Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/28/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kosovo ist ein Land von besonderer, von symbolischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland. Es steht für eine neue Ära in der deutschen Sicherheitspolitik, eine Ära, die bis heute andauert. Denn dort, im Kosovo, wurde die Bundeswehr zum ersten Mal mit einem robusten Mandat eingesetzt. In einfacher Sprache formuliert bedeutet das: Im Kosovo war die Bundeswehr zum ersten Mal im Krieg. So haben wir das damals, vor inzwischen über 20 Jahren, in leidenschaftlichen politischen und auch gesellschaftlichen Debatten empfunden, und so war es auch. Im Kosovo hat die Bundeswehr gekämpft und gelitten. Soldaten der Bundeswehr haben dort getötet und ihr Leben verloren. Viele sind an Körper und Seele verwundet von dort zurückgekehrt. Sie haben das getan, weil dieses Haus es so wollte, weil der Deutsche Bundestag die Risiken des Einsatzes immer wieder in Kauf genommen hat, um die damit verbundenen politischen Ziele zu erreichen. Ich will heute nicht von der Fürsorgepflicht sprechen, die der Bundestag sich mit jedem Mandat immer wieder neu auferlegt. Ich will mich auch nicht hinter wohlfeilem Dank verstecken, den wir den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr schulden. Ich danke ihnen für ihren Einsatz, für ihren Mut, für ihre Loyalität und natürlich für ihre Beharrlichkeit! ({0}) Ich danke ihnen natürlich und gerne. Aber darum geht es heute nicht – jedenfalls nicht nur. Es geht vielmehr um die 20. Verlängerung dieses Mandats. Allein schon diese große Zahl zwingt uns, auf die Fragen zu antworten: War es das wert? Durften wir das? Welchen Sinn hat es, nach 20 Jahren noch weiterzumachen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt: Der Bundestag durfte nicht nur, er musste, und es war richtig, und es hat weiterhin Sinn. Denn nach dem Ende des Kosovokrieges 1999 lagen nicht nur große Teile des Landes in Trümmern. Das gesellschaftliche Klima war vergiftet und von einer unmittelbaren Gewaltbereitschaft geprägt. In dieser Situation übernahm die NATO, gestützt auf die UN-Resolution 1244, in Form des KFOR-Mandats die Verantwortung für Sicherheit und Ordnung. Niemand sonst konnte sie gewährleisten. Es folgten schwere Jahre. Der Beitrag der Bundeswehr erreichte zeitweilig Brigadestärke. Aber immer waren die Anstrengungen von der Überzeugung getragen, dass der Frieden und der Schutz der Menschenrechte in unserer unmittelbaren Nachbarschaft notwendig und der Mühe wert sind. Wenn ich von Menschenrechten spreche, denke ich ausdrücklich nicht nur an die der Kosovaren, sondern auch an die der serbischen Minderheit, für die die bloße Existenz eines unabhängigen Staates Kosovo bis heute einen Verlust von Heimat und Identität bedeutet. Wenn wir uns das Kosovo heute ansehen, sehen wir ein Land, in dem noch längst nicht alles in Ordnung ist. Eine Schweiz des Balkans wird dort auf absehbare Zeit nicht entstehen. Aber das Töten hat aufgehört. Die Menschen können in Sicherheit ihre Zukunft planen. Der Hass hat sich teils zu einer Feindseligkeit abgeschwächt, teils ist er ganz geschwunden. Die Lage hat sich gewandelt. Selbst die serbische Minderheit, die in der Region um Prizren lebt, hat mit dem endgültigen Abzug der Bundeswehr im vergangenen Jahr keine Befürchtungen um ihre Sicherheit verbunden. Die Zukunftsperspektiven des Kosovo hängen heute nicht mehr an der NATO, sondern an der Europäischen Union, und das ist ein riesiger Fortschritt. Mit dem neuen Mandat, meine Damen und Herren, bekennen wir uns zu unserer Verantwortung für dieses kleine geplagte Land auf dem Balkan, und wir freuen uns auch darüber, dass wir nur noch 70 Soldaten brauchen, um gemeinsam mit unseren Verbündeten Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Das Kosovo beweist: Fortschritt ist möglich. Der KFOR-Einsatz war die Grundlage für den Fortschritt. Und das Kosovo zeigt auch: Nachhaltigkeit beim Aufbau einer friedlichen Zukunft in Demokratie, Wohlstand und Rechtsstaatlichkeit erwächst nicht aus dem Einsatz von Militär. Die Arbeit ist längst noch nicht getan. Wirklich am Ziel sind wir erst, wenn wir Serbien und Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien, Albanien und natürlich das Kosovo guten Gewissens in die Europäische Union integrieren können. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber der Blick auf die gemeisterte Wegstrecke zeigt: Nichts ist unmöglich. Am Ende dieses Weges steht ein befriedeter Balkan. Meine Damen und Herren, ein friedliches Europa kann es für uns nur geben, wenn der Balkan, diese uralte, wunderschöne, stolze, freiheitsliebende Kulturregion, endlich mit sich selbst in Frieden lebt. Bitte stimmen Sie dem 21. KFOR-Mandat zu. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Armin-Paulus Hampel, AfD. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Besucher und Gäste im Deutschen Bundestag und Zuschauer zu Hause an den Bildschirmen! Herr Felgentreu, ich habe den Eindruck, wir reden über ein spanisches Urlaubsgebiet. Die alten Kulturstätten, die Klöster auf dem Balkan und im Kosovo: Ja, das alles gibt es. ({0}) Aber dann fragen Sie sich mal, wer gerade eine Reihe von, ich glaube, über 200 Klöstern im Kosovo zerstört hat. Das waren Kosovo-Albaner, und die haben nicht die touristischen Vorstellungen, die Sie hier äußern. ({1}) Meine Damen und Herren, es begann mit einer Lüge. Es gibt eine Produktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, die derzeit mehrfach ausgestrahlt wird, die genau das wiedergibt, was in den 90er-Jahren im Kosovo an völkerrechtswidrigen Aktivitäten durchgeführt wurde. Es war nicht nur ein Bruch des Völkerrechts, nein, wir haben sogar, willentlich und wissentlich, gegen die UN-Resolution 1244 verstoßen, die ausdrücklich die territoriale Integrität Serbiens anerkannt hat. ({2}) Und Sie haben genau das Gegenteil gemacht: Sie haben sich gegen die UN und gegen das Völkerrecht gestellt. Das ist die Wahrheit. ({3}) Herausgekommen ist ein sogenannter Failed State, ein Verbrecherstaat, der von Kriminellen regiert wird. Drogenhandel, Menschenhandel, Waffengeschäfte, Geldwäscherei in jedem Sinne: Das lesen Sie in jeder internationalen Agentur. Bis hinauf in die höchsten Regierungsspitzen ist die kosovarische Regierung von Kriminellen durchsetzt, und der Präsident, der dort oben an der Spitze steht, Herr Thaci, stand ja schon vor einem Gericht und sollte angeklagt werden. Aber sämtliche Zeugen in diesem Prozess sind umgebracht worden. Ich habe keinen Aufschrei im Deutschen Bundestag darüber gehört, meine Damen und Herren. Kosten in Höhe von 3,4 Milliarden Euro, 130 000 Mann über 20 Jahre im Einsatz. 27 Soldaten haben im Kosovo ihr Leben verloren. ({4}) – Ja, nicht durch Kampfhandlungen, Herr Felgentreu – das stimmt –, sondern durch andere Umstände: Unfälle etc. Darunter waren übrigens viele Selbstmorde, nebenbei bemerkt. – Was haben wir erreicht? Das, was ich soeben geschildert habe und was die internationale Medienlandschaft Tag für Tag wiedergibt. Wir jedoch verschließen unsere Augen und träumen von einem neuen Mallorca auf dem Balkan. ({5}) Meine Damen und Herren, dieser Einsatz ist nicht die Knochen eines einzigen deutschen Soldaten wert. Wir unterstützen keine kriminellen Regierungen. Wir unterstützen keinen Mafiastaat. Wir haben uns 20 Jahre auf dem Balkan versündigt. Das ist die Wahrheit, Herr Kollege. ({6}) Ich hatte unlängst die Möglichkeit, ein langes Gespräch mit dem serbischen Außenminister zu führen, der sich bitter beklagt hat, dass das Normalisierungsabkommen von den westlichen Staaten gefördert, von den Kosovaren rund und glattweg abgelehnt wird. Es gibt keine Entwicklung bei diesem Abkommen, obwohl – die Frau Bundeskanzlerin hat es ja vorgestern hier bestätigt – die Serben die Vereinbarungen in ganz vielen Punkten eingehalten haben. Die Kosovaren machen genau das Gegenteil. Sie behindern alles, was zu einer Verständigung, zu einer Versöhnung nötig ist. Unlängst hat man serbische Produkte mit einem Zoll von 100 Prozent belegt. Das ist kein Versöhnungsprozess, das ist ein Spaltungsprozess. Und ich stelle mir vor, in der Europäischen Union würde mal einer auf die Idee kommen – sagen wir: die Holländer –, 100 Prozent Einfuhrzoll auf deutsche Waren zu erheben. Dann wäre hier im Deutschen Bundestag aber die Hölle los und in Europa sowieso. Dort lassen wir alles durchgehen. Warum? Ich habe es gesagt: Weil wir auf dem Balkan seit 20 Jahren eine kriminelle Bande unterstützen. ({7}) Und damit Sie mal wissen, wovon ich rede, zitiere ich mit Genehmigung des Herr Präsidenten Carla del Ponte, die in ihrem Buch über die Vergehen im Kosovo Schreckliches berichtet. Sie sagt, dort habe es ein sogenanntes gelbes Haus gegeben, in dem Organe von Gefangenen entnommen wurden. Man habe sie in eine Baracke gesperrt, bis man sie schließlich aller ihrer Organe entledigt hat. Die Gefangenen hätten, als sie von ihrem Schicksal erfahren haben, ihre Peiniger angefleht, sie zu töten. Das muss man sich mal vorstellen. All das lassen wir geschehen und sagen: Die Bundeswehr wird dort schon mit anderen Partnern für Frieden und Stabilität sorgen. Wir haben den Frieden nicht erreicht, wir haben die Stabilität nicht erreicht. Wir haben die Menschen einem grausamen Schicksal ausgesetzt. Jetzt wäre es Zeit, das zu korrigieren. Finden wir zu der Entscheidung, die viele internationale Vorschläge nahelegen. Das Kosovo ist nicht lebensfähig und wird über kurz oder lang Albanien zugeschlagen werden. Geben wir die Regionen, die hauptsächlich von Serben bewohnt werden, an Serbien, damit die Menschen dort unter ihren eigenen Landsleuten in Frieden leben können. Beenden wir schleunigst diesen Einsatz! Er hat Deutschland weder Ruhm noch Ehre noch Anerkennung gebracht. Danke, meine Damen und Herren. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was wir gerade wieder bei der Rede von einem Kollegen der AfD-Fraktion erlebt haben, ({0}) die ja regelmäßig der von Russland völkerrechtswidrig annektierten Krim Besuche abstattet, ({1}) ist nicht nur Blindheit gegenüber den Maßstäben des Völkerrechts, die wir, Deutschland, verteidigen, sondern diskreditiert insbesondere den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten, die diese Aufgabe seit 20 Jahren verrichten, die Blutvergießen verhindert haben und dafür gesorgt haben, dass ein schrecklicher Bürgerkrieg eingedämmt werden konnte, aber – wie nirgendwo auf der Welt – natürlich keine Verantwortung dafür übernehmen können, dass nicht auch weiter kriminelle Machenschaften stattfinden, in einem Ausmaß, das nicht akzeptabel ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das können wir hier nicht stehen lassen. ({2}) Deutschland zeigt mit diesem 20 Jahre dauernden Einsatz im Kosovo, dass es bereit ist, international Verantwortung zu übernehmen. Ja, dazu haben wir uns verpflichtet. Ja, auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor fast sechs Jahren haben der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin gesagt: Wir nehmen internationale Verantwortung wahr. Ja, dazu ist es notwendig, dass wir den Verteidigungshaushalt weiter erhöhen. Das 2-Prozent-Ziel ist für uns verbindlich. – Aber Deutschland kann auch selbstbewusst darauf hinweisen, dass wir diesen längsten Einsatz, der von der NATO geführt wird, zuverlässig begleiten, dass wir da sind, wenn Deutschland gefordert ist, um dafür zu sorgen, dass das Völkerrecht Geltung hat, ({3}) dass wir da sind, wenn es um Menschenleben geht, und dass wir für Sicherheit und Ordnung in dieser kritischen Region sorgen. Wir zeigen: Wir sind sicherheitspolitisch erwachsen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das können wir selbstbewusst sagen. ({4}) Es zeigt auch, dass wir in der Lage sind, dies auch mit einer Parlamentsbeteiligung zu realisieren. Die deutsche Parlamentsbeteiligung ist mancher internationalen Kritik ausgesetzt, und wir sagen allen internationalen Partnern immer wieder: Es ist gut, es ist richtig, und es ist nicht irgendein Relikt des Kalten Krieges, dass das deutsche Parlament daran beteiligt ist. – Dass wir hier im Deutschen Bundestag seit 20 Jahren verlässliche Mehrheiten für diesen schwierigen Einsatz haben, zeigt, dass parlamentarische Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten nicht bloß Inhalt irgendwelcher Sonntagsreden ist, sondern dass diese Verantwortung wahrgenommen und gelebt wird und eine parlamentarische Beteiligung richtig ist. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, und dieser Einsatz und unser heutiger Beschluss zeigen, dass wir dem gewachsen sind. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen in der Tat Verantwortung für das Kosovo und den westlichen Balkan wahrnehmen, aber auch die Staaten dort auffordern, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Da ist in der Tat viel zu tun. Wenn von Großalbanien die Rede ist, ist das eine wirkliche Gefahr für den Frieden dort, die insbesondere auch der kosovarische Präsident Thaci schürt. Das ist nicht akzeptabel. Wenn es Ideen gibt, wieder Grenzlinien anhand von ethnischen Bevölkerungsgruppen neu zu ziehen, dann ist das eine elementare Gefahr für Frieden und Sicherheit in dieser Region. Wir müssen allen Menschen dort sagen: Ja, ihr gehört zu Europa. Wir wollen euch in dieses Europa integrieren. – Das wird ein langer Weg sein – Fritz Felgentreu hat es gesagt –, aber das Europa des 21. Jahrhunderts ist ein Europa, in dem wir die Rechte ethnischer Minderheiten nicht mehr durch Grenzziehung wahren, sondern durch kluge Minderheitenpolitik. Das wird in Südtirol gelebt; das wird auch in Deutschland gelebt. Ich habe in meinem Wahlkreis eine dänische Minderheit. Und auch wenn die Grenzziehung zu Dänemark 100 Jahre her ist – glauben Sie nicht, dass es nicht auch dort noch Ressentiments gibt. Die gibt es natürlich in sehr viel größerem Umfang auch in der Balkanregion. Das heißt, dieses Europa der Zukunft muss ein Europa des integrativen Ansatzes sein, in dem ethnische Unterschiede eine immer kleinere Rolle spielen. Davon können wir erzählen, um diese Idee in diese Region zu bringen. Wenn wir diese Verantwortung weiter wahrnehmen und die Politikerinnen und Politiker dort, in dieser Region, weiter in die Verantwortung nehmen, dann ist es in der Tat möglich, diesen Kernbestandteil Europas auch in die Europäische Union zu integrieren. Wir werden voraussichtlich im Herbst hier über die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit weiteren Staaten zu entscheiden haben. Ich glaube, mindestens im Fall von Nordmazedonien ist klar: Es wird positiv ausgehen. Das heißt: Deutschland steht zu seiner Verantwortung im westlichen Balkan. Das ist ein Teil Europas. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr, aber wir nehmen auch die Politikerinnen und Politiker dort, in der Region, in die Verantwortung: Bekennt euch zu Europa! Lebt unsere Werte! Dann seid ihr herzlich willkommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marie Strack-Zimmermann, FDP. ({0})

Dr. Marie Agnes Strack-Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004906, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat: Es ist 20 Jahre her, dass die Einheiten der Bundeswehr die Grenzen zum Kosovo überschritten. Ja, es ist unvergessen, und es wurde heiß diskutiert. Sie hatten das Ziel, gemeinsam mit verbündeten Truppenkontingenten den Abzug der serbischen Polizei und der jugoslawischen Armee sicherzustellen. In der Spitze – das muss man sich vorstellen – waren, alle Verbündeten zusammengenommen, insgesamt 50 000 Soldaten beteiligt. Noch einmal zur Erinnerung: Das basierte auf der Grundlage der UN-Resolution 1244; es war keine Luftnummer. Das Ende der Kampfhandlungen zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien war bereits kurz zuvor festgeschrieben worden, und das Abkommen verpflichtete die KFOR-Truppen und auch die UCK, die albanische Befreiungsarmee zu entwaffnen. Diese hatte ihrerseits bereits während des Bürgerkriegs grauenvolle Verbrechen an der serbisch-kosovarischen Minderheit verübt. Damit richtete sich der Einsatz der Bundeswehr von Beginn an nicht eindimensional gegen irgendeine Gruppe. Durch das KFOR-Mandat war aus dem Kriegseinsatz ein Friedenseinsatz geworden, der der Gewalt ein Ende machen sollte. Herr Hampel von der AfD, Sie waren doch bei der ARD. ({0}) – Dann schauen Sie sich mal die Filme, die damals dort gedreht wurden, an! Die Albaner haben gejubelt, als die KFOR-Einheiten kamen, und auch die Serben feierten das Ende dieses Krieges. Die Menschen waren den Krieg leid. Sie waren des Krieges müde, und sie waren das Elend leid. Sie waren dankbar, dass die Truppen gekommen sind. ({1}) Es war ein Krieg, meine Damen und Herren, der Tausende Opfer forderte, weit über 1 Million Menschen in die Flucht trieb – die Auswirkungen haben wir auch in der Bundesrepublik erlebt – und in dessen Folge noch heute viele Tausend Menschen als vermisst gelten. Der Einsatz der NATO hatte Erfolg und hat diesen Bürgerkrieg beendet. Das zeigt sich jetzt natürlich auch in der Senkung der Personalobergrenze der Bundeswehr: Umfasste das Mandat zu Spitzenzeiten bis zu 8 500 Soldaten, so liegt die Zahl heute bei 400. Es sind – das wurde gerade gesagt – noch 68 Soldaten vor Ort. Ja, es ist richtig, an dieser Stelle noch einmal all den Soldatinnen und Soldaten Danke zu sagen, die in diesen zwanzig Jahren diesen Weg, der wahrlich eine Herausforderung war, gegangen sind. Die FDP dankt von Herzen dafür. ({2}) Meine Damen und Herren, zur Wahrheit gehört auch: Wenn im Kosovo heute auch Frieden herrscht, friedlich ist die Situation jedoch nicht. Der ethnische Konflikt wird von verschiedenen Akteuren leider immer wieder befeuert. Es spielt eben immer noch eine Rolle, wer Albaner, wer Serbe, wer Roma ist. Inzwischen sind es vor allem die Minderheiten der Serben und der Roma, die geschützt werden müssen. Serbische Kulturgüter drohen ohne dauernde Bewachung zerstört zu werden. Wiederholt kam es zu pogromartigen Ausschreitungen durch die Albaner. Wiederum kommt es aber auch in Gebieten der serbischen Mehrheit zu Unruhen und zu Angriffen auf UN-Angehörige und KFOR-Soldaten. Ich selbst konnte vor wenigen Wochen auf der Sicherheitskonferenz in Bratislava während eines Panels live erleben, wie sich die Präsidenten Serbiens und des Kosovos, Vucic und Thaci, auf offener Bühne wahrlich undiplomatisch verbal angegangen sind. Aber auch die wirtschaftliche Situation der Region und besonders die Situation der jungen Generation, die nach Perspektiven sucht, sind schwierig. Hier muss noch Unterstützung gewährt werden. Bisher herrscht hier ein Klima der Instabilität, und Instabilität bedeutet einen Nährboden für organisierte Kriminalität und auch für islamistischen Fundamentalismus. Meine Damen und Herren, die KFOR-Mission hat ihren Auftrag erfüllt, die öffentliche Sicherheit und Ordnung herzustellen, die Entmilitarisierung im Kosovo zu gewährleisten. Der KFOR-Einsatz ist weiterhin sinnvoll und wichtig in der Region. Die Menschen dort, gerade die jungen Leute, sehen ihre Zukunft mehrheitlich, auch wenn es ein langer Weg ist, in Europa und in der NATO. Die FDP wird diesem Mandat zustimmen. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Alexander Neu, Die Linke. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Im Gegensatz zu meinen Vorrednern – allesamt – habe ich kurz nach dem Krieg zwei Jahre im Kosovo gearbeitet, habe also Einblicke bekommen, die viele von Ihnen nicht haben. Insofern, glaube ich, kann ich von einer hohen Authentizität meiner Beobachtungen sprechen. Ja, vor 20 Jahren begann das NATO-Bombardement gegen Jugoslawien, danach die Besetzung durch die ­NATO-Truppen im KFOR-Format. Es gab eine Resolution des Sicherheitsrates, die Resolution 1244. Es ist ein Kunststück, dass der Angreifer, der Akteur, der angreift, sich dann als Friedenshüter mit einer Sicherheitsratsresolution ins Nest setzen und ein Gebiet besetzen kann. ({0}) Zuvor gab es die sogenannten Rambouillet-Verhandlungen, die ja bekannterweise gescheitert sind. Diese Verhandlungen waren aber keine Verhandlungen, sondern sie waren der Versuch eines Diktats führender ­NATO-Staaten. Jugoslawien sollte im Ergebnis auf einen Teil seines Staatsgebietes, das Kosovo, verzichten, der Rest Jugoslawiens sollte sich für NATO-Truppenbewegungen öffnen. Dieses Diktat hat Jugoslawien bekannterweise abgelehnt. Das Resultat war ein 77 Tage lang währender Krieg gegen Jugoslawien. Begründet wurde dieser Angriffskrieg mit einer Militärintervention aufgrund eines Genozids an den Albanern. Einen solchen hatte es aber nicht gegeben. Daher wurde dann von einem drohenden Genozid gesprochen; Stichwort: Hufeisenplan von Scharping. Das wahre Motiv dieser NATO-Aggression war also nicht der Schutz der Menschenrechte, zumindest nicht der Menschenrechte der Serben, wenn wir schon von Menschenrechten sprechen, sondern es ging darum, Jugoslawien in die Knie zu zwingen, wie es bereits Außenminister Kinkel im Jahre 1992 geäußert hatte. Es ging darum, Jugoslawien in die Knie zu zwingen und Serbien den NATO-Interessen unterzuordnen. Nach 77 Tagen NATO-Bomben gegen Jugoslawien, gegen militärische und vor allem zivile Ziele, ist Jugoslawien in die Knie gezwungen worden. Der damalige NATO-Pressesprecher Jamie Shea prahlte – Originalton –: Die NATO bombt Jugoslawien in die Steinzeit zurück. – Ja, Schulen, Krankenhäuser, Brücken, Eisenbahnen, Kraftwerke, Denkmäler, Fernsehsender, Industrieanlagen wurden zerstört. Sehr geehrte Damen und Herren, das war eine wahre Meisterleistung der westlichen Wertegemeinschaft. Nach dem Einmarsch der NATO in das Kosovo mussten über 220 000 Menschen fliehen – Nichtalbaner, Serben, Roma etc. –, die bis heute nicht zurückkehren konnten. Sie mussten fliehen oder wurden vertrieben unter den Augen und mit Duldung der NATO. Die Unterstützung für die albanischen Separatisten geht bis heute weiter. Das Kosovo ist ein Hotspot für Islamismus und organisierte Kriminalität. Die Unabhängigkeitserklärung der albanischen Separatisten im Jahr 2008 wurde von den NATO-Kräften im Kosovo geradezu militärisch abgesichert. Die diplomatische Anerkennung des Kosovo durch Serbien – hier ist der Druck auf Serbien erheblich – wird zu einer faktischen Voraussetzung für die EU-Beitrittsverhandlungen. Sehr geehrte Damen und Herren, sowohl die UN-Sicherheitsratsresolution 1244 als auch die UN-Charta sind für die NATO-Staaten ganz offensichtlich reine Makulatur, wenn es um den Balkanraum geht. Wer über die Annexion der Krim spricht und Respekt vor dem Völkerrecht einfordert, aber die eigene Mittäterschaft an der Zerschlagung Jugoslawiens und an der Zerlegung des Völkerrechts verschweigt, der offenbart sein instrumentelles Verhältnis zum Völkerrecht. ({1}) Machtpolitik statt völkerrechtstreuer Friedenspolitik ist die Leitlinie westlicher Politik. Und noch ein Hinweis. Ich finde es wirklich unsäglich, dass Kritik an diesem Einsatz immer auch mit Kritik an der Bundeswehr gleichgesetzt wird. Nein, es geht nicht um die Soldatinnen und Soldaten, die dort ihren Dienst verrichten, sondern es geht um die politischen Entscheider, die die Soldatinnen und Soldaten dort hinschicken und für ihre machtpolitischen Zwecke instrumentalisieren. Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich erteile das Wort dem Kollegen Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Für viele von uns ist der Krieg im Kosovo anscheinend in weite Ferne gerückt, für die Menschen vor Ort ist er aber nach wie vor sehr präsent. Auch 20 Jahre sind nicht ausreichend, um Traumata und den Verlust von Freunden, von geliebten Menschen zu verarbeiten. Ich bin froh, dass Kosovo trotz alledem heute im Alltag friedlich und sicher ist. Nichtsdestotrotz sind sich alle Expertinnen und Experten einig: Dieser Frieden ist keineswegs garantiert. Im Gegenteil: Seit November erleben wir eine neue Eskalationsspirale zwischen Serbien und Kosovo. Serbien blockierte mit Hilfe Russlands die Aufnahme Kosovos in Interpol. Daraufhin erhob die kosovarische Regierung Strafzölle in Höhe von 100 Prozent auf serbische Einfuhrprodukte. Die Gespräche zwischen beiden Regierungen zur Normalisierung ihrer Beziehungen liegen seitdem auf Eis. Konfrontation statt Annäherung lautet seitdem die Devise. Erst Ende Mai 2019 kam es im Norden Kosovos während eines Polizeieinsatzes gegen die organisierte Kriminalität zu einem Schusswechsel. Anschließend versetzte Serbien seine Streitkräfte in Alarmbereitschaft. Friedliche Nachbarschaft sieht anders aus. Weitere Eskalationen sind nicht auszuschließen. ({0}) Vor diesem Hintergrund ist KFOR nach wie vor ein elementarer Schutz- und Stabilitätsfaktor. Darüber sind sich die breite Mehrheit der Bevölkerung einschließlich der serbischen Minderheit sowie Regierung und Parlament einig. Für uns Grüne sind der Frieden in der Region und die Stabilität ein übergeordnetes Ziel. Deshalb werden wir der Verlängerung des Mandats zustimmen. Ein Problem, das sich für unsere Fraktion aber ergibt, ist die bereits begonnene Umwandlung der bisherigen KSF in militärische Streitkräfte. Durch ein Gesetzespaket im letzten Dezember soll die KSF nun auch für die Landesverteidigung zuständig und militärisch ausgerüstet werden. Um das klar zu sagen: Die KSF-Gesetze können nicht als einseitiger Akt Kosovos betrachtet werden, vielmehr sind sie die Antwort auf die aggressive Droh- und Eskalationsrhetorik der serbischen Regierung. Regelmäßig drohen Präsident oder Ministerpräsidentin mit dem Einmarsch serbischer Truppen und unternehmen alles, um den Norden des Landes zu destabilisieren. Vertreterinnen und Vertreter der serbischen Minderheit werden nicht selten als Marionetten für eine Obstruktionspolitik instrumentalisiert. Kosovo-Serben, die sich kritisch gegenüber der serbischen Regierung äußern, werden regelmäßig eingeschüchtert und bedroht. Der für seine Kritik an der serbischen Kosovo-Politik bekannte Politiker Oliver Ivanovic wurde 2018 ermordet. Der Aufbau einer kosovarischen Armee ist dennoch völkerrechtlich, aber auch sicherheitspolitisch brisant, weil sich die bestehenden Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo weiter verschärfen könnten. ({1}) Wir hätten uns gewünscht, dass die Weiterentwicklung der KSF in einem Verfahren erfolgt wäre, das den in der kosovarischen Verfassung vorgesehenen Weg eingehalten hätte, nämlich mit einer doppelten Zweidrittelmehrheit – im Gesamtparlament und unter den Minderheitsvertreterinnen und -vertretern. Wir hätten uns gewünscht, dass die Minderheitenrechte in dieser Frage besonders sensibel behandelt werden. Die Argumentation, dass die KSF erst nach zehn Jahren in Kosovo Armed Forces umbenannt wird, halten wir politisch nicht für überzeugend. Die Beteiligung der NATO an der Beratung zur Ausbildung der KSF ist für meine Fraktion deswegen auch kritikwürdig, wobei wir wissen, dass die Beratung der KSF unabhängig von KFOR im sogenannten NALT läuft. Meine Fraktion steht zur Unabhängigkeit des Kosovo. Aber wir möchten betonen, dass sich aus der Anerkennung des Kosovo nicht automatisch die Legitimation für den Aufbau eigener Streitkräfte ergibt. ({2}) Einer der zentralen Gründe, dem KFOR-Mandat zuzustimmen, ist, dass die Sicherheitsratsresolution 1244 vorsieht, dass die Landesverteidigung nicht durch eigene Streitkräfte, sondern durch die in diesem Rahmen mandatierten Kräfte erfolgt. Nichtsdestotrotz stellt sich hier natürlich die Frage, wer nach einem vollständigen Abzug der internationalen Truppen die Sicherheit der Menschen im Ernstfall verteidigen wird. Auch darüber sollten wir rechtzeitig nachdenken. Sie alle wissen, dass wir ein Problem mit der Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Truppenstärke im Kosovo und der deutlich höheren Obergrenze haben. Wer diese Region kennt, weiß, dass die dort stationierte Truppe als Symbol gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Spannungen zwischen Serbien und Kosovo und der nachvollziehbaren Angst vieler Menschen richtig und wichtig ist. Trotzdem ist auch hier klar, dass ein solches Auseinanderklaffen von Wirklichkeit und Mandatierung irgendwann aufgelöst werden muss. Ich komme zum Schluss. KFOR ist für den Frieden in der Region noch unerlässlich. Frieden auf dem Balkan wird es aber dauerhaft nur dann geben, wenn uns die Integration der Länder in die Europäische Union gelingt. Deswegen müssen wir im Herbst unbedingt die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien eröffnen sowie die Visafreiheit für das Kosovo durchsetzen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Eckhard Gnodtke, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Eckhard Gnodtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wer jetzt im Sommer von Serbien aus in die Republik Kosovo einreisen will, muss Geduld mitbringen. Schon sehr früh stauen sich an Grenzübergängen wie Merdare, Medevce und Mutivoda die Fahrzeuge, weil Einreisende an der Grenze eine Zwangshaftpflichtversicherung abschließen müssen. Die Menschen, überwiegend Kosovaren aus dem europäischen Ausland, nehmen dies jedoch geduldig auf sich; denn sie haben schon darauf gewartet, wie in jedem Jahr bei ihren Familien sein zu können und alles das zu tun, was man im Kosovo in wenigen Wochen erledigen kann, zum Beispiel zu heiraten, sich zu Familienfeiern und -festen zusammenzufinden oder aber – ganz profan – die Reparatur des Autos durchführen zu lassen. Endlich sind sie – darauf will ich hinaus – in ihrem Land, mit dem sie sich identifizieren, bei ihren Angehörigen, von denen dann der Abschied auch wieder schwerfällt, eine völlig andere Situation als noch vor 20 Jahren; die Vorredner haben darauf hingewiesen. Damals gab es 1,4 Millionen Menschen, die vertrieben wurden und flüchteten. Der größte Teil der damals 1,8 Millionen Kosovo-Albaner war obdachlos. Es war damals überhaupt nicht daran zu denken, dass Kosovo einmal eine Heimstatt für Kosovaren werden könnte: zum einen für diejenigen, die weiterhin im Kosovo wohnhaft sind und sich oftmals – Herr Dr. Felgentreu hat gesagt, dass es nicht die Schweiz des Balkan ist – eine bessere Arbeit zur Bewältigung ihres Alltags wünschen; zum anderen für diejenigen, die im Ausland wohnen und dort ihren Lebensunterhalt verdienen, sich aber weiterhin als Kosovaren und Kosovo-zugehörig fühlen und es auch sind. Wenn Sie einmal die genannten Grenzübergänge passieren oder mit dem Flugzeug von Berlin aus nach Pristina fliegen, sich dort also als ganz normale Besucher bewegen, sollten Sie es nicht versäumen, Kosovaren nach ihrem Sicherheitsempfinden zu befragen. Viele Kosovaren sprechen übrigens Deutsch. Viele wurden abgeschoben, nachdem sie um Asyl nachgesucht haben. Nicht alles ist ideal. Wenn Sie jedenfalls die Kosovaren befragen, werden Sie einhellig die Antwort erhalten, dass man sich sicher fühlt, dass man sich als Bürger eines selbstständigen Kosovo fühlt. Wenig später wird man Ihnen dann sagen: Dank an KFOR. – Herr Staatssekretär Silberhorn hat bereits den Abschlussappell in Prizren erwähnt. Die Menschen wissen sehr wohl, wem sie das Gefühl der Sicherheit zu verdanken haben. Jetzt noch 70 Soldaten im Kosovo – das wurde bereits vom Vorredner angesprochen –, eine Mandatsobergrenze von bis zu 400, wie passt das zusammen? Das ist schlichtweg ein Rückfallszenario; denn insgesamt 28 Nationen haben Kräfte in der Republik Kosovo stationiert. Wir sind also „nur“ ein Teil davon. Die NATO hält für den Fall einer unerwarteten Lageverschärfung Reservekräfte aus Italien, Ungarn und Großbritannien bereit. Diese sind festgelegt. Im Rahmen eines sogenannten Force Generation Process könnte dann auch das deutsche Kontingent entsprechend erhöht werden. Zusammengefasst: Das KFOR-Mandat hat sich von einem friedenschaffenden zu einem friedensbewahrenden Mandat gewandelt. Die vergleichsweise hohe Mandatsobergrenze soll all den Kräften, die glauben, die Erfolge im Kosovo infrage stellen zu können, eine Mahnung sein. Man könnte die KFOR-Kontingente sehr schnell wieder aufstocken und den Menschen im Kosovo helfen, ihre Sicherheit wiederzuerlangen. Abschließend möchte ich den Soldaten danken, die in der Republik Kosovo tätig sind, aber auch denjenigen, die im Auftrag der Bundesregierung den Menschen weiterhin bei der Bewältigung ihres Alltags helfen, zum Beispiel den GIZ-Mitarbeitern oder den Mitarbeitern von DIMAK. Ich habe mir selbst im letzten Jahr ein Projekt angeschaut, das zurückgekehrten Kosovaren dabei hilft, Arbeit und Ausbildung zu finden. Diese beiden Organisationen mögen stellvertretend für die anderen stehen. Sie alle machen – genauso wie die Bundeswehr – einen großartigen Job. Sie setzen sich ein für die Menschen im Kosovo. Sie setzen rechtsfreien Räumen in Europa Grenzen. Das ist in unser aller gemeinsamem Interesse. Ich bitte Sie, der Verlängerung des KFOR-Mandates zuzustimmen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Josip Juratovic, SPD, hat als Nächster das Wort. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hampel und Herr Neu, der Unterschied zwischen Ihnen und dem Rest des Hauses besteht darin, dass man permanent erlebt, dass Sie sich an die Seite der Täter stellen und nicht an die Seite der Opfer. Das sehe ich sehr problematisch. ({0}) Es gibt Opfer ethnischer Säuberungen. Sie wissen genau, was damals nicht nur im Kosovo, sondern auf dem gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens stattgefunden hat. Ich war zuletzt vor 14 Tagen im Kosovo und konnte wieder mit eigenen Augen sehen, was nationale Egoismen und Separatismen anrichten können. An die Adresse der AfD gerichtet: Das Resultat des Slogans „Wir zuerst in Europa“ und von Separatismen, die Sie bestärken, sieht man ganz genau auf dem Westbalkan. Genau solche Strukturen haben dazu geführt, dass dort diese Katastrophe stattfand. Im Kosovo findet heute keine bewaffnete Auseinandersetzung statt, und doch ist der Frieden dort, wie man fast täglich den Zeitungen entnehmen kann, sehr brüchig, nicht zuletzt weil Nationalisten und Kriegsprofiteure aller Art das Land in Geiselhaft halten und immer wieder für Konflikte mit den Nachbarn sorgen rein um des Machterhalts willen, mit dem traurigen Ergebnis, dass viele Menschen das Land verlassen in der Hoffnung, woanders eine bessere Zukunft zu finden. Auf der anderen Seite kämpfen täglich viele Menschen für ein besseres Kosovo, ein europäisches Kosovo im Vertrauen auf unser Versprechen, dass ihr Land eine EU-Perspektive hat. Wir sehen also vor uns ein zerrissenes Land im Herzen Europas, dessen Schicksal uns nicht gleichgültig sein kann und nicht gleichgültig sein darf. Die gefährdeten demokratischen Kräfte im Kosovo brauchen unsere Unterstützung und unsere Solidarität. ({1}) Wenn wir glaubwürdig für ein Europa der demokratischen Werte stehen wollen, dann müssen wir diese Unterstützung leisten. Dafür haben wir zwei Hebel. Erstens. Wir setzen die deutsche Beteiligung am KFOR-Einsatz fort. Der KFOR-Einsatz dient nicht nur der Sicherheit und Stabilität in der Region. Er ist nicht nur Garant für den Frieden vor Ort, sondern er schützt eben auch die demokratischen Kräfte, also die Menschen, die im Kosovo mühsam für unsere Werte kämpfen. Sie zu schützen, ist eine zentrale Aufgabe. Dort gibt es keinen Raum für Zweideutigkeiten. Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt. Wir müssen dem Kosovo und der Region Westbalkan glaubhaft den Weg in die EU ebnen. Jede Hinhaltetaktik oder Zweideutigkeit von europäischer Seite in diesem Zusammenhang arbeitet den Feinden der Demokratie in die Hände. ({2}) Deswegen müssen die Spielchen jetzt aufhören. Seit 15 Jahren sprechen wir mit den Ländern des Westbal­kans über EU-Perspektiven. Jetzt müssen endlich Taten folgen. Manchmal denke ich, dass es zu viele noch nicht begriffen haben. Es droht Krieg auf dem Balkan. Wir müssen bewusst und vor allem verantwortungsbewusst handeln, um ein erneutes Blutvergießen im Herzen Europas zu verhindern. Wir brauchen Haltung und Mut, wenn wir die Zukunft Europas und damit auch unsere eigene Zukunft sichern wollen. Auf dem Westbalkan und insbesondere im Kosovo steht auch die Glaubwürdigkeit des demokratischen Europas auf dem Spiel. Deutschland kommt im EU-Beitrittsprozess im Übrigen eine Schlüsselrolle zu. Sie können sich nicht vorstellen, was für eine verheerende Signalwirkung es hätte, wenn die Deutschen den Menschen, ganz gleich in welchem Teil des Westbalkans, den Rücken zudrehen sollten oder auch nur diesen Eindruck entstehen ließen. Das würde einen immensen Verlust an Vertrauen in die EU, aber auch in die eigene Zukunft bedeuten. Genauso wenig dürfen wir – das geht leider auch an die Adresse der Union – in der Region parteistrategische Interessen verfolgen, wie es Teile der Union in Albanien tun. Wir müssen regionalpolitisch handeln im Sinne der Menschen vor Ort und im Sinne der Demokratie. Denn eines ist klar: Funktionierende demokratische Institutionen verhindern Kriege. Um diese Institutionen und die Kosovaren zu schützen, dazu braucht es den Schutz der KFOR. An dieser Stelle möchte ich den Soldatinnen und Soldaten der KFOR auch meinen ausdrücklichen Dank aussprechen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Mandat. Danke schön. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter Beyer, CDU/CSU. ({0})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Stabil, aber nach wie vor fragil“, häufig haben wir das in den Debatten der vergangenen Jahre gehört, wenn wir über die Region des westlichen Balkans und insbesondere über das Verhältnis vom Kosovo zu Serbien hier im Hohen Hause gesprochen haben. Es trifft ja auch zu, dass die Situation „stabil, aber fragil“ ist. Nun gehen wir doch noch mal zwanzig Jahre zurück. Im Jahre 1999, zu Beginn des KFOR-Einsatzes, wie sah denn die Lage damals aus? Die Soldaten – über 50 000, davon bis zu 6 000 Angehörige der Bundeswehr – haben ein Land vorgefunden, das kriegszerrüttet und kriegszerstört war. Es gab dort Hunderttausende, ja über 850 000 Flüchtlinge und Binnenvertriebene. Das war eine ganz andere Situation, als wir sie heute vorfinden. Ich bin in den letzten zehn Jahren mehrfach, jedes Jahr, im westlichen Balkan unterwegs gewesen und konnte mich bei diesen Reisen selbst davon überzeugen, dass die Situation heute eine andere, eine immer noch nicht perfekte, aber eine qualitativ deutlich bessere ist, als sie es noch vor zwanzig, zehn oder fünf Jahren gewesen ist. Das ist zu einem ganz entscheidenden Teil den KFOR-Soldatinnen und -Soldaten zu verdanken. An dieser Stelle spreche ich ausdrücklich den Angehörigen der Bundeswehr, die in den letzten Jahren dort ihren Dienst verrichtet haben und das auch heute noch tun, meinen und unseren Dank aus. ({0}) Meine Damen und Herren, wegen dieser qualitativen Verbesserung in der Region ist es auch richtig, dass wir jetzt die Obergrenze von 800 auf 400 halbieren; denn das schafft Freiräume, auch für positive Entwicklungen. Es wurde bereits erwähnt, dass das durch die Bundeswehr betriebene Feldlager in Prizren im Herbst letzten Jahres geräumt und an Kosovo übergeben werden konnte. Hier sollen neue Zukunftsperspektiven entstehen in einem Technologie- und Innovationspark. Das muss aber noch schneller gehen, um den Menschen die Zukunftschancen auch rasch anbieten zu können, und das muss mit weniger Bürokratie einhergehen. Dafür werbe ich, meine Damen und Herren. Ich sage aber auch: Stopp einer übereilten, weiteren, zu krassen Reduzierung der Obergrenze. Denn nicht alles entwickelt sich zum Positiven; wir haben das in der heutigen Debatte schon mehrfach gehört. Gerade in den letzten Wochen und Monaten konnten wir im Norden des Kosovo, der mehrheitlich von Serben bewohnt ist, wieder Polizeieinsätze beobachten, die sich gegen organisierte Kriminalität gerichtet haben. Es sind ethnische Spannungen im Land vorhanden. Hier stabilisiert und unterstützt KFOR nach wie vor. Diese Entwicklungen, wie sie auch heute noch dort zu finden sind, zeigen ja, dass KFOR und damit auch die Bundeswehrsoldaten immer noch vor Ort gebraucht werden. Deshalb ist es erforderlich, dass wir heute dieses Mandat verlängern. ({1}) Keine Lösung, meine Damen und Herren, sind Fantastereien von Großmachtstreben, von ethnischen Staaten, von einem Groß-Albanien oder einem Landtausch. Es ist klar, dass das keine Lösungen, sondern im Gegenteil neue Probleme schaffen würde; da brodelt es. Meine Damen und Herren, ich warne bei der Umsetzung solcher Fantastereien vor neuen Bürgerkriegen im westlichen Balkan, direkt bei uns vor der Haustüre. Das können wir nicht zulassen. ({2}) Wahr ist, dass KFOR alleine selbstverständlich keine kompletten Lösungen schaffen kann. Die Staaten sind selbst gefordert, vertrauensbildende Maßnahmen zu schaffen. Serbien und Kosovo müssen die festgefahrenen Dialoge wieder aufnehmen und selbst Schritte des Fortschrittes gehen. Nur dann ist auch unsere Unterstützungsleistung, nicht nur durch KFOR, sondern auch politischer Natur, erfolgreich. Aber die Schritte müssen die Staaten und Akteure dort selbst gehen. Wahr ist auch: Die fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die das Kosovo immer noch nicht anerkennen, rufe ich an dieser Stelle wie in jeder meiner Reden dazu auf, dies jetzt endlich nachzuholen. ({3}) Denn es ist im Interesse der Europäischen Union, dort nicht dritten Akteuren Tür und Tor zu öffnen und deren Einfluss zu stärken. Das kann nicht im Sinne unserer europäischen Stabilitäts- und Friedensinteressen sein. ({4}) In diesem Sinne schließe ich, Herr Präsident. Es gibt kein Datum für das Ende des KFOR-Einsatzes. Aber eines weiß ich ganz genau: Eine Normalisierung, ein Abkommen, das rechtlich bindend ist und das Verhältnis von Serbien zum Kosovo abschließend regelt, ist Voraussetzung für einen Abzug der KFOR-Soldaten. ({5}) Das geschieht hoffentlich bald; aber es wird noch eine Zeit lang dauern. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss­empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Forstsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo. Mir liegt eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 19/11182, den Antrag der Bundesregierung auf der Drucksache 19/10421 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte, die Plätze an den Urnen zu besetzen. – Ist das überall der Fall? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist noch ein Mitglied im Haus, das an der Abstimmung teilnehmen wollte und seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.

Dr. Nils Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004876, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! UN-Generalsekretär Guterres hat in seinem Bericht an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vom 14. März 2019 die Lage im Libanon zwar als grundsätzlich ruhig beschrieben, gleichzeitig aber auch auf die Risiken im Zusammenhang mit der UN-Mission hingewiesen. Weder gibt es bislang einen dauerhaften Waffenstillstand noch eine Entwaffnung nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen, und das Waffenembargo konnte bislang auch nicht konsequent durchgesetzt werden. Vordergründig erscheint diese Mission, über deren Fortsetzung wir heute beraten und in deren Rahmen regelmäßig der Luft- und Küstenraum des Libanon patrouilliert und überwacht wird, als ein Routineeinsatz. Es wäre aber gefährlich, wenn wir uns zu sehr an diese vermeintliche Routine gewöhnen. Denn das regionale Umfeld des Libanon ist nach wie vor hochexplosiv und durch die jüngste Zunahme von Spannungen zwischen den USA und Iran keinesfalls sicherer geworden. Ein militärischer Konflikt zwischen den USA und Iran hätte zwangsläufig Auswirkungen auf den Libanon und könnte auch den Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel wieder anheizen. Nicht nur, aber auch aus diesem Grund – weil es eben auch immer um die Sicherheit Israels geht – ist eine weitere Eskalation, ein Konflikt zwischen den USA und dem Iran, abzuwenden. Deshalb war es gut und richtig, dass der UN-Sicherheitsrat in seiner Sitzung am vergangenen Montag alle Akteure zu maximaler Zurückhaltung und zu Maßnahmen und Aktionen, die Eskalation und Spannungen mindern, und dazu aufgefordert hat, Meinungsverschiedenheiten auf friedliche Weise und durch Dialog zu klären. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben die Bundesregierung und insbesondere Außenminister Heiko Maas, der in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern die Region bereist hat, um das europäische Interesse an einer friedlichen Lösung zu untermauern, unsere volle Unterstützung. ({0}) Bereits heute wirken sich die Konflikte auch auf die Arbeit von UNIFIL aus. Die Entdeckung mehrerer Tunnel im Dezember 2018, die Richtung Israel gebaut wurden und die die sogenannte Blue Line unterwandern sollten, zeigt das allgegenwärtige hohe Konfliktpotenzial auf. Die Hisbollah und andere Milizen verfügen nach wie vor über beträchtliche Waffenbestände. Deshalb halte ich für meine Fraktion fest: Wir sind zutiefst besorgt über das aggressive Verhalten der Hisbollah in der Region. ({1}) Unsere Position ist klar: Eine militärische Rolle für die Hisbollah, sei es im Libanon oder in anderen Regionen, kann es nicht geben. Das machen wir gegenüber allen libanesischen Gesprächspartnern auch unmissverständlich klar; denn Deutschland und die EU haben größtes Interesse daran, den Libanon in einem äußerst unruhigen regionalen Umfeld stabil zu halten. Terroristische Aktivitäten sowie Waffenschmuggel durch Syrien in von der Hisbollah kontrollierten Gebieten gefährden diese Stabilität ebenso wie das Engagement der Hisbollah an der Seite des Regimes im Syrien-Krieg seit 2013. Übrigens setzt sich die Hisbollah damit auch über die in der Erklärung von Baabda aus dem Jahr 2012 von allen libanesischen Parteien getragene Politik der Dissoziierung, also der Abstandnehmung vom Syrien-Konflikt, hinweg. Die Mission selber läuft seit 2006. Die deutsche Marine unterstützt den Flottenverband unter UN-Führung, die sogenannte Maritime Task Force, MTF. Neben der seeseitigen Sicherung des Waffenstillstands und der Überwachung des Waffenembargos in ihrem Einsatzgebiet soll die MTF Ausbildungshilfe für die libanesische Marine leisten mit dem Ziel, diese zu befähigen, die Souveränität in ihren Hoheitsgewässern selbstständig zu sichern. Seit Beginn der Operation vor nunmehr 13 Jahren wurden rund 81 000 Schiffe überprüft und mehr als 13 000 davon zur weiteren Inspektion an die libanesischen Behörden gemeldet. Ziel der Mission ist und bleibt es, die Marinekapazitäten der libanesischen Streitkräfte zu stärken, um langfristig die Sicherung des Küstenraums an die libanesische Marine zu übergeben. Diese Übergangsstrategie wird auch von den UN und von Generalsekretär Guterres unterstützt. Deshalb steht die Unterstützung der libanesischen Marine zur eigenständigen und eigenverantwortlichen Sicherung der Seegrenzen inzwischen im Vordergrund des deutschen Einsatzes. Im Ausschuss wurde berichtet, dass die Ausbildungsbemühungen Früchte tragen, hohe Anerkennung finden und dass inzwischen auch sichergestellt ist, dass die einmal ausgebildeten Kräfte dann auch tatsächlich von der Marine und nicht an anderer Stelle im Libanon von den Streitkräften eingesetzt werden. Die aktuelle deutsche Beteiligung liegt bei 110 Soldaten; maximal können rund 300 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden. So sollten wir es auch jetzt wieder beschließen. Die politische Stabilität des Libanon steht enormen Herausforderungen gegenüber. Gut ist, dass politische Stabilität gewährleistet ist durch die Fortsetzung der von Premierminister Saad al-Hariri geführten Einheitsregierung, die die wichtigsten politischen Parteien vereint. Allerdings ist Stabilität nur mit wirtschaftlichem Wohlergehen im Libanon denkbar. Insbesondere die zunehmende Staatsverschuldung und die schwache wirtschaftliche Entwicklung machen dem Land zu schaffen. Deshalb ist weiterhin internationale Unterstützung erforderlich. ({2}) Ich komme zum Schluss. Die UNIFIL-Mission ist gerade angesichts der schwierigen Gesamtlage unverzichtbar. Sie trägt dazu bei, Spannungen abzubauen und die Souveränität des Libanon zu sichern. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für diesen wichtigen Einsatz. Herzlichen Dank. ({3})

Berengar Elsner von Gronow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004708, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die UN-Mission UNIFIL läuft bekanntermaßen seit 1978. 2006 wurde sie um die maritime Komponente erweitert, in der wir uns besonders engagieren. Liest und hört man die offiziellen Aussagen von Regierung und militärischer Führung, ist es ein toller und höchst erfolgreicher Einsatz; wir haben das ja gerade gehört. Fragt man im Detail nach, sieht es allerdings schon nicht mehr ganz so rosig aus. Und fragt man in der Truppe, sind die Antworten häufig eher „enttäuscht“– ob der Sinnhaftigkeit des Einsatzes, der Aussicht auf Erfolg im Sinne dauerhaften Friedens zwischen Libanon und Israel oder auch nur umfänglicher Erfüllung der weiteren Mandatsziele. Nach über 40 Jahren Einsatzdauer bestätigte diese schlechten Aussichten auch im März der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Legt man also Maßstäbe an diesen Einsatz an wie die Forderung nach einer klaren Strategie mit Zielvorstellung, das Erreichen von Meilensteinen, die Messbarkeit der Erfolge, eine klare Exit-Strategie, die Risiko-Nutzen- und auch die Kosten-Nutzen-Rechnung, kommt man zu dem Ergebnis, dass unser Engagement dort nicht sehr sinnvoll ist. Angesichts der Unzulänglichkeiten des Mandats und der vielfältigen Widerstände in der Region ist zu erwarten, dass dieser Einsatz noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag fortgeführt werden könnte, ohne nachhaltigen Erfolg zu zeitigen. ({0}) Speziell unsere eingangs stets sehr engagierten Soldaten schilderten mir ihr Bedauern über den mangelhaften Erfolg bei der Umsetzung unserer Ausbildungsunterstützung durch die libanesischen Kräfte, etwa bei der Nutzung, der Instandhaltung oder dem Einsatz der von Deutschland zur Verfügung gestellten Mittel. Aber auch häufig wechselnde Ansprechpartner, mangelhafte Kooperation und ungenügende oder sogar fragwürdige Nutzung der durch UNIFIL-Kräfte gelieferten Informationen seien hinderlich. Hinzu kommen weitere Aspekte wie die politischen und finanziellen Verstrickungen von Streitkräften und Offiziellen mit der Hisbollah und dem dahinterstehenden Iran, die ungeklärten Fragen um Grenzverläufe mit Israel, die möglichen Auseinandersetzungen um Rohstoffe in der Region, eine drohende weitere Verschärfung der Sicherheitslage in der Region über Israel und Libanon hinaus bis hin zu Kriegshandlungen und vielem mehr. Vor dem Hintergrund der hohen Belastungen unserer Streitkräfte, der drohenden Risiken für unsere Soldaten, der enormen Kosten für Deutschland und der mangelnden Erfolgsaussicht erscheint uns eine weitere Verwendung unserer Soldaten vor Ort, um außenpolitisches Engagement zu demonstrieren, nicht nur nicht sinnvoll, sondern auch nicht vertretbar. ({1}) Dafür sind uns unsere Soldaten und das Geld des deutschen Steuerzahlers zu schade. Daher werden wir einer Verlängerung des Mandates nicht zustimmen können. Danke. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der UN-Einsatz im Libanon, UNIFIL, ist ein wichtiger, ein unverzichtbarer Beitrag zur Stabilität in der Region. Deutschland ist dort seit vielen Jahren vor allem an der maritimen Komponente beteiligt, gegenwärtig mit der Korvette „Ludwigshafen am Rhein“. Bis zu 300 Soldaten können in diesem Einsatz deutschlandseitig eingesetzt werden. Die Bundesregierung bittet um die Verlängerung des Mandats in geringfügig veränderter, angepasster Form. Die CDU/CSU-Fraktion möchte diesem Wunsch gerne entsprechen und wird dem Mandat heute hier zustimmen. ({0}) Bei UNIFIL leisten wir Stabsarbeit und beteiligen uns, vor allem in dieser maritimen Komponente. Aber UNIFIL leistet gemeinsam mit anderen noch viel mehr, auch an Land. Es wird patrouilliert. Es wird erfolgreich gegen illegale Tunnelgrabungen vorgegangen, durch die möglicherweise Terroristen oder Waffen nach Israel eingeschmuggelt werden können. Es wird der libanesischen Regierung dabei geholfen, die Sicherheit in ihrem Lande stärker aus eigener Kraft sicherstellen zu können. Insofern ist das ein erfolgreicher Einsatz. Bei allen Schwächen, die wir in der Region natürlich sehen, glaube ich, dass der seit einigen Jahren vorherrschende Zustand einer ist, der wesentlich darauf zurückgeht, dass sich die Völkergemeinschaft dort in diesem Sinne engagiert. Der Libanon selbst ist besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Im Libanon leben nicht nur viele Hunderttausend palästinensische Flüchtlinge, sondern eben auch viele Flüchtlinge aus Syrien – viele, weil sie durch Terror und Gewalt aus ihren Dörfern vertrieben worden sind, aber eben auch, weil möglicherweise der Familienvater schon längere Zeit im Libanon arbeitet, zum Beispiel in der Hotellerie, der seine Familie angesichts der Situation in Syrien in den Libanon geholt hat, für die vielleicht eine Chance besteht, dass sie eines Tages relativ unpro­blematisch in ihren Heimatort zurückkehren kann. Ich hatte die Gelegenheit, die Bundeskanzlerin in den Libanon zu begleiten, auch bei dem Besuch einer Schule, wo sich die beachtliche Leistung des Bildungssystems im Libanon zeigt. Die Schulen im Libanon werden in der Regel zweischichtig betrieben. Am Nachmittag werden die Kinder der Flüchtlinge von Lehrern beschult, die in besonderer Weise gefordert sind und dafür ein extra Zubrot bekommen. Die Bundeskanzlerin hat mit den Kindern, aber eben auch mit den Eltern dieser Kinder gesprochen und hat sich gemeinsam mit uns ein Bild von der Situation gemacht. Sie hat dort die Anerkennung zum Ausdruck gebracht, die wir gegenüber den libanesischen Behörden, dem libanesischen Schulsystem, der libanesischen Verwaltung angesichts der enormen Leistung, die für Flüchtlinge in der Region erbracht wird, aufbringen sollten. ({1}) Der Libanon hat durch die Bildung einer neuen Regierung ein Stück weit an Stabilität gewonnen. Das ist auch eine Chance für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist meines Erachtens der zentrale Schlüssel dafür, dass die verschiedenen Religionen und Ethnien in diesem Land friedlich miteinander auskommen können; denn wenn Wohlstand einzieht, wo Armut und Verteilungskampf herrschen, dann steigt auch der innere Friede in diesem Lande. An dieser Regierung ist allerdings eine Organisation beteiligt, die klar und offensiv, auch aktiv, gegen Israel vorgeht: die terroristische Hisbollah. Wir sollten uns im Deutschen Bundestag in den nächsten Wochen und Monaten auf den Stand bringen, wie die Rolle der Hisbollah in der Region – nicht nur im Libanon, sondern in der gesamten Region – zu bewerten ist, welche Unterstützung die Hisbollah für ihre terroristischen Aktivitäten durch den Iran erfährt ({2}) und wie wir das möglicherweise durch die Erhöhung des internationalen Drucks abstellen können. Ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir uns der Frage „Welche Rolle spielt die Hisbollah?“ stärker widmen. Zum Schluss möchte ich noch auf eine wichtige Funktion von UNIFIL eingehen. UNIFIL ist de facto die einzige Plattform, auf der israelische und libanesische Behörden in Alltagsfragen der Sicherheit der Region zusammenarbeiten, einen direkten Kontakt haben und gemeinsame Lösungen anstreben. Allein das ist ein enormer Nutzen dieses Einsatzes. Deswegen werden wir ihm zustimmen. Ich möchte an dieser Stelle selbstverständlich auch den Soldatinnen und Soldaten, die dort im Einsatz sind, herzlich danken. Ich wünsche ihnen, dass sie einen unfall- und gefahrfreien Einsatz haben und alle wohlbehalten nach Hause kommen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Christian Sauter, FDP, hat als Nächster das Wort. ({0})

