Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/11/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Alice Weidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004930, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Deutschland steht vor einer Rezession: keine einfache Konjunkturdelle, sondern ein handfester Rückgang der Wirtschaftsleistung. Die Exporte brechen mit zweistelligen Verlusten in einigen wichtigen Ausfuhrländern ein: China, Großbritannien und Russland. Besonders betroffen: Automobilindustrie und Maschinenbau, das Rückgrat unserer industriellen Produktion und damit unseres Wohlstands. Die Meldungen über massive Stellenstreichungen in tragenden Unternehmen und Schlüsselbranchen reißen nicht ab. Das Wirtschaftswachstum stagniert, das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal 2019 sogar geschrumpft. Damit sind wir im Vergleich mit den übrigen EU- und Euro-Mitgliedstaaten Schlusslicht. Die Krise kommt nicht, die Krise ist bereits da. ({0}) Die nächste Rezession wird weder ein vom Himmel gefallenes Schicksal sein ({1}) noch das Werk böser Mächte. Sie ist in erster Linie hausgemacht. Die Schwierigkeiten, in die die deutsche Wirtschaft und damit das ganze Land hineinrutscht, sind die Folge Ihrer verhängnisvollen und wirtschaftsfeindlichen Politik, ({2}) einer im Kern grün-sozialistischen Ideologie, die unser Land ruiniert und seiner Zukunftsfähigkeit beraubt. ({3}) Diese Regierung trägt die Verantwortung für die Demontage der Autoindustrie durch Klimaschutzwahn und E-Auto-Planwirtschaft. ({4}) Sie ruinieren unser Land mit der absurden Idee, gleichzeitig aus Atomenergie und Kohleverstromung aussteigen zu können und zu einem fiktiven Datum in nicht allzu ferner Zukunft – typisch Planwirtschaft! – das Land CO2-neutral zu machen. ({5}) Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist absolut grotesk. ({6}) Das ist ein ökonomischer und naturwissenschaftlicher Nonsens, der uns jetzt schon die höchsten Stromkosten in Europa beschert, Hunderttausende Haushalte von Geringverdienern und der Mittelschicht in existenzielle Bedrängnis bringt, die Versorgungssicherheit gefährdet und energieintensive Industrien nach und nach aus Deutschland vertreibt. ({7}) Ihr vorgeblicher Klimaschutz ist nichts anderes als ein monströses Deindustrialisierungsprogramm, verbunden mit veritabler Arbeitsplatzvernichtung. Sie verschwenden Abermilliarden, um imaginierte Weltuntergänge in ferner Zukunft abzuwenden. Sie lassen sich von fragwürdigen Lobbyisten wie der Deutschen Umwelthilfe – aus meiner Sicht gehört diese Lobbyorganisation verboten – am Gängelband führen ({8}) und zerstören dafür die Grundlagen unseres Wohlstands und unsere Fähigkeit, die ganz realen und drängenden Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte zu meistern. Ich nenne zum Beispiel die unbewältigten Folgen der ungeregelten Migration in die Sozialsysteme und die Kriminalstatistik. ({9}) – Ja, ich weiß schon, warum Sie so quietschen. – Der frühere Bundesnachrichtenchef, August Hanning, spricht von mehr als 2 Millionen überwiegend jungen Männern, die seit 2015 eingewandert sind. Und die nächste Welle steht schon vor der Tür. Die Bilder aus Lesbos sind ein Menetekel. Der Türkei-Deal, an den Sie sich ja so gerne und so lange geklammert haben, ist gescheitert. Die Balkanroute ist offen, und Sie verschließen einfach die Augen davor. Wir könnten die Migration übers Mittelmeer beenden, wenn Sie bereit wären, mit Italien und anderen Mittelmeeranrainern dafür zu sorgen, dass keiner mehr illegal übers Meer nach Europa gelangen kann. ({10}) Was wird aber gemacht? Stattdessen ermuntern Sie die humanitären Schleuser und Menschenhändler, auch NGOs genannt, ({11}) lassen deren illegal eingeschleusten Passagiere noch nach Deutschland einfliegen und wollen sogar noch einen staatlichen Wassertaxidienst einrichten. Das ist wirklich nur noch grotesk, sehr geehrte Damen und Herren! ({12}) Eine wirksame Sicherung und Kontrolle der Grenzen ist möglich. Die Kosten würden sich jährlich im einstelligen Milliardenbereich bewegen – und das wissen Sie. Kein Vergleich mit den ökonomischen, politischen und vor allem gesellschaftlichen Folgekosten der anhaltenden ungeregelten Einwanderung! Sie wollen Millionen Bürger durch Verbote, Strafsteuern und dirigistische Maßnahmen in ihrer individuellen Mobilität einschränken, aber illegale Einwanderer können sich weiter frei und ungehindert über unsere Grenzen bewegen. Selbst wenn die Asyltäuschung auffliegt und der Aufenthaltstitel verweigert wird, müssen sie kaum eine Abschiebung fürchten. Sie haben das Geld für die abseitigsten Partikularinteressen übrig, aber nicht für die effektive Kontrolle unserer Grenzen und den Schutz unserer Bürger, die Ihnen einen Rekordanteil des von ihnen erwirtschafteten Einkommens überlassen müssen. Die Gegenleistungen bleiben Sie schuldig. ({13}) Inzwischen hat jeder zweite Hartz-IV-Empfänger einen Migrationshintergrund. Dazu kommt: Fast zwei Drittel der sogenannten Flüchtlinge leben von Hartz IV. Also zwei Drittel Ihrer Fachkräfte leben von Hartz IV! Asylzuwanderer sind übrigens überproportional kriminalitätsbelastet, gemessen am Bevölkerungsanteil. Schwere Sexual-, Raub- und Tötungsdelikte durch Zuwanderer haben erschreckend zugenommen. ({14}) Das Lagebild zur Zuwanderungskriminalität des Bundeskriminalamts bestätigt das doch schwarz auf weiß. Hören Sie doch auf, hier so rumzubrüllen! ({15}) Dass für die Bürger die Sicherheit im öffentlichen Raum mehr und mehr verloren geht, lässt Sie offenkundig gleichgültig. Man sieht das hier. Eine ältere Hypothek ist das gescheiterte Euro-Experiment. Zehn Jahre Euro-Rettung durch verlorene Hilfskredite und Geldschöpfung auf Knopfdruck sind zehn Jahre Umverteilung von unten nach oben und vom Bürger zum Staat. Die Nullzinspolitik, über die sich Olaf Scholz ja gestern so gefreut hat, führt die deutsche Mittelschicht und den Sparer ins Prekariat. Das Märchen vom reichen Land stimmt schon lange nicht mehr. In Europa belegen die Deutschen beim Vermögen den letzten Platz. Wenn die Draghi-Blase platzt, zündet der Euro-Geldsozialismus. Das wissen wir. Der Anteil der faulen Kredite in den Bilanzen südeuropäischer Banken – die Summen, die im Feuer stehen – ist gigantisch. Das Kartenhaus der Zombiebanken steht auf dem wackligen Boden der Negativzinspolitik der EZB, und die zerstört unaufhaltsam das Geschäftsmodell der soliden Banken. Wir stehen vor einem gigantischen Bankencrash, sehr geehrte Damen und Herren! ({16}) Wir werden bei gleichbleibender Entwicklung eine Staatsschulden- und Bankenkrise erleben, Hyperinflation und anschließend eine Währungsreform, bei der die Menschen alles verlieren werden. Und Sie sagen es ihnen nicht. Was tun Sie, um das zu verhindern? Natürlich gar nichts. Im Gegenteil: Sie befeuern die Entwicklung auch noch. Von EZB-Chefin Christine Lagarde ernten Sie dafür Beifall und ganz viel Umarmung, von jener Frau, die 2010 als IWF-Direktorin erklärte – ich zitiere –: Wir müssen die Verträge brechen, um den Euro zu retten. Und das ist genau Ihr Verständnis von Rechtstreue. ({17}) Für eine andere Lösung als eine zum deutschen Nachteil hätten Sie aber vermutlich auch gar keine Mehrheiten zusammenbekommen. Denn Sie haben Deutschland in Europa isoliert, und niemand nimmt Sie mehr ernst. Bei internationalen Konferenzen sitzen Sie im Abseits, während die anderen ihre Interessen verfolgen und auch durchsetzen. ({18}) Sie haben das Verhältnis zu den USA zerrüttet, die Briten aus der EU getrieben ({19}) und tun im Kielwasser der Franzosen nichts für eine vernünftige Brexit-Lösung. ({20}) Und jetzt legen Sie uns einen Haushalt vor, der vor allem eins erkennen lässt: dass Sie und Ihr Kabinett nicht verstanden haben, was die Stunde geschlagen hat. Sie verkonsumieren die immer noch reichlich kassierten Steuergelder, als würde der Segen ewig weiterfließen. ({21}) Was passiert denn dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge, die jetzt auf dem Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn sind, in zehn Jahren in Rente gehen und nicht mehr bis zum Anschlag gemolken werden können? ({22}) Vorsorge für schlechte Zeiten ist in diesem Haushalt ein Fremdwort. Der Investitionsanteil ist trotz des Rekordvolumens lächerlich niedrig und akrobatisch schöngerechnet. Dazu verdient – das ist auch absolut absurd – der Bundesfinanzminister sogar noch am Schuldenmachen, weil Anleger für langlaufende Anleihen Negativrenditen zahlen. Das allein zeigt, wie das Geldsystem aus den Fugen geraten ist, sehr geehrte Damen und Herren; ({23}) denn es sind die Bürger, die durch Negativzinsen wie durch eine Sondersteuer kalt und gnadenlos enteignet werden. Es ist das Geld der Bürger, direkt und indirekt eingetrieben, das Sie verschleudern. ({24}) Der Ökonom Daniel Stelter berechnet – ich zitiere –: Allein auf Bundesebene wurden in den letzten zehn Jahren 460 Milliarden Euro zusätzlich verfügbares Geld für Konsum und Wahlgeschenke verplempert. – Zitat Ende. Dabei gibt es genug Baustellen im Land, in denen das Geld der Bürger besser und sinnvoller ausgegeben werden könnte. ({25}) Die Infrastruktur verfällt, Straßen verkommen, Schulgebäude verfallen, die Bahn funktioniert immer schlechter, schnelles Internet gibt es anderswo, von Großprojekten wie Flughäfen, die nie fertig werden, gar nicht zu reden. ({26}) Die Sozialsysteme sind überlastet und nicht zukunftsfähig. Deutschland droht eine massive Altersarmut. Die öffentliche Ordnung leidet, Sicherheit geht verloren. ({27}) – Dass das die Grünen nicht interessiert, weiß ich. ({28}) Die Bundeswehr ist kaum noch einsatzfähig, die arbeitende Bevölkerung ist mit hohen Steuern und Abgaben belastet. ({29}) Statt den Bürgern das zu viel abgenommene Geld zurückzugeben – nicht einmal den Soli können Sie rechtskonform abschaffen –, brüten Ihre Regierung und die sie tragenden Parteien schon über neue Steuern: CO2-Steuer, Vermögensteuer, Sonderabgaben auf alles Mögliche. Jeder Vorwand scheint Ihnen recht, um den Bürger immer weiter zu belasten, weil Sie mit dem überreichlich vorhandenen Steuergeld doch gar nicht umgehen können. Das ist doch die Wahrheit! ({30}) So kann es einfach nicht weitergehen. Ein grundsätzliches Umdenken tut not: Umwelt- und Ressourcenschonung statt Klimaschutz, Schluss mit der kopflosen Energiewende, Stopp der unkontrollierten Einwanderung und Sicherung unserer Grenzen, ({31}) Abkehr von der Euro-Inflationspolitik und vor allem mehr Freiheit für die Bürger und alle, die in diesem Land Werte schaffen. ({32}) Denk- und Redefreiheit statt Diffamierung Andersdenkender, ({33}) die das politische Klima vergiftet. ({34}) Wirtschaftliche Freiheit statt Gängelung und neue Verbote, Entlastung bei Steuern und Abgaben statt Steuerwucher, Bürokratismus und Umverteilung. Hören Sie auf Ludwig Erhard – ich zitiere –: Kümmere du, Staat, dich nicht um meine Angelegenheiten, sondern gib mir so viel Freiheit und lass mir von dem Ertrag meiner Arbeit so viel, dass ich meine Existenz, mein Schicksal und dasjenige meiner Familie selbst zu gestalten in der Lage bin. ({35}) Das ist freiheitliche, bürgerliche Politik, die unser Land so dringend nötig hat und die in dieser Regierung keine Heimat und keinen Fürsprecher mehr hat. ({36}) Ich bedanke mich. ({37})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Haushaltsdebatte2019 findet in Zeiten weltweiter großer Veränderungen und Kräfteverschiebungen statt. Die Europäische Union erlebt in wenigen Monaten den Austritt eines wichtigen Mitgliedstaates, den Austritt Großbritanniens. Wir haben nach wie vor nach meiner festen Überzeugung alle Chancen, ihn geordnet hinzubekommen. Die Bundesregierung wird sich auch bis zum letzten Tag dafür einsetzen, dass das möglich ist. Aber ich sage auch: Wir sind auch auf einen ungeordneten Austritt vorbereitet. – Es bleibt aber dabei: Nach dem Austritt Großbritanniens haben wir einen wirtschaftlichen Wettbewerber vor unserer eigenen Haustür, auch wenn wir enge außen- und sicherheitspolitische Kooperationen beibehalten wollen, auch wenn wir freundschaftlich verbunden sein wollen. 70 Jahre Bundesrepublik, 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges zeigen sich global völlig neue Muster der Kräfteaufteilung. Es gibt auf der einen Seite eine nach wie vor starke Macht – man kann sagen: eine Supermacht USA –, ökonomisch und militärisch. Europa ist dieser Supermacht im Wertesystem verbunden, und trotz aller Meinungsverschiedenheiten gibt es eine tiefe Gemeinsamkeit. Aber es gibt keinen Automatismus mehr wie im Kalten Krieg, dass die Vereinigten Staaten von Amerika schon die Beschützerrolle für uns Europäer übernehmen werden. Europas Beitrag wird hier stärker gefordert. Wir haben auf der anderen Seite China mit einem anderen politischen System, mit einem rasanten ökonomischen Aufstieg, mit wachsenden militärischen Kräften, nicht eingebunden in irgendwelche Abrüstungsregime. Ich konnte mich letzte Woche bei meinem Besuch in China wieder davon überzeugen, mit welch unglaublicher Dynamik und Entschlossenheit dort die Entwicklung voranschreitet. Damit ist natürlich klar – das habe ich auch in China deutlich gemacht –, dass China auch für die globale, multilaterale Ordnung eine zunehmende Verantwortung hat. Deutschland tut gut daran, mit China in allen Bereichen Kontakte zu pflegen, wirtschaftlich, aber auch in den verschiedenen Dialogformaten, die wir haben – Rechtsstaatsdialog, Menschenrechtsdialog –, ({0}) in denen wir auch unterschiedliche Meinungen austragen können. Ich habe bei meinem Besuch auch wieder darauf hingewiesen, dass die Einhaltung der Menschenrechte für uns unabdingbar ist. ({1}) Das gilt insgesamt, und das gilt auch im Blick auf die Situation in Hongkong, wo wir das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ weiter für richtig halten. ({2}) Meine Damen und Herren, die wachsende Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und China, gleichzeitig auch das geostrategische Wiedererstarken Russlands haben natürlich tiefgreifende Folgen für uns in Europa. Wir als Europäer stehen einerseits durch den Austritt Großbritanniens geschwächt da – man muss das so aussprechen –; auf der anderen Seite ist es aber auch genau die Stunde, neue Stärke zu entwickeln. Ich finde, das, was Ursula von der Leyen gestern mit ihrer Vorstellung der neuen EU-Kommission geleistet hat, weist genau in diese Richtung: eine global ausgerichtete Kommission, die Europas Rolle in der Welt festigen will und die richtigen Themen angehen will. Ich glaube, das kann ein sehr guter Start sein. ({3}) Europa ist als multilaterales Projekt gegründet, als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, und Europa muss sich für den Erhalt des Multilateralismus auf der Welt einsetzen, auch wenn er noch so unter Druck steht. Das ist unsere Verpflichtung, und Deutschland muss hierbei eine herausragende Rolle spielen. Kein Land auf der Welt kann seine Probleme alleine lösen, und wenn wir alle gegeneinander arbeiten, dann werden wir nicht gewinnen. Ich glaube an die Win-win-Situation, wenn wir zusammenarbeiten, und das muss das Credo sein. ({4}) Das bedeutet natürlich, dass wir das transatlantische Bündnis stärken müssen, und deshalb ist es wichtig, unserer Verpflichtung nachzukommen und auch im militärischen Bereich unsere Versprechen einzuhalten. Wir wollen uns in Richtung des Ziels bewegen, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben – wie alle NATO-Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Gleichzeitig wollen wir einen eigenen Pfeiler der Verteidigung mit der gemeinsamen Verteidigungspolitik im Rahmen von PESCO aufbauen, indem wir gemeinsam Rüstungsprojekte entwickeln und unsere Anstrengungen bündeln. Europa muss für eine Handelspolitik eintreten, die einen freien, regelbasierten und auf Standards setzenden Handel unterstützt. Europa muss sich für die Reform der Welthandelsorganisation einsetzen. Europa muss in Zukunft nicht nur an einem Freihandelsabkommen mit Großbritannien arbeiten, sondern auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir müssen beim Investitionsschutzabkommen mit China endlich zum Abschluss kommen, und Europa muss Vorreiter in der Klimapolitik und Motor bei der Umsetzung des Pariser Abkommens sein. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen vor allen Dingen technologisch wieder in allen Bereichen auf die Höhe der Zeit, auf das, was Weltmaßstab ist, kommen. ({5}) Wir sind das nicht mehr, wir müssen uns das eingestehen, und wir müssen in diese Richtung arbeiten. Das bedeutet, dass wir die Digitalisierung im Geiste der sozialen Marktwirtschaft gestalten. Das bedeutet, dass wir überall da, wo wir technologische Rückstände haben, durch Bündelung der europäischen Anstrengungen auch wirklich vorankommen. Ob es die Herstellung von Chips ist, ob es die Plattformwirtschaft ist, ob es das Datenmanagement ist – Stichwort „Hyperscaler“ –, ob es Batteriezellenproduktion ist: Überall muss Europa wieder Souveränität entwickeln und auch in der Datenwirtschaft einen eigenen Weg gehen, den Weg der sozialen Marktwirtschaft mit der Souveränität über die eigenen Daten. ({6}) Europa muss einen Fußabdruck, wie man heute vielleicht sagt, hinterlassen bei der Konfliktlösung in der Welt. Wir haben uns als Europäer – auch Großbritannien verfolgt weiter diese Position – entschieden, weiter zu dem Nuklearabkommen mit dem Iran zu stehen; das ist richtig. Wir werden Schritt für Schritt versuchen, auch hier immer wieder mit dem Iran Lösungen zu finden, die eine Eskalation der Spannungen in einer für die Welt sensitiven Region verhindern. Das ist europäische Aufgabe. ({7}) Wir müssen sichtbarer werden bei der Lösung der Situation in Syrien. Es muss jetzt endlich ein politischer Prozess in Gang kommen, damit die Menschen, die außerhalb Syriens leben, oder die Menschen, die in Syrien Flüchtlinge sind, wieder eine Chance haben, in ihrem Heimatland eine politische Ordnung zu finden, die nicht von Diktatur bestimmt ist. Europa hat hier eine Verantwortung. Wir haben die Verantwortung zur Lösung der Spannungen zwischen Russland und der Ukraine. Es gibt erste kleine Fortschritte jetzt in den letzten Wochen, seit Präsident Selenskyj im Amt ist, um die Minsker Vereinbarung vielleicht voranzutreiben. Wir arbeiten auf ein Gipfeltreffen im N4-Format in wenigen Wochen hin, um dann auch deutliche Fortschritte zu machen. Meine Damen und Herren, in Libyen entwickelt sich eine Situation, die ähnliche Ausmaße annehmen kann, wie wir das in Syrien gesehen haben, nämlich ein Stellvertreterkrieg. Es ist von entscheidender Bedeutung – Deutschland wird hier auch seinen Beitrag leisten –, dass wir alles daransetzen, diesen Konflikt in Libyen nicht zu einem solchen Stellvertreterkrieg eskalieren zu lassen, sondern zu versuchen, wieder Staatlichkeit in Libyen herzustellen, so schwer das auch immer ist; denn die gesamte Region in Afrika wird destabilisiert, wenn Libyen nicht stabilisiert wird. Und deshalb ist das unsere Aufgabe. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit habe ich versucht, den Rahmen aufzuzeigen, in dem unsere Haushaltsdebatte stattfindet, in dem auch sichtbar wird, was die Erwartungen an uns sind. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa. Wir müssen für diese Europäische Union einen wichtigen Beitrag leisten. Wir werden im zweiten Halbjahr des nächsten Jahres die Präsidentschaft in der Europäischen Union innehaben. Hier müssen wir Beiträge leisten, um voranzukommen. Deshalb sage ich ganz deutlich: Deutschland wird sich dieser Verantwortung stellen. So sagt es unser Koalitionsvertrag, und so werden wir es auch tun. Ich hoffe nur eines – bei allen Aufgaben, die wir gern in der deutschen Präsidentschaft übernehmen –: dass die mittelfristige finanzielle Vorausschau, die Finanzplanung für die nächsten Jahre, vielleicht doch von den vorherigen finnischen und kroatischen Präsidentschaften gelöst wird. Es ist ja wichtig, dass Europa nicht erst auf den letzten Drücker Klarheit über die finanzielle Situation in den nächsten Jahren hat; denn sonst würden viele Programme eine ganze Zeit lang nicht laufen können. Also: Wir werden alles tun, um Finnland und Kroatien zu unterstützen, damit dieses Thema vor Beginn unserer Präsidentschaft gelöst ist. ({9}) Ich glaube, trotz aller Schwierigkeiten, die wir sehen – – Wir haben international Unsicherheit, durch den US-amerikanisch-chinesischen Handelskonflikt zum Beispiel, und das wirkt sich natürlich auf eine Exportnation wie Deutschland aus. Und der Grund dafür, dass bestimmte Exporte zurückgehen, liegt ganz wesentlich nicht darin, dass die deutschen Produkte nicht mehr gut sind, sondern liegt darin, dass Unsicherheit darüber da ist, wie sich die Weltkonjunktur entwickeln wird. Deshalb ist es so wichtig, für die Abkommen zu kämpfen. Aber auch unser Haushalt gibt Antworten auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Es zeigt sich, dass unsere Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik mit wachsenden Etats ausgestattet sind, ({10}) dass wir zu unseren internationalen Verpflichtungen stehen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, was Deutschland geleistet hat in den letzten Jahren, war, internationale Konflikte immer in einem vernetzten Ansatz lösen zu wollen. Dazu gehört Entwicklungspolitik, dazu gehört Sicherheitspolitik, und dazu gehört, wenn notwendig, auch die Bereitschaft zum militärischen Einsatz. Man kann die Dinge von daher nicht voneinander trennen. Deshalb ist es wichtig, dass wir zu unseren internationalen Verpflichtungen stehen. Es wird von uns erwartet, dass wir nicht nur eine wirtschaftlich starke Nation sind, sondern dass wir auch für die Sicherheit und für den Frieden auf der Welt unseren Beitrag leisten, in allen Bereichen. ({11}) Ich glaube, da ist die Koalition jetzt auch auf einem guten Weg. Und dann gibt es die Aufgabe, so wie ich es für Europa dargestellt habe, natürlich auch für Deutschland die Zukunftsfähigkeit zu sichern. Da, glaube ich, stehen wir vor zwei großen Herausforderungen, die im Übrigen auch mit der Schwerpunktsetzung von Ursula von der Leyen und der neuen Kommission übereinstimmen: Das ist auf der einen Seite die Bewältigung der Digitalisierung, die unser Arbeiten, Leben völlig verändert, und das ist auf der anderen Seite die große Herausforderung des Klimaschutzes. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kommt jetzt darauf an, wie wir die Aufgabe des Klimaschutzes einordnen. Ich ordne sie so ein – und das tut auch die Bundesregierung –, dass ich den Klimaschutz als eine Menschheitsherausforderung begreife. Es geht darum, ob wir als Industriestaaten angesichts des Abdrucks an Ressourcenverbrauch, den wir hinterlassen haben, bereit sind, an vorderer Front etwas dafür zu tun, damit wir diesen Fußabdruck überwinden und den Temperaturanstieg stoppen oder zurückdrehen. ({12}) Das ist unsere Verantwortung, weil wir sehr viel CO2 und andere klimaschädliche Gase bereits emittiert haben. Wer der Meinung ist, dass, weil wir nur 2 Prozent der Emissionen verursachen, diejenigen Länder, die die übrigen 98 Prozent der Emissionen verursachen, sich darum kümmern sollen, ({13}) der irrt meiner Meinung nach. ({14}) Aber diese Grundentscheidung, ob wir diese Verantwortung haben oder ob wir sie nicht haben, müssen wir miteinander treffen. Wir müssen auch die Grundentscheidung treffen, ob wir das Risiko eingehen wollen, zu sagen: „Der Klimawandel ist gar nicht menschengemacht, vielleicht vergeht das alles“, oder ob wir der Meinung sind: Es gibt so viel Evidenz dafür, dass der Mensch mit dem Klimawandel etwas zu tun hat, dass wir verpflichtet sind, mit Blick auf die zukünftigen Generationen auch zu handeln. Das ist die Herausforderung. ({15}) Dabei setzen wir auf Innovation, auf Forschung, auf unser Zutrauen, dass wir, wie wir es immer getan haben, gute technische Lösungen finden, und dabei setzen wir auf die Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft. ({16}) Wir haben vieles in Gang gebracht: Wir haben die Energiewende begonnen, wir haben im Industriebereich den Zertifikatehandel. Wir haben unsere Klimaziele 2010 eingehalten. Aber wir müssen sagen: Die selbstgesetzten Ziele für 2020 werden wir nach menschlichem Ermessen nicht einhalten. Deshalb müssen wir Vorsorge treffen, dass wir verlässlich unsere Ziele für 2030 einhalten. ({17}) Was ist das Erfolgsrezept gewesen, um Innovation und menschliche Antriebskraft, menschliche Kreativität, menschlichen Forschergeist zu inzentivieren? Das waren immer die Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft. Deshalb ist das Thema der Bepreisung nicht irgendeine Auflage auf irgendetwas drauf, sondern ein Mechanismus, der mit größter Wahrscheinlichkeit Innovation und Forschung auch dort stattfinden lässt, wo wir als Politiker uns das gar nicht ausdenken können. ({18}) Deshalb ist es ein richtiger Angang, über die Bepreisung und die Mengensteuerung von CO2-Emissionen Lösungen zu finden und gleichzeitig unterstützend tätig zu sein, um die Menschen in die Lage zu versetzen, den Umstieg zu schaffen. Das heißt nicht, dass der Staat Geld einnehmen soll, sondern er soll dieses Geld den Bürgerinnen und Bürgern so zurückgeben, dass sie diesen Umstieg mit uns gemeinsam schaffen. ({19}) Das ist ein gewaltiger Kraftakt, bei dem – das merke ich – Teile der deutschen Wirtschaft zum Teil weiter sind als manche in diesem Hause. ({20}) Unternehmen denken sehr wohl darüber nach, wie sie CO2-frei produzieren können. Wenn ich mir den Ausbaupfad für erneuerbare Energien anschaue und die Zahl der Unternehmen, die ihre Zulieferer nur noch klimaneutral zuliefern lassen wollen oder nur noch grünen Strom verwenden wollen, dann frage ich mich, ob wir genug grünen Strom haben werden, um überhaupt die Anforderungen in diesem Bereich zu bestehen. ({21}) Wir müssen – der Wirtschaftsminister tut das – den Ausbau der erneuerbaren Energien aber so machen, dass er auch Akzeptanz bei der Bevölkerung findet. ({22}) Deshalb vermute ich, dass der Ausbau der Offshorewindenergie eher zunehmen wird. Dann müssen aber auch alle bereit sein, sich für neue Leitungen einzusetzen, und wir müssen auch bereit sein, Gerichtsverfahren und Einsprüche zu verkürzen, um da wirklich voranzukommen. ({23}) Wir müssen natürlich auch im Auge haben, dass die Windkraftanlagen im Allgemeinen nicht in den Großstädten aufgebaut werden, sondern in den ländlichen Regionen. ({24}) Wir müssen verhindern, dass es eine Art – ich sage es jetzt mal etwas mutig – Arroganz derjenigen, die in der Stadt leben, gegenüber denjenigen, die auf dem Land leben, gibt. ({25}) Wir müssen ein neues Bündnis von Stadt und Land schaffen und vor allen Dingen – erste Ansätze gibt es ja jetzt – die Kommunen, in deren Nähe Windkraftanlagen gebaut werden, auch an dem Gewinn, der daraus entsteht, beteiligen, um Anreize zu bieten. ({26}) Hierfür werden wir Vorschläge machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine der großen Herausforderungen ist das Thema des Verkehrs. Unsere Automobilindustrie hat in wirklich beeindruckender Weise immer effizientere Technologien entwickelt. Aber es hat bislang keine Entkopplung der Verkehrsemissionen von dem Wirtschaftswachstum gegeben. Mit dem Wirtschaftswachstum hat die Menge an Verkehr zugenommen und alle Effizienzgewinne sozusagen wieder aufgefressen, was dazu geführt hat, dass wir seit 1990 im Verkehrsbereich keinerlei Reduktion der Emissionen haben. Deshalb müssen wir hier mit aller Kraft alternative Antriebe voranbringen. Und ja – das haben wir bei den erneuerbaren Energien gesehen –, das wird am Anfang sicherlich auch unterstützende Leistungen erfordern, zum Beispiel bei dem Aufbau der Ladeinfrastruktur. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie sich heute mal die Ausschreibeverfahren für die erneuerbaren Energien an. Wir sind fast bei Kostendeckung; wir sind fast bei null Subventionen. Das heißt, wir haben als Industrienation die Pflicht, Vorbild zu sein, um diesen Umstieg auch in der Mobilität zu erreichen, und wir haben auch die Pflicht, die Menschen in die Lage zu versetzen, daran teilzunehmen und ihre individuelle Mobilität zu sichern. Das sind alles keine einfachen Aufgaben; aber ich glaube, es lohnt sich, in diese Aufgaben zu investieren. Deshalb werden wir zu unseren Zielen stehen. Wir werden auch zu unserem Ausbauziel bei den erneuerbaren Energien stehen; wir werden am 20. September Vorschläge machen. Deshalb hat der Bundesfinanzminister auch noch keinen Vorschlag für den EKF, den Klimafonds, gemacht; aber das wird zeitnah erfolgen. Es ist ja sinnvoll, die Klimabeschlüsse und die Besetzung des Energie- und Klimafonds gemeinsam zu behandeln. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Augenblick ein besonderes Problem im Wald. Der Wald kann uns nicht alleine die Klimaprobleme lösen. Aber eine Zerstörung oder ein großer Schaden des Waldes würde uns beim Klimaschutz gerade in die falsche Richtung bringen. Deshalb unterstütze ich die Bundeslandwirtschaftsministerin bei ihren Bemühungen, gerade auch diejenigen, die nachhaltige Forstwirtschaft betreiben, in die Lage zu versetzen, unseren Wald zu retten und so weiter auf einen guten Pfad zu bringen. Dem müssen wir uns verpflichtet fühlen. ({27}) Und natürlich – um das auch noch hinzuzufügen – sollten wir nicht den nationalen Klimaschutz gegen den internationalen Klimaschutz ausspielen. Natürlich wird der Entwicklungsminister, wird das Außenministerium, wird das Umweltministerium, werden wir alles tun, um auch international Technologietransfer zu betreiben, Länder in die Lage zu versetzen, Klimaschutz zu machen oder zumindest die notwendigen Anpassungen an die Klimaveränderung vorzunehmen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das erspart uns eben nicht die eigene häusliche Anstrengung. Das eine muss getan werden – und das andere auch. Eines muss man, wenn dann wieder die Kostenrechnungen gemacht werden, bei all dem noch bedenken: Wenn wir den Klimaschutz vorantreiben, wird es Geld kosten, und dieses Geld ist gut eingesetzt. Wenn wir ihn ignorieren, wird es uns nach meiner Überzeugung mehr Geld kosten, als wenn wir etwas tun. ({28}) Das ist die Wahrheit. Nichtstun ist nicht die Alternative, sondern Tatsache ist, dass wir dann mehr bezahlen werden. ({29}) – Man möchte darauf antworten – die meisten werden es nicht verstanden haben –; aber ich möchte dem Rufer nicht noch mehr Ehre geben, weil es einfach nicht stimmte. ({30}) – Hatte er nicht, Frau Haßelmann. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die zweite große Herausforderung, vor der wir stehen, ist die Frage, wie wir die Digitalisierung meistern. Die Bundesregierung hat eine Umsetzungsstrategie Digitalisierung. Natürlich beginnt alles mit dem Ausbau der Infrastruktur. Es ist sehr erfreulich, dass letzte Woche mit den Mobilfunkunternehmen jetzt abschließend vereinbart werden konnte – der Verkehrs- und Infrastrukturminister hat das gemacht –, dass bis Ende 2020 mindestens 99 Prozent der Haushalte mit Mobilfunk versorgt sind. Die Mobilfunkunternehmen sind hier in der Pflicht, die Auflagen und Vereinbarungen zu erfüllen, und wir haben auch bei der 5G-Versteigerung die Versorgungsauflagen sehr hart gefasst, um eben auch wirklich flächendeckend Mobilfunk zu bekommen und 5G möglichst schnell auszurollen. Es ist auch gut und richtig, dass wir der Industrie eine Tranche der Frequenzen zur freien Verfügung gegeben haben. Das wird unsere Wirtschaft in die Lage versetzen, sehr schnell auch 5G-Technologien anzuwenden. Und wir müssen natürlich eine Strategie entwickeln, wie wir flächendeckend, also auch den Landwirten und vielen anderen, Zugang zum Mobilfunk ermöglichen. Das werden wir bis zum Jahresende tun. Wir werden des Weiteren als Staat mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes 575 Leistungen bis 2022 digitalisieren. Das ist eine große Herausforderung. Der Bundesinnenminister hat sich ihr gestellt, und ich denke, dass wir das auch hinbekommen. Und, meine Damen und Herren, wir müssen vor allen Dingen im Bereich der künstlichen Intelligenz besser und schneller werden und den Anschluss behalten. ({31}) Wir haben dazu eine Strategie entwickelt und werden auch international anerkannte Professoren nach Deutschland einladen, hier bei uns zu arbeiten. Was mir aber Sorgen macht und wo wir weiter dranbleiben müssen – der Wirtschaftsminister tut das –, ist, dass die Wirtschaft, gerade der Mittelstand und die kleineren Unternehmen, die Herausforderungen der Zeit erkennen und das Datenmanagement verbessern. ({32}) Sie müssen verstehen, dass die zukünftigen Produkte aus Daten entstehen werden und dass die Produktion von Gütern nicht mehr der Hauptpunkt bei der Wertschöpfung ist. Hier sind wir im Rückstand, und hier wird die Bundesregierung unterstützend tätig sein, um Unternehmen das Cloud-Computing und Ähnliches auf europäischer Ebene sicher zu ermöglichen. Aber hierzu brauchen wir auch – das sage ich ganz offen; die Wirtschaft sagt es uns ja auch – eine Anstrengung des deutschen Mittelstandes. Hier gibt es angesichts der gut gefüllten Auftragsbücher der letzten Jahre – ich sage es einmal so – vielleicht eine kleine Verzögerung. Da sich die konjunkturelle Lage verändert und es offensichtlich ist, dass wir wieder neuen Anlauf nehmen müssen, brauchen wir dieses Bündnis von Mittelstand und Bundesregierung. Wir sind dazu bereit; denn wir wollen die Digitalisierung auf europäische Art und Weise gestalten. Das heißt, dass die Daten weder den privaten Unternehmen noch dem Staat gehören, sondern dass wir uns für Lösungen einsetzen, die die Datensouveränität der Bürgerinnen und Bürger sicherstellen, und das bedeutet, dass wir in Europa all diese Technologien haben müssen; denn sonst werden wir in Abhängigkeit von Ländern geraten, wo man das genau anders sieht. ({33}) Für mich ist das ein wesentlicher Teil der sozialen Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert. Die soziale Marktwirtschaft hat uns stark gemacht. Ludwig Erhard hat sie eingeführt – gegen viele Widerstände. Aber sie bekommt heute, im 21. Jahrhundert, neue Dimensionen. Das, was ohne Digitalisierung galt, muss auf die Digitalisierung jetzt umgestellt werden. Das ist eine neue Dimension. Das, was den Ressourcenverbrauch noch nicht ausreichend im Blick hatte, muss auch in Richtung dieser Dimension umgestellt werden. Aber das System der sozialen Marktwirtschaft, die Herangehensweise, die Überzeugung, dass der Mensch kreativ ist, dass der Staat Rahmenbedingungen schafft, aber nicht dirigiert, das muss bleiben, und das wird uns wieder stark machen, meine Damen und Herren. ({34}) Ich habe jetzt so lange über die Fragen von Klimaschutz und Digitalisierung gesprochen, weil ich glaube, dass die Bewältigung dieser beiden Herausforderungen die entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass wir auch in Zukunft in Wohlstand und Prosperität leben können. Auch in der Gesellschaft der Zukunft wollen wir alles tun, um Menschen zu helfen, die in schwierigen Situationen sind, um soziale Absicherung zu leisten. All das werden wir aber nur leisten können, wenn wir mit den Herausforderungen der Zukunft technologisch gut umgehen und an der Weltspitze mit dabei sind. Deshalb ist die Frage, wie wir die richtigen Antworten bei der Digitalisierung und dem Klimaschutz finden, die entscheidende Voraussetzung dafür, dass wir auch in Zukunft in Wohlstand leben. In unserem Land leben über 83 Millionen Menschen. Sie alle haben Hoffnungen, Vorstellungen, Sorgen, Probleme. Die Bundesregierung hat in der Koalitionsvereinbarung versprochen, dass wir für Wohlstand und gutes Leben sorgen wollen. Und wir haben in den letzten 18 Monaten vieles gemacht, was manchmal in Vergessenheit gerät: Die Familien sind um 10 Milliarden Euro entlastet worden, die kalte Progression ist ausgeglichen. Wir haben den Mindestlohn – – ({35}) – Ja, das ist so. ({36}) Das ist nun unstreitig. Selbst der Bund der Steuerzahler hat das gestern gesagt, Herr Lindner; da waren Sie doch dabei. Ich bitte Sie. Das ist wirklich komisch. ({37}) Sie sagen doch sonst nichts Gutes über uns; aber bei der kalten Progression waren Sie dabei. ({38}) Der Mindestlohn konnte gesteigert werden, weil die Gesamtlöhne steigen. Wir haben bei der Krankenversicherung die Menschen entlastet. Wir haben den Abbau des Solis jetzt im Kabinett beschlossen. Für 96,5 Prozent der Steuerzahler wird es Entlastungen geben. Wir haben die Kitabetreuung verbessert. Die Bundesfamilienministerin schließt jetzt mit den Ländern die entsprechenden Abkommen. Wir haben die Stabilisierung und Stärkung der Rente mit den Haltelinien eingeführt. Die Verbesserung der Mütterrente und die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente sind zu nennen. Das alles sollten wir mal nicht vergessen. Das ist aber alles nur möglich, weil wir eine gute Wirtschaftslage haben, und das können wir aus dem Haushalt leisten. Ich finde es nur wirklich abenteuerlich, wenn es hier in diesem Hause Menschen gibt, die behaupten, dass diese Ausgaben von Steuergeldern Ausgaben wären, die an Verschwendung grenzen. Das sind Ausgaben für Menschen, die sich darüber freuen, die entlastet werden, die belohnt werden für ihre Leistung, die Sicherheit bekommen. Und darauf sind wir stolz, meine Damen und Herren und liebe Kolleginnen und Kollegen. ({39}) Wir haben die Konzertierte Aktion Pflege abgeschlossen. Wir entlasten Kinder von pflegebedürftigen Menschen, die ein Jahreseinkommen von weniger als 100 000 Euro haben. ({40}) Auch das ist ein großer Beitrag zu mehr Sicherheit für viele junge Familien, die vor ganz anderen Aufgaben stehen. Aber richtig ist auch: Vor uns stehen weitere große Aufgaben. Wir müssen damit rechnen – angesichts der jetzigen konjunkturellen Lage –, dass gegenüber dem Finanzplan die Steuereinnahmen sinken könnten. Deshalb muss alles getan werden, um auch für die Zukunft die Weichen zu stellen. Da geht es vor allen Dingen um Investitionen. Bei den Investitionen – das ist gestern schon in der Rede des Bundesfinanzministers angeklungen – ist es im Augenblick nicht der Mangel an Geld. Wir haben Hunderttausende geplante Wohnungen, die gebaut werden könnten. Wir haben Straßen, wir haben digitale Infrastruktur geplant. Der Investitionshaushalt hat einen Höhepunkt erreicht. Aber wir haben nicht ausreichend Planungskapazität, wir haben nicht ausreichend Beschleunigung. Deshalb müssen wir da ansetzen, dass erst mal das Geld ausgegeben werden kann. Und obwohl wir schon Planungsbeschleunigungsgesetze gemacht haben, sollten wir als Koalition noch mal überlegen: Wo können wir weitergehen, wo können wir schneller werden? Und wir sollten weiter Bürokratie abbauen, die die Unternehmen so sehr hindert. Auch dafür haben wir Pläne. ({41}) Meine Damen und Herren, wir sind jetzt etwa ein Jahr nach dem Wohngipfel im vergangenen Jahr, und wir können sagen: Es ist viel passiert. Wir haben eine Baulandkommission gehabt. Das wird jetzt eingearbeitet. Dann werden die Investitionsbedingungen hoffentlich noch einmal verbessert. Wir haben den sozialen Wohnungsbau fortgesetzt. Wir als Bund werden da auch weiter Verantwortung übernehmen. Wir haben glücklicherweise durch den Bundesrat die Sonderabschreibung für mehr Wohnungsbau bekommen. Das ist der Anreiz, den man braucht, um mehr Wohnungen zu bauen. Ich meine, wir haben Mietpreisbremsen und alles beschlossen, aber wenn zu wenige Wohnungen da sind, müssen neue entstehen. Das ist die ganz einfache Weisheit. Daran wird uns keine Mietpreisbremse vorbeiführen, sondern das muss geschafft werden. ({42}) Wir haben eine Entwicklungsbremse hoffentlich gelöst; das muss jetzt noch umgesetzt werden. Das ist die Verabschiedung – das ist historisch, will ich mal sagen – eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für Deutschland. Wir wissen, dass wir Fachkräftemangel haben. ({43}) Und wir wissen auch – ich fand das neulich bei dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer sehr interessant, dass er es für die neuen Länder gesagt hat –, dass wir gerade in den neuen Ländern wahrscheinlich Fachkräfte brauchen werden, weil wir dort eine ganz andere demografische Situation haben. Deshalb fühlt sich die Bundesregierung verpflichtet – wir haben da auch unsere Pläne entwickelt –, dass wir dieses Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht nur auf dem Papier haben, sondern dass es dann auch operabel wird, dass wir wirklich vorankommen, es schnell umsetzen und Menschen als entsprechende Fachkräfte nach Deutschland bringen. Meine Damen und Herren, ein letztes Projekt möchte ich zum Abschluss erwähnen, das vielleicht das überwölbende Projekt für diese Koalition ist, was die Innenpolitik anbelangt. ({44}) Das ist die Frage mit Blick auf die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Wir wissen, dass in Deutschland Menschen Sorgen haben, dass sich Menschen abgehängt fühlen, dass die Entwicklungen völlig unterschiedlich sind zwischen Stadt und Land. Die einen können die Wohnungen nicht bezahlen, die anderen wissen nicht, wie sie ihr Haus verkaufen sollen. Darauf müssen wir Antworten finden. Der erste Punkt sind die Handlungsempfehlungen für die Erzeugung gleichwertiger Lebensverhältnisse, die wir im Kabinett im Juli verabschiedet haben. Natürlich trägt alles, was ich vorher gesagt habe, zum Beispiel die Frage des Breitbandausbaus oder die Frage der Pflegeallianz – die Frage der ärztlichen Versorgung habe ich jetzt nicht erwähnt – zu gleichwertigen Lebensverhältnissen bei. Ich will drei Dinge aus den Handlungsempfehlungen nennen, die mir besonders wichtig erscheinen, für ein Projekt, das weit über diese Legislaturperiode hinausgehen wird. Das Erste ist die Umstellung der regionalen Wirtschaftsförderung unter Berücksichtigung des Demografiefaktors. Das ist ein Meilenstein, weil wir zum ersten Mal bei der regionalen Wirtschaftsförderung auch fragen: Wie sieht die Situation der Bevölkerung aus? Wenn wir wissen, dass in Städten wie Hoyerswerda zum Beispiel das Durchschnittsalter ungefähr acht Jahre über dem Bundesdurchschnitt liegt, dann ist das ein wichtiger Punkt. Das Zweite betrifft die Gemeinschaftsaufgabe Agrar, nämlich die neuen Methoden der Förderung der ländlichen Räume über die einfache Agrar- und Küstenschutzförderung hinaus. Hier werden wir uns noch viele Gedanken machen müssen, wie wir das genau machen; es ist aber richtig. Das Dritte ist vielleicht nur Pars pro Toto; aber es ist mir sehr wichtig: die Stärkung des Ehrenamts. Wir haben lange in der Koalition darum gerungen, in welcher Form wir das tun wollen. Wir haben uns zum Schluss für eine bestimmte Form der Ehrenamtsstiftung entschieden. Und das ist viel mehr als nur die Frage: Wie viele Millionen geben wir da hinein? Und es ist auch mehr als die Frage: Wie viele Millionen gehen in die Demokratieförderung? – Denn es sagt etwas sehr Grundsätzliches aus. Wenn wir hier debattieren, dann reden wir über das, was der Staat leisten muss. Und der Staat muss viel leisten. Aber der demokratische Rechtsstaat lebt von dem Willen, von der Haltung seiner Bürgerinnen und Bürger. ({45}) Deshalb ist es so wichtig, dass wir deutlich machen, dass wir diese Haltung, diesen Willen dahin gehend fördern wollen, dass Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sich zum Grundgesetz bekennen. Unser Grundgesetz ist 70 Jahre alt geworden. Unser Grundgesetz hat sich bewährt, und es hat diesen wunderbaren Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das, was wir täglich erleben, Angriffe auf Juden, Angriffe auf Ausländer, Gewalt und auch verhasste Sprache, müssen wir bekämpfen. ({46}) Denn wir können noch so viel an Steuermitteln in verschiedene und wichtige Projekte verteilen: Wenn nicht klar ist, dass es in diesem Lande null Toleranz gegen Rassismus, Hass und Abneigung gegen andere Menschen gibt, dann wird das Zusammenleben nicht gelingen. Und deshalb fühlen wir uns dem genauso verpflichtet, und dafür steht auch diese Ehrenamtsstiftung Pars pro Toto für vieles andere, was wir tun. Herzlichen Dank. ({47})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Lindner. ({0})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben mit der internationalen Lage Ihren Beitrag begonnen; das ist nachvollziehbar. Auf der internationalen Bühne wird es mutmaßlich keine Führungspersönlichkeit geben, die mehr als Sie bezeugen könnte, was sich in den vergangenen Jahren, im vergangenen Jahrzehnt verändert hat. Sie waren in der Volksrepublik China mit einer großen Delegation und haben dort Gespräche geführt. Sie haben China hier auch zum Thema gemacht. Die Volksrepublik China ist ein wichtiger Handelspartner Deutschlands, und deshalb müssen wir auf unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit und auf faire Regeln für den Handel achten. Die Volksrepublik China ist aber auch ein Wettbewerber – und das nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch hinsichtlich der Grundfragen unseres Zusammenlebens, unserer liberalen Ordnung. Wir erleben, dass es dort ein Überwachungssystem gibt. Die chinesische Führung übt Druck aus auf private Unternehmen, deren Mitarbeiter von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen. Was heißt das eigentlich für die in Deutschland tätigen Unternehmen und die dort Beschäftigten? Hier droht uns also durch die Veränderungen in der Volksrepublik China unmittelbar auch eine Einschränkung von Freiheit und insbesondere der Meinungsfreiheit in Deutschland. Davon, Frau Bundeskanzlerin, dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen. Deshalb bedauere ich, dass Sie bisher die Chance versäumt haben, den aus Hongkong zu uns gekommenen Oppositionellen Joshua Wong zu empfangen und mit ihm zu sprechen. ({0}) Wir sind allerdings alle gefordert. Es ist nicht nur eine Aufgabe der Politik, sondern beispielsweise auch eine Aufgabe der deutschen Wirtschaft, klare Worte zu sprechen. Der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Joe Kaeser, ist nie verlegen um ein scharfes Wort in Richtung der AfD, nie verlegen um Kritik beispielsweise an Donald Trump. Sehr habe ich mich aber gewundert, dass Herr Kaeser mit Blick auf die chinesische Regierung vor zu scharfer Kritik gewarnt hat. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, gute Geschäfte in allen Ehren – für uns muss aber klar sein: Wirtschaftliche Freiheit und gesellschaftliche Freiheit dürfen nie voneinander getrennt werden. ({1}) Die Welt ist im Wandel – Frau Merkel, Sie haben das angesprochen –; wer in der Welt unterwegs ist, erkennt das. Stichwort Brexit: Da muss das Verhältnis zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich auch bilateral auf eine neue Basis gestellt werden. Mit Blick auf die Vereinigten Staaten brauchen wir nicht nur den Dialog mit den politischen Offiziellen, sondern auch in die Zivilgesellschaft hinein. Wir haben aufstrebende Länder wie die ASEAN-Staaten. Ich war in Malaysia und musste erfahren: Der letzte deutsche Bundesminister, der dort zu Gast war, hieß Michael Glos. Da vernachlässigen wir eine Wachstumsregion. ({2}) Wie viele Referenten beschäftigen sich eigentlich im Ministerium von Heiko Maas mit der Volksrepublik China? Eine Handvoll. Eine ASEAN-Abteilung wurde gegründet; aber nur eine Stelle für einen Abteilungsleiter wurde geschaffen. Wie viele neue Goethe-Institute und Generalkonsulate bekommen wir eigentlich in der Welt, um unsere Präsenz zu verstärken? ({3}) In der internationalen Politik – Frau Bundeskanzlerin, jenseits Ihrer Person – boxt Deutschland schon heute strukturell unter seiner Gewichtsklasse. Es ist nicht verstehbar, warum im kommenden Bundeshaushalt ausgerechnet beim Auswärtigen Amt sogar noch weiter gekürzt werden soll – in Zeiten, in denen wir nicht weniger Diplomatie, sondern mehr Diplomatie brauchen. ({4}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gerade auf den gestrigen Abend und unseren gemeinsamen Besuch beim Bund der Steuerzahler hingewiesen. ({5}) Sie haben dort gesprochen. Das war auch aller Ehren wert. Dann sind Sie gegangen. Danach gab es eine Podiumsdiskussion. Bei der Podiumsdiskussion ging es um Staatsverschuldung, es ging um Steuergerechtigkeit, es ging um Steuerverschwendung, es ging um die Verfassungswidrigkeit Ihres Modells, den Soli abzuschmelzen. ({6}) Deshalb, Frau Bundeskanzlerin: Es war gut, dass Sie zum Bund der Steuerzahler gegangen sind und dass Sie dort gesprochen haben. Meine Begeisterung würde aber heute keine Grenzen kennen, wenn Sie auch geblieben wären und zugehört hätten, was dort gesagt worden ist. ({7}) Wir haben eine schwarze Null im Haushalt. Sie wird vielfach gerühmt. Diese schwarze Null, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat für uns als Freie Demokraten zunächst einmal eine hohe Symbolkraft in Europa. Wer bei uns leichtfertig über die Rückkehr der Staatsverschuldung spricht, riskiert, dass das andere in Europa, zum Beispiel in Italien, als eine Einladung verstehen, wieder Politik auf Pump zu machen. ({8}) Wer in Deutschland über neue Schulden spricht, der riskiert eine Rückkehr der Staatsschuldenkrise in Europa. Die traurige Wahrheit ist, dass wir in Deutschland ausschließlich auf dem Papier eine schwarze Null haben. Bundesfinanzminister Olaf Scholz gibt ja längst wieder mehr aus, als er Einnahmen erzielt. Der Haushaltsausgleich in Form der schwarzen Null wird ja nur erreicht, indem 9 Milliarden Euro der Rücklage entnommen werden. Irgendwann werden die Rücklagen aufgebraucht sein. Wir gehen wirtschaftlich schwierigen Zeiten entgegen – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es angesprochen –, da werden Sozialausgaben steigen und Steuereinnahmen weiter sinken. Sie haben den Boom nicht genutzt, um unser Land wettbewerbsfähig zu machen, um dafür zu sorgen, dass der Staat auch dauerhaft seine Leistungen finanzieren kann. Olaf Scholz hat aus der schwarzen Null in Wahrheit eine rote Null gemacht. Dieser Haushalt hält nur noch für die Restlaufzeit Ihrer Regierung, Frau Merkel. ({9}) Wie ein Bumerang werden die in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen zurückkehren und diejenigen treffen, die in Zukunft Verantwortung tragen werden. Manche wollen sogar noch mehr. Jetzt ist Rede von einer grünen Null. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen will über eine Aufweichung der Schuldenbremse diskutieren. Wir hören von der CSU-Landesgruppe, es müsse eine Klimaanleihe geben. Der Bundeswirtschaftsminister äußert sich ähnlich: 50 Milliarden Euro aus einer Stiftung für Klimafragen mit einem Garantiezins von 2 Prozent. ({10}) Das ist eine Zinssubvention auf Kosten der Steuerzahler und offensichtlich der Traum eines jeden Regierungspolitikers, nämlich ohne die parlamentarische Kontrolle des Deutschen Bundestages über Milliarden verfügen zu können. Dazu kann und dazu darf es nicht kommen. ({11}) Daran glaubt doch keiner. Wir haben schon 2009 vom damaligen sozialdemokratischen Finanzminister solches gehört. Damals wurde ein Konjunkturpaket II beschlossen im Umfang von, ich glaube, 16 Milliarden Euro, und die Zusage war: Die Schulden für dieses Konjunkturpaket II werden selbstverständlich später getilgt. Olaf Scholz zitiert ja oft John Maynard Keynes: Wenn die Wirtschaft nicht läuft, dann muss man investieren, gegebenenfalls auch unter Inkaufnahme von Defiziten. – Zehn Jahre nach der Auflegung des Konjunkturpakets II durch die damalige Große Koalition stellen wir fest: Null Euro davon sind getilgt. Olaf Scholz spricht oft über keynesianische Politik, aber er macht sie in der Regel nur zur Hälfte. Die Schulden nimmt er gern in Kauf. Aber die Schulden später zu tilgen, das kommt Sozialdemokraten offenbar nicht in den Sinn. ({12}) Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt nicht nur eine ökologische Verantwortung für kommende Generationen, sondern es gibt auch eine ökonomische Verantwortung für kommende Generationen, ihnen nämlich solide Staatsfinanzen zu hinterlassen. ({13}) Eine Aufweichung der Schuldenbremse genügt diesem Ziel nicht. Ganz im Gegenteil: Wir brauchen eigentlich eine Verschärfung der Schuldenbremse. ({14}) Die ganzen Geschenke, die versicherungsfremden Leistungen, die aus den Sozialkassen finanziert werden, müssen aus Steuermitteln dargestellt werden. Deshalb brauchen wir zukünftig eine Schuldenbremse 2.0, die dafür sorgt, dass nicht nur der Staatshaushalt generationengerecht ist, sondern dass auch die Sozialversicherungen den Interessen der Kinder und Enkel genügen. ({15}) Wenn wir Zukunft schaffen wollen, dann gibt es doch Alternativen zu Schulden. Erster Punkt. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben völlig zu Recht von Planungsbeschleunigung gesprochen. Davon brauchen wir dringend mehr. Es kann nicht sein, dass diejenigen im Bundestag, denen der Ausbau der erneuerbaren Energien gar nicht schnell genug gehen kann, vor Ort an der Spitze der Bürgerinitiativen stehen und gegen neue Stromtrassen protestieren. Das passt nicht zusammen. ({16}) Zweiter Punkt. Wir müssen Schwerpunkte im Haushalt setzen und titelscharf fragen: Brauchen wir jede Subvention? Brauchen wir jede Ausgabe? Ich habe mich über den CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus gewundert. ({17}) Am Tag der Generaldebatte im Deutschen Bundestag über den Entwurf eines Bundeshaushaltes sagt der Vorsitzende der regierungstragenden Unionsfraktion den Zeitungen, dass man sich eigentlich jeden Titel ansehen müsste. Wörtlich: „Wir brauchen eine Generalrevision des Haushalts“. Wenn Sie von einer Generalrevision des Bundeshaushaltes reden – titelscharf –, dann ist das doch nichts anderes als ein Misstrauensvotum gegenüber Olaf Scholz. Auf welcher Grundlage beraten wir hier denn dann? ({18}) Wir haben auch Vorschläge, zum Beispiel das Baukindergeld. Wenn Sie davon so sehr überzeugt wären, würden Sie das ja auch auf Dauer gewähren. Die Europäische Kommission setzt Zweifel in dieses Vorhaben. Werden wir bald auch mit deutschem Steuergeld den Bau von Eigenheimen außerhalb Deutschlands finanzieren, weil die Beschäftigten hier zeitweilig gearbeitet haben? Also, da können wir auch streichen. Dritter Punkt: Investitionsoffensive, aber nicht auf Pump. Gehen wir da doch einmal unternehmerisch heran. Wie halten wir es mit den Aktien, die der Staat über die KfW an Telekom, an Post usw. hält? Die könnte man privatisieren, ({19}) und die Einnahmen sollten dann nicht in die klebrigen Finger von Olaf Scholz gelangen, sondern zielgerichtet in Zukunftsinfrastruktur investiert werden. ({20}) Vierter Punkt: Priorität für Zukunftsaufgaben wie zum Beispiel die Digitalisierung. In Ihrem Koalitionsvertrag ist vorgesehen: mindestens 12 Milliarden Euro für Digitales. Ergebnis: Es gibt schlappe 6 Milliarden Euro – etwa die Hälfte. Sie sprechen immer von Zukunft durch Bildung – wunderbar. Schauen wir uns den Haushalt der Bundesbildungsministerin an, stellen wir fest: minus 70 Millionen Euro. Ausgerechnet bei der Zukunftsaufgabe Bildung kürzt diese Koalition. Sinnvoll wäre es, dort Mittel zu verstärken, etwa indem es zukünftig auch eine Exzellenzinitiative für die berufliche Bildung gibt. ({21}) Also, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was wir brauchen, das sind nicht neue Schulden. Was wir brauchen, das ist neues Denken. ({22}) Mein letzter Punkt: Wir brauchen Vertrauen in die Menschen und in private Investitionstätigkeit. Die Unionsfraktion fordert eine Unternehmensteuerreform, und sie hat recht damit; denn wir sind international nicht mehr wettbewerbsfähig. ({23}) Die Forderung ist hehr und unterstützenswert. Aber wie ist die tatsächliche Politik? Sie unterstützen, dass aus dem Solidaritätszuschlag eine Strafsteuer für Führungskräfte, Leistungsträger und die deutsche Wirtschaft gemacht wird. Das unterstützen Sie, ({24}) und das, obwohl Sie ja selbst verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem Modell, das Sie beschließen wollen, geltend gemacht haben. Peter Altmaier, der Bundeswirtschaftsminister – sogar ein Kabinettsmitglied –, erklärt öffentlich, die nicht vollständige, nur teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages könnte verfassungswidrig sein. Damit sind große Haushaltsrisiken verbunden, und Sie nehmen das alles so hin. Ich mache Ihnen ein Angebot. Wenn die Unionsfraktion einen Gesetzentwurf zur vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags hier einbringt, können Sie sicher sein: Wir stimmen zu. ({25}) Wenn Sie das seriöserweise aufgrund der Rücksichtnahme auf Ihren Koalitionspartner SPD nicht im Bundestag als Gesetz beschließen können, dann habe ich hier als Alternative ein milderes Mittel: Dann klagen Sie mit uns gegen das Gesetz in Karlsruhe, damit die Menschen Rechtssicherheit haben und eine verfassungswidrige Strafsteuer nicht auf Dauer im Bundesgesetzblatt bleibt! ({26}) Das ist im Übrigen ein Instrument, das bei rechtlicher Unsicherheit in der Vergangenheit in den 1990er-Jahren – ich erinnere an gewisse Auslandseinsätze, AWACS-Einsätze – bereits angewandt worden ist, um Rechtssicherheit zu schaffen. Das wäre nichts Neues. Ich muss aber bei der Gelegenheit noch einen Satz an den Bundesfinanzminister und seine Partei sagen: Ich habe natürlich Verständnis für Profilierungsnotwendigkeiten und dafür, dass man Dinge auch anders sehen kann – natürlich. Wir sind ja in einer lebendigen parlamentarischen Demokratie, in der auch Unterschiede deutlich gemacht werden. Ich verstehe, dass Sie Leistungsträger – auch schon den Teamleiter am Band bei Daimler – zusätzlich belasten wollen, dass Sie kein Verständnis dafür haben, dass der deutsche Mittelstand im internationalen Wettbewerb Entlastung braucht, dass daran Arbeitsplätze hängen, dass daran Tarifentwicklungen hängen, dass die Unternehmen erfolgreich sind. Dass Sie das alles nicht sehen wollen: einverstanden. Das ist Ihr gutes Recht, und jeder sucht sich seine Unterstützung in der Bevölkerung auf die Art, wie er will. Aber: Bestimmte Dinge gehen wirklich über die Geschmacksgrenzen hinaus. Da gibt es bei der SPD also den Wunsch nach einem Strafsteuer-Soli, und das Ganze wird dann bebildert von der Sozialdemokratie, indem man Menschen in den Liegestuhl setzt, Longdrink schlürfend, während das Geld auf dem Fließband abgeliefert wird. Wenn das Ihr Bild von Leistungsträgern und von unserem Mittelstand ist, dann haben Sie sich vollständig von der Lebenswirklichkeit in unserem Land entkoppelt. ({27}) Im Übrigen – um auch das zu sagen –: Man kann verteilungspolitische Diskussionen führen. Einverstanden! Da hätte auch ich Dinge anzumerken, zum Beispiel, wie wir es den Menschen erleichtern, zu Vermögen zu kommen, nämlich indem wir sie nicht durch die neue Aktiensteuer bestrafen, wenn sie Wertpapiere kaufen. ({28}) Wir können auch über die Grunderwerbsteuer sprechen. Wir können gerne über Verteilungsfragen sprechen. Ich habe viele Ideen, allerdings eine andere Perspektive als Sie. Aber eines muss man sagen: Diejenigen, die massiv von ihrem privat erwirtschafteten Einkommen an den Staat abgeben, verdienen am Ende auch ein klein wenig Respekt. ({29}) Da darf man auch sagen: Danke; denn von eurer Leistungsfähigkeit profitieren auch diejenigen, die gegenwärtig selbst nicht so viel Leistung erbringen können. Ich komme zu meinem letzten Punkt, den ich nach Frau Merkel ansprechen will, und das ist die Klimapolitik. Die CDU-Bundesvorsitzende hat einen Klimakonsens vorgeschlagen. Wir sind zur Mitwirkung daran bereit. Mir ist noch ein wenig rätselhaft, wie das Verfahren sein wird; denn die Union selbst wird ihre Position erst vier Tage, bevor das Klimakabinett Position bezieht, festlegen, und dann soll das Ganze auch noch Gegenstand überparteilicher Gespräche werden. Wir sind also gespannt, aber wir haben auch Erwartungen. Unsere Erwartung ist, dass es bitte nicht nur um Klein-Klein geht. Vielleicht sind wir nicht alle einer Meinung, aber ich wage zu sagen: Ein anderer Mehrwertsteuersatz auf Wurstwaren in Deutschland wird das Weltklima nicht retten. ({30}) Eine Debatte über das Verbot von Inlandsflügen in Deutschland wird uns auch nicht sehr helfen; ich glaube ohnehin, dass das in Wahrheit die kreativste Form ist, davon abzulenken, dass die Menschen vom Flughafen Berlin-Brandenburg sowieso nicht fliegen können. ({31}) Das wollen wir nicht. Wir möchten die Klimapolitik auch nicht zu einem Schauplatz von Kulturkämpfen machen. Um es ganz klar zu sagen: Die einen sprechen über Messermänner – das ist inakzeptabel –, aber dass man auf der anderen Seite SUVs pauschal zu Mordinstrumenten macht angesichts eines tödlichen Unfalls in Berlin, ist an Pietätlosigkeit ebenfalls nicht zu überbieten. ({32}) Wir wollen über wirksame Maßnahmen sprechen. Erstens. Wie wäre es beispielsweise, wenn alle öffentlichen Gebäude Mitte des nächsten Jahrzehnts klimaneutral werden ({33}) und zugleich Möglichkeiten geschaffen werden, Zukunftsinfrastruktur im digitalen Bereich, also Antennen, zu installieren? Zweiter Punkt. Die energetische Gebäudesanierung ist der schlafende Riese der Klimaschutzpolitik. Warum gibt es hierfür nicht längst eine steuerliche Förderung? ({34}) Drittens: nicht nur Bestrafen und Bepreisen, wenn CO2 ausgestoßen wird. Wie wäre es, wenn wir eine Möglichkeit schaffen, dass man eine Prämie bekommt, wenn man CO2 speichert, zum Beispiel durch die Aufforstung von Wald? ({35}) Das ist übrigens das Gegenteil von dem, was die Regierung seit 2005 macht. Wie viele Hektar Wald aus öffentlichem Besitz sind den Naturschutzverbänden geschenkt worden, die diese jetzt renaturieren, also in Wahrheit sich selbst überlassen? Sie werden zu Rückzugsorten des Borkenkäfers, und ({36}) wir können die natürlichen Möglichkeiten der CO2-Speicherung durch Forstwirtschaft nicht nutzen. Ändern wir das doch! ({37}) – Ja, doch. Sprechen Sie mal mit den BImA-Mitarbeitern, Herr Kollege Hofreiter. Das sind die mit Praxiserfahrung. Das sind die, die nicht im Bundestag sitzen, sondern im Wald stehen. ({38}) Viertens. Kein Verbot von Ölheizungen. Mit einem Verbot bringt man die Leute doch auf die Palme. Die Leute denken doch, sie müssten jetzt Tausende von Euro in ihrem Haus investieren. Statt eines Verbots von Ölheizungen, nutzen wir doch die Möglichkeit, treibhausgasfreundlichere Brennstoffe zu entwickeln. Das gilt übrigens auch für die Autos. Frau Merkel, Ihre Regierung hat zu verantworten, dass das ganz normale Auto mit Verbrennungsmotor – deutsche Spitzentechnologie – in Deutschland ein Auslaufmodell ist, weil synthetische Kraftstoffe auf die Grenzwerte des CO2-Flottenverbrauchs in Brüssel nicht angerechnet werden. ({39}) Sie haben eine deutsche Spitzentechnologie geopfert. Frau Merkel, Sie haben gesagt, wir brauchen Marktwirtschaft in der Energie- und Klimapolitik. Das ist richtig. Aber dass Sie das Thema Marktwirtschaft ausgerechnet mit der Energie- und Klimapolitik verbunden haben, ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte; denn weil wir keine marktwirtschaftliche Energiepolitik haben, wird alles teurer, ohne dass wir CO2 einsparen. ({40}) Machen wir das also anders. Ich glaube, dass darin auch eine globale Verantwortung Deutschlands liegt. Manche wollen Klimaschutz machen mit Askese, Verbot, Verzicht, ohne Wachstum. Sie sagen: Der Lebensstandard des Jahres 1995 war auch nicht so schlecht. – Das kann man alles wollen. Es gibt auch Unterstützung dafür. Auf dem Weg werden wir möglicherweise Moralweltmeister; aber niemand in der Welt wird uns folgen. ({41}) Die können nicht auf Wohlstand verzichten, weil sie nämlich keinen haben. Die wollen auch nicht verzichten, weil es nicht viel gibt, auf das sie verzichten können. Die wollen nicht einfach nur bescheiden sein, weil sie noch ganz grundsätzliche Fragen hinsichtlich ihrer Lebenschancen klären müssen. Man kann ja Moralweltmeister werden wollen – das ist aller Ehren wert –, unser Anspruch muss es aber sein, dass Deutschland durch Marktwirtschaft und Erfindergeist wieder Technologieweltmeister wird; denn nur als Technologieweltmeister sind wir ein Vorbild für die Welt. ({42})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Dr. Rolf Mützenich. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt, in die meine Generation hineingeboren wurde, erfährt einen tiefgreifenden Wandel, im Innern wie im Äußeren. Wir spüren, etwas Grundsätzliches verändert sich. Das betrifft uns alle, generationenübergreifend. Wo die Wetterextreme zunehmen, verändert sich das Klima. Wo die Auseinandersetzungen rauer werden, reflektiert dies ökonomische, soziale und kulturelle Spaltungen. Niemand weiß das besser zu beurteilen als die deutsche Sozialdemokratie. ({0}) Seit unserer Gründung waren wir Zeugen und Reformer rasanter Umbrüche. ({1}) Wir haben uns niemals weggeduckt. Wir haben die soziale Demokratie gestaltet und, wo nötig, verbessert. Für meine Fraktion heißt das: Gerecht zu regieren, ist die Grundlage unseres Handelns. Und gerecht regiert zu werden, ist heute wieder ein Wert für sich. ({2}) Offensichtlich wächst der Glaube, dass demagogisches, ausgrenzendes und chauvinistisches Regieren die Antwort auf komplizierte Fragen sein könnte, selbst hier in Europa. Das ist der falsche Weg. Demagogen haben die Menschen verführt und betrogen. ({3}) Sie haben Kontinente ins Verderben gestürzt. Wir werden uns ihnen mit aller Kraft entgegenstellen, und der beste Ort dafür ist dieses Parlament. ({4}) Die Hoffnung auf gerechtes Regieren im europäischen Kulturraum ist ein jahrhundertealtes Motiv. Eindrucksvoll begegnet uns das auf den Fresken im alten Rathaus von Siena. Sie zeigen, wie die Stadtgesellschaft unter einer guten Regierung auflebt und unter einer schlechten verdorrt. ({5}) Einerseits geht es dort um das Wohl des Einzelnen und der Gemeinschaft, andererseits um die Frage, ob die liberale Staatsform in einem konfliktreichen und chaotischen Umfeld überleben kann. Die gleiche Frage stellt sich heute, lokal, national und international. Ich bin überzeugt: Demokratisches, an Ausgleich, Rechtsstaatlichkeit und Frieden ausgerichtetes Regieren ist in seiner Substanz allen anderen Formen weit überlegen. ({6}) Hierin, meine Damen und Herren, besteht der Zusammenhalt aller überzeugten und gewissenhaften Demokraten. Diesen Zusammenhalt dürfen wir niemals infrage stellen. Er ist das Bollwerk gegen das Totale. ({7}) Wenn uns das eint, bleibt dennoch die Frage, für wen wir regieren. Hierin unterscheiden wir uns. Es gibt diejenigen, die lediglich für eine fiktive Volksgemeinschaft einstehen und dabei übersehen, dass Ausgrenzen immer das Gegenteil von gutem Regieren bedeutet. ({8}) Es gibt die, die Regieren mit einem Selbstvertretungsanspruch verwechseln, und es gibt die, die es sich leisten wollen, auf das Regieren ganz zu verzichten, ({9}) weil andere Kräfte in der Gesellschaft genügend Mittel besitzen, um Interessen außerhalb der politischen und rechtsstaatlichen Institutionen durchzusetzen. Sie lassen all diejenigen im Stich, die über diese Mittel nicht verfügen. Außerdem gibt es die, die sich auf urbane Eliten stützen und darauf vertrauen, dass Selbsthilfe und individuelle Förderung zur Selbstbehauptung und Verwirklichung des Einzelnen genügen. ({10}) Das ist nicht das Verständnis von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Wir wollen konkrete Hilfe anbieten und zugleich die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes, solidarisches und besseres Leben schaffen. Die Arbeiterbewegung hat mit aller Stärke und Konsequenz dafür gekämpft. Wir bleiben diesem Erbe verbunden. Dies ist unsere Antwort auf die Umbrüche unserer Zeit. ({11}) Mehr denn je können Beschäftigte und ihre Familien, junge und alte Menschen nicht auf gerechtes Regieren verzichten. Die einen brauchen Transferleistungen oder Leistungen in unverschuldeten Lebenssituationen, die anderen erwarten eine gerechte Arbeitswelt und gute soziale Strukturen, in denen auch ihre Kinder eine Zukunft haben. Es gibt viele Menschen, die den Zusammenhalt der Gesellschaft wollen und wissen, dass ohne inneren und äußeren Frieden alles andere nichts ist. Für diese Menschen wollen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Politik machen. Meine Damen und Herren, ein solider Haushalt ist die Voraussetzung für gerechtes Regieren. Er muss zugleich Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit geben. Ein guter Haushalt baut Wege in die Zukunft und ist nicht die Summe einzelner Projekte. Der vorliegende Haushalt markiert die richtige Richtung, und wir haben in diesen Tagen genügend Zeit, die Einzelpläne zu besprechen. Zugleich ist dieser Haushalt der Anfang eines längeren Weges, auf dem wir die Veränderungen unserer Zeit gestalten wollen. Insofern reicht Regieren alleine eben nicht aus. Gerechtes Regieren kann nur dann Kraft vermitteln, wenn wir gleichzeitig sagen, was wir in Zukunft über die Jahrespläne des Haushaltes hinaus erreichen wollen. Dieses Verständnis möchte ich an drei Zukunftsthemen skizzieren, die zusammen gedacht und zusammen gelöst werden müssen: Mir geht es darum, wie gerechte Politik die Digitalisierung der Arbeitswelt, die Zukunft unserer Lebenswelt und den Frieden durch gemeinsame Sicherheit gestalten kann. Die digitale Arbeitswelt bietet Chancen und natürlich auch Risiken. Ich gehöre nicht zu denen, die nur pessimistisch auf die kommenden Jahre blicken. Horrorszenarien blockieren kreatives Denken. Die Mehrheit der Beschäftigten steht den Veränderungen positiv und aufgeschlossen gegenüber. Gleichzeitig ahnen sie aber, dass vieles nicht so bleiben wird, wie es ist. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben recht: Wertschöpfung und Arbeit werden sich grundlegender und schneller wandeln als in allen wirtschaftlichen Revolutionszyklen zuvor. Deswegen und zugleich müssen wir beachten: Es droht ein Wirtschaftsabschwung, und der vorangegangene Strukturwandel ist noch längst nicht abgearbeitet. Umso größer werden die Herausforderungen in der digitalen Arbeitswelt. Vor diesem Hintergrund wollen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine kluge, dem Gemeinwohl verpflichtete Politik betreiben. ({12}) Wir müssen versuchen, die Spaltungen, die unsere Wirtschaftsordnung hervorbringt, so klein wie möglich zu halten. Für uns stehen dabei die arbeitenden Menschen im Fokus. Wir wollen verhindern, dass die Bürgerinnen und Bürger auf die freie Ware Arbeitskraft und den bloßen Marktteilnehmer reduziert werden. Es ist offensichtlich, dass im alltäglichen Wirtschaften und Arbeiten die Tarifpartner viele Fragen regulieren müssen. Die Gewerkschaften versuchen mit großen Anstrengungen, diese Jahrhundertaufgabe anzugehen. Es gibt Dutzende, wenn nicht Hunderte von Betriebsvereinbarungen für mobiles Arbeiten. Dafür verdienen die Tarifpartner unsere Anerkennung und uneingeschränkte Unterstützung. ({13}) Gleichzeitig brauchen wir konzertierte Aktionen, die das beste Mittel für gemeinsame Anstrengungen sind. Hier wollen wir uns einbringen, etwa mit Schutzvorschriften in prekären Arbeitsverhältnissen und für die Gesundheit der Beschäftigten. Arbeitszeitverkürzungen und moderne Arbeitszeitmodelle müssen gesetzlich abgesichert werden. Dabei ist klar: Geregelte Arbeitszeit ist Arbeitsschutz. Wir wollen eine menschliche Arbeitswelt, in der nicht das Digitale den Takt vorgibt, meine Damen und Herren. ({14}) Es stellen sich neue Anforderungen an die Arbeitslosenversicherung und bei der Kurzarbeit. Während wir das Recht auf Aus- und Weiterbildung weiter ausgestalten wollen, brauchen wir ein Qualifizierungsgeld. Das und mehr wollen wir in Zukunft erreichen. Es geht um mehr. Ebenfalls müssen wir erkennen, dass die Sozialversicherungssysteme in der digitalisierten Arbeitswelt weiter unterhöhlt werden. Ohne eine korrekte und angepasste Besteuerung kann das Solidarprinzip keine Zukunft haben. Weil die Mitbestimmung bei alledem gebraucht wird, müssen wir die Koalitions- und Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken, meine Damen und Herren. ({15}) Das sind nur einige Angebote, die wir in einer Arbeitsgesellschaft im digitalen Zeitalter machen wollen. So wie die Gewerkschaften und die SPD im Strukturwandel unverzichtbar waren, so sind wir heute unverzichtbar für die, die gute Arbeit brauchen und um die Zukunft ihrer Kinder bangen. ({16}) Die Aufgaben und Herausforderungen werden Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Aber wir müssen und wollen heute daran mitwirken. Meine Damen und Herren, wir wissen nicht erst seit heute, dass wir unsere Umwelt und unser Klima schützen müssen. Es war Willy Brandt, der im Bundestagswahlkampf 1961 die Schattenseiten des Wirtschaftswunders klar erkannt und für den „blauen Himmel über dem Ruhrgebiet“ geworben hat. Es gelang mit dem Zutun vieler, vor allem aber der Ruhrgebietsstädte, diese Vision zu verwirklichen. Auch heute werden die sozialen und ökologischen Ziele ohne kommunale Anstrengungen nicht erreicht werden können. Dafür brauchen wir alle Städte. Wir brauchen alle Gemeinden. Und alle diese Städte und Gemeinden brauchen den gleichen Spielraum; denn vor Ort entscheidet sich sozial-ökologisches Umsteuern, etwa im Verkehr, in der Energieversorgung oder im Gebäudebestand. Daher ist eine Altschuldenregelung auch eine Investition in lokales, ökologisches Regieren. Wir werden versuchen, alle zu überzeugen, hier im Deutschen Bundestag für diese Altschuldenregelung einzutreten. ({17}) Meine Damen und Herren, wir müssen die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen. Der Weg dorthin ist die weitgehende Neutralität bei Treibhausgasen. Kurz gesagt: Das schädliche CO2 muss weg. Auch hierbei geht es nicht ohne das Zusammenwirken aller Gruppen. Der Kohlekompromiss, der sich im vorliegenden Haushalt und im Strukturstärkungsgesetz widerspiegelt, ist ein Beispiel, wie Klimaschutz, Digitalisierung und soziale Gerechtigkeit im Veränderungsprozess unserer Zeit zusammengedacht und verwirklicht werden können. Diese Integration in der Transformation hatte nur die SPD im Sinn. Das haben wir durchgesetzt und dabei alle mitgenommen: Gewerkschaften, Umweltverbände, Regionen, Länder und den Bund. Das war eine unverzichtbare und anstrengende Leistung. Darauf sind wir stolz, meine Damen und Herren. ({18}) Gleichzeitig war das für eine Demokratie lebensnotwendig, die immer wieder versuchen muss, aus dem Willen vieler am Ende den Willen des ganzen Volkes zu formen. Mitnahme, Beteiligung, Legitimation: Das ist unser Verständnis von Demokratie, meine Damen und Herren. ({19}) Wir wissen, dass wir zum Schutz unseres Klimas die Verstromung der klimaschädlichen Kohle beenden müssen. Dazu müssen wir gleichzeitig in den Revieren neue und gleichwertige Wirtschaftsstrukturen entwickeln, damit die Menschen auch dort eine Zukunft haben. Unser Ziel sind Investitionen in Bereiche, die uns bei der Verbesserung des Klimas helfen und gleichzeitig neue Arbeitsplätze schaffen. Nur wenn sich Wirtschaft und Staat zu großen Anstrengungen bekennen, kann die Transformation für Innovation und Beschäftigung auch gelingen. ({20}) Meine Damen und Herren, das Klimakabinett muss am 20. September die Weichen stellen, damit wir die Klimaziele 2030 erreichen. Bis zur dritten Lesung erwartet die SPD-Bundestagsfraktion daher noch wichtige fiskalische Entscheidungen. Alles das geht nur im Zusammenwirken mit den europäischen Ländern und der Europäischen Union. Deswegen nehmen wir die neue Kommissionspräsidentin beim Wort, und wir wollen helfen, das Modewort Green New Deal auch richtig auszubuchstabieren. Das ist unsere Aufgabe, aber es ist auch die Aufgabe der Mitglieder des Europäischen Parlaments. ({21}) Europa kann und muss dabei eine Vorreiterrolle einnehmen, nicht nur um seiner selbst willen, sondern auch deshalb, weil europäisches Handeln in der Welt wahrgenommen wird – im Guten wie im Schlechten. Deswegen, meine Damen und Herren, werden wir in den nächsten Tagen alle Anstrengungen unternehmen, um diese Ziele zu verwirklichen. ({22}) Für all das braucht es nach Auffassung der SPD-Fraktion einen gestaltungswilligen und handlungsfähigen Staat. Das derzeit noch gängige Leitbild „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“ ist nicht mehr zeitgemäß. ({23}) Spätestens seit Ausbruch der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise vor mehr als zehn Jahren und der Entwicklung der Wohnfrage zur neuen sozialen Frage ist es offensichtlich, dass dieses Motto grundlegend überdacht werden muss. ({24}) Das alte Leitbild ist einfach zu gutgläubig, was die Effizienz der Märkte, und zu defensiv, was die Rolle des Staates in einer modernen Volkswirtschaft betrifft. Wenn der Staat aber unverzichtbar ist, um die revolutionären Umbrüche in den nächsten Jahrzehnten mitzugestalten und abzufedern, ({25}) dann brauchen wir einen effizienten und durchsetzungsfähigen Staat mit einer gut ausgestalteten und attraktiven Verwaltung und einem größeren finanziellen Fundament. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen diese Mittel in öffentliche Gemeingüter umlenken, meine Damen und Herren. ({26}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht werden spätere Historikerinnen und Historiker wenige Tage im August 2019 als den historischen Wendepunkt heranziehen, an dem das bipolare Gleichgewicht des Schreckens endgültig aufgehoben wurde. Mit dem Rückzug der USA endete am 2. August der INF-Vertrag über nukleare Abrüstung. Obwohl der Vertrag eine ganze Kategorie von Waffen verbot, atmete er noch den Geist des Kalten Krieges. Es bleibt richtig, für seine weltweite Gültigkeit einzutreten, wie es die Bundesregierung tut. Dennoch werden auch die USA das Ablegen der Vertragsfesseln nutzen und Mittelstreckenraketen in Asien aufstellen. Der Rüstungswettlauf ist bereits in vollem Gange. Damit erhält eine neue weltpolitische Konstellation, die sich im Gegenüber der USA und der Volksrepublik China ausbildet, mehr und mehr eine nukleare Kontur. Was genau daraus wird, werden wir heute mit Sicherheit nicht sagen können. Dass wir aber nicht nur Zeugen der Digitalisierung und der umweltschonenden Transformation, sondern auch Zeugen einer neuen weltpolitischen Entwicklung sind, ist dagegen offenkundig. Die Debatte, wie die europäischen Gesellschaften auf diesen Zeitenwandel reagieren sollten, findet längst statt. Sie ist fundamental, und es gibt immer häufiger Stimmen, die eine starke militärische Antwort geben wollen. Meine Damen und Herren, ich kann davor nur warnen. Der Frieden in Europa war nicht dann gesichert, wenn dem Kontinent ein Übermaß an Militär und Rüstung zur Verfügung stand, sondern nur dann, wenn kluge, gemeinsame politische Entscheidungen in einem von Regeln und Normen geprägten Umfeld getroffen wurden. ({27}) Das war nach dem Wiener Kongress der Fall, und es war das Ergebnis einer Entspannungspolitik, die sich durch Rüstungskontrolle, Dialog und das Hineindenken in den anderen auszeichnete. Die Voraussetzungen sind heute andere, aber die Instrumente sind aktueller und notwendiger denn je. Der Automatismus militärischer Drohungen und Gegendrohungen muss durchbrochen werden, und ich sehe dafür keinen besseren Platz als in einer gemeinsamen europäischen Friedensordnung, am besten unter Einschluss Russlands. ({28}) Die heraufziehende nukleare Konfrontation zwischen den USA und der Volksrepublik China findet im Schatten der 74. Wiederkehr des Atombombenabwurfs auf Hiroshima statt. Offensichtlich, meine Damen und Herren, sind große Mächte nach wie vor nicht bereit, aus der Vergangenheit zu lernen. Deswegen ist es richtig, dass sich Deutschland mit ganzer Kraft für den Erhalt des Atomwaffensperrvertrages einsetzt. ({29}) Dieser Vertrag, meine Damen und Herren, ist die beste Rückversicherung gegen die Ausbreitung der Atomwaffen. Gleichwohl habe ich eine Bitte an die Bundesregierung: Bisher lehnt Deutschland einen Beitritt zum UN-Vertrag für ein Atomwaffenverbot ab, immerhin auch eine Initiative der Zivilgesellschaft, die im Jahr 2017 dafür den Friedensnobelpreis erhielt. Die Bundesregierung befürchtet eine Schwächung des Atomwaffensperrvertrages, und in der Tat hat der Verbotsvertrag Mängel. Dennoch sei daran erinnert: In Zeiten der Entspannungspolitik waren Unzulänglichkeiten immer der Antriebsmotor, um neue und alte Ideen zusammenzuführen. Ziel beider Verträge ist die atomwaffenfreie Welt. Wenn zunehmend Bündnispartner nicht mehr politische Verbündete bei der Denuklearisierung sind, dann kenne ich keinen besseren Partner als engagierte Bürgerinnen und Bürger. Diese Kraft, meine Damen und Herren, müssen wir auch heute wieder nutzen. ({30}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die SPD-Fraktion ist klar: Die drei genannten großen Herausforderungen bewältigen weder der Markt noch die Nation, weder neue Technologien noch diffuse Befindlichkeiten allein. Die Politik muss die Antwort geben, wenn sie ihrem Auftrag für gerechtes Regieren nachkommen will. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen das. Wir werden uns an dieser Aufgabe aus tiefer Überzeugung beteiligen, mit jener Überzeugung, die in unserer Geschichte immer Selbstverständlichkeit und Verpflichtung zugleich war. Vielen Dank. ({31})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Dr. Dietmar Bartsch. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute von allen Rednerinnen und Rednern gehört: Die Weltlage ist vielfach beunruhigend: der Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China, das Brexit-Chaos, die Atomkrise mit dem Iran, weltweit über 80 Millionen Flüchtlinge, die schreiende soziale Ungerechtigkeit und, und, und. Eines aber kann man beim Blick in die Welt auch feststellen: Wenn Rechtspopulisten an die Macht kommen, dann brennen sie erst mal alles nieder: ({0}) Bolsonaro den Regenwald, Boris Johnson die Demokratie und Donald Trump die internationale Diplomatie. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. ({1}) Auch die Wirtschaftslage in unserem Land ist problematisch. Wir haben Ansätze einer Rezession. So schlechte Quartalszahlen wie zuletzt hatten wir 2012 das letzte Mal. Auch dazu ist viel gesagt worden. Angesichts dieser Situation einen Haushalt, der im Kern durch Ideenlosigkeit geprägt ist, vorzulegen, das ist unverantwortlich, meine Damen und Herren. ({2}) Frau Merkel, Sie sagen: Es ist eine neue Dimension des Haushaltes. – Ich frage mich: Wo ist denn die neue Dimension? Lieber Rolf Mützenich, deine Rede von eben stimmt ja zuversichtlich; nur, sie korrespondiert auch nicht mit dem, was in diesem Haushalt vorgelegt wird. ({3}) Dieser Haushalt ist so wenig visionär. Helmut Schmidt würde den nicht mal zum Arzt schicken. ({4}) Meine Damen und Herren, Sie haben Ihren Koalitionsvertrag überschrieben: Ein neuer Aufbruch für EuropaEine neue Dynamik für DeutschlandEin neuer Zusammenhalt für unser Land Voll einverstanden! Sie verabschieden jetzt wohlklingende Gesetze: Gute-KiTa-Gesetz, Starke-Familien-Gesetz, Faire-Kassenwahl-Gesetz – alles super. Wenn Sie in Ihrem konkreten Handeln nur halb so stark wären wie in den Formulierungen, dann würde es dem Land wirklich besser gehen. ({5}) Sie sind in der Substanz eine Ankündigungskoalition. Wenn man sich dann noch den Zustand anguckt: Kein Mensch weiß, ob Sie im Januar überhaupt noch zusammen sind. Das ist ein irrer Zustand. Sie müssen sich mal vorstellen, wie man das vom Ausland aus sieht. Niemand weiß, ob diese Regierung im Januar oder Februar noch im Amt ist. Ich will anhand von drei konkreten Beispielen zeigen, dass Ihr Haushalt mit den Überschriften wirklich nichts zu tun hat. Beginnen will ich natürlich mit dem Thema „Schuldenbremse/schwarze Null versus Investitionen“. Ich habe schon gesagt: Deutschland steht an der Schwelle zu einer Rezession. Was haben Sie eigentlich in der letzten Krise, damals, 2008, gemacht? Ich erinnere mich ja daran: Kurzarbeitergeld, Abwrackprämie, Konjunkturpakete, und zwar Investitionen, die dann in den Kommunen angekommen sind. Das war doch zweifelsfrei richtig. Frau Merkel, Sie haben unlängst in Stralsund gesagt: 50 Prozent in der Wirtschaft sind Psychologie. – Das mag ja sein; aber die anderen 50 Prozent dürfen doch nicht Stillstand sein, sondern es muss entschlossenes Handeln geben. ({6}) Es ist ja sogar das DIW, das heute fordert, endlich ein milliardenschweres zusätzliches Investitionsprogramm aufzulegen. Das wäre dringend notwendig. Dabei darf man nicht nur in Schulen, Straßen, Autobahnen investieren. Wir müssen damit eben auch die Binnennachfrage stärken, um die Abhängigkeit vom Export etwas zu dämpfen. ({7}) Frau Merkel, Sie sagen, Sie tun das, was notwendig ist. Dieser Haushalt gibt die Antworten. Nein, wir dürfen nicht warten, bis sich die Rezession wirklich verfestigt. Deswegen ist ein anderes Maß an Investitionstätigkeit notwendig, und notwendig ist nicht, stolz darauf zu sein, dass wir mit 11,1 Prozent die höchste Quote haben. Das ist viel zu wenig. ({8}) Nehmen Sie doch nur mal das Beispiel „digitale Infrastruktur“. Deutschland ist weiterhin ein digitales Entwicklungsland. In über 4 600 Gemeinden in Deutschland gibt es keine flächendeckende Versorgung mit LTE. Sie reden über 5G und Ähnliches. In nahezu keiner ostdeutschen Kommune gibt es flächendeckend schnelles Internet. Na, wo leben wir denn? Die CSU macht neuerdings Werbevideos: Rezo für Anfänger. Mensch, das können die jungen Leute in bestimmten Regionen nur wacklig sehen. Schon aus Ihrem Interesse sollten Sie da endlich mal was tun. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heißt im Übrigen, die Menschen haben in vielen ländlichen Regionen und inzwischen übrigens auch in Städten keinen Bus, keinen Bäcker, keine Gaststätten, keine Post und jetzt auch kein Internet. Das ist doch eine Zumutung. Ja, an jeder Milchkanne müssen wir Internet haben. ({10}) Wie war das noch, Herr Dobrindt, als Sie Minister wurden? Sie haben gesagt: Wir wollen spitze sein. – Und wie ist heute die Netzabdeckung? Es gilt immer noch: Deutschland einig Funklochland. Das ist die Realität nach all den Jahren, wo Sie regiert haben. ({11}) Wir hatten im ersten Halbjahr 43,5 Milliarden Euro Überschuss in Bund, Ländern und Kommunen. Warum nehmen Sie denn da nicht Geld in die Hand? Das wäre doch wirklich absolut angesagt in dieser Situation. ({12}) Und dann sagen Sie immer: Na ja, Sie müssen noch mal sagen, wo wir verzichten wollen. – Damit bin ich bei meinem zweiten Punkt, beim Militärhaushalt. Da wird immer vom 2-Prozent-Ziel der NATO-Partner geredet, und 2 Prozent, das klingt ja irgendwie wenig. Ich kann Ihnen nur sagen: Dieses „2 Prozent“ ist Sand in die Augen der Menschen streuen; das ist eine systematische Irreführung. Schon heute entsprechen die Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien 14 Prozent des Haushalts; das ist die Realität. Wir haben heute nach NATO-Kriterien über 50 Milliarden Euro Ausgaben für Militär. Was dann damit gemacht wird, das ist noch eine ganz andere Frage. Das geht dann an irgendwelche Berater, geht in ein Desaster nach dem anderen. Es ist eben falsch, dass „Mehr, mehr, mehr“ eine Strategie ist. Das ist es mit Sicherheit nicht. Gucken Sie sich doch nur mal Ihre komische Flugbereitschaft an. Das ist doch international peinlich. ({13}) Da muss man doch vielleicht bei dieser Frage mal irgendetwas tun. Aber das Entscheidende ist, wenn Sie bei diesen Summen mal den Vergleich zum sozialen Wohnungsbau nehmen: 1,5 Milliarden Euro! Olaf Scholz hat gestern gesagt: Wir haben es geschafft, dass der soziale Wohnungsbau nicht endet. – Na, Donnerwetter! Ich denke, das ist die wichtigste soziale Frage. Dann muss man da doch mehr tun. Was für ein Offenbarungseid angesichts der Mietensituation in unserem Land, ({14}) eine völlige Schieflage auf diesem Feld. Womit ich beim dritten Punkt bin: Thema Altersarmut. Es gibt einen Posten, der jedes Jahr verlässlich steigt. Er hat den unauffälligen Namen „Erstattungen des Bundes für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“. Die Ausgaben in diesem Posten steigen jährlich um circa 7,6 Prozent. Was bedeutet das eigentlich? Das bedeutet, dass immer mehr Menschen Grundsicherung im Alter beantragen müssen, weil ihre Rente nicht reicht. ({15}) Wenn es denn so bleibt, dass der Mindestlohn, auf den Sie stolz sind, unter 10 Euro ist, wird diese Zahl dramatisch – dramatisch! – in den nächsten Jahren steigen. Die Zahlen werden explodieren. Deswegen ist das mit dem Mindestlohn nicht so eine Sache, auf die man stolz sein kann. Dass es ihn gibt, ja, aber er muss eben deutlich erhöht werden. ({16}) Jetzt will ich mal zu dem Punkt kommen: Sie haben vor der Europawahl gesagt: Wir wollen eine Grundrente einführen. – Wir als Linke haben gesagt: Grundsätzlich richtig; man kann über viele Details reden. – Aber bis heute ist real nichts passiert. Sie versprechen, Sie reden, aber Sie handeln nicht. Das ist doch unzumutbar, und gerade für diese Menschen muss mehr getan werden, meine Damen und Herren. ({17}) Im Haushalt, auch in der Perspektivplanung gibt es da überhaupt keinen Punkt. Dass wir eine generelle Rentenreform wollen, das will ich hier gar nicht noch mal wiederholen. Ja, wir brauchen eine solidarische Mindestrente. Wir wollen, dass alle einzahlen usw. und dass am Ende eine lebensstandardsichernde Rente rauskommt. Zusammengefasst hat Ihr Haushalt folgende Prioritätensetzung: strenge Schuldenbremse statt notwendiger Investitionen, Militär- statt Sozialausgaben erhöhen und massenhafte Kinder- und Altersarmut zulassen. Das ist die Priorität in Ihrem Haushalt, meine Damen und Herren. Das ist doch symptomatisch für die Politik der letzten 15 Jahre. Das ist eine Politik, die das Land spaltet, die Europa spaltet und die den Rechtspopulisten den Weg ebnet. Das ist die Realität. ({18}) Lassen Sie mich noch mal zu dem Thema Schuldenbremse kommen, weil Sie ja immer sagen: Die Linke will uns irgendwie in den Schuldenstaat treiben. – Was für ein horrender Blödsinn! ({19}) Entscheidend ist doch: Mit dieser Debatte lenken Sie davon ab, dass wir ein zutiefst ungerechtes Steuersystem haben. Wir haben das Steuersystem des vergangenen Jahrhunderts. Wir haben explodierende Vermögen auf der einen Seite, ({20}) und wir müssen dort endlich etwas tun. Es ist doch völlig inakzeptabel, ({21}) dass wir einen Spitzensteuersatz haben, der immer noch so früh einsetzt. Wir brauchen endlich wirklich eine Reform bei der Erbschaftsteuer. Das mit der Finanztransaktionsteuer höre ich seit drei Legislaturperioden. Das stand schon bei Herrn Schäuble und anderen immer im Koalitionsvertrag. In der Realität bis heute: Nichts! Das ist die Wahrheit! Da muss endlich wirklich etwas getan werden. Denn was ist denn das Ergebnis dieser Politik? Die 500 reichsten Familien in unserem Land haben ein Vermögen von 700 Milliarden Euro. Das sind circa zwei Bundeshaushalte. Die haben in den letzten Jahren jedes Jahr zweistellige Zuwachsraten gehabt, meine Damen und Herren. Auf der anderen Seite stehen 4,4 Millionen Kinder, die arm sind oder von Armut bedroht sind. Das ist doch nicht hinnehmbar in unserem Land. ({22}) 4,4 Millionen Kinder, das ist das Berliner Olympiastadion 58-mal vollgestellt mit Kindern in Armut und mit Kindern, die von Armut bedroht sind. In keinem anderen Land, meine Damen und Herren, gibt es so eine riesige Spaltung, und das müssen wir alle ganz dringlich verändern. Es geht um einen grundsätzlichen Perspektivwechsel, nicht nur in der Sozial- und in der Wirtschaftspolitik. Seit 40 Jahren sind die grundlegenden Fakten über den Klimawandel bekannt. Der Plastikmüll in den Ozeanen kommt bekanntermaßen nicht von den Delfinen, ({23}) und der Regenwald am Amazonas wird auch nicht von den Affen angezündet. Dass wir etwas tun müssen, ist zumindest in seriösen Kreisen klar. Aber wie, das ist natürlich die interessante Frage. Da höre ich jetzt: Irgendwann wird das Klimakabinett tagen. – ({24}) Donnerwetter! Im Haushalt null abgebildet! Mich würde mal interessieren, wenn es denn diesen breiten Konsens geben soll, was da real gemacht werden soll. Da müssen wir doch wirklich dringend ran. Sie setzen offensichtlich darauf, dass darüber nicht in Ernsthaftigkeit geredet wird. ({25}) Frau Merkel, Sie haben heute ein wunderbares Beispiel angeführt: das Thema Elektromobilität. Ich will nur mal feststellen: Sie waren es, die gesagt hat – nachlesbar –: Im Jahr 2020 werden wir 1 Million Elektroautos haben. – Das hat nicht Die Linke gesagt. Was ist die Realität? ({26}) Zum 1. Januar 2019 waren weniger als 90 000 zugelassen. Ja, was ist denn das? Was ist denn das für eine Glaubwürdigkeit? Elektromobilität kann sehr sinnvoll sein, aber wenn, dann müssen es doch Elektroautos sein, die bezahlbar sind. Das heißt, sie müssen unter 20 000 Euro kosten. Es muss ausreichend Ladestationen auch im ländlichen Raum geben; sonst sind die Menschen dort wieder mal abgehängt. Es muss natürlich technologische Lösungen geben, in der Kobalt-, in der Lithium-, in der Entsorgungsfrage usw. Ja, Christian Lindner, es ist in Ordnung, Technologieweltmeister zu sein. Nur, wenn Sie das gegen Moral stellen, dann ist das nicht in Ordnung. ({27}) Wir müssen in der Moral spitze sein und in der Technologie. Das ist die Aufgabe, die vor Deutschland steht. Aber so, wie die Regierung das bisher angedeutet hat, würden beim Klimaschutz wieder mal vor allen Dingen die unteren und mittleren Einkommen belastet werden. Fakt ist doch, dass die reichsten 10 Prozent in Deutschland fast 50 Prozent des CO2-Ausstoßes zu verantworten haben; das ist eine schlichte Wahrheit. Und jetzt sollen es wieder die Pendler und die Geringverdiener und die ländlichen Räume bezahlen? Wenn Sie wirklich einmal etwas gegen den Klimawandel tun wollen, dann stärken Sie doch die Bahn! Aber Sie haben seit 1990 6 467 Kilometer Bahnstrecke stillgelegt. Das ist doch der Wahnsinn! Ausbau von Strecken wäre notwendig und nicht Stilllegung von Strecken, meine Damen und Herren. ({28}) Deshalb sind viele Menschen skeptisch bei Ihren Ankündigungen, und das ist auch logisch: Die Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass so etwas immer auf ihre Kosten geht, während die Reichen reich bleiben und sich alle Annehmlichkeiten weiter leisten können. „Wieso sollen nur die Mittelschicht und die Armen etwas für den Klimaschutz tun?“, das ist ein berechtigter Einwand, den viele haben. Das ist auch eine berechtigte Sorge; denn in den letzten 20 Jahren ist es immer so gelaufen, dass sie diese Lasten zu tragen hatten. Deswegen sollten wir doch mal über Dinge nachdenken, die allen bekannt sind: Streichung der Energiesteuerbefreiung für Kerosin – würde 7 Milliarden Euro bringen, ({29}) Streichung der Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge – 4,7 Milliarden Euro, pauschale Besteuerung privat genutzter Dienstwagen – 3 Milliarden Euro usw., usw. Am Ende müssen wir dahin kommen, meine Damen und Herren, dass die Bahn unschlagbar günstig wird. ({30}) Aber um 50 Prozent sind die Bahntickets in den letzten 20 Jahren teurer geworden! Das ist doch ein unhaltbarer Zustand. Da muss man doch etwas tun! Die Bahn ist im Eigentum des Bundes. Wenn sie unschlagbar günstig werden soll, dann muss hier etwas getan werden. Es muss am Ende darum gehen, dass die mittleren und unteren Einkommensgruppen und die kleinen und mittleren Unternehmen entlastet werden. Es muss darum gehen, Infrastruktur zu schaffen, die wirklich ein soziales und ein ökologisches Miteinander ermöglicht. Wenn dann die Einnahmen nicht reichen, dann muss man entweder die Ausgaben senken, oder man muss darüber nachdenken, wo und wie man Einnahmen erhöhen kann. Bei diesen Riesenvermögen gibt es da, jedenfalls von uns, gute Vorschläge. ({31}) Steuern heißen „Steuern“, weil man ein Land damit steuert, meine Damen und Herren. Wenn es so ist, dass allein 630 000 Menschen in Deutschland ausschließlich von ihrem angehäuften Vermögen leben – die nichts mehr machen, die nur davon leben –, dann nenne ich das im Übrigen mal soziale Hängematte. Das ist die Realität, und da, finde ich, kann und muss man auch etwas abholen. ({32}) Das ist im Übrigen nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage. Es kann doch nicht sein, dass in unserem reichen Land alte Menschen Flaschen sammeln müssen, um die Rente aufzubessern, dass die Zahl der Obdachlosen – heute ist Tag der Wohnungslosen – steigt, während auf der anderen Seite Leute in Saus und Braus leben! Diese Ungerechtigkeiten, meine Damen und Herren, die schlagen auch auf das zwischenmenschliche Klima durch. Das kann man doch nicht wirklich wollen! Wer vor dieser Realität die Augen verschließt, der hat in der Politik wirklich nichts zu suchen. ({33}) Frau Merkel, das ist Ihre letzte Legislaturperiode; Sie haben angekündigt, Sie wollen nicht wiedergewählt werden. Ich finde, das ist eine gute Gelegenheit, noch einmal sehr mutig zu sein und wirklich Deutschland auf einen Weg zu bringen, dass wir zukunftsfest werden, dass wir gestalten und dass wir nicht verwalten. Zukunfts- und zielorientierte Investitionen sind das Gebot der Stunde, meine Damen und Herren. Ich habe Sorge, ob das alles mit der Union möglich ist. Ich habe nach der Rede von Rolf Mützenich die Hoffnung, dass es vielleicht irgendwann einen Mitte-links-Aufbruch gibt. ({34}) Das wäre gut für unser Land, für Europa und für die Welt. Herzlichen Dank. ({35})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle reden vom Klima, gestern, heute, stundenlang. ({0}) – Ja, ich auch, ganz bestimmt; darauf können Sie sich verlassen. Was der Politik fehlt, was dem Haushalt fehlt, ist nicht Erkenntnis, ist nicht Bekenntnis, ist auch, Frau Merkel, nicht Einordnung, sondern es ist: endlich Ergebnisse, endlich handeln; das ist, was fehlt. Hören Sie auf, immer nur zu reden – tun Sie endlich was! ({1}) Der Zwischenruf von Jürgen Trittin – ich will es hier noch einmal sagen – war: Wer hat denn 14 Jahre lang nichts gemacht? – Das ist das eine. Er hat nämlich recht: 14 Jahre lang Stillstand, insbesondere beim Klimaschutz. ({2}) Das andere ist aber: Sie haben hier gestanden und eine sehr dringliche Rede gehalten. Wenn ich Ihre Prognose, wenn ich Ihre Dringlichkeit, wenn ich Ihre Vorschläge sehe, aber gleichzeitig auch sehe, dass vielleicht nur fünf Leute in der Union geklatscht haben, dann mache ich mir wirklich Sorgen ums Klima, und dann mache ich mir auch sehr viele Sorgen um Ihr Klimakabinett, meine Damen und Herren. ({3}) Vielleicht zur Erinnerung. Das Jahr 2018 war schon ein 2-Grad-Jahr, genau so, wie wir es 2100 nicht überschreiten wollen. Es gab eine große Dürre, wir hatten Waldbrände hier, da schmolzen der Permafrostboden und die Arktis. Dieses Jahr ist die Grundlage für das, was wir als Best Case erreichen wollen. Das, was Sie gerade machen – besser: das, was Sie gerade nicht machen –, ist das Zusteuern auf den Worst Case. Das ist die große Bedrohung, die wir haben, und sie geht eben leider auch direkt von hier aus, meine Damen und Herren. ({4}) Jeder und jede weiß: Das Zeitfenster, in dem wir noch etwas tun können, wird immer kleiner. Ihr Kabinett erleben wir gerade so: Der Energieminister „plädiert“, der Verkehrsminister „fordert“, die Umweltministerin „dringt“, die Landwirtschaftsministerin „klagt“ sogar „an“. ({5}) Ich will sehen, dass Sie „machen“. Dieser Haushalt, das, was Sie hier vorgelegt haben und was dann irgendwie noch beraten werden soll, ist eine doppelte Null, nämlich kein Plan und kein Geld. Das kann sich das Klima nicht leisten, meine Damen und Herren. ({6}) Deswegen: Jetzt anfangen! Sie müssen einen Plan zum Kohleausstieg vorlegen und ihn an die Strukturhilfen koppeln. Es geht doch nicht, dass man das eine macht und das andere lässt. Worauf alle warten, ist doch: Die dreckige Luft muss beseitigt werden. ({7}) Ihre Aufgabe, Herr Altmaier, ist es, für sauberen Strom zu sorgen und nicht nur einen Windgipfel abzuhalten, bei dem zwar Wind, aber keine Regelungen rauskommen. ({8}) Wir brauchen endlich: den Deckel weg bei den erneuerbaren Energien! Wir brauchen nämlich jedes Watt, wir brauchen jedes Grad Einsparung, und wir brauchen jeden Monat; deswegen ist es so dringlich, dass Sie endlich anfangen. Über den Verkehrsminister habe ich noch nicht geredet. Wir hätten gerne mal einen, der will und kann oder kann und will, je nachdem. ({9}) Ein Fünftel der CO2-Verschmutzung kommt aus dem Verkehrsbereich. Was wir da haben, ist Dieselskandal, ist Mautskandal, ist aber kein Handeln. Wo ist denn die Initiative für die Bahn? Wo ist denn die Initiative für den öffentlichen Nahverkehr? ({10}) Wo sind die versprochenen Elektroautos? Alles das haben wir nicht. ({11}) Und ein Verkehrsminister, der sich verstrickt hat, kriegt noch nicht mal hin, für die Sicherheit in Deutschland einen Abbiegeassistenten für Lkws festzulegen. ({12}) Das ist doch ein Armutszeugnis sondergleichen. ({13}) Frau Klöckner, Sie könnten auch mal so richtig was machen, so richtig was für den gesunden Wald. Man könnte dort tatsächlich Millionen Tonnen CO2 binden. Dazu gehört eine Kleinigkeit: Sie sollten den Wald nicht nur als eine Ansammlung noch nicht gesägter Bretter betrachten; das wäre das eine. Was Sie zum anderen nicht machen sollten, Frau Klöckner: Sie sollten nicht auf Herrn Lindner hören. Herr Lindner hat heute hier über den Borkenkäfer gesprochen. Der Borkenkäfer, Herr Lindner – vielleicht unterhalten Sie sich mal mit denen, die ein bisschen Ahnung haben –, ist ein Resultat auf der einen Seite von Holzplantagen und auf der anderen Seite von Dürre. Bei Ihrer Art von Waldpolitik und Ihrer Kenntnis: Da fürchten sich ja Rotkäppchen und der Wolf gleichzeitig; das ist doch furchtbar, was Sie hier geliefert haben. ({14}) – Ja, das können wir gerne machen, Herr Lindner. ({15}) Wir können gern über die Frage ins Duell gehen, was eigentlich für den Wald notwendig ist. ({16}) Aber ich bleibe noch mal bei Frau Klöckner, weil Frau Klöckner sich ja immer so gut gefällt als die erste Repräsentantin der Agrarlobby und weil Sie, Frau Klöckner, sich immer hinstellen und sagen: Gerade die Klimaschützer würden spalten. – Das Gegenteil ist der Fall. Was Sie machen, ist Spalterei. Fakt ist: Ihre Politik des „Immer mehr“ und „immer billiger“ zwingt die Bauern und Bäuerinnen doch dazu, ({17}) die Landschaft zu zerstören, Arten zu vernichten, das Wasser zu verseuchen oder sogar den Hof, wenn er nicht groß genug ist, aufzugeben. Sorgen Sie endlich dafür, dass Land-wirt-schaft gemacht werden kann. Sorgen Sie endlich dafür, dass Ökologie und Landwirtschaft mit einer Zunge sprechen, und bringen Sie nicht immer alle gegeneinander auf. Nein, es geht nicht um Stadt und Land gegeneinander, es geht darum, dass man eine gemeinsame Zukunft baut mit anständiger Landwirtschaft, mit weniger Gift, ohne Nitrat im Grundwasser – das ist doch unsere Aufgabe; das müsste Ihre Aufgabe sein, Frau Klöckner, für die Menschen und fürs Klima. ({18}) Diese Woche reden wir ja vor allen Dingen über Geld. Wir sind aber tief, wir sind verdammt tief im Dispo der Natur. Und die Zukunft, Herr Scholz, die gibt es nicht zum Nulltarif. Hören Sie auf, diese Monstranz vor sich herzutragen! Das ist vollkommen sinnlos. Wir brauchen doch endlich Klimabeschlüsse, die auch Investitionen beinhalten, und diese Investitionen verheiraten die Ökonomie und die Ökologie. Wir wissen alle: Wir sind gerade in einer Situation, wo vielleicht noch keine Rezession bevorsteht, aber zumindest eine Eindunkelung der Wirtschaft. – Wie klug wäre es da, zu sagen: „In genau diesem Augenblick brauchen wir große Investitionen, brauchen wir viele Investitionen“! Dann machen Sie es doch einfach, und tragen Sie nicht die schwarze Null vor sich her, so wie dem Esel die Möhre vorgehalten wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Göring-Eckardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hocker, FDP?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber sehr gerne. Bitte schön.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr, Herr Kollege.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Göring-Eckardt, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Sie haben eben ausgeführt, dass Landwirtschaft – so Ihre Aussage – die Landschaft in Deutschland zerstört. Ich möchte Sie fragen, ob Sie wirklich bei dieser Aussage bleiben wollen; ({0}) denn ich bin der festen Überzeugung, dass es in Deutschland keine besseren Landschaftsschützer gibt als unsere Landwirte. Möchten Sie tatsächlich bei dieser unerträglichen Haltung bleiben? Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was wir erleben – genau darum ging es mir –, ist, dass Landwirtinnen und Landwirte genau das wollen, dass sie sich für Artenschutz einsetzen, dass sie Blühstreifen anlegen. Das erleben wir in Deutschland. ({0}) Und das sind nicht nur die Ökobauern, sondern gerade auch die konventionellen Bauern. Was ich gesagt habe, ist: Wenn wir bei der alten Art der Förderung von Landwirtschaft bleiben, ({1}) wenn wir eine Landwirtschaftsministerin haben, die gerade nicht umsteuert, die nicht dafür sorgt, dass weniger Ackergift auf die Felder kommt, ({2}) die nichts dagegen tut, dass wir immer mehr Nitrat haben, ({3}) dann passiert genau das Gegenteil, und zwar nicht, weil die Bäuerinnen und Bauern es so wollen, sondern weil es die falsche Politik ist. Darum geht es. Deswegen brauchen wir eine andere Landwirtschaft mit den Bäuerinnen und Bauern; das ist doch klar. ({4}) Meine Damen und Herren, die Investitionen sind in der Tat dringend notwendig, wir müssen Spielräume nutzen. Wir haben Ihnen einen Vorschlag dazu gemacht, wie man es schaffen kann, die Schuldenbremse – nicht aufzugeben, aber sie zu reformieren und tatsächlich zu investieren. Um was es geht, ist hier oft gesagt worden: raus aus dem Korsett; in die Schiene, in Erneuerbare, Gebäudesanierung, Forschung, Glasfaser investieren, übrigens auch in so etwas Kleines wie mehr Stadtgrün, Bäume, Trinkbrunnen. Ganz Deutschland gießt gerade Stadtbäume. Was machen Sie? Sie kürzen sogar beim Stadtgrün-Programm. Ich frage mich, wer an diesem Haushalt eigentlich gesessen hat und versucht hat, etwas Vernünftiges hinzukriegen. Die CDU-Parteivorsitzende möchte jetzt gerne eine Abwrackprämie für Ölheizungen. Gleichzeitig kriegt man immer noch 3 000 Euro Steuergeld pro Heizung. Das ist doch vollkommen gaga! Sie müssen sich mal entscheiden, was Sie wollen, und Sie müssen die Sache auch mal durchdringen! ({5}) Deswegen: Dieses Investieren, Herr Lindner, ist Ausdruck der Generationengerechtigkeit, über die wir heute reden müssen. Weil es zu einer Win-win-Situation führt, weil die Schulden, die wir heute machen, das ist, was wir in Zukunft an Schulden und noch höheren Kosten nicht verursachen müssen. Das sagt Ihnen jeder Rückversicherer. Vielleicht sollten Sie mal mit denen darüber sprechen, was es heute eigentlich bedeutet, zu investieren. Alle Wirtschaftsverbände sagen das ganz klar, und alle warten darauf. Und worauf warten die noch? Sie warten nicht auf ein Klimakabinett, das irgendwelche Vorschläge macht; sie warten darauf, dass es endlich klare Rahmenbedingungen gibt, dass es Verlässlichkeit gibt, dass es kein Hin und Her mehr gibt, damit alle wissen: Wir strengen uns bei den Investitionen in den Klimaschutz jetzt alle an. – Das ist doch die Perspektive. ({6}) Meine Damen und Herren, man muss schon sagen: Sie haben die Zeit in den letzten guten Jahren nicht genutzt, auch nicht für eine Kindergrundsicherung, die wirklich gegen Armut hilft. Wir haben immer noch Alleinerziehende in diesem Land, die nicht wissen, wie sie das Ende des Monats überstehen sollen oder wie die Klassenfahrt eigentlich zu bezahlen ist. Das hat mit Würde nichts zu tun. Es hat auch nichts mit Würde zu tun, dass Sie wie in einem Pingpongspiel ständig über die Grundrente reden. Machen Sie doch endlich mal eine Garantierente! ({7}) Sorgen Sie dafür, dass Menschen keine Angst mehr vor Armut im Alter haben! Oder zum sozialen Wohnungsbau. Wir haben einen Heimatminister, der zulässt, dass Familien sich ihre Heimat nicht mehr leisten können, weil er als Bauminister nicht baut. Gestern haben Sie sich hier gebrüstet, Sie würden doch etwas machen. Ja, aber doch nicht mit dem Nachdruck, nicht mit der Vehemenz, die tatsächlich notwendig ist. ({8}) Liebe Annegret Kramp-Karrenbauer, wenn ich mir Ihr Sonntagsinterview anschaue, frage ich mich wirklich: Was hat Sie eigentlich geritten? Bei der Frage, was Sie gegen die soziale Spaltung tun wollen, war Ihre Antwort, man möge sich doch um Wohneigentum bemühen, nach dem Motto „Kümmert euch doch selber, und esst Kuchen“. Ich glaube, dass die meisten Menschen in Deutschland, besonders diejenigen, die in Armut leben, das eher zynisch finden denn als Angebot von Ihrer Seite. ({9}) Frau Merkel, Sie haben hier sehr ausführlich über die gleichwertigen Lebensverhältnisse gesprochen. Ja, das steht im Grundgesetz; aber es ist nicht so. Es gibt diese Orte, wo es keine Ärztinnen und Ärzte, keinen Bus und keinen Balken auf dem Handy gibt. Sie fühlen sich aber nicht abgehängt; sie sind ganz real abgehängt. Das wäre die erste Erkenntnis, die man braucht. Ich finde es sehr gut, sich um die Ehrenamtlichen, das bürgerschaftliche Engagement zu kümmern. Aber was diese Menschen brauchen, ist eine Garantie, eine Garantie für Gesundheitsversorgung, eine Garantie dafür, dass schnelles Internet da ist, und eine Garantie für Mobilität, damit klar und eindeutig ist: Jede und jeder, die bzw. der auf dem Land lebt, weiß, dass der Bus kommt, dass die Ärztin kommt und dass das schnelle Internet im Übrigen noch dafür sorgt, dass man auch dort einen Job machen kann und nicht in die Stadt pendeln muss. ({10}) Was mich aber noch mehr umtreibt – ich hoffe sehr, dass auch Sie das aufgeweckt hat –, ist, dass in Regionen, die besonders abgehängt sind, die demokratiefeindlichen Einstellungen zugenommen haben, wie man bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen sehen konnte. Wenn Menschen das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen verlieren, ist das eine große Gefahr für unser Land. Aber es ist keine Entschuldigung, rechtsradikal zu wählen, nur weil der Bus nicht fährt, meine Damen und Herren. ({11}) Frau Weidel, Sie haben hier heute Morgen wieder mit Ihren Attacken auf die freien Medien, mit Ihrem Verdrehen der Tatsachen, mit Ihrer Hetze, mit Ihrer Verachtung für unser Land angefangen. ({12}) All das ist das genaue Gegenteil dessen, wofür wir in Ostdeutschland vor 30 Jahren auf die Straße gegangen sind. ({13}) Es ist das genaue Gegenteil dessen, was ein westdeutscher Geschichtslehrer behauptet. Damals ging es um Freiheit und Demokratie. Ihnen geht es heute um nichts anderes als Unterwandern und Zerstören. Die Mehrheit in diesem Land will und wählt Ihre Zwietracht nicht. Das sollten Sie wissen; das sollten Sie ganz genau wissen, meine Damen und Herren. ({14}) Dabei muss eines an alle Demokratinnen und Demokraten gesagt werden: Wachsam sein im Alltag! Die Wahl eines NPD-Manns zum Ortsvorsteher zeigt mir jedenfalls, wie dünn unsere demokratische Decke mancherorts ist. Wenn die AfD gemeinsame Sache mit der Union macht, inzwischen in mindestens 18 Orten der Republik, dann ist das hochgefährlich. ({15}) Diese Biedermänner vor Ort sind die Brandstifter unserer Demokratie. Ja, besonders Sie am rechten Rand hier sind die Brandstifter. Deswegen werden wir auch alles dafür tun, dass das nicht gelingt. Nein, Sie werden nicht die Demokratie unterwandern können. Nein, Sie werden dieses Land nicht zerstören können. Dafür sorgen wir Demokratinnen und Demokraten. ({16}) Meine Damen und Herren, ein Blick über den Tellerrand zeigt: Nicht nur wir sehen den Rückzug ins Nationale bis zum Leugnen der Klimakrise. Die Gefahr kommt genau von dort, von den Nationalen, von den Spaltern. ({17}) Trump sperrt mexikanische Kinder ein. Bolsonaro zündelt an der Lunge der Erde. Orban baut kompromisslos an seiner illiberalen Demokratie. Unsere europäischen Nachbarn machen es inzwischen alleine, sowohl was die Klimaziele angeht als auch was den Iran oder das Mercosur-Abkommen angeht. ({18}) Es kann doch nicht sein, dass wir auch noch ein Handelsabkommen unterzeichnen, das dafür sorgt, dass Bolsonaro, der den Regenwald anzündet, auch noch Unterstützung bekommt, meine Damen und Herren. ({19}) Ich will Ihnen am Schluss ein Angebot machen. Wenn Sie am 20. September hier etwas vorlegen, was wirklich ambitioniert ist, wenn Sie hier etwas vorlegen, was wirklich hilft, die Klimaziele einzuhalten, und wenn Sie sofort damit anfangen, dann sind wir bereit, mit Ihnen darüber zu verhandeln. ({20}) Wir sind bereit, mit Ihnen nach guten Lösungen zu suchen; wir haben dafür sehr viele Vorschläge. Und Sie wissen: Wir verhandeln verdammt hart. ({21}) Wenn Sie möchten, dann reden wir hier im Parlament darüber, genau hier, nicht in anderen Runden, auch nicht in irgendwelchen Konsensrunden. Genau hier könnten wir eine Mehrheit für den Klimaschutz, für die Bewältigung der Klimakrise in diesem Land schaffen. ({22}) Es ist an der Zeit: Handeln, jetzt! Das ist die Aufgabe, vor der wir alle stehen. Vielen Dank. ({23})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Göring-Eckardt. – Als Nächster erhält das Wort der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der Kollege Ralph Brinkhaus. ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor rund 70 Jahren hat der Deutsche Bundestag das erste Mal getagt; ({0}) darüber haben wir wenig geredet in den letzten Tagen. Wenn man die Zeit Revue passieren lässt und sich überlegt, vor welcher Herausforderung die Kolleginnen und Kollegen damals gestanden haben – ein Land, das in physischen und moralischen Trümmern gelegen hat, eine große Unsicherheit –, dann kann man wirklich sagen: Ja, jede Generation hat ihre große Herausforderung. – Damals sind mutige Entscheidungen getroffen worden: Westbindung, auch die Wiederbewaffnung, Herr Mützenich, der Weg zum gemeinsamen Europa, die soziale Marktwirtschaft. Unsere Vorgänger haben sich damals enorm darum gestritten, teilweise auch sehr, sehr hart. Aber am Ende des Tages ist eines dabei herausgekommen, zumindest nach einigen Jahren: Das, was damals vereinbart worden ist, war gesamtgesellschaftlicher Konsens. Blicken wir auf die letzten 70 Jahre. Ende der 60er-Jahre gab es eine Aufbruchbewegung, damals unter Willy Brandt: Aufbruch in der Bildung, Aufbruch in der Ostpolitik. Auch darum ist hart gerungen und hart gekämpft worden. Meine Fraktion war damals nicht der Meinung der SPD. Und trotzdem war das, was nach dieser Auseinandersetzung beschlossen worden ist, allgemeiner Konsens. 1990 hatten wir die Wiedervereinigung. Auch da ist hart gerungen worden, und es waren sich nicht alle einig über den richtigen Weg. Und auch da hatten wir nach hartem Ringen in diesem Deutschen Bundestag, in diesem Parlament einen gesamtgesellschaftlichen Konsens. Was will ich damit sagen? Ich will damit sagen, dass alle großen Auseinandersetzungen, die wir geführt haben, wenn wir sie so geführt haben, dass wir darauf aus waren, wirklich das Beste für das Land zu wollen, obwohl wir unterschiedlicher Meinung waren, dazu geführt haben, dass das Land nicht gespalten war, sondern dass das Land einen Schritt weitergekommen ist, dass unsere Gesellschaft ein Stück weitergekommen ist, dass wir besser geworden sind. Meine Damen und Herren, es ist jetzt die große Chance im Hinblick auf die Herausforderungen unserer Generation, wie zum Beispiel den Klimawandel, dass wir, wenn wir es richtig machen, wenn wir hart ringen, besser herauskommen, als wir hineingegangen sind, mit einer besseren Gesellschaft, mit einer besseren Wirtschaft, und dass wir viel erreichen. ({1}) Das sollte doch der Anspruch sein bei allen Widersprüchen, die wir hier haben. ({2}) Ich habe gesagt: Jede Generation hat ihre Herausforderungen. Wir haben auch unsere Herausforderungen. Ich warne aber davor, diese jetzt nur, obwohl es unglaublich wichtig ist, auf das Thema „Umwelt und Klima“ zu reduzieren. Wir müssen auch über andere Dinge sprechen. Wir haben die Tendenz zum seriellen Alarmismus: Es gibt immer ein Thema, das ganz besonders wichtig ist. Da stürzt sich dann alles drauf, und dann vergessen wir vielleicht das eine oder andere Thema. – Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass wir die Klimaziele nicht so im Auge gehabt haben, wie wir sie hätten haben müssen. ({3}) Ich möchte heute über drei Herausforderungen sprechen, die wir vor der Brust haben und die in der Rede der Bundeskanzlerin, aber auch verteilt über die Fraktionen in der einen oder anderen Rede angeklungen sind. Die erste betrifft natürlich das Thema Nachhaltigkeit. Ich sage ganz bewusst „Nachhaltigkeit“; denn Nachhaltigkeit ist mehr als Umwelt und mehr als Klima. Zur Nachhaltigkeit gehören auch finanzielle Solidität, Infrastruktur und viele andere Sachen. ({4}) Nachhaltigkeit ist mehr als Umweltpolitik; Umweltpolitik ist im Übrigen auch mehr als Klimapolitik. Es geht auch um Artenschutz, es geht um Kreislaufwirtschaft. Es geht um ganz viele Dinge, bei denen wir im Übrigen gar nicht so schlecht waren oder zumindest einiges auf den Weg gebracht haben. Aber es geht natürlich auch um das Thema Klima; das ist doch klar. Während der Rede der Kanzlerin ist hier im Plenum die Frage nach der Urheberschaft aufgekommen, die Frage, wer sich denn zuerst darum gekümmert hat. Ich könnte auch in diesen Chor einstimmen und fragen: Wer hat denn das Pariser Klimaschutzabkommen gemacht? Wer hat die entsprechenden Vereinbarungen auf europäischer Ebene getroffen? Wer hat das im Bundestag zur Ratifizierung gebracht? – Das waren unionsgeführte Bundesregierungen. ({5}) Aber Schwamm drüber! Nützt ja nichts. Wir haben im Übrigen viel erreicht. Wir sind im Bereich der regenerativen Energien gar nicht so schlecht. Wir haben auch in anderen Bereichen große Fortschritte erzielt. Aber da beißt die Maus keinen Faden ab: Wir werden ein Ziel nicht erreichen, nämlich die vereinbarte Reduktion der klimaschädlichen Gase bis 2020. Und seien wir ehrlich: Wenn wir so weitermachen, werden wir dieses Ziel auch bis 2030, 2040 und 2050 nicht erreichen. Deswegen ist es auch absolut richtig, wenn junge Menschen, aber auch andere auf die Straße gehen und sagen: Ihr habt das damals versprochen. Haltet es auch! – Es ist auch mein Verständnis von konservativer Politik, das, was man verspricht, auch zu halten. ({6}) Insofern ist es richtig, dass wir uns momentan so intensiv mit diesem Thema beschäftigen, viel intensiver, als das in der Vergangenheit der Fall war. Es sind viele Lösungsvorschläge gemacht worden. Ich teile die Auffassung, dass am Ende des Tages eine marktgerechte Bepreisung von CO2 der Königsmechanismus ist, um diese Sache zu wuppen. Aber wir dürfen eines nicht vergessen: Am Anfang steht immer die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen, etwas für den Klimaschutz zu machen. ({7}) Deswegen müssen wir die Menschen für dieses Projekt gewinnen. Wir werden die Menschen für dieses Projekt aber nicht gewinnen, wenn wir uns in unserer Diskussion nur auf die Bepreisung von CO2 stürzen. Vielmehr müssen wir den Menschen, so wie es die Bundeskanzlerin gesagt hat, die Möglichkeit geben, ein klimaneutrales Leben zu führen. Da sind wir als Staat gefordert. Dafür müssen wir den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Dafür müssen wir Möglichkeiten für Elektromobilität schaffen. ({8}) Dafür müssen wir, auch wenn das immer kleingeredet wird, die Möglichkeit schaffen, dass die Menschen ihre Ölheizungen ersetzen, und zwar auch auf dem Land. ({9}) Das ist auch eine Frage von Stadt-Land-Gerechtigkeit. ({10}) Der Kollege Lindner hat gesagt – ich gehe einmal davon aus, dass er es nicht so gemeint hat –: Na ja, wenn das international nicht gemacht wird, dann habt ihr mit eurer Moral zwar recht, aber ihr habt nichts erreicht. – Der Kollege Bartsch hat das auch angesprochen. Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle mal einen Satz sagen: ({11}) Es gibt Situationen in der Politik, in denen es ganz egal ist, was die anderen machen, in denen man einfach das Richtige machen muss. Und im Klimabereich müssen wir jetzt das Richtige machen. Ich glaube auch, dass dann genau das passieren wird, was der Kollege Lindner angesprochen hat. ({12}) Wenn wir das Richtige machen und insbesondere auf Innovation und Technologie setzen, dann können wir hier in Deutschland Lösungen anbieten, die auch der ganzen Welt weiterhelfen können. Damit bin ich gleich beim zweiten Thema, das eine genauso große Herausforderung ist: Innovationen und Technologien, die der Welt weiterhelfen können, Technologien und Innovationen, die unsere Wirtschaft in die nächsten Jahrzehnte tragen können; denn auch darum geht es. Es wird momentan gesagt – je nachdem, mit wem man spricht –, dass wir vor einer konjunkturellen Rezession bzw. einer technischen Delle stehen. Wir haben in der Wirtschaft aber keine konjunkturelle Herausforderung zu bestehen, sondern eine strukturelle Herausforderung. ({13}) Die Wirtschaftsstrukturen, so wie wir sie kennen, werden in 10 oder 20 Jahren nicht mehr die gleichen sein. Das hat nichts damit zu tun, dass wir in der Automobilindustrie andere Antriebsstränge entwickeln. Das hat etwas mit verändertem Verbraucherverhalten, mit autonomem Fahren und vielem anderen zu tun. Der Einzelhandel wird sich durch die Plattformökonomie verändern. ({14}) Auch die Industrie und die Verwaltung werden sich verändern. Wir als Staat müssen die Rahmenbedingungen schaffen, um genau das zu ermöglichen. Die Wirtschaft muss die Veränderungen am Ende des Tages selbst vollziehen, aber wir müssen die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Dabei ist mir eines wichtig: Wir müssen die Fesseln, die wir der Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten angelegt haben, wieder lockern. Wir brauchen ein Entfesselungsgesetz. Ich bin im Sommer wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen viel unterwegs gewesen. Wenn ich mir angucke, welche Absurditäten wir mittlerweile bei den Planungsverfahren in Deutschland haben, muss ich sagen: So kommen wir nicht weiter, meine Damen und Herren. Ich sage noch einen Satz, der ganz wichtig ist: Individuelles Wohl und Gemeinwohl müssen immer in der Balance sein; das ist überhaupt keine Frage. Aber ich habe momentan das Gefühl, dass das Gemeinwohl an Balance verliert. Wenn wir mit den Planungsverfahren bzw. bei unserer Vorhabenplanung so weitermachen, dann werden wir in diesem Land nicht weiterkommen. Niemand will den Bürgern Beteiligungsrechte nehmen, niemand will den Bürgern Klagerechte nehmen, aber es kann nicht sein, dass große Projekte, die für dieses Land wichtig sind, kaputtgeklagt werden. ({15}) Wenn wir über die Entfesselung der Wirtschaft sprechen, dann müssen wir auch darüber sprechen, dass wir – das sage ich ganz offen – mittlerweile ein absurdes Vergabe- und Ausschreibungsrecht haben. Wenn mir eine Bürgermeisterin, die eine europaweite Ausschreibung machen muss, weil sie dazu gezwungen ist, erzählt, dass sie 50 000 Euro für Rechtsanwaltskosten aufwenden muss, dann muss ich sagen: Es läuft irgendetwas falsch in diesem Land. ({16}) Und wenn es so ist, dass in Ausschreibungsverfahren die Interessen derjenigen, die an den Ausschreibungen teilnehmen, wichtiger sind als die Tatsache, dass Projekte zu einem Ende gebracht werden, dann läuft auch hier etwas falsch in diesem Land. Lassen Sie uns das Ganze weiterspinnen. Wir könnten viele andere Sachen nehmen, zum Beispiel den Datenschutz. Auch da haben wir entsprechenden Nachholbedarf. Wir können die Wirtschaft entfesseln. Ja, Herr Lindner, ein Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass wir ein modernes Unternehmenssteuerrecht bekommen, aber nicht, wie Sie es vielleicht meinen, indem wir Steuerdumping machen, sondern indem wir wettbewerbsgerecht sind und ein Steuerrecht haben, das im europäischen und weltweiten Vergleich so gestaltet ist, dass unsere Unternehmen gerne bei uns arbeiten. ({17}) Es geht nicht nur um das Thema Wirtschaft, sondern auch um das Thema Außen- und Sicherheitspolitik. Ich bin sehr froh, dass die Bundeskanzlerin und der Fraktionsvorsitzende der SPD sich diesem Thema so ausführlich gewidmet haben. Ich glaube, wir wissen gar nicht, wie es momentan in dieser Welt aussieht. Wir sind hier in unserer bundesdeutschen Echokammer und diskutieren viele Dinge, die wichtig sind, teilweise auch Dinge, die nicht so wichtig sind. Aber die Welt um uns herum hat sich verändert. Ob das nun China ist, ob das die Vereinigten Staaten sind; es gibt noch viel mehr Konflikte. Aber eines ist richtig, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir als Europäer – ich sage ganz bewusst „Europäer“, weil wir als Europäer zusammenarbeiten müssen – nicht aufpassen, dann werden wir zwischen den Blöcken China und Vereinigte Staaten eingeklemmt. Deswegen tun wir gut daran, wenn wir mehr in unsere Außenpolitik – und zur Außenpolitik gehört die Sicherheitspolitik – investieren. Ich bin nachhaltig der Meinung, dass es eine Frage unserer internationalen Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit ist, dass es eine Frage des Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten ist und dass es eine Frage der Vertretung unserer eigenen Interessen ist, eine starke Bundeswehr zu haben, die gut ausgestattet ist, und dafür auch das Geld aufzuwenden, das wir versprochen haben. ({18}) Wenn ich diese drei großen Herausforderungen zusammennehme – Umwelt, Klima, Nachhaltigkeit auf der einen Seite, die Zukunft der Wirtschaft und vor allen Dingen Technologie und Innovation auf der anderen Seite –, und wenn wir als deutscher Staat wollen, dass wir in der Welt und in Europa einen Platz haben, dass man auf uns schaut –, dann kann ich nur sagen: Wir haben sehr viel vor uns. Jetzt komme ich wieder zurück zu 1949, 1969 und 1990. Ich denke, wir haben jetzt eine große Chance. Insofern, Frau Göring-Eckardt, nehme ich Ihr Angebot und das der anderen Parteien gerne an, weil wir ja zumindest fast alle eine gewisse Übereinstimmung hinsichtlich des Ziels haben, wie wir mit genau diesen Herausforderungen umgehen wollen. Ich glaube, das ist unglaublich wichtig. Denn wenn wir das nicht in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens machen, wenn wir über diese Herausforderungen diese Gesellschaft spalten, wenn wir Gewinner und Verlierer haben, wenn wir Leute haben, die sagen: „Ich kann mit dieser Sache nichts mehr anfangen“, und andere, die sagen: „Es geht mir nicht schnell genug“, dann werden wir nicht vorankommen. Wir können angesichts dieser Herausforderungen nur vorankommen, wenn wir alle Menschen mitnehmen, wenn wir das nicht gegen die Menschen machen, sondern mit den Menschen. Sie alle vertreten unterschiedliche Facetten dieses Landes. Dementsprechend kann ich Sie nur aufrufen: Lassen Sie uns beim Klima anfangen und bei Wirtschaft und Außenpolitik weitermachen. Lassen Sie uns versuchen, diese Herausforderungen gemeinsam zu lösen, so wie das in den vergangenen 70 Jahren war. Das hat uns von vielen anderen Ländern dieser Welt unterschieden, das hat diese Bundesrepublik Deutschland stark gemacht. Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch in Zukunft sein werden. ({19})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Brinkhaus. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Alexander Gauland, AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Alexander Gauland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004724, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir glauben, der gestrigen Haushaltsrede von Herrn Minister Scholz entnehmen zu dürfen, dass ein Paradigmenwechsel in der Regierung stattgefunden hat. Der Bundesfinanzminister hat erklärt, warum es richtig ist, dass Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigt und mittelfristig dem Verbrennungsmotor Ade sagt, obwohl anderswo massenweise das exakte Gegenteil passiert. „Weil wir es können“, hat Herr Scholz gesagt. Das ist jetzt wahrscheinlich die neue offizielle Parole, nicht mehr „Wir schaffen das“, sondern „Wir können das“. ({0}) Warum ist Napoleon nach Moskau marschiert? Weil er es konnte. Warum hat Walter Ulbricht die Mauer gebaut? Weil er es konnte. Wir verstehen, lieber Herr Scholz. ({1}) Deutsch sein heißt bekanntlich: Eine Sache um ihrer selbst willen tun. Herr Scholz hat das einmal mehr bestätigt. Denn was bedeutet seine Aussage anderes als: „Wir würden auch dann aussteigen, wenn es nichts bringt“? Aber was soll es eigentlich bringen? Für das Weltklima ist Deutschland keine besonders relevante Größe. Es geht hier offenbar um Symbolik. 1945 waren wir der Teufel der Welt. Heute wollen wir die Engel des Planeten sein, das leuchtende Vorbild. ({2}) Der Chef der Deutschen Energie-Agentur, dena, Stephan Kohler, erklärte einmal chinesischen Managern das Fördersystem für die erneuerbaren Energien. Unter anderem führte er aus, dass deutsche Windstromerzeuger sogar Geld für Strom bekommen, der nie produziert wurde. Einer der Chinesen, so Kohler, sei in der Pause zu ihm gekommen und habe gesagt: Interessant, aber kein Vorbild. – Sie kennen alle den Spruch: Das interessiert mich ungefähr so viel, als ob in China ein Sack Reis umfällt. – Im Reich der Mitte könnte sich der komplementäre Spruch einbürgern: Das interessiert mich ungefähr so viel, als ob in Deutschland ein Kohlekraftwerk vom Netz geht. ({3}) Meine Damen und Herren, die erste Hälfte dieser Legislaturperiode liegt hinter uns. An solchen Zeitschwellen ist es üblich, Zwischenbilanz zu ziehen. Ich frage: Wo ist Deutschland spitze und wo nicht? Unangefochten europäische Spitze ist Deutschland beim Strompreis, und bei der Höhe der Steuern sind wir immerhin Zweiter. Ganz weit vorn ist Deutschland bei der Aufnahme von Migranten und absolute Weltspitze bei deren Alimentierung. ({4}) Allein das Land Hessen zahlt für jeden unbegleiteten jugendlichen Flüchtling 8 469 Euro monatlich. Aufs Jahr gerechnet waren das zuletzt 138 Millionen Euro. – Wir können das. Einen Spitzenplatz belegt Deutschland bei den Zugverspätungen, bei den Studienabbrechern, und wir liegen auch beim CO2-Ausstoß pro Kopf deutlich vor Ländern wie Schweden und Frankreich, weil die mehr Atomstrom produzieren. ({5}) Spitze ist Deutschland bei den Steuereinnahmen. Überall durften wir zuletzt lesen, der Staat habe Überschüsse erwirtschaftet. Meine Damen und Herren, hier muss ich Einspruch erheben. Der Staat erwirtschaftet gar nichts. ({6}) Dieses Geld stammt von den ungefähr 15 Millionen meist schon länger hier lebenden tatsächlichen Steuerzahlern. Die können das. Hat die Regierung die Überschüsse zum Anlass genommen, den Bürgern mehr Netto vom Brutto zu lassen und die Steuern zu senken? Die Koalition konnte sich nicht einmal auf die komplette Abschaffung des Soli einigen, obwohl die Rechtsgrundlage dafür entfallen ist. Das ist nämlich der eigentliche Punkt, weshalb der Soli ganz abgeschafft werden muss. ({7}) Dafür hat sie im ersten Halbjahr wieder mehr Schulden gemacht. Die Verschuldung stieg nach Angabe des Finanzministeriums innerhalb von sechs Monaten um mehr als 11 Milliarden Euro. Wofür? Für Infrastruktur, für Bildung, für die Bundeswehr? Die Steigerung kommt unter anderem durch eine im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise gebildete Rücklage zustande, meldete n-tv am 6. August. Die Migration kostet Bund und Länder zweistellige Milliardenbeträge. – Wir können das. Bleibt die Feststellung, wo wir nicht spitze sind. In der Mobilfunkabdeckung – das ist heute schon gesagt worden – liegt Deutschland weltweit auf Rang 70, hinter Albanien. ({8}) Beim internationalen Mathematik- und Naturwissenschaftstest TIMSS sind wir binnen weniger Jahre von Platz 12 auf Rang 24 abgerutscht, was bedenklich ist mit einer Physikerin an der Spitze der Regierung. ({9}) Auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz halten China, die USA und Japan 75 Prozent aller Patente. Auf Deutschland entfallen nicht einmal 3 Prozent. Das heißt, unsere Anteile an der künstlichen Intelligenz und am CO2-Ausstoß gleichen sich allmählich an. ({10}) Meine Damen und Herren, unser Land ist krank, und es ist tief gespalten: zwischen Ost und West, zwischen frommer Regierungslinie und böser Opposition. Den Riss, der sich durch unsere Gesellschaft zieht, haben ja nun angeblich wir verursacht; Frau Göring-Eckardt hat das ja noch einmal ganz deutlich gesagt. Nur, Frau Göring-Eckardt: Wir haben diesen Riss nicht verursacht, sondern bilden ihn ab. Er ist gesellschaftlich da. ({11}) Lassen Sie mich kurz auf die Wahlen im Osten eingehen. Wenn man die Zweitstimmen von Sachsen und Brandenburg addiert, stellt man fest, dass die AfD mit hauchdünnem Vorsprung stärkste Partei vor der CDU ist. ({12}) Das heißt, das Gros der Wähler hat bürgerlich-konservativ gewählt, aber sie werden künftig linker regiert als vorher, liebe CDU. ({13}) Der Wahlkampf war ein Spaltungswahlkampf: alle gegen die AfD. 30 Jahre nach dem Ende der DDR ist die staatsfeindliche Hetze zurückgekehrt und Oppositionskritik die erste Medienpflicht, wobei sich die Feinderklärungen keineswegs nur an unsere Adresse richten. Frau Kramp-Karrenbauers Versuch, Herrn Maaßen aus der CDU zu drängeln, muss hier als Beispiel genügen. ({14}) Auf der anderen Seite gibt es wie damals Ergebenheitsadressen der Kulturschaffenden an die Regierung. Schon vor den Wahlen 2019 sind Haushaltsposten – wie der Einzelplan 04, der Etat der Bundeskanzlerin – in allerletzter Minute aufgebläht worden. Zum Beispiel vervierfachte sich der Etat des Bundesverbandes Freie Darstellende Künste e. V. auf wundersame Weise. Die Führung dieses Verbandes ist maßgeblich an der „Erklärung der Vielen“ beteiligt, ({15}) einer bundesweiten Initiative vor allem staatlich geförderter Bühnen und Institutionen, die sich primär gegen die AfD richtet; dieses Beispiel hier nur als Pars pro Toto. Die Bundesregierung finanziert die Spaltung der Gesellschaft ({16}) entlang ihrer willkürlich eingezogenen Linien. ({17}) Die interessante Frage lautet: Darf sie das überhaupt? Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages gibt eine klare Antwort: Dem Staat bleibe es zwar unbenommen, freiheitlich-demokratische Wertvorstellungen zu verbreiten, derartige Aktionen dürften sich aber nicht gezielt gegen bestimmte Parteien richten. Dies wäre ein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht. – Wir werden darauf zurückkommen. ({18}) Meine Damen und Herren, Sie alle kennen sicherlich den Begriff „Reptilienfonds“, also aus dem Haushalt abgezweigte Mittel, die zur politischen Einflussnahme verwendet werden. ({19}) Er stammt von Otto von Bismarck, der 1869 in einer Rede die im Dienst des entthronten hessischen Kurfürsten arbeitenden Agenten „bösartige Reptilien“ nannte und deren Bekämpfung aus einer solchen Kasse finanzierte. Frau Bundeskanzlerin – nun ist sie nicht mehr da –, wir begrüßen es immer, wenn Sie von Bismarck lernen wollen. Aber muss es ausgerechnet dieser Punkt sein? ({20}) Wie Deutschland im Kleinen, so ist Europa im Großen gespalten, entlang derselben Bruchlinien zwischen Ost und West, zwischen Globalisten und Partikularisten. Zumindest für die europäische Politik ist die Migrationsfrage nach wie vor das entscheidende Thema. Es wird immer deutlicher, dass die Verfestigung der supranationalen EU-Strukturen und die Förderung der Migration nach Europa zusammengehören. Es ist die Zange, in welche die Nationen und Nationalstaaten so lange genommen werden sollen, bis von den europäischen Demokratien nur noch Potemkinsche Dörfer übrig sind. ({21}) Deswegen wird jeder Migrationskritiker verteufelt, deswegen werden Schlepperhelfer zu Helden stilisiert, und deswegen wird der Öffentlichkeit suggeriert, man könnte die Migrationsrouten nicht schließen. ({22}) Über die Verteilung der Migranten innerhalb der EU sollte sich nach dem Willen der Bundeskanzlerin jedes europäische Land der Massenzuwanderung öffnen. Ist erst einmal die relative Homogenität der europäischen Völker aufgelöst, löst sich allmählich auch der nationale Zusammenhalt auf und der Nationalstaat kann durch eine neue internationale, übernationale Struktur ersetzt werden. Das wird ohne eine Umerziehung der nach wie vor in ihren nationalen Klausuren lebenden, denkenden und fühlenden Völker nicht funktionieren. Diese Umerziehung erleben wir täglich. Sie beginnt in den Schulen, sie ergießt sich über die Werbung und endet abends in den „Tagesthemen“. – Wir können das. ({23}) Freilich, die Briten spielen nicht länger mit, weil sie kein Interesse daran haben, dass idealistische Deutsche über ihre Grenzen bzw. ihre Einwanderungspolitik entscheiden. Die Polen und Ungarn wissen aus ihrer jüngsten Geschichte, dass es kein Vergnügen ist, von fernen Zentralen Diktate zu empfangen. Die Südosteuropäer haben historische Erfahrungen mit dem Islam, die sie einwanderungsskeptisch machen. Österreicher und Italiener haben keine Lust mehr, den Transit zu organisieren. Deshalb wird der Brexit mit allen Mitteln boykottiert. Deshalb werden die Osteuropäer vor die Wahl zwischen Zuckerbrot und Peitsche – Bestechung oder Isolation – gestellt. Und deshalb werden die Falschwähler in Ostdeutschland mit Gift und Galle überkübelt. ({24}) Meine Damen und Herren, ich kann nur wiederholen: Sie werden akzeptieren müssen, dass wir den Riss nicht erzeugt haben; wir bilden ihn nur ab. Ich bedanke mich. ({25})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Achim Post, SPD-Fraktion. ({0})

