Ich mag gar nicht daran denken, was passiert, wenn hier 45 Prozent von insgesamt 800 000 Arbeitsplätzen abgebaut werden. Sie aber, Herr Heil, rechnen in Ihrem Haushaltsentwurf mit Einsparungen von über 900 Millionen Euro, gerade beim Arbeitslosengeld II, obwohl Sie wissen müssten, was sich in Deutschland zusammenbraut. Wer erinnert sich nicht an Konzerne wie Schlecker, Air Berlin, Quelle AG, den Baukonzern Philipp Holzmann AG und den Autobauer Karmann, die von heute auf morgen vom Markt verschwunden sind. ({3}) Analysten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gehen bereits jetzt von einem Schrumpfen der Wirtschaft aus. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen, was das bedeutet: Rezession. Rezession bedeutet sinkende Steuereinnahmen und erhöhten Druck auf die Rentenversicherung, weil die Einnahmen sinken und die Ausgaben durch die Babyboomer immer weiter steigen werden. Weiter bedeutet Rezession aber auch sinkende Einnahmen bei der Arbeitslosenversicherung, und zwar – hören Sie genau zu, Herr Heil – bei gleichzeitig steigenden – nicht sinkenden – Ausgaben des Staates. Diese Veränderungen am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft können genauso hart einschlagen wie seinerzeit in den schon nicht mehr so neuen Bundesländern: deindustrialisierte Landstriche, klamme Kommunen, Niedriglohnsektor. Noch heute ist der Lohnunterschied zwischen Ost und West eklatant, ({5}) und noch immer ist eine Lohnangleichung zwischen Ost und West in weiter Ferne. Es kann doch nicht sein, dass ein Facharbeiter aus dem Bereich Metallbau im Osten 35 Prozent weniger Lohn erhält als der Metallbauer im Westen. Womit soll man das rechtfertigen? ({6}) Sie reden zwar ständig von sozialer Gerechtigkeit, aber Ihre Interpretation von sozialer Gerechtigkeit verstehen Ihre ehemaligen Wähler schon lange nicht mehr, Herr Heil. ({7}) Daher ist es verdammt noch mal unsere Pflicht und Schuldigkeit gegenüber dem Steuerzahler, mit mehr als kritischem Blick den Haushaltsentwurf für Arbeit und Soziales, den Sie hier vorstellen, zu hinterfragen, beispielsweise das Programm für den sozialen Arbeitsmarkt, das sich einreiht in eine lange Reihe bereits gescheiterter Vorgängerprogramme. Sie investieren in einen fiktiven sozialen Arbeitsmarkt, und der tatsächliche Arbeitsmarkt bricht zusammen. ({8}) Da stellt sich die Frage: Wissen Sie eigentlich überhaupt, was Sie da machen, Herr Heil, ({9}) oder spielen Sie Vogel Strauß? Das hat doch nichts mit gesundem Optimismus zu tun. Da ist eine Rezession im Anmarsch, und Herr Heil macht Sandkastenspiele mit dem Versuch eines sozialen Arbeitsmarktes, obwohl nachweislich alle vorherigen ähnlichen Versuche gescheitert sind. ({10}) Ich gehe nicht so weit wie Ihr Genosse Kahrs in seiner Rede vorgestern mit seinen Aussagen über die AfD. ({11}) Aber, liebe SPD, wenn man mit kurzsichtiger sozialistischer Politik aus dem einst blühenden Wirtschaftsstandort Deutschland ein Land der Bauern und Hartz-IV-Empfänger machen will, dann gehören Sie als Regierungspartei verboten. Und ich hoffe schnellstens auf Neuwahlen! ({12}) Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll; denn Sie verkennen die Zeichen der Zeit und gehen weiterhin von einer guten Konjunktur für Deutschland aus. Anders kann man diesen von Ihrem Ministerium vorgelegten Haushaltsplan nicht interpretieren. ({13}) Dieser Haushaltsentwurf hält vor dem Hintergrund der gravierendsten Veränderungen, die uns ins Haus stehen, einer kritischen Prüfung nicht stand, insbesondere da nicht in ausreichendem Maße Vorsorge für diese Veränderungen getroffen wurde. Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Eines gebe ich Ihnen, Herr Minister Heil, noch mit auf den Weg: ({14}) Dieses Land kann es sich nicht leisten, einen Vorschlag nicht ernsthaft zu prüfen, nur weil er vermeintlich von den Falschen, nämlich von der AfD, kommt. Vielen Dank. ({15})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Hermann Gröhe, CDU/CSU. ({0})

Hermann Gröhe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002666, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Minister, lieber Hubertus Heil! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wenn wir über den Einzelplan 11, den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, reden, dann reden wir über den mit Abstand größten Etat im Bundeshaushalt: nachgerade 149 Milliarden Euro, 3,3 Milliarden mehr als im laufenden Jahr, 10 Milliarden mehr als 2018. All dies zeigt: Deutschland ist ein leistungsstarker Sozialstaat. Darauf sind wir stolz. Und wer dies als „marodes System“ diffamiert, will mit schäbiger Absicht Angst schüren. Das hat mit der Realität in diesem Land nichts zu tun, meine Damen, meine Herren. ({0}) Wir verfügen über ein festgefügtes soziales Netz, um das wir in anderen Ländern vielfach bewundert werden. Es wird nachgefragt: Wie organisiert ihr diese Sozialpartnerschaft, mit Sozialversicherungssystemen, in denen alle mitwirken, in denen es eine starke Selbstverwaltung gibt? All dies gilt weltweit vielerorts als Vorbild. Die gute Situation in unserem Land – darauf hat der Minister zu Recht hingewiesen – ist vor allen Dingen dem guten Jahrzehnt starker Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu verdanken. Wenn heute über 5 Millionen Menschen mehr in Lohn und Arbeit sind, dann ist dies eben nicht nur eine statistische Größe, dann bedeutet dies nicht nur eine Entlastung von Sozialkassen, sondern dann haben Millionen Menschen wieder die Chance auf ein eigenverantwortliches, selbstbestimmtes Leben, auf Teilhabe. Dies ist ein herausragender Erfolg unserer gemeinsamen Anstrengungen. ({1}) Wir erleben einen spürbaren Lohnanstieg und dank niedriger Preissteigerung seit einer Reihe von Jahren reale Verdienstzuwächse. Infolge der steigenden Löhne steigen die Renten unserer Rentnerinnen und Rentner. Zugleich sind infolge der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt die Sozialkassen gut gefüllt. Wir haben die Beitragssätze senken können und haben heute innerhalb der EU unterdurchschnittliche Lohnnebenkosten. Wir müssen entschlossen daran arbeiten, dass diese Entwicklung auch bei schwieriger werdenden außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, auch bei Strukturveränderungen erheblichen Ausmaßes anhält. Zugleich wollen wir uns besonders darum kümmern, dass diejenigen, die in den letzten Jahren nicht an der positiven Entwicklung des gesamten Landes teilgenommen haben, zielgenau in den Blick genommen werden. ({2}) Wer von Deutschland das Zerrbild eines Jammertals zeichnet, wie das an den Rändern der politischen Debatte geschieht, der redet völlig an der Realität in unserem Land vorbei, in dem es den allermeisten Menschen wirklich gut geht. Ich erlaube mir die Bemerkung: Wer Volkspartei bleiben oder wieder werden will, sollte sich von solcher Angstmache nicht anstecken lassen, meine Damen, meine Herren. ({3}) Wir alle sind gefordert, dafür zu sorgen, dass diese gute wirtschaftliche Entwicklung trotz ernstzunehmender Eintrübungen weiter stabilisiert werden kann. Das heißt: Wir müssen alles unterlassen – auch manches, was zunächst wünschenswert erscheinen mag –, was die Wirtschaftskraft und die Innovationskraft unseres Landes und die Chancen kommender Generationen gefährdet. Für uns als Union gehören wirtschaftliche Vernunft und soziale Verantwortung stets untrennbar zusammen. ({4}) Das heißt: Wenn wir uns für international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft einsetzen, dann tun wir dies nicht allein aus wirtschaftspolitischen Gründen, sondern auch, weil es die zwingende Voraussetzung für einen nachhaltig leistungsfähigen Sozialstaat ist. Es ist albern, so zu tun, als sei der Sozialstaat nur eine Belastung für die Wirtschaft. Kluge Sozial- und Arbeitsmarktpolitik schafft eine wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltig gute wirtschaftliche Entwicklung. Gleichzeitig ist eine gute wirtschaftliche Entwicklung zwingende Voraussetzung eines leistungsstarken Sozialstaats. ({5}) Für uns geht es angesichts der Dimension unseres starken Sozialstaats in der Weiterentwicklung stets um zweierlei. Erstens: Die Beschäftigungsorientierung unserer Maßnahmen muss stets im Mittelpunkt stehen. Zweitens: Wir müssen dort zielgenau helfen, wo Ausbaunotwendigkeiten bestehen. Ein unbezahlbares Wünsch-dir-was untergräbt nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern gefährdet auch die Nachhaltigkeit eines solidarischen Sozialstaats. Dem trägt die Politik der Koalition Rechnung. Nachdem wir hier erneut in schäbiger Weise gehört haben, wie die Auswirkungen des Teilhabechancengesetzes in Zweifel gezogen wurden, will ich ausdrücklich sagen: Wer einmal mit Menschen geredet hat – Hubertus Heil hat Beispiele genannt –, die nach vielen Jahren, in denen sie am Arbeitsmarkt chancenlos waren, weil verschiedenste Vermittlungshemmnisse sie immer gegen Wände rennen ließen, wieder eine Arbeit gefunden haben, und erlebt hat, was es für diese Menschen bedeutet, wieder Eigenverantwortung und Teilhabe zu erleben, der weiß, dass es hier nicht um eine statistische Größe geht – schon heute profitieren 30 000 Menschen von den neu geschaffenen Maßnahmen –, sondern um einen Fortschritt im Leben dieser Menschen. Diesen Weg gehen wir entschlossen weiter, meine Damen, meine Herren. ({6}) Ich will auch ausdrücklich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern danken, die als Coaches mit einer ganzheitlichen Begleitung, die der individuellen Lebenssituation eines früheren Langzeitarbeitslosen Rechnung trägt, einen Beitrag dazu leisten, dass diese Teilhabe möglich ist. Mich hat besonders erfreut – auch das straft die Diffamierung dieser Maßnahmen Lügen –, aus den Jobcentern zu hören, in welchem Umfang – in einem für mich überraschenden Umfang – sich auch die Privatwirtschaft an diesen Angeboten beteiligt. Es sind keineswegs nur kommunale Einrichtungen oder Wohlfahrtsverbände. Auch viele Menschen, die ein kleines, mittelständisches oder größeres Unternehmen verantworten, sagen: Wenn ich diesen Menschen eine Chance gebe und dabei gut unterstützt werde, dann ist das auch für mich als Unternehmen eine Chance. – Das zeigt, dass wir mit einem passgenauen sozialen Arbeitsmarkt auf dem richtigen Weg sind. ({7}) Um eine zielgenaue Orientierung bei der Beschäftigung geht es auch beim Qualifizierungschancengesetz. Gerade wo technologische Sprünge, aber auch andere Entwicklungen in einzelnen Branchen und Regionen Arbeitsplätze durch Strukturwandel in Gefahr bringen, ist es richtig, vorausschauend Arbeitslosigkeit zu vermeiden und Fachkräftepotenzial zu sichern. Und es ist klug, die erweiterten Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit in diesem Zusammenhang in die Nationale Weiterbildungsstrategie einzubinden, in der Bund, Länder und die Sozialpartner ihre Bemühungen bündeln. Es muss nicht zuletzt darum gehen, auch jene Berufs- und Bevölkerungsgruppen mit bisher wenig Weiterbildungsbeteiligung zu erreichen und gerade auch kleine und mittelständische Betriebe entsprechend zu unterstützen. Ja, wir wissen, dass es trotz guter Entwicklung in vielen Bereichen des Arbeitsmarktes Herausforderungen für Branchen gibt, nicht zuletzt auch durch außenwirtschaftliche Entwicklungen. Deswegen wird es auch immer wieder darum gehen, gezielt zu helfen. Uns ist klar, dass dabei auch heute schon Kurzarbeit – es gibt erweiterte Möglichkeiten im Wege der Rechtsverordnung – eine wichtige Rolle spielen kann. Ich sage aber sehr deutlich: Das Wichtigste ist, dass wir jetzt alles tun, um krisenhafte Entwicklungen zu vermeiden, statt Krisenbekämpfungsmaßnahmen ins Schaufenster zu stellen. Noch immer gilt, dass in den allermeisten Wirtschaftsbereichen – das sagen die Arbeitsagenturen in den Bezirken – der Fachkräftemangel die Wachstumsbremse Nummer eins ist. Deswegen war es ein wichtiger Durchbruch, dass wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz deutlich gemacht haben – übrigens auch als Zeichen der Wertschätzung für berufliche Bildung –, dass nicht nur Akademikerinnen und Akademiker, sondern auch beruflich Qualifizierte aus anderen Ländern auf unserem Arbeitsmarkt eine Chance erhalten. Dass wir das zielgenau tun, zeigen Sonderregelungen für IT-Kräfte. Dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben, zeigt die Wertschätzung für das Erlernen der deutschen Sprache. Den Arbeitsmarkt zu stärken und damit die Grundlage für eine weitere gute Entwicklung von der Rentenpolitik bis zu vielen anderen Bereichen der Sozialpolitik zu legen, bestimmt unsere Arbeit. Das wird es auch weiterhin tun. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Johannes Vogel, FDP. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister, lieber Hubertus Heil! Nachdem wir jetzt eigentlich das ganze Jahr wegen des Blockadestreits um die Grundrente keine größeren sozialpolitischen Gesetzesinitiativen erlebt haben, ({0}) haben Sie jetzt einen Herbst der Entscheidungen angekündigt. Ich muss sagen: Ich finde das gut. Die Frage ist allerdings, ob es die richtigen sein werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt erleben wir, dass die Wirtschaft leicht schrumpft. Wir haben im August zum ersten Mal seit sechs Jahren saisonbereinigt einen Anstieg der Arbeitslosigkeit erlebt. Ja, das ist – Gott sei Dank – keine schwere Krise wie 2008/2009; aber es ist schon eine Veränderung der Lage und auch der Geschäftsgrundlage. Immerhin nimmt die Regierung das so ernst, dass sie angekündigt hat, dem Parlament vorzuschlagen, die Krisenregelung bei der Kurzarbeit von 2008/2009 wieder einzuführen. Darüber kann man reden. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Minister, merken Sie nicht, dass uns das auch andere Vorhaben hinterfragen lassen sollte? Sie haben angekündigt, diesen Herbst eine Änderung des Teilzeit- und Befristungsrechts vorzulegen. Also ausgerechnet dann, wenn der Arbeitsmarkt sich eintrübt, wollen Sie die Einstiegschancen für die Menschen verschlechtern und die Flexibilität des Arbeitsmarktes reduzieren. Das passt nicht zusammen. ({2}) Entweder geht es dem Arbeitsmarkt gut, dann brauchen wir keine Krisenregelung in der Kurzarbeit. Oder es geht dem Arbeitsmarkt schlecht, dann sollten Sie aber sofort alles auf Eis legen, was Einstiegschancen von Menschen in den Arbeitsmarkt reduziert. ({3}) Richtig wäre hingegen, etwas gegen die Krise selbst zu tun. ({4}) Ja, ich wünsche mir zum Beispiel Initiativen, die es Gründern einfacher machen. Mit Blick auf die Ursachen frage ich: Warum senden Sie nicht jetzt ein klares Signal pro Freihandel? Warum ratifizieren Sie CETA, das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen, nicht endlich? ({5}) Warum treibt die Bundesregierung bzw. das Wirtschaftsministerium nicht gerade jetzt Freihandelsabkommen zum Beispiel mit den ASEAN-Staaten voran? Das wären die Signale, die wir jetzt in weltwirtschaftlich schwieriger Lage bräuchten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Das heißt natürlich auch, dass wir nach zehn Jahren Aufschwung, nach zehn Jahren sinkender Arbeitslosigkeit heute konstatieren müssen, dass Sie diese lange Zeit nicht genutzt haben, um in guten Zeiten endlich einmal wichtige Zukunftsreformen voranzutreiben. Das ist doch ein Armutszeugnis. ({7}) Umso mehr ist es notwendig, diese Modernisierungsschübe jetzt anzugehen und Lust auf Zukunft zu machen. Insofern freuen wir uns auf die Initiativen zur Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes. Wir freuen uns – da allerdings muss ich eher das Ministerium für Wirtschaft und das Ministerium für Bildung als den Arbeitsminister Heil kritisieren – auf eine nationale Weiterbildungsstrategie, die diesen Namen auch verdient. Wir dürfen dabei nämlich nicht nur die Bundesagentur für Arbeit in den Blick nehmen. Dafür wäre jetzt die Zeit. ({8}) Das zweite Thema, über das ich kurz sprechen will, ist natürlich die Rente. ({9}) In der Tat: Nachdem Sie im letzten Jahr Geld ausgegeben haben, als gäbe es kein Morgen, allein hierbei in Einträchtigkeit Mehrkosten in Höhe von einer Viertel Billion Euro bis 2030 produziert haben, die Rentenformel zulasten der Jungen manipuliert haben, also in jeder Hinsicht eine zukunftsvergessene Politik gemacht haben, stellen Sie sich dieses Jahr wenigstens endlich der richtigen Frage, nämlich: Wie können wir, lieber Kollege Hermann Gröhe, zielgenau etwas gegen Altersarmut unternehmen? Wir haben gestern jedoch wieder schwarz auf weiß lesen können, lieber Minister Hubertus Heil, dass als Antwort auf diese wichtige Frage das Grundrentenmodell, das gerade diskutiert wird, leider ein sehr schlechter Vorschlag ist. ({10}) Sie verteilen das Geld in krasser Art und Weise mit der Gießkanne. ({11}) Die „Süddeutsche Zeitung“, nicht das „Handelsblatt“, nicht die „FAZ“, titelt dazu heute, dass Sie das mit der „Zielgenauigkeit eines Rasensprengers“ tun würden. ({12}) – Nein, kommt es nicht. – Ich will das auch einmal visualisieren; denn ich glaube, dass das notwendig ist. Sie kommen damit in der öffentlichen Debatte noch viel zu gut durch. ({13}) Wir haben von drei verschiedenen Stellen Zahlen gesehen, die zeigen, wie ungenau Ihr Grundrentenmodell ist. Ihre eigenen Zahlen, Herr Minister, lieber Hubertus Heil, zeigen: Wenn man die Modelle mit Bedarfsprüfung, die Sie im Bund-Länder-Sozialpartnerdialog durchgerechnet haben, nimmt, kommt man zu dem Schluss, dass 97 Prozent der Empfänger gar nicht von Altersarmut betroffen wären. 97 Prozent! In den letzten Tagen des August wurde eine Studie vom IW veröffentlicht, die zeigt, dass Ihr Rentenmodell an 80 Prozent der konkret von Altersarmut Betroffenen vorbeigeht. Gestern hat das DIW Zahlen vorgelegt, das ja nun wirklich kein SPD-fernes Institut ist. Diese zeigen, dass langfristig 90 Prozent der Empfänger bei Ihrem Modell gar nicht von zu wenig Geld im Alter betroffen sind. ({14}) Das ist ein krass ungenaues Modell, und deswegen ist es ein schlechter Vorschlag. ({15}) Sie geben dafür zu viel Geld aus und haben zu wenig Geld zur Verfügung, um denjenigen zu helfen, die unsere Unterstützung gerade brauchen, nämlich all diejenigen, die 34 Jahre und 11 Monate oder weniger Versicherungszeit und im Alter auch zu wenig Geld haben. Für diese Menschen müssten wir zielgenau etwas tun. ({16}) Das Schöne ist – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –: ({17}) Das DIW hat auch unterstrichen, dass es anders geht. Es unterstützt nämlich unseren Ansatz der Basisrente, mit dem wir deutlich machen, dass man dafür sorgen kann, dass jeder, der gearbeitet und eingezahlt hat, im Alter mehr als die Grundsicherung und mehr als diejenigen hat, die das nicht getan haben. Man kann auch dafür sorgen, dass diese Menschen im Alter nicht auf das Sozialamt gehen müssen. Ein modernes, zielgenaues Modell ist möglich, ({18}) und wir hoffen, dass Sie das in diesem Herbst noch vorlegen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({19})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alleinstehend, alt, arm: Altersarmut wird in 20 Jahren mindestens jeden fünften Beschäftigten betreffen. Das ist nicht das Ergebnis unserer Studie, sondern einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die gestern vorgestellt wurde, und zwar im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Da kann man also nicht von einer Nähe zur SPD oder zur CDU sprechen. Beide gemeinsam sind zu diesem Ergebnis gekommen. Wir als Linke werden Altersarmut niemals akzeptieren. ({0}) Wir haben die Situation, dass sich die Anzahl der Menschen, die im Alter armutsgefährdet sind, innerhalb von zwölf Jahren verdoppelt hat. Das hat Ursachen. Jeder vierte Beschäftigte arbeitet im Niedriglohnsektor. Darum fordern wir die Erhöhung des Mindestlohnes auf mindestens 12 Euro, meine Damen und Herren. ({1}) Jedem dritten Berliner Beschäftigten droht Geldmangel im Alter, hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten festgestellt. Das ist aber nicht nur ein Berliner Problem. Es ist ein Problem im ganzen Land. Aber ich möchte besonders auf Ostdeutschland eingehen. In Ostdeutschland arbeitet jeder Dritte zu einem Niedriglohn. Damit ist die Altersarmutswelle vorprogrammiert. Die Zahlen machen deutlich, dass die Ostdeutschen nicht nur das Gefühl haben, von der Bundesregierung abgehängt zu sein, sondern dass sie auch tatsächlich abgehängt sind. Ich denke, 30 Jahre nach Maueröffnung muss die Rentenmauer endlich eingerissen werden, meine Damen und Herren. ({2}) Wir als Linke fordern seit 30 Jahren – und da werden wir niemals nachlassen, bis wir es erreicht haben –, dass das Rentenunrecht beseitigt wird. Im Jahr 1991 hat ein Gesetz die Überleitung aller Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR in die gesetzliche Rentenversicherung geregelt. Viele Ansprüche wurden einfach gestrichen. Es ging zum Beispiel um die Ansprüche von Eisenbahnern und Balletttänzerinnen. Aber auch die geschiedenen Frauen wurden vernachlässigt. Sie kämpfen bis heute um ihr Recht, und Die Linke steht an der Seite der geschiedenen Frauen, meine Damen und Herren. ({3}) Wir wollen eine solidarische Mindestrente. Voraussetzung dafür sind erstens höhere Löhne, zweitens eine Korrektur der Rentenformel, und drittens darf es nicht sein, dass die Ostdeutschen bei der Rentenberechnung schlechtergestellt werden. Das ist eine Ungerechtigkeit, und gegen die kämpfen wir, meine Damen und Herren. ({4}) Nun sind ja Zahlen immer sehr abstrakt oder können abstrakt sein. Darum muss man sich doch mal vor Augen führen: In welcher Gesellschaft wollen wir leben, und was bedeutet Altersarmut konkret? Altersarmut bedeutet Ausgrenzung, bedeutet Einsamkeit. Die Menschen haben Angst, ihre Wohnung zu verlieren. Sie kaufen sich kein gesundes Essen mehr, können sich nicht mehr anständig ernähren. Sie haben keine sozialen Kontakte mehr. Sie müssen ihre Gesundheit vernachlässigen. Sie können sich keinen Friseurbesuch und, was noch viel wichtiger ist, keinen Besuch bei der Fußpflege mehr leisten. Das ist ja im Alter ein gravierendes Problem. Ist das eine Gesellschaft, in der wir leben wollen? Wollen wir in einer Gesellschaft leben, wo die alten Menschen Flaschen sammeln müssen, um sich ein kleines bisschen leisten zu können? Das darf nicht sein. Altersarmut gehört bekämpft, meine Damen und Herren. ({5}) Ich habe die Erhöhung des Mindestlohnes eingefordert. Aber gleichzeitig müssen auch die Mindestlohnbetrüger von der Bundesregierung endlich zur Verantwortung gezogen werden. ({6}) Ein Bauarbeiter aus Brandenburg erzählte mir, dass er seine Überstunden nicht bezahlt bekommt und dass er, wenn er darauf bestehen würde, dann seine Arbeit verlieren würde. Ich finde, das kann nicht sein. Mindestlohn ist ein Recht, und wir brauchen Maßnahmen, um den Mindestlohn durchzusetzen. Wir brauchen ihn nicht nur auf dem Papier, meine Damen und Herren. ({7}) Es gibt das Projekt „Faire Mobilität“. Es umfasst neun Beratungsstellen, die finanziert werden, um sogenannte mobile Beschäftigte zu beraten. Diese mobilen Beschäftigten sind Opfer extremer Arbeitsausbeutung, Opfer, die wohlgemerkt in kleinen und mittleren Betrieben in Deutschland beschäftigt sind, Wanderarbeiter oder besser Lohnsklaven. Sie sind so zahlreich geworden, dass inzwischen eine neunte Beratungsstelle eröffnet werden musste. Kein Lohn oder niedriger Lohn, unrechtmäßige Kündigung durch den Arbeitgeber – das kann nicht sein. Die Beratungsstellen sind richtig, aber wir müssen konkrete Maßnahmen gegen Betriebe ergreifen, die Menschen wie Sklaven behandeln. Das ist unseres Landes unwürdig. Wir wollen ein solidarisches, ein gerechtes, ein sicheres Land für alle, meine Damen und Herren. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Herr Minister, der Aufwuchs in diesem Etat liegt im Moment bei 3,5 Milliarden Euro. Aber wir wissen: Es wird wahrscheinlich noch mehr sein; denn wir warten ja noch auf die Herbstprognose, und dann wird noch etwas draufkommen. Ehrlich gesagt: Dafür, dass Sie so viel Geld verwalten, fand ich sowohl Ihre Rede als auch die Rede vom Kollegen Gröhe etwas ideenlos und unambitioniert. ({0}) Sie haben so viel zu tun. Ich will das mal anhand von Beispielen ein bisschen konkretisieren: Ich fange mit dem Rentenkapitel an, weil da ja das meiste Geld drinsteckt. Laut Planung werden die Zuschüsse in diesem Bereich bis 2023 um 15 Milliarden Euro auf eine Summe von 125 Milliarden Euro steigen. Das ist eine stolze Summe. Aber erst dann kommt die doppelte Haltelinie für Beiträge und Leistungsniveau richtig unter Druck. Wenn Sie jetzt von der doppelten Haltelinie und davon, was Sie Großartiges machen, reden, dann ist das doch nur ein PR-Gag. Blüm hätte seine echte Freude an dem, was Sie jetzt machen. Denn die Probleme kommen erst ab 2024 auf uns zu, und darauf haben Sie keine Antwort – gar keine. ({1}) Sie wissen doch jetzt schon, dass die Demografiereserve viel zu niedrig ist. ({2}) Sie wissen doch jetzt schon, dass Sie viel mehr tun müssen, um die Beitragshöhe zu stabilisieren, und zwar ab 2024. ({3}) Sie haben auch so gar keine Idee, wie Sie eigentlich die Mütterrente finanzieren werden. Ich habe zumindest nichts mehr dazu gehört. Aber genau diese Frage müssen Sie doch erst beantworten. ({4}) Lieber Herr Kollege Birkwald, Sie schreien dazwischen. Ich höre Sie aber leider nicht. Stellen Sie mir eine Frage; dann kriege ich ein bisschen mehr Redezeit. Ich wäre dankbar dafür. Damit gehe ich auf das ein, was Sie angekündigt haben. Wenn Sie jetzt schon mit diesen Milliardenherausforderungen so lax umgehen, wenn Sie jetzt schon keine Antworten auf die Fragen unserer Zeit haben, wie wollen Sie dann die Zukunftsfragen beantworten? ({5}) Ich komme zur Grundrente. Das ist ja seit Jahren ein Hin-und-her-Spiel: Sie haben sie angekündigt. Dann ist das Vorhaben verschwunden. Dann wurde es wieder angekündigt, und dann ist es wieder verschwunden. Jetzt ist es gerade wieder angekündigt, und jeder spekuliert, was da drinsteckt. Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht, und Sie wahrscheinlich auch nicht. Sie haben nämlich keine Ahnung, wann Sie uns das vorlegen werden. Ich bin mal gespannt. Ich wage erst, darüber zu urteilen, wenn etwas vorgelegt wird. Aber ich kenne nichts. Kennen Sie denn ein konkretes Modell? Nein. Ich kenne es auch nicht. Also reden Sie nicht darüber. Die Devise muss doch lauten: Handeln, und zwar jetzt sofort! ({6}) Dann komme ich zum Komplex Arbeit. Ja, ich finde, die BA ist im Moment sehr, sehr gut gewappnet. Wenn die Arbeitslosigkeit steigen sollte, wird uns das zwar teuer zu stehen kommen, aber noch ist die Lage sehr gut. Man muss da jetzt auch nichts wie Rezession prophezeien, was noch nicht ist. Aber: Das Beste, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, sind immer noch Qualifizierung und Weiterbildung. Da müssen Sie mehr investieren. Vor diesem Hintergrund verstehe ich erst recht nicht, Herr Gröhe – ich sehe Sie gerade nicht –, warum Sie die BA so im Stich lassen. Schon wieder wird 1 Milliarde Euro von den Eingliederungstiteln zu den Verwaltungstiteln rübergeschoben. Wenn Sie wirklich Qualifizierung und Weiterbildung wollen, dann müssen Sie doch die Eingliederungstitel ausreichend ausstatten ({7}) und dürfen nicht immer dieses Hü-und-hott-Spielchen spielen. Sie machen sich da doch was vor. ({8}) Dann müssen Sie endlich mal damit aufhören, ständig diese kontraproduktiven Sanktionen auszuführen. Übernehmen Sie mal politische Verantwortung und überlassen Sie nicht alles denen, die in Karlsruhe entscheiden. Das erfordert nämlich politische Gestaltung. ({9}) Übrigens: Bei dem, was Sie im Bereich des sozialen Arbeitsmarktes machen, haben Sie meine Fraktion immer hinter sich. Ich finde diese Maßnahmen im Ansatz sehr gut, und ich finde, es ist zu früh, um darüber zu urteilen. Ich glaube, wir müssen dem Ganzen einfach mehr Zeit geben. Über das, was Sie uns im Bereich beziehungsweise in Ergänzung des Qualifizierungschancengesetzes vorschlagen, muss ich schon ein bisschen schmunzeln, weil: Supername, keine Inhalte. ({10}) Und dann kündigen Sie noch ein Gesetz und noch ein Gesetz an. Ich finde, Sie können noch so schöne Namen erfinden – Arbeit-von-übermorgen-Gesetz, Arbeit-von-gestern-oder-von-heute-Gesetz –, aber der Name macht es nicht aus. Wir brauchen einen großen Wurf und nicht diese Politik der kleinen Schritte, wo nicht mal Sie wissen, was am Ende rauskommen wird bei der ganzen Geschichte. Der Name bringt noch keine Qualität in die ganze Sache. ({11}) Ich möchte noch zwei offene Punkte ansprechen, Herr Minister: Ich finde es sehr gut, was wir im Bereich der Arbeitsmarktintegration für Geflüchtete tun. Aber wir machen noch zu wenig für die Frauen in dieser Situation. Da besteht eine große Lücke. Hier müssen wir noch stärker agieren und Ideen entwickeln. Ein Letztes. Sie arbeiten gerade an einem Entschädigungsrecht, SGB XIV. Sie haben vor, die Traumaambulanzen auszubauen. Das finde ich super. Aber Sie konzentrieren sich auf Erwachsene. Kinder kommen in Ihren Entwürfen nicht vor. ({12}) Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. ({13}) Sie brauchen ihre eigenen Lösungen. Herr Minister, übersehen Sie nicht diejenigen, die unsere Unterstützung am meisten brauchen und für die wir die größte Verantwortung tragen. Bitte denken Sie daran: Auch Kinder haben einen Anspruch auf eigene Rechte, auch in Ihrem Gesetz. ({14})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Kerstin Tack, SPD, ist die nächste Rednerin. ({0})

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Hubertus Heil! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Sozial- und Arbeitsmarktpolitikerinnen und ‑politiker und das Bundesministerium tragen Verantwortung für die Frage, ob sich die Menschen in Deutschland geschützt und sicher fühlen können und ob sie auch in Zukunft am Arbeitsmarkt gut geschützt, gut unterstützt und auf die Krise vorbereitet sind. Wir tragen die Verantwortung für die Frage, ob auch in schwierigen Lebenssituationen unsere Gemeinschaft, unser Staat dafür Sorge trägt, dass wir ein Netz des Zusammenhalts haben, durch das niemand in Deutschland fallen kann. Wir tragen dafür Sorge, dass Ausbildung auch für die Zukunft garantiert ist. Wir tragen dafür Sorge, dass unsere Gemeinschaft auch Menschen mit Beeinträchtigungen trägt und sich für zuständig erklärt. Wir tragen dafür die Verantwortung, dass wir Zusammenhalt in Deutschland gemeinschaftlich organisieren. ({0}) Das tun wir mit immerhin 41 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes; richtiges, gut angelegtes Geld für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland. ({1}) Dass das gut und richtig ist, sehen wir insbesondere an der Entwicklung – auf die möchte ich gerne eingehen –, wenn es um Transformation und die Frage, wie sich der Arbeitsmarkt der Zukunft entwickelt, geht. Es ist richtig und gut, dass wir in dieser Koalition angefangen haben, die Bundesagentur für Arbeit umzubauen und zu sagen: Sie ist nicht mehr erst dann zuständig, wenn Arbeitslosigkeit unmittelbar bevorsteht oder eingetreten ist, sondern sie kann mit den Beitragsmitteln der arbeitenden Bevölkerung jetzt schon frühzeitig für Unterstützung in der Form sorgen, dass Fort- und Weiterbildung, dass Umschulung auch dann finanziert wird, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetroffen ist. – Es ist gut, dass wir die Bundesagentur für Arbeit umgestalten zu einer Bundesagentur für Arbeit und Beschäftigung. Wir starten eine große Fortbildungsinitiative. Das ist gut, richtig, wichtig und vernünftige Politik. ({2}) Noch besser ist es, dass wir damit nicht aufhören, dass wir mit dem Qualifizierungschancengesetz nur den ersten Schritt gemacht haben und jetzt weitergehen und Antworten auf die Fragen finden: Wie organisieren wir das Mitmachen des Staates? Wie können wir die Arbeit von morgen, die neue Anforderungen für die Beschäftigten zur Folge hat, begleiten und unterstützen? Wir lassen hier weder die Betriebe noch die Beschäftigen in Deutschland allein, sondern wir erklären das zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe. Der Staat wird unterstützend begleiten und niemanden alleinlassen. ({3}) Zur sozialen Sicherung. Ich habe mich wahnsinnig geärgert, als ich gelesen habe, dass aus den Reihen der FDP auf die Frage: „Wie viel staatliche Zuschüsse geben wir in die Rentenversicherung?“, gesagt wurde, dass das eine Verschwendung von Steuergeldern sein soll. Ich finde es eine Frechheit. ({4}) Kollege Vogel, jetzt schwatzt du gerade in den eigenen Reihen, aber ich spreche dich konkret an. – Schön, dass du mir zuhörst. ({5}) Ich finde es eine Frechheit und eine Unverschämtheit, was du heute wieder abgeliefert hast. ({6}) Ich finde, man kann sich nicht hierhinstellen und sagen, dass 90 Prozent der Menschen in Deutschland so reich und so gut abgesichert sind, dass sie einer Aufstockung und einer Anerkennung ihrer Lebens- und Arbeitsleistung nicht bedürfen. Das ist eine Klatsche für die vielen Frauen, die von unserem Grundrentenmodell profitieren. Ich finde es eine Frechheit, davon zu reden – übrigens ihr in eurem Konzept auch, aber ihr verlasst es bei der Kritik der anderen Konzepte –, es würde hier nicht um Fürsorge gehen. Wenn ihr bei eurem Konzept ausschließlich bei Freibeträgen bleibt, dann seid ihr in der Fürsorge. Dann nennt es auch nicht Rente; denn das ist Verarsche, und das brauchen wir nicht. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Tack.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ja, bitte.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zu sagen, es wäre eine Verschwendung von Steuermitteln, wenn wir Geld in die gesetzliche Rentenversicherung geben, kann aus meiner Sicht wirklich nur aus dem Mund einer Partei der Besserverdienenden kommen. ({0}) Das ist wirklich eine Frechheit. Das ist unverschämt. Ich finde, dass der Steuerzahler erkennen muss, woran er bei der FDP ist. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ulrike Schielke-Ziesing, AfD, ist die nächste Rednerin. ({0})

Ulrike Schielke-Ziesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004873, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürger! Dieser Einzelplan stellt wieder neue Rekorde auf, aber nicht alles, was sich die Koalition vorgenommen hat, wird auch umgesetzt. Daher ist es interessant, zu sehen, was nicht in diesem Einzelplan steht. Das ist zum einen die Grundrente. Das ist aber auch klar; denn die soll es erst 2021 geben. Wir finden aber auch in der mittelfristigen Finanzplanung nichts für die nächsten Jahre dazu. Da wird es schon interessant; denn auch ohne Grundrente hatte Minister Scholz sehr große Mühe, die schwarze Null zu erreichen. Es bleibt also spannend, wie die weitere Diskussion zur Grundrente in der Koalition verläuft: So windig und unterfinanziert, wie von Minister Scholz vorgeschlagen, oder vielleicht doch solide gegenfinanziert? Wir werden es sehen. Wie eine neue Bertelsmann-Studie bestätigt – der Minister sprach es vorhin an –, ist unser Vorschlag zur Bekämpfung der Altersarmut der richtige Weg: keine Grundrente mit der Gießkanne, sondern eine teilweise Anrechnungsfreistellung der Rente bei der Grundsicherung im Alter. Diese Idee dürfen Sie gerne übernehmen. ({0}) Was fehlt noch im Einzelplan 11? Laut Koalitionsvertrag soll es einen Fonds für Härtefälle geben, die bei der Umwertung der Renten Ost entstanden sind, beispielsweise für die in der DDR geschiedenen Frauen. Wird dieser Fonds 2020 immer noch nicht eingeführt? Vielleicht habe ich die entsprechende Position ja nur überlesen; denn es kann eigentlich nicht sein, dass ein Minister, der sich so sehr um die hart arbeitenden und fleißigen Menschen kümmert, diese Personengruppe einfach vergisst. Sind die Ostrentner, Minister Heil, nicht wichtig genug? Sind es zu wenige Wähler, um sich ausreichend um sie zu kümmern? Mit der Verteilung des Geldes wird natürlich auch die Strategie des Ministeriums für Arbeit und Soziales für das kommende Jahr festgelegt. In der Präambel des Einzelplanes heißt es, dass das Ministerium mittels gezielter Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf Veränderungen reagiert bzw. vorausschauend agiert. Wie bereitet sich das Ministerium denn auf den digitalen Wandel der Arbeit vor? Wie viele Mittel werden in einem so wichtigen Bereich zur Verfügung gestellt? Es sind ganze 89,2 Millionen Euro; wenn wir eine zusätzliche Finanzspritze des Finanzministeriums dazurechnen. Das sind nicht einmal 0,1 Prozent des Gesamtumfanges des Einzelplanes 11. Noch lächerlicher erscheint der Betrag, wenn wir uns die berufsbezogene Deutschsprachförderung durch das BAMF ansehen: 365 Millionen Euro allein für das Jahr 2020. Bereits in den letzten Haushaltsberatungen habe ich darauf hingewiesen, dass damit wieder dieselben falschen Schwerpunkte gesetzt werden. Die berufsbezogene Deutschsprachförderung ist nicht so begehrt, wie die Höhe des Ansatzes vermuten ließe. Das Ministerium selbst schreibt in den Erläuterungen, dass die Mittel in diesem Jahr nicht vollumfänglich ausgeschöpft würden und der Ansatz für das nächste Jahr zurückgefahren wird. Er wird aber nur sehr vorsichtig zurückgefahren, da sich die konjunkturelle Entwicklung eintrüben würde und dies möglicherweise Auswirkungen auf die Integration von Flüchtlingen hätte. Ich werde mir das in den Berichterstattergesprächen genauer erklären lassen; denn diese Ableitung ist für mich nicht logisch. ({1}) Im letzten Jahr sind über 200 000 Deutsche ausgewandert. Die meisten von ihnen sind ausgebildete Fachkräfte, die wir in Deutschland dringend benötigen. Was machen die Zielländer richtig? Und viel wichtiger: Was macht die deutsche Bundesregierung falsch? Hier muss doch angesetzt werden, um diese Menschen in Deutschland zu halten. Es müssen wieder Perspektiven aufgezeigt werden, damit diese Fachkräfte in Deutschland bleiben. Wenn aber der Hauptfokus weiterhin darauf liegt, Fachkräfte aus aller Welt in Deutschland aufzunehmen und erst einmal rudimentär auszubilden, und nicht darauf, die vorhandenen Fachkräfte zu unterstützen, dann wird sich der Fachkräftemangel weiter verschärfen. Kommen wir zur Rentenversicherung. Der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung durchbricht im Jahr 2020 die 100-Milliarden-Euro-Schallmauer. Das hört sich unglaublich viel an. Man muss hier aber differenzieren und schauen, was an Teilbeträgen enthalten ist und was nicht enthalten ist. Hier spreche ich wieder von den versicherungsfremden Leistungen. 2017 betrug die Unterdeckung der versicherungsfremden Leistungen 30 Milliarden Euro im Jahr. Wie könnte die gesetzliche Rentenversicherung aussehen, hätte sie dieses Geld tatsächlich zur Verfügung? Beiträge könnten gesenkt werden, das Rentenniveau könnte erhöht werden, oder man könnte der Rentenversicherung die Möglichkeit geben, durch die Erhöhung der Nachhaltigkeitsrücklage für schlechtere Zeiten vorzusorgen. ({2}) Das alles wird nicht passieren; denn mit einer Eins-zu-eins-Abrechnung der versicherungsfremden Leistungen müsste der Arbeitsminister seine Wahlkampfgeschenke selbst finanzieren. Da ist es dann doch viel einfacher, die Versichertengemeinschaft zu belasten und sich um die Finanzierung nicht weiter zu kümmern. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Einzelplan 11 setzt wieder nicht die richtigen Akzente. Die berufliche Fort- und Weiterbildung muss gestärkt werden, damit Deutschland eigene Fachkräfte ausbilden und auch in Deutschland halten kann. Die Lücke der versicherungsfremden Leistungen muss geschlossen werden, damit unsere Rentner ein würdevolles Leben leben können. Und die Subventionen einer die Gesellschaft schädigenden Asylindustrie, ({3}) die zu weniger Integration und zu mehr Inakzeptanz bei der Mehrheitsgesellschaft führt, müssen beendet werden. ({4}) Diese Maßnahmen wären nötig. Leider liefert Minister Heil hier nicht. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zu einer Zwischenbemerkung erteile ich das Wort dem Kollegen Johannes Vogel, FDP. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin Kerstin Tack, wir schätzen uns ja, glaube ich, persönlich eigentlich. Aber wenn Sie hier zu Worten wie „Verarschung“, „Frechheit“, „Unverschämtheit“ greifen, dann kann ich das – das muss ich ganz ehrlich sagen – so nicht stehenlassen. Offenbar hat die Kritik ja wehgetan. Wenn man sich so in den Worten vergreift, ist das anzunehmen. Aber ich sage ganz ehrlich: Sie werden es aushalten müssen, dass wir Ihnen Ergebnisse seriöser Forschungsinstitute zu Ihrer Politik in diesem Land vorhalten. Und Sie werden es auch aushalten müssen, dass wir Ihnen vorhalten, dass Hundertausende Menschen nach Ihrem Modell leer ausgehen, obwohl sie gearbeitet haben und Versicherungszeiten haben, und zwar weil sie vielleicht nur 34 Jahre und elf Monate gearbeitet haben. ({0}) Das werden Sie aushalten müssen, weil uns diese Menschen nicht egal sind. Ich finde, wer sprachlich so entgleist, der richtet sich selbst. Aber wir haben ja die Chance, künftig wieder anders miteinander umzugehen. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Mögen Sie antworten, Frau Kollegin Tack? – Bitte sehr.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Frage der Wortwahl und danach, wie wir miteinander umgehen, stellt sich immer, wenn es um die Ausgestaltung der Grundrente geht. In vielen Veranstaltungen in den letzten Tagen und Wochen haben wir das erlebt. Wir erleben immer wieder, dass wir eine unterschiedliche Vorstellung davon haben, an welcher Stelle im Bereich der sozialen Sicherung in diesem Land sich der Staat wie einbringen soll. Aber wenn man sich hinstellt und sagt, dass die Einbindung des Staates in die gesetzliche Rentenversicherung durch seine Zuschüsse eine Verschwendung von Steuergeldern ist, ({0}) dann haben wir dazu eine Meinung, und die sagen wir auch. Wenn Sie daherkommen und sagen, für Sie sei die Auszahlung einer Grundsicherung Teil des Rentensystems, eine Art Rente, dann muss ich sagen: Das ist einfach falsch. Dann muss man den Menschen in diesem Lande sagen, dass man sich bei einer Aufstockung über die Grundsicherung im Bereich der Fürsorge befindet; denn es handelt sich dabei um eine Leistung des Sozialamtes und nicht der Rentenversicherung. ({1}) Ich finde, wenn man diesen Sprachgebrauch nutzt, dann muss man sich auch ehrlich machen, dann darf man das nicht anders kommunizieren, als es die Strukturen in diesem Land hergeben. ({2}) Deshalb bin ich für Ehrlichkeit in der Sache und nicht für immer wiederkehrende Falschinformationen. Wenn man das anders macht, dann muss man sich gefallen lassen, dass andere dazu sagen: Da werden Leute hinter die Fichte geführt. Ob man das so oder anders nennt, bleibt eine Entscheidung des Betrachters. Ich finde, dass es durchaus in Ordnung ist, es auch in dieser Form zu sagen; denn das ist eine wiederholte Falschinformation der Menschen in diesem Land. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann können Sie ja in Zukunft wieder friedlich miteinander umgehen. – Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Weiß, CDU/CSU. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei mancher Rede kann man ja schaudern, was Schreckliches auf uns zukommt. Ich will das nur einmal festhalten: Wir diskutieren über den Haushaltsansatz Arbeit und Soziales für 2020. Das ist der größte Posten im Bundeshaushalt. Wir steigern ihn erneut, das heißt, sein Anteil am Gesamtbundeshaushalt wird noch größer. Darüber hinaus liegt eine mittelfristige Finanzplanung vor, in der der einzige Haushalt, der in den kommenden Jahren noch weiter anwachsen wird, dieser Haushalt ist, der Haushalt für Arbeit und Soziales, der von heute 41 Prozent am Gesamthaushalt auf knapp 44 Prozent am Gesamthaushalt im Jahr 2023 anwachsen wird. ({0}) Allein diese Fakten zeigen doch: Wir, die Regierungskoalition, bekennen uns zu einem starken und handlungsfähigen Sozialstaat. Dieser Haushalt zeigt: Unser Sozialstaat ist und bleibt leistungsfähig. ({1}) Zu Recht machen wir uns Sorgen um einige Anzeichen krisenhafter Entwicklungen in unserer Wirtschaft. Wenn schon über die Renten-, die Arbeitslosenversicherung usw. diskutiert wird, will ich als Erstes sagen: Wir werden Ende dieses Jahres in der gesetzlichen Rentenversicherung voraussichtlich eine Rücklage von 40 Milliarden Euro haben. Das haben wir schon ewig lange nicht mehr gehabt. Bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg werden wir am Ende des Jahres voraussichtlich eine Rücklage in Höhe von 25 Milliarden Euro haben. ({2}) Das haben wir noch nie gehabt. Das heißt unter dem Strich: Mit diesen hohen Rücklagen – vor allem der der Bundesagentur für Arbeit – sind wir für die Bekämpfung etwaiger Krisen besser gerüstet als je zuvor. Das ist die Sicherheit, die unsere Bürgerinnen und Bürger haben. ({3}) Ich verstehe ja, dass die Opposition etwas zu kritisieren finden muss und dass sie natürlich vor allen Dingen von Krisen spricht, die auf uns zukommen könnten. Aber auch wenn uns Krisen drohen, ist die wichtigste Nachricht doch: Wir sind Gott sei Dank finanziell handlungsfähig, und wenn es notwendig ist, werden wir diese Rücklagen auch dafür einsetzen, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und den Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit zu gewähren. Das ist das Wichtige. ({4}) Wenn man schon über krisenhafte Entwicklungen spricht, dann wäre es schön, man würde auch feststellen, dass sie nicht hausgemacht sind. Die Verunsicherung der deutschen Wirtschaft, die sich derzeit breitmacht, kommt vor allen Dingen extern zustande, durch die Handelskriege, die auf dieser Welt angezettelt werden, und auch durch den Brexit. Es wäre schön, wenn alle Fraktionen dieses Parlaments diese klare Analyse teilen und sich für eine Stärkung der europäischen Idee, gegen Handelskriege und für freien Handel in dieser Welt einsetzen würden. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir nutzen diesen Haushalt und die Gesetzgebung in diesem Herbst auch dafür, die Bürgerinnen und Bürger weiter zu entlasten. Aus vielen Zuschriften weiß ich, dass die Frage von Angehörigen Pflegebedürftiger, ob sie unterhaltspflichtig sind, wenn das Geld des Pflegebedürftigen nicht ausreicht, eine große Rolle spielt. Deswegen ist es in der ganzen Palette von Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger, die wir uns miteinander vorgenommen haben, ein wichtiges Vorhaben, dass wir in diesem Herbst das Angehörigen-Entlastungsgesetz beschließen werden. Personen, die nicht mehr als 100 000 Euro Jahreseinkommen haben, werden künftig von der Verpflichtung, für die Pflege einzustehen, befreit werden. Das ist für viele Menschen in unserem Land eine befreiende Nachricht, und sie zeigt: Unser Staat ist handlungsfähig. Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger dort, wo wir können. ({6}) Ich finde, es muss immer die Aufgabe der Sozialpolitik sein, zuallererst auf die zu schauen, die Hilfe am dringendsten notwendig haben. ({7}) Ich habe mich deswegen in diesem Sommer aufgemacht, mehrere Jobcenter zu besuchen und zu schauen, ob das, was wir für die Integration von Langzeitarbeitslosen beschlossen haben, also von denen, die es am allerschwersten haben, wieder auf den Arbeitsmarkt zurückzukommen, wirklich ankommt. Bei den Gesprächen mit betroffenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die diese Förderung jetzt über fünf Jahre erhalten können, habe ich glückliche Gesichter gesehen, weil sie das Gefühl haben, endlich wieder gebraucht zu werden. Ich habe mit sehr vielen Coaches gesprochen. Ich muss sagen: Wir haben in unseren Jobcentern tolle Coaches, die sich wirklich umfassend kümmern. ({8}) Das zeigt eines: Es kommt nicht immer nur auf das große Geld an, sondern viel wichtiger ist vielleicht, die persönliche und personale Hilfe zu gewährleisten. Ich muss sagen: Ich bin stolz darauf, dass wir die Stellung des Coaches so stark im Gesetz verankert haben. Mit der finanziellen Förderung und mit der Unterstützung durch einen Coach kann es uns gelingen, Langzeitarbeitslosigkeit wirklich aufzubrechen und Menschen eine Perspektive zu geben, die daran schon gar nicht mehr geglaubt haben. ({9}) Es sind vor allen Dingen Menschen mit Behinderungen, die, wie ich finde, in einem Sozialstaat einer ganz besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. Wir haben uns mit dem Bundesteilhabegesetz, in der letzten Legislaturperiode beschlossen, auf den langen Weg in die inklusive Gesellschaft gemacht. Wir werden mit diesem Haushalt und mit den in diesem Herbst zu verabschiedenden Gesetzen zwei weitere wichtige Punkte beschließen. Der erste Punkt – das ist im Haushalt abgebildet –: Wir werden die unabhängige, ergänzende Teilhabeberatung, also die neue Beratungsstruktur, die wir im Land als Experiment aufgebaut haben, entfristen und dauerhaft finanzieren. Eine wichtige Nachricht für alle Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige! ({10}) Zweiter Punkt. Wir hatten schon im Bundesteilhabegesetz das Budget für Arbeit eingeführt. Wir führen jetzt auch ein Budget für Ausbildung ein. Ich glaube, der wichtigste Ansatz in der Arbeit mit und für Menschen mit Behinderungen ist es, den Weg in Arbeit für junge Menschen mit Behinderungen besser zu öffnen. Das ist das Ziel, das wir mit dem Budget für Arbeit verfolgen, welches wir im Herbst zusammen beschließen wollen. ({11}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist jetzt vielfach das Thema Rente angesprochen worden. Ja, wir wollen ein zukunftsfestes System der Alterssicherung in Deutschland gestalten, das es vor allen Dingen mit den großen Herausforderungen durch den demografischen Wandel aufnimmt. Dazu gehört eine zielgerichtete Grundrente. Wir als Union bekennen uns dazu. Wer 35 Jahre gearbeitet, gepflegt, Kinder erzogen hat, der sollte am Schluss auf jeden Fall mehr haben als Grundsicherung. Das werden wir auch verwirklichen. ({12}) Aber wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger insgesamt in der Zukunft auf eine ausreichende Altersversorgung blicken können. Deswegen sollte man nicht nur auf die gesetzliche Rente schauen, sondern auch auf die ergänzende Altersvorsorge. Wir haben in der letzten Legislaturperiode mit Unterstützung von Herrn Dr. Schäuble, damals noch als Bundesfinanzminister, ein bemerkenswertes Betriebsrentenstärkungsgesetz beschlossen. Ich bin aber über die Umsetzung nicht so wahnsinnig glücklich. ({13}) Deswegen halte ich es zum Beispiel für eine wichtige Frage, die in der Rentenkommission geklärt werden muss: Sollen wir nicht die betriebliche Altersvorsorge, auf die heute rund 60 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bauen können, für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für alle Unternehmen in Deutschland verpflichtend machen? ({14}) Solche Fragen werden wir miteinander diskutieren und prüfen müssen. Ich möchte, dass die Altersvorsorge, durchaus auch auf mehreren Beinen sicher stehend, für die Deutschen ausreichend ist, dass man mit ihr auch im Alter den Lebensstandard halten kann. Dafür ist nicht nur die gesetzliche Rente, sondern auch eine zusätzliche Altersvorsorge ein Thema, dessen wir uns nach den Beratungen der Rentenkommission annehmen müssen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Bundeshaushalt 2020 – zusammen mit der Gesetzgebung, die wir in diesem Herbst vorhaben – setzt ein starkes Signal für den Sozialstaat. Zudem: Das, was wir hier leisten, kann sich sehen lassen. Die Bürgerinnen und Bürger können darauf vertrauen: Wir werden den Krisen mit den Mitteln, die wir haben, entschieden entgegentreten, um die Arbeit für die Menschen in diesem Land zu sichern. Vielen Dank. ({15})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDP. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Präsident! Ich könnte jetzt wieder die allgemeine Haushälterrede zu der Bedeutung und der Schwere des Haushaltes halten und Zahlen nennen. Aber ich versuche, bildlich nicht nur klarzumachen, dass das der größte Einzelhaushalt ist, sondern mit Blick auf das fleißig arbeitende Kabinett – das nicht richtig zuhört, was es aber sollte – auch einmal zu verdeutlichen, was dieser Haushalt für die Zukunft bedeutet. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürger, stellen Sie sich vor: Das ist das, was der Bundeshaushalt in den Jahren 2019 bis 2023 an zusätzlichen Ausgabemöglichkeiten hat. Herr Minister, so viel. Jetzt überlegen Sie einmal, was von diesen zusätzlichen Ausgabemöglichkeiten – welchen Schluck aus dem Glas – sich der Kollege Heil gönnt. ({1}) Das gesamte Glas! ({2}) Jetzt können Sie sagen – wie es der Kollege Weiß zum Schrecken seiner eigenen Fraktion gesagt hat –: Und das ist gut so. – Sie könnten aber auch auf dieses Kabinett schauen, das dort sitzt und – bis auf die Kollegin Hagedorn, die etwas schreibt – denkt –: Das ist doch nicht schlimm. – Ist es denn richtig, wenn von den Mehreinnahmen, die ein Staat hat, ({3}) alles in Arbeit und Soziales fließt und nichts mehr in die Bildung, nichts mehr in den Bereich Nachhaltigkeit und nichts Zusätzliches in den Bereich Familie geht? Das ist die Krux dieses Haushaltes und dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren. ({4}) Wenn wir dann weitergehen – auch das will ich noch verdeutlichen; es gibt Zahlen dazu –: Wir haben einen Aufwuchs von 100 Prozent bei den Mehreinnahmen. 103 Prozent, Kollege Heil. 103 Prozent! ({5}) – Ja, ich merke, Sie müssen die zusätzlichen 3 Prozent auch noch vertrinken. – 103 Prozent verwenden wir dafür. In einem Sozialstaat könnten wir jetzt sagen: Das ist ja okay, weil eine soziale Marktwirtschaft einen starken Sozialstaat braucht. – Aber das muss dann nach der Frage der Bedürftigkeit gehen. Sie merken, da kommt man dann zu der Frage: Wie gehen Sie eigentlich mit dem Thema Grundrente um? Sie sprechen von Bedürftigkeitsprüfung. Eigentlich geht es um die Frage: Bedingungslose Grundrente oder bedingungsfreie Grundrente? ({6}) – Das merke ich doch an Ihrer Reaktion; Sie sind in der Vergangenheit. Worüber wir hier eigentlich diskutieren müssten, ist die Frage: Bedingungsloses BAföG – ja oder nein? Aber was machen Sie beim BAföG? Die Mittel dafür werden um 300 Millionen Euro gesenkt. Das ist der Unterschied: Sie bewegen sich weiterhin nur in die Richtung, Vergangenheitslösungen darzustellen, statt in die Zukunft zu gehen und dort das Geld entsprechend auszugeben. ({7}) Dabei sind Sie dann auch noch – auch das will ich sagen – letztlich – Herr Präsident, ich hoffe, das ist ein besseres Wort als das, das die Kollegin Tack benutzt hat – bigott.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Fricke, die Kollegin Mast würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Mast.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Fricke, Sie haben bezüglich der Grundrente gerade das Wort „bedingungslos“ in den Mund genommen. Ich hätte gerne von Ihnen eine Definition von „bedingungslos“. Denn ich verstehe unter „bedingungslos“ keinerlei Vorbedingungen, damit man die Grundrente bekommt. Ich sehe es aber so, dass der Vorschlag von Hubertus Heil eine ganz wesentliche Bedingung enthält dafür, dass man die Grundrente überhaupt bekommt, nämlich 35 Jahre Arbeit, Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen. ({0}) Deshalb wäre es für mich spannend, zu hören, ob Sie finden, „bedingungslos“ heißt „Es gibt keine Bedingungen“ oder „Es gibt Bedingungen“. ({1})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geschätzte Frau Kollegin, erstens. Natürlich gibt es – wie immer bei der Rente – Rahmenbedingungen, in denen sich die Rente bewegt, und dazu gehört auch die Frage eines bestimmten Zeitablaufes oder einer bestimmten Situation, wie etwa bei der Hinterbliebenenrente. ({0}) Nur um Ihnen dazu ganz klar zu sagen: Was ist denn das eigentlich für eine komische Bedingung? ({1}) Wenn Sie 35 Jahre voll haben, bekommen Sie was. Wenn Sie 35 Jahre minus einen Tag haben, bekommen Sie nichts. ({2}) Solche Bedingungen sind meiner Meinung nach keine Bedingungen, und das ist genau das, wo ich immer wieder feststellen muss: Es wird nicht so sein. ({3}) Jetzt kommen wir – ich komme wieder zu meiner Rede, Herr Präsident – einmal dazu, wie die SPD mit dem Thema „Bedürftigkeitsprüfungen/Bedingungen bei der Rente“ umgegangen ist. Im Jahre 2001 haben Sie zusammen mit den Grünen bei der Hinterbliebenenrente die Frage der Bedingungen und der Bedürftigkeit angeschärft bis zum Gehtnichtmehr. Sie haben es in der Frage, ab wann man sie bekommen muss und was dazugerechnet wird, verschärft. Sie als SPD haben gesagt: Bei der Hinterbliebenenrente, die eigentlich mit der Leistung – meistens des Mannes – im Zusammenhang stand, kürzen wir; da rechnen wir Arbeitslosengeld II an; da rechnen wir private Einnahmen an; da rechnen wir an, was es an anderer Altersvorsorge gibt; wir rechnen sogar das Elterngeld an. – Das haben Sie 2001 beschlossen. So viel zu der Frage, wie Sie zu einer Bedürftigkeitsprüfung in der Rente stehen. Die Grünen haben es mitgemacht. Was hat die CDU damals gemacht? Sie hat es – das ist das, was ich in der Diskussion hier so schlimm finde – kritisiert. Auf gar keinen Fall dürfe man doch eine Bedürftigkeitsprüfung vornehmen. Verwechselte Rollen! Jetzt sage ich dieser sogenannten Großen Koalition, was passieren wird: Sie werden am Ende feststellen, dass Sie, selbst wenn der Minister das Wasserglas ganz leer trinken wird, mathematisch nicht hinkommen, und dann werden Sie sich auf einen Kompromiss einigen, der genau so ist, wie Sie ihn bei der Witwenrente geschlossen haben, wie Sie ihn bei der Hinterbliebenenrente geschlossen haben. Dann kommen Sie mit einem Ergebnis heraus, mit dem Sie von der Union und Sie von der SPD das Gesicht verlieren. Im Endeffekt werden wir den Leuten dann etwas versprochen haben, was wir nicht halten können. Das ist keine moderne Haushaltspolitik, das ist keine moderne Sozialpolitik, sondern das ist das Ermöglichen von Erwartungen. Herr Minister, Sie haben gesagt: Es geht um Haltung. – Da sage ich Ihnen: Nein, es geht nicht um Haltung, es geht um Handeln und um Hilfe, und die Haltung ist dabei sekundär. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Katja Kipping, Die Linke. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Herr Fricke mit seinem amüsanten Wasserglasbeispiel leider verschwiegen hat, ist: Wenn es nach den Steuerplänen der FDP ginge, wäre in diesem Glas nichts drin. Sie von der FDP wollen ja noch eine Wasserleitung aus dem öffentlichen Haushalt zu den Superreichen legen, um ihnen Steuergeschenke zu machen. ({0}) Nun zum Einzelplan Arbeit und Soziales. Dieser umfasst 141 Seiten. Liebe Zuhörende, wissen Sie, was Ihnen aus jeder dieser Seiten entgegenspringt? Es ist der Geist des Weiter-so. Weiter-so bedeutet weitere Verfestigung von Armut, weitere soziale Spaltung. Herr Heil, in Ihrer Haushaltsrede vor einem Jahr war das von Ihnen am meisten verwendete Adjektiv, also Eigenschaftswort, „stark“. Ich sage Ihnen: Dieser Ansatz ist nicht stark, der verbleibt im Klein-Klein. In einem Arbeitszeugnis würde es lediglich heißen: Er bemühte sich. ({1}) Die Lage ist wirklich zu ernst, als dass wir hier im sozialpolitischen Klein-Klein verbleiben können. Was wir jetzt brauchen, ist eine sozialökonomische Wende. Aus Zeitgründen kann ich nur wenige Probleme anreißen. Nehmen wir zum Beispiel die Höhe der Hartz-IV-Regelsätze, wovon übrigens auch arme Rentnerinnen und Rentner betroffen sind. Alle bisherigen Sozialministerinnen und Sozialminister haben diese Regelsätze gezielt kleingerechnet. Wenn wir nur die offensichtlichen Tricks unberücksichtigt ließen, müsste der Regelsatz deutlich erhöht werden, perspektivisch auf knapp 600 Euro. ({2}) Wir als Linke sind nach wie vor überzeugt: Hartz IV muss überwunden werden durch gute Arbeit, eine soziale Arbeitsmarktpolitik und durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung. ({3}) Ich verspreche Ihnen: Ich werde nicht ruhen, bis wir das erreicht haben. In dem Zusammenhang möchte ich auch über die Sanktionen reden. Sie spielen im Haushalt gar nicht so eine große Rolle. Wir haben es mit einer Anfrage ans Licht gebracht: Es sind deutlich mehr Menschen von Hartz-IV-Sanktionen betroffen, als bisher angegeben wurde. Was mich besonders berührt hat, ist: 13,7 Prozent aller Alleinerziehenden in Hartz IV sind im letzten Jahr von Sanktionen betroffen gewesen, darunter sogar 1 200 Vollsanktionierte. ({4}) Sieht so die Unterstützung dieser Regierung für Alleinerziehende aus? 1 200 Vollsanktionen, diese Zahl ist nur ein Beispiel von unzähligen dafür, dass wir dringend einen Kurswechsel und einen Regierungswechsel brauchen. ({5}) Ich habe zur Einstimmung auf die heutige Debatte die Protokolle der bisherigen Haushaltsdebatten nachgelesen. Mir ist aufgefallen: Rednerinnen und Redner der SPD reden gerne gegen die – Zitat – Angst, die die Populisten schüren. Ja, Abstiegsängste, Konkurrenzdruck, das befördert ein gesellschaftliches Klima, das den rechten Hetzern in die Hände spielt. Da müssen wir heran. Das Problem ist aber: Im Grunde Ihres Herzens agieren Sie selbst noch ängstlich. Sie scheuen sich davor, das Offensichtliche anzusprechen. Auch heute waren Ihre Reden wieder ein Beispiel dafür, wie man mit unglaublicher Inbrunst und Betonung von leeren Worten an dem vorbeiredet, was so offensichtlich ist. Solange wir hier nicht Mehrheiten und Mut haben, Konzerne und Millionenvermögen ordentlich zu Kasse zu bitten, wird das Geld für den nötigen Kampf gegen die Armut fehlen. Solange wir diese Union in der Regierung haben, wird das, was notwendig ist, nicht passieren. ({6}) Ich sage Ihnen: Das Gebot der Stunde lautet nicht Verzagtheit oder Weiter-so.Das Gebot der Stunde lautet: Was dieses Land braucht, ist Mut zu einer sozialökonomischen Wende, auf dass alle in diesem Land garantiert vor Armut geschützt sind, auf dass die Mitte deutlich bessergestellt ist, auf dass wir massiv in das Öffentliche investieren, das heißt in Bildung, Begegnungsstätten, Bus, Bahn, Breitband, ist Mut, mit allen Grundsätzen des Kapitalismus zu brechen. Bisher werden Profite über das Wohl und Wehe von Mensch und Natur gestellt. Richtiger wäre, Mensch und Natur gehen vor Profite. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Demokratinnen und Demokraten! Ich will in der Kürze der Zeit versuchen, diese Debatte in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Uns allen ist doch klar: Wir erleben eine Zeit höchster Relevanz. Die Klimakrise kennt keinen Aufschub. Nur durch konsequentes Handeln kann dieser Planet für uns Menschen tatsächlich dauerhaft erhalten werden und lebenswert bleiben. Das erfordert natürlich radikale Maßnahmen; das ist allen klar, außer manchen. Das bedeutet, dass sich unsere Wirtschaft und auch unser Lebensstil verändern müssen. Das wiederum bedeutet, dass wir politisch reagieren müssen. Schauen wir auf die Automobilindustrie. Schon heute wissen die vielen Beschäftigten der großen Konzerne und ihrer Zulieferer, dass der Verbrennungsmotor keine Zukunft hat. Sie stehen einem Strukturwandel in ihrem Bereich gegenüber, der für sie und für ihre Familien hohe Risiken birgt. ({0}) Werden alle ihre Jobs behalten? Was steht einem 50-jährigen Industriearbeiter bevor, wenn er seinen Job verliert? Ein Leben in Hartz IV? Wir sagen: Das darf nicht passieren! Das darf nicht passieren, weil es zu persönlichen Härten führen würde. Das darf auch nicht passieren, weil Rechtsextreme bereitstehen, gesellschaftliche Verunsicherung in brutalen Hass gegen Minderheiten zu verwandeln. Ihr Ziel besteht darin, unseren gesellschaftlichen Konsens aufzulösen und unsere Demokratie in einen autoritären Staat zu verwandeln. ({1}) Unsere Aufgabe als Demokraten hier in diesem Parlament ist es, diesem Hass eine am Wohl aller Menschen orientierte Politik entgegenzusetzen. ({2}) Politik greift zu kurz, liebe Mitglieder der Bundesregierung, wenn sich die Regierung unaufhörlich an Einzelmaßnahmen abarbeitet und dabei keine Richtung erkennen lässt. Die Menschen draußen haben eh schon lange den Eindruck, dass diese Regierung wenig Gemeinsames voranbringt. Das lässt auch diese Debatte erkennen. Bestenfalls holt jeder etwas für sich heraus: Die Union bekommt die Mütterrente, die SPD etwas anderes, Johannes Kahrs für seinen Wahlkreis dann noch irgendein Geschenk. ({3}) Ehrlich gesagt wird der Eindruck nicht besser, wenn man diese Haushaltsberatungen beobachtet. Alle reden hier plötzlich über die Klimakrise, wahrscheinlich – das nehme ich an – weil es gerade en vogue ist. Angela Merkel hat die Klimakrise, die Klimafrage gerade zur Menschheitsfrage erklärt. Natürlich hat sie recht. Aber das Problem ist doch, dass sie in all den Jahren nichts dagegen getan hat. ({4}) Das ist empörend. Etwas dagegen zu tun, würde aber auch bedeuten, den Menschen, die verunsichert sind oder sich vor dem sozialen Abstieg fürchten, Sicherheit zu geben. ({5}) Stattdessen halten Sie starrsinnig am Dogma der schwarzen Null fest und investieren eben nicht systematisch in unsere Zukunft, weder ökologisch noch sozial. Wo ist die Garantierente, die wir als Grüne seit vielen Jahren fordern, um Altersarmut zu verhindern? ({6}) Wo ist die Garantiesicherung, die nicht gängelt wie Hartz IV, sondern Perspektiven schafft? Wo bleibt das Wunsch- und Wahlrecht für Arbeitslose, für die es stattdessen Maßnahmen von der Stange gibt? ({7}) Wo wir schon beim Wunsch- und Wahlrecht sind, jetzt zu einem anderen Thema. Liebes BMAS, Jens Spahn plant gerade ein Gesetz, mit dem er Beatmungspatienten in Heime zwingen möchte, um Geld zu sparen. ({8}) Das geht auch Sie etwas an, lieber Minister. Ihr Haus hat die Aufgabe, für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in diesem Land zu sorgen. Ich erwarte, dass Sie auf die Palme gehen, damit es nicht zu dem kommt, was das Haus von Jens Spahn hier plant. ({9}) Ich sage zum Schluss: Nur eine inklusive Gesellschaft, die niemanden hängen lässt und auf die Begegnung von Vielfalt auf Augenhöhe zielt, wird den vielfältigen Anforderungen und Herausforderungen der Zukunft standhalten können. Daran müssen wir alle arbeiten. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Stephan Stracke, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland ist ein starkes Land, wir sind wirtschaftlich erfolgreich. Wir wollen, dass dieser Erfolg tatsächlich auch bei allen in diesem Land ankommt: bei Geringverdienern, Normalverdienern, bei Familien, bei arbeitslosen oder kranken Menschen. Für diesen sozialen Zusammenhalt in unserem Land steht der Haushalt des Bundessozialministeriums. Deutschland hat einen starken und leistungsfähigen Sozialstaat. Der Haushalt des BMAS ist auch in diesem Jahr der größte Einzeletat, mit fast 150 Milliarden Euro; das entspricht rund 40 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes. Die Sozialleistungen in Deutschland übersteigen in diesem Jahr in der Summe erstmalig die 1 000-Milliarden-Euro-Grenze. ({0}) Mit anderen Worten: Jeder dritte Euro wird für Sozialleistungen ausgegeben. Das zeigt: Deutschland ist ein starker und leistungsfähiger Sozialstaat. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die schwarz-rote Koalition hat in dieser Legislaturperiode viel für die Menschen getan. Wir bauen seit dem Jahr 2015 Jahr für Jahr die kalte Progression ab. Wir haben den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt, die Parität bei den Krankenversicherungsbeiträgen wiedereingeführt. Das bedeutet, wir entlasten die arbeitende Mitte in unserem Land, mehr Netto vom Brutto für rund 33 Millionen Beschäftigte, die mit ihren Beiträgen die sozialen Sicherungssysteme am Laufen halten. ({2}) Zum 1. Juli 2019 haben wir das Kindergeld um 10 Euro erhöht, den Kinderzuschlag reformiert. Ab 2021 wollen wir den Solidaritätszuschlag für 90 Prozent der Zahler vollständig abbauen und für weitere 6,5 Prozent senken. Die Richtung stimmt, das Ziel noch nicht ganz; 30 Jahre nach dem Mauerfall gehört der Soli nicht mehr auf die Gehaltszettel der Menschen, er gehört in die Geschichtsbücher, er hat ausgedient. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben die soziale Absicherung von Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, spürbar ausgebaut. Wir haben auch die Kindererziehungszeiten für Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren sind, noch einmal spürbar verbessert; davon profitieren 10 Millionen Eltern in ganz Deutschland. Das war uns als Union, als CSU besonders wichtig, ein großer Erfolg, weil es konkret bei den Menschen ankommt. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer Kinder erzieht oder andere Menschen pflegt, der hat all unsere Wertschätzung und Unterstützung verdient. Angehörige von pflegenden Menschen sind Helden des Alltags, sie kümmern sich nicht nur hingebungsvoll um den Pflegebedürftigen, oftmals müssen sie auch ihre eigene berufliche Entwicklung und ihr Privatleben zurückstellen. Sie leisten damit einen großen Dienst. Ich danke dafür. ({5}) Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, diese Menschen zu unterstützen und sie finanziell zu entlasten. Aus diesem Grund wollen wir, dass Angehörige von Pflegebedürftigen erst ab einem Einkommen von mehr als 100 000 Euro im Jahr einen Beitrag zu den Pflegekosten leisten. Wir wollen auch den Arbeitsalltag von Pflegekräften spürbar verbessern. Zentral geht es dabei um mehr Zeit, um mehr Personal und um mehr Wertschätzung. Pflegekräfte leisten viel; sie verdienen dafür auch eine gute Bezahlung. Wir wollen jetzt den notwendigen gesetzlichen Rahmen schaffen, damit dies tatsächlich überall in Deutschland gelingt. ({6}) Wir wollen die Lebensleistung von Menschen im Alter belohnen. Es muss in der Grundsicherung tatsächlich einen Unterschied machen, ob ich lange gearbeitet habe, Kinder erzogen habe oder gepflegt habe oder ob ich dies eben nicht getan habe, wenig oder gar nicht gearbeitet habe. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Leistung muss sich lohnen. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag so vereinbart, und daran halten wir fest. Wir können in diesem Bereich nicht mit der Gießkanne arbeiten. Die Bertelsmann-Studie, die Berechnungen des DIW haben nochmals deutlich gemacht, wie wenig zielgenau die Grundrente, die derzeit auf dem Tisch liegt, tatsächlich ist: Wenn 85 Prozent derer, die begünstigt werden sollen, gar keinen Bedarf haben, gar keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen haben, dann zeigt das: Die Grundrente ist nicht zielgenau. Wir müssen sie am tatsächlichen Bedarf orientieren, und dann muss sie solide finanziert sein und darf nicht auf Kosten der Sozialkassen gehen, so wie dies auch vorgeschlagen worden ist. ({7}) Wir haben hingegen vereinbart, dass wir die Gießkanne vermeiden und eine klare Finanzierung ansteuern wollen. Weiterbildung und Qualifizierung sind von zentraler Bedeutung für unsere Gesellschaft. Der rasante technische Fortschritt und die zunehmende Digitalisierung verändern tiefgreifend die Anforderungen an die Arbeitswelt. Aus diesem Grund haben wir auch diejenigen Unternehmen unterstützt, die sich dem Strukturwandel stellen, und dies tun wir auch mit der Nationalen Weiterbildungsstrategie. Die konjunkturelle Situation hat sich in der Tat etwas verschlechtert; aber von Krise können wir nicht reden. Jeder kann sich darauf verlassen: Wenn eine wirtschaftliche Krise kommen sollte, werden wir schnell und unbürokratisch unterstützen. Wir sind dazu finanziell in der Lage, und wir haben auch die geeigneten Instrumente. Die Instrumente, die uns erfolgreich durch 2009 und 2010 geführt haben, sind auch diejenigen, die wir dann wieder aufrufen wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die Menschen bedürfen aufgrund der Veränderungen im Rahmen der Globalisierung und durch den digitalen Wandel eines verlässlichen Sozialstaats. Unser Sozialstaat ist gut und stark, weil wir wirtschaftlich stark sind. Daran wollen wir festhalten und alles dafür tun, dass dies so bleibt. Ein herzliches Dankeschön. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Michael Groß, SPD. ({0})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich wollte gerade mal einen Schluck aus dem Glas von Hubertus Heil nehmen – aber nur einen ganz winzigen. ({0}) – Das wollen viele. Aber die Relationen, die du, Otto, gerade dargestellt hast, sind natürlich nicht richtig; ich komme gleich darauf zurück. Wer am Mittwoch unserem Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich zugehört hat, der hat gehört, dass wir gerecht regieren wollen. Wir wollen für mehr Gerechtigkeit sorgen. Wir wollen Brücken bauen und Gräben zuschütten, anstatt Gräben aufzuwerfen. Wir wollen Inklusion und Integration. Wir wollen den Menschen helfen, die schutzbedürftig sind und unsere Hilfe und Unterstützung brauchen. Dieser Haushalt mit fast 150 Milliarden Euro ist, lieber Hubertus, genau das, was wir dazu brauchen. Herzlichen Dank an dein Haus, an dich und deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. ({1}) Mich wundert schon, dass ich jetzt anderthalb Stunden immer bei denjenigen Ekstase erlebt habe, die das Land so schlechtreden, ({2}) dass man das Gefühl hat, es gäbe hier keine positive wirtschaftliche Entwicklung und nicht mehr Menschen, die vom Tariflohn oder vom Mindestlohn oder von steigenden Renten profitieren – in den letzten Jahren waren das plus 3 Prozent. ({3}) Hubertus Heil hat vorhin deutlich gemacht, dass wir denjenigen helfen müssen, die von diesem Wirtschaftswachstum nicht profitieren. Ich habe mich gefreut, dass jetzt viele in den Jobcentern unterwegs waren; wir hätten fast gemeinsam fahren können. Ich bin froh über jeden, der sich damit auseinandersetzt, und ich freue mich auch, dass die Union sagt: Das ist ein erfolgreiches Instrument. – Übrigens: Der Mindestlohn war ein wichtiger Hebel, um das überhaupt in die Fläche zu bekommen. ({4}) Ich habe natürlich selbst auch, weil ich aus dem Ruhgebiet komme, sehr viel mit den Leitern der Jobcenter und der Bundesagentur gesprochen; wir werden in der nächsten Woche mit ihnen einen Termin haben. Das ist ein Instrument, das vielen Menschen bundesweit, aber insbesondere im Ruhrgebiet hilft. Ich kann Ihnen sagen, es ist genau so, wie viele Kolleginnen und Kollegen es schon beschrieben haben: Es gibt eine große Zufriedenheit bei denjenigen, die typischerweise über 45 sind, keinen Berufsabschluss haben und sagen: Ich habe jetzt wieder eine Aufgabe am Tag; ich bin Vorbild für meine Kinder, für meine Familie. – Das hat Hubertus Heil, das haben wir in der Regierungskoalition gut gemacht. ({5}) Wir müssen aber auch sehen – damit widerspreche ich allen, die alles nur schwarzsehen –, dass in Deutschland investiert wird. Wir haben einen Fachkräftemangel. In den Chemiepark Marl wird gerade 1 Milliarde Euro investiert, und wir suchen händeringend Facharbeiter und Facharbeiterinnen. Ähnlich ist es im Bereich der Pflege. Diejenigen, die Pflegeeinrichtungen betreiben, suchen händeringend Fachkräfte – es sind hauptsächlich Frauen –, finden aber keine. Häufig wird das Problem dann über Zeitarbeit gelöst; aber das kann keine Lösung sein. Deswegen begrüßen wir es natürlich aufs Äußerste, dass die Bundesagentur für Arbeit mit Triple Win versucht, im Ausland Fachkräfte zu gewinnen; das ist die Zukunft. Deswegen bin ich auch froh, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz im nächsten Jahr in Kraft tritt und wir Menschen aus dem Ausland gewinnen werden, die bei uns arbeiten wollen, die bei uns pflegen wollen, die uns helfen wollen, dieses Land nach vorne zu bringen. ({6}) Ein letzter Satz: Neben den 149 Milliarden Euro für den Haushalt von Hubertus Heil investieren wir viel in Bildung und Forschung: 18 Milliarden Euro, dazu kommen die Milliarden der Länder. Also, wer hier behauptet, wir investierten nicht in Bildung, sagt nicht die Wahrheit. Wir investieren 40 Milliarden Euro zusätzlich in Beton, Stein und Breitband – eine Rekordsumme. ({7}) Das werden wir jetzt über Jahre verstetigen. Deswegen ist das ein sozialdemokratischer Haushalt, der in die Zukunft weist, der Menschen unterstützt, der aber auch in alle anderen Infrastrukturen investiert, und das ist gut so. Herzlichen Dank. Glück auf! ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Axel Fischer, CDU/CSU. ({0})

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Michael Groß, ich widerspreche dir ungern, aber das ist kein sozialdemokratischer Haushalt, sondern ein Haushalt unserer Koalition, und es ist in Summe ein Haushalt, über den sich zu diskutieren lohnt. ({0}) Wie du zu Recht betont hast und wie viele Redner schon gesagt haben, ist der Einzelplan 11, über den wir heute diskutieren, der mit Abstand größte Einzelplan im Gesamthaushalt: 148,56 Milliarden Euro sind geplant, 3,3 Milliarden Euro mehr als im letzten Jahr. Ich möchte kurz auf wenige Punkte eingehen. Zunächst zur Arbeitsmarktpolitik. Die Bundesregierung schlägt vor, 37 Milliarden Euro dafür zu veranschlagen. Das ist 1 Milliarde weniger als im Vorjahr. ({1}) Das bildet die gute wirtschaftliche Entwicklung ab, die wir die letzten Jahre hatten. Auch Einsparungen waren möglich: 20,2 Milliarden Euro beim Arbeitslosengeld II – das sind 400 Millionen Euro weniger als im Vorjahr –; 6,2 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft und Heizung – 500 Millionen Euro weniger als im Vorjahr –; für den Eingliederungstitel sind 10,1 Milliarden Euro vorgesehen. Das trägt den großen Anforderungen Rechnung, die an die Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitskräften gestellt werden. Meine Damen und Herren, die wirtschaftliche Entwicklung – auch das war heute schon Thema und ist die Woche über mehrfach festgestellt worden – verläuft derzeit aufgrund vielfältiger Einflüsse nicht so, wie wir uns das wünschen. Peter Weiß hat schon einige Einflüsse genannt: Brexit, Handelskriege, Steuer- und Abgabenlast, Fachkräftemangel, nachlassende Konjunktur, Verschuldung, Überregulierung. Deshalb hat die Konjunktur spürbar nachgelassen. Unsere Unternehmer schauen skeptischer in die Zukunft, und am Finanzmarkt entfesseln sich erhebliche Abwärtsrisiken. Auch die Arbeitslosigkeit hat sich leicht erhöht. Es ist aber noch nicht ganz klar, ob es sich um einen Wendepunkt handelt oder um eine kurzfristige konjunkturelle Eintrübung. Vieles spricht allerdings für eine weitere Abwärtsbewegung nicht nur bei der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch am Arbeitsmarkt. Doch wir sind gerüstet; die Vorredner haben schon darauf hingewiesen. In zwei Monaten, wenn die Verabschiedung des Bundeshaushalts ansteht, werden wir dank Herbstprognosen deutlich mehr über die Entwicklung wissen. Meine Damen und Herren, wieder größter Ausgabenposten des Bundeshaushalts ist der Bereich Rente. Man sieht: Die ältere Generation liegt uns am Herzen. Ein ganz wichtiger Satz, den man nicht oft genug wiederholen kann: Rente ist Lohn für Lebensleistung. Das sollten wir immer wieder deutlich machen. ({2}) Die dynamisch steigenden Ausgaben in Höhe von jetzt 109,56 Milliarden Euro, also knapp 110 Milliarden Euro, sind der Hauptgrund für den Aufwuchs des Einzelplans 11. Der Löwenanteil davon, 101,77 Milliarden Euro, fließt an die Rentenversicherung. Das sind 3,76 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. 7,7 Milliarden Euro sind vorgesehen für die Grundsicherung im Alter; das sind 600 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Die Zukunftsperspektiven sind auch ohne zusätzliche Leistungen, wie eine Grundrente und Ähnliches, bereits jetzt sehr dynamisch. Meine Damen und Herren, in dieser Woche wurde viel über Zuwanderung, insbesondere von Flüchtlingen und Scheinflüchtlingen, und vor allem deren unerwünschte Folgen diskutiert. Weniger wurde jedoch über die Herausforderungen gesprochen, denen wir gegenüberstehen. Denn wenn wir überhaupt etwas erreichen wollen, müssen wir die Zuwanderung von Fachkräften weiter erfolgreich vorantreiben. Nicht zuletzt auch deshalb nehmen wir für die Integration in den Arbeitsmarkt Millionen Euro in die Hand. In den Veranschlagungen zu den Integrationskosten und zur berufsbezogenen Deutschsprachförderung sind im Entwurf zum Bundeshaushalt 2020 allein für die Sprachausbildung von Migranten gut 1 Milliarde Euro vorgesehen. Hinzu kommen Mittel zur Integration in den Arbeitsmarkt. Mit all diesen Mitteln eröffnen wir den Migranten eine Perspektive, die bereit sind, am Arbeitsmarkt teilzunehmen und sich in die Gesellschaft zu integrieren. Interesse ist bei vielen Zuwanderern offensichtlich vorhanden; immerhin arbeiten rund ein Drittel der aus kriegs- und krisenähnlichen Gebieten stammenden Menschen. Das sind mehr, als uns vor Jahren noch prognostiziert wurde. Sie sehen: Das Modell zum In-Arbeit-Bringen ist erfolgreich. Die Bundesagentur für Arbeit hat in den letzten Jahren mit Herrn Weise an der Spitze die richtige Richtung eingeschlagen und geeignete Maßnahmen eingeleitet, die jetzt mit der erfolgreichen Umsetzung und Weiterentwicklung unter Herrn Scheele deutliche Erfolge zeigen. Dieser Tage erreichte mich die Nachricht, dass Integrationsförderung für Frauen in der Bundesagentur für Arbeit in Baden-Württemberg intensiviert wird. Das erscheint sinnvoll; denn Frauen haben nach vorliegenden Erkenntnissen erheblich größere Integrationsprobleme als zugewanderte Männer. Die Bundesagentur für Arbeit ist nach ersten Notmaßnahmen, die sie 2015/2016 eingeleitet hat, nun also erfolgreich dabei, ein funktionierendes Integrationssystem zu etablieren, das jetzt noch verfeinert und im Feintuning auf die vorhandenen Bedürfnisse und Bedarfe richtig zugeschnitten wird. Als Gesetzgeber haben wir im Juni – es wurde mehrfach angesprochen – das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zur Gewinnung geeigneter Fachkräfte verabschiedet. Damit wollen wir dem absehbar größeren zukünftigen Fachkräftemangel begegnen. Ein bereits heute brennendes Problem ist der Mangel an Pflegekräften. Doch Hoffnung auf Besserung der Situation macht mir die weltweite Ausdehnung der Suche nach Pflegekräften. Zum Beispiel war Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor Kurzem in Mexiko und hat sich um dieses Thema intensiv gekümmert. Ich hoffe ebenso wie der Kollege Michael Groß, dass die Bundesagentur für Arbeit zusammen mit der GIZ und ihrem noch jungen Programm „Triple Win“, das eine faire Arbeitsmigration unter staatlicher Aufsicht ermöglichen soll, erfolgreich sein wird. ({3}) Damit kann dringend benötigten Arbeitskräften – nicht nur im Pflegebereich – eine Arbeits- und Lebensperspektive in Deutschland eröffnet werden. Meine Damen und Herren, langfristig mindestens genauso wichtig wie die Zuwanderung aus dem Ausland ist die Qualifikation der hiesigen Kinder und Jugendlichen. Dazu zählt in erster Linie und nicht nur bei Kindern mit Migrationshintergrund das Erlernen der deutschen Sprache für deren sicheren Gebrauch. Bayerns Ministerpräsident Söder hat Integrationsklassen eingerichtet, damit Kinder später dem Unterricht folgen und die Inhalte überhaupt verstehen können. Dort gibt es in einzelnen Städten auch attraktive Sprachangebote für Kleinkinder und deren Mütter von kommunaler Seite aus. Leider gibt es andere Bundesländer, die es auch vier Jahre nach der großen Zuwanderungswelle nicht geschafft haben, die entsprechenden Sprachfördermöglichkeiten einzurichten. Dies mag teilweise daran liegen, dass Kommunen mit hohem Migrationsanteil, wie etwa im Ruhrgebiet, finanziell aus dem letzten Loch pfeifen. Zentral ist jedoch, dass es genau diese Kinder sind, die in 10, 12, 15 Jahren in unseren Arbeitsmarkt eintreten und dann über Jahrzehnte hinweg Leistungen erbringen sollen. Meine Damen und Herren, sicherlich sind diese Kinder mit Migrationshintergrund nicht alles Edelsteine oder Halbedelsteine. Aber es liegt im ureigenen Interesse und in der Verantwortung der Länder, diese Steine zu schleifen, das heißt, diesen jungen Menschen eine Lebensperspektive in unserer Gesellschaft zu ermöglichen und ihnen Chancen für eine angemessene gesellschaftliche Teilhabe zu eröffnen. Ich bin hoffnungsfroh, dass uns dies in der Zukunft gelingen wird. Ich freue mich vor diesem Hintergrund sehr auf die Beratungen des Bundeshaushaltes, die wir jetzt gemeinsam angehen werden. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fragen, ob der Staat gut funktioniert, ob die Gesellschaft die Versprechen hält, die sie gibt, stehen im Kern eines Vertrauensverlustes, den wir alle, denke ich, in vielen Gesprächen und Veranstaltungen vor Ort auch in den letzten Wochen erlebt haben, dem wir immer wieder begegnen. Dabei geht es um die Fragen, ob man zu einem angemessenen Zeitpunkt, in angemessener Nähe einen Arzttermin findet, um die Frage, ob ein Flughafen fertig wird, um die Frage, ob Deutschland und Europa eigentlich wissen, wer unser Land betritt. In all diesen Fragen geht es darum, ob der Staat funktioniert und seine Versprechen hält. Ich denke, wir brauchen weniger „Wir müssen“-Reden, und wir brauchen mehr Reden darüber, was wir schon getan, was wir schon umgesetzt haben. Wir brauchen mehr „Wir wollen anpacken“-Reden. Wir brauchen weniger Wettbewerb darum, wer die Probleme am besten beschreibt – von diesen Beschreibungen haben wir wahrlich genug –, sondern wir brauchen mehr Wettbewerb darum, wer unaufgeregt, pragmatisch Probleme löst, was im Alltag tatsächlich einen Unterschied macht. Genau das haben wir in der Gesundheitspolitik in den letzten 18 Monaten in dieser Koalition gemacht. Ich nenne als Beispiel die Pflege. Jeder von uns spürt in den Veranstaltungen vor Ort, in den Diskussionen in den Krankenhäusern, in den Altenpflegeeinrichtungen, wie groß der Vertrauensverlust der Pflegekräfte ist, wie groß Frust und Unzufriedenheit sind. Gerade dort haben wir sehr bewusst Schritt für Schritt angefangen, und zwar mit konkreten Entscheidungen, die im Alltag einen Unterschied machen. Wir haben nicht das Blaue vom Himmel versprochen; vielmehr haben wir mit der Finanzierung zusätzlicher Stellen in den Krankenhäusern und der Schaffung von 13 000 zusätzlichen Stellen in der Altenpflege Entscheidungen getroffen, die tatsächlich vor Ort ankommen. Und ja – um das gleich vorwegzunehmen –, ich weiß: Bei den 13 000 Stellen hapert es bei der Umsetzung. Ja, ich weiß: Im Hinblick darauf, dass wir die größte Veränderung in der Finanzierung der Krankenhäuser im Land machen, nämlich dass die Pflege voll in die Selbstkostenfinanzierung einbezogen wird – also das, was Krankenhäuser für Pflege aufwenden, wird voll finanziert werden –, ja, bei der Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen, dass es etwa auf der Intensivstation eine Mindestbesetzung von Pflegekräften in Relation zu den Patienten geben muss – bei all diesen Dingen ist es schwierig, und es hapert vor Ort manchmal. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber entscheidend ist – wir steuern da, wo es notwendig ist –, dass wir mit all diesen Maßnahmen Schritt für Schritt einen Unterschied im Alltag machen. Das ist jedenfalls unser Weg, Vertrauen zurückzugewinnen, gerade auch in der Pflege. ({0}) Stellen zu schaffen und zu finanzieren, ist das eine. Das ist wichtig; das ist ein großer Unterschied im Vergleich zu vor einigen Jahren. Das Geld für zusätzliche Pflegestellen ist da. ({1}) – Ja, Sie schreien immer, es seien zu wenig. Ich kann sie auch nicht herbeizaubern. Das Dazwischenrufen bringt es auch nicht. Davon bekommen Sie nicht eine zusätzliche Pflegekraft. Was wir aber gemacht haben, ist: Wir haben für die Finanzierung der Stellen gesorgt und eine Veränderung der Ausbildung vorgenommen. Ab dem 1. Januar muss in diesem Bereich in Deutschland kein Schulgeld mehr gezahlt werden. Außerdem gibt es eine angemessene Ausbildungsvergütung. Die Finanzierung wurde gerade auch in der Debatte über Arbeit und Soziales in Bezug auf die Bundesagentur – Stichworte: „Umschulung“ und „Weiterqualifizierung“ – angesprochen. Auch das Anwerben von Fachkräften aus dem Ausland und die Kooperation mit anderen Staaten, vor allem mit Staaten, die über den eigenen Bedarf ausbilden, gehört zu unserem Maßnahmenkatalog. Ich selbst werde nächste Woche dazu in Mexiko sein. All diese und weitere konkrete Maßnahmen ergreifen wir. Sie sind immer gut im Beschreiben der Probleme, wir lösen die Probleme. Das ist der entscheidende Unterschied. ({2}) Um konkrete Probleme zu lösen, haben wir in den letzten Monaten viel angepackt: Wir haben 18 Gesetze in 18 Monaten auf den Weg gebracht, deren Grundlage immer eine gute Analyse der Probleme ist, die immer auf einer breit geführten Debatte fußen, einer Debatte, bei der es natürlich auch darum geht, miteinander zu ringen, auch mit Gegenargumenten umzugehen, um dann zu guten Lösungen zu finden. Wenn wir alle in den Diskussionen für eine Sekunde unterstellen würden, der andere könnte recht haben, dann würde das jedenfalls manche Debatte definitiv besser, leichter und vor allem zielorientierter machen. Manchmal muss man auch Streit führen, ja, und zwar nicht zum Selbstzweck, sondern im Interesse von Patienten, von Pflegekräften, im Interesse von denen, um die es geht. Entscheidend ist nur, dass aus jeder Debatte dann tatsächlich auch eine Entscheidung, ein Gesetz und die entsprechende Umsetzung hervorgehen. Genau mit dieser Herangehensweise haben wir in diesem Herbst bzw. bis zum Jahresende noch viel vor. Wir wollen vier Gesetze auf den Weg bringen, um im Gesundheitswesen bessere Rahmenbedingungen für Fachkräfte zu schaffen. Wir haben zum Teil Berufsgesetze, die seit 40 oder 50 Jahren nicht überarbeitet worden sind und in ihren Inhalten offenkundig nicht auf dem Stand von 2019 sein können. Für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten schaffen wir ein eigenständiges Studium. Für die Geburtshilfe wird es ein duales Studium mit Praxis und Theorie geben, das den wachsenden Anforderungen in diesem Bereich gerecht wird und entsprechend vorbereitet. Im Bereich der Anästhesie und bei der operationstechnischen Assistenz werden wir eine langjährige Forderung, erstmalig bundesweit einheitliche Ausbildungsvorschriften einzuführen, miteinander diskutieren und beschließen. Es geht darum, die Kompetenzen pharmazeutisch-technischer Assistenten in den Apotheken bei der Abgabe von und der Beratung zu Arzneimitteln und Medizinprodukten zu stärken. Bei all diesen Maßnahmen geht es darum, die Berufsgesetze so zu verändern bzw. diese so mit Inhalten zu füllen, dass diese Berufe attraktiv bleiben. Es gibt wenige Bereiche, in denen wir einen so starken Fachkräftebedarf wie im Gesundheitswesen haben. Deswegen ist die Frage, wie Berufsgesetze inhaltlich gestaltet sind und welche Perspektive sie für den weiteren persönlichen Lebensweg bieten, einer der ganz wichtigen Faktoren, um Fachkräfte zu gewinnen. Allein in diesem Jahr werden wir das noch für vier wichtige Bereiche umsetzen. ({3}) Zwei weitere Gesetze für Qualität und Patientensicherheit sind in der Beratung. Dabei geht es um einen reformierten medizinischen Dienst, der unabhängig von den Krankenkassen agieren soll. Das ist eine Debatte, die schon über 20 Jahre währt. Wir wollen den medizinischen Dienst aus den Krankenkassenstrukturen herauslösen und in eine eigene Struktur bringen, übrigens mit Beteiligung der Patienten in den entsprechenden Aufsichtsgremien. Wir wollen ein Implantateregister, mit dem wir zukünftig wissen, wer welche Hüfte, welches Knie oder welche Herzklappe bekommen hat, um Patienten bei etwaigen Problemen beispielsweise mit einem Herzschrittmacher oder einem anderen Produkt effektiver helfen zu können und um vor allen Dingen in der Folge besser sehen zu können, was in der Versorgung passiert. Außerdem werden wir das Gesetz zur digitalen Versorgung miteinander debattieren und zum Abschluss bringen. Dabei geht es darum – das, was wir dort angehen, ist weltweit fast einmalig –, den Einsatz von Apps, digitale Gesundheitsanwendungen, auf Rezept, finanziell von den Krankenkassen entsprechend unterstützt, zu ermöglichen. Dafür muss natürlich auch sichergestellt sein, dass damit Qualität verbunden ist. Dafür schlagen wir ein entsprechendes Verfahren vor. Die App muss einen Unterschied für die Patienten im Alltag machen. Der Schrittzähler alleine reicht jedenfalls noch nicht. Vielmehr muss für den Diabetiker oder den Bluthochdruckpatienten oder für viele andere eben eine Unterstützung im Alltag erreicht werden. Das Apothekengesetz, mit dem wir die Versorgung vor Ort stärken wollen, werden wir uns ansehen. Ich komme selbst aus einem Dorf im Münsterland mit 3 700 Einwohnern. Ich weiß, wie wichtig die eine Apotheke im Dorf für die Bewohner dort, zum Beispiel für meine Eltern, ist. Deswegen wollen wir die Apotheken stärken, indem wir zusätzliche Dienstleistungen finanzieren, indem wir zu fairen Wettbewerbsbedingungen kommen, damit nicht die einen aus dem Ausland Boni geben können und die anderen im Inland nicht. Genau das sind die konkreten Maßnahmen, mit denen wir für Patienten, aber auch für diejenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind, einen Unterschied machen wollen. ({4}) Wir diskutieren auch einen verpflichtenden Impfschutz gegen Masern in Kita, Schule und Kindertagespflege, um möglichst viele Kinder – idealerweise alle Kinder – vor einer Masernansteckung zu bewahren. Im Jahr 2019 ist eine Maserninfektion ein Risiko, das vermeidbar ist. Wir haben eine sichere Impfung. Ich bin nächste Woche bei den Vereinten Nationen, wo es um das globale Gesundheitswesen geht. Mich treibt es um, dass das Ausrotten der Masern auf der Welt eher an Deutschland und Europa scheitert als an anderen Ländern. Deswegen haben wir als Bundesregierung einen entsprechenden Vorschlag gemacht. ({5}) Ich denke, wenn wir da so rangehen, Debatten führen, Lösungen erarbeiten und diese eben auch umsetzen, dann haben wir die Chance, Vertrauen zurückzugewinnen, weniger „Wir müssten“, weniger Wolken schieben und Probleme beschreiben, dafür mehr „Wir haben Folgendes schon umgesetzt, und wir haben dieses noch vor, und zwar jetzt“, mehr „Wir versprechen nicht das Blaue vom Himmel, sondern packen solide an, um im Alltag für Millionen Menschen einen Unterschied zu machen“. Mit dieser Blaupause wollen wir Vertrauen zurückgewinnen. Damit machen wir Gesundheitspolitik, heute und in Zukunft. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Gehrke, AfD. ({0})

Prof. Dr. Axel Gehrke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004725, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Lesen eines Haushaltsplanes ist ja nicht unbedingt mit dem Lesen eines Kriminalromans vergleichbar. ({0}) Gleichwohl spannend ist es dennoch; denn man erhofft sich als Opposition einen Blick in die Glaskugel, eine Antwort darauf, wie es grundsätzlich weitergehen wird. Um es vorweg zu sagen: Die Hoffnung auf das Erkennen neuer Ansätze im Gesundheitssystem geht fehl. Es geht alles weiter wie bisher – business as usual –, und das, obwohl Sie, Herr Spahn, einen wirklich beeindruckenden, fast schon hyperkinetischen Aktionismus vorlegen, um alle im System aufplatzenden Wunden gleichzeitig zu sanieren. ({1}) Aber machen wir uns doch nichts vor: Das alles sind Folgen vergangener Versäumnisse, der letzten zwölf Jahre GroKo, die vor allem in ihren finanziellen Ausmaßen durch eine vorausschauende Politik zu vermeiden gewesen wären, ({2}) zum Beispiel die schon demnächst brutal zuschlagende demografische Keule. Sie war schon 1980 Gegenstand vieler Habilitationen, die darauf hinwiesen, dass ab 2020 ohne langfristige Gegensteuerung eine Überalterung der Gesellschaft auf uns zukommt. Nun sind wir 40 Jahre weiter, und unsere Regierung ist immer noch auf der Suche nach dem richtigen Konzept, nach Lösungen, wie wir eben gehört haben. Das wird sich bitter rächen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Umlagefinanzierung wird allein schon durch den jetzt bevorstehenden sprunghaften Anstieg der Zahl derjenigen, die versorgt werden müssen, gegenüber den immer weniger werdenden beruflich Tätigen, die das durch ihre Einzahlungen gegenfinanzieren sollen, kollabieren. Die zeitliche Periode von 2020 bis etwa 2050 wird das Gesundheitssystem so, wie es jetzt ist, vermutlich nicht überleben. ({3}) Ich möchte Ihnen das mit ein paar Positionen aus dem vorliegenden Entwurf belegen. Dass dieser Gesundheitshaushalt mit einer Steigerung von 20 Millionen Euro gleich 0,1 Prozent nicht weiter aufgebläht wurde, ist zu begrüßen. Dass er aber weder tragfähige Strukturen für Beitragssenkungen noch qualitative Verbesserungen im Sinne der Versorgung der Gesamtbevölkerung enthält und keinerlei Schwerpunkte für künftige Herausforderungen setzt, ist enttäuschend. ({4}) Dagegen enthält der Entwurf insbesondere im Pflegebereich Versprechungen, die später schwer zu bezahlen sein werden, insbesondere dann, wenn es stimmt, was Professor Raffelhüschen errechnet hat, ({5}) – wenn es stimmt; wir werden mal sehen – nämlich dass die in den Sozialversicherungen versteckten Verbindlichkeiten ({6}) die offizielle Staatsverschuldung um ein Dreifaches übersteigen, aber die Regierungen trotz Geld in Hülle und Fülle keine entsprechenden Rücklagen gebildet haben. Ich lasse mich gern vom Gegenteil überzeugen. Nach zwei Jahren haben wir ja nun Halbzeit, und man darf fragen: Was ist von den vielen Änderungen beim Bürger bisher angekommen? ({7}) Nehmen wir mal die beiden wichtigsten Gesetze: das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz und das Terminservice- und Versorgungsgesetz. Was den Pflegenotstand anbetrifft, erinnern wir uns ja an die berühmten 13 000 neuen Stellen auf Kosten der gesetzlichen Kassen. Herr Spahn, Sie wollten ja, wie Sie eben ausgeführt haben, uns nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Offensichtlich wurde das Antragsverfahren zu einem bürokratischen Monster. Lediglich 300 Anträge wurden bisher bearbeitet und davon 125 bewilligt, wie sich aufgrund einer Anfrage der FDP-Fraktion herausgestellt hat. Ich nehme an, dass die Kollegen nachfolgend darüber noch sprechen werden, und verlasse deswegen dieses traurige Thema. ({8}) Wie sieht es nun mit dem TSVG aus? Die Versorgung sollte ja besser, schneller und vor allem digitaler werden. Auch hier wird mit organisatorisch-bürokratischen Mehrausgaben in Höhe von unglaublichen 1,5 Milliarden Euro gerechnet, bevor – wenn überhaupt – eine signifikante Leistungsverbesserung erkennbar ist, schon gar nicht eine bessere digitale Versorgung. Im Gegenteil: Der Bundesrechnungshof hat den Ausbau der Telematikinfrastruktur noch Anfang dieses Jahres deutlich kritisiert. Die Versteigerung der 5G-Lizenzen hat ja nun zusätzliche 6,55 Milliarden Euro eingebracht. Aber trotzdem sucht man vergeblich im Entwurf eine Position, die sich mit der Überprüfung der gesundheitlichen Auswirkungen dieser Technik auseinandersetzt. ({9}) Auf unsere diesbezügliche Anfrage hat die Regierung geantwortet, dass eventuelle Initiativen von den jeweils verfügbaren Haushaltsmitteln abhingen. Der vorliegende Haushalt war ganz offensichtlich um 20 Millionen Euro steigerbar. Und wenn man 5 Millionen Euro ausgeben kann, um die Folgen der Abtreibung zu überprüfen, dann ist mir diese Haltung völlig unverständlich. Die gesundheitlichen Sorgen der Bevölkerung, die nun flächendeckend und in den Städten in 50-Meter-Abständen mit an Ampeln und Straßenlaternen befestigten Sendern mit hoher Energieabstrahlung leben sollen, nehmen Sie einfach nicht ernst. ({10}) Das werden wir so nicht hinnehmen. Das muss geändert werden. ({11}) Die zukünftige Gesundheit der Bürger scheint in diesem Entwurf ohnehin eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Zwar wollten Sie im Koalitionsvertrag die Prävention deutlich stärken. Aber das ist Ihnen gerade mal 5 Millionen Euro mehr wert, also genauso viel wie die Abtreibungsstudie. Und während das TSVG gerne bürokratische 1,5 Milliarden Euro verschlingen darf, sind Ihnen Vorsorge und Rehamaßnahmen 1,8 Milliarden Euro wert. So haben wir wieder einen Haushaltsentwurf, der das System wie bisher verwaltet, hohe Kosten produziert, aber keine grundlegenden Verbesserungen für alle Versicherten bietet. Schade. Wieder eine Chance verpasst. Und auch die Glaskugel lässt grüßen. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sabine Dittmar für die SPD-Fraktion. ({0})