Christian Sauter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004871, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! UNIFIL ist eine der ältesten Missionen der UN. Seit nunmehr über zehn Jahren ist Deutschland am Einsatz beteiligt. Die letzten Wochen haben gezeigt, welche Dynamik das Eskalationspotenzial in der Region hat. Die Auseinandersetzung der USA mit dem Iran ist ein weiterer Treiber. Letztes Jahr standen wir ebenfalls vor der Verlängerung des Mandats, vor dem Hintergrund der Hisbollah-Wahlerfolge im Libanon. Und heute? Die Lage in der Region ist gewiss nicht sicherer geworden. Dazu trägt auch die weitere Hochrüstung der terroristischen Hisbollah bei. Kleine Fortschritte aber, auch an der Blue Line, sind zu erkennen. UNIFIL ist wichtig, um die Stabilität und Souveränität Libanons zu schützen und damit auch die Sicherheit Israels. Beide Staaten, beide Konfliktparteien wollen diesen Einsatz. Dies ist außergewöhnlich. Dieser Verantwortung sollten wir uns stellen. ({0}) Unsere aktuell 110 Soldaten, die auf der Korvette in Naqoura und Limassol im Einsatz sind, leisten einen hochprofessionellen, glaubwürdigen und wichtigen Beitrag. Hierfür gilt unser Dank. ({1}) Wir sind mit unserer modernen Korvette vor Ort – seit dem 1. Juni mit der „Ludwigshafen am Rhein“ und ihren Aufklärungssystemen – im internationalen maritimen Einsatzverband von UNIFIL. Mit den Aufgaben Aufklärung, Überwachung, seegestützte Luftraumüberwachung und Flugkoordination im Südlibanon decken wir ein umfangreiches Spektrum ab. Auch die Ausbildung von libanesischen Streitkräften und der Küstenwache ist ein wesentlicher, immer wichtiger werdender Beitrag innerhalb des Mandats. Demokratisch legitimierte staatliche Institutionen im Libanon zu stärken, so auch die Streitkräfte, liegt in unserem Interesse, auch im Hinblick auf die Flüchtlingssituation. Der deutsche Beitrag zur Verhinderung von Waffenschmuggel auf dem Seeweg ist eben ein Baustein im vernetzten Ansatz. UNIFIL kann nicht isoliert betrachtet werden. Hiermit kommen wir zur Kritik, zu den Mängeln des Mandats – wir haben das bereits in der ersten Lesung deutlich gemacht –: Wie ist die Strategie, wenn es zu Konflikt und Eskalation in der Region kommt? Was bedeutet das für die Sicherheit unserer Soldaten? Auch die Hochrüstung der Hisbollah auf dem Landweg hat UNIFIL bisher nicht verhindert. Das kann so nicht hingenommen werden. ({2}) Aber auch die Perspektive des Einsatzes ist zu definieren. Wie wird dieser weiterentwickelt? Der UN-Generalsekretär hat dies bereits im März 2019 für UNIFIL gefordert. Vergessen werden darf nicht die hohe Einsatzbelastung der Deutschen Marine, vor allem der Soldaten; aktuell gibt es zu wenige seegehende Einheiten. ({3}) Fazit: Das UNIFIL-Mandat ist in Abwägung dennoch ein wichtiger Beitrag für mehr Sicherheit und Stabilität in der Region. Seine Bedeutung wird gegebenenfalls in den nächsten Monaten zunehmen; damit müssen wir uns dringend beschäftigen. Wir werden der Verlängerung zustimmen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort der Kollege Matthias Höhn, Die Linke. ({0})

Matthias Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Vorbemerkung will ich machen: Das ­UNIFIL-Mandat ist völkerrechtlich in Ordnung und unbedenklich. Ich sage das mit Absicht zu Beginn, weil das ja leider nicht auf alle Mandate zutrifft, die wir hier im Haus miteinander besprechen. ({0}) Zweiter Punkt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, wie lange dieses Mandat bereits läuft, mit der Vorgängermission, die auch schon UNIFIL hieß, nämlich über 40 Jahre. Das erste I in UNIFIL steht für „Interim“. Nicht nur wegen dieser Namensgebung, also einer vorübergehenden Lösung, eines vorübergehenden Mandats, finde ich, dass es nach 40 Jahren doch an der Zeit wäre, nicht nur für die Bundesrepublik, sondern für die Vereinten Nationen insgesamt, einmal über die Methode zu diskutieren und zu fragen, ob wir auf dem richtigen Weg sind, diesen Konflikt zu lösen, wenn wir das Mandat immer noch verlängern müssen. ({1}) Dritter Punkt – auch das hat schon eine Rolle gespielt –, Stichwort „Waffenschmuggel“; Herr Sauter hat eben von Hochrüstung angesprochen. Auch hier müssen wir doch zur Kenntnis nehmen: Das Mandat ist nicht in der Lage, die Hochrüstung in der Region, auch mit Blick auf die Hisbollah, zu unterbinden. Es verfehlt also eines der genannten Ziele und ist schon deswegen kritisch zu hinterfragen. Vierter Punkt. Der Iran ist angesprochen worden. Herr Schmid und andere haben darauf hingewiesen, dass eine Eskalation in und um den Iran natürlich eine unmittelbare Auswirkung auf die Situation im Libanon und auf die Hisbollah haben könnte oder haben wird. Wir alle wissen, an welchem Punkt der Iran und die Vereinigten Staaten in der letzten Woche waren, und wir wissen, dass wir in der Tat von einer unmittelbaren Kriegsgefahr sprechen. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann reicht es natürlich nicht, hier zu sagen, dass das so ist. Dann erwarte ich von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen auch, dass sie einmal sagen, welche Auswirkungen das auf dieses Mandat hat. Wir können doch nicht eine unmittelbare Kriegsgefahr diagnostizieren und dann sagen: Wir schicken die Soldaten aber unverändert in diese Region. – Das ist inakzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Letzter Punkt. Die Bundesregierung plant, für dieses Mandat in den nächsten zwölf Monaten Mittel in Höhe von 30 Millionen Euro bereitzustellen. Es gibt sehr viel zu tun in dieser Region, auch im Libanon. Ich finde, diese 30 Millionen Euro wären in Versöhnung und Diplomatie besser angelegt als in diesem Militäreinsatz. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Redner. ({0})

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! UNIFIL ist nicht selbstverständlich. Wir haben in einer hochbrisanten Region eine VN-Mission, die von beiden Konfliktparteien so gewollt war und weiterhin akzeptiert ist. Ich finde, das ist ein Wert für sich. UNIFIL hat damals massiv dazu beigetragen, dass der Krieg zwischen der Hisbollah und Israel beendet worden ist. UNIFIL überwacht den Waffenstillstand und verhindert, dass zumindest seeseitig Waffen neu ins Land kommen. Es ist aus meiner Sicht in der bisherigen Debatte unterbetont, wie wichtig es ist, dass UNIFIL dazu beiträgt, dass die Streitkräfte Libanons ausgebildet werden; denn diese Streitkräfte sind eine der ganz wenigen Institutionen im Land, die überkonfessionell großes Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Die Tatsache, dass die hoffentlich bald stattfindenden historischen direkten Gespräche zwischen Libanon und Israel im Hinblick auf die Fragen der maritimen Grenzziehung und der Aufteilung der Gasfelder Tamar und Leviathan an einem Standort von UNIFIL stattfinden werden, nämlich in Naqoura, zeigt auch, dass UNIFIL als Plattform für ein Gespräch, das nicht selbstverständlich ist, sehr wertvoll ist. Deshalb werden wir diesem Mandat zustimmen. ({0}) Allerdings ist die Situation in Libanon sehr fragil. Deshalb lohnt es sich, auch einen Blick darauf zu werfen. Es gibt für Libanon drei große Gefährdungssituationen. Das eine ist die Hisbollah und die hochaggressive Politik; der Kollege Schmid hat darauf zu Recht hingewiesen. Die Hisbollah bricht täglich die alten Friedensverträge des Libanons. Wenn sich der Krieg in Syrien so weiterentwickelt, muss man befürchten, dass die Hisbollah in der Form nicht mehr von Assad gebraucht wird und sie mit großer Kraft und weit mehr Potenzial und Feuerkraft mit ihren Streitkräften nach Libanon zurückkommen wird. Das würde die Balance der Macht in Libanon massiv gefährden. Zweitens steht der Libanon wegen der syrischen Flüchtlinge vor Ort weiterhin unglaublich unter Druck. Wir kennen die Situation. Viele von uns haben Dörfer in Libanon besucht, wo der Schulunterricht mittlerweile in drei bis vier Schichten stattfinden muss, damit die Kinder unterrichtet werden können, im Übrigen in zwei Sprachen: einmal in Französisch für die libanesischen Kinder und dann zwei- bis dreimal in Arabisch für die syrischen Kinder. Das führt zu Friktionen. Das führt dazu, dass die libanesische Politik jetzt zunehmend Druck macht. Da braucht dieses Land weit mehr Unterstützung von Europa, als das bisher der Fall ist. ({1}) Was auch dringend erwähnt werden muss, ist das Damoklesschwert des sogenannten Nahostfriedensplans der Administration Donald Trumps. Dieser Plan beinhaltet, dass die Flüchtlinge, die 1948 folgende aus Palästina nach Libanon gekommen sind, jetzt alle den libanesischen Pass bekommen sollen. Das würde die bisherigen Friedensbemühungen massiv stören. Das würde vor allem die soziale Balance in Libanon massiv durcheinanderbringen. Das ist eine Entscheidung, die Libanon treffen kann, aber nicht von Washington aufgezwungen bekommen darf. ({2}) Es ist also notwendig, dass unsere Bundesregierung Libanon erstens hilft und endlich aufhört, humanitäre Hilfe zu leisten, sondern diese in Entwicklungszusammenarbeit überführt – die Infrastruktur in Libanon fehlt –, und zweitens vielleicht auch einmal ein kritisches Wort zum sogenannten Deal des Jahrhunderts findet, der nicht nur für die Zweistaatenlösung so etwas wie ein Sarg­nagel sein kann, sondern für viele andere Länder in der Region massive Konflikte beinhaltet. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vorläufig letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Operation UNIFIL hat einen wichtigen Anteil daran, dass der Libanon noch nicht im Chaos versunken ist. UNIFIL setzt ein Zeichen in Krieg, Zerstörung, Not und Elend – all das hat den Nahen Osten zum Pulverfass gemacht. Die Mission macht Hoffnung, weil sie zeigt, wie durch nachhaltige, praktische Zusammenarbeit über Jahre und Jahrzehnte Kompetenzen und Sicherheit aufgebaut werden können. UNIFIL dient der Begleitung der Waffenruhe zwischen Libanon und Israel, unterstützt die libanesische Regierung bei der Grenzsicherung und hilft beim Kampf gegen den Waffenschmuggel. Wir wollen, dass der Libanon den Schutz seiner Grenzen eines Tages selbst übernehmen und damit staatliche Hoheit durchsetzen kann. Dazu ist der UNIFIL-Einsatz notwendig. Wir müssen die Fähigkeiten der libanesischen Marine ausbauen, damit sie die Küste selbstständig überwachen kann. Der deutsche Beitrag dient daher im Schwerpunkt dem Ausbau der Fähigkeiten der libanesischen Marine. Das wollen wir so beibehalten. Der Einsatz ist auch deshalb wichtig, weil er den dauerhaften Waffenstillstand zwischen Israel und dem Libanon zu erhalten hilft. Am allerwichtigsten ist: Sowohl Israel als auch der Libanon wollen, dass diese VN-Mission fortgesetzt wird. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der AfD und auch von der Partei Die Linke: Wie können wir uns da guten Gewissens aus der Mission zurückziehen? Wir würden damit die Menschen im Libanon im Stich lassen, und wir würden damit unseren Verbündeten Israel im Stich lassen. Das ist keine Option für mich. Aber Ihr gespaltenes Verhältnis zu Israel ist ja bekannt. Die Linke sympathisiert offen mit der BDS-Bewegung, die Israel schaden möchte. Die Linke möchte die Bundeswehr am liebsten sowieso abschaffen. Im Übrigen – vorhin wurden die 30 Millionen Euro erwähnt, die der Einsatz kostet – hat unser ziviler Einsatz, der Einsatz im Bereich der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit, allein seit 2012  1,4 Milliarden Euro gekostet. Das ist auch ein Einsatz, der sich gelohnt hat. ({0}) Die AfD möchte diesen „sinnlosen“ Militäreinsatz beenden. Ich frage Sie: Was ist daran sinnlos, Israel zu unterstützen? Was ist daran sinnlos, einen Beitrag zu Frieden, Ordnung und Sicherheit direkt vor unserer europäischen Haustür zu leisten? ({1}) Dazu fallen Ihnen keine Antworten ein. Das hat gerade die Debatte in der ersten Lesung gezeigt, in der es dem Kollegen Bystron gelungen ist, kein einziges Wort zum UNIFIL-Einsatz zu sagen. Sie sind Antworten schuldig geblieben, auch heute. ({2}) Das ist verantwortungslos gegenüber unseren Verbündeten und gegenüber unseren Soldaten, die unsere Aufmerksamkeit und unsere Unterstützung verdient haben. Leider kann man weder von der AfD noch von den Linken verantwortungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik erwarten. AfD und Linke stehen sich in nichts nach. Sie betreiben populistische Politik auf Kosten einer verlässlichen Außenpolitik Deutschlands. Das dürfen wir nicht zulassen. Abschließend möchte ich unseren Soldaten und Soldatinnen danken, die nicht nur bei UNIFIL einen wichtigen Dienst im Interesse unseres Landes leisten. Was unsere Soldaten in den Auslandseinsätzen und in der Heimat für unsere Sicherheit leisten, verdient Respekt und große Anerkennung. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Bundeswehrmandat im Libanon. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Interim Force in Lebanon“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 19/10722, den Antrag der Bundesregierung auf der Drucksache 19/9956 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Sind alle Plätze an den Urnen mit Schriftführerinnen und Schriftführern besetzt? – Das ist jetzt offenbar der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Darf ich fragen, ob noch ein Kollege seine Stimmkarte abgeben möchte? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben. Ich bitte, die nötige Ordnung im Plenarsaal herzustellen, damit wir mit der Beratung der nächsten Tagesordnungspunkte beginnen können.

Bettina Stark-Watzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004902, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Versetzen wir uns doch einmal für eine Minute in die Situation in einer jungen Gründerin. Sie hat die ersten Kunden für ihr Produkt gefunden, die Nachfrage wächst rasant, aber damit auch die Herausforderungen: mehr Personal, mehr Technik; neue Zukunftsmärkte sind zu erschließen. – Hier stößt sie an ihre Grenzen. Ein Problem: In Deutschland fehlt es schlicht an genügend privatem Kapital, an Menschen, die in ihr vielversprechendes Unternehmen investieren. ({0}) Die Gründerin steht vor einer schwierigen Entscheidung. Bleibt sie in Deutschland, geht sie das Risiko ein, dass ihr Unternehmen langsamer wächst und die anderen an ihr vorbeiziehen, oder sie holt sich internationale Investoren an Bord, oder sie geht gleich direkt ins Ausland, ins Silicon Valley, nach Hongkong oder nach Israel. Circa 10 Milliarden Euro Wagniskapital fehlen uns hierzulande im Vergleich zu den führenden Gründernationen. Machen wir uns nichts vor: Zu viele Zukunftschancen wandern ab. ({1}) Was uns fehlt, sind nachwachsende Wachstumssterne, die das Potenzial haben, globale Zugkraft zu entwickeln, neue Technologien zu entwickeln und damit auch Chancen zu schaffen. Führende Technologienation wird man nicht, indem man per planwirtschaftlichem Dekret, wie Herr Altmaier das möchte, Unternehmen unter Artenschutz stellt. ({2}) Führende Technologienation wird man, indem man agilen Unternehmen die Chance zum Wachstum gibt. Die staatlichen Besitzgarantien unterliegen immer dem ergebnisoffenen Wettbewerb. Noch etwas. Im Silicon Valley sind Pensionsfonds die größten Wagniskapitalgeber. Der Staat steht auf Rang fünf. In Deutschland ist es genau umgekehrt; das müssen wir ändern. ({3}) Wir müssen mehr privates Kapital mobilisieren, das bereit ist, Chance und Risiko zu tragen. Der deutsche Rentner sorgt sich vor dem Hintergrund der niedrigen Zinsen um die Altersvorsorge. Der Rentner in den USA profitiert von den Investitionen in Wagniskapital, übrigens auch in deutsche Unternehmen. Wir schaffen es derzeit nicht, die breite Mittelschicht an unseren Erfolgsgeschichten im Lande zu beteiligen. Die Ursache für die Dürre hat Gründe, nämlich die regulatorischen Hürden, um Wagniskapital zu zeichnen, und schlichtweg die fehlende Erfahrung unserer institutionellen Anleger. Hier kommt der Zukunftsfonds ins Spiel. Dänemark hat es uns vorgemacht. Es hat eine Brücke gebaut, um diese Kluft zu überwinden: Ein Dachfonds – es ist ein Fonds, der in mehrere Venturecapital-Fonds investiert – bietet zwei Wege: den direkten Einstieg und die Expertise. Durch das Zeichnen einer Anleihe gibt es ein Netz mit doppeltem Boden, wodurch den Investoren der Weg geebnet wird. Schaffen wir einen solchen Zukunftsfonds für Deutschland! ({4}) Die Basis haben wir mit der KfW Capital GmbH. Sie trägt durch eine hohe Diversifizierung des Zukunftsfonds ein relativ geringes Risiko, partizipiert aber an den Renditen des Zukunftsfonds. Mit diesen größeren Summen, neudeutsch: mit diesen großen Tickets, können wir den jungen Unternehmen in der Wachstumsphase mehr Kapital zur Verfügung stellen. Wir schaffen moderne Arbeitsplätze, und wir können mit höheren Renditen auch in der Altersvorsorge davon profitieren. ({5}) Ziel kluger Politik muss es sein, dass Ideen in unserem Land wieder wachsen: die neue Krebstherapie, der Stoff, der Mikroplastik unnötig macht, oder der Einsatz von künstlicher Intelligenz, der uns den Alltag erleichtert. Schaffen wir den Zukunftsfonds, damit meine junge Gründerin nicht ausgebremst wird. Wir haben kluge Menschen. Sie sind im Augenblick trotz der herrschenden Politik erfolgreich. Helfen wir ihnen durch gute Politik, noch erfolgreicher zu werden. Die Zukunft gehört denen, die etwas tun. Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Astrid Grotelüschen, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. ({0})

Astrid Grotelüschen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004046, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Mit den vorliegenden Anträgen rund um das Gründungsgeschehen debattieren wir ein für die Union zentrales Themenfeld, weil Unternehmensgründungen die Grundlage bilden bzw. die notwendigen Impulse setzen, um mit Innovationskraft und Leistungsstärke unsere Wirtschaft zukunftsfest zu machen, gute Rahmenbedingungen für Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen und damit Wohlstand zu schaffen. Genau das ist unser Ziel; dafür arbeiten wir. ({0}) Wenn wir uns den Gründerstandort Deutschland anschauen, dann müssen wir leider feststellen, dass die Zahl derer, die sich für die Selbstständigkeit entscheiden, im letzten Jahrzehnt gesunken ist, sich jedoch in diesem Jahr stabilisiert hat. Ich hoffe, dass dies ein erstes Signal ist; denn generell müssen wir natürlich eine positive Kehrtwende erreichen. Vorab: In der Diskussion um die wichtigsten Weichenstellungen ist mir eine Aussage besonders wichtig; deshalb möchte ich sie an dieser Stelle ansprechen. Uns als Union geht es um die Gleichwertigkeit: auf der einen Seite Start-ups, die wachstumsorientiert am Markt noch nicht etabliert sind und mit geringem Startkapital gegründet wurden, auf der anderen Seite Unternehmen, die auf eine lange Tradition zurückschauen, oft auch in Familienhand sind und die sich seit vielen Jahren oder gar Jahrzehnten erfolgreich am Markt behaupten. Ob Neugründer oder Nachfolger oder vielleicht eine Kombination von beidem: Wir brauchen Menschen, die mit Mut und Kreativität den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Auf diesem Weg werden wir als Union weiterhin gut und umfassend begleiten. ({1}) Über welche Weichenstellungen bzw. Rahmenbedingungen reden wir? Die Antworten sind sehr vielschichtig; ich schaffe es in den sieben Minuten meiner Redezeit nicht, auf alle einzugehen. Deshalb konzentriere ich mich auf zwei Punkte: erstens auf die Finanzierung bzw. die Rahmenbedingungen für Start-ups generell sowie die Verbesserung von Unternehmen in der Wachstumsphase – diese Aspekte sind ja auch von Ihnen angesprochen worden – und zweitens darauf, dass wir mehr Gründungen nur dann erreichen, wenn wir das sogenannte Mindset erreichen und offene Denkweisen fördern. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ausgangssituation von Start-ups ist bekannt. Nach der Gründung und den ersten Jahren kommt es vor allen Dingen in der Wachstumsphase nochmals zu einem erhöhten Kapitalbedarf, den es zu decken gilt. Generell ist es aber so – auch das hat die Kollegin der FDP gerade angesprochen –, dass die Investitionen in deutsche Start-ups mit einer Summe von 4,59 Milliarden Euro in 2018 um ein Zehnfaches unter dem Invest in den Vereinigten Staaten lag. Das heißt, wir brauchen hier eine Verbesserung. Um dies zu erreichen, muss es staatliche Anreize zur Begleitung geben und zudem – das ist natürlich sehr wichtig – die Generierung von mehr privatem Kapital. Eine zentrale Rolle spielt dabei die KfW. Hier haben wir in den letzten Jahren gute Instrumente installiert und auch weiterentwickelt, und wir gehen auch mit der Ausgründung der KfW Capital bewusst neue Wege, um genau diese Ziele zu erreichen. So soll sich bis 2020 das bisherige Investitionsvolumen im Venturecapital-Fonds und Venture-Debt-Fonds jährlich auf 200 Millionen Euro verdoppeln. Allein seit ihrem operativen Start im Oktober 2018 konnte die KfW Capital sechs Beteiligungen an Venturecapital-Fonds mit einem Volumen von 88,4 Millionen Euro eingehen. Ich habe das in der vergangenen Legislaturperiode als Unterausschussvorsitzende begleitet. Ich glaube, dass uns mit dieser Ausgründung ein sehr guter Schritt nach vorne gelungen ist, den wir nutzen sollten und auf dem wir auch aufbauen sollten. ({2}) Natürlich gibt es viele Programme. Ich kann sie in meiner Redezeit nicht alle im Detail vorstellen. Sie können sowohl in der Gründungsphase als auch in der Startphase relativ einfach genutzt werden. Für die Wachstums­phase stehen mit dem KfW-Unternehmerkredit oder der ERP-Innovationsfinanzierung größere Summen zur Verfügung. Hinzu kommt der Dachfonds, der sich mit durchschnittlich 20 Millionen Euro an Wagniskapitalfonds beteiligt und dessen Mittel wir in der letzten Wahlperiode um 1 Milliarde Euro auf 2,7 Milliarden Euro massiv aufgestockt haben. Dass wir größere Tickets finanzieren wollen, ist ein wichtiges Thema. Es gibt Gespräche mit der Versicherungswirtschaft. Die Planungen hierfür sind in die Zielgerade eingebogen. Ich denke, dass wir mit der genannten Expertise hier ein Modell finden, das neben dem jetzt oft zitierten dänischen Modell dann als deutsches Modell hoffentlich auch Erfolg haben wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum zweiten Punkt, dem besagten Mindset. Digitaler Wandel, sowohl im Lebensalltag als auch in der Arbeitswelt, muss offen und auch aktiv mitgestaltet und angenommen werden. Das kann nur gelingen, wenn uns ein „Umparken im Kopf“ gelingt – man gestatte mir, dass ich diesen Werbespruch nutze –, wenn wir unsere Denkweisen und auch unsere Mentalität neu aufstellen, wenn wir gesamtgesellschaftlich Gründungen, Selbstständigkeit, die schnelle Umsetzung von Ideen, das Scheitern und auch das Wiederaufstehen viel mehr mitdenken, wenn es selbstverständlich wird, das im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Handeln zu sehen. Hier müssen wir viel früher ansetzen, zum Beispiel, indem wir schon in der Schulzeit Interesse wecken, damit wirtschaftliches Denken und auch Gründerkultur aufkeimen können. Es gibt viele schöne Beispiele, auch bei mir im Wahlkreis: junge Unternehmen – ich habe letzte Woche das Unternehmen Ascora besucht –, die genau diese Netzwerke suchen und nutzen, die eine Seniorberatung, Reallabore oder auch das TGO an der Uni Oldenburg nutzen, damit sich Freiräume entwickeln können. Ich freue mich zudem, dass die Gründerplattform des BMWi bereits sehr erfolgreich angelaufen ist. Ich finde, die ist wirklich klasse. Sie wird gerade noch einmal aktualisiert. Hier können wir tatsächlich punkten. Besonders wichtig ist mir natürlich, dass wir auch Gruppen mobilisieren, zum Beispiel weniger Aktive wie Frauen. Die müssen wir einfach mehr unterstützen und deren wertvolle Potenziale nutzen. Das macht in meinem Landkreis seit Langem die Wirtschaftsförderung – das seit 25 Jahren sehr sichtbar – mit der ExistenzgründungsAgentur für Frauen, und das finde ich sehr gut. Ich möchte zum Schluss kommen. Wir haben, denke ich, viele Perspektiven und viele Chancen, dieses neue, digitalere Denken mit der mittelständischen Mentalität, die ja eher auf Bestand, Stabilität und Erhalt programmiert ist, zu fusionieren. Ich bin fest davon überzeugt, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wenn wir dies gemeinsam angehen, dann wird es uns nicht nur gelingen, für mehr Gründungen zu sorgen, mehr für Unternehmen in der Wachstumsphase zu erreichen, sondern auch, mit diesen Impulsen die deutsche Wirtschaft insgesamt in eine neue Wachstumsphase zu führen. Vielen herzlichen Dank. ({3})

Enrico Komning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004787, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Liebe Kollegen von der FDP, mit zwei Anträgen stellen Sie uns heute Ihre Vorstellungen dar, wie man eine Gründeroffensive entfachen könnte, um des besorgniserregenden Rückgangs der Unternehmensgründungen Herr zu werden. Ich bin da ganz bei Ihnen: Deutschland braucht einen Innovationssprung. Wir brauchen mehr junge, dynamische, unkonventionelle Start-ups in Deutschland, und dafür müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Aber ich wäre ein schlechter AfD-Abgeordneter, wenn ich nicht ein wenig Wasser in den Wein der Zukunftsgläubigkeit gießen würde. Der Ansatz, Verwaltung zu straffen und zu entbürokratisieren, ist natürlich richtig. Digitale Verwaltung ja, aber das darf nicht dazu führen, dass sich der Staat aus der Fläche zurückzieht. Ein zu einseitiger Fokus der Politik auf Start-ups und Zukunftstechnologien schwächt die klassischen Bereiche der mittelständischen Wirtschaft. Wenn über eine neue Gründerinitiative gesprochen wird, dürfen wir Handwerk, Maschinenbau und verarbeitendes Gewerbe nicht aus den Augen verlieren. Auch hier brauchen wir mehr Unternehmensgründer. ({0}) Wir brauchen ein Nebeneinander zwischen technologienorientierten Start-ups und klassischem Mittelstand. Der klassische Mittelstand – in seiner großen Mehrheit Familienbetriebe; Frau Grotelüschen hat gerade darauf hingewiesen – ist in seiner jeweiligen Heimatregion verankert und pflegt langjährige Beziehungen zu Kunden und auch zu den eigenen Mitarbeitern. Er ist sozusagen das Fundament von Wirtschaft und Gesellschaft. Den größten Teil der Ausbildungsplätze, nämlich 80  Prozent , stellen die mittelständischen Betriebe zur Verfügung – Fachkräfteausbildung, von der auch Start-ups profitieren. Das entbindet den Staat natürlich nicht davon, Rahmenbedingungen zu bieten, die Forschung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Zukunftstechnologien in Deutschland attraktiv machen. Daher ist gar nicht so sehr die Digitalisierung der Verwaltung die Antwort, sondern schlicht analoge Entbürokratisierung. Weg mit Berichtspflichten und Auskunftsauflagen! In Ihrem zweiten Antrag fordern Sie die Gründung eines sogenannten Zukunftsfonds, der als Dachfonds öffentliches und privates Risikokapital bündeln soll. Das Wichtigste für Start-ups in der Gründungs- und vor allem auch in der Wachstumsphase ist der Zugang zu ausreichend Kapital; meine beiden Vorrednerinnen haben darauf hingewiesen. Wir brauchen mehr Beteiligungskapital. Die KfW stellt mit der KfW Capital Beteiligungskapital von 200 Millionen Euro für Risikokapitalfonds zur Verfügung. Öffentliches Beteiligungskapital aktiviert auch immer privates Kapital, und davon gibt es in unserer Nullzinszeit doch genügend. Insoweit glaube ich hier: Viel hilft auch viel. Eine Kapitalaufstockung bei der KfW Capital ist daher dringend notwendig. ({1}) Ob es darüber hinaus tatsächlich eines speziellen Dachfonds bedarf, möchte ich mal dahingestellt sein lassen. Ein Letztes noch, liebe FDP: Ich schätze es sehr, dass auch in Ihrer Fraktion viele die furchtbare und sprachvergewaltigende Gendersprache ablehnen. ({2}) Aber auch das Denglisch ist wahrlich kein Beitrag zu unserer Sprachkultur. ({3}) Sprechen wir dann doch lieber von „Machern“ statt „Enablern“ oder von „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ statt „First Mover Advantage“. ({4}) Insofern lehnen wir auch vehement die Einführung von Englisch als zweiter Verwaltungssprache ab. Gerne diskutieren wir Ihre Anträge im Ausschuss. Der grüne Antrag atmet viel irrationale Klima- und Migrationsreligion. Er ist daher kaum diskussionswürdig. ({5}) Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sabine Poschmann, SPD, ist die nächste Rednerin. ({0})

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gründerinnen und Gründer – das wissen wir alle – wirken für die Volkswirtschaft wie eine Frischzellenkur. Sie sind Treiber, die Wachstum, Wettbewerb und Innovation ankurbeln. Auch ihr Beschäftigungseffekt ist nicht zu unterschätzen. Der KfW-Gründungsmonitor 2019 hält fest, dass Neugründer im vergangenen Jahr umgerechnet 219 000 Stellen geschaffen haben. Richtig ist aber auch: Bei der Gründungstätigkeit ist noch viel Luft nach oben. Auch wenn sich der Rückgang etwas abschwächt, so sind doch die Zahlen für Deutschland zu gering. In Zeiten von Fachkräftemangel und niedriger Arbeitslosigkeit ist es teilweise natürlich auch nachvollziehbar. Ein gut bezahlter Job ist häufig die interessantere Option für junge Menschen. Auch die Alterung unserer Gesellschaft spielt beim Rückgang eine Rolle; das sollte man nicht verkennen. Wer sich beruflich selbstständig macht, ist in der Regel zwischen 25 und 45 Jahre alt, und genau diese Altersgruppe, wissen wir, schmilzt. Was Gründer nach wie vor als ein größeres Hemmnis ausmachen, sind aber Bürokratieberge und hohe Hürden bei der Finanzierung. Wie oft, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir uns in der Vergangenheit geschworen, kleine und mittelständische Unternehmen von unnötigem Papier- und Verwaltungskram zu entlasten. Man kann das schon gar nicht mehr hören. Aber wie Sie sehen: Der Fortschritt ist in diesem Fall eine Schnecke. Es wird allerhöchste Zeit – schade, dass Herr Altmaier nicht da ist –, endlich das versprochene Bürokratieabbaugesetz III auf den Weg zu bringen. Darauf warten wir hier dringend. ({0}) Die Unternehmer erwarten konkrete Vorschläge, die Antrags- und Genehmigungsverfahren auf ein erträgliches Maß zu senken. Dafür gibt es zahlreiche Stellschrauben bis hin zu einheitlichen Verfahren, damit der Papierkram eventuell ganz entfällt. Ein anderes Thema – wir haben es heute schon angesprochen – ist die Finanzierung von Start-ups. Wenn es darum geht, einem jungen Unternehmen bei der Gründung auf die Beine zu helfen, sind wir in der Regel ganz gut aufgestellt. Woran es hapert, ist die Anschlussfinanzierung in der Wachstumsphase. Wir haben auch schon etwas getan dafür, so ist es ja nicht. Mit der Gründung der KfW-Tochter Capital in der letzten Wahlperiode und dem neuen Fonds für technologieorientierte Unternehmen haben wir weitere Instrumente geschaffen, um mehr Wagniskapital zu aktivieren. Ein Zukunftsfonds – oder Digitalfonds, wie wir ihn im Koalitionsvertrag genannt haben – ist eine weitere Option. Der staatliche Dachfonds würde es für Anleger wie Versicherungen oder Pensionskassen attraktiver machen, in Start-ups zu investieren. Das brächte natürlich weiteres Kapital auf den Markt, das wir dringend bräuchten. Die SPD-Fraktion hat dazu schon konkrete Ideen, und sicherlich wird das Wirtschaftsministerium auch bald ein Konzept vorlegen. Mir ist es wichtig, meine Damen und Herren, wenn wir über Start-ups reden, dass wir auch diejenigen im Blick haben, die sich mit sozialen Innovationen beschäftigen. Sozialunternehmer – ich werde nicht müde, das zu sagen – lösen mit ihren Geschäftsideen gesellschaftliche Probleme und verdienen damit gleichzeitig Geld. Hier schlummert ein riesiges Potenzial für Deutschland. Bei allen weiteren Planungen, ob zu Finanzierungsinstrumenten oder zu Verbesserungen der Rahmenbedingungen, müssen wir diese Unternehmensgruppe konsequenter mitdenken. ({1}) Die Förderung solcher Unternehmen steht im Koalitionsvertrag. Trotzdem führen sie leider immer noch ein Nischendasein. Daraus sollten wir sie schleunigst befreien. ({2}) Deshalb arbeitet die Koalition auch an einem Antrag. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Thomas Lutze, Die Linke, hat als nächster Redner das Wort. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP beantragt heute „Zukunftsfonds für eine neue Gründerzeit“. So weit, so gut. Auch wir meinen, dass neue technische Lösungen in vielen Bereichen gefunden werden müssen. Allerdings unterscheiden sich die Positionen der Freien Demokraten und der demokratischen Sozialisten bei dieser Frage erheblich, ({0}) wenn es darum geht, wie Geldflüsse organisiert werden können, damit sie den notwendigen Investitionen zugutekommen. Die FDP fordert, dass die – Zitat – „hohen Vermögensbestände stärker als bisher in renditestarke Anlagemöglichkeiten investiert werden“. Die Linke hingegen fordert, dass hohe Vermögensbestände erst einmal ordentlich besteuert werden. Vagabundierendes Kapital gäbe es nämlich gar nicht, hätten wir eine ordentliche Vermögen- sowie Reichensteuer. ({1}) Mit dem Besitz von großen Vermögen weitere Vermögen anzuhäufen, ist auch moralisch höchst zweifelhaft. Ehrlich arbeitende Menschen unserer Gesellschaft arbeiten in der Regel 40 oder 45 Jahre, ({2}) und viele von ihnen müssen dann als Rentnerinnen und Rentner noch aufstocken. Das ist nicht gerecht. ({3}) Die FDP fordert weiter, dass die verbliebenen Anteile des Bundes bei Post, Telekom und anderen verscherbelt werden. ({4}) Die Linke ist gegen solche Privatisierungen, weil sie nachher der Gesellschaft teuer zu stehen kommen. ({5}) Ein Blick auf den Bereich der Post und hier gerade bei den Paketdienstleistern reicht aus, um festzustellen: In der Regel wird alles teurer, unzuverlässiger und aus Sicht der Arbeitnehmer extrem grenzwertig. Das geht so nicht weiter. ({6}) Bei einem Verkauf hat man bekanntlich nur einmal einen Erlös. Einen Einfluss auf Entscheidungen dieser privatisierten Unternehmen hat die Gesellschaft dann nicht mehr. Und es kann teuer werden, wenn Monopolisten unsere Gesellschaft erpressen. Im zweiten Antrag versucht es die FDP mit Zukunftstechnologien. Sie fordert eine steuerliche Forschungsförderung. Aber ein Gießkannenprinzip ist kein sinnvolles Mittel, um Forschung und Entwicklung zu fördern. Soweit wir wissen, gibt es keine Belege dafür, dass eine steuerliche Forschungsförderung tatsächlich zu einer Verbesserung von Forschung und Entwicklung im Unternehmenssektor führt. Dies bestätigt auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das meines Erachtens nicht im Verdacht steht, der Linken besonders nahe zu sein.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Lutze, der Kollege Schinnenburg möchte gern eine Zwischenfrage stellen.

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gern nach meiner Rede. Nein.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nein, keine Zwischenfrage.

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nächstes Thema. In einem zugegebenermaßen weitreichenden Forderungskatalog soll die öffentliche Verwaltung digitalisiert werden. Die Blockchain-Technologie, also das Ausschalten von bisherigen Mitteldienstleistern, ist ein neuer technischer Trend. Das kann ein gutes Vorhaben sein, aber es hängt davon ab, wie es im Detail umgesetzt wird. Wichtig ist, dass alle Datenschutzaspekte und die technische Implementierung unter die Lupe genommen werden. Das Ziel ist weniger Verwaltungsaufwand, mehr Sicherheit und vor allem Vertrauen für alle Beteiligten, weil niemand die sogenannte Blockchain-Technologie manipulieren können soll. Es reicht daher nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, mit technischen Begriffen wie „Blockchain“ einen modernen Anschein erwecken zu wollen. Alle Beteiligten müssen diese komplexen Vorgänge verstehen können. Nur so entsteht Vertrauen, und nur so entsteht die Bereitschaft, solche Technologien zu verwenden. ({0}) Nächstes Thema. In der Verwaltung sollen bestimmte Vorgänge automatisiert werden. Wir sagen: Maschinelles Lernen, wie Sie es anregen, sollte aber nur dann eingesetzt werden, wenn die Vorgänge nachvollziehbar, transparent und damit auch kontrollier- und handhabbar sind. Algorithmen, also digitale Programme, können nur eine informierte Unterstützung für Verwaltungsmitarbeitende sein, wenn sie verstehen, wie die Ergebnisse und Vorschläge des Algorithmus zustande kommen. Ansonsten laufen wir Gefahr, mit intransparenten Vorgängen konfrontiert zu werden. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, widerspricht der Idee einer demokratischen Verwaltung. ({1}) Nächster Punkt. eGovernment und die damit verbundene Möglichkeit von Open Data kann ein großartiger Gewinn für die Gesellschaft sein. Allerdings muss bei einer vollständigen Digitalisierung der Verwaltung beachtet werden, dass es immer Menschen geben wird, die keinen Internetzugang haben. Und manche wollen vielleicht gar nicht online sein, oder ihnen fehlt die notwendige Kompetenz, um von zu Hause aus ihre Verwaltungsangelegenheiten regeln zu können. Aus unserer Sicht muss der Staat für diese Bürgerinnen und Bürger in den Rathäusern Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner bereitstellen, die sämtliche Verwaltungsakte digital in die Wege leiten können. Wie so etwas aussehen kann, macht zum Beispiel Estland vor, das mit einem solchen Modell sehr gute Erfahrungen macht und es damit zu einer 99‑prozentigen digitalen Verwaltung geschafft hat. Last, but not least. Unsere Verantwortung, meine Damen und Herren, ist es, eine digitale Spaltung der Gesellschaft nicht weiter zu vertiefen. Deshalb sind wir gut beraten, diese Aspekte im Ausschuss ergebnisoffen zu diskutieren und nach Möglichkeit dazu auch Expertinnen und Experten einzuladen. Vielen Dank und ein herzliches Glückauf! ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Danyal Bayaz, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Redner. ({0})

Dr. Danyal Bayaz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum reden wir heute überhaupt über Start-ups und Gründer? Das ist ja kein Selbstzweck, sondern es geht um den Erfolg unserer Wirtschaft von morgen. Das Problem ist, wenn man sich einmal unsere Industrie anschaut: Die Automobilindustrie hadert, deutsche Banken sind angeschlagen, die Deutschland AG, wie wir sie einmal kannten, gibt es nicht mehr. Viele Mittelständler leiden unter den globalen Handelskonflikten, und die Modernisierung unserer Industrie, gerade die digitale und die ökologische Modernisierung, kommt nicht wirklich voran, übrigens auch, weil die Regierung nicht für klare Rahmenbedingungen sorgt. Und da kommen natürlich Start-ups in Spiel; denn sie sind Innovationsmotor für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft. Viele Start-ups bringen uns digital nach vorne, viele Start-ups bringen uns mit der ökologischen Modernisierung nach vorne. Das ist doch der Mittelstand von morgen, den wir brauchen. Da geht es um Wertschöpfung, da geht es um Arbeitsplätze, da geht es um Innovationen. Genau deswegen sollten wir die Gründerkultur in diesem Land auch stärken, meine Damen und Herren. ({0}) Die FDP schlägt einen nationalen Dachfonds vor, der auch in Wagniskapital investiert. Das ist im Prinzip okay, aber so, wie Sie es vorschlagen, werden nur sehr bestimmte Anlegergruppen davon profitieren. Der Staat soll dabei Zinsen garantieren und Verluste abdecken. Ich finde, an dieser Stelle machen Sie es sich zu einfach. ({1}) Die Grundidee eines nationalen Fonds ist richtig. Aber lassen Sie uns schauen, wie wir ihn als Bürgerfonds ausgestalten können, zum Beispiel als Fonds für die Altersvorsorge. So bekommen auch viele andere die Möglichkeit, niedrigschwellig in einen professionell gemanagten Fonds zu investieren, der in Aktien, in Anleihen, aber eben auch in Wagniskapital investiert. Wenn wir das beispielsweise als öffentlich-rechtliches Fondsmodell anbieten mit niedrigen Vertriebskosten, dann vermeiden wir viele Kosten, und dann machen wir es so wie beispielsweise die Schweden. Daran können sich natürlich, Frau Stark-Watzinger, auch viele private Investoren beteiligen, um die Investitionssumme zu hebeln. Ich finde, davon haben wirklich alle etwas. Grundsätzlich gilt: Wer die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft und die Akzeptanz von Start-ups stärken möchte, der sollte ganz gezielt Bürgerinnen und Bürger an den Gewinnen beteiligen. Ich glaube, das wäre die richtige Antwort, meine Damen und Herren. ({2}) Jetzt stelle ich mir die Frage: Wie steht die Regierung dazu? Ich habe noch mal in den Koalitionsvertrag geschaut. Da steht: Wir wollen, dass Ideen aus Deutschland auch mit Kapital aus Deutschland finanziert werden … Ich fände es übrigens besser, wenn da „Europa“ stehen würde; denn Start-ups können mit chinesischen und amerikanischen Dynamiken nur dann konkurrieren, wenn sie von Anfang an den gesamteuropäischen Markt in den Blick nehmen. ({3}) An dieser Stelle müssen wir uns ehrlich eingestehen, dass auch Europa insgesamt diesbezüglich zu langsam ist und zu wenig zu bieten hat. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor ein paar Wochen hat ein großes Berliner Start-up aus der Tourismusbranche, GetYourGuide, 400 Millionen Dollar Kapital eingesammelt. Das Geld kommt aus Asien, von japanischen Investoren. Dieses Start-up hat sich in Europa noch nicht mal umgeschaut, weil es dieses Angebot gar nicht gibt. Viele Konkurrenten holen sich das Kapital aus den USA. Es ist doch klar: Den Unternehmen ist erst mal völlig egal, ob das Geld aus Israel, aus dem Silicon Valley oder aus Asien kommt. Aber uns sollte schon sehr bewusst sein, dass mit dem Einstieg von chinesischen oder amerikanischen Investoren Geschäftsmodelle, Innovationen, Arbeitsplätze, aber auch Gewinne sozusagen dem europäischen Einfluss entzogen werden. Ich finde übrigens – das sage ich in Richtung Wirtschaftsministerium –, das wäre eine kluge Strategie für eine Industriepolitik. Statt die Old Economy und die Großen zu schützen, sollte man nach vorne schauen. Genau darum sollten wir uns kümmern, meine Damen und Herren. ({4}) Jetzt will ich noch einen Satz zu dem Kollegen von der AfD sagen: Wer in harmlosen Anträgen von der FDP und den Grünen Anglizismen, Klimaterror, Gendergaga und Migrationsfantasien findet und anderen Ideologie vorwirft, der hat, glaube ich, die ideologischste Brille von allen auf. – Das muss ich Ihnen mal klar sagen. ({5}) Vielleicht noch ein Satz zur englischen Sprache in der Verwaltung: Wer Deutsch als einzige Sprache in der Verwaltung möchte, aber gleichzeitig über soziale Medien russische Share Pics rausgibt, sollte sich der Widersprüchlichkeit bewusst sein, meine Damen und Herren. ({6}) Aber Sie haben mich auf einen guten Punkt gebracht: Wer über Gründer spricht, der muss auch über Frauen sprechen, und zwar ganz gezielt. Wir sollten nicht nur über eine Gründerkultur sprechen, sondern auch über eine Gründerinnenkultur; ({7}) denn es gibt viele tolle Frauen da draußen, die Ideen für neue Geschäfte haben. Frauen gründen anders. Frauen gründen vor allem für Frauen. ({8}) Wenn man mal ganz ehrlich ist, muss man sagen – das ist eine rein volkswirtschaftliche Betrachtung –: Wir reden hier über die halbe Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, Frau Storch. Das Problem ist: Die bekommen kein Kapital von Investoren, und die Frauenquote unter Gründern ist noch schlechter als die in der Politik. ({9}) Es gibt welche, die das besser machen wollen. Letzte Woche gab es eine Erfolgsmeldung: Der Billion Dollar Fund, ein großer Fonds, der ganz explizit auf weibliche Start-ups setzt, hat 1 Milliarde Kapital eingesammelt. Das Geld kommt aus der ganzen Welt, viel auch aus Europa, nur aus Deutschland kommt leider kein Investor. Da frage ich mich: Haben wir denn keine Gründerinnen hier? Dabei geht es doch nicht nur um eine Frage der Gerechtigkeit, sondern es geht doch auch um die Frage, ob wir die Potenziale in unserer Volkswirtschaft wirklich völlig ausschöpfen, meine Damen und Herren. ({10}) Lassen Sie uns das ändern! Lassen Sie es uns beispielsweise wie Irland machen! Irland hat einen Start-up-Fonds for Female Entrepreneurs gegründet. Achtung: Anglizismus! Ich übersetze das gerne: einen Start-up-Fonds für weibliche Gründerinnen. ({11}) Ich finde, da sollten wir auch ansetzen und Förderrichtlinien ganz gezielt für Frauen auf den Weg bringen. Auch das wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Start-ups in Deutschland und in Europa, meine Damen und Herren. Danke schön. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Mark Hauptmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Mark Hauptmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gründerinnen und Gründer in diesem Land! Es eint uns, dass wir hier in dieser Debatte überlegen, wie wir in Zukunft ein innovationsfreudiges, ein wachstumsorientiertes Land sein können, das auf die Gründerinnen und Gründer setzt, genauso wie das vor über 100 Jahren erfolgreich geschehen ist. Es waren Personen wie Gottlieb Daimler, Werner von Siemens, Carl Benz, die damals, vor über 100 Jahren, als Gründer den Wohlstand von heute generierten. Wir müssen in unserer heutigen Zeit eben auch schauen, dass wir die Start-ups und die Gründerinnen und Gründer unserer Zeit zu großen Unternehmen, zu international agierenden Akteuren von morgen machen. Von daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es nicht richtig, wenn der Kollege von der AfD davon spricht, dass wir keine Fokussierung alleine auf die Start-up-Szene vornehmen sollten, zulasten des Handwerks oder der Industrie. Nein, wir brauchen beides. Wir brauchen auch Gründungen aus dem Handwerk. ({0}) Das Handwerk erfindet sich gerade neu. Wir brauchen die Verbindung zwischen klassischer Industrie und Plattformökonomie. ({1}) Das ist das, was wir im 21. Jahrhundert brauchen. Herr Lutze von den Linken, Sie haben von vagabundierendem Kapital gesprochen. Zurück in die Vergangenheit – das war Ihre Rede. Wahrscheinlich orientieren Sie sich an den Volkswirtschaften Venezuelas, Kubas und Nordkoreas. Danach klang zumindest Ihr Wortbeitrag hier. ({2}) Ich glaube, Sie haben die Start-up-Szene in Deutschland, insbesondere die Start-up-Szene in Berlin, die große Chancen bietet und sich gerade anschickt, Start-up-Platz Nummer eins in Europa zu werden und damit an London vorbeizuziehen, noch nicht ganz verstanden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Kollegin Stark-Watzinger hat am Anfang ein schönes Beispiel gebracht. Sie hat von einer Gründerin gesprochen – es ist immer gut, wenn wir auch weibliche Gründer in diesem Land haben; das sollten wir fördern –, die kein Kapital, kein Geld findet. ({3}) Schönes Beispiel! Leider haben Sie die aktuellen Ansprüche in unserem Land nicht zutreffend beschrieben. Wie sieht aktuell die Lage aus? Ich will Sie mitnehmen auf eine Reise entlang der Wertschöpfungskette vom Anfang, von der Gründung, bis zum Exit: Wenn Ihre junge Gründerin Kapital braucht, dann bekommt sie heute schon eine Unterstützung seitens des Bundeswirtschaftsministeriums über ein Programm, das sich „EXIST“ nennt. Drei Viertel der EXIST-Gründerstipendien und 80 Prozent der EXIST-Forschungstransferprojekte führen zu einer Unternehmensgründung, und die Unternehmen sind nach drei Jahren auch noch am Markt. Dann kommt die Stufe zwei. Was ist Stufe zwei? ­Friends, Fools and Family. Das sind diejenigen, die zuallererst in eine Idee investieren. Dritte Finanzierungsstufe: Wagniskapital durch Business Angels. Auch hier greift das Bundeswirtschaftsministerium helfend unter die Arme, ({4}) indem es einen Wagniskapitalzuschuss von 20 Prozent gibt. Für Ihren Fall, für Ihre Gründerin, heißt das ganz konkret: Wenn es einen Wagniskapitalgeber gibt, der 100 000 Euro investiert, schenkt ihr das Bundeswirtschaftsministerium 20 000 Euro als Zuschuss. ({5}) Wir kommen zum Bereich Nummer vier. Jetzt braucht die Gründerin Wagniskapital von einem Venturecapital-Fonds. Die Situation, die Sie hier beschrieben haben, bestand vor zehn Jahren, vielleicht auch noch vor fünf Jahren, aber besteht nicht mehr im Jahr 2019. Wir sind in der Seed-Finanzierung und der Finanzierung der Series A und der Series B, also der ersten und zweiten Stufe, finanziell gut ausgestattet. Und die Erfolgsgeschichte des Bundeswirtschaftsministeriums geht weiter; denn an jedem Venturecapital-Fonds, der hier in Berlin seine Erfolge feiert, ist der Staat mit 40 Prozent beteiligt, ({6}) zu 20 Prozent über die KfW und zu 20 Prozent über den European Investment Fund. Die sichern als starke Partner des Staates in privaten Venturecapital-Unternehmungen den benötigten Kapitaltransfer. Sie sehen also: Der Staat ist immer wieder einer der ganz wichtigen Partner. ({7}) Jetzt komme ich zum entscheidenden Punkt Nummer fünf. Das ist die dritte Stufe des Wagniskapitals. Das sind Modelle zur Finanzierung von 10 Millionen Euro aufwärts. Ich nehme mal an, Ihre Gründerin braucht bei ihrer Gründung nicht gleich am ersten Tag 10 Millionen. ({8}) In dieser Wachstumsphase – 10 Millionen aufwärts – haben wir – das stimmt – noch ein Defizit beim Kapital. ({9}) Jetzt geht es darum: Wie akquirieren wir dieses Kapital, um dieses Defizit auszugleichen? Hierzu gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen des Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier. Es gibt eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie wir auf die Family Offices in Deutschland, auf die Pensionskassen in Deutschland, auf internationale Kapitalgeber zugehen können, um sie zu animieren, nicht etwa in KMUs zu investieren, die das Know-how abziehen und das Geschäft nach China verlagern, sondern wir wollen sie animieren, in die Venturecapital-Szene insgesamt zu investieren; denn damit findet ein Risikosplitting statt, und wir können über eine Hebelfunktion, über unsere staatliche Komponente, viel mehr Firmen helfen, als das bisher bekannt ist. Sie alle wissen, dass wir das dänische Dachfondsmodell in den Koalitionsvertrag geschrieben haben. ({10}) Das eint diese Koalition. Wir wollen das dänische Modell voranbringen. Was ist das dänische Modell? Das dänische Modell besagt: Wir nehmen größere Tickets vor allem von den Pensionskassen, von Allianz oder Münchener Rück, die durchaus 50 Millionen als Einzelticket zur Verfügung stellen können, aber nicht der alleinige starke Investor sein wollen. Mit diesen Tickets verbinden wir eine Risikoabsicherung, und wir verknüpfen Venture­capital und Private Equity. Die Dänen machen das im Verhältnis 80 : 20. Man kann hier über das Verhältnis 70 : 30 und auch über die Absicherung des Staates durch Ausfallbürgschaften und Garantien sprechen. Hier sind wir mittendrin statt nur dabei. Wir wollen nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern vor allem auch der Tüftler und Macher sein, ({11}) und wir wollen diejenigen animieren, die hier vorangehen und uns und unserer Gesellschaft mit guten Ideen weiterhelfen. Hier gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten: über den Ausbau der Beteiligungsfinanzierung der KfW – Beschluss von 2017 –, ({12}) über die Tech-Growth-Fund-Initiative der Bundesregierung und über den Venture-Debt-Markt, wofür die KfW bis 2022 noch 250 Millionen Euro mit einer 95‑prozentigen Absicherung bereitstellt. Daneben werden durch die KfW Capital über das ERP-Sondervermögen noch einmal 200 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt. Außerdem helfen wir vielen Gründerinnen und Gründern auch über Coparion und eine Fülle von anderen Maßnahmen. Wir haben erkannt, dass es nicht mehr an der Erstfinanzierung mangelt, sondern an der Wachstumsfinanzierung. Diese Erkenntnis ist nicht nur vorhanden, sondern die Lösung ist auch auf einem guten Weg.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Mark Hauptmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von daher: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Hauptmann. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Franziska Gminder, AfD-Fraktion. ({0})

Franziska Gminder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004728, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bereits erwähnt, liegen hier zwei Anträge der FDP für die Gründerrepublik Deutschland vor. Außerdem haben die Grünen kürzlich einen Antrag mit dem Titel „Gründungskultur fördern ...“ vorgelegt. Letzterer ist für mich wieder einmal von etwas zu vielen linken ideologischen Wunschvorstellungen getrübt, sodass wir ihn ablehnen müssen. Die FDP-Aufforderung an die Bundesregierung, eine neue Gründerkultur und attraktivere Rahmenbedingungen für Start-ups zu schaffen, findet unsere volle Zustimmung. Deutschland hat eine lange Tradition von Erfindern und Gründern: von Gutenbergs Druckerpresse über das Automobil, den Zeppelin, die Zündkerze, den Dübel, Konrad Zuses erstem Computer und Henkels Waschmittel bis hin zum Diesel, der nicht zu vergessen ist, auch wenn er so verunglimpft wird. Die Reihe der Erfindungen ließe sich beliebig fortsetzen. Leider ist die Anzahl der Gründungen in Deutschland seit Jahren rückläufig, und laut KfW-Gründungsmonitor 2017 hat sie einen neuen Tiefstand erreicht. Das muss sich ändern. Welche Lösungen gibt es dafür? Zunächst muss der Zugang zu Kapital erleichtert werden. Das wurde schon von meinen Vorrednern sehr ausgiebig behandelt. Dieser Auffassung bin ich auch. Wenn 17 deutsche Venturecapital-Gesellschaften lediglich 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, während in den USA 257 Venturecapital-Fonds Unternehmen finanzieren, sind wir sehr im Hintertreffen. Auch in Deutschland sollten vermehrt institutionelle Investoren, wie zum Beispiel Versicherungen, Pensionskassen etc., in Venture­capital-Fonds investieren, wie mein Vorredner bereits erwähnt hat. Im Zeitalter der EZB-Nullzinspolitik könnte privates Investment in Crowdfunding zur Unternehmensgründung eine Alternative zum Sparbuch und zu klassischen Aktienfonds sein. Allerdings müssen die Ausfallrisiken für die Verbraucher bedacht werden. Hier braucht es besondere Regeln und eine besonders strenge Aufsicht der BaFin – Stichwort „Anlegerschutz“. Eine rein formale Prospektprüfung reicht da nicht aus. Auch die attraktive Ausstattung des Steuerrechts hat eine herausragende Bedeutung für Start-ups. Das gilt sowohl auf der Ebene der Investoren – wie durch die Einführung von steuerlich begünstigenden Reinvestitionsklauseln – als auch auf der Ebene von Start-ups selbst. Eine Erweiterung der Nutzbarkeit von Verlustvorträgen bei einem Anteilseignerwechsel könnte bisher bestehende Investitionshemmnisse minimieren. Denkbar wäre auch die Gewährung von Sonderabschreibungsmöglichkeiten, die es Investoren in Venturecapital erlauben würden, ihre Investitionen linear über fünf Jahre abzuschreiben. Was ganz besonders wichtig ist und meiner Ansicht nach hier noch etwas vernachlässigt wurde, ist das Thema Bildung. Die Schulfächer Wirtschaft und Informatik sollten noch stärker Eingang in die Lehrpläne der Schulen finden, um frühzeitig die Neugier und das Bewusstsein für wirtschaftliche Zusammenhänge und zukunftsweisende Technologien zu wecken. Besonders die Fächer Mathematik, Naturwissenschaften, Deutsch bzw. Englisch müssten gestärkt werden. Die Defizite von Schulabgängern in diesen Fächern werden ja oft genug beklagt. Es nützt nichts, wie jüngst in Bremen geschehen, die Prüfungsaufgaben zu vereinfachen, um bessere Abiturnoten zu verteilen. ({0}) An den Hochschulen sollte der Mut zum Gründen durch Studienangebote für den Bereich Entrepreneurship gefördert werden. Hochschulen sollten den Studierenden den direkten Kontakt zu Start-ups und Gründungsmentoren erleichtern und studentische Ausgründungen fördern. Wagnis darf nicht bestraft, sondern muss gefördert werden. Dazu ist ein Umdenken nötig. In Europa geht Sicherheit immer noch vor Kreativität. Unternehmertum sollte auch nach einem gescheiterten Versuch möglich sein und nicht mit zehn Jahren Zwangsabstinenz bestraft werden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Falko Mohrs, SPD-Fraktion. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz klar: Die Gründer von heute sind die Arbeitsplatzgeber und das Rückgrat unserer Wirtschaft von morgen. Und: Wir haben es gehört: Deutschland muss mehr investieren. In Relation zur Wirtschaftsleistung investieren zum Beispiel die USA viereinhalbmal so viel wie Deutschland in die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft. Aber: Es ist auch nicht alles schlecht; denn der deutsche Markt ist für Venturecapital hochinteressant. Die Geschäftsmodelle vieler Tech-Start-ups werden hoch bewertet und finden Investoren. Wir haben es gehört: Das gilt insbesondere in der ersten Phase. Wenn wir auf die Finanzierungsrunden von Venturecapital in Deutschland schauen, dann sehen wir: Wir sind das einzige europäische Land, das mit zwei Städten in den Top Ten vertreten ist. Insofern sehen Sie: Wir haben zwar Luft nach oben, aber es ist auch nicht alles schlecht. Der Kollege Hauptmann hat vieles von dem, was wir in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben, erwähnt. Ich will das an dieser Stelle unterstreichen und muss das nicht wiederholen. Ich habe mir den FDP-Antrag angeguckt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist immer die gleiche Schallplatte; Sie drehen vielleicht mal die Seite um, aber im Grunde fordern Sie immer das Gleiche: Die Post muss privatisiert werden. Die Bahn muss privatisiert werden. Dafür muss die KfW die Anteile verkaufen. Ich habe mich gefragt: Warum wollen Sie das diesmal? Wenn man ein bisschen in die Historie guckt, dann sieht man, dass Sie in Ihrem Wahlprogramm zum Beispiel geschrieben haben, dass Sie mit den Erlösen aus dem Verkauf, aus der Privatisierung den Ausbau des Glasfasernetzes bezahlen wollen. 2008 haben Sie auch schon mal die Privatisierung gefordert. Das haben Sie dann vergessen, als Sie selber mal den Wirtschaftsminister stellten. Insofern sind Sie wahrscheinlich wirklich die Ankündigungspartei. ({0}) An dieser Stelle haben Sie tatsächlich wieder mal eine neue Idee, was Sie mit den Privatisierungserlösen machen wollen. Sie wollten damals unter Ihrem Wirtschaftsminister Rösler die Anteile an der Post verkaufen. Damals waren sie übrigens halb so viel wert wie heute. Sie erzählen immer, dass der Staat ein schlechter Unternehmer sei. Wissen Sie was? Ich sage Ihnen: Die FDP ist ein schlechter Unternehmer für dieses Land, meine Damen und Herren. ({1}) Ich sage Ihnen aber auch: Ihre Privatisierungsfantasien werden Sie mit uns auf keinen Fall durchsetzen. ({2}) Wir als SPD stehen dafür, dass die öffentliche Daseinsvorsorge auch in die öffentliche Hand gehört, und dafür werden wir kämpfen. Darauf können Sie sich verlassen. ({3}) – Hören Sie noch kurz zu; dann können Sie noch ein bisschen für Ihren Antrag mitnehmen. Sie tun als FDP immer so, als ob Sie global in der Wirtschaft unterwegs sind. In Ihrem Antrag fordern Sie dagegen nur, dass in deutsche Unternehmen, in deutsche Start-ups, investiert wird. Für mich bedeutet eine kluge Wirtschaftspolitik in einem globalen Umfeld, dass man im deutschen Interesse eben auch in die Unternehmen investiert, die ein gutes Know-how im europäischen Umfeld haben und gutes Know-how weltweit nach vorne bringen. ({4}) Auch das ist gute deutsche Wirtschaftspolitik. ({5}) Die Bundestagsfraktion der Grünen hat, finde ich, mit ihrem Antrag auf jeden Fall ein Fleißbienchen verdient. Denn Sie haben eine ganze Menge in Ihren Antrag reingeschrieben und haben darin so ein bisschen die eierlegende Wollmilchsau gefordert, was als Oppositionspartei natürlich auch opportun ist. Wie gesagt: Das Fleißbienchen bekommen Sie von mir. Aber Sie müssen vielleicht einmal ihre Zahlen – gleich im zweiten Satz – aktualisieren. Das sind nämlich alte Studien, die Sie anführen. Das geht vielleicht noch ein bisschen aktueller. Dass Sie dann auch noch fordern, für inländische Risikokapitalgeber eine Steuerbefreiung einzuführen, wundert mich dann doch schon sehr, meine Damen und Herren. Frau Gminder, dass die AfD eine Partei von gestern oder von vor 80 Jahren ist, das ist mir nicht verborgen geblieben. ({6}) –  Aber die Ideologie von vor 80 Jahren ist leider hängen geblieben, Frau von Storch. ({7}) Sie nutzen aber hier auch in Ihrer Rede alte Zahlen des KfW-Monitors, um damit Ihre Thesen zu untermauern; das ist nun wirklich veraltet. Vielleicht sagen Sie Ihrem Textbausteinredenschreiber, er soll beim nächsten Mal besser recherchieren. ({8}) Wo ich gerade bei Ihnen bin: Sie fordern ja immer, alles solle besser werden. Lesen Sie sich einmal Ihre eigenen Anträge, zum Beispiel einen Antrag aus dem Mai 2019, durch! Da wollen Sie mal eben sämtliche – wirklich sämtliche – europäischen Förderprogramme streichen, die den Start-ups zugutekommen. Erklären Sie mal, wie Sie damit eigentlich eine Gründerrepublik in Deutschland voranbringen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({9}) Wir sagen ganz klar – das ist auch in unserem Koalitionsvertrag angelegt –: Wir wollen das Thema Mitarbeiterbeteiligung voranbringen; das ist gerade für Start-ups wichtig. Wir wollen das Insolvenzrecht nachbessern, damit Start-up-Unternehmer dort eine geringere Gefahr haben, und wir wollen einen Zukunftsfonds etablieren. Wir haben gute Ideen. Das dänische Modell enthält übrigens gute Beispiele; wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen des dänischen Fonds gesprochen. ({10}) – Dann wissen Sie aber bestimmt auch, dass dieser dänische Fonds eben nicht mit dem Europarecht konform geht. ({11}) Deswegen müssen wir in Deutschland unsere eigene Antwort auf die Frage finden, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– womit wir die Finanzierung von Start-ups, womit wir die Finanzierung der Zukunft unseres Landes voranbringen können. Diese werden wir vorlegen. In dem Sinne: Herzlichen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Mohrs. – Und nun kommt Reinhard Houben, FDP-Fraktion. ({0})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass möglichst wenige Gründer diese Debatte verfolgen. ({0}) Denn eine Willkommenskultur für Gründer war die bisherige Debatte nun wahrhaftig nicht. ({1}) Frau Grotelüschen, Sie hatten für das Thema sieben Minuten Zeit – genauso viel wie die Kollegin Stark-­Watzinger und ich –, und dann sagen Sie in Ihrem Vortrag: Ja, darauf möchte ich nicht eingehen. Das möchte ich nicht vertiefen. Dazu kann ich nichts sagen. Frau Poschmann, ich frage mich: Sind Sie Opposition, oder sind Sie Regierung? Sie attestieren zu viel Bürokratie. Sie attestieren Probleme bei der Finanzierung. Wo sind denn die Lösungen dieser Regierung in den Fragen, die wir heute hier ansprechen wollen? Wo sind die Lösungen? ({2}) Herr Lutze, wir versuchen, großen Kapitalsammelstellen wie Pensionsfonds oder Versicherungen die Möglichkeit zu geben, in Venture-Kapital reinzugehen. Da ist nicht das große Geld, sondern da sind die Versicherten, die im Monat vielleicht 50 oder 100 Euro in ihre Lebensversicherung einzahlen und bisher keine Möglichkeit gehabt haben, am Erfolg unserer Wirtschaft teilzunehmen. ({3}) Das dann mit pseudosozialistischen Bemerkungen abzuarbeiten, finde ich schwierig. ({4}) Herr Bayaz, ich glaube, wir sind uns in manchen Fragen sehr einig. Ich fand nur einfach schade, dass, wenn man den heute von Ihnen vorliegenden Antrag liest, auffällt: Er ist ungefähr identisch mit dem Antrag, den Sie vor zwei Jahren eingebracht haben. ({5}) Eine Entwicklung in dem Thema haben Sie ja selbst dargestellt. Es wäre dann aber auch schön gewesen, wenn das im Antrag zu sehen gewesen wäre. ({6}) Herr Hauptmann, es ist ja legitim, dass Sie die Regierung verteidigen. Aber Sie sind ja nicht erst seit gestern in dieser Regierung. Sie hatten doch Möglichkeiten genug, entsprechende Dinge voranzubringen. ({7}) Warum liegen denn die Dinge nicht vor, die in Ihrem Koalitionsvertrag stehen? Warum können wir bis heute nicht darüber diskutieren? Warum müssen FDP und im Anhang die Grünen Anträge einbringen, damit wir überhaupt über das Thema sprechen können? ({8}) Der Minister persönlich scheint daran ja nicht so interessiert zu sein. ({9}) Herr Mohrs, ja, ich weiß, dass Sie nicht möchten, dass die Postanteile von der KfW verkauft werden; gleiches gilt für die Anteile an Telekom und 50Hertz. ({10}) Aber, Herr Mohrs, wir sind die einzige Fraktion, die in dieser Diskussion einen ganz konkreten und seriösen Finanzierungsvorschlag für einen solchen Fonds formuliert. ({11}) Alle anderen Fraktionen und die Regierung sind bisher eine Antwort schuldig geblieben, woher sie das Geld nehmen wollen, um einen entsprechenden Fonds nach dänischem Vorbild zu gestalten. ({12}) Deswegen bin ich froh, dass wir heute darüber diskutiert haben, und ich höre schnell auf; denn der Präsident blinkt. Vielen Dank. ({13})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Houben, ich weise darauf hin: Nicht ich blinke, ({0}) sondern die Signallampe vorne am Rednerpult. Aber ich könnte auch blinken. ({1}) Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Uns eint die Überzeugung, dass wir mehr Unternehmensgründungen brauchen und Gründungen stärken wollen. Wir verfolgen dieses Ziel gemeinsam, weil uns bewusst ist, dass Start-ups Wachstum und Wohlstand von morgen schaffen. Die Fähigkeiten, die Gründer mitbringen müssen – Fleiß, Wissen, Kreativität, Mut und vieles mehr –, helfen auch in der Politik. Wenn man sich die Anträge ansieht, merkt man allerdings, dass diese Fähigkeiten an der einen Stelle mehr, an der anderen weniger ausgeprägt sind. ({0}) Nachdem eine unternehmerische Idee geboren wurde, sich ein Team gefunden hat und nun endlich loslegen möchte, stehen Gründer zunächst – bei uns vor allem – vor zwei Herausforderungen: Kapital und Bürokratie. Von dem einen gibt es in Deutschland etwas zu wenig, von dem anderen in der Tat etwas zu viel. Beginnen wir mit dem lieben Geld. Investitionen in deutsche Start-ups sind in den letzten Jahren – das gehört auch dazu – stetig angestiegen. Für die Startphase steht eine ganze Reihe von Finanzierungshilfen zur Verfügung; das ist mehrfach in dieser Debatte angesprochen worden. Ich möchte noch mal EXIST nennen, mit dem der Bund Existenzgründungen aus der Wissenschaft fördert. Im Jahr 2019 stehen hierfür übrigens 78 Millionen Euro zur Verfügung, mehr als das Doppelte im Vergleich zum vergangenen Jahr. Weitere Beispiele sind der High-Tech Gründerfonds oder das INVEST-Programm – alles absolute Erfolgsprogramme. ({1}) Übrigens hat das Wirtschaftsministerium seine Förderaktivitäten ganz aktuell auch auf nichttechnische Innovationen ausgedehnt, etwas, was auch in dem einen oder anderen Antrag als Forderung enthalten ist. Diese ist bereits erfüllt. Die frühen Phasen sind insgesamt also sehr gut ausgestattet. ({2}) Anders sieht es in der Wachstumsphase aus. Fehlendes Kapital zur Finanzierung von Hightech-Wachstumsunternehmen ist tatsächlich eine der zentralen Schwächen des deutschen Innovationssystems. Um hier entgegenzuwirken und um technologieorientierten Wachstumsunternehmen einen besseren Zugang zu Kapital durch finanzstarke Fonds zu ermöglichen, wurde zunächst die KfW Capital ins Leben gerufen; auch die ist mehrfach in der Debatte angesprochen und zu Recht sehr positiv erwähnt worden. Das ist aber in der Tat noch nicht genug. In Deutschland ist der Venture-Debt-Markt, der das Bindeglied zwischen dem Wagniskapitalmarkt und dem klassischen Kapitalmarkt darstellt, noch sehr schwach entwickelt. Deshalb haben wir uns im Koalitionsvertrag auf einen Dachfonds geeinigt, der darauf abzielt, diesen in Deutschland noch schwach entwickelten Markt gemeinsam mit der Industrie zu entwickeln. Genau hierauf zielt auch die Idee der FDP ab, einen Dachfonds nach dem Vorbild Dänemarks zu etablieren. Das ist übrigens ein Vorschlag, der nicht ganz neu ist und schon seit einigen Jahren auch hier debattiert wird. Allerdings ist beim dänischen Modell wesentlicher Risikoträger der Staat, und deswegen haben wir auch im Koalitionsvertrag nicht explizit „dänisches Modell“ geschrieben, sondern nur: Dachfonds, der analog dem dänischen Modell umgesetzt werden soll. – Wie die Ausfallhaftung genau ausgestaltet werden kann und ob es auch im Sinne der FDP ist, wenn das Risiko hauptsächlich der Staat trägt, darüber müssen wir im Ausschuss diskutieren. ({3}) Immerhin haben Sie in Ihrem Antrag ganz dem Ideal eines Gründers folgend die Finanzierung mit bedacht. Es gilt auch zu bedenken, dass staatliche Beteiligungen an den genannten Unternehmen durchaus sinnvoll sein können. Wäre die FDP also ein Start-up, so würde der Investor Nachbesserungen bei der Finanzierung fördern. Die Grünen hingegen würden beim Businessplan-Wettbewerb nicht bestehen können; denn für alle ihre Ideen fehlt der Nachweis der Finanzierung komplett. Sie fordern 25 000 Euro Gründerkapital für jeden sowie zahlreiche Fonds, Förderungen und Freibeträge – alles ohne Finanzierungskonzept. Doch selbst wenn man diesen Punkt außer Acht lässt, so sind einige Ideen in den Anträgen von Widersprüchen geprägt. Sie schreiben zum Beispiel von der Gründungskultur des Scheiterns – ja. Es ist sogar von einer „Gründungskultur der zweiten, dritten und vierten Chance“ die Rede – gut. Doch staatliches Gründungskapital gibt es nach Ihrem Modell nur ein einziges Mal im Leben. Dass wir bürokratische Erleichterungen für Start-ups brauchen, ist unstrittig. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Darin ist die Einrichtung von One-Stop-Shops vorgesehen, durch die Gründungen und deren Umsetzung schnell und unkompliziert ermöglicht werden. Wichtig ist auch die schnellstmögliche Umsetzung der Regelung im Onlinezugangsgesetz, wonach die Anmeldung eines Unternehmens auf digitalem Weg, also möglichst schnell, erfolgen kann. Bürokratieabbau und die Bereitstellung von mehr Gründungskapital sind zwei essenzielle Maßnahmen, um Gründungen zu ermöglichen und in Deutschland eine bessere Gründerkultur zu etablieren. Um bestmögliche Ökosysteme zu entwickeln, ist aber weit mehr nötig. Hierzu hat die Unionsfraktion in dieser Woche ein entsprechendes Start-up-Papier verabschiedet, das federführend vom Kollegen Marc Biadacz erarbeitet wurde. Darin sind eine ganze Reihe von Ideen aufgeführt. Zum Beispiel müssen wir Daten besser nutzbar machen. Mit dem Open-Data-Gesetz haben wir in der letzten Wahlperiode einen Schritt gemacht; in dieser Wahlperiode werden wir den zweiten Schritt gehen. Wir brauchen auch mehr Talente. Ein Ansatz, der uns verhelfen will, an diese zu kommen, ist der DigitalPakt Schule; aber auch das Fachkräftezuwanderungsgesetz wird dabei helfen. Wir brauchen eine bessere Vernetzung von Gründern und Mittelstand. Die Digital Hub Initiative sei hier genannt, die wir weiter ausbauen werden. Wir müssen Gründerinnen und Gründern und dem Unternehmertun insgesamt in unserer Gesellschaft mehr Wertschätzung entgegenbringen; denn die mutigen und kreativen Gründer von heute schaffen Wachstum und Wohlstand für morgen. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält das Wort der Kollege Dr. Jens Zimmermann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, wir brauchen in Deutschland nachhaltige und soziale Innovationen. Wir brauchen auch Unternehmerinnen und Unternehmer, die diese umsetzen. Wir haben diese Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland auch. Ich glaube, das ist in dieser Debatte schon deutlich geworden. Ja, ich glaube auch, es ist in unser aller Interesse, dass wir es ihnen so leicht wie möglich machen, dass wir in Deutschland eine Kultur schaffen, die Innovationen und Gründungen ermöglicht und begünstigt. Wenn man hier in Berlin oder auch bei uns in Frankfurt, Frau Kollegin, unterwegs ist, dann kann man an allen Ecken und Enden spüren, dass das in Deutschland stattfindet. Das hat auch was mit unserer offenen Gesellschaft zu tun. Das hat auch was mit der Kultur in Deutschland zu tun. Das will ich am Anfang noch einmal unterstreichen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wir haben bei der Finanzierung – darüber reden wir ja heute – durchaus positive Entwicklungen zu verzeichnen. Wir vergleichen uns natürlich international. Das ist unser Anspruch in Deutschland und in Europa. Darin liegt eine große Dynamik. Deswegen müssen wir darauf achten, dass wir nicht abgehängt werden. Aber ich möchte auch darauf hinweisen: Wir haben in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, die auch gute Erfolge zeigen. Wir hatten ja in dieser Woche im Finanzausschuss eine Anhörung zu diesem Thema. Da ist beispielsweise die KfW mit ihrem KfW-Capital-Ansatz mehrfach erwähnt worden. Der Kollege war auch derjenige, der am häufigsten befragt wurde. Wir haben da schon sehr wertvolle Erfahrungen gesammelt, ({1}) um – das haben die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen in der Debatte schon gesagt – weiterzugehen und das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, nämlich unseren Dachfonds, auf den Weg zu bringen. Das werden wir auch tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Das ist aber auch ein Punkt, an dem man in dieser Debatte genau differenzieren muss, was eigentlich das Problem ist. Ist es das Problem, dass erfolgreiche Start-ups in Deutschland am Ende gar keine Finanzierung bekommen? Oder ist es das Problem, woher die Finanzierung kommt? Das sind zwei unterschiedliche Punkte. Das eine bedeutet nämlich, dass, wenn ausländische Investoren deutsche und europäische Start-ups mit Kapital ausstatten, die Gefahr besteht, dass Know-how-Abfluss stattfindet oder sie ihren Unternehmenssitz verlagern. Das wollen wir nicht. Daran müssen wir arbeiten. Es ist aber doch ein Unterschied dazu, dass man sagt: Sie können gar nicht gründen. – Das Ende der Geschichte Ihrer Unternehmerin, Frau Kollegin, wäre heute wahrscheinlich, dass ein amerikanischer, israelischer, chinesischer Investor sie unterstützen würde. Sie hätte aber erfolgreich in Deutschland gegründet. Das ist ein Punkt, auf den in dieser Debatte hingewiesen werden muss, meine Damen und Herren. ({3}) Das ist auch ein Punkt, an dem wir Interesse haben. Wir haben nämlich zwei Probleme: Auf der einen Seite liegen uns institutionelle deutsche Investoren in den Ohren, dass sie Investitionsmöglichkeiten brauchen, aber auf der anderen Seite sitzen sie auf dem vielen Geld. In einem Pensionsfonds, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, sind die Gelder der Bürgerinnen und Bürger natürlich schon beisammen. Und wir haben heute eigentlich schon die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür, dass solche institutionellen Investoren auch in die Start-up- und Wagniskapitalfinanzierung gehen. Es gibt ganz viele große Unternehmen und auch sehr viele große deutsche Unternehmen, die immer mal wieder kritisch mit dieser Bundesregierung ins Gericht gehen. Das ist auch manchmal in Ordnung. Ich will aber an dieser Stelle auch sagen: Ich schaue mir die 30 DAX-Konzerne an, ich schaue mir sehr viele große deutsche Mittelständler an. Und da wir alle wissen, wie wichtig es ist, zu investieren, erwarte ich an der Stelle auch, dass da nicht immer nur der Ruf nach dem Staat kommt. ({4}) Wir machen das, was nötig ist. Wir wollen das ermöglichen. Aber die deutsche Wirtschaft – das will ich an dieser Stelle sagen; denn es wurde in der Debatte noch nicht erwähnt – muss auch ein eigenes großes Interesse daran haben, dass Innovationen gefördert werden. ({5}) Wir als Koalition und als Bundesregierung werden das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, weiter entschieden vorantreiben. Deswegen haben wir, glaube ich, auch heute schon eine gute Gründerrepublik Deutschland. Herzlichen Dank. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmermann. – Damit schließe ich die Aussprache. Tagesordnungspunkt 27 a. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/11055 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Finanzausschuss. Ich ahne, wie das ausgehen wird. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der FDP – Federführung beim Finanzausschuss – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der Fraktionen der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 27 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/11053 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist ebenfalls strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der FDP – Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – abstimmen; wenn die Kolleginnen und Kollegen vielleicht so lange noch bleiben würden. ({0}) Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der Fraktionen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD – Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 27 c. Die Vorlage auf Drucksache 19/11150 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir blicken in diesem Jahr auf das 30-jährige Jubiläum der Friedlichen Revolution in der DDR zurück. Dies ist nicht nur Anlass, der Friedlichen Revolution zu gedenken und die gelungene Wiedervereinigung zu loben, es ist auch Anlass, der Opfer des SED-Unrechtregimes zu gedenken. Sie haben unter diesem Regime gelitten. Sie haben aber auch dazu beigetragen, das geteilte Deutschland in Freiheit zu einen. Ihnen gebührt unser aller Anerkennung. ({0}) Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt die Koalitionsvereinbarung um und enthält unter anderem Verbesserungen für ehemalige DDR-Heimkinder. Wir heben zunächst sämtliche Antragsfristen auf, die in den Rehabilitierungsgesetzen für Anträge auf Rehabilitierung und für die Geltendmachung von Leistungsansprüchen vorgesehen sind. Bei Erlass dieser Fristen war die Erwartung, dass die Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung innerhalb eines bestimmten Zeitraums abgeschlossen und die juristische Aufarbeitung des SED-Systemunrechts beendet sein würde. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Es besteht vielmehr weiter Bedarf an der Möglichkeit zur Antragstellung. Zahlreiche Betroffene beschäftigen sich – möglicherweise aufgrund verfolgungsbedingter Traumatisierung oder Verdrängung der eigenen Geschichte – erst im Rentenalter mit einer möglichen Rehabilitierung. Betroffenen, die erst spät den Mut finden, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen, soll nicht die Möglichkeit genommen werden, doch noch eine Rehabilitierung durchzusetzen. Über die Entfristung der Rehabilitierungsgesetze hinaus werden mit dem Gesetzentwurf zudem Regelungen eingeführt, mit denen die rechtlichen Grundlagen für DDR-Heimkinder verbessert werden. Diese Regelungen sind: Zum einen wird die strafrechtliche Rehabilitierung von DDR-Heimkindern erleichtert. Zum Zweiten wird ein neuer zusätzlicher Anspruch auf Unterstützungsleistungen für eine bestimmte Gruppe von DDR-Heimkindern nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz eingeführt. Wir haben mit den Regierungen der ostdeutschen Bundesländer sowie mit dem Land Berlin intensiv über Möglichkeiten beraten, die rechtlichen Grundlagen für DDR-Heimkinder zu verbessern. Es stellte sich heraus, dass es vorrangig spezifische Probleme der Sachverhaltsaufklärung sind, die eine strafrechtliche Rehabilitierung von DDR-Heimkindern erschweren. Personen, die als Kinder oder Jugendliche in einem Heim untergebracht wurden, können aus eigener Erfahrung kaum Anhaltspunkte für die gerichtliche Aufklärung ihres Verfolgungsschicksals liefern. Auskunftspersonen können sie kaum benennen, ehemals zuständige Stellen werden ihnen nicht bekannt sein. Zudem wird ihnen auch oft der Grund ihrer Unterbringung schon allein wegen ihres damaligen Alters nicht mitgeteilt worden sein. Die Zusammenhänge ihrer Heimeinweisung waren für sie also kaum oder gar nicht zu verstehen. Ohne ausreichende Erinnerung können sie aber auch nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben und dadurch den Sachverhalt glaubhaft zu machen. Der Gesetzentwurf schafft deshalb eine Regelung zur erleichterten gerichtlichen Sachverhaltsermittlung. Die Gerichte können künftig bereits dann die Zielrichtung einer Heimunterbringung als politische Verfolgung oder sonst zu sachfremden Zwecken für festgestellt erachten, wenn dies nach erfolgter Sachverhaltsaufklärung nur wahrscheinlich ist. Schwierigkeiten der Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die Zielrichtung der Heimunterbringung sollen – anders als bisher – nicht stets zulasten der Betroffenen gehen. Da die Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung alle DDR-Heimkinder in gleichem Maße betreffen, soll die Regelung zur erleichterten Sachverhaltsermittlung zudem allen zugutekommen und nicht nur den DDR-Heimkindern, deren Eltern in Haft waren. Der Gesetzentwurf belässt es aber nicht bei einer solchen Regelung der erleichterten Sachverhaltsermittlung. Er schafft vielmehr darüber hinaus zusätzlich einen neuen Anspruch auf Unterstützungsleistungen. Dieser neue Anspruch steht Betroffenen zu, die als Kinder oder Jugendliche zwar in ein DDR-Heim eingewiesen wurden, aber deren Einweisung nicht in rechtsstaatswidriger Weise erfolgte und die deshalb bislang nicht rehabilitiert werden. Dies betrifft zum Beispiel Kinder und Jugendliche, bei denen zwischen der Unterbringung und einer etwa gegen die Eltern gerichteten Verfolgungsmaßnahme nur ein ursächlicher zeitlicher Zusammenhang besteht, etwa weil sie während der Inhaftierung ihrer Eltern nicht bei Verwandten untergebracht werden konnten. Diese DDR-Heimkinder erhalten erstmals soziale Ausgleichsleistungen nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Dies gilt unabhängig davon, ob ihre strafrechtliche Rehabilitierung vor oder nach Inkrafttreten der neuen Regelungen abgelehnt wurde oder wird. Meine Damen und Herren, es handelt sich um einen Gesetzentwurf, der viele Schicksale betrifft. Ich meine, wir haben Ihnen einen ausgewogenen Lösungsvorschlag zur Verbesserung der rechtlichen Grundlagen für DDR-Heimkinder unterbreitet. Ich bitte deshalb um Unterstützung. Herzlichen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als nächster Redner hat der Kollege Roman Reusch, AfD-Fraktion, das Wort. ({0})

Roman Johannes Reusch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004863, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf enthält Licht und Schatten. Die Entfristung versteht sich von selbst – Haken dahinter. Gut gemacht ist auch die Regelung für die nur mittelbar betroffenen Heimkinder. Ich persönlich finde, dies ist auch rechtstechnisch durchaus pfiffig gemacht. Sie kommt nur 20 Jahre zu spät; denn das Problem der mittelbar Betroffenen existiert schon lange. Nun kann man es endlich als gelöst betrachten. Ein Problem sehen wir allerdings in der mit dem Gesetzentwurf eingeführten erheblichen Ungleichbehandlung zweier Opfergruppen. Bei den strafrechtlich Verurteilten muss selbstverständlich weiterhin der Nachweis geführt werden, muss weiterhin vom Gericht die Feststellung getroffen werden, dass sie rechtsstaatswidrig verfolgt waren. Bei Heimkindern soll davon abgesehen werden können, da soll das Gericht also so ein bisschen nach Gefühl und Wellenschlag urteilen können, wenn man den Sachverhalt nicht weiter aufklären kann. Das ist ein gewaltiges Problem; denn hier werden ja auch Steuergelder an Antragsteller ausgeschüttet, ohne dass wir feststellen können, ob der Anspruch auch berechtigt ist. Die erheblichen Nachweisschwierigkeiten für den geltend gemachten Grund haben strafrechtlich Verurteilte genauso. Mangelnde Erinnerungsmöglichkeiten – ich habe dieses Feld über mehrere Jahre bearbeitet –: Sie würden staunen, wie viele Antragsteller, die strafrechtlich verurteilt wurden, es nicht mehr auf die Reihe kriegen, sich zu erinnern, wann sie zu wie vielen Jahren von welchem Gericht eigentlich verurteilt wurden und weshalb. Um das nachher aufzuklären, müssen sich die Gerichte sozusagen einen Wolf ermitteln. Es kommt halt immer wieder vor, dass es, wenn wir keinen Regelfall haben, nicht feststellbar ist. Dann muss der Anspruch abgewiesen werden. Das ist so. Bei der Unterbringung von DDR-Heimkindern war es üblicherweise so, dass ein Beschluss des zuständigen Jugendhilfeausschusses vorlag. Wenn dieser nicht auffindbar ist, dann wird es in der Tat schwierig. Aber das ist halt so im Leben. Wenn man seinen Anspruch nicht beweisen kann, dann sagt der Zivilrichter auch nicht: Du bist ein netter Kerl, für mich klingt das alles irgendwie überzeugend, dann sprechen wir dir den Anspruch mal zu. Also, ich bin gespannt, was die Sachverständigen zu diesem Entwurf sagen werden, möchte aber die Kollegen aus dem Rechtsausschuss, die der GroKo angehören, bitten, noch einmal in sich zu gehen und genau zu prüfen, ob dieser Punkt der Stein der Weisen ist. Wir sehen uns im Ausschuss. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Arnold Vaatz das Wort. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Staatlich verursachtes Unrecht lässt sich niemals gänzlich heilen. Der Staat Bundesrepublik Deutschland kann einem ehemaligen Gefangenen, der in einem Arbeitslager gewesen ist, nicht die nächtlichen Albträume nehmen, von denen er jetzt noch immer aufwacht. Aber was wir tun können, ist: Wir können versuchen, ihm so viel wie möglich an Heilung zu verschaffen. Das ist, glaube ich, ein selbstverständlicher Anspruch, den ein Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland an sich stellen muss. Deshalb haben wir schon lange eine Reihe von Rehabilitierungsgesetzen beschlossen. Jetzt sind wir bei der sechsten Novelle derselben. Ich sage Ihnen, aber insbesondere den Kollegen, die schon länger hier sind: Wir hätten uns eine Menge Debatten und Arbeit und Mühe ersparen können, wenn wir auf diese leidige Befristung von Anfang an verzichtet hätten. ({0}) Denn es ist unangemessen, diese Geschädigten immerfort durch Fristen unter Druck zu setzen. Leider sind wir immer wieder den Bedenkenträgern gefolgt. Dieses Mal haben wir die Entfristung endlich geschafft. Vielen Dank auch an die Kollegen aus der SPD, dass wir diesen Punkt im Koalitionsvertrag stehen haben und jetzt nun endlich erledigen können. Wunderbar! – Dies zum Ersten. ({1}) Was wollen wir jetzt machen? Der Staatssekretär hat die Dinge schon sehr ausführlich geschildert; ich kann mir eine Menge von dem, was ich eigentlich sagen wollte, sparen. Es ist meines Erachtens wichtig, dass wir die Verantwortung des Gesetzgebers wahrnehmen und den Betroffenen die Rehabilitierung erleichtern. Meine Damen und Herren, in der Zeit zwischen 1949 und 1989 kamen schätzungsweise 300 000 unter 18-Jährige in DDR-Kinderheime oder Jugendwerkhöfe. Es gibt viele Berichte über körperliche und psychische Gewaltanwendungen sowie auch über sexuelle Übergriffe, die von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs dokumentiert wurden. Wie Sie sich sicherlich erinnern, ist damals mit den Heimkindern eine neue Dimension des DDR-Unrechts in das öffentliche Bewusstsein gerückt worden, und zwar erst in dem Moment, als auch die Zustände in den Kinderheimen im Westen medienrelevant wurden. Erst zu diesem Zeitpunkt ist es möglich gewesen, das besondere Leiden der Kinder in den DDR-Heimen zum Gegenstand der öffentlichen Debatte zu machen. Was heißt denn das? Das heißt, dass wir damit rechnen müssen, dass im Laufe der Jahre immer wieder neue Nuancen und im Zusammenhang damit auch neue Lebenssituationen, die eine erneute Befassung mit diesem Thema erforderlich machen, in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Demzufolge ist es notwendig, dass wir ständig unsere Rehabilitierungspraxis überprüfen, inwieweit sie den gegenwärtigen, den entstandenen Realitäten noch entspricht. Vor diesem Hintergrund sage ich: Wir haben meines Erachtens mit diesem Gesetz die Problematik noch nicht vollständig erfasst. Zum Beispiel nimmt die Zahl der öffentlich bekanntgewordenen Fälle verfolgter Schüler zu. Das sind diejenigen, die aus irgendwelchen – vornehmlich aus politischen – Gründen an ihrer Ausbildung gehindert wurden, also daran gehindert wurden, ihren Lebensweg so zu gestalten, wie es ihre Begabung ermöglicht hätte. Diesen Leuten haben wir in der Vergangenheit Hilfe zuteilwerden lassen. Man hat hauptsächlich noch so viel wie möglich für ihre Ausbildung nach der Zeit der DDR getan. Aber das greift dann nicht mehr, wenn die Betroffenen, wie mittlerweile fast alle, entweder nahe am Rentenalter oder schon im Rentenalter sind. Da kann man mit Ausbildung nichts mehr machen. Dann geht es um die entgangenen Rentenansprüche. Darüber müssen wir reden. Ich hoffe, dass es im Rahmen unserer parlamentarischen Befassung mit diesem Gesetzentwurf möglich ist, auch das zur Sprache zu bringen. Dann will ich noch kurz auf unseren Antrag eingehen. Sie müssen sich vorstellen: Eine junge Frau in der DDR bekommt ein Kind. Das Kind kommt zur Welt. Kurze Zeit später kommt der Arzt und sagt: Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Kind tot ist. – Dann verweigert man dieser jungen Frau, das Kind zu sehen. Was geht dann im Kopf dieser Frau vor? Es ist doch ganz klar, dass sie sofort den Grundverdacht hat, dass das Kind gar nicht tot ist, sondern ausgetauscht wurde. Solchen Fragen müssen wir mit den Möglichkeiten, die wir haben, auf den Grund gehen. ({2}) Über den Ausgang lässt sich noch nichts sagen. Aber wir müssen das tun.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie zum Schluss, bitte.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Wir streben zudem mit dem Antrag an, eine Gendatenbank aufzubauen, in die sowohl Betroffene, die meinen, dass ihnen ihr Kind entzogen wurde, als auch Betroffene, die glauben, Opfer einer solchen Zwangsadoption geworden zu sein, ihre Daten einstellen können, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte!

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– und zwar unter strikter Wahrung des Datenschutzes und auf Basis reiner Freiwilligkeit. Wir verwahren uns natürlich strikt dagegen – das muss ich zum Schluss sagen –, alle Adoptionen in der DDR unter Generalverdacht zu stellen. Viele waren rechtmäßig.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, wenn ich Sie auffordere, zum Schluss zu kommen, dann kommen Sie bitte zum Schluss.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, Herr Präsident.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sehr schön.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie gesagt, wir werden die Adoptionen noch einmal – – ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Dr. Jürgen Martens, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Martens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004816, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Staat, der mit seinen Mitteln Unrecht verübt, kann viel mehr Schaden anrichten, als ein Rechtsstaat mit seinen Mitteln jemals wieder aufarbeiten kann. Das gilt auch für das in der SBZ und dann später unter der Herrschaft der SED in der DDR geschehene Unrecht. Kollege Vaatz hat es gerade ausgeführt: Auch mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch der SED-Diktatur kommen immer noch neue Aspekte des staatlich organisierten, verübten und verheimlichten Unrechts in das öffentliche Bewusstsein. Die Entfristung der Rehabilitierungsgesetze ist von daher zwingend erforderlich und auch moralisch geboten. Solange es Opfer gibt, die unter dem damaligen Unrecht noch leiden und keinen Antrag gestellt haben, kann es auch keinen bürokratischen Schlussstrich etwa in Form von Antragsfristen oder Ähnlichem geben. ({0}) Die Zahl der Anträge ist zwar gesunken, aber nicht auf null gegangen; denn die Opfer brauchen oft sehr lange, bis sie den Weg finden, um über das erlittene Unrecht und die Traumata zu sprechen. Die jetzt vorgelegten Regelungen schaffen in einigen Bereichen notwendige Ansprüche und Verfahrenserleichterungen. Das gilt für Leistungsansprüche bei der Heim­unterbringung solcher Personen, bei denen etwa die Eltern oder die unmittelbar Fürsorgeberechtigten dann im Rahmen politischer Verfolgung inhaftiert wurden, oder für die Vermutungsregelung, dass eine Heimunterbringung als rechtswidrige Maßnahme zu werten sein soll, wenn sie im Zusammenhang mit politisch motivierter Verfolgung, also mit rechtsstaatswidrigem Handeln der DDR, steht. Anders als der Vertreter der AfD bin ich nicht bereit, mich hierhinzustellen, mit den Schultern zu zucken und zu sagen: Wenn Urkunden nicht mehr da sind, hast du eben Pech gehabt! – Meine Damen und Herren, eine solche Haltung wäre zynisch. ({1}) Es ist nämlich erkennbar unredlich, den Antragstellern – sie waren damals kleine Kinder oder Neugeborene – die Beweislast für die Umstände ihrer Adoption oder Heim­unterbringung aufzubürden. Es geht schließlich um die Darlegung interner Abläufe innerhalb einer staatlichen Verwaltung, die dem Opfer damals nicht bekannt gegeben wurden, die ihm nicht bekannt werden sollten, die verheimlicht worden sind. Manchmal wurden sogar die betreffenden Akten von der Verwaltung in der Nachwendezeit vernichtet. Dann den Betroffenen zu sagen: „Du musst den Nachweis über die Umstände deiner Heimunterbringung führen“, ist zynisch. Das ist, Herr Reusch, unanständig. ({2}) Neben den Leistungen des Staates und dem Handeln des Gesetzgebers haben die Betroffenen vor allen Dingen aber auch Anspruch auf die Anerkennung ihres Leidens, auf Hinwendung und das unmissverständliche Einordnen des Geschehens als Unrecht, meine Damen und Herren. ({3}) Genau das passiert oft nicht, etwa wenn die Phrase verbreitet wird, auch in der DDR sei niemand grundlos inhaftiert worden. Das ist natürlich Blödsinn, es sei denn, man erkennt politische Verfolgung und Willkür als Grund einer Inhaftierung an. Oder wenn aus interessierten Kreisen behauptet wird, auch die DDR sei eine Art Rechtsstaat gewesen. Nein, das war sie nicht. ({4}) Die Bindung an das Gesetz, eine unabhängige Justiz, einklagbare Grundrechte oder auch nur das Vorhandensein von Verwaltungsgerichten – all diese Prinzipien sind niemals verwirklicht oder anerkannt worden, meine Damen und Herren. Genau solche Äußerungen wie die eben erwähnten verhöhnen die Opfer des damaligen Unrechts. ({5}) Es wird ganz schlimm, wenn man sich das Zitat vor Augen führt: Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, hat auch nichts zu befürchten. – Wollen Sie das etwa jemandem erzählen, der zwangsadoptiert wurde? Unsäglich so etwas! Heimunterbringung war in vielen Fällen Teil politischer Verfolgung. Das war kein bedauerlicher Exzess, sondern ganz offen zur Schau gestellte Exekution des totalen Machtanspruchs der SED über ihr Land und seine Menschen, meine Damen und Herren. Da wurde kein Widerspruch geduldet. Dieser Machtanspruch war umfassend. Zu seiner Durchsetzung schreckte die SED vor kaum etwas zurück; Herr Vaatz hat das erwähnt. Neben der konkreten Verfolgung durch die Strafjustiz setzte das MfS etwa mit umfassender Bespitzelung und Zersetzungsmaßnahmen auf die Bekämpfung sogenannter Gegner. Da ging es um das organisierte Misslingen von Lebensentwürfen, meine Damen und Herren, das Nichtgewähren von Ausbildungsgängen, die Vernichtung beruflicher Karrieren oder die Zerstörung von Ehen etwa mit dem in die Jackentasche des Ehemanns geschmuggelten Zettel mit weiblicher Handschrift: „Das war eine wunderbare Nacht, vielleicht bald mehr! – Gruß, Anja.“ Die Opfer leiden heute noch darunter, und wir sind verpflichtet, ihr Leiden anzuerkennen und zu versuchen, wo es geht, die Folgen zu mildern. Der Rechtsstaat müht sich, die Folgen zu mildern; wiedergutmachen kann er das nicht. Der Schaden ist schnell angerichtet; ihn aufzuarbeiten, dauert allerdings viel, viel länger. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Martens. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Friedrich Straetmanns, Fraktion Die Linke. ({0})