Achim Post (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004378, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Ich hoffe, es ist erlaubt, in dieser Debatte mal über das Land zu reden, in dem ich lebe, und über den Haushalt, den der Bundesfinanzminister vorgelegt hat. All das, was ich gerade gehört habe, dass sich Deutschland auflöst, dass Deutschland überall Letzter ist und dass wir kurz vor dem Untergang stehen, hat nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun. ({0}) Ich fange mal bei dem an, was Ralph Brinkhaus, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, gerade gesagt hat: Vor 70 Jahren haben sich Abgeordnete, Männer und Frauen, getroffen, vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, vier Jahre nach Ende der Nazidiktatur, vier Jahre nach Ende der Nazibarbarei. Die haben Probleme gehabt. Sie wussten häufig nicht ein noch aus. Sie mussten gucken, dass Millionen von Menschen wieder in Lohn und Brot kommen. Sie mussten gucken, dass die deutsche Wirtschaft wieder nach oben kommt. Die standen vor der berechtigten Frage, ob die Mehrheit der Deutschen überhaupt eine parlamentarische Demokratie will. Und sie mussten sich fragen und fragen lassen, ob es jemals wieder einen Platz für Deutschland in der Völkergemeinschaft gibt. Gemessen daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, reden wir heute über ganz andere Dinge. Wir reden auch über Herausforderungen, über neue Herausforderungen, über neue Fragen. Diese können wir aber lösen, und wir werden sie lösen, liebe Kolleginnen und Kollegen; ({1}) denn wir leben in einer stabilen Demokratie, in einem Land im Herzen Europas, als geachtetes Mitglied der Völkergemeinschaft, in einer erfolgreichen Volkswirtschaft, in einem Land, das nicht perfekt ist, wahrlich nicht, in einem Land, in dem es eine Menge Probleme gibt. Diese Probleme gehen wir aber gemeinsam an. Ich weiß – jeder von uns weiß das –, dass wir in einer Zeit mit einem geradezu paradoxen Trend leben: Auf der einen Seite stehen wir vor Herausforderungen, vor Generationenherausforderungen, vor Menschheitsherausforderungen – Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung, Aufrüstung, Kriege –, und auf der anderen Seite haben wir Präsidenten, Regierungschefs, Parteien, die auf Ausgrenzung setzen, auf Nationalismus, die leugnen, dass Menschen diesen Klimawandel gemacht haben, und die leugnen, dass man was dagegen tun muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht meine Herangehensweise. Das ist nicht die Herangehensweise der SPD-Bundestagsfraktion. ({2}) Deshalb hat der Bundesfinanzminister einen Haushalt vorgelegt, für den es sich lohnt zu streiten, und wir streiten darüber. Dieser Haushalt zeigt, dass diese Koalition ein Deutschland der Investitionen und der Innovationen will. In diesem Haushalt verzeichnen wir Rekordinvestitionen. ({3}) Das wird auch bei den Haushalten der nächsten Jahre so sein. Wir kämpfen, diese Koalition kämpft für ein soziales Deutschland und ein Deutschland des Zusammenhalts. ({4}) – Genau, klatschen Sie ruhig. – Wir haben ein Rentensystem, das nicht perfekt ist, aber wir stabilisieren es, und wir werden es weiter stabilisieren, und zwar mit der Grundrente für 3 Millionen Menschen. Darüber werden wir in den nächsten Wochen und Monaten debattieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir kämpfen für ein Deutschland, das gegen den Klimawandel und für einen Strukturwandel ist. Wenn wir das richtig machen, wenn wir das richtig anpacken, wenn wir das gemeinsam anpacken, dann können Klimaschutz und Strukturwandel Wachstumsmotoren für Innovationen und Investitionen der 20er-Jahre werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Nicht zuletzt kämpft diese Koalition – die Frau Bundeskanzlerin hat es angesprochen – für ein europäisches Deutschland, das im nächsten Jahr die europäische Ratspräsidentschaft innehat. Für diese Ratspräsidentschaft haben wir uns schon viel vorgenommen und müssen wir uns noch viel vornehmen: Wir wollen einen europäischen Zukunftshaushalt, der auf Wachstum und Beschäftigung setzt. Wir wollen eine Sozialagenda, die nicht nur auf dem Gipfel in Schweden beschlossen wurde, sondern Schritt für Schritt auch umgesetzt wird. Wir wollen einen ambitionierten Klimaschutz, gerade auch auf der europäischen Ebene. Zusammengefasst: Dieser Haushalt setzt auf Stetigkeit und Verlässlichkeit. Dieser Haushalt setzt auf Innovationen und auf Investitionen. Dieser Haushalt, den der Bundesfinanzminister vorgelegt hat, kann sich sehen lassen. Wir unterstützen diesen Haushalt. Machen Sie das auch! Schönen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Anke Domscheit-Berg, Fraktion Die Linke. ({0})

Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004703, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei der Digitalisierung in Deutschland weit auseinander, auch weil bei vielen blumigen Versprechen der Bundesregierung die notwendige Unterfütterung mit Ressourcen schlicht fehlt. So sprach Kanzlerin Merkel Anfang des Monats in ihrem Podcast über Open Government – ich zitiere –: ... deshalb erwarten Menschen zurecht, dass sie verstehen, wie Regierungen arbeiten, dass sie sich frühzeitig an den Gesetzentwürfen ... beteiligen können und dass sie einen Überblick darüber bekommen, wie unsere Steuergelder verwendet werden. Anlass für diese löblichen Worte war die Verabschiedung des Zweiten Nationalen Aktionsplanes zur Umsetzung der internationalen Open Government Partnership in Deutschland. Mir liegt das Thema „Open Government“ sehr am Herzen. Seit vielen Jahren kämpfe ich für eine transparente Politik und auch für den Beitritt Deutschlands zur globalen Open Government Partnership. Deshalb habe ich mich gefreut, als das vor drei Jahren endlich passierte. Nun soll das Budget dafür aber von 1,1 Millionen Euro auf 0 Euro gekürzt werden. Aus schönen Worten werden leere Hülsen, weil ihnen die finanzielle Basis fehlt. ({0}) Dass es neben der Höhe eines Budgets aber auch auf seinen Einsatz ankommt, sieht man an den 96 Prozent nicht abgeflossener Mittel für den Breitbandausbau, aber auch bei der Verwaltungsdigitalisierung. Der Koalitionsvertrag versprach noch eine E-Government-Agentur, die für alle föderalen Ebenen Standards und Pilotlösungen entwickeln und einen Inkubator für innovative E-Government-Lösungen beinhalten sollte. Eine solche Agentur haben wir mit dem Digitalausschuss im letzten Sommer in Dänemark besucht. Sie ist sehr erfolgreich und hat fast 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Nationalen Aktionsplan der Open Government Partnership wurde aus dieser E-Government-Agentur aber ein Digital Innovation Team, in dem fünf Beraterinnen und Berater für Innovationsprozesse arbeiten. Das ist ja wohl nicht die notwendige strukturelle Unterstützung für eine Verwaltungsdigitalisierung, die es Ottilie Normalbürgerin auch im Havelland ermöglichen würde, ihre Behördengänge von zu Hause aus zu erledigen, und um endlich unseren dramatischen Rückstand aufzuholen. ({1}) Aus digitalpolitischer Sicht ist dieser visionslose Haushaltsentwurf eine herbe Enttäuschung. Dass er zwar eine Rüstungsquote von über 14 Prozent enthält, aber keinen Posten für Sozialinnovationen, ist geradezu ein Skandal. ({2}) Als Linksfraktion werden wir daher einen Antrag auf Einrichtung eines Social Innovation Fonds in Höhe von 50 Millionen Euro einbringen; denn viele Innovationen, die dem Gemeinwohl dienen, sind nun mal für private Investoren uninteressant. Also muss der Staat Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass sie trotzdem entstehen können und die Vorteile der Digitalisierung für alle spürbar werden. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafgesetzbuch verloren haben. § 219a gehört abgeschafft. Vielen Dank. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Bundeskanzlerin ist in ihrer Rede sehr ausführlich auf die Megatrends Digitalisierung und Klimaschutz eingegangen. Aber sie hat eines nicht gemacht: diese beiden Megatrends zusammenzudenken. Nur wenn wir die Digitalisierung nachhaltig gestalten, ({0}) ihr einen klaren CO2-Preis geben, dann leistet sie einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise. ({1}) Wenn wir das nicht tun und alles so weiterlaufen lassen wie bisher, dann wird sie ein Brandbeschleuniger der Klimakrise. Das müssen wir uns endlich vergegenwärtigen. ({2}) Wir erleben nämlich derzeit ein drastisches Wachstum des Energieverbrauchs digitaler Anwendungen. Laut einer französischen Studie zur künstlichen Intelligenz könnte sich der Energieverbrauch durch die Digitalisierung bis 2030 verzehnfachen. Wir erleben eine Digitalisierung, die mit ihrem Ressourcenhunger für viele Menschen im globalen Süden zu einem wachsenden Problem wird. Wir erleben eine immer größere Marktmacht weniger Akteure, denen die Digitalisierung gigantische Gewinne beschert. Die Chancen der Digitalisierung für Klimaschutz und Innovation lassen sich aber nur realisieren, wenn wir faire Märkte haben und wenn wir einen CO2-Preis haben, der für Innovationen die Richtung vorgibt. Wir dürfen die Digitalisierung nicht als Selbstzweck begreifen. Wir müssen ihr eine Richtung geben: ökologisch und sozial. ({3}) Denn erst wenn zum Beispiel – das ist ja die Entscheidung, die Sie im Klimakabinett zu treffen haben – CO2 einen fairen Preis bekommt und dieser langfristig steigt, wird Digitalisierung innovativ wirken können. Dann wird sie Ressourcen einsparen. Dann werden wir die Mobilität besser steuern und die Landwirtschaft besser machen können. Dann werden wir Daten erheben können, um das Monitoring für die Klimakrise aufzuheben. Wir haben viele, viele Möglichkeiten. Wir können sie aber nur ausschöpfen, wenn wir der Digitalisierung eine Richtung vorgeben. Ganz entscheidend wird sein, dass wir uns der Monopole annehmen. Es kann nicht sein, dass ein Konzern wie Amazon in Deutschland die Märkte vertikal und horizontal beherrscht und der Einzelhandel keine Chance mehr hat. Wir müssen faire Märkte schaffen. Wo bleibt hier Ihr Mut zur Gestaltung? Wo bleibt Ihre Strategie für künstliche Intelligenz in Richtung Klimaschutz, in Richtung mehr Nachdenklichkeit? ({4}) Hier müssen wir eine Innovationsinitiative schaffen. Ich danke Ihnen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Janecek. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Ja, es ist in der Tat so: Die doppelte Herausforderung dieser Zeit heißt: Klimawandel bekämpfen und Konjunktur und Wirtschaft stützen. Das ist das, was wir zusammendenken. Da meinen manche ja, das sei ein unauflösbarer Gegensatz. – Nein, wir glauben, es ist sogar eine doppelte Chance, wenn wir Klima und Konjunktur zu einem Zukunftspaket für Deutschland mit dem klaren Ziel zusammenführen: mehr wirtschaftliches Wachstum bei weniger CO2. Dann haben wir die Herausforderung im Griff, um die es sich in den nächsten Monaten dreht, meine Damen und Herren. ({0}) Es hat hier ja einige Beiträge gegeben, in denen eine sehr einfache Lösung dafür präsentiert wurde, wenn man auf der einen Seite sehr viel in den Klimaschutz investieren und auf der anderen Seite Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft ergreifen wolle. Diese ganz einfache Lösung hieß Staatsverschuldung. Die einfache Antwort auf die Probleme unserer Zeit: Staatsverschuldung! Der Chefökonom von Verdi hat beispielsweise diese Woche verkündet, dass die 100-Euro-Scheine auf der Straße lägen und man sie nur aufheben müsse. – Meine Damen und Herren, wer die Staatsverschuldung hochtreibt, der sammelt kein Geld von der Straße, sondern der klaut es den nächsten Generationen. Das ist die Wahrheit. ({1}) Übrigens sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt: Das sind genau die Rezepte der Vergangenheit. Das sind die Rezepte, die uns in eine europäische Schuldenkrise hineingeführt haben. ({2}) Damals waren die Zinsen niedrig und die Ausgabenwünsche der Politik riesengroß. Das Ergebnis ist doch bekannt. Das lief nach dem Motto „heute billige Schulden machen, morgen teuer zurückzahlen“. – Das ist weder ökonomisch klug noch politisch verantwortungsvoll, meine Damen und Herren. ({3}) Das Schlimme dabei ist, dass manche aus der Euro-Schuldenkrise offensichtlich überhaupt nichts gelernt haben. Das zeigt ein Blick auf die Wortmeldungen dieser Woche: Der Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, hat gesagt, er will pro Jahr 35 Milliarden Euro neue Schulden in Deutschland machen und dafür sogar das Grundgesetz ändern. Liebe Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Sie haben das dann vorhin „Schuldenbremse reformieren“ genannt. Das Grundgesetz zu ändern, nennen Sie „Schuldenbremse reformieren“. ({4}) Ich sage Ihnen, was Sie eigentlich wollen: Sie wollen unter dem Deckmantel der grünen Politik den Haushalt in rote Zahlen treiben. Das ist Ihr eigentliches Ziel. ({5}) Das werden wir übrigens nicht tun, weil wir genau für Politiker wie Sie mit solchen Ideen die Schuldenbremse ins Grundgesetz hineingeschrieben haben. Deswegen ändern wir sie an dieser Stelle nicht. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Dobrindt, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich erlaube keine. ({0}) Ich will in dem Zusammenhang auf das eingehen, was Sie vorhin angesprochen haben, Frau Göring-Eckardt. Sie haben sinngemäß gesagt: Landwirtschaft zerstört die Landschaft. ({1}) Also, die Landwirtschaft, die seit Jahrhunderten die Kulturlandschaft in Deutschland erst ermöglicht und gepflegt hat, zerstört Ihrer Meinung nach die Landschaft. ({2}) Die Frau Bundeskanzlerin hat vorhin von der Arroganz gegenüber den ländlichen Räumen gesprochen. Sie haben diese Arroganz hier im Deutschen Bundestag eindrucksvoll zur Schau gestellt mit Ihrer Verunglimpfung eines ganzen Berufsstands. ({3}) Entlastungen der Bürger, Investitionen in die Wirtschaft, die schwarze Null: Das alles ist kein Widerspruch; ({4}) es ist eine Frage der politischen Schwerpunkte. Wir halten die schwarze Null. ({5}) Wir entlasten die Menschen mit über 13 Milliarden Euro. Wir investieren in Infrastruktur und vieles andere mehr. Das ist alles im Sinne von Generationengerechtigkeit: Sicherheit, Klimaschutz, Infrastrukturinvestitionen, die übrigens gerade von unseren Ministerien der CSU maßgeblich mit besetzt werden. ({6}) Die Verkehrsinvestitionen von Andi Scheuer sind auf Rekordniveau. Die innere Sicherheit wurde deutlich gestärkt mit über 1 000 Stellen, auch bei der Bundespolizei. Der Entwicklungshilfeetat von Minister Müller wurde erstmals über die 10-Milliarden-Euro-Grenze gebracht. Ja, wir wollen auch mehr in die Verteidigung investieren. Dietmar Bartsch hat hier noch mal darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung viel zu viel für Verteidigung ausgebe. ({7}) Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist richtig. Wir sind in einem Bündnis eine Verpflichtung eingegangen, haben Zusagen über die 2 Prozent gemacht und wollen ein Zwischenziel von 1,5 Prozent erreichen. Das werden wir in den Haushaltsberatungen auch weiterverfolgen, damit dies möglich ist. Ich sage Ihnen an dieser Stelle, meine Damen und Herren von den Linken: Ja, wir wollen Verantwortung in der Welt übernehmen. Wer Verantwortung in der Welt übernehmen will, der muss erst einmal sagen, dass er seine Soldaten unterstützen will. Dazu gehört, dass sie die bestmögliche Ausstattung von uns bekommen und hier nicht einfach so dargestellt werden, als würden sie Geld verschwenden. ({8}) Ich habe die zwei großen Herausforderungen, die parallel existieren, mit „Klimawandel bekämpfen“ und „Konjunktur und Wirtschaft stützen“ beschrieben. Es gibt den einen oder anderen, der jetzt ruft: „Kümmert euch erst mal nur ums Klima und nicht so sehr um die Wirtschaft!“, und es gibt andere, die sagen: „Kümmert euch doch einfach mal um die Wirtschaft und die Konjunktur und vergesst den Klimaschutz! Der ist ja ein Wirtschaftskiller.“ Liebe Frau Weidel, Sie haben gesagt, es handele sich um „Klimaschutzwahn“ in unseren Debatten und Beiträgen hier. ({9}) Ich glaube, dass Sie damit sehr deutlich belegt haben, dass Sie sich mit bürgerlich-konservativer Politik mehr als nur schwertun und damit in Wahrheit nichts anfangen können. Die Bewahrung der Schöpfung ist gerade der Nukleus der bürgerlich-konservativen Politik und kein Wahn. Deswegen schützen wir das Klima, meine Damen und Herren. ({10}) Wenn wir es schaffen, jetzt auch in den Verhandlungen bis zum Klimakabinett am 20. September dafür zu sorgen, dass wir eine vernünftige Kombination von Konjunkturmaßnahmen, Maßnahmen für Wirtschaftsförderung und Klimaschutz zusammenbringen, dann haben wir mit diesem Zukunftspaket auch eine echte Chance auf ein ökologisches Wirtschaftswunder in unserem Land. Wir waren in der Vergangenheit auch immer die Marktführer, wenn es um Green Technology ging. Wir waren auch immer die Marktführer, wenn es um neue Technologien im Bereich der Energie ging. Wir haben die Energiewende bewusst gestaltet. Wir sind heute so weit, dass wir bei den erneuerbaren Energien unsere Ziele für 2020 eindeutig erfüllen, sogar übererfüllen. Das haben wir nicht geschafft, indem wir ein Verbot für konventionellen Strom ausgesprochen haben, sondern indem wir auf erneuerbare Energien und Innovationen gesetzt haben und sie gefördert haben. Wir sorgen für Innovation. Das ist der Fortschrittsmotor. Verbote sind nur Stillstand. Deswegen wählen wir den Fortschritt. Da wollen wir die Menschen mitnehmen. Das geht nicht einfach mit einer CO2-Steuer, die alles nur verteuert. Wir wollen keine Entscheidungen treffen, die nur dazu führen, dass der Spritpreis an der Zapfsäule steigt. Wir wollen, dass die Menschen dabei sind, wenn es um Klimaschutz geht. Deswegen darf Klimaschutz nicht die neue soziale Frage werden, sondern Klimaschutz muss die Innovationsfrage sein in diesem Land, bei der alle Menschen mitgenommen werden, meine Damen und Herren. Herzlichen Dank. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dobrindt. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, muss ich bedauerlicherweise eine geschäftsleitende Bemerkung machen. Sie haben gesehen, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer, die offensichtlich zwischenzeitlich aufgewacht waren, festgestellt haben, ({0}) dass die Rednerliste nicht den ursprünglichen Überlegungen entsprochen hat. ({1}) Das hat zeitweise zu Verwirrung bei uns und dem Sitzungsdienst des Bundestages beigetragen. Ich habe entschieden, dass jetzt alles bleibt, wie es ist, weil die Liste vom Bundestagspräsidenten bereits genehmigt ist. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Marc Jongen, AfD-Fraktion. ({2})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Frau Staatsministerin Grütters! Werte Abgeordnete! Der Bundeshaushalt für Kultur und Medien 2020 umfasst rund 1,8 Milliarden Euro. Ein nicht geringer Teil davon wird leider dazu missbraucht, die Menschen in Deutschland ideologisch zu gängeln und zu Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit, den globalistischen Kardinaltugenden, zu erziehen. Lauter schön klingende Begriffe, nur wehe, man hat eine alternative Meinung dazu, weil man ihren ideologischen Gehalt durchschaut oder weil man andere Vorstellungen von Kultur hat. Dann ist es ganz schnell aus mit der Meinungsvielfalt, dann herrscht auch keine Toleranz mehr. Dann wird von gut dotierten Staatsposten herab gegen die Kritiker gehetzt, sehr schnell auch die diffamierende Nazikeule geschwungen. ({0}) Ein Beispiel: Der Präsident der zu nahezu einhundert Prozent staatsfinanzierten Kulturpolitischen Gesellschaft, Dr. Tobias Knoblich, schreibt in seinem hauseigenen Blatt: Das Kulturprogramm der AfD ... inszeniert ebensolche Echokammern, – wie die „Politik der Nazis“ nämlich die einen reinen Kollektivkörper imaginieren und die Beziehung zur Welt kappen, belastbare Handlungsansätze schuldig bleiben: Nation als kulturelle Einheit …, Bewahrung kultureller Identität …, kulturelles Erbe … oder deutsche Leitkultur … Das sind für Herrn Knoblich sämtlich gefährliche, ja nazihafte Konzepte und deshalb, meint er, sei die Strategie der aktiven Ausgrenzung gegen die AfD „hilfreich“. Auf keinen Fall dürften die Funktionäre der AfD „salonfähig“ gemacht werden, dafür aber gerne dem Psychoterror ausgesetzt, wie Björn Höcke, der von einer selbsternannten Künstlergruppe bis in seinen privaten Wohnbereich hinein verfolgt und drangsaliert worden ist. Meine Damen und Herren, so spricht kein Demokrat, so spricht ein Ideologe im Staatssold, der offenbar weiß, was er abzuliefern hat. ({1}) Die Kulturpolitische Gesellschaft wird im aktuellen Haushaltplan mit 955 000 Euro gefördert, 2013 waren es noch 490 000 Euro, das ist eine Verdoppelung innerhalb von sieben Jahren. Linientreue macht sich bezahlt in Merkel-Deutschland. Ein anderes Beispiel, Alexander Gauland hat es angesprochen: Die Mittel für den Bundesverband Freie Darstellende Künste sind im vergangenen Haushaltsjahr in letzter Minute vervierfacht worden. Die Adresse des Bundesverbands ist identisch mit der Kontaktadresse des Vereins Die Vielen e. V., dessen einziger Daseinszweck die Propaganda und Hetze gegen die AfD ist. ({2}) Man fragt sich angesichts solcher Finanzmanöver, mit welchen Mitteln die großen Anti-AfD-Demos der Vielen tatsächlich bezahlt wurden und noch bezahlt werden sollen. Wir werden jedenfalls ein genaues Auge darauf haben. ({3}) Der Etat für Ihre Öffentlichkeitsarbeit, Frau Staatsministerin Grütters, ist von 45 000 Euro in 2019 auf 280 000 Euro in 2020 gestiegen, sage und schreibe eine Versechsfachung. Wer so viel Dubioses fördert, muss das mit hohem PR-Aufwand verschleiern und schönreden. Eigentlich ist der Zusammenhang klar. ({4}) Die AfD-Fraktion lehnt diesen Kulturhaushalt ab und vor allen Dingen diese Kulturpolitik, die gegen Deutschland gerichtet ist. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Jongen. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gerne auf das eingehen, was eben von meinem Vorredner gesagt worden ist. Hier wurde über Linientreue gesprochen, über Künstler, die im Staatssold stehen. Ehrlicherweise muss man sagen: Das ist der Jargon, den man aus den 1930er-Jahren kennt. Das ist so, als ob Sie von Systempresse und Altparteien redeten. ({0}) Wenn man sich das ankuckt, dann weiß man, aus welcher Ecke Sie kommen. Ihr Vokabular in der letzten Rede hat gezeigt, dass Sie nicht verstehen, was eine offene und eine plurale Gesellschaft ist. ({1}) Sie haben nicht verstanden, dass Kulturschaffende frei von politischem Druck arbeiten und darbieten können sollen. In Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz ist die Kunstfreiheit verankert. Das sollten Sie sich mal hinter die Löffel schreiben; ({2}) dann könnten Sie was lernen. In dieser Republik ist es so, dass die Künstler nicht im Staatssold stehen und linientreu sein müssen, sondern wir haben die Freiheit der Kunst, und das sollte man auch als rechtsradikale Fraktion zur Kenntnis nehmen. ({3}) Wenn man sich das nämlich in der Realität ankuckt und wenn man sich ankuckt, was Sie so treiben, dann sieht man, dass Sie mit dem Grundgesetz regelrecht auf Kriegsfuß stehen. Mit Strafanzeigen, mit Störaktionen, mit Protesten, mit parlamentarischen Anfragen wird von Ihnen doch seit Jahren Druck auf die Freiheit der Kunst gemacht. Im Juni 2017 hat sich der kulturpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt, Herr Tillschneider, in einer Landtagsrede über die Bühnen in Halle ausgelassen. Er forderte, den Operndirektor zu entlassen und die „Willkommenspropaganda“ aus dem Spielplan zu streichen. ({4}) Das kennen wir alles aus den 1930er-Jahren. So was brauchen wir nicht. ({5}) Als der Intendant des Friedrichstadtpalastes, Berndt Schmidt, sich gegen rassistische Parolen der AfD aussprach, hat er Morddrohungen, Hassmails, Briefe und eine Bombendrohung gegen eine ausverkaufte Vorstellung erhalten. Ja, woher ist uns das denn bekannt? Die Wortmeldung, die Sie hier vorher gebracht haben, zeigt doch, wes Geistes Kind Sie sind und wo das, was Sie hier – ich muss es ganz freundlich formulieren – schüren, Ergebnisse hat, und das kann doch nicht angehen. Das Gleiche ist im Juni 2018 geschehen, als eine „Gala Global“ am Deutschen Theater in Berlin stattfand. Da hat die Identitäre Bewegung randaliert, Flugblätter verteilt. Die Vorstellung musste abgebrochen werden. Das sind doch diejenigen, mit denen Sie zusammenarbeiten. ({6}) Deswegen hat die SPD gesagt: Wir müssen die Kulturpolitik stärken. Wir müssen dafür sorgen, dass die Demokraten in diesem Hause von links bis zur FDP, von CDU/CSU bis zu den Grünen dafür sorgen, dass die Kultur unabhängig bleiben kann, ({7}) dass dem Grundgesetz Genüge getan wird, dass wir hier alle gemeinsam zusammenstehen gegen diese finstere Barbarei, die wir schon mal hatten, die wir nicht wieder brauchen. Kulturpolitik muss vielfältig und bunt sein; sie muss mir nicht in jedem Fall gefallen. Ich persönlich gehe auch lieber ins Ohnsorg-Theater als woandershin. Das muss auch nicht jedermann gefallen. Aber es ist eben meine Entscheidung, wo ich hingehe. Deswegen gehört es eben dazu, dass wir als SPD dafür sorgen, dass Kultur für alle zugänglich gemacht wird – nicht nur in der Großstadt, sondern auch im ländlichen Raum –, dass wir Teilhabe propagieren und durchsetzen, dass das kulturelle Erbe erhalten wird, dass die kulturelle Infrastruktur ausgebaut wird und dass jedermann ein besserer Zugang ermöglicht wird. ({8}) Ich danke insbesondere Frau Staatsministerin Grütters, die für diesen Bereich zuständig ist. Es geht mir darum, der kulturellen Barbarei meines Vorredners etwas entgegenzusetzen. Daher ist es eben auch wichtig, dass man zum Beispiel so etwas wie die Gründung einer Stiftung Mitteldeutsche Schlösser und Gärten stärkt, dass man Geld für Investitionen zur Verfügung stellt, sodass möglichst viele Einrichtungen einbezogen werden, damit ausgebaut wird, damit man vor Ort und im ländlichen Raum einen Gegenpol schafft. ({9}) Gleichzeitig ist es richtig, dass wir den Etat stärken, auch im Kulturbereich. Dazu sind wir immer bereit; das wollen wir gerne machen. Es gibt gute Initiativen. Zum Beispiel gibt es Auswanderermuseen. Wir wollen ein Einwanderungsmuseum danebenstellen. Man kann schon sehen, wie es war, als Menschen aus diesem Land ausgewandert sind, irgendwann in den 1900er-Jahren und davor, als Wirtschaftsflüchtlinge oder politisch Verfolgte in die USA oder nach Kanada gegangen sind. Diese Geschichte können wir sehen. Wir wollen uns aber auch die Geschichte der Menschen ansehen, die in dieses Land gekommen sind, der Einwanderer. Wir wollen also ein Einwanderungsmuseum danebenstellen. Benjamin Franklin hat einmal gesagt: „Die Deutschen sind Integrationsverweigerer“, weil sie sich in den 1740er-Jahren in den USA nicht integrieren wollten. ({10}) Das ist immer so, wenn Menschen irgendwo hinkommen. Daran muss man arbeiten, gemeinsam. Da darf man nicht spalten, hetzen, eine Gesellschaft auseinandertreiben und die Kultur dafür missbrauchen. Das ist unanständig. So ist das, wenn man rechtsradikal oder rechtsextremistisch ist. ({11}) Deswegen gehören Sie auch verboten. Vielen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Simone Barrientos. ({0})

Simone Barrientos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004660, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in der vergangenen Woche das Bundesforum für Freie Darstellende Künste besucht. Da sagte die Schauspielerin und Regisseurin Monika Gintersdorfer – ich zitiere –: Wir freien Gruppen verpuffen, weil wir es müssen. – Genau da liegt das Problem. Mit jeder Bitte um Finanzierung müssen sich freie Künstlerinnen und Künstler neu erfinden. Die Kulturförderung für die freie Szene ist in der Regel Projektförderung. Nicht Stabilität und Kontinuität werden belohnt; man hangelt sich von Projekt zu Projekt. Die Kunst folgt also den Förderrichtlinien. Die Kunst allerdings fördert das nicht; es engt sie ein. Festzustellen ist: Viele bestehende Förderinstrumente, auch solche des Bundes, unterstützen kein nachhaltiges, kein langfristiges Schaffen. Als Linke setzen wir aber auch auf Nachhaltigkeit in der Kulturpolitik, ({0}) und das heißt: Zuallererst sind es die Künstlerinnen und Künstler, die gestärkt werden müssen. Es ist nicht zu akzeptieren, dass bei der Vergabe von öffentlichen Geldern im Rahmen von Projektförderungen die Selbstausbeutung von Künstlerinnen und Künstlern einkalkuliert ist. Wir fordern, dass die Verwendung öffentlicher Gelder an soziale Mindeststandards gekoppelt ist. Projekte müssen sozialverträglich kalkuliert werden können. Wir brauchen angemessene Vergütungen und Honorare. ({1}) Nachhaltig denken heißt vor allem, Strukturen so zu stärken, dass sie langfristig und unabhängig bestehen können – also: mehr Hilfe zur Selbsthilfe –, und das erreichen wir am besten mit der Stärkung der Interessenverbände in der Kultur. ({2}) Wir begrüßen natürlich, dass die Beauftragte für Kultur und Medien den Titel zur Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft um die Förderung von Nachhaltigkeit in Kultur und Medien ergänzt hat; allerdings ergänzt nur in der Textlänge, nicht in der Ausgabenhöhe. Während der Text länger wurde, wurde der Ansatz bei dem Titel um mehr als die Hälfte gekürzt. Wie begründet man das? Das ist doch vollkommen absurd. Es gibt nicht die und nicht eine deutsche Kultur. Von ein paar Leuchtturmprojekten in Metropolen profitieren nur wenige. Kultur ist kein elitäres Projekt. ({3}) Wer es ernst meint mit der Freiheit der Kunst, der muss auch ernsthaft für die Freiheit der Künstlerinnen und Künstler sorgen, und dazu gehört auch die Befreiung von Armut. ({4}) Es ist die verdammte Aufgabe von Politik, die Freiheit der Kulturschaffenden zu schützen, damit sie unabhängig und nachhaltig arbeiten können. ({5}) Welchen Angriffen von rechts sie ausgesetzt sind, das haben wir gerade wieder erlebt. Wir haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diese Branche wirklich zu stärken und zu schützen. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Erhard Grundl, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vom „Kampffeld Kultur“ schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ im August und führte auf zwei Seiten traurige Chronik darüber, wie Kultureinrichtungen in Deutschland von Rechtsaußen unter Druck gesetzt werden. Die Palette reicht von Boykottaufrufen bis hin zu Morddrohungen. Immer wieder maßt sich die ahnungslose, aber eingriffswillige Kulturpolitik der Rechtsextremen in den bundesdeutschen Parlamenten an, ({0}) hier Urteile zu fällen; wir haben es gerade wieder erlebt. In einer freiheitlichen, offenen Gesellschaft heißt Kulturpolitik in erster Linie, sich als die Hand zu verstehen, die Kultur fördert ohne Gegenleistung, möglich macht ohne Gängelung, die Hand, die im Zweifelsfall auch gebissen wird. Der Kulturhaushalt muss hier in seinen Botschaften und in seiner Zielsetzung klar sein. ({1}) Zunächst einmal sinkt der Etat. Das mag stellenweise durch auslaufende Kulturprojektförderung begründet sein. Aber dass gerade die Zuschüsse in den Bereichen Musik, Literatur, Tanz und Theater um 14,6 Millionen Euro gekürzt werden, also gerade die Kulturförderung, die in die Fläche geht, das ist der falsche Ansatz. ({2}) Dagegen sind bei einem umstrittenen Projekt wie dem Neubau der Garnisonkirche vorerst 12 Millionen Euro Bundesmittel für den Turmbau vorgesehen; diese Mittel sollen jetzt um weitere 6 Millionen Euro erhöht werden, und das, obwohl die Stadt Potsdam derzeit keine einheitliche Haltung zum Neubau der Garnisonkirche hat. Wir lehnen den Einsatz von Bundesmitteln, um historisierende Kulissen zu produzieren, ab – noch dazu, wenn es sich um nationalistische Identifikationsobjekte handelt. ({3}) Ich fordere ein Moratorium für die vorgesehenen 12 Millionen Euro, und ich fordere Sie auf, die zusätzlichen 6 Millionen Euro zu stoppen. Aus Erinnerung und Aufarbeitung, aus dem Wissen, wo wir geschichtlich herkommen, entsteht eine Erzählung über unser Land. Kultur entsteht nicht abgeschottet innerhalb von nationalen Grenzen, wie es Herr Brinkhaus in einem Interview kürzlich verlauten ließ. Wer von Leitkultur spricht, meint nicht Kultur in ihrer Vielfalt. ({4}) Wer von Leitkultur spricht, der meint das Futter für die Angsthasen, der meint Gängelung und Einfalt. Zu dieser Art von Kultur werden wir nie die Hand reichen. ({5}) Wir stehen für Kultur für alle, Kultur in der Fläche, in den Regionen. Der Kulturhaushalt verschließt die Augen vor knapp 600 sanierungsbedürftigen soziokulturellen Zentren in ganz Deutschland. Sie streichen Mittel für wichtige, innovative Festivals wie Pop-Kultur in Berlin, c/o pop Köln oder jazzahead! in Bremen. Das hat nichts mit Zukunft zu tun, das ist eine Bankrotterklärung. ({6}) Meine Damen und Herren, seit sechs Jahren verhandelt der Bund mit den Hohenzollern über Ausgleichszahlungen, unter anderem auf Grundlage des Ausgleichsleistungsgesetzes. Ziel der Verhandlungen ist nach Auskunft von Frau Grütters eine dauerhafte Gesamtlösung. Dieses Gesetz schließt eine Leistungsberechtigung dann aus, wenn der grundsätzlich Berechtigte dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub geleistet hat. Dass das im Fall der Hohenzollern so war, ist vielfach belegt. ({7}) Zahlreiche Historikerinnen und Historiker beklagen sich zudem, dass das Hausarchiv der Hohenzollern der Geschichtsforschung nicht frei zugänglich ist. Der Vorwurf, dass auf diese Weise Einfluss darauf genommen werden soll, wie deutsche Geschichte umgeschrieben werden wird, ist nicht von der Hand zu weisen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist aus meiner Sicht höchste Zeit, dass der Bundestag und die Parlamente in Berlin und Brandenburg offiziell über den Stand der jahrelang im Geheimen geführten Verhandlungen informiert werden; das ist eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse. Ich danke Ihnen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der fraktionslose Abgeordnete Marco Bülow das Wort. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich rede hier noch zur Generaldebatte und zum Haushalt. Der Haushalt ist das eigentliche Königsrecht des Parlaments. Ich habe das Gefühl, dass er immer mehr beherrscht wird von dem, was die Regierung vorgibt – und einige Lobbyisten. Das kann man an den Schwerpunktsetzungen sehen. Heute gab es viele Reden, viele Phrasen, viele Titel. Aber am Ende zählen die Zahlen und die Fakten. Schauen wir uns doch zwei Haushaltsposten einmal genauer an: Der Haushalt für Umwelt liegt bei 2,6 Milliarden Euro. Da ist Klimaschutz mit drin, da ist aber zum Teil auch das drin, was wir bei Atom noch abwickeln müssen. Es gab in den letzten zwei Jahren eine Erhöhung von 0,6 Milliarden Euro, immerhin. Vergleichen wir diesen Haushalt einmal mit dem Verteidigungsetat: 44,9 Milliarden Euro, eine Erhöhung in zwei Jahren um 6,4 Milliarden Euro. Dann setzen wir das einmal in Beziehung: eine Erhöhung von 0,6 Milliarden Euro bei Umwelt und Klima bei der Herausforderung und auf der anderen Seite eine Erhöhung um 6,4 Milliarden Euro. Da ist doch klar, worauf der Schwerpunkt gelegt wird. Er wird eben nicht auf die Herausforderungen Klima und Umwelt gelegt, sondern er wird auf Verteidigung gelegt. Deswegen hätte man sich viele Reden heute auch sparen können. ({0}) Wie rechtfertigen wir das denn? Wie rechtfertigen wir das vor allen Dingen gegenüber den nächsten Generationen? Ich möchte die volle Anstrengung auf das 1,5-Grad-Ziel, und nicht auf das 2-Prozent-Ziel der NATO und von Trump, wenn es um Verteidigung geht. Das muss unsere Zielmarge sein, und das müssen wir vergleichen. ({1}) Klima und Umwelt haben eben keine mächtige Lobby, immer noch nicht. Deswegen glaube ich, dass ihr, liebe Fridays, weiter auf die Straße gehen müsst; wir brauchen den Streik. So richtig begriffen hat es hier immer noch keiner, zumindest keiner von der Regierung; daran müssen wir arbeiten. So zieht es sich durch den ganzen Haushalt. Wir haben 40 bis 60 Milliarden Euro – darüber redet keiner gerne – an gesundheits- und umweltschädlichen Subventionen, die wir jedes Jahr ausgeben. Da könnten wir herangehen; dort könnten wir Geld freischaufeln. Wir müssen, weil wir die Klimaziele 2020 nicht einhalten, wahrscheinlich Strafgelder in Höhe von 30 bis 60 Milliarden Euro bezahlen. Deswegen soll keiner erzählen, dass wir kein Geld für umwelt- und klimapolitische Maßnahmen hätten. Wir hätten noch Geld für Bildung; das ist ja auch gekürzt worden – nur als Nebenbemerkung. Wir hätten Geld für Infrastruktur. Wir hätten Geld für soziale Maßnahmen. Vielleicht denken wir einmal ein bisschen revolutionär, versuchen, Dinge zusammenzubringen. Heute Morgen gab es die Meldung, dass der öffentliche Nahverkehr wieder teurer wird. Auf den öffentlichen Nahverkehr sind viele Menschen in diesem Land angewiesen, gerade die, die vielleicht nicht so viel Geld haben. Dort könnten wir investieren, dort könnte der Bund die Kommunen darin unterstützen, dass der ÖPNV günstiger, vielleicht sogar kostenlos wird. Hier würden wir Soziales und Klima zusammenbringen; das Geld dafür wäre auf jeden Fall da. ({2}) Wenn wir uns den Lobbybereich anschauen, ist es auch kein Wunder – auch das war eine Meldung der letzten Woche –, dass sich diese Bundesregierung weiterhin gegen ein Lobbyregister, weiterhin gegen Transparenz und weiterhin dagegen sträubt, Lobbyisteninteressen einzugrenzen. Es ist, finde ich, ein ziemlicher Skandal, dass auf der Bundespressekonferenz auf die Frage nach dem Lobbyregister – Tilo Jung hat dankenswerterweise die Frage gestellt – als Antwort kommt: Misstrauen ist unberechtigt. – Na ja, wenn wir so weit sind, dann müssen wir alle Gesetze abschaffen, weil Misstrauen gegen Menschen auch erst einmal unberechtigt ist. Wir brauchen das Lobbyregister. Wir brauchen Regeln. Wir brauchen den legislativen Fußabdruck im Parlament. Dafür werde ich mich auch weiterhin einsetzen, und ich hoffe, das wird auch die Bundesregierung endlich tun. ({3}) Zum Schluss: Ich glaube, es ist altes Denken, was die Schuldenbremse und die schwarze Null angeht. Interessanterweise haben einige von der SPD, die damals die Schuldbremse mit beschlossen hatte, in der Diskussion begriffen, dass man sich vielleicht davon lösen sollte. Ich glaube, wir müssen endlich zu den Investitionen kommen. Interessanterweise spielte, obwohl wir über den Haushalt reden, die Meldung, dass wir Konjunkturschwierigkeiten haben, heute keine Rolle. Dafür muss man kein Experte sein: Bei Konjunkturschwierigkeiten investiert man. – Wir brauchen Investitionen, und zwar große Investitionen – meines Erachtens am ehesten in den ökologischen und sozialen Umbau. Man kann das auch Green New Deal oder sonst wie nennen, aber genau darin müssen wir investieren. Dann bringen wir den Haushalt auf eine gute Schiene, und dann wäre es auch wieder das Königsrecht des Parlamentes. Dahin müssen wir wieder kommen. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Paul Ziemiak, CDU/CSU-Fraktion.

Paul Ziemiak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gerade noch einmal gehört, aber nicht nur heute in dieser Debatte, sondern auch in den Wochen davor: immer wieder die Forderung nach mehr Geld und vor allem nach neuen Schulden. Bei dieser Forderung wird immer wieder vergessen: Was war eigentlich die Frage? Die Frage ist, wie wir wettbewerbsfähig bleiben und wie wir unseren Wohlstand in Deutschland erhalten. Wenn Sie sich das anschauen: Wir sprechen jetzt über 360 Milliarden Euro. Das sind 100 Milliarden Euro mehr als noch im Haushalt 2010. Und die Antwort soll sein „mehr Geld und mehr Schulden“? Meine Damen und Herren, das ist ein Ausdruck von Ideenlosigkeit und Gedankenfaulheit bei der Frage, wie wir unser Land zukunftsfähig aufstellen. ({0}) Wir haben die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert und damit die schwarze Null, weil wir generationengerechte Politik über Jahre hinweg gestalten wollen, übrigens – auch mit Blick nach links – aus Sorge vor Politikerinnen und Politikern wie Ihnen, ({1}) die sich zwar immer wieder versuchen zu schmücken mit Wörtern wie „Nachhaltigkeit“ und „solide Finanzen“, aber bei der ersten intellektuellen Anstrengung, über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands nachzudenken, nur eine Antwort haben: mehr Schulden und Abschaffung der Schuldenbremse. ({2}) Diese ist aber zu Recht in unserer Verfassung verankert. Aber wofür wollen Sie das Geld denn ausgeben? Sie sprechen von Investitionen. Das hört sich am Anfang ja gut an, aber wenn man genauer hinschaut, dann weiß man, woran man bei Ihnen ist. Ich schaue zum Beispiel zu den Grünen. Ihr Vorsitzender Habeck fordert den Umbau des Hartz-IV-Systems, er fordert Sozialleistungen, die jedem gewährt werden sollen, ohne jegliche Sanktionen. Er sagt selbst, dass das 30 Milliarden Euro kosten wird. Das ist das, was Sie unter zukunftsfähiger Politik versprechen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht ja nicht nur um das nächste Jahr, sondern es geht darum, wie wir die nächsten 20, 30, 40 Jahre in diesem Land gestalten. Dazu gehören natürlich Investitionen in Sicherheit und Verteidigung. Wir haben eine Parlamentsarmee. Wir schicken die Soldatinnen und Soldaten nicht nur in den Einsatz, sondern wir sind auch dafür verantwortlich, dass sie gut ausgestattet sind. Es geht darum, dass wir eine Unternehmensteuerreform auf den Weg bringen, die unsere Unternehmen wettbewerbsfähig macht. Es geht um Klimaschutz und darum, Emissionen zu senken und richtige Anreize zu geben, um Innovationen zu fördern; denn wir haben nicht nur als Vorbild eine Verantwortung in der Welt, sondern wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass andere es uns nachmachen. Zudem brauchen wir schnellere Planungsverfahren und ein radikales Umdenken, so wie Ralph Brinkhaus es in seiner Rede gesagt hat. Meine Damen und Herren, schauen Sie sich die Situation in Berlin und die linke, grüne Politik und zum Teil leider auch Politik der SPD dort an. Ich habe mir einmal die „Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Förderung von Frauen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge“ angeschaut. ({4}) Damit verfolgt man zwar ein hehres Ziel, aber drei Viertel der Bauunternehmen in Berlin sagen, sie bewerben sich nicht mehr für öffentliche Aufträge, weil sie, wenn sie sich beteiligen und bewerben wollen, ({5}) unter anderem die „Umsetzung eines qualifizierten Frauenförderplans“ und „verbindliche Zielvorgaben zur Erhöhung des Frauenanteils an den Beschäftigten in allen Funktionsebenen“ im Bau anstreben müssen. Meine Damen und Herren, das ist ja ein hehres Ziel, ({6}) aber erklären Sie in Berlin bitte einmal einer jungen Familie, die Beruf und Familie zusammenbringen will und einen Kitaplatz braucht, dass die Kita nicht gebaut wird, weil der Bautrupp den Frauenförderplan noch nicht vorgelegt hat. ({7}) Das Ziel ist ja richtig. Aber wenn wir den Menschen hier versprechen, dass wir Projekte und Investitionen auf den Weg bringen, dann dürfen wir uns nicht zu Tode planen. Es geht um die Zukunft Deutschlands, und die wollen wir redlich gestalten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird ihren Beitrag dazu leisten. Im Gegensatz zu manchen anderen kann man sich bei uns darauf verlassen. Danke. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Sonja Amalie Steffen, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Der Bundeshaushalt 2020 ist in der Tat erneut ein Rekordetat. Vor uns liegt in den nächsten Wochen eine Menge Arbeit; denn nicht weniger als 360 Milliarden Euro sind verantwortungsvoll zu verteilen. Das sind genau 3,4 Milliarden Euro mehr als im letzten Jahr. Noch nie gab es einen höheren Bundesetat. Eines ist jetzt schon sicher: Der dritte Bundeshaushalt, der mit einem sozialdemokratischen Finanzminister erlassen wird, kann sich sehen lassen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass sehr viele Vorhaben, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, mit dem Haushalt 2020 finanziert sind und zum Teil sogar schon umgesetzt wurden, und das, meine Damen und Herren, ohne neue Schulden. ({0}) Es geht um Maßnahmen im sozialen Wohnungsbau, im Gute-Kita-Gesetz, in der Konzertierten Aktion Pflege, beim Baukindergeld, bei der Parität in der Krankenversicherung, dem Digitalpakt. Übrigens sind die Themen, die ich gerade genannt habe, fast alle sozialdemokratische Themen. ({1}) Mit diesen Maßnahmen schaffen wir nicht nur mehr soziale Gerechtigkeit, sondern wir werden aller Voraussicht nach auch das Bruttosozialprodukt um bis zu 0,8 Prozent erhöhen. Und ja, es ist richtig, dass der Haushaltsentwurf 2020 eine Besonderheit aufweist: Er ist in der Tat gegenwärtig unvollendet – so wird er von der einen oder anderen Stelle bezeichnet –; denn es fehlt noch die Einpreisung des Klimagesetzes. Es ist aber nicht so, dass dafür das Geld fehlt; denn das erforderliche Geld für den Klimaschutz kommt aus dem Sondervermögen des EKF, des Energie- und Klimafonds. Der ist gegenwärtig schon mit immerhin 6,1 Milliarden Euro gefüllt. Wir alle wissen, dass im Laufe der Haushaltsberatungen, nämlich schon in den nächsten Tagen, am 20. September dieses Jahres, das Klimakabinett zusammentreten wird. Wir sind alle sehr gespannt, wie sich die einzelnen Häuser bezüglich der Vorhaben und der zu setzenden Prioritäten einigen werden. Wir haben heute schon eine Menge dieser Vorhaben gehört. Man braucht natürlich große Projekte, aber man braucht auch Projekte, die an der einen oder anderen Stelle im Kleinen recht wirksam sein können. Ich hoffe, dass beispielsweise – das ist ein großes Projekt – unser Projekt „350-Euro-Jahrestickets für den öffentlichen Personennahverkehr“ dazugehört. ({2}) Ich jedenfalls bin in Anbetracht der Fachkompetenz der einzelnen Häuser und der Ministerinnen und der Minister, aber auch in Anbetracht der Bedeutung, die das Thema Klimaschutz – und zwar internationaler und nationaler Klimaschutz – für uns alle hat, sehr zuversichtlich, dass wir rechtzeitig vor dem Abschluss des parlamentarischen Haushaltsverfahrens zu guten Ergebnissen kommen werden, die dann selbstverständlich auch im Haushalt 2020 Eingang finden werden. Unser Wunsch in der SPD-Fraktion ist natürlich, dass auch die Grundrente noch Eingang in den Haushalt 2020 finden wird. Da hoffen wir, dass die Kollegen und Kolleginnen der Koalition, also aus der Union, sich hier endlich auf uns zubewegen werden. Und ja, wir nutzen zum Ausgleich des Haushalts einen Teil der vorhandenen Rücklage. Aber dies ist auch richtig so; denn wozu hat man denn die Rücklage? ({3}) Und ja, wir profitieren von geringeren Zinsausgaben, um diese Vorhaben zu verwirklichen. Aber auch hier ist festzustellen, dass dies ein völlig zulässiges Mittel für die Haushaltsplanung ist. Nicht richtig ist übrigens, dass der Haushalt 2020 keine oder wenige Investitionen beinhaltet. Wir haben es schon mehrmals gehört: 40 Milliarden Euro unseres Haushalts – das sind mehr als 10 Prozent – nutzen wir für Investitionen. ({4}) Weitere Investitionen wären natürlich wünschenswert. Aber die sind nur dann zu verwirklichen, wenn das Geld wirklich umgesetzt werden kann. Es fehlt in der Tat an Fachkräften. Wir sind übrigens sehr froh, dass das Fachkräftezuwanderungsgesetz bereits beschlossen wurde. Hier müssen wir einfach nur schauen, dass es jetzt wirklich in die Gänge kommt. Es mag auch Nachholbedarf in Bezug auf die Planungsbeschleunigung geben. Das ist alles richtig, aber: Investitionen können nur dann erfolgen, wenn sie wirklich umgesetzt werden können. Allein aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir von der SPD-Fraktion große Bedenken gegen eine Erhöhung des Verteidigungsetats. Denn gerade im Bereich der Verteidigungspolitik müssen wir feststellen, dass jede Menge Geld auf Halde liegt, weil es schlichtweg in der Vergangenheit nicht ausgegeben werden konnte oder in fragwürdigen Beraterverträgen landete. ({5}) Schließlich ist es unsere Verantwortung, mit dem vielen Geld, das uns der Steuerzahler und die Steuerzahlerin zur Verfügung gestellt haben, verantwortungsvoll umzugehen. Ich sagte es bereits: 360 Milliarden Euro wollen verteilt werden. In den nächsten Wochen liegt viel Arbeit vor uns. Ich freue mich darauf. In diesem Sinne wünsche ich uns gute und erfolgreiche Haushaltsverhandlungen. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen. – Nun spricht zu uns die dafür zuständige Staatsministerin, Frau Professor Monika Grütters. ({0})

Prof. Monika Grütters (Gast)

Politiker ID: 11003761

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zurück zur Kultur. Herr Jongen, zwei Zahlen zum Einstieg. Erstens. Mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland haben laut aktuellem Deutschlandtrend Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft. Zweitens. Seit meinem Amtsantritt ist der Kulturetat um mehr als 50 Prozent gestiegen, und er wächst weiter. 2020 wollen wir in der Tat 1,82 Milliarden Euro für Kultur und Medien ausgeben; so sieht es der Regierungsentwurf vor – auch, Herr Jongen, und gerade als Antwort auf die von zu vielen Menschen in Deutschland befürchtete Spaltung unserer Gesellschaft. ({0}) Denn die Herausforderungen, die diese Angst nähren, sind jedenfalls allein mit den Mitteln der Sozialpolitik und der Innenpolitik nicht zu bewältigen. Das Erstarken von Extremismus, Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus, die diffamierende Abwertung anderer Sicht- und Lebensweisen als der eigenen, die Verrohung des öffentlichen Diskurses und, ja, auch die schwindende Bereitschaft, den anderen in seinem Anderssein zu ertragen, sind besorgniserregende und schlimme Entwicklungen. ({1}) Sie bedrohen den Kern unserer Demokratie, und das ist der konstruktive Streit, die Suche nach Kompromissen. Kultur und Medien können dagegen Kräfte entfalten – das hat Johannes Kahrs gerade auch ausgeführt –, und sie gängeln, Herr Jongen, niemanden zu Toleranz und Weltoffenheit. Das ist schon eine verwegene Deutung. Sie lassen vielmehr gedeihen, was unserer Gesellschaft offensichtlich abhandenzukommen droht: ({2}) Verstehen, Verständnis, Verständigung über die Grenzen zwischen sehr unterschiedlichen Lebenswelten hinweg. ({3}) Deshalb wollen wir die Ausgaben dafür weiter erhöhen. Ich danke dem Bundesfinanzminister, dass wir uns zumindest hier im Hause einig sind, einmal mehr in dieser Klarheit zur herausragenden Bedeutung von Kultur und Medien beizutragen. Verständigung miteinander setzt nämlich zuerst einmal einander verstehen voraus: den Ausblick über den eigenen Tellerrand, den Überblick über die Grautöne zwischen Schwarz und Weiß, auch den Einblick in andere Lebenswelten als die eigene. Über das Engagement in der Filmförderung – die das leisten kann, und deshalb fördern wir Filme ausdrücklich – hinaus erhöhen wir diesmal zum Beispiel den Etat der Deutschen Welle als Botschafterin und Vermittlerin unserer demokratischen Werte im Ausland. Außerdem verdoppeln wir unsere Ausgaben zur Stärkung der Medienkompetenz. Hier geht es auch um den Schutz und die strukturelle Stärkung journalistischer Arbeit und die Unabhängigkeit der Medien. Wir akzeptieren nicht, dass mit Diffamierung und ideologischen Kampfbegriffen Misstrauen geschürt wird gegen unabhängige Berichterstattung. ({4}) Die Bereitschaft zur Verständigung erwächst auch aus den Lehren aus unserer Geschichte, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Erinnerung an Leid und Schrecken des 20. Jahrhunderts enthält viele Lektionen des Widerstands gegen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und totalitäre Ideen. Unser neues Förderprogramm „Jugend erinnert“ beispielsweise unterstützt NS-Gedenkstätten dabei, innovative Bildungsformate zu entwickeln. Die Mittel dafür werden im kommenden Jahr auf 5 Millionen Euro aufgestockt. Außerdem wollen wir zum ersten Mal gezielt etwas für die Orte der Demokratiegeschichte tun und damit auch die Wertschätzung für demokratische Errungenschaften explizit in den Mittelpunkt stellen. ({5}) Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, setzt Verständigung Raum für Begegnung und Austausch voraus. Kultur holt Menschen nämlich aus ihren Echokammern heraus. Kulturelle Einrichtungen wie Kinos, Theater, Bibliotheken sind deshalb genauso wichtig wie Schulen und Einkaufsmöglichkeiten; das gilt natürlich für das ganze Land. Selbst wenn manchmal die Hauptstadtberichterstattung mit Humboldt Forum und Einheitsdenkmal die Medien beherrscht: Wir tun sehr viel für die Bundeskulturförderung im ländlichen Raum; Herr Grundl, wir haben da gar nichts gekürzt. 10 Millionen Euro stehen auch 2020 im Rahmen des Programms „Kultur in ländlichen Räumen“ zur Verfügung. Hinzu kommen 15 Millionen Euro aus meinem Etat für das „Zukunftsprogramm Kino“, das ausdrücklich für den ländlichen Raum gedacht ist. Mit all diesen Maßnahmen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, stärken wir die Kräfte der Kultur und Medien, fördern wir Verstehen, Verständnis, Verständigung und damit natürlich den Zusammenhalt, nicht die Spaltung unserer Gesellschaft, die Einladung, nicht die Gängelung zu Weltoffenheit und Toleranz. Zuversicht halte ich jedenfalls für angebracht, und zwar nicht trotz, sondern wegen der Konflikte; es gibt sie ja überall. So argumentiert – das muss ich zum Schluss noch sagen – der deutsche Soziologe Aladin El-Mafaalani, Sohn syrischer Einwanderer, in einem wirklich extrem lesenswerten Buch mit dem Titel: „Das Integrationsparadox“ folgendermaßen: Da, wo umso mehr Menschen zuziehen, gibt es natürlich mehr Konflikte, mehr Streit. Aber er sagt: Streitkultur ist die beste Leitkultur. Investieren wir also in unsere Streitkultur, verehrte Kolleginnen und Kollegen, indem wir Kultur und Medien stärken. In diesem Sinne bitte ich sehr darum, den Haushaltsentwurf für Kultur im Jahr 2020 zu unterstützen, auch in den parlamentarischen Beratungen. Vielen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Als nächste Rednerin spricht zu uns die Kollegin Katrin Budde, SPD-Fraktion. ({0})

Katrin Budde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unbestritten: Der Kulturetat wächst, und es ist auf den ersten Blick auch ein wirklich solider Entwurf – mit Aufwuchs eben. Das ist gut so. Geht man dann ins Detail, werden wir ihn wahrscheinlich unterschiedlich beurteilen. Neben vielen guten Verstetigungen – Sie haben sie selber aufgeführt –, neben der Umsetzung von Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag wie dem Förderprogramm „Jugend erinnert“, neben der vereinbarten Ausweitung von Geldern in West und Ost, der gesamten Republik, einem Aufwuchs von 20 Millionen Euro, den Verbesserungen für die Deutsche Welle und dem „Zukunftsprogramm Kino“ fällt aber eben auch etwas anderes ins Auge, und das halte ich für sehr problematisch. Ich will daran erinnern, dass am Montag dieser Woche vor 30 Jahren die Menschen in Leipzig zum ersten Mal aus der Kirche heraus und auf die Straße gegangen sind. Es hat dann vier Wochen gedauert, bis die friedliche Revolution am 9. Oktober im Grunde überall in der DDR Fahrt aufgenommen hat. Ich muss sagen, es ist sehr unverständlich für mich, dass ich in dem Haushaltsentwurf lesen muss, dass die Mittel für die Bundesstiftung Aufarbeitung, eine Bundesstiftung, um 1 Million Euro gekürzt werden sollen. Wir hatten in den letzten Haushaltsberatungen etwas anderes vereinbart. Wir hatten vereinbart, zumindest für die beiden Jubiläumsjahre jeweils 1 Million Euro draufzulegen und darüber zu reden, wie die Bundesstiftung fortentwickelt werden kann. Nun fehlt das Geld hier im Etat. ({0}) Ob ich da an ein Versehen glaube, weiß ich nicht. Auf jeden Fall gehört das verändert. Ich finde, das ist echt eine Sauerei – um das deutlich zu sagen. ({1}) – Erst einmal ist das ein Haushalt der BKM, und wie das in der Regierung abgeklärt worden ist, ist etwas anderes. ({2}) Schöne Worte sind jedenfalls nicht ausreichend. Vielmehr ist es wichtig, dass auch entsprechende Mittel im Haushalt vorgesehen sind. Der Bereich Kultur und Medien hat ja zu Recht seinen Platz in der Generaldebatte; denn man muss sagen: Kunst und Kultur, das Wissen, woher wir kommen, wo wir heute sind, wie wir unsere Umgebung gestalten, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit der Gegenwart und mit der Zukunft und auch das Lernen daraus, das Verständnis und die Vielfalt der Menschen finden in unseren Regionen statt und prägen Menschen und Gesellschaft. Kunst und Kultur sind wesentliche Lebenselixiere für uns Menschen und die gesamte Gesellschaft. ({3}) Wenn wir uns dessen bewusst sind, folgt daraus eigentlich die nächste Frage: Für wen machen wir denn Kunst und Kultur? Für die Menschen, die in den Zentren leben, für die Touristen, die herkommen, weil sie von den kulturellen Zentren angezogen werden? Ja klar, das ist cool, das ist toll. Es braucht diese Leuchttürme der Kultur und eine Vielfalt der Stadtkultur – aber eben nicht nur. Vielmehr braucht es jetzt und in der Zukunft eben auch in der Kultur ein Selbstverständnis wie im Sport, bei dem wir selbstverständlich sagen, dass es den Spitzen- und den Breitensport geben muss. Wir brauchen Kunst und Kultur auch in der Fläche. ({4}) Ich will die Frage ganz offen stellen, die ja unter der Hand von vielen diskutiert wird: Brauchen wir ein zusätzliches neues Museum der Moderne? Es wäre cool, es wäre toll, wenn wir es hätten. Aber wenn das zulasten von allen anderen Projekten geht, dann möchte ich die Regierung wirklich bitten, zu überlegen, ob man da nicht Begrenzungen der Ausgaben einführt, ({5}) und dann darüber nachzudenken, wie das in die Fläche gegeben werden kann; denn wir sind ein Land, das seit Jahrhunderten und Jahrtausenden Kunst und Kultur, große und bedeutsame nationale Orte und Bewegungen in der Fläche pflegt. Das Geld dafür reicht schon lange nicht mehr. ({6}) Kulturpolitik ist Länderpolitik. Ja, aber das gilt eigentlich schon lange nicht mehr. Wir haben kulturelle Schätze en gros. Es sind ganz viele; das ist das Tolle. Aber unfreundlich formuliert: Es wächst den Regionen, den Dörfern, den Städten, den Kommunen und den Ländern über den Kopf. Das heißt, wir müssen das in der Bundeskulturpolitik mit abbilden. Wir haben schon viel getan. Ich nenne als Beispiele den Fonds für Soziokultur, den Deutschen Literaturfonds und den Deutschen Übersetzerfonds. Sie sind gut, gehören aber weiter gestärkt; denn sie arbeiten in der Fläche. Auch TRAFO ist ein tolles Modell, um kulturelle Bewegungen aufzunehmen, Regionen zu verändern, die Menschen mitzunehmen und ihnen nichts überzustülpen, aber eigentlich brauchen wir dafür auch mehr Geld. Es gibt mehr Anträge, als wir überhaupt bewilligen können. Es gibt also ganz viel, was wir unterstützen können, um die Kultur zu stärken und die Gesellschaft zu entwickeln. Ich finde, es ist auch eine Gerechtigkeitsfrage, dass der Zugang zu Kunst und Kultur immer vorhanden ist. Deshalb: Lassen Sie uns diese Gerechtigkeitsfrage im Haushalt der BKM stärken. Das würde der Staatsministerin gefallen und uns auch, glaube ich. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Budde. – Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kultur bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch gestaltend hervorbringt. Sie lebt vom Mitmachen. Sie ragt als Solitär heraus in einer Zeit, in welcher zu den verschiedensten Themen mehr und mehr die Frage gestellt wird: Was habe ich davon? Was kostet das? Brauchen wir das? Brauche ich das? Die Antwort ist übergreifend und eindeutig: Ja, wir brauchen die Kultur und auch ihre Förderung. ({0}) Kultur – wir haben es jetzt mehrfach gehört – hält unsere Gesellschaft zusammen. Sie ist in ihrer Vielfalt Teil unserer Identität. Den Begriff „Kulturlandschaft“ gibt es nicht von ungefähr, und doch können wir nicht alles auf Heller und Pfennig für den Einzelnen bewerten. Sie zahlt nicht auf ein konkretes Konto ein, aber sie zieht die Menschen an und erfüllt ihr Bedürfnis, auch selbst kreativ zu sein. Allein die Vielfalt der Hauptstadtkultur beeindruckt Besucherinnen und Besucher aus aller Welt. Wir sind stolz auf diese Spitzenleistungen und Angebote, und selbstverständlich wird der Bund auch weiterhin die Kultur in der Hauptstadt als ein weltweites Aushängeschild fördern. Was für Berlin gilt, gilt ebenso für andere Metropolen in unserem Land. Sie strahlen wie Magnete in ihr Umland hinein und erfüllen so eine wichtige Funktion. Aber, Kolleginnen und Kollegen – da möchte ich das unterstützen, was bisher gesagt wurde –, Kultur findet eben nicht nur auf der ganz großen Bühne vor den Kameras der Welt statt. Es gibt unzählige Bürgerinnen und Bürger, Kunstschaffende, Vereine und Verbände im ganzen Land, und auch diese wollen und dürfen wir nicht außer Acht lassen. Sie verdienen mindestens unsere gleichberechtigte Aufmerksamkeit. ({1}) Sie schaffen Identität, ganz konkret vor Ort. Es ist deren Kreativität, die ihrer Region erst zur Bedeutung verhilft. Vor allem ermöglichen sie eine Fülle aktiver Teilhabe, und gerade dort oft im Ehrenamt. Wer Kulturpolitik hier im Hause wie geschehen als linientreu infrage stellt, der hat damit das Wesen, den Aufbau der Kultur unseres Landes schlicht nicht verstanden. ({2}) Dort, im ländlichen Raum, finden wir im Übrigen auch ein großartiges bauliches Erbe in unserem Land, das im Gegensatz zu den meisten anderen Nationen über Jahrhunderte zersplittert war und uns gerade deshalb eine unglaubliche Vielfalt hinterlassen hat. Allein in 2019 konnten wir hier mit einem eigenen Programm über 230 Einzelprojekte zeitnah unterstützen. Kolleginnen und Kollegen, eines ist aber dennoch immer wieder zu betonen – jetzt hebe ich den Zeigefinger –: Zuvörderst bleibt Kultur eine Angelegenheit der Länder, in der Folge auch der Kommunen. Das legt schon unsere Verfassung fest. Darauf legen sie im Allgemeinen selbst allzumal gern wieder Wert. Doch immer öfter muss man im konkreten Fall daran erinnern. Der Bund hat hingegen die Aufgabe, gezielt Projekte von besonderer Bedeutung in den Metropolen wie in der Fläche zu unterstützen. Unser Ziel ist damit aber nicht nur der Erhalt, die Bewahrung des Status quo, sondern vor allem auch, Prioritäten zu setzen, um gemeinsam mit den Bundesländern einen echten Mehrwert in diesem Land zu schaffen. Kolleginnen und Kollegen, es bleibt auf diesem Wege festzuhalten: Mit diesem Haushalt gibt es heute so viel Kulturförderung des Bundes wie nie zuvor, und dieser Anteil ist nicht mehr wegzudenken. Auch von meiner Seite aus ein Dank an Monika Grütters und ihr ganzes Team! Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines anmerken: Wir befinden uns im Bauhaus-Jahr. Unzählige Projekte hat der Bund in dessen Vorbereitung unterstützt. In den letzten Wochen konnte ich selbst die neuen Einrichtungen in Weimar und Dessau besuchen. Das Bauhaus hat uns aber nicht nur schöne Kaffeekannen, Architektur und Einrichtungsgegenstände wie die Sessel in der Halle des Paul-Löbe-Hauses beschert. Es bedeutet vielmehr einen Ausdruck von Freiheit in der Gestaltung, Freude am Experiment. Aber vor allem hat es die Ideen der Moderne aus Deutschland in die ganze Welt getragen, als sie im Ursprungsland bereits verpönt oder gar unterdrückt waren. Dies mahnt uns, dass Kultur und Freiheit, Moderne und Toleranz immer zusammengehören, ja, zusammengehören müssen. Sie kommen aus der Gesellschaft, und dafür sind wir dankbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf engagierte Beratungen im Ausschuss, wo wir sicher noch Akzente setzen werden, und danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Lips. – Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat das Wort der Kollege Dr. Jens Zimmermann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das sind Sie doch. ({0}) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt trägt die Überschrift „Investitionen und Chancen im Wandel“. Schauen wir uns einmal an, was in der Digitalpolitik in diesem Herbst alles passiert: Allein in dieser Woche ist der Bericht der Wettbewerbskommission 4.0 vorgelegt worden. Das Digitalkabinett tagt. Der Digitalgipfel wird stattfinden. Wir haben eine Konferenz der Vereinten Nationen, das Internet Governance Forum, hier in Berlin. Die Blockchain-Strategie der Bundesregierung wird vorgestellt, und auch die Datenethikkommission präsentiert ihre Ergebnisse. Man kann deshalb mit Fug und Recht sagen: Die Digitalisierung bestimmt die Tagesordnung. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen den digitalen Wandel gestalten; denn wir brauchen Sicherheit im digitalen Wandel. ({1}) Wir wollen den digitalen Raum nicht den Googles, Amazons und Facebooks dieser Welt überlassen, und deshalb brauchen wir klare Regeln. Wir brauchen klare Regeln auf dem Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft und auch beim Thema Besteuerung. Deshalb ist es gut, dass wir mit Hubertus Heil einen sozialdemokratischen Arbeitsminister haben, der an dieser Stelle auch liefert. ({2}) Wir haben die Nationale Weiterbildungsstrategie. Wir haben das Qualifizierungschancengesetz. Wir haben die Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft, und wir haben auch das Arbeit-von-morgen-Gesetz. Es ist wichtig, diesen digitalen Strukturwandel aktiv zu gestalten; denn die Beschäftigten haben zu Recht an einigen Stellen auch Bedenken, wie es weitergeht. Deswegen ist es wichtig, dass wir dort aktiv handeln. Wenn ich dann höre, meine Damen und Herren, im Haushalt von Hubertus Heil würde das Geld zum Fenster rausgeschmissen werden, dann ist das nicht falsch genug zu problematisieren. ({3}) – Da können Sie lachen, meine Kollegen von der FDP. Aber an dieser Stelle den digitalen Strukturwandel zu gestalten, das ist eine Mammutaufgabe. Und um die Menschen, die Angst haben, ihren Job durch die Digitalisierung zu verlieren, um die müssen wir uns genauso kümmern wie um die Menschen, die Angst haben, durch den Kohleausstieg ihren Job zu verlieren. Wenn wir uns aber nicht um sie kümmern und so verächtlich lachen, wie Sie es gerade getan haben, dann sind das die Nächsten, die die Extremisten wählen werden, meine Damen und Herren. ({4}) Es ist außerdem notwendig, dass wir die Märkte ordentlichen Regeln unterwerfen. Diese Woche gab es zum ersten Mal eine Überweisung über 1 Milliarde Euro in Blockchain, und niemand weiß, wie viele Bitcoins da eigentlich überwiesen wurden und von wem an wen. Das ist ein Thema, wo wir ganz klar sagen: Wir brauchen Regeln. – Wir haben ein Kartell rund um das Unternehmen Facebook, das eine neue Währung auf den Markt bringen will. Wir sagen ganz klar: Das gehört in staatliche Hand. ({5}) Denn dieses Kartell wird am Ende vor allen Dingen in die eigene Tasche wirtschaften wollen und nicht im Interesse der Menschen. Wir müssen uns natürlich auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Digitalisierung die Einnahmeseite des Haushalts anschauen. Wir sehen ganz klar: Die Möglichkeiten der Digitalisierung sorgen auch dafür, dass Unternehmen, dass Konzerne zunehmend neue Möglichkeiten haben, Steuern zu vermeiden, Steuern zu hinterziehen. Deswegen danke ich an dieser Stelle dem Bundesfinanzminister dafür, dass er auf internationaler Ebene an den Themen Mindestbesteuerung und Digitalsteuer dran ist. Beim letzten G-7-Gipfel in Japan haben wir ganz klar gesehen, dass wir eine Lösung hinbekommen. Das muss in unserem Interesse sein; denn den digitalen Wandel, den wir in Deutschland gestalten müssen, müssen wir entsprechend finanziell unterlegen, meine Damen und Herren. ({6}) Dieser Haushalt beinhaltet Rekordinvestitionen in Höhe von fast 40 Milliarden Euro. Wir investieren in den Ausbau von Infrastruktur, von Bildung und auch von Digitalisierung. Deswegen ist es wichtig, dass unsere Ministerinnen und Minister, dass Olaf Scholz, dass Hubertus Heil Sicherheit im digitalen Wandel organisieren. Wir brauchen die Digitalsteuer. Wir brauchen ein modernes Wettbewerbs- und Kartellrecht. Wir müssen dafür sorgen, dass auch auf digitalen Plattformen gute Arbeitsbedingungen organisiert werden. Und wir müssen natürlich in die Infrastruktur investieren; das ist klar. Aber die historische Aufgabe, die wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten angenommen haben, nämlich Ökologie und Verteilungsgerechtigkeit zusammenzubringen, gilt auch, wenn es darum geht, Sicherheit im digitalen Wandel zu organisieren. Nur wenn wir beides hinbekommen, werden wir die Gesellschaft in unserem Land zusammenhalten. Deshalb ist das Ziel der SPD in diesen Haushaltsberatungen, einen Haushalt vorzulegen, der sozial, digital und klimaneutral ist. Herzlichen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmermann. Vielleicht darf ich darauf hinweisen, dass die während Ihrer Rede ausgebrochene kurzfristige Heiterkeit nicht dem Inhalt Ihrer Rede galt, sondern Ihrer herausragenden Formulierungskunst. ({0}) Diese Heiterkeit erfasste auch Teile Ihrer Fraktion, wenn ich das anmerken darf. Damit kann ich feststellen, dass weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan nicht vorliegen.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Heute auf den Tag vor 18 Jahren wurden in den USA, in New York und Washington, die Terroranschläge des 11. September verübt. Diese Terroranschläge sind für die internationale Politik und auch für die Außen- und Sicherheitspolitik eine Zäsur gewesen. Viele der geostrategischen Veränderungen, über die heute diskutiert wird – die Welt im Umbruch, die Welt aus den Fugen –, hat damit und mit dem, was danach geschehen ist, deutlich mehr zu tun als etwa mit der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten. Der internationale Terrorismus hat seit dieser Zeit dazu beigetragen, dass wir es bei Kriegen und Konflikten immer häufiger mit Formen von entstaatlichter Gewalt zu tun haben. Das macht die Lösung von Konflikten an sich schon schwieriger. Was in den letzten Jahren dazugekommen ist – es ist nicht neu entstanden, es hat sich aber verschärft –, ist eine Großmächtekonkurrenz zwischen den USA, Russland und China. Die USA gelten wirtschaftlich und militärisch als eine Supermacht, Russland allenfalls noch militärisch, und China ist sowohl wirtschaftlich als auch militärisch auf dem Weg, die nächste Supermacht zu werden. Angesichts dieser Großmächtekonkurrenz stellen wir fest, dass es sich bei all den Konflikten, mit denen wir es zu tun haben – Afghanistan, Libyen, Syrien, Jemen, der Iran oder in unserer mittleren Nachbarschaft die Ukraine – oftmals um Stellvertreterkonflikte handelt und die neue Großmächtekonkurrenz die Konfliktlösung immer schwieriger macht. Aber das ist noch nicht alles. Hinzu kommt, dass wir es im Moment mit vier großen globalen Herausforderungen zu tun haben: die wirtschaftliche Globalisierung, der Klimawandel, die Digitalisierung und die Migration, alles an sich sehr unterschiedliche, komplexe Dossiers. Aber sie haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie sind ausgerichtet auf die Überwindung von Grenzen, und es sind grenzenlose Herausforderungen. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann es eigentlich gar keine Frage sein, ob man rechts oder links in der Politik steht, sondern eigentlich ist es eine Frage der Logik und des gesunden Menschenverstandes, dass, wenn die großen Herausforderungen alle grenzenlos geworden sind, man dafür grenzüberschreitende Lösungen braucht. Die internationale Handlungsunfähigkeit, die wir zurzeit an der einen oder anderen Stelle beobachten, führt schnell zum nationalen Kontrollverlust. Wer das nicht kapiert, der riskiert national wie international weniger Freiheit, weniger Demokratie, weniger Frieden und weniger Wohlstand, und dagegen muss die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik etwas tun, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Die Herausforderungen bestehen darin, die Kontrolle zu behalten in einer Welt des drohenden Kontrollverlustes. Dabei dürfen wir es uns nicht einfach machen, und wir machen es uns nicht einfach. Es gibt viele, die bei all diesen Diskussionen sagen: Es ist besser, sich herauszuhalten, dann hat man weniger Schwierigkeiten. Aber wer heute in der Welt, in der wir leben, die international so vernetzt ist, noch nicht verstanden hat, dass die Voraussetzung für die Lösung nationaler Probleme oftmals die Lösung internationaler Probleme ist, der hat tatsächlich nicht verstanden, worum es in den nächsten Jahren geht. Ich will auf jeden Fall sagen: Nichtstun ist keine Alternative, meine Damen und Herren. ({1}) Deshalb haben wir auch international viel Verantwortung zu tragen. Wir versuchen, die Dinge auch strukturell zu verändern. Wir sind seit Anfang des Jahres Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. In dieser Zeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass die meisten Mitglieder des Sicherheitsrates wünschen – das gilt vor allen Dingen für diejenigen, die dort permanent sitzen –, dass Themen erst dann in den Sicherheitsrat eingebracht werden, wenn irgendwo geschossen wird, wenn Bomben geworfen werden und wenn es schon Tote gegeben hat. Ich finde, das ist der völlig falsche Ansatz. Wir müssen den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vielmehr, wenn er seine Bedeutung behalten will, zu einem präventiven Sicherheitsrat machen. Deshalb hat Deutschland gleich im Januar beantragt – das war unser erster Antrag –, das Thema „Klima und Sicherheit“ auf die Tagesordnung zu setzen. Wir alle wissen, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Klima und Sicherheit gibt. Wer Fluchtursachen bekämpfen will, der muss den Klimawandel bekämpfen. Und wer verhindern will, dass es in Zukunft Kriege gibt, die etwas mit dem Klimawandel zu tun haben, der muss heute den Klimawandel bekämpfen. Daher setzen wir uns im Sicherheitsrat auch dafür ein, dass dort mehr präventiv gearbeitet wird und man nicht erst handelt, wenn es zu spät ist. ({2}) Das tun wir auch in Europa. Ein Posten in diesem Haushalt ist die Schaffung eines Krisenpräventionszentrums in Berlin. Wir wollen im Auftrag der Europäischen Union, also auch für unsere Partner, dafür sorgen, dass Deutschland Dreh- und Angelpunkt wird, wenn es darum geht, die Krisenprävention zu optimieren bzw. sie überhaupt erst auf den Weg zu bringen. Denn einer der großen Vorteile der Europäischen Union ist, dass sie bei allen Mandaten, in denen sie sicherheitspolitisch und militärisch vor Ort präsent ist, auch zivile Hilfen leistet. Wir verbinden beides und nennen das den vernetzten Ansatz. Mit dem in diesem Haushalt ausgewiesenen Zentrum setzen wir uns an die Spitze dieser Bewegung. Ich finde, damit nehmen wir einen guten Platz ein. ({3}) Meine Damen und Herren, wir kümmern uns auch konkret um die Beilegung von Konflikten, so schwierig das auch ist. Ich will nur drei Beispiele nennen: Das erste Beispiel ist der Iran. Es wird ja viel über die Uneinigkeit innerhalb der Europäischen Union geschrieben. Aber ein großer Erfolg der Europäischen Union ist, dass wir beim Einsatz für den Erhalt des Nuklearabkommens mit dem Iran vom ersten bis zum heutigen Tag immer sehr geschlossen aufgetreten sind. Wir sind der Auffassung, es ist besser, ein Abkommen zu haben, das man an der einen oder anderen Stelle optimieren kann, als kein Abkommen zu haben. Damit würde nämlich dem Iran die Möglichkeit genommen, sich auf das, was in diesem Vertrag steht, berufen zu müssen. Wir wollen nicht, dass der Iran in den Besitz von Nuklearwaffen kommt. Das wird durch diesen Vertrag erst einmal ausgeschlossen. Deshalb wollen wir ihn erhalten. Wir wollen die neue Dynamik, die auf dem G-7-Gipfel in Biarritz ausgelöst worden ist, nutzen. Wir wissen, dass es eine Initiative gibt, nach der dem Iran Ölverkäufe ermöglicht werden sollen, wenn er eine entsprechende Gegenleistung erbringt und sich alle Beteiligten darauf verständigen, in neue Gespräche über die Verlängerung des Atomabkommens, über die Rolle des Iran in der Region, etwa in Syrien oder im Jemen, sowie über das Programm des Iran zu ballistischen Raketen einzusteigen. Wenn das gelingt, dann kommen wir in diesem Konflikt einen Schritt weiter. Vielleicht sind die aktuellen Personalentscheidungen in Washington ein guter Hinweis darauf, dass wir an dieser Stelle weiter kommen können, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. ({4}) Zweites Beispiel: die Ukraine. In der letzten Zeit, vor allen Dingen in den letzten beiden Jahren, ist der Minsker Prozess – um das in aller Offenheit zu sagen – total zum Erliegen gekommen, weil keine der Seiten, weder die Ukraine noch Russland, bereit gewesen ist, auf den anderen auch nur einen Schritt zuzugehen. Das hat sich mit der Wahl von Präsident Selenskyj, dem Zusammentritt der Rada und klaren Mehrheiten und dem, was in den letzten Wochen vereinbart worden ist – Entflechtungsmaßnahmen, ein Waffenstillstand, der auf jeden Fall besser hält als jeder zuvor, und der Gefangenenaustausch am letzten Wochenende, über den lange diskutiert worden ist – geändert. Dieses Momentum wollen wir nutzen. Wir wollen in den nächsten Wochen zusammen mit unseren französischen Partnern unsere Rolle im sogenannten Normandie-Format nutzen, damit es zu einer Zusammenkunft zwischen den Beteiligten kommt. Wir führen dazu Gespräche mit der russischen Seite und der ukrainischen Seite. Ich bin zuversichtlich, dass es angesichts der aktuellen Veränderungen eine Möglichkeit gibt, den Minsker Prozess wiederzubeleben. Deutschland und Frankreich werden sich an führender Stelle dafür engagieren. Auch das ist eine Rolle, die uns gut zu Gesicht steht. ({5}) Ich will – drittens – etwas zu Afghanistan sagen, weil die Nachrichten der letzten Tage alles andere als erfreulich gewesen sind. Dass die Gespräche mit den Taliban beendet worden sind – wir hoffen, dass das nur vorerst der Fall gewesen ist –, ist sicherlich ein Rückschlag in den Bemühungen, die es dort gegeben hat. Wir setzen darauf, dass das, was bisher erreicht wurde, nicht ganz verloren ist. Aber auch hier will ich noch einmal sagen: Wenn es zu einem Agreement mit den Taliban kommt, dann ist vorgesehen, dass Friedensgespräche eingeleitet werden. Wir sind gebeten worden, diese Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung zusammen mit unseren norwegischen Kollegen zu organisieren. Das werden wir auch tun. Deshalb hoffen wir, dass das bei den Gesprächen mit den Taliban nicht das letzte Wort gewesen ist. Wenn es dann also doch noch zu einem Abschluss kommt – und darauf setzen wir –, dann werden wir zusammen mit Norwegen bereitstehen, um Friedensgespräche bzw. eine Friedenskonferenz zu organisieren, wie wir es in Bonn vor vielen Jahren schon einmal getan haben. ({6}) Meine Damen und Herren, die große Herausforderung in Europa, der wir uns gegenübersehen, hat etwas damit zu tun, dass wir in dieser Großmächtekonkurrenz auch Europa positionieren müssen. Dafür brauchen wir mehr Gemeinsamkeit und mehr Geschlossenheit. Wir brauchen Veränderungen im Verfahren, wir brauchen mehr Mehrheitsentscheidungen in den Gremien der Europäischen Union, das Krisenmanagement muss gestärkt werden, und wir müssen besser gegen die Einflussnahme von außen aufgestellt sein. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir diesen Weg mit den vielen Kolleginnen und Kollegen in der neuen Kommission einschlagen können. Wir müssen das auch tun, um für den Brexit gewappnet zu sein. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass eine Möglichkeit besteht, einen ungeregelten Brexit zu verhindern, aber der Brexit wird kommen. Wir mögen ihn zwar nicht, aber wir haben auch keine Angst davor, weil wir uns schon lange darauf vorbereitet haben – auch für den Fall des ungeregelten Brexits –, nämlich mit einer Vielzahl von Gesetzgebungsvorhaben, die wir auf den Weg gebracht haben. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Ratspräsidentschaft, die im nächsten Jahr bevorsteht, wird uns deshalb außerordentlich beschäftigen. Ich glaube, sie ist eine gute Möglichkeit für uns, nicht nur unsere Interessen, sondern auch die Aufstellung Europas in dieser neuen Großmächtekonkurrenz nach vorne zu bringen. Über eines müssen wir uns klar sein: Wir können nur geschlossen als Europäer auf die globalen Herausforderungen, auf die Großmächtekonkurrenz, die es gibt, aber auch auf die Verschiebungen, die es in der internationalen Sicherheitspolitik gibt, antworten. Auch als Deutschland sind wir zu klein, um in diesem Zusammenhang Antworten auf diese Herausforderungen zu geben. Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr internationale Zusammenarbeit brauchen, aber genauso brauchen wir mehr Europa – auch damit wir in Deutschland eine Perspektive haben, die bestehenden Probleme und Herausforderungen vernünftig anzugehen und einer Lösung zuzuführen. Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister Maas. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Armin-Paulus Hampel, AfD-Fraktion. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucher im Deutschen Bundestag! Liebe Zuhörer und Zuschauer draußen an den Bildschirmen! Herr Maas, das war eindrucksvoll. Ein deutscher Außenminister lobt die großen Erfolge in der Außenpolitik, die blöderweise nicht er selber, sondern alle anderen eingefahren haben – wenn es überhaupt Erfolge waren. Die Verhandlungen mit dem Iran gründeten nicht auf deutsche Initiativen, sondern der Macron hat Ihnen in Biarritz vorgemacht, wie es geht, indem er kurz den Iraner eingeladen hat. Sie saßen nicht mal am Katzentisch dabei und loben das jetzt hoch als deutsche Initiative. Das ist schon mutig. ({0}) In der Ukraine-Frage haben wir die einzige Bewegung gesehen, als sich Herr Macron mit Herrn Putin getroffen hat. Auch da war Frau Merkel – Sie sowieso nicht – gar nicht dabei. Da wurden Dinge ohne unsere Mitsprache festgelegt bzw. festgemacht. Und dass der Gefangenenaustausch endlich geklappt hat, ist den guten Verhandlungen zwischen Russen und Ukrainern geschuldet. Wir haben doch kein Jota dazu beigetragen. ({1}) Dass wir jetzt den Abbruch der Gespräche mit den Taliban befürworten, ist richtig. Nach den Anschlägen erklärt sich das von selbst. Aber auch hier haben wir Deutsche höchstens eine Zaungastfunktion. Erzählen Sie den Deutschen bitte nicht, dass wir maßgeblich in der Afghanistan-Politik mitwirken. Das macht der Trump alleine. Wenn er die Taliban treffen will, dann trifft er sie. Ob Sie dem zustimmen oder nicht, ist Herrn Trump – Entschuldigung! – schnurzpiepegal. ({2}) Interessant ist auch, dass der deutsche Außenminister nicht einen einzigen Ton zu dem sagt, was wir hier heute besprechen, nämlich seinen Haushalt. Ich ahne aber auch, warum Sie das nicht machen. Ihnen hat ja unlängst der Bundesrechnungshof wieder einmal ins Stammbuch geschrieben, dass Sie in geradezu fahrlässigster Weise – wenn das überhaupt noch der Ausdruck ist, den man verwenden darf – mit den Ihnen anvertrauten Geldern umgehen. Ein Milliardenhaushalt, davon 2 Milliarden Euro für humanitäre Zwecke, für Krisenprävention; und dieser Haushaltsansatz ist von 2011 bis heute von 163 Millionen Euro um das Zwölffache auf 2 Milliarden Euro angewachsen. Um das Zwölffache! Und dann sagt Ihnen der Bundesrechnungshof: Sie sind unfähig, diese Mittel sinnvoll und rechtskonform auszugeben. Sie müssen jetzt ein Bundesamt für auswärtige Angelegenheiten gründen, weil Ihr eigenes Haus nicht in der Lage ist, die Verteilung der Finanzmittel noch weiterhin ordentlich und nach Recht und Gesetz zu kontrollieren. Sie unterstützen Organisationen, von denen Sie selber nicht wissen: Wer hat denn weitere Subkontraktoren, Subunternehmer für welche Ziele beauftragt? Was ist ausgegeben worden? Welche Ziele wurden erreicht? Die ganz normalen Prüfungskriterien einer gesunden Buchhaltung werden bei Ihnen nicht angewandt: Das sagen nicht wir, das sagt Ihnen der Bundesrechnungshof, Herr Außenminister. ({3}) Sie haben beispielsweise 0,5 Millionen Euro an den Arbeiter-Samariter-Bund für ein Projekt zur humanitären Versorgung von Flüchtlingen in Griechenland ausgegeben. Da sagt Ihnen der Bundesrechnungshof: Der Arbeiter-Samariter-Bund verfügt überhaupt nicht über die notwendigen Genehmigungen vor Ort. – Die ganze Sache musste eingestampft werden. Das Ergebnis ist: 0,5 Millionen Euro wurden mal kurz in den Sand gesetzt. Nicht einmal Mindeststandards werden bei der Antragsprüfung noch abgecheckt. Auf Anfragen zu solchen Fehlgriffen antwortet Ihr Haus uns zumindest immer, erbetene Angaben würden detaillierte Einblicke in die Kostenstruktur des Zuwendungsempfängers gewähren. – Ja was denn sonst? Dieses Haus hat Ihren Haushalt zu kontrollieren und darüber zu entscheiden, ob Sie Ihr Geld richtig ausgeben. Wer, wenn nicht wir, ist auf Antworten nicht nur angewiesen, sondern kann sie auch verlangen? Sie aber geben uns keine Antworten, Herr Maas. ({4}) Wir nennen das schon fast eine Komplizenschaft mit denen, die an Ihren Geldern interessiert sind, Herr Maas. Wir haben den Fall, dass für die Stellung eines Anwalts für eine IS-Terroristin im Irak 30 000 Euro aufgewendet wurden, obwohl diese Terroristin das Recht auf einen Pflichtverteidiger gehabt hat. Wir haben Sie gefragt: Warum wird trotz eines kostenlosen Pflichtverteidigers noch 30 000 Euro für einen Topanwalt gezahlt? Ihre Antwort war: Mit Blick auf den Schutz elementarer Grundrechte der Betroffenen kann die Bundesregierung zum konkreten Einzelfall keine Angaben machen. Das sind die Antworten, die wir von Ihnen bekommen, wenn Sie eine Ausgabe tätigen, die nicht im deutschen Interesse ist. Der Pflichtanwalt hätte für die Dame ausgereicht. Dafür brauchen Sie nicht deutsche Steuergelder aufzuwenden. Sie machen mit der Gutmenschenpolitik vor allen Dingen dadurch, wen Sie finanziell fördern, gemeinsame Sache. Die NGOs, die über Millionen- und Milliardeneinnahmen verfügen, kontrollieren Sie nicht. Sie fragen nicht: Was ist erreicht worden? Die Mindeststandards werden bei den bewilligten Geldern, wie gesagt, nicht eingehalten. Wegen der geschachtelten Auftragsbewilligungen kommen Subkontraktoren zum Zuge. Das Geld kommt bei den Menschen, Herr Außenminister, nicht an. Ihre Gutmenschenorganisationen machen sich mit Arbeit nicht die Hände schmutzig. Das machen dann die Subkontraktoren, die Unterauftragnehmer. Wir nennen das eine Verschwendung von Steuergeldern in größtem Maße. Ein Topf von an die 2 Milliarden Euro ist kein Pappenstiel, sondern erfordert eine klare Aktenlage. Da passen Sie. Das schreiben nicht wir Ihnen ins Stammbuch, sondern das schreibt Ihnen der Bundesrechnungshof ins Stammbuch. Kommen wir zu der politischen Bewertung. Wir haben Ihnen gerade eben gesagt, was Sie in der deutschen Außenpolitik bezüglich der Verhandlungen mit der Ukraine und dem Iran nicht erreicht haben. – Herr Präsident, Sie machen mich gerade darauf aufmerksam, dass ich zum Ende kommen muss.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Bitte.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Eines sehe ich aber noch in diesem Zusammenhang, nämlich das, was Sie in diesen Tagen mit den Chinesen aus Hongkong geliefert haben. Sie waren doch mit Frau Merkel in China. Warum haben Sie Herrn Wong nicht in Hongkong getroffen? Warum haben Sie ihn jetzt publikumswirksam über die „Bild“-Zeitung getroffen?

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, es war ernst gemeint mit dem Ende der Redezeit.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Jawohl, ich komme zu meinem Schlusssatz. – Das nenne ich die Karawane der Heuchler, die in Peking aufgeschlagen sind. Hier haben Sie den Mut, etwas gegen die Chinesen zu sagen. Und die haben Ihnen ja gerade ins Stammbuch geschrieben, was sie von Ihrer Politik halten.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege!

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Maas, Sie wären vielleicht bei der Arbeiterwohlfahrt ein guter Geschäftsführer, aber Sie sind kein guter deutscher Außenminister. Danke schön. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder von uns weiß, wo er heute vor 18 Jahren genau zu dieser Stunde gewesen ist. Denn das, was um die Mittagszeit nach deutscher Zeit am 11. September 2001 passierte, hat uns alle geschockt und uns vor Augen geführt, wie verletzlich unsere liberale, freiheitliche und offene Gesellschaftsordnung ist, wenn entschlossene Terroristen sie angreifen und gefährden. Der Außenminister hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das bis heute nachwirkt und auch Auswirkungen auf die deutsche Außenpolitik hat. Wir haben uns gerade am Wochenende mit den gescheiterten Gesprächen zwischen der US-Regierung und den Taliban in Afghanistan auseinandergesetzt. Unser Ziel in Afghanistan ist immer gewesen, sicherzustellen, dass dieses Land niemals mehr ein sicherer Hafen für Terroristen wird, die dann gewalttätig gegen andere Staaten vorgehen. ({0}) Das haben wir in den letzten 18 Jahren gottlob sicherstellen können, und es ist richtig und wichtig, dass wir das auch in einen Prozess überführen, in dem die afghanische Regierung das aus eigener Kraft kann. Ich glaube deshalb, dass jeder Zeitdruck, der künstlich aufgebaut wird – durch amerikanische Wahltermine oder andere Vorgaben –, letztlich nur den Taliban in die Hände spielt. Wir müssen trotz aller Schwierigkeiten mit der entsprechenden Langmut an die Sache herangehen und dann unsere Abzugsentscheidungen treffen, wenn wir es wirklich verantworten können, nämlich dann, wenn der Prozess unumkehrbar ist. ({1}) Der Bundeshaushalt drückt in den Bereichen, die außenpolitisch relevant sind, die gestiegenen Anforderungen und Erwartungen an Deutschland aus. Leider entspricht die mittelfristige Finanzplanung weder beim Entwicklungshilfeministerium noch beim Außenministerium noch beim Verteidigungsministerium den Notwendigkeiten, die das Haus hier sieht. Deswegen bin ich der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie darauf hingewiesen hat, dass wir auch in den kommenden Jahren, wie wir es in den vergangenen Jahren auch durchgesetzt haben, entsprechende Ausgabensteigerungen in den Ressorts brauchen. Aber damit werden wir uns in den Ausschussberatungen auseinandersetzen. Wir haben jetzt einen Herbst der Entscheidungen in der Außenpolitik vor uns, der auch den Deutschen Bundestag wesentlich erfassen wird. Wir werden schon in wenigen Wochen darüber beraten, ob wir das Anti-Daesh-Mandat – der deutsche Einsatz bzw. die Ausbildungshilfe im Irak und die Luftaufklärung und ‑betankung für die Allianz – fortsetzen. Ich bin froh, dass es in den letzten Wochen gelungen ist, auf allen Seiten ein Stück weit ein Aufeinanderzugehen zu erreichen, und bin zuversichtlich, dass wir so, wie es die irakische Regierung und unsere Partner erwarten, doch zu der Entscheidung kommen, dass wir diesen Einsatz in allen seinen Elementen fortsetzen, weil der IS nicht besiegt ist, weil noch nicht die Stabilität im Irak erreicht ist, die wir erwarten, und weil wir einen sinnvollen Beitrag in dieser Mission sehen. Das wird eine der Entscheidungen sein, die wir zu treffen haben. Es wird weitere Entscheidungen geben, die wir hier treffen müssen. Ich glaube und hoffe, dass mit der neuen italienischen Regierung auch ein neues Fenster geöffnet ist, um darüber zu reden, wie wir mit der humanitär bedrückenden Situation im Mittelmeer umgehen. Ich glaube, dass es auch eine staatliche Komponente der Flüchtlingshilfe und der Seenotrettung in dieser Region geben muss, so wie wir es mit EUNAVFOR MED Sophia gehabt und geleistet haben. Es ist letztlich an dem Rechtspopulisten Salvini gescheitert, dass dieses Projekt weiterentwickelt und weitergeführt wurde. ({2}) Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung einen entsprechenden Anlauf unternimmt, zu prüfen, ob mit der neuen italienischen Regierung die Dinge wieder entsprechend fortgesetzt werden können. ({3}) Ich glaube, wir müssen uns auch dem Thema Libyen mit neuer Aufmerksamkeit zuwenden. Es gibt klare Hinweise darauf, dass Terroristen, die jetzt in Syrien vertrieben werden, Richtung Libyen unterwegs sind und das Land weiter destabilisieren. Es gibt Hinweise darauf, dass sich in Libyen eine Art Stellvertreterkrieg manifestiert, der die Region auf Dauer instabil hält. Ich glaube, dass es gut wäre, wenn die deutsche Bundesregierung gemeinsam mit den Europäern die Initiative zu einer internationalen Konferenz ergreift, damit man im Libyen-Friedensprozess – wenn man überhaupt zum jetzigen Zeitpunkt von einem Friedensprozess reden kann – weiter vorankommt. Ich glaube, dass uns auch das im Deutschen Bundestag in den nächsten Monaten beschäftigen wird. Eine weitere wichtige Entscheidung, die vor allem die Bundesregierung treffen muss, ist die, wie sie mit Blick auf die Rüstungsexportpolitik bei der gemeinsamen Entwicklung von Ausrüstung für die Streitkräfte mit anderen Europäern vorgeht. Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass wir Deutsche kooperationsfähig bleiben. Dafür müssen wir auch mit unseren Partnern, etwa mit Frankreich, Regeln vereinbaren, wie wir mit dem Export der gemeinsam erstellten Rüstungsgüter umgehen. Auch dort erwarte ich, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten die notwendigen Entscheidungen treffen. Wenn das nicht passieren würde, würden diese Projekte im Sande verlaufen. Das wäre von großem Nachteil für die deutsche Bundeswehr und den deutschen Steuerzahler. ({4}) Es gibt einen weiteren wichtigen Punkt, bei dem im Herbst Entscheidungen auf deutscher und europäischer Ebene anstehen. Das ist die Handelspolitik der Europäischen Union, die mit der Handelsvereinbarung mit Mercosur, die in der Schlussphase ist, ein weiteres neues Kapitel Richtung Lateinamerika aufgeschlagen hat. Ich wünsche mir, dass die Bundesregierung das Ziel der Handelspolitik der Europäischen Union, den Handel weltweit zu erleichtern, massiv unterstützt – nicht nur, weil es gut ist für deutsche Arbeitsplätze, sondern auch, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass Nationen, die im Handel miteinander verbunden sind, immer einen Weg finden, auch andere Konflikte und widerstreitende Sichtweisen miteinander auf friedliche Weise zu lösen. In der Handelspolitik erwarte ich insbesondere, dass die deutsche Bundesregierung massiv die Europäische Union ermutigt, dieses Mercosur-Handelsabkommen zu finalisieren. Ich erwarte nicht zuletzt, dass die neue Europäische Kommission unter Leitung unserer früheren Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einen besonderen Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik setzt. Ich glaube, dass das Personal, das für dieses Feld in der Kommission vorgesehen ist, auch dafür steht, dass wir dort Fortschritte erreichen. Ich glaube im Übrigen, dass das hohe Ansehen Ursula von der Leyens in der Europäischen Union, was letztlich dazu geführt hat, dass sie Präsidentin der Kommission geworden ist, wesentlich darauf zurückgeht, dass sie eine der Motoren bei der Entwicklung der PESCO, der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich, gewesen ist. Ich gehe davon aus, dass auch aus Brüssel in den nächsten Monaten die eine oder andere Anfrage an Deutschland gerichtet wird, wie wir uns sinnvoll einbringen können. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner: für die Fraktion der FDP der Kollege Michael Link. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst vor wenigen Tagen gedachten wir des Beginns des Zweiten Weltkrieges. Aus dieser fast vollständigen Zerstörung hatte Deutschland, hatte Europa, hatte die Welt gelernt und über Jahrzehnte ein System des menschenrechtsbasierten und regelgebundenen Multilateralismus aufgebaut. Was haben Organisationen wie die Vereinten Nationen, die OSZE, der Europarat, die WTO, aber auch und gerade unsere Europäische Union gemeinsam? Sie alle haben zu Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa und der Welt beigetragen. Sie alle wurden konzeptionell vom Auswärtigen Amt mit- und strategisch weiterentwickelt. Und sie alle stehen heute unter massivem Druck von innen und von außen. Was ist nun die Antwort der Bundesregierung auf diese internationalen Herausforderungen? Während weit mehr als 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind und Hunderttausende Menschen in Venezuela, Moskau, Hongkong und anderswo für Menschenrechte und Demokratie demonstrieren, sinkt der Haushaltsentwurf für das Auswärtige Amt für 2020 in nominalen und relativen Zahlen. In den Folgejahren sieht es noch schlimmer aus; denn ab 2021 soll der Haushalt für das AA noch deutlicher abgesenkt werden. Dieser Haushalt, Herr Minister Maas, sollte Ihnen den Schlaf rauben. ({0}) Er verschläft die umfassende Reaktion auf die rasant wachsenden globalen Herausforderungen. Was für ein Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit! ({1}) Mit den meisten in diesem Haus sind wir uns einig: Wir wollen und müssen den Multilateralismus stärken. Ja, wir geben Ihnen recht, wir müssen ihn stärken; aber eine mutige, wirksame und reaktionsschnelle Außenpolitik braucht mehr als Symbole und Tweets, sie braucht Substanz. Und Substanz geht beim Personal los. Wir brauchen viele gute Diplomatinnen und Diplomaten, einen hochprofessionellen Auswärtigen Dienst mit endlich digitalen Arbeitsbedingungen, die geeignet sind, auf dem umkämpften Arbeitsmarkt wieder die Besten zu gewinnen und die vielen unbesetzten Stellen im Auswärtigen Amt endlich aufzufüllen. ({2}) Und natürlich auch Substanz in der Sache. Die EU-Ratspräsidentschaft steht vor der Tür. Wo bleiben eigentlich die überfälligen Initiativen der deutschen Europapolitik nicht nur in Worten, sondern auch in Taten, um die EU in ihrer Handlungsfähigkeit zu stärken? Stichwort „mehr Mehrheitsabstimmungen in der Außenpolitik“, Stichwort „Stärkung des Hohen Vertreters; hin zu einem echten EU-Außenminister“, ({3}) Stichwort – da ist Ihr Haus sogar federführend – „Initiative für einen neuen EU-Haushalt, der weniger Subventionsverteilungsmaschine à la 80er-Jahre und mehr Antwort auf die Aufgaben von heute ist“. ({4}) Im Kern, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird bei diesem Haushalt Folgendes klar: Einerseits ist die Mittelausstattung des AA angesichts der gesamten globalen Herausforderungen zu gering. Andererseits aber hat das AA gar nicht die Kapazitäten, all die Aufgaben und Mittel umzusetzen. ({5}) Das AA erhielt infolge der Flüchtlingskrise 2014 bis 2017 Milliarden Euro an neuen Mitteln – zu Recht –; aber seine Strukturen wuchsen nicht entsprechend mit. Das heißt, der Mangel im AA besteht nicht nur in der Mittelausstattung, den man 2020 gerade noch mit aufgestauten Haushaltsresten abfedern kann. Vielmehr mangelt es dem Auswärtigen Amt seit Jahren an einer politischen Leitung, die die bestehenden Managementprobleme endlich in den Griff bekommt. ({6}) Höchste Zeit für ein neues Denken, höchste Zeit zum Beispiel dafür, dass sich das Auswärtige Amt von allen nichtministeriellen Aufgaben trennt; denn es braucht eine gebündelte Auslandskompetenz, zum Beispiel im Zuwendungsbereich, beim Auslandsbauwesen, im Bereich der deutschen Auslandsschulen und vor allem bei der Visumsvergabe. Die Rotation von Beamten und Generalistentum haben ihre Berechtigung in der klassischen Diplomatie; aber für die oben genannten Bereiche bedarf es der Spezialisierung und der Fachexpertise. Deshalb ist die Idee, ein Bundesamt für Auswärtiges zu schaffen, gut, sofern dessen Stellen per Umschichtung geschaffen werden und soweit dadurch tatsächlich mehr Effizienz entsteht. ({7}) Akut benötigen wir mehr Personal besonders bei den Pass- und Visastellen, um die Fachkräftegewinnung erfolgreich umsetzen zu können. Vor allem, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir endlich die Digitalisierung bei der Visumsvergabe statt vorsintflutliche Verfahren bei Arbeitsvisa mit epischen Wartezeiten von zwei bis drei Jahren allein für die Terminvergabe. ({8}) Herr Minister, „den Multilateralismus stärken“, das sagen Sie zu Recht. Aber wo bleibt dann das deutliche Signal des UN-Sicherheitsratsmitglieds Deutschland zur Stärkung derjenigen Organisationen, die am dringendsten auf mehr Unterstützung angewiesen wären, wie zum Beispiel das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen? ({9}) Anspruch und Wirklichkeit fallen hier leider auseinander, genau wie bei der überfälligen Stärkung der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung. Kolleginnen und Kollegen, ich komme langsam zum Schluss. Wir wissen als Freie Demokraten: Mit einfach nur mehr Geld ist es nicht getan. Wir brauchen neben mehr Mitteln vor allem deutlich mehr Effizienz. Ein vernetzter Ansatz in der Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik ist nötiger denn je. Wir Freie Demokraten greifen deshalb den von der Fachwelt seit Langem geforderten vernetzten Ansatz für Deutschlands internationales Handeln gerne auf. Aber stattdessen laborieren heute die Etats von außen, Entwicklung und Verteidigung immer noch nebeneinanderher. Höchste Zeit für bessere Abstimmung! ({10}) Die Welt draußen richtet sich nicht nach den Einzelplänen unseres Haushalts. Stattdessen müsste sich unser Haushalt nach den Herausforderungen dieser Welt richten. In diesem Sinne freuen wir uns auf die Haushaltsberatungen für den Bundeshaushalt 2020. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: für die Fraktion Die Linke der Kollege Michael Leutert. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Begonnen mit der Kanzlerin haben heute viele Rednerinnen und Redner deutlich gemacht, vor welchen Herausforderungen wir international stehen. Der Haushaltsentwurf, der uns hier heute vorgelegt wird, wird – das kann man so sagen – dieser internationalen Situation nicht gerecht. ({0}) Man kann sich da nur verwundert die Augen reiben. Ich möchte hier noch einmal darauf hinweisen – ich habe es letztes Jahr schon getan –: Vor exakt fünf Jahren, 2014, stand der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hier und hat den Satz gesagt: „Die Welt ist aus den Fugen geraten.“ Er hat diesen Satz damals gesagt vor dem Hintergrund des Syrien-Krieges, des Zerfalls von Libyen, der Krim-Annexion. Aber damals gab es auch noch andere Sachen, die immer ein wenig aus dem Blickwinkel verschwinden. Damals hieß nämlich der Präsident der USA noch Barack Obama. Damals war der Brexit noch überhaupt nicht auf der politischen Agenda. Damals gab es noch nicht die Zerwürfnisse, den Putsch in der Türkei, und es gab auch nicht schreckliche Terroranschläge wie den in Nizza, den in Brüssel, den in Paris, den in Berlin; um nur die Anschläge in Europa zu nennen. All das kam später. Damals – das meine ich jetzt nicht als Witz – waren die Umfragewerte für die Koalition noch bei zwei Drittel: 40 Prozent Union, SPD 25 Prozent. Es gab damals auch immer noch positive Meldungen in den folgenden Monaten. Es wurde das Pariser Klimaabkommen beschlossen. Es wurde das Atomabkommen mit dem Iran beschlossen. Das ging sogar einher mit einem Gefangenenaustausch zwischen den USA und Iran – unvorstellbar heute. Es gab auch – das möchte ich hierzu erwähnen – das Friedensabkommen in Kolumbien. Rückblickend aus unserer heutigen Sicht war es sozusagen eine fast schöne Zeit, eine fast schöne Welt, und trotzdem hat Steinmeier damals gesagt: Die Welt scheint aus den Fugen geraten. Heute ist das alles vorbei. Die Konflikte von damals existieren immer noch. Sie sind nicht gelöst. Es sind neue dazugekommen. Die Verträge werden angegriffen, werden gebrochen, nicht eingehalten. Europa ist nicht wirklich in der besten Verfassung. Das sieht man, wenn man nach Österreich schaut. Italien hat gerade noch mal die Kurve bekommen. In Großbritannien ist ein völliges Chaos ausgebrochen, und im Weißen Haus sitzt eben nicht mehr Obama, sondern – man kann es nicht anders sagen – ein Verrückter, der auf globaler Ebene keine Probleme löst, sondern immer wieder neue Probleme anzettelt – wie aktuell den Handelskrieg mit China. ({1}) Dann kommt der Haushalt vom Auswärtigen Amt. Wenn man den liest, denkt man: Es ist nichts passiert; in der Welt ist nichts geschehen. – Der Haushalt, der uns hier vorgelegt wurde, stagniert. Wenn man in die mittelfristige Finanzplanung hineinschaut, wird es noch schlimmer: Es gibt im Jahr 2021 eine massive Kürzung um fast 800 Millionen Euro. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so leisten wir keinen Beitrag zur Problemlösung auf internationaler Ebene. ({3}) Im aktuellen Entwurf wird gestrichen. Es wird mit Cent-Beträgen gerechnet. Man bekommt im Übrigen den Eindruck, dass man das Haushaltsbuch einer WG liest, und nicht den Haushalt des Auswärtigen Amtes. ({4}) Nur mal ein paar Beispiele. Kapitel „Sicherung von Frieden und Stabilität“: minus 100 Millionen Euro. Titel „Maßnahmen der regionalen Zusammenarbeit“: minus 161 000 Euro. Um mal etwas Positives zu nennen: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde: plus 7 000 Euro. Noch etwas Positives: Gesellschaft für Außenpolitik: 1 000 Euro mehr. ({5}) Herzlichen Glückwunsch! Zuwendungen an Auslandsschulen: minus 410 000 Euro. Förderung des Schüleraustausches: minus 858 000 Euro. Gerade Schüleraustausch! Das sind so kleine Sachen, wo Begegnungen stattfinden, wo Eindrücke gesammelt werden. Dort, wo es richtig wehtut, werden kleine Beträge gestrichen. Das ist absurd. ({6}) Das alles wird vorgelegt von einem SPD-Finanzminister, der demnächst SPD-Chef werden will, und einem SPD-Außenminister. ({7}) Ich verstehe es nicht. An diesem Punkt hätte man doch mal Profil zeigen können, liebe Genossinnen und Genossen. Im Koalitionsvertrag steht, man wolle die „Mittel für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erhöhen“. Das Gegenteil ist der Fall. Dann: „Das Netzwerk deutscher Auslandsschulen … soll ausgebaut und gestärkt werden.“ Das Gegenteil ist der Fall. Es steht weiter im Koalitionsvertrag: „Wir brauchen eine entschlossene und substanzielle Außen- …politik … Wir wollen die … Mittel deutlich stärken, um die immensen internationalen Herausforderungen zu bewältigen.“ – Das ist bis jetzt – es ist Halbzeit – nicht passiert. Ich kann Ihnen nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Linke will, dass der Koalitionsvertrag in diesen Punkten eingehalten wird, ({8}) und dafür werden wir in den nächsten Wochen streiten und uns konstruktiv einbringen. Recht herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin: für Bündnis 90/Grüne die Kollegin Ekin Deligöz. ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es gibt einen Grundkonsens, den wir in der Halbzeit der Debatte festhalten können: Die Außenpolitik wird komplexer. Die Herausforderungen werden größer. Und Sie, Herr Minister, haben im kommenden Jahr einiges vor sich, und zwar nicht nur die Ratspräsidentschaft, sondern auch viele Momente und Möglichkeiten der Gestaltung der Weltentwicklung. Dann wundert es mich aber, dass Sie in dieser ganzen Debatte mit keinem einzigen Satz Ihren Etat verteidigen. Die Kollegen, Herr Link und auch Herr Leutert, haben Ihnen gesagt, wie in der Finanzplanung Ihre Mittel sinken. Das ist das eine. Das andere ist: Gerade Ihr Etat muss eine exorbitant hohe globale Minderausgabe aus den laufenden Posten erbringen. Das schwächt Sie. Das nimmt Ihnen Luft zum Atmen. Das gibt Ihnen keinen Raum zur Gestaltung. Wenn Sie da nicht schnell etwas ändern, werden Sie nicht mal die Hälfte der Vorhaben umsetzen können, die Sie uns heute vorgetragen haben. ({0}) Ich will das an zwei Beispielen konkretisieren. Sie haben hier und auch in der Berichterstattersitzung über Ihr Engagement im Zuge der Klimakrise und gegen den Klimawandel geredet und auch darüber, was Sie im Sicherheitsrat der UN angestoßen haben. Das ist richtig. Das ist auch wichtig. Die Wälder brennen. Die Gletscher schmelzen. Hungersnöte führen zu Armut und zu Krieg. Aber warum bilden Sie das nicht in Ihrem Etat ab? Warum behandeln Sie die Klimaaußenpolitik mit so einem so kleinen Volumen von 7 Millionen Euro, so stiefmütterlich? Warum verlangen Sie von anderen Staaten, dass sie sich engagiert für den Klimaschutz einsetzen, streben selber aber noch nicht mal danach, im Klimakabinett zu sitzen? ({1}) Warum bleiben Sie da so passiv? Es verleiht Ihnen doch mehr Glaubwürdigkeit, wenn Sie über Klimaschutz nicht nur reden, sondern auch handeln, wenn Sie Klimaschutz nicht nur von den anderen einfordern, sondern auch national etwas verändern. Das bildet Ihr Etat jedoch nicht ab. ({2}) Oder das zweite Beispiel. Sie reden – wir alle reden – von Shrinking Spaces. Wir wissen, was es bedeutet, wenn Populismus zunimmt, ({3}) wenn Nationalismus zunimmt, wir wissen, was das für die NGOs bedeutet, für die Kommunikationskultur, für das Leben und Gestalten von Demokratie. Wir sind in unserer Verfassung auch dazu verpflichtet, genau das zu verteidigen. Und was machen Sie? Sie kürzen genau bei denen, die in vielen Staaten die letzten Räume schaffen , wo noch Demokratie gelebt werden kann, nämlich bei unseren Stiftungen und bei unseren Kultureinrichtungen im Ausland, wie zum Beispiel beim Goethe-Institut. Dort kürzen Sie die Mittel und damit schließen Sie diese Räume. Die Konsequenz ist, dass genau die Menschen, die für das kämpfen, wofür wir einstehen sollten, nicht nur unter Diffamierungskampagnen leiden, sondern am Ende mit Inhaftierung und Gewalt konfrontiert werden. Das ist die Konsequenz, wenn Sie da kürzen. Das hat auch etwas mit weltweiter Verantwortung zu tun. Zeigen Sie sich hier verantwortlich und stärken Sie diese Instrumente, statt sie zu schwächen. ({4}) An dieser Stelle: Ich weiß nicht, liebe Kollegen, ob Ihnen das aufgefallen ist; aber mich hat es persönlich mitgenommen, was hier von der AfD gekommen ist. Sie instrumentalisieren hier den Bundesrechnungshof für Ihre Zwecke und das darf nicht sein. ({5}) Ich will Ihnen auch sagen, warum. Das eigentliche Ziel der AfD ist doch Folgendes: Sie wollen doch alles kürzen, was mit der UN zu tun hat; Sie wollen alle Titel kürzen, die im Bereich der Menschenrechte sind; Sie wollen alle Titel kürzen, die im Bereich der humanitären Hilfe sind. Jetzt instrumentalisieren Sie den Bundesrechnungshof. Übrigens: Würden Sie die Berichte des Bundesrechnungshofes lesen, wüssten Sie, dass darin gar nicht das steht, was Sie hier behaupten. Das tun Sie aber nicht; das würde Ihnen ja nicht in den Plan passen. Dann reden Sie hier von Gutmenschentum! Wenn es Gutmenschentum ist, sich für Menschenrechte einzusetzen, wenn es Gutmenschentum ist, sich für humanitäre Hilfe einzusetzen und für das, was in unserer Verfassung steht, wenn das Gutmenschentum ist, dann bin ich ein Gutmensch, und ich bin richtig stolz darauf, das sein zu können. ({6}) Herr Minister, Sie haben einige Baustellen. Das Geld zum Beispiel für die Opfer der Colonia Dignidad ist, obwohl es einen Bundestagsbeschluss gibt, in Ihrem Etat noch immer nicht eingestellt. Sie reden über Menschenrechte. Aber die Menschenrechtsbeauftragte ist immer noch nicht so ausgestattet, dass sie auch wirklich ihre Arbeit erledigen kann. ({7}) Sie reden davon, dass wir neue Strukturen im Haus brauchen. Aber wenn es um die Personalreserve geht, um die neue Personalplanung, wird im Moment nichts getan. Hier ist übrigens auch das Finanzministerium gefordert: Hören Sie endlich auf, dieses Amt als Gedöns abzuhandeln! Das Auswärtige Amt verdient mehr, und es liegt auch in unserer Verantwortung, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit das Amt ordentlich arbeiten kann. Denn die sind derzeit noch nicht vorhanden. Das ist die Lage. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für die SPD-Fraktion: der Kollege Christoph Matschie. ({0})

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute hat es auch wieder gezeigt: Die Außenpolitik ist in den letzten Jahren stärker ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten. Das hat aber keine guten Gründe; es hat vielmehr damit zu tun, dass der Großmachtwettbewerb zurück ist in der Weltpolitik. Der aktuelle Streit um die Handelspolitik zwischen den USA und China ist ja nur ein prominenter Ausdruck dafür. Es hat auch damit zu tun, dass unser Verhältnis zu unserem größten Nachbarn in Europa, Russland, deutlich gestört ist. Und es hat damit zu tun, dass diese neue Konstellation auch dazu führt, dass wir für Kriege wie zum Beispiel in Syrien und im Jemen kaum Lösungsmöglichkeiten haben. Im Gegensatz zu dem, was gerade eben aus der Opposition kam: Die auswärtige Politik, das Auswärtige Amt haben auf diese Entwicklungen reagiert. ({0}) Ich will noch mal die Haushaltszahlen deutlich machen: 2015 betrug der Haushalt des Auswärtigen Amtes 3,7 Milliarden Euro. Er wird im nächsten Jahr 5,7 Milliarden Euro betragen. Das ist eine Steigerung um 60 Prozent. ({1}) Das heißt, die deutsche Außenpolitik hat hier sehr klar und sehr deutlich auf neue Herausforderungen reagiert. Eines will ich aber auch noch mal klarmachen: Außenpolitik steht immer in der Balance zwischen kurzfristigem, effektivem Krisenmanagement und langfristig angelegten strategischen Initiativen. In den letzten Jahren ist ein Großteil der Steigerung des Haushalts in das kurzfristige Krisenmanagement geflossen; das konnte auch gar nicht anders sein. Humanitäre Hilfe aufstocken heißt Krisenprävention aufstocken. Es wird aber in einer Welt, die sich bewegt, angesichts der Konfrontation der großen Machtblöcke notwendig sein, dass wir in den kommenden Jahren das Augenmerk auch wieder auf die langfristigen strategischen Initiativen lenken. Das wird aber nicht im Alleingang möglich sein; das geht nur mit einer starken und einigen Europäischen Union. Deshalb müssen wir die neue Legislaturperiode des Europäischen Parlaments – die Kommission wurde gerade vorgestellt – und auch die deutsche Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr nutzen, um in der Europäischen Union neu durchzustarten. Der Haushalt 2020 muss die Ressourcen dafür zur Verfügung stellen. ({2}) Werte Kolleginnen und Kollegen, eine starke und handlungsfähige EU ist und bleibt die Aufgabe Nummer eins für die deutsche Außenpolitik. Denn nur mit einer starken und handlungsfähigen EU werden wir im globalen Wettbewerb, aber auch bei der Bewältigung der globalen Probleme handlungsfähig sein und Weltpolitik wirklich mitgestalten können. ({3}) Es gibt aber auch Gestaltungsaufgaben, die heute noch nicht so sehr im Fokus stehen; auch die will ich kurz streifen. Unser Nachbarkontinent Afrika verändert sich in einem rasanten Tempo, ein Kontinent im Aufbruch, ein Kontinent, der rasant wächst. Wir brauchen auch hier noch bessere außenpolitische Antworten; denn die Entwicklungen von Europa und Afrika sind enger miteinander verbunden, als wir das oft wahrhaben wollen. Auch hier braucht es in Zukunft neue strategische Initiativen. ({4}) Last, but not least geht es in der Diplomatie immer darum, miteinander und nicht übereinander zu reden. Deshalb komme ich noch mal zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Die Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur im Ausland, die Zusammenarbeit der Wissenschaft, das alles ist nicht das Sahnehäubchen der Außenpolitik, sondern es ist eine zentrale Säule. ({5}) Hier entstehen Netzwerke, hier entsteht ein gemeinsames Verständnis von Problemen, und hier entsteht ein wichtiger Baustein für die Zukunft unseres Landes, aber auch die Zukunft des Planeten. Deshalb war es richtig, diesen Bereich der Außenpolitik in den letzten Jahren deutlich zu stärken. Ich hoffe und wünsche mir, dass das auch in den kommenden Jahren gelingt. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die AfD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dr. Birgit Malsack-Winkemann. ({0})

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Das Auswärtige Amt vergibt seit Jahren explosiv steigende Zuwendungen. Seit 2006 wuchsen sie von 500 Millionen auf 2,9 Milliarden Euro in 2018. Hierbei stiegen die Mittel für humanitäre Hilfe und Krisenprävention von 70 Millionen auf 1,8 Milliarden Euro, also um 2 500 Prozent. Stand Ende 2018 war das Auswärtige Amt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gewährung von Zuwendungen nicht mehr gewachsen. Die Verteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten war unklar geregelt, dazu fehlte der Gesamtüberblick über alle aus dem eigenen Einzelplan finanzierten Zuwendungen. Es hatte keine Kenntnis über den Bearbeitungsstand seiner Zuwendungsverfahren, und Verwendungsnachweise über rund 2,46 Milliarden Euro hat es weder selbst ausreichend geprüft noch hinreichend prüfen lassen. ({0}) Das Auswärtige Amt konnte also nicht sicherstellen, dass die Mittel wie geplant verwendet werden. Das war der Stand zur Zeit meiner letzten Rede im November 2018, mit der ich auf diesen Skandal hier an dieser Stelle als Einzige öffentlich hingewiesen habe, obgleich auch Sie, die Sie hier alle sitzen, Kenntnis hiervon hatten. Sie alle haben diese langjährigen Zustände öffentlich mit keinem Wort erwähnt! ({1}) Und genau daran erkennt jeder, dass die AfD die einzige echte Oppositionspartei in diesem Hohen Hause ist, ({2}) die ihrer Bezeichnung als Oppositionspartei wirklich gerecht wird. ({3}) Ganz davon abgesehen, dass natürlich die CDU/CSU und die SPD als Regierung selbstverständlich auch auf die Rügen des Bundesrechnungshofs hin hätten tätig werden müssen, anstatt das Geld der Steuerzahler weiter planlos und unkontrolliert weltweit zu verschleudern. Nein, im Gegenteil: Sie haben sich noch bis zuletzt mit den hohen Steigerungen der letzten Jahre gerühmt, die vorgeblich für humanitäre Hilfe ausgegeben wurden. Wir, die AfD, haben mit dem Bundesrechnungshof aufgrund dieser skandalösen Zustände sogleich dazu geraten, dass sich das Auswärtige Amt konsequent von der nichtministeriellen Aufgabe der Bearbeitung der Zuwendungen trennt und eine ordnungsgemäße Prüfung sicherstellt. Nun, es hat sich etwas getan: Das Auswärtige Amt beabsichtigt jetzt, im Jahre 2021 eine selbstständige Bundesoberbehörde zu gründen, die die Aufgabe der Zuwendungsbearbeitung übernehmen soll. Wir stellen also fest: AfD als Oppositionspartei wirkt, ({4}) und das ist vor allem ein Erfolg für alle Bürger unseres Landes, die anständig und ehrlich ihre Arbeit verrichten. ({5}) Aber warum eine Bundesoberbehörde erst 2021? Gibt es derzeit im Auswärtigen Amt keine für die Zuwendungsbearbeitung qualifizierten Fachkräfte? Und wie erfolgt die Erledigung bis 2021? Werden die Milliarden bis dahin weiter unkontrolliert und planlos weltweit verschleudert? ({6}) Zwischenzeitlich jedenfalls wurde dem Haushaltsausschuss unter dem 6. Mai 2019 ein, wie das Auswärtige Amt formuliert, sogenannter titelscharfer Bericht über seine Mittelverwendung in 2018 vorgelegt. Wie oft in diesem Bericht als Durchführungsorganisation „diverse“ oder als Empfängerland „global“ genannt wurde, spottet jeder Beschreibung. ({7}) Es ist symptomatisch dafür, was das Auswärtige Amt unter einem sogenannten titelscharfen Bericht über seine Mittelverwendung gegenüber dem Parlament versteht, und das, obgleich der gesamte Bericht unter „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ gestellt wurde und es mir als Abgeordneter ohnehin verboten ist, Ihnen als Bürgern hierüber im Einzelnen zu berichten. Deshalb nur so viel: Würden manche der als Empfängerländer aufgeführten Länder hier in Deutschland ihre staatlichen Gelder – wie von Deutschland aus umgekehrt – bei Organisationen, die bei uns seitens unserer Regierung unbeliebt sind, investieren, gäbe es hier in Deutschland einen handfesten, in der Presse wochenlang hoch- und runtergejagten Skandal, ({8}) in etwa dem Skandal vergleichbar, als dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump – übrigens unberechtigt – vorgeworfen wurde, sein Wahlkampf sei von Russland finanziert worden. ({9}) Aber kommen wir auf die Niederungen Deutschlands zurück und plaudern aus dem Nähkästchen, wofür das Auswärtige Amt im Inland Steuergelder vergibt. Da gibt es zum Beispiel das Reeperbahn Festival in Hamburg, vergleichbar dem Oktoberfest in München oder dem Äppelwoifest in Frankfurt. ({10}) Im Gegensatz zu Letzteren erfreut sich das Reeperbahn Festival besonderer Unterstützung durch den Haushaltsausschuss und das Auswärtige Amt. Denn ausweislich des Bundes der Steuerzahler wurden die Steuerzuschüsse bereits 2017 auf 2 Millionen Euro angehoben, aus dem Auswärtigen Amt fließen 200 000 Euro. Nun sollen in den nächsten fünf Jahren weitere 28 Millionen Euro zusätzlich fließen, selbstverständlich auch weiterhin die 200 000 Euro vom Auswärtigen Amt. Wo kämen wir hin, wenn auch das Oktoberfest in München oder das Äppelwoifest in Frankfurt, die sich ja auch regen internationalen Zuspruchs erfreuen, im selben Umfang subventioniert würden? Was hat das Auswärtige Amt überhaupt mit dem Reeperbahn Festival zu tun? Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten, vergessen immer wieder, dass Sie fremdes Geld, nämlich hart erarbeitetes Steuergeld deutscher Bürger, treuhänderisch verwalten ({11}) und von Gesetzes wegen dazu verpflichtet sind, wirtschaftlich und sparsam mit unserem Steuergeld umzugehen. ({12}) Und genau dafür stehen wir, die AfD. Ein weltweit unkontrolliertes Verschleudern -

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004813, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– gleich – unserer Steuergelder hat mit uns, der AfD, ein Ende. Und das wird uns der Wähler mit guten Wahlergebnissen auch in Zukunft quittieren. Danke schön. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dr. Katja Leikert. ({0})

Dr. Katja Leikert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004337, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem gerade Präsident Trump und auch Putins Russland bedauert wurden, kommen wir jetzt wieder zur Außenpolitik. Dazu gehört ressortmäßig auch die Europapolitik. Und wenn es um die Europäische Union geht, dann erwarten die Menschen zu Recht viel von uns. Gerade nach der Europawahl kann man sagen, dass Europa an einer Wegmarke steht. Wir haben ein neues Europaparlament gewählt, das sich Anfang Juli konstituiert hat. Wir haben eine großartige neue Kommissionspräsidentin, unsere Kollegin Ursula von der Leyen, der wir von dieser Stelle aus noch mal herzlich zu dem neuen Amt gratulieren möchten. ({0}) Und wir haben eine neue Kommission, die sich in diesen Tagen formiert hat und in den nächsten Wochen in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments auf Herz und Nieren geprüft wird. Im November wird die neue Kommission ihre Arbeit aufnehmen. Auch dafür wünschen wir viel Erfolg. Lassen Sie mich zu den Entwicklungen der letzten Wochen noch zwei Sätze sagen, weil wir hier ja alle dem demokratischen Prinzip verpflichtet sind. Die Wahlen zum Europaparlament hat auch in diesem Jahr die Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei gewonnen, und zwar deutlich; manchen mag das gefallen, anderen nicht so sehr. Deshalb ist es richtig und selbstverständlich, dass die EVP die Kommissionspräsidentin stellt. Alles andere wäre an dieser Stelle eine Verdrehung des Wahlergebnisses gewesen. Jetzt bin ich die Letzte, die viel von Fußball versteht; aber es ist einfach ein bisschen wie beim Fußball – ich erkläre es euch gerne –: Mit großer Regelmäßigkeit gewinnt der FC Bayern München den deutschen Meistertitel bei den Herren. ({1}) Das finden einige gut und andere nicht so gut. ({2}) Und trotzdem käme selbst der eingefleischteste Dortmund-Fan nicht auf die Idee, die Meisterschale für den Zweitplatzierten zu beanspruchen mit der Begründung, man sei nun eben auch mal dran. Aber wir wollen ja nicht zurückblicken, sondern nach vorne blicken. Und da gibt es sehr viel Erfreuliches. Erstens. Ursula von der Leyen tritt mit einem Arbeitsprogramm an, das deutlich macht: Sie will zusammenführen und nicht spalten. Wir alle wissen, dass Ursula von der Leyen gerade in Mittel- und Osteuropa höchsten Respekt genießt. Das bietet die Chance, die Trennung in Europa zu überwinden. Das ist auch uns in der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ein großes Anliegen. Wir werden ihr dabei ein verlässlicher Partner sein und sie nach besten Kräften unterstützen. ({3}) Zweitens. Auch das ist uns wichtig: Die neue Kommissionspräsidentin schlägt eine Kommission vor, die ausgewogen besetzt ist und zur Hälfte aus Frauen bestehen wird. Auch das ist begrüßenswert. ({4}) Drittens. Sie hat eine Agenda für eine Europäische Union aufgestellt, übertitelt mit „Eine Union die mehr erreichen will“ – von der Klimapolitik bis zur Sicherheitspolitik. Ich ermuntere alle hier, auch unseren Koalitionspartner und alle demokratischen Kräfte im Bundestag – von Ihnen auf der rechten Seite erwarten wir das nicht –: Machen Sie mit! Seien Sie konstruktiv, und bringen Sie Europa weiter nach vorne! ({5}) Wenn wir uns in Europa umschauen, dann ist es offensichtlich: Die Europäische Union kann Stabilität gut gebrauchen. In so manchem Mitgliedstaat sieht es unruhig aus – wir sind ganz froh, dass sich in Italien die Situation gerade ein bisschen beruhigt hat –: in Rumänien, Spanien und natürlich in Großbritannien, wo das ganz große Chaos ausgebrochen ist. Unser Ziel ist und bleibt ein starkes Europa. Dafür arbeiten und kämpfen wir. Europa zu stärken ist für uns eine Selbstverständlichkeit und kein Selbstzweck. Europa soll die Aufgaben übernehmen, wo die Mitgliedstaaten alleine an ihre Grenzen stoßen. Deshalb möchten wir Europa da stärken, wo es richtig ist. Es gibt viele Bereiche, von der Sicherheits- bis zur Klimapolitik, wo es eine ganz klare Agenda gibt. Erstens. Ich fange mal mit der Sicherheitspolitik an: Es bleibt unser Ziel, die Außengrenzen zu sichern. Wir wollen die Grenzpolizei Frontex stärken mit eigener Ausrüstung und exekutiven Befugnissen. Weiterhin müssen wir unsere militärischen Fähigkeiten stärker bündeln, und deswegen forcieren wir eine Zusammenarbeit in der Rüstungsbeschaffung und streben eine gemeinsame Armee an. Aber Sicherheitspolitik ist natürlich mehr als militärische Verteidigung. Es geht um eine intelligente Vernetzung von Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit, aber auch Abrüstung. Und am Ende muss das Ziel sein, dass die Europäische Union nach außen mit einer Stimme sprechen kann. Das ist schon lange das Ziel, bisher ist es nie erreicht worden. Jetzt ist es an der Zeit. Wir wollen eine sichere, starke und handlungsfähige Europäische Union. ({6}) Zweitens. Der Binnenmarkt bleibt zentral, weil der Binnenmarkt nun mal die Grundlage von Wohlstand ist. Auch das ist ein Thema, das man hier immer wieder vor den Verteilungsfragen erklären muss. Wir wollen eine Europäische Union, die sich im Wettbewerb auch zukünftig behaupten kann. Deshalb wollen wir die Innovationskraft und die Wachstumskraft Europas stärken. Ursula von der Leyen hat auch hierzu in ihrer Agenda die richtigen Impulse gesetzt. Dazu gehören die Schaffung einer Kapitalmarktunion, eine ambitionierte Digitalstrategie und natürlich Investitionen in künstliche Intelligenz. Bei allem Reformwillen, bei aller nach vorne gerichteten konstruktiven Agenda bleibt für uns als CDU/CSU-Fraktion wichtig: Wir wollen eine solide Haushaltsführung in den Mitgliedstaaten. Das bleibt unser zentrales Anliegen. ({7}) Und drittens – auch das haben uns die Menschen bei der letzten Europawahl mit auf den Weg gegeben; das wurde heute Morgen schon ausführlich im Rahmen der Haushaltsdebatte diskutiert –: Wir brauchen mehr Europa beim Klimaschutz. Denn wir wissen, dass nationale und letztendlich auch europäische Maßnahmen allein nie ausreichen werden. Wir brauchen hier natürlich einen Mix bis hin zur internationalen Ebene. Deshalb unterstützen wir Ursula von der Leyen darin, das EU-Ziel umzusetzen, bis 2050 klimaneutral zu sein. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Das bedeutet, dass wir auch national ambitionierter sein müssen, um unsere beschlossenen Reduktionsziele zu erreichen. Es ist richtig, wenn sich die Europäische Union hier an die Spitze der Bewegung stellt. Das ist auch die richtige Motivation, die unsere Unternehmen brauchen, um ihre Innovationskraft am Ende wirklich auszuspielen. Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sind alle herzlich eingeladen, uns bei dieser ambitionierten Agenda zu unterstützen. Packen wir es gemeinsam an! Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner für die FDP-Fraktion: der Kollege Bijan Djir-Sarai. ({0})

Bijan Djir-Sarai (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004029, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute über den Haushalt des Auswärtigen Amts diskutieren, dann diskutieren wir gleichermaßen über den aktuellen Kurs der deutschen Außenpolitik. Eine Haushaltsdebatte ist mehr als das einfache Vortragen von Haushaltspositionen. Diese Debatte ist eine umfassende Betrachtung der gesamten deutschen Außenpolitik. Zwei Fragen sind dabei besonders wichtig: Sind wir auf die derzeitigen weltweiten Herausforderungen vorbereitet? Und was genau ist die Antwort oder Strategie auf diese Herausforderungen? Wir leben in einer Zeit, in der die außen- und sicherheitspolitische Lage weltweit so unsicher ist wie lange nicht mehr, in der neue Krisen entstehen und Konflikte immer komplexer werden. Nicht erst seit gestern wissen wir, dass die Herausforderungen nicht weniger werden, sondern mehr. Handelskriege werden Realität, sicher geglaubte Bündnisse brechen weg, und auch unsere Sicherheitsarchitektur verändert sich. Dabei hat die deutsche Außenpolitik immer noch kein Konzept für den Nahen und Mittleren Osten, noch immer keine China-Strategie, noch immer kein Konzept für Afrika und auch keine Antwort, wie man mit Russland umgehen muss. Beim Konflikt in der Straße von Hormus beispielsweise hat niemand verstanden, was die eigentliche Position der Bundesregierung ist. ({0}) Und beim Anti-IS-Einsatz ist der Außenminister mehr oder weniger mit der eigenen Fraktion beschäftigt als mit dem eigentlichen Sachverhalt. ({1}) Im Zusammenhang mit diesem Thema habe ich nicht verstanden, wer eigentlich der Außenminister ist: Ist Heiko Maas der deutsche Außenminister oder Rolf Mützenich? ({2}) Auch eine Frage, die man gelegentlich beantworten sollte. Herr Minister, um die Schärfe herauszunehmen, will ich hier auch etwas Freundliches sagen. Ich will erwähnen, dass das, was Sie über Afghanistan gesagt haben, richtig ist und dass ich Ihre Auffassung teile. Es ist erfreulich, wenn Sie hier ankündigen, dass Deutschland und Norwegen demnächst gemeinsam eine Friedensinitiative starten wollen. Ich glaube, das ist zielführend. Mehr Realismus mit Blick auf Afghanistan würde uns guttun. In dem Zusammenhang weise ich noch mal darauf hin, dass wir – ich glaube, das ist auch die Position der gesamten Opposition gewesen – nach wie vor auf eine militärische und politische Gesamtevaluation des Afghanistan-Einsatzes warten, meine Damen und Herren. ({3}) Wir brauchen Antworten. Deutschland und Europa können nicht weiter tatenlos zusehen – weder bei den Konflikten vor der eigenen Haustür noch bei Konflikten, die entfernter ausgetragen werden. Was Hongkong betrifft: Auch die Bundeskanzlerin sollte sich mit Joshua Wong treffen und glasklare Worte zur Lage in Hongkong finden. ({4}) Deutschland darf nicht nur Zuschauer eines wichtigen Kampfes für Freiheit und Demokratie sein. Freiheit und Demokratie, für die die Menschen in Hongkong demonstrieren, sind auch unsere Werte, meine Damen und Herren. ({5}) Beim Blick in den Haushaltsentwurf will man Antworten finden. Man kann diese aber leider nicht immer finden. Wenn wir nicht sehr aufpassen, wird die deutsche Außenpolitik ins Abseits rücken. Wenn ich den aktuellen Kurs der deutschen Außenpolitik betrachte, stelle ich fest, dass es nicht nur an Antworten und Strategien fehlt, sondern auch an Visionen und dem Willen, Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn der zunehmende Populismus versucht, uns etwas anderes zu erzählen: Globale Probleme können wir nur gemeinsam und global lösen. „Gemeinsam“ heißt in der Außenpolitik durch Multilateralismus und Kooperation. ({6}) Den Rückzug der USA aus der Diplomatie bedauern wir außerordentlich. Wir Europäer sollten aber nicht jammern. Vor allem sollten wir die Herausforderungen der Zeit begreifen und eine Vorreiterrolle in der internationalen Diplomatie übernehmen. Dafür brauchen wir ein modernes Auswärtiges Amt, das sowohl technisch als auch personell gut aufgestellt ist. Gleiches gilt für unseren Auswärtigen Dienst. Hier müssen personelle Defizite endlich gezielt behoben und Prozesse erneuert werden. Diese Anforderungen berücksichtigt der aktuelle Haushaltsplan noch nicht. Der Haushalt darf nicht hinter den realen Bedürfnissen zurückbleiben. ({7}) Nächstes Jahr – das ist auch von meinem Kollegen Michael Link angesprochen worden – übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Das ist, denke ich, die Chance, wieder eine proaktive Rolle in der Außenpolitik zu übernehmen, das heißt, nicht nur Ideen, sondern eine mögliche Strategie zu entwickeln, wie man die Herausforderungen der Zeit europäischer anpacken kann. Es wäre schön, wenn Europa endlich mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen könnte und – vor allem – wenn Europa endlich mit einer Stimme sprechen würde. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke: die Kollegin Heike Hänsel. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Gemessen an dem eigenen Anspruch, dass deutsche Außenpolitik Friedenspolitik sein soll, hat diese Bundesregierung völlig versagt. ({0}) Sie, Herr Maas, wollten ja die Prävention in den internationalen Beziehungen stärken. Auch davon sieht man nichts, erst recht nicht in diesem Haushalt; denn dieser Haushalt ist ein Rüstungshaushalt mit einer neuen Rekordmarke von 50 Milliarden Euro für Militär nach NATO-Kriterien, während die Mittel für Ihr Ministerium, für Diplomatie, stagnieren und mittelfristig sogar gekürzt werden sollen. Das ist keine Grundlage für Friedenspolitik. Wir weisen diesen Haushaltsentwurf zurück. ({1}) Wie sieht die Bilanz Ihrer Außenpolitik eigentlich aus? Heute ist der 11. September. Seit 18 Jahren ist die Bundeswehr in Afghanistan. Damals wurde sie von Rot-Grün in diesen sinnlosen Krieg geschickt. Die Sicherheitslage ist katastrophal, Tausende Zivilisten sterben, und trotzdem wird das Mandat auch unter der neuen Regierung Jahr um Jahr verlängert. Jetzt kündigen Sie eine Friedensinitiative mit Norwegen an. Das ist ja schön und gut. Entscheidend aber ist: Ziehen Sie endlich die Bundeswehr aus Afghanistan ab, ({2}) und setzen Sie sich dann dafür ein, dass Friedensverhandlungen stattfinden, die übrigens auch unter Einbeziehung der afghanischen Zivilgesellschaft stattfinden sollten! Es dürfen keine Deals über die Köpfe der Menschen hinweg gemacht werden. ({3}) Schauen wir uns Syrien an: Obwohl der türkische Präsident Erdogan Syrien überfällt, die kurdische Region Afrin nun seit anderthalb Jahre besetzt hält, weiterhin islamistische Terrormilizen, zum Beispiel in der Provinz Idlib, unterstützt und im Innern die demokratische Opposition terrorisiert, versorgen Sie Herrn Erdogan weiterhin mit Waffen und Geld. Was ist daran bitte schön Friedenspolitik? ({4}) Diese Rüstungsexportpraxis muss endlich beendet werden. Das trifft auch auf das EU-Türkei-Abkommen zu, das zu unmenschlichen Bedingungen auf den griechischen Inseln geführt hat und dazu, dass die EU von Erdogan auch noch erpressbar ist. Das ist unhaltbar. Beenden Sie endlich dieses Abkommen. ({5}) Schauen wir uns die Golfstaaten an. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, allen voran der saudische Kronprinz Bin Salman, führen seit Jahren einen blutigen Krieg in ihrem Nachbarland Jemen. Das hat zur größten humanitären Katastrophe unserer Zeit geführt. Die Bundesregierung setzt weiterhin auf eine enge Partnerschaft mit diesen Schlächtern. Die Bundespolizei soll ja jetzt auch wieder die saudische Polizei ausbilden, und Rüstungsexporte gehen weiter. Ein Jahr nach Khashoggi ist also business as usual angesagt. Das ist wirklich beschämend und kriminell, was Sie hier treiben. ({6}) Schauen wir uns die Nahostpolitik an. Während Sie Israel mittlerweile ganz oben auf die Empfängerliste deutscher Waffen gesetzt haben, verkündet der israelische Premier Netanjahu, nun auch noch Teile des Jordantals annektieren zu wollen. Das ist der Tod jeglicher Zweistaatenlösung. Das hat Bernie Sanders, US-Präsidentschaftskandidat, kritisiert und gefordert, dass all diejenigen, die den israelisch-palästinensischen Friedensprozess unterstützen, sich dem nun endlich widersetzen müssen. Aber wo ist die Reaktion der Bundesregierung, wo sind Ihre Konsequenzen, und wo ist Ihr Rüstungsexportstopp in diese Region? Da ist nur Fehlanzeige. ({7}) Die Iran-Krise, das Zündeln der USA am Persischen Golf, die Aufkündigung des INF-Vertrags: Wo sind Ihre Friedensinitiativen, die ernst zu nehmen sind, zum Beispiel auch im UN-Sicherheitsrat? Dabei wäre es ein wichtiges Zeichen, die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags endlich durchzuführen, den übrigens mittlerweile immer mehr Kommunen in Deutschland unterschreiben. Das wäre ein Beispiel, an dem Sie sich orientieren könnten. ({8}) Jeder siebte Euro in diesem Haushalt geht mittlerweile ins Militär, währenddessen die Investitionen in die Lebensbedingungen der Menschen stagnieren. Das ist wirklich ein Armutszeugnis. Beim Klimaschutz steht noch gar nichts – eine Leerstelle. Dabei steht doch fest: Krieg ist die größte Bedrohung für das Klima. ({9}) Alleine das US-Militär verschmutzt die Umwelt stärker als 140 Länder zusammen, hat eine Studie der Universität Durham errechnet, –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– und verursacht damit so viel CO2-Ausstoß wie die gesamte Schweiz. Deshalb kann es nur heißen: Abrüstung ist der beste Beitrag zum Klimaschutz. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: für Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Omid Nouripour. ({0})

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur eine ganz kleine Vorbemerkung zur Kollegin von der AfD: Es gibt in Frankfurt nicht das eine Äppelwoifest, es gibt viele. Es gibt ein Festival, es gibt eine Börse, es gibt eine Ausstellung, es gibt den Wäldchestag. Wenn man von heimatlicher Hochkultur keine Ahnung hat, sollte man lieber dazu schweigen. ({0}) Meine Damen und Herren, heute ist der 18. Jahrestag der schrecklichen Anschläge vom 11. September. Beinahe 3 000 Menschen sind ums Leben gekommen. Das war nicht nur ein Angriff auf die USA, sondern einer auf alle offenen Gesellschaften. Wir müssen nach 18 Jahren draufschauen, was da passiert ist. Wir müssen feststellen, dass der damals ausgerufene War on Terror an vielen Ecken und Enden dieses Planeten schlicht gescheitert ist. Er ist gescheitert, weil es eine massive Unwucht des Militärischen gegeben hat und eine massive Vernachlässigung der Bekämpfung der Wurzeln der Radikalisierung. Das sieht man in diesen Tagen an einem Ort auf eine sehr dramatische Art und Weise, an dem dieser Krieg begonnen hat, nämlich in Afghanistan. Das liegt nicht nur daran, dass die Art und Weise der Verhandlungen der Amerikaner die Autorität der afghanischen Regierung massiv unterminiert hat, sondern auch daran, dass die Sicherheitslage sich verschlechtert hat und die Zahl der Anschläge massiv zunimmt. Die Bundesregierung hat dieser Tage gesagt, dass die verdiente, fantastische Arbeit der Bundespolizei dort nicht mehr fortgesetzt werden kann wegen der Sicherheitslage. Gleichzeitig sagt dieselbe Bundesregierung: Man kann weiterhin dahin abschieben. – Tut mir leid: Das ist reinster Zynismus, den wir hier gerade erleben. ({1}) Kolleginnen und Kollegen, die internationale Ordnung erodiert. Das ist an vielen Orten sichtbar. Deshalb braucht es auch mehr deutsche Verantwortung, die sich sicher nicht in erster Linie im Militärischen abbilden sollte. Wir hatten einmal Außenminister wie Genscher, Fischer und Steinmeier, die sich nicht gescheut haben, dorthin zu gehen, wo es wehtut – im Nahostkonflikt etwa, über den Eisernen Vorhang hinweg oder eben auch in der Ukraine –, weil sie wussten: Es kann sein, dass ich bei dieser einen Mission scheitere, aber ich will es versuchen, weil es das Schlimmste verhindern soll. Wir haben jetzt einen Außenminister, der viel Gutes ankündigt. Ein Beispiel ist die Allianz für den Multilateralismus. Schauen wir uns den Haushalt aber einmal an. Ich weiß bis heute nicht, wo ich diesen einen Satz genau finden soll. Und das geht nicht nur mir so. Das geht auch vielen Kolleginnen und Kollegen so, auch in anderen Staaten, in unseren Partnerstaaten. Wir wissen nicht, wofür das stehen soll. Es ist nicht unterfüttert. Wenn beispielsweise Kanada sagt: „Wir sind genauso Multilateralisten und brauchen Unterstützung in einer Auseinandersetzung mit Saudi-Arabien, weil die Menschenrechtslage dort so frappierend ist, dass wir das kritisieren mussten“, dann gibt es einfach nur noch einen Donnerhall an Schweigen aus dem Auswärtigen Amt. ({2}) Ein weiteres Beispiel: Wenn Aktivistinnen und Aktivisten aus Hongkong, die jetzt in dieser Minute gerade in dieser Stadt sind, sich darum bemühen, fünf Minuten Zeit und Gehör des Außenministers zu bekommen, dann kommt keine Antwort. Noch ein Beispiel: Der Außenminister sagt – das haben Sie angekündigt –, Jemen wird Schwerpunkt der UN-Sicherheitsratsmitgliedschaft Deutschlands sein. Wir erleben jetzt eine massive Eskalation der Gewalt in Jemen. Unter bisher verbündeten Parteien wird sogar mittlerweile untereinander gekämpft. Deutschland hätte dieses Thema im Sicherheitsrat aufsetzen müssen. Wo ist da bitte die Schwerpunktsetzung? Es sind alles immer nur Ankündigungen, und das ist einfach alles ungenügend. ({3}) Beispiel Rüstungsexporte. Jetzt reden wir wieder über eine dreimonatige Verlängerung des Stopps von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien. Das ist nicht ausreichend, weil sich die Lage in Jemen auch in drei Monaten nicht verbessert haben wird und weil die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien weiterhin so verheerend ist. Noch ein Beispiel: das Atomabkommen mit dem Iran. Wir haben gedrängt, bis Sie in den Iran geflogen sind. Danke! Aber im Gepäck hätte man eine Sache dringend gebraucht, und das ist Mut. Man braucht nämlich Mut, wenn man eine falsche amerikanische Politik eindämmen will, und das muss man in dem Fall. Aber es ist nichts passiert. Was Sie heute, Herr Minister, zum Iran gesagt haben, das ist so ziemlich exakt dasselbe, was Sie vor 15 Monaten gesagt haben. Es ist seitdem aber nichts passiert, und deshalb geht uns langsam die Hoffnung aus, dass nach diesen Ankündigungen etwas passiert. Wir hatten einmal einen Außenminister Steinmeier, der gesagt hat, die deutsche Außenpolitik müsse schneller, entschiedener und substanzieller werden. Wir haben es zurzeit zu tun mit lasch, lustlos und lavierend. Das reicht schlicht nicht. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion der Kollege Frank Schwabe. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Deutsche Außenpolitik dient dazu, das friedliche Miteinander der Staaten zu ermöglichen. Sie dient aber eben auch dazu, wertebasiert zu arbeiten. Der zentrale Wert ist das Thema der Menschenrechte. Deswegen ist es im Übrigen richtig, in aller Souveränität und Gelassenheit Menschen zu treffen, die sich den Menschenrechten verschrieben haben. Deswegen haben so Leute wie ich Joshua Wong getroffen und andere entsprechend auch. Wenn man mit ihm redet, dann merkt man: Es geht eben nicht um Separatismus – das wird ihm ja vorgeworfen –, sondern es geht um Demokratie und Menschenrechte. Es geht darum, dass Sicherheitskräfte in Hongkong verhältnismäßig handeln, dass Polizeigewalt unabhängig untersucht wird und dass es eine demokratische Verfasstheit Hongkongs gibt, wie es zugesichert ist. Der Einsatz für Menschenrechte und für die Freiheit von Menschen ist eben keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten, sondern die Pflicht jedes Erdenbürgers. Ähnlich ist es im Umgang mit anderen Staaten. Auch dort müssen wir, glaube ich, Klartext reden. Ich persönlich bin wirklich sehr betroffen darüber – ich bin Vorsitzender eines Vereins, der eine Städtepartnerschaft mit einer türkischen Stadt hat –, wie sich die Lage in der Türkei entwickelt. Es gab viele Hoffnungen, dass sich vielleicht ein neues Fenster hin zu Demokratie, hin zum Eindämmen von bestimmten Konflikten öffnet. Das ist leider nicht der Fall. Wir haben an der Absetzung von drei Bürgermeistern in der Türkei gesehen, dass ein anderer Weg eingeschlagen wird. Wir haben eine Situation – Meldungen darüber gehen bei mir geradezu täglich ein –, dass Menschen, auch mit deutscher Staatsbürgerschaft, in der Türkei festgenommen werden oder das Land nicht mehr verlassen können. Das ist absolut inakzeptabel, und das belastet das Verhältnis Deutschlands zur Türkei. Ich persönlich habe die Patenschaft übernommen für Hozan Cane, die in der Türkei zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde. Jetzt ist auch ihre Tochter verhaftet worden. Ich fordere die türkische Regierung von hier aus auf – auch aus humanitären Gründen –: Lassen Sie Hozan Cane und ihre Tochter frei und entsprechend nach Deutschland in ihre Heimat, die es heute ist, ausreisen! ({0}) Zwei Punkte will ich im Hinblick auf uns selbst benennen. Das eine ist das Thema der Verpflichtung deutscher Unternehmen. Wenn wir wollen, dass auf der Welt Menschenrechte durchgesetzt werden, dann ist es die erste Pflicht, dafür zu sorgen, dass nicht das Gegenteil passiert, wenn deutsche Unternehmen im Ausland tätig sind. Deswegen ermuntere ich unseren Koalitionspartner, mit uns gesetzliche Regelungen zu finden, mit denen wir alle deutschen Unternehmen dazu bringen, im Sinne des gleichen Wettbewerbs dafür zu sorgen, dass Menschenrechte im unternehmerischen Bereich durchgesetzt werden. Die Zivilgesellschaft hat gestern gefordert, dass ein Lieferkettengesetzentwurf vorgelegt wird. Lassen Sie uns das angehen. ({1}) Lassen Sie uns endlich auch das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt und die ILO-Konvention Nummer 169 zum Schutz der indigenen Bevölkerung ratifizieren. Dies wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, und ich fordere nichts anderes als dessen Umsetzung. Ein letzter Satz zum Thema Seenotrettung – ich bedanke mich dafür, was Herr Hardt gesagt hat –: Was immer uns politisch trennt, welche politisch unterschiedlichen Einschätzungen wir auch haben, wir dürfen Menschen nicht ertrinken lassen, niemals. ({2}) Deswegen sollten wir, die die Regierung tragenden Fraktionen, gemeinsam mit der Bundesregierung eine Initiative starten, damit es eine staatliche europäische Seenotrettung gibt. Vielen herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich erteile das Wort unserem heutigen Geburtstagskind, Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meinen Geburtstag habe ich seinerzeit 2001 tatsächlich in den USA verbracht und nicht so gute Erinnerungen daran. Danke, dass ich meinen Geburtstag heute in der Runde von Kolleginnen und Kollegen begehen darf. Viele von Ihnen haben heute die Besorgnis kundgetan, dass die internationale regelbasierte Ordnung unter Druck steht. Diese Besorgnis sollten wir wenden und es als unsere Aufgabe verstehen, als Aufgabe Deutschlands in Europa, als Aufgabe der Europäischen Union, uns sehr stark für den Erhalt und die Wiederherstellung der regelbasierten internationalen Ordnung einzusetzen – für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, freien Welthandel, aber auch für koordinierte Entwicklungszusammenarbeit –, und wir sollten unsere Kraft dafür einsetzen, dass die, die in den letzten Jahren davon abgewichen sind, auf den Pfad der regelbasierten Ordnung zurückgeführt werden. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte das am Beispiel Russlands deutlich machen. Putin hat im Juli 2018 in London kurz vor dem G-20-Gipfel sehr deutlich gesagt, der Liberalismus sei abgenutzt. Lassen Sie uns das als Ermahnung begreifen. Aber er ist nicht abgenutzt; vielmehr müssen wir uns neu sortieren. Lassen Sie mich drei Herausforderungen ansprechen, mit denen uns Russland konfrontiert und über deren Umgang auch in diesem Hause keine Einigkeit erzielt werden kann. Die erste der drei Herausforderungen ist aus meiner Sicht der Mythos, dass Russland in einer Opferrolle sei, weil ost- und mitteleuropäische Staaten sich für NATO und EU entschieden haben. Dem sollten wir – und das ist die feste Auffassung der Union – gegenhalten. Es gibt die Charta von Paris, der sich auch Russland angeschlossen hat, und in der es heißt: freie Bündniswahl und territoriale Unversehrtheit. Das ist unsere Position gegen dieses Narrativ. ({1}) Das Zweite: Wir sollten uns sehr sorgfältig die russische Sicherheitsdoktrin anschauen. Die russische Sicherheitsdoktrin definiert Sicherheit so: Die Stärkung Russlands geschieht dann, wenn die Sicherheit der Nachbarn geschwächt ist. Das ist nicht unsere Auffassung von kooperativer Sicherheit. Kooperative Sicherheit heißt gleiche Rechte und gleiche Pflichten, und das sollten wir von Russland wieder einfordern. Der dritte Punkt berührt die gesamte Frage der Sanktionen. Hier gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Wir sollten aber eines klarmachen: Die Sanktionen sind die Folgen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine. Wir müssen aber auch daran appellieren, dass die Ukraine das Minsker Abkommen einhält; denn auch dort ist Korruption zu bekämpfen und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Aber das darf nicht Anlass für Russland sein, nichts zu tun und den Minsker Prozess zum Erlahmen zu bringen. ({2}) Deshalb: nicht die Sanktionen aussetzen und Russland damit belohnen, dass sie beharrlich dagegen gekämpft haben, sondern die Sanktionen koppeln an den Minsker Prozess. ({3}) Ich will natürlich auch Lösungsvorschläge unterbreiten. Wir müssen die drei Herausforderungen bewältigen, aber bisher besteht keine Einigung im Hause darüber, wie das geschehen soll. Unsere Position habe ich eben dargestellt.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Neu.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Kiesewetter, Sie haben gerade mal wieder den Minsker Prozess hervorgehoben und gesagt, dass Russland den nächsten Schritt blockieren würde. Es gibt da ja eine genaue Chronologie. Und gemäß dieser Chronologie wäre Kiew an der Reihe. Gibt es eigentlich Sanktionen Ihrerseits gegen Kiew, weil Kiew den Minsker Prozess blockiert? ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Dr. Neu, ich gebe Ihnen dahin gehend recht, dass beide Seiten gefordert sind. Wir erleben aber, dass in der Ukraine 2 Millionen Menschen binnenvertrieben sind, ihre Heimat verloren haben, dass über 10 000 Menschen ums Leben gekommen sind, dass 35 000 Menschen verletzt wurden und dass es ständig, immer wieder zu Provokationen kommt, ja, beider Seiten; aber nachgewiesenermaßen kam es zu einem Abschuss eines zivilen Verkehrsflugzeugs durch Russland, und Russland wirkt an der Aufklärung nicht mit. Russland schiebt die Verantwortung Richtung Ukraine, statt selbst für Transparenz zu sorgen. Das ist ein Beispiel für das, was ich angeführt habe: Sicherheit bedeutet für Russland Schwächung der Ukraine. – So können wir nicht mit Russland zusammenarbeiten. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, drei Lösungen halte ich für sehr sinnvoll: Erstens. Neben unseren Beiträgen innerhalb der NATO und der Europäischen Union müssen wir in der Lage sein, Vorschläge, die von Russland kamen, aufzugreifen, um einen gemeinsamen Raum transatlantischer Sicherheit zu schaffen. Voraussetzung dafür ist aber wechselseitiges Vertrauen und die Bereitschaft, gegenseitig für Transparenz zu sorgen. Wir wollen also einen transatlantischen Raum der Sicherheit – mit NATO und EU –, der langfristig aber auch Russland offenstehen sollte, wenn es sich bewegt. Zweitens. Wir dürfen die russische Politik des Nullsummenspiels nicht mitmachen. „Nullsummenspiel“ heißt: Des einen Freud ist des anderen Leid, des einen Stärke ist des anderen Schwäche. – Herr Dr. Neu, das zu Ihrer Erinnerung. – Wenn wir dieses Nullsummenspiel aufgeben wollen, dann müssen wir ganz klar sagen: Wir stehen für territoriale Unversehrtheit und für die freie Bündniswahl. Dann können wir auch diesem russischen Narrativ etwas entgegenhalten. Drittens. Es wird immer wieder darüber gesprochen, dass Russland isoliert sei. Ja, Russland hat sich selbst isoliert. Wir sollten in unserer Russland-Politik jedoch aufpassen, nicht etwas zu fördern, was zu einer geopolitischen und geoökonomischen Allianz zwischen Russland und China führen kann. Eine solche Allianz wäre ein Riesenfehler, weil sie erstens nicht die russischen Probleme lösen würde und sie zweitens die Spaltung der Weltgemeinschaft verstärken würde. Die russischen Probleme lösen wir nicht durch Aufhebung der Sanktionen. Diese Probleme kann Russland nur selbst lösen: durch Korruptionsbekämpfung, Beendigung der Staatsoligarchie, Durchsetzung von Menschenrechten und Wirtschaftsreformen. In diesem Sinne glaube ich, dass die Bundesrepublik, die im zweiten Halbjahr des nächsten Jahres die EU-Präsidentschaft übernimmt, eine ganze Reihe von Punkten auf die europäische Agenda setzen kann. Wir als Bundestag sollten das unterstützen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner: der Kollege Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 30 Jahren, am 9. November 1989, ist mit der Berliner Mauer nicht nur die innerdeutsche Grenze gefallen, sondern es ist das Ende des Ostblockes, das Ende der Blockteilung in Europa und weltweit eingeläutet worden. Viele von uns werden sich noch an die Euphorie zu Beginn der 90er-Jahre erinnern. Das Alte, das Trennende war weg, hoffnungsvoll Neues war in Sicht. Vom Ende der Geschichte wurde geschrieben. Demokratie und Wohlstand für die ganze Welt waren die Verheißung. Unsere Nachbarn in Ost- und Mitteleuropa schlossen zu uns auf, schlossen sich der Europäischen Union und dem System kollektiver Sicherheit, der NATO, an. Bisherige Republiken innerhalb der Sowjetunion erkämpften ihre Unabhängigkeit und begannen den Prozess der Staatenwerdung. Doch war die Welt nach 1989 nicht friedlicher, nicht gerechter geworden. Sie war unübersichtlicher geworden. Anstelle der überwundenen Blockkonfrontation kam es zum Clash of Cultures, dem Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen. Hiermit sind die politischen Kulturen, auch die politischen Unkulturen gemeint: Staatenzerfall, Vertreibungen, ethnische Säuberungen wie in Ex-Jugoslawien, Genozide wie 1994 in Ruanda, religiös grundierter Terrorismus in Afghanistan und in Teilen Afrikas, Hass auf westliche Werte und Institutionen wie am 11. September in New York, heute vor 18 Jahren. Dies alles und vieles mehr überschattet das Leben vieler Millionen Menschen bis heute. Die Welt ist immer noch auf der Suche nach neuer Ordnung, neuer Stabilität, nach Sicherheit im Wandel. Als Bundesrepublik sind wir nicht nur Teil des Prozesses, sondern wir können diesen Prozess ganz wesentlich mitgestalten. Dieser Prozess hat neue Akteure, aber auch alte Bekannte. Ich will hier die Volksrepublik China, die Länder Zentralasiens und Russland in den Blick nehmen. Die Volksrepublik China hat wieder ökonomisch, politisch und auch militärisch dahin aufgeschlossen, wo das Reich der Mitte bis vor 200 Jahren gewesen ist: größte Volkswirtschaft, Innovationstreiber und gerade für die Nachbarn nicht immer einfach im Umgang. Angesichts der Bedeutung dieses Landes und des damit verbundenen Gestaltungsanspruches ist es einmal mehr richtig, dass die Bundeskanzlerin China letzte Woche mit einer Wirtschaftsdelegation bereiste. China gewinnt sowohl ökonomisch als auch geopolitisch rasant an Einfluss. Bei den Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz, Blockchain, Internet der Dinge, 5G und Elektromobilität ist China bereits heute die führende Industrienation. China gewinnt auch als Handelspartner für die Europäische Union immer mehr an Bedeutung. In 2018 betrug der gegenseitige Warenaustausch mehr als 600 Milliarden Euro. Der Warenaustausch mit der Bundesrepublik beläuft sich auf etwas mehr als 200 Milliarden Euro. Wie stark Chinas Wirtschaft und Selbstbewusstsein gewachsen sind, zeigt sich auch in der Seidenstraßeninitiative und der Schaffung neuer Finanzinstitutionen wie der Asiatischen Infrastrukturbank und der BRICS Development Bank. Hier verbinden sich ökonomische und politische Strategien. Es sollen neue Absatzmärkte für chinesische Produkte entlang der Landverbindungen durch Zentralasien sowie der Seewege durch den Indischen Ozean erschlossen werden. China baut damit seine transregionale Führungsrolle aus und wird damit auch zu einem Global Player. Als Bundesrepublik und auch als Europäische Union fassen wir diese Seidenstraßeninitiative immer noch mit spitzen Fingern an. Wir verweisen auf Risiken, Überschuldungen und Abhängigkeiten, haben dem aber nur wenig Konkretes entgegenzusetzen. Die neue Zentralasienstrategie der Europäischen Union enthält einige Instrumente wie den partnerschaftlichen Ausbau der Infrastruktur und die Förderung der Konnektivität zwischen Europa und Asien, allerdings kaum Finanzierungen, und es ist noch kein strategischer Ansatz. Es braucht aber eine europäische Strategie zum Dialog mit China über den Raum dieser neuen Seidenstraße. Bilaterale Abkommen zwischen einzelnen EU-Staaten und China können nicht im gesamteuropäischen Interesse sein – auch nicht das Format „16 plus 1“ bzw. „17 plus 1“. Eine gemeinsame Strategie kann zur Verbesserung der regionalen Stabilität, Sicherheit und Zusammenarbeit beitragen, gerade auch unter Einbeziehung der seit fünf Jahren bestehenden Eurasischen Wirtschaftsunion. Auch diese Eurasische Wirtschaftsunion fassen wir noch mit spitzen Fingern an, aber sie hat als Wirtschaftsunion, die neben Kasachstan und Kirgistan auch Russland, Weißrussland und Armenien umfasst, ein wirtschaftliches Erweiterungspotenzial, und sie kann insbesondere die kleineren Staaten aus ihrer Isolation und aus ihren Abhängigkeiten herausführen. Als Europäische Union sollten wir den Dialog mit dieser Eurasischen Wirtschaftsunion suchen und stärken – und das auf gleicher Augenhöhe. Damit bin ich bei Russland. Russlands alleiniger Einfluss im Kaukasus und in Zentralasien ist nach dem Fall der Sowjetunion zurückgegangen. Moskau hat wesentlich an Bedeutung für die fünf zentralasiatischen Staaten verloren, aber es ist nicht bedeutungslos geworden. Genau deshalb ist es klug, Russland einzubeziehen. Der Gedanke einer großen Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok und Schanghai mag heute unrealistisch sein und belächelt werden. Es ist aber eine Vision für eine Welt, die nach den Zusammenbrüchen und Disruptionen der letzten Jahrzehnte auf der Suche nach Stabilität und Ordnung ist. Ich hatte mit den Demonstrationen im Herbst 1989 begonnen. Einer der Sprechchöre damals war: „Visafrei bis Schanghai“. Wir können dies heute als Aufforderung dafür nehmen, China, Zentralasien, Russland und EU-Europa als Zusammengehörendes in den Blick zu nehmen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Grund. – Der letzte Redner zum Einzelplan 05: der Kollege Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Dank an die Parlamentarischen Geschäftsführer beginnen, die es so weise eingerichtet haben, dass zuerst die Fachpolitiker zu diesem Einzelplan sprechen und die Haushälter zum Schluss das letzte Wort haben, ({0}) und ich hoffe, dass wir den Wünschen gerecht werden. Wir haben in den letzten anderthalb Stunden doch manch gute Argumente von der Opposition gehört und sehr viele gute Argumente von der Koalition. Alle drehen sich um das Gleiche: Alle wollen ans Geld. ({1}) Es waren die Sumerer, die das Geld erfunden haben, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn irgendetwas nicht Aufnahme in unseren Haushalt findet, dann ist nicht der Finanzminister Olaf Scholz schuld und auch nicht die Mitglieder des Haushaltsausschusses. Schuld sind die Sumerer, die zwar das Geld erfunden haben, aber einen Fehler gemacht haben: Sie haben zu wenig Geld erfunden. ({2}) So müssen wir mit knappen Mitteln auskommen. Das bedeutet Wirtschaften, eingebunden in den Haushalt des Bundes, der besagt, dass wir ausgeglichene Haushalte haben, dass wir keine neuen Schulden aufnehmen und dass wir keine Steuern erhöhen wollen. Wir haben das jetzt sieben Jahre hintereinander geschafft und wollen das so fortsetzen. Die Zahl Sieben ist, wie die kundigen Thebaner wissen, eine biblische Zahl. ({3}) Das Alte Testament spricht von den sieben fetten Jahren und von den sieben mageren Jahren, also die sieben guten und die sieben schlechten Jahre. Seit 2014 haben wir jetzt sieben gute Jahre, also ausgeglichene Haushalte und null Neuverschuldung. So werden wir das auch die nächsten Jahre machen. Wir möchten das Alte Testament übertreffen, meine Damen und Herren, ({4}) also den sieben guten Jahren noch weitere Jahre – 7 mal 70 ist die andere Zahl im Alten Testament – hinzufügen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Disziplin in unseren Haushalten hat uns viel Gutes gebracht: hohe Beschäftigungsraten, niedrige Arbeitslosigkeit, hohe Steuereinnahmen. Sie gehen nicht heuer im Vergleich zum letzten Jahr zurück. Sie gehen auch nicht im Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 2019 zurück. Damit, sehr geehrter Herr Bundesaußenminister, können wir auch die Aufgaben unserer auf Langfristigkeit angelegten Außenpolitik durchaus finanzieren: in einer friedlichen Welt, in einer gesicherten Umwelt und auch in einem zukunftsfähigen Land. Meine Damen und Herren, unser Bundeshaushalt ist ein Rekordhaushalt; das haben Sie gestern von Herrn Scholz gehört. Auch der Haushalt unseres Auswärtigen Amtes ist ein Rekordhaushalt, was die operativen Mittel anbelangt. Wir zahlen deutlich weniger an die Vereinten Nationen, als das bisher der Fall war. Das Hauptaugenmerk richtet sich bei uns auf das Kapitel für den Frieden und die Stabilität. Wir wenden für die humanitäre Hilfe 1,6 Milliarden Euro auf; ein sehr hoher Betrag, den Herr Hampel und andere angesprochen haben. Sie haben dabei kritisiert, dass das Geld nicht unbedingt sachgemäß ausgegeben werden konnte. Eines muss ich Ihnen sagen, lieber Herr Hampel: Sie müssten einmal in solche Länder wie Jordanien und den Libanon fahren, ({5}) in das Lager Saatari oder in die Bekaa-Ebene, wo Hunderttausende Menschen in Zelten ausharren. Da kann man keinen Buchhalter gebrauchen, der zunächst abgleicht, ob er die Not lindern darf oder nicht. Da sind zackige Leute gefragt, die in der Tat schnell reagieren und die Not, die wir weltweit sehen, lindern können. – Herr Hampel hat eine Nachfrage, die er gerne stellen möchte.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Wenn Sie die gestatten?