Sabine Dittmar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004261, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die Feinheiten des Einzelplans 15 wird meine Kollegin Sonja Steffen eingehen. Ich möchte den Blick gerne auf unsere gesundheitspolitische Arbeit lenken. Mehr als 18 Gesetze in 18 Monaten: Ich denke, es bleibt keinem verborgen, dass die Gesundheitspolitik auf Hochtouren arbeitet. An dieser Stelle möchte ich auch einmal den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMG, den Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsausschuss sowie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit danken. ({0}) Als SPD blicken wir auf erfolgreiche gesundheitspolitische Monate zurück. Wir haben nicht nur die Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung wiederhergestellt, was die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die Rentner und Rentnerinnen um 7 Milliarden Euro entlastet, sondern auch Soloselbstständige haben endlich bezahlbare Beiträge und Versicherte, die sich für eine hausarztzentrierte Versorgung entscheiden, erhalten einen Bonus, um nur einige Beispiele zu nennen. ({1}) Diese erfolgreiche Arbeit wollen wir fortsetzen. Im Herbst stehen mindestens neun weitere Gesetzentwürfe zur Beratung an. Die große Herausforderung besteht darin, einerseits die medizinische und pflegerische Versorgung zu sichern, den Patientinnen und Patienten den Zugang auch zu hochteuren Innovationen zu garantieren und andererseits dabei für eine solide und verlässliche Finanzierung zu sorgen. Ein großes und wichtiges Projekt, das wir hoffentlich im Herbst endlich angehen werden, ist deshalb die Reformierung der Kassenfinanzen. Es ist dringend geboten, den Kassenausgleich auf Basis der vorliegenden wissenschaftlichen Gutachten zu reformieren. Hier sind sich alle Akteure einig. Die Kassen brauchen dieses Gesetz zügig, um ihre Haushalte solide planen zu können. Derzeit warten wir immer noch auf den Gesetzentwurf. Auslöser für die monatelange Verzögerung sind aber nicht die Regelungen zum Finanzausgleich der Kassen, sondern umstrittene Vorschläge von Minister Spahn zum Organisationsrecht der Kassen, die im Übrigen gar nicht im Koalitionsvertrag vereinbart waren. Der Widerstand kommt nicht nur aus den Bundesministerien, sondern auch geschlossen aus allen 16 Ländern. Herr Minister Spahn, wenn Sie es nicht schaffen, Ihre Vorschläge gängig zu machen, dann lassen Sie sie einfach fallen und riskieren Sie nicht die dringend benötigte Finanzreform der Kassen! ({2}) Umstritten ist dabei unter anderem die Entmachtung der Sozialpartner im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes. Ich möchte hier deutlich betonen: Als Sozialdemokratin werde ich jeden Angriff auf die Selbstverwaltung zurückweisen. Das gilt auch für die Methodenbewertung im G-BA und die Reform des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. ({3}) Solidarität und Selbstverwaltung sind für meine Partei, die SPD, tragende und unverzichtbare Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung. ({4}) Meine Damen und Herren, lange haben wir mit der Union um die Reform der Psychotherapeutenausbildung gerungen. Uns Sozialdemokraten war es wichtig, dass auch die Psychotherapeuten in Ausbildung eine angemessene verpflichtende Vergütung erhalten. Das haben wir jetzt im parlamentarischen Verfahren durchgesetzt und wir werden dieses Gesetz nun zügig zum Abschluss bringen. Vor uns liegt das Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz. Dazu wird die Kollegin Bas Näheres sagen. Aber, meine Damen und Herren, im Bereich der Pflege haben wir – das hat auch der Herr Minister schon dargestellt – vieles gesetzlich angestoßen: für Pflegebedürftige, für pflegende Angehörige und auch für professionelle Pflegekräfte. Die Herausforderungen sind nach wie vor immens. Motivierte und gut qualifizierte Pflegekräfte sind das Rückgrat der professionellen Pflege. Das A und O neben Wertschätzung, guter und verlässlicher Arbeits- und Rahmenbedingungen ist aber auch eine bessere Entlohnung. An dieser Stelle möchte ich meinen ausdrücklichen Dank an Arbeitsminister Hubertus Heil richten – ist er noch da? ({5}) – nein, aber die Staatssekretärin –, der mit dem Gesetz für bessere Löhne in der Pflege die Grundlagen für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gelegt hat. ({6}) Uns ist klar, dass die von allen gewünschten, geforderten und auch notwendigen Leistungsverbesserungen in der Pflege nicht zum Nulltarif zu haben sind. Die augenblickliche Finanzierungsystematik führt aber zu einer einseitigen Belastung der Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen, die Eigenanteile steigen stetig. Das wollen wir nicht. Deshalb brauchen wir zügig, Kolleginnen und Kollegen, eine Begrenzung der Eigenanteile und eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, am besten hin zu einer Pflegebürgerversicherung, die dann im Übrigen auch Blaupause für die gesetzliche Krankenversicherung sein kann. ({7}) Ich freue mich sehr, dass die SPD-Fraktion ebenso wie der Parteivorstand ein hervorragendes, zukunftsweisendes Positionspapier zur Pflege verabschiedet hat, das eine gute Grundlage für die weitere Gesetzgebung bietet. Herr Minister, Sie dürfen sich da gerne bedienen. Meine Damen und Herren, bei all den vielen großen Reformen dürfen wir aber auch Verbesserungen für oft kleine Patientengruppen nicht übersehen. So haben wir in den letzten Monaten deutliche Verbesserungen bei der Prophylaxe von HIV erreichen können sowie bei Menschen, die an Krebs erkrankt sind und denen ein Fertilitätsverlust durch die Behandlung droht. Da können nun auf Kosten der Krankenkassen Ei- und Samenzellen eingefroren werden. Nun zeichnet sich erfreulicherweise auch eine Lösung für Frauen, die sich in der DDR durch verunreinigte Anti-D-Prophylaxe in der Schwangerschaft mit Hepatitis C infiziert haben,ab. Wir alle kennen diese Fälle aus unseren Bürgerbüros. Es ist deshalb gut, dass Bewegung in die Sache kommt und wir eine Lösung finden. ({8}) Das war im Übrigen auch immer wieder ein Anliegen meiner Kollegen Kolbe und Diaby; denen war das sehr, sehr wichtig. Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich noch anmerken: Mir und meiner Fraktion ist es sehr wichtig, dass wir bei dem Thema „Entlastung der Betriebsrentner“ endlich weiterkommen. ({9}) In den Koalitionsverhandlungen konnte sich die SPD nicht durchsetzen, die Doppelverbeitragung abzuschaffen. Ich freue mich, dass mittlerweile Bewegung in die Sache gekommen ist. ({10}) Unser Koalitionspartner hat den Handlungsbedarf erkannt, und ich erwarte, dass wir sehr zügig eine Lösung vorlegen. ({11}) Sie sehen: Uns geht die Arbeit nicht aus. Ich freue mich darauf, bin hochmotiviert und wünsche noch einen schönen Tag. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun Karsten Klein das Wort. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister!, Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, das hat jetzt nichts mit Ihrem Haushalt zu tun: Ich weiß nicht, ob die Androhung, dass Gesetze in Monatstaktung oder im Herbst gar in Wochentaktung kommen, liebe Kollegin Dittmar, ein Qualitätsmerkmal für Regierungshandeln ist. ({0}) Ich denke, da stellen sich vielen Versicherten eher andere Fragen. Herr Minister, mit Blick auf Ihren Haushalt können wir Freie Demokraten durchaus, auch wenn es dabei um kleinere Haushaltstitel geht, Unterstützung signalisieren, zum Beispiel wenn es um die internationale Gesundheitsvorsorge geht. Hier geht es vor allem auch um Leistungen – ich hatte es bereits ausführlich dargestellt – im humanitären Bereich. Im Übrigen zählen die Ausgaben auch für die Berechnung der ODA-Quote. In diesem Bereich haben Sie also unsere Unterstützung. Der zweite Bereich, in dem Sie auf unsere Unterstützung zählen können, ist die Bewerbung der privaten Pflegevorsorge. ({1}) Wir haben sehr erfreut zur Kenntnis genommen, dass Sie unseren Vorstößen, da mehr Gas zu geben, nachgekommen sind und mehr Anstrengungen vollführt haben. In diesem Bereich können Sie weiterhin auf unsere Unterstützung setzen. ({2}) Sie können auch auf unsere Unterstützung setzen, wenn Sie die Anstrengungen in der Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter vorantreiben. Es ist wirklich wichtig, dass wir in diesem Bereich vorankommen. Sie haben da erste Maßnahmen ergriffen. Da sind die Haushaltsmittel auch gut aufgehoben. Ein vierter Bereich, den ich ansprechen möchte, ist die Qualifizierung für Pflegeberufe im Ausland; Sie haben es angesprochen. Herr Minister, Sie können Gesetze erlassen, in denen festgelegt wird, mit welcher Quote Pflegeplätze zu besetzen sind, was dazu führt, dass Intensivstationen die Zahl der Betten abbauen müssen. Aber das Entscheidende ist, dass wir danach auch Fachkräfte in unserem Land zur Verfügung haben. Und dazu ist das ein wichtiger Beitrag. ({3}) Herr Minister, ein Bereich, in dem Sie nicht mit unserer Unterstützung rechnen können, ist der Bereich der Rücklagen im Gesundheitswesen. Der Gesundheitsfonds enthält aktuell Rücklagen in Höhe von 9,7 Milliarden Euro. Die Mindestreserve beträgt 5 Milliarden Euro. Bei der GKV liegen sie – Stand erstes Halbjahr dieses Jahres – bei 20,8 Milliarden Euro. ({4}) Das ist das Vierfache der gesetzlichen Mindestreserven. Sie, Herr Minister, haben den Versicherten versprochen, dass sie die überschüssigen Reserven über niedrigere Zusatzbeiträge zurückfließen lassen. Das Ganze findet aber nicht statt, weil die Große Koalition nicht einen direkten Rückfluss vereinbart hat, sondern einen Mechanismus, der dazu führt, dass noch einige Monate ins Land gehen werden. ({5}) Geld, das herumliegt, Herr Minister, weckt ja bekanntlich Begehrlichkeiten. ({6}) Nach Schätzungen des GKV-Spitzenverbands werden allein das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz und das Terminservice- und Versorgungsgesetz zu Mehrkosten in Höhe von 21,4 Milliarden Euro bis Ende 2022 führen. 20,8 Milliarden Euro in der Reserve, 21,4 Milliarden Euro Mehrkosten – da muss jedem klar werden, Herr Minister: Mit der Rückführung der Beiträge an die Versicherten wird es nichts mehr werden. Da sollten Sie den Versicherten endlich reinen Wein einschenken. ({7}) Wir erwarten grundsätzlich von Ihnen, dass Sie im Bereich der versicherungsfremden Leistungen endlich die Bremse ziehen und nicht immer neue wunderbare Projekte versprechen, die dann zukünftige Generationen belasten, weil die Krankenversicherungsbeiträge steigen werden. Bei dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, Herr Minister, erwarten wir von Ihnen, mal reinen Wein eingeschenkt zu bekommen. Genauer geht es um die Frage, warum die ursprünglich geplante Einschränkung der Importklausel bzw. die zwischenzeitlich von Ihrem Haus vorgeschlagene Komplettstreichung der Importklausel sich am Ende nicht in Ihrem Gesetzentwurf wiedergefunden hat. Medien in Deutschland, auch die „Tagesschau“, haben vor zweieinhalb Wochen ausgiebig darüber berichtet und auf eine erhebliche Einflussnahme von Dritten, vor allem von Ihren Ministerkollegen, hingewiesen. Das ist ein Vorwurf, dem wir Parlamentarier aufgrund unserer Kontrollfunktion nachgehen müssen, Herr Minister. Ich möchte mir über diese Sache auf jeden Fall erst dann eine Meinung bilden, wenn ich Ihre Stellungnahme zu dem Sachverhalt gehört habe. Aber wenn Sie unsere parlamentarischen Fragen mit allgemeinen Ausführungen zum Verfahrensablauf beantworten, nehmen Sie dieses Parlament nicht ernst und sich selbst die Chance, die Vorwürfe aus der Welt zu schaffen. ({8}) Deshalb, Herr Minister, fordere ich Sie an dieser Stelle auf: Beantworten Sie unsere Nachfrage in dieser Sache angemessen, damit wir hier zu einem klaren Lagebild kommen! Im Übrigen, Herr Minister, bin ich der Meinung, der Solidaritätszuschlag sollte komplett abgeschafft werden. Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir als Linke sagen: Gesundheit darf keine Ware sein. ({0}) In der vergangenen Woche haben 215 Ärztinnen und Ärzte sowie 19 Organisationen einen Appell veröffentlicht. Darin fordern sie die Rettung der Medizin. Der wirtschaftliche Druck unterhöhle die Medizin, wird in dem Aufruf treffend festgestellt. Angefangen habe alles mit der Einführung der Fallpauschalen vor 16 Jahren. Jede Krankheit ist seitdem ein Produkt mit einem Preisschild. Je teurer die Krankheiten, desto besser für die Eigentümer der Krankenhäuser. Und das darf nicht sein, meine Damen und Herren. ({1}) Die Gesundheitsreform Anfang des Jahrtausends, verantwortet von SPD, Grünen und Union, hatte das gesamte Gesundheitssystem dem Kapitalmarkt zu Füßen gelegt. Jetzt zeigt sich, dass das ein unverzeihlicher Fehler war. ({2}) Denn was passiert jetzt? Private Equity Fonds, auch Heuschrecken genannt, kaufen massenhaft Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen auf. Der Profit regiert. Unsere Forderung ist: Wir brauchen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in öffentlicher Hand. Sie müssen vor Profit, vor Private Equity und Heuschrecken wirksam geschützt werden, meine Damen und Herren. ({3}) Aber unser Gesundheitsminister Jens Spahn – ich habe ihn danach gefragt – hat überhaupt kein Problem mit Heuschrecken. Für ihn ist das Wettbewerb und wünschenswert. ({4}) Die Frage ist nur: Auf wessen Rücken wird dieser Wettbewerb ausgetragen? Im Gesundheitssystem stecken schließlich Milliarden, mehr als in dem Haushalt des Gesundheitsministeriums. Seit 2017 wird pro Tag mehr als 1 Milliarde Euro für die Gesundheit ausgegeben. Also gibt es viele Begehrlichkeiten. Aber kommt dieses Geld immer bei den Patientinnen und Patienten, bei den Ärztinnen und Ärzten und bei den Pflegekräften an? Unsere Einschätzung ist: augenscheinlich nicht. Ein aktuelles Beispiel ist die künstliche Beatmung von Patientinnen und Patienten, über die gerade diskutiert wird – ein Milliardengeschäft. Oft geht das zulasten der Patienten. Die Betroffenen werden so lange wie möglich an die Maschinen angeschlossen; denn damit lässt sich viel Geld verdienen. Schauen wir uns nur mal die Vergleichszahlen an: Im Jahr 2005 wurden 1 000 Patienten künstlich beatmet, jetzt, 14 Jahre später, sind es 30 000. Die Kassen geben für diese Intensivpflege mittlerweile fast 2 Milliarden Euro aus. Nun will der Gesundheitsminister, dass das nicht mehr zu Hause möglich ist, sondern nur noch in Krankenhäusern. Das ist eine Verschiebung auf dem Rücken der Patienten, keine Lösung, sondern eine Pseudolösung. Das finden wir nicht in Ordnung. ({5}) Die Frage ist also nicht: Ambulant oder stationär? Die Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, sind doch: Warum wirft ein dauerhaft kranker Patient mehr Profit ab als ein Patient, der wieder gesund wird? Warum wird in Deutschland wesentlich mehr operiert als in anderen, mit uns ökonomisch vergleichbaren Ländern? Da gibt es doch einen gravierenden Konstruktionsfehler. Gesundheit wurde zur Ware gemacht. Das lehnen wir als Linke ab. ({6}) Die Linke unterstützt den Appell der Ärztinnen und Ärzte, in dem gefordert wird, erstens das Fallpauschalensystem zu ersetzen ({7}) oder zumindest grundlegend zu reformieren und zweitens die ökonomisch gesteuerte gefährliche Übertherapie einerseits sowie die Unterversorgung von Patienten auf der anderen Seite zu stoppen. Der ökonomische Druck trifft ja nicht nur die Krankenhäuser, sondern auch die Pflegeeinrichtungen und die niedergelassenen Ärzte. Der Mangel an Pflegekräften und Ärzten – das ist ja hier schon besprochen worden – nimmt ja flächendeckend zu. All diese Probleme sind seit Jahren ungelöst. Ich habe bereits im Jahre 2002 die damalige Gesundheitsministerin auf den Fachärztemangel hingewiesen. Damals wurde er noch bestritten. Wir als Linke fordern eine solidarische Gesundheitsreform, die nicht an den Kapitalinteressen der Heuschrecken orientiert ist. ({8}) Gesundheit – ich kann das nur noch mal wiederholen – darf keine Ware sein. Im Mittelpunkt müssen der Patient, die Patientin, die Pflegekräfte, die Ärztinnen und die Ärzte stehen. ({9}) Herr Spahn hat eine Menge Gesetzentwürfe vorgelegt. Nicht alles, was er tut, ist falsch; meine Redezeit reicht aber nicht dazu aus, ihn zu loben. ({10}) Ich zitiere dafür lieber Martin Litsch, den Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes. Er stellt in einem Interview fest: Die Preise steigen, aber die Leistungen für die Versicherten verbessern sich bisher nicht. Ich denke, das ist kein gutes Zeugnis. ({11}) Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist die Linke der Auffassung, dass der § 219a unbedingt abgeschafft werden muss. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister, Sie haben gerade zu Recht etwas Wichtiges angesprochen. Es gibt in der Tat eine Vertrauenskrise hinsichtlich der Versorgungssicherheit bei Gesundheit und Pflege in Deutschland; das ist ganz deutlich zu spüren. Ganz deutlich sehen wir auch, dass die Menschen Ängste haben, ob tatsächlich in allen Regionen gewährleistet ist, dass sie Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung haben, ob gewährleistet ist, dass tatsächlich Pflegekräfte zu ihnen nach Hause kommen, und ob gewährleistet ist, dass das schwerstbehinderte Kind mithilfe eines häuslichen Krankenpflegedienstes tatsächlich zu Hause versorgt werden kann. All diese Sorgen haben wir, und wir haben sie nach 15 Jahren CDU-geführter Regierung; das muss man ganz klar sagen. Wir haben sie, obwohl wir hier in eineinhalb Jahren bereits sieben Gesetzesvorhaben mit sehr umfangreichen Veränderungen beschlossen haben, und wir haben sie in einer Situation, in der wir draußen einen massiven Fachkräftemangel im Gesundheitswesen erleben, der sich gewaschen hat und von dem wir wissen, dass wir erst den Anfang erleben. All das zeigt: Es geht darum, Vertrauen wieder zurückzugewinnen ({0}) und tragfähige Lösungen vorzulegen, die zeigen, dass wir es wirklich schaffen, diese grundlegenden Probleme zu lösen. ({1}) Und da sage ich: Hier reicht es nicht, ein Feuerwerk von vielen Gesetzen zu zünden, ({2}) wenn diese Gesetze immer wieder nur mehr vom Gleichen ({3}) und eben nicht die grundlegend neuen Strukturen schaffen, die wir brauchen. ({4}) Ich nenne mal ein Beispiel: Bei der Versorgung von älteren und schwerstbehinderten Menschen gibt es einen komplexen Versorgungsbedarf vor Ort. Dabei geht es nicht nur darum, dem Facharzt einen zusätzlichen EBM zu geben, sondern auch darum, in tragfähige Versorgungsnetze zu investieren, die vor Ort wirksam und kooperativ die Versorgung sicherstellen. Darum muss es gehen. ({5}) Wenn ich das hinkriegen will, dann muss ich Anfangsinvestitionen tätigen und schauen, dass ich die Digitalisierung genau dafür tatsächlich nutzen kann. Ich muss dafür sorgen, dass es so etwas wie Netzwerkbildung gibt, die dann auch finanziert, bezahlt und begleitet wird, und ich muss dafür sorgen, dass in unserem Regelwerk, in unseren Kollektivverträgen, die Möglichkeit geschaffen wird, all diese neuen Versorgungsformen tatsächlich abzubilden. Herr Minister, hier muss ich sagen: Da sind Sie nach eineinhalb Jahren Gesetzgebung und auch mit den geplanten Gesetzen noch lange nicht. Das halte ich für einen sehr großen Fehler, ({6}) weil: Wer jetzt nicht in die Versorgung von morgen investiert, der wird den Versorgungsnöten hinterherlaufen und es nicht schaffen, genau das zu tun, was Sie vorhin zu Recht angemahnt haben, nämlich Vertrauen in die Versorgungssicherheit. Vertrauen in die Versorgungssicherheit können wir nur wiedererlangen, wenn wir das tatsächlich zu einem starken Thema machen. Nachdem Sie eine Kommission gebildet haben, die Vorschläge gemacht hat, um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in allen Regionen sicherzustellen, bei all den vorgeschlagenen Maßnahmen aber Pflege und Gesundheit nicht einmal vorkommen, ({7}) frage ich mich: Wie wollen Sie dieses Vertrauen eigentlich zurückgewinnen? Wie wollen Sie das schaffen, wenn Sie die Dinge nicht in die Hand nehmen? Zweites Thema. Wir sehen, dass wir einen massiven Pflegenotstand, aber auch einen Fachkräftenotstand in allen Gesundheitsberufen haben. Auch da sind wir gefordert, nicht nur eine leichte Anpassung und Modernisierung der Berufsgesetze vorzunehmen, sondern tatsächlich in Deutschland einen Perspektivwechsel hinzubekommen, indem wir von dem rein auf Ärzte zentrierten Gesundheitswesen wegkommen, indem wir dahin kommen, alle Gesundheitsberufe mit ihrem Kompetenzprofil in die Versorgung einzubeziehen. Das ist die Aufgabe, die wir vor uns haben. ({8}) Wenn ich sehe, wie mühselig die Schritte bei der Hebammenausbildung gegangen werden, wenn ich sehe, wie mühselig die Schritte bei der Psychotherapieausbildung gegangen werden, ({9}) und wenn ich höre, dass Sie der Akademisierung bei den therapeutischen Gesundheitsberufen eine Absage erteilt haben, dann glaube ich: Sie haben die eigentliche Herausforderung, die sich in diesen Bereichen ergibt, noch nicht verstanden. ({10}) In diesem Sinne: Es geht darum, solide anzupacken, Vertrauen zurückzugewinnen, aber auch den Mut für entscheidende Reformen zu haben. Und der fehlt. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sich mit dem Haushalt zu befassen, heißt natürlich, sich mit Zahlen auseinanderzusetzen. Ein Blick auf die Zahlen der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten Jahren zeigt, dass wir hier einen deutlichen Aufwuchs haben: Die Leistungsausgaben sind zwischen 2014 und 2018 von 194 Milliarden auf 226 Milliarden Euro angestiegen, ein Plus von 16 Prozent. Sehr beachtlich, würde ich mal sagen. Aber das Besondere ist nicht die Steigerung, sondern die Tatsache, dass wir diese enorme Steigerung, die mit Tariferhöhungen und Leistungssteigerungen zu tun hat, bewältigt haben, ohne dass in diesen Jahren die Zusatzbeiträge nennenswert erhöht wurden. Das haben wir einer guten Konjunktur zu verdanken. Und das ganz Besondere ist, dass wir in diesem Jahr 2019 überhaupt keine Steigerungen bei den Zusatzbeiträgen haben. Wir haben sogar Senkungen. Das hat seinen guten Grund. Das hat damit zu tun, dass wir im Versichertenentlastungsgesetz festgelegt haben, dass das Geld der Versicherten, das in den Rücklagen der Krankenkassen in zu großem Umfang gehortet wird, zurückgeführt werden muss, also an die Versicherten zurückgegeben werden muss. Diese Rechnung ist aufgegangen. ({0}) Nicht vergleichbar mit der gesetzlichen Krankenversicherung – natürlich nicht – ist die Pflegeversicherung, was den Ausgabenanwuchs anbelangt. Da haben wir im gleichen Zeitraum eine Steigerung von 50 Prozent. Wir hatten keine Rücklagen. Auch da hat uns allerdings die Konjunktur etwas geholfen. Wir mussten aber Beiträge erhöhen, weil wir auch die Leistungen deutlich erhöht haben – zugunsten der alten Menschen, aber auch zugunsten der Familien. Wir haben mit der Neuordnung der Pflegestufen bzw. Pflegegrade zum ersten Mal Demenz in den Bereich der Pflegeversorgung aufgenommen. Wir haben enorme Entlastungen für die Familien durchgesetzt. Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Das ist das separate Budget für die Tagespflege. Wenn man bei der Pflege jetzt auch noch die Krankenhauspflege dazurechnet, also voller Tarifausgleich und die Tatsache, dass dem Krankenhaus jede zusätzliche Stelle bezahlt wird, dann würde ich mal sagen: Wir sind in den vergangenen Jahren in der Pflege ordentlich vorangekommen. All das ist jeden Euro wert, den wir an dieser Stelle mehr ausgeben, auch wenn dazu Beitragserhöhungen in der Pflegeversicherung nötig waren. ({1}) Was ist aber in den kommenden Jahren zu erwarten? Die Konjunktur trübt sich ein. Das wirtschaftliche Klima kühlt sich weltweit ab. Der Brexit lässt grüßen, der Handelsstreit lässt grüßen. Aus Boom wird Rezession, titeln die Zeitungen in diesen Tagen. Das geht natürlich auch am Gesundheitswesen nicht vorbei, und wir müssen uns überlegen, wie wir an der Stelle gegensteuern. Es besteht Handlungsbedarf, und ich denke, dass wir durchaus auch eine Evaluierung dessen brauchen, was wir in den letzten Jahren gemacht haben. Ich will ein paar Beispiele nennen. Das Thema Tagespflege habe ich schon angesprochen, ein sehr wichtiges Thema für die Familien. Wir müssen prüfen, ob das auch tatsächlich alles bei den Familien ankommt oder ob nicht noch zu viel in andere Bereiche geht. Ein zweites Beispiel ist die Kurzzeitpflege; die habe ich noch nicht erwähnt. Frau Baehrens und ich sind im Moment zusammen dabei, uns Gedanken zum Thema Kurzzeitpflege zu machen. Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir eine auskömmliche Finanzierung der Kurzzeitpflege brauchen. Die haben wir noch nicht. Deswegen haben wir derzeit viel zu wenige Kurzzeitpflegeplätze. Familien können ihre Angehörigen nicht 52 Wochen im Jahr tagaus, tagein Tag und Nacht pflegen. Sie brauchen Unterstützung durch Kurzzeitpflege, wenn sie selber krank werden, ins Krankenhaus müssen oder mal Urlaub brauchen. Dann finden sie aber nichts, und deswegen brauchen wir an der Stelle ganz dringend Abhilfe. Auch den Heimen ist es nicht zu verdenken, dass sie keine Kurzzeitpflege vorhalten, wenn sie es nicht ausreichend finanziert bekommen, und es gibt natürlich Druck durch Menschen, die Langzeitpflege brauchen und die Plätze deshalb belegen. Deswegen mache ich den Heimen ausdrücklich keinen Vorwurf. Wir müssen die Rahmenbedingungen für die Kurzzeitpflege schlicht und ergreifend ganz deutlich verbessern. ({2}) In allen Bereichen der Pflege geht es allerdings nicht nur um Geld, sondern auch um Ressourcen an Menschen, die bereit und in der Lage sind, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen. Deswegen müssen wir uns auch noch intensiver damit befassen, wie wir hier Strukturen verbessern können. Wir haben jetzt das Pflegebudget bei den Krankenhäusern geschaffen und einen Teil der Kosten aus den DRGs herausgenommen, nicht ohne Risiken. Wenn es wie hier darum geht, Strukturen und Prozesse zu verbessern, stellen sich bei einem Budget andere Fragen als bei den DRGs. Deswegen müssen wir die Verbesserung von Prozessen in der Pflege bzw. im Krankenhaus noch mal neu diskutieren. Wir haben auch die – berechtigte – Forderung, die 3 Prozent, die bisher dafür bereitgestellt werden, zu erhöhen, um hier zu Verbesserungen zu kommen. Es geht auch um Strukturen im Krankenhausbereich. Ja, wir haben zu viele Krankenhäuser. Aber so einfach, wie es sich die Bertelsmann-Stiftung macht, ist es nicht: Es reicht nicht, einfach mehr als die Hälfte der Krankenhäuser auszuradieren. Wir brauchen Strukturverbesserungen, aber in der Form, dass wir bessere Qualitäten und Alternativangebote dort schaffen, wo vielleicht kein Krankenhaus mehr vorhanden ist, das sektorübergreifend arbeitet – SGB XI, aber auch innerhalb des SGB V sektorübergreifend –, um Netzwerke zu schaffen, damit auch die Orte, die möglicherweise kein Krankenhaus mehr haben werden, nachher tatsächlich besser und mit neuen Strukturen dastehen als bisher.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Riebsamen, Sie können gerne weitersprechen, tun das aber auf Kosten Ihrer Kollegen.

Lothar Riebsamen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004135, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Wir werden diese Fragen zu diesem Haushalt im Ausschuss beraten. Ich freue mich auf diese Beratungen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Birgit Malsack-Winkemann für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Vergeblich haben wir, die AfD, immer wieder Statistiken und Auswertungen zu flüchtlingsbedingten Kosten im Zusammenhang mit dem Gesundheitsfonds gefordert. ({0}) Geschehen ist nichts und kann es auch derzeit nicht. Denn es gibt keine aussagefähigen Zahlen, die als Grundlage für den Gesundheitsfonds dienen können. Woran liegt das? Diese Große Koalition hat jahrelang zugelassen, dass Krankenkassen und Krankenhäuser unzulässige pauschale Rechnungskürzungen – wahrscheinlich insgesamt in Höhe mehrerer Milliarden – vereinbaren und auf diese Weise Abrechnungsprüfungen umgehen. Das ist ein bodenloser Skandal auf Kosten der Beitragszahler, der Krankenkassen und des Steuerzahlers. ({1}) Der Bundesrechnungshof und das Bundesversicherungsamt und die Aufsichtsbehörden der Länder haben dann auch endlich im November 2018 die Rechtswidrigkeit dieser Vereinbarungen ausdrücklich bestätigt. Über Jahre kamen Krankenkassen ihrer Pflicht zur Prüfung der Krankenhausabrechnungen nicht nach. Sie hatten individuelle Vereinbarungen mit den Krankenhäusern über pauschale Rechnungskürzungen beschlossen und im Gegenzug auf Abrechnungsprüfungen verzichtet. Damit unterblieben auch die für bestimmte Fälle gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Krankenkassen sind aber gesetzlich verpflichtet, eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen, wenn dies nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist. ({2}) Mit anderen Worten: Diese Vereinbarungen ermöglichen es Krankenhäusern, sich von Prüfungen durch die Krankenkassen und damit des Medizinischen Dienst freizukaufen. Wer aber hindert die Krankenhäuser, die Abzüge im Vorfeld einzukalkulieren und überhöhte Rechnungen auszustellen, vor allem, wenn sie wissen, dass eine Überprüfung ohnehin nicht stattfindet? Es wurde also ein System erschaffen und von dieser Bundesregierung jahrelang geduldet, das millionenfache Gelegenheit zum Abrechnungsbetrug ermöglicht. ({3}) Es ist ein System, in dem durch pauschalen Verzicht der Überprüfung der Krankenhausabrechnungen in Kauf genommen wurde, dass medizinische Fälle unerkannt bleiben, in denen der Medizinische Dienst eingeschaltet werden müsste. Mit anderen Worten: Derzeit haben weder die Krankenkassen noch die Bundesregierung einen genauen Überblick, mit welchen Krankheiten unsere Bevölkerung in welchem Umfang wirklich zu tun hat - ({4}) ein Skandal und eine kaum zu übertreffende Verantwortungslosigkeit jedem einzelnen Bürger unseres Landes gegenüber. ({5}) Und es geht weiter: Da die so gewonnenen Daten die Grundlage für die Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds bilden, sind alle Berechnungen, die dem Gesundheitsfonds derzeit zugrunde liegen, unbrauchbar, Makulatur, schlicht und einfach für die Katz. Und was macht diese Bundesregierung? Sie lässt sich Zeit. Erst am 17. Juli 2019, also in der Sommerpause, wurde vom Kabinett der Entwurf eines Reformgesetzes beschlossen, um eine gesetzliche Klarstellung des Verbots dieser im November 2018 endlich als unzulässig erkannten Vereinbarung in die Wege zu leiten. Jahrealte Abrechnungen müssen jetzt überprüft werden, um Abrechnungsfehler und vor allem Betrügereien zu entdecken, die zu einem Schaden von vielen Milliarden Euro geführt haben können. Wie viele Millionen kostet diese Aufarbeitung den Steuerzahler – denn wer sonst soll das alles bezahlen? Wie können Sie von Bürgern Gesetzestreue erwarten, wenn Sie selbst so grob fahrlässig mit der Gesundheit und dem Geld unserer Bürger umgehen? Wie können Sie bei dieser Sach- und Rechtslage zuverlässige Aussagen über den Finanzbedarf des Gesundheitsfonds treffen? Last, but not least: Nach den neuesten Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind Erkrankungen an Hepatitis B im letzten Jahr weiter explosiv gestiegen. Hepatitis B zählt bei chronischem Verlauf zu den bedeutendsten Ursachen von Leberzellkarzinomen, ({6}) und der Tod als Folge hiervon rangiert weltweit auf Platz zwei der krebsbedingten Todesursachen. Rechnet man die diesjährigen Zahlen des RKI hoch, kommt man auf 5 560 Fälle. Das bedeutet von 2018 zu 2019 eine Steigerung von circa 20 Prozent, also eine Steigerung von circa 635 Prozent seit 2014, als es in Deutschland nur 755 Fälle gab. Bei Asylsuchenden kamen 2017  62 Prozent aus Afrika und 29 Prozent aus Asien, vorwiegend aus Syrien und Afghanistan. ({7}) Aktuelle Studien aus Deutschland zeigen laut RKI für Personen mit Migrationshintergrund, dass 80 Prozent ihrer Erkrankungen an einer aktiven Hepatitis B unbekannt war und dass sie auch nicht wussten, wie Hepatitis B übertragen wird. Wir, die AfD, fordern daher gezielte Screeningmaßnahmen bei Asylsuchenden; ({8}) denn die Dunkelziffer der Infizierten birgt wie bei HIV und Tuberkulose ein schreckliches epidemiologisches Potenzial. ({9}) Oder sollen solche Fälle wie der im September 2017 in Dresden gehäuft auftreten, Herr Spahn, wo nach der Entdeckung eines aktiven TB-Falls circa 2 000 Kontaktpersonen ermittelt wurden und über 3 000 Blutentnahmen erfolgt sind? Damals wurden 120 latente tuberkulöse Infektionen und sieben aktive Tuberkulosen ermittelt. ({10}) Wir, die AfD, brechen diese Schweigespirale. Unsere Bevölkerung muss vor derartigen Krankheiten geschützt werden, und das nicht nur wegen der exorbitant hohen Kosten. ({11}) Und wie oft müssen wir, die AfD, noch auf diese für jedermann offenkundigen Gefahren hinweisen, bis auch Sie, die Sie hier alle sitzen, endlich handeln? ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Malsack-Winkemann, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich bin gleich fertig. – Fakten hören nicht auf, zu existieren, nur weil sie ignoriert werden. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sonja Amalie Steffen für die SPD-Fraktion. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Tief durchatmen, wir verlassen jetzt wieder das Land der gruseligen Horrormärchen ({0}) und kehren zur Realität zurück, nämlich zur Haushaltsdebatte. ({1}) Der Entwurf des Haushalts für das Bundesministerium für Gesundheit umfasst für das Jahr 2020 Gesamtausgaben in Höhe von 15,3 Milliarden Euro. Von dieser großen Summe werden sogleich 14,5 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds für die gesetzliche Krankenversicherung gesteckt. Es bleiben also noch 800 Millionen Euro übrig, über die das Parlament zu entscheiden hat. Ich möchte einige Punkte herausgreifen; meine Kollegin Sabine Dittmar sagte „Feinheiten“ dazu. Ich möchte eher sagen, dass es Punkte sind, die mir als Haushälterin unter den Nägeln brennen. Herr Minister Spahn, Sie wissen, Sie haben die volle Unterstützung des gesamten Hauses, wenn es um die Gewinnung von medizinischem Fachpersonal geht. Wir haben es heute schon gehört: Durch die Konzertierte Aktion Pflege wurden 13 000 zusätzliche Pflegestellen geschaffen. Wir wissen, dass die Zahl der benötigten Pflegestellen wesentlich höher ist. Dramatisch: Aber es fehlen im Augenblick die Menschen für diese Stellen, das Fachpersonal. Wir dürfen hier nicht den Fehler machen, dass wir Krankenhäuser und ambulante Pflegedienste gegeneinander ausspielen; denn wir haben nichts gewonnen, wenn den Pflegediensten das Fachpersonal wegläuft und in die Krankenhäuser geht, weil es dort besser bezahlt wird. Ich weiß, wovon ich rede; denn ich komme aus einem ländlich geprägten Wahlkreis. Wir brauchen deshalb unbedingt zusätzliche Fachkräfte. Das funktioniert – da habe ich sehr viel Vertrauen in unsere guten Ministerien, in unsere sehr guten Ministerinnen und Minister – über verschiedene Instrumente, beispielsweise über die Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge. Trotzdem ist es notwendig und richtig, dass wir auch ausländische Fachkräfte gewinnen. Ihr Haus will den Etat für die Qualifizierung ausländischer Pflegekräfte verdoppeln. Wir von der SPD-Fraktion begrüßen das ausdrücklich. ({2}) Kommen wir zum nächsten Punkt. Sie wollen einen neuen Titel schaffen für ein nationales Gesundheitsportal. Was steckt dahinter? Es handelt sich hier um eine Forderung aus dem Koalitionsvertrag, dass Gesundheitsinformationen bereitgestellt werden sollen, die qualitativ hochwertig und zugleich für alle Bürgerinnen und Bürger gut verständlich sein sollen, also eine Art „Dr. Google“, aber eben auf wissenschaftlichem Niveau und leicht verständlich. Die Idee ist gut und richtig. Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen darauf achten, keine Parallelstrukturen zu schaffen, weil es ja auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt. Deshalb müssen wir an dieser Stelle dafür sorgen, dass das alles so richtig ist. Aber grundsätzlich begrüßen wir diesen neuen Titel. Sie, Herr Minister, haben selbstverständlich auch unsere volle Unterstützung, die volle Unterstützung der SPD-Fraktion, wenn es um das internationale Gesundheitswesen geht. Dieser Titel steigt laut Entwurf um 11 Millionen Euro auf insgesamt 121,5 Millionen Euro. Die globale Gesundheit ist extrem wichtig. Es gibt gerade wieder einen Ebolaausbruch im Kongo mit bereits 2 000 Toten in diesem Jahr. Das ist sehr schlimm in einem der ärmsten Länder der Welt. Wir wissen, dass diese Erkrankung sehr schnell zu einer humanitären Katastrophe führt. Wir müssen da unbedingt helfen. ({3}) Ich habe in den vergangenen Haushaltsberatungen schon häufig über Polio geredet. Dank Rotary und dank GPEI ist die Kinderlähmung weltweit fast ausgerottet. Ich weiß nicht, ob sich der eine oder andere noch erinnert: Noch vor 30 Jahren hatten wir pro Jahr 350 000 Fälle von Kinderlähmung. Und jetzt ist diese Krankheit nahezu ausgerottet, um 99,9 Prozent reduziert. Dennoch gibt es weltweit immer wieder Ausbrüche, in Pakistan, in Afghanistan und jetzt auch in Nigeria. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass diese Kampagne weiter unterstützt wird. Ich weiß, Herr Minister, dass in Ihrem Haus darüber nachgedacht wird, ob die Bekämpfung von Polio bei Ihnen untergebracht werden soll. Sie können jedenfalls damit rechnen, dass meine/unsere Unterstützung Ihnen in diesem Bereich gewiss ist. ({4}) Ein letzter Punkt, den ich noch erwähnen möchte: die Neuregelung der Organspende. Wir wissen, wir haben eine sehr schwere, auch ethisch bedeutsame Entscheidung vor uns. Noch im Herbst dieses Jahres werden wir über die Neuregelung der Organspende entscheiden. Die Kosten dafür haben wir noch nicht im Haushalt eingepreist; das konnten wir auch gar nicht; denn es ist kostenmäßig mit großen Unterschieden verbunden, ob wir uns letztendlich für die Entscheidungslösung oder für die Widerspruchslösung aussprechen werden. Deshalb ist diese Stelle offen. Ich weiß nicht, ob wir es schaffen, diese Kosten bis zum Ende der Haushaltsberatungen in den Haushalt einzustellen; jedenfalls müssen wir darauf achten. Im Zusammenhang mit dem Thema Organspende will ich noch ein Projekt erwähnen, das der SPD-Fraktion besonders am Herzen liegt, und zwar die Ausrichtung der Olympischen Spiele für Organtransplantierte. Wir wollen gerne – meine Kollegin Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses, hat sich hierfür sehr eingesetzt –, dass diese Olympischen Spiele nach Deutschland kommen. Wir denken, damit können wir ein Zeichen setzen, dass wir Organtransplantation nicht nur in der Gesetzgebung unterstützen, sondern Organtransplantation auch im praktischen Leben auf dem Schirm haben. An dieser Stelle haben Sie auch unsere Unterstützung. Ich bin sicher, dass wir sehr spannende Beratungen haben werden, und freue mich dann auf die zweite/dritte Lesung. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Nicole Westig das Wort. ({0})