Friedrich Straetmanns (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004907, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zur Beratung stehen heute zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung zum Thema „Aufarbeitung von staatlichem Unrecht in der DDR“, daneben weitere Anträge hierzu von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Vorab gesagt: Meine Fraktion Die Linke wird diese Vorhaben positiv-konstruktiv begleiten; denn es geht auch uns darum, den Geschädigten weiterhin die Möglichkeit zu erhalten, ihre Ansprüche geltend zu machen. Bereits im Jahr 2014 stellte meine Fraktion beispielsweise fest, dass eine Befristung der Antragstellung im Hinblick auf die Anerkennung des Schicksals der Betroffenen in der SED-Diktatur der DDR nicht aufrechtzuerhalten ist. Und auch heute gilt: Viele Betroffene brauchen mehr Zeit, um die für sie negativen und zum Teil auch traumatischen Erfahrungen verarbeiten zu können. In meiner Tätigkeit als Richter am Sozialgericht im Bereich des Opferentschädigungsrechts habe ich gelernt, wie wichtig es ist, den Opfern zuzuhören, und welch wichtige psychologische Funktion das erfüllt. Im Laufe der weiteren Beratungen scheint es mir außerdem sinnvoll, dass wir uns auch darüber austauschen, was wir für in der DDR zu Unrecht benachteiligte Menschen über den Kreis der hier vorgesehenen Antragsstellerinnen und Antragssteller hinaus tun können, beispielsweise Menschen, die aufgrund der politischen oder religiösen Einstellung ihrer Eltern in ihrer Berufswahlfreiheit eingeschränkt wurden. Weiterhin werden wir noch darüber sprechen müssen, was Ihren Vorlagen aus unserer Sicht leider fehlt. Die Zwangsausgesiedelten an der innerdeutschen Grenze sind hierfür ein Beispiel. Wir reden hier über Menschen, die oftmals für ihr Leben gezeichnet sind. Zur Erinnerung: Im Rahmen der Sicherung der innerdeutschen Grenze veranlasste die DDR-Führung die Vertreibung von ihr als politisch unzuverlässig eingestuften Bürgerinnen und Bürgern aus den Grenzregionen. Diese Menschen mussten über Nacht ihre Wohnungen räumen und wurden in andere Regionen der DDR verbracht. Bis heute sind viele dieser Menschen Stigmatisierungen ausgesetzt, unter anderem deswegen, weil sie durch die Verwaltung mit unsäglichen Bezeichnungen wie „Volksschädlinge“ versehen wurden. Ein solches Vokabular war damals unangebracht, und das ist es auch heute. ({0}) Auf Initiative der Länder Berlin, Brandenburg und Thüringen wurde die Bundesregierung im Oktober 2018 aufgefordert, hier zu prüfen, inwieweit dem spezifischen Rehabilitierungsbedürfnis dieser Menschen Rechnung getragen werden kann – und dabei geht es nicht nur um Geld. Hierzu findet sich in den von Ihnen vorgelegten Entwürfen leider nichts. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition und der Bundesregierung, haben Sie noch vor, in dieser Sache etwas zu unternehmen? Wenn nicht, dann sollten Sie das auch vor den anstehenden Landtagswahlen ehrlicherweise aussprechen. Neben der rein rechtlichen Rehabilitierung sind aus meiner Sicht und aus Sicht meiner Fraktion weitere Maßnahmen erforderlich, um die Lebensumstände der Betroffenen zu verbessern. Denn: Diese sind ebenso von den oft widrigen Umständen in den mittlerweile unerträglich infrastrukturarmen Regionen in den neuen Bundesländern betroffen, und ganz allgemein ist eine historische und kulturelle Aufarbeitung der DDR-Zeit wie auch der Erfahrungen während und nach der Wende eine Herausforderung für uns, vor der wir uns nicht wegducken dürfen. ({1}) Schade ist in diesem Zusammenhang, dass Sie bisher unserem Vorschlag eines Treuhand-Untersuchungsausschusses nicht nähertreten wollen; denn auch dieses Gebaren wirkt bis heute nicht zuletzt auf die Psyche und das Selbstbild der Betroffenen. Meine Damen und Herren, zur Aufarbeitung dieser Diktatur gehört auch der Blick auf die Zukunft und unsere Verantwortung hier in der Gegenwart. Das Recht der DDR – es ist angesprochen worden – gewährte den Bürgerinnen und Bürgern keinen verlässlichen Rechtsschutz gegen staatliches Handeln ihnen gegenüber. Dies führte dazu, dass die Nützlichkeitserwägungen der SED-Regierung die Stellung des Einzelnen so überwogen, dass die DDR in dieser Hinsicht keinen rechtsstaatlichen Kriterien genügte. Unser gemeinsames Interesse muss es als Lehre hieraus sein, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu stärken, nicht diese zu unterminieren. Hier muss ich gerade Ihnen aus der Regierungskoalition jetzt doch etwas zumuten: Man stärkt Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht, indem man verfassungswidrige Vorhaben beschließt, wie Sie es beim Staatsbürgerschaftsrecht als Gefälligkeit für Innenminister Seehofer diese Woche getan haben, schon gar nicht, indem man sie, wie Sie es getan haben, in kürzester Zeit hier durchpeitscht. Unter dem Gebrüll von rechtsaußen hier im Haus und den Drohungen und Gewalttaten draußen in den Städten und Dörfern, in denen wir leben, lassen Sie sich treiben wie in den Neunzigern. Die Richtung, in die das geht, die führt an einen Ort, der mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wenig zu tun hat; das muss Ihnen klar sein. Es hilft Ihnen nicht gegen das Gebrüll hier. Jede Gemeinheit, die Sie im Bereich Asyl und Migration beschlossen haben, hat die Ansprüche dieser Demokratiefeinde nur weiter nach oben geschraubt. Halten sie hier besser inne! ({2}) Die weitere Beratung wird zeigen, ob wir nicht doch gemeinsam in der Lage sind, die DDR so aufzuarbeiten, dass wir den Betroffenen gerecht werden und in Verantwortung für die Zukunft nachhaltige Regelungen finden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich, hier vorliegend, bereits konstruktiv eingebracht, und auch Ihr Vorschlag, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, ist im Großen und Ganzen ein Schritt in die richtige Richtung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Straetmanns. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Herbst feiern wir 30 Jahre Friedliche Revolution. Viele Menschen haben sich in der DDR zum Beispiel in Oppositionsgruppen engagiert. Nicht allen davon geht es heute gut. Deshalb müssen wir uns fragen: Tun wir wirklich genug, damit das Unrecht der Diktatur anerkannt, wiedergutgemacht und man zumindest teilweise dafür entschädigt wird? ({0}) Verschiedene Opfergruppen weisen seit Jahren darauf hin, dass es Gerechtigkeitslücken bei den Rehabilitierungsgesetzen gibt. Wir als Bündnis 90/Die Grünen sehen uns in der Tradition der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Ich selber komme aus Leipzig, war als junge Frau vor 30 Jahren als eine von vielen aktiv bei der Friedlichen Revolution mit dabei und bin jetzt als Abgeordnete mit dem Schicksal von Menschen konfrontiert, denen Unrecht zugefügt wurde. Auch unsere Fraktion hat sich Gedanken gemacht, an welchen Stellen wir auf Bundesebene noch nachsteuern müssen. Wir greifen daher mit unseren Anträgen drei Initiativen aus dem Bundesrat auf und empfehlen der Bundesregierung, diese Vorschläge zu prüfen und in das aktuelle Gesetzgebungsverfahren einzubeziehen. ({1}) Es geht konkret um die Entfristung der Rehabilitierungsgesetze, die Verbesserung der Rechtsstellung der anerkannt politisch Verfolgten und um die DDR-Heimkinder. Alle diese Anliegen wurden im Bundesrat insbesondere von den durch Bündnis 90/Die Grünen mitregierten Ländern initiiert, vorangetrieben und schließlich einstimmig verabschiedet. Der nun vorliegende Gesetzentwurf sieht zwar die zwingend notwendige Entfristung vor und bringt auch einige Verbesserungen in Bezug auf die DDR-Heimkinder mit sich, die wir ausdrücklich begrüßen und unterstützen; andere Anliegen werden jedoch leider nicht berücksichtigt. Die Rehabilitierung von Menschen, denen Unrecht geschehen ist, darf aber nicht an Fristen scheitern. Deshalb ist es gut, dass dieses Thema jetzt spät, aber immerhin nicht zu spät endlich angegangen wird, und deshalb begrüßen wir die Entfristung wirklich ausdrücklich. ({2}) In den vergangenen Jahren hat sich allerdings gezeigt, dass zahlreiche Opfergruppen oder Einzelschicksale nicht oder nur unzureichend bei den Rehabilitierungsgesetzen Berücksichtigung gefunden haben. Es wird aber höchste Zeit, dass dies geschieht; die Gesetze müssen an die reellen Verhältnisse angepasst und weiterentwickelt werden. Deshalb muss die Situation von den anderen Opfergruppen wirklich noch dringend verbessert werden. ({3}) Beispielhaft möchte ich hier auf die verfolgten Schülerinnen und Schüler hinweisen, die der Kollege Vaatz schon angesprochen hat. Diesen wurde aus politischen Gründen der Zugang zu Schulbildung und/oder zum Hochschulstudium verwehrt. Man versuchte nach 1990 zwar, die rechtsstaatswidrige Benachteiligung durch einen besseren Zugang zum Studium, durch Umschulung oder Weiterbildung auszugleichen. Es hat sich allerdings gezeigt, dass all diese Maßnahmen nicht ausreichen und eben viel zu spät für die Betroffenen gekommen sind; denn das geringe Einkommen führt eben zu einem geringen Rentenniveau. Viele der betroffenen Personen sind jetzt eben schon im Rentenalter und in einer finanziell prekären Situation und haben keinen Anspruch auf Entschädigung. Ich finde, das muss sich ändern. ({4}) In unseren Anträgen werden weitere Gesetzeslücken benannt, die unseres Erachtens in der nächsten Zeit zwingend behoben werden müssen. Eine finanzielle Entschädigung muss zudem eine wirkliche Wiedergutmachung sein. Wird die gesetzliche Rente oder die des Ehepartners auf die Leistung angerechnet, verkommt die Rehabilitierung zu einem Almosen wegen sozialer Bedürftigkeit. Aber es geht ja um den Ausgleich erlittenen Unrechts, und das sollte Sinn und Ziel von Rehabilitierung sein. ({5}) Des Weiteren fordern wir eine Dynamisierung der Ausgleichszahlungen. Gut ist, dass mit dem Gesetzentwurf die Situation der ehemaligen Heimkinder in der DDR verbessert wird. Das ist bitter nötig und war allerhöchste Zeit. Ich hoffe, dass in der anstehenden Anhörung geklärt wird, ob die vorliegenden Vorschläge ausreichend sind oder ob sie vielleicht noch praktikabler und niedrigschwelliger sein müssen. Zum Schluss möchte ich noch auf den Antrag der Koalition zu den Zwangsadoptionen in der DDR eingehen. Nachdem die Betroffenen und ihr Verein seit vielen Jahren – bisher erfolglos – auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht haben, ist seit dem letzten Jahr endlich etwas ins Rollen geraten. Mit dem Einreichen der Petition, der Anhörung vor einem Jahr und dem Versprechen, dass sich alle Fraktionen hier im Bundestag ernsthaft mit der Problematik befassen wollen, ist auf Bundesebene und in den ostdeutschen Bundesländern einiges angeschoben worden. Deshalb unterstützen wir den vorliegenden Antrag und werden ihm auch zustimmen. ({6}) Lassen Sie uns fraktionsübergreifend im 30. Jahr der Friedlichen Revolution die Gerechtigkeitslücken mutig angehen. So zeigen wir den Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern, dass wir ihr Anliegen ernst nehmen und ihre Leistungen würdigen. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Rängen, die uns heute zuhören! Wer von uns kennt aus unterschiedlichen Filmen nicht die Geschichte, bei der ein Mädchen oder ein junger Mann bei seiner Hochzeit erfährt, dass er oder sie ein adoptiertes Kind ist, und damit in eine schwere Identitätskrise driftet, weil er oder sie nicht weiß, woher er oder sie kommt, ob er oder sie in die Familie, die ihn oder sie bisher liebevoll großgezogen hat, die ihm oder ihr Geborgenheit gegeben hat, wirklich hineingehört oder nicht, ob die leibliche Mutter und der leibliche Vater der Hort gewesen wären, in dem er oder sie gegebenenfalls ein anderes Leben hätte leben können. Diese Menschen verstehen wir, und wir wissen, dass diese Filme meistens ein Happy End haben, ein Happy End, bei dem die Mutter oder der Vater gefunden wird und die neue und die alte Familie gegebenenfalls zueinanderfinden. Stellen Sie sich aber vor, man lebt in der Gewissheit, dass man adoptiert wurde, ohne zu wissen, ob die leiblichen Eltern einen freiwillig zur Adoption freigegeben haben, ob durch die Adoption, durch eine Zwangsmaßnahme des Staates aufgrund von Ideologie und politischen Vorgaben die Liebe, die die Eltern eigentlich geben wollten, entzogen wurde. Weil dies so ist und weil diese dramatischen Ereignisse für die Menschen, die eine solche Adoption durchlebt haben, aufgeklärt und erforscht werden müssen und weil vor allen Dingen Gerechtigkeit geschaffen werden muss, haben wir uns auf einen Prüfauftrag an die Bundesregierung nicht nur verständigt, sondern diesen heute auch als Antrag eingebracht. Es ist ein Auftrag, diesen Teil der Geschichte der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone und der DDR aufzuarbeiten und den Menschen durch Datenbanken, durch Vermittlungsstellen und durch niedrigschwellige Angebote ihre Identität, ihr persönliches Leben zurückzugeben, ohne dabei Datenschutz zu verletzen und die Tatsache abzuerkennen, dass die Eltern, die Familie, in der sie aufgewachsen sind, eine feste und treue Bindung zu ihren Kindern hatten. Wir hoffen – und dies können wir nur gemeinsam mit den adoptierten Kindern und den Eltern, denen ihre Kinder entzogen wurden –, durch die Öffnung der Akten und durch die Aufhebung der Vernichtungsfristen letztendlich auch ein transparentes Verfahren zu ermöglichen. Unrecht können wir nicht mehr beseitigen; aber die Folgen des Unrechts können wir mildern. Das wollen wir hiermit tun und versuchen, Gerechtigkeit zu schaffen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Detlev Spangenberg, AfD-Fraktion. ({0})

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgter durch die Novellierung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes ist das Thema. Der vorliegende Gesetzentwurf ist uneingeschränkt zu begrüßen. Es handelt sich hier um die Aufarbeitung von Maßnahmen einer linken Diktatur der Partei der ehemaligen DDR, der SED. Wenn dieses Thema angesprochen wird, muss logischerweise auf viele Facetten der politischen und ideologischen Repressalien eingegangen werden, deren Folgen bisher nur marginal ausgeglichen wurden. Elternlose Kinder ohne eigene Erinnerung sind vielleicht nur durch Erzählungen Erwachsener, eventuell alte Dokumente und andere Belege in der Lage, ihr Schicksal zu erfahren und zu reagieren. Im Gegensatz zu meinem Vorredner vertrete ich die Auffassung, dass ein Richter allerdings auch einen gewissen Ermittlungsgrundsatz in diesem Bereich hat, um die Wahrheit herauszufinden. Jede Maßnahme, die geeignet ist, Leid zu mildern und Opfer anzuerkennen, entspricht der demokratischen Staatsform. Daraus folgt, dass die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Entfristung die einzig richtige Lösung ist, während der Vorschlag des Bundesrates, eine Verlängerung der Antragstellung um zehn Jahre zu beschließen, wieder nur zu einer neuen Diskussion führen würde. Ich möchte hier auf die Anträge der Grünen eingehen. In dem Antrag auf Drucksache 19/8982 stehen sehr viele interessante Dinge, die ich selbst auch eingebracht hätte. Allerdings kommt es mir so vor, als hätten Sie ein bisschen aus der Drucksache 316/18 des Bundesrates abgekupfert. Vielleicht hätten Sie darauf hinweisen können; das ist nämlich fast identisch. ({0}) Sie fordern zum Beispiel, auf eine Minderung der Ausgleichszahlungen an Opfer bei Bezug einer Rente zu verzichten. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Es wäre zu überlegen, meine Damen und Herren, ob nicht generell alle Entschädigungszahlungen aus Gründen der politischen Verfolgung ohne Anrechnung anderer Einkünfte ausgereicht werden sollten. Ich denke hier zum Beispiel an die Haftentschädigung nach § 17a Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz in Höhe von 300 Euro pro Monat. Diese Summe wird nicht gewährt, wenn das Einkommen bei über 1 272 Euro pro Monat liegt, mit Ausnahme von Renten. Das, finde ich, ist nicht in Ordnung. Alle Opfer der DDR-Willkür sind potenzielle Nägel zum Grab der DDR gewesen. Jedes Unrecht durch die DDR entstand aus Opposition gegen das Regime, und jedes Opfer hat somit unmittelbar oder mittelbar zum Sturz des Regimes beigetragen. Dem muss auch entsprechend Würdigung erteilt werden. ({1}) Wir reichen Geld an Hunderttausende Fremde aus, die meist keinen Anspruch darauf haben, anstatt die Menschen zu ehren, die zum Sturz des SED-Regimes beigetragen haben. Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie fordern, dass auch politische Häftlinge in der DDR mit einer Haftzeit von unter sechs Monaten Ausgleichszahlungen erhalten. Das wäre natürlich eine Anerkennung, steht aber in keinem Verhältnis dazu, dass politisch Verfolgte mit jahrelangen Haftzeiten mit denen gleichgestellt würden, die zu einer Haftstrafe von unter sechs Monaten verurteilt wurden. Das ist nicht hinnehmbar. Es ist schon jetzt kaum nachvollziehbar, dass ein Mensch mit jahrelanger Haftzeit, zum Beispiel zehn Jahre, genauso entschädigt wird wie jemand, der sechs Monate in Haft gesessen hat. Auch das ist nicht nachvollziehbar. Der Forderung nach einer Dynamisierung der Zahlungen nach § 8 Berufliches Rehabilitierungsgesetz und § 17a Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz, also eine Art Informationsausgleich zu schaffen, kann man uneingeschränkt zustimmen. Sie fordern weiterhin, meine Damen und Herren von der Grünenfraktion, eine Angleichung der Entschädigungen der Opfer beruflicher Benachteiligung an die für diejenigen, die Haftstrafen verbüßen mussten. Bei allem Respekt für dieses Problem – das wurde schon angesprochen –: Die Tatsache, dass jemand eine begrenzte Zeit beruflich benachteiligt wurde, sich umorientieren musste, mit einer Haftzeit unter härtesten Haftbedingungen, teils mit monatelanger Einzelhaft in den Gefängnissen der DDR, zu vergleichen, ist nicht zu vermitteln. Ich spreche hierbei als ehemaliger Häftling aus eigener Erfahrung. ({2}) Im Zusammenhang mit Entschädigungen sehen wir auch die Notwendigkeit – das wurde eben richtigerweise angesprochen –, die Opfer der sogenannten „Aktion Ungeziefer“ zu berücksichtigen. Meine Damen und Herren, allein der Name „Ungeziefer“ ist ein menschenverachtender Begriff, um bei Nacht und Nebel die Menschen aus ihren Häusern zu reißen, sie mit Hab und Gut und Kindern auf die Lkws zu werfen, sie irgendwohin zu bringen, bevor die Häuser dann teilweise abgerissen wurden. Es ist unglaublich, dass so etwas passieren kann. Todesfälle sind dabei belegt; bei der Stasi-Unterlagen-Behörde kann man das einsehen. Die SED hat mit Hass und Hetze und Haft politisch andersdenkende Bürger bedacht, meine Damen und Herren. Ich kann Ihnen eines nicht ersparen: Was wir gestern hier im Zusammenhang mit dem Mord am Regierungspräsidenten Lübcke im Plenum hören mussten, war ungeheuerlich. ({3}) Eine demokratisch gewählte Partei, die AfD – fest stehend auf dem Boden des Grundgesetzes –, nicht nur mit diesem Verbrechen in Verbindung zu bringen, sondern sie dafür auch verantwortlich zu machen, unterscheidet sich nicht von den Methoden der SED, andere Leute zu diffamieren. ({4}) Das sage ich in aller Deutlichkeit. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts noch nicht abgeschlossen. Wir haben weiterhin hohe Antragszahlen; für 2017 liegen die Zahlen vor. Insgesamt haben über 3 000 Menschen ihre Anträge erst jetzt gestellt, Menschen, die früher in der DDR inhaftiert worden waren, die beruflich ausgebremst worden waren, die in vielerlei Hinsicht benachteiligt worden sind, und das, weil sie zu ihrer politischen Haltung gestanden haben oder weil sie ihre Wünsche, ihre Träume – in einem Rechtsstaat zu leben, in Freiheit zu leben, in einem demokratischen Staat zu leben – nicht aufgeben wollen. Sie sind dafür ein hohes persönliches Risiko eingegangen und haben das alles hingenommen. Um diese Menschen geht es, wenn wir hier heute über SED-Unrecht sprechen. ({0}) Die Regelung zur Rehabilitierung war zunächst auf zwei Jahre begrenzt. Man dachte, es wird dann schnell Rechtssicherheit hergestellt werden. Aber das ging komplett an der Realität vorbei. Denn es ist so, dass die Menschen Zeit brauchen, dass sie sich manchmal selber noch nicht dieser schmerzhaften Vergangenheit stellen können, sondern erst jetzt die Kraft dazu aufbringen. Dann können wir nicht sagen: „Das ist jetzt zu spät“, dann kann man sich nicht auf eine Frist berufen. Deshalb sind wir jetzt konsequent und heben diese Frist komplett auf. Das hatten wir im Koalitionsvertrag schon vereinbart und setzen das jetzt um. ({1}) Der Gesetzentwurf sieht einige Verbesserungen für die Heimkinder vor. Wir haben Verbesserungen in der Beweislage: eine Umkehr der Beweislast, weil man den Kindern, die damals selber nicht wussten, weshalb sie im Heim sind, nicht die Last auferlegen kann, zu beweisen, dass sie nicht nur aus allgemeinen pädagogischen Gründen, sondern aus politischen Gründen ins Heim gekommen sind. In solchen Fällen muss es reichen, dass sich das Gericht auf Plausibilität und Glaubwürdigkeit berufen und beschränken kann und daran anknüpfend entschädigen und rehabilitieren kann. Für uns als Union gehört in dieses Paket auch ein Zweitantragsrecht für diejenigen, die unter der alten Rechtslage und wegen der strengen Beweisführung diesen Beweis nicht erbringen konnten, aber jetzt mit den Beweiserleichterungen einen Anspruch begründen und durchsetzen könnten. Es wäre zynisch, denen zu sagen: Jetzt seid ihr zu spät dran. – Dabei können wir nicht stehen bleiben; auch das muss noch in dieses Gesetz hinein. Das ist unsere Überzeugung. ({2}) Außerdem sieht das Gesetz schon jetzt vor, dass es Unterstützungsleistungen für diejenigen geben soll, deren Eltern aus politischen Gründen inhaftiert worden sind, weshalb die Kinder ins Heim gebracht wurden. Auch da ist die Rechtslage noch nicht befriedigend. Das Gesetz sieht Unterstützungsleistungen vor. Aber, ich glaube, auch da sollten wir konsequent einen Schritt weitergehen. Es muss eine Form der Anerkennung dieses Unrechts geben, die über die materielle Hilfe hinausgeht. In diesem Sinne sind die Regelungen für Heimkinder, auch wenn sie in dem Gesetzentwurf der Regierung schon sehr positiv angelegt sind, aus unserer Sicht noch nicht perfekt. Wir wollen hier im parlamentarischen Verfahren noch zu Verbesserungen kommen. Wir wollen eine praktikable und eine großzügige Lösung für die Heimkinder. Wir müssen uns um ein weiteres dunkles Kapitel der Geschichte der SBZ und der DDR kümmern. Es geht um die Zwangsadoptionen. Auch hier wurde Eltern und Kindern schlimmstes denkbares Unrecht zugemutet: Kinder und Eltern wurden getrennt, und sie wurden im Unklaren gelassen, Kinder wurden für tot erklärt. Es waren keine Einzelfälle; das wissen wir aus der Studie, die dazu bereits jetzt eingeholt worden ist. Hier brauchen wir mehr Forschung. Wir brauchen eine Struktur, die zur Aufklärung dieser Sachverhalte beitragen kann und vor allem Kinder und Eltern wieder zusammenbringen kann. Deshalb brauchen wir eine Vermittlungsstelle mit dem Internetportal, wo diese Angaben eingetragen werden können. Und wir brauchen nach unserer Überzeugung ganz klar eine DNA-Datenbank; denn das ist letztendlich der Beweis, der erbracht werden muss und kann, um nachzuweisen, dass hier eine Abstammung, eine leibliche Verwandtschaft besteht. Natürlich werden Datenschutzanforderungen zu beachten sein; das ist ganz klar. Aber im Mittelpunkt muss stehen, dass die Betroffenen freiwillig ihre DNA einbringen, weil sie selber ein ureigenes Interesse daran haben, endlich Licht in diese Vergangenheit zu bringen und endlich Aufklärung dieser existenziellen Fragen ihres Lebens zu bekommen. ({3}) Aus diesem Grund stimmen wir heute zusätzlich über unseren Antrag ab. Wir wollen, dass auch das noch in das Gesetz kommt. Denn wir wollen mit diesem Gesetz ausdrücklich anerkennen, dass diese Menschen trotz aller Risiken Mut bewiesen haben. Wir wollen ihnen dafür danken, dass sie damit einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben, dass unser Land wiedervereinigt werden konnte. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist Katrin Budde, SPD-Fraktion. ({0})

Katrin Budde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass der Gesetzentwurf da ist, dass die Entfristung erfolgen wird. Wir wollen, dass es die strafrechtliche, berufsrechtliche und verwaltungsrechtliche Entfristung gibt und dass es Verbesserungen und Vereinfachungen mit diesem Gesetzentwurf gibt. Denn der Teil der deutschen Geschichte, der die Ursache dafür ist, dass wir solche Gesetze brauchen, hat noch eine sehr junge Geschichte; die Opfer leben noch. Es gibt ganz selbstverständlich bei traumatischen Erlebnissen Opfer, die länger brauchen, um sich diesen zurückliegenden Ereignissen, traumatischen Situationen in ihrem Leben zu stellen. Und es gibt natürlich auch Kinder, die wissen wollen, warum ihr Leben so verlaufen ist, wie es verlaufen ist, warum ihre Eltern so waren, wie sie waren, warum ihre Eltern vielleicht nicht über ihre Erlebnisse geredet haben, sich dem erst Jahrzehnte später stellen und das mit ihren Kindern besprechen und aufarbeiten. Auch das Leben der Kinder ist davon betroffen, selbst wenn sie nicht zwangsadoptiert wurden, sondern in den Familien weitergelebt haben. Die Kinder stellen heute Fragen und wollen wissen, was passiert ist. Außerdem gibt es dann auch noch die Kinder, die erst aufklären müssen, woher sie überhaupt kommen. Auch das braucht seine Zeit, braucht Mut. Deshalb ist es richtig, dass es diese Entfristung gibt. Im Ziel sind wir uns einig. Ich glaube, alle, die heute vorgetragen haben, sind sich einig, dass wir Vereinfachungen, Verbesserungen und nicht bloß die Entfristung wollen. Der Gesetzentwurf macht Vorschläge, wie dies passieren soll. Es gibt dazu eine Stellungnahme der Union der Opferverbände, die auf Gefahren in der jetzigen Formulierung, die im Gesetzentwurf steht, hinweist. Obwohl wir alle unter Zeitdruck gestanden haben – das Gesetz musste heute eingebracht werden, und es muss zügig beraten werden –, ist genug Zeit da, um die inhaltlichen Positionen abzuwägen, sich darüber auszutauschen, mögliche Veränderungen im Gesetzentwurf vorzunehmen, wenn wir gemeinsam bessere Formulierungen finden. Das werden wir in den Beratungen tun. Aber der Gesetzentwurf musste heute eingebracht werden. Deshalb liegt vor uns im Beratungsverfahren ziemlich viel Arbeit, weil all die Punkte, die Sie eingebracht haben, besprochen und berücksichtigt werden müssen. Dass das Ziel klar ist – wir wollen wirklich, dass es diesmal passt und nicht hinterher wieder nicht funktioniert –, ist, glaube ich, eine gute Ausgangsposition. Wir werden all das miteinander abwägen und am Ende die beste Lösung finden. ({0}) Zum Thema Heimkinder will ich noch sagen: Da es schwer nachgewiesen werden kann, da es manchmal auch an Erinnerung fehlt, aber trotzdem ein eigenständiger Anspruch besteht, es einer eigenständigen Rehabilitierung bedarf, wollen wir, glaube ich, unisono, dass sie auch einen eigenständigen Anspruch haben, selbst rehabilitiert zu werden. Dass in der Familie nicht mit unterschiedlichem Maß – dass die Eltern rehabilitiert werden und die Kinder nicht – gemessen werden kann, ist eines der großen Ziele, und das müssen wir auch erreichen. Alles, was angesprochen worden ist, dass es möglicherweise eine Benachteiligung der Betroffenen gibt, deren Akten erhalten geblieben sind, und dass das Zweitantragsrecht noch fehlt, müssen wir uns genau anschauen. Dazu gehört auch die Frage: Schreiben wir Rehabilitierungsgründe rein oder nicht, oder lassen wir es ganz offen, so wie es das Ministerium vorschlägt, um nichts auszuschließen? Dass auch das Fehlen von Opfergruppen und die überfällige Dynamisierung der Leistung angesprochen werden müssen, darüber sind wir uns, glaube ich, ebenfalls einig. Das werden spannende und konzentrierte Beratungen. Ich gehe davon aus, dass wir eine gute Lösung finden. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörer auf den Tribünen und auch vor den Fernsehapparaten! Wir begehen in diesem Jahr den 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution in der damaligen DDR. Diese friedliche Befreiung von der SED-Diktatur verdanken wir dem Mut und der Entschlossenheit Hunderttausender DDR-Bürger. Doch war deren Widerständigkeit sehr oft mit Verfolgung, Entrechtung und Vernichtung ihrer Existenz verbunden. Die SED-Diktatur war ja nicht nur Mangelwirtschaft, Gleichschaltung oder Verkürzen von Lebensperspektiven. Es war ein totalitäres System, welches für Menschen, die sich kritisch äußerten oder ihrem als unerträglich empfundenen Land nur den Rücken kehren wollten, mit politischer Haft und der Zerstörung ihrer Familien verbunden war. Leidtragende waren nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche, die ihren Eltern aus politischen Gründen entzogen und in menschenunwürdigen Heimen untergebracht wurden, wo sie Erniedrigung, Gewalt und Gehirnwäsche erfuhren. Ihr Schicksal liegt uns am Herzen und ruft uns dazu auf, ihnen Anerkennung ihres Leides und so weit wie möglich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Mit der Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften werden wir die Rechtsstellung der Opfer des SED-Regimes erheblich stärken. Das ist ein notwendiger Akt politischer Hygiene in unserem Land. Wir verbinden damit ein klares Signal der Anerkennung erlittenen Unrechts, und wir bekennen uns zur gesamtdeutschen Verantwortung gegenüber den in der DDR Verfolgten. ({0}) An die Menschen in Ostdeutschland richten wir damit die Botschaft, dass wir ihre Lebensleistung würdigen, zu der auch das mutige Bekenntnis zur eigenen Meinung gehörte. Wenn es um die Rehabilitation politisch Verfolgter geht, dann kann es keinen Schlussstrich unter das DDR-Unrecht geben. Erinnerung, Aufarbeitung und Wiedergutmachung sind untrennbar miteinander verbunden. Dies sind wir den Opfern der SED-Diktatur und dies sind wir auch uns selbst schuldig. Nur so können wir uns gemeinsam der Bedeutung fundamentaler Freiheitsrechte erfolgreich vergewissern, und nur so können Wunden heilen und ein Zusammenwachsen von Ost und West auf Dauer gelingen. Gerade für die Opfer bleibt von zentraler Bedeutung, dass der Zugang zu den Akten auf der Grundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes voll erhalten bleibt. Und es wird künftig noch mehr darum gehen, den Blick über die Stasiakten hinaus zu richten; denn die DDR war nach ihrem eigenen Verständnis und nach ihrer Verfassung eine Ein-Parteien-Diktatur. Sie war gekennzeichnet durch den angemaßten Vormachtsanspruch einer Partei und damit der Durchdringung und Deformierung sämtlicher Lebensbereiche. Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Funktionsmechanismen und Folgen der SED-Diktatur in all ihren Facetten wachzuhalten und weiter zu schärfen, wird die zentrale Aufgabe des Bundesbeauftragten bleiben. Meine Fraktion wird ihn dabei voll unterstützen. Zur Aufarbeitung und Erinnerung gehören Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Gestern haben wir hier über die Einsetzung eines Treuhand-Untersuchungsausschusses, eines weiteren Ausschusses zu diesem Thema, beraten. Weil Kollege Straetmanns von der Linken dies heute wiederholt hat: Der Ruf nach einem weiteren Untersuchungsausschuss ist der Versuch einer frechen Täter-Opfer-Umkehr. Es ist der Versuch, die Verantwortung für den Staatsbankrott der DDR-Wirtschaft, für die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der Ostbetriebe nach dem Mauerfall zu verschleiern; denn die wahren Ursachen für den rasanten Niedergang der ehemaligen DDR-Betriebe und die daraus resultierende hohe Arbeitslosigkeit nach der Wende waren Resultate des Staatsbankrotts der DDR. Wenn jetzt die Treuhandanstalt zum Schuldigen erklärt werden soll, dann geht es Ihnen in Wahrheit um eine geschichtsklitternde Verschleierung von Verantwortlichkeiten. Es ist ein besonders plumper Versuch von Rosstäuscherei. ({1}) Denn, meine Damen und Herren, die „größte“ DDR aller Zeiten ist nicht von der Bundeswehr erobert worden, sondern die Menschen haben sich von ihr befreit. Sie haben die Mauer von Ost nach West umgestoßen. Und das war auch der einzige Weg ins Freie. Den Opfern der SED-Herrschaft gehört unsere Solidarität, nicht den Tätern. 30 Jahre nach dem Mauerfall empfinden die allermeisten Menschen in Ostdeutschland die wiedergewonnene Einheit als einen Glücksfall, einen Glücksfall für sich, ihre Familien und für ganz Deutschland. Sie sehen sich als Gewinner und nicht als Opfer der Einheit. Sie brauchen keine Neiddebatten und wollen auch keine Ost-West-Spaltung ausgerechnet durch diejenigen, die für die politische Verfolgung in der DDR und dafür verantwortlich sind, dass wir nach 1990 mit so gewaltigen, auch wirtschaftlichen Herausforderungen zu kämpfen hatten. Diese Menschen erwarten Gerechtigkeit. Und wir können mit diesen rehabilitierungsrechtlichen Vorschriften heute ein wenig dazu beitragen. Vielen Dank, Herr Präsident. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Grund. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Heike Brehmer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Heike Brehmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004019, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehrere Redner haben es schon gesagt: Wir begehen in diesem Jahr das 30-jährige Jubiläum des Mauerfalls. Hätte es diesen Tag nicht gegeben, würde ich heute hier nicht stehen und zu Ihnen sprechen können. Als Abgeordnete vertrete ich den Wahlkreis Harz, der sich genau an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze befindet. Zahlreiche Männer und Frauen kamen zwischen 1949 und 1989 an den Westgrenzen der DDR ums Leben. Die Grenze zwischen dem heutigen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen war dabei einer der Schwerpunkte für Fluchtversuche. Doch auch fernab der Mauer hat das SED-Regime in 40 Jahren Diktatur viele Schicksale gefordert. Bei meiner Arbeit im Wahlkreis treffe ich immer wieder Menschen, die bis heute unter der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR leiden. Diese Menschen haben für ihren Mut einen hohen Preis bezahlt. Sie wurden bespitzelt, inhaftiert, körperlich und seelisch misshandelt und systematisch schikaniert bis hin zur kompletten Zerstörung der Persönlichkeit. Die Staatssicherheit nannte das „politisch-operative Zersetzung“. Gebrochene Biografien und auseinandergerissene Familien waren die Folge. Kinder, deren Eltern der SED ein Dorn im Auge waren, wurden in Heime gesteckt und zwangs­adoptiert. Diese Schicksale wiegen schwer. Sie haben das Leben dieser Menschen für immer verändert und wirken bis heute nach. Ein heute 75-jähriger Bürger aus meinem Wahlkreis sucht mich schon seit vielen Jahren in meinen Sprechstunden auf. Er behauptet, zu DDR-Zeiten intensiv mit Psychopharmaka behandelt worden zu sein. Diese bewusste Falschbehandlung fand mit dem Ziel statt, ihn persönlich zu „zersetzen“. Infolgedessen verlor er seinen Job. Seiner Frau wurde vonseiten der Staatssicherheit nahegelegt, sich von ihm scheiden zu lassen. Meine Damen und Herren, dieser Mann hat alles verloren. Er kämpft vor seiner Exfrau und seinen Kindern seit Jahren für seine Glaubwürdigkeit. Seine Akte ist bis heute unauffindbar. Schicksale wie diese zeigen: Rund drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts längst nicht abgeschlossen. Mit den Rehabilitierungsgesetzen wurde zwar ein umfangreiches System von Ausgleichsmaßnahmen entwickelt; aber das geschehene Unrecht müssen wir auch in Zukunft aufarbeiten. Einen Schlussstrich darf es auf keinen Fall geben. Dafür setzen wir uns als Union mit Nachdruck ein. ({0}) Der vorliegende Gesetzentwurf setzt ein Anliegen um, für das sich die Opferverbände seit vielen Jahren engagieren. Es ist ein Anliegen, dass wir auch im Koalitionsvertrag verankert haben. Wir wollen die Rehabilitierungsgesetze entfristen, damit die Opfer auch nach dem 31. Dezember 2019 ihre Ansprüche geltend machen können. Damit helfen wir insbesondere den Geschädigten, die erst spät den Weg zu einem Rehabilitationsverfahren beschreiten. Der Bundesverband der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. betreut Opfer, Angehörige und Hinterbliebene. Häufig – das haben wir heute auch schon gehört – wenden sich Opfer an den Verband, die erst mit dem Renteneintritt beginnen, ihre Biografie aufzuarbeiten. Opfer wie diese können in Zukunft nur rehabilitiert werden, wenn es dafür keine Befristung gibt. Deshalb war es uns wichtig, mit dem Gesetzentwurf die Lebenswirklichkeit der Betroffenen abzubilden. Das ist praxisnah, und dafür haben wir uns starkgemacht. Meine Damen und Herren, die Menschen, die den Mut hatten, sich gegen die Unterdrückung des SED-Staats aufzulehnen, haben den Weg für den Fall der Mauer mitbereitet. Der Anspruch einer friedlichen Demokratie ist es, diese Menschen weiterhin zu unterstützen. Dafür stehen wir als Union. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befassen uns in diesem Haus seit vielen Jahren mit der Aufarbeitung des SED-Unrechts. In den vergangenen Jahrzehnten sind dazu viele Vorhaben auf den Weg gebracht worden. Das war und ist eine Gemeinschaftsleistung der Menschen aus Ost und West. Leider wird es nie möglich sein, ein derartiges 40-jähriges Unrecht vollständig wiedergutzumachen. Wir können das Geschehene nicht ungeschehen machen, doch wir können uns für die Anerkennung und Gerechtigkeit für die Opfer der DDR-Diktatur einsetzen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir genau diese Opfer stärken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Brehmer. – Damit schließe ich die Aussprache. Tagesordnungspunkte 28 a sowie 28 c bis 28 e. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/10817, 19/8981, 19/8982 und 19/8983 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 28 b. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/11091 mit dem Titel „Aufarbeitung Zwangsadoption in der SBZ/DDR 1945 – 1989“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag bei Enthaltung der Fraktion der FDP mit den Stimmen der übrigen Mitglieder des Hauses angenommen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Bremser beim Klimaschutz sitzen auf der rechten Seite des Parlaments. Zu Beginn dieser Legislatur habe ich hier die Umweltministerin gefragt, wer denn wohl ihre Partner beim Klimaschutz in der Regierung seien, ob sie sich da auf den Verkehrsminister, den Wirtschaftsminister und auf die Landwirtschaftsministerin verlassen könne. Im Gegensatz zu mir war sie damals noch sehr optimistisch. Heute weiß sie es vermutlich besser. Besonders fatal ist, dass Mitglieder der Union bei ihrer Blockade auch nicht vor Argumentationen zurückschrecken, die wir in ihrer Unterkomplexität sonst nur von der AfD kennen. Der CO 2 -Ausstoß Deutschlands sei mit einem Anteil von 2,3 Prozent an der globalen Emission vernachlässigbar. Haben Sie, die Sie hier im Bundestag Verantwortung tragen, denn wirklich nicht begriffen, dass man so nicht rechnen kann, dass eine gerechte Messung von CO 2 -Emissionen pro Kopf erfolgen muss? ({0}) Und da liegt Deutschland mit seinen 9,6 Tonnen im Jahr weit über dem weltweiten Durchschnitt von 4,8 Tonnen und sehr weit über dem global verträglichen Pro-Kopf-Ausstoß von 2 Tonnen. Die stärkste Wirtschaftskraft der EU und viertstärkste weltweit drückt sich vor ihrer Verantwortung. Was für ein verheerendes Beispiel für die Aufgabe Klimaschutz. ({1}) Verstecken Sie sich jetzt nicht hinter Trump, dessen Totalverweigerung unbenommen viel schlimmer ist. Trump, Putin, Erdogan, die den Klimaschutz mit Füßen treten – übrigens immer gern gemeinsam mit Menschenrechten –, können doch für uns nicht Anlass sein, selbst im Klimaschutz nachzulassen, ganz im Gegenteil. Für uns muss das doch heißen: Jetzt erst recht! ({2}) Deutschland muss bei der Energiewende wieder Fahrt aufnehmen. Wir brauchen den Kohleausstieg und die CO 2 -Bepreisung. Wir müssen der Agenda 2030 endlich gerecht werden und in der Europäischen Union wieder zum Treiber statt zum Bremser werden. ({3}) Wir Grüne wollen den Klimaschutz im Grundgesetz, wir wollen aber auch den Atomausstieg im Grundgesetz. Mir war immer klar, dass Sie von der Union, sobald Sie endlich die Notwendigkeit des Kohleausstiegs begreifen, den Atomausstieg infrage stellen. Sie können sich ein Energiesystem ohne große zentrale Betonklötze in der Landschaft einfach nicht vorstellen. ({4}) – Mit Ihnen rede ich gerade nicht. – Genau das ist aber die Zukunft: dezentral, risikoarm, billig, erneuerbar. ({5}) Wer 100 Prozent Erneuerbare will, der verabschiedet sich besser heute als morgen von Grundlast produzierenden Großkraftwerken. Partnerschaften zwischen dem alten und dem neuen Energiesystem funktionieren nicht. Das können wir heute schon in Schleswig-Holstein sehen. Und die Wahl zwischen Pest und Cholera muss bei der Energieversorgung niemand treffen. Es gibt den risikolosen Weg dazwischen. ({6}) – Den risikolosen Weg dazwischen. Sie haben von der von Ihnen eingesetzten Kommission zum Kohleausstieg klare Empfehlungen bekommen. Die reichen zwar noch nicht für das Erreichen der Klimaschutzziele, trotzdem unterstützen wir Grüne Sie dabei, wenn Sie diese Empfehlungen umsetzen. Wir brauchen den Einstieg in den Kohleausstieg, und wir brauchen ihn schnell. ({7}) Bayern hat ja selten recht. ({8}) Söders Lichtblick bei der Kohle sollte schon wegen Seltenheitswert beachtet werden. ({9}) Wir legen Ihnen heute einen Antrag und einen Gesetzentwurf für leichte erste Schritte vor. Es ist wirklich leichter, als Sie denken. Ich meine, was wollen Sie denn noch? In allen Umfragen wollen Mehrheiten Klimaschutz und Kohleausstieg. ({10}) Das wird sich unter dem Eindruck, dass Starkwetterereignisse und Hitzewellen eher die Regel als die Ausnahme werden, nicht ändern. Junge Menschen – die Wählerinnen der nächsten Jahrzehnte – fordern Woche für Woche, dass Sie endlich handeln, und Sie zögern und zaudern und vertagen sich aus falsch verstandenem Protektionismus. ({11}) Ich sage Ihnen: Holen Sie den roten Anorak wieder aus der Mottenkiste. Nehmen Sie die Aufgabe, der sich die selbst ernannte Klimakanzlerin Merkel 2007 gestellt hat, wieder an – zum Wohl nachfolgender Generationen, der jetzigen Generation, der Wirtschaft, die auch in Zukunft noch marktfähig sein will, und der Regionen, die heute noch von der Kohle abhängen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Handeln Sie! Regieren Sie endlich! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege Andreas Lämmel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt eine Vielzahl an Anträgen vor, 11 an der Zahl und dann noch 3 Unterpunkte. Zur Feier des Tages habe ich meine beste Ökokrawatte umgebunden, damit Sie sehen können: Wir meinen es ernst mit dem Thema Klimaschutz. ({0}) – Sachte, sachte. Meine Damen und Herren, ich konzentriere mich in meinen Ausführungen auf das Thema „Ausstieg aus der Kohleverstromung“. Darum geht es in einem Teil der Anträge, die Sie gestellt haben. Die letzte Debatte zu diesem Thema hatten wir am 9. Mai – das ist noch nicht lange her –, und in dieser Debatte hatte ich Ihnen schon den geplanten Ablauf erklärt. Seit dem 9. Mai hat die Bundesregierung die Eckpunkte zum Strukturwandelgesetz verabschiedet. Die Gespräche mit den Energieversorgern über eine einvernehmliche Lösung für den Ausstieg sind begonnen worden. ({1}) – Langsam! – Nach der Sommerpause wird Ihnen der Gesetzentwurf zum Strukturwandel in den Kohleregionen auf dem Tisch liegen. ({2}) Das ist genau die Abfolge, die wir hier immer beschrieben haben. Deswegen brauchen wir den Aktionismus, den Sie verbreiten, nicht. Dass die Aufgabe, den Ausstieg aus der Kohleverstromung zu organisieren, groß ist, das ist gar keine Frage. Aber dass Sie sagen, Frau Kollegin, es gebe einen risikolosen Weg, ({3}) das ist eine Verkleisterung der Realität. Das stimmt einfach nicht. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist riesig und beinhaltet ein großes Risiko für uns alle. ({4}) Nun wird uns immer erzählt, wie fortschrittlich andere Länder beim Kohleausstieg seien. Ich will Ihnen mal die Zahlen aus den Ausstiegsbeschlüssen nennen. In Portugal hat man beschlossen, bis 2020 die aus Kohle gewonnene Energie um 2 Gigawatt zu reduzieren, in Frankreich bis 2020 um 3 Gigawatt, ({5}) in Italien bis 2025 um 9 Gigawatt, in Österreich bis 2025 um 0,6 Gigawatt, in Irland bis 2025 um 1 Gigawatt, in Großbritannien um 15 Gigawatt, ({6}) in Holland um 5 Gigawatt, in Finnland um 2 Gigawatt und in Schweden um 0,1 Gigawatt. ({7}) Wir haben in der Kommission beschlossen, bis 2038 den Kohleanteil um 42,6 Gigawatt zu reduzieren, also um mehr als das Doppelte wie in ganz Europa zusammen. Da können Sie doch nicht behaupten: Das ist risikolos. – Wenn Sie dann noch bis 2020 den Anteil des Nuklearstroms um 11 Gigawatt reduzieren wollen, dann müssen Sie sich klarmachen, dass es insgesamt über 50 Gigawatt sind, die wir ersetzen müssen. Das wäre doch nicht risikolos. Das ist doch Unfug, was Sie hier erzählen. ({8}) Meine Damen und Herren, nun kommen Sie mit einem Gesetzentwurf „Kohlekraftwerk-Sofortmaßnahme-Gesetz“. Das klingt ja wunderbar. Aber wissen Sie was, Sie führen die Wählerinnen und Wähler hinter die Fichte. Das ist ja lächerlich, was in Ihrem Gesetzentwurf steht. Sie wollen, dass nächstes Jahr im Juni die Bundesregierung einen Plan vorlegt, wie bis Ende 2022 die im Kommissionsbericht festgelegten Zahlen erreicht werden. Das ist einfach deswegen lächerlich, weil wir im Herbst das Kohleausstiegsgesetz vorlegen werden. Da brauchen wir nicht erst bis zum 30. Juni nächsten Jahres zu warten, um einen Plan vorzulegen. Wissen Sie, wir sind ein bisschen schneller als Sie. Man muss ganz klar sagen: Der Schutz des Klimas und der Kohleausstieg sind bei uns einfach in besseren Händen. ({9}) Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir einen planmäßigen Ausstieg, und wir wollen kein Chaos verursachen. Wir wollen, dass wir den Kohleausstieg möglichst im Einvernehmen mit den Unternehmen begleiten, weil wir nämlich Eigentumsrechte zu beachten haben. Wir sind ja nicht mehr im Sozialismus, was Sie sich vielleicht wünschen. Ich möchte dahin nicht wieder zurück. Bei uns geht es zunächst darum, neue Arbeitsplätze zu schaffen, und dann kann man die Kohlekraftwerke abschalten. Das haben wir den Kohleregionen versprochen, und dazu stehen wir auch. Hinzu kommen die Haltepunkte; das ist, glaube ich, entscheidend. Frau Kotting-Uhl, das haben Sie ganz verschwiegen. Im Jahre 2022/23 werden wir Bilanz ziehen, und dann wird man sehen, auf welchem Weg wir wirklich sind. Eine Gutachterin hat bei der Anhörung klar gesagt: Das bedeutet, dass das Beschlossene unter einen Korrekturvorbehalt gestellt wird. – Und darüber werden wir dann reden müssen. Ihr Gesetzentwurf ist unnötig. Deshalb werden wir ihn ablehnen. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn ich weiß, dass das ein emotional sehr bewegendes Thema ist, möchte ich darauf hinweisen, dass sich Ihre persönliche CO 2 -Exposition bei Aufregung deutlich erhöht. ({0}) Deshalb bitte ich schlicht und ergreifend, dass man das vielleicht etwas gelassener zur Kenntnis nimmt. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Steffen Kotré, AfD-Fraktion. ({1})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Lämmel, ich habe meine Krawatte jetzt nicht auf Öko geprüft; aber ich halte das auch nicht für so notwendig. „Klimanotstand“: Wir haben keinen Klimanotstand. Das Klima wird sich so oder so weiterbewegen; es wird so oder so weiter existieren. Wir haben eher einen Notstand an gesundem Menschenverstand. ({0}) Das vielleicht mal vorweggenommen. Kommen wir mal zum Kohleausstieg. Dass der Kohleausstieg volkswirtschaftlich schädlich ist, haben wir schon gesagt. Dass die halbe Welt über uns lacht, weil wir aus der Kohle aussteigen, sei hier an dieser Stelle noch mal erwähnt. Aber interessant ist doch die Geschichte, wie wir dazu gekommen sind. Vor zwei Jahren hat niemand aus der CDU/CSU überhaupt daran gedacht, aus der Kohle auszusteigen. Noch vor fünf Monaten hat der bayerische Ministerpräsident Söder gesagt: Um Gottes willen, 2038 aus der Kohle auszusteigen, das ist zu risikoreich; da wäre unsere Energieversorgung gefährdet. – Natürlich hat er das zu Recht gesagt. Und plötzlich ist alles anders. Sind jetzt etwa neue Erkenntnisse gekommen? Das ist natürlich nicht der Fall. ({1}) Wir sehen hier eine Politik, die eher ihre eigenen Interessen opfert, als hier ehrlich zu argumentieren. Wenn Herrn Ministerpräsident Söder jetzt die „Greta-Manie“ befallen hat, dann empfehle ich ihm einfach mal bei Harry Potter anzuklopfen. Der hat so einen Zauberstab. Der macht dann aus volatilem Windstrom stabile Leistungen, und der macht dann auch, dass in der Nacht die Sonne scheint. Das ist aber eben nur Harry Potter, und die Realität sieht anders aus. ({2}) Wenn wir den Wendehals Ministerpräsident Söder betrachten, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, warum der Beruf des Politikers bei den Menschen hier nicht so angesehen ist; schließlich hat er so schnell seine Überzeugung über Bord geworfen. ({3}) Aber das nur am Rande. Ich komme zurück zum Thema. Stand 2022 geht bei uns das Licht aus. Die Übertragungsnetzbetreiber haben ganz klar aufgezeigt: 2022 fehlen uns 5,5 Gigawatt an gesicherter Leistung. Mit anderen Worten: Spätestens 2022 haben wir unsere gesicherte Stromversorgung geschreddert. Mittlerweile gibt es Verbände, auch der energieintensiven Industrie, die das bestätigen. So sagen etwa die bayerischen Chemieverbände ganz klar: Aufgrund der Energiewende und der hohen Strompreise gibt es schon seit 2000 eine Deindustrialisierung in Deutschland. – Die Investitionen sind geringer als die Abschreibungen in die entsprechenden Anlagen. Natürlich investieren die Unternehmen, aber nicht mehr in Deutschland, sondern im Ausland, und das ist ganz schlecht für unseren Standort Deutschland. ({4}) Wenn Wacker Chemie aufgrund der Energiewende überlegt, seinen Produktionsstandort in den USA auszubauen und die Produktion vollständig dorthin zu verlagern, dann zeigt das: Ein Unternehmen kann die Energiewende nicht deutlicher kritisieren. Selbst Gewerkschafter melden sich zu Wort. Ein Bezirksleiter der IG Metall NRW hat schon gesagt: Im Falle des Ausfalls von Anlagen einer Aluminiumhütte werden diese Anlagen nicht mehr in Deutschland gebaut. ({5}) Deutlicher kann man die Versorgungsunsicherheit hier in Deutschland nicht kennzeichnen. Vielleicht noch ein Aspekt zu dem Irrsinn der ganzen Sache. Zum Beispiel ist der CO 2 -Fußabdruck von Flüssiggas aus Katar größer als der der Braunkohle. Darüber redet aber kein Mensch. Der Fußabdruck des Flüssiggases aus den USA beträgt 80 Prozent des Fußabdrucks der Braunkohle. Was nämlich immer wieder unter den Tisch gekehrt wird, ist die Versorgungskette, die nämlich ebenfalls einen CO 2 -Ausstoß hat; aber darüber redet hier kein Mensch. Daran kann man die ganze Ideologie des Kohleausstiegs ganz kurz beleuchten. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein, wir brauchen keinen religiösen Eifer; wir brauchen keine Politalchemisten. Was wir brauchen, sind Ingenieure und Techniker. Was wir brauchen, ist Kohle. Was wir brauchen, ist eine gesicherte Energieversorgung. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Mahmut Özdemir, SPD-Fraktion. ({0})

Mahmut Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Regelungen zum Klimaschutz ins Grundgesetz“ – leere Worte der grünen Kolleginnen und Kollegen. Der Klimaschutz ist bereits überall: in unserem gesellschaftlichen, in unserem politischen Handeln, in der Verfassung sowieso und in der Lebenswirklichkeit der Menschen erst recht. Im Ruhrgebiet bezeugen dies unsere stillgelegten Zechentürme – Denkmäler unseres Wohlstands. Der letzte Brocken deutscher Steinkohle in Bottrop war ein Moment, der alle Anwesenden um Fassung ringen ließ. Dennoch: Wir stehen zum Kohleausstieg. Wir haben nämlich nicht herumgesessen und an einer Grundgesetzänderung herumgebastelt. Wir haben dafür gesorgt, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, um den Kindern und den Enkeln der Kumpel vernünftige Arbeitsplätze bieten zu können, weil wir als Sozialdemokraten weiter für Strukturhilfen in diesem Land streiten. ({0}) Dennoch: Die Belegschaften der Stahlindustrie – Sie haben den Stahl gerade selber angesprochen – haben die besten und zukunftsfähigsten Industriewerke Europas geschaffen. Sie haben Abfallprodukte verstromt. Sie haben den so gewonnenen Strom auch noch zusätzlich zur Wärmegewinnung genutzt, angereizt durch die Politik, angereizt durch ein Erneuerbare-Energien-Gesetz und auch durch knallharte sozialdemokratische Energiepolitik. ({1}) Das Grundgesetz mit Artikel 20a enthält im Übrigen bereits eine solche Norm zum Klimaschutz. Sachverständige haben in der Anhörung Ihrem Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ein demokratietheoretisches Problem bei der Abwägung mit Verfassungsgrundsätzen attestiert. Ich übersetze das mal für Sie: Selbst der Gerechte wird ungerecht, wenn er selbstgerecht wird. – Immer noch ratlose Gesichter. Ich werde deutlicher: Wer erst den Hambacher Forst in Regierungsverantwortung zur Abholzung freigibt, um sich dann scheinheilig-dreist an die Spitze der Bewegung dagegen zu setzen, der sollte zur Aufrichtigkeit ermahnt werden. ({2}) Wenn der Ministerpräsident von Baden-Württemberg privat Diesel fährt, dienstlich ein Hybridfahrzeug mit entsprechender Technik bewegt, das sich kein Normalverdiener leisten kann, dann sollte er wiederum an seine Glaubwürdigkeit erinnert werden. Solche Dinge, so eine Politik und so eine Verfassung können sich diejenigen, die den Biomarkt mit dem Porsche ansteuern, leisten, aber nicht der pendelnde Familienvater mit seinem Diesel, der gerade von der Automobilindustrie verladen worden ist. Für diejenigen haben wir Politik gemacht. Denjenigen haben wir den Klagerechtsbehelf an die Hand gegeben, der ihnen den Kampf David gegen Goliath ermöglicht. ({3}) Sie fordern eine Grundgesetzregelung als Selbstzweck. Das ist Unsinn. Ich erkläre es Ihnen anhand eines Beispiels aus meinem Wahlkreis in Duisburg. ({4}) Weil Ihnen die Ansätze zur Förderung von Innovation und Forschung fehlen, erzähle ich Ihnen, dass wir in Duisburg leichtesten Stahl für energieeffiziente Fahrzeuge und Windräder bauen. Weil Ihnen die Ansätze zur Förderung der Vielfalt umweltschonender Antriebe fehlen, erzähle ich Ihnen, dass wir in Duisburg die Heimat der Brennstoffzellentechnik sind. Wir haben die schnellsten und die besten Ladesäulen, die Vorzeigeladesäulen für E-Autos gebaut, und wir haben sogar im Duisburger Hafen Energieladesäulen bereitgestellt, damit die Schiffsmotoren nicht permanent laufen. Das ist sozialdemokratische Umweltpolitik. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie müssen leider zum Schluss kommen.

Mahmut Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Redezeit ist zu Ende. ({0}) Ich hätte Ihnen noch ganz viel über sozialen Wohnungsbau erzählen können und darüber, dass wir es sind, die für die Menschen bezahlbaren Wohnraum, klimafreundlichen Wohnraum schaffen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Özdemir, bitte.

Mahmut Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bevor ich dann allerdings vom Präsidenten weiterhin ermahnt werde, sage ich: Wer Verantwortung trägt, tut das Mögliche. Wer keine Verantwortung tragen kann – – ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich habe Sie nicht nur ermahnt, sondern Ihnen gerade das Wort entzogen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Finanzminister hat in dieser Woche den Haushalt für 2020 vorgelegt. Als Serviceopposition, die heute schon an morgen denkt, wollen wir zeigen, wie wir in Zukunft ein Haushaltsrisiko über mehrere Milliarden verhindern können. Das Beste daran ist, dass wir gleichzeitig die wichtigste und beste Maßnahme für den Klimaschutz umsetzen. Aber zunächst mal zum Problem. Die Klimapolitik in Europa ist im Moment zweigeteilt. Es gibt auf der einen Seite den Emissionshandel, kurz ETS, mit einem jährlich sinkenden Limit für CO 2 -Emissionen in der Industrie und der Energiewirtschaft. Das funktioniert wunderbar. Das Limit wird jedes Jahr eingehalten, die Emissionen sinken, wie die Politik das vorherbestimmt hat. Die Ziele werden erreicht, und die Verursacher des CO 2 müssen für ihre Emissionen bezahlen. ({0}) Auf der anderen Seite haben wir den sogenannten Non-ETS-Bereich. Das sind vor allem die Emissionen aus dem Verkehrssektor, der Landwirtschaft und dem Gebäudesektor. Für den Non-ETS-Bereich gibt es, wie der Name schon sagt, keinen Emissionshandel, also auch kein CO 2 -Limit. Damit kann jeder CO 2 ausstoßen, soviel er will und ohne dass er dafür bezahlen muss. Ziele gibt es für die einzelnen Mitglieder der EU, zum Beispiel Deutschland. Die Non-ETS-Ziele sind zwar deutlich niedriger als die Emissionshandelsziele, sie werden aber auch nicht erreicht, und wenn ein Land seine Ziele nicht erreicht, muss es ein anderes Land suchen, das das schafft und von diesem Emissionsberechtigungen kaufen. Es entsteht also eine Art zweiter Emissionshandel mit dem entscheidenden Unterschied, dass hier nicht die Verursacher zur Kasse gebeten werden, sondern die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist aus zwei Gründen problematisch: Auf der einen Seite schafft es keine Anreize für Investitionen in klimafreundliche Technologien, keine Anreize für Fortschritt. Es fehlt der Kostendruck. Auf der anderen Seite ist es auch noch total ungerecht; denn jeder Mensch, der sich bewusst klimafreundlich verhalten möchte, wird hier genauso zur Kasse gebeten wie jeder, dem das völlig egal ist. Ich glaube, dass das genau der falsche Weg ist. ({1}) Wie teuer das für Deutschland wird, kann im Moment niemand so genau sagen. Das Öko-Institut hat ausgerechnet, dass wir bis 2030 voraussichtlich 30 Milliarden Euro zahlen müssen. Agora Energiewende hat ausgerechnet, ({2}) dass wir ein Haushaltsrisiko von bis zu 60 Milliarden Euro haben. 60 Milliarden Euro, meine Damen und Herren! Das müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen. Das ist viel Geld für sehr wenig Klimaschutz. Meine Damen und Herren, das klingt blöd. Ist es auch! Während andere über Probleme reden, haben wir als Freie Demokraten aber natürlich auch eine Lösung mitgebracht. ({3}) Einzelne EU-Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, Emissionen aus dem Non-ETS-Bereich in den Emissionshandel einzuführen. Wir können also als Bundestag beschließen, dass in Deutschland auch die Hersteller von Kraft- und Heizstoffen am europäischen Emissionshandel teilnehmen. ({4}) Das bewirkt dann Folgendes: In dem Maß, in dem das Volumen des Emissionshandels größer wird, sinken unsere Verpflichtungen im Non-ETS-Bereich. Das ist im EU-Recht ausdrücklich so vorgesehen. Damit sinken aber natürlich auch die Kosten für Bürgerinnen und Bürger, und es zahlt derjenige, der CO 2 verursacht, und nicht mehr die Allgemeinheit. Das muss doch das Ziel sein. ({5}) Meine Damen und Herren, jetzt kommt noch das Beste: Wir sparen nicht nur Geld, sondern wir sorgen auch dafür, dass endlich für alle Emissionen ein CO 2 -Limit gilt und damit auch das Ziel, 2050 klimaneutral zu werden, zielgerichtet erreicht werden kann. Das ist vernünftige, das ist zielgerichtete Klimapolitik und nichts anderes. ({6}) Im Ergebnis geben wir also sehr viel weniger Geld für sehr viel mehr Klimaschutz aus. Das sollte nicht nur dem Finanzminister gefallen. Das sollte jedem in diesem Haus gefallen, der sich für vernünftigen Klimaschutz einsetzen will, meine Damen und Herren. Das muss der Weg sein. Das ist zumindest der Weg der Freien Demokraten. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Lorenz Gösta Beutin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Bundestagsfraktion Die Linke bringt heute den Antrag ein, den Klimanotstand in Deutschland anzuerkennen und gleichzeitig endlich ein Klimaschutzgesetz vorzulegen, das geeignet ist, den Beitrag Deutschlands an der Erfüllung des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Genau das ist es, was wir jetzt brauchen. ({0}) Das ist nicht irgendwie illusorisch oder sonst irgendwas. Vielmehr haben wir mittlerweile die Situation, dass fast 700 Städte weltweit den Klimanotstand ausgerufen haben. ({1}) Wir haben die Situation, dass Kanada, Großbritannien und Irland den Klimanotstand ausgerufen haben. Gestern ist Frankreich dazugekommen. Das sind doch keine Pillepallestaaten. ({2}) Gerade in diesem Augenblick umzingelt Fridays for Future den Deutschen Bundestag. Die jungen Leute sagen uns: Wir mahnen euch. Wir mahnen euch seit dem November des letzten Jahres. Ihr müsst was tun. – Aber wir haben hier im Deutschen Bundestag nicht beschlossen, was tatsächlich notwendig ist. Sie warten immer noch auf die notwendigen Gesetze. Das müssen wir ändern. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD, Union und FDP, geben Sie sich einen Ruck. Stimmen Sie unserem Antrag zu, den Klimanotstand anzuerkennen. Das ist gar nicht so schwer. ({4}) Ich will Ihnen das einmal vor Augen führen. Wir hatten in dieser Woche Karen Raymond von Fridays for Future Indien hier zu Gast. Sie hat uns mit eigenen Worten berichtet, wie es in Indien aussieht: dass es über 1 000 Hitzetote gibt, dass es eine beispiellose Hitzewelle gibt, dass die Menschen in Indien mittlerweile um Wasser kämpfen. Dort gibt es in den Städten Kämpfe um Wasser. Stellen Sie sich das einmal vor. Wenn Sie das nicht berührt, denken Sie doch einmal darüber nach, dass das gar nicht so weit weg ist. Wir hatten im letzten Jahr in Berlin 500 Hitzetote, im Sommer 2018. Mittlerweile – ich weiß nicht, wer den Brandgeruch schon einmal gerochen hat – brennen die Wälder in Brandenburg wieder. Gestern gab es die Nachricht, dass die Wasservorräte in der Lausitz noch für zwei Monate reichen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: für zwei Monate, also bis September 2019, wenn es nicht mal ordentlich regnet. Das ist deshalb eine problematische Situation, weil auch wir, die Bürgerinnen und Bürger hier in Berlin, von der Wasserversorgung in der Lausitz abhängig sind. Es geht um die Spree. Das heißt: Die Klimakrise und der Klimanotstand sind nicht irgendetwas, was weit weg ist, sondern das ist etwas, was uns direkt vor Ort betrifft. Deswegen müssen wir jetzt handeln. ({5}) Es zeichnet sich ja ab, dass es da gar keine Entspannung geben wird. Dieser Sommer ist nur ein Vorgeschmack auf das, was uns auch hier in Deutschland in der Landwirtschaft, in der Handelspolitik, im Gesundheitswesen erreichen wird. Alle Voraussagen der Klimawissenschaftler werden nicht nur erfüllt, sondern sie werden übererfüllt. Es kommt tatsächlich schlimmer beim Meeresspiegelanstieg, bei der Erderwärmung oder beim Abschmelzen des Eises, als wir uns das vorstellen können. Das heißt, wir haben wenig Zeit zum Handeln. Was tut in dieser Situation die deutsche Bundesregierung? Sie bekommt den Kohleausstieg nicht richtig auf die Kette. Sie bekommt die Verkehrswende überhaupt nicht auf die Kette. Und die Energiewende, wie sieht es da aus? Wir haben tatsächlich Probleme beim Zubau der Windenergieanlagen, beim Zubau im Bereich der erneuerbaren Energien. Das müsste doch eigentlich kommen, wenn wir tatsächlich die Energiewende machen wollen, wenn wir Klimaschutz machen wollen. ({6}) Dann wird uns immer wieder erzählt: Ja, ihr habt ja gute Vorschläge, aber die Union hat doch Wirtschaftskompetenz. – Entspricht es denn Wirtschaftskompetenz, eine Situation zu haben, in der wir in der Solarbranche 80 000 Arbeitsplätze verloren haben, ({7}) in der wir in der Windenergiebranche weiterhin Arbeitsplätze verlieren? Warum gehen denn die Kolleginnen und Kollegen der IG Metall morgen auf die Straße? Sie gehen morgen deshalb auf die Straße, weil ihre Arbeitsplätze beispielsweise in der Automobilindustrie und in den Zulieferbetrieben bedroht sind. ({8}) In den nächsten zehn Jahren sind Hunderttausende Arbeitsplätze bedroht, weil diese Bundesregierung keine gute Klimapolitik macht, ({9}) weil sie keine gute Industriepolitik macht und weil sie keine gute Wirtschaftspolitik macht. Deshalb müssen wir jetzt handeln. Hier schließen wir uns Herrn Söder an. Herr Söder sagt es nicht, weil er klug ist, sondern weil er ein Opportunist ist. ({10}) Herr Söder spürt die Klimabewegung im Rücken. Er spürt doch den Atem von Extinction Rebellion, von Fridays for Future oder von Ende Gelände, den wir in der letzten Woche erlebt haben. Das merkt er doch alles, deshalb sagt er es. Deswegen sagen wir: Der Kohleausstieg 2038 ist viel zu spät. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle werden wir uns enthalten. Wir zweifeln nicht daran, dass ihr wirklich Klimaschutz machen wollt, nur zu diesem einen Punkt werden wir uns enthalten, weil wir sagen: Wir verstehen das taktische Moment, die Bundesregierung an dieser Stelle vorzuführen. Wir sagen aber, weil wir bei der Kohlekommission nicht eingebunden waren, weil wir die Ergebnisse nicht weit genug finden: Wir werden als Opposition sagen, was notwendig ist, und fordern, was notwendig ist. ({12}) Das ist aus unserer Sicht in diesem Punkt die Anerkennung des Klimanotstands. Wir sagen: Wir müssen endlich den Mut aufbringen, uns mit den Profiteuren dieser Klimakrise anzulegen. Wir Linke sagen: Wir wollen die Menschen und das Klima retten, nicht die Aktienkurse und nicht den Kapitalismus. Vielen Dank. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Andreas Lenz das Wort. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen über eine Vielzahl von Anträgen: Anträge zur Kohle, zur Energiewende allgemein. Der Klimaschutz insgesamt ist Thema, aber auch der Klimanotstand soll beantragt werden, und sogar das Grundgesetz soll heute geändert werden. Zunächst einmal möchte ich betonen, dass wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommen. Über 40 Prozent der Nettostromerzeugung erfolgt mittlerweile durch die Erneuerbaren. Im ersten Halbjahr 2019 lag der Anteil des Stroms aus Sonne, Wind, Biomasse und anderen regenerativen Quellen sogar bei 44 Prozent des Strombedarfs. Und wir haben die Erneuerbaren wettbewerbsfähig gemacht: durch Wettbewerb, durch Ausschreibungen. Das waren wir, und es waren eben nicht Sie. ({0}) Ebenso gilt es, zu betonen, dass der Ausstoß von Treibhausgasemissionen allein im letzten Jahr um 4,5 Prozent zurückging – und das bei steigender Wirtschaftsleistung. Das sind alles Erfolge, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lenz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Trittin?

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Lenz, Sie haben ja die Zahl zitiert: 44 Prozent Strom aus Erneuerbaren. Ohne Zweifel ist das ein großer Erfolg. Ich erinnere mich auch noch ganz gut daran, wer für dieses Gesetz, das die Grundlage dafür war, gestimmt hat und wer nicht. Ich wollte Sie in diesem Zusammenhang aber eigentlich etwas anderes fragen. Ist Ihnen bekannt – diese Zahlen wurden immerhin vom VDEW genannt –, was der Geschäftsführer vom VDEW bei der Vorstellung gesagt hat? ({0}) Herr Kapferer – ich glaube, er ist Mitglied der FDP –, ein guter Mann, hat ausdrücklich betont, dass, wenn das Ausbautempo der Bundesregierung, was die erneuerbaren Energien angeht, so bleibt, wir im Jahre 2030 nicht bei den anvisierten 65 Prozent landen, sondern lediglich bei 54 Prozent. Er hat die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert, die Ausbaubremsen bei den erneuerbaren Energien endlich zu lockern und dafür zu sorgen, dass die eigenen Ziele an dieser Stelle eingehalten werden. ({1})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Trittin, zunächst einmal: Wenn man sich die Genese des EEG anschaut, dann, glaube ich, war es nicht so falsch, an Ihren Vorschlägen damals zu zweifeln. Wenn ich mir noch vor Augen halte, dass Sie es waren, der sagte: Es kostet jeden Bürger circa ein Eis. – Das ist in der Form nicht eingetreten. Deswegen ist es notwendig, das EEG entsprechend zu erneuern. Zum zweiten Punkt. Es ist nicht der VDEW, sondern der BDEW, dessen Vorsitzender der Herr Kapferer ist. ({0}) Es ist klar, dass wir die Ziele des Koalitionsvertrages, nämlich bis 2030  65 Prozent des Strombedarfs durch Erneuerbare zu decken, umsetzen werden. Wir sind gerade dabei, jetzt auch die entsprechenden Jahresscheiben so scharf zu stellen, damit es funktioniert, auch im Sinne der Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Da brauchen Sie sich wirklich keine Gedanken zu machen. Das schaffen wir in der Koalition auch alleine. ({1}) Dass wir aber auf dem Weg zu einer vollständigen Dekarbonisierung unserer Gesellschaft, einer vollständigen Klimaneutralität, wie immer man das auch nennen will, noch erhebliche Anstrengungen leisten müssen, ist auch unstrittig. Was aber auch richtig ist: Diese Anstrengungen sollten möglichst global, wenn das nicht möglich ist, dann auf europäischer Ebene unternommen werden. Jetzt gibt es nicht das eine Instrument, das die Lösung ist. Ich habe mit Interesse die Vorschläge der Grünen, die heute in der Presse standen, gelesen. Wenn Sie glauben, dass Sie mit einer Bepreisung von 40 Euro pro Tonne CO 2 das Problem lösen werden, dann liegen Sie einfach falsch. Das ist unter Umständen für die Industrie zu viel. Das ist unter Umständen ein Preis, der bei der Mobilität überhaupt keine Lenkungswirkung entfalten wird. Ihre Vorschläge führen uns nicht weiter. ({2}) Es ist im Gegenteil so, dass wir viele Instrumente brauchen. Wir müssen unterschiedliche Technologien anreizen. Wir müssen mit Blick auf eine weitere Einsparung von Energie Energieeffizienzen steigern und so den Ausstoß von CO 2 weiter reduzieren. Wir wollen hier möglichst viele Innovationen, wir wollen möglichst wenige zusätzliche Belastungen, wir wollen nicht Lust am Gängeln und an Verboten, sondern wir wollen Lust an Zukunft und Innovation. Wir brauchen eine Abgaben- und Gebührenreform. Diese muss stärker auf CO 2 -Gesichtspunkten basieren und auch sektorübergreifend erfolgen. Wir müssen und wir werden die Erneuerbaren noch stärker in die Bereiche Wärme und Mobilität bringen. Wir müssen das Richtige auch richtig machen, damit es nicht zu sozialen Verwerfungen kommt. Es bringt uns nichts – auch dem Klima, auch dem globalen Klima überhaupt nichts –, wenn wir durch falsche Reformen in Deutschland unsere Industrien abschaffen, wenn wir den Stahl aus China importieren und damit ein Drittel mehr CO 2 ausgestoßen wird, wenn wir die Landwirtschaft abschaffen und gleichzeitig individuelle Mobilität einschränken und es so zu sozialen Verwerfungen kommt. Das hilft insgesamt nicht weiter. ({3}) – Genügend Leute im Parlament wollen das. Dass wir fähig sind, das Ziel zu erreichen, haben wir mit dem EDL gezeigt, mit dem Energiedienstleistungsgesetz, zusammen in der Koalition. Wir setzen auf Energieeffizienz, wir setzen auf KWK. Wir werden beim Mieterstrom etwas machen. ({4}) Für Power-to‑X haben wir den Rahmen gesetzt, damit es tragfähig und in die Zukunft gerichtet ist. Wir haben die Schwarzlauge wieder ins Geschäft gebracht. Also: Die Koalition arbeitet auch an Lösungen, und wir erzielen auch Lösungen. ({5}) Wir werden im Rahmen des Kohleausstiegs die Versorgungssicherheit ganz besonders im Blick behalten. Natürlich brauchen wir hier als Ersatz Gaskraftwerke; das ist überhaupt keine Frage. Dass der bayerische Ministerpräsident Söder auch bei Ihnen von SPD und AfD so ernst genommen wird, entspricht natürlich auch dem Selbstverständnis Bayerns und ist unser Anspruch. ({6}) – Seien Sie doch froh, dass es Optimisten gibt, gerade bei den Aufgaben, die uns bevorstehen. ({7}) Die Eckpunkte des Strukturstärkungsgesetzes liegen vor. Noch in diesem Jahr werden wir den energiewirtschaftlichen Pfad beschreiben. Es wird eben nicht in einer Lotterie ermittelt, welches Kraftwerk zuerst vom Netz geht. Wir haben immer versprochen, dass wir uns zuerst um die Menschen kümmern, durch ein Strukturstärkungsgesetz. Wir lassen die Menschen nicht allein. Wir schaffen Perspektiven. Wir wollen aktivieren und nicht langfristig alimentieren. ({8}) Unsere Antwort ist also ein Konzept für eine nachhaltige Entwicklung. Wir wollen den Klimaschutz genauso wie die Agenda 2030, die globalen Nachhaltigkeitsziele, umsetzen, und zwar in Deutschland – natürlich haben wir eine Verantwortung –, aber auch international durch internationale partnerschaftliche Hilfe. Deutschland ist keine Insel. Wir brauchen Konzepte, die übertragbar sind und auch übertragen werden. Wir wollen natürlich auch unserer globalen Verantwortung gerecht werden; denn da ist der Hebel oft viel größer. Wir brauchen außerdem Lust auf Zukunft, wir brauchen Lust auf Innovation und Technik. Nur so können wir die immensen Aufgaben der Zukunft lösen. In dem Sinne herzlichen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die AfD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Karsten Hilse das Wort. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Ich beginne mit einem Zitat: Deine Möhren sind nicht wichtiger als unser Klima. Sorry. ({0}) Das war die abgehobene Antwort des Abgeordneten Kössler der grünen Umweltzerstörungspartei im Abgeordnetenhaus Berlin in einem Chat, als sich ein Bauer zu Recht darüber beschwerte, dass Ökoterroristen seine Möhren zertrampelten. ({1}) Sein Klima schützt Herr Kössler übrigens intensiv, indem er dazu, ähnlich wie Frau Neubauer von „No Education Friday“ durch die ganze Welt reist und somit ein Vielfaches dessen, was andere Menschen an CO 2 verbrauchen, verbraucht, obwohl CO 2 nach Ansicht der schon länger hier Herumsitzenden quasi Teufelszeug ist. Das, was dieser grüne Heuchler da absondert, ({2}) entspricht genau der eigenen moralischen Überhöhung, die Sozialisten und Kommunisten, wie wir sie in der grünen Umweltzerstörungspartei finden, seit Jahrzehnten wie eine Monstranz vor sich hertragen. ({3}) Getrieben von dieser grünen Klimasekte fordern alle Altparteien den schnellen Kohleausstieg und damit, einen wichtigen Schritt zur Dekarbonisierung, eigentlich Deindustrialisierung, Deutschlands zu machen. Sie nehmen dafür billigend in Kauf, dass dadurch Zigtausend wertschöpfende Arbeitsplätze vernichtet, unsere Umwelt und Lebensräume für Wildtiere zerstört und Menschen massiv in ihrer Lebensqualität eingeschränkt werden. Und warum? Weil es wieder einmal falschen Weltuntergangspropheten gelungen ist, unter Mithilfe links-grün verdrehter Leitmedien die Menschen in unserem Land in Panik zu versetzen, ihnen jeden Tag einzureden, dass sie für den kommenden Weltuntergang verantwortlich seien und deshalb jubelnd den modernen Ablass, also EEG-Umlage und zukünftig auch eine Steuer auf die Atemluft, bezahlen dürfen. Die Kohlekumpel, die Beschäftigten in der chemischen, der Auto- und der Schwerindustrie sollen zudem ihrem zukünftigen Arbeitsplatzverlust freudig entgegensehen: Ihr bekommt bald Hartz IV, aber hey, ihr rettet die Welt; ihr habt zwar die Erderwärmung nur um 0,000653 Grad Celsius verringert, aber genau die haben die Welt gerettet. ({4}) Das bringt ja dann verarmten Familien zumindest ein gutes Gefühl. ({5}) Bewiesen wird dieser nahende Weltuntergang in schöner Regelmäßigkeit, auch heute, mit warmen Sommern. Davon gab es in den letzten 1 500 Jahren, gut dokumentiert, Dutzende. ({6}) Wir hatten einen besonders warmen Tag, weil die Luftströmung warme Luft aus Zentralafrika zu uns brachte. Gleichzeitig hatten wir aber einen ungewöhnlich kalten Mai. In Toronto hat es zum Sommerbeginn geschneit. ({7}) Das macht deutlich, was der sogenannte Weltklimarat, den die Weltuntergangspropheten gern zitieren, selbst ganz klar sagt. Er sagt: In der Klimaforschung und -modellierung müssen wir erkennen, dass wir es mit einem gekoppelten nichtlinearen chaotischen System zu tun haben, und dass daher eine langfristige Vorhersage zukünftiger Klimazustände nicht möglich ist. ({8}) Lesen Sie den IPCC-Bericht. Es gibt also weder eine wissenschaftliche Grundlage für den Kohleausstieg, noch bewirkt er irgendetwas, außer man glaubt daran, dass der Mensch mit seinen CO 2 -Emissionen Klimaschwankungen maßgeblich beeinflusst. ({9}) Dann bringt es 0,000284 Grad Celsius weniger Erderwärmung. – Schreien Sie doch nicht so hier! Haben Sie keine Manieren, oder was? Manometer! ({10}) Den Verlust von circa 25 000 Arbeitsplätzen – – ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Hilse, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Lenkert?

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Aber natürlich. Aber na klar, immer beantworte ich eine Zwischenfrage.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Hilse, Sie verkünden ja jetzt seit Jahren diese Zahl. Die Zahl ist in einem Punkt richtig. Das ist nämlich der Anteil, den Deutschland in einem Jahr an der Erwärmung hat, nur Deutschland. Wenn also alle sich wie Deutschland verhalten würden, müssten Sie die Jahresmenge in etwa mit 100 multiplizieren. Wenn man das Ganze auf 100 Jahre hochrechnete, würde man selbst nach Ihrer Rechnung auf eine Erderwärmung von plus 5 Grad Celsius kommen, und das wäre verheerend. Wenn Sie Ihre eigenen Zahlen mal ernst nehmen würden, müsste bei Ihnen der Angstschweiß ausbrechen. Sie kommen aus Sachsen. Sie kennen vielleicht den Dürremonitor des UfZ. Dort können Sie sich angucken, was gerade stattfindet: Die heißesten drei Jahre seit Aufzeichnungsbeginn waren die letzten drei Jahre. Die heißesten zehn Jahre seit Wetteraufzeichnungsbeginn lagen alle nach 2000. Wenn Sie das ignorieren, dann kann man nur sagen: Sie verhalten sich wie ein Vogel Strauß, Kopf in den Sand, und hoffen, dass alles gut geht. ({0})

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank für die Zwischenfrage. – Erst einmal eine Klarstellung: Wir ignorieren natürlich nicht, dass sich das Klima verändert. ({0}) Das wissen wir genauso gut wie Sie. Das haben wir nie gesagt. Wir haben einfach nur gesagt, dass der Mensch mit seinen CO 2 -Emissionen das Klima aus unserer Sicht und aus Sicht vieler unabhängiger Wissenschaftler ({1}) nicht maßgeblich beeinflusst. Die Zahl haben wir natürlich genau errechnet mit dem Equilibrium-Climate-Sensitivity-Wert des IPCC und unter den schlimmsten Annahmen. Wir haben auch berechnet – sehr viele Wissenschaftler sind sich nicht darüber einig –, wie viel von dem emittierten CO 2 überhaupt in der Atmosphäre verbleibt; die Annahmen gehen von 12 bis 50 Prozent. ({2}) Wir haben auch den schlechtesten Equilibrium-Climate-Sensitivity-Wert von 3,2 genommen, obwohl das IPCC selber weiß, dass dieser Wert total überhöht ist. Wir haben also die schlechtesten Annahmen genommen, und dann kommt dieser aberwitzig geringe Wert heraus. Außerdem ist es natürlich so: Wenn Sie innerhalb eines Jahres Deutschland komplett dekarbonisieren, also alle Anlagen stilllegen, dann werden diese Anlagen natürlich nie wieder CO 2 emittieren. Deswegen stimmt dieser Wert einfach. ({3}) Herr Rahmstorf, eine Ihrer Leuchtfiguren, hat diesen Wert selber bestätigt, indem er ihn einfach mal 80 genommen hat. Er hat gesagt: Wenn wir bis 2100 nichts tun – wenn man davon ausgeht, dass die Hypothese stimmt –, dann erwärmen wir mit unseren CO 2 -Emissionen die Erde um 0,05 Grad. Das Problem ist natürlich, dass uns niemand anders folgt. ({4}) Wir thematisieren in unserem Antrag unter anderem, dass der Kohleausstieg unter anderem Energiearmut und Versorgungsunsicherheit bringt. Deswegen fordert die AfD in ihrem Antrag völlig technikoffen die Aussetzung des Kohleausstiegs so lange, bis wenigstens 40 Gigawatt an gesicherter Leistung zur Verfügung stehen. Zum Schluss ein Zitat von Herrn Rahmstorf – ich zitiere –: Wir verlieren die Kontrolle über das Klimasystem. Zitat Ende. Hat jemand, der glaubt, das Klimasystem mit all seinen Komponenten – Atmosphäre, Bewölkungsgrad, Meeresströmung, Sonnenaktivitäten, kosmische Strahlung, Erdbahnparameter und viele andere noch zu erforschende Wirkfaktoren – kontrollieren zu können, vielleicht die Kontrolle über sein eigenes Leben verloren? ({5}) Die CDU-Genossen kann ich nur auffordern, sich von solchen Menschen, die scheinbar die Kontrolle verloren haben, nicht kontrollieren oder beeinflussen zu lassen. Sie werden sonst irgendwann, wie ich es schon erwähnt habe, die Kofferträger der Grünen werden. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dree Saken bruukt man to allen, wat man deiht: Kracht, Künn und Will! Man braucht also Kraft, Verstand und Wille zur Umsetzung. ({0}) Bei dem einen fehlt es eben an Verstand, bei dem anderen an Willen und bei dem anderen an Kraft. Das gilt natürlich auch für die Klimapolitik. Dieser Top 29 besteht aus elf Unterpunkten, einige sind mehr getrieben vom Willen als vom Verstand. Es gibt elf verschiedene Unterpunkte zum Kohleausstieg. Der eine sagt: Er muss schneller durchgeführt werden. – Ich kann die Ungeduld an der Stelle durchaus verstehen; aber das ist eben auch eine Frage der Gründlichkeit, die an den Tag gelegt werden muss. Die anderen sagen: Er muss gar nicht durchgeführt werden. – Wir haben einen Antrag zur Beschleunigung des Ausbaus der Solarenergie im Bereich Mieterstrom, was wir als SPD-Fraktion sehr begrüßen. Wir sind froh darüber, dass wir in dieser Woche ein deutliches Bekenntnis dafür hinbekommen haben. Der Minister hat sich schriftlich dazu erklärt, dass wir Mieterstrom, den Quartiersansatz und eine höhere Vergütung bekommen. ({1}) Und wir haben einen Antrag zur Wiedereinführung der sogenannten Länderöffnungsklausel seitens der FDP; der Markt wird es dann schon regeln. Es ist schon spannend, was heute, an einem Friday – im Sinne von Fridays for Future – hier im Hohen Haus behandelt wird. Man muss wissen: Dieser Antrag bedeutet eine massive Begrenzung der Windenergie. Das ist energiepolitisch falsch, industriepolitisch falsch und auch marktwirtschaftlich falsch. ({2}) Jemand aus der FDP darf mir vielleicht einmal erklären, warum es aus Ihrer Sicht richtig und wichtig ist, dass es in Hessen einen anderen Abstand gibt als in Bayern oder in Niedersachsen. Ich kann nicht erkennen, warum die Menschen dort näher oder weiter weg von Windenergieanlagen wohnen müssen. ({3}) Die Vielzahl und die Bandbreite der Anträge zeigen, was für ein umfassendes Thema die Umsetzung der Klimaziele ist. Eines ist klar: Eine Maßnahme allein wird niemals ausreichen, wir brauchen einen breiten Mix an Maßnahmen, an Instrumenten, in allen Sektoren; die Sektoren Gebäude, Mobilität, Industrie, Landwirtschaft und Energiewirtschaft brauchen endlich konkrete Ziele, um die Erreichung der Klimaziele tatsächlich planen zu können. Genau deshalb hat die SPD das Klimakabinett initiiert, das im Sommer wieder tagen wird. Dort, im Klimakabinett, sollen die Maßnahmen zusammengeführt werden, die wir brauchen. Aktuell überschlagen sich ja gerade viele mit ihren Vorschlägen zum Klimaschutz. Für die SPD-Fraktion kann ich sagen: Ja, wir wollen und wir brauchen eine Bepreisung von CO 2 ; das steht außer Frage. ({4}) Irritiert war ich dann allerdings von dem aktuellen Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten, der heute ja schon ausreichend Erwähnung gefunden hat. Er schlägt den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 vor. Einige sprechen dabei sogar von einem Söder-Signal. Abgesehen davon, wie die Unionskollegen dazu stehen und sich dazu verhalten werden – ich würde da aus meiner eigenen Erfahrung jetzt nicht weiter berichten wollen –: Ein Bundesland ohne Braunkohle kann natürlich leicht den Ausstieg fordern. ({5}) Das ist nicht konstruktiv und schon gar kein Signal. Schön wäre es, wenn die Regierung in Bayern die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Erdüberhitzung endlich einmal erkennt und nicht selber im Weg steht beim Netzausbau – wie wir es jahrelang erlebt haben –, ({6}) nicht im Weg steht beim Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere bei der Windenergie. Herr Söder, wenn Sie sich Gedanken um Ihr Image machen: Helfen Sie mit, die Probleme zu lösen, statt selbst eines zu sein! ({7}) Wenn Sie für Ihr Ego unbedingt ein Signal brauchen, dann schenke ich Ihnen eines aus Ostfriesland: Die Abschaffung der windenergieverhindernden Abstandsregeln in Bayern, das wäre ein echtes Söder-Signal. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. Martin Neumann für die FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was uns hier vorgelegt wurde – also die Initiativen, die Gegenstand dieser Debatte sind –, liest sich wie eine Gebrauchsanweisung, wie Energiewende eben nicht funktioniert. ({0}) Die CO 2 -Emmissionen steigen bzw. bleiben konstant, obwohl sehr viel Geld ausgegeben wird: 180 Milliarden Euro hat die Gesellschaft dafür bisher ausgegeben. Wenn wir in Europa Schweden und Frankreich als sogenannte Klimavorreiter bezeichnen, müssen wir uns, Deutschland, als Strompreisvorreiter bezeichnen. Das ist schlecht. Warum? Weil wir für effektiven Klimaschutz tatsächlich auch günstigen und preiswerten Strom brauchen. ({1}) Ich komme noch einmal zurück auf den – aus meiner Sicht – Kardinalfehler dieser Energiewende. Wenn man Energiewende nicht als Gesamtprozess versteht und managt, dann bekommt man das Chaos, das wir jetzt haben. Wir haben beispielsweise Daten festgelegt für den Ausstieg aus der Kernenergie, für den Ausstieg aus der Kohle usw. Aber wo ist das Datum für die Fertigstellung von Leitungen, für die Fertigstellung oder Bereitstellung von Speichern? Das funktioniert in der Summe nicht. ({2}) Meine Damen und Herren, deshalb ist jeder Zubau alternativer, also wetterabhängiger Energien, immer davon abhängig: Wie haben wir Leitungen, wie haben wir Speicher? Alles das, was nicht transportiert wird, was nicht gespeichert werden kann, erhöht die Kosten. Wir sagen aus diesem Grund: Innovationsausschreibungen, die Öffnung des Spektrums umweltfreundlicher Technologien, das ist ein Weg, den wir an der Stelle brauchen, um tatsächlich klarzukommen. Jetzt noch einmal etwas zur Problematik der Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit. Es werden immer irgendwelche Mengen dargestellt, soundsoviel Prozent Windenergie usw. Das mag ja alles richtig sein, mathematisch; aber was uns fehlt, ist die Rundumversorgung, 8 760 Stunden. Und wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, dann haben wir eben keine volatile Energie. Ich glaube schon, dass dieser Aspekt ganz wichtig ist. Der versprochene Bericht der Bundesregierung zur Versorgungssicherheit – ich hatte das im Ausschuss angemahnt – ist längst überfällig, liegt immer noch nicht vor. Es ist gesagt worden, dass er in circa 14 Tagen vorliegen wird. Ich bin gespannt, was in diesem Bericht stehen wird. Machen wir es doch mal ernsthaft: Wir können ja abschalten. Aber ich möchte wissen: Wie ist die Stromversorgung, wie ist die Energieversorgung in Deutschland gesichert? Das kann man über Stresstests klären; das kann man alles machen. Ich möchte wissen: „Gehen wir ein Risiko ein? Wie groß ist das Risiko?“, damit wir die Volkswirtschaft und auch unsere Verbraucher nicht ins Leere führen. ({3}) Ein letzter Satz dazu. Wir brauchen eine stärkere Aufmerksamkeit für die Menschen, die direkt und indirekt betroffen sind, um damit natürlich auch Akzeptanz zu erreichen. Ich empfehle Ihnen daher dringend die Lektüre unseres aktuellen Antrags „Kohleausstieg mit Verantwortung und Weitsicht – Sicher, bezahlbar und europäisch“. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Gerhard Zickenheiner ist seit Januar dieses Jahres Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich erteile ihm das Wort zu seiner ersten Rede hier im Hohen Hause. ({0})

Gerhard Zickenheiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004946, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es bleiben elf Jahre, um die Agenda 2030 umzusetzen. Damit soll unser Leben ein ganzes Stück nachhaltiger werden, also fairer, ökologischer, sozialer und klimafreundlich. Sie auf der Regierungsbank haben sich das im Koalitionsvertrag auf die Fahnen geschrieben: die Agenda 2030 als Maßstab des Regierungshandelns. ({0}) Klappt aber nicht. Bei fast der Hälfte der Kriterien ist die Umsetzung nicht zielführend; das ergab eine Auswertung der bisherigen Ergebnisse. Das ist doch ein Armutszeugnis! ({1}) Aber Sie machen genauso weiter: ein unsäglicher vorletzter Platz innerhalb der EU bei der Umsetzung der Klimaziele. Klimaschutzgesetz? Fehlanzeige! Kohlegesetz? Fehlanzeige! Autogipfel? Wiederholt ohne Ergebnis. Und der EU-Rechnungshof beschreibt Ihr EU-Agrarprogramm als klimaschädlich, zielverfehlend und nicht kosteneffizient. ({2}) Wir fordern in unserem Antrag zur Agenda 2030 verbindliche Umsetzungspläne, einen Zeitplan, eine Weiterentwicklung der Maßnahmen der bisherigen Strategie und eine Klarstellung der Finanzierung der Umsetzung. ({3}) Wir füllen Ihre leergebliebenen Versprechungen durch diesen Antrag mit Inhalten; dann klappt es mit der Agenda 2030. ({4}) Draußen steht am heutigen Freitag wieder, wie kürzlich übrigens auch in den Pfingstferien, diese standhafte junge Generation, die Sie am liebsten ruhiggestellt in der Schule sehen würden. ({5}) Was tun Sie denen an durch Ihr Nichthandeln! Die jungen Menschen kämpfen um ihre Überlebenschancen in der Welt von morgen, ({6}) die hier und jetzt durch Politikversagen zerstört wird, anstatt dass man sie durch eine konsequente Klima- und Umwelt- und eine darauf abgestimmte Sozialpolitik in eine gesicherte Zukunft führt. Handeln Sie endlich! Folgen Sie unserem Antrag! Sie haben den Auftrag dazu. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus-Peter Schulze für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Klaus Peter Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004406, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich auf einige Redner eingehe, noch einmal daran erinnern, dass es eine Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ gegeben hat. Diese Kommission hat ein Papier auf den Tisch gelegt, das von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Das ist unsere Arbeitsgrundlage, und das lassen wir uns nicht zerstören, indem hier von dem einen oder anderen völlig neue Termine festgesetzt werden. Im Übrigen: Nach meiner Auffassung müsste das auch für den bayerischen Ministerpräsidenten gelten. ({0}) Liebe Frau Vorsitzende des Umweltausschusses, Frau Kotting-Uhl, es gibt neben dem Klimaschutz noch viele andere Facetten des Umweltschutzes, und eine Facette ist das Thema Wasser. Das passt dann auch gleich zu dem, was der Kollege von den Linken gesagt hat: Sie haben heute Ihr Klimasofortprogramm auf den Tisch gelegt. Ich finde darin keinen einzigen Satz dazu, wie Sie die Wasserprobleme, die durch den vorzeitigen Ausstieg aus der Kohleförderung entstehen werden, lösen wollen. Keinen Satz. ({1}) Sie sprechen den Wassernotstand, den wir wahrscheinlich in diesem Sommer im Spreewald und darüber hinaus haben werden, an, weil es gestern in der Zeitung stand. Mittlerweile werden 60 bis 70 Prozent des Wassers, das hier in Berlin in der Spree vorbeikommt, vom Tagebau eingespeist, weil es gehobenes Grundwasser ist. Sie dürfen also nicht glauben, dass wir mit der Schließung der Tagebaue das Wasserproblem gelöst haben. Das Problem haben wir dadurch mitnichten gelöst, und deshalb muss man das Schritt für Schritt machen. ({2}) – Sie können nicht nach 150 Jahren Braunkohlebergbau in der Lausitz den Hebel umlegen und sofort aufhören. Dafür braucht man einen längeren Zeitraum. Nehmen Sie das mal zur Kenntnis! ({3}) Dann habe ich mehrmals das Thema Gipsversorgung angesprochen. Davon lese ich im Klimasofortprogramm der Grünen auch nichts. Wo kommen denn die 6 Millionen Tonnen, die 60 Prozent des deutschen Gipsbedarfes, her? Daraus können immerhin 140 Quadratkilometer Gipskartonplatten hergestellt werden. Die brauchen wir, wenn wir beim Thema Bauen vorankommen wollen. Ich habe gerade gehört, dass der Bundesrat der Sonder-AfA zugestimmt hat, damit der Mietwohnungsbau wieder vorankommen kann. All diese Dinge finden keine Berücksichtigung, und wir sollten da wirklich mit Augenmaß rangehen. ({4}) Am 28. September 2018 haben wir hier einen Antrag der FDP-Fraktion debattiert, in dem gefordert wurde: Keine Windräder in den Wald. – Ich habe damals gesagt, wir sollten uns doch mal ehrlich fragen, wie viele Windräder wir noch terrestrisch aufstellen können. Das Umweltbundesamt hat eine Studie auf den Tisch gelegt, und dort steht drin: Wenn wir die 1 000-Meter-Abstände aufgrund des Emissionsschutzes der Anwohner umsetzen wollen, können wir maximal noch Windkraftanlagen für 10 bis 15 Gigawatt terrestrisch anlegen. Es gibt zurzeit 1 100 Bürgerinitiativen gegen Windkraft. Die meisten gibt es in den Ländern, wo die Grünen an prominenter Stelle mitregieren, ({5}) nämlich in Hessen, in Baden-Württemberg und in Schleswig-Holstein. Was mich bei Sonntagsreden, in Talkrunden oder hier stört: Sie fordern mehr Klimaschutz ein; aber ich habe noch nicht eine einzige Bürgerinitiative vor Ort gesehen, die sich für den Ausbau von Windkraft im ländlichen Raum einsetzt. ({6}) Ich habe auch noch keine Bürgerinitiative mit Ihrer Unterstützung erlebt, die sich für den Ausbau der Leitungen nach Süddeutschland einsetzt. Nein, dagegen wird auch noch vorgegangen. ({7}) Das sind die Grundvoraussetzungen, die wir brauchen: Leitungsausbau und eine entsprechende Sicherung unserer Energieversorgung. Bevor ich dann gleich ermahnt werde, weil meine Zeit vorbei ist: ({8}) Wer glaubt, dass wir mit der Photovoltaik die Windenergie ersetzen können, den möchte ich daran erinnern, dass wir uns das Ziel gesetzt haben, nur noch 30 Hektar Fläche pro Tag zu brauchen. Wenn wir jetzt 90 Gigawatt Solarleistung aufbauen wollen, dann benötigen wir nach den Ausschreibungsergebnissen 2015/2016 in etwa 150 000 Hektar Land, wenn wir sie terrestrisch bringen. ({9}) Das entspricht 15 Jahren des gesamten Flächenbedarfes, den wir uns vorgenommen haben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Timon Gremmels für die SPD-Fraktion. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine kleine koalitionsinterne Fortbildung, Herr Kollege Schulze: Die Bürgerinitiativen für den Windkraftausbau heißen Bürgerenergiegenossenschaften und sind in der Summe deutlich mehr. Das nur am Rande. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben hier heute einen ganzen Strauß an Anträgen und Gesetzentwürfen zu aktuellen energie- und klimapolitischen Fragen. Insbesondere die Grünen treten dabei hervor und stellen Forderungen. Wir sollten aber doch mal dahin schauen, wo die Grünen Verantwortung tragen und was da in Sachen Energiewende passiert. ({1}) Ein Beispiel ist Schleswig-Holstein. Die letzte Amtshandlung von Robert Habeck war die Erhöhung des Mindestabstands von Windkraftanlagen zu Wohnsiedlungen von 800 auf 1 000 Meter. ({2}) Übrigens ist auch das Moratorium für Windenergie bis 2020 verlängert worden, auch unter grüner Mitverantwortung. Das führt dazu, dass der Windkraftausbau an Land in Schleswig-Holstein fast zum Erliegen gekommen ist. Nächstes Beispiel ist Baden-Württemberg; auch da regieren die Grünen mit. Die vorhergehende grün-rote Landesregierung wollte bis 2020 den Anteil der Windkraft mehr als verzehnfachen. Bei Grün-Schwarz steht im Koalitionsvertrag nur noch, die Windenergie weiter auszubauen. Das Ergebnis: Nach 123 Anlagen im Jahr 2017 waren es 2018 gerade mal 35 Windräder in Baden-Württemberg, die neu gebaut worden sind. Der Grund war auch hier – das sage ich ganz ehrlich – die Erhöhung des Mindestabstands von 700 auf 1 000 Meter, und das dort, wo die Grünen mitregieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({3}) – Ja, Frau Kotting-Uhl, getroffene Hunde bellen laut. Sie können sich ja zu einer Kurzintervention melden, wenn Sie sachlich etwas beizutragen haben. Ich möchte Ihnen das letzte Beispiel aus meinem eigenen Bundesland, aus Hessen, wo ich sieben Jahre Mitglied des Landtags war, nennen. Letzte Woche, Regionalplan in Südhessen, Ausbau der Windvorrangflächen: Statt der 2 Prozent, die der Landesgesetzgeber, die Tarek Al-Wazir als Wirtschaftsminister, als Energieminister vorgibt, hat die einzige grüne Regierungspräsidentin, Frau Lindscheid, in Südhessen gerade mal 1,4 Prozent Windvorrangfläche ausgewiesen. Das ist die Bilanz dort, wo Grüne regieren, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch das müssen Sie an dieser Stelle ertragen. ({4}) Sie sehen: In der Opposition kann man immer gute Forderungen stellen; wenn man regiert, muss man Verantwortung übernehmen und auch Kompromisse schließen. Das will ich den Grünen ja gar nicht vorhalten. Lassen Sie mich zum Schluss sagen, was wir als Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung machen: Erstens. Das Klimaschutzgesetz wird noch in dieser Wahlperiode kommen. Ende dieses Jahres kommt das Klimaschutzgesetz. Zweitens. Der Kohleausstieg kommt, und zwar nicht erst bis 2038. Die ersten zwölf GW Kohlekraft gehen bis zum Jahre 2022 vom Netz. Das ist mehr, als Jamaika je erreicht hätte, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({5}) Drittens, das ist mein letzter Punkt. Der Anteil der erneuerbaren Energien wird bis zum Jahre 2030  65 Prozent betragen; auch das ist deutlich mehr, als Sie damals unter Jamaika erreicht und vereinbart haben. Sie sehen: Wir machen konkrete Arbeit für Klimaschutz.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege, setzen Sie bitte den Punkt.

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit uns geht es voran. Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir jetzt in der Debatte fortfahren, bitte ich zuallererst einmal die Kolleginnen und Kollegen, die an unterschiedlichen Stellen des Saales stehen, Platz zu nehmen. Wir haben noch einiges in dieser Debatte zu bewältigen. ({0}) Es betrübt mich, dass offensichtlich die Gespräche so interessant und intensiv sind, dass das nicht durchdringt. – Ich bitte darum, dass auch bei den Grünen die Kollegen Platz nehmen. ({1}) Auch die Kollegen der Linken haben noch genügend freie Stühle. ({2}) – Ja. Dieser Aufruf gilt für alle Fraktionen. Ich erteile zu einer Kurzintervention der Kollegin Kotting-Uhl das Wort.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will uns alle auch nicht lange aufhalten; es ist Freitagnachmittag. ({0}) Ich werde die drei Minuten nicht ausschöpfen. Ich finde, Kollege Gremmels, bei aller Auseinandersetzung in der Sache, die ich auch gern hart führe, müssen wir redlich bleiben. ({1}) Dass Baden-Württemberg nicht mit seinem Fortschreiben der Windkraft so zurechtkommt, wie es geplant war, ist ein Fakt; das ist richtig. Ich sage auch ganz klar, dass wir auch wissen, dass es mit der SPD als Partner wahrscheinlich einfacher gewesen wäre, da weiterzufahren, als mit der Union, mit der wir jetzt in Baden-Württemberg regieren. ({2}) Aber: Der Punkt, den Sie gerade angesprochen haben, hat nun nichts mit dem Koalitionspartner in Baden-Württemberg zu tun, sondern ausschließlich mit der Politik der Bundesregierung. ({3}) Dass wir in Baden-Württemberg die Ausschreibungen nicht gewinnen können, liegt daran, dass die Ausschreibungen erstens erst in der letzten Novelle ins EEG einbezogen worden sind, und es liegt zweitens daran, dass diese Bundesregierung sich geweigert hat, ein Quotenmodell zu akzeptieren. Baden-Württemberg hat sich massiv dafür eingesetzt, dass es so eine Quote gibt. Sie haben das abgelehnt. Sie haben das nicht eingeführt. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass das nicht an der baden-württembergischen Landespolitik liegt, ({4}) sondern ausschließlich an der Bundespolitik. Da bitte ich Sie, redlich zu bleiben. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie haben sich jetzt ein Beispiel herausgepickt. Ich habe deutlich gesagt: Eines der Hauptargumente ist, dass Sie die Abstandsreglung verändert und den Mindestabstand erhöht haben, und zwar in Baden-Württemberg, wo Sie Verantwortung tragen. Das hat Ihnen kein Bundesgesetzgeber vorgeschrieben. Es lag in Ihrer eigenen Verantwortung. Das haben Sie als Grüne mitgetragen; ({0}) dann stehen Sie bitte auch dazu. Das war der erste Punkt. Zweitens. Mein Beispiel aus Hessen: In der Planungsregion, in der wir eine grüne Regierungspräsidentin haben – die einzige in Hessen –, werden am wenigsten Windvorrangflächen ausgewiesen. Auch dafür ist nicht der Bund verantwortlich. Auch dafür sind die Grünen selbst verantwortlich – in Südhessen mit einem grünen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. ({1}) Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung, und erzählen Sie uns nicht immer, was wir alles noch besser machen müssen! Wir haben viel zu tun. Wir haben es nicht immer leicht mit unserem Koalitionspartner. Das geht Ihnen ja sicherlich in Hessen und Baden-Württemberg auch so. Aber reden Sie Ihre eigene Verantwortung, die Sie als Grüne in Regierungen haben, nicht klein. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Karsten Möring für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege Gremmels, ich wusste gar nicht, dass Sie mich mit dem Satz: „Wir haben es nicht immer leicht mit unserem Koalitionspartner“, zitiert haben. Das war eigentlich eine Aussage von mir. ({0}) – Aber es ist ja immer schön, wenn zwei Leute recht haben können. ({1}) Jetzt einmal ein paar ernste Bemerkungen, vielleicht zunächst zu Herrn Hilse: Wenn Sie, Herr Hilse, sagen: „Wir akzeptieren, dass es den Klimawandel gibt, und wir akzeptieren auch, dass er sehr problematische Folgen hat“, dann ist doch die Frage, was das für eine Konsequenz haben muss. Die Konsequenz kann doch nur sein, dass das, was wir als menschengemachten Einfluss zusätzlich zur natürlichen Entwicklung – wie groß dieser ist, darüber können wir streiten – ({2}) beitragen, uns dazu verpflichtet, etwas zu tun. Warum akzeptieren Sie nicht, dass wir in diesem Bereich etwas tun müssen? ({3}) Da geht es nicht um 0,000x Prozent, sondern es geht darum, dass Maßnahmen nur etwas erreichen können, wenn sie grenzüberschreitend, international, global ergriffen werden. Dazu muss jeder sein Scherflein beitragen. ({4}) Wenn jeder nach dem Motto „An unserem Wesen kann die Welt sowieso nicht genesen; deswegen können wir ganz ungeniert leben“ handelt, kommen wir zu keinem Ergebnis. Das ist das Problem, mit dem Sie nicht zurechtkommen: Sie sitzen auf der „Titanic“ und glauben, das Schiff ist sicher. Das ist aber nicht der Fall. ({5}) Der Regierung und uns Koalitionsfraktionen wird oft vorgeworfen, wir täten nicht genug. Vor allen Dingen die Grünen machen das ja ganz besonders intensiv, aber auch von außen kommt diese Kritik. Ich darf mal daran erinnern, dass wir in den vergangenen Jahren eine Treibhausgasminderung in erheblichem Umfang erreicht haben, dass wir in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang umgesteuert haben. Wir haben bei den erneuerbaren Energien insgesamt so viel Kapazität geschaffen, dass wir den Wegfall der Kernenergie durch Erneuerbare ersetzen können. Das hat anderthalb Jahrzehnte gedauert, ({6}) und wir werden die nächsten anderthalb Jahrzehnte nutzen, den Bereich der fossilen Energieerzeugung, der Kohle, durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Das geht nicht von heute auf morgen, und das ist der Punkt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Möring, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Hilse?

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das hat sowieso keinen Sinn. Das tut er ja an anderer Stelle. Kollege Gremmels und auch Kollege Schulze haben ja auf ein paar Punkte hingewiesen und gesagt, dass es begrenzende Faktoren gibt und dass wir die Probleme, die in diesem Zusammenhang entstehen, als gestaltende politische Kraft lösen müssen. Lösen heißt nicht, Forderungen aufzustellen, sondern Lösungen anzubieten. Es geht darum, dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren eben nicht nur auf den Ausbau schauen dürfen, sondern auch dafür sorgen müssen, dass dieser Strom genutzt werden kann. Das muss im Gleichschritt passieren. Wer dazu beitragen kann, der soll dazu beitragen. Das ist in dem einen Fall der eine und im anderen Fall der andere. Es gibt Bürgerinitiativen. Die eine Regierung macht mehr, die andere macht weniger. Das will ich jetzt gar nicht vertiefen; die Einzelheiten haben wir eben intensiv diskutiert. Schönen Dank dafür, dass das auf den Tisch gekommen ist. Für uns ist Klimapolitik ein Teil der Nachhaltigkeitspolitik, und Nachhaltigkeitspolitik ist global und nicht nur national. Deshalb muss Klimapolitik auch dafür sorgen, dass wir unsere Industrie und die Arbeitsplätze, die daran hängen, erhalten können. Das heißt natürlich nicht, dass sie statisch erhalten werden müssen – das ist ein Entwicklungsprozess; das ändert sich auch –; das will ich damit gar nicht sagen. Aber der entscheidende Punkt ist: Wenn wir unsere Aluminiumindustrie wegen zu hoher Strompreise oder fehlender Strommengen kaputtmachen, dann wird Aluminium woanders produziert. Ob das dann für das Klima besser ist oder nicht – dahinter mache ich ein großes Fragezeichen. ({0}) Deshalb berücksichtigt unsere Klimapolitik diese Faktoren insgesamt. Wir brauchen einen Strukturwandel; dieser braucht Zeit. Wir müssen Arbeitsplätze sich verändern lassen. Wir müssen Industrie sich entwickeln lassen. Das muss unter einen Hut; das ist der entscheidende Punkt und die Kunst, mit der wir uns beschäftigen müssen. Wenn es jetzt darum geht, den Kohlekompromiss umzusetzen, um bei der Defossilisierung der Energieversorgung voranzukommen, dann kann ich nur jeden auffordern, dabei entscheidend mitzuwirken. 2038 ist ein letzter Termin. Wenn es uns gelingt, das Ziel vorher zu erreichen, ist es umso besser. Aber so zu tun, dass bis 2038 einfach alles so weiterläuft, ist ja falsch. Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir in Kürze mit den ersten Abschaltungen anfangen werden, bis 2030 mindestens 60 Prozent erreichen wollen und diesen Prozess insgesamt begleiten und nachsteuern wollen. Das alles ist notwendig, und das machen wir. Deswegen können wir sagen: Wir brauchen eine Zusammenschau der klimapolitischen Maßnahmen, die wir, um das Ziel zu erreichen, umsetzen müssen, aber auch um Kollateralschäden zu vermeiden. Ich will zum Thema CO 2 -Bepreisung gar nichts sagen. Das ist ein Instrument, das wir sicher brauchen werden; aber die Lenkungswirkung muss gesichert sein, und das schaffen wir nicht durch einfache Preiserhöhungen. Egal ob wir das über Steuern oder CO 2 -Abgaben machen, es muss intelligent gelöst werden, und das ist noch kompliziert genug. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um die notwendige Aufmerksamkeit auch für den letzten Redner in dieser Debatte. Das Wort hat der Kollege Klaus Mindrup für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider gilt nach dieser Debatte der Satz, den ich hier schon mehrfach geäußert habe, immer noch: Jeder hat ein Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand hat ein Recht auf eigene Fakten. ({0}) Die Fakten sind eindeutig: Wir müssen handeln. Aber die Fakten sind auch rechtlich eindeutig. Viele haben ja ein Bekenntnis zur Europäischen Union abgegeben, und die Europäische Union hat klare Regeln zum Klimaschutz. Und wenn die FDP jetzt den Emissionshandel auf andere Sektoren ausweiten will, dann ist das nichts anderes als ein Programm zur Deindustrialisierung Deutschlands. ({1}) Das bringt dem Klimaschutz überhaupt nichts. Es wird nur dazu führen, dass Industrieunternehmen aus Deutschland abziehen. ({2}) – Auch wenn Sie es mir nicht glauben: Das sind die Äußerungen der energieintensiven Industrien. Das sind die Äußerungen des BDI und der Betriebsräte, weil das System so ist. Sie wollen gleichzeitig den Links- und den Rechtsverkehr in Europa einführen. Das funktioniert nicht. ({3}) Wir haben klare Regeln bis 2030 vereinbart. Was sinnvoll ist, ist, mit der Industrie darüber nachzudenken, wie wir gemeinsam zu einer klimaneutralen Industrie kommen, die auch über das Jahr 2030, 2040 oder 2050 hinaus eine Perspektive hat. Wir müssen das mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam tun, anstatt hier so einen Nonsens zu machen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regeln der EU sind auch in anderen Bereichen gut. ({5}) Schauen Sie sich, wenn Sie über die Ferien mal Zeit haben, das von uns, der SPD, vorgelegte gute Papier für einen sozialen Klimaschutz an. ({6}) Darin steht klar, dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben wollen. Wir wollen, dass die Regeln der EU für die erneuerbaren Energien endlich angewandt werden. Millionen Menschen in Deutschland wollen, dass die bürokratischen Regeln für die dezentralen Energien, die dezentrale Photovoltaik, für die Kraft-Wärme-Kopplung, erleichtert werden. Ich kann nur wiederholen: Das sind die Baake-Hürden, die hier aufgebaut worden sind. Diese müssen verschwinden. ({7}) Wir, die SPD, sind keine Ausstiegspartei; wir sind eine Einstiegspartei. Die Zukunft liegt in den erneuerbaren Energien, weil sie berechenbar sind, was die Kosten angeht. ({8}) – Für die, die da zurufen: Die EEG-Umlage sinkt. Wir haben für die Welt die Entwicklungskosten getragen und wissen jetzt, dass die Erneuerbaren günstig sind. Gucken Sie sich doch die aktuellen Ausschreibungsergebnisse an, anstatt hier so einen Nonsens zu machen. ({9}) Geben Sie den Menschen Mut, Mut, für eine Welt einzutreten, die ökologisch, aber auch sozial und fair ist. Ich werde gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen nicht nur von der IG Metall, sondern auch von den anderen Gewerkschaften morgen auf der Straße stehen und für eine faire und soziale Transformation kämpfen. ({10}) Die SPD ist an der Seite der Kolleginnen und Kollegen; denn hier geht es um gute Arbeit, um gute und faire Löhne. Dafür muss man gemeinsam streiten. Ich lade unseren Koalitionspartner ein, gemeinsam mit den Gewerkschaften und der Privatwirtschaft hier voranzuschreiten. Dann werden wir erfolgreich sein. Danke schön. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den beiden namentlichen Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 29 c. Hierzu liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Diese nehmen wir entsprechend unseren Regeln zu Protokoll. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Beendigung des Betriebs von Kohlekraftwerken zur Stromerzeugung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/11174, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/9920 abzulehnen. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – Nach meinem Überblick haben alle Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätze eingenommen. Ich eröffne die erste namentliche Abstimmung, und zwar über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/9920. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir in der Folge noch eine namentliche Abstimmung sowie zahlreiche weitere Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt haben. Es würde uns sehr helfen, wenn diejenigen, die schon abgestimmt haben, den Bereich um die Urnen herum freimachen könnten, um den Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht abgestimmt haben, zu ermöglichen, dies jetzt zu tun. – Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Tagesordnungspunkt 29 f. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/10290 mit dem Titel „Klimanotstand anerkennen – Klimaschutz-Sofortmaßnahmen verabschieden, Strukturwandel sozial gerecht umsetzen“. Wir stimmen nun über den Antrag auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – Offensichtlich sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz. Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung, und zwar über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/10290. Für alle, die aus welchen Gründen auch immer erst jetzt zur Abstimmung kommen: Wir sind in der zweiten namentlichen Abstimmung, und zwar über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/10290. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir nach dieser namentlichen Abstimmung noch zahlreiche Abstimmungen hier im Plenum haben und dass es dem Präsidium leichter fällt, zweifelsfrei die Abstimmungsergebnisse festzustellen, wenn Sie Ihre Plätze einnehmen. So können wir dann Ihr Abstimmungsverhalten feststellen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der FDP, die daran gehindert waren, ihre Stimme so abzugeben, wie sie das eigentlich vorhatten, sich jetzt zügig die entsprechende Abstimmungskarte zu besorgen und an der Abstimmung teilzunehmen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die die Abstimmung schon absolviert haben, Platz zu nehmen, damit wir dann die folgenden Abstimmungen entsprechend durchführen können und zweifelsfrei die Abstimmungsergebnisse feststellen können. Dieser Aufruf gilt jetzt wieder ausnahmslos für alle Fraktionen. Ich stelle die Frage: Gibt es ein Mitglied des Hauses, welches seine Stimme noch nicht abgeben konnte? Dann bitte ich, das jetzt zügig zu tun. – Ich hoffe, dass alle Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Abstimmung teilnehmen wollten, den Weg in den Saal gefunden und abgestimmt haben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.  – Ich bitte Sie, die Plätze wieder einzunehmen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 29 a, 29 e, 29 g und 29 h. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/9698, 19/11094, 19/11153 und 19/11149 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 29 b. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf mit dem Titel „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 20a, 74, 106, 143h – Stärkung des Klimaschutzes)“. Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/11158, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/4522 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das sind die CDU/CSU-Fraktion, die SPD-Fraktion, die FDP-Fraktion und die AfD-Fraktion. Wer enthält sich? – Kein Abgeordneter. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 29 d. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem Titel „Aussetzung des Ausstiegs aus der Kohleverstromung, bis alternative Energien grundlastfähig sind und jederzeit bedarfsgerecht eingespeist werden können“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/11174, den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/9963 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 29 i. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 19/10761. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/7720 mit dem Titel „Deindustrialisierung Deutschlands stoppen – Ausstieg aus dem Kohleausstieg“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenommen. Wir sind noch beim Tagesordnungspunkt 29 i. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/7696 mit dem Titel „Kohleausstieg mit Verantwortung und Weitsicht – Sicher, bezahlbar und europäisch“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der AfD-Fraktion angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/7733 mit dem Titel „Nach den Empfehlungen der Kohlekommission – Jetzt Einstieg in den Kohleausstieg“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss­empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der AfD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 29 j. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Marktwirtschaftlicher und effizienter Klimaschutz – Mit weniger Geld mehr Klima schützen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/11178, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/6286 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss­empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der AfD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion ohne Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 l. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Europäische Union zur Klimaschutz-Union machen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/11188, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/9953 abzulehnen. – Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der AfD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.

Marco Wanderwitz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003655

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Thema Wohngeld spreche, möchte ich für die, die die Meldung vielleicht noch nicht über den Ticker haben gehen sehen, aus dem Bundesrat berichten. Das von der Mehrheit des Deutschen Bundestages schon vor einigen Monaten beschlossene Gesetz, mit dem wir eine Sonderabschreibungsmöglichkeit für den freifinanzierten Mietwohnungsbau eingeführt haben, ist heute endlich auch im Bundesrat beschlossen worden. ({0}) An solchen Tagen ist man geneigt, zu sagen: Gott sei Dank ist es da; reden wir nicht mehr über das Verfahren. – Das will ich auch weitestgehend tun. Ich bin dankbar, dass unser Instrumentenkasten für den Wohnungsbau nun auch dieses wichtige Element umfasst. Gleichwohl waren es verlorene Monate. Insofern hoffe ich, dass viele, die in diesen Bereich investieren wollen, um Mietwohnungen zu schaffen, sehr kleinteilig und mit einer Mietbindung für zehn Jahre, jetzt schnell investieren. ({1}) Bezahlbares Mieten und Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Das ist uns allen hier im Hause, glaube ich, bewusst. Das, was wir heute miteinander diskutieren, ist eine der Antworten der Bundesregierung, des Bundesbauministeriums auf diese große soziale Frage. Was tun wir? Was ist unser Vorschlag? Was ist der Beschluss des Bundeskabinetts? Wir beschließen eine große Novelle zum Wohngeld, schon wieder eine; die letzte war erst 2016. Sprich: Seit Langem wurde das Wohngeld nicht so schnell angepasst. Zum anderen dynamisieren wir künftig das Wohngeld. Das eigentlich Neue, der große Wurf ist, dass künftig alle zwei Jahre eine automatische Dynamisierung stattfindet. Es gibt immer wieder das Phänomen, dass nicht wenige aus dem Wohngeldbezug rausfallen, wenn die Mieten auf Einkommensniveau steigen. Künftig wird es diesen Wechsel zwischen Wohngeld und anderen Sozialleistungen nicht mehr in diesem Maße geben. Wir werden die Reichweite des Wohngeldes deutlich erhöhen. Wir rechnen mit 660 000 Empfängerhaushalten ab dem 1. Januar 2020; aktuell sind es 480 000. Sprich: Fast 200 000 Haushalte mehr kommen in den Genuss des Wohngeldes. Auch das Leistungsniveau wird sich deutlich erhöhen. Ohne Reform liegt das durchschnittliche monatliche Wohngeld derzeit bei 145 Euro für Zweipersonenhaushalte. Wir erhöhen dies um rund 30 Prozent auf künftig durchschnittlich 190 Euro. Daneben werden die Mietstufen für die Kommunen und Kreise erhöht. Es wird eine neue Mietstufe VII obendrauf gepackt, um die höheren Mieten vor allem in den angespannten Wohnungsmärkten in Zukunft besonders zu berücksichtigen. Und – auch das ist ein wichtiger Punkt – wir erhöhen den Einkommensfreibetrag für Menschen mit Schwerbehinderung auf künftig 1 800 Euro pro Jahr. Bund und Länder stocken damit die Mittel für das Wohngeld, welches wir uns ja hälftig teilen, deutlich auf. In 2020 stehen dann insgesamt 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Dynamisierung – ich habe es schon angesprochen – ist ein großer Teil unserer Antwort in Sachen bezahlbares Wohnen. Neben dem Baukindergeld, der gerade schon angesprochenen beschlossenen Sonderabschreibung für Mietwohnungsbau und der Städtebauförderung auf Rekordniveau, die wir mit den Ländern und Kommunen gerade für 2020 neu justieren, bringen wir heute mit der Wohngeldreform eine weitere Schlüsselmaßnahme der gemeinsamen Wohnraumoffensive von Bund, Ländern und Gemeinden auf den Weg ins Parlament. Ich freue mich auf das weitere parlamentarische Verfahren und hoffe bei diesem Verfahren auf die Unterstützung der Mehrheit des Deutschen Bundestages und der allermeisten Länder. Ich möchte an dieser Stelle noch sagen, dass eine weitere Maßnahme, die wir im Köcher haben und an der wir seit vielen Monaten intensiv arbeiten, nämlich die Beantwortung der Frage, wie wir das Nadelöhr Bauland ausweiten können, auf der Zielgeraden ist. In der nächsten Woche wird die Abschlusssitzung der Baulandkommission, die ich leiten darf, stattfinden. Ich bin sehr optimistisch, dass wir im Schulterschluss von Bund, Ländern und Kommunen und in nicht zu ferner Zeit im Bundestag, unter anderem im Rahmen einer großen Baugesetzbuchnovelle, die wir vorbereiten, zu guten Ergebnissen kommen werden. Ich hoffe auch dabei auf Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Udo Hemmelgarn für die AfD-Fraktion. ({0})

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum auf den Tribünen! Die Bundesregierung hat nun nach mehr als drei Jahren einen Gesetzentwurf zum Wohngeld vorgelegt, auf den es von uns als größter Oppositionspartei folgende Antwort gibt: Zu spät, zu wenig, aber besser als gar nichts. Wir werden zähneknirschend zustimmen. ({0}) Die Wohnungsnot in diesem Land ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis der katastrophalen Politik der vergangenen Jahre. Wir werden nicht zulassen, dass die Bundesregierung ihr Totalversagen in der Wohnungskrise mit einer selbstgefälligen Propagandashow überdeckt, für die der Bundestag die Bühne bieten soll. ({1}) Die Wohnungsnot hat dramatische Züge angenommen: Der Wohnungsneubau kommt überhaupt nicht nach, die Mieten steigen ins Uferlose. Opfer sind, wie so oft, die sozial Schwachen. Aber auch der früher so robuste Mittelstand kommt immer mehr in Probleme und findet sich mittlerweile immer öfter in Stadtrandsiedlungen wieder. Dort konkurriert er um Wohnraum mit vielen hier Zuwandernden und ist dabei nicht selten unterlegen; deren Lebensunterhalt darf er aber vielfach mitfinanzieren. Das ist die Realität im Deutschland des Jahres 2019, und daran wird sich auch durch die Reform des Wohngeldes nichts verändern. ({2}) Die Situation auf dem Wohnungsmarkt erfordert dringend ein entschlossenes und zielführendes Einschreiten des Staates. Wir meinen damit nicht die sozialistische Wohnbaupolitik, von der im Hause einige fantasieren; die Ergebnisse können Sie heute noch in den neuen Ländern bewundern. Das wollen wir nicht. Auch der Weg über den sozialen Wohnungsneubau führt nur zu mäßigen Ergebnissen. Dort weitere Milliarden hineinzustecken, ist unsinnig. Der bürokratische Aufwand ist unverhältnismäßig hoch. Wir meinen eine Wohnungsbaupolitik, die den Grundsätzen unserer sozialen Marktwirtschaft verpflichtet ist, eine Politik, die sich folgende Ziele setzt: erstens eine Erhöhung des Angebots, ({3}) zweitens eine Reduktion der Nachfrage und drittens eine Unterstützung sozial Benachteiligter. ({4}) Zum Ersten: die Erhöhung des Angebots. Wir fordern schon seit Langem die Abschaffung der von Ihnen installierten Wohnraumbremse. Die Privatinvestoren dürfen nicht weiter abgeschreckt werden, sondern müssen wieder ermuntert werden, auch in bezahlbaren Wohnraum zu investieren: durch die Deckelung der Grunderwerbsteuer auf maximal 3,5 Prozent, durch die Erhöhung der linearen Abschreibung auf 3 Prozent per annum, durch das Aussetzen der unsinnigen und viel zu teuren Energieeinsparverordnung und durch eine Abschaffung der Grundsteuer. ({5}) Zum Zweiten: die Reduktion der Nachfrage. Wir erleben einen Run auf Wohnungen in unseren Großstädten, dem diese in keiner Weise gewachsen sind. Deshalb müssen die unter- und überirdische Infrastruktur, die medizinische Versorgung und die sonstige Nahversorgung in den ländlichen und kleinstädtischen Regionen gestärkt werden, damit die Landflucht gestoppt wird und der ländliche Raum die Großstädte wirksam entlasten kann. ({6}) Vor allem aber müssen wir uns klarmachen, dass die rund 2 Millionen Flüchtlinge, die seit 2013 in dieses Land gekommen sind, nach und nach auf den Wohnungsmarkt drängen, und da vor allem in die Großstädte. Deshalb: Schluss mit diesem Willkommensklamauk! Schluss mit der Unterstützung von Schleppern! Schluss mit dem Import von Sofortrentnern! ({7}) Es ist unsere vornehmste Aufgabe, Menschen in Not zu helfen – aber bitte vor Ort und nicht als Import in unser Land. Man kann die Probleme des Wohnungsmarktes nicht lösen, wenn man weiterhin jedes Jahr eine mittelgroße Stadt zuwandern lässt. Zum Dritten: die Unterstützung sozial Benachteiligter. Die Mieten in unseren Städten werden immer unerschwinglicher. Eine Marktwirtschaft, die sich „soziale Marktwirtschaft“ nennt, muss in solchen Fällen unterstützend eingreifen. Die Erhöhung des Wohngeldes und die Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten sind prinzipiell der richtige Weg. Wohngeld ist im Grunde die soziale Voraussetzung einer liberalen Wohnungspolitik. ({8}) Die letzte Wohngelderhöhung gab es 2016. Seitdem ist auf dem Wohnungsmarkt viel geschehen. Bei den raschen Veränderungen im Bereich des Mietwohnens kann man doch nicht mit einer Wohngelderhöhung nach vier Jahren kommen. Die Bundesregierung erscheint alles in allem als ein politischer Minderleister, der es endlich mal geschafft hat, eine richtige Maßnahme zu ergreifen. Dafür will er natürlich ordentlich gefeiert werden. Um es klar zu sagen: Das, was die Bundesregierung hier mit der Wohngeldreform abgeliefert hat, ist das Mindeste dessen, was die Bürger erwarten können – mehr nicht. Es ist nur recht und billig, dass der Staat den Menschen hilft, die Wohnungsnot zu bewältigen, die durch desaströse Fehlentscheidungen und Versäumnisse der letzten Merkel-Regierung verursacht wurde. Aufgabe der Politik muss in jedem Falle sein, mit dafür zu sorgen, dass Wohngeld erst gar nicht notwendig wird und dass die Bürgerinnen und Bürger die Mieten von ihrem Einkommen bezahlen können. Hier sind alle Parteien im Bundestag gefordert. Abschließend wiederhole ich eine Forderung, die ich an dieser Stelle bereits mehrfach erhoben habe. Frau Bundeskanzlerin Merkel, gehen Sie einen ersten Schritt zur Bewältigung der Wohnungsnot: Nehmen Sie den Migrationsdruck von diesem Land, und sichern Sie unsere deutschen Grenzen! Vielen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulli Nissen für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass wir heute einen wichtigen Baustein für bezahlbares Wohnen auf den Weg bringen. In meinem Frankfurter Wahlkreis ({0}) ist das das Thema Nummer eins. Bezahlbares Wohnen ist eine wichtige Forderung der Nachhaltigkeitsziele 2030, der SDGs, denen wir uns verpflichtet haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Im Februar haben wir im Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen beschlossen, dass wir die Wohngeldreform noch vor der sitzungsfreien Zeit im Sommer in das Parlament einbringen wollen. Mit der heutigen Einbringung des Entwurfs eines Wohngeldstärkungsgesetzes haben wir eine Punktlandung hingelegt. Dafür danke ich ganz herzlich all denjenigen, die daran mitgearbeitet haben. Danke schön! ({2}) Unser Ziel ist klar: Mehr bezahlbarer Wohnraum muss her. Dafür brauchen wir ein Zusammenspiel aus mehr Investitionen, sozialem Wohnungsbau und zielgenauen Änderungen im Mietrecht und in der Sozialpolitik. Das Wohngeld erfüllt eine entscheidende sozialpolitische Funktion, die wir durch den heute vorgelegten Gesetzentwurf stärken. Mit dem Wohngeldstärkungsgesetz werden ab dem 1. Januar 2020 mehr Haushalte mehr Wohngeld erhalten. Im Durchschnitt erhöht sich das Wohngeld um etwa 30 Prozent. Mit dieser Information habe ich am Wochenende eine junge Frau aus Frankfurt, die dringend auf das Wohngeld angewiesen ist, glücklich gemacht. Es freut einen im Augenblick insbesondere als SPD-Politiker, auch glückliche Gesichter bei den Wählerinnen und Wählern zu sehen. ({3}) Vom Wohngeld profitieren 660 000 Menschen in unserem Land. Darunter sind rund 180 000 Haushalte, die dann erstmals oder wieder Wohngeld erhalten. Ein Zweipersonenhaushalt bekam bisher – ohne Reform – durchschnittlich 145 Euro pro Monat. Mit unserer Reform sind es jetzt etwa 190 Euro Wohngeld – eine deutliche Steigerung. Erstmals wird das Wohngeld dynamisiert. Dafür haben wir uns von der SPD auch intensiv eingesetzt. ({4}) Das Wohngeld wird jetzt regelmäßig alle zwei Jahre an die eingetretene Miet- und Einkommensentwicklung angepasst. Das ist ein echter sozialpolitischer Fortschritt. Damit sichern wir die mit der Wohngeldreform im Jahr 2020 erreichte Entlastungswirkung des Wohngeldes auch für die kommenden Jahre. Weniger Haushalte werden dadurch zwischen Wohngeld und Arbeitslosengeld II sowie Sozialhilfe hin- und herwechseln. Des Weiteren werden die Höchstbeträge, bis zu denen die Miete bezuschusst werden kann, jetzt regional gestaffelt angehoben. Durch die Einführung einer neuen Mietenstufe VII können höhere Mieten in angespannten Wohnungsmärkten berücksichtigt werden. Mietenstufe VII erhalten nun 38 Kreise und Gemeinden mit einer Abweichung des Mietniveaus von etwa 35 Prozent und höher gegenüber dem Bundesdurchschnitt. Bisher liegen – ganz zufällig – von 38 Gemeinden mit Mietstufe VII  33 in Bayern. In Hessen gibt es nur eine Kommune; aber das ist nicht mein Frankfurter Wahlkreis. Auf diese Einstufungen werden wir sicherlich im Rahmen der weiteren Beratungen eingehen. Der Gesetzentwurf sieht außerdem die Erhöhung des seit 1990 nicht mehr angepassten Einkommensfreibetrages für Menschen mit einer Schwerbehinderung von 1 500 auf 1 800 Euro jährlich vor. Das war dringend erforderlich. Ich freue mich, dass nun die weiteren Beratungen zum Gesetzentwurf beginnen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich für eine Klimakomponente beim Wohngeld einsetzen. Damit soll der Zugang zu Wohnungen mit höherem energetischem Standard für einkommensschwächere Haushalte unterstützt werden. Wir wollen auch das Problem der nordfriesischen Inseln angehen. Diese erhalten stets die niedrigste Mietenstufe, weil sie einem Kreis auf dem Festland zugeordnet werden. ({5}) Das bildet aber nicht das tatsächliche Mietenniveau auf den Inseln Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge ab. Wir planen im September eine öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2020 in Kraft treten. Das wird ein guter Tag für etwa 660 000 Haushalte. Ich möchte mich bei meinem Praktikanten Silvan Spohr bedanken, der hier auf der Tribüne sitzt. Er hat mich in den letzten Wochen toll unterstützt. Ich wünsche Ihnen und uns allen eine wunderbare sitzungsfreie Sommerzeit! Ich danke Ihnen. ({6})

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit exakt 469 Tagen ist Horst Seehofer Bundesbauminister. 469 Tage! Ich erwähne das deshalb, weil wir heute das erste federführende Gesetz aus dem Bauministerium zum bezahlbaren Wohnraum beraten. Das erste Gesetz – nach 469 Tagen! Es tut mir leid, aber das ist sehr spät, eigentlich ist es schon viel zu spät. Es wird der Brisanz und der Entwicklung auf dem Mietwohnungsmarkt nicht gerecht. ({0}) Den Menschen in unserem Land steht bei den Wohnkosten das Wasser bis zum Hals. Die Mieten gehen hoch. Auch die Kosten fürs Eigenheim steigen munter weiter, trotz allem Baukindergeld, aller Strohfeuer, AfA und des ganzen Regulierungswahns. Wir kommen nicht voran. Obendrein verfehlt die Bundesregierung auch noch ihre selbstgesteckten Wohnungsbauziele. Dabei wäre eine Bauoffensive mehr als dringend notwendig. ({1}) Es fehlen nach 469 Tagen im Amt immer noch Millionen Wohnungen in Deutschland. Deswegen steigen die Mieten und die Preise. Wohnen wird aber erst wieder für alle bezahlbar, wenn wir mehr bauen, wenn wir schneller bauen, wenn wir günstiger bauen. Das muss oberste Priorität haben. Alles andere ist Globulipolitik. ({2}) Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Wohnungen, die wir brauchen, nicht bis morgen gebaut sind. Deswegen müssen wir die Menschen, die sich die Mieten nicht leisten können, unterstützen. Ich sage ganz bewusst, die Menschen ; denn wir als FDP wollen das Geld nicht in Beton gießen, wie alle anderen Parteien. Das Wohngeld ist grundsätzlich eine gute Idee, weil es treffsicher denjenigen hilft, die wirklich Hilfe brauchen, weil es den Menschen hilft, in ihren Wohnungen, ihren angestammten Vierteln zu verbleiben, statt sie in Sozialsiedlungen an den Stadtrand zu treiben. ({3}) Mit dieser Reform nach 469 Tagen gehen Sie in die richtige Richtung. Aber das Wohngeld hat noch viele Probleme. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir anfangen, darüber zu beraten. Aber es ist auch mehr als überfällig. Seit Jahren drängen wir Freie Demokraten auf ein höheres und ein stärkeres Wohngeld und – was noch viel wichtiger ist – auf eine automatische Anpassung des Wohngelds; denn das Wohngeld ist momentan viel zu starr. Wer eine kleine Gehaltserhöhung bekommt, überschreitet schnell die Berechtigungsgrenze für Wohngeld, hat aber am Ende weniger übrig. Das ist ein Riesenkonstruktionsfehler, und das ist leistungsfeindlich. ({4}) Deswegen bin ich wirklich froh, dass es die automatische Erhöhung auf unseren Druck hin in die Wohngeldreform geschafft hat. ({5}) – Nein, werter Kollege Kühn. Ich gestehe den Grünen zu, dass auch ihr erkannt habt, wie wichtig eine automatische Anpassung ist. Aber euch gelingt nicht immer, so etwas zu erkennen. ({6}) Was nach wie vor ein großes Problem beim Wohngeld ist, ist der bürokratische Wahnsinn. Insbesondere bei denen, die sich am unteren Ende des Wohngelds bewegen, wo der Übergang zu den anderen Sozialleistungen fließend ist, kommt es regelmäßig zum Transferleistungs-Hopping. Plötzlich muss man sich alle zwei Jahre mit immer neuen Formularen herumschlagen, obwohl sich eigentlich an der Lebenssituation nichts geändert hat, was ja schon schlimm genug ist. Genau dieses Transferleistungs-Hopping und diese bürokratische Belastung der Menschen wollen wir Freie Demokraten ändern. Deswegen sagen wir: Wir müssen alle staatlichen Transferleistungen zu einem liberalen Bürgergeld zusammenfassen; ({7}) denn gerade das liberale Bürgergeld ist unbürokratisch, es ist leistungsfreundlich, und es ermöglicht allen, die Hilfe brauchen, ein selbstbestimmtes Leben. Deswegen würde es das Leben der Menschen wirklich erleichtern. Ich bitte Sie um Unterstützung für den grundsätzlichen Umbau unseres sozialen Transfersystems hin zu einem liberalen Bürgergeld, damit wir die Menschen genau da unterstützen, wo sie Hilfe brauchen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mietenexplosion in unseren Städten ist mittlerweile an einem Punkt angekommen, wo quasi jede erstrittene Lohnerhöhung von den steigenden Mieten aufgefressen wird. In den 20 Städten mit dem stärksten Mietenanstieg sind die Mieten fast doppelt so schnell gestiegen wie der Bundesdurchschnitt der Einkommen. Kein Wunder, dass es für Geringverdienende und auch für Durchschnittsverdienende in den Großstädten und in den Metropolen kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt. Kolleginnen und Kollegen, das muss uns Angst machen. Diese Entwicklung macht unsere Stadtgesellschaften kaputt; sie spaltet unsere Gesellschaft. Es macht Perspektiven von Menschen zunichte, und es kann im schlimmsten Falle ganze Existenzen zerstören. Deshalb sagt Die Linke: Die Spekulation mit Wohnraum muss endlich beendet werden! Die Löhne müssen rauf, und es braucht einen bundesweiten Mietendeckel! ({0}) Die aktuelle Wohnungsnot ist nicht vom Himmel gefallen, sondern sie wurde durch den Niedergang des sozialen Wohnungsbaus regelrecht heraufbeschworen. ({1}) Wohnungen im öffentlichen Besitz wurden privatisiert, der Bund hat sich aus der Finanzierung herausgezogen. So hat sich der Bestand sozial gebundener Wohnungen zwischen 2002 und 2017 von 2,5 Millionen auf 1,2 Millionen halbiert. Er hat sich halbiert! Der Rückgang wird weitergehen, weil der Bund auch heute nicht genügend investiert. Das größte Problem ist doch, dass hier einfach viel zu wenig passiert. ({2}) Dieser selbst produzierte und selbst verschuldete Mangel an günstigem Wohnraum hat gleichzeitig zu einer regelrechten Kostenexplosion bei der sogenannte Subjektförderung geführt, also bei der finanziellen Unterstützung einkommensarmer Menschen bei den Wohnkosten. Heute müssen Bund, Länder und Kommunen rund 1,1 Milliarden Euro jährlich dafür ausgegeben. Das ist eine unglaubliche Zahl. Eines ist klar: Solange es die Große Koalition nicht schafft, für ausreichend bezahlbare Wohnungen zu sorgen, sind Bund und Länder in der Pflicht, das Wohngeld so zu gestalten, dass auch Menschen mit geringem Einkommen eine reelle Chance auf dem Wohnungsmarkt haben. ({3}) Die von der Bundesregierung geplante Anpassung des Wohngeldes ist noch viel zu passiv und zu gering. Das Wohngeld muss erhöht, muss ausgeweitet und muss jährlich angepasst werden. Es muss sich aus den real zu zahlenden Wohnkosten ableiten, muss also auch die Heizungs- und Warmwasserkosten einbeziehen. Der Kreis der Anspruchsberechtigten muss ausgeweitet werden. Wir sagen: Wer Anrecht auf eine Sozialwohnung hat, soll auch Wohngeld erhalten können. ({4}) Und: Kein Wohngeldhaushalt soll mehr als die zumutbaren 30 Prozent des Einkommens für die Bruttowarmmiete ausgeben müssen. Aber eines ist doch offensichtlich: Die Probleme auf dem Wohnungsmarkt, die heute die Erhöhung des Wohngeldes so ungeheuer dringend machen, lassen sich auf diesem Wege jedoch gar nicht ursächlich beheben. Die Erhöhung des Wohngeldes ist ja nur eine Kompensation von zu wenig bezahlbarem Wohnraum. Volkswirtschaftlich sinnvoll und nachhaltig wäre es ja genau anders herum, nämlich dafür zu sorgen, dass Löhne, Gehälter und auch Transferleistungen schlichtweg zum Leben ausreichen, weil nämlich genug sozial geförderter und bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist und weil die Mieten nicht mehr steigen. Das wäre doch eigentlich der richtige Weg, Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Statt also am Ende auch noch die steigenden Mieten der großen Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia oder Patrizia zu bezuschussen, sollte die Regierung lieber einmal damit beginnen, wirklich und nachhaltig in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Die Linke fordert: Jährlich 10 Milliarden Euro für ein öffentliches Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild. Wir brauchen einen Neustart im sozialen Wohnungsbau.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Gohlke, ich habe die Uhr angehalten. Die Frage war, ob Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Mindrup zulassen?

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das war jetzt mein letzter Satz, deswegen nicht mehr. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Chris Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Letzte Woche hat die Universität Bonn eine Studie vorgelegt, die sich mit den Auswirkungen des Immobilienbooms in Deutschland beschäftigt. Diese Studie hat, finde ich, sehr krasse Zahlen gezeigt: Die Vermögen der 10 Prozent reichsten Deutschen sind aufgrund dieses Immobilienbooms um 1,5 Billionen Euro gestiegen – das ist eine krasse Zahl –, demgegenüber sind die Wohnkosten derjenigen 20 Prozent, die in unserem Land die geringsten Einkommen haben, massiv gestiegen und explodiert. Der Immobilienboom der letzten zehn Jahre macht die Reichen in diesem Land reicher und die Armen ärmer, wegen der Mietenexplosion. Im Augenblick spaltet sich dieses Land genau an dieser Vermögens- und Verteilungsfrage. Die Mietenexplosion ist der Spaltpilz dieser Gesellschaft. Ich kann nicht verstehen, dass diese Bundesregierung nicht handelt. ({0}) Sie tun so, als ob Sie die Dinge einfach so weiterschreiben können. Das reicht einfach nicht aus. Das ist auch bei dem heute vorliegenden Gesetzentwurf für ein Wohngeldgesetz der Fall. Wenn man sich diese Studie anschaut, dann hofft man, dieser Gesetzentwurf könnte eine Antwort auf die Probleme sein. Aber das ist er nicht. Dieses Wohngeldgesetz, das prophezeie ich Ihnen, wird genauso verpuffen wie die Wohngeldnovelle 2015, weil Sie die Grundfehler der alten Novelle wiederholen, außer einem, und darauf möchte ich jetzt eingehen. Die Dynamisierung ist gut. Sie als Große Koalition tun jetzt so, als ob Sie das erfunden und das Problem jetzt erkannt und gelöst haben; aber das ist nicht der Fall. Bei der Wohngeldnovelle 2015 haben die Sozial- und Wohlfahrtsverbände gesagt: Das muss sich ändern. – Die Mieterinitiativen haben gesagt: Das muss sich ändern. – Wir in der Opposition haben gesagt: Das muss sich ändern. – Es ist aber an der alten Großen Koalition gescheitert. ({1}) Dass Sie es jetzt reingeschrieben haben, kommt leider vier Jahre zu spät. ({2}) Ihre Berechnungsmethode ist angesichts dessen, was auf den Wohnungsmärkten passiert, überhaupt nicht ausreichend. Sie nehmen den Durchschnitt aller Wohngeldhaushalte und errechnen daraus die neuen Wohngeldstufen. Sie müssten die Durchschnittsmieten in den Städten nehmen und daraus die neuen Wohngeldstufen errechnen, ({3}) dann hätten Sie einen größeren Bezieherkreis, und dann wäre es wirklich eine Antwort auf die Mietenexplosion. Dass Sie angesichts von Fridays for Future und der Proteste von Mieterinnen und Mietern auf den Straßen in Berlin und in vielen anderen Städten in Deutschland nicht in der Lage sind, hier eine Klimakomponente einzuführen, zeigt doch, dass Sie es nicht hinbekommen, Klimaschutz und Wohnen miteinander zu verbinden und diese beiden Großthemen miteinander zu verzahnen. ({4}) Sie haben in dieser Wahlperiode einige Schritte für eine Klimakomponente auf den Weg gebracht. Das Bauministerium hat ja bereits Gutachten auf den Weg gebracht, ein Planspiel gemacht. Ich verstehe nicht, warum Sie das nicht einfach umsetzen. ({5}) Ich verstehe es beim besten Willen nicht, und Fridays for Future und die Menschen da draußen verstehen auch nicht, dass Sie auch hier beim Klimaschutz versagen. ({6}) Jetzt zur Reichweite, Herr Wanderwitz. Wissen Sie, wie viele Wohngeldempfängerinnen und Wohngeldempfänger es 2010 in Deutschland gab? 1 Million. Jetzt sagen Sie: Wir erhöhen die Reichweite massiv auf 60 000. Seit 2010 haben wir in den Städten eine Mietenexplosion. Das zeigt doch: Dieser Empfängerkreis ist mitnichten einer, der die sozialen Probleme beim Wohnen löst. Deswegen brauchen wir eine andere Berechnungsmethode. Deswegen ist es Augenwischerei, was Sie heute hier zur Reichweite dieser Novelle gesagt haben. ({7}) Sie kochen das Wohngeld weiter auf Sparflamme. Wenn Sie damit weitermachen und das das Einzige bleibt, was Sie in Richtung soziale Gerechtigkeit beim Wohnen tun, dann ist das erbärmlich, dann ist das keine Absicherung des Grundrechtes auf Wohnen. Dagegen werden wir hier im Parlament die Stimme erheben. Danke schön. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Karsten Möring das Wort. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes auch von meiner Seite einen Dank an den Bundesrat, dass er es endlich geschafft, die Sonder-AfA zu verabschieden. Das ist zwar heute nicht unser Thema; aber wir können jetzt einmal feststellen, dass wir bei der Wohnungsfrage auf mehrere Säulen setzen. Wir haben den sozialen Wohnungsbau mit erheblichen Mitteln ausgestattet, die wir vom Bund in die Länder bringen, die Länder geben noch etwas dazu. Wir haben die Förderung im bezahlbaren Mietwohnungsbau ein Stück vorangebracht. Heute reden wir über die individuelle Komponente, nämlich über das Wohngeld. Ich will die Zahlen, die der Kollege Wanderwitz und meine Kollegin Nissen vorhin im Detail schon ausgebreitet haben, gar nicht wiederholen, sondern auf den Kern des Problems ({0}) kommen und sagen: Das Wohngeld ist eine flexible Möglichkeit, auf die Situation am Wohnungsmarkt zu reagieren. Das, was wir mit der Erhöhung der Reichweite und der Erhöhung des Betrages gemacht haben, ist eine deutliche Verbesserung gegenüber der bisherigen Situation. Dazu gehört auch die Dynamisierung, das heißt die Anpassung alle zwei Jahre. Unterstellt, dass sie im Bestand mieten, bedeutet das für den Großteil der Wohngeldempfänger tatsächlich eine deutliche Verbesserung. Die Mietsteigerungen sind im Wesentlichen, abgesehen von den regionalen Hotspots, im Bereich der Neuvermietung. So profitiert von dieser Wohngelderhöhung in der Tat eine große Zahl von Mietern, deren Situation sich auch als Bestandsmieter verbessert. Ich bin der Kollegin Connemann sehr dankbar, dass sie uns auf das besondere Problem der Inseln hingewiesen hat. Meine Kollegin Nissen hat es vorhin schon angesprochen: Wir haben uns nur sehr kurz abgestimmt und verabredet, dass wir hierfür im Beratungsprozess eine Regelung finden werden, die die Sondersituation auf diesen Inseln berücksichtigt. Der Bundesrat hätte gerne eine Länderöffnungsklausel. Die sehen wir kritisch; aber wir wollen die Gemeinden, wo die Bewohner keine ernsthafte Alternative zum Ausweichen haben, wenn Mieten zu hoch sind, wie das bei den Inseln ohne Festlandanbindung der Fall ist, in einer Sonderregelung berücksichtigen. Das halten wir für unbedingt notwendig. ({1}) Auf die anderen Fragen ist schon hingewiesen worden. Die Mietstufe VII ist eine Reaktion auf die veränderte Struktur unserer Miethöhen. Die Erhöhung und die Ausweitung der Reichweite erlauben ein flexibles Reagieren auf die Situation. Zum Antrag der FDP möchte ich nur eines sagen: Wir wissen, dass viele Wohngeldberechtigte gar kein Wohngeld beantragen. „Die Zeit“ hat neulich eine Untersuchung gemacht und versucht, zu analysieren, welche Gründe dafür vorliegen, und hat als einen Grund genannt, dass viele Menschen meinen, Wohngeld habe irgendetwas mit Hartz IV zu tun. Wohngeld ist eine völlig andere Kategorie. Wenn wir aber wissen, dass zu wenige das in Anspruch nehmen, obwohl sie berechtigt sind, dann muss es unser gemeinsames Interesse sein, dieses Instrument stärker einzusetzen und bekannt zu machen. Wir können nicht einfach nur die PS erhöhen, wir müssen sie auch auf die Straße bringen, um mit diesem Bild zu arbeiten. Das muss unsere gemeinsame Anstrengung sein, auf kommunaler Ebene, die es weitgehend umsetzt, aber auch von uns, indem wir die Menschen darauf aufmerksam machen. ({2}) – Ich habe noch nie von liberalem Geld gehört, Herr Kollege. – Also, wir werden das machen. ({3}) Letzter Satz dazu. Wenn die Länder bei dieser Erhöhung vom Bund gerne einen höheren Anteil haben wollen, dann sage ich: Die Länderhaushalte sind genauso gut wie der Bundeshaushalt in der Lage, diese Mehrkosten zu tragen. Was sie dort mitfinanzieren, ist dann im SGB-Bereich in den Kommunen nicht notwendig. Deswegen bleibt es bei der paritätischen Finanzierung in diesem Gesetz. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Bernhard Daldrup für die SPD-Fraktion. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir zunächst, zu sagen: Herr Hemmelgarn, wer so postet wie Sie, der sollte nicht von selbstgefälliger Selbstdarstellung reden. Halten Sie sich einfach zurück! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Wohngipfel fand im September des letzten Jahres statt. Wir haben insgesamt 30 ganz unterschiedliche Maßnahmen für den Wohnungsbau, die Sicherung der Bezahlbarkeit des Wohnens, die Senkung der Baukosten sowie zur Fachkräftesicherung beschlossen. Zusammen mit dem Wohngeldstärkungsgesetz, das der Staatssekretär zu Beginn der Debatte vorgestellt hat, zeigen die Maßnahmen: Die Große Koalition liefert im Bereich des Wohnens. Sie liefert konkrete Ergebnisse. ({1}) – Ja, das ist garantiert so, Herr Föst. – Dazu gehören viele Maßnahmen der Objektförderung, beispielsweise der soziale Wohnungsbau, aber eben auch die sogenannte Subjektförderung, also die konkrete Unterstützung von Mieterinnen und Mietern. Das ist für uns kein Gegensatz, sondern das sind korrespondierende Maßnahmen. ({2}) Es freut mich, dass es echte Fortschritte gibt. Wir haben die Erhöhung des Wohngeldes beim Wohngipfel versprochen, und wir halten unser Wort. Das soziale Netz hält. Mit der Umsetzung der Wohngeldnovelle sorgen wir dafür, dass mehr Menschen mehr Wohngeld bekommen. Auf die Zahlen ist im Einzelnen schon hingewiesen worden. Zuerst ist das Wohngeld seinerzeit von Frau Dr. Hendricks als zuständiger Ministerin angepasst worden. Seit dieser Zeit sind die Mieten in vielen Regionen deutlich gestiegen. Es ist also höchste Zeit, das Wohngeld anzupassen; denn mehr Wohngeld bedeutet auch mehr soziale Sicherheit für die betroffenen Menschen. ({3}) Wir reden oft über Bürgerinnen und Bürger, die trotz Arbeit zu wenig verdienen, um sich eine gute Wohnung leisten zu können oder von jenen, die aus ihrem gewohnten Umfeld möglicherweise vertrieben werden, über ältere Menschen, die ein langes, hartes Arbeitsleben hinter sich haben und mit einer Rente auskommen müssen, die ihnen nach Abzug der Miete zu wenig für ein gutes Leben übrig lässt. In Zahlen bedeutet das: Von der nun auf den Weg gebrachten Wohngeldreform profitieren 660 000 Haushalte – das ist schon eine Menge –; knapp 200 000 Haushalte werden durch die Reform neu oder wieder einen Anspruch auf Wohngeld erhalten. Rund 20 000 Wohngeldhaushalte würden ohne Reform Ende 2020 auf die Grundsicherung für Arbeitslose, also auf Leistungen des SGB II, angewiesen sein. Weitere 5 000 Haushalte kommen raus aus der Sozialhilfe, also aus dem SGB XII, und erhalten Wohngeld. Hinter diesen Zahlen stehen Zehntausende Menschen. Insofern ist die Novelle auch eine bedeutende Sozialreform dieser Wahlperiode. Mit der jetzt erstmals festgelegten Dynamisierung des Wohngeldes passen wir das Wohngeld automatisch alle zwei Jahre an die Miet- und Einkommensentwicklung an. Nun kann man sagen: Das muss jährlich passieren. – Wenn wir uns für eine jährliche Anpassung entschieden hätten, hätten Sie wahrscheinlich eine halbjährliche Anpassung vorgeschlagen. Das ist ein merkwürdiger Wettbewerb. Chris Kühn, dass Bündnis 90/Die Grünen die Dynamisierung erfunden haben: Darauf ist vorher noch niemand gekommen? Das ist eine neue Erkenntnis für mich. Aber manchmal nimmt man etwas für sich in Anspruch. Das ist irgendwie auch beeindruckend. Jedenfalls nehmen wir Zehntausenden Menschen, die Angst haben, zwischen den Systemen hin- und hergeschoben zu werden – es ist richtig, was der Herr Föst da gesagt hat –, diese Angst. Wir beenden den Drehtüreffekt. Wir stärken damit Menschen mit niedrigen Einkommen auf dem Wohnungsmarkt den Rücken. Das wollen wir auch. ({4}) Das war eine zentrale Forderung der SPD. Das Wohngeld trägt die Handschrift der SPD. Wir wissen, dass viele Menschen dringend auf mehr Wohngeld angewiesen sind. Wir wollen sie nicht länger warten lassen. Die Reform des Wohngeldes ist deshalb nötig. Sie rückt jetzt in greifbare Nähe. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass sie möglichst schnell wirksam wird! Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich bedanke mich für die Rede und erteile als voraussichtlich letzter Rednerin in dieser Debatte der Kollegin Emmi Zeulner das Wort. ({0})

Emmi Zeulner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute erstmalig das Wohngeldstärkungsgesetz beraten; denn dieses Gesetz wird für viele Haushalte in Deutschland positive Auswirkungen haben. Mit dem Wohngeldstärkungsgesetz wird zum 1. Januar 2020 das Wohngeld angepasst, verbessert und erhöht. Hiermit wird eine weitere Maßnahme vom Wohngipfel 2018 umgesetzt – der Baukasten, den wir zu Beginn der Legislatur erstmalig gemeinsam mit den Ländern und Kommunen vereinbart haben. Denn in den vergangenen Jahren sind die Mieten und Verbraucherpreise deutlich gestiegen, und deswegen ist eine Anpassung des Wohngeldes dringend geboten, um die Bezahlbarkeit des Wohnens für einkommensschwache Haushalte auch in Zukunft zu sichern. Dabei muss klar das langfristige Ziel sein, dass wir ausreichend Wohnungen im bezahlbaren Segment haben. Auch daran arbeiten wir. ({0}) Von unserer Reform werden also 660 000 Haushalte profitieren, da die Wohngeldleistungen im Durchschnitt um 30 Prozent erhöht werden. So wird zum Beispiel ein Zweipersonenhaushalt – die Kolleginnen haben es angesprochen –, der ohne Reform im Jahr 2020  145 Euro erhalten hätte, nun mit Reform voraussichtlich 190 Euro erhalten. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei unserem Bundesbauminister Horst Seehofer und den zuständigen Referenten im Ministerium bedanken, die hier einen guten Gesetzentwurf vorgelegt haben und auch unserem Wunsch, uns den Entwurf für das Wohngeldstärkungsgesetz im ersten Halbjahr 2019 vorzulegen, nachgekommen sind. Genau das hatten wir als CDU/CSU und SPD in unserem Entschließungsantrag Anfang des Jahres gefordert. Wir haben unser Versprechen also gehalten. ({1}) Mit dem Wohngeld, das zur Subjektförderung gehört, bei der eine Person gefördert wird, haben wir ein sehr zielgerichtetes Instrument, das es einkommensschwachen Haushalten ermöglicht, ihre Wohnkosten selbst zu tragen. Gerade diese zielgenaue Unterstützung bedürftiger Haushalte halte ich für sinnvoll, da es hier nicht wie zum Beispiel bei einem allgemeinen Mietendeckel zu Mitnahmeeffekten kommt und in der Konsequenz weniger gebaut wird. Gemeinsam mit dem sozialen Wohnungsbau, der Bestandteil der Objektförderung ist – es wird hier der Bau des Gebäudes gefördert –, haben wir einen guten Zweiklang gefunden, um den Menschen bezahlbaren Wohnraum zu ermöglichen. Ich freue mich, dass wir nach der Erhöhung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau nun konsequenterweise auch das Wohngeld weiter verbessern. Blickt man in den Gesetzentwurf, stellt man fest, dass für uns vier Punkte wesentlich sind. Erstens. Wir heben die Mietobergrenzen an. Zweitens. Die Parameter der Wohngeldformel werden an die heutige Zeit angepasst. Drittens. Es wird eine neue Mietstufe VII für Ballungsgebiete mit einem besonders hohen Mietniveau eingeführt. Und viertens wird das Wohngeld dynamisiert; sprich: Alle zwei Jahre erfolgt eine automatische Anpassung. Durch diese Maßnahmen erreichen wir mehr Haushalte und reagieren auch auf den Megatrend der Urbanisierung, zum Beispiel im Raum München, damit Menschen in ihrem vertrauten Wohnumfeld bleiben können. Neben diesen grundlegenden Regelungen möchte ich gerne noch einen weiteren Punkt hervorheben. So werden für verschiedene Gruppen Beträge, die nicht mit dem Wohngeld verrechnet werden, erhöht oder sogar neu eingeführt. Der Einkommensfreibetrag für Menschen mit einer Schwerbehinderung wird beispielsweise von 1 500 Euro auf 1 800 Euro jährlich angehoben. Hier gab es seit 1990 keine Anpassung mehr. Deswegen war das dringend geboten. Auch für pflegebedürftige Menschen, die den Unterhalt, den sie von ihren Angehörigen erhalten, für eine Pflegeperson verwenden, gibt es nun einen höheren Einkommensfreibetrag, nämlich von 6 540 Euro jährlich. Hiermit reagieren wir auf die Kostensteigerungen im Pflegebereich. Erstmalig werden auch Geldleistungen insbesondere von gemeinnützigen Organisationen, zum Beispiel von Stiftungen, aber auch von natürlichen Personen berücksichtigt. Es gibt nun einen Einkommensfreibetrag von 480 Euro jährlich. Hiermit setzen wir ein klares Zeichen, dass wir bürgerschaftliches Engagement gerade für Geringverdiener ausdrücklich unterstützen. Ich freue mich auf eine gute Diskussion in den nächsten Monaten und hoffe auf gute Beratungen, um das Gesetz mit dem nötigen parlamentarischen Schliff zu versehen. Vielen herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/10816, 19/10752 und 19/11107 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Liebe Handwerker! Ich freue mich, dass wir uns heute wieder über das Handwerk unterhalten. Der Gesetzentwurf der AfD sieht vor, die Meisterpflicht für sämtliche Gewerke wieder einzuführen und die Handwerksnovelle von 2004 rückgängig zu machen. Wir haben es am Mittwoch bei der Expertenanhörung im Ausschuss gehört: Die Abschaffung der Zulassungspflicht war der Bruch mit einer bewährten Tradition. ({0}) Herr Schwannecke vom ZDH sprach sogar davon, dass hier ein Band zerschnitten wurde, und zwar ein Band, das sicherstellte, dass Wissen über Jahrhunderte bewahrt und weitergegeben wurde, dass Meister sich verpflichtet fühlten, junge Gesellen aus der nächsten Generation auszubilden, ein Band, das Garant war für Qualität, Leistung und Reproduktion. ({1}) Dieses Band wurde zerschnitten, wie der Experte sehr richtig sagte. Wir haben auch gehört, dass es infolgedessen zu massiven Verwerfungen im Handwerk kam. Das sehen viele Handwerker im Übrigen genauso. Anfang Juni gab es eine Anhörung der Wirtschaftsvertreter im Wirtschaftsministerium. Da wurde bestätigt, dass es massive Fehlentwicklungen gab. Von 32 Gewerken, die dort anwesend waren, unterstützten 29 die Forderung nach der Wiedereinführung der Meisterpflicht. Sie begründeten das mit Qualitätssicherung, Fachkräftesicherung, Ausbildungssicherung und Verbraucherschutz – und Kulturgutschutz. Das hören Sie natürlich nicht so gerne; angeblich haben wir ja keine eigene Kultur jenseits unserer Sprache. In jedem anderen Land würde man sich mit so einer Aussage bis ans Lebensende für alle öffentlichen Ämter disqualifizieren. ({2}) Aber in der BRD ist es anders. Da haben Sie ja Glück gehabt, Frau Özoğuz. ({3}) Es ist aber meiner Ansicht nach ein wichtiger Punkt, der in diesen Debatten viel zu selten berücksichtigt wird, dass das Handwerk sehr eng mit unseren kulturellen Werten verwoben ist. Wo wir gerade bei Kultur und Sprache sind: Lassen Sie uns doch wenigstens unsere Begriffe, die sich seit Jahrhunderten etabliert haben! Warum soll der Meister jetzt in „Bachelor professional“ umbenannt werden? Wenn doch – angeblich – unsere Sprache unser einziges Kulturgut ist, dann lassen Sie uns doch wenigstens dieses. ({4}) Die Anhörung im Ausschuss am vergangenen Mittwoch fand übrigens auf Anregung der AfD statt; das soll hier nicht unerwähnt bleiben. Die Kollegen der anderen Parteien sind ja inzwischen auch sehr eifrig dabei, sich zum Handwerk zu bekennen. Das ist eine interessante Entwicklung, wenn man bedenkt, dass das Handwerk im Jahreswirtschaftsbericht 2018 mit keiner einzigen Silbe erwähnt wurde. Wie groß das Interesse des Wirtschaftsministers am Handwerk ist, sieht man: Herr Minister Altmaier glänzt heute wieder mal durch Abwesenheit. ({5}) 15 Jahre lang haben Sie die Nöte der Handwerker ignoriert, und jetzt tun Sie so, als wären Sie schon immer die Fürsprecher des Handwerks im Bundestag gewesen. Das ist wirklich lächerlich. Die Rückkehr zur Meisterpflicht wurde uns in den letzten Jahren immer als unrealistisch verkauft. Es wurde der Anschein erweckt, die EU-Gesetzgebung stehe im Weg; es sei irgendwie europafeindlich, ein eigenes Ausbildungssystem zu haben. Das wurde am Mittwoch aber entschieden widerlegt. Die Botschaft des Experten war eindeutig: Verfassungs- und europarechtlich ist die Wiedereinführung überhaupt kein Problem. Qualitätssicherung und Verbraucherschutz gelten in der EU-Gesetzgebung als legitimer öffentlicher Zweck. Jetzt haben wir es also schwarz auf weiß in diesem Gutachten von Professor Dr. Burgi von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat außerdem betont, dass es vom juristischen Standpunkt her relativ unkompliziert ist, diese Gesetzesänderung vorzunehmen. ({6}) Auf die Anträge der anderen Fraktionen gehe ich jetzt gar nicht länger ein. Sie können sich ja denken, was ich von dem Antrag der Grünen halte. Die Grünen wollen – Zitat – „zusätzliche wirtschaftliche Chancen bei der Energiewende für das Handwerk“ schaffen. Ich frage mich echt, was das bedeuten soll: eine neue Verpackungsverordnung oder eine neue Gewerbeabfallverordnung? Es ist doch aber gerade das EEG, das ausgerechnet das Handwerk zusätzlich belastet – ({7}) im Gegensatz zur Großindustrie, die von diesen Auflagen weitgehend befreit ist, und dafür sind Sie mitverantwortlich. Ich fordere Sie deshalb auf, unseren Gesetzentwurf so bald wie möglich umzusetzen und diesen gravierenden Traditionsbruch rückgängig zu machen. Die Anhörung am Mittwoch hat es jedenfalls bestätigt: Es gibt keinen vernünftigen Grund, damit noch länger zu warten. ({8}) Zum Schluss. Ich bin dafür, dass wir an nachfolgende Generationen echte Werte weitergeben und nicht nur Grenzwerte. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Astrid Grotelüschen, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. ({0})

Astrid Grotelüschen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004046, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir debattieren heute einen Gesetzentwurf, der in seiner, ich nenne es mal, nett formuliert, Ahnungslosigkeit dem zugehörigen Thema in keinster Weise gerecht wird; denn bei der Wiedereinführung der Meisterpflicht gilt es, wie bei guter handwerklicher Arbeit üblich, sich an den Kundenwünschen zu orientieren, vom Ende her zu denken, das richtige Werkzeug auszuwählen und in der Umsetzung große Sorgfalt und alles verfügbare Fachwissen anzuwenden. Die Kollegen von der AfD machen es sich mit ihrem Gesetzentwurf da etwas einfach, und sie machen es vor allen Dingen etwas grobmotorischer: Sie stülpen allen ihre Vorstellungen auf, blenden Machbarkeit komplett aus, nehmen den Vorschlaghammer und hauen ohne großes Nachdenken drauf. Das jedoch wird der Vielfalt im Handwerk nicht gerecht. Wären Sie bei der Anhörung im Wirtschaftsministerium Anfang Juni aufmerksam oder überhaupt dabei gewesen – ich habe niemanden von Ihnen dort getroffen –, wüssten Sie, dass es unter den 53 eingeladenen Gewerken einige gibt, die der Wiedereinführung skeptisch gegenüberstehen ({0}) und die sich auch nicht, wie Sie es schreiben, im Kern destabilisiert und in ihrem Fortbestand gefährdet sehen. Das gilt es anzuerkennen und in die Überlegungen in dieser Debatte mit einzubeziehen. Darüber hinaus – ich sagte es schon – sehen Sie vieles wirklich viel zu einfach. Das zeigt zum Beispiel Ihre Forderung, dass sich Altgesellen, die sich nach 2004 in ihrem Beruf selbstständig gemacht haben, innerhalb von zwei Jahren einen Meistertitel erarbeiten sollen. ({1}) Nur zum Verständnis: Eine Meisterausbildung dauert in Vollzeit ein bis zwei Jahre. Für Menschen, die einen Betrieb führen, Mitarbeiter beschäftigen, ihre Familie ernähren sollen, wäre eine berufsbegleitende Aufstiegsfortbildung mit drei bis vier Jahren zum Beispiel realistischer. Sie wollen also diejenigen, die sich in den letzten 15 Jahren nach geltendem Recht selbstständig gemacht haben, bestrafen. Sie meinen ganz lapidar, dass die finanziellen Aufwendungen für Ihre Zwangsmaßnahme durch die selbstständigen Handwerksgesellen finanziert werden sollen. Das widerspricht nicht nur jeglicher marktwirtschaftlichen und sozialen Logik, sondern ist auch rechtlich nicht in Ordnung. Wir von der CDU/CSU-Fraktion hingegen fordern getreu dem Rechtsstaatsprinzip einen klaren Bestandsschutz für Gründer, die die letzten Jahre in Gewerken der Anlage B1 ihren Beruf ausüben, auch nach Einführung der Meisterpflicht. Ich denke, es wird Sie daher insgesamt nicht verwundern, wenn wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen werden. Nun zum Eigentlichen, liebe Kollegen. Seit unserem Parteibeschluss 2016 – auch da möchte ich, dass Sie die Ohren spitzen; auch schon davor haben wir über dieses Thema diskutiert und haben Beschlüsse gefasst – fordern wir als CDU eine Wiedereinführung des Meisters – grundgesetz- und europarechtskonform. In dem Spannungsfeld, in dem wir uns befinden – das Thema „freie Berufswahl und Berufsausübung in Deutschland“ zum Beispiel –, haben wir im April in dieser Koalition ein umfassendes Verfahren in Gang gesetzt, nicht weil Sie das beantragt haben, sondern weil wir wussten, dass wir eine intensive Diskussion brauchen, und vor allen Dingen, weil wir einen transparenten Austausch ermöglichen wollen. Seit Mai war es den betroffenen Gewerken deshalb möglich, schriftlich Stellung zu nehmen; im Juni war es auch mündlich möglich. Als Abgeordnete – ich denke, da geht es Ihnen allen nicht anders, liebe Kolleginnen und Kollegen – erreichen mich fast täglich Zuschriften von Kammern, Verbänden, von einzelnen Unternehmern, die sich in der einen oder auch anderen Form gegen die Wiedereinführung oder für die Wiedereinführung des Meisterbriefes aussprechen. Allen Interessierten gilt daher der Hinweis: Die Frist für schriftliche Stellungnahmen läuft noch. Beteiligen Sie sich bei Interesse. Dazu braucht man nur auf die Seiten des Ministeriums zu schauen. Nun, als vorerst letzten Zwischenschritt, haben wir am Mittwoch dieser Woche Wissenschaftler und Vertreter der Sozialpartner im Wirtschaftsausschuss angehört. Im Mittelpunkt standen dabei die Rahmenbedingungen, die erfüllt werden sollen, um den Meister für einige Gewerke rechtskonform – ich sagte es bereits – wieder einzuführen. Ich denke, das fällt unter das Stichwort „Kundenwünsche“. In den kommenden Wochen und Monaten wird das Wirtschaftsministerium dann die eingegangenen Stellungnahmen und die Strukturdaten auswerten und konkrete Vorschläge vorlegen. „Warum tun wir das alles?“, wird sich mancher fragen. Meister, Handwerk, ist das nicht alles von gestern? Im Gegenteil, meine Damen und Herren: Es gibt zwei Wege, eine Karriere zu starten. Der eine ist der akademische Weg, der andere ist der berufliche Weg mit einer erstklassigen dualen Ausbildung. ({2}) Dessen Aushängeschild ist der Meister, die Meisterin. Mit der Wiedereinführung wollen wir insbesondere – das ist auch gesellschaftspolitisch ganz wichtig – jungen Menschen ein Signal geben: Du machst, wenn du dich für diese Berufsausbildung entschieden hast, am Ende nicht etwa eine Tätigkeit, die jeder machen kann, sondern du hast einen Mehrwert. Mach deinen Meister, dann kannst du dich selber entfalten. Du kannst ein Unternehmen führen, du kannst Mitarbeiter anstellen, und du kannst wiederum ausbilden. Wir wollen dazu beitragen, dass das Handwerk wieder stärker aus sich selber heraus wächst. Wir wollen den sinkenden Zahlen an Meisterprüfungen in den liberalisierten Gewerken entgegentreten; denn wenn weniger Menschen eine Meisterprüfung ablegen, können auch weniger Menschen ausgebildet werden. Weniger Meister und Gesellen bedeutet aber auch, dass weniger Menschen die traditionsreiche Handwerkskultur weitertragen. Damit ginge uns allen auch ein Stück weit Identität verloren. Auch dieser Aspekt kann für junge, aufstrebende Nachwuchskräfte ein Ansporn sein, nämlich Teil dieser exzellenten Gruppe zu werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit unserem transparenten und, wie ich finde, sehr offenen Prozess werden die Stärken des Handwerks in den Fokus gerückt. Wir treten Fehlentwicklungen entgegen. Wir erhöhen die Widerstandskraft der Betriebe am Markt und schaffen so Arbeitsplatzsicherheit und erhöhen damit den Verbraucherschutz. Ein letzter, aber für uns trotzdem nicht weniger wichtiger Punkt ist, dass wir mit einem fachlich und in der wirtschaftlichen Breite gut aufgestellten Handwerk in der Lage sind, die reichen Kulturschätze – hören Sie genauer zu! –, die wir unserer jahrhundertealten Handwerkstradition verdanken, adäquat zu erhalten – mal ganz abgesehen davon, dass das Handwerk an sich schon ein erhaltenswertes Kulturgut ist, das früher und auch heute noch Tradition mit Innovation verband bzw. verbindet und damit eine tragende Säule unseres Mittelstandes ist, der unsere Unterstützung mehr als verdient hat. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Manfred Todtenhausen, FDP, ist der nächste Redner. ({0})

Manfred Todtenhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004222, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kollegen von der AfD, was haben Sie sich denn da geleistet? Ich bin erstaunt über diesen Gesetzentwurf. Er ist an Ahnungslosigkeit, an Unwissenheit kaum zu überbieten. Die Gleichgültigkeit, mit der Sie dieses Papier gemacht haben, zeigt deutlich, wie wenig wahres Interesse die AfD am Handwerk hat. ({0}) Einfach mal was raushauen, irgendwas wird schon hängen bleiben: So kennen wir Sie. Ich habe das Gefühl: Da haben Sie einem jungen Praktikanten die Chance gegeben, mal einen herausragenden Gesetzentwurf zu schreiben. ({1}) – Ich komme gleich dazu. – Der hat drei Tage darüber geschwitzt und hat dann einfach Ihren alten Antrag mit „kopieren und einfügen“ in diesen Gesetzentwurf gepackt. Dabei wurden wieder dieselben Fehler gemacht wie beim letzten Mal. Lassen Sie sich doch endlich mal den Unterschied zwischen Handwerkskammer und IHK erklären! In Ihrer Begründung bringen Sie schon wieder alles durcheinander. Das kann man auch an Ihren inhaltlichen Forderungen erkennen. In der letzten Sitzungswoche – wir haben das schon gehört – gab es im Wirtschaftsministerium eine zweitägige Anhörung zur Meisterpflicht. Alle Gewerke, die die Meisterpflicht zurückhaben wollten oder auch nicht, konnten ihre Argumente vorbringen. Jeder Abgeordnete, den das Thema interessierte, konnte dort teilnehmen. Woher ich das weiß? Das kann ich Ihnen genau sagen: Ich habe wirklich zwei Tage bei der Anhörung verbracht. Ich habe mir Argumente pro und kontra angehört, habe viele Gespräche geführt. Außer mir waren gerade mal die Kollegin Poschmann und die Kollegin Grotelüschen wenigstens zeitweise da. Sie haben sich einen Eindruck verschafft. Aber wer war nicht da? Die Abgeordneten der AfD. ({2}) Jetzt spiegeln Sie wieder Ihr Interesse vor, etwas für das Handwerk tun zu müssen. Wenn Sie bei der Anhörung gewesen wären, wüssten Sie, dass nicht alle Gewerke – Sie sprechen von drei Gewerken – wieder zur Meisterpflicht zurückwollen. Sie wollen hier dem Handwerk etwas aufzwingen, was am Ende zur Zerschlagung von gut funktionierenden Unternehmen führt – zulasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn Sie bei der Anhörung gewesen wären, wüssten Sie auch, dass nicht für alle Gewerke, die gerne zur Meisterpflicht zurückwollen, eine ausreichende rechtliche Begründung vorhanden ist. Sie wollen hier also bewusst falsche Hoffnungen wecken, von denen Sie ganz genau wissen müssten, dass Sie sie enttäuschen müssen. Das sollte spätestens auch am Mittwoch bei der Anhörung im Wirtschaftsausschuss verstanden worden sein. Ich war auch dort und hatte einen völlig anderen Eindruck als Sie. ({3}) Da sah das eigentlich ganz anders aus. Da gab es nur begrenzten Zuspruch. Wie wir seit Dezember wissen, würden Ihre Anträge dem Meisterwesen eher schaden als nützen. Daher werden wir Sie auf keinen Fall unterstützen bei Ihrem Kampf gegen das Handwerk. ({4}) Mit Ihnen geht es nicht in eine moderne Zukunft, sondern zurück in die Vergangenheit. Sie wollen eine Handwerksordnung wie Adenauer 1953. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die anderen Fraktionen hier im Haus, die sich wirklich für das Handwerk interessieren, müssen jetzt gemeinsam daran arbeiten, das Handwerk zu stärken. Wir als Freie Demokraten sind froh, dass nach der Aufforderung durch den Bundesrat jetzt ein wenig Fahrt in die Debatte um das Thema reinkommt. Die Daten zur Wiedereinführung der Meisterpflicht sind erhoben, die Argumente sind ausgetauscht. Wir erwarten vom Bundeswirtschaftsminister jetzt zügig eine Vorlage, bei welchen Gewerken eine Rückkehr zur Meisterpflicht infrage kommt. Wir müssen aber auch eine Stärkung des Handwerks im europäischen Kontext vornehmen. Darum, Herr Altmaier – er ist nicht da; aber sein Staatssekretär ist da –: Nutzen Sie die Chance! Werben Sie in Europa für das Meisterwesen, das das deutsche Handwerk so erfolgreich gemacht hat! Wir brauchen gut ausgebildete Fach- und Führungskräfte – ich höre jetzt auf; ich sehe, die Uhr ist abgelaufen –, und wir müssen Aufstiegschancen ermöglichen. Dazu gehört ganz besonders auch der Meister. Der Gesetzentwurf der AfD ist hier absolut nicht zielführend. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Sabine Poschmann, SPD, hat als Nächste das Wort. ({0})

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne und – Sie mögen es mir verzeihen – liebe Freunde aus meiner Heimatstadt Dortmund! Über das Handwerk wird breit diskutiert. Die Medien sind voll mit Berichten über gut laufende Geschäfte, aber eben auch über fehlende Fachkräfte und lange Wartezeiten für Verbraucher. Hier im Bundestag – wir haben es gerade schon gehört – hatten wir erst im Dezember letzten Jahres eine Plenardebatte und am Mittwoch dieser Woche eine Anhörung zum Meisterbrief. Ich finde, diese Aufmerksamkeit haben die mehr als 5,5 Millionen Menschen, die bundesweit im Handwerk arbeiten, auch verdient. ({0}) Die Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate haben zweierlei gezeigt. Erstens. Bei der Rückkehr des Meisterbriefs – das richtet sich vor allem an die AfD – stehen wir kurz vor der Zielgeraden. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, haben wir genauestens geprüft, welchen Weg wir dafür gehen müssen. Die Rückkehr zur Meisterpflicht in einigen Gewerken muss EU- und verfassungskonform ausgestaltet sein. Die Koalitionsarbeitsgruppe hatte dazu mehrere Gespräche: mit den Handwerkern, mit den Gewerkschaften, mit der Wissenschaft. Vor drei Wochen gab es die zweitägige Anhörung im Wirtschaftsministerium. Alle betroffenen Gewerke konnten ihre Gründe darlegen, warum sie sich für oder gegen die Wiedereinführung aussprechen. In den Sommerferien wird der Gesetzentwurf erarbeitet, im Herbst wollen wir das Verfahren abschließen. So viel lässt sich jetzt schon sagen: Die bereits bestehenden und zulassungsfreien Betriebe erhalten natürlich Bestandsschutz. Sie sehen, meine Damen und Herren von der AfD, Ihr Gesetzentwurf ist überflüssig. Die zweite Erkenntnis, die wir bei den Gesprächen gewonnen haben: Der Meisterbrief ist längst nicht die einzige Baustelle. Es gibt deutlich mehr. Ja, wir werden das Meister-BAföG ausbauen, die Gebühren für bestandene Meisterprüfungen erlassen und eine Mindestausbildungsvergütung einführen. Das alles soll 2019 kommen. ({1}) Wir setzen damit neue Anreize für eine Meisterausbildung, kurbeln die Zahl der Betriebsgründungen an und sorgen so für mehr Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Aber all das können nur flankierende Maßnahmen sein. Eines der drängendsten Probleme ist der Fachkräftebedarf. Und der ist mittel- und langfristig nur zu decken, wenn sich das Handwerk als attraktiver Arbeitgeber mit guten Verdienstmöglichkeiten präsentiert. Deshalb müssen wir alles daransetzen, die Tarifbindung im Handwerk wieder zu stärken; denn Tarifverträge stehen für gute Arbeitsbedingungen und gute Löhne. ({2}) Wir brauchen wieder mehr junge Menschen, die in Handwerksberufen eine Perspektive für die Zukunft sehen und die sich nach ihrer Ausbildung nicht in die Industrie oder in andere, besser bezahlte Branchen verabschieden. Ich sehe vor allen Dingen die Handwerksverbände und die Innungen in der Pflicht. Das soll noch einmal ein Aufruf sein. Sie sind die öffentlich-rechtlichen Institutionen, die mit den Gewerkschaften eigentlich Tarifverträge für ihre Mitglieder aushandeln sollen. Leider tun sie es immer weniger. Da werden wir in Zukunft ansetzen müssen, und wenn es nicht freiwillig geht, müssen wir den Druck erhöhen. Fachkräftesicherung, Digitalisierung, Stärkung der Tarifbindung – die Themen stapeln sich. Daher sollte der Branchendialog im Handwerk vom Wirtschaftsministerium fortgeführt werden – mit verbindlichen Vereinbarungen. Placebos und schöne Worte helfen uns an dieser Stelle nicht weiter. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Klaus Ernst, Die Linke, ist der nächste Redner. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 15 Jahre nachdem diese Novelle beschlossen wurde – von Rot-Grün im Übrigen –, muss auch ich sagen: Ein Meisterstück war es jedenfalls nicht. ({0}) Wäre es nämlich eines gewesen, müssten wir uns jetzt nicht darüber unterhalten. ({1}) Die Tatsache, dass für bestimmte Gewerke keine Meisterpflicht zur Ausübung des Berufes mehr notwendig ist, ist insgesamt eine negative Sache. Deswegen müssen wir darüber reden, dass wir das ändern. Ich habe den Eindruck, das wird auch passieren. Wir hatten in der Folge nämlich sinkende Ausbildungszahlen. Wir hatten eine sinkende Zahl von Meisterprüfungen. Wir haben insgesamt eine Dequalifizierung im Handwerk. All das ist richtig. Wir haben eine Strukturveränderung hin zu prekär aufgestellten Kleinstbetrieben. All das war Folge dieser Reform, also weiß Gott kein großer Wurf. Inzwischen besteht aber Einigkeit, dass man das ändern will. Ich habe Frau Poschmann durchaus richtig verstanden. Auch die Anhörung im Wirtschaftsausschuss hat diese Richtung deutlich gemacht. Warum kommt also die AfD jetzt mit einem Gesetzentwurf? Er ist übrigens auch kein Meisterstück, nicht einmal ein Gesellenstück. ({2}) Denn wenn man schon einen solchen Gesetzentwurf vorlegt, muss man sich zumindest ein paar Gedanken machen, was mit denen ist, die jetzt zum Beispiel ihren Beruf unter veränderten Bedingungen ausüben. Dazu ist euch weiß Gott nichts eingefallen. Euer Antrag zeigt somit, dass ein bisschen Qualifikation schon erforderlich ist. ({3}) Das gilt auch für die Ausbildung, aber das gilt vor allen Dingen für eure Anträge. ({4}) Meine Damen und Herren, das eigentliche Problem ist: Ihr wollt euch jetzt bei den Handwerkern anbiedern, nach dem Motto: Wir sind die Hilfe, wir sind sozusagen diejenigen, die das Handwerk retten. – Die bekommen das auch ohne euch gut hin; das ist jedenfalls mein Eindruck. Ich sage auch, wo das eigentliche Problem ist. Aber eine Bemerkung kann ich mir auch nicht verkneifen. Ich weiß nicht, ob euch aufgefallen ist, dass 18 000 Geflüchtete in Deutschland im Handwerk arbeiten. 18 000 Geflüchtete! Die wollt ihr doch am liebsten wieder loswerden. Das nützt den Meistern überhaupt nichts, das nützt dem Handwerk überhaupt nichts. ({5}) Wir brauchen die vielmehr, damit das Handwerk überhaupt noch vernünftig die Arbeitsplätze besetzen und ausbilden kann. ({6}) Manchmal kommt es mir ein bisschen so vor, ihr schmeißt mit dem Hintern um, was ihr vorher mit der Hand aufgebaut habt. Mich freut es übrigens, dass das Handwerk in dieser Weise ausbildet. Wo ist das eigentliche Problem im Handwerk? Es geht nicht nur um die Frage, ob eine Ausbildung stattfindet, ob Meisterprüfungen stattfinden. Die eigentliche Frage ist: Wie sind die Bedingungen im Handwerk? Da haben wir Riesenprobleme. Wir haben dort immer weniger – das sage ich auch bewusst der FDP –, die noch in Tarifverträgen sind. Das bedeutet, wir haben dort ein Lohnniveau, sodass sich ein Auszubildender berechtigterweise überlegt: Fange ich in diesem Beruf eine Ausbildung an, wenn ich hinterher sehr wenig verdiene? Wie sind die Arbeitszeiten? Wie sind die Bedingungen? Gibt es Mitbestimmung? ({7}) Das alles sind doch Fragen, die bei Weitem wichtiger sind, wenn wir über die Zukunft des Handwerks reden, als über Dinge zu reden, die sowieso wieder kommen und die wir in vielen Bereichen wiederherstellen werden. Wenn das so ist, dann müssen wir darüber reden: Wie bekommen wir es hin, dass wir wieder Tarifverträge im Handwerk haben, ({8}) dass wir wieder Bedingungen bekommen, dass die Menschen freudig einen Beruf im Handwerk ausüben wollen? Das wollen sie zurzeit nämlich nicht. Darum haben wir die Probleme. Deshalb sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Wir müssen darüber nachdenken, wie wir es hinbekommen, dass die Innungen mehr Tarifverträge abschließen. Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir es schaffen, dass wir mehr Allgemeinverbindlichkeit für Tarifverträge erhalten. Dann haben die Handwerker aufgrund dessen, dass sie sich gegenseitig nicht mit den Löhnen runterkonkurrieren können oder nicht mit den Arbeitszeiten hochkonkurrieren, tatsächlich auch wieder gleiche Voraussetzungen und können Arbeitsbedingungen bieten, die die Menschen dazu veranlassen, zu sagen: Ja, das Handwerk ist ein Beruf mit Zukunft. Da gehe ich hin, da habe ich eine bestimmte Entwicklung vor mir. Das gilt natürlich auch für die Anerkennung der Meisterprüfung als entsprechende Voraussetzung für ein Studium. Das ist mindestens so wichtig wie die anderen Dinge, die Sie in Ihrem Antrag schreiben. Weil Sie dies in Ihrem Antrag gänzlich vergessen haben, werden wir ihm auch nicht zustimmen. Ich hoffe, dass die Koalition und vor allen Dingen die FDP darüber nachdenkt, ob vernünftige Tarifverträge nicht gerade für das Handwerk sinnvoll sind. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Claudia Müller, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. ({0})

Claudia Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004830, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Während sich die AfD noch im Ausschuss damit rühmte, das Thema Meisterpflicht auf die Tagesordnung zu setzen, zeigen Sie heute mit Ihrem Gesetzentwurf, wie viel Respekt Sie vor dieser Tagesordnung und dem Parlament haben. Denn einen Tag vor der Expertenanhörung im Ausschuss haben Sie einen Gesetzentwurf eingebracht. So viel also zum Thema, wie sehr Sie Sachverständigenmeinungen schätzen. Sie hatten immerhin einen eingeladen. Ich meine: Ihr Antrag ist auch schwach, nicht zielführend und – das wurde schon gesagt – ein Schlag ins Gesicht der Unternehmerinnen und Unternehmer, die in den letzten Jahren gewirtschaftet haben. Deswegen lohnt es sich eigentlich überhaupt nicht, darüber weiter zu reden. ({0}) Ich will mich stattdessen eher den Fragen widmen, die das Handwerk wirklich umtreibt und für die es keine einfachen Lösungen gibt. Ja, wir müssen das Handwerk und auch den Meisterbrief stärken. Dafür brauchen wir verbesserte Rahmenbedingungen und vor allen Dingen die Förderung von qualitativ hochwertiger Aus- und Weiterbildung. Diese Bildung muss wirklich allen zugänglich sein, und gleichzeitig muss sie durchlässig im Hinblick auf andere Bildungsebenen sein. Ich meine übrigens: nicht nur von der betrieblichen zu einer möglichen akademischen Ausbildung, sondern auch umgekehrt. Dazu brauchen insbesondere kleine Unternehmen und kleine Handwerksbetriebe unsere Unterstützung. ({1}) Gute Ausbildung und gute Aufstiegschancen steigern die Attraktivität des Handwerks für Auszubildende und Fachkräfte spürbar. Hier einige ganz konkrete Beispiele und Vorschläge. Die Weiterbildung zur Meisterin, aber auch zur Fach- und Betriebswirtin sollte möglichst kostenfrei sein. ({2}) Wir reden davon, dass Bildung vom Kindergarten bis zur Universität kostenfrei sein soll. Wenn wir die duale Ausbildung und Weiterbildung im betrieblichen Bereich stärken wollen, dann müssen wir an dieser Stelle auch diese Bereiche betrachten. ({3}) Wir brauchen eine praxisnahe Berufs- und Studienorientierung an allen Schultypen. Klischeefrei und gleichberechtigt muss über Studium, Beruf und duale Ausbildung in den Schulen informiert und gesprochen werden. Ein weiteres Problem ist die Abwanderung der Fachkräfte aus dem Handwerk. Noch heute verlassen zwei Drittel aller im Handwerk Ausgebildeten diesen Bereich und gehen in die Industrie. Was wir brauchen – Herr Ernst sprach das Thema an –, sind bessere Löhne. Wir brauchen eine höhere Tarifbindung. Auch die Entsende­richtlinie muss entsprechend umgesetzt werden, damit regional- und branchenspezifische Tarifverträge nicht unterlaufen werden können. ({4}) Die Wiedereinführung der Meisterpflicht führt nicht automatisch zu einer gesteigerten Ausbildungsneigung, und die Fachkräfte, die leider schon abgewandert sind, werden wir nicht zurückgewinnen können – oder nur sehr schwer. Die Ursachen sind übrigens von Gewerk zu Gewerk unterschiedlich. Die Entwicklung begann nicht erst 2004, sondern die Ausbildungszahlen begannen schon viel früher zu sinken. Das ist von Branche zu Branche wirklich unterschiedlich. Deswegen wird man dem Thema mit der Rasenmähermethode – eine Lösung, und das ist es dann – nicht gerecht. ({5}) Die Meisterpflicht wird auch gerne als die Lösung präsentiert, um die Anzahl der Solo-Selbstständigen einzudämmen. Ich will erst einmal sagen: Solo-selbstständig zu sein, ist per se nichts Schlechtes. Schlecht ist Scheinselbstständigkeit. Aber grundsätzlich allen Solo-Selbstständigen zu unterstellen, dass sie in dieser Falle stecken, wird den Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, nicht gerecht. Außerdem bleiben diejenigen, die jetzt solo-selbstständig sind, das ja auch. Wir wollen einen Bestandsschutz; da sind wir uns ja einig. Um die Situation dieser Gruppe zu verbessern, insbesondere die Situation der niedrigverdienenden Solo-Selbstständigen, brauchen wir für sie eine verbesserte Möglichkeit, in die Sozialversicherungssysteme reinzukommen. Die Beiträge für sie sollten nicht so hoch sein, damit das für sie erschwinglicher ist. Das ist doch die Frage, um die es geht. ({6}) Das ist übrigens auch ein Beitrag zur Schaffung eines Level Playing Fields im Handwerk. Außerdem haben wir noch das schwelende Problem der Abgrenzung zwischen den verschiedenen Bereichen, zwischen Industriebereichen und Handwerksbereichen, zwischen meisterpflichtig und nicht meisterpflichtig. Ein Beispiel: Ob Sie Cupcakes oder Crêpes herstellen, macht einen Unterschied; für die Cupcakes brauchen Sie einen Meisterbrief, für Crêpes brauchen Sie den nicht. Wir haben häufig das Problem, dass Branchen und Tätigkeiten ganz dicht beieinander sind. Dieses Problem werden wir auch mit der Meisterpflicht nicht lösen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Das Thema ist kompliziert, und es gibt viele Nebenwirkungen. Wir müssen die Ausbildung, wir müssen das Handwerk und wir müssen den Meisterbrief stärken. Aber dazu braucht es mehr als eine Meisterpflicht. Wir brauchen die kostenlose Ausbildung, wir brauchen eine bessere Unterstützung, und wir brauchen mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem. Vielen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jens Koeppen, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahre 2003, als die Handwerksnovelle aufgelegt wurde, war ich selbstständiger Unternehmer und Handwerksmeister – ich bin immer noch Handwerksmeister, aber damals war ich noch aktiv –, und ich war dagegen. Allerdings – das muss man sagen – war die Situation damals eine vollkommen andere. Das muss man auch gebührend würdigen. Die Situation des Handwerks und die Situation der Wirtschaft hat sich seit 2003, seit der Handwerksnovelle, grundlegend geändert. Damals hatten wir eine Arbeitslosenquote von 11 Prozent, fast 5 Millionen Menschen. Das Angebot an Ausbildungswilligen und an qualifizierten Gesellen war überdimensional groß. Heute haben wir – Stand Mai 2019 – eine Arbeitslosenquote von unter 5 Prozent; das entspricht ungefähr 2,2 bis 2,3 Millionen Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf einem Tiefstand. Im Jahresdurchschnitt liegt sie bei 7,4 Prozent. In der EU sind es immerhin 12 Prozent. Die Abschaffung der Meisterpflicht für 23 Berufe war daher – möglicherweise – verständlich. Das war gut gemeint, hat aber die Erwartungen nicht erfüllt. Was ist stattdessen passiert? Eine Fehlentwicklung in vielen Bereichen. Gute Gesellen haben die Meisterbetriebe verlassen, haben gesagt: Okay, was der Altmeister kann, das kann ich schon lange; ich mache mich selbstständig, ohne Meisterpflicht. – In den Betrieben gemäß Anlage B ging die Zahl der Ausbildungsstellen massiv zurück. Es gab einen spürbaren Qualitätsverlust, einen spürbaren Vertrauensverlust. Viele neue Betriebe sind entstanden, aber die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse ist nahezu gleich geblieben. Die Zahl der Solo-Selbstständigen hat sich massiv erhöht. Und die Insolvenzen dieser Betriebe haben nicht lange auf sich warten lassen. Jetzt kann man fragen: War diese Fehlentwicklung vorherzusehen? Das ist reine Spekulation. Wir müssen vielmehr schauen: Wie gehen wir mit der Fehlentwicklung um? Wie kann man dem entgegentreten? Ich bin dafür, ebenso wie meine Kollegin Astrid Grotelüschen, dass wir eher die Spitzzange auspacken als den Vorschlaghammer; denn wir müssen mit Augenmaß und ergebnisorientiert vorgehen, ohne Aktionismus. Wir wollen auch keine Rückvermeisterung, Herr Kollege Chrupalla. Sie haben ja gesagt, Sie wollen eine Meisterpflicht bei allen Gewerken. Das steht ja auch in Ihrem Antrag. ({0}) Ihr Antrag ist wirklich relativ einfach gestrickt; denn Sie haben in Ihrem Antrag nur die ganzen Gewerke aufgeführt und gesagt: Die müssen in die Meisterpflicht zurück. – Sie wissen aber selbst – vielleicht wissen Sie es auch nicht; dann ich kann es Ihnen ja sagen –, dass Sie damit eine große Verunsicherung in die Branche bringen. Warum? Weil eine bestimmte Anzahl von Betrieben nicht rückvermeistert werden will; ich nenne einfach mal eine Zahl – das ist noch nicht scharf –: zwischen 25 und 30 Prozent der Betriebe. Möglicherweise – das müsste man noch genau analysieren – will die gleiche Prozentzahl an Betrieben rückvermeistert werden. Was machen Sie denn jetzt mit den Betrieben, die das nicht wollen? Sie bekommen ja auch entsprechende Post. Wollen Sie denen einfach sagen, dass sie zurück müssen? Es gibt doch so etwas wie einen Bestandsschutz. Das muss verfassungskonform sein, das muss auch europarechtskonform sein. ({1}) By the way: Der Meister kann immer gemacht werden, auch freiwillig, auch bei Betrieben, die keine Gefahrengeneigtheit haben. Da die Gemengelage so heterogen ist, können Sie nicht einfach sagen: Es müssen alle wieder rein. – Damit schaffen Sie nicht nur Verunsicherung, sondern es besteht auch die Gefahr, dass Sie neben denjenigen, die wieder reinkommen können und reinkommen dürfen, am Ende auch einige außen vor lassen, weil das gesamte Gebilde einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhält. Das müssen Sie einfach mit beachten. ({2}) Was ist stattdessen zu tun? Wir brauchen eine europarechtlich und verfassungsrechtlich saubere Vorgehensweise. Wir müssen den Bestandsschutz akzeptieren. Die ganzen Emotionen, die auch in den Briefen der Handwerksbetriebe zum Ausdruck kommen – sowohl derjenigen, die in der Meisterpflicht bleiben wollen, als auch derjenigen, die aus der Meisterpflicht heraus wollen –, müssen berücksichtigt werden. Wir brauchen deswegen eine Qualitätsoffensive. Wir brauchen Transparenz. Die Anhörungen im Ministerium haben gezeigt, dass klar gefragt werden sollte: Was bewegt euch? Warum wollt ihr in die Anlage A? Warum wollt ihr in der Anlage B1 bleiben? – Wir brauchen eindeutige Kriterien; dazu gehört natürlich die immer wieder zitierte Gefahrengeneigtheit. Was ist für den Endkunden wichtig? Wir brauchen Vertrauensschutz, Gewährleistung, Bestandsfestigkeit. Wir brauchen vor allen Dingen, was mir sehr wichtig ist, die Stärkung der dualen Ausbildung. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die duale Ausbildung nur stärken können, wenn ein Meistertitel eine aktive Rolle spielt. Das hat die Zeit seit 2003 bewiesen. ({3}) Der Meistertitel ist aus meiner Sicht das Qualitätssiegel schlechthin. Wir brauchen da gar nicht über irgendwelche Zertifikate nachzudenken. Der Meister an sich ist das Zertifikat für Qualität, für Ausbildung, für Beständigkeit, für lange Beständigkeit am Markt. Meisterbetriebe sind meist Familienunternehmen. Deswegen brauchen wir uns über Qualitätssiegel keine Gedanken zu machen. Die Anhörung im Wirtschaftsausschuss am Mittwoch hat das alles bestätigt. Nahezu alle Sachverständigen haben sich für die begründete Rückführung, nicht die allgemeine Rückführung, in die Anlage A ausgesprochen. Lassen Sie uns deswegen im Herbst ein starkes Signal an das deutsche Handwerk senden und sagen: Wir haben euch angehört; wir wissen, worum es euch geht. – Denn eines ist klar: Ohne das Handwerk ist alles nichts. Vielen Dank. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Gabriele Katzmarek, SPD, ist die voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte. ({0})

Gabriele Katzmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über den Handwerkermarkt. Wir reden über Handwerker. Wir reden über wichtige Gewerke in unserem Land. Wir reden immerhin – Frau Poschmann hat es gesagt – über die Arbeitsplätze von 5,5 Millionen Menschen. Da ist es nur gut und richtig, dass wir uns die nötige Zeit nehmen, um uns sachlich und inhaltlich ausgereift mit der Frage zu beschäftigen: Wie sind die Probleme, die es dort gibt, zu lösen? Es steht außer Frage: Das tun wir, und nicht nur das. Sie auf den Tribünen, wir, die wir hier unten sitzen, und die Menschen, die uns jetzt zuhören, haben ein sehr großes Interesse daran, dass wir anständig mit der Frage „Wie sieht es auf dem Handwerkermarkt aus?“ umgehen. Denn letztendlich geht es ja darum, dass wir, die wir die Leistungen der Handwerker in Anspruch nehmen, gewiss sein wollen, dass es erstens noch Handwerker gibt, wenn wir sie brauchen, und zweitens diese Handwerker auch eine gute Leistung vollbringen, dass also nicht die Wasserleitung übermorgen schon wieder runterfällt oder der Putz von den Wänden fällt. Genau deshalb ist es wichtig, darüber zu reden. Nun ist auch bei meinen Vorrednern sehr schnell deutlich geworden, worum es denn eigentlich geht. Eigentlich geht es darum, dass wir einen Fachkräftemangel und einen Auszubildendenmangel im Handwerksbereich haben sowie Arbeitsbedingungen, die zum Teil unerträglich sind. Da gilt es, ranzugehen. Jetzt könnte man ja wirklich auf die Idee kommen: Wir machen eine Meisterpflicht für alle; dann ist das Problem gelöst. – Das ist schön und eine tolle Überschrift. Erst mal: Den Meister kann jeder Geselle machen, ob es eine Meisterpflicht gibt oder nicht. ({0}) Das sollte man als ersten Punkt im Auge behalten. Zweitens. Sie von der AfD und der Rest des Hauses – wahrscheinlich waren wir auf verschiedenen Anhörungen – haben ja am Mittwoch die ganzen Sachverständigen zu dem Thema gehört: Wäre die Einführung der Meisterpflicht in allen Gewerken richtig und gut? Sie haben anscheinend die Antwort schon vorher gefunden; denn Ihr Gesetzentwurf lag schon längst vor. Wie witzig finde ich das denn eigentlich? Sie beantragen eine Anhörung und sagen: „Wir müssen uns sachkundig machen“, schicken aber dienstags schon die Antwort, bevor am Mittwoch das Handwerk, die Gewerkschaften und die Sachverständigen sagen können, was deren Einschätzung ist. ({1}) Da kann man den Eindruck haben, Sie haben sich damit nicht beschäftigt oder es interessiert Sie vielleicht auch gar nicht, ({2}) sondern Sie wollten nur einen solchen Antrag einbringen. ({3}) Ich verkürze das jetzt ein Stück und will den Menschen darstellen, warum alle anderen hier im Hause sagen: Das Problem lässt sich so nicht lösen. – Es lässt sich so nicht lösen, weil es zum Beispiel auch darum geht, anständige Löhne und eine gute Bezahlung zu haben, und darum, Auszubildende gut auszubilden. Nein, Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf einfach etwas runtergeschrieben und glauben – das macht die Krux deutlich –, dass wir dann, wenn wir den Beruf des Böttchers, des Korbmachers, des Strickers, des Webers, des Kürschners, des Wachsziehers und ähnliche Berufe mit einer Meisterpflicht belegen, das Problem im Handwerk gelöst haben. Das ist Humbug und macht deutlich, dass Sie nicht verstanden haben, dass man sich mit dieser Frage ernsthaft beschäftigen muss. Mir geht es nicht darum, den Kürschner schlechtzureden. Nein, das ist ein ehrbarer Beruf. Aber, meine Herren von der AfD, meine Dame von der AfD, nehmen Sie doch zur Kenntnis: In diesem Hause wird inhaltlich gearbeitet, wird sachlich gearbeitet. Das sollten Sie vielleicht einmal ein Stück üben, ({4}) anstatt uns hier immer nur mit drei, vier oder fünf Seiten seltsamen Papiers zu beschäftigen. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 19/11120 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie werden ignoriert, verdrängt und vergessen, die Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Am 20. Juli jährt sich das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler zum 75. Mal. Wir gedenken aus diesem Anlass der Widerstandskämpfer um Claus Graf von Stauffenberg wie zum Beispiel Werner von Haeften, Ludwig Beck, Henning von Tresckow und viele andere. In einer gewissenlosen und menschenverachtenden Diktatur planten sie das Attentat, planten sie eine politische Ordnung nach Hitler. Sie riskierten ihr Leben, sie verloren ihr Leben, und sie sind in die Geschichte eingegangen – völlig zu Recht. Doch der deutsche Widerstand bestand eben nicht nur aus Männern, deren Namen wir kennen. Er bestand auch aus vielen Frauen. Ihre Namen, ihr Wirken sind weithin unbekannt. Genau das ist ungerecht. ({0}) Oder sagen Ihnen die Namen Elisabeth Abegg, Helene Jacobs, Louise Schroeder, Liselotte Herrmann oder die Bremerin Anna Stiegler etwas? Vermutlich nicht. Das möchten wir mit unserem Antrag für die Zukunft ändern. ({1}) Nicht nur die Frauen der Männer des 20. Juli waren aktiv beteiligt, sondern auch Frauen aus dem Widerstandsnetzwerk „Rote Kapelle“, Sozialdemokratinnen, Sozialistinnen und Kommunistinnen. Andere Frauen handelten aus christlicher Überzeugung. Sie gehörten zur Bekennenden Kirche. Wir erwähnen sie in unserem Antrag ganz bewusst stellvertretend für alle; denn wer gegen das menschenverachtende Naziregime Widerstand geleistet hat, der verdient unseren Respekt und große Anerkennung. ({2}) Diese Frauen haben konspirative Treffen organisiert, illegale Flugblätter hergestellt und verteilt. Sie waren Mitwisserinnen und verschwiegene Beraterinnen. Sie versteckten gefährdete Personen, unter anderem Jakob Kaiser. Sie fertigten Entwürfe und Reinschriften von Umsturzbefehlen an. Über Jahre hinweg haben sie ihre Männer im Bewusstsein der Gefahren um den Kampf ermutigt. Sie haben den Widerstandskämpfern Halt und Kraft auf dem schweren Weg in den Tod gegeben und dabei ihr eigenes Leben riskiert. Sie mussten ihre Kinder belügen, um sie zu schützen. Bei der lebensnotwendigen Verheimlichung ihres Doppellebens waren sie auf das Äußerste gefordert; denn Mitwisserschaft war schon todeswürdig. Nicht nur die Männer wurden von der Gestapo verhört, sondern auch viele Frauen. Sie mussten den Eindruck erwecken, als würden sie kooperieren. Sie durften nicht unbedarft wirken, damit sie nicht von der Gestapo als völlig bedeutungslos eingestuft wurden. Sie mussten tröpfchenweise Informationen preisgeben, um das Interesse an ihnen aufrechtzuerhalten. Nur so konnten sie verhindern, als unbrauchbare Informantinnen verhaftet oder hingerichtet zu werden. Diesem Druck haben sie standgehalten. Was für eine Leistung! ({3}) Der Preis, den sie zu zahlen hatten, war hoch. Viele Frauen wurden zum Tode verurteilt, manche von Plötzensee direkt in die Charité gebracht und als – es fällt einem schwer, das zu sagen – „medizinischer Werkstoff“ für die Wissenschaft verarbeitet. Andere verloren ihre Ehemänner. Sie kamen in Gefängnisse und Konzentrationslager. Ihre Kinder wurden in Heime gebracht, ihrer Identität beraubt und umerzogen. In der Nachkriegszeit mussten sie sich als Frauen von Volksverrätern beschimpfen lassen. Sie bekamen keinerlei finanzielle Unterstützung, ihre Kinder wurden geächtet und isoliert. Sie mussten tragen, was untragbar war. Diese Frauen waren couragiert und hatten großen Mut. Dafür gebühren ihnen heute unsere Anerkennung und unser Dank. ({4}) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Darüber hinaus verdanken wir diesen Frauen zahlreiche Augenzeugenberichte, Briefe und Dokumente, die uns helfen, die Erinnerung lebendig zu halten und aus der Geschichte zu lernen. Ja, wir können von diesen Frauen lernen. Es ist völlig unverständlich, dass sie nach 75 Jahren noch immer ein Schattendasein in der Geschichtsschreibung führen. Sie gehören wirklich zu den vergessenen Heldinnen unserer Geschichte. Das ist der Sinn unseres Antrags: Wir wollen diese Zeit niemals vergessen. Wir wollen diese dunkelste Geschichte nicht vergessen. Aber zu dieser Erinnerung gehört, dass eben Männer und Frauen im Widerstand gekämpft haben. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Marc Jongen, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Wie ich an diesem Pult schon mehrfach für die AfD-Fraktion sagte: Wir müssen an die positiven, die identitätsstiftenden Seiten unserer Geschichte erinnern. Deshalb hat die Regierungskoalition recht: Die Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus sind zu würdigen. ({0}) Das Pflichtbewusstsein, die Opferbereitschaft und die Vaterlandsliebe der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 ({1}) gehören ohne Zweifel zu den lichtvollsten und menschlich edelsten Kapiteln unserer Geschichte, auch wenn aus finsterer Zeit stammend. Und ja, die Frauen der mutigen Männer rund um Graf von Stauffenberg spielten eine sehr wichtige Rolle. Sie waren ihren Männern emotionale Stütze, halfen in der Organisation des Widerstands, waren in manchen Fällen auch an dessen inhaltlicher Konzeption beteiligt. Sie litten mit ihren Männern, wurden in Sippenhaft genommen; etliche bezahlten mit dem Leben. Aber gerade diese Frauen agierten doch nicht losgelöst von ihren Männern. Darum verstehe ich es nicht, Frau Kollegin Motschmann, warum die Koalition es abgelehnt hat, an dieser Stelle hier heute den AfD-Antrag zum Jahrestag des 20. Juli mitzudiskutieren, in dem wir fordern, einen Gedenkort am Flugplatz Rangsdorf einzurichten, 75 Jahre, nachdem Stauffenberg von dort seinen Umsturzversuch gegen Hitler gestartet hat. ({2}) Aber ich habe eine Vermutung. Sie schreiben in Ihrem Antrag: Das Gedenken an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus musste mühsam durchgesetzt werden. Vieles wurde dabei ignoriert, verdrängt, vergessen. Vielleicht wollen Sie ja weiterhin ignorieren und vergessen machen, dass es sich bei den Männern und Frauen des 20. Juli eben um einen dezidiert konservativen, einen patriotischen Widerstand gegen das Naziregime gehandelt hat. Und da kommt das Frauen- oder eben Genderthema natürlich gerade recht, ({3}) um von dieser unbequemen Tatsache abzulenken, die die simple Kampf-gegen-rechts-Ideologie, die wir gestern weder zu Genuss hatten, völlig zunichtemacht. ({4}) Gegen Ende Ihres Antrags schlägt diese Genderideologie dann auch ganz explizit durch. Da kommen Sie auf die dominanten Geschlechtervorstellungen des Nationalsozialismus zu sprechen, ({5}) um im Satz darauf eine kritische Reflexion der „damals wirkmächtigen Kategorien ‚Weiblichkeit’ und ‚Männlichkeit’“ zu fordern. Beides schreiben Sie in Anführungszeichen. Meine Damen und Herren, hier wird versucht, die natürliche Geschlechterpolarität in die Naziecke zu schieben. Das ist Genderideologie pur, und das geht diametral gegen das Selbstverständnis der Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. ({6}) Zum Schluss wird es dann ganz absurd. Da schreiben Sie, Gender als historische Kategorie zeige, dass existierende Geschlechterzuschreibungen „dekonstruiert werden“ müssten ({7}) und dass Frauen als Akteurinnen zwischen 1933 und 1944 anerkannt werden müssten, „ohne dabei auf ihre Rolle als ‚Frauen’ reduziert zu werden“. Ja, Sie müssen sich schon entscheiden, werte Kollegen. Entweder wir sprechen hier von Frauen mit allem, was dazugehört, oder wir dekonstruieren die Geschlechter. Dann können wir uns aber nicht mehr allein auf die Frauen kaprizieren. ({8}) Aber die Logik ist nicht die Stärke der Genderideologen. Ihre Stärke ist das Täuschen und das Vernebeln. Streichen Sie bitte diese Stellen heraus; ({9}) wir stimmen dann gerne zu. So reicht es leider nur zu einer Enthaltung, trotz guter Ansätze, Frau Motschmann. Danke schön. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Marianne Schieder, SPD, ist die nächste Rednerin. ({0})

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon darauf hingewiesen: Es ist nicht mehr lange hin bis zum 20. Juli, dem Tag, an dem wir an das Attentat auf Adolf Hitler vor 75 Jahren erinnern. Gedenk- und Jahrestage laden uns ein, innezuhalten und den Blick auf die Vergangenheit zu richten, um aus dieser Vergangenheit für die Gegenwart und für die Zukunft zu lernen. Dieses Ereignis ist zweifelsohne ein Symbol dafür, dass es in Deutschland nicht nur Anhänger des Nationalsozialismus gab, sondern auch einen sehr mutigen Widerstand. ({0}) Diesen mutigen Widerstand in seiner weltanschaulichen Breite und sozialen Vielfalt gab es überall, in allen gesellschaftlichen Schichten und unter allen weltanschaulichen Positionen. ({1}) Diesen Widerstand wollen wir würdigen. ({2}) Wir wollen heute – darüber freue ich mich wirklich – ganz besonders darstellen, dass es eben nicht nur Männer waren, die diesen Widerstand getragen haben, sondern dass er auch ganz maßgeblich von Frauen gestützt wurde. Leider kam und kommt diese Tatsache oft zu kurz, wenn sie überhaupt Berücksichtigung fand oder heute noch findet. Denn obwohl man eigentlich wusste, dass es Frauen gab, die im Widerstand aktiv waren und darin oft auch eine zentrale Rolle einnahmen, und man gleich nach dem Zweiten Weltkrieg Literatur dazu hatte, hat die Forschung erst in den 80er-Jahren das Thema „Die Rolle der Frauen im Widerstand“ überhaupt thematisiert. Lange Zeit – so ist es vielleicht in vielen Bereichen heute noch – war die Erforschung des Widerstands getragen von Männern, mit dem Blick von Männern auf Männer natürlich. Die weibliche Seite wurde marginalisiert. Widerstandshandlungen, Widerstandsmotivationen und -konsequenzen von und für Frauen wurden dabei ausgeblendet. Selbstverständlich kann der Widerstand von Frauen nicht losgelöst von dem der Männer betrachtet werden. Aber die Frauen als reines Anhängsel der Männer zu bezeichnen, ist doch eine Unverschämtheit ({3}) und zeugt von einer Geisteshaltung, von der ich dachte, dass man nicht einmal an einem bayerischen Stammtisch sich so etwas zu sagen traut. Nicht einmal mein Vater würde sich das heute zu sagen trauen. Er lebt nicht mehr; aber er hätte es sich nicht zu sagen getraut, auch wenn er schon über 80 wäre. Aber jetzt sagt man das im Deutschen Bundestag. Das ist unglaublich und ungeheuerlich. ({4}) Ich wiederhole den mutigen Satz aus dem Antrag. Da heißt es nämlich: Es ist Zeit für eine Perspektive, die inklusiv, differenziert, feministisch und genderkritisch mit dem Themenkomplex Frauen im Widerstand umgeht. Denn es waren Frauen – ich sage es noch mal – aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, die sich dem nationalsozialistischen Terror widersetzt haben, die unter Einsatz ihres Lebens Verfolgten geholfen haben, die aber gleichzeitig politisch aktiv waren, die die Rolle von Männern eingenommen haben, die verhaftet worden sind oder in Konzentrationslager verbracht wurden und die Faschismus und Kriegstreiberei angeprangert haben. Alle kennen Sophie Scholl. Aber über Sophie Scholl hinaus gibt es noch eine Reihe von Frauen. ({5}) Wir haben versucht, von all denen, von denen wir sie wussten, die Namen im Antrag zu nennen. Meine Redezeit reicht nicht aus, all diese Namen zu wiederholen. Aber ich bitte Sie herzlich, auch wenn Sie Anträge sonst nur überfliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lesen Sie diesen Antrag wirklich Zeile für Zeile! Denn auf vier Seiten wird das Engagement von vielen Frauen beschrieben, von denen wir wissen. Aber wir wollen ja mit diesem Antrag dafür sorgen, dass auch noch die anderen genannt werden können und auch deren Leistung ans Tageslicht gebracht wird. ({6}) Wir wollen die Gedenkstätte Deutscher Widerstand mit der Erforschung des Widerstands der Frauen im Nationalsozialismus beauftragen. Die Ergebnisse sollen in einer Ausstellung aufgearbeitet und auch digital gezeigt werden, um sie für eine breite Öffentlichkeit und auch die Wissenschaft zugänglich und nutzbar zu machen. Wir wollen aber auch, dass die pädagogische Arbeit, die Gedenkstättenarbeit in den ehemaligen Frauenkonzentrationslagern wie Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück gefördert und weitergetragen wird. Zum 80. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler soll es Sonderbriefmarken geben, die den Beitrag von Frauen am Widerstand aufzeigen sollen. ({7}) Noch eine ganze Reihe von weiteren Maßnahmen wollen wir ergreifen, um diesen wirklich mutigen Widerstand von Frauen aufzuzeigen und die Schicksale von Frauen und ihre Arbeit deutlich zu machen. Ich will mit dem Zitat einer Frau enden, die ebenfalls im Antrag genannt wird, und zwar Gertrud Luckner, die als Christin über die Caritas verschiedene Hilfsaktionen plante und durchführte. Sie mahnt uns: Geschichte ist doch eigentlich die Lehrmeisterin. Können wir nicht gerade aus dieser Geschichte sehr viel lernen? Vergessen darf man nicht, das ist nicht möglich, dann käme es vielleicht wieder vor. Wir wollen die Grausamkeiten und die Gräueltaten der Nationalsozialisten nicht vergessen. Wir wollen die Orte des Erinnerns und der Aufarbeitung stärken. Und ich sage noch einmal: Es ist an der Zeit, hier die Rolle der Frauen hervorzuheben. Insgesamt, glaube ich, können wir auch an den Reden, die heute in diesem Haus – ich komme noch einmal darauf zurück – gehalten werden, erkennen, dass wir alles daransetzen müssen, dass dieses Thema nicht untergeht und in seiner Breite und Vielfalt immer wieder auf die Tagesordnung kommt, auch wenn es manchen in diesem Haus nicht passt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Hartmut Ebbing, FDP, ist der nächste Redner. ({0})

Hartmut Ebbing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004706, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste oben auf der Tribüne! Ich muss mich wirklich bemühen, meinen Redetext nicht umzuwandeln; denn das, was ich vorhin gehört habe, erschüttert mich wirklich ein bisschen. Die Rolle der Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus wurde oft und teilweise auch bewusst unterschätzt, sodass sich in der breiten Öffentlichkeit das Bild eines überwiegend männlichen Widerstandes verfestigt hat. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute aufgrund Ihrer Initiative, Elisabeth Motschmann, fast 75 Jahre nach dem gescheiterten Attentat, diesem Thema endlich die Aufmerksamkeit zukommen lassen, die ihm zusteht. ({0}) Natürlich können wir hier im Parlament streiten, aber es gibt meines Erachtens Themen in unserer Demokratie, über die sich nicht streiten lässt, sondern bei denen wir eigentlich einen sehr breiten Konsens haben, wie ich merke. Ich würde mir wünschen, dass wir das vielleicht fortsetzen können. ({1}) Erika von Tresckow und Ehrengard Gräfin von der Schulenburg fertigten gemeinsam Entwürfe und Reinschriften der „Walküre“-Befehle. Libertas Schulze-­Boysen, Erika von Brockdorff und Mildred Harnack engagierten sich zusammen – zusammen! – mit ihren Männern im Berliner Widerstandsnetzwerk der Roten Kapelle. Sophie Scholl, die zentrale Figur der Weißen Rose, war bei ihrer Hinrichtung, am 22. Februar 1943, gerade einmal 21 Jahre alt. Es wird höchste Zeit, dass all diese Widerständlerinnen, die ihr Leben für eine bessere und gerechtere Zukunft ihres Landes bewusst riskiert und teilweise auch verloren haben, endlich in einem Atemzug – und zwar gleichberechtigt – mit ihren männlichen Mitstreitern genannt werden. ({2}) Wir haben schon von meinen Vorrednern viele Namen gehört. Es fehlen aber auch noch viele Namen. Ich als Berliner, der jahrelang im Bezirk Schöneberg politisch aktiv war, möchte Ihnen gerne Liane Berkowitz vorstellen, die in der Nähe des Viktoria-Luise-Platzes gewohnt hat und für die dort auch eine Gedenktafel steht. Liane Berkowitz war Mitglied der Roten Kapelle und hat am 17. Mai 1942 mit 18 Jahren Protestzettel auf dem Ku’damm geklebt. Sie wurde im September 1942 verhaftet und im Januar 1943 vom Reichskriegsgericht zusammen mit ihrem Verlobten Friedrich Rehmer zum Tode verurteilt. Ein Gnadengesuch aufgrund ihrer Schwangerschaft wurde von Hitler persönlich abgelehnt. Im April 1943 brachte sie im Frauengefängnis die gemeinsame Tochter Irene zur Welt. Friedrich Rehmer wurde bereits am 13. Mai 1943, hingerichtet. Liane Berkowitz wurde am 5. August 1943 hingerichtet. Ihre Tochter starb halbjährig im Oktober 1943. Die Umstände des Todes sind nicht ganz genau geklärt. Es wird angenommen, dass die Tochter Opfer der NS-Krankenmordaktion war. Kritik üben dürfen, das Recht, anders zu denken, sind Pfeiler unserer Demokratie und in unserer Verfassung in Artikel 5 zum Glück sehr festgeschrieben. Vor dem Hintergrund des – wie wir hier auch heute wieder merken – wieder aufflammenden Rechtsextremismus in Deutschland ist die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus höchst aktuell.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Kollege, denken Sie daran, dass Ihre Redezeit schon seit einiger Zeit überschritten ist.

Hartmut Ebbing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004706, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. – Jede demokratische Partei müsste diesem Antrag zustimmen. Wir Liberalen tun das jedenfalls mit voller Überzeugung. Vielen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Petra Pau, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! CDU/CSU und SPD beantragen, den Widerstand von Frauen gegen den Nationalsozialismus in seiner weltanschaulichen Breite und sozialen Vielfalt besser zu würdigen. Dazu schlagen sie sehr konkrete Maßnahmen vor. Die Fraktion Die Linke stimmt diesem Antrag ohne Wenn und Aber zu. ({0}) Ausdrücklich danke ich all jenen, die den Antrag mit viel historischer Sachkenntnis formuliert haben, und ich empfehle allen Bürgerinnen und Bürgern, ob hier auf der Tribüne oder daheim vor dem Fernseher oder anderswo, diesen Antrag komplett zu lesen. Ich registriere mit Genugtuung, dass beide Unionsparteien den Antrag tragen. Die Kollegin Motschmann hat das hier dankenswerterweise auch in der ganzen Breite dargestellt, einschließlich der Auseinandersetzungen, von denen ich ahne, dass sie geführt werden mussten. Deswegen möchte ich Ihnen eine Episode erzählen. Sie begann 1995. Der Umzug des Bundestages vom Rhein an die Spree war längst beschlossen. Da schlug plötzlich hier in Berlin eine Order aus Bonn ein. Gefordert wurde, die Straße, die auf das Reichstagsgebäude und künftig auf den Bundestag zuläuft, umzubenennen. Sie hieß damals Clara-Zetkin-Straße. Clara Zetkin war Frauenrechtlerin, Alterspräsidentin des Reichstages und Antifaschistin; aber sie war auch Kommunistin. Gegen die Umbenennung gab es Widerstand, unter anderem aus der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und bei der PDS. Ich habe noch ein Foto. Auf ihm halten Renate Künast, seinerzeit Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, und ich, damals Landesvorsitzende meiner Partei, das Clara-Zetkin-Straßenschild fest. Wie Sie wissen: vergebens. Seither heißt die Straße Dorotheenstraße, benannt nach Dorothea, Kurfürstin von Brandenburg, geborene Prinzessin von Holstein-Sonderburg-­Glücksburg. Es ging voran. Übrigens: Zehn Jahre später wurde Die Linke in den Bundestag gewählt, und so stellte sich die Frage, nach wem sie wohl ihren Fraktionssaal benennen würde. Sie wissen: CDU und CSU erinnern an Konrad Adenauer, die SPD an Willy Brandt. Wir entschieden uns für Clara Zetkin. Ironie der Geschichte: Vor dem Reichstagsgebäude durfte Clara Zetkin seit 1995 nicht mehr sein, nun ist sie seit 2005 hier drinnen im Haus. Ich möchte zusammenfassen: Wenn wir diesen Antrag beschließen und vor allen Dingen wenn die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden, setzen wir diesen aufrechten Demokratinnen und Demokraten nicht nur ein Denkmal, ich glaube, wir leisten einen Beitrag für heutige so notwendige Auseinandersetzungen und empfehlen auch den nachwachsenden Generationen Vorbilder, bei denen es sich lohnt, ihnen nachzueifern. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Erhard Grundl, Bündnis 90/Die Grünen, hat als nächster Redner das Wort. ({0})

Erhard Grundl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004733, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Würdigung von Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist längst überfällig. Schade ist eigentlich nur, dass Sie, liebe Kolleginnen der Union und der SPD, die Gelegenheit nicht genutzt haben, alle demokratischen Kräfte im Deutschen Bundestag in einem interfraktionellen Antrag zusammenzuführen. Das wäre eine noch stärkere Botschaft gewesen. ({0}) Es gab viele Formen, dem Rad in die Speichen zu fallen, wie es Dietrich Bonhoeffer nannte. Kritik am Regime, öffentliche Verweigerung oder ziviler Ungehorsam, ab 1934 genügte das, um nach dem Heimtückegesetz unerbittlich verfolgt zu werden. Widerstand aber zielte ab auf wirksame Abwehr, Begrenzung, Eindämmung der NS-Herrschaft. Er basierte auf dem Bewusstsein, dass ein kriegstreiberischer Unrechtsstaat, der die eigene Bevölkerung mordet, keinen Anspruch auf Loyalität hat. Zur bitteren Wahrheit gehört es, dass dieser Widerstand auch im Nachkriegsdeutschland lange nicht als heldenhaft, sondern als Verrat galt. Widerstand, so urteilte das Bundesverfassungsgericht noch 1961, sei nur diejenige Handlung, die Aussicht auf Erfolg hatte, also zum Sturz des Regimes führen konnte – ein Urteil, das später revidiert wurde. Denn wie die Historikerin Frauke Geyken schreibt: Damit wären genau genommen nur die Militärs als Widerstandskämpfer anzuerkennen … Frauen, die in der NS-Gesellschaftsordnung nicht in Sitzungen des Generalstabs im Führerhauptquartier Bomben platzieren konnten, wären davon ausgenommen. Aber Frauen leisteten Widerstand. Sie druckten und verteilten Flugblätter, sammelten Geld, organisierten Flucht, versteckten Verfolgte. Ihr Anteil am Rettungswiderstand während der Shoah ist außergewöhnlich hoch. ({1}) Und Frauen haben den Begriff „Widerstand“ über den politischen Widerstand und den bewaffneten Kampf hinaus um seine humanitäre Dimension erweitert. Die Erforschung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus ist männlich besetzt. Frauen wurden zu ihrer Rolle im Widerstand nicht in Zeitzeugeninterviews befragt, sie haben keine biografischen Notizen hinterlassen, haben ihre konspirative Tätigkeit auch vor Familie und Verwandten geheim gehalten, um diese zu schützen. In der Folge fehlt die weibliche Erzählperspektive über den Widerstand der Frauen fast vollständig. Unsere Fraktion stimmt Ihrem Antrag zu, weil das Thema und das Signal, das von ihm ausgeht, außerordentlich wichtig sind. ({2}) Meine Damen und Herren, Widerstand war im Nationalsozialismus die Ausnahme. Auch widerständige Frauen waren, gemessen an der Gesamtbevölkerung, dabei eine fast verschwindende Minderheit. Was hat diese Frauen dennoch befähigt, diese Ausnahme zu sein? Es war die Fähigkeit, in scheinbar aussichtslosen Situationen Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und Gleichgesinnte zu finden, so wie die Weiße Rose, die Rote Kapelle oder der Kreisauer Kreis. Ich bin überzeugt: Es ist wichtig, Vorbilder für den Widerstand gegen ein Unrechtsregime zu haben. ({3}) Ich scheue mich nicht, zum wiederholten Male die Namen Sophie Scholl, Margarete Mrosek oder Cato Bontjes van Beek zu nennen, so wie es all die anderen widerständigen Frauen sein könnten, deren Namen wir heute noch nicht kennen. Ein Wort zu rechtsaußen in diesem Haus. Sie haben nicht das Recht, sich als Nachfolger irgendwelcher Widerständler zu gerieren. ({4}) Sie sind die legitime Nachfolgepartei von Leuten wie Manfred Roeder, die erst als Generalhenker aufgetreten sind, um nach dem Krieg in die Schatulle der Spießbürgerlichkeit zurückzukriechen ({5}) und von dort aus die Widerständler bis in die 60er-Jahre hinein zu diffamieren. Zu mehr sind Sie nicht fähig. Vielen Dank. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Voraussichtlich letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Melanie Bernstein, CDU/CSU. ({0})

Melanie Bernstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004670, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einiger Zeit habe ich ein sehr beeindruckendes Buch gelesen: „Meines Vaters Land“. Darin beschreibt die – leider in diesem Monat verstorbene – Journalistin Wibke Bruhns ihre späte Suche nach dem Vater, der in Plötzensee gehenkt wurde, als sie selbst gerade sechs Jahre alt war. Major Hans Georg Klamroth wurde als Mitwisser des 20. Juli vom sogenannten Volksgerichtshof der Nazis zum Tode verurteilt. Die Tochter, im Nachkriegsdeutschland aufgewachsen, hat von der tragischen Geschichte ihrer Familie kaum etwas gewusst. Niemand sprach mit ihr darüber. Die Mutter gehörte, so Bruhns, zur schweigenden Generation: Wenn ich sie später mal vorsichtig auf den Vater angesprochen habe, fing sie an zu weinen, also habe ich es gelassen. Bis sie im Jahr 1979 eine Fernsehdokumentation über den 20. Juli sah und plötzlich ihren Vater erblickte, der, wie sie schreibt, „kerzengerade, elend – in einem zu großen Anzug vor dem Volksgerichtshof steht und stumm das Gekeife Roland Freislers über sich ergehen lässt“. Das jahrzehntelange Schweigen hat vor allem damit zu tun, dass für die Frauen der Hingerichteten mit dem Tod der Männer das Leiden keineswegs vorüber war. Für Familie Klamroths Vermögen, von den Nazis enteignet, gab es in der Bundesrepublik keinerlei Entschädigung. Nach dem Krieg war die Familie in großer finanzieller Not und lebte teils von Spenden des Hilfswerkes 20. Juli. Viele Angehörige der Verschwörer wurden in den Nachkriegsjahren von einem Teil der Bevölkerung als Verräter stigmatisiert. Nach jahrelangem Kampf mit den Behörden wurde Else Klamroth erst 1957 eine kleine Entschädigung für die Verurteilung und Hinrichtung ihres Mannes zugesprochen. Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es sehr anschaulich demonstriert, wie viele Jahre, eigentlich ihr ganzes Leben, die Frauen und Kinder der Verschwörer leiden mussten, leider oftmals unter Mitwirkung deutscher Behörden, und auch, weil Wibke Bruhns – selbst eine der ersten politischen Journalistinnen der Bundesrepublik – wirklich ein großes, ein ganz wertvolles Buch geschrieben hat. Natürlich sollten wir in gleichem Maße der Frauen gedenken, deren Töchter keine Bestseller geschrieben haben, deren Geschichten nicht so bekannt und aufgearbeitet sind, etwa das der Arbeiterfrau, die den Wahnsinn der Nazis nicht mitmachen wollte und der Hans Fallada in seinem Roman „Jeder stirbt für sich allein“ ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt hat. Hier müssen und wollen wir forschen, aufklären und bewahren. Deshalb diskutieren wir heute diesen Antrag. Es geht mir auch darum, die Lebensleistung dieser Frauen nach dem Krieg zu würdigen; denn in der Zeit der Not blieb oftmals keine Zeit für Gefühle und persönliche Aufarbeitung. Wibke Bruhns schreibt über ihre Mutter: Doch bei all dem hast du es dir niemals erlaubt, etwas anderes an den Tag zu legen als eiserne Selbstbeherrschung. Du konntest dein Entsetzen über diesen Tod nie herausschreien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diesen Frauen jetzt endlich eine Stimme geben, eine Stimme, die uns erinnert, uns mahnt, die Fehler unserer Vorfahren nicht zu wiederholen, ({0}) eine Stimme, die den Opfern das Gedenken in Würde und Gerechtigkeit zuteilwerden lässt, das sie verdienen und das wir ihnen schuldig sind. Vielen Dank. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 19/11092 mit dem Titel „Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus würdigen“. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Abstimmung in der Sache, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Überweisung an den Ausschuss für Kultur und Medien. Nach ständiger Übung stimmen wir zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragte Überweisung? – Das sind Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen und Die Linke. Wer enthält sich? – Dann ist der Überweisungsantrag abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 19/11092 in der Sache ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Antrag bei Enthaltung der AfD mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! 30 Jahre Mauerfall, hochqualifizierte ostdeutsche Leute, die motiviert waren und große Hoffnungen hatten, und trotzdem ist es sämtlichen Bundesregierungen seither nicht gelungen, im Land gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen. Welch ein Armutszeugnis! Dabei schreibt Artikel 72 Absatz 2 Grundgesetz vor, dass der Bund zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in vielen Bereichen dafür das Gesetzgebungsrecht hat. Warum wird dieses Recht nicht viel stärker von uns im Parlament genutzt? Weil wir nicht daran glauben? Weil es vielleicht zu teuer ist? Weil die bisherige Politik sonst in schlechtem Licht steht? Was auch immer die Ausrede für uns sein mag: Damit setzen wir die Zukunft von Generationen aufs Spiel. Das kann nicht so bleiben. ({0}) Das gilt zum einen für die ländlichen Räume in weiten Teilen Deutschlands und zum anderen vor allem für Ostdeutschland. Die Fraktion Die Linke geht hier mit einem Antrag in die Offensive, der darauf abzielt, das Grundgesetzgebot ernst zu nehmen. Wir fordern, die öffentliche Daseinsvorsorge endlich für alle Menschen vergleichbar sicherzustellen. ({1}) Das betrifft neue Formen der ländlichen Wirtschaft, die Versorgung mit einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur, wertschöpfungsschaffende Strukturen, Kultur- und Bildungseinrichtungen, den Ausbau eines leistungsfähigen und barrierefreien ÖPNV zum Nulltarif und vieles andere mehr. Wir alle wissen, dass sich regierungsamtliche Ratlosigkeit immer daran bemerkbar macht, wenn die angebliche Lösung von Problemen die Bildung von Arbeitsgruppen oder Kommissionen ist. So ist es auch hier. Anstatt volle Konzentration, Finanzmittel und Perspektiven in die ländlichen Räume zu investieren, wird weiterhin Zeit verplempert, um dann lediglich festzuhalten, was sowieso schon jeder weiß. In materieller, aber auch in ideeller Hinsicht gibt es, wie die Studie „Ungleiches Deutschland“ der Friedrich-Ebert-Stiftung zusammenfasste, gerade mehrere Deutschlands, nämlich in Bezug auf deutlich voneinander abweichende Entwicklungswege. Nicht nur die ländlichen Räume sind im Hintertreffen. Wohlstand und Armut sind weiterhin extrem ungleich vor allem zwischen West und Ost verteilt. Es ist offenkundig, dass der radikale Umbruch in Ostdeutschland nach 1990 zu extremen Verwerfungen – von der Eigentumsstruktur bis zur politischen Meinungsbildung – geführt hat. Wer hier nicht sieht, dass ein Großteil der Gründe für das Erstarken des Rechtspopulismus im Fehlen einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive und in geringeren basisdemokratischen Möglichkeiten, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, liegt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt oder will sie vielleicht auch nicht erkennen. Die Fraktion Die Linke legt gleichzeitig einen Antrag vor, der die freiwilligen Feuerwehren im ländlichen Raum unterstützen und fördern soll. Das mag einigen von Ihnen vielleicht kleinteilig vorkommen. Wenn man sich aber vor Augen führt, dass die freiwilligen Feuerwehren nicht nur für den Katastrophenschutz von immenser Bedeutung sind, sondern in Dörfern und Gemeinden zudem das soziale und kulturelle Gemeinschaftsleben oftmals inzwischen als einzige funktionierende Institution prägen, dann dürfte einem der Stellenwert für die dortige Lebensqualität klar sein. Hier fordern wir für die freiwilligen Feuerwehren die Rückkehr zu entsprechenden technisch-logistischen Standards der Brandbekämpfung, eine regelmäßige Anpassung der sozialen Absicherung ihrer Mitglieder sowie die verbesserte Würdigung und Anerkennung dieses bürgerschaftlichen Engagements von besonderer Bedeutung, und zwar über eine Kofinanzierung aus Bundesmitteln in Höhe von 75 Millionen Euro jährlich, die zu verstetigen sind. Dieser Antrag soll nur ein Beispiel dafür sein, wie groß die Vielzahl der Herausforderungen im ländlichen Raum ist, deren Bewältigung von uns erwartet wird. Wenn selbst die Friedrich-Ebert-Stiftung in der genannten Studie zu dem Fazit kommt, dass es darum geht, eine neue Politik zu formulieren, die endlich entschlossen die Ungleichheit bekämpft, dann spricht sie einerseits nur das aus, was Die Linke mittlerweile seit Jahrzehnten sagt, und andererseits hat sie damit einfach nur Recht. ({2}) In diesem Sinne können wir den Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Petra Nicolaisen, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. ({0})

Petra Nicolaisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004841, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass die vorliegenden Anträge, über die wir nun debattieren, einen konstruktiven Beitrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land leisten möchten und dass darin tatsächlich Vorschläge unterbreitet werden, die ich grundsätzlich unterstützen kann. Forderungen wie etwa die nach einer Erweiterung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ finde ich genauso richtig und wichtig wie die nach Stärkung des Ehrenamtes und des bürgerschaftlichen Engagements. Beides sind tragende Säulen unseres Gemeinwesens. ({0}) Der Aussage im Antrag der Grünen und von Ihnen, sehr geehrte Frau Kollegin Bluhm-Förster, dass bisher nichts Konkretes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse unternommen wurde, muss ich jedoch vehement widersprechen. Eine komplette Aufzählung aller Maßnahmen, die wir bereits ergriffen haben, um gute Lebensbedingungen in Stadt und Land zu gewährleisten, würde den Rahmen so kurz vor der Sommerpause allerdings sprengen. ({1}) Ich werde das daher kurz anhand von drei Beispielen erläutern. Zunächst wurde, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, im Herbst letzten Jahres die Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ eingesetzt. Darin erarbeitet die Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern und den kommunalen Spitzenverbänden Empfehlungen zur Verbesserung der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in wichtigen Bereichen wie der Daseinsvorsorge, der technischen Infrastruktur oder der Förderpolitik. Sobald der Endbericht mit prioritären Handlungsempfehlungen vorliegt, werden auch wir als Parlamentarier Umsetzungsbeschlüsse fassen können. Das ist das erste Beispiel. Zweitens. Ein weiteres Beispiel sind die existierenden Förderprogramme des Bundes, die dem ländlichen Raum zugutekommen oder dazu beitragen, die Städte lebenswerter zu machen. Nennen möchte ich hier das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung mit 70 Millionen Euro im Bundeshaushalt 2019 sowie die Städtebauförderung, für die in diesem Jahr insgesamt 790 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Drittens. Darüber hinaus haben wir Ende letzten Jahres das Grundgesetz dahin gehend geändert, dass der Bund in den Bereichen Bildung und sozialer Wohnungsbau – eigentlich Länderaufgaben – finanzielle Unterstützung leisten kann. Für mich sind das durchaus nennenswerte Schritte, die wir hier unternommen haben, um unseren Bürgerinnen und Bürgern gute Lebensbedingungen in Stadt und Land zu ermöglichen. In Anbetracht der erheblichen Unterschiede, die in den regionalen Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten, bei der Sicherung der Mobilität und beim Zugang zu Angeboten der Grundversorgung und Daseinsvorsorge vorhanden sind, hört unsere Arbeit hier aber nicht auf. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist vielmehr eine Daueraufgabe der Politik. Dabei dürfen wir jedoch nicht unberücksichtigt lassen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2005 hierzu nochmals genauer festgelegt hat – ich zitiere –: Zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist eine bundesgesetzliche Regelung erst dann erforderlich, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet. Ja, Deutschland hat unterschiedliche Lebens- und Rahmenbedingungen, sodass die Lebensverhältnisse in unserem Land alles andere als gleich sind. Aber das müssen sie auch nicht sein. Denn: So unterschiedlich die Menschen und Lebenskonzepte sind, so unterschiedlich sind auch Bedürfnisse und Vorstellungen davon, was gute Lebensbedingungen ausmacht. Deshalb bin ich der Auffassung, dass die Vielfalt erhalten bleiben muss und unsere Maßnahmen zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse dezentrale Lösungsansätze verfolgen und dazu beitragen sollten, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken. In diesem Sinne wollen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Menschen kein Lebenskonzept vorschreiben. Im Gegenteil: Wir wollen ihnen Chancen eröffnen. Dafür setzen wir uns bei der Schaffung guter, gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land ein. Ich freue mich auf eine konstruktive Debatte nach der Sommerpause. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dietmar Friedhoff, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Dietmar Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004719, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Zum Abschluss noch zwei Themen: ländliche Räume und freiwillige Feuerwehren stärken, ausbauen und zukunftsorientiert entwickeln und aufstellen. Ich persönlich lebe auf dem Land. Als Stadtkind geboren, steht für mich fest: Städte mögen Impuls sein, Städte mögen Lifestyle sein; das Land hingegen ist Besinnung, Gemeinschaft und Wurzel – auch und gerade im 21. Jahrhundert. ({0}) Eines ist das Land in jedem Fall nicht: Es ist nicht der Rand der Stadt; es ist nicht die Fläche, die man für die Städte mit Windrädern, Solarflächen, Monokulturen und Biogasanlagen vollstopfen kann. Das Land ist das Tor, das Tor zur Gemeinschaft, zur Tradition und Natur, und genau das gilt es zu wahren. Was braucht es nun, dass das Land nicht abgehängt wird, nicht gegenüber Städten verliert, dass es zukunftsorientiert aufgestellt ist, ohne seine Identität als Land zu verlieren? Es wird Sie wundern: Dazu bedarf es A, F und D. A wie Arbeit, Ausbildung und Arzt. Meint: Arbeitsplätze in der Nähe, aber auch moderne Ansätze von Arbeiten in der Zukunft; regionale Marken stärken, Homeoffice und Kreativdörfer; Gedankenschmieden auf dem Land in einem kreativen Umfeld. Es meint erreichbare Ausbildungsplätze, Kitas und Schulen – und den Arzt. Geht der Arzt, geht das Dorf. Dazu bedarf es F: F wie Familie, Fahrzeug und Feuerwehr. Meint: Wohnen und Zusammenleben der Zukunft; Jung und Alt gemeinsam als soziales Gefüge; „generationsübergreifend“ ist eine der Antworten auf das Heranwachsen, Leben und Altwerden in der Zukunft. „Fahrzeug“ meint Mobilität, funktionierenden Nahverkehr, freies Autofahren für die nötige und maximale Flexibilität. ({1}) Und F meint Feuerwehren, die für Sicherheit stehen. Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehren werden gebraucht, und zwar raumnah und zeitnah. Und es braucht D wie Dorfgemeinschaft ({2}) für ein soziales und festigendes Miteinander. Das macht der Schützenverein, die Theatergruppe, die Feuerwehr, aber eben auch die Dorfkneipe. D wie Dorfladen als Einkaufsmöglichkeit in der Nähe, die Nahversorgung. Und zu all dem braucht es Digitalisierung. ({3}) Das ist definitiv eines der Kernthemen für die Entwicklung der ländlichen Räume, aber eben auch der Feuerwehr. Kommen wir zur Feuerwehr. In Deutschland dienen circa 1 Million Frauen und Männer bei der freiwilligen Feuerwehr und über 250 000 junge Menschen in den Jugendfeuerwehren. ({4}) Sie leisten tagtäglich Einsatz für uns alle, einen Einsatz, der unter dem Motto steht: „Gott zur Ehr, dem nächsten zur Wehr“. Das ist Verpflichtung und Wahlspruch der Frauen und Männer der Feuerwehren, wenn es gilt, des nächsten Leib und Leben, Haus und Hof selbst unter Einsatz des eigenen Lebens zu schützen. Respekt und Dank an dieser Stelle. ({5}) Aber genau deswegen ist es Verpflichtung und Aufgabe, diesen Frauen und Männern jede Unterstützung, die beste Ausbildung und das beste Material zur Verfügung zu stellen; das bedeutet nämlich Fürsorgepflicht. Die Herausforderungen der Feuerwehren sind breit. Zu viele Einsätze, zu alte Fahrzeuge, zu alte Gerätehäuser, Nachwuchsmangel, schlechte und fehlende Kommunikationsmöglichkeiten und Mangel an Ausbildung, auch und gerade im Bereich der Digitalisierung. Dazu braucht es wieder mehr Respekt vor der Aufgabe. Derzeit ist in einigen Gebieten die Einsatzbereitschaft der Feuerwehren in Gefahr. Zu viele Mitglieder arbeiten auswärts und haben Arbeitgeber, die den Dienst nicht unterstützen, geschweige denn fördern. Das hat erheblichen Einfluss auf die Sicherheit der Menschen vor Ort. Werte Arbeitgeber, erkennen Sie den Dienst wieder mit dem Respekt an, der ihm gebührt, und schaffen Sie dafür auch wieder mehr Freiräume. ({6}) Es braucht auch Ideen vonseiten der Politik für diesen Dienst an der Gemeinschaft, um den Kameradinnen und Kameraden Vorteile zu bieten. Wie wäre es mit Rentenpunkten? Leistung für die Gemeinschaft darf eben keine Einbahnstraße sein. Und wir müssen wieder eins: mehr Menschen für diesen Dienst gewinnen. Die Einführung eines Jahres für den Staat aller Menschen in diesem Land wäre mal ein Ansatz. ({7}) Da die Menschen in Deutschland auch mobiler und flexibler geworden sind und auch mehr arbeitsbedingt umziehen, bedarf es vielleicht auch eines bundesweiten Ausbildungsstandards. Wichtig ist vor allen Dingen eins: der Schutz der Rettungskräfte. Behinderung und Gewalt gegen Rettungskräfte muss hart bestraft werden. Werte Kolleginnen und Kollegen, sollte der immer wieder zitierte Klimawandel in Deutschland zu mehr Bränden, zu mehr Stürmen und zu mehr Hochwasser führen, müssen wir jetzt sofort in Feuerwehren, Rettungsdienste und das THW investieren, massiv und schnell. Ein Warten darf es nicht geben. Nicht mehr Nachdenken, sondern Vordenken und Handeln. Das ist und wird eine der großen nationalen Aufgaben sein – die Uhren laufen. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Resttag, und kommen Sie alle gesund nach Hause! Danke schön. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Elisabeth Kaiser, SPD, ist die nächste Rednerin. ({0})

Elisabeth Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir von gleichwertigen Lebensverhältnissen reden, dann stellen wir uns Fragen wie: Wo kann ich gut leben? Wo kann ich gut wohnen? Wo gibt es Ärzte? Wo gibt es eine gute Kinderbetreuung? Wo gibt es gute Schulen? Wo gibt es Mobilfunk, Internet? Kann ich mich auf den öffentlichen Nahverkehr verlassen? Und gibt es Möglichkeiten, dass ich mich auch ehrenamtlich einbringen kann? Bei all diesen Dingen sind Landkreise, Städte und Dörfer gefragt. Sie sind zuständig für die Sicherung der Daseinsvorsorge. Aber häufig fehlt ihnen leider auch das Geld, um ihre Aufgaben zu meistern oder zu investieren. Deshalb kämpfen wir in der SPD-Fraktion dafür, dass sich der Bund noch stärker engagiert, um den Kommunen einen größeren Handlungsspielraum zu eröffnen. ({0}) Wenn ich als Thüringerin über gleichwertige Lebensverhältnisse spreche, dann spreche ich natürlich auch über den Osten, jetzt gar nicht mal, um eine Abgrenzung zum Westen der Republik zu machen; denn auch dort gibt es Strukturschwäche, auch dort gibt es notleidenden Kommunen. Aber im Osten fehlt es in der breiten Fläche an gut bezahlten Jobs, an Karrieremöglichkeiten und auch an jungen Leuten. Die Wirtschaftskraft im Osten ist – trotz der guten Entwicklung – immer noch signifikant unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Und auch das wirkt sich auf die Wirtschaftskraft der Kommunen aus. Deshalb ist es wichtig, dass wir – erstens – wirtschaftliches Wachstum und Innovationspotenzial in den strukturschwachen Regionen stärken. Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ wird einen Vorschlag unterbreiten, wie ein gesamtdeutsches Fördersystem aussehen könnte, um eben strukturschwache Regionen ab 2020 zu unterstützen. ({1}) Wichtig ist – zweitens – auch, dass wir die Städtebauförderung so anpassen, dass insbesondere strukturschwache Kommunen davon profitieren können und eben auch die ostdeutschen Länder. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es ist ja nicht so, als hätten wir in dieser Legislatur noch gar nichts für die Kommunen getan. Das Gegenteil ist der Fall, und das wissen Sie auch. Die SPD hat zum Beispiel maßgeblich dafür gesorgt, dass der Bund die Länder bei den Kosten für die Kinderbetreuung in den Kitas unterstützt und genauso die Kommunen bei den Kosten der Unterkunft entlastet. ({2}) Wir werden auch die Grundsteuer neu gestalten, um dadurch im nächsten Jahr 14 Milliarden Euro an Einnahmen für die Kommunen zu sichern. Ich könnte jetzt noch ganz, ganz viel aufzählen, muss aber an dieser Stelle noch etwas klarstellen: Wir haben in der Koalition die Mittel für das Förderprogramm für kommunale Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur von 100 auf 300 Millionen Euro aufgestockt. ({3}) Und heute Morgen höre ich dann, der Bund stelle zu wenig Geld für Schwimmbäder ein. Bitte? Wir unterstützen Kommunen gerade mit diesem Programm dabei, in Einrichtungen mit sozialer und integrativer Wirkung zu investieren. Natürlich gehören dazu auch Schwimmbäder, aber eben auch andere Begegnungsstätten in den Kommunen. Gefördert wurden in den letzten Jahren zum Beispiel das Freizeitforum in Marzahn, die Begegnungsstätte im Gründerhaus in Greiz, ein Jugendklub in Meerane und in Mecklenburg-Vorpommern – das ist für Herrn Bartsch, der jetzt nicht mehr da ist, vielleicht interessant, weil es in seinem Bundesland ist – ein Bildungs- und Bürgerzentrum in Schwerin, in Heringsdorf eine Sport- und Mehrzweckhalle sowie zahlreiche Sport-, Freizeit- und Naturbäder in der ganzen Republik. Liebe Fraktion Die Linke, Sie können uns hier nicht vorwerfen, der Bund wäre sich seiner Verantwortung nicht bewusst. ({4}) All diese Maßnahmen sorgen dafür, den Kommunen einen Gestaltungsrahmen für eine verlässliche Daseinsvorsorge zu geben. Natürlich: Wir können immer noch mehr tun. Aber im Kern geht es auf jeden Fall darum, die Voraussetzungen für eine gute Entwicklung in den Kommunen zu schaffen. Dazu gehört natürlich auch das Ehrenamt. Das Ehrenamt bereichert das Angebot der Daseinsvorsorge und stärkt ganz besonders den Zusammenhalt in den Gemeinden und Städten. Deswegen wollen wir das weiterhin unterstützen, insbesondere auch die Feuerwehr, na klar. Denn die Kameradinnen und Kameraden setzen ihre Gesundheit und ihr Leben dafür ein, die Gesundheit und das Leben anderer zu schützen und zu retten. Das kann nicht hoch genug wertgeschätzt werden. ({5}) In der Tat haben freiwillige Feuerwehren vor Ort weitaus mehr Aufgaben als nur die Brandbekämpfung. Deswegen müssen sie gut ausgestattet bleiben, damit sie ihre Aufgaben auch gut erfüllen können. Deswegen haben wir im Haushalt Mittel für Fahrzeuge eingestellt, die vor Ort ankommen. ({6}) – Das passiert jetzt. 20 Fahrzeuge werden überbracht; das wurde uns versichert. Die anderen 336 Fahrzeuge kommen noch. Klar ist aber auch: Die freiwilligen Feuerwehren leisten vor Ort noch viel mehr. Ohne sie würde kein Dorffest funktionieren, kein Maibaumsetzen. All das wäre nicht möglich ohne den Einsatz der Kameradinnen und Kameraden. Sie gehören einfach zum Gemeinschaftsleben in der Kommune. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon seit einiger Zeit überschritten. Kommen Sie bitte zum Ende.

Elisabeth Kaiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, ich komme zum Schluss. – Wir wollen die Feuerwehren auch weiterhin unterstützen. Ich danke an dieser Stelle den Kameradinnen und Kameraden, aber auch all denjenigen, die sich vor Ort engagieren, auch beim THW und in den Kommunen. Ihnen allen wünsche ich jetzt eine schöne Sommerpause mit guten Begegnungen vor Ort in Ihren Wahlkreisen! Vielen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Benjamin Strasser, FDP. ({0})

Benjamin Strasser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über Anträge der Linken, der Grünen und von uns Freien Demokraten. Eigentlich hätte die Bundesregierung schon längst eigene Initiativen vorlegen können und müssen; aber in der sehr üppig besetzten Heimatabteilung des Bundesinnenministers Seehofer herrschen Stillschweigen und Tatenlosigkeit. Das verwundert auch nicht groß: Der Heimatminister hat es offensichtlich nicht für nötig empfunden, bei dieser Debatte heute anwesend zu sein; ({0}) der Staatssekretär ist mit einiger Verzögerung eingetroffen. Das ist wohl symptomatisch für die Arbeitsweise im Heimatministerium. Ich habe Herrn Seehofer mal gefragt, welche konkreten Gesetze und Förderprogramme denn durch das Heimatministerium entschieden worden sind. Wenn man dann vom Minister persönlich die Antwort bekommt: „Herr Strasser, es gab keine Gesetze im Heimatministerium, und es wird auch keine geben“, dann symbolisiert das die Tatenlosigkeit dieses Ministers. ({1}) Herausgekommen ist die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Aber auch bei dieser Kommission hat man den Eindruck: Außer Namensschilder auf den Tisch stellen und Getränke kühlen dürfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Heimatministeriums nicht viel. In 15 Monaten seit der Regierungsbildung ist außer der Einsetzung dieser Kommission nichts passiert im Bereich der Heimatpolitik. Dabei gäbe es doch Themen zur Stärkung der Heimat und der ländlichen Räume in Deutschland. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den ländlichen Raum stark machen will, der muss mehr für das Ehrenamt tun; ({2}) denn der gesellschaftliche Zusammenhalt wird gerade durch ehrenamtliches Engagement getragen. Ein wesentlicher Bestandteil sind dabei die Feuerwehren in unserem Land: 1,3 Millionen Menschen engagieren sich in über 22 000 Feuerwehren, und 95 Prozent dieser Menschen machen das ehrenamtlich. ({3}) Für diese Ehrenamtlichen wird es immer schwieriger, ihren Dienst neben Ausbildung, Beruf und Familie zu leisten. Auch der demografische Wandel trifft die Feuerwehren gerade beim Thema Nachwuchsförderung hart. Da müssen wir uns als Parlament doch die Frage stellen: Wo können wir helfen? Aber wenn wir Katastro­phenschutzpolitiker das thematisieren, dann kommt von den Regierungsfraktionen, vor allem von der Union, immer der Fingerzeig auf die Länder: Wir sind nicht zuständig. – Ja, wir sind als Bund nur zuständig im Bereich der ergänzenden Katastrophenhilfe. Aber mich würde schon freuen, wenn man die Zusagen, die der Minister den Feuerwehren gegeben hat, von Bundesseite wenigstens einhalten würde. Da sieht es sehr trostlos aus. Sie haben 510 Fahrzeuge für die Feuerwehren versprochen, die im Bereich des Brandschutzes fehlen. Geschehen ist bis heute nichts. Noch immer warten die Bundesländer auf 336 Löschgruppenfahrzeuge und 94 Schlauchwagen. So lässt man den ländlichen Raum, die Feuerwehr und das Ehrenamt im Stich. ({4}) Deswegen haben wir Freie Demokraten Ihnen heute einen Antrag vorgelegt. Helfen Sie mit, Strategien zu entwickeln und Projekte zu unterstützen, die sich der Nachwuchsförderung im Bereich der Feuerwehren widmen. Helfen Sie mit, Forschungsvorhaben zu entwickeln, wie die ehrenamtliche Tätigkeit bei den Feuerwehren für Frauen und Migranten attraktiver gestaltet werden kann; denn gerade diese Gruppen sind bei der Feuerwehr unterrepräsentiert. ({5}) Unterstützen Sie Initiativen der Feuerwehren, die sich gegen die zunehmenden Fälle von Gewalt gegen Einsatzkräfte richten. Und sorgen Sie vor allem dafür, dass die zugesagten Fahrzeuge jetzt endlich zur Auslieferung kommen und die Feuerwehren vor Ort nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet werden. ({6}) Einen ersten wichtigen Schritt zur Stärkung des Ehrenamts in den Feuerwehren unserer Republik könnten Sie schon heute gehen. Wir sind Serviceopposition: Wir haben Ihnen diesen Schritt vorgelegt, Sie müssen nur zustimmen. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen herzlichen Dank. ({7})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Markus Tressel, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Redner. ({0})

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklung ist klar – das brauchen wir an dieser Stelle nicht mehr ausdrücklich zu erwähnen –: Die Lebenswelten vieler Menschen driften immer weiter auseinander. Auf der einen Seite haben wir boomende Städte – das erleben wir hier in Berlin –, wo es immer mehr Menschen hinzieht und die mit den Folgen zu kämpfen haben. Auf der anderen Seite haben wir Regionen, aus denen die Menschen verschwinden und in denen mit ganz anderen Problemen umgegangen werden muss. Mancherorts hat sich in den vergangenen Jahren das Gefühl eingestellt, mit diesen Problemen nicht gehört und wahrgenommen zu werden. Das hat auch Auswirkungen auf den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft; das haben wir in den vergangenen Monaten und Jahren sehr deutlich gesehen. Da erwarten die Menschen, die in diesen Regionen leben, mit Recht endlich auch Antworten der Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jahrelang hat dieses Thema nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die es gebraucht hätte. ({0}) Deshalb fehlen bis heute die Instrumente, um diesen Schwierigkeiten entgegenzuwirken. Die Instrumente, die wir haben, passen oft nicht auf die Problemlagen, die wir in unseren ländlichen Regionen haben. Wir haben aber nicht nur ein Problem in den klassischen ländlichen Räumen, sondern auch ein ernstzunehmendes Problem mit strukturschwachen Regionen. Das können auch altindustrielle Regionen sein, wie zum Beispiel das Saarland. Frau Bluhm-Förster, die gibt es in Ost- und in Westdeutschland; das muss man an dieser Stelle auch klar sagen. ({1}) Es geht um Städte und Gemeinden, in denen die Menschen keine Perspektiven mehr für sich sehen, weder ökonomisch noch sozial, und wo nach und nach wegbricht, was es für ein gutes Leben braucht. Das muss man klar sehen und daher konsequent handeln. Der Schutz der Daseinsvorsorge in all ihren Facetten ist der Schlüssel für die Entwicklung dieser Regionen. Nur wenn der Bund es schafft, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen die Regionen lebenswert zu machen und zu erhalten, dann können wir auch das Ziel der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse erreichen. ({2}) In der „Süddeutschen Zeitung“ wurde diese Woche ein Pakt für die Regionen gefordert. So ein Pakt liegt Ihnen heute mit unserem Antrag vor. Unser Pakt für lebenswerte Regionen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt den Menschen vor Ort die Mittel und Möglichkeiten an die Hand, die sie brauchen, um ihr Lebensumfeld zu gestalten. Das umfasst nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch bessere Strukturen zum Fördermittelabruf. Das heißt, wir müssen nicht nur Geld geben, sondern auch Strukturen schaffen. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse bedeutet ja nicht, dass alle Infrastrukturen in gleichem Maße überall vorhanden sein müssen. Es bedeutet aber – und das ist auch wichtig –, besseren Zugang und damit gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, nicht von oben nach unten, sondern so, dass den Menschen vor Ort das Mitmischen, das Mitmachen ermöglicht wird. Was wir brauchen, ist echte Chancengleichheit, unabhängig von Herkunft und Wohnort, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Wir brauchen neben Förderung von wirtschaftlicher Entwicklung auch gute Rahmenbedingungen, damit Menschen sich in ihren Regionen zu Hause fühlen können, egal ob in Stadt oder Land, ob in Ost oder West. Deswegen müssen wir auch über eine Versorgungsgarantie reden, wenigstens in den relevantesten Bereichen wie Medizin, Mobilität und Digitalisierung. Dazu gehören auch die Feuerwehren, die Rettungsdienste und insbesondere das THW, auf das wir von der Bundesebene aus ja unmittelbaren Einfluss haben. ({4}) Da ist der Druck am größten. Das ist im Übrigen auch eine Frage der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit der Regionen. Wenn Sie sich angucken, wo sich die Industriearbeitsplätze in diesem Land befinden, dann stellen Sie fest: Die befinden sich mehr im ländlichen Raum als in den städtischen Regionen. Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ weckt zwar große Hoffnungen, unter anderem mit der Ankündigung eines gesamtdeutschen Fördersystems – das haben wir eben noch mal gehört –, aber es reicht nicht aus, hier und da an ein paar Stellschrauben zu drehen. Was wir brauchen, ist ein Neustart in der Förderpolitik, in der Förderlandschaft. Wir brauchen eine zukunftsgewandte Strukturpolitik. Ein erster Schritt – und davon sind wir überzeugt – muss die Einführung einer neuen Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“ sein, die wir in unseren Anträgen vorschlagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können die Bundesregierung nur dazu aufrufen: Versuchen Sie, hier nicht im Klein-Klein stehen zu bleiben. Wir müssen an die Grundlagen ran. Dazu besteht jetzt die große Chance, weil wir die Debatte eröffnet haben. Unser Beitrag liegt hier und heute vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur das Gleiche anbieten wie der Kollege Strasser: Greifen Sie zu! Da stecken sehr viele gute Ideen drin. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Michael Kuffer, CDU/CSU, ist der nächste Redner. ({0})

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2016 mussten die Feuerwehren in Deutschland rund 3 800 000-mal zu Einsätzen ausrücken. Mittlerweile sind es rund 4 Millionen Einsätze, die die Feuerwehren jedes Jahr in Deutschland zu bewältigen haben. Etwa ein Drittel der Einsätze werden von den freiwilligen Feuerwehren im ganzen Land geleistet. Ich glaube, dass ich mir an der Stelle anmaßen kann, für das gesamte Haus zu sprechen, wenn ich einfach einmal ein herzliches Vergelt’s Gott – vielen Dank – für diese Leistung, für diese Arbeit an 24 Stunden am Tag, 7 Tagen die Woche und 365 Tagen im Jahr sage. ({0}) Und zwar – das will ich an dieser Stelle hinzufügen – ist es ein Dankeschön an die Helferinnen und Helfer, an die Feuerwehrleute, aber auch an die Familien, die die Belastungen, die mit solchen Ehrenämtern verbunden sind, mittragen. Deshalb haben wir als Bundesgesetzgeber, der wir für die Tätigkeit der Feuerwehren im Rahmen des Zivilschutzes verantwortlich sind, unsere Unterstützung in dieser Legislaturperiode gerne noch einmal erheblich ausgebaut. So haben wir etwa im Bereich des erweiterten Katastrophenschutzes durch ein Sofortprogramm 100 Millionen Euro on top für die Beschaffung von Fahrzeugen bei der freiwilligen Feuerwehr bereitgestellt. Herr Kollege Strasser, Sie kennen die Auslieferungshistorie. Sie haben verschwiegen, dass es Zertifizierungsprobleme gegeben hat, für die wir als Gesetzgeber nun mal nichts können. Dass das Problem der Fahrzeuge mittlerweile gelöst, dass sie ausgeliefert werden, haben Sie leider verschwiegen. Wir verbessern mit diesen Mitteln ganz konkret die Ausstattungssituation der Feuerwehren vor Ort. Ich füge hinzu: Das ist auch ein wichtiger Beitrag für die Motivation der Helferinnen und Helfer und für die Nachwuchsgewinnung. Ich denke, es gibt wenige Bereiche, in denen sich die Unterstützung des Bundes so sehr auszahlt wie im Bevölkerungsschutz und insbesondere im Bereich der Feuerwehren. Aber die eigentlichen Leistungen der Feuerwehren lassen sich nicht materiell ausdrücken. Das Herausragende, liebe Kolleginnen und Kollegen, am Feuerwehrdienst ist nämlich die enorme persönliche Leistungs- und Opferbereitschaft, die die Feuerwehrleute jeden Tag an den Tag legen. Diese Männer und mittlerweile auch Frauen sind in ihrer alltäglichen Arbeit in diesem Ehrenamt mit Situationen konfrontiert, die sich die allermeisten Menschen nicht einmal vorstellen können. Sie müssen auf der einen Seite mit Gefahren umgehen, die eigene Gefährdung – manchmal auch die Lebensgefahr – in Kauf nehmen, um auf der anderen Seite Leben retten zu können. Sie müssen vieles können, vieles lernen und das Gelernte immer wieder üben – alles davon in der Freizeit. Sie müssen ein ganz hohes Maß an Verantwortung tragen. Wenn Sie einmal Kräfte, die Ihnen anvertraut worden sind, unter zum Teil extremsten Bedingungen in einen Gefahren- oder Schadensraum haben hineinführen, wieder herausführen und gesund nach Hause bringen müssen, dann wissen Sie, was ich meine. ({1}) Mit alledem sind die Feuerwehrleute nicht nur Leistungsträger, sondern auch Vorbilder: für Mut, für Verantwortung, für Leistungs- und Opferbereitschaft, für Hilfsbereitschaft, für Kameradschaft. All diese tollen Menschen tragen nicht nur das Abzeichen ihrer Wehr am Arm, sie tragen vor allem auch das Herz am richtigen Fleck, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Ein letztes Wort zu Ihnen, liebe Kollegen von der FDP. Diese Menschen sind vor allem Macher. Mit Geschwurbel können die nur relativ wenig anfangen. ({3}) Deshalb muss ich Ihnen sagen: Mit so einem lieblosen Antrag, wie Sie ihn vorgelegt haben, können wir das Problem hier nicht lösen. Sie ergehen sich in Allgemeinplätzen wie die „Zukunft der Feuerwehren modern und attraktiv gestalten“, die Ausstattung verbessern. ({4}) Das wird dann noch allgemeiner: Vorkehrungen treffen, Strategien entwickeln. – Ihr Antrag enthält keinen einzigen konkreten Vorschlag. Sie könnten einen machen, und darüber könnten wir diskutieren. Sie könnten auch mal dafür sorgen, dass Ihre Reihen ordentlich besetzt sind, wenn Sie einen eigenen Antrag einbringen. ({5}) Von uns ist der Fraktionsvorsitzende da; es ist 17 Uhr. ({6}) Bei Ihnen ist gerade noch eine Handvoll Abgeordnete da. ({7}) Ich glaube, dass Sie die tollen Leute bei der Feuerwehr draußen beleidigen, die es ganz konkret brauchen würden, –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege.

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– dass man über die Verbesserungen diskutiert, dort, wo es nötig ist, statt sich in solchen Allgemeinplätzen zu ergehen. Ich bitte Sie wirklich: Werden Sie da konkreter, und werden Sie etwas konstruktiver als bei diesem Antrag und auch bei den letzten Anträgen im Bereich Bevölkerungsschutz. So können wir das nicht greifen. Danke schön. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bernhard Daldrup, SPD, ist der nächste Redner. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heute vorliegenden Anträge zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, zu gleichwertigen Lebensverhältnissen folgen – im Kern jedenfalls – alle einer Erkenntnis der Großen Koalition. Im Titel des Koalitionsvertrages heißt es nämlich: „Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. ({0}) Deshalb gibt es die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Das ist für uns insgesamt ein verfassungsrechtlicher Auftrag. Und ich glaube, das ist auch gut so. In dieser Kommission sind alle Ressorts der Bundesregierung – das ist eben schon gesagt worden –, aber auch alle Länder sowie die kommunalen Spitzenverbände vertreten. Die Kommission wird zu ganz vielen Handlungsfeldern praktische Vorschläge machen, übrigens auch im Bereich der Engagementförderung, um hier den Antrag der FDP zu erwähnen, also auch bezogen auf die Feuerwehren. Ich will mich an dieser Stelle ausdrücklich dem Dank von Herrn Kuffer an die Feuerwehrleute anschließen. Wir haben in der Vergangenheit gerade im Bereich des THW und für die Feuerwehren sehr viel getan und immense Mittel zur Verfügung gestellt. Das will ich an dieser Stelle doch mal erwähnen. ({1}) Das ist übrigens nicht nur in technische Ausrüstung, sondern beispielsweise auch in Nachwuchsförderung geflossen, was dazugehört. Dazu könnte man jetzt noch viel mehr sagen. Weil wir wissen, dass wir trotz einer guten wirtschaftlichen Situation, trotz guter wirtschaftlicher Indikatoren, trotz guter sozialer Indikatoren nicht überall in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse haben, haben wir uns in der Großen Koalition dieser Aufgabe gestellt. Räumliche Ungleichheit kann sehr unterschiedlich erfahren werden, beispielsweise im fehlenden Arbeitsplatzangebot, im fehlenden Glasfasernetz, in der Gesundheitsversorgung, bei den Wohnungskosten, beim unzureichenden Kitaangebot oder den dazugehörigen Gebühren. Räumliche Ungleichheit gibt es in vielen Teilen Deutschlands, nicht etwa nur im ländlichen Raum, sondern beispielsweise auch im ehemals strukturstarken Ruhrgebiet. Sie ist auch kein allgemeines Ost-West-Thema. Weit über 2 000 Kommunen in Deutschland befinden sich mittlerweile in der Haushaltssicherung. Und räumliche Ungleichheit hat Folgen: Wo nichts los ist, ziehen die Menschen weg. Damit werden die Schwächen einer Region noch weiter verstärkt. Ein Teufelskreis. Die Raumordnungsberichte in Deutschland stellen seit Jahren sehr differenziert diese sehr ungleichen Lebenschancen dar. Herr Wanderwitz weiß, dass man dazu keinen extra Atlas braucht. Ich verweise auf den entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen. Wir, also die SPD, setzen uns nachdrücklich für eine gute Zukunft der ländlichen Regionen ein, ohne uns an dem Spiel „Stadt gegen Land“ zu beteiligen. ({2}) Aber das trifft ja in Wirklichkeit nicht den Kern. Was bedeuten eigentlich „gleichwertige Lebensbedingungen“? Was ist gemeint? Sicher nicht, dass alles überall gleich sein soll; das ist eben schon gesagt worden. Es geht um die räumliche Seite des Sozialstaatsgebotes, will heißen: Es geht um Chancengleichheit, es geht um Teilnahme und Teilhabe an der Gesellschaft, ja, es geht sogar um gleiche Freiheit. Dazu kann im Einzelfall sogar ein Demokratiefördergesetz beitragen, wo dies offenkundig nötig ist. Die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine gemeinschaftliche Aufgabe, auch der Länder. Daran müssen beispielsweise auch diejenigen denken, die wie die Grünen in elf Ländern an der Regierung beteiligt sind und sich über das ÖPNV-Angebot beschweren. Auch die haben eine eigene Verantwortung. Ich kann nicht auf alle Aspekte eingehen. Lassen Sie mich deshalb vier zentrale Aufgaben benennen, wenn wir ernsthaft über gleichwertige Lebensbedingungen reden. Erstens. Wir müssen uns um die Altschulden der Kommunen kümmern. ({3}) Bei einigen von ihnen ist es so weit, dass sie am Abgrund stehen und bei der nächsten Zinswende in eine dramatische Situation kommen. Zweitens. Wir müssen dafür sorgen, dass das Konnexitätsprinzip auch auf der Bundesebene gilt. Das heißt – mit anderen Worten –, dass die Sozialausgaben der Kommunen begrenzt werden müssen, sonst wird das nicht funktionieren. Drittens. Wir brauchen Wachstumsimpulse; denn nur wenn es Wachstum gibt, entstehen in diesen Regionen Arbeitsplätze. Hier hat die Strukturwandelkommission gute Arbeit geleistet. Viertens. Es muss endlich mal Schluss mit dem Verschiebebahnhof sein. Wenn die Steuereinnahmen der Länder wachsen, ist der Ruf der Kommunen allein nach dem Bund nicht hinreichend. Wenn die Länder im Rahmen der Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen um 9,5 Milliarden Euro bessergestellt werden, dann müssen die Kommunen daran beteiligt werden. ({4}) Dann muss auch die Grundfinanzierung der Städte und Gemeinden durch die Länder, die dafür zuständig sind, verbessert werden. ({5}) Das alles sind Aufgaben zur Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen, und an denen müssen wir uns gemeinsam beteiligen. Ich freue mich auch auf die Auseinandersetzung und wünsche Ihnen einen schönen Sommer. Danke. ({6})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke schön. – Voraussichtlich letzter Redner nicht nur in dieser Debatte, sondern heute ist der Kollege Marian Wendt, CDU/CSU. ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Schäuble! Liebe Kolleginnen und Kollegen! BerlinBrennt! Was sich martialisch anhört, ist eine Kampagne der Feuerwehren, die uns alle aufrütteln soll. Die Belastungen der haupt- und ehrenamtlichen Wehren durch fehlendes Personal und unzureichende Ausstattung sind aktuell enorm. Unweit von Berlin, im südlichen Brandenburg, kämpfen gerade ehrenamtliche freiwillige Feuerwehren aus Sachsen und Brandenburg gemeinsam mit dem THW gegen Waldbrände. In Brandenburgs roter Zone kämpfen sie alle gemeinsam gegen einen Feind, der uns sicherlich in den nächsten Tagen und Wochen leider noch öfter begegnen wird. Die Herausforderungen für unsere freiwilligen Feuerwehren sind enorm; denn wer im Wald über längere Tage das Feuer bekämpft, kann vor Ort nicht zum Verkehrsunfall oder zum Wohnungsbrand gerufen werden. Dies führt zum Problem der Einsatzbereitschaft. Hier müssen wir uns über diese neue Herausforderung, die auch mit den veränderten klimatischen Bedingungen zu tun hat, Gedanken machen. Die Belastung der freiwilligen Feuerwehren ist bereits heute sehr stark angestiegen. Dies hängt zum einen mit den neuen technischen Herausforderungen, den immer weiter gestiegenen erforderlichen Sachkenntnissen seitens der Feuerwehr und den veränderten Rahmenbedingungen zusammen. Ein kleines Beispiel aus meinem Wahlkreis in Nordsachsen. Oschatz hat 14 000 Einwohner. Letztes Jahr gab es 338 Einsätze: quasi an jedem Tag ein Einsatz für eine freiwillige Feuerwehr. Die Gemeinde tut alles, um immer wieder genug Ehrenamtliche auf die Fahrzeuge zu bekommen. Aktuell wurde die Pauschale für jeden Feuerwehrmann, der zum Einsatz kommt, auf 12 Euro pro Einsatz und Kamerad festgelegt. Dies ist ein richtiger Weg, den ich auch unterstütze; denn anders als eine Feuerwehrrente oder Ähnliches, die immer wieder Ungleichgewichte schafft – wie soll ich einen Kameraden, der 300 Einsätze im Jahr fährt, gleichstellen mit einem Kameraden, der zwei Einsätze fährt? –, ist ein konkreter Entschädigungsbetrag, glaube ich, der richtige Weg. Aber wir müssen noch mehr tun. Als Bund können wir über das Technische Hilfswerk entsprechende Großschadenslagen besser bekämpfen. Und wir alle können ganz konkret zwei Sachen tun: Zum einen lassen Sie uns das Modellprojekt des Technischen Hilfswerks unterstützen, Feuerlöschflugzeuge in Deutschland zu stationieren. ({0}) An 50 Seen und Flüssen in Deutschland ist das möglich. Präsident Broemme hat dazu erste Vorerkundungen durchgeführt. Wir wollen bald mit einem ersten Modellprojekt ans Werk gehen. Dazu brauchen wir weitere Brandschutzeinheiten. Es braucht feststehende Einheiten, die wie in den USA bei Großschadenslagen die Feuerwehren vor Ort entsprechend unterstützten. Dabei geht es nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander der blauen, weißen und roten Einsatzkräfte. ({1}) Das sind ganz konkrete Dinge und Probleme, an deren Lösung wir Hand in Hand mit der kommunalen Ebene und der Länder- und Bundesebene arbeiten. Wir können die freiwilligen Feuerwehren in den Kommunen dadurch entlasten und ihre Einsatzbereitschaft wiederherstellen, damit sie sich ihren originären Aufgaben der Gefahrenabwehr stellen können. Meine Damen und Herren, der zweite Punkt. Sie müssen heute nicht beantworten, ob Sie das unterstützen; aber es ist ein Angebot. Wir reden ja immer davon, es sei zu unkonkret, was hier geschieht, zu viel Blabla und nur für den Papierkorb. Sie können ganz konkret helfen. Deshalb lautet mein Angebot als Präsident der THW-Bundesvereinigung an Sie: Werden Sie selber aktiv. Im nächsten Frühjahr können Sie sich zum Helfer des THWs ausbilden lassen: Eine Woche Grundausbildung in Dresden – das Angebot wird Sie bald erreichen –, und nach dem Abschluss können Sie dann in Ihrem THW-Ortsverband mithelfen, mit in Einsätze fahren und dadurch die Einsatzbereitschaft erhöhen und die Sicherheit in unserem Land stärken. Mit diesem Angebot, das ich Ihnen mit in die Sommerpause gebe, bedanke ich mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen Kameradinnen und Kameraden einen guten und sicheren Sommer. Kommen Sie alle gesund zurück. Gut Wehr! Vielen Dank. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Tagesordnungspunkt 34 a und Zusatzpunkt 21. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/10288 und 19/11108 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Dann ist das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 34 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/10639 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, aber die Federführung ist strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Federführung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Grüne, FDP, AfD. Wer stimmt dagegen? – CDU/CSU, SPD, Linke. Wer enthält sich? – Logischerweise niemand. Dann ist der Überweisungsvorschlag abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, das heißt Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Nicht überraschend ist dieser Überweisungsvorschlag mit genau den umgekehrten Mehrheiten angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/10640 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Auch hier ist die Federführung strittig. CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen. Wer stimmt dafür? – Grüne und AfD. Wer stimmt dagegen? – Die anderen Fraktionen. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Dieser Überweisungsvorschlag ist wiederum mit den umgekehrten Stimmverhältnissen angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34 d. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gleichwertige Lebensverhältnisse und Chancengleichheit für Ländliche Räume herstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/7768, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/3164 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, AfD, FDP gegen die Stimmen der Linken und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 10. September 2019, 10 Uhr, ein und wünsche Ihnen und uns allen eine gute, friedliche Sommerzeit. Alles Gute! Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 17.18 Uhr)