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Bitte schön, Herr Hampel. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Lieber Herr Kollege Karl, nur zu Ihrer Information: In den Ländern, die Sie angesprochen haben, war ich, unter anderem übrigens mit der Bundeskanzlerin. Wir haben da eines gelernt – mein Kollege Friesen, der unlängst ebenfalls da war, bringt die Nachricht auch mit –: In diesen Ländern zahlen Sie für einen Flüchtling, um ihn in einem Lager halbwegs gut zu versorgen, monatlich weniger als eine Bruttoarbeitslohnstunde eines Sozialarbeiters in Deutschland, nämlich 32 Dollar. Die Flüchtlinge sagen: Das reicht gerade aus. Das geht. Sind Sie nicht mit uns auch der Meinung, dass es sehr viel sinnvoller wäre, die Milliarden von Herrn Maas – vielleicht in einer abgespeckten Form – zu nutzen, um Flüchtlinge vor Ort zu versorgen und sie nicht bei uns im Land mit Milliarden finanzieren zu müssen? ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist ja aus Kirche und Schule bekannt, dass wir mit unserer Außenpolitik selbstverständlich dazu beitragen, dass Flüchtlinge – wegen Naturkatastrophen, Bürgerkriegen oder sonstigen Konflikten – in ihrer Heimat oder in der Nähe ihrer Heimat bleiben können und wir nach Möglichkeit versuchen, sie dort humanitär unterzubringen. Daher wenden wir dieses viele Geld auf. Da sind wir, meine ich, gar nicht so weit auseinander. Ich habe es vorhin nur in den falschen Hals bekommen, dass Sie das kritisiert haben. Nein, wir erledigen unsere Aufgaben gerade auf diesem Gebiet hervorragend, glaube ich, und so machen wir das auch weiterhin. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben auf dem Gebiet der humanitären Hilfe – um das noch ein bisschen auszuführen – in der Tat in unseren Haushaltsplänen Großartiges gemacht. Im Jahr 2012 hatten wir dafür 105 Millionen Euro eingestellt. Heute ist es das 15-Fache. Vor 13 Jahren – 2006 – hatten wir für die humanitäre Hilfe noch 70 Millionen Euro angesetzt. Heute sind es 1,6 Milliarden Euro; das ist das 25-Fache. Wenn Sie einen flüchtigen Blick in den Haushalt werfen, sehen Sie: Es gibt keine Position, die einen ähnlichen Aufwuchs erfahren hat wie die humanitäre Hilfe, die wir hier beschließen, und ich bitte Sie, sie auch in der Zukunft auf dem gleichen hohen Niveau zu halten, weil wir damit auch im Sinne unserer Humanität das Leid und die Not in der Welt bekämpfen und minimieren, soweit das überhaupt geht. ({1}) Meine Damen und Herren, es bereitet uns keine Freude, den Haushalt für die Nothilfe so hoch anzusetzen, weil wir wissen, dass weltweit große Konflikte herrschen, die unsere Aufmerksamkeit und unser Geld erfordern. Wir hoffen und sind sehr zuversichtlich, dass wir aus diesen vielen Konflikten bald herauskommen. Ein anderer Schwerpunkt in unserem Haushalt ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, sehr geehrter Herr Außenminister, ({2}) die wir über unsere Kulturmittler, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, DAAD und Goethe-Institut, hervorragend betreiben. Ich denke nur an das Deutschland-Jahr in Amerika im letzten Jahr, als wir dort mehr als 1 000 Veranstaltungen mit 250 Partnern durchgeführt haben. Ich selbst konnte die deutschen Auslandsschulen in New York und Mexiko besuchen: hervorragende Zeugnisse unserer Kulturarbeit, die wir dort leisten. Gerade die Schüler dieser Gymnasien – es beginnt mit dem Kinderhort und der Grundschule und geht schließlich hinauf bis zum Gymnasium – sind auch gewillt, nach Deutschland zu kommen, hier zu studieren und den Fachkräftemangel mitzubeheben. Insbesondere merken sie auch, dass es bei uns in Deutschland keine Schulgebühren und keine Studiengebühren gibt. Das ist etwas anderes, als 50 000 Dollar in Amerika zu bezahlen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe noch 41 Sekunden.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das glaube ich nicht.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hier steht: 41.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Aber minus. ({0}) Letzter Satz, Herr Kollege. ({1})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerade jetzt würde das Spannende kommen, Herr Präsident. Ich fasse es in einem letzten Schachtelsatz zusammen. – Ich möchte Ihnen, lieber Herr Außenminister, für die stetige Einsatzbereitschaft in unserer Außenpolitik danken. ({0}) Wir haben viele Aufgaben auf der Welt, ich weiß. Sie sind nicht der Maas aller Dinge in der Welt, aber wir bemühen uns alle: wir, Sie in der aktuellen Politik und wir in unserem Haushalt. Vielen herzlichen Dank, lieber Herr Präsident. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Sehr schön. – Das war jetzt die letzte Wortmeldung zu diesem Einzelplan. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, sodass ich die Aussprache schließen kann.

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages! Die Bundeskanzlerin beschrieb heute Morgen die Situation in der Welt, und sie hat zu Recht über den deutschen Beitrag zu den großen politischen Fragen gesprochen. Wir sind eine der größten Volkswirtschaften der Welt, eine der führenden Kräfte in Europa. Wir müssen und wir können durch überzeugende Politik Antworten geben zum Klimaschutz, zur globalen Migration, zur Digitalisierung. Deutschland kann und darf sich aus der Mitgestaltung der Welt nicht zurückziehen und sich dann vielleicht sogar noch darüber beschweren, dass über unsere Köpfe hinweg und gegen unsere Interessen Entscheidungen getroffen werden. Das gilt sicherlich auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. In Syrien werden weiterhin Städte bombardiert, in Afghanistan verüben Taliban neue Anschläge, Russland hat nach wie vor völkerrechtswidrig die Krim annektiert, China weitet seinen Einflussbereich aus, und der Iran beeinträchtigt die freien Seewege. ({0}) Multilateralismus, Demokratie, Freiheit, die Achtung der Menschenrechte, friedlicher Handel zum gemeinsamen Nutzen – all das ist in Gefahr. Und das geht uns in Deutschland etwas an. Wir können nicht achselzuckend wegschauen. Wir können nicht nur darauf hoffen, dass andere dafür sorgen, dass wir in Deutschland sicher und gut leben können. ({1}) Deutschland braucht eine rechtmäßige internationale Ordnung, braucht freien, regeltreuen internationalen Handel, braucht ein stabiles, sicheres Europa. Das ist unser Interesse. Deswegen bringen wir uns ein – diplomatisch, aber auch, ja, mit dem Mittel und dem Einsatz unserer Bundeswehr. Deswegen gestalten wir die Welt gemeinsam mit unseren Partnern mit einem klaren Kompass – in der EU, in der NATO und derzeit auch als Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor drei Wochen war ich im Irak und in Jordanien. Ich freue mich, dass ich an der Stelle auf der Pressetribüne Soldaten vom Einsatzführungskommando in Potsdam willkommen heißen darf. ({2}) Einige Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus waren dankenswerterweise bei der Einsatzreise mit dabei. Ich glaube, hier spreche ich für alle: Wir alle waren tief beeindruckt von unseren Soldatinnen und Soldaten vor Ort, ihrer Professionalität, ihrer Leistungsbereitschaft. Es ist mir noch einmal sehr bewusst geworden, dass es in diesem Kampf, in diesem Einsatz im Kern um den Kampf gegen den menschenverachtenden Terrorismus des „Islamischen Staates“ geht. Das sollte uns gerade heute, dem Tag, an dem vor 18 Jahren Tausende Menschen in New York und anderen Stellen in den Vereinigten Staaten einem solchen Terror zum Opfer gefallen sind, bewusst sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe im Irak Opfer dieses Terrors getroffen: Jesidinnen; Frauen, deren Familie vor ihren Augen abgeschlachtet wurde; Frauen, die versklavt, die verschleppt, die vergewaltigt worden sind; Frauen, die sich für ihre Heimat sehnlich das wünschen, was für uns hier selbstverständlich ist: sicher zu leben, ihre Familie ernähren zu können, einen Arzt und eine Schule für ihre Kinder zu haben. Auch für diese Frauen sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr dort im Einsatz. Dafür bin ich von Herzen dankbar. ({3}) Unsere Bundeswehr tut damit Gutes. Sie dient unserer Sicherheit, und sie tut dies mit den aktiven Soldatinnen und Soldaten, aber auch mit den Reservisten und den Veteranen. Sie tut dies mit höchstem Engagement, indem sie unsere Partner unterstützt – aktuell zum Beispiel in Mali –, indem sie unser Bündnisgebiet schützt – zum Beispiel in Litauen –, und sie tut dies hier in Deutschland, in unserer Heimat. Sie tut dies, indem sie rasch und unkompliziert hilft, sei es bei Schneechaos in Bayern oder aktuell beim Schutz des Waldes in Deutschland oder auch jetzt im humanitären Sinne nach dem großen Sturm auf den Bahamas, zusammen mit Kameradinnen und Kameraden aus den Niederlanden und aus Frankreich. ({4}) Der Bundesfinanzminister hat gestern in einem anderen Zusammenhang gesagt: „Weil wir es können.“ Was die Bundeswehr kann, kann sie aufgrund unserer Soldatinnen und Soldaten. Sie dienen Deutschland. ({5}) Es liegt an uns, ihnen die richtigen Rahmenbedingungen für ihr Können zu geben. Deswegen ist es eine gute Nachricht – und dafür bedanke ich mich –, dass der Verteidigungshaushalt steigt, nach dem vorliegenden Entwurf im Jahr 2020 auf rund 45 Milliarden Euro. Das sind 1,7 Milliarden Euro mehr als in diesem Jahr – gut investiertes Geld für unser aller Sicherheit. ({6}) – Nein, es ist nicht zu viel. Das kann nur jemand sagen, der den Luxus hat, in Sicherheit und in Frieden und Freiheit hier leben zu können. Das muss jeden Tag verteidigt werden, und das kostet Geld. ({7}) Wir setzen, meine sehr geehrten Damen und Herren, den Trend fort, und wir können damit auch die Stärkung unserer Bundeswehr fortsetzen. Der schwere Transporthubschrauber, das Mehrzweckkampfschiff 180, die Tranche 4 des Eurofighters, diese wichtigen Projekte können wir jetzt angehen. Aber klar ist auch: Dieser Anstieg in 2020 alleine genügt nicht. Wir müssen ihn mittelfristig verstetigen. Denn wenn es bei den jetzigen Planungen bleibt, sind wesentliche Projekte gefährdet, Projekte wie etwa die Nachfolge des Tornados, die ja auch und zu Recht der Wehrbeauftragte dringend angemahnt hat, Projekte wie die U-Boot-Kooperation mit Norwegen, um deren Bedeutung alle Fachpolitiker wissen, unabhängig vom Parteibuch, und auch die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten. Zum Beispiel wäre die umfassende Versorgung mit Nachtsichtbrillen bei der jetzt vorgesehenen Planung nicht umzusetzen. Ich glaube, wir müssen deshalb noch einmal darüber reden. Denn wer für unser Land den Kopf hinhält und wer von diesem Parlament, von Ihnen, in einen Einsatz geschickt wird, der hat auch einen Anspruch darauf, dass er die vollständige und beste Ausstattung bekommt. ({8}) Das hat etwas mit Sicherheit zu tun. Deswegen ist der Anteil von 1,5 Prozent in den nächsten Jahren und auf lange Sicht von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, den wir brauchen, nicht vom Himmel gefallen, und er ist auch nicht herbeigetwittert worden, sondern wir haben uns selbst dazu verpflichtet auf der Grundlage sorgfältiger militärischer Planungen, die Sie ja eng begleitet haben, und mit der Verankerung in unserem nationalen Fähigkeitsprofil. Diese Planung fügt sich nahtlos in den NATO-Planungsprozess ein. Dahinter steht die Idee, dass jeder nach seinen Kräften zur gemeinsamen Sicherheit beiträgt, damit am Ende alle haben, was wir gemeinsam brauchen. So wie Polen Panzer bereitstellt, Estland exzellente Cyberfähigkeiten einbringt, Frankreich und Italien auch künftig modernste Fregatten bereitstellen, so müssen auch wir unseren Beitrag leisten. Wenn wir das nicht tun, dann verlieren nicht nur wir, sondern alle im Bündnis diese Fähigkeiten, und damit gefährden wir unsere Sicherheit; denn es ist die konkrete Solidarität von der Planung bis zum Einsatz, die auch den Menschen in Deutschland nützt. Das setzt voraus, dass das, was gebraucht wird, schneller, einfacher, zielgenauer bei den Soldatinnen und Soldaten ankommt. Ich habe hohen Respekt vor dem, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem zuständigen Amt, aber auch quer durch die Bundeswehr leisten. Immerhin ist es trotz Personalknappheit und Lieferverzögerungen der Industrie in den vergangenen fünf Jahren gelungen, das bewilligte Geld vollständig und auch verantwortungsbewusst auszugeben. ({9}) Trotzdem wollen und müssen wir gerade bei der Beschaffung noch besser werden, so wie es der Expertenrat und die Taskforce gemeinsam mit Vertretern aus den Personalvertretungen aufgezeigt haben, ({10}) übrigens unter engagierter und fachkundiger Mitwirkung von Mitgliedern dieses Hauses. Herr Dr. Brandl, Herr Gädechens, Herr Hitschler, Herr Rohde, Frau Wiesmann, vielen Dank dafür! Das waren wertvolle Beiträge. ({11}) Jetzt, meine sehr geehrten Damen und Herren, vermeiden wir eine erneute, groß angekündigte große Reform, lähmende Umbauten. Aber die Vorschläge, auch aus diesem Haus, zeigen, wie man an wichtigen Stellschrauben klug drehen kann, um den Prozess zu beschleunigen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben Vertrauen in unsere Soldatinnen und Soldaten, und unsere Soldatinnen und Soldaten müssen uns vertrauen und sich auf uns verlassen können. Dafür brauchen sie die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und entsprechende Einsatzbedingungen. Das ist auch eine Frage der Wertschätzung des Dienstes, den unsere Soldatinnen und Soldaten leisten, so wie es Wertschätzung ist, dass sie ab 1. Januar des nächsten Jahres in Uniform kostenlos mit der Bahn fahren können, ({12}) so wie es Wertschätzung ist, dass wir am 12. November dieses Jahres, dem Geburtstag der Bundeswehr, nach acht Jahren endlich wieder hier vor dem Reichstag ein feierliches Gelöbnis erleben können. Ich lade Sie, werte Abgeordnete des Deutschen Bundestages, dazu schon jetzt recht herzlich ein. ({13}) Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen setzen, ein Zeichen dafür, dass wir den Dienst wertschätzen, den unsere Soldatinnen und Soldaten tagtäglich hier in Deutschland und überall für unsere Sicherheit leisten! ({14}) Es sind Männer und Frauen, es sind Staatsbürger in Uniform aus der Mitte der Gesellschaft, sie sind Teil der Gesellschaft, sie gehören zu uns, und wir alle können stolz auf sie sein; ({15}) ich zumindest bin es. Vielen Dank. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der nächste Redner: für die AfD-Fraktion der Kollege Rüdiger Lucassen. ({0})

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! 44,9 Milliarden Euro – so viel Geld für Verteidigung wie noch nie! Und jetzt: Die CDU nimmt diese Summe als Beleg, dass sie die Bundeswehr wieder einsatzbereit machen will. 44,9 Milliarden Euro – diese Zahl zeigt vor allem eines: Sie zeigt, wie groß der Schaden ist, den Union und SPD der Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten zugefügt haben; ({0}) denn trotz dieses hohen Betrages hat Deutschland eine Armee, die ihren Auftrag, die Landes- und Bündnisverteidigung, nicht erfüllen kann. ({1}) Meine Damen und Herren von der CDU, wer ist aus Ihrer Sicht für diesen Schaden verantwortlich? Die Soldaten sicherlich nicht; da werden Sie mir zustimmen. Sie dienen treu und folgen ihrem Eid. Der Kommandeur eines Panzergrenadierbataillons kann nur dann einen schlagkräftigen Verband führen, wenn er alle Schützenpanzer hat, die ihm gemäß Soll zustehen. Das ist in keinem Bataillon der Bundeswehr der Fall. Trägt die wehrtechnische Industrie Schuld am desolaten Zustand der Truppe? Nein; denn wenn ein Panzerbauer eine rechtzeitige Auftragserteilung und ausreichende Exportgarantien hat, also Planungssicherheit, dann baut er Panzer. In ihrer Erklärungsnot schieben einige von Ihnen gern die Schuld auf Ex-Minister: Jung, Guttenberg, de Maizière. Und einer, ich glaube, jemand von der SPD, nannte auch den Namen von der Leyen, um das Desaster zu erklären. Aber, meine Damen und Herren, Sie alle – Sie alle! – hängen da mit drin, und Sie haben zu jeder Zeit und unter jedem Ihrer Minister all das mitgetragen und so die Bundeswehr zerstört. ({2}) Ich will Ihnen die Dimension Ihres Versagens einmal verdeutlichen. Die israelischen Streitkräfte haben 170 000 Soldaten – ungefähr so viel wie die Bundeswehr. Die Anzahl der Schiffe, U-Boote und Flugzeuge ist auch ungefähr gleich. Bei der Zahl der Kampf- und Schützenpanzer liegt Israel sogar deutlich vorn. ({3}) Israel hat 2 760, Deutschland gerade einmal 900, jedenfalls auf dem Papier, ({4}) nicht in den Kasernen. Die israelischen Streitkräfte gelten als die schlagkräftigsten im gesamten Nahen Osten. ({5}) Das müssen sie auch sein; denn die Existenz des Staates hängt davon ab. Der Verteidigungsetat Israels hingegen liegt bei 14,5 Milliarden Euro. Das ist gerade mal ein Drittel vom deutschen. Die Frage lautet also: Wie schafft es diese Bundesregierung, dreimal so viel Geld auszugeben wie das kleine Israel und damit ein so beschämendes Zeugnis der deutschen Verteidigungspolitik vorzulegen? ({6}) – Nein, das haben Sie nicht richtig verstanden. ({7}) Die Bundesregierung geht außerordentlich schlecht mit dem Verteidigungsetat um. In der heutigen Ausgabe der „Welt“ konnten wir wieder lesen, wie schlecht. Die bundeseigene BW Bekleidungsmanagement GmbH hat offenbar einen satten Millionenbetrag in den Sand gesetzt, weil sie ein IT-Konzept bestellt hat, ohne zu wissen, wofür – Steuergeld, ({8}) nicht ihr Geld, das Geld der Bürger unseres Landes. Die CDU/CSU-Fraktion will ausgerechnet mit dieser unfähigen Staats-GmbH neue Ausgehuniformen beschaffen, entworfen von Designern und Historikern. Ehrlich gesagt, mir graut es vor dem Ergebnis. ({9}) Aber noch wesentlich schlimmer ist: Mitten in der schwersten Krise, die die Bundeswehr je durchlebt hat, beschäftigt sich die Union mit Ausgehbekleidung – im CDU-geführten BMVg geht es zu wie im Tollhaus. ({10}) Meine Damen und Herren, die Regierung hat das Fundament der Bundeswehr zerstört: Das Großgerät ist weitgehend verbraucht, die Ersatzteillager wurden geplündert. Liegenschaften wurden zu Spottpreisen verschleudert, Kernbereiche des Militärs privatisiert und dann teuer wieder zurückgekauft. Die Munitionsdepots wurden leergeschossen, keiner hat sie wieder aufgefüllt. Und die großen Beschaffungsvorhaben wurden so lange verzögert, dass heute riesige Fähigkeitslücken drohen oder sogar schon vorhanden sind. – Das ist die Bilanz der schwarz-roten Verteidigungspolitik. ({11}) Deswegen brauchen wir heute große Steigerungsraten beim Verteidigungsetat: nicht wegen der 2-Prozent-Vereinbarung, sondern um den enormen Schaden zu reparieren, den die Regierung angerichtet hat. Das ist Reparaturgeld, um den Motorschaden zu beheben, weil Sie die letzten Jahrzehnte keine Inspektionen durchgeführt haben. Meine Damen und Herren, wir brauchen eine sicherheitspolitische Strategie für Deutschland, wir brauchen einen militärpolitischen Aufbauplan für die Bundeswehr, zum Beispiel -

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Rüdiger Lucassen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004807, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

– kurze, kürzere Innovationszyklen und damit kürzere Nutzungszeiten von Großgerät, einen Führungsanspruch bei internationalen Projekten und eine realistische Analyse der demografischen Gegebenheiten. Diesem Anspruch wird Ihr Haushalt in keiner Weise gerecht. Danke. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Fritz Felgentreu. ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Semper talis, das Motto des Wachbataillons, passt auch zu dem Regierungsentwurf für den Verteidigungshaushalt: Wir folgen damit zuverlässig den Linien, die seit der Rückkehr der SPD in die Regierung für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik maßgeblich sind. Zum sechsten Mal in Folge wird der Bundestag mehr Geld bereitstellen, damit die Bundeswehr ihre Aufgaben bei Einsätzen und in der Bündnis- und Landesverteidigung erfüllen kann – und damit sie auf zukünftige Herausforderungen gut vorbereitet ist. Nachdem wir im laufenden Haushaltsjahr den Verteidigungshaushalt mit einer so noch nie dagewesenen Anstrengung um 4,7 Milliarden Euro erhöht haben, werden wir im kommenden Jahr eine weitere Steigerung um 1,7 Milliarden Euro erreichen. Die Koalition stellt sich mit großer Ernsthaftigkeit und Stetigkeit der Herausforderung, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr in der gesamten Breite ihres Auftrags wiederherzustellen. Dass das auch notwendig ist, bedarf immer wieder der Begründung. Ich verstehe alle, denen es keinen Spaß macht, mehr Geld für Panzer, Kriegsschiffe und Raketen auszugeben – jeder Euro, der in Verteidigung fließt, steht für Bildung, Umwelt oder Sozialstaatsaufgaben eben nicht zur Verfügung. ({0}) Aber, meine Damen und Herren, wir leben in einer Welt, in der schon immer militärische Gewalt eingesetzt worden ist, um politische Interessen durchzusetzen, auch heute geschieht das, auch auf unserem Kontinent. Es ist ein in unserer Geschichte einmaliges Glück, dass wir Deutschen seit nunmehr fast 75 Jahren in Frieden leben. Es sollte uns mit Staunen erfüllen, dass wir überzeugt sind, wir können diesen Frieden mit einer Armee bewahren, die aus nicht einmal 200 000 Soldatinnen und Soldaten besteht. Dieses Glück ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist das Ergebnis harter kontinuierlicher Arbeit. Wir verdanken es zum einen der Europäischen Union. Durch sie ist es gelungen, den alten Grundsatz der Geopolitik zu überwinden, der lautet: Mein Nachbar ist mein Feind; der Nachbar meines Nachbarn ist mein Verbündeter. – Das Misstrauen, das sich in diesem Grundsatz ausdrückt, hat sich in Vertrauen auf gute Nachbarschaft gewandelt. Und wir verdanken es zum anderen der NATO: Durch sie können die Länder Europas, obwohl sie alle nur kleine Armeen unterhalten, dennoch ihre Wehrhaftigkeit nach außen garantieren. Die NATO ist das erfolgreichste Verteidigungsbündnis, das es je gegeben hat. ({1}) Kein anderer Staat greift ein NATO-Land an. In einer Welt, in der militärische Gewalt ein Mittel der Politik geblieben ist, ist die Fähigkeit zu glaubwürdiger Abschreckung ein Wert an sich. Aber weder die NATO noch die Europäische Union sind unerschütterlich. Was sie leisten, muss verteidigt, debattiert, erklärt und weiterentwickelt werden. Ihr Erfolg ist kein Naturgesetz. Das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union steht unmittelbar bevor; das wird sie schwächen. Die gegenwärtige amerikanische Regierung stellt den Zusammenhalt der NATO infrage. Umso wichtiger ist es, dass wir Europäer uns entschieden haben, unsere Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet von Sicherheit, Rüstung und Verteidigung zu vertiefen. Fortschritt hin zu einer gemeinsam getragenen europäischen Sicherheit ist nicht nur möglich. Wir gestalten ihn – nicht um die NATO zu ersetzen, sondern um sie zu ergänzen. ({2}) Deshalb, meine Damen und Herren, muss die Bundeswehr in die Lage versetzt werden, ihren Auftrag in vollem Umfang zu erfüllen. Dazu gehören die Auslandseinsätze, die dieses Haus immer wieder mandatiert. Dazu gehören die Verpflichtungen im Rahmen der NATO, zum Beispiel das NATO-Bataillon in Litauen, das neue Logistikkommando in Ulm oder die NATO-Speerspitze, eine Brigade, die binnen fünf Tagen an jeden Brennpunkt in Europa verlegbar sein muss. Und dazu gehören in wachsendem Umfang die gemeinsamen Projekte der Europäischen Union. All das kostet Geld. Für die SPD ist deshalb klar: Wenn wir unsere Sicherheit auf eine so kleine Armee stützen, dann muss diese kleine Armee wenigstens voll ausgestattet sein. ({3}) Wir haben ein 100-Prozent-Ziel bei Personal, Waffen und Ausrüstung. Gute Ausrüstung, die in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht, ist auch entscheidend dafür, dass Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst als sinnvoll erleben. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, von diesem Ziel sind wir auch im siebten Jahr der großen Koalition immer noch zu weit entfernt. ({4}) Hinzu kommt: An vielen Standorten ist die Infrastruktur marode. Auf meiner Sommerreise habe ich – übrigens ausschließlich in den alten Bundesländern – Kasernen gesehen, deren Bausubstanz seit über 50 Jahren nicht mehr grundsaniert worden ist. Unabweisbar notwendige Baumaßnahmen verzögern sich, unter anderem, weil personell unterbesetzte Landesbauämter andere Prioritäten haben als die Bedürfnisse der Bundeswehr. Der Deutsche Bundestag hat seine Hausaufgaben gemacht. Jetzt erwarten wir auch Ergebnisse. Die Bundeswehr muss ihre Infrastruktur weiter modernisieren, und zwar schnell und effektiv. Ausrüstung und Waffen müssen schneller beschafft werden. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir schneller werden wollen, indem wir auf langwierige Ausschreibungen verzichten, wo es das europäische Recht zulässt. Liebe Frau Ministerin, bitte machen Sie Druck auf Ihren Kollegen Peter Altmaier, damit das Wirtschaftsministerium dazu endlich etwas vorlegt. Im Unterschied zur AfD – wie wir eben gehört haben – schämen wir uns nicht für die Bundeswehr. ({5}) Wir sind stolz auf sie und auf das, was die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Mitarbeiter leisten. ({6}) Aber sie alle brauchen sichtbaren Fortschritt. Eine letzte Anmerkung. Mit dem Haushalt 2020 steigt die sogenannte NATO-Quote auf 1,37 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch hier sind wir auf einem guten Weg. Worauf es aber ankommt, ist die Vollausstattung der Bundeswehr, und die erreichen wir nur, wenn wir auch in Zukunft den Wachstumskurs fortsetzen. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner ist für die FDP-Fraktion der Kollege Karsten Klein. ({0})

Karsten Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004780, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem: Sehr geehrte Frau Bundesverteidigungsministerin! Heute startet ja Ihr Job so richtig mit der Einbringung des Etats. Jetzt geht es also wirklich ans Eingemachte. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Ihnen eine gute Zusammenarbeit anzubieten, sicher eine konstruktiv-kritische – das ist für uns Liberale ja ein roter Faden –, aber vor allem eine unvoreingenommene. Wir werden Sie nicht daran messen, was jetzt viele geschrieben haben, sondern daran, in welcher Art und Weise Sie diese Zusammenarbeit führen werden, und vor allem an Ihren Taten. Denn ergebnisoffen stellen wir uns diese Zusammenarbeit natürlich nicht vor. Wir haben klare Erwartungen an Sie als Verteidigungsministerin. Die erste Erwartung – da werfe ich einen Blick auf die Einnahmeseite – betrifft natürlich die NATO-Quote. Die Kanzlerin – sie hat es heute noch mal wiederholt –, Ihre Vorgängerin, aber auch Sie selbst haben den Partnern versprochen, dass wir 1,5 Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Für uns Freie Demokraten ist klar: Der Zustand der Bundeswehr, aber vor allem unsere Sicherheit machen es zwingend erforderlich, dass wir kontinuierlich einen Aufwuchs bei den Verteidigungsausgaben vollziehen. ({0}) Aber, Frau Ministerin, Sie müssen Ihren Ankündigungen auch endlich Taten folgen lassen. Wenn man sich die aktuelle Situation, die Realität, anschaut, dann stellt man fest, dass es leider andersherum ist: Zwar steigen die Ausgaben im Haushalt 2020 auf 1,39 Prozent des BIPs; aber in der mittelfristigen Finanzplanung, bis zum Ende des Zeithorizonts, fällt diese Quote eben auf 1,25 Prozent ab. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie den Bürgerinnen und Bürgern, den Soldatinnen und Soldaten, aber vor allem auch unseren Partnern bei der NATO versprochen haben. ({1}) Wenn man das Ganze in Zahlen ausdrückt, reden wir, je nach Wirtschaftsleistung, die man zugrunde legt, von einer Differenz von bis zu 10 Milliarden Euro. Das sind ja keine kleinen Beträge. Da hilft es wenig, wenn die Kanzlerin den Eindruck erwecken möchte, dass die mittelfristige Finanzplanung nicht so ernst zu nehmen sei. Ihr Haus zeigt, dass die Wahrheit eine andere ist: Gerade die großen Rüstungsprojekte brauchen eine langfristige, solide, nachhaltige Finanzierung. Deshalb brauchen wir eine nachhaltige Planung, und wir erwarten von Ihnen auch, Frau Ministerin, dass Sie die Wende bei der Mittelausstattung im Bereich des Verteidigungsministeriums einleiten, und zwar nachhaltig. ({2}) Aber – damit komme ich zur zweiten Erwartungshaltung –: Diese Mittelausstattung an sich ist ja kein Selbstzweck, sondern sie hilft nur, wenn die Mittel oder – besser noch – das Material nachher auch bei der Truppe, bei den Soldatinnen und Soldaten ankommt. Deshalb ist die zweite Erwartung ganz klar: Wir möchten, dass Sie das Beschaffungswesen der Bundeswehr wieder auf Zack bringen. Fregatte 125: über Jahre verspätet; ferner ist kein Ausbildungszentrum vorhanden; der Puma kann nur bei der Ausbildung, aber nicht sonst eingesetzt werden; von unseren 53 Tiger-Hubschraubern waren im letzten Jahr im Durchschnitt nur 11,6 einsatzbereit. Allein diese kurze Aufzählung, die ich noch lange fortführen könnte, zeigt, welchen großen Problemen und Herausforderungen Sie auch im Bereich des Beschaffungswesens gegenüberstehen. ({3}) Die Reaktionen aus Ihrem Haus sind bisher leider in die falsche Richtung gegangen. Ab diesem Jahr wird im Rüstungsbericht keine Auskunft mehr über die Einsatzbereitschaft der Waffensysteme gegeben. Das ist die falsche Botschaft, um mit so einem Problem umzugehen. Frau Ministerin, was wir als Freie Demokraten auf gar keinen Fall akzeptieren werden, sind Einschränkungen der parlamentarischen Kontrollrechte. Das Problem des Beschaffungswesens der Bundeswehr liegt nicht in diesem Haus, sondern in Ihrem Haus, und dort ist es auch zu lösen. Die dritte Erwartung, die ich ansprechen möchte, betrifft Cyber. Sie sind darauf kurz eingegangen. Unsere Partnernationen Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika haben schon frühzeitig umfangreiche Mittel zur Verfügung gestellt, um sich dieser neuen Herausforderung entgegenstellen zu können. Wir müssen da deutlich mehr machen; wir müssen in diesem Bereich nachziehen, vor allem mit Blick auf Nationen dieser Welt, die uns nicht so freundschaftlich gesinnt sind. Deshalb, Frau Ministerin, fordern wir Sie auf: Schließen Sie diese nationale Sicherheitslücke, und zwar möglichst zeitnah! ({4}) Ein letzter Bereich, den ich ansprechen möchte, ist die Art und Weise, wie in Ihrem Haus Entscheidungsprozesse und vor allem Kontrollsysteme funktionieren. Ich möchte jetzt nicht weiter auf die „Gorch Fock“ eingehen, aber vielleicht schauen Sie sich das noch einmal näher an. Ein anderes Beispiel ist die aktuelle Berichterstattung im Bereich des Bekleidungswesens. Das alles zusammengefasst macht deutlich: Es herrscht durchaus ein Kontrollverlust in Ihrem Ministerium. Wir erwarten, dass Sie die Kontrolle wieder ins Haus zurückholen. Das wird eine der härtesten Aufgaben. Uns haben Sie bei dieser Sache an Ihrer Seite. Aber Sie müssen liefern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Klein. – Der nächste Redner: für die Fraktion Die Linke der Kollege Michael Leutert. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, zuallererst möchte ich Ihnen ganz persönlich viel Glück für das neue Amt wünschen. Sie wissen, dass Sie sich hier auf schwierigem Gelände bewegen. Für die meisten Ihrer Vorgänger endete die politische Karriere auf diesem Stuhl, bei vielen durch Rücktritt, bei anderen einfach, indem danach nicht mehr viel passiert ist. Es gibt eigentlich nur drei Verteidigungsminister in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die dann noch aufgestiegen sind. Der eine war Manfred Wörner – er ist danach NATO-Generalsekretär geworden –, der andere Helmut Schmidt – er ist Kanzler geworden –, und der dritte war Franz Josef Strauß, der dann Ministerpräsident in Bayern geworden ist; ihn nenne ich, weil das ja ähnlich einer Kanzlerschaft ist. ({0}) – Ursula von der Leyen war gemessen an den Kriterien „Amtszeit und Aufstieg“ die erfolgreichste Verteidigungsministerin, zumindest in der Ära Merkel. Aber sie befindet sich da in ganz guter Gesellschaft. Sie, Frau Ministerin, wollen ja in kurzer Zeit ein ähnliches Kunststück vollbringen. Ich bin sehr gespannt, wie das ausgeht. Jetzt müssen Sie hier allerdings erst einmal einen Haushalt verantworten, der noch die Handschrift Ihrer Vorgängerin trägt. Global kann man Folgendes feststellen: Ihr Haus bekommt im nächsten Jahr 1,7 Milliarden Euro mehr. Es sind dann insgesamt 45 Milliarden Euro, die Sie zu verantworten haben. Wenn die Koalition noch bis 2021 hält und sich an dem Finanzplan orientiert, bedeutet das, dass die Bundeswehr in dieser Legislaturperiode, gemessen an 2017, 23 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestellt bekommen hat. Das ist schon ein großer Schluck aus der Pulle. Wir müssen aber feststellen – der Kollege Klein hat es gerade detailliert beschrieben –, dass die Probleme trotzdem nicht gelöst worden sind. Wir haben immer noch das Problem, dass die Gerätschaft nicht fliegt, nicht schwimmt oder nicht fährt. Das heißt also, es gibt ein strukturelles Problem in Ihrem Haus. Und dieses strukturelle Problem wird eben nicht gelöst, indem man immer mehr Geld obendrauf gibt. Es muss anders gelöst werden. Wenn ich einmal darauf hinweisen darf: Wir hatten gerade die Debatte zum Haushalt des Auswärtigen Amtes. Da wird um jeden Cent gefeilscht. Wenn wir nur ein Drittel Ihres Mittelaufwuchses in die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik stecken würden, könnten wir einen wesentlich besseren und größeren außenpolitischen Effekt erzielen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Hier, in diesem Saal, wird darüber entschieden, in welche Auslandseinsätze sie geschickt wird. Deshalb haben die Abgeordneten eine ganz besondere Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Punkte ansprechen, die uns überhaupt nicht viel Geld kosten würden. Das Erste sind die Militärseelsorger. Seit Langem drängen wir darauf, dass es in der Bundeswehr auch Seelsorger für nichtchristliche Soldatinnen und Soldaten geben muss. Ich habe mich gefreut, dass Ihre Vorgängerin im April dieses Jahres schriftlich mitgeteilt hat, dass es ab sofort auch Militärrabbiner und muslimische Seelsorger in der Bundeswehr geben wird. Dafür benötigen wir allerdings eine finanzielle Absicherung. Das ist aber nicht erkennbar im Haushalt; der Titel stagniert bei 1,8 Millionen Euro, und in den Erklärungen sind lediglich die evangelischen und katholischen Militärseelsorger benannt. Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist etwas schwieriger. Die Bundeswehr ist Teil unserer Gesellschaft; sie existiert nicht im luftleeren Raum. Und dass wir in unserer Gesellschaft seit geraumer Zeit ein massives Problem mit Rechtsextremismus haben, wissen wir spätestens seit den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. ({2}) Es ist ein Tabubruch, dass in Brandenburg offen agierende Neonazis, Faschisten, in das Landesparlament gewählt worden sind. Ich spreche nur den Fraktionsvorsitzenden der AfD in Brandenburg, Herrn Kalbitz, an. Dessen Vita ist so gruselig; schauen Sie sich die einmal an. Er ist mit NPD-Funktionären in Griechenland gewesen. Dort wurde die Hakenkreuzflagge gehisst. Er hat an Camps der Heimattreuen Jugend, abgekürzt HJ, teilgenommen. Und im Übrigen ist er auch von 1994 bis 2005 in der Bundeswehr aktiv gewesen. ({3}) In dieser Zeit ist in seiner Abteilung der sogenannte Führergeburtstag gefeiert worden mit Reichskriegsflagge und NS-Musik. ({4}) Der Kommandeur ist dann entlassen worden. Der Nachfolger wollte der Sache auf den Grund gehen; er hat Morddrohungen erhalten. Das sind zum Teil die Zustände in der Bundeswehr, über die wir hier reden. ({5}) Der Kommandeur ist 1997 entlassen worden. Für mich stellt sich die Frage, warum eigentlich der Herr Kalbitz noch bis 2005 in der Bundeswehr dienen konnte. Das ist für mich eine große Frage. ({6}) – Die Fakten sind so gewesen. Ich sage Ihnen: Es gibt seit der letzten Landtagswahl viele Menschen jüdischen Glaubens, ({7}) die derzeit Angst haben und überlegen, ob sie unserem Land den Rücken kehren. ({8}) Mich würde einmal interessieren, was Sie diesen Menschen sagen, wenn Sie jemanden wie den Kalbitz aufstellen, damit er gewählt werden kann. – Ja, nichts. Ich habe mir schon gedacht, dass Sie denen nichts sagen können. ({9}) Wer schweigt, stimmt zu. ({10}) Ich sage den Menschen: Bleibt hier! Wir schaffen gemeinsam, dass sie wieder in der Versenkung verschwinden. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Kollege. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Staatssekretär Hoofe hat einen Brief geschrieben, in dem die Zustände beschrieben sind. Im Parlamentarischen Kontrollgremium wird darüber diskutiert. Wir müssen hier dringend und schnell handeln und insbesondere den Soldatinnen und Soldaten Schutz gewähren, die sich dagegen wehren. Das ist das Wichtigste; ({0}) denn es kann niemand Interesse daran haben, dass Bundeswehrsoldaten mit rechtsextremen Einstellungen das Bild Deutschlands im Ausland prägen. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Tobias Lindner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer dieser Debatte bisher aufmerksam gefolgt ist, dem ist nicht nur klar, dass wir eine neue Verteidigungsministerin haben, dem ist nicht nur klar, dass wir über einen neuen Haushaltsentwurf sprechen, sondern dem fällt auch auf: Wir reden hier über die alten Baustellen. Die Probleme, Frau Kramp-Karrenbauer, die Sie zu bewältigen haben, sind die alten, über die wir hier seit Jahren reden, obwohl der Verteidigungsetat überproportional gestiegen ist. ({0}) Der Klarstand der Systeme der Bundeswehr ist immer noch auf einem erschreckend niedrigen Niveau. Man kann nicht von gut angelegtem Steuergeld sprechen, wenn man sich wie Ihre Vorgängerin Frau von der Leyen darüber freut, dass fast wöchentlich ein neuer Schützenpanzer geliefert wird, mir Soldatinnen und Soldaten aber erzählen, dass das Teil in vielen Fällen nach zwei Wochen aus der Nutzung geht, in die Instandhaltung muss und dann die Ersatzteile fehlen. Das ist kein gutes Management angesichts der Summen, über die wir hier diskutieren. ({1}) Wenn wir uns das Beschaffungswesen anschauen, dann sehen wir: Da wurde in den letzten Jahren viel getan. Wir haben eine Menge zusätzlicher Berichte erhalten. Man könnte auch sagen: Die Diagnose wurde durchaus gestellt. Der Beschaffungsprozess wurde verändert, er wird weiter verändert. Die ehemalige Staatssekretärin Suder hat mehrere Hundert kleine Änderungen in der Beschaffungsbehörde BAAINBw vorgenommen. Und unabhängig davon, wie man über einzelne Projekte denkt, erhielten wir gestern Mittag aus Ihrem Haus eine neue Übersicht, mit welchen Beschaffungsvorhaben der Haushaltsausschuss im kommenden halben Jahr noch befasst werden soll. Wieder merkt man: Es sind viele Projekte, die Sie in die Zukunft schieben müssen, weil Ihr Beschaffungsapparat diese nicht realisieren kann. Wenn Sie in einer solchen Situation, wenn die Prozesse immer noch nicht im Griff sind, über mehr Geld für Rüstung reden, zeigt das: Das ist alles andere als „gut investiertes Geld“, um Sie zu zitieren, Frau Ministerin. ({2}) Sie haben ein personelles Problem. Ich glaube, da sind Sie nicht ehrlich zu sich selbst, nicht ehrlich zu Ihrem Haus, nicht ehrlich zu den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Sie übernehmen eine Planung, die vorsieht, dass die Truppe auf über 200 000 Soldatinnen und Soldaten aufwachsen soll. Darüber kann man diskutieren; Sie leiten das von den Aufgaben und anderen Dingen ab. Aber schaut man sich die Zahlen an, wie viele Soldatinnen und Soldaten derzeit ihren Dienst leisten, dann kommt man Pi mal Daumen auf 179 000, 180 000 Soldatinnen und Soldaten – bei einer Struktur von 185 000. Ich sage Ihnen: Angesichts des demografischen Wandels, des Übergangs zu einer Berufsarmee, des Aufwuchses bei den Länderpolizeien und der Bundespolizei sollten Sie doch lieber die Priorität darauf setzen, eine Truppe in einem Umfang von 180 000 Soldatinnen und Soldaten zu haben, die vernünftig ausgestattet ist und vernünftig bezahlt wird und für die Sie ausreichend Bewerberinnen und Bewerber bekommen, statt den Laden auf 200 000 aufblähen zu wollen mit dem Ergebnis, dass Sie dann eine Struktur haben, die alle in der Bundeswehr am Ende des Tages überfordert, und Sie Versprechungen machen, die Sie nicht halten können. Auch das ist kein guter Umgang mit Steuergeld, meine Damen und Herren. ({3}) Sie werden in den kommenden Monaten – die Einarbeitungszeit haben Sie ja jetzt hinter sich – handeln müssen. Sie werden Entscheidungen treffen müssen, was Sie priorisieren wollen. Wenn man sich die Planungen, die Ihnen Frau von der Leyen hinterlassen hat, anschaut, stellt man fest, dass diese an vielen Stellen nicht konsistent sind. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Sie haben davon gesprochen, was alles fehlt und wo es Probleme mit der Finanzierung gibt. Auch wir Grüne verstehen, dass man 40 Jahre alte Transporthubschrauber ersetzen muss. ({4}) Das ist gar nicht das Thema. Gleichzeitig wollen Sie aber ein taktisches Luftverteidigungssystem beschaffen. Das ist eine Maßnahme, die wir noch unter Rot-Grün mit riesigem Zähneknirschen mitbeschlossen haben; das ist mehr als 20 Jahre her. Es sind schon Milliarden dafür geflossen, und uns ist Jahr für Jahr erzählt worden: Das System ist marktreif und kommt nächstes Jahr. – Jetzt erfahren wir in diesem Frühjahr beiläufig, dass sich die Kosten für dieses Projekt von 4 auf 8 Milliarden Euro verdoppeln sollen. Der Nutzen – das sage ich Ihnen ganz ehrlich – ist fragwürdig, und jetzt verspätet es sich auch noch. Jetzt bestünde die Möglichkeit, zu sagen: Wir stoppen dieses Projekt. Wir streichen das Geld dafür und nutzen es lieber für sinnvolle Dinge wie die persönliche Ausstattung und sparen vielleicht auch noch einen Teil ein, statt irgendeinem Projekt hinterherzurennen, von dem man genau weiß, dass es das nächste Rüstungsdesaster der Zukunft werden wird. ({5}) – Herr Kollege Brandl, Sie fragen: „Was ist die Antwort auf die Raketenbedrohung?“ Wir reden von diesem Pult aus ja immer gerne über Europäisierung. Ja, dann gucken wir doch einmal nach links und rechts und schauen, was unsere europäischen Verbündeten machen. Die nehmen die bestehenden Systeme, die wir auch haben, modernisieren sie Schritt für Schritt und besorgen Ersatzteile, gehen aber risikoarm vor. Es geht uns doch jetzt hier gar nicht darum, ideologisch zu sagen: Wir müssen uns gegen Raketen verteidigen können. – Aber ich frage Sie: Ist es eine kluge Antwort – ich weiß, das Unternehmen sitzt in Ihrem Wahlkreis –, einem Projekt, das sich verzögert hat, für das wir schon Milliarden ausgegeben haben und bei dem wir wissen, dass die Kostensteigerung mindestens bei 100 Prozent liegt, stur hinterherzurennen? Das nützt den Soldatinnen und Soldaten in der Truppe, die auf ihre Schutzwesten und ihre persönliche Ausrüstung warten, die in Liegenschaften untergebracht sind, über die der Kollege Felgentreu entsetzt ist, die ihren Dienst für unser Land verrichten, nämlich gar nichts. ({6}) Frau Kramp-Karrenbauer, Sie haben gesagt: Deutschland kann nicht an der Seitenlinie stehen. Wir müssen uns engagieren. Wir müssen etwas tun. – Da widerspreche ich Ihnen ja gar nicht. Aber die Antwort dieser Bundesregierung muss doch einer Gesamtstrategie folgen. Man kann sich doch nicht an dieses Pult stellen, die Lage der Welt analysieren und sagen, wo es überall Baustellen gibt, und dann, ohne abzubiegen, zum Wehretat kommen und sagen: Ja, unsere Antwort ist, dass es 1,7 Milliarden Euro mehr gibt. – Wenn wir wirklich Verantwortung in der Welt übernehmen wollen – wir haben ja gerade über den Etat des Auswärtigen Amtes diskutiert –, dann bräuchte diese Bundesregierung endlich eine Strategie, wie man mit dem Iran und dem Ausstieg aus dem Nuklearabkommen richtig umgeht. Es reicht eben nicht, hier Phantomdebatten über Schiffe in der Straße von Hormus zu führen. Dann muss man als Außenminister Heiko Maas, ehrlich gesagt, früher nach Teheran fliegen und überlegen, was man machen kann, und früher mit europäischen Verbündeten reden. Eine Antwort, die sich allein auf das Militärische kapriziert und so tut, als sei die Bundeswehr die Lösung aller Probleme, wird den Soldatinnen und Soldaten nicht gerecht. Das ist auch keine kluge Außenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Ich will zu einem letzten Punkt kommen, der hier schon angesprochen wurde. Wir danken ja gerne und oft – ich würde sagen, auch zu Recht – den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr von diesem Pult aus für ihren Dienst und ihren Einsatz. Wir versichern sie – das finde ich bei einer Parlamentsarmee auch richtig – unseres Rückhalts und unserer Unterstützung. Ich will aber gleichwohl sagen: Genauso erwarten wir von allen Frauen und Männern, die in Uniform Dienst für unser Land tun, dass sie das auf dem Boden unseres Grundgesetzes, auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung tun. ({8}) Wenn wir, wie in den letzten zwölf Monaten, immer wieder von Einzelfällen – hier ein Einzelfall, da ein Einzelfall, dort ein Einzelfall und noch ein weiterer Einzelfall – rechtsextremistischer Einstellungen bis hin zu mutmaßlichen Verbrechen hören und man im wahrsten Sinne des Wortes den Wald vor lauter Bäumen, das Netzwerk vor lauter Einzelfällen nicht mehr sieht oder sehen will, dann ist das eine große Gefahr für die Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst ordentlich tun, aber natürlich auch eine Gefahr für die Sicherheit in diesem Land. Deswegen sage ich ganz klar: Handeln Sie an dieser Stelle! Zeigen Sie an dieser Stelle, dass Rechtsextremismus nichts in unseren Streitkräften verloren hat. Werden Sie hier tätig, und ziehen Sie daraus Konsequenzen, Frau Kramp-Karrenbauer. ({9}) Wir Grüne werden in den anstehenden Haushaltsberatungen eine Menge an Vorschlägen machen, die der Truppe zugutekommen, zum Beispiel, wie man die Ausrüstung verbessern kann, die notwendig ist, um den Auftrag der Bundeswehr zu erfüllen. Wir werden aber auch aufzeigen, wo Geld sinnlos ausgegeben wird, wo es in diesem Etat Einspar- und Umschichtungspotenziale gibt, und wir werden den Finger immer dort in die Wunde legen, wo man den Eindruck hat, dass man die Prozesse bis heute nicht richtig im Griff hat und eher die Bilanz von Beratungsfirmen gefüttert wird, als dass es wirklich um die Sicherheit unseres Landes und unserer Verbündeten geht. In diesem Sinne: Gehen wir die Beratung dieses Haushalts an. Ich freue mich auf den Austausch. Herzlichen Dank. ({10})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Henning Otte. ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir besprechen den Haushalt 2020. Ich danke Ihnen, sehr geehrte Frau Verteidigungsministerin, dass Sie gleich am Anfang sehr deutlich gemacht haben, welche Wertschätzung Sie gegenüber der Bundeswehr empfinden. Sie haben sehr deutlich gemacht, dass Sie ganz klar hinter der Truppe stehen, dass Sie sich einsetzen, nicht nur in Rede, sondern auch in Tat. Wir danken Ihnen als CDU/CSU-Bundestagsfraktion dafür, dass Sie eine Anerkennung in Form der kostenlosen Bahnfahrten ermöglicht haben, aber auch sehr deutlich gemacht haben: Ein Gelöbnis gehört vor das Reichstagsgebäude, in die Mitte der Gesellschaft, am 12. November. Herzlichen Dank dafür! ({0}) Meinem Vorredner von den Grünen kann ich nur zurufen: Nicht nur den regenerativen Blick haben für Einzelsachen, sondern auch den 360-Grad-Blick! ({1}) Dazu gehört auch eine funktionierende Raketenabwehr, um deutlich zu machen: Wir müssen unser Land schützen, indem wir Land, Luft, See und Cyber im Blick haben. Wenn Sie etwas Gutes tun wollen für die Sicherheit unseres Landes, dann stimmen Sie diesem Haushaltsentwurf zu. Aber ich muss auch etwas zu einem Vorredner von der AfD sagen, der die Bundeswehr in ein ganz schiefes Licht gerückt hat und die historische Einordnung offensichtlich auch nicht verstanden hat. Wir hatten 1990 die deutsche Wiedervereinigung, der Glücksfall in der Geschichte, und wir hatten Entspannung in Europa. Natürlich ist darauf reagiert worden, indem die Streitkräfte in ganz Europa dezimiert worden sind. Wir haben damit gleichzeitig einen Beitrag zum Abbau der Verschuldung geleistet. Dann kamen mit den Anschlägen vom 11. September 2001 die erhöhten Anforderungen an Auslandseinsätze, an Krisenprävention. Dann kamen die Besetzung der Krim und das aggressive Vorgehen Russlands. Wir haben auch einen Generationenwechsel bei den Systemen der Bundeswehr. Deswegen müssen wir deutlich sagen: Sie reden die Truppe schlecht, indem Sie sich über abstürzende Eurofighter-Piloten lustig machen, indem Sie einerseits zum Aufstand der Generale aufrufen, andererseits vom unerbittlichen Kampf sprechen, aber gleichzeitig zusammen mit den Linken die Beendigung der Auslandsmandate fordern und eine national beschränkte Politik machen. Ihre Politik ist eine Gefährdung für Frieden und Freiheit in Deutschland und in Europa, meine Damen und Herren. ({2}) Wir haben bei unserer Politik den Soldaten und die Soldatin in den Mittelpunkt gestellt. In dieser Legislaturperiode haben wir schon viel erreicht. Wir haben das Bundesbesoldungs- und ‑versorgungsanpassungsgesetz geändert, um die Leistungen für die Soldaten und Beamten weiter zu verbessern. Wir haben das Versichertenentlastungsgesetz verabschiedet, sodass der Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung geregelt ist. Wir haben mit dem Gesetz zur nachhaltigen Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr deutlich gemacht, dass wir die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver gestalten wollen. Wir wollen auch die Einsatzversorgung verbessern. In Kürze werden wir das Besoldungsstrukturmodernisierungsgesetz beraten, um deutlich zu machen, dass Personalbindung durch Wertschätzung und Anerkennung, durch eine Erhöhung des Auslandsverwendungszuschlags und durch Personalgewinnung für uns im Mittelpunkt stehen. Im Mittelpunkt steht aber auch die Ausrüstung. Wir müssen die Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte verbessern. Wir müssen schnellere Entscheidungen treffen – so haben Sie es gesagt, Frau Verteidigungsministerin – und erreichen, dass das Gerät auch schneller bei der Truppe ankommt; denn unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen das Gerät, von uns finanziert und gestellt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben für unser Land. Und dabei haben sie unsere volle Unterstützung. ({3}) Das ist nicht nur gesagt, sondern auch entschieden. Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, das Haushaltsrecht zu flexibilisieren, um überjährige Planungsphasen und Finanzierungssicherheit zu bekommen. Wir haben außerdem das Vergaberecht effizienter gestaltet, um das Gerät schneller beschaffen zu können. Mit der Expertenkommission haben wir den gesamten Beschaffungsprozess ins Visier genommen, zusammen mit der Personalvertretung. An diesen Aufgaben wollen wir weiterarbeiten. Das alles hat etwas mit Geld zu tun. Der Verteidigungsetat hat mit einem Haushaltsansatz von 44,9 Milliarden Euro eine Steigerung erfahren. Aber wir müssen noch stärker betonen, dass dies der Sicherheit unseres Landes dient; denn die Planungskurve fällt ab 2023 wieder ab. Deutsch-französische Kooperationen und deutsch-norwegische Kooperationen wären gefährdet, wenn wir keinen kontinuierlichen Anstieg hätten. Wir wollen ihn und wir fordern ihn, nicht wegen der Vereinigten Staaten, sondern weil es um die Sicherheit unseres Landes geht. Wir benötigen einen 360-Grad-Blick, und dafür brauchen wir die finanzielle Ausstattung. Deswegen fordern wir auch auf, diesem Haushalt zuzustimmen, meine Damen und Herren. ({4}) Ich will noch einmal deutlich machen, dass wir nicht alleine sind, sondern uns in Bündnissen befinden, im NATO-Bündnis und in der Europäischen Union, und die Partner um uns herum erwarten, dass wir unsere Verlässlichkeit zeigen, nicht nur indem wir das 2-Prozent-Ziel einhalten, sondern auch indem wir Verantwortung übernehmen und uns als Anlehnungspartner anbieten, wenn es darum geht, eine gemeinsame Sicherheitspolitik für Europa zu gestalten. Dieser Verantwortung wollen und müssen wir auch gerecht werden. Das ist Nachhaltigkeit. Das ist sicherheitspolitische Nachhaltigkeit, weil wir auch unseren zukünftigen Generationen ermöglichen wollen, in Frieden und Freiheit zu leben. Wir müssen in die Ausrüstung investieren, um Frieden, Freiheit und auch Wohlstand zu erhalten. ({5}) Es ist notwendig, dass wir Verantwortung in den Einsätzen in Afghanistan und in Mali übernehmen. Es ist aber auch notwendig, dass wir den Anti-IS-Kampf weiter führen. Frau Verteidigungsministerin, Sie haben deutlich gemacht, welche Verletzungen Menschen, auch Frauen, zugefügt worden sind, dass Menschen vom IS gekillt worden sind, weil sie andersgläubig sind. Der IS ist noch nicht besiegt. Er schafft sich Brückenköpfe, um Europa zu gefährden. Da müssen wir gegenhalten. Wir müssen von Jordanien aus weiter unseren Beitrag zum Anti-IS-Kampf leisten und die Ausbildungsmission im Irak weiterführen. Denn es geht um Frieden und Freiheit, und dies ist zu gewährleisten durch den tollen Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten. Sie stehen ein für Einigkeit und Recht und Freiheit. Sie sind der Garant für den Frieden bei uns. Sie haben unsere volle Unterstützung verdient und auch die finanzielle Ausstattung. Herzlichen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Hohmann für die Fraktion der AfD. ({0})

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, am 17. Juli 2019 wurden Sie zur Verteidigungsministerin ernannt. Sie haben damit etwas mehr als die Hälfte Ihrer ersten 100 Tage hinter sich. ({0}) Sie genießen noch die sogenannte Schonfrist der 100 Tage, und ich darf Ihnen versichern: Wir werden auch darüber hinaus fair mit Ihnen umgehen. Wir versprechen Ihnen fairen Umgang, wir erwarten aber auch fairen Umgang. Wir werden Sie nicht für etwas hinhängen, was in die Verantwortung Ihrer Vorgänger oder Ihrer Vorgängerin fällt. Sie haben Truppenbesuche gemacht, wie etwa im irakischen Erbil, wie etwa im jordanischen al-Asrak. Das finde ich gut, weil Sie sich Kenntnisse vor Ort, sozusagen im Einsatzraum, verschaffen. Sie zeigen damit Solidarität mit den Soldaten, mit unseren deutschen Soldaten. – Erlauben Sie mir den Einschub: Ich gebrauche das generische Maskulinum. Die weiblichen Soldaten, die Soldatinnen, ({1}) sind also mitumfasst und mitgemeint. ({2}) Ich lehne es ab, die männliche, die weibliche und vielleicht auch noch die diverse Form zu gebrauchen, nur um mich vorsorglich von dem Verdacht zu reinigen, ein männlicher Chauvinist zu sein. ({3}) Wir sollten diese Form der Zeit- und Ressourcenvergeudung grundsätzlich unterlassen. ({4}) – Ich bin immer ein fröhlicher Mensch. – Im Übrigen – glauben Sie mir bitte –: Ich schätze Frauen über alles. ({5}) Und mir ist vollkommen klar: Ohne Frauen ist alles nichts. Frau Kramp-Karrenbauer, als Saarländerin ist Ihnen eine natürliche und unbelastete Beziehung zu den Soldaten der Bundeswehr sozusagen in die Wiege gelegt. ({6}) – Kommt. – Die Luftlandebrigade 26 hatte den Sitz ihres Kommandos und mehrerer Untergliederungen in Saarlouis. ({7}) Das liegt ganz in der Nähe Ihres Heimatortes Püttlingen. ({8}) Dort haben Sie oft das sonore Brummen der Bundeswehr-Transall-Flugzeuge gehört, die Fallschirmjäger zu ihren Absetzplätzen in Düren und Ballern gebracht haben – „Ballern“ nicht als Tätigkeit, sondern als Ortsbezeichnung. ({9}) Auch ich war damals häufig Gastspringer bei dieser exzellenten Truppe. Mein Lohn: das goldene Springerabzeichen für 50 Sprünge. ({10}) Das kann nicht jeder von sich sagen. Mit diesem Exkurs, Frau Ministerin, möchte ich vor allem um eines bitten: Sehen Sie Ihre neue Aufgabe nicht als Karriereschritt, nicht als eine Herausforderung an Ihr Organisationstalent. Wenden Sie sich den Soldaten so zu, dass diese spüren: Unserer neuen Ministerin sind wir als Menschen wichtig. Sie kümmert sich um uns und unsere Belange. Sie hat das Zeug, so wie Georg Leber einmal als „Vater der Soldaten“ bezeichnet wurde, als „Mutter der Soldaten“ in die Annalen einzugehen. Mein Kamerad und Kollege Rüdiger Lucassen hat Wegweisendes zum Verteidigungshaushalt gesagt; das möchte ich nicht wiederholen. Er hat klar herausgestellt, dass die Soldaten vorzüglich sind und dass es die Ausrüstung ist – das vermischen Sie immer –, woran es mangelt. ({11}) Ich möchte herausstellen: Wir als AfD-Fraktion mit den relativ meisten Ex-Soldaten warnen eindringlich vor Auslandseinsätzen – da komme ich noch einmal auf Sie zurück –, die nicht dem deutschen Interesse dienen. ({12}) Der bereits seit 2002 laufende Afghanistan-Einsatz mit seinen gefallenen deutschen Soldaten und seinen Milliardenkosten gehört dazu. Wenn die US-Soldaten abziehen, bleibt auch für die Bundeswehr nur eines: ein zügiger, geordneter Rückzug. Ich verweise auf unseren AfD-Antrag vom Februar 2019. ({13}) – Leider. Frau Ministerin, Sie haben herausgestellt, das 2-Prozent-Versprechen gegenüber der NATO dürfe keine Leerformel sein. Weiter haben Sie das Ziel gesetzt, unsere Bundeswehr sichtbarer zu machen. Bei beidem haben Sie unsere Unterstützung. Mein Vorschlag geht in diese Richtung: Fast alle Staaten dieser Welt feiern ihren Nationalfeiertag mit einer Militärparade. ({14}) Für mich ist eine solche Militärparade ein Normalitätsgradmesser. ({15}) Die Vorbehalte aus der deutschen Geschichte haben wir durch 70 Jahre gelebte Demokratie überwunden. Gerade wenn die Bundeswehr sich nach dem neuesten Traditionserlass nicht als geschichtlicher Erbe von Vorgängerarmeen sieht, hat sie allen Grund für einen unbelasteten Umgang mit dieser feierlichen militärischen Tradition. Ich freue mich auf die erste Parade der Bundeswehr in der Hauptstadt Berlin. ({16})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD spricht als Nächster der Kollege Dennis Rohde. ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir zurück auf die Sachebene. ({0}) Frau Ministerin, das ist der erste Haushalt, den Sie im neuen Amt begleiten. Das ist ein Amt, das Ihnen viel Energie abverlangen wird, ein Amt, von dem wir hoffen, dass Sie es mit aller Kraft ausführen werden. Ihre Vorgängerin hat Ihnen nämlich viele Baustellen überlassen, über die wir im Rahmen der Haushaltsverhandlungen sicherlich gemeinsam diskutieren werden. Wir als SPD-Fraktion freuen uns auf eine gute und konstruktive Zusammenarbeit in den nächsten Monaten. ({1}) Ich möchte zunächst auf das Thema eingehen, das uns in den letzten Wochen und Monaten viel beschäftigt hat, die sogenannte Berateraffäre. Wir hätten uns eine allumfassende Aufklärung seitens des Bundesministeriums der Verteidigung gewünscht, weil wir der festen Überzeugung sind: Eine solche Aufklärung sind wir der Truppe und den Beamtinnen und Beamten schuldig. Es darf kein Anschein zurückbleiben, dass gewisse Unternehmen bevorzugt behandelt wurden und dass das toleriert oder respektiert wurde. ({2}) Ich will es noch deutlicher machen: Wir finden, der vielfache Bruch des europäischen Vergaberechts darf nicht ohne Konsequenzen bleiben. Das wäre vollkommen indiskutabel. Aber die Aufklärungen, die wir uns gewünscht hätten, haben so nicht stattgefunden. Die durchgeführten Verwaltungsermittlungen waren hochgradig lückenhaft, entscheidende Fragen wurden nicht gestellt, Konsequenzen bis heute nicht gezogen, Antworten nicht gegeben. Frau Ministerin, wir bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit an, um diese Verwaltungsermittlungen nachzuholen, um hier nachzuarbeiten – im Interesse der Steuerzahlenden in diesem Land. Ich finde, es kann nicht allein Aufgabe des Parlaments sein, das aufzuarbeiten. Das ist zuvorderst Ihre Aufgabe. Ihre ersten Signale, die Sie dazu an den Untersuchungsausschuss gesendet haben, nehmen wir sehr positiv auf. Wenn in den Zeugenvernehmungen im Untersuchungsausschuss immer dieselben Antworten kommen, die da lauten: „Ich bin dafür nicht zuständig“, „Ich weiß nicht, wer dafür zuständig ist“, oder wenn Person A sagt: „Person B ist zuständig“, und Person B sagt: „Person A ist zuständig“, dann stimmt etwas im System nicht, dann funktioniert etwas nicht, dann ist das Ausdruck eines Organisationsmangels. Frau Ministerin, es wird Ihre Aufgabe sein, diesen Organisationsmangel in Zukunft abzustellen. ({3}) Ich finde, die Erkenntnisse, die wir im Untersuchungsausschuss erlangt haben, sind relevant für die Debatte, die wir hier führen. Frau Ministerin, Sie haben im ersten Interview gleich mehr Geld für die Bundeswehr gefordert. Ich sage: Ich hätte mir eine andere Schwerpunktsetzung gewünscht. Denn die Wahrheit ist doch: Ihrem Ministerium steht so viel Geld zur Verfügung wie nie zuvor. Die Hauptprobleme liegen doch nicht bei den Finanzressourcen, sondern die Herausforderung besteht doch darin, dieses Geld verausgabt zu bekommen. ({4}) Ich will betonen: 45 Milliarden Euro sind verdammt viel Geld. Das ist Geld, das wir als Parlament zur Verfügung stellen, um die Soldatinnen und Soldaten, über deren Auslandseinsätze, über deren Aufgaben wir hier entscheiden, angemessen auszustatten. Denn an einem darf es keinen Zweifel geben: Unsere Truppe verdient die bestmögliche Ausstattung, insbesondere in Auslandseinsätzen. Das ist unsere Verantwortung. Das ist die Verantwortung eines Parlaments gegenüber einer Parlamentsarmee, und dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Aber: Wer viel Geld zur Verfügung gestellt bekommt, der bekommt eben auch viel Verantwortung übertragen. Die Berateraffäre hat nun einmal offenbart, dass es beim Umgang mit Steuergeldern teilweise erhebliche Defizite im Haus gibt. Daher würden wir bevorzugen, dass Sie, bevor Sie mehr Geld fordern, Frau Ministerin, zunächst einmal diese Probleme angehen. Eines möchte ich aber ganz deutlich auch in Abgrenzung sagen – das habe ich in der letzten Debatte schon betont –: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Beschaffungsamt leisten in einer schwierigen Lage teils herausragende Arbeit. Auch wenn Einzelne entscheidende Fehler gemacht haben sollten: Das gilt nicht für das Kollektiv. Die Mitarbeitenden in den Beschaffungsstrukturen leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten Großartiges. Wenn aber dauerhaft große Teile der Personalstellen nicht besetzt sind und man gleichzeitig mit jeder Milliarde mehr im Einzelplan auch mehr Aufgaben ins Amt bringt, dann bringt man ein System an den Rand des Kollapses. Daher müssen wir das Beschaffungsamt endlich nachhaltig stärken, und wir müssen es optimieren. Unsere Vorschläge, die wir gemeinsam auch im Expertenrat mit erarbeitet haben, liegen auf dem Tisch. Ich wiederhole erneut die letzte Debatte: Frau Ministerin, wenn Sie das System stärken und nicht zerschlagen wollen, dann haben Sie die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. ({6}) Was wir daneben ausdrücklich begrüßen würden, wäre das Ende der Privatisierungs- und Ausgliederungsinitiativen im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums. Die Versuche – und da sind wir ehrlich –, die fraktionsübergreifend in den letzten Jahrzehnten unternommen wurden, auf diese Art zu optimieren, sind weitestgehend gescheitert. Sie waren auch ein Fehler. Wir reden hier über hochbrisante und für unsere Sicherheit relevante Sachverhalte. ({7}) – Ich habe gesagt: „fraktionsübergreifend“. – Unser Grundgesetz sieht für derlei Aufgaben ausdrücklich Beamtinnen und Beamte mit ihrem besonderen Eid auf die Verfassung und die darin verankerte freiheitlich-demokratische Grundordnung vor. Wir finden, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes hier klug abgewogen haben. Lassen Sie uns das nicht aus den Augen verlieren. Sicherheitspolitik und Sicherheitsstrukturen gehören in unmittelbare Staatshand und nirgendwo anders hin. ({8}) Ich möchte abschließend betonen: Vor uns liegen die Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2020. Das Budgetrecht liegt einzig und allein beim Deutschen Bundestag. Wir führen unsere Verhandlungen mit Blick auf die Soldatinnen und Soldaten und die Beamtinnen und Beamten im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums. Wir als Sozialdemokraten diskutieren nicht über Quoten und nicht über Verlautbarungen von US-Präsidenten. Wir wollen keinen Rüstungswettlauf. Wir diskutieren über die Ausstattung und die Aufgaben unserer Bundeswehr als Parlamentsarmee. Vielen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der FDP die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, es gibt mehr Mittel für die Bundeswehr; das ist schön. Solange das Verteidigungsministerium aber nicht in der Lage ist, diese Mittel zielgerichtet einzusetzen und dafür zu sorgen, dass das Material auch bei der Truppe ankommt, ist die Freude überschaubar. Ich bringe ein konkretes Beispiel: Die Soldaten des Kommandos Spezialkräfte der Marine – Kampfschwimmer – haben derzeit nicht ein einziges der vier sogenannten Festrumpfschlauchboote. Sie sind alle in der Tonne – null, zero, alle weg! Die Mittel für neue Boote standen schon im letzten Haushalt. Im BAAINBw ist blöderweise nur keiner da, der die Ausschreibung in die Hand nimmt. Kollege Gädechens, Sie waren ja zusammen mit Ihrem Fraktionsvorsitzenden, der heute Morgen vor allen Dingen durch seine große phrasenreiche Rede auffiel, vor Ort und kennen das Problem. Ich frage mich, warum da nicht ein bisschen Schwung reinkommt; ({0}) denn ich gehe davon aus, dass auch die CDU die Feuerwehren in ihren Wahlkreisen nicht ohne Schläuche losschickt. Insofern wäre es schön, wenn auch Sie auf Ihrer Seite Druck machen würden. ({1}) Liebe Frau Ministerin, Ihre Vorgängerin hat bei der Übergabe von 100 Nachtsichtgeräten an die Truppe geradezu ein Übergabe-Happening veranstaltet, um auch mal einen vermeintlichen Erfolg öffentlich zu zelebrieren. Es wäre aber in der Tat hilfreicher, weniger mediales Trallala zu machen und dafür ganz konkrete Maßnahmen durchzuführen, die die Truppe auch erreichen. ({2}) Der Finanzminister hat gestern hier an dieser Stelle erzählt, dass er als Regierender Bürgermeister von Hamburg gelernt hat, dass man bei Projekten der öffentlichen Hand immer viel Zeit braucht. Ich weiß nicht, ob das eine Entschuldigung oder eine Bankrotterklärung war. Die Fraktion der Freien Demokraten wird diesen Zustand nicht entschuldigen, geschweige denn akzeptieren. ({3}) Die Bundeswehr braucht Planungssicherheit – aber nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Partner in der NATO und in der EU müssen wissen, woran sie bei uns sind. Frau Ministerin, das Amt der Verteidigungsministerin ist mehr als ein Gleitschirm ins Kanzleramt. Ein richtiger Schritt – das möchte ich heute auch sagen – ist zum Beispiel, dass die Kommandeure einer Brigade die Möglichkeit bekommen, über ein sogenanntes Handgeld zu verfügen, um kleinere Dinge unbürokratisch anzuschaffen. Die Betonung und große Hoffnung – sie stirbt bekanntlich zuletzt – liegt auf „unbürokratisch“. Frau Ministerin, sollten Sie, wie angekündigt, gegen Rechtsextremisten vorgehen wollen, um die Truppe vor Unterwanderung zu schützen, sollten Sie dafür Sorge tragen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihrem Haus wieder Verantwortung übernehmen dürfen. Das heißt auch, Fehler zuzulassen. Sollten Sie die Truppe von der Last der Bürokratie befreien, damit die Soldatinnen und Soldaten ihren originären Aufgaben nachgehen können, die sowohl dem Grundsatz „Führen mit Auftrag“ als auch dem Bild einer modernen und handlungsschnellen Streitkraft entsprechen, dann haben Sie die Freien Demokraten an Ihrer Seite. ({4}) Wir erwarten aber auch, dass die unappetitliche Nähe mancher Berater zu manchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ihren Häusern schlagartig und umgehend beendet wird und dass der Verteidigungshaushalt den Aufgaben entsprechend kontinuierlich weiter wächst – wir sehen ja, dass dies für das nächste Jahr nicht vorgesehen ist –, damit Soldatinnen und Soldaten ohne Abstriche ausgerüstet und somit natürlich auch ausgebildet werden können. Wo nichts ist, kann auch nicht ausgebildet werden. Das ist natürlich einer modernen Truppe nicht würdig. Wenn etwas nicht fliegt, kann man damit auch nicht fliegen lernen. Dazu gibt es viele Beispiele. Gerade wenn man vor Ort ist, sieht man auch, wie junge Menschen, die wir ja brauchen und die wir auch anwerben wollen, nicht zur Bundeswehr kommen, weil sie sagen: Ich sitze da ja im Trockenen. Ich werde also nicht das lernen, was ich lernen möchte. Ich werde auch nicht müde, zu wiederholen: Jede Soldatin, jeder Soldat ist Garant für uns alle, in Frieden und Freiheit zu leben. Es gebietet allein der Respekt vor diesen Männern und Frauen, dass wir uns um sie kümmern und den Worten Taten folgen lassen. Daher ist es auch schön, um mit etwas Nettem zu enden, dass Deutschland gemeinsam mit meiner Heimatstadt Düsseldorf sich als Austragungsort für die Invictus Games 2022 beworben hat. Wir hoffen natürlich sehr, nicht nur in unserer Stadt, dass diese Bewerbung erfolgreich sein wird. Auch das, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, zeigt den Respekt für alle die Soldatinnen und Soldaten, die versehrt sind, weil sie für uns im Einsatz waren. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. Alexander Neu. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Dieser Haushaltsentwurf steht für die Fortsetzung der Aufrüstung Deutschlands. Es geht um 45 Milliarden Euro im Einzelplan 14 plus weitere 5 Milliarden Euro versteckt in anderen Einzelplänen, also um insgesamt über 50 Milliarden Euro. Das ist ein sattes Plus von 40 Prozent seit 2014. Damit belegt Deutschland Platz neun in der Liste der Länder mit den weltweit höchsten Ausgaben für das Militär. Das heißt, von 192 Staaten liegt Deutschland auf Platz neun. Diese Entwicklung soll aber so weitergehen. Bis 2024 sollen sich die Ausgaben auf 1,5 Prozent des BIP erhöhen, danach bis auf 2 Prozent. Das hieße dann 85 Milliarden Euro oder mehr pro Jahr für die Bundeswehr. Gut, Deutschland soll verteidigt werden. Das ist legitim. Man muss sich aber fragen: Gegen wen? Was bedroht unser Territorium? Wer bedroht uns? Da heißt es dann: Russland bedroht uns, mittlerweile auch China. Da haben wir uns die Frage gestellt: Ist das tatsächlich so? Wird Deutschland, wird die EU, wird die NATO von Russland oder China bedroht? Wir haben diese Frage an die Bundesregierung weitergereicht. Die Bundesregierung hat geantwortet – Zitat –: Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. – Also, mit anderen Worten: Die Bundesregierung verfügt über keinerlei Erkenntnisse, dass Russland einen Angriff auf die NATO-Staaten samt Baltikum oder Polen plant oder überhaupt die Absicht hat. Warum auch sollte Russland das tun? ({0}) Warum auch sollte China den Westen bedrohen oder angreifen? Hierfür kenne ich keine überzeugenden Argumente, auch nicht von den Aufrüstungsfetischisten in diesem Hause. Warum auch sollten China oder Russland den Westen angreifen? Das wäre irrational. ({1}) Das wäre deshalb irrational, weil es unvermeidlich in einem Nuklearkrieg enden würde, bei dem auch China oder Russland vernichtet werden würden. Im Gegensatz zu manchen Irren in Washington, wo die Führbarkeit von begrenzten Nuklearkriegen ernsthaft diskutiert wird, kenne ich solche Aussagen aus Moskau oder Peking nicht, meine Damen und Herren. ({2}) Selbst wenn Russland die Absicht hätte: Ihm fehlten die finanziellen und ökonomischen Ressourcen und die militärischen Fähigkeiten. Die NATO ist Russland im militärischen Bereich um ein Vielfaches überlegen. Die Studie des Internationalen Instituts für Strategische Studien in London – NATO-nah – kommt immer wieder zu dem Ergebnis: Die NATO ist Russland massiv überlegen. ({3}) Bei den aktiven Soldaten ist das Verhältnis 4 : 1 zugunsten der NATO. Die Militärausgaben der NATO-Staaten betrugen im Jahr 2018 980 Milliarden Dollar, die Russlands 63 Milliarden Dollar. Das ist ein Verhältnis 15 : 1, also die NATO-Staaten gaben für das Militär 15-mal mehr aus als Russland. ({4}) Beim BIP kamen die USA und die Europäische Union 2018 zusammen auf 36 Billionen Dollar; Russland lag bei 1,6 Billionen Dollar. Ein wirklich gefährlicher Feind! Sehr geehrte Damen und Herren, beenden Sie endlich diese große Lebenslüge von der Bedrohung aus dem Osten. ({5}) Wir, Die Linke, fordern: Investieren Sie die Steuergelder in den wirklich sehr wichtigen Kampf gegen die Klimakatastrophe! Wenn man die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 bis 2 Grad wirklich schaffen möchte, dann kann man nicht die Militärausgaben von 1,5 auf 2 Prozent des BIP erhöhen. Denn militärische Großwaffensysteme – und nicht nur SUVs – sind in Produktion und Verwendung wahre CO2-Schleudern. ({6}) Wir, Die Linke, fordern Investitionen in die zivile Infrastruktur wie Bildung, Schulen, Pflege, Verkehr und Gesundheit, statt Milliarden von Steuergeldern Beratern und Rüstungskonzernen in den Rachen zu schmeißen. ({7}) Die Rüstungskonzerne können bei einem solchen Militärhaushalt, der uns hier vorgestellt wird, ihr Glück doch gar nicht fassen. Frau Kramp-Karrenbauer, wir, Die Linke, fordern in der Tat: keinen weiteren Euro mehr für die Knarrenbauer. Stoppen Sie das! ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Ingo Gädechens für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach insgesamt 40 Minuten Reden der Opposition – Zerrbild der Bundeswehr und was weiß ich nicht alles – muss man wieder mal daran erinnern: Wir beraten in erster Lesung den Verteidigungshaushalt, der nicht nur aufgrund seines Volumens, sondern aufgrund der schwierigen sicherheitspolitischen Lage in der Welt mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hat. Bevor ich auf Einzelheiten dieses Haushaltsentwurfs eingehe, möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, und damit uns allen jeden nur denkbaren Erfolg für die Verteidigungspolitik unseres Landes wünschen. Sie haben sich in kürzester Zeit mit dem riesigen Aufgabenspektrum der Bundeswehr vertraut gemacht, und Sie haben erwähnt, dass wir vor Kurzem gemeinsam unsere Einsatzkontingente in Jordanien, im Irak und in der autonomen Region Kurdistan besucht haben und uns ein umfassendes Bild von der Einsatzrealität machen konnten. Die Motivation der Soldatinnen und Soldaten, die unter fordernden klimatischen Bedingungen, in einer angespannten Sicherheitslage hochprofessionell ihren Auftrag erfüllen, sieht man, wenn man in die Gesichter der dort diensttuenden Soldaten guckt. Ich denke, all das hat Sie – Sie haben es auch erwähnt – genauso tief beeindruckt wie mich. In den Gesprächen wurde deutlich, dass die Kräfte vor Ort nicht am Sinn und Zweck ihrer Mission zweifeln. Daher ist es richtig, dass wir die Mandate zur Bekämpfung des IS und für die Ausbildungsmission auch weiterhin verlängern. Frau Ministerin, was mir beim Besuch vor Ort besonders aufgefallen ist, ist die Art und Weise, wie Sie auf die Soldatinnen und Soldaten zugegangen sind: offen und ehrlich, zuhörend und verstehend. Dann kann man all die Argumente aufnehmen und auch vernünftig in politisches Handeln umsetzen. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erwartungen an uns bzw. an die Ministerin sind hoch. Ihre Vorgängerin im Amt hat nachweislich viele positive Dinge bewegt und erreichen können. Sie und wir werden darauf aufbauen und immer wieder neue wichtige Akzente setzen. Sie haben bei Ihrer Vereidigung vollkommen zu Recht auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass wir die Einheiten der Bundeswehr voll ausstatten und sowohl die Planstellen besetzen als auch die Gerätschaft in Vollausstattung ummünzen müssen. Sie haben sich zu Recht zum 2-Prozent-Ziel der NATO bekannt, nicht weil irgendein amerikanischer Präsident das einfordert, ({1}) sondern weil die aktuelle sicherheitspolitische Lage dies erfordert. ({2}) – Das können Sie nicht. – Wer ein realistisches Bild der sicherheitspolitischen Lage in der Welt zeichnet, der muss automatisch zu der Erkenntnis kommen, dass wir ein wehrhaftes Land im Bündnis sein müssen. Meine Damen und Herren, es geht wahrlich nicht um Aufrüstung, ({3}) es geht um Ausrüstung und geeignetes Personal. Es geht um das Schließen von Fähigkeits- und Materiallücken. Es geht um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die internationale Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben seit 2014 umfangreiche Trendwenden auf den Weg gebracht, um die Bundeswehr dahin zu bringen, wo sie als moderne Armee hingehört. Auf eine dieser Trendwenden möchte ich besonders eingehen, nicht nur, weil sie ein besonders großes Investitionsvolumen im Einzelplan 14 einnimmt, sondern weil sie auch häufig in der Kritik steht. Das ist die Trendwende Material, die schon von einigen Kolleginnen und Kollegen angesprochen wurde. Ja, wir müssen den Beschaffungsvorgang beschleunigen. Ja, wir müssen Verantwortlichkeiten klarer zuordnen. Und ja, wir müssen insbesondere die Agenda Tempo, die vom Wehrbeauftragten ins Spiel gebracht wurde, mit Blick auf den zeitlichen Ablauf der Beschaffungsprozesse einbringen. Aber unabhängig von diesen Problemen ist doch unstrittig, dass die Bundeswehr das beste Material benötigt, um unsere Soldatinnen und Soldaten bestmöglich zu schützen. Wir haben langfristig geplante Beschaffungsprojekte: der schwere Transporthubschrauber, das Mehrzweckkampfschiff MKS 180 und die erwähnte deutsch-norwegische U-Boot-Kooperation. All diese Vorhaben müssen finanziell hinterlegt werden. Die aktuelle mittelfristige Finanzplanung gibt das im Moment leider nicht her; mehr noch, sie entzieht den Großprojekten den finanziellen Boden. Haushaltspolitik auf Sicht mag ein Mittel des Finanzministers sein. Das Parlament hat den Auftrag, in den Beratungen der kommenden Wochen ({4}) – lieber Johannes Kahrs, wir haben den Auftrag – dieser Haushaltsplanung auf Sicht Klarheit zu verschaffen und eine freie Sicht auf die kommenden Jahre zu bekommen. ({5}) Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich den Bundesfinanzminister daran erinnern, dass wir bei der Beschaffung von dringend benötigtem Material vor erheblichen Problemen stehen, wenn die Haushaltslinie der mittelfristigen Finanzplanung nicht angepasst wird. ({6}) – Hannes, das machen wir, wir passen die Linie an, sodass das am Ende insgesamt alles passt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen die Investitionen im Einzelplan 14 verstetigen. Ich wiederhole das, was hier auch schon richtigerweise gesagt wurde: Es ist gut investiertes Geld in die äußere Sicherheit unseres Landes und die Glaubwürdigkeit eines verlässlichen Bündnispartners. Herzlichen Dank. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Thomas Hitschler. ({0})

Thomas Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004303, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hochgeschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Reden bietet es sich an, mit einem Zitat einzusteigen. Oscar Wilde ist dafür immer eine dankbare Quelle. Es hat mich überrascht, aber er enttäuscht auch beim Thema Einzelplan 14 des Bundeshaushalts 2020 nicht. ({0}) Wilde hat sehr treffend gesagt, dass er als junger Mann geglaubt habe, dass Geld das Wichtigste im Leben sei und er es als alter Mann nun definitiv wisse. – Das mag zunächst einmal hart klingen, trifft aber zu. Politische Entscheidungen umzusetzen, kostet Geld, militärische Beschaffung kostet Geld, Versorgung und Bezahlung von Soldatinnen und Soldaten kosten Geld. Als Parlamentarier sind wir in einer privilegierten Position: Wir entscheiden darüber, wo wir Schwerpunkte setzen und wie wir Probleme lösen. Gleichzeitig ist die Beratung des Haushaltsentwurfs immer eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Deshalb vorab herzlichen Dank an unsere Haushälter, allen voran natürlich an Dennis Rohde. Ich bin mir ganz sicher, ihr werdet alle unsere Vorschläge, die wir hier eingebracht haben, umsetzen, und wir werden sie im Haushaltsentwurf tatsächlich bald wiederfinden. ({1}) Kolleginnen und Kollegen, wir alle kennen die Schlagzeilen über unsere angeblich heruntergewirtschaftete Truppe; wir haben auch heute wieder ganz viel dazu gehört. Wir wissen aus Standortbesuchen und Gesprächen auf allen Ebenen aber auch, wie engagiert die Angehörigen der Bundeswehr sind. Die Männer und Frauen, die in der Truppe ihren Dienst tun, verdienen keinen Spott. Sie verdienen Anerkennung, sie verdienen Respekt, und sie verdienen es, dass wir uns um ihre Probleme kümmern. ({2}) Niemand hier leugnet, dass es bei der Bundeswehr Probleme gab, Probleme gibt und auf absehbare Zeit sicher auch weiter geben wird. Aber schauen wir doch einmal zurück, was wir in den letzten Jahren erreicht haben. Vor der Sommerpause haben wir das Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz verabschiedet. Wir sorgen darin unter anderem für einen erweiterten Versorgungsschutz, für bessere Karriereperspektiven der Soldatinnen und Soldaten, für einen attraktiven Reservedienst, und wir stärken den Berufsförderungsdienst. Das sind alles Verbesserungen, von denen die Truppe konkret etwas hat. ({3}) Natürlich braucht es auch künftig weitere Anstrengungen, mit denen wir den Arbeitgeber Bundeswehr attraktiver machen. Ich bin überzeugt davon: Wir müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern; denn entgegen dem, was von manchem an dieser Stelle gern behauptet wird, besteht die Bundeswehr nicht aus Rambos, deren Lebensinhalt einzig und allein der Kampf ist. Sie besteht aus Menschen, aus Müttern und Vätern, denen wichtig ist, wie ihre Kinder versorgt sind, und was denn ist, wenn ihnen im Einsatz mal was passiert. Das mindert deren Einsatz in keiner Weise. Im Gegenteil, das wertet deren Einsatzbereitschaft auf. ({4}) Außerdem haben wir aktuell das Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz in der parlamentarischen Beratung. Dadurch wollen wir Verbesserungen für das Bestandspersonal erreichen – sehr, sehr wichtig –, etwa im Zulagewesen durch Anhebung der Auslandsverwendungszuschläge und durch Verbesserung bei Reisebeihilfen und Trennungsgeld. Kolleginnen und Kollegen, mit dem Erreichten sind uns die Baustellen aber selbstverständlich noch nicht ausgegangen. Der Frauenanteil in der Bundeswehr, Frau Ministerin, muss deutlich erhöht werden. Bei 180 000 militärischen Dienstposten gibt es nur etwa 22 000 Frauen. ({5}) Das ist deutlich zu wenig. Wir brauchen, Frau Ministerin, eine konkrete Ansprache dieser Zielgruppe. Wir brauchen passende Werbemaßnahmen. Wir brauchen passende Angebote. Das wäre ein Anfang. Wir müssen aber auch den Binnenarbeitsmarkt der Bundeswehr stärken und vorhandene Potenziale nutzen, etwa durch individuelle Personalführung und durch mehr Stellen bei den Personalbearbeitern. So können wir eine langfristige Bindung an den Arbeitgeber Bundeswehr erreichen. Wir wollen außerdem, dass das militärische Führungspersonal in der Bundeswehr mehr Zeit hat, um wirklich militärisch führen zu können. Dazu gehört, dass wir dieses Personal von ausufernder Bürokratie entlasten. Die dadurch gewonnene Zeit muss in gute Führung investiert werden; ({6}) denn in jeder Uniform steckt ein Mensch mit individueller Lebensplanung, mit individuellen Sorgen und individuellen Nöten. Vorgesetzte müssen wieder in die Lage versetzt werden, mit dem ihnen anvertrauen Personal ins Gespräch zu kommen und all diese Herausforderungen zu bewältigen. ({7}) Es ist auch gut, dass es jetzt ein Handgeld von 25 000 Euro im Jahr für Kommandeure gibt. Damit können notwendige Beschaffungen in kleinerem Umfang sehr unkompliziert vor Ort getätigt werden. Wir stärken damit die Position und auch die Handlungsfreiheit der Kommandeure vor Ort. Das ist ein kleiner Anfang, aber ein wichtiges Signal. Es wird begrüßt, in der Bundeswehr Verantwortung zu übernehmen, und das ist auch gut so. ({8}) Meine Damen und Herren, nach 25 Jahren der Einsparungen haben wir die Bundeswehr auf eine stabile finanzielle Basis gestellt. Darauf bauen wir nun weiter auf und investieren – nicht, um irgendwelche Quoten zu erfüllen, sondern um Probleme zu lösen. Liebe Frau Kramp-Karrenbauer, wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf, speziell im Hinblick darauf, wo gespart werden kann: Ihre Vorgängerin hat sehr viel teure externe Beratung ins Ministerium geholt. Wir als SPD glauben, dass es besser wäre, hoheitliche Aufgaben selbst zu erledigen. Bauen Sie doch auf die zivilen Strukturen, die es gibt. Dort sitzen fantastische Kolleginnen und Kollegen, die echt was draufhaben. Denen kann man vertrauen, und die sollten künftig eher gestärkt als geschwächt werden, Frau Ministerin. ({9}) Vielleicht noch einen kleinen Ratschlag. Bevor Sie künftig auf die Big Four zurückgreifen, beziehen Sie doch mal die Big Two in Hamburg und in München mehr ein. Die beiden Universitäten der Bundeswehr sind ausgezeichnet aufgestellt und liefern sicherlich gern Expertise zu allen Fachfragen. Ein wissenschaftlicher Beirat stünde, so meine ich, jeder Ministerin und jedem Minister gerade im Verteidigungsministerium sehr, sehr gut zu Gesicht. ({10}) Kolleginnen und Kollegen, ist mit dem Erreichten alles perfekt? Nein! Sind damit für immer alle Probleme gelöst? Auch nicht! Ist es besser als vorher? Ja, ausdrücklich! Das ist es, worum es hier auch geht. Wir sehen Probleme, wir finden Lösungen, und wir setzen diese um. Unser irischer Poet hat einmal beklagt, dass die Menschen vor allem den Preis, aber von nichts den Wert kennen würden. Meine Damen und Herren, wir, die wir über den Bundeshaushalt beraten, sind in der privilegierten Position, beides zu kennen. Lassen Sie uns entsprechend handeln! Vielen Dank. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Reinhard Brandl. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „In einer Welt voller Fleischfresser haben es Vegetarier sehr schwer.“ Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern von Ihrem geschätzten Kollegen Sigmar Gabriel. ({0}) Er hat ihn als Außenminister einmal in einem Interview gesagt, und er hat damit die Welt beschrieben, wie sie wirklich ist, nämlich ein Ort, an dem staatliche und nichtstaatliche Akteure mit harten Bandagen ihre Interessen durchsetzen. Ich darf ein anderes Zitat hinzufügen, und zwar eines von Donald Trump: „Die Welt ist keine Gemeinschaft, sondern eine Arena.“ Er führte dann weiter aus, dass dies für ihn die elementare Natur internationaler Beziehungen sei und er dies auch befürworte. Das mag uns jetzt gefallen oder nicht – mir gefällt es nicht. Es ist nicht unser Verständnis von Außenpolitik, die für uns geprägt ist von internationaler Gemeinschaft und Zusammenarbeit. Wir setzen uns ein für Frieden und Sicherheit in der Welt. Wir engagieren uns für Demokratie, Menschenrechte, Freiheit. ({1}) Aber wir müssen auch feststellen, dass es in dieser Welt andere Akteure gibt, die ihre Interessen mit anderen Mitteln durchsetzen, für die wir in einer Arena Gegner sind und die keine Rücksicht nehmen auf deutsche oder europäische Schwächen. Meine Damen und Herren, ich sage das am Beginn der Haushaltsverhandlungen für den Verteidigungshaushalt. Wenn ich nachher mehr Geld für die Bundeswehr fordere, dann fordere ich das nicht als Selbstzweck oder aus Militarismus, sondern in dem Bewusstsein, dass wir in einer unsicheren Welt leben und dass wir in Europa, in Deutschland und in der NATO in der Lage sein müssen, unsere Art, in Freiheit und Sicherheit zu leben, im Ernstfall auch zu verteidigen. Wir sind Gott sei Dank nicht mehr herausgefordert an unseren eigenen Grenzen. Die Zeit des Kalten Krieges ist vorbei. Wir sind aber herausgefordert an den Außengrenzen von EU und NATO im Süden und im Osten. ({2}) Wir sind herausgefordert in weit entfernten Regionen der Welt. Die Ministerin hat vorhin als Beispiel den Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak angesprochen. Natürlich, wenn es dem IS gelingt, sich dort neu zu organisieren, ist das eine Bedrohung für unsere Sicherheit in Deutschland. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir das Mandat zur Bekämpfung des IS in den nächsten Wochen wieder beschließen. Meine Damen und Herren, wenn ich mir jetzt die Situation dort ansehe und mir vor Augen führe, welchen Beitrag wir leisten, muss ich sagen: Es sind hauptsächlich Tornados, Flugzeuge, die jeden Tag im Einsatz sind, übrigens mit einer überragenden Einsatzbereitschaft. Sie können fast alle Aufträge, die sie bekommen, erfüllen. Sie machen Fotos und Videos und beobachten, klären auf, wie der IS seine Waffen und sein Gerät verschiebt. Diese Tornados sind Material aus den 80er-Jahren. Wir haben die Situation, dass sie in spätestens zehn Jahren nicht mehr fliegen werden. Die Masse wird wahrscheinlich schon in sechs oder sieben Jahren am Boden sein, aufgrund dessen, dass die Ersatzteilversorgung dann nicht mehr gewährleistet ist. Die Ministerin hat vorhin angesprochen, dass die Nachfolge der Tornados noch nicht im Haushalt verankert ist. Genau das ist ein Beispiel dafür, welche Probleme auch wir mit dem Haushalt im Moment haben. Für das Jahr 2020 ist der Haushalt einigermaßen auskömmlich finanziert. Es fehlt ihm aber die Perspektive in der mittelfristigen Finanzplanung, die es zum Beispiel ermöglicht, so etwas wie die Nachfolge für die Tornados zu regeln. Ich bin seit 2009 im Deutschen Bundestag. Seitdem reden wir über die Nachfolge für die Tornados; sie wird jedes Jahr verschoben, immer mit der Aussage: Dieses Jahr ist kein Geld da, wir probieren es im nächsten Jahr. ({3}) Meine Damen und Herren, das ist das Problem. Und das ist natürlich eine Summe. Wir haben im Moment ungefähr 90 Tornados. ({4}) Wir brauchen wahrscheinlich 80 neue Flugzeuge. Jetzt rechnen wir einmal 150 Millionen Euro pro Stück – das ist eigentlich unabhängig vom Hersteller –, ({5}) dann sind das ungefähr 12 Milliarden Euro. Das heißt, über zehn Jahre müsste der Verteidigungshaushalt um etwa 1,2 Milliarden Euro angehoben werden. Das wird er aber nicht, weil es uns nicht gelingt, das mit dem Finanzministerium in der mittelfristigen Finanzplanung zu verankern. Da müssen wir dringend heran, um die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr zu erhalten.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Brandl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich, Frau Strack-Zimmermann, ich kläre gerne auf.

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie locken mich. Sie sind ja Teil der Bundesregierung als Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, -

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin Teil des Parlaments.

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– sind Teil des Parlamentes. Ich glaube, wir sind hier im Deutschen Bundestag; sagen Sie mir, wenn ich woanders bin. Sie sprechen gerade davon, was seit 2009 ist. Vielleicht beantworten Sie mir die Frage, wer seit 2009 das Verteidigungsministerium führt; vielleicht um einzuordnen, dass Sie gerade Ihre eigenen Verteidigungsminister anklagen. ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Strack-Zimmermann, seit 2009 haben wir verschiedene Regierungskonstellationen gehabt. ({0}) Die erste Konstellation war übrigens mit der FDP, ({1}) mit der haben wir 2009 regiert. ({2}) Es stimmt natürlich, dass wir in dieser Zeit es nicht geschafft haben, die Bundeswehr auf den Stand zu bringen, wie wir ihn bräuchten. Nichtsdestotrotz können wir uns doch jetzt nicht zurücklehnen und sagen: Wir haben es in der Vergangenheit nicht in dem Maße geschafft, wir probieren es für die Zukunft nicht mehr. – Das wäre doch falsch. Es ist auch etwas passiert. Schauen Sie sich den Verteidigungshaushalt 2014 an; da waren wir bei 32 bis 33 Milliarden Euro. Wir sind heute bei 45 Milliarden Euro. Da ist richtig etwas passiert in dieser Zeit. Aber ich begründe jetzt, warum das Geld immer noch nicht reicht. Auch das wird uns ja manchmal vorgeworfen: Ihr habt erhöht; aber warum braucht ihr denn immer noch mehr Geld? – Ja, wir brauchen mehr Geld, weil wir den Investitionsstau, der sich bei der Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten aufgebaut hat, endlich auflösen wollen. Viel Material ist in den 70er-, 80er-Jahren angeschafft worden, zu Zeiten des Kalten Krieges. Das läuft jetzt alles aus der Nutzung heraus. Das müssen wir jetzt nach und nach ersetzen, und dafür brauchen wir mehr Geld. ({3}) – Ich beantworte noch die Frage; sonst läuft meine Redezeit weiter. ({4}) Ich habe versucht, an dem Beispiel Tornado klarzumachen, wie teuer manche Rüstungsinvestitionen sind und wie notwendig manche Rüstungsinvestitionen sind. Das war mein Wunsch, und ich hoffe, Sie haben es jetzt verstanden. Jetzt dürfen Sie sich setzen; herzlichen Dank für die Frage. ({5}) Meine Damen und Herren, bei dem Thema Tornado geht es um eine bestehende Fähigkeit, die wir ausbauen und modernisieren möchten. Es gibt aber auch neue Herausforderungen für die Sicherheit unserer Bürger, denen wir begegnen müssen. Ich will ganz kurz noch drei Stichworte nennen. Erstes Stichwort: Cyber. Wir erleben jeden Tag, dass es Angriffe auf kritische Infrastrukturen mittels Cybermethoden gibt. Wir haben das Glück, dass die Angriffe bisher noch auf einem Niveau sind, dass die Betreiber der kritischen Infrastrukturen sie weitgehend selber abwehren können. Aber wir müssen uns auch in diesem Bereich massiv verstärken. Zweites Beispiel: Weltraum. Jeder von uns nutzt jeden Tag bewusst oder unbewusst Satellitenverbindungen, sei es über das Handy, sei es über das Navi, sei es über das Fernsehen. Unsere Wirtschaft ist abhängig von einer funktionierenden Satelliteninfrastruktur. Die Satelliten schwirren aber weitgehend ungeschützt im All herum. Darauf haben wir noch keine Antwort. Der Kollege Lindner hat vorhin das Thema Raketenabwehr angesprochen. ({6}) Wir haben eine weltweite Zunahme der Verbreitung von modernen Langstreckenraketen, zum Teil bei Ländern, die uns nicht wohlgesonnen sind. Auch darauf müssen wir eine wirkungsvolle Antwort finden. Meine Damen und Herren, allen diesen drei Bereichen ist gemeinsam, dass die Bedrohung schneller wächst als die Verteidigungskapazitäten der Bundeswehr. Ich habe vorhin von einer Arena gesprochen. In einer Arena muss man damit rechnen, dass Schwächen, die man hat, auch einmal ausgenutzt werden. Wir können nicht damit rechnen, dass sich diese Arena in den nächsten Jahren zu einer Komfortzone entwickeln wird. Ich hätte für die Haushaltsverhandlungen, die jetzt anstehen, eigentlich nur eine Bitte: Reden wir über Fähigkeiten der Bundeswehr! Reden wir über das, was die Bundeswehr an Ausrüstung und an Material braucht, um ihren Auftrag zu erfüllen! Das muss die Grundlage sein, und nicht die Frage, wie viel Prozent BIP hin oder her; das ist nebensächlich. ({7}) Unsere Aufgabe ist es, die Bundeswehr für ihren Auftrag, den sie von diesem Parlament bekommt, entsprechend auszurüsten, und dafür arbeiten wir. Ich bitte um eine gute Zusammenarbeit. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan Verteidigung liegen nicht vor.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider gehen die Verteidigungspolitiker. Es wäre durchaus sinnvoll, wenn auch sie einmal hören würden, was Entwicklung für einen Beitrag leistet. ({0}) Entwicklung, Sicherheit, Außenpolitik: Deutschland trägt internationale Verantwortung; das haben wir die letzten zwei Runden gehört. Die Haushaltsdebatte darf aber nicht nur eine nationale Nabelschau sein. In der Klimadebatte wird dies am klarsten. Der Klimaschutz ist die Überlebensfrage der Menschheit. Wir müssen in Deutschland ehrgeizige Klimaschutzgesetze umsetzen und das Pariser Abkommen einhalten. Aber die Rettung des Klimas schaffen wir nur durch effektive Zusammenarbeit mit den Entwicklungs- und Schwellenländern. ({1}) Da sage ich Ihnen: Afrika kann und muss der Kontinent der grünen, der erneuerbaren Energien werden. 600 Millionen Afrikaner haben noch keinen Zugang zum Strom: Wenn jeder Haushalt – Indien nehme ich noch dazu –, jeder dieser Menschen nur Zugang zu einer Steckdose bekommt – das wird passieren –, so bedeutet das, wenn wir die Entwicklung auf der Basis von Kohle nicht verändern, 1 000 Kohlekraftwerke; wir haben das einmal durchgerechnet. 950 davon sind bereits in Planung und im Bau. Das ist die Situation. Der Amazonas brennt. Die Lunge des Planeten erzeugt auch für uns in Berlin den Sauerstoff zum Überleben. Ich war vor sechs Wochen in Manaus. Viele reden ja über den Regenwald, aber waren noch nie dort. Deshalb sage ich hier noch einmal: Wir werden unser Engagement nicht beenden, sondern verändern und verstärken. Ich treffe demnächst wieder den brasilianischen Umweltminister, um diese Maßnahmen zu koordinieren. – Beifall bleibt aus … ({2}) – Der Amazonas ist ja auch weit weg, und die Bilder flimmern im Augenblick nicht mehr über den Fernsehschirm, also ist das Thema wieder weit weg. Ich freue mich über die Zusage der Kanzlerin, die internationalen Klimamittel von 2015 bis 2020 auf 4 Milliarden Euro zu verdoppeln. Wir sind in der Haushaltsdebatte, und ich sage Ihnen: 14 Tage vor dem New-York-Gipfel fehlen 500 Millionen Euro, um dieses Versprechen einzuhalten. Der Finanzminister hat mir zugesagt, die Finanzierung einzulösen. Das muss jetzt geschehen – vor dem Klimagipfel in New York. Das Zeichen dazu muss diese Haushaltsdebatte geben. ({3}) Wie würden wir, meine Damen und Herren, denn in der in Deutschland und international geführten Debatte dastehen? Mir ist es schon ein Stück weit peinlich, für 500 Millionen Euro immer mit dem Klingelbeutel bei den Debatten herumzugehen, um diese Zusage einzulösen. Wir erzielen einen vielfach größeren Effekt, wenn wir in den Schutz des Amazonas und anderer Regenwälder in den Entwicklungs- und Schwellenländern investieren. ({4}) Entwicklungspolitik ist heute als Querschnittsthema im Zentrum der Politik, und wir haben viel erreicht. Ich möchte Ihnen nach sechs Jahren sechs Schwerpunkte nennen. Erstens. Im Klima- und Umweltschutz gehen wir, geht Deutschland weltweit voran. Deutschland ist der Technologie- und Ausbildungspartner für über 50 Länder mit dem Ziel einer globalen Energiewende. Was hier erreicht wird, wäre ein eigenes Thema. Zweitens. Wir investieren in eine Welt ohne Hunger, und eine Welt ohne Hunger ist möglich. ({5}) – Ja. – Ich habe es schon mehrfach gesagt: Es ist Mord, wenn wir die Ereignisse um uns herum geschehen lassen. Es ist auch bedenklich – das sage ich nach der Verteidigungsdebatte –, dass weltweit die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit in diesem Jahr sinken, währenddessen die Rüstungsausgaben massiv steigen. So haben wir heute die Situation, dass weltweit für Rüstung zehnmal mehr, nämlich 1 700 Milliarden US-Dollar, ausgegeben wird als für Entwicklungszusammenarbeit, Friedensarbeit und Prävention. Auch hier sehe ich: Die Rüstungskonzerne haben die bessere Lobby; das ist vollkommen klar. Wir müssen Kriege verhindern, wir müssen Prävention betreiben und Frieden schaffen. ({6}) Zweitens. Ich möchte zwei Anmerkungen zum nationalen Haushalt machen, die auch an die eigenen Reihen gerichtet sind. Nicht jeder hört es gerne, aber die Koalitionsvereinbarung ist einfach unsere Grundlage. Die Mittel für das BMVg und das BMZ „sollen im Verhältnis 1:1“ steigen; so steht es drin. Diese Zusage wird nicht eingehalten. ({7}) Die Mittel für das BMZ steigen nach Vorlage des Haushalts in diesem Jahr um 128 Millionen Euro, die Mittel für das BMVg, wie wir eben gehört haben, um 1,7 Milliarden Euro. Ich verurteile weder das eine noch das andere; aber wir haben ein Verhältnis von eins zu eins vereinbart, und ich erwarte zumindest die Einhaltung der Klimazusage. Entwicklung und Sicherheit – beides ist gleichwertig. ({8}) Ich akzeptiere, Herr Finanzminister, auch nicht die Anrechnung von Krisentiteln des BMZ auf die NATO-Quote. Dritter Punkt. Wir stabilisieren die Krisenregionen der Welt; das habe ich die letzten Jahre zum Schwerpunkt gemacht, Bekämpfung von Fluchtursachen. Auf einmal sieht man keine Bilder mehr, und man meint, die Themen seien weg. Nein, meine Damen und Herren, 12 Millionen Menschen leben in den Flüchtlingscamps um uns herum, allein 6 Millionen im Krisenbogen um Syrien. Wir geben Milliarden für Flüchtlingsintegrationsleistungen in Deutschland aus. Das ist wichtig, aber es wäre genauso wichtig und sinnvoll, noch mehr vor Ort auszugeben, damit die Menschen eine Chance auf Überleben haben. ({9}) Der vierte Punkt. Wir, das BMZ, haben große Erfolge im Gesundheitsbereich erzielt. Wir bekämpfen Aids, Tuberkulose und Malaria. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, weil ja zu Recht gefragt wird, was dieser Einsatz bringt. 1990 – ich war noch in der Grundschule mit zwei Mädchen, die Polio hatten – hatten wir weltweit 350 000 Poliofälle. Wir haben durch Impfung über GAVI und GFATM im letzten Jahr weltweit die Zahl der Fälle auf 38, vornehmlich in Pakistan, reduziert. Von 350 000 auf 38! Ich halte es deshalb für richtig – die Kanzlerin hat es zugesagt –, die Ausstattung des GFATM von 800 Millionen auf 1 Milliarde Euro zu erhöhen. Das wird alles aus BMZ-Mitteln finanziert. Wir retten damit Millionen von Menschenleben, insbesondere das Leben von Kindern. ({10}) Fünftens. Der Marshallplan mit Afrika wird umgesetzt; Reformpartnerschaften sind erfolgreich auf dem Weg; der Entwicklungsinvestitionsfonds greift; die Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“ ist erfolgreich; „Grüne Bürgerenergie für Afrika“ sorgt für die Versorgung afrikanischer Länder mit Energie. Die Allianz für Entwicklung und Klima wird jetzt nach sechs Monaten von 350 deutschen Unternehmen umgesetzt. Partnerschaft mit Afrika ist wichtiger als je zuvor. Deshalb freue ich mich, dass die finnische Kollegin, Frau Urpilainen, im sogenannten Mission Letter von der Kommissionspräsidentin jetzt damit betraut wurde, auf die großen Herausforderungen Afrikas mit einem neuen strategischen Ansatz zu antworten – ich habe mir das genau angeschaut – und ein ehrgeiziges neues EU-Afrika-Abkommen auszuarbeiten. Damit ist Frau Urpilainen die neue Afrika-Kommissarin, auch wenn sie sich nicht so nennen darf. Wir werden gemeinsam bis zur deutschen Ratspräsidentschaft in einem Jahr eine ehrgeizige EU-Afrika-Strategie erarbeiten; ({11}) denn Europas Zukunft entscheidet sich ganz maßgeblich in Afrika. Sechstens. Wir kämpfen für Humanität und Gerechtigkeit in einer globalen Welt, meine Damen und Herren. Dazu gehört es, die Ausbeutung von Mensch und Natur in globalen Lieferketten endlich zu beenden. ({12}) Der Grüne Knopf ist da – der Grüne Knopf als staatliches Metasiegel für ökologisch, sozial fair produzierte Textilien. Das Zeichen des Grünen Knopfes richtet sich, meine Damen und Herren, an den NAP und alle anderen Lieferketten. Allen, die zu mir gekommen sind und gesagt haben: „Das geht nicht; wir können nicht von Bangladesch bis nach Berlin zertifizieren“, sage ich: Es geht. – Und es gehen tolle Firmen voraus. Es geht auch in den anderen Lieferketten. Es muss in allen Lieferketten Standard werden, globaler Standard, und soziale, ökologische Grundlagen schaffen. ({13}) Herr Präsident, ich bin gleich am Schluss. – Wir brauchen eine neue globale Verantwortungsethik: weltweite Standards, faire Produktion. Wir haben Maßnahmen umgesetzt; ich habe sechs Punkte genannt. Wir haben weitere Ziele. Der Prozess BMZ 2030/EZ 2030 reformiert die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Höhere Wirksamkeit ist das Ziel, aber auch die Überarbeitung der Länderliste und die Digitalisierung. Ich habe ein starkes Haus, eine großartige Aufgabe, ein starkes Team, auch mit meinen Staatssekretären, denen ich sehr herzlich danke. Vielen Dank für Ihre Unterstützung. ({14})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Volker Münz von der AfD. ({0})

Volker Münz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004835, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Müller! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Budget des Entwicklungsministeriums für das kommende Jahr soll um 1,2 Prozent auf nun 10,4 Milliarden Euro steigen. Das ist eine Steigerung um 60 Prozent innerhalb von fünf Jahren. ({0}) Deutschland ist in absoluten Zahlen weltweit der zweitgrößte Geldgeber für Entwicklungshilfe nach den USA. ({1}) Doch Minister Müller ist mit dem Volumen noch nicht zufrieden, wie er ja vorhin gesagt hat. Er möchte 500 Millionen Euro mehr. Lieber Herr Minister, dem kann meine Fraktion in den jetzt beginnenden Haushaltsberatungen nicht zustimmen; denn die Annahme „Viel hilft viel“ ist nicht richtig, meine Damen und Herren. ({2}) Die deutsche Entwicklungspolitik verzettelt sich nämlich nach wie vor. Die Mittel werden an Hunderte von Trägern für Tausende Projekte in rund hundert Ländern ausgeschüttet. Etliche dieser vielen Maßnahmen sind nicht zielführend. Die Wirksamkeit und Effizienz der Maßnahmen muss besser überprüft werden, meine Damen und Herren. Meine Fraktion fordert deswegen eine Stärkung des Deutschen Evaluierungsinstituts. Ein Schritt in die völlig falsche Richtung hingegen ist die im Haushaltsausschuss gegen die Stimmen der AfD beschlossene deutliche Reduzierung des Berichtswesens – entgegen dem Votum des Rechnungshofes. Das ist skandalös, meine Damen und Herren. ({3}) Was wir vor allem brauchen, ist eine Konzentration auf gezielte Projekte in Schlüsselländern, keine globale Gießkannenpolitik. Schwerpunkt sollten afrikanische Länder sein, und zwar die Bekämpfung der Fluchtursachen. Hier könnte mit den richtigen Projekten viel erreicht werden, um den Menschen vor Ort zu helfen, anstatt sie mit dem Anreiz hoher Sozialleistungen nach Deutschland zu locken. Unverständlich ist, dass sich Deutschland weit außerhalb des eigenen Einflussbereiches in Südamerika oder Asien engagiert und selbst Schwellenländer wie Brasilien oder Indien weiterhin Entwicklungshilfe in signifikanter Höhe erhalten. Die Bundesregierung sagte allein Indien im Jahr 2018  765 Millionen Euro zu, einem Land, das Atommacht ist und ein eigenes Mondlandeprogramm betreibt. Das Land kann sich selber helfen. ({4}) Haushaltsmittel werden auch durch Parallelstrukturen und Ineffizienz vergeudet. Die Abgrenzung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungsministerium bei der humanitären Hilfe ist nicht hinreichend deutlich. Auch das Wirtschaftsministerium verfolgt neuerdings eine eigene Afrika-Strategie. Diese Doppelstrukturen, die auch der Bundesrechnungshof deutlich kritisiert, müssen beseitigt werden, meine Damen und Herren. ({5}) Statt einfacher wird es in Zukunft aber schwerer, den Erfolg der Entwicklungshilfeausgaben zu bewerten; denn nun will auch das BMZ verstärkt in die weltweite Bekämpfung des Klimawandels einsteigen. Herr Minister, Sie sagten vor wenigen Wochen in der Presse, dass nationale Maßnahmen zur Klimarettung nur ein Tropfen auf den heißen Stein seien, weil unser Land nur 2 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verursache. Richtig, Herr Minister! Aber jetzt soll unser Land das Weltklima durch Engagement in den Entwicklungs- und Schwellenländern retten. ({6}) Es soll massiv – das sagten Sie – in die globale Energiewende investiert werden. Damit übernehmen wir uns, meine Damen und Herren. ({7}) Für meine Fraktion gilt: Qualität vor Quantität, und das heißt Nachhaltigkeit, Wirksamkeit und Effizienz, meine Damen und Herren. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Die nächste Rednerin in der Debatte ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Sonja Amalie Steffen. ({0})

Sonja Steffen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004164, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Zunächst einmal die guten Nachrichten: Deutschland übernimmt auch 2020 große Verantwortung in der Welt. Im kommenden Jahr wird Deutschland die Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe weiter steigern. Herr Minister Müller, Sie wissen und viele andere hier im Haus auch, dass es letztendlich doch sehr dem Einsatz der SPD-Bundestagsfraktion zu verdanken ist, dass wir im letzten Jahr noch einmal 500 Millionen Euro mehr zur Verfügung hatten und dass auch der Haushalt für 2020 steigen wird. Die ODA-Quote liegt im Augenblick – wir wollen dafür sorgen, dass sie nicht sinkt – bei 0,51 Prozent. Das sind nicht 0,7 Prozent; aber ich denke, wir müssen sowieso auf längere Sicht einmal darüber nachdenken, inwieweit Quoten überhaupt noch irgendeinen haushalterischen Sinn machen. ({0}) Ich sage das jetzt einmal so; denn ich finde es auf die Dauer schwierig, diese Eins-zu-eins-Verknüpfung von Entwicklungszusammenarbeit und Verteidigung – das haben Sie gesagt – durchzuziehen. Das ist einmal in den Koalitionsvereinbarungen aufgenommen worden, das wissen wir alle; aber ich finde es äußerst schwierig, diese beiden Häuser miteinander zu verknüpfen, weil es wirklich völlig unterschiedliche Bereiche sind. Zurück zum Haushalt der Entwicklungszusammenarbeit. Ich möchte daran erinnern: 2017 sind wir noch davon ausgegangen, dass 2020 lediglich 8,7 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen. Inzwischen sind es – wir haben die Zahl schon gehört – über 10 Milliarden Euro, nämlich genau 10,373 Milliarden Euro. Damit sieht der Entwurf des Haushalts des BMZ zum fünften Mal in Folge den höchsten Etat in der Geschichte des Bundesministeriums vor. Das kann sich sehen lassen, finde ich. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider ist es so, dass humanitäre Krisen, Kriege und gesundheitliche Katastrophen gerade in den ärmsten Ländern uns immer wieder aufs Neue vor besondere Herausforderungen stellen. Gerade erleben wir eine Hungerkatastrophe im Jemen, die wirklich unfassbar ist. Wir erleben einen Ebolaausbruch in Nigeria und im Kongo. Wir haben die Verbreitung von Polio zwar weitestgehend eingedämmt – das haben Sie, Herr Minister, schon gesagt; das ist hervorragend –, aber die Krankheit ist noch nicht ganz ausgerottet. Ich finde es sehr wichtig, dass Deutschland – hören Sie gut zu, Herr Minister! – die zweitgrößte Gebernation der UN bleibt. ({2}) Ich bin stolz, dass Deutschland hier eine besondere Verantwortung übernimmt. Wir tun dies nicht nur, weil wir es können – wie unser Finanzminister sagt –, sondern weil es sich auch so gehört. Ganz aktuell freuen wir uns besonders – Sie haben es schon erwähnt –, dass wir für die nächsten drei Jahre 1 Milliarde Euro für die Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose zusagen können. Wir alle wissen: Krankheiten machen an den Grenzen nicht halt. Deshalb ist es unsere Pflicht und unsere besondere Verantwortung, bei Krisen und bei der Bekämpfung von Epidemien wie Ebola, Aids und Polio mitzuhelfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Klimawandel ist ein globales Thema. Nationaler und internationaler Klimaschutz ist gefragt. Deshalb erhöhen wir die Beteiligungen beim multilateralen Klimaschutz auf 434 Millionen Euro. Herr Minister, wenn Sie erlauben: Anders als Sie es vorhin dargestellt haben, ist es ja nicht so, dass die Kanzlerin beim Gipfel in New York komplett im Regen stehen wird; sie geht immerhin mit einer Zusage Deutschlands von 434 Millionen Euro für den Klimaschutz in den Ring. Das ist eben nicht nichts. Ich will aber auch sagen: Wir von der SPD-Fraktion werden uns nicht sperren, wenn es darum geht, dass die Entwicklungszusammenarbeit mit mehr Geld ausgestattet wird; aber man muss auch immer schauen, ob alle Maßnahmen, die wir ergreifen, die wir im Haushalt verankern, tatsächlich so sinnvoll sind, wie es wünschenswert wäre. Der Minister hat vorhin schon darauf hingewiesen: Es gibt den Amazonienfonds. Er ist von Deutschland nicht so besonders reich bestückt. Aber wenn man die Zahl hört, denkt man: Immerhin. Gerade die Gäste auf der Tribüne werden denken: Das ist ganz schön viel. – Es sind immerhin 55 Millionen Euro, mit denen sich Deutschland an diesem Fonds beteiligt, während der brasilianische Regenwald quasi nach dem Willen der brasilianischen Regierung momentan zerstört wird. Da muss man schon genau hinschauen. Wir sind wie Sie, Herr Minister, nicht dafür, diese Gelder zu stoppen. Ich bin aber froh, dass Sie das erwähnt haben und sagen: Wir wollen uns darum kümmern, dass das Geld wirklich sinnvoll eingesetzt wird. Wir von der SPD-Fraktion machen auch keinen Hehl daraus, dass wir nach wie vor in Bezug auf die Sonderinitiativen skeptisch sind. Das wissen Sie auch. Wir haben diese schon eine ganze Weile im Haushaltsplan. Zumindest die Haushälterinnen und Haushälter sind da immer ein bisschen skeptisch. Es geht nicht darum, dass wir kein Vertrauen haben. Auch wir wissen, dass die Schwerpunkte, die Sie setzen, wirklich wichtig sind. Es fehlt nur an der einen oder anderen Stelle an der Transparenz. Ich weiß, dass viele NGOs mitunter sagen, dass es sehr schwierig ist, sich an diesen Sonderinitiativen zu beteiligen. An dieser Stelle will ich den vielen Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfern, die weltweit für uns und für andere Länder unterwegs sind und oftmals ihr Leben aufs Spiel setzen, einmal ein herzliches Dankeschön sagen. Das ist, denke ich, im Sinne aller hier Anwesenden. ({3}) Ich möchte auch die ONE-Jugendvertreter grüßen, sofern sie schon hier sind. Ich weiß, dass sie heute die Parlamentarier besuchen. Das ist sehr schön. Wir danken für ihre Arbeit. Wir müssen aber auch daran denken, dass es gerade hier in Deutschland ganz kleine Vereine gibt. Ich selber bin Mitglied eines solchen Vereins, der sich rein ehrenamtlich mit Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt, Projekte bewirbt, vor Ort ist und sich kümmert. An dieser Stelle geht ein herzliches Dankeschön auch an diese Vereine und ihre Mitglieder. ({4}) Ich freue mich auf die bevorstehenden Beratungen und denke, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen werden. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Michael Georg Link für die Fraktion der FDP. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Steffen, vielen Dank! Ich fand es gerade sehr schön, dass Sie den Haupt- und Ehrenamtlichen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gedankt haben. Das ist ein sehr schönes Zeichen, das wir setzen sollten; denn wir brauchen dieses Engagement der Hauptamtlichen, aber auch besonders der Ehrenamtlichen in diesem Bereich. Diesen wichtigen ehrenamtlichen Bereich müssen wir noch deutlich mehr unterstützen. ({0}) Herr Minister, Sie haben gerade Ihre Initiative zum Grünen Knopf vorgestellt. Ich finde, sie ist ein gutes Beispiel für Ihre Arbeit als Entwicklungsminister. Bei vielen Themen stimmt auf den ersten Blick der Grundgedanke. Sie surfen immer auf einer Welle öffentlich beliebter Themen, aber bei der eigentlichen Umsetzung hakt es. ({1}) Welches europäische Partnerland, frage ich Sie, macht denn mit beim Grünen Knopf? Welches ist mit an Bord? Kein einziges. Ähnlich ist es auch bei den völlig intransparenten, von Ihnen erfundenen sogenannten Sonderinitiativen. Da gibt es gute Slogans, zum Beispiel „EINEWELT ohne Hunger“. Ja, es stimmt – Kollegin Steffen hat darauf hingewiesen –, es ist nicht so, dass wir allem misstrauen. Aber 10 Prozent der Gelder – 10 Prozent; man überlege sich mal für einen anderen Einzelplan, was es bedeutet, dass ein Minister 10 Prozent mehr oder weniger freihändig vergeben kann – im BMZ gehen in diesen Topf der vier Sonderinitiativen, über die Sie an den normalen Regeln der Entwicklungszusammenarbeit vorbei verfügen können. Das geht einfach nicht. Das passt einfach nicht. ({2}) Der Bundesrechnungshof hat wiederholt auf dieses äußerst merkwürdige Verfahren hingewiesen. Die Sonderinitiativen begründen Sie damit, dass Sie manchmal schnell reagieren müssen. Ja, schnell reagieren ist wichtig – also so eine Art BMZ-Feuerwehr –, aber, Herr Minister, Sie sind nicht für die akute Erstreaktion und humanitäre Hilfe zuständig. Das BMZ ist für andere Dinge zuständig. Schaut man sich die Projektliste bei den Sonderinitiativen an, dann stellt man fest, dass das oft gar nichts mit schneller Reaktion zu tun hat. Nachhaltiges Facility-Management an öffentlichen Schulen im Libanon ist ein schönes Beispiel. Das ist beim besten Willen keine akute Herausforderung. Wozu brauchen Sie dann Sonderinitiativen am normalen Haushaltsverfahren vorbei? ({3}) Nachhaltigkeit vor Menge, das ist uns wichtig, ganz besonders, weil das BMZ im nächsten Jahr einen Rekordetat von 10,37 Milliarden Euro bekommt. Dass der Etat steigt, ist im Prinzip richtig; denn der internationale Bedarf wird größer: 70 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind; Waldbrände, viele andere Probleme, die erwähnt worden sind. Wir könnten die Gesundheitsprobleme hinzufügen. Dass der Etat steigt, ist also im Prinzip richtig. Aber was ist Ihre Strategie für den von der Bundesregierung zu Recht immer wieder beschworenen Multilateralismus? Wie stimmen Sie die Hilfe mit anderen ab? Da machen Sie jetzt zwar punktuell ein bisschen mehr – wir haben es gerade gehört – im Bereich Multilateralismus, aber es fehlt der koordinierte Fahrplan, zum Beispiel mit den Partnern in der EU in der Entwicklungspolitik. Oder was ist Ihre Vision, die deutsche Vision, der Weltbank von morgen? Vielleicht dürfte ich Sie gar nicht fragen, Herr Minister; denn Sie schicken in aller Regel Ihren Staatssekretär nach Washington und gehen gar nicht selber hin. ({4}) Sie schaffen stattdessen immer neue Stellen im Leitungsbereich des BMZ und – jetzt kommt es – auch im Bereich der bilateralen Zusammenarbeit. Aber auch in der bilateralen Zusammenarbeit hakt es. Denn was geschieht dort? Auf jeden Euro, den die KfW für ein Darlehen ausgibt, kommen mittlerweile 6 Euro, die sie für Zuschüsse ausgibt. Das ist süßes Gift. Das verstärkt die Abhängigkeit von Entwicklungsgeldern. Die Europäische Investitionsbank zum Beispiel als EU-Institution geht in ihren Projekten gerade den umgekehrten Weg – weg von Zuschüssen und hin zu mehr Darlehen. Das wäre der richtige Weg. ({5}) Apropos Europa, Herr Minister: Wir wünschen uns auch da mehr von Ihnen. Wir brauchen eine neue EU-Afrika-Politik, aber keinen personalisierten Afrika-Kommissar. Sie haben Frau Urpilainen erwähnt. Warten wir einmal ab, was alles im Dossier ist. Aber wir bräuchten vor allem einen deutschen Minister, der sich mit seinen Kollegen in Europa mehr abstimmt. Der Grüne Knopf wäre eine solche Chance gewesen. Sie haben sich entschieden zu wenig mit Ihren Kollegen in den Entwicklungsressorts der anderen EU-Staaten abgestimmt. ({6}) Dabei hapert es schon an den regierungsinternen Gesprächskanälen. Nicht weniger als 15 Ressorts engagieren sich in der Entwicklungszusammenarbeit. Aber könnten Sie mir auf Knopfdruck eine Liste aller Projekte vorlegen, die die Ressorts zum Beispiel in Ghana machen? Nein, denn das können Sie noch nicht einmal innerhalb des BMZ auf Knopfdruck. ({7}) All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, führt zu einer Ineffizienz, bei der nicht nur Steuergelder verschwendet werden. Das bedeutet vor allem, dass wir vor Ort nicht so helfen können, wie wir es eigentlich könnten und sollten; denn Hilfe, Unterstützung, Zusammenarbeit, das ist doch unser Ziel. ({8}) Wir werden deshalb in den Haushaltsverhandlungen konkrete Vorschläge vorlegen, wie wir deutsche Entwicklungszusammenarbeit wirksamer machen können: Stärkung der Multilateralität – ob im Bereich Waldschutz, ob bei der Bildung, ob bei der Familienplanung. Wir stehen als Opposition sehr gerne bereit, konstruktiv in den Haushaltsverhandlungen daran zu arbeiten. Für uns ist aber eines als Grundgedanke klar: Dieser nominelle Rekordhaushalt muss besser werden. Menge genügt nicht. Wir brauchen weniger Slogans und mehr Qualität. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eingangs ganz kurz noch etwas zu dem, was hier von der AfD-Fraktion bezüglich des Klimawandels immer kommt – Leugnung und dass wir hier nichts machen müssten, weil wir nur so einen geringen Beitrag leisten würden, und dass das gar keinen Effekt hätte –: ({0}) Das kommt mir, ehrlich gesagt, immer vor wie ein paar Jahrhunderte früher, als darüber diskutiert wurde, ob die Erde eine Scheibe oder eine Kugel ist. ({1}) Ich kriege es nicht in meinen Kopf rein, wie man so etwas so leugnen kann. Und dann kommen Sie mit dem Argument, die anderen seien alle dumm, also blieben wir auch dumm, es bringe ja eh nichts. Da müssen Sie sich wirklich mal an den Kopf greifen – ernsthaft. ({2}) Herr Minister, im Koalitionsvertrag steht, dass zur Hälfte der Legislaturperiode eine Bestandsaufnahme stattfinden soll, und das können wir anhand Ihres Haushalts hier einmal machen. Im Koalitionsvertrag steht: Wir werden auch unsere Ausgaben in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Humanitäre Hilfe und zivile Krisenprävention deutlich erhöhen. Die Erreichung der ODA-Quote von 0,7 Prozent ist unser Ziel. Dieses Ziel werden Sie nicht erreichen. Gemessen am derzeitigen Bruttoinlandsprodukt müssten wir – Pi mal Daumen – 23,5 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben, damit wir das Ziel erreichen. Ihr Ministerium verfügt aber lediglich über 10,3 Milliarden Euro. Wenn die Finanzplanung so eingehalten wird: Im Jahr 2021 gibt es noch einmal eine kräftige Absenkung um fast 1 Milliarde Euro. Man kann also jetzt schon konstatieren: Das Ziel kann überhaupt nicht mehr erreicht werden. Im Übrigen wurde vorhin während der Debatte zum Verteidigungshaushalt darüber gesprochen, dass man nur auf Sicht fährt. Sie fahren nicht auf Sicht. Sie fahren in der Dunkelheit, und zwar ohne Beleuchtung. ({3}) Denn all die Verpflichtungsermächtigungen, die hier hinterlegt werden, sind überhaupt nicht gedeckt. Das sind alles ungedeckte Schecks, und das muss natürlich jetzt noch korrigiert werden. Gemessen an den existenziellen globalen Problemen – wir sind uns da fast alle einig hier im Haus –, ist es natürlich eine bittere Pille, die wir hier vorgelegt bekommen. Das ist so nicht akzeptabel. Im Koalitionsvertrag steht auch – Sie haben das angesprochen –, dass der Aufwuchs beim Verteidigungsministerium sich eins zu eins in der ODA-Quote spiegeln muss. Wenn man sich das jetzt anschaut für den nächsten Haushalt, sieht man: Das Verteidigungsministerium bekommt 1,7 Milliarden Euro mehr, das BMZ 127 Millionen Euro. Beim Auswärtigen Amt – da gibt es auch ODA-Mittel – sind es minus 88 Millionen Euro. Das heißt: BMZ und Auswärtiges Amt zusammen bekommen unter dem Strich nichts. Das ist natürlich nicht die Umsetzung des Koalitionsvertrages. Das hat auch für Ihren Haushalt Folgen. Wenn Sie nämlich bestimmte Bereiche, die Ihnen wichtig sind, auskömmlich finanzieren wollen, müssen Sie logischerweise an anderer Stelle streichen, und das machen Sie auch. Die bilaterale finanzielle Zusammenarbeit geht zurück. Insbesondere in dem Bereich, der hier immer als wichtig unterstrichen wird – internationaler Klima- und Umweltschutz –, verzeichnen wir ein Minus. Die Schuldenumwandlung ist ganz gestrichen worden. Bestimmte Bereiche auskömmlich zu finanzieren und dafür an anderer Stelle etwas wegzunehmen, das ist der falsche Weg. ({4}) Es muss genau umgekehrt laufen. Wir müssen auskömmlich finanzieren, die anderen Bereiche so belassen, und das heißt letztendlich, dass der Etat angehoben werden muss. Trotzdem sage auch ich: Auch wenn wir mehr Geld hätten, auch wenn wir die 23,5 Milliarden Euro hätten, also die 0,7 Prozent, würde es nicht reichen, um alle Probleme der Welt zu lösen; das ist völlig klar. Deshalb halte ich es für richtig und wichtig, dass man sich weiter Gedanken darüber macht, wie man zu einer regionalen und thematischen Fokussierung kommt. Das Instrument der Reformfinanzierung – Äthiopien und Ghana sind hier angesprochen worden – ist, denke ich, eventuell ein Weg, den man gehen kann. Ich halte das für richtig. Ich hoffe nur, dass wir in den nächsten Jahren dort auch positive und nachhaltige Ergebnisse registrieren können. Alles in allem, Herr Minister, muss man Folgendes feststellen: Sie engagieren sich – das hat man heute hier wieder gesehen – für die Entwicklungszusammenarbeit, und zwar glaubwürdig. Das Finanzministerium engagiert sich für die Entwicklungszusammenarbeit nicht – das allerdings auch glaubwürdig. ({5}) Im Koalitionsvertrag stehen allerdings bestimmte Dinge, und ich bin immer davon ausgegangen, dass der Koalitionsvertrag eine Arbeitsgrundlage für alle Ministerien sein muss. Darüber müssen wir in den nächsten Wochen noch diskutieren, darum müssen wir hart ringen. Wir Linke wollen gerne, dass die Punkte aus dem Koalitionsvertrag im vorliegenden Haushaltsplan umgesetzt werden. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Uwe Kekeritz. ({0})