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Umtriebig ist er, der Gesundheitsminister, ({0}) er hat viel auf den Weg gebracht, ({1}) viel Kostenträchtiges: Die bisherige Gesetzgebung schlägt bei der GKV bis 2022 mit Mehrausgaben von über 23 Milliarden Euro zu Buche. Die soziale Pflegeversicherung wurde ebenfalls mit knapp 1 Milliarde Euro belastet. Weitere teure Gesetzesvorhaben sind bereits vom Kabinett beschlossen. Die Menschen in Deutschland sind grundsätzlich bereit, in ihre Gesundheit zu investieren – aber es muss nachhaltig sein. Die gesetzlichen Krankenkassen haben aktuell zum Glück hohe Rücklagen. Doch wir müssen uns darauf einrichten, dass die Beiträge nicht mehr so wie bisher sprudeln. Eine Politik mit immer mehr Leistungsausweitungen wird uns deshalb früher oder später einholen. Gerade in der Pflegeversicherung verschleiern Beitragsanhebungen und zusätzliche Kosten das Prinzip der Teilleistung. So ist nur wenigen Bürgerinnen und Bürgern bewusst, dass sie bei Pflegebedürftigkeit eben nicht vollständig abgesichert sind, dass es am besten wäre, frühzeitig zusätzlich vorzusorgen. Wir brauchen deshalb eine ehrliche Politik. Von Transparenz bei den Kosten des Einzelnen für Gesundheit und Pflege sind wir weit entfernt. ({2}) Die Wirksamkeit der Gesetze lässt sich bezweifeln. Egal ob TSVG oder PpSG, man findet immer dasselbe Schema: mehr Bürokratie und mehr staatliche Eingriffe in das Gesundheitswesen. Dabei wäre das Gegenteil richtig: konsequente Entbürokratisierung und weniger Planwirtschaft. ({3}) So überrascht nicht, wenn viele Maßnahmen einfach ins Leere laufen. Nehmen wir das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. So gut der Name klingt: Das Personal, das gestärkt werden soll, muss erst einmal vorhanden sein. Doch trotz des leergefegten Arbeitsmarktes ({4}) ist es einigen Einrichtungen gelungen, zusätzliche Pflegekräfte einzustellen. Sie haben sich durch den Bürokratiedschungel gekämpft, um die Spahn-Stellen zu beantragen. Finanziell sind sie in Vorleistung gegangen. Aber bislang wurden überhaupt erst 300 Anträge bewilligt, so die Antwort auf unsere Anfrage. Viele Einrichtungen warten deshalb seit neun Monaten auf die Refinanzierung. Herr Minister, Sie sagen: Das Geld ist da. – Das nützt überhaupt nichts, wenn die Kassen dann nicht zahlen und die Pflegeheime auf ihren Personalkosten sitzen bleiben. ({5}) So stärkt man Pflegende gewiss nicht, und es hat eine fatale Signalwirkung für die angeschlagene Pflege in Deutschland. Da Sie von „Vertrauensverlust“ sprechen: Sorgen Sie dafür, dass die Stellen schnell refinanziert werden und das Vertrauen wiederhergestellt wird! ({6}) Auch der Maßnahmenkatalog der Konzertierten Aktion Pflege, auf den sich auch die Kanzlerin am Mittwoch berufen hat, hilft wenig weiter. Es war sicher gut, alle Akteure an einen Tisch zu bringen, um einen gemeinsamen Fahrplan zu entwickeln. Mit Blick auf das magere und wenig konkrete Ergebnis kann man aber nur sagen: Leider eine große Chance vertan! ({7}) Dort ist vieles unkonkret; vieles wurde sowieso schon umgesetzt. ({8}) Also: Der große Wurf ist es nicht; es ist eher wieder ein Klein-Klein. ({9}) Gut und richtig ist auch das Vorhaben, die Kinder von Pflegebedürftigen finanziell zu entlasten. Allerdings sollte sich die Bundesregierung nur dann dafür abfeiern, wenn sie auch ein entsprechendes Finanzkonzept präsentieren kann. Entlastung für Bürgerinnen und Bürger auf den Weg zu bringen, die Kosten dafür dann aber einseitig auf die Kommunen abzuwälzen, das ist unredlich und widerspricht dem Konnexitätsprinzip. ({10}) Fazit: Es ist richtig, Geld in die gesundheitliche Versorgung in unserem Land zu investieren; dies sollte jedoch mit Weitsicht geschehen. Sie haben gesagt: Wir versprechen nicht das Blaue vom Himmel. – Wir wissen aber, dass die gute Wirtschaftslage Einbrüche erlebt. Was passiert, wenn die Einnahmen zurückgehen, die Ausgaben aber steigen werden? Weiter steigende Beiträge sind keine Lösung. Die Regierung wird nicht an den wohlklingenden Namen ihrer Gesetze gemessen werden, sondern an einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Politik, die auch nachfolgenden Generationen gerecht wird. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke. ({0})

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja bereits mehrmals erwähnt worden: Man kann Minister Spahn mit Sicherheit keine Untätigkeit vorwerfen. Es ist ja Herbst – Zeit der Laubbläser. Mich erinnert das Handeln des Ministers schon etwas an einen Laubbläser: sehr laut, unüberhörbar, immer Aufmerksamkeit auf sich ziehend. Aber am Ende löst er die Probleme nicht, sondern bläst sie nur auf einen anderen Haufen. ({0}) Das kann man zum Beispiel an der Situation der Pflege sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege belegen: viele Ankündigungen, Initiativen, konzertierte Aktionen, Verordnungen, Gesetze; aber wenig Wirkung, kaum ein spürbarer Fortschritt. Über die 13 000 Stellen für die medizinische Behandlungspflege in den Seniorenheimen ist ja bereits geredet worden. Real gibt es keine 300 davon; besetzt ist noch keine einzige. Das ist die Situation, die wir jetzt haben. Ich befürchte, es wird auch bis zum Ende der Legislaturperiode nicht besser. Ein anderes Beispiel sind die Pflegepersonaluntergrenzen in den sogenannten pflegeintensiven Bereichen in den Krankenhäusern. Ja, jetzt im zweiten Quartal, nachdem das scharfgestellt wurde, haben wir eine Erfüllungsquote von 96 Prozent. Aber wie? Einmal durch Zusammenlegen von Stationen, Abziehen von Pflegepersonal aus anderen Bereichen, Bettenschließungen mit echten Versorgungslücken, teilweise Absenkung auf die Untergrenzen von besser am Pflegebedarf der Patienten ausgerichteter Pflegeausstattung. Ein weiteres Beispiel: die Pflegebudgets ab 2020. Wir haben zunächst einmal sehr begrüßt, dass die Pflege aus den DRG-Fallpauschalen herausgenommen wird. In den Detailfragen wird es jedoch wieder richtig kompliziert, und es werden Folgeprobleme, die man kaum erwartet hat, geschaffen. Es erscheint zumindest sehr fraglich, ob bis Jahresanfang 2020 alles steht. Die Pauschale pro Pflegetag, die dann als Überbrückung vorgesehen ist, wird zusammen mit anderen Problemen so manches Krankenhaus in eine akute Finanznot bringen. Ebenfalls erweist sich die versprochene vollständige Refinanzierung der Tariferhöhungen bei den Pflegekräften in der Umsetzung als Mogelpackung und verschärft damit die Finanznot so mancher Krankenhäuser zusätzlich. Es gibt einen allgemeinen Unmut über die Situation in den Krankenhäusern. Im Krankenhaussystem verhalten sich alle mehr oder weniger systemlogisch; aber dieses System ist hochproblematisch geworden und funktioniert immer weniger im Sinne dessen, was es leisten soll, nämlich eine gute, qualitativ hochwertige stationäre medizinische Versorgung für die Menschen. ({1}) Es gibt zu viele Aspekte, die ein gemeinwohlorientiertes Ziel überlagern. Die Krankenhäuser stehen untereinander in einem Hyperwettbewerb um Patienten, bei denen sie möglichst lukrative Fallpauschalen abrechnen können. Die ökonomische Frage überlagert die medizinischen Versorgungsfragen und beschädigt die medizinische Ethik. Inzwischen ist rund ein Drittel der Krankenhäuser in privater Hand, und dann kommt die Gewinnerzielungsabsicht als vorrangiges Ziel hinzu und führt zu einer weiteren Kommerzialisierung. Nach 16 Jahren Finanzierung mit Fallpauschalen bei gleichzeitigem Herunterfahren der Mittel der Länder für die Investitionsförderung und ständigem stückhaftem Nachbessern bei den unbeabsichtigten Folgen dieser Form der Finanzierung ist das ganze System in einer wirklich schweren Krise. Das bleibt der Öffentlichkeit nicht verborgen – einige Beispiele sind bereits genannt worden –: Es gibt die Reportagen von „Team Wallraff“; es gibt den Film „Der marktgerechte Patient“, der inzwischen über 100-mal in Deutschland gezeigt worden ist; es gibt die aktuelle „Stern“-Serie; es gibt das Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“; es gibt landauf, landab Aktionen und Streiks der Pflegekräfte für Entlastungstarifverträge; es gibt einen Beschluss des letzten Ärztetages, nach dem das DRG-System die Gesundheit von Beschäftigten und Patientinnen und Patienten gefährdet; es gibt entsprechende Beschlüsse des Marburger Bundes, des Verbandes der Krankenhausdirektoren, des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte usw. usf. Insgesamt ist es, denke ich, absolut wichtig, noch einmal herauszustellen: Ein Krankenhaus muss keine Gewinne machen! ({2}) Die Krankenhäuser in diesem Land – damit schließe ich – sind von den Bürgern finanziert und geschaffen worden, um für Bürger eine entsprechende medizinische Versorgung zu ermöglichen. Sie werden nach wie vor aus Steuermitteln und Versicherungsbeiträgen finanziert. Sie sind genauso wie viele andere Bereiche – Feuerwehr usw. usf. – ein Teil der Daseinsvorsorge, in der eine Orientierung auf Gewinne völlig unangebracht ist. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Weinberg, Sie müssen zum Schluss kommen.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist an der Zeit, dass die Bürgerinnen und Bürger sich ihre Krankenhäuser zurückholen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Dr. Kirsten Kappert-Gonther das Wort. ({0})

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004773, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren warnen Pflegekräfte vor Engpässen in unserem Gesundheitssystem: auf Twitter, auf der Straße, überall. Kürzlich haben sich auch Ärztinnen und Ärzte zu einem Aufruf zusammengetan. Sie fordern zu Recht, dass die Gelder so eingesetzt werden, dass sie den Patientinnen und Patienten bestmöglich zugutekommen. ({0}) Nun kann man sich fragen: Ist das denn nicht selbstverständlich? Leider nein. Unterversorgung, Fehlversorgung und auch Überversorgung sind noch zu oft an der Tagesordnung. Das schadet den Patientinnen und Patienten, und das dürfen wir uns nicht länger leisten. ({1}) Hier zu wenig und da zu viel, das heißt Über-, Unter- und Fehlversorgung, das sehen wir auch in dem Bereich, der nun wirklich uns alle betrifft, nämlich in der Geburtshilfe. Wir alle sind einmal geboren worden, meistens mit der Hilfe einer Hebamme. Es gibt zu viele medizinisch nicht notwendige Kaiserschnitte und gleichzeitig zu wenige Hebammen, die den Gebärenden eins zu eins zur Seite stehen: ({2}) Die Bedürfnisse von Frauen gehören endlich ins Zentrum der Geburtshilfe! ({3}) Doch was machen Sie, Herr Spahn? Sie verschwenden viel Geld für eine Abtreibungsstudie. Das ist doch ein Hohn! Nur dank des Einsatzes vieler Frauen konnte hier das Schlimmste verhindert werden. Der § 219 gehört endlich abgeschafft! ({4}) Frauen müssen ihre reproduktiven Selbstbestimmungsrechte wahrnehmen und auch einfordern können, genauso wie ihre Rechte rund um die Geburt. Endlich wird Deutschland allen anderen EU-Ländern folgen und lässt Hebammen künftig generell studieren. Gut für werdende Mütter, gut für die Hebammen. Es kann aber nicht sein, dass sich die Bundesregierung bei der Finanzierung jetzt einfach einen schlanken Fuß macht. Und wie sieht es bei der Notfallversorgung aus? Es ist gut, Herr Minister Spahn, dass Sie auch hier grüne Vorschläge aufgreifen. Patientinnen und Patienten brauchen klare Angebote, wo sie im Notfall die passende Hilfe finden. Der ewige Konflikt zwischen der niedergelassenen Ärzteschaft und den Krankenhäusern, während die Patientinnen und Patienten in den überfüllten Notaufnahmen sitzen, muss endlich ein Ende haben. Aber auch hier: Die Länder brauchen jetzt eine Anschubfinanzierung, um integrierte Notfallzentren etablieren zu können. ({5}) Viel zu oft denken Akteure im Gesundheitswesen in abgeschotteten Bereichen. Dabei ist Gesundheit ein Querschnittsthema: „Health in All Policies“ – wie die WHO sagt –, Gesundheit in allen Bereichen. Im Haushalt des Gesundheitsministeriums sehen wir davon viel zu wenig. Klimaschutz, Mobilität, Ernährungswende – wir Grüne streiten für diese Themen auch deshalb so vehement, weil es um die Gesundheit von uns allen geht. Wer ist denn besonders betroffen von Feinstaub und der Erderhitzung? Es sind Menschen, die wenig Geld haben, die an den großen Straßen wohnen und nicht einfach woanders hinziehen können. 490 Hitzetote gab es letztes Jahr in Berlin. Arme Menschen sterben in unserem reichen Land viel früher als gut situierte. ({6}) Sind Sie arm und eine Frau, tragen Sie sogar ein doppeltes Risiko. Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Sie steht in der Verantwortung, eine gute Gesundheitsversorgung und eine gute Pflege für alle zu sichern. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Eigentlich könnte eine Haushaltsdebatte im Bereich Gesundheit eine sehr kurze Diskussion sein: 15,3 Milliarden Euro Volumen, 14,5 Milliarden Euro Zwangszuweisung zum Gesundheitsfonds. Eigentlich ist der Herr Bundesgesundheitsminister ein armer Tropf. ({0}) Aber, meine Damen und Herren, wir alle miteinander als Gesundheitspolitiker verwalten ein Riesenausgabenvolumen – 125 Milliarden Euro allein im ersten Halbjahr 2019 –, nämlich das der GKV, der gesetzlichen Krankenversicherung. Es geht um Versicherungsgelder, es geht um das Gesundheitswesen, für das wir Verantwortung tragen. Aber wir tragen natürlich auch Verantwortung für die Lohnnebenkosten. Da haben wir, glaube ich, ganz gut gewirkt. Wir tun das zusammen mit den Selbstverwaltungsorganen. Das funktioniert manchmal gut, manchmal funktioniert es schlecht. Ich will auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der zwar ein Randaspekt ist, der mir aber besonders wichtig ist. Ich will betonen, dass wir auch in dieser Legislaturperiode gelegentlich in die Selbstverwaltung eingegriffen haben: dort, wo es zu träge war, dort, wo keine Entscheidungen getroffen werden. Das zeichnet mutige Gesundheitspolitik aus. Wir korrigieren dann, wenn es am Ende auf Schiedsgerichte ankommt. Nun hat die FDP den Gesundheitsminister „umtriebig“ genannt. Die Linke hat vom „Laubbläser“ gesprochen. Mir fällt dazu der neue Besen ein, der üblicherweise gut kehrt. Dieser Minister ist ein mutiger Minister. Ich hätte gewollt, dass das der eine oder andere mal sagt. ({1}) Wenn Sie es nicht glauben, schauen Sie sich zum Beispiel das an, was er im Bereich der gematik gemacht hat. Es ist eine Schande, dass wir Jahrzehnte gebraucht haben, bis die Digitalisierung langsam und schrittweise im Gesundheitswesen ankommt. Der Minister ist da auf einem ausgezeichneten Weg, und wir wollen das unterstützen. Meine Damen und Herren, Datenschutz ist in einem sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswesen natürlich ein wichtiges Thema; ganz unstrittig. Aber wir müssen den Datenschutz so organisieren, dass er am Schluss nicht beispielsweise der Forschung im Wege steht und er nicht einen Beitrag dazu leistet, dass uns die Datenbasis fehlt und wir mit Fortschritten im gesundheitlichen Bereich nicht vorankommen. Das halte ich für ganz wichtig. Deshalb steht das Digitale-Versorgung-Gesetz auf dem Plan. Ich glaube, dass wir da einen wichtigen und großen Schritt tun. Das sage ich all jenen, die eben nach dem großen Wurf gefragt haben und ihn nicht sehen können. ({2}) Des Weiteren merke ich, dass hier alle miteinander das Thema Pflege umtreibt. Das ist bei uns genauso. Das ist ein Topthema. Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Ich hätte mir von der Opposition gewünscht, dass sie auch sagt: Da ist eine Menge geschehen. ({3}) Es ist wirklich eine Menge. Das haben Sie nicht gemacht. Sie haben sich nur beklagt, es gebe zu wenige Arbeitsplätze. Das stimmt. Aber das, was wir hier zunächst beeinflussen können, sind die Rahmenbedingungen. Da haben wir eine ganze Menge gemacht. Ich will einen Punkt herausgreifen, den ich für besonders wichtig halte: Wir haben im Krankenhausbereich die gesamte Pflege aus den DRGs, aus der Fallpauschalenfinanzierung herausgenommen. Wir setzen uns in Zukunft nicht mehr dem Vorwurf aus, dass hier zwangsbewirtschaftet wird, sondern werden das alles refinanzieren, und zwar komplett. Das passiert zum 1. Januar 2020. Ich sage das deshalb explizit, weil manche jetzt schon wieder lamentieren und sagen: Da kommt nichts. – Wir haben bis dahin eine Lücke. Ich bin guter Dinge, dass es uns gelingt, auch im Hinblick auf diese Lücke etwas zu tun. Das ist ganz wichtig; ab dem 1. Januar 2020 ist die Voraussetzung sehr, sehr gut. Wir werden uns im Krankenhausbereich dann mit Themen wie der Grundversorgung beschäftigen müssen und der Frage: Wie adressiert man das richtig, wie macht man das? Dazu gehört auch die Frage der Verteilung: ambulant oder stationär? – Das war vorhin bei einem Redner Thema. Dafür haben wir die Grundlagen geschaffen. Ich sage, die Bürger wollen nicht wissen, was wir gemacht haben, sondern was kommt. Da ist eine Menge in der Pipeline. Ich verweise auf die Masernimpfpflicht. Ich weiß, dass das in bestimmten Bevölkerungsteilen extrem umstritten ist. Es ist aber angesichts der Risiken, die von dieser Krankheit ausgehen, und der hohen Ansteckungsgefahr der richtige Schritt. Auch das ist mutig. Das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen. ({4}) Wir unterhalten uns über eine Lösung im Bereich der Organspende. Wir haben die organisatorischen Grundlagen geschaffen, damit da mehr kommen kann. Ich persönlich – das sage ich Ihnen ganz offen – trete für die Widerspruchslösung ein; denn ich glaube, an dieser Stelle brauchen wir wirklich den großen Wurf. Die Widerspruchslösung ist etwas, was man aus meiner Sicht machen kann. Der Minister hat das Thema Apothekenversorgung angesprochen. Das ist mir ein ganz besonderes Anliegen. Viele von uns – manche nicht – unterschätzen das Risiko an dieser Stelle; das sage ich ganz deutlich. Wir sind an einem Punkt, an dem man deutlich sehen kann, was der Onlinehandel aus dem Einzelhandel gemacht hat. Und wir alle können uns doch vorstellen, was es heißt, wenn dasselbe mit den Apotheken, die einen anderen Anspruch als nur Distribution haben, passiert. Deshalb ist das, was wir hier gemeinsam auf den Weg bringen wollen, nicht zu unterschätzen: eine gleiche Wettbewerbsbasis mit dem Versandhandel auf der einen Seite, aber auch die Stärkung der Strukturen vor Ort. Das ist ganz wichtig. ({5}) Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Hebammenausbildung sagen: Akademisierung ist nicht immer das Mittel der Wahl. Vielfach wird es uns von der Europäischen Union ins Konzept gespült. So wie wir es jetzt vorhaben, als duales Studium, ist die Ausbildung praxisgebunden. ({6}) Das kann man so machen. Wir müssen aber auch überlegen, wie man das so organisieren kann, dass nicht diejenigen, die jahrelang diesen Job gemacht haben, die viel Erfahrung haben, jetzt plötzlich benachteiligt werden gegenüber den Jungen, die akademisch ausgebildet nachkommen. ({7}) Praxis zählt, gerade im Gesundheitsbereich. Vielen herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Bärbel Bas für die SPD-Fraktion. ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, der Haushaltsentwurf, der uns vorliegt, zeigt deutlich, welche Prioritäten wir gesetzt haben. Ein Thema – das wurde schon angesprochen – ist natürlich der Bereich Pflege: Mit 13 000 Stellen, die wir geschaffen haben, haben wir einen wichtigen Punkt gesetzt. Ich sage für meine Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion aber auch, dass wir jetzt genau hinschauen müssen, ob wir diese Stellen auch besetzt kriegen. ({0}) Ich glaube, dass diejenigen, die diese Anträge bearbeiten, ein bisschen zögerlich sind, unseren politischen Willen umzusetzen. Das sage ich auch in Richtung der Vertragspartner und der Krankenkassen. Es ist wichtig, dass wir hier noch einmal genau hinschauen, im Zweifel sogar nachbessern; denn wir wollen, dass diese 13 000 Stellen besetzt werden. ({1}) Gemeinsam ist uns auch wichtig, dass wir die Angehörigen jetzt entlasten. Das Gesetz dafür bringen wir bald auf den Weg. Viele haben Angst davor, dass sie in eine Situation geraten, in der sie mit ihrem Einkommen und ihrem privaten Vermögen für die vollstationäre Pflege von Angehörigen haften müssen. Es ist, glaube ich, ein wichtiger Schritt, das anzugehen. Wir haben vorhin schon davon gesprochen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger entlasten können. Wir setzen hier einen wichtigen Punkt und geben den Menschen eine Möglichkeit, sicher für die Pflege zu sorgen. Wir ziehen die Grenze bei 100 000 Euro Jahreseinkommen. Erst ab dieser Grenze sollen die Sozialämter auf die Angehörigen zurückgreifen können. Bis dahin stellen wir die Bürgerinnen und Bürger frei und entlasten sie im Pflegefall von einer finanziellen Sorge. ({2}) Machen wir uns aber nichts vor: Ein wichtiger Punkt ist auch, dass wir mit der Teilkaskofinanzierung der Pflege – wir haben gerade über die Finanzierung gesprochen – langfristig nicht weiterkommen. Wir alle wollen noch viel mehr in die Pflege investieren. Wir wollen höhere Löhne. Deshalb müssen wir diesen Bereich solidarisch finanzieren. Es wundert mich schon, dass die FDP nicht einmal erwähnt, dass wir im Bereich der privaten Pflegeversicherung Rücklagen in Höhe von 34 Milliarden Euro haben, die nicht in die Versorgung gehen, die nicht abgerufen und nicht für die Pflege genutzt werden. Deshalb ist es sinnvoll, über eine Pflegebürgerversicherung nachzudenken – ob Ihnen das gefällt oder nicht. ({3}) Es macht keinen Sinn, das Geld dort liegenzulassen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. Wieland Schinnenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004874, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, dass Sie die Frage erlauben, Frau Kollegin. – Sie haben ja nun eine lange Liste mit Versprechungen vorgetragen – Stichwort „Vollkaskofinanzierung“. Haben Sie eine ungefähre Ahnung, wie viele zig Milliarden das kostet? Wie wollen Sie das finanzieren? ({0})

Bärbel Bas (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004006, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, ich habe gerade erläutert, wie wir das finanzieren. Wir werden das auf breitere Füße stellen. ({0}) Wenn alle Menschen, die von Pflege profitieren – das sind alle –, in ein System einzahlen würden, dann hätten wir die Probleme nicht. ({1}) Wir müssen diese 34 Milliarden in die Pflege stecken. Es müsste eigentlich auch ein Anliegen der privaten Pflegeversicherung sein, dass das Geld in die Versorgung fließt; denn auch die Privatversicherten profitieren davon. ({2}) Die Leistungen sind gleich. Bei der Bürgerversicherung, der Krankenversicherung, sehe ich ein, dass das Konstrukt nicht ganz einfach umzusetzen ist. Bei der Pflege ist es einfach. Die Leistungen sind gleich. Das kann man relativ schnell machen. ({3}) – Von allen habe ich nicht gesprochen, aber ich kann Ihnen noch ein paar auflisten. ({4}) Ich werde Ihnen noch ein paar Probleme nennen. Im Gegensatz zu Ihnen sind wir in der Regierung. ({5}) Wir setzen uns nicht nur mit Fantasien auseinander, sondern wir lösen auch die Probleme. (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Doch! Das war gerade Fantasie, was Sie gesagt haben! – Das ist Ihre Fantasie, weil Ihnen das nicht schmeckt. Ich bin aber gerne bereit, das weiter fortzuführen. Ich weiß, dass Sie das reizt. Deswegen habe ich das auch gemacht. ({6}) Ich nenne Ihnen ein zweites Beispiel, das uns zeigt, dass der Markt versagt. Wir haben, glaube ich, gestern im Fernsehen sehen können, welche Probleme die Antibiotikaforschung macht. Da haben wir als Staat deutlich versagt, ja. Wir haben der Pharmaindustrie den Bereich der Forschung an wirklich lebenswichtigen Medikamenten allein überlassen. An diesem Punkt müssen wir etwas korrigieren. ({7}) – Nein, es geht nicht nur um Rahmenbedingungen. ({8}) Man kann daran sehen, dass wir ein Risiko eingehen, wenn wir alles dem Markt überlassen. Wenn ein Sprecher dieser Branche den Menschen, die mit einem Keim infiziert sind, gegen den kein Antibiotikum hilft, ins Gesicht sagt: „Das rentiert sich nicht für mich; da mache ich keinen Gewinn“, dann ist das menschenverachtend und zynisch. Wir müssen an dieser Stelle deutlich reagieren und diese Forschung mit staatlichen Mitteln wieder ins Leben rufen; denn sonst kostet es Menschenleben. ({9}) Ein weiteres Thema: Ich bin dem Minister sehr dankbar dafür, dass er davon gesprochen hat, dass wir wieder Vertrauen schaffen wollen. Im Moment ist ein Referentenentwurf zu einem Gesetz im Fokus, bei dem es um Menschen in der ambulanten Intensivpflege geht. Ich sage hier ganz deutlich für die SPD-Fraktion: Mit uns wird es keine Umkehr des Vorrangs von ambulanter vor stationärer Pflege geben. ({10}) Ich möchte den Menschen heute sagen, dass wir natürlich darauf achten, dass auch bei ambulanter Intensivpflege Qualitätsstandard gewährleistet werden. Natürlich wollen wir auch, dass Menschen von Langzeitbeatmung entwöhnt werden. ({11}) Darüber werden wir uns einigen. Aber der Punkt, über den wir uns nicht einigen werden – das sage ich hier voraus –, ist, der stationären Pflege den Vorrang zu geben. Ich möchte einer Familie mit einem schwerstbehinderten Kind, das von seinen Eltern zu Hause gepflegt werden will, nicht sagen müssen: Das geht in Zukunft nur noch stationär. ({12}) Diese Angst müssen wir den Menschen nehmen, und das möchte ich heute tun. Ich bedanke mich fürs Zuhören. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Wir haben in dieser Woche in den Haushaltsberatungen von der Opposition ja schon oft gehört, wie schlecht der Haushalt ist, dass es einerseits zu wenig ist, dass es andererseits zu viel ist, dass es zu langsam geht, dass es zu schnell geht. Aber wenn man das ganze Getöse der Opposition mal beiseitelässt, muss man schon festhalten: Beim BMG läuft es momentan. 20 Gesetze – die Kollegin Dittmar hatte gesagt 18; wir sind bei 20 Gesetzen – in 18 Monaten, das ist schon ein Leistungsausweis, bei dem selbst Ihr Kollege Karl Lauterbach sagt: Was die Gesundheitspolitik angeht, gibt es doch eigentlich keinen Grund, aus der GroKo auszusteigen. – Das ist richtig, und das ist auch gut so. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Haushaltsberatungen geben uns ja auch immer die Möglichkeit, über grundsätzliche Fragen zu sprechen. Da geht es mir erstens um das Thema Prävention. Wir wissen alle und uns allen muss doch auffallen, dass sich unser Gesundheitssystem viel zu oft darauf konzentriert, zu behandeln, dem Patienten erst Hilfe zu geben, wenn der Krankheits- oder Pflegefall eingetreten ist, also wenn es oft schon viel zu spät ist. Da ist die entscheidende Frage: Was können wir in Zukunft besser machen? Wie können wir verhindern, dass der Fall, dass wir pflegebedürftig oder krank werden, überhaupt erst eintritt? Denn wir wissen genau: Wir ersparen jedem Einzelnen dadurch Leid, wir erhöhen Lebensqualität, und wir ersparen unserem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem unnötige Kosten. Da geht es insbesondere um tückische Krankheiten wie Krebs, da geht es um Krankheiten wie Diabetes, da geht es um Krankheiten wie Adipositas. Und da geht es natürlich darum, dass wir auf der einen Seite über Leuchttürme hinausdenken und andererseits alle Berufsgruppen und Bürger mitnehmen. Ich sage auch ein bisschen selbstkritisch, dass wir bei der Frage „Nationale Diabetesstrategie“ durchaus schneller zu Potte kommen müssen. ({1}) Aber wir gehen auch – und das kann man uns nicht vorhalten – kontroverse Dinge an. Der Bundesgesundheitsminister hat unter anderem ein Gesetz zur Impfvorsorge auf den Weg gebracht. Da geht es natürlich um den Impfschutz der Bevölkerung. Wir alle wissen: Das ist eine sehr emotionale Frage. Aber angesichts der Risiken müssen wir uns schon die Frage stellen: Wie finden wir den Ausgleich zwischen individueller Selbstbestimmung auf der einen Seite und einer offenen Gesellschaft auf der anderen Seite, in der ich mich darauf verlassen kann, dass sich alle gegen Risiken, die wissenschaftlich auch begründbar sind, impfen lassen? Diesen Weg gehen wir, und das ist keine einfache Diskussion. Aber sie zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist, ist das Thema „finanzielle Zukunft der Pflege“. Hier ist ja schon viel darüber gesprochen worden, dass wir im Pflegebereich, auch aufgrund des demografischen Wandels oder aufgrund der tickenden demografischen Zeitbombe, wie so häufig gesagt wird, natürlich viel mehr machen müssen. Wir müssen nicht nur Geld in die Hand nehmen. Wir müssen auch darüber sprechen, wie wir das perspektivisch unter Kostengesichtspunkten hinbekommen. Da finde ich es nicht sehr ehrlich, wenn seitens der Opposition gesagt wird: Pflege muss es zum Nulltarif geben, der Staat wird das schon machen. – Es wird von einer Vollkaskoversicherung gesprochen. Nein, wir müssen auch über die Frage sprechen: Wie können wir Pflege nachhaltig finanzieren? Wir müssen darüber sprechen, welche Eigenvorsorge jeder Einzelne treffen muss; denn der Staat kann nicht alles machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch schauen, dass wir diese individuellen Situationen so abgebildet bekommen, dass einerseits die Leistungsfähigkeit Berücksichtigung findet, andererseits in bestimmten Situationen auch solidarisch geholfen wird. Deshalb ist es auch logisch, dass wir im Haushalt beispielsweise 56 Millionen Euro für die Pflegezusatzversicherung vorgesehen haben. Ich halte das für den richtigen Weg. Das ist gut so. Ein dritter Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Thema Digitalisierung; mein Kollege Georg Nüßlein hat es schon angesprochen. Die entscheidende Frage ist: Wie bekommen wir es hin, von unserem analogen, papiergetriebenen Gesundheitssystem in die digitale Welt zu kommen? Wir reden dabei von Sachen wie besserer Vernetzung, Datennutzung, Assistenzsystemen, künstlicher Intelligenz und selbstlernenden Algorithmen. Das hört sich sehr, sehr abstrakt an. Aber um es konkret zu machen: Es geht darum, dass kein Haushaltsplan abbilden kann, wie viel Geld in unserem Gesundheitswesen durch unnötige Doppeluntersuchungen, durch unnötige Informationsverluste, durch kontraindizierte Medikation und durch Falschdiagnosen ausgegeben wird. Deshalb werden wir das Digitale-Versorgung-Gesetz auf den Weg bringen. Das ist ein gutes Gesetz. Ich hoffe da auf Ihre Unterstützung, freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen, ({3}) auf die kontroversen Diskussionen und wäre über eine serviceorientierte oder konstruktiv-orientierte Opposition sehr, sehr erfreut. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Josef Rief für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Josef Rief (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste hier im Hohen Haus und zu Hause! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Bundesgesundheitsministeriums ist im Bundeshalt nicht der größte Einzelplan, aber er setzt den Rahmen für die Ausgaben der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung sowie der Pflegeversicherung. Jeder von uns hat in seinem Leben Kontakt zum Gesundheitswesen. Gesundheit geht uns also alle an, natürlich auch die rund 5,5 Millionen Menschen, die in Deutschland im Gesundheitswesen arbeiten und diesen so wichtigen Dienst für die Gesellschaft leisten. Dafür gebührt ihnen unser aller Dank. ({0}) An dieser Stelle weisen wir – auch zu Recht – immer darauf hin: Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Das soll so bleiben. Und wir wollen in vielen Bereichen noch besser werden. Diesem Vorhaben trägt der vorgelegte Gesundheitshaushalt Rechnung. Ich möchte auch Minister Jens Spahn herzlich für sein großes Engagement in seinem Ressort danken. Es tut sich etwas in diesem schwierigen Gelände, und zwar zum Besseren. ({1}) Meine Damen und Herren, natürlich ist es die Aufgabe der Opposition, zu opponieren, wie der Name schon sagt. Aber: Was heute kam, unterstreicht geradezu die gute Politik von Ministerium und Koalition. Ich freue mich, wenn wir Haushälter unseren Beitrag dazu leisten können – bei aller gebotenen Sparsamkeit. Wir machen weiter bei der Pflege. Die Pflegekampagne wird fortgeführt. Gleichzeitig verdoppeln wir die Mittel zur Anwerbung und Ausbildung ausländischer Pflegekräfte. Neben dem Kosovo und den Philippinen soll es jetzt eine Kooperation mit den mexikanischen Pflegeschulen geben. Das Gesundheitsministerium – und das ist richtig, meine Damen und Herren – konzentriert sich dabei auf Länder, die viele junge Arbeitskräfte haben. Denn wir können natürlich nicht unseren Bedarf aus Ländern decken, denen wenige junge Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Die Anwerbung ist bereits im Gange. Die Kapazitäten zur Visaerteilung an den Botschaften müssen wir jetzt schnell ausbauen. Ich glaube, allen ist der dringende Bedarf bewusst. An fehlenden Visa kann und darf es nicht liegen. ({2}) Mit unserer Pflegekampagne versuchen wir gleichzeitig, qualifizierte Pflegekräfte, die nicht mehr als solche arbeiten, in die Pflegeberufe zurückzuholen. Fast 5 Millionen Euro setzen wir für Modellprojekte zur Verbesserung der Versorgung in der Pflege ein. Als Abgeordneter aus dem ländlichen Raum ist mir eine ordentliche ortsnahe Gesundheitsversorgung besonders wichtig. Wir haben mit dem letzten Haushalt bereits begonnen, Mittel für Universitäten bereitzustellen, die mehr Landärzte ausbilden. Auf Länderebene gibt es ebenfalls Initiativen in diese Richtung. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen unterstützen wir jetzt derartige Vorhaben. Weitere sollen auch in den alten Bundesländern folgen. ({3}) Wir planen dafür für die kommenden vier Jahre 22,5 Millionen Euro ein. Wir werden auch, meine Damen und Herren, unsere Verantwortung für die internationale Gesundheit weiter wahrnehmen. So sind in diesem Haushaltsentwurf weitere Mittel für die Weltgesundheitsorganisation vorgesehen. Das ist im Lichte von Ebola dringend geboten. Jeder Mensch weiß, dass Epidemien an Ländergrenzen nicht haltmachen. Deshalb nützt es uns, wenn wir diese Geißeln der Menschheit so schnell und so frühzeitig wie möglich eindämmen. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesundheitshaushalt setzt auch weiterhin einen Schwerpunkt auf Präventions- und Aufklärungsarbeit. Allein 63,5 Millionen Euro stehen für Themen wie Aufklärung bei Drogenmissbrauch, HIV-Prävention, Organspende, Erhöhung der Impfrate, Kindergesundheit und Diabetes zur Verfügung. Auch weiterhin ist Forschung im Gesundheitsbereich ein Schwerpunkt des Etats. Hier planen wir mit einer Steigerung von 5 Millionen Euro rund 129 Millionen Euro ein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt liegen spannende Haushaltsberatungen vor uns. Ich bin überzeugt, dass wir die kommenden Jahre stemmen und einen soliden Haushalt verabschieden, der unser Land weiter fit macht für die Zukunft. Auch dieser Einzelhaushalt ist ein Beleg für die Leistungsfähigkeit der Regierung und ein Beweis für die zukunftsorientierte Politik der sie tragenden Fraktionen. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es soll während der Rede der Abgeordneten Dr. Birgit Malsack-Winkemann eine Grenzüberschreitung gegeben haben. Ich konnte das bis zum Ablauf dieses Tagesordnungspunktes noch nicht überprüfen, da mir der vorläufige Protokollauszug noch nicht vorliegt. ({0}) Sollte dies der Fall sein, kündige ich hier die entsprechende Rüge an. Wir verlassen jetzt diesen Tagesordnungspunkt, da mir weitere Wortmeldungen zu dem Einzelplan 15 nicht vorliegen.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition hat in dieser Woche Geschlossenheit und Handlungsstärke gezeigt. Wir sind uns der Verantwortung für dieses Land bewusst. Wir arbeiten den Koalitionsvertrag ab. Die Vorhaben sind finanziert. Wir stehen zu unserem Versprechen, keine neuen Schulden zu machen. Im Kern ist es so, dass diese Große Koalition in den letzten Monaten gezeigt hat – bei aller Aufregung –, wie Inhalte umgesetzt werden. Ich glaube, dieser Haushalt spiegelt das wider. Wir haben die Einzeletats einmal durchdekliniert. Was haben wir gelernt? Wir haben gelernt, dass Herr Gauland sowie die AfD beim Thema Rente, Digitalisierung und Bildung ein Totalausfall sind, ({0}) dass sich die AfD nicht um die Wähler kümmert, aber insbesondere darum, dass die Wohlhabenden keinen Soli zahlen müssen. Das heißt, neoliberale Politik von der AfD ist eine neue Mischung. Herr Gauland, vielen Dank für die Beiträge; wir haben gelernt, dass Sie spalten können. Wir haben es erlebt. Sie können Tatsachen verdrehen, Sie können Ängste bei den Menschen in diesem Land schüren; ({1}) was Sie nicht können, ist, sauber und anständig einen Haushalt vorlegen. Das funktioniert nicht. ({2}) Bei den Grünen – – ({3}) – Erst klatschen lassen. – Bei den Grünen haben wir gelernt, dass Sie pro Jahr 35 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen wollen. ({4}) – Erst mal wollen Sie die als Schulden aufnehmen. – Dann wissen wir, dass Sie große Zahlen ins Schaufenster stellen. Bis das Geld abfließt, wird es dauern. Das heißt, wir haben hier eine reine Schaufensterpolitik. ({5}) Und wir haben feststellen können, dass Sie keine Antworten auf die Probleme haben, außer einem gemütlichen Wohlfühlgefühl, das Sie hier verbreiten wollen. Das reicht nicht. ({6}) Beim Kollegen Lindner – der heute wieder mal nicht da ist – ist es so, dass man immer noch merkt, dass er eigentlich gerne hätte – irgendwie vielleicht doch – regieren wollen, können, müssen – keine Ahnung –, aber die FDP hat sich nun entschieden, nicht regieren zu wollen. Deswegen sind Ihre Vorschläge ein bisschen armselig. Bei den Linken hatten wir das übliche „Wünsch dir was“. Was wir vorgelegt haben, ist – wenn Sie es einmal durchdeklinieren – sozial gerecht und zukunftsorientiert. Wir entlasten Menschen. Wir investieren in die Zukunft. Beim Soli werden 90 Prozent der Menschen in diesem Land entlastet. ({7}) Wir haben im kommenden Jahr eine Rekordinvestition von über 40 Milliarden Euro. ({8}) Wir geben bei der Bahn über 50 Milliarden Euro aus. Die LuFV wird verlängert auf zehn Jahre. Ich glaube, dass das vernünftig ist. ({9}) – Kollege Schneider hat wie immer recht. ({10}) Für den öffentlichen Nahverkehr haben wir die Mittel von 333 Millionen Euro auf 666 Millionen Euro erhöht, also verdoppelt. Das ist gut für U-Bahn- und Straßenbahntrassen. Wir haben viel für Kinder im Grundschulalter und für die Ganztagsbetreuung gemacht. Ich möchte mich ganz herzlich bei Franziska Giffey dafür bedanken; ein wirklicher Lichtblick dieser Koalition. ({11}) Zu nennen sind ferner das Starke-Familien-Gesetz, der soziale Wohnungsbau. Es ist so, dass die BImA zukünftig auch Wohnungen bauen will. Mit dem sozialen Arbeitsmarkt haben wir ein gutes Instrument geschaffen, mit dem wir Langzeitarbeitslosen helfen können. ({12}) Gleichzeitig ist es für uns wichtig, dass wir uns einsetzen für gleichwertige Lebensverhältnisse, dass wir uns kümmern werden um die Altschulden der Kommunen ({13}) und dass wir gemeinsam gucken, dass der Kohlekompromiss finanziert wird. Heißt also, dass wir zusammen mit den Ländern etwas tun werden. Ehrlicherweise muss man dazusagen – der Kollege Rehberg wird es auch noch mal tun –, dass man die Länder manchmal zu ihrem Glück zwingen muss, dass sie die Gelder dafür ausgeben, wofür sie eingestellt worden sind, dass man den Ländern dabei helfen muss, sich um das zu kümmern, wofür sie zuständig sind, zum Beispiel um die Kommunen. ({14}) Wir haben das Klimakabinett am 20. September. Da wird ein Klimapaket verabschiedet. Das ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben; das muss zum einen sozialverträglich ausgestaltet und gleichzeitig wirtschaftlich vernünftig sein. Wenn wir das hinkriegen wollen, heißt das: Das Klimakabinett kann nur der Anfang eines Prozesses sein. Wir müssen umsteuern, wenn wir diese Gesellschaft, wenn wir diese Industrienation umweltfreundlich und klimaneutral umgestalten und wirtschaftlich vernünftig und sozial ausgestalten wollen. Dabei man kann nur sagen, in welchen Bereichen man anfängt. Konkrete Einzelmaßnahmen sind nicht das, worauf ich warte. Ich warte darauf, wie man die Probleme strukturell lösen kann. Wie bekommen wir eine Beschleunigung im Planungsrecht hin? Wie ist das mit dem Verbandsklagerecht? Wie kriegen wir es hin, dass die Gelder, die in den Wohnungsbau gehen, auch abgerufen werden können? Wie können wir dafür sorgen, dass das Geld, das zur Verfügung gestellt wird, auch abgerufen wird? Wie unterstützen wir die Wirtschaft? Wie unterstützen wir den Wohnungsbau, damit klimaneutral gebaut werden kann? Dafür müssen wir diesen Staat stärken, dafür müssen wir Personal einstellen. Das wird – am Anfang eher weniger – am langen Ende Geld kosten. Das müssen wir uns angucken. Was wir allerdings nicht brauchen, ist der Vorschlag von Herrn Altmaier einer Bürgerstiftung, wo man Menschen, die dort investieren, 2 Prozent Zinsen zahlt. Das heißt, wir geben Millionären, Menschen mit viel Geld, die dort investieren, 2 Prozent Zinsen, die andere nicht kriegen. Das ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Das braucht kein Mensch. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Albrecht Glaser für die AfD-Fraktion. ({0})

Albrecht Glaser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004727, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der informationsfreien Einbringungsrede des Herrn Finanzministers erlaube ich mir, auf Fakten hinzuweisen. ({0}) Erstens: die schwarze Null, das schwarze Loch. Jeder Bürger, der ein Auto hat, eine PC-Ausstattung oder vielleicht auch nur ein elektrisches Fahrrad, weiß, worum es geht: In relativ kurzer Zeit ist er ärmer, selbst wenn er nicht mehr ausgegeben hat, als er eingenommen hat, weil alle diese Vermögensgegenstände verschleißen und sich entwerten. Der Bund hat eine gewaltige Verkehrsinfrastruktur, eine hoch-, wenngleich unterinvestierte Armee, Gebäude und EDV-Anlagen, Fahrzeugparks und vieles andere mehr. Jeder Kaufmann muss einen jährlichen Vermögensvergleich zwischen Beginn und Ende des Jahres anstellen, um zu wissen, ob er ärmer oder wohlhabender geworden ist. So verfahren auch viele Städte, Landkreise und der Heimatstadtstaat des Finanzministers. Die Mehrzahl der EU-Staaten arbeitet mit solchen kaufmännischen Haushalten, meine Damen und Herren, die deutliche Mehrheit, nicht so Deutschland. Es geht also um die Frage, wie groß dieses schwarze Loch der jährlichen Abschreibungen aller dem Werteverzehr unterliegenden Wirtschaftsgüter ist, und es geht um die Frage, wie groß der Investitionsstau ist. Den könnte man, wenn man das Erste wüsste, wunderbar beziffern. Es bleibt dabei: Ein schwarzes Loch statt einer schwarzen Null ist das Signet auch dieses Bundeshaushalts. ({1}) Zweitens: der Euro, die EZB und der Zinsfuß. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass der Notenbankgouverneur Franzose sein muss oder mindestens dem Club Med angehören muss. Man sollte diese Regelung in die EU-Verträge aufnehmen. Wir haben gelernt, dass eine Gouverneurin auch keine Ökonomin sein muss, eine bekennende Verletzerin der Verträge sein darf und in Wahrheit Politikerin ist. Dies alles stärkt unser Vertrauen in die Kompetenz und die Unabhängigkeit der Bank. Der politische Euro erhält nun, für jedermann sichtbar, seine institutionelle Vollendung. Diese Schändung der Idee einer Notenbank, meine Damen und Herren, passt zu deren Negativzinspolitik und der Tatsache, dass die EZB seit Jahren mit über 2 Billionen Euro die Euro-Staaten finanziert, obwohl jegliche Staatsfinanzierung durch die Notenbank nach Artikel 123 AEUV verboten ist. Der Bürger der Euro-Staaten kommt in diesem Trauerspiel nicht vor. Der Bürger wird Jahr für Jahr enteignet, damit die Staaten ungehindert Schulden anhäufen können. Dies hat dramatische Folgen für alle Formen monetärer Altersversorgung und, nebenbei bemerkt, den vielapostrophierten Zusammenhalt der Gesellschaft, was immer das sei. Was sich hier an sozialem Sprengstoff anhäuft, scheint den Eurokraten nicht klar zu sein. Es geht seit 2010 um einen Vermögensverlust der deutschen Sparer in Höhe von 650 Milliarden Euro. Drittens: die gesamtstaatlichen Kosten des Migrationsproblems und deren weitere Entwicklung. Eine exakte Zahl ist nicht bekannt und nicht leicht rechenbar. Wir arbeiten daran. Man wird von mindestens 50 Milliarden Euro jährlich auszugehen haben. Jährlich! Die Migrationsvorstellungen der Regierung gehen davon aus, dass auch in Zukunft Jahr für Jahr etwa 200 000 neue Immigranten ins Land kommen. Meine Damen und Herren, diese Zahl entspricht der Einwohnerzahl einer mittleren Großstadt. Demzufolge muss jährlich die öffentliche und private Infrastruktur einer deutschen Großstadt auf die Beine gestellt werden. Die jährlichen Kosten für den Bau einer neuen Stadt in dieser Größe kann sich kaum jemand vorstellen. Gerechnet hat sie aufseiten der Bundesregierung gewiss niemand. Man muss sich dann noch die Landkarte Deutschlands vorstellen und die dort vorhandenen Freiflächen anschauen, auf denen jedes Jahr eine neue Stadt gebaut werden soll. Das könnte übrigens dazu führen, dass man Windmühlen und Solarparks abräumen müsste, um versiegelte Flächen für eine neue Stadt bereitzustellen. ({2}) Viertens: die Ausgaben für die EU und deren geplante Steigerungen bis 2023. Die Abführungen Deutschlands an die EU werden im Haushalt als Einnahmen dargestellt, mit einem negativen Vorzeichen; eine Sünde gegen den Verstand. Das heißt, zusammen mit anderen negativen Einnahmen in Höhe von über 60 Milliarden Euro führt diese Darstellung zur optischen Verkürzung der tatsächlichen Einnahmen des Haushaltes und zugleich zu einer optischen Verminderung der Ausgaben in gleicher Höhe. Die Zahlenangaben hierzu in allen Haushaltstexten und Presseveröffentlichungen, meine Damen und Herren, sind falsch. Die Leitprinzipien allen Haushaltsrechts – Klarheit, Wahrheit, Transparenz, Verbot der Saldierung von Einnahmen und Ausgaben – werden mit Füßen getreten. Die Eckwerte des Haushaltes 2020 auf der Einnahme- wie der Ausgabenseite betragen also nicht etwa 360 Milliarden Euro, wie uns glauben gemacht wird, sondern 421,5 Milliarden. Das ist das Haushaltsvolumen, über das wir beraten und entscheiden. ({3}) Die geschilderte Darstellungsweise wird wohl deshalb gewählt, um die Höhe der deutschen EU-Beiträge zu verbergen; denn die geplante Steigerung der deutschen Umlage an die EU bis zum Zieljahr 2023 ist beispiellos. Die EU-Umlage von rund 21 Milliarden Euro im Jahr 2018 soll auf 41 Milliarden im Jahr 2023 ansteigen, also um 20 Milliarden. Das bedeutet eine Steigerung von 95 Prozent bzw. 14 Prozent per annum. Die Budgethoheit dafür wandert zur EU, während das Geld zur Lösung innerstaatlicher Fragen an allen Ecken und Enden fehlt; wir haben gerade über Gesundheit und Soziales gesprochen. Hier liegt das Geld. Nehmen Sie es! Es gibt kein Naturgesetz, wonach Rationalität und Politik Gegensätze sein müssen. Die Politik kann sich jedoch so verhalten. Eine bekannte amerikanische Historikerin nennt dies „Die Torheit der Regierenden“. Mit diesem Phänomen haben wir es hier zu tun. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. André Berghegger das Wort. ({0})

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sind in der Haushaltswoche, wir beraten den Regierungsentwurf für den Haushalt 2020, und ich denke, es ist ein guter Entwurf. Wir werden uns aber als Parlament sicherlich anstrengen und aus diesem guten Entwurf einen noch besseren Haushalt machen. Die Haushaltsplanberatungen stehen an, und Ende November wird es dann die zweite und die dritte Lesung geben. Ich habe diese Woche aufmerksam zugehört, ich habe einige Anregungen wahrgenommen, die wirklich so sind, dass man darüber nachdenken sollte. Andere Anregungen waren zumindest – höflich formuliert – interessant, und über wiederum andere, glaube ich, braucht man nicht zu reden. Der Bundesrechnungshof – diejenigen, die im Berichterstattergespräch Anfang der Woche dabei waren, wissen es – plant eine Veranstaltung mit dem Titel „Renaissance der Fakten“. Ich glaube, das passt hier ganz gut. Lassen Sie uns in den Haushaltsberatungen über Fakten reden und nicht nur über Behauptungen, die sich vielleicht gut anhören. Wir können die Fakten ja unterschiedlich bewerten, aber das sollte eine gemeinsame Grundlage sein. Worüber reden wir also? Der Haushalt hat ein Volumen von 360 Milliarden Euro – eine moderate Steigerung im Vergleich zum letzten Jahr. Seit 2014 nehmen wir keine neuen Schulden auf; wir halten also die Schuldenbremse wiederum ein. Und – nach etlichen Jahren das erste Mal – wir erfüllen auch alle Maastricht-Kriterien, und zwar insbesondere die gesamtstaatliche Verschuldungsquote; sie wird auf unter 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gedrückt. Das ist nicht nur eine einfache Zahl, sondern sie steht für Glaubwürdigkeit und insbesondere für finanzielle Stabilität. Dafür steht die Union, und vor allen Dingen steht dafür die Koalition. ({0}) Die Investitionen in diesem Haushalt sind auf hohem Niveau, rund 40 Milliarden Euro. Im Finanzplan, den wir ja nicht beschließen werden, werden sie auf einer ähnlichen Größenordnung stabilisiert. Ich habe unterschiedliche Kritik grundlegender Art gehört, zum Beispiel: Der Haushalt sei eigentlich gar nicht ausgeglichen. Das gelinge ja nur durch eine Entnahme aus der Rücklage. ({1}) Ja oder nein? Ausgeglichen oder nicht? Ich bin der festen Überzeugung, lieber Christian: Der Haushalt ist ausgeglichen, weil Rücklagen ein Mittel des Haushaltsrechts sind. ({2}) Wir verdanken die gute Befüllung dieser Rücklagen der umsichtigen Politik des damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble, und Herr Scholz führt diese Politik jetzt fort. Wenn wir der Opposition gefolgt wären, wäre das Geld schon längst weg. Wir haben für schwierigere Zeiten vorgesorgt, und davon profitieren wir jetzt. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Berghegger, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Fricke?

Dr. André Berghegger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004252, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte fortfahren. ({0}) Ein zweiter Punkt. Die Investitionsquote wird bemängelt; sie betrage nur zwischen 10 und 11 Prozent. Natürlich fände ich es besser, wenn mehr investiert würde; gar keine Frage. Aber ein Etat wird nicht allein dadurch besser, dass man mehr investiert. Entscheidend ist: Das Geld muss auch abfließen. Es muss vor Ort ankommen. Wir führen hier immer eine Diskussion über Planzahlen – das ist auch gut und richtig –, weil sie Vorstellungen wiedergeben. Aber entscheidend – das weiß jeder – sind die Ergebnisse vor Ort. Hier kommen wir zu einem Problem, das jeder eigentlich wissen müsste. Wenn wir uns die Zahlen genau angucken und fragen: „Wie viel ist denn eigentlich vom Jahr 2018 ins Jahr 2019 übertragen worden?“, dann werden wir feststellen, dass wir 20 Milliarden Euro an Resten haben. 20 Milliarden Euro sind nicht ausgegeben. Deswegen ist unsere Hausaufgabe, die wir erfüllen müssen, dass die Plan- und die Istzahlen besser zusammenpassen. Es dauert teilweise Jahre, bis Geld abfließt. Dazu einige Beispiele: Das Kommunalinvestitionsförderungsgesetz, das erste: Wer weiß noch, von wann es ist? Es ist von 2015. Wenn man sich die Positionen anschaut, die vor Ort viel Gutes bewirken – gar keine Frage! –, dann wird klar: Aus diesem Etat sind erst knapp 50 Prozent abgeflossen – aus 2015. Der soziale Wohnungsbau. Wir geben in den letzten Jahren und auch in diesem Jahr Mittel des Bundes, 1,5 Milliarden Euro. Mit der zugesagten, verabredeten Gegenfinanzierung durch die Länder könnten damit rund 45 000 Wohnungen neu gebaut werden. Wie viele sind nach Angaben der Länder im letzten Jahr entstanden? 27 000! Da ist also noch deutlich Luft nach oben. Hier gibt es eine große Bandbreite. Lieber Alois Rainer, 6 600 Wohnungen waren es in Bayern, NRW ist auf einem ähnlichen Stand. Aber ein Bundesland hat sogar gar keine neugebauten Wohnungen gemeldet. Ich werde jetzt das Saarland hier nicht erwähnen. ({1}) Setzen Sie, liebe Länder, das Geld ordnungsgemäß ein, und finanzieren Sie gegen. Dann können wir dieses wichtige Thema auch voranbringen. ({2}) Der Breitbandausbau. Über 4 Milliarden Euro stehen dafür zur Verfügung. Wir alle kennen die Beispiele aus den Wahlkreisen. Wir haben Förderbescheide bekommen für Untersuchungen und dann auch für die konkreten Baumaßnahmen. Aber wie lange dauert es denn, bis die Kabel für die Breitbandversorgung in die Erde gelegt werden und der Bürger vor Ort davon profitiert? Das ist eine Schwierigkeit, der wir uns stellen müssen. Wir haben nämlich das Problem, dass wir öffentliche Ausschreibungsvorschriften haben, die man zum Teil nicht mehr nachvollziehen kann. Wir müssen Planungskapazitäten im öffentlichen wie im privaten Bereich erhöhen. Die Baukapazitäten müssen angehoben werden. Und wir müssen die Bürokratie im Auge behalten. Diese Verkrustungen, diese Investitionsbremsen müssen wir lösen, im öffentlichen wie im privaten Bereich. Alleine den Etat erhöhen ist nur eine mögliche Maßnahme, aber nicht die umfassende Lösung. Die nächste Kritik, die ich hörte: Die Schuldenbremse muss weg; je eher, desto besser. – Ich behaupte: Zum Glück steht diese Schuldenbremse in der Verfassung und nicht in irgendeinem Gesetz. ({3}) Sie ist, wenn man genauer hinschaut, auch gerade für solche Konstruktionen gedacht. Sie hat nämlich eine Konjunkturkomponente. Das heißt, sie kann atmen. Und sie hat ja auch einen Sinn: Wir wollen nachfolgende Generationen nicht überfordern. Genau deswegen ist die Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz gut und richtig gewesen. Sie steht auch für nachhaltige Finanzpolitik, so wie wir es oben beschrieben haben. Ein Wermutstropfen bleibt aber; das ist an dich, liebe Bettina, bzw. an das Finanzministerium gerichtet. Ich kann nachvollziehen – ich finde es trotzdem nicht schön –, dass der Wirtschaftsplan zum EKF zur ersten Lesung noch nicht vorgelegen hat. Wir warten auf den 20. September und die konkreten Maßnahmen. Wir wissen ja auch, dass der EKF ein Volumen von weit über 6 Milliarden Euro hat und deswegen in dieser Konstellation wichtig ist. Aber zugesagt ist, dass wir die Informationen rechtzeitig vor der zweiten und dritten Lesung bekommen. Darauf bitte ich zu achten. ({4}) Wichtig scheint mir nur zu sein, dass wir nicht nur von Klimaschutz, sondern auch von Naturschutz und vor allen Dingen von Nachhaltigkeit insgesamt sprechen und versuchen, aus diesem Gesamtpaket ambitionierte, aber realistische Ziele abzuleiten. Natürlich, liebe Grünen, finde ich es toll und wünschenswert, den Individualverkehr zu reduzieren. Aber gemach, gemach! Nicht mit Verboten, unsozialen Preisen oder mit der großstädtischen Brille! Das muss klug gemacht werden, lieber Tobias, mit Anreizen, bezahlbar für alle, vor allen Dingen auch im ländlichen Raum umsetzbar. ({5}) Der Individualverkehr vor Ort hat verschiedene Funktionen. Er ist ein Stück Lebensqualität, ein Stück Freiheit und vor allen Dingen auch ein Stück soziale, gesellschaftliche Teilhabe. Darauf legen Sie doch auch immer größten Wert. Wenn man in Berlin oder in anderen Großstädten – der Rüdiger Kruse hat es, glaube ich, diese Woche auch erwähnt – aus der Tür herausgeht, dann stolpert man relativ schnell in eine U- oder S-Bahn-Station oder Bushaltestelle und kann sofort von A nach B fahren. Im ländlichen Raum ist das etwas anders. Ich lade Sie gerne mal in meinen Wahlkreis ein. Wenn wir von Norden nach Süden einmal durchfahren, sind das anderthalb Stunden mit dem Auto. Das können wir ja mal mit dem Bus und der Bahn machen. Ich bitte nur: Kommen Sie Anfang der Woche, damit wir rechtzeitig zur Plenarsitzung wieder zurück sind. Das geht nicht so schnell. ({6}) Wir müssen vor Ort schauen, wie wir die Maßnahmen umsetzen und dabei die kommunale Selbstverwaltung und die Finanzhoheit berücksichtigen. Ich komme zu der Schlussfolgerung. Die finanzielle Klammer – das haben Johannes Kahrs und Ecki Rehberg immer wieder betont, und man kann es gar nicht oft genug wiederholen – müssen wir beachten. Der Bund hat die Länder und Kommunen in den letzten Jahren in einer nicht dagewesenen Art und Weise finanziell unterstützt, und das wird in Zukunft auch noch so fortgesetzt. Ab dem nächsten Jahr sind die Steuereinnahmen der Länder größer als die des Bundes. Das liegt insbesondere an der Übertragung der Umsatzsteueranteile, also von ungebundenem Geld, das dort zur Verfügung steht. Von diesem Jahr bis zum Jahr 2023 entsteht bei den Ländern eine Mehreinnahme von über 70 Milliarden Euro. Mit diesen zusätzlichen Mitteln kann man, glaube ich, eine ganze Menge unter Prioritätensetzung dort vor Ort leisten. Nur weil eine Aufgabe an verschiedenen Stellen im Bundesgebiet auftaucht, heißt das noch nicht, dass der Bund sie erfüllen muss. Die zuvörderst zu erledigende Aufgabe der Länder ist die ordnungsgemäße Finanzausstattung der Kommunen. Daran muss man immer wieder erinnern. ({7}) Von daher: Wir haben eine solide Grundlage mit diesem Haushaltsplanentwurf. Wir werden Prioritäten setzen. Es liegt jetzt an uns, daraus einen besseren Haushalt zu machen. Vielen Dank fürs freundliche Zuhören. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Katja Hessel das Wort. ({0})

Katja Hessel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das ist die Schlussrunde der Haushaltswoche. Am Anfang der Woche wurde der Haushalt von Bundesfinanzminister Olaf Scholz eingebracht, und diese Woche haben aber auch die Forschungsinstitute gewarnt, dass die deutsche Wirtschaft auch im dritten Quartal schrumpfen wird. Wir stehen an der Schwelle einer Rezession. Im dritten Quartal erwarten wir ein Minus von 0,3 Prozent. Damit rutscht die Konjunktur in eine technische Rezession; das sind zwei Quartale mit schrumpfender Wirtschaftsleistung. Das DIW beschreibt die Situation wie folgt – ich darf zitieren –: „Deutschlands wirtschaftliches Fundament bröckelt bedenklich.“ Daher finde ich es sehr erschreckend, dass dem Bundesfinanzminister bei der Einbringung des Haushalts dazu überhaupt nichts eingefallen ist, außer dass man vielleicht dagegenhalten wollte, falls sich die Konjunktur anders entwickelt, als man hoffe. Ich glaube, Frau Kollegin Hagedorn, man darf vom Finanzminister einer der wirtschaftsstärksten Nationen Europas etwas mehr Fantasie und vor allem auch Anstrengung erwarten, als zu sagen: Wir setzen auf das Prinzip Hoffnung. ({0}) Die Schätzungen über die bestehenden Steuereinnahmen belegen dies überdies. Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft und Mitglied im Kreis der Steuerschätzer mahnte, dass die Steuereinnahmen in den Jahren 2020 und 2021 jeweils um rund 10 Milliarden Euro niedriger ausfallen könnten, als man dies noch im Mai angenommen hat. Meine Damen und Herren, das sind deutliche Alarmzeichen, auf die Politik auch konkrete Antworten geben muss, ({1}) ein Stück mehr als das Prinzip Hoffnung. Das Schlimme ist: Die Situation ist auch nicht vom Himmel gefallen. Es war absehbar – schon seit längerer Zeit. Der Brexit, der Handelskrieg, aber auch andere Sachen stehen nicht erst seit gestern vor der Tür, sondern es zeichnet sich ab, dass unsere Wirtschaft dies alles sehr stark spüren wird. Hier ist die Abkühlung auch bereits angekommen, und es ist Aufgabe der Politik, in einer solchen Situation alles dafür zu tun, dass unser Land zukunftsfest und sicher gemacht wird. ({2}) Das ist mehr als das Prinzip Hoffnung. Wenn ich mir mal so angucke, was in den steuerlichen Bereichen, gerade bei der Einnahmesituation, in der letzten Zeit passiert ist – oder nicht passiert ist –, zeigt sich: Wir haben hier große Probleme. Eine Unternehmensteuerreform, sagt der Finanzminister, ist nicht notwendig. ({3}) Um uns herum, überall, werden die Unternehmensteuern reformiert, damit die Wirtschaft zukunftsfähig gemacht wird. Nur unser Bundesfinanzminister sagt: Ist nicht notwendig. ({4}) Abschaffung des Solidaritätszuschlages: 90 Prozent sollen davon betroffen werden. Die Kapitalgesellschaften und viele Unternehmen sind davon eben nicht betroffen. Dies wäre das richtige Signal in einer sich abzeichnenden Rezession gewesen. Hier passiert seitens des Finanzministeriums nichts. ({5}) Vielleicht an dieser Stelle auch ganz kurz: Es ist auch Danke zu sagen den Leistungsträgern dieser Nation. Was macht die SPD-Bundestagsfraktion? Sie verhöhnt sie mit tollen Bildern vom Cocktail schlürfenden, im Liegestuhl liegenden Steuerzahler. Vielen Dank dafür! ({6}) Es wäre einfach, Bürokratie abzubauen; passiert auch nicht. Wir hatten diese Woche im Finanzausschuss eine Anhörung zum Thema Grundsteuer. Ein Bürokratiemonster kommt auf uns zu. Wir brauchen mehr als 3 200 Finanzbeamte für die Umsetzung der Grundsteuer. Wo sollen diese denn bitte herkommen? Wo ist denn hier mit einer Entlastung zu rechnen? Dann schauen wir uns an, welche Schwerpunkte in diesem Haushalt gesetzt werden. Schwerpunkte für die Zukunft? Sehe ich nicht. Digitalisierung, Infrastruktur – Fehlanzeige. Bei der Bildung wird gespart: Es werden 70 Millionen Euro weniger angesetzt. Dafür haben wir aber bei den Renten und bei den Sozialleistungen einen großen Anstieg. Beim nächsten Haushalt wird wahrscheinlich mehr als ein Drittel der Mittel in die Rentenkasse fließen. Hier wären Reformen ebenfalls dringend angebracht gewesen; hier wäre auch im Haushalt entsprechend gegenzusteuern. Dann kommen wir zum Thema Solidaritätszuschlag zurück. Wahrscheinlich ist die Nichtabschaffung des Solidaritätszuschlages vollständig verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht wird darüber Anfang nächsten Jahres entscheiden können. Auch hierfür hat der Haushalt keine Vorsorge getroffen. Wir haben genau das gleiche Problem, das wir immer haben in der Steuerpolitik dieser Regierung: Wir warten darauf, dass das Bundesverfassungsgericht kommt und uns sagt, dass das, was hier entschieden worden ist, verfassungswidrig ist. Das ist keine zukunftsfähige Politik, meine Damen und Herren. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin Merkel hat ja am Mittwoch die Klimafrage zur Menschheitsfrage erklärt, und sie will nun Klimakanzlerin werden. Ich finde, das ist nach einer so langen Kanzlerschaft doch ein Vorsatz, zu dem man sagen muss: Da hätte sie doch längst schon etwas tun müssen. ({0}) Wir reden eine ganze Woche lang über den Haushalt; doch diese Regierung hat es über den Sommer nicht geschafft, ein Klimapaket zu schnüren. Ich finde, das ist wirklich eine mehr als schwache Leistung. ({1}) Über einen Haushalt zu reden in einer wichtigen Frage, zu der keine Zahlen vorliegen, das ist so was von unseriös; das können wir uns als Parlament hier nicht bieten lassen. ({2}) Ich sage Ihnen: Wir als Linke haben viele gute Ideen, wie wir Klima-, Umwelt-, Natur- und Artenschutz finanzieren können. An erster Stelle steht eine gerechte Steuerreform. Das jetzige Steuersystem bestraft die Armen und begünstigt die Reichen. 1 Prozent unserer Bevölkerung verfügt über ein Drittel des gesamten Eigentums. Das ist doch eine dramatische Schieflage. Das muss geändert werden. ({3}) Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, machen eine Steuerpolitik für die Vermögenden. Mit unserer Forderung nach einer Vermögensteuer vertreten wir übrigens die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Die neoliberale „Wirtschaftswoche“ gab eine Umfrage in Auftrag. Sie wollte wissen – O-Ton „Wirtschaftswoche“ –, „wie viel Sozialismus“ denn in den Deutschen stecke. Die Frage war: Leisten die reichsten 10 Prozent einen ausreichenden Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens? 65 Prozent sagten Nein, und 61 Prozent der Befragten sagten: Wir brauchen eine Vermögensteuer. – Richten Sie sich endlich nach der Mehrheit der Bevölkerung. ({4}) Ich glaube, eine solidarische und ökologische Steuerreform muss bei denen ansetzen, die den größten ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Nicht nur die Grünen verweisen auf umweltschädliche Subventionen, die abgebaut werden müssen; das ist richtig. Mir kommt allerdings in der gesamten Debatte immer zu kurz, dass Aufrüstung und Krieg die brutalsten Formen der Umweltzerstörung sind, und die Rüstungsindustrie wird von der Bundesregierung besonders subventioniert. Das muss endlich ein Ende haben. ({5}) Die Rüstungsindustrie kann Mondpreise aufrufen; das Verteidigungsministerium zahlt jeden Preis, egal ob die Waffen funktionieren oder nicht. Der Rüstungskonzern Rheinmetall konnte dank Bundesregierung seine Dividende von 2012 auf 2018 um 16,7 Prozent steigern. Ich finde, das ist die falsche Richtung. ({6}) Das Klimapaket muss also so sein, dass der ökologische Kriegsabdruck eine wichtige Messgröße wird. Weniger Rüstung und weniger Kriege sind ein wichtiger Schritt zu mehr Klima- und Umweltschutz. Packen wir das an. ({7}) Man kann, meine Damen und Herren, mit kleinen Schritten beginnen. Innerdeutsche Flüge werden von Bundesbeamten in hohem Maße absolviert. Im vergangenen Jahr – und die Zahlen steigen an – waren es 229 116 innerdeutsche Flüge. Gehen Sie als Vorbild voran, und streichen Sie die innerdeutschen Flüge für Bundesbeamte! Das kann man schon heute veranlassen. Dafür braucht man kein Klimakabinett. ({8}) Ein vieldiskutiertes Thema in dieser Woche war auch „Wohnungsbau und bezahlbare Mieten“. Es wurde heftig diskutiert: Was machen die da im Land Berlin? Ein Mietendeckel, ist das überhaupt rechtmäßig? – Erstens darf ich Ihnen mitteilen, dass wir ein sehr gutes Rechtsgutachten haben, das die Rechtmäßigkeit des Mietendeckels noch einmal bestätigt hat; wir haben es in dieser Woche vorgestellt. Zweitens. Die „Wirtschaftswoche“ fragte nach einer bundesweiten Einführung eines Mietendeckels. Dafür sprachen sich 53 Prozent der Befragten aus. – Wir wollen also einen Mietendeckel, und wir wollen in mehr preiswerte Wohnungen investieren. Die Investitionsbremse muss gelöst werden. Das Missverhältnis „14 Prozent Rüstungsquote und nur 11 Prozent Investitionsquote“ muss beendet werden. ({9}) In diesem Haushalt sind etliche Mittel für die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit eingestellt; erst wurden sie ja vergessen. Für uns ist wichtig, dass im Zusammenhang mit der deutschen Einheit noch einmal über die Treuhand aufgeklärt wird. Die Treuhand war die größte Arbeitsplatzvernichtungsmaschine in der deutschen Geschichte, ({10}) und darum fordert unsere Fraktion einen Treuhand-Untersuchungsausschuss. Da werden wir nicht nachlassen. Vielen Dank. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Gesine Lötzsch. – Ihnen einen schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann kommt die nächste Rednerin: Ekin Deligöz für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt würde ich auch gerne sagen „Sehr geehrter Herr Minister!“, aber er ist ja gar nicht da. Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Schön, dass Sie da sind! Ich finde es sehr interessant, dass auch in dieser Abschlussdebatte die Redner der Koalition uns Grünen vorwerfen, keine konkreten Vorschläge zu machen. ({0}) Ich finde, das zeigt eigentlich nur, was Sie hier vorgelegt haben, nämlich einen Haushalt der offenen Baustellen. Warum legen Sie nicht diese konkreten Vorschläge vor? ({1}) Herr Kollege Berghegger, Sie haben es doch selber erwähnt: Wir sind hier am Ende der Haushaltswoche und haben alle keine Ahnung, was Sie im Bereich Klimaschutz machen werden. ({2}) Wir haben keine Ahnung, wann Sie Ihre konkreten Vorschläge vorlegen werden, aber sollen schon mal darüber beraten. Sie wollen konkrete Vorschläge? Ich mache Ihnen noch einen: Lassen Sie uns doch an die klimaschädlichen Subventionen herangehen! Da können wir nicht nur Geld einsparen, sondern wirklich was gestalten. ({3}) Das wäre doch eine Alternative zu Ihrer Ideenlosigkeit und Planlosigkeit oder gar dem mangelnden Gestaltungswillen. Davon nämlich zeugt das, was Sie uns vorgelegt haben. Zu Ihrem Argument, Sie seien gar nicht strukturell im Minus. Doch, das sind Sie. Sie greifen ja nicht nur in den Etat, Sie greifen auch in die Sozialkassen. Es sind 13 Milliarden Euro, die Sie über die Absenkung der Flüchtlingsreserve und die GMA verfügbar machen. Das ist das, was bekannt ist. Was die meisten aber unter den Tisch kehren, ist: Sie greifen auch in die Rentenkasse. Glauben Sie denn wirklich, die Mütterrente finanziert sich von allein? ({4}) 10 Milliarden Euro, die vom Himmel herabfallen? Das geht zulasten der Versicherten, und auch das ist Teil Ihres strukturellen Minus. Machen Sie sich da doch mal ehrlich! Machen Sie doch mal, was dringend notwendig ist, nämlich Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu geben! Da geht es um Zukunft und klimafitte Haushaltspolitik. Und Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif, auch nicht für Sie. ({5}) Sie reden davon, dass die schwarze Null notwendig ist für die Generationengerechtigkeit. ({6}) Ist sie aber nicht. Zur Generationengerechtigkeit gehören nämlich auch Kindergärten. Zur Generationengerechtigkeit gehören Schulen. ({7}) Zur Generationengerechtigkeit gehören Brücken, Straßen, die Deutsche Bahn, der ÖPNV. Ja, es ist so: Auf dem Land kommen Sie nicht vorwärts, weil da weder ein Bus fährt noch die Bahn. Zu sagen: „Schafft euch einfach Autos an!“, ist doch nicht die Antwort darauf. ({8}) Was machen die Jugendlichen, wenn sie keinen Führerschein haben? Was machen alte Menschen, die sich nicht trauen, Auto zu fahren? Was machen all diese Menschen? Ja, auch die brauchen auf dem Land eine Antwort.Da reicht es nicht, zu sagen: „mehr Autos“, da müssen wir in die Strukturen investieren. Da sind Sie in der Pflicht. Sie können doch nicht einfach sagen: Es ist, wie es ist; das kann man nicht ändern. ({9}) Sie sagen, man könne gar nicht all das umsetzen, was man an Investitionen vornehmen könnte, weil wir die Planungskapazitäten nicht haben, weil wir die Verwaltungskapazitäten nicht haben. Sorry, Sie sind in der Regierung. Dann schaffen Sie doch diese Kapazitäten. ({10}) Was haben Sie die letzten zehn Jahre gemacht? Das ist doch nur ein Beweis dafür, dass Sie da etwas versäumt haben. Sie hätten das doch machen können. Sie hätten in diesen Bereichen investieren und diese Kapazitäten schaffen können. ({11}) Sie sagen, man könne jetzt nicht mit Schuldenmachen agieren. Gleichzeitig verbieten Sie sich jegliche Form des Denkens an Alternativen zu Ihrer schwarz-roten Groko-Null. Dabei gibt es in Ihren Reihen durchaus Ideen, die man umsetzen könnte, wenn Sie nur den Mut hätten, die auch auszusprechen. Aber das tun Sie nicht. Vor allem verkennen Sie eines: Das, was vor zehn Jahren stimmte, muss lange nicht zehn Jahre später auch noch gelten. Es hat sich in diesem Land etwas verändert. Es hat sich in der Zinsstruktur etwas verändert, es hat sich in der Investitionsstruktur etwas verändert, ja, auch bei den Schulden hat sich etwas verändert. Gerade das verpflichtet uns doch, einen Schritt weiterzudenken und nicht stehen zu bleiben. Genau das ist der Vorschlag, den meine Fraktion Ihnen hier unterbreitet hat. ({12}) Der Kollege Jung hat in seiner Rede gesagt, eine Alternative zu Schuldenmachen könnte sein, Prioritäten zu setzen. Sie können gar keine Prioritäten setzen. Wissen Sie, warum? Weil Sie gar keine Prioritäten haben, weil Sie nach der Devise verfahren: Die CDU/CSU bekommt die Mütterrente, die SPD bekommt dafür dieses oder jenes andere, und – frei nach meiner großartigen Kollegin Corinna Rüffer, die das heute Morgen gesagt hat – der Kollege Kahrs bekommt dann alles von seinen Wunschvorstellungen für Hamburg. – Das ist Ihre Politik, und das ist Ihre Bilanz. Sorry, das ist zu wenig für dieses Land. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Ekin Deligöz. – Nächste Rednerin: die Parlamentarische Staatssekretärin Bettina Hagedorn. ({0})

Bettina Hagedorn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003545

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte am Anfang darüber aufklären, warum ich hier stehe ({0}) und nicht unser Finanzminister Olaf Scholz; ich hörte das vorhin aus den Reihen der AfD, jetzt hat sich auch Ekin Deligöz angeschlossen. Haushälter sollten das wissen, weil sie regelmäßig die Vorberichte zu Ecofin und zur Euro-Gruppe bekommen; der letzte liegt Ihnen seit ein paar Tagen vor. Minister Scholz ist in Helsinki bei der Euro-Gruppe und beim informellen Ecofin-Treffen. Ich kann nachvollziehen – und erwarte nichts anderes –, dass Sie finden, er sollte lieber hier sein und auf europäischer Ebene schwänzen. ({1}) Ich gehe aber davon aus, dass der Rest des Hauses es gut und richtig findet, dass der Minister die Gelegenheit nutzt, mit allen europäischen Kollegen den Dialog zu pflegen und Europa auf einen guten Weg zu bringen in schwieriger Zeit. ({2}) Ich möchte auch kurz auf das eingehen, was die Kollegin Katja Hessel vorhin gesagt hat, nämlich der Finanzminister hätte hier das Prinzip Hoffnung gepredigt. Das ist natürlich absurd. Ich kann nahtlos an die Rede von André Berghegger anschließen – und bedanke mich gleichzeitig für diese Rede, weil viele Inhalte vorweggenommen wurden, die ich jetzt nicht mehr bringen muss –: Die Bundesregierung hat diesen Haushaltsentwurf vorgelegt, weil er solide, weil er angemessen ist. Wir haben keine Rezession, und wir müssen auch keine herbeireden. Wir haben eine Wachstumsdelle. Die nehmen wir auch ernst, und wir sind selbstverständlich vorbereitet. Ich will nur darauf aufmerksam machen – die, die nicht im Haushaltsausschuss sind, wissen das vielleicht nicht –: Noch vor der Bereinigungssitzung wird es eine neue Steuerschätzung geben. Wir werden sehen, was da herauskommt. Wie es in den letzten 17 Jahren, in denen ich im Haushaltsausschuss war, üblich war, wird diese Steuerschätzung dann in den aktuellen Haushalt eingepreist. In den letzten Jahren haben wir davon häufig profitiert, weil die Steuerschätzungen positiver waren. ({3}) Ich mache nur darauf aufmerksam: Es kann auch einmal andersherum sein. Der Haushaltsausschuss hat aber immer angemessen darauf reagiert. ({4}) Es ist ein solider, ein ausgewogener Haushalt. Wir beweisen damit als Bundesregierung: Wir halten unsere Zusagen aus dem Koalitionsvertrag eins zu eins ein. Wir sind verlässlich; die Bürgerinnen und Bürger können sich auf unser Wort verlassen. Weil das so ist, möchte ich ein Thema aufgreifen, das heute Morgen bei der Aussprache zum Haushalt für Arbeit und Soziales, aber auch zu anderen Haushalten debattiert wurde, nämlich den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Er war vorhin Thema beim Gesundheitshaushalt und gestern beim Haushalt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Aber auch der Bildungsetat ist für den sozialen Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes wichtig. In all diese Bereiche investieren wir enorm, auch wenn man die letzten Jahre betrachtet, mit Kraft und mit Power. Ja, wir profitieren von den niedrigen Zinsen; das ist richtig. Aber wir nutzen dies für Investitionen, und die sind solide finanziert, nicht nur in diesem Haushalt, sondern auch im Finanzplan bis 2023. Ekin Deligöz hat gerade gefragt, wo der Finanzminister ist. Liebe Ekin, ich habe mich heute Morgen schon einmal etwas gewundert, nämlich als du bei der Aussprache zum Etat für Arbeit und Soziales das Qualifizierungschancengesetz als Teil des Haushaltes kritisiert hast. Es ist übrigens seit dem 1. Januar 2019 in Kraft, und die Grünen haben zugestimmt. Deshalb fand ich die Kritik heute irgendwie komisch. ({5}) Von Ihnen, Frau Hessel von der FDP, ist die Rente angesprochen worden, und Sie haben gesagt, dass wir dringend Reformen machen müssten. Dazu will ich etwas sagen, das vielleicht nicht jeder weiß: Jeder Renten-Euro, den wir in der Bundesrepublik ausgeben, wird seit mindestens 15 Jahren – diesen Zeitraum habe ich im Blick – zu einem Drittel über Steuern finanziert. Das ist nichts Neues; das war schon immer so. ({6}) Dass die Kosten steigen, ist normal, ist vorhersehbar und von dieser Regierung auch eingepreist. Wir geben den Rentnerinnen und Rentnern in diesem Land Sicherheit und werden das auch in Zukunft weiter tun. Selbstverständlich wird der Steuerzuschuss steigen. ({7}) Wenn Sie sagen, das dürfe nicht sein, dann frage ich: Was wollen Sie eigentlich konkret? Einen Kahlschlag bei den Rentnern? ({8}) Das nächste große Thema, das uns diese Woche beschäftigt hat, waren die Investitionen. Ich kann auch hier nahtlos an meinen Kollegen André Berghegger anknüpfen: Es fließen jedes Jahr 40 Milliarden Euro an Investitionen, und das bis zum Ende des Finanzplans. Das sind round about 160 Milliarden Euro bis 2023. Dieses Geld muss erst einmal ausgegeben werden. Das Rätsel, warum wir leider in allen Planungsbereichen Staus beim Mittelabfluss haben – das betrifft den Bund, die Länder, die Kommunen und übrigens auch die Privatwirtschaft –, ist leicht aufzulösen: Es liegt am Fachkräftemangel. Wir haben in der Vergangenheit nicht genug ausgebildet und nicht genug eingestellt. Es gab immer die Predigt vom vermeintlich schlanken Staat, der aber eher verhungert war. Vor diesem Hintergrund wird jetzt das Geld nicht ausgegeben. André Berghegger hat gesagt, wie viele Ausgabereste wir im Moment aufseiten des Bundes haben. Alle mit volkswirtschaftlichem Verstand müssten nachvollziehen können: Mehr Geld hilft nicht; das hat auch die Bundeskanzlerin hier am Mittwoch gesagt. Wir müssen das Geld zielgerichtet ausgeben. Mehr Geld würde den Markt aktuell nur überhitzen und die Preise verderben. Was wir als Bundesregierung machen müssen und auch machen, ist, den Menschen und den Unternehmen in diesem Land zu sagen: Wir investieren langfristig; wir tragen Vorsorge, dass die Investitionsquoten so hoch bleiben. – Damit geben wir den Unternehmen die Sicherheit, die sie brauchen, um ihre Kapazitäten aufzustocken. Zum Schluss möchte ich noch etwas zum EKF sagen. Ja, lieber André Berghegger, auch für das Finanzministerium ist das keine schöne Situation. Aber ich glaube, es wäre auch kritikwürdig gewesen, wenn das Finanzministerium einen Vorschlag für den EKF vorgelegt hätte, wo wir doch noch auf die Ergebnisse des Klimakabinetts warten. Auch aus Respekt vor den Häusern, die daran beteiligt sind, ist es geboten, deren Vorschläge entgegenzunehmen. Das wird am 20. September geschehen. Das Kabinett wird dann am 25. September darüber entscheiden, und danach werden wir alles zeitnah, wie es sich gehört und wie Sie es zu Recht erwarten, in den Haushaltsausschuss einbringen. Lassen Sie mich aber noch hinzufügen: Wir müssen auch die vorhandenen Projekte im EKF einmal auf den Prüfstand stellen. Es gibt vieles, bei dem wir sagen müssen: Das war gut gemeint; aber das Geld fließt einfach nicht ab. – Prioritäten setzen, wurde gerade gesagt. Ja, das tun wir gemeinsam, und zwar auf Vorschlag des Klimakabinetts. Ich freue mich auf die Beratungen im Haushaltsausschuss. Vielen Dank. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Bettina Hagedorn.- Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Peter Boehringer. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich sagte ja am Dienstag hier zur ersten Lesung, der im Haushalt noch gänzlich fehlende Klimateil sei eine parlamentarische Zumutung. Doch die größte Zumutung der Woche war eine andere. Der Finanzminister hat nämlich auf die Frage, warum wir in Deutschland aus der Kohle aussteigen, wenn gleichzeitig in Afrika und Asien 1 000 neue Kohlekraftwerke gebaut werden, geantwortet: Wir tun es, weil wir es können. ({0}) Die Regierung gibt ihren ideologischen Machbarkeitswahn also zu. Wir erleben mehrfache Volksverdummung: ({1}) Erstens agiert man auf Basis der unhaltbaren Ideologie einer Schuld des in Deutschland menschengemachten CO2 an irgendeiner signifikanten Klimaveränderung; ({2}) das wurde bei der Umweltdebatte diese Woche sehr klar. Zweitens will man uns weismachen, der CO2-Zertifikate-Handel sei eine marktwirtschaftliche Lösung. Die Kanzlerin etwa erklärte uns am Mittwoch, der Staat dürfe nur Rahmenbedingungen setzen. Schön wäre es. Doch die GroKo betreibt etwas ganz anderes: die willkürliche Kontingentierung des deutschen CO2-Ausstoßes. Ein System aber, bei dem die Angebotsseite künstlich zwangsverknappt wird, heißt einfach nur Planwirtschaft. ({3}) Noch dazu ist es ein unwissenschaftlicher Plan; denn es gibt kein Modell, das aus welcher auch immer gewählten Reduktion des deutschen CO2-Ausstoßes irgendeine messbare Änderung der Erdtemperatur errechnet. Es ist keine Marktwirtschaft, über die Mengenkontingentierung von Zertifikaten einen Zielpreis für die CO2-Tonne zu erzwingen. Aber genau das will die GroKo – und leider auch alle anderen Altparteien. Man darf gespannt sein, welchen Zielpreis das Klimakabinett in einer Woche dann auswürfeln wird und welche deutschen Schlüsselindustrien durch solchen Ökosozialismus weiter abgewickelt werden. Dann gibt es noch die ominösen Pläne des Bundeswirtschaftsministers für eine Klimastiftung. Zum einen hätte uns Haushälter natürlich interessiert, wie viele Milliarden Euro Startkapital die Stiftung denn aus dem Bundeshaushalt bekommen soll. Zum anderen wäre eine solche Stiftung natürlich ein neuer Schattenhaushalt, genau das, was eigentlich alle Fraktionen in diesem Haus außer den Grünen nicht mehr wollen, weil dadurch der Grundsatz der Haushaltsklarheit verletzt wird. ({4}) Vor allem ist auch hier wiederum nichts marktwirtschaftlich, obwohl Herr Altmaier das diese Woche in seiner Rede dreimal behauptet hat. Wir lassen der Regierung diese Orwell’sche Begriffsverwirrung nicht durchgehen. Schwarz ist nicht Weiß, und Plan ist nicht Markt! ({5}) Statt sich einfach am regulären Kapitalmarkt zinsfrei das Stiftungskapital zu beschaffen, will die GroKo nun hochverzinste Klimaanleihen begeben. ({6}) Man plant ernsthaft Zinssubventionen über den Haushalt. Wie auch sonst? Diese Schnapsidee wird den Steuerzahler ohne Not 1 Milliarde Euro pro Jahr kosten. ({7}) Fürs Protokoll also: Söders Klimaanleihe, der Ökoschatzbrief der SPD oder nun eben Altmaiers Klimastiftung – all das sind teure Planwirtschaft, medialer Aktionismus und natürlich auch links-grüner Populismus seitens der Regierung. ({8}) Das gilt selbstredend auch für die Verwendungsseite der Stiftungsmilliarden. Diese Stiftung wird ein Fest und eine Spielwiese für Ökofreaks mit ideologischem Machbarkeitswahn und ohne jedes Gespür für marktfähige Projekte sein. Es graust einem schon jetzt, wenn man daran denkt, welcher Unsinn hiermit finanziert wird. Herr Berghegger, ich bin ganz sicher: Das Geld wird abfließen. Es gibt immer mehr Ideen für Unsinn, als Geld im Haushalt zur Verfügung steht. ({9}) Wie der Finanzminister am Dienstag schon sagte: Das ist gelebter Keynesianismus, mit vielen, vielen Milliarden. – Genau. Man darf also erwarten, dass die GroKo schon sehr bald bedingungslos Lord Keynes folgt und damit auch dessen Rat, die Regierung sollte Menschen dafür bezahlen, Löcher zu graben und sie dann wieder zuzuschütten. Solche keynesianische Qualität haben übrigens viele vom Bund geförderte Projekte. Schon seit Jahren finanziert die GroKo fast jede politisch korrekte Marotte. Nur ein paar Beispiele: ein holistisches Gendergerechtigkeitsprogramm in Tansania, Graffitikunst in Zentralafrika und ein Forschungsprojekt – kein Witz – „Wie entstehen Väter und Mütter?“. ({10}) Die Kanzlerin meinte in ihrer Rede ja verständnislos: Wie kann man nur von einer Verschwendung von Steuergeldern sprechen? – Nun, Frau Merkel – sie ist natürlich nicht hier –, das sind nur drei von Tausenden Beispielen. Sie verstehen das in Ihrer Weltentrücktheit nicht. Die von Ihnen – außer in Sonntagsreden – verachteten Steuerbürger verstehen das aber sehr wohl. ({11}) Zur Außenpolitik. Noch immer steht eine Medienmeldung im Raum, wonach viel Geld an den Irak fließen könnte, damit IS-Mörder mit deutschem Pass dort nicht zu streng verurteilt werden. ({12}) – Herr Binding, es war klar, dass das kommt. Das ist nicht dementiert worden. Hören Sie zu, dann lernen Sie noch etwas. ({13}) Ich fordere die Regierung erneut zu einer Erklärung über die Entstehung dieser Meldung auf und inzwischen auch die Staatssender ZDF und ARD, die vorliegenden einschlägigen Papiere der Regierung offenzulegen. ({14}) Natürlich haben wir heute keinen Vertreter des Auswärtigen Amtes hier. Auch wenn die Summe, um die es geht, sich inzwischen reduziert hat, scheint weiterhin klar, dass die Regierung ernsthafte Gespräche mit dem Irak und Syrien über die Zahlung von bis zu 1 Milliarde Dollar für das Wohlergehen von etwa 70 IS-Kämpfern führt. ({15}) Das ist so nicht erklärbar, auch nicht mit einer Fürsorgepflicht gegenüber deutschen Staatsbürgern. ({16}) An diese Fürsorgepflicht hätte sich das Außenministerium doch bitte im Fall des Journalisten Billy Six erinnern können, der schuldlos in ein venezolanisches Foltergefängnis gesteckt wurde, den das Auswärtige Amt vier Monate lang so gut wie nicht konsularisch betreut hat, und für dessen Wohlergehen von Leib und Leben es niemals auch nur einen Bruchteil der Plansumme für IS-Kämpfer ausgeben würde. Herzlichen Dank. ({17})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Boehringer. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Alois Rainer. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir zum Abschluss dieser Woche sämtliche Diskussionen noch einmal Revue passieren lassen können. In der Gänze werden wir es nicht schaffen; sonst wären wir morgen noch hier. Es wurden viele Ideen und Vorschläge eingebracht. Wir werden in den kommenden Wochen in den Haushaltsberatungen intensiv darüber diskutieren; denn schließlich ist das Haushaltsrecht das Königsrecht des Parlaments. Es geht um die Menschen in unserem Land, vor allem auch um die Sachpolitik in unserem Land; aber ohne Geld ist jede Sachpolitik schwierig. Mittlerweile ist dies der siebte Haushalt in Folge ohne Neuverschuldung. Dies liegt maßgeblich an der Arbeit der unionsgeführten Bundesregierung der letzten Jahre. ({0}) Es zeigt, dass wir in dieser Großen Koalition eine gute Arbeit geleistet haben. Dies bildet sich auch in der Finanzsituation nicht nur des Bundes, sondern auch der Länder und der Kommunen ab. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland waren die Steuereinnahmen so hoch. Noch nie in der Geschichte haben die Bundesländer so hohe Überschüsse erzielt wie jetzt. Und noch nie in der Geschichte ({1}) wurde so viel investiert wie jetzt. In den vergangenen Tagen und auch heute wurde viel über die Investitionen geredet. Ja, es wäre ganz schön, wenn wir noch die eine oder andere Milliarde Euro für Investitionen ins Schaufenster stellen könnten. Aber ich frage auf der anderen Seite: Was machen wir mit dem Geld für Investitionen, das nicht abfließt, weil die Standards in unserem Land so hoch sind? Liebe Ekin, ich habe deine Worte sehr wohl gehört. Du bist für Straßenbau, für Brückenbau. Dann sage deinen Freunden vor Ort, dass Demonstrationen nicht förderlich sind, wenn wir eine Ortsumgehung bauen. Wir bräuchten bei Investitionen auch Unterstützung aus der Fraktion der Grünen; denn sie sind wichtig und notwendig für die Menschen in unserem Land. ({2}) Es wurde auch darüber gesprochen, eventuell in die Neuverschuldung zu gehen, weil die Zinsen so günstig sind. Das ist zwar verführerisch, meine Damen und Herren, aber es wäre fatal für unsere nachkommenden Generationen. Ich denke, dies wäre der falsche Weg. Wir sprechen in dieser Zeit viel über Nachhaltigkeit. ({3}) Es ist wichtig – keine Frage –, dass wir gerade die Klimadiskussion führen, dass wir über Klimaschutz diskutieren. Aber wenn wir nachfolgenden Generationen die Chance nehmen, sich finanziell zu entwickeln und in diesem Land zu investieren, ist das auch keine Nachhaltigkeit. Wir müssen beides vernünftig miteinander diskutieren. Das braucht etwas Zeit. Das Klimakabinett wird uns am 20. September gute Vorschläge präsentieren, die wir, denke ich, in den kommenden Wochen sehr intensiv diskutieren werden, weil es hier um die Zukunft der Menschen, vor allem der jungen Menschen in unserem Land geht. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn gestern der Bundesinnenminister Horst Seehofer über den sozialen Wohnungsbau gesagt hat: „Die Mittel fließen bei einigen Ländern nicht so ab, wie wir uns das vorstellen“, dann kann ich den Appell nur an die Länder weitergeben: Liebe Bundesländer, nehmt das Geld des Bundes und investiert zusätzlich mit eigenen Mitteln in den sozialen Wohnungsbau. Wir unterstützen hier gern, aber nicht nur beim sozialen Wohnungsbau, sondern auch in anderen Bereichen. Bei KIP 2, dem Kommunalinvestitionsprogramm, das mit 3,5 Milliarden Euro gefüllt ist, sind noch keine 100 Millionen Euro abgeflossen, und es wurde schon 2017 beschlossen. Wir vonseiten des Bundes übernehmen gerne viele finanzielle Aufgaben der Kommunen und auch der Länder. Aber in einer Zeit, wo es so ausschaut, als würden die finanziellen Mittel für uns nicht unbedingt weiter in den Himmel wachsen, ist es an der Zeit, eben auch Mittel zurückzuhalten und zu sagen: Wir konzentrieren uns auf die Aufgaben, die der Bund zu erledigen hat, und bauen wieder fest auf das föderale Fundament. Wir wissen, dass die Länder da am besten entscheiden können, wo sie zuständig sind. Da dürfen und können sie investieren. Wir unterstützen gern im Rahmen unserer Möglichkeiten; aber irgendwann ist es genug. Man bedenke, dass zwischen 2019 und 2023 knapp 73 Milliarden Euro aus den Umsatzsteuereinnahmen an die Länder fließen. Das ist nicht unerheblich, das ist eine große Summe. Die Finanzierungsverantwortung für die Kommunen – das kann man nicht oft genug sagen – haben die Bundesländer. Wir hoffen, dass sie dieser Verantwortung auch nachkommen; denn das müssen sie. ({5}) Meine Damen und Herren, wir haben einen guten Haushaltsentwurf vorgelegt bekommen. Wir als Haushälter haben das Selbstbewusstsein – auch das Parlament sollte dieses Selbstbewusstsein haben; ich lade alle zur Diskussion ein –, diesen guten Entwurf noch etwas besser zu machen. Ich freue mich auf die intensiven Beratungen in den kommenden Wochen, auf die Beratungen im Haushaltsausschuss und in der Bereinigungssitzung, aber vor allem auf die Beschlussfassung hier im Hohen Hause. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alois Rainer. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Otto Fricke. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Nach einer Woche – mit ständigen Zwischenrufen von Johannes Kahrs - ({1}) sollte man zu einem Fazit kommen. Das Fazit lautet: Das ist – das muss man leider feststellen; es ist von vielen hier angesprochen worden – ein Weiter-so. ({2}) Es werden dieselben Diskussionen geführt. Es gibt denselben Verweis vonseiten des Finanzministeriums auf die angebliche Vorsicht beim Haushalt, wie es auch seitens der Staatssekretärin vorgetragen wurde. ({3}) Aber während der ganzen Woche – Bettina Hagedorn war die ganze Zeit hier – war es doch genau andersherum. Da erzählte jeder, wo er mehr Geld ausgeben möchte. Da sagte jeder: Ich hätte noch eine Idee. ({4}) Man muss sich doch einmal auf das zurückbesinnen, was den Haushalt ausmacht, nämlich die Haushaltsgrundsätze. Das hört sich schlimm an, beinhaltet aber viel Wahrheit und Wichtigkeit. Es gibt zum Beispiel den Haushaltsgrundsatz der Einheit und Vollständigkeit. Herr Kollege Berghegger hat ja leider versäumt, meine Zwischenfrage zuzulassen. Aber ich will auf Sie eingehen und Sie fragen: Das ist also eine schwarze Null? Herr Kollege Berghegger, die Asylrücklage, die Sie benutzen, ist eine Rücklage. Was denkt denn jetzt der Otto Normalverbraucher? Der denkt: Oh, Herr Berghegger und seine Kollegen haben irgendwo 9 Milliarden Euro herumliegen, die sie jetzt verwenden. Herr Kollege Berghegger, diese 9 Milliarden Euro aus der Asylrücklage sind eine Kreditermächtigung. ({5}) Diese erlaubt Ihnen nur, zusätzliche Kredite aufzunehmen. Um das für die Bürger klarzumachen, sage ich: Herr Berghegger hat Ihnen erklärt, der Haushalt sei ausgeglichen. Wir nehmen zwar noch mal eine Kreditkarte und hauen noch mal 9 Milliarden Euro raus, es ist aber eigentlich ausgeglichen. Wann die Summe, die mit der Kreditkarte bezahlt wurde, beglichen wird, ist ja vollkommen egal. – So ist Ihre Politik, und das ist weder eine vernünftige noch einheitliche und auch keine vollständige Haushaltspolitik. ({6}) Vollständigkeit ist, wie ich finde, ein schönes Wort. Vom Kollegen Berghegger wurde auch gesagt: Liebe Regierung, wir freuen uns, wenn wir irgendwann mal den Rest des Haushaltes vorgelegt bekommen. – Ich habe es noch nicht erlebt, und in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es das noch nie gegeben, dass ein wesentlicher Teil des Entwurfs eines Bundeshaushaltes zur ersten Lesung von einer Bundesregierung bewusst und zielgerichtet nicht vorgelegt wird. Das ist Missachtung des Parlamentes – nichts anderes! ({7}) Wir hören vonseiten der Koalition immer wieder: Wir mussten uns halt Zeit lassen. – Verdammt noch mal! Wäre es denn nicht ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, dass dieses Kabinett auch mal im Sommer zusammenkommt und den Entwurf dann so vorlegt, dass man ihn hier auch ordentlich beraten kann? Nein, Sie scheuen die Debatte. Ich kann das ja verstehen. Wir haben jetzt eine Bundesölheizungsministerin, die noch nicht genau weiß, wie sie mit all dem umgehen soll. Überhaupt gibt es im Kabinett niemanden, der genau weiß, wie er oder sie den Finanzminister überhaupt kriegt – er ist ja im Moment auf irgendwelchen Regionalkonferenzen –, aber vor allen Dingen wie er oder sie den Finanzminister dazu kriegt, dass er für den jeweiligen Haushalt genug Geld zur Verfügung stellt. Sie können es an den lächelnden Gesichtern sehen: Sie hätten das Geld alle gerne. Dazu wird es Streit geben. Wir als Parlament bzw. als Haushaltsausschuss dürfen dann erst mal staunen und gucken und nachher versuchen, den Mist wieder einigermaßen hinzubekommen. So ist doch die Lage. ({8}) Meine Damen und Herren, dabei müssten wir hier doch eigentlich ganz anders reden. Ich erinnere mich noch – manche Mitglieder des Haushaltsausschusses werden das auch tun –, wie das in den Jahren 2007, 2008 und 2009 war. Da haben wir immer wieder gehört: Ja, ja, alles gut. Läuft doch. – Dann auf einmal merkten wir, dass es abwärts ging. Wir hatten die Anzeichen, dass irgendetwas nicht stimmt, zwar schon vorher gesehen. Aber was passierte damals? Die Große Koalition sagte: Nein, nein, alles in Ordnung. Klappt schon. Wir machen weiter so; es funktioniert. – Dann ging es abwärts. Und was ist dann passiert? Dann stellte sich hier ein Herr Steinbrück – das war auch so ein SPD-Finanzminister - ({9}) hin und sagte: Wir geben jetzt zusätzlich 17 Milliarden Euro aus. ({10}) Er hat gesagt – das kann man im Protokoll nachlesen –: Diese 17 Milliarden Euro für den Investitions- und Tilgungsfonds werden wir so schnell wie möglich zurückzahlen. – Es wurde genau dieselbe Geschichte erzählt. Und was ist passiert, liebe Sozialdemokraten? Erstens: Er wurde Spitzenkandidat, in dem Fall zwar für die Bundestagswahl und nicht für den Vorsitz seiner Partei. Zweitens: Er war weg. Die Schulden aus dem Investitions- und Tilgungsfonds belaufen sich nicht nur auf 17 Milliarden Euro, sondern auf 19 Milliarden Euro. Das ist keine Lösung, wie man auf sich verändernde Zeiten eingeht. Das ist Schlafwagenpolitik. ({11}) Ich hätte vom Kabinett mehr Ideen und mehr Mut erwartet. Sie jedoch haben sich nur mit der Frage beschäftigt, wofür man mehr Geld ausgeben kann. Ich hätte erwartet, dass man sich bei den Investitionen nicht auch noch dafür rühmt, dass die absolute Zahl steigt. Das ist das Gleiche, als wenn jemand zum ersten Mal Geld verdient und sagt: ({12}) Ich spare jetzt pro Monat nicht nur 10 Euro, sondern ich spare jetzt, obwohl ich 1 000 Euro pro Monat mehr habe, künftig 11 Euro und bin ein toller Sparer oder Investor. – Genau so schlafwandelt diese Regierung beim Thema Investitionen durch die Gegend. ({13}) Meine Damen und Herren, die Institute haben uns gestern und vorgestern wiederum vorgerechnet und gezeigt, dass das von der Regierung für den Haushalt eingeplante Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent auf gar keinen Fall erreicht werden kann. Das wissen alle Koalitionäre. Das weiß die Regierung. Das weiß auch das Parlament. Sie wissen aufgrund der Steuereinnahmen in diesem Jahr auch schon jetzt, dass die Steuereinnahmen sinken. Sie wissen, wie es auf dem Arbeitsmarkt aussieht, und Sie sehen, dass es diese Koalition in diesem Jahr geschafft hat, bereits im ersten Halbjahr 11 Milliarden Euro Schulden mehr zu haben als noch zu Beginn des Jahres. All das sind trübe Aussichten. Man kann nur hoffen, dass der Herbst noch ein paar Lichtblicke bringt – jedenfalls mehr als die, die wir bisher von dieser Regierung gesehen haben. Die FDP wird es kontrollieren, wird Gegenvorschläge machen, wird das Haushaltsverfahren aber wie immer fair begleiten. Vielen Dank. ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Otto Fricke. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke: Fabio De Masi. ({0})

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Deutschland steht vor großen Herausforderungen. ({0}) Der Abschwung droht. Wir haben den Brexit vor uns. Wir haben zweifelsohne die größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte zu bestehen – den Klimawandel. Die Menschen, die ich so treffe, sind oft sehr bescheiden. Sie haben keine großen Ansprüche. Sie wollen keine Finca auf Mallorca. Sie wollen keine Briefkastenfirma auf den Virgin Islands. Sie, die Menschen, die sich hart anstrengen und an die Regeln halten, wollen anständig behandelt werden. Insofern ist entscheidend, wie die Bundesregierung mit diesen Menschen umgeht, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Deswegen ist die Frage des Klimawandels eben auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit; denn Sie oder ich, wir können uns eine Wohnung in Berlin-Mitte leisten und dann zum Parlament laufen. Aber Menschen, die sich die Miete in den Innenstädten nicht mehr leisten können, können nicht zu ihrem Arbeitsplatz laufen, die sind angewiesen auf Verkehrsmittel. Vor diesem Hintergrund ist es ein sehr deutliches Signal, wenn Sie in diesem Haushalt 50 Milliarden Euro für Rüstung einplanen, aber nur 1 Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau. ({2}) Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal die Frage wiederholen, die ich hier bereits am Dienstag gestellt habe. Die Verteidigungsministerin – eben war sie noch da – beharrt ja auf dem Ziel, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben. Ich stelle hier noch einmal die Frage: Was passiert denn, wenn das Bruttoinlandsprodukt sinkt? ({3}) Werden wir dann eigentlich die Rüstungsausgaben nach unten fahren? Das ist doch eine berechtigte Frage, auf die ich hier in dieser Debatte noch überhaupt keine Antwort gehört habe. ({4}) Es gibt zahlreiche Ökonomen wie den arbeitgebernahen Ökonom Michael Hüther oder den sehr renommierten Ökonom Jens Südekum, die sagen: Das Geld liegt auf der Straße, weil wir momentan negative Zinsen zahlen. – Das heißt, es gibt einige reiche Leute, die zahlen uns sogar Geld dafür, die schenken uns Geld, damit sie uns einen Kredit geben dürfen. Wenn wir uns heute 1 Euro leihen, dann müssen wir morgen 90 Cent zurückzahlen. Die EZB ist mit der Geldpolitik völlig überfordert. Die sind mit ihrem Latein am Ende. Von daher ist es völlig verrückt, einerseits die Negativzinsen zu beklagen und andererseits hier in Deutschland nicht mehr zu investieren. ({5}) Ich will in diesem Zusammenhang auch noch mal darauf hinweisen – der Kollege Fricke hat es ja angesprochen –, dass es wirklich Grundschulniveau ist, wenn man hier sagt: Wir investieren 40 Milliarden Euro. – Es gibt ja auch einen Verschleiß, und das Bruttoinlandsprodukt ist auch gewachsen. Von daher ist eben die Investitionsquote relevant, und da sind wir doch in der OECD unter den Industrienationen absolutes Mittelfeld. Das kann doch nicht der Anspruch für die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Ich will hier auch noch mal auf zwei Argumente eingehen, die diese Woche in der Debatte genannt wurden. Der Herr Finanzminister hat zum Beispiel gesagt, man solle dann investieren, wenn man in der Krise steckt. Das sei gelebter Keynesianismus. Ich glaube, da hat er Keynes falsch verstanden. Es geht darum, den Konjunkturzyklus zu glätten. Das heißt, man muss vorher investieren, damit man erst gar nicht in der Grütze steckt; denn wenn man drinsteckt, wird es teurer, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Der Kollege Binding hat ein Argument genannt, das ich schon ernster nehme. Er hat gesagt: Wir haben ja keine Kapazitäten in der Bauwirtschaft mehr. – Aber wenn wir mehr investieren würden, dann würde die Bauwirtschaft auch mehr Kapazitäten vorhalten; denn sie braucht Planungssicherheit für ihre Investitionen. Deswegen ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Geld in die Hand zu nehmen. ({8}) Der Finanzminister hat davon gesprochen, dass wir Zukunftsoptimismus bräuchten. Er hat Roosevelt zitiert. Da bin ich sehr gerne bei Ihnen. Denn was hat Roosevelt gesagt? Er hat gesagt: Wir müssen die Reichen in diesem Land endlich besteuern, wir müssen die Arbeitnehmer schützen, und wir müssen öffentliche Investitionen auflegen und Zukunftsoptimismus ausstrahlen. – Ich glaube, viele Menschen wünschen sich ein Land, in dem sie Busse und Bahnen besser benutzen können. Aber wir zäumen das Pferd doch von der falschen Seite auf, wenn wir zum Beispiel über CO2-Steuern diskutieren, die ein Reicher vielleicht wegstecken kann, und dann nicht anfangen, in die Bahn zu investieren, damit die Menschen endlich eine Alternative haben. Das müssen wir tun, verehrte Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Eine letzte Bemerkung. Herr Roosevelt hat auch gesagt, es sei schlimmer, vom organisierten Geld regiert zu werden als vom organisierten Verbrechen. Insofern ist es überhaupt nicht hinnehmbar, dass wir zehn Jahre nach der Finanzkrise und vor der nächsten keine Finanztransaktionsteuer haben, sondern stattdessen eine Steuer, die 98 Prozent der Finanztransaktionen ausnimmt. Das sind die Prioritäten dieser Regierung, und das müssen wir der Bevölkerung sehr deutlich sagen. Vielen Dank. ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Fabio De Masi. – Nächster Redner: Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Haushaltswoche neigt sich dem Ende zu. Wenn ich die letzten Tage so Revue passieren lasse, fühle ich mich, ehrlich gesagt, an eine Zeitreise erinnert; ({0}) denn diese Haushaltsdebatte hätte auch vor zwölf Monaten stattfinden können. Als wäre im letzten Jahr gar nichts passiert, legen Sie uns hier einen Haushaltsentwurf vor, der überhaupt keine Rücksicht darauf nimmt, dass sich die Klimakrise weiter verschärft, der keine Rücksicht darauf nimmt, dass international die Krisenherde weiter zunehmen, der keine Rücksicht darauf nimmt, dass der Bedarf an Investitionen nicht kleiner, sondern deutlich größer geworden ist, meine Damen und Herren. Nein, was Sie heute hier vorlegen, zeigt: Sie lügen sich doch in die eigene Tasche, wenn Sie von einem guten Haushaltsentwurf sprechen. ({1}) Sie wissen doch selbst, dass das Dokument, das heute auf dem Tisch liegt, überholt ist wie kaum ein Haushalt je zuvor zu diesem Zeitpunkt der Beratungen. ({2}) Es haben schon mehrere Rednerinnen und Redner angesprochen: Klimaschutz ist in diesem Entwurf eine große Leerstelle. Am 20. September tagen Sie dann. Danach werden Sie sich irgendwie abfeiern und den Menschen erzählen, Sie hätten jetzt die Lösung für alle Probleme. ({3}) Und dann werden wir im Haushaltsausschuss erst mal aufdröseln müssen, was Sie da im Klein-Klein vorhaben. So geht doch keine wirklich zukunftsgerichtete Klimapolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Darüber hinaus – das haben wir gestern aus den Medien erfahren – braucht die Bahn plötzlich 3 Milliarden Euro mehr. Diese Woche standen die Fachministerinnen und Fachminister hier an diesem Pult und haben ihre Wünsche präsentiert und vorgetragen, was sie alles gerne hätten. Aber Vorschläge, wo sie umschichten, woran sie wirklich arbeiten, wo sie einsparen und wo sie klimaschädliche Subventionen streichen können, haben wir nicht von ihnen gehört. In den letzten Jahren hatten Sie doch eine relativ komfortable Situation. Da hatten Sie jedes Jahr Steuermehreinnahmen und Mehreinnahmen und noch mal Mehreinnahmen. Das war der Kitt, der Ihre Große Koalition zusammengehalten hat. Das war der Kitt, durch den Sie in den Haushaltsberatungen Geld verteilen konnten: für ein Lieblingsprojekt hier und für ein Lieblingsprojekt dort. Aber was Sie darüber vergessen haben, ist, dass Sie keinen Plan haben, wo Sie mit diesem Land, mit Europa, mit unserem Planeten hinwollen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Das Einzige, was Sie noch irgendwie zusammenhält und wofür Sie sich hier abfeiern, ist dieses Phantom der schwarzen Null. Ich meine, wir könnten von diesem Pult aus darüber streiten und diskutieren, ob eine schwarze Null sinnvoll ist oder nicht; ({6}) das kann man ja machen. Aber was Sie uns hier vorlegen, ist kein Haushalt, bei dem die Einnahmen irgendwie die Ausgaben decken. Sie nennen das so, aber machen es selbst nicht. Das zeigt, dass Ihre Haushaltspolitik völlig symbolhaft, völlig inkonsistent geworden ist und am Ende nur noch an einem einzigen Symbol hängt, statt Antworten auf die Fragen der Zukunft geben zu wollen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe einen 18 Monate alten Sohn, und ich frage mich schon, was für eine Welt wir unseren Kindern überlassen werden. ({8}) Was für ein Gespräch werde ich mit meinem Sohn mal führen, wenn er so alt ist wie ich jetzt? Wenn er mich dann fragt: „Papa, was habt ihr damals gemacht, als das Klima auf diesem Planeten heißer wurde? ({9}) Was habt ihr damals gemacht, als der Zusammenhalt auf dieser Welt gefährdet war? ({10}) Was habt ihr damals für den Breitbandausbau, eine moderne Infrastruktur, für die Basis unseres Wohlstands und unseren Zusammenhalt gemacht?“, dann will ich meinem Sohn nicht antworten müssen: Wir haben nur darauf geachtet, wie unsere Situation bei den Banken aussieht. Meine Damen und Herren, Generationengerechtigkeit ist doch mehr als eine Null unter Ihrem Haushalt. Generationengerechtigkeit ist doch, wenn wir an morgen denken, wenn wir jetzt handeln, wenn wir gegen die Klimakrise angehen, wenn wir in unsere Infrastruktur, in Zusammenhalt, in Bildung und in Forschung investieren. Das alles tun Sie mit diesem Haushaltsentwurf nicht. Wir Grüne werden Ihnen in den anstehenden Beratungen aufzeigen, was ein wirklich generationengerechter Bundeshaushalt ist. Herzlichen Dank. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Tobias Lindner. – Nächster Redner: Eckhardt Rehberg für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten anlässlich des 30. Jahrestags des Mauerfalls daran denken, wo wir herkommen. Frau Kollegin Lötzsch, ich kann mich noch gut entsinnen, wie ich im Herbst 1989 von Erfurt nach Berlin gefahren bin und mir dort das Chemiekombinat Bitterfeld oder die Gießerei Barth oder die Werften – mein Vater war Rohrschlosser – und die dortigen Arbeitsbedingungen angesehen habe. Wenn Sie heute sagen, die Treuhand habe Tausende Arbeitsplätze vernichtet, dann sage ich Ihnen eines: Zu diesem Zeitpunkt vor 30 Jahren gab es in ehemaligen DDR so gut wie keinen wettbewerbsfähigen Arbeitsplatz. Die Arbeitsbedingungen waren für die allermeisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer miserabel. Wenn Sie sich heute nach 30 Jahren umsehen – ich schaue dabei in Ihre Richtung, Herr Kollege Lindner – und über Deutschland reden, dann müssen Sie mit einpreisen, dass 20 Prozent unseres Vaterlandes aufgebaut werden mussten. ({0}) Kollege Lindner, ich bin seit 2009 im Haushaltsausschuss. Der Forschungs- und Entwicklungsetat zum Beispiel hat sich in anderthalb Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Wenn ich mir den Verkehrsetat ansehe, muss ich sagen: Niemand hat Alexander Dobrindt im Jahr 2013 geglaubt, ({1}) dass wir den Investitionshochlauf schaffen. Alexander Dobrindt hat in seinem ersten Jahr Baufreigaben im Straßenneubau in Höhe von 3,6 Milliarden Euro erreicht. Letztes Jahr waren es nur noch 535 Millionen Euro. Die Ursache dafür, dass die Investitionsmittel nicht abfließen, liegt unter anderem bei den Grünen, weil sie jegliche Planungsbeschleunigung im Bundesrat blockieren. Das ist die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Auf einmal soll bei der Windkraft Datenschutz außer Kraft gesetzt werden. Jetzt wundert man sich, dass sich Bürgerinitiativen der gleichen Mittel bedienen wie die Initiativen vor 20, 30, 40 Jahren gegen Ortsumgehungen, den Ausbau der Elbe usw. usf. Ich habe von den Grünen nichts dazu gehört, dass das Tötungsverbot aufgehoben werden soll, dass die Rote Liste korrigiert werden soll. Sie sind still, weil es um die Windkraft geht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das ist ziemlich scheinheilig. ({3}) Wenn wir an das Planungsrecht herangehen, dann nicht nur für die Windkraft, sondern für alle Bereiche der Infrastruktur in Deutschland. Nur so werden wir an dieser Stelle auch vorankommen. ({4}) Man kann bei den Investitionen immer sagen: Es ist zu wenig. Wir haben 2015 Reste von gut 9 Milliarden Euro übertragen. Vom Haushalt 2018 zu 2019 waren es gut 19 Milliarden Euro: Breitbandausbau über 4 Milliarden Euro, Verkehrsinfrastruktur – zum Glück überjährig – 3 Milliarden Euro. So kann ich weiter durchzählen. Dazu kommen die Sondermögen. Darauf sind meine Kollegen eingegangen. Von den 7 Milliarden Euro des Kommunalinvestitionsförderungsfonds sind nur 1,6 Milliarden Euro abgeflossen. Das erste Kapitel hat 2015 begonnen. Jetzt kommen die ersten Länder mit der Bitte – wir haben schon einmal verlängert –, das über 2020 hinaus zu verlängern. Es läuft fünf lange Jahre. Übrigens: Auch im ersten Kapitel waren schon energetische Schulsanierungen möglich. Ich sage meinem Vorredner: Baukapazitäten? Wie wollen Sie die denn schaffen? Wissen Sie, ich habe großes Glück. Ich wohne heute noch dort, wo ich zur Schule gegangen bin. Aus meinem alten Schulumfeld gibt es einen Heizungs- und Sanitärmeister, einen Fliesenlegermeister. Die kenne ich alle gut. Wenn ich die nicht kennen würde, würde ich auch bei mir in Mecklenburg-Vorpommern mehr als ein Jahr warten, bis jemand kommt. Wenn Sie sich die Handwerksberufe ansehen: Heizung, Sanitär und Elektro sind heute Hightech. Das ist nicht einfach nur Rohrstock, Kluppe, Gewindeschneider. Das ist ein bisschen mehr. Im Handwerk sind Dutzende, Hunderte Lehrstellen frei. Das ist unser Problem. Wir haben nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern wir haben auch einen Arbeitskräftemangel. Junge Menschen wieder für das Handwerk zu begeistern, ist eine Aufgabe. Und dann würden wir auch mehr investiv umsetzen. ({5}) Wenn Sie den Kontakt nach draußen nicht ganz verloren haben, dann werden Sie Bürgermeister finden, die Ihnen entweder sagen: „Ich finde keinen Anbieter auf meine öffentliche Ausschreibung“, oder: Es sind Mondscheinangebote. Wenn Sie einzelne Gewerke betrachten, dann stellen Sie fest, dass es dort in den letzten drei, vier Jahren Preissteigerungen von 25 Prozent gab. Wer jetzt noch mehr Geld ins Schaufenster stellt, der wird die Kosten höher treiben. Er wird es immer noch teurer machen. Wer die mangelnden Humanressourcen erhöhen und die Kostensteigerungen reduzieren will, gerade im öffentlichen Bereich, dem sage ich: Viel Vergnügen an dieser Stelle. ({6}) Die EZB hat sich entschieden, den Zins, wenn man sein Geld dort parken will, bei minus 0,5 Prozent anzusetzen. Ich halte das für hoch problematisch, gerade gegenüber Kleinsparern. ({7}) Es stellt sich die Frage: Wo legt man sein Geld an? ({8}) Übrigens, Herr Kollege, 1,90 Euro entspräche Negativzinsen von minus 10 Prozent. Der Zins liegt bei minus 0,5 Prozent. Ich bin also bei 99,5 Cent auf 1 Euro. Die Grundrechenarten sollten Sie beherrschen. ({9}) Die Frage, die sich angesichts des Wirkens der EZB stellt, ist: Ist das Problem mangelnder Investitionen in Europa wirklich der Negativzins? Oder muss man sich mal damit befassen: In der Förderperiode von 2014 bis 2020 betrug die Gesamtsumme bereitgestellter Mittel für europäische Haushalte 960 Milliarden Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen Sie, wie viel Geld nicht abgerufen wurde? 280 Milliarden Euro, 30 Prozent, insbesondere im Kohäsionsfonds 170 Milliarden Euro. Das ist mehr als ein Jahreshaushalt der Europäischen Union. Deswegen ist das Gebot der Stunde aus meiner Sicht, nicht ständig zu fordern, die Zinsschraube nach oben zu drehen, sondern zu fordern, endlich in Brüssel für Entbürokratisierung und die Verwendung dieses Geldes zu sorgen, damit die Wirtschaft in Europa wieder floriert. Ich halte es für problematisch, wie mit dem Thema Negativzinsen umgegangen wird. ({10}) Eine letzte Bemerkung. Liebe Kollegin Deligöz, es kommt schon darauf an, wie man das Klimapaket anpackt. Bei meinen Nachbarn ist am Wochenende angekommen: Sie müssen alle ihre Ölheizungen rausschmeißen – Ordnungsrecht. ({11}) Ich sag dir ganz genau: Mein Haus ist 1988 gebaut. Damit passe ich in kein EnEV bei der KfW. Wenn ich etwas machen will, dann kann ich das Haus eigentlich nur abreißen oder zu Kosten sanieren, die nicht mehr vertretbar sind. Die Häuser meiner Nachbarn – beide sind Rentner – sind 80 Jahre bzw. 120 Jahre alt. Was sagen wir diesen Menschen? Ich kann mich nur Worten der Kanzlerin vom Mittwoch anschließen: Man sollte gelegentlich nicht mit so viel Arroganz dem ländlichen Raum gegenübertreten. Herzlichen Dank. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Eckhardt Rehberg. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Dennis Rohde. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt noch 13 Minuten erste Lesung zu diesem Haushalt plus das, was ich auf meine sechs Minuten eventuell noch draufpacken muss. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein.

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen Versuch war es wert. – Dann haben wir bis zur Bereinigungssitzung am 14. November einiges an Arbeit vor uns. Das ist uns klar. Wir wissen: Da kommen noch Herausforderungen, insbesondere durch das Klimakabinett, auf uns zu. Aber unser Ziel wird sein, Frau Staatssekretärin, dass Ihr Minister in der Schlussrunde der zweiten Lesung sich aus dem Jahr 2018 zitieren kann, als er sagte: Das Parlament hat es geschafft, aus einem guten Haushalt einen noch besseren zu machen. Das ist unser Ziel für die Haushaltsverhandlungen in den kommenden Monaten. ({0}) Wir wissen um die Herausforderungen. Ich habe gerade gesagt: Das Klimakabinett tagt noch. Wir warten auf die Ergebnisse. Es ist uns bewusst, dass wir danach den Haushalt noch einmal werden anfassen müssen. Wir machen das nach den Grundsätzen von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit, wenn die konkreten Projekte auf dem Tisch liegen. Das ist der richtige Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Ja, wir sind bereit, Geld in die Hand zu nehmen. Denn uns ist vollkommen klar: Wir machen es nicht nur, weil wir es können – wie der Finanzminister richtigerweise gesagt hat –, sondern wir machen es auch, weil es unsere Verantwortung für künftige Generationen ist, einen intakten Planeten zu übergeben. Das kann man negieren, das kann man ausblenden, und das kann man verleugnen, aber die Aufgabe ist da, und die Verantwortung ist klar. Diejenigen, Herr Boehringer, die negieren, die ausblenden und die verleugnen, sind eben nicht bereit, sich der Verantwortung für die Menschen in diesem Land und auf diesem Kontinent zu stellen. Sie sollten sich selbst hinterfragen, was Sie hier eigentlich machen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Was in den politischen Debatten der letzten Jahre – ich bin seit sechs Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages – auffällt: Es gibt immer ein mediales Megathema, ein Thema, das in der Wahrnehmung über allen anderen schwebt. Das vermittelt den Eindruck, wir würden uns hier nur mit diesem einen Thema beschäftigen. Solche Themen waren in den letzten sechs Jahren die Griechenland-Hilfe, TTIP, die Migration, und jetzt ist es der Klimaschutz. Ich finde, das wird der Komplexität der Debatten, die wir hier führen, nicht gerecht; ({3}) denn wir beschäftigen uns mit vielen Themen, die das Leben der Menschen konkret betreffen, derer wir uns annehmen müssen, und das sind oft Themen der Gerechtigkeit. Ich will als Beispiel die Wohnungsnot ansprechen. Wohnungsnot, Wohnungsmangel führt in den Städten zu teilweise dramatischen Mietsteigerungen. Wir wissen: Wir müssen dagegensetzen, bauen, bauen, bauen, aber auch den ländlichen Raum stärken. Genau deswegen geben wir 1 Milliarde Euro in den sozialen Wohnungsbau, um die Länder bei ihrer Aufgabe zu unterstützen. Aber wir erwarten eben auch, dass die Länder ihren Teil dazu beitragen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Natürlich müssen wir in dieser Debatte auch sagen: Wir müssen den ländlichen Raum stärken, eben auch, um Städte zu entlasten. Ich will das deutlich machen: Natürlich braucht man in diesem Land an jeder Milchkanne schnelles Internet, nicht für die Milchkanne, aber für das Haus, das dahintersteht, in dem Menschen wohnen. Sie sollen ihr Leben gestalten können und für schnelles Internet eben nicht in die Städte ziehen müssen. Ich finde, auch das ist unsere Aufgabe als deutsches Parlament. ({5}) Wir stärken mit diesem Haushalt Familien. Wir investieren in Kindergärten, wir investieren in Kinderkrippen, wir haben in dieser Koalition das Kindergeld erhöht, wir haben das Gute-KiTa-Gesetz und das Starke-Familien-Gesetz verabschiedet. Das ist ein substanzieller Beitrag, damit Familien ihr Leben individuell und frei planen können. Das ist ein Stück gelebte Gerechtigkeit, und auch dafür steht diese Koalition. ({6}) Ich will etwas ansprechen, was nicht im medialen Fokus steht, was aber viele Menschen in diesem Land betrifft: das von Hubertus Heil gerade angesprochene Angehörigen-Entlastungsgesetz. Wir erleben, dass in diesem Land Menschen für pflegebedürftige Elternteile zahlen müssen, zu denen sie im Zweifel nie eine elterliche Beziehung hatten, und sie müssen zahlen, obwohl sie am Ende des Monats eigentlich jeden Euro für sich selbst und ihre Familien bräuchten. Der Gesetzesvorschlag dieser Regierung wird dazu führen, dass das Gros dieser Menschen von diesen Kosten freigestellt wird. Auch das ist konkrete Politik für viele Menschen in diesem Land, konkrete Politik für mehr Gerechtigkeit in diesem Land. ({7}) Ja, wir wollen eine Grundrente für Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet und sich in diese Gesellschaft eingebracht haben; denn wir dürfen nicht zulassen, dass gerade diese Menschen am Ende mit kleinen Minirenten abgespeist werden. Und ja, wir als Sozialdemokraten wollen das ganz ohne Bedürftigkeitsprüfung. ({8}) Ich will deutlich sagen: Ich bin es langsam leid, immer über die Gattin des Mannes zu diskutieren. Ich finde, im Jahr 2019 sollten wir endlich mal aufhören, Frauen immer wieder über ihre Männer zu definieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Wir sind nicht im Jahr 1950. Wenn eine Frau – und das betrifft hauptsächlich Frauen – ihr Leben lang gearbeitet hat, dann hat sie sich selbst einen Anspruch erarbeitet. Ich finde, sie muss es sich wahrlich nicht gefallen lassen, von uns wieder auf ihren Mann reduziert zu werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Wir haben uns vorgenommen, die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen in diesem Land zu entlasten, indem wir den Solidaritätszuschlag abschaffen. Wir werden ab 2021  90 Prozent der Menschen in diesem Land davon entlastet haben. Frau Hessel, ich fand das, was Sie gerade gesagt haben, verräterisch. Sie meinten, wir hätten die Leistungsträger in dieser Gesellschaft außen vor gelassen. Ich finde, die Leistungsträger in dieser Gesellschaft, die Erzieherinnen und Erzieher, die Pflegerinnen und Pfleger und die Handwerker, entlasten wir mit diesem Gesetz. Deshalb ist es richtig und wichtig und gut so, wie wir das tun. ({11}) Ich finde, es wäre ein verheerendes Zeichen, jetzt die Topmanager in diesem Land, die ein Gehalt von 100 000 Euro oder mehr beziehen, mit Steuerentlastungen zu belohnen. ({12}) Ich will am Ende auch Folgendes sagen: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben uns in die Verfassung geschrieben, dass Deutschland ein sozialer Bundesstaat ist. Daraus leitet sich die Aufgabe ab, relative Armut zu bekämpfen. Und relative Armut bekämpft man, indem man die Reichen in diesem Land stärker besteuert als die Ärmeren. Das, was wir machen, ist nicht nur politisch klug; es ist sogar verfassungsrechtlich geboten. Vielen Dank, liebe Kollegen. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dennis Rohde. – Die letzte Rednerin in dieser lebendigen Debatte: für die CDU/CSU Antje Tillmann. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Wir haben in dieser Woche viel erlebt: Die FDP hat uns Gedichte vorgetragen, ({0}) die Linken finden Investitionen nur dann interessant, wenn sie im Bundeshaushalt stehen, und die AfD findet alles Mist und zeigt mit dem Satz, CO2 sei eine gute Gabe Gottes, nur, dass sie weder das Klima noch den christlichen Glauben verstanden hat; denn die Bewahrung der Schöpfung gehört zu meinem christlichen Glauben auf jeden Fall mit dazu. ({1}) Richtig ist, dass dieser Haushaltsentwurf – ich betone: wir fangen gerade erst mit der Debatte an – ein guter Dreiklang aus Bürgerentlastung, Investitionen und Haushaltskonsolidierung ist. In diesem Haushalt entfaltet nämlich das Familienentlastungsgesetz erstmalig seine volle Wirkung. Durch das Kindergeld, den Kinderfreibetrag und den Kinderzuschlag entlasten wir die Familien 2020 um 2,2 Milliarden Euro. Mit demselben Gesetz entlasten wir alle Bürgerinnen und Bürger um weitere 2 Milliarden Euro von der kalten Progression. Das, was jahrzehntelang ein Thema war, gibt es seit sechs Jahren nicht mehr. Wir neutralisieren die kalte Progression, die schleichende Steuererhöhung, jedes Jahr – auch in diesem Haushalt wieder. Das sind 2 Milliarden Euro, die wir den Bürgerinnen und Bürgern zurückgeben. ({2}) Darüber hinaus entlasten wir die Bürger mit der weitgehenden Abschaffung des Solidaritätszuschlags für über 90 Prozent der Steuerpflichtigen um weitere 10 Milliarden Euro. Das sind 10 Milliarden Euro, die die Bürgerinnen und Bürger mehr zur Verfügung haben. In der Summe sind das bis 2021  20 Milliarden Euro, mit denen die Bürgerinnen und Bürger investieren, Vermögen anschaffen oder sonstige Bedürfnisse erfüllen können. Das ist in einer Zeit, in der die Wirtschaft nicht mehr so wächst, wie wir uns das wünschen, gut angelegtes Geld; weil auch sie investieren und konsumieren und damit die Wirtschaft ankurbeln. ({3}) Wir entlasten die Bürgerinnen und Bürger um den Hauptkostenfaktor. In vielen Haushalten ist gar nicht mehr die Steuer das Problem, sondern das Wohnen ist teuer geworden, und in diesem Bereich setzen wir auch in diesem Haushalt einen Schwerpunkt. Der soziale Wohnungsbau wird mit 2 Milliarden Euro unterstützt, durch das Baukindergeld entlasten wir Familien um 860 Millionen Euro – liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, auch das sind übrigens Investitionen –, und über den Mietwohnungsneubau und steuerliche Sonderabschreibungen werden Investitionen in Höhe von über 2 Milliarden Euro erfolgen. Der Bundesrat hat sich lange gewehrt, dem Gesetz zuzustimmen; im Juni ist das Gesetz endlich in Kraft getreten. Das heißt, auch Mietwohnungen können steuerlich begünstigt saniert und neu gebaut werden. Das ist ein guter Schritt für die Mieterinnen und Mieter, und ich bin froh, dass uns das gelungen ist. ({4}) Zum selben Thema gehört die Reform der Grundsteuer. Das ist die größte Reform für die Mieterinnen, Mieter und Kommunen in dieser Legislaturperiode. Ich verspreche Ihnen, dass wir alles, was in unserer Hand liegt, versuchen werden – hoffentlich auch schaffen werden –, damit die Mieten dadurch nicht steigen. Liebe Kollegin Lötzsch, ich garantiere Ihnen auch, dass wir es nicht zulassen werden, dass Mieterinnen und Mieter demnächst eine Vermögensteuer auf Gebäude zahlen müssen; denn es ist doch völlig klar: Derjenige, der die Vermögensteuer auf ein Mietgrundstück zahlen muss, legt sie sofort auf die Mieten um. – Sie wollen die Mieterinnen und Mieter entgegen dem, was Sie immer erzählen, weiter belasten. Das werden wir nicht zulassen. Wir wollen, dass das Mieten nicht weiter verteuert wird, und deshalb ist das mit uns nicht zu machen. ({5}) Liebe Kollegin Hessel, ich bin sehr gespannt darauf, wann das erste Mal in einem Bundesland das Abweichungsrecht in Anspruch genommen wird. Die Bayern werden das Grundsteuergesetz hoffentlich einfacher gestalten, als es im Bundesgesetz vorgesehen ist. Sie regieren in den Ländern mit. Ich hoffe, dass wir das demnächst ausprobieren können, um auch da Verwaltungskosten zu sparen. Das wäre in unserem Sinne. Wir haben mehr Föderalismus, wir haben den Ländern diese Kompetenz gegeben, und das ist auch gut so. ({6}) Wir haben die Familien weiter entlastet. Nachdem wir in den vergangenen Jahren für den Neubau von Kindergärten und für die Sanierung von Schulen gesorgt haben, investieren wir jetzt mit dem Gute-KiTa-Gesetz 5,5 Milliarden Euro nach unserem Wunsch in die Qualität der Kindergärten: durch einen anderen Fachkräfte-Kind-Schlüssel, durch mehr Qualität bei den Fachkräften. In einigen Ländern werden die Elternbeiträge gesenkt. Ich will das gar nicht schlechtreden, aber ich hoffe, dass die Qualität dabei nicht auf der Strecke bleibt. Das sind insgesamt 5,5 Milliarden Euro, die auch den Familien zugutekommen, weil die Eltern in Ruhe arbeiten gehen können, da sie wissen, ihre Kinder sind gut betreut. ({7}) Dasselbe gilt für das Thema Schule. Mit dem DigitalPakt Schule stellen wir sicher, dass die Schule im heutigen Zeitalter auch ankommt und die Digitalisierung in der Schule zu einem Grundthema wird, damit die jungen Menschen lernen, die digitalen Medien in der Bildung zu akzeptieren, um ihr Berufsleben gut anfangen zu können. Daneben nenne ich das BAföG, die Verbesserung des Bildungspaktes, das Wohngeld und unzählige Einzelgesetze. Dadurch wird den Bürgerinnen und Bürgern ein Teil der Steuern, die sie vorher entrichtet haben, wieder zurückgegeben. Bleibt das Thema Investitionen – in dieser Debatte ein sehr intensiv diskutiertes Thema –: Gerade die Linken haben immer wieder beanstandet, dass die Investitionsmittel im Bundeshaushalt nicht ausreichen. ({8}) Mit 40 Milliarden Euro sind sie so hoch wie nie. Wenn Sie die über 10 Milliarden Euro dazurechnen, die wir privat dadurch akquirieren, dass Bürgerinnen und Bürger investieren, ist das eine Investitionsquote auf Rekordniveau. Der Etat des Bundesforschungsministeriums mit 18 Milliarden Euro investiert natürlich mit Bildung und Forschung ebenfalls in die Zukunft. Allein die Programme ZIM und INNO-KOM mit 870 Millionen Euro für Unternehmen führen dazu, dass auch in Zukunft Investitionen in Bildung und Forschung möglich sind. Wir werden im nächsten Monat die steuerliche Forschungsförderung weiter beraten und sie auf den Weg bringen. Wir möchten, dass mittelständische Unternehmen es sich leisten können, zu forschen, damit sie auch morgen noch wettbewerbsfähig sind. Ich sage an dieser Stelle schon einmal zu, dass wir auf jeden Fall in diesem Gesetz auch die Auftragsforschung verankert haben möchten. Wir wollen, dass davon nicht nur große Konzerne profitieren; das ist gut. Aber wir wollen auch, dass sich der Mittelstand über Auftragsforschung Investitionen und Innovationen einkaufen kann. Hier ist noch Diskussionsbedarf. ({9}) Letzter Punkt: Haushaltskonsolidierung. Bei allem Gerede über Krise: Dieser Bundeshaushalt ist so aufgestellt, dass wir gut reagieren können, wenn der wirtschaftliche Abschwung sich tatsächlich manifestiert. Ich sage gerne – dafür wird der Koalitionspartner Verständnis haben –: Wir halten es für erforderlich, eine Unternehmensteuerreform auf den Weg zu bringen, um diesen Abschwung möglichst abzuflachen. ({10}) Diese Reform brauchen wir gar nicht hinsichtlich einer großen finanziellen Entlastung, sondern weil wir strukturelle Probleme in den Unternehmen haben. Ich nenne die Stichworte „Thesaurierungsbegünstigung“, „rechtsformneutrale Besteuerung“, aber auch „Hinzurechnungsbesteuerung beim Außensteuerrecht“. Das alles kann man tun, ohne dafür große Mittel in die Hand zu nehmen. Eine solche Reform ist erforderlich. Zur Frage, wie wir das finanzieren – dazu haben mehrere Redner schon etwas gesagt –: Nach dem Auslaufen des Länderfinanzausgleichs 2020 stellt der Bund den Ländern zusätzlich zu den höheren Umsatzsteuereinnahmen 10 Milliarden Euro an finanziellen Mitteln zur Verfügung. Das ist, glaube ich, hinreichend, damit die Länder künftig ihren Aufgaben wieder selbst nachkommen und wir uns auf die Bundesaufgaben konzentrieren können. Das ist wirtschaftliche Konsolidierung. Das ist auch Klimaschutz. Das Geld bekommen wir zusammen. Es steht zur Verfügung, weil wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben. Machen wir uns an die Aufgaben heran! Ich danke Ihnen. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Antje Tillmann. – Damit schließe ich die Aussprache.