Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne und draußen! In der heutigen Welt der Globalisierung ist der Planet zu einem globalen Dorf geworden. Wir, der Deutsche Bundestag, vertreten immerhin 1,1 Prozent der Weltbevölkerung, nämlich Deutschland.
Über 50 Prozent der Weltbevölkerung, also jeder zweite Mensch, lebt in Entwicklungs- oder Schwellenländern. Sie sehen, ich sitze hier auf der Regierungsbank zwar ganz hinten, so ein bisschen wie rangeklebt; das ist die Ordnung von gestern. Entwicklungspolitik gehört und muss in das Zentrum unserer Politik.
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Alles hängt mit allem zusammen in diesem globalen Dorf: Stichwort „Klimaschutz“; das Thema, über das wir aktuell so viel diskutieren. Der CO 2 -Ausstoß in Deutschland, in Europa und in den Industrieländern macht, obwohl wir nur 10 Prozent der Weltbevölkerung sind, 50 Prozent aus: 10 Tonnen CO 2 pro Kopf und pro Person hier in Deutschland. Unsere Belastung hier kommt insbesondere in den Entwicklungsländern Afrikas an: Dürre, Katastrophen, Flucht. Wir haben heute schon circa 20 Millionen Klimaflüchtlinge als Folge unseres Wirtschaftens und unseres Konsums.
Umgekehrt, meine Damen und Herren, wäre unser und Ihr Wohlstand ohne die Arbeit und die Ressourcen der Entwicklungsländer nicht möglich. Ihr Handy würde nicht funktionieren, unsere Autos und die Computer würden nicht laufen, die Bänder würden schon morgens stillstehen, würde Afrika in einen Ressourcenstreik treten. Kobalt, Coltan, Seltene Erden kommen aus diesen Ländern. Aber ich denke auch an die Nahrungsmittellieferketten: Bananen, Kaffee und all diese Dinge. Ihre Kleider werden unter sklavenähnlichen Bedingungen in Bangladesch gefertigt. Eine Bayreuther Wissenschaftlerin hat ausgerechnet, dass jeder von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Art, wie er lebt, 50 Sklaven beschäftigt. Wir können und sollten darüber nachher diskutieren.
Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik, Klima- und Umweltpolitik. Deutschland übernimmt Verantwortung in 80 Partnerländern. Wir haben auch große Erfolge mit anderen Partnern. Der Anteil der Menschen, die unter Hunger leiden, konnte auf die in absoluter Armut lebenden Menschen reduziert werden, also auf 10 Prozent. Eine Welt ohne Hunger aber ist möglich, wenn wir mehr tun würden als nur reden, nämlich handeln.
Wir investieren in Gesundheit. Pocken und Polio konnten vollständig bzw. fast vollständig ausgerottet werden. Das ist ein großartiger Erfolg. An dieser Stelle möchte ich Tausenden von Entwicklungsexpertinnen und ‑experten in den Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens danken, die häufig vergessen werden. Es gab unter ihnen Tote und Verletzte. Diese Menschen arbeiten unter schwierigsten Verhältnissen. Sie sind die besten Botschafter Deutschlands in der Welt.
Meine Damen und Herren, ich persönlich bin dankbar für diese großartige Aufgabe, die ich als deutscher Entwicklungsminister nun seit fast sechs Jahren leisten darf. Wir, die Staatssekretäre, die hier sitzen, Maria Flachsbarth und Norbert Barthle, und ich, mein Haus und die vielen Expertinnen und Experten haben die deutsche Entwicklungspolitik neu konzipiert. Darüber werden wir gleich diskutieren. Ich nenne vier Punkte.
Erstens. Good Governance ist die Voraussetzung für die Zusammenarbeit. Die Menschen in den Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika, müssen selber mehr leisten.
Zweitens. Die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit muss gestärkt werden, nicht nur beim Klimaschutz, sondern auch bei den Themen Hunger und Gesundheitsstrukturen. Das 0,7-Prozent-Ziel muss erreicht werden.
Drittens. Privatinvestitionen sind die dritte Säule, um Arbeit und Zukunft für die Menschen in den Entwicklungsländern zu schaffen. Deshalb haben wir gestern mit dem Entwicklungsinvestitionsfonds ein neues Instrument auf den Weg gebracht.