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Den mageren Aufwuchs des Entwicklungsetats zu beklagen, erspare ich mir. Ich spreche jetzt auch nicht die 0,7 Prozent an; das ist schon geschehen. Das Wesentliche für mich ist, dass der Entwurf in vielen Bereichen viel zu kurz springt. Neben den bisher kaum wirksamen inflationären Investitionsinitiativen – External Investment Plan, Compact with Africa, Marshallplan und weitere Initiativen – kommt nun der Entwicklungsinvestitionsfonds hinzu. Angekündigt sind 1 Milliarde Euro, im Entwurf stehen 125 Millionen Euro. Das ist deutlich weniger als angekündigt. Aber begreifen Sie das nicht als Kritik, Herr Müller, ich finde das so in Ordnung; denn das Konzept, das hinter diesem Plan steht, ist noch sehr unausgegoren. Belassen Sie es bei diesem Betrag. Entwickeln Sie dieses Instrument erst weiter. Zu den Investitionsinitiativen gehören auch PPP-Programme. Leider haben die Evaluierungen verheerende Ergebnisse erzielt. Die zentrale Botschaft lautet: Es gibt keinen entwicklungspolitischen Mehrwert, dafür aber deutliche Mitnahmeeffekte. Allerdings zeigt sich, dass Sie aus den wirklich unzähligen deutschen, internationalen, IWF- und Weltbankanalysen zum Thema PPP keine Konsequenzen ziehen wollen. Die PPP-Vorhaben, so wie Sie sie konzipiert haben, müssen entsorgt werden; denn sie schaden den Entwicklungsländern. ({0}) Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Wir brauchen Investitionen. Diese müssen aber nachhaltige Entwicklungen im sozialen, im ökologischen und im menschenrechtlichen Bereich befördern. ({1}) Ansonsten befördern wir zukünftig, wie in der Vergangenheit auch, Menschenrechtsverletzungen, Umweltvernichtung und tragen sogar zur Destabilisierung von gesellschaftlichen Systemen bei. Bis heute, Herr Müller, sind wir leider eher Teil des Problems, und das kann nicht unser entwicklungspolitischer Anspruch sein. ({2}) Wir sind auch kein unbedeutender Teil des Problems, wenn es um die Frage des Klimawandels geht; auf Argumente wie die der AfD brauchen wir wirklich nicht mehr einzugehen. Der Klimawandel ist nun einmal zur wichtigsten Menschheitsfrage geworden. Und was macht die Bundesregierung? Selbst die ambitionslosen Versprechen der Kanzlerin werden gebrochen. Trotz Rechentricks klafft eine Lücke von mindestens 500 Millionen Euro. Ich begrüße es, Herr Müller, wenn Sie fordern, dass diese 500 Millionen Euro noch nachgeliefert werden. Sie sagten auch, der Finanzminister werde sie finanzieren. Meine Informationen gehen dahin, dass der Finanzminister plant, Ihren Haushalt umzugestalten, sodass Sie die 500 Millionen Euro letztlich selber zahlen werden. Er wird auch auf das Umweltministerium zugreifen und Beträge aus diesem Etat herausholen. So stelle ich mir das nicht vor. ({3}) Der vorliegende Etat springt qualitativ zu kurz, zum Beispiel beim Thema Gleichberechtigung und Genderpolitik. Nicht einmal 1 Prozent der ODA-Quote wird gezielt in die Förderung einer gleichberechtigten Gesellschaft gesteckt. Das halte ich für skandalös. Traurige Realität ist nach wie vor, dass Armut weiblich ist. 70 Prozent der in Armut lebenden Menschen sind Frauen. Wir wissen alle, dass gerade Frauen die Trägerinnen der Entwicklung sind. Was liegt da näher, als diese Personengruppe massiv zu fördern? ({4}) Das geschieht aber kaum. Vor diesem Hintergrund ist der Entwicklungsetat ein frauenpolitischer Offenbarungseid. Kommen wir zum Grünen Knopf, Herr Müller. Niemand behauptet, dass dieser schadet. Das vermutlich 41. Siegel im deutschen Textilbereich, das erste weltweite Staatssiegel, wird über einen überschaubaren Zeitraum aber keinerlei Auswirkungen auf die realen Produktionsbedingungen vor Ort haben, und nur darauf käme es an. Ausgerechnet das zentrale Thema der menschenwürdigen Entlohnung spielt beim Grünen Knopf überhaupt keine Rolle. Mit diesem Knopf lenken Sie nur davon ab, dass das Textilbündnis am Ende ist. ({5}) Das von Ihnen, Herr Müller, propagierte Prinzip der Freiwilligkeit ist am Ende, es hat ausgedient. Es geht um Menschenrechte, es geht um Umweltzerstörung, Destabilisierung von Gesellschaften durch die Textilindustrie. Es kann nicht Ziel deutscher Politik sein, diese zentralen Themen der Freiwilligkeit zu unterwerfen. ({6}) Herr Müller, eine Bitte habe ich noch an Sie: Hören Sie endlich auf, sich hinter den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu verstecken und ihnen die Verantwortung für faire Lieferketten anzudichten. Übernehmen Sie endlich selbst die Verantwortung. ({7}) Hören Sie wenigstens einmal zu. Sie müssen ja nicht mir zuhören, aber hören Sie den Vertretern der Zivilgesellschaft zu, die gestern die Initiative Lieferkettengesetz ins Leben gerufen haben. Da wird Ihnen sicherlich gerne geholfen. Ich danke. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Volkmar Klein für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Volkmar Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004071, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltszahlen wurden schon angesprochen. Es wurde teilweise von einem zwar geringen, aber erfreulichen Aufwuchs gesprochen. Doch wenn man weiß, welch gewaltigen Aufwuchs der Haushalt des BMZ in diesem Jahr gegenüber dem vergangenen Jahr erlebt hat – von 9,4 auf 10,2 Milliarden Euro –, und berücksichtigt, dass es laut vorliegendem Haushaltsentwurf im kommenden Jahr einen weiteren Aufwuchs auf fast 10,4 Milliarden Euro geben wird, dann muss man sagen: Das ist ausschließlich eine richtig gute Nachricht, über die wir uns freuen sollten. ({0}) Ich würde die Zahlen aber gar nicht überbewerten; denn das schiere Ausgeben von Geld ist noch längst kein Erfolg. Es muss uns viel mehr um die Ergebnisse gehen. Was erreichen wir? Wo können wir wirklich die Perspektiven für die Menschen, gerade für junge Menschen, verbessern? Das kann man an vielen Stellen durchaus erleben. Vor einigen Wochen war ich mit einigen Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fraktionen in einer Schule im Süden von Tadschikistan. Dort gehen Jungen und Mädchen in eine von Deutschland finanzierte Schule – begeisterte Kinder, richtig selbstbewusste Mädchen –, und das ganz nah an der Grenze zu Afghanistan. Wir helfen mit diesem Geld, Kindern eine Chance zu geben. Wir helfen aber eigentlich nicht nur diesen Kindern, sondern wir helfen auch dabei, dass die gesamte Gesellschaft weniger vulnerabel ist. Alles andere wäre am Ende auch für uns in Deutschland schlecht. Das gilt gerade für dieses Gebiet in Zentralasien, aber eben auch für Gebiete in Afrika und viele andere Teile dieser Welt. Uns muss es darum gehen, nachhaltige Perspektiven zu bieten, gerade für Mädchen, gerade für Kinder, gerade auch in Afrika. Das hat ganz viele Aspekte. Das bietet nachhaltige Perspektiven. Über Bildung – wir waren in einer Schule – brauchen wir an dieser Stelle gar nicht mehr zu reden. Ich will zwei, drei Punkte nennen. Erstens: Gesundheit. Ohne Gesundheit – das wurde schon erwähnt – werden sich keine Kinder, wird sich aber auch keine Gesellschaft entwickeln können. Das ist wichtig für diese Menschen, am Ende aber auch für uns hier in Deutschland. Polio, andere Krankheiten und auch vernachlässigte Tropenkrankheiten wurden schon genannt. Die Mobilität ist größer geworden. Wir können uns gegenüber diesen Krankheiten nicht abschotten. Wir müssen helfen, dass sie dort, wo es sie jetzt noch gibt – das gilt eben auch für Polio und für viele der vernachlässigten Tropenkrankheiten –, bekämpft werden. Das ist auch in unserem Interesse. ({1}) Zweitens: Das Thema „Schöpfung und Klima“ wurde schon erwähnt. Da leistet die Entwicklungszusammenarbeit eine ganze Menge. Ich habe jetzt in einer Statistik gelesen: 250 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß durch deutsche Entwicklungszusammenarbeit gespart. – Ein anderes Zahlenpaar finde ich auch besonders faszinierend, weil uns das eine gewisse Leitlinie gibt: Es kostet in der Entwicklungszusammenarbeit ungefähr 30 Euro, eine Tonne CO2 einzusparen. In Deutschland kostet es 300 Euro, eine Tonne CO2 einzusparen. ({2}) Wenn man sich diese Zahlen anschaut, dann sieht man, dass schon einiges dafür spricht, dass der Finanzminister – viele Grüße an ihn – vielleicht doch überlegen sollte, die im Raum stehenden 500 Millionen Euro zur Bewirtschaftung in das BMZ zu übergeben; denn wir wollen mit diesem Geld im Interesse unserer Steuerzahler richtig viel erreichen. ({3}) Der Wald ist hier auch ein wichtiges Thema. Als Fraktion wollen wir noch mehr Wert darauf legen, zum Beispiel durch eine internationale Waldinitiative. Klar, wir reden gerade viel über das Amazonasgebiet, es geht aber auch um Aufforstungen – gerade in Subsahara-Afrika und in der Sahelzone. Gerade in dieser Woche war Tony Rinaudo, ein australischer Mitarbeiter von World Vision, erneut hier in Berlin. Viele – nicht nur ich – haben mit ihm gesprochen. Mit seiner Methode und einem ganz geringen Aufwand bringt er alte Wurzelstöcke in der Sahelzone dazu, wieder auszuschlagen, und es kommt zur Begrünung. Damit wird Aufforstung betrieben. Auch viele andere Projekte – sie alle sind sehr wenig kapitalintensiv – müssen wir sicherlich viel mehr unterstützen, damit wir etwas bewegen. Drittens: Jobs. Es geht um eine nachhaltige Perspektive. Ganz lieb helfen reicht nicht. Deswegen sind die Reformpartnerschaften und der Entwicklungsinvestitionsfonds wichtig, damit in den Ländern, in denen Good Governance wirklich gelebt wird, mehr ankommt und Jobs sowie Chancen entstehen können. Das läuft über drei Jahre. Wenn man das inklusive der Verpflichtungsermächtigungen sieht, dann erkennt man: Das ist schon ganz vernünftig finanziert. Abschließend will ich eines festhalten: Dieser jetzt vorliegende Entwurf des Haushaltsplanes 2020 ist eine hervorragende Grundlage dafür, die ausgezeichnete Arbeit des Ministeriums und der Bundesregierung in diesem Bereich fortzusetzen, und das sollten wir alle gemeinsam unterstützen. Herzlichen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Markus Frohnmaier für die Fraktion der AfD. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man heute hier zuhört, dann könnte man meinen, die Linken regieren schon mit. Kein anderes Ministerium steht stellvertretend so sehr für die fatale Mischung linker Ideologie und staatlicher Selbstbedienungsmentalität. ({0}) 2014 umfasste der Etat des Ministeriums 6,4 Milliarden Euro, dieses Jahr verausgabt das Ministerium dicke 10,2 Milliarden Euro. Das sind 60 Prozent mehr Geld, und Sie feiern das heute, als hätten Sie diesen Überschuss erwirtschaftet. Dabei machen Sie den deutschen Steuerzahler einfach nur zur Melkkuh. ({1}) Die Entwicklungsleistungen sind geradezu explodiert. 2014 verteilte die Regierung noch 12,5 Milliarden Euro quer durch die Welt, 2017 waren es schon 22 Milliarden Euro. Damit sind wir pro Kopf der größte Geber von Entwicklungshilfe weltweit. ({2}) Als die UN 2015 den Fahrplan für die Transformation unserer Welt, die Agenda 2030, verabschiedete, schossen die Kosten durch die Decke. Der Finanzierungsbedarf wird auf insgesamt 5 bis 7 Billionen US-Dollar geschätzt. Für dieses Geld könnte man übrigens dem deutschen Bürger für acht Jahre alle Steuern erlassen. ({3}) Im Rahmen dieser sozialistischen Eine-Welt-Ideologie wollen Sie unser Geld in den globalen Süden transferieren. Dabei machen Sie sich das kollektive Trauma der Merkel’schen Grenzöffnung von 2015 zunutze. ({4}) Vertreter Ihrer Regierung drohen ganz offen: Wenn der deutsche Steuerzahler nicht für die Bildung, die Gesundheit und neuerdings sogar die Arbeitsplätze in Afrika aufkommt, dann kommt Afrika zu uns. ({5}) Das ist die Logik eines Schutzgelderpressers. Meine Damen und Herren, in Berlin wüten zwei Stämme: die Araberclans und die GroKo. ({6}) – Kommen Sie mal runter, und hören Sie zu. Sie verstehen ja sonst gar nichts. ({7}) Profitieren von Ihrem Größenwahn wirklich die Ärmsten, die Hungernden, die Schwachen? Entstehen nachhaltige Strukturen durch diese Hilfe? Nein. Madagaskar hat drei Jahrzehnte lang internationale Hilfe erhalten. Trotzdem ist die Armut gestiegen, die Umwelt verschmutzt, die Bevölkerung explodiert. Die katastrophalen hygienischen Zustände führten 2017 und 2018 sogar zum Ausbruch der Pest. Wer profitiert also? Die wirklichen Profiteure sitzen in der linken Entwicklungshelferindustrie. Die Profiteure heißen Soros, Bedford-Strohm und SPD-Aussteiger Thorsten Schäfer-Gümbel. Die Profiteure, das sind Politiker und Prominente, über die niemand mehr spricht, bis sie sich in eine Traube fröhlicher afrikanischer Kinder begeben und dort fotografieren lassen. Die Profiteure, das sind die hochkorrupten Regierungen der Entwicklungsländer. 70 der 84 deutschen Partner gelten als hochgradig korrupt. Die Bundesregierung belohnt sie für ihre Inkompetenz, Faulheit und Verantwortungslosigkeit. Wer andere Menschen oder Staaten lange genug alimentiert, beraubt sie ihrer Eigenständigkeit. Sie mögen das offiziell Altruismus nennen. Ich nenne das linkes Herrenmenschentum. ({8}) Als AfD-Fraktion stehen wir für die Beendigung dieser Politik. Wir wollen die Rückabwicklung der Agenda 2030. Linke Ideologieprojekte wie gendersensible Männerarbeit in Nicaragua oder erneuerbare Energien für Moscheen in Marokko werden wir streichen. ({9}) Kinderlose, gepiercte Frauen in den 40ern, Malte Torbens, die Indiana Jones spielen wollen, kurzum: Mythomanen, die dabei helfen, ökologische Landwirtschaft ins usbekische Hochgebirge zu bringen, werden sich ein anderes Betätigungsfeld suchen müssen. ({10}) Was diese Regierung für den Dieselmotor ist, werden wir für die linke Helferindustrie sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Frohnmaier, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wir werden sie abschaffen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Ziegler für die SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mir ist noch ganz schlecht von gerade eben. ({0}) Der Haushalt des Deutschen Bundestages ist eben kein Selbstzweck. Das Parlament setzt die Prioritäten, gibt den Ministerien die Richtung vor und untersetzt dies mit finanziellen Mitteln. Ich sage ausdrücklich: der Deutsche Bundestag, wir, die wir hier sitzen. Entwicklungszusammenarbeit, früher Entwicklungshilfe genannt, hat mit deutlich über 10 Milliarden Euro einen guten Anteil daran. Ich finde, diese Mittel sind kein Feigenblatt, um uns von früheren, manchmal vielleicht auch heutigen Fehlern freizukaufen oder sie zu entschuldigen – jedenfalls aber in dem Bewusstsein für Verantwortung, die Sie nicht kennen: Verantwortung, die wir tragen, wenn wir billige T-Shirts kaufen, Handys in der Hand halten oder ohne Ende Wasser verbrauchen. Verantwortung, wenn wir viel zu viele Rinder halten und nicht wissen, wohin mit der Gülle. Verantwortung, wenn wir Obst und Gemüse aus weiter Ferne genießen, wohl wissend, dass dafür ganze Landstriche abgeholzt werden und Monokultur gefördert wird. Wir kennen die Ursachen für diese weltweiten Entwicklungen, die die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen zerstören und Natur unwiederbringlich vernichten, und wir genießen trotzdem. Wir genießen diesen unseren vermeintlichen Wohlstand. Und unsere rechte Fraktion ignoriert all das, spricht von „Größenwahn“ angesichts unserer Hilfe und Unterstützung. Ich sage: Der Größenwahn sitzt rechts von uns. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Verantwortung zu tragen. Der Bedarf an Entwicklungszusammenarbeit wird nicht weniger. Um nur ein paar Herausforderungen zu nennen: Immer noch ist jeder neunte Mensch unterernährt. Alle zehn Sekunden stirbt ein Kind an Hunger; dabei könnten wir 12 Milliarden Menschen ernähren. Immer noch sterben pro Tag 15 000 Kinder unter fünf Jahren mangels angemessener Gesundheitsversorgung. Immer noch haben über 1,8 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und 4,5 Milliarden zu sanitären Einrichtungen. Immer noch haben weltweit 260 Millionen Kinder – vor allem Mädchen – keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen, und 50 Prozent dieser Kinder leben in Kriegs- und Konfliktgebieten. Deshalb bleibt eine Menge zu tun. Entwicklungszusammenarbeit ermöglicht es uns, Verbesserungen herbeizuführen, aber auch Verschlechterungen vorzubeugen. Dass das auch im Einklang mit deutschen geopolitischen und strategischen Interessen steht, ist klar. Für die Umsetzung bedarf es aber einer ausreichenden finanziellen Basis, auch, weil sich Partner wie die USA zunehmend auf sich selbst konzentrieren und sich aus der Finanzierung der internationalen Organisationen zurückziehen, und auch, weil andere Länder Entwicklungspolitik für die Erweiterung ihrer machtpolitischen Einflusssphären nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, um den entwicklungspolitischen Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ weiterzuschreiben, treten jedenfalls wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dafür ein, verstärkt Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit und Bildung zu fördern. Es braucht deshalb erstens existenzsichernde Löhne für Mütter und Väter, damit Kinder eben nicht zum Lebensunterhalt beitragen müssen und die Schule besuchen können. ({2}) Es braucht zweitens einen sozialen Basisschutz, damit ein Arztbesuch nicht den finanziellen Ruin der Familie bedeutet. Und es braucht drittens bessere Kontrollmechanismen gegen ausbeuterische Kinderarbeit, damit eben Kinder nicht in den Steinbrüchen Pakistans für unsere Pflaster- und Grabsteine ihr Leben riskieren. Hier braucht es auch eine wirklich unabhängige und vertrauenswürdige Zertifizierung. Lieber Herr Minister, um solche Zertifizierungen effektiv und vertrauenswürdig zu gestalten, schlagen wir als SPD-Fraktion vor, zukünftig eine wissenschaftliche Begleitung aller Initiativen im Bereich der globalen Lieferketten zu etablieren. Dies gilt insbesondere für den diese Woche anlaufenden Grünen Knopf für fair hergestellte Kleidung, aber auch für das bereits laufende Textilbündnis. Das heißt, dass der wissenschaftliche Beirat des Grünen Knopfs ausschließlich und hoffentlich mit fachkundigen und unabhängigen Personen besetzt wird und auch ein Veto- und ein Mitspracherecht haben muss. Und: Die finanziellen Aufwendungen wissenschaftlicher Untersuchungen müssen in dem entsprechenden Haushaltstitel zusätzlich eingestellt werden. Die zusätzliche Finanzierung betrifft auch die überaus begrüßenswerte Ankündigung unserer Kanzlerin, den Beitrag Deutschlands für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria um rund 18 Prozent auf 1 Milliarde Euro in den nächsten drei Jahren aufzustocken. Zusätzliche finanzielle Versprechen dürfen nicht die bestehende Finanzierung gut laufender Programme gefährden. ({3}) Das gilt auch hinsichtlich der versprochenen und notwendigen Mittel für die internationale Klimafinanzierung. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir begreifen, dass wir mit den Mitteln der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auch einen Beitrag für Frieden, für Klimaschutz, für Bildung und Gesundheit leisten, dann begreifen wir hoffentlich auch, dass dieses Geld gut angelegt ist – für die Menschen, die jetzt darauf angewiesen sind, aber eben auch für unsere zukünftigen Generationen. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun Dr. Christoph Hoffmann das Wort. ({0})

Dr. Christoph Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Die Welt ändert sich, der Haushaltsentwurf des Einzelplans 23 zeichnet aber die dringend notwendigen großen Weichstellungen in dieser veränderten Welt nicht nach. Der Minister verzettelt sich in nationalen Alleingängen, versieht sich selbst mit einem Heiligenschein, um unangreifbar zu sein. Er macht Schaufensterinitiativen – vom Grünen Knopf haben wir gerade gehört –, die uns und die Welt nicht wirklich weiterbringen. Wir brauchen statt Klein-Klein große Würfe. ({0}) Die Entscheidung über das Weltklima fällt, wie der Minister richtig sagt, in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Schauen wir uns mal das Problem an: Das Problem sind die fossilen Brennstoffe. Da gibt es zwei Säulen. Die eine Säule ist die CO2-Bindung. Wir müssen CO2 wieder aus der Atmosphäre herausholen. Die andere Säule ist, dass wir Emissionen verhindern müssen. Brasilien hat bereits über 600 Millionen Euro Steuergeld für den Erhalt des Regenwaldes aus Deutschland erhalten. Und jetzt brennt der Amazonas wegen eines despotischen Präsidenten. Er hat den Amazonas zum Abschuss freigegeben. Und was plant die Bundesregierung? Weiter bezahlen. Das ist doch irre. Das können wir doch nicht machen. 2019 wurde im Amazonas die doppelte Waldfläche wie im Vorjahr zerstört. Diese Waldzerstörung ist ein Angriff auf die Menschheit. ({1}) Das Weltklima kann keine weiteren Waldverluste hinnehmen. Wir Freien Demokraten fordern deshalb als eine Konsequenz die Einstellung der EZ mit Brasilien zumindest im Bereich Waldschutz. Auf einen groben Klotz gehört nun mal auch ein grober Keil. ({2}) Grundsätzlich sollten wir die Zusammenarbeit mit inzwischen starken Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien überdenken. Wir sollten sie nicht mehr mit EZ-Mitteln oder KfW-Mitteln unterstützen. Es gibt Wichtigeres im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Aber wir dürfen unseren Einfluss in Brasilien nicht aufgeben. Wir müssen hier das Gegenteil tun. Wir müssen die Waldbauern dieser Welt dabei unterstützen, wieder aufforsten zu können. Das geht multilateral und weltweit. Es gibt kluge Lösungen dafür. Nicht nur in Brasilien brennen die Wälder, sondern auch in Indonesien, Bolivien, im Kongo. Überall werden Wälder im großen Maßstab vernichtet. Wir sehen, dass wir in diesem Jahr etwa 10 Millionen Hektar Wald verlieren werden. Das ist die Größe des Gesamtwaldes in Deutschland. Diesen verlieren wir in einem Jahr. Diese Entwicklung müssen wir aufhalten, und wir können sie aufhalten. Es gibt kluge neue Lösungen dafür. Diese Lösungen sind digital, und sie sind wirtschaftlich. Wir müssen dem Kleinbauern die Wahl ermöglichen und dafür sorgen, dass er wirtschaftlich besser handelt, wenn er aufforstet, statt Soja zu nehmen oder Viehzucht zu betreiben, wo er einen sofortigen Return hat. ({3}) Wir können die investiven Jahre der Waldwirtschaft mit direkten digitalen Zahlungen aus CO2-Kompensationszahlungen überbrücken. Ich glaube, das wäre der große Wurf, den wir wirklich brauchen. Bei den Direktzahlungen an die Waldbauern dieser Welt kann keine Regierung dazwischenfunken. Das ist möglich durch Digitalisierung. Ein solches dynamisches Element brauchen wir jetzt weltweit für den schnellen Waldwiederaufbau. ({4}) Wir brauchen neuen Wald in einer Größenordnung von 350 Millionen Hektar. Das kostet ungefähr 1,7 Billionen Euro. Wir sehen also, wir bewegen uns hier in ganz anderen Dimensionen. Das geht nur, wenn alle mitmachen, weil es hier um alles für alle geht. ({5}) Wo sind dazu die Mittel in Ihrem Haushalt, Herr Müller? Die großen Würfe fehlen. Kommen wir zu der zweiten Säule des Klimaschutzes: Emissionen. Wir brauchen einen viel größeren Ansatz im Haushalt für die notwendige umweltgerechte Elektrifizierung der Entwicklungsländer. Wenn wir nicht zusammen mit anderen Industriestaaten und der Privatwirtschaft dazu kommen, Wasserkraftwerke, Solarkraftwerke, vielleicht auch noch vorübergehend Gaskraftwerke in den armen Staaten dieser Welt mitzufinanzieren, werden wir mindestens 600 weitere Kohlekraftwerke in den nächsten fünf Jahren sehen; der Minister sprach von 1 000 Kohlekraftwerken. Das verträgt das Weltklima nun einmal nicht mehr. Also: Waldschutz, Aufforstung, umweltverträgliche Stromversorgung in Entwicklungsländern haben viel zu wenig Stellenwert in diesem Haushalt. Deshalb werden wir Sie auch unterstützen, wenn Sie mehr Geld für diesen Bereich haben wollen. ({6}) Noch mehr läuft falsch. Grundsätzlich muss die CDU-CSU-SPD-Koalition damit aufhören, Despoten autokratischer Regierungen mit Geld zu unterstützen. In Kamerun bezahlen wir aktuell knapp 10 Millionen Euro für eine Beratung zum Thema der gesetzlich verankerten Dezentralisierung. Aber der Präsident will keine Dezentralisierung. Im Gegenteil: Er führt einen Bürgerkrieg mit seinen eigenen Leuten. Wieso gibt es immer noch deutsche Steuergelder für eine solche Regierung in Kamerun? Das ist doch völlig unplausibel und unnütz. ({7}) Stellen Sie, Herr Minister, endlich die großen Weichen. Handeln Sie europäisch, und beenden Sie die Despotenhilfe! ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Evrim Sommer für die Fraktion Die Linke. ({0})

Helin Evrim Sommer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004897, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Sektkorken brauchen nicht zu knallen, obwohl wir ein 25-jähriges Jubiläum feiern können. Im September 1994 fand in Kairo die erste Weltbevölkerungskonferenz statt. Aber die Ziele, die man sich damals gesetzt hatte, wurden bislang leider verfehlt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Das Bevölkerungswachstum hat sich dramatisch verstärkt. Jedes Jahr kommt einmal Deutschland dazu, das heißt jährlich 80 Millionen Menschen zusätzlich, die vor allen Dingen in den niedrig entwickelten Ländern unter erbärmlichsten Bedingungen auf die Welt kommen. Man kann sich natürlich an dieser Stelle fragen: Was hat das eigentlich mit Deutschland zu tun? Eine Menge, kann ich Ihnen sagen. Lieber Entwicklungsminister Müller, Ihr Etat umfasst gut 10 Milliarden Euro. Aber Ihre Ausgaben für das dringlichste Problem der wenig entwickelten Länder sind beschämend: Nur ein winziger Bruchteil von diesen 10 Milliarden Euro fließt in die Familienplanung – mit unglaublichen Folgen. Südlich der Sahara kann jede vierte Frau nicht verhüten, obwohl sie es will. Weltweit führt das jährlich zu 74 Millionen ungewollten Schwangerschaften. Wir müssen junge Frauen unterstützen, damit sie eine selbstbestimmte Entscheidung über ihre Sexualität, Gesundheit und Verhütung treffen können. ({0}) Das ist ihr eigenes reproduktives Recht, und das ist auch im gesamtwirtschaftlichen Interesse. Familienplanung und berufliche Bildung müssen miteinander vereinbar sein. Nur Frauen, die selbst über ihre Sexualität entscheiden können, sind auch in der Lage, selbst Geld zu verdienen und langfristig zur Volkswirtschaft beizutragen. Nur so können wir ein wichtiges Ziel der globalen Nachhaltigkeitsagenda erreichen. Da wir jetzt schon mal bei Zahlen sind: Wir müssen mindestens 0,2 Prozent unseres Bruttonationaleinkommens für die wenig entwickelten Länder aufwenden. ({1}) Bislang geben wir nur die Hälfte aus. Dabei bleibt dann die Unterstützung armer Länder beim Aufbau des Gesundheits- und Bildungssystems auf der Strecke. An der UN-Messlatte – das wurde hier schon erwähnt –, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen, scheitern wir weiterhin, und das seit mehr als 40 Jahren. Hören Sie endlich auf, sich um das Thema „reproduktive Rechte der Frauen“ zu drücken. Es steht sowieso bei jeder Diskussion über Entwicklungszusammenarbeit im Raum wie ein unsichtbarer Elefant. Wer meint, Afrika helfen zu wollen, ohne über Familienplanung zu sprechen, der ist kein Freund Afrikas, der ist mindestens ein Feind der afrikanischen Mädchen und Frauen, die auf ein anderes Leben hoffen. Stocken wir die Gelder für die reproduktiven Rechte auf, und nehmen wir die Frauenrechte ernst, und vielleicht gibt es dann zum 50-jährigen Jubiläum der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz etwas zu feiern. In diesem Sinne vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben es selber schon gesagt: Dieser Gesetzentwurf zum Haushalt bringt eine enorme Lücke in Ihrem Etat mit sich. Sie sprechen von mindestens 500 Millionen Euro; vielleicht seien es mehr als 600 Millionen Euro. Ich muss Ihnen hier schon sehr deutlich sagen: Wer mit am Kabinettstisch sitzt, der sollte sich eigentlich dort durchsetzen. ({0}) Insofern spricht Ihr Etatentwurf nicht für Sie und auch nicht für diese Regierung. Es bleibt aber auch festzuhalten, dass es nicht beim Thema Haushaltszahlen erkennbar ist, dass Sie sich nicht durchsetzen, sondern dass das auch für andere Themen gilt. Ich beziehe mich im Folgenden ganz klar auf Sie, Herr Müller. Sie haben im Deutschlandfunk in einem Interview im Mai dieses Jahres deutlich ausgeführt – ich zitiere –: Appelle der Politik sind das eine, Freiwilligkeit in einem Markt, der grenzenlos global heute wirkt, führt nicht mehr zum Ziel. Der weltweite globale Markt braucht klare Regeln zum Schutz von Mensch, Natur und Tier. ({1}) Herr Müller, das sind gute Sätze. Aber genau wegen dieser Argumentation brauchen wir doch ein mutiges Gesetz – Sie nennen das Nachhaltiges Wertschöpfungskettengesetz –, das Sorgfaltspflichten einschließt, das also die Unternehmen gesetzlich zu Sorgfalt verpflichtet. ({2}) Ja, und dann kündigen Sie das an. Wir sitzen hier im Herbst – Sie haben das ja zum Herbst angekündigt –, und nichts liegt auf dem Tisch. Die Antwort ist dann: Das Wirtschaftsministerium prüft, und es kommt nichts. ({3}) So geht das nicht, Herr Müller. ({4}) Da müssen Sie nicht nur reden, sondern da brauchen wir auch Taten. Taten statt Worte brauchen wir auch bei der Stärkung des Multilateralismus. Es ist so, dass wir in den letzten Jahren tatsächlich einen Aufwuchs im Entwicklungsetat hatten. Die multilateralen Mittel, das waren 2014 30 Prozent von den deutschen ODA-Leistungen. 2017 – dafür haben wir die offiziellen Zahlen zu den ODA-Leistungen – sind die multilateralen Mittel auf 20 Prozent gesunken – in Ihrer Ministerzeit! –, obwohl wir einen deutlich wachsenden Etat haben. Das geht doch in die falsche Richtung. ({5}) Für 2020 erkenne ich im Haushalt auch keine Stärkung der multilateralen Arbeit. Hier kann man also auch nur sagen: Eine multilaterale Zukunft gibt es nicht zum Nulltarif. Da müssen Sie sich bekennen, und das können Sie ganz allein innerhalb Ihres Etats verändern. ({6}) Ich komme zu der dritten großen Aufgabe, dem internationalen Klimaschutz. Kanzlerin Merkel hat sich heute Morgen in ihrer Rede sehr deutlich dazu bekannt. Sie haben uns selber vorgerechnet, was die deutschen Versprechen für den internationalen Klimaschutz bedeuten, nämlich unsere Haushaltsmittel für den internationalen Klimaschutz auf 4 Milliarden Euro zu verdoppeln, wenn wir als Basis 2014 nehmen. 2014 hatte die internationale Gemeinschaft inklusive der deutschen Kanzlerin das zugesagt. Für die Einlösung dieses Versprechens fehlen uns 500 Millionen Euro – Stand heute. Frau Merkel will demnächst nach New York fahren. Was wird also passieren? Da wird es dieses Klimakabinett am 20. September geben. Dem Parlament wird das alles erst mal vorenthalten, obwohl wir schon die erste Lesung des Haushalts haben. Ich gehe mal davon aus, dass die Kanzlerin nach dem Klimakabinett die 500 Millionen Euro zusätzlich für den internationalen Klimaschutz in der Tasche hat, dass das dann nachgereicht wird – hoffentlich, denn sonst blamieren wir uns. Dass das nicht schon im Sommer entschieden wurde, ist anscheinend eine billige Marketingstrategie. ({7}) Aber ich sage Ihnen: So kommen Sie da nicht durch. 4 Milliarden Euro von Deutschland für den internationalen Klimaschutz wären gut, aber Sie selber haben 2014 auch beschlossen: Der faire Anteil Deutschlands beträgt eigentlich 8 Milliarden Euro -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Hajduk, auch heute gilt die vereinbarte Redezeit.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– ich komme zum Schluss –, ist also doppelt so groß. Deswegen müssen Sie auch nachweisen, dass die öffentlichen Mittel 4 Milliarden Euro sind und private Mittel nachhaltig, wie der Kollege Kekeritz gesagt hat, von der Wirtschaft kommen. Um diese Antwort drücken Sie sich seit Jahren herum, -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Setzen Sie jetzt den Punkt.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– und da werden wir Sie bis zur zweiten Lesung löchern. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Haushaltsansatz für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird auf hohem Niveau fortgeschrieben. Das wurde allgemein hier auch bestätigt und anerkannt, und das ist zunächst einmal eine sehr gute Botschaft. Aber wir haben auch gehört, dass es ein paar Aufgaben gibt, die noch nicht ausreichend in diesem Haushalt abgebildet sind. Jetzt muss ich mal sagen, Frau Kollegin Hajduk: Dass sich ein Minister am Kabinettstisch mit seinen Forderungen nicht durchsetzen kann, das gibt es mal – Sie als Grüne haben in der rot-grünen Koalition mehrfach erlebt, dass Sie sich bei Schröder nicht durchsetzen konnten –, aber ich finde es bemerkenswert, dass der Minister sich dann hier hinstellt und sagt: An diesem und jenem Punkt habe ich noch etwas, was umgesetzt werden kann. Jetzt sage ich als überzeugter Parlamentarier: Mir ist es zunächst einmal egal, was die Bundesregierung im Entwurf für den Haushalt beschlossen hat. Wenn wir der Überzeugung sind, es muss sich an dem ein oder anderen Punkt etwas ändern, damit der Haushalt so wird, wie wir ihn uns vorstellen, dann können wir das erreichen. ({0}) Deswegen sage ich: Stellen Sie sich doch nicht hier hin und jammern Sie hier nicht, sondern – Sie sind im Haushaltsausschuss – helfen Sie mit, ({1}) dass die Anliegen, die wir noch umsetzen wollen, auch umgesetzt werden können. Wenn die SPD mitmacht, haben wir eine breite Mehrheit, und schon ist das Ding passiert; so einfach ist doch die Sache. ({2}) – Frau Hajduk, ich komme auf Sie zu und auf die SPD auch. Wir werden Anträge stellen; dann wollen wir mal sehen. ({3}) Die FDP will ja auch mitmachen, Herr Kollege Link. Also haben wir doch schon eine breite Mehrheit. Da kann ich nur sagen: Als Parlamentarier bin ich selbstbewusst genug, um nicht das hinzunehmen, was die Regierung uns vorlegt, sondern das zu verfolgen, was wir machen wollen. ({4}) Aber jetzt noch ein anderer Hinweis. Der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, hat in seiner Zeit als Minister deutlich gemacht, dass dieses Ministerium mehr umfasst als die klassischen Aufgaben, die bisher abgebildet worden sind. Er hat nämlich deutlich gemacht, dass die ganz großen Themen wie die Entwicklung unseres Planeten und auch der Gesellschaft in diesem Ministerium angesiedelt sind. Wir haben jetzt viel über das Thema Umwelt bzw. Schöpfung gesprochen. Wir haben auch viel davon gesprochen, was notwendig ist, um Menschen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Einen Punkt, den Gerd Müller immer wieder anspricht, haben wir aber noch gar nicht richtig angesprochen: Das friedliche Zusammenleben unserer weltweiten Gesellschaft ({5}) hängt sehr davon ab, dass wir Menschen Perspektive geben. Und das ist ein zentrales Thema dieses Ministeriums: Menschen Perspektive zu geben. Dafür werden wir uns auch einsetzen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschen eine Perspektive zu geben, heißt zunächst einmal, sehr genau hinzuschauen: Wo liegen die Probleme? Da gibt es ein Thema, das mehr und mehr ins Bewusstsein kommt und das auch in diesem Ministerium angesiedelt ist: Das sind die weltweiten Konflikte der Religionen. Welche Bedeutung haben bzw. welche Rolle spielen Religion und die Konflikte um Religion für die Entwicklung der Menschen? Der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, der Kollege Markus Grübel, wird dazu demnächst in seinem Bericht auch etwas sagen. Gerd Müller weist auch immer wieder darauf hin, dass es bei den Konflikten einen Zusammenhang gibt zwischen religiösen Prägungen und dem, was man aus dem Leben machen kann. Deswegen finde ich es großartig, dass dieses Ministerium einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, dass verfolgte Jesiden und verfolgte Christen von Kurdistan aus wieder in die Ninive-Ebene im Irak zurückkehren können, indem dort Häuser gebaut werden, indem Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden, indem kleine Gesundheitszentren aufgebaut werden, in denen die Christen allen in dieser Region helfen und damit auch ein Angebot machen, die Konflikte zu überwinden. Da kann ich nur sagen: Wenn ein Ministerium – und ich kenne kein Ministerium, das in dieser Weise aktiv ist – einen Beitrag dazu leistet, dass wegen ihrer Religion Verfolgten – und das sind in dieser Welt nun einmal vor allem die Christen – geholfen wird, ist dies ein entscheidender Beitrag für eine friedliche Entwicklung in unserer Welt. ({7}) Dafür, lieber Gerd Müller, sage ich einen herzlichen Dank. Jetzt wollte ich nur noch darum bitten, dass wir uns in den Haushaltsplanberatungen bei den Projekten, die genannt worden sind, mächtig auf den Weg machen, damit wir helfen können, Klima, Zusammenarbeit und andere Punkte, die uns in der Entwicklungshilfe wichtig sind, voranzubringen. Ich kann nur sagen: Das Parlament soll mehr Mut haben, seine Vorstellungen auch in einem Haushaltsplan umzusetzen. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Ulrich Oehme für die AfD-Fraktion. ({0})

Ulrich Oehme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004843, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir als AfD möchten unsere Haushaltsvorstellung mit nur drei Worten umreißen: Weniger ist mehr. Wir möchten, dass das Ministerium endlich die Entwicklungshilfe verschlankt. Zwischen 2012 und 2017 bezahlten deutsche Steuerzahler weltweit neben 20 Milliarden Euro bilateraler Entwicklungszusammenarbeit weitere 7 603 Projekte – 7 603 Projekte sogenannter zivilgesellschaftlicher Träger mit einem Gesamtvolumen von 4,1 Milliarden Euro. Wie behalten Sie bei der Vielzahl dieser Projekte, Minister Müller, den Überblick, geschweige denn, wie können Sie Ihrer Kontrollfunktion nachkommen? Diese Geschenke wären in der Wirtschaft und der Forschung wesentlich besser aufgehoben. Die Förderung von Wirtschaftsprojekten in wenigen Ländern könnte etwas bewirken, und zwar in Ländern, die es wirklich möchten. Diese Länder haben jedoch auch eine Mitwirkungspflicht. Ihre vielen kleinen Projekte, Herr Müller, verbessern die Situation nur für wenige Menschen kurzfristig. Wir wollen aber die Situation für viele langfristig verbessern, also: Weniger ist mehr. Die Ressourcen Deutschlands waren einmal Wissen, Kreativität, Ingenieurskunst und Unternehmergeist. All dies scheint vergessen und verloren zu sein, auch hierfür gibt es Beweise. Der letzte Beweis ist das Urteil des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit, DEval, zum Projekt Abwassermanagement in Vietnam. Das Projekt läuft seit 2004 und liegt sage und schreibe elf Jahre hinter dem Zeitplan. Bemängelt wurde: Die Anlagen sind unrentabel und überdimensioniert. Das Geschäftsmodell ist nicht attraktiv, die Berichte der Durchführungsorganisation GIZ haben kaum Informationen oder Handlungsempfehlungen, und statt der Beseitigung von Umweltschäden sind neue entstanden. – Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Was für ein Bild gibt Deutschland in der Welt ab? Wir können weder Großprojekte im eigenen Land – beispielsweise BER – noch im Ausland umsetzen. Manchmal befürchte ich, dass Projekte noch während ihrer Bauzeit unter Denkmalschutz gestellt werden müssen. ({0}) Deshalb „Qualität vor Quantität“ oder „Weniger ist mehr“. Auch der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird inflationär gebraucht. Übrigens: Geprägt wurde er im 17. Jahrhundert vom Chemnitzer kurfürstlich-sächsischen Bergrat Carl von Carlowitz. Er verstand jedoch Nachhaltigkeit anders: Bei ihm stand die „Hebung von Handel und Wandel“ und der pflegliche Umgang mit Ressourcen generationsübergreifend im Vordergrund. Nachhaltig ist nicht, wenn der nigrische Bauer „der Mond“ oder „die Möndin“ sagt, auf seinen solarbetriebenen Fernseher schaut und die Inklusionstoilette benutzt. ({1}) Ob er sich wirklich ernähren kann, ist für ihn existentiell. Wir Deutschen sind so stolz auf unser Recyclingsystem. Was wir jedoch verschweigen, ist unser jährlicher Export von 1,2 Millionen Tonnen unverwertbarer Kunststoffe in Länder ohne ein Aufbereitungssystem. Wer schon einmal diese Länder bereist hat, weiß, wie es dort aussieht: Plastikmüll auf den Straßen, Feldern und in Bächen. Wir sollten technische Angebote machen, damit diese Rohstoffe – ja, Rohstoffe, nicht Müll – nicht in die Meere und später in unsere Körper gelangen. ({2}) Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, zum Beispiel mehr in die Forschung und Marktreife der Plastikpyrolyse zu investieren. Mit diesem Verfahren können immerhin 80 Prozent des Plastiks in Öl umgewandelt werden. Eine kleine, kompakte und leicht zu bedienende Anlage wäre eine konkrete Lösung für ein konkretes Problem. Das schafft Arbeitsplätze, beseitigt Umweltschäden und sichert langfristige Nutzbarkeit der Meere. In Neudeutsch: eine Win-win-win-Situation. Oder mit den Worten des Sachsen von Carlowitz: „nachhaltend“. Denn: Weniger ist mehr. Danke. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Wolfgang Stefinger das Wort. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viele Krisen, Kriege und Katastrophen auf unserer Erde erlebt und erleben sie auch heute noch. Ihre Auswirkungen zeigen uns tagtäglich, dass wir eine Welt sind – eine Welt, von der auch die Entwicklungspolitik immer spricht. Das heißt für uns, dass wir auch Verantwortung haben: Verantwortung für die Menschen, Verantwortung für unseren Planeten. Die Unionsfraktion gründet diese Verantwortung auch auf das christliche Menschenbild, und so gestalten wir unsere Politik. Aus dieser Verantwortung heraus – es ist vorhin, auch vom Minister, schon angesprochen worden – muss uns natürlich das Thema Lieferketten am Herzen liegen. Wir müssen uns fragen, ob der Kaffeebauer von seiner Hände Arbeit leben kann. Wir müssen uns fragen, ob in den Batterien, die wir verwenden, Rohstoffe enthalten sind, die aus Minen kommen, in denen Kinderarbeit stattfindet. Und wir müssen uns auch fragen, ob – um ein Beispiel aus dem Bereich der Textilindustrie zu nennen – T-Shirts wirklich nur 1 Euro kosten müssen, ob das von der Werbung vorgegebene „Geiz ist geil“ am Ende des Tages wirklich so geil ist. Das ist es nämlich nicht! Deswegen bin ich dankbar dafür – und ich denke, dass es durchaus auch ein Tag der Freude ist –, dass das Textilsiegel endlich auf dem Weg ist; denn dieses Siegel zeigt, dass es funktioniert. Heute kam von der Opposition die Kritik, dass man das ja europaweit hätte einführen können, sollen, müssen. Ja, durchaus, das hätte man natürlich machen können. Aber wenn wir im Bereich Textilindustrie so denken, dann müssen wir beispielsweise auch beim Thema Energieversorgung so denken. Wir hätten nie einen Atomausstieg beschließen dürfen, wenn wir gesagt hätten: Das darf nur europaweit funktionieren. – Das Wichtige ist, dass wir damit anfangen, und das tun wir beim Textilsiegel. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Siegel ein großer Erfolg wird. ({0}) Im Übrigen – Gerd Müller hat die EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr angesprochen –: Es wird eine EU-Afrika-Strategie geben. Es finden entsprechende Gespräche im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft statt, in denen es natürlich auch um solche Dinge gehen muss. Vor allem muss es auch um das Thema der finanziellen Ausstattung der Entwicklungszusammenarbeit auf europäischer Ebene gehen. Es ist gesagt worden: Ja, Deutschland leistet viel, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ohne uns, ohne die Bundesrepublik Deutschland, würde es in 70 Ländern keine Bildung geben, würde es in 26 Ländern keine Gesundheitsversorgung geben, würde es in 19 Ländern kein funktionierendes Trinkwassersystem geben. In über 50 Ländern sind wir im Bereich Energie unterwegs, ebenso im Bereich Landwirtschaft. Auch der Bereich Demokratie ist ein wichtiger Punkt. Hier möchte ich auch einmal den politischen Stiftungen ganz herzlich für ihre Arbeit und ihren Einsatz für Demokratie, Meinungsfreiheit und Menschenrechte in den Ländern danken. ({1}) Ja, wir müssen weltweit ein Bewusstsein schaffen für den ganzen Bereich „Umwelt und Klima“, gerade in den Entwicklungs- und Schwellenländern; der Minister hat es angesprochen. Hier stellt sich die Frage: Kohlestrom oder Strom aus erneuerbaren Energien? Es geht in den Entwicklungsländern auch um die Frage der Mobilität und angesichts der steigenden Weltbevölkerung um den Bereich der Lebensmittelproduktion. Dies alles kann aber nur in Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort erfolgen. Da möchte ich noch einen wichtigen Bereich ansprechen. Es bedarf neuer Technologien und natürlich auch Bildung – Bildungsinitiativen wurden vom Entwicklungsministerium aufgesetzt, aber auch die Afrika-Strategie des Bildungsministeriums ist zu nennen – sowie Forschungskooperationen, um beispielsweise im Gesundheitsbereich oder auch in der Landwirtschaft voranzukommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen am Beginn der Haushaltsberatungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Stefinger, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie demnächst auf Kosten Ihres Kollegen sprechen.

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. – Also, wir stehen am Beginn der Haushaltsberatungen und haben uns noch einiges vorgenommen. Ich freue mich auf die kommenden Wochen. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Sascha Raabe das Wort. ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir den Haushalt für das nächste Jahr betrachten, stellen wir fest, dass wir mit 10,3 Milliarden Euro eine Summe haben, die verglichen mit den 3,7 Milliarden Euro zu der Zeit, als ich hier 2002 anfing, schon deutlich größer ist; das wurde auch von vielen gesagt. In den letzten Jahren ist der Haushalt noch mal kräftig gesteigert worden. Als ich anfing, hatten wir eine ODA-Quote von 0,27 Prozent. Jetzt haben wir eine ODA-Quote von 0,51 Prozent. Man könnte natürlich sagen: Mit 127 Millionen Euro mehr im Haushalt 2020 ist schon alles gut. Ich sage aber ganz klar: Es ist nicht alles gut. Ich war im Juli mit einigen Kolleginnen und Kollegen bei der Vorbereitungskonferenz für den Gipfel, der jetzt im September zur Überprüfung unserer nachhaltigen Entwicklungsziele stattfindet. Die ersten beiden Ziele, die sich die Weltgemeinschaft bis zum Jahr 2030 gesetzt hat, sind die Überwindung von Hunger und extremer Armut. Die Zahl der Hungernden steigt seit drei Jahren wieder. Wir wollten die Zahl Jahr für Jahr drastisch reduzieren. Ich frage mich: Wo ist da der Aufschrei? Haben wir uns schon so daran gewöhnt, dass Kinder in Afrika sterben? Ich erinnere mich, wie ich zur Entwicklungspolitik gekommen bin. Ich hatte 1984 gesehen, wie furchtbar die Hungerkatastrophe in Äthiopien war. Das ist jetzt 35 Jahre her. Schon damals fand ich: Wie kann es sein, dass wir als zivilisierte Gesellschaft zulassen, dass so viele Kinder und Menschen hungern und sterben, weil sie nicht genug Kalorien zu sich nehmen können? Es reicht nicht, das Erreichen einer ODA-Quote von 0,7 Prozent, die wir schon seit den 80er-Jahren versprochen haben, immer weiter zu verschieben und sie irgendwann mal – 2030 – zu erreichen. Denn einer Mutter, die in dieser Sekunde irgendwo in Afrika zusehen muss, dass ihr Kind etwas zu essen hat, die mit ansehen muss, dass ihr Kind wegen einer einfachen Durchfallerkrankung oder Malaria stirbt, weil sie keinen Arzt in der Nähe hat, weil sie da nicht hinkommt, können wir nicht sagen: Wir warten mal ab und gucken weiter zu. Deswegen sage ich: Wir haben eine Verpflichtung, diesen Haushalt bis November noch einmal zu verbessern, etwas draufzulegen, damit wir nicht länger zuschauen, wie Kinder in Afrika und anderswo sterben. Das ist unsere moralische Verpflichtung, und da bitte ich Sie um Unterstützung, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({0}) Es wurde auch schon gesagt, dass wir bei der Prioritätensetzung, Herr Minister, mehr für die sogenannten Least Developed Countries tun müssen, für die Ärmsten. Wir haben im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung getroffen. Wir als Sozialdemokraten wollen, dass dort mehr Geld hinfließt. Denn so wichtig es auch ist, in Middle-Income- und Schwellenländer zu investieren, bleibt festzustellen, dass gerade in den Least Developed Countries die Zahl der Hungernden am größten ist; da müssen wir wirklich ganz viel tun. Da haben wir noch eine große Aufgabe vor uns. Ich bin der Meinung, dass wir das nur dann schaffen können, wenn wir auch unsere Handelspolitik verändern, wenn wir Unternehmensverantwortung nicht freiwillig, sondern gesetzlich verpflichtend machen. Zurzeit brennt der Amazonas. Man kann sagen: Es brennt damit die Lunge der Welt. Das hat natürlich auch ganz viel mit uns zu tun; denn dort werden Bäume gerodet und Flächen geschaffen für Fleischexporte, die nach Europa gehen, für den Anbau von Soja, das als Futtermittel zu unseren Landwirten nach Deutschland kommt. Wenn wir jetzt mit Brasilien und den Mercosur-Staaten ein Freihandelsabkommen abschließen, wodurch die Fleisch- und die Sojaexporte zollfrei ins Land kommen, dann ist das für die Agrarlobby dort und für diesen rechtsgerichteten Präsidenten Bolsonaro noch mal Wasser auf die Mühlen. Das wird noch mehr dazu beitragen, dass der Wald zerstört wird. ({1}) Die Europäische Union hat in dem Abkommen, das Frau Kanzlerin Merkel schon vorschnell als Riesenwurf abgefeiert hat, dem man jetzt schnell zustimmen müsste, ein Nachhaltigkeitskapitel eingearbeitet, in dem zu den Themen „Menschenrechte“, „Arbeitnehmerrechte“, „Pariser Klimaschutzabkommen“ und „Umweltschutzbestimmungen“ zwar schöne Worte stehen, wo aber bei Verstößen dagegen leider keinerlei Sanktionsmöglichkeiten genannt werden. Wir sehen bereits jetzt, was dieser Präsident schon macht und was dort unten passiert. Wir hatten gerade diese Woche – meine Kollegin Ute Vogt war dabei – ein Gespräch mit drei Gästen aus Brasilien, die uns erzählt haben, dass die indigene Bevölkerung zurzeit noch mehr drangsaliert wird, Umweltschützer zum Teil ermordet, bedroht werden und Gewerkschafter, die sich wehren, gefoltert werden. Da muss man doch sagen: Wir können uns nicht darauf verlassen, dass so eine Absichtserklärung in einem Handelskapitel am Ende dazu führt, dass sich hier etwas verbessert. Wir würden ja auch in Deutschland nicht auf die Idee kommen, unser Strafgesetzbuch so wie das Freihandelsabkommen zu machen und zu sagen: Ihr dürft keine Bank überfallen; aber wenn ihr es macht, passiert euch nichts, dann reden wir mal nett darüber. – Dann gäbe es wahrscheinlich kein Geld mehr auf irgendeiner Bank. Wir kämen auch nicht auf die Idee, den Bußgeldkatalog abzuschaffen und zu sagen: Ihr dürft nicht zu schnell fahren; aber wenn ihr es tut, bekommt ihr kein Bußgeld. – So sind zurzeit die Nachhaltigkeitskapitel in diesem Freihandelsabkommen angelegt. Deswegen muss das Kabinett auch den Mut haben – ich weiß ja, Herr Minister, dass Sie da an meiner Seite sind und das auch so wollen –, zu sagen: Wir beschließen das jetzt nicht in Brüssel, sondern wir beschließen es erst dann, wenn dieses Kapitel entsprechend nachverhandelt wird. Ich bin unserer Fraktionsspitze sehr dankbar. Rolf Mützenich und auch die zuständigen Stellvertreter Sören Bartol, Matthias Miersch haben sich für die SPD-Fraktion eindeutig positioniert. Wir sagen: Dieses Abkommen mit den Mercosur-Staaten darf im Kabinett nicht beschlossen werden, bevor es diese Nachbesserungen mit den entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten gibt. ({2}) Wir wollen auch, dass der Nationale Aktionsplan für Menschenrechte verbindlich wird. Wir wollen auch ein Lieferkettengesetz. Da bin ich Ihnen, Herr Minister, und auch Hubertus Heil dankbar, dass Sie, was diese Themen angeht, noch etwas Großes vorhaben und da an einem Strang ziehen. ({3}) Das sind die Dinge, die wir brauchen; denn nur dann, wenn wir auch Unternehmen gesetzlich dazu verpflichten, Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutzrichtlinien einzuhalten, können wir unsere Welt insgesamt retten und den Menschen auch ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Übrigens gibt es auch viele Unternehmen, die das wollen, die verantwortungsvoll sind, die gleiche Wettbewerbsbedingungen haben wollen und nicht wollen, dass schwarze Schafe sich mit Kinderarbeit Wettbewerbsvorteile verschaffen. Deswegen: Mehr Geld für diesen Haushalt, um Hunger und Armut zu bekämpfen, mehr tun beim internationalen Klimaschutz, um Menschen Zugang zu Energie zu ermöglichen, und fairer statt freier Handel. Das ist es, wofür wir kämpfen müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Raabe.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir müssen schnell handeln; wir müssen mehr tun. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Carsten Körber für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carsten Körber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004332, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Minister Müller! Dieser Bundesetat 2020 ist bereits der siebte Etat, in dem wir die schwarze Null erreichen. Das ist ein immenser Erfolg. Ein Erfolg ist aber auch der von Minister Müller vorgelegte Entwurf des BMZ-Etats. Wir leben in bewegten Zeiten. Und immer öfter kann man den Eindruck bekommen: Egoismus und ein auf den eigenen Vorteil ausgerichtetes Handeln werden zunehmend zur Richtschnur politischen Handelns in der Welt. In diesen Zeiten nimmt Deutschland seine Verantwortung in der Welt ernst und setzt auf internationale Zusammenarbeit. Das zeigt etwa auch der Entwurf des BMZ-Etats, der im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr – das wurde verschiedentlich schon erwähnt – um 127 Millionen Euro auf nunmehr 10,37 Milliarden Euro anwächst. Dies ist der größte BMZ-Etat aller Zeiten. Der Etat steigt aber nicht nur absolut, auch sein Anteil am Gesamthaushalt wächst, und zwar auf 2,88 Prozent. Das mag vielleicht auf den ersten Blick wenig klingen. Ich finde, das ist nicht wenig. An dieser Stelle möchte ich auch mal Danke sagen. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMZ, insbesondere denjenigen, die mit dem Haushaltsaufstellungsverfahren beschäftigt waren und dort mit viel Fleiß und Nerven und Detailarbeit diesen Entwurf mit erarbeitet haben. Vielen Dank für Ihre Arbeit! ({0}) Diese Vorlage werden wir uns jetzt im parlamentarischen Verfahren sehr genau anschauen und als Koalition vielleicht weitere Themen betonen oder auch, Herr Kollege Kauder, kraftvoll weitere Akzente setzen. Der Schwerpunkt unserer EZ-Politik wird auch im nächsten Jahr natürlich wieder auf Afrika liegen. Es geht darum, unsere Beziehungen zu unseren Partnern dort zu vertiefen und weiter zu intensivieren; denn ich bin der festen Überzeugung: Nur wenn sich Afrika gut entwickelt, hat auch die Welt insgesamt eine Chance auf eine gute Entwicklung. Eines der wichtigsten Themen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit wird auch der Klimaschutz sein. So hat die Bundeskanzlerin neulich beim G-7-Gipfel im französischen Biarritz 1 Milliarde Euro für internationale Klimamaßnahmen zugesagt. Die Situation der brennenden Regelwälder im brasilianischen Amazonasgebiet hat uns doch gezeigt, wie wichtig das Thema ist. Kürzlich hat eine Studie aus der Schweiz für Aufsehen gesorgt; denn sie zeigt, dass die Wiederaufforstung der Wälder einen fundamentalen Beitrag zur Stabilisierung des Klimas leisten könnte. Auch andere Untersuchungen stützen diese These. Doch noch wichtiger ist natürlich, CO2 erst gar nicht in die Atmosphäre entweichen zu lassen und Wälder nicht zu roden, sondern zu schützen. Deshalb hat sich Agrarministerin Klöckner vor wenigen Wochen mit den Ländern in der sogenannten Moritzburger Erklärung auf umfangreiche nationale Schutzmaßnahmen für unseren Wald geeinigt. Aber eben nicht nur bei uns, sondern auch international ist der Schutz der Wälder, insbesondere der Regenwaldgebiete in Süd- und Nordamerika, in Afrika und Asien absolut prioritär. Genau deshalb hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erst in der vergangenen Woche einen Beschluss für eine internationale Waldinitiative gefasst. Aber – es freut mich, das sagen zu können – auch andere handeln: Äthiopien hat an einem Tag über 350 Millionen neue Bäume gepflanzt. Bis zum Jahresende sollen es 4 Milliarden werden. Mehr noch: 20 afrikanische Staaten haben beschlossen, 100 Millionen Hektar Wald wiederaufzuforsten. Wälder helfen dem Klima. Deshalb unterstützen wir die Wiederaufforstungskampagne natürlich. Wir unterstützen sie mit Geld. Wir unterstützen sie mit Fachwissen und natürlich mit unseren international geschätzten und anerkannten Experten. Es geht dabei schließlich nicht allein um den Umweltschutz, es geht um mehr. Ein gesunder Wald hilft nicht nur der Natur, er schafft auch Arbeit und Lebensperspektiven für die lokale Bevölkerung. Sie sehen, meine Damen und Herren, wir haben viel zu tun in den nächsten Wochen und Monaten. Packen wir es an! Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.