Viertens. Der faire Handel schafft Chancen und Zukunft: auf den Bananenplantagen, auf den Kaffeeplantagen, in den Nähstuben Bangladeschs. Wir müssen faire, existenzsichernde Löhne und ökologisch-soziale Grundstandards in den Lieferketten umsetzen und garantieren, damit die Menschen am Anfang der Kette für unsere Wohlstandsprodukte ein Leben unter fairen Bedingungen, ein Leben mit Zukunft führen können.
Vielen Dank. – Ich freue mich auf die Diskussion.
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Danke sehr, Herr Bundesminister. – Die erste Frage stellt der Kollege Markus Frohnmaier, AfD.
Vielen Dank, Herr Minister. – Ich habe eine Frage an Sie zu Ihrem Programm „Perspektive Heimat“. Dieses Programm läuft jetzt seit 2017 und hat ein Volumen von rund 300 Millionen Euro. Es ist Ihnen mit diesem Geld bisher gelungen, 2 000 Menschen dazu zu bewegen, aus Deutschland in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Demgegenüber stehen 17 000 Personen, die die Leistungen der sogenannten Migrationsberatungszentren in den Ländern, in denen Sie diese eingerichtet haben, angenommen haben.
Ich frage mich, ob diese Dinge in einem Verhältnis stehen können und ob sie durch dieses Programm die Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht quasi entschränken. Sie haben gesagt: Wir leben in einem globalen Dorf. – Aber Sie müssen, glaube ich, den Steuerzahler dann auch fragen, ob er in Zukunft global tätig sein will und Arbeitsämter außerhalb Deutschlands anbieten möchte.
Herr Bundesminister.
Wenn es so wäre, wie Sie das darstellen, dann wäre das nicht in Ordnung. Aber es ist ni cht so.
Meine Damen und Herren, das Programm „Perspektive Heimat“ haben wir für Millionen von Flüchtlingen in den großen Krisenregionen des Kontinents geschaffen. Ich denke an die dramatische Situation in und um Syrien. Heute Nacht gab es Bombenangriffe auf Idlib. Nach wie vor sind 10 Millionen Menschen auf der Flucht. Seit sieben Jahren schlafen sie auf Zeltplanen. Dort investieren wir ins Überleben. Das Überleben eines Flüchtlingskindes oder eines Erwachsenen in diesen Regionen, finanziert durch unser Programm „Perspektive Heimat“, kostet 50 Cent. Das ist ein bescheidener Betrag. Das muss es uns wert sein. Wir müssen noch mehr tun. Viele Millionen dieser Menschen können nur durch unser Programm täglich überleben. Mit „Perspektive Heimat“ schaffen wir aber auch ein Angebot für Rückkehrer. Hier gilt der Grundsatz: Jeder Flüchtling, der aus Deutschland zurückkommt, wird an der Gangway von uns aufgenommen und in ein Programm überführt.
Danke sehr. – Herr Minister Müller, bitte beachten Sie die rote Ampel.
Jawohl.
Mögen Sie eine Nachfrage stellen?
Ja.
Bitte, Herr Kollege Frohnmaier.
Sie preisen dieses Programm als Rückkehrprogramm an. Ihre Staatssekretärin sagte, dass auf einen Rückkehrer neun Personen im Zielland kommen, die eine sogenannte Migrationsberatung ebenfalls in Anspruch nehmen können. Dort wird dann quasi erklärt, wie man sich legal auf den Weg nach Europa und Deutschland machen kann. Glauben Sie, dass man sich mit dem Titel dieses Programms nicht ehrlicher machen müsste?
Beratungs- und Beschäftigungszentren in zehn Ländern, auch in den Krisen- und Partnerländern, haben wir aufgebaut, zum Beispiel in Tunesien. Diese richten sich in erster Linie an die Menschen vor Ort. Wir setzen dort gewissermaßen Arbeitsamtsstrukturen um, wie wir sie in Deutschland kennen. In Ländern wie im Libanon und im Irak, wo wir solche Zentren betreiben, gibt es solche Strukturen für junge Menschen, die einen Job suchen, ansonsten nicht. Das ist unser Angebot. 90 Prozent unserer Arbeit konzentriert sich darauf und 10 Prozent auf das Angebot der deutschen Innenminister: Flüchtlinge, die zurückkehren müssen, sollen nicht als Loser irgendwo an der Gangway abgeladen werden. Vielmehr nehmen wir sie auf und integrieren sie in Programme, damit sie vor Ort in ihren Herkunftsländern wieder eine Perspektive haben.
Danke sehr. – Bei Nachfragen und Antworten sollten wir uns möglichst auf 30 Sekunden beschränken.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Christoph Hoffmann, FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben gerade betont, wie groß die Probleme sind und wie viele Länder betroffen sind, in denen wir Entwicklungszusammenarbeit leisten. Nun haben Sie den BMZ-Prozess 2030 angestoßen, in dessen Rahmen Sie über eine Reduzierung der Zahl der Partnerländer in der EZ diskutieren. Nach welchen Kriterien sollen in Zukunft Partnerländer eigentlich ausgesucht werden? Sie sagen, dass die Probleme groß sind. Aber Sie wollen die Anzahl der Länder reduzieren. Gleichzeitig sind Sie bei den Sonderinitiativen dabei, die Anzahl der Länder zu erhöhen. Wie ist das vereinbar?
Man muss die Dimension verstehen. Nehmen wir als Beispiel nur Afrika. Es ist fast hundertmal so groß wie Deutschland. Wenn wir das Geld aus dem deutschen Entwicklungsetat auf 54 Länder quasi mit der Gießkanne und Tropfen für Tropfen verteilen, erzielen wir wenig oder keine Wirkung. Es ist klar: In den ärmsten Ländern bekämpfen wir Armut. Aber ich habe ein neues Reformkonzept aufgesetzt. Wir konzentrieren uns zunehmend auf Reformpartnerländer, die bereit sind, Good Governance, Bekämpfung der Korruption und Einhaltung der Menschenrechte zur Grundlage ihrer Politik zu machen.
Eine Nachfrage.
Wie beabsichtigen Sie die Partnerländer, aber auch die anderen Ministerien, die vielleicht andere Interessen haben, bei Ihrer Auswahl zu berücksichtigen? Zum Beispiel können geostrategische Aspekte, die Sicherung von Ressourcen, eine Rolle spielen. Wie werden die anderen bei Ihrer anstehenden Auswahl eingebunden?
Der Reformansatz ist klar. Das Angebot gilt für alle. Wer sich uns gegenüber den Prinzipien von Good Governance, der Einhaltung der Menschenrechte und der Gleichberechtigung der Frauen als Grundlage verpflichtet, kann Reformpartnerland werden. Es liegt also an den Entwicklungsländern bzw. den Partnerländern selber, den entscheidenden Schritt zu tun. Ich bin fest davon überzeugt: Nur Geld hinzubringen, das in korrupten Strukturen versandet, ist nicht mein Ansatz. Das habe ich gestoppt und werde ich stoppen.
Danke sehr. – Volker Kauder, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.
Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, dass wir in Syrien, in Idlib, eine dramatische Situation haben. Wir haben aber auch noch immer eine sehr schwierige Situation im Nordirak. Dort wurden damals vom IS vor allem Christen und Jesiden aus der Ninive-Ebene in Richtung Erbil vertrieben. Der Bischof von Erbil hat in diesen Tagen auf einer Konferenz in London gesagt, in dieser Region werde viel zu wenig getan, dass die Menschen zurückkehren können. Ich weiß, dass Ihr Ministerium in dieser Beziehung eine Menge macht. Können Sie einmal sagen, was Sie dort ganz konkret tun?
Ich kann das unterstreichen. Dort hat ein Genozid an den Jesidinnen und Jesiden stattgefunden. Aber es kam auch zur Verfolgung von Christen und anderer Minderheiten. Das ist nun sechs bzw. sieben Jahre her. Kein einziger Verbrecher musste sich bisher einem Gericht stellen. Ich habe in der vergangenen Woche mit Nadia Murad, der Friedensnobelpreisträgerin, die aktuelle Situation besprochen. Wir setzen im Nordirak und in der Sindschar-Region einen Schwerpunkt unserer Arbeit, und zwar nicht nur in den Flüchtlingscamps, wo noch Tausende leben müssen, sondern auch in der Rückführung. Wir investieren ganz konkret in den Aufbau der Infrastruktur in der Sindschar-Region; das ist die Heimatregion der Jesidinnen und Jesiden. Das heißt, eine Wasserversorgung, Infrastruktur, Dörfer und Schulen werden aufgebaut. Die Jesidinnen und Jesiden sind im Fokus meiner Politik. Sie haben schwerstes Leid und Verbrechen ertragen. Wir dürfen das nicht vergessen.
Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Evrim Sommer, Die Linke.
Lieber Entwicklungsminister Müller, Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark und das winzige Luxemburg sind die Länder, die 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. 0,7 Prozent, das ist der kleine Wert, den die UNO bereits 1970 beschlossen hat. Die reichen Länder sollen so die ärmsten Länder unterstützen, und zwar aus sehr vielen Gründen, manche sagen sogar: aus Gründen des Klimaschutzes. Die Bundesrepublik hat diesen Wert so gut wie nie erreicht. Meine Frage, Herr Dr. Müller, ist daher ganz simpel und einfach: Was wollen Sie tun, um dieses Ziel endlich zu erreichen?
0,7 Prozent bleiben das Ziel und die Verpflichtung der Bundesregierung. Unter Bundeskanzlerin Merkel wurde der Entwicklungsetat ganz massiv gestärkt. Volker Kauder, der ehemalige Fraktionsvorsitzende, hat mich immer massiv unterstützt. Der Etat ist von 6,4 Milliarde n auf nun 10,2 Milliarden gestiegen. Einen solchen Anstieg gab es noch nie. Wir liegen damit bei 0,51 Prozent. Was mir mit Blick auf den Finanzminister allerdings Sorge macht, ist, dass 2020 kein weiterer Anstieg geplant ist. Damit wird es eine Finanzierungslücke von 500 Millionen Euro bei unseren Verpflichtungen im Rahmen des internationalen Klimaschutzes geben. Das kann und darf nicht das letzte Wort sein. Aber ein Anteil von 0,51 Prozent ist die Folge eines historischen Anstiegs in den vergangenen sechs Jahren.
Eine Nachfrage?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, bitte.
Herr Minister Müller, der Anteil der deutschen Entwicklungsgelder für die ärmsten Länder der Welt liegt bei lediglich 0,1 Prozent. Zu den ärmsten Ländern gehören Afghanistan, der Jemen und der Sudan. Müsste die deutsche Entwicklungszusammenarbeit nicht gerade dort mehr tun, allein um die bitterste Armut zu bekämpfen und die Lebensbedingungen der Menschen in den ärmsten Ländern zu verbessern?
Ich will noch einmal sagen: Die Quote von 0,51 Prozent des deutschen Haushalts 2019 bedeutet, dass der BMZ-Haushalt 10,2 Milliarden Euro umfasst. Die Mittel anderer Ministerien für Entwicklungspolitik inbegriffen sind es insgesamt nahezu 20 Milliarden Euro. Wir sind damit zweitgrößter Geber nach den USA. Luxemburg ist ein kleines Land, dessen Haushalt vergleichbar dem der Stadt Köln ist. Die Luxemburger tun viel; aber nach der absoluten Zahl ist Deutschland Nummer zwei. Unser Fokus liegt – das ist die Grundaufgabe der Entwicklungspolitik – auf der Bekämpfung von Armut und auf einem Leben in Würde für jeden. Deshalb: Vergessen wir nicht die Ärmsten, die LDC-Länder. Das Ziel ist, hier eine Quote von 0,2 Prozent zu erreichen. Wir sind an diesem Punkt noch nicht angelangt.
Danke sehr. – Agnieszka Brugger, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Minister. – Heute stellen die Friedensgutachterinnen und ‑gutachter ihr druckfrisches, neues Friedensgutachten der deutschen Friedensforschungsinstitute in Ihrem Haus vor. Dort gibt es gleich auf Seite 4 eine sehr prominente und, wie ich finde, kluge Feststellung, die etwas, was ich als neue Konzeption der Entwicklungszusammenarbeit bezeichnen würde, betrifft – wir beobachten dies sowohl auf europäischer als auch auf deutscher Ebene –: Gelder aus langfristigen, nachhaltigen Projekten werden umgeschichtet hin zu Migrationskontrolle, -management und -bekämpfung, und damit wird eben oft die Zusammenarbeit mit autoritären und repressiven Staaten finanziert. Daher fordert man, die europäische migrationspolitische Zusammenarbeit „mit autoritär-repressiven Regimen“ zu beenden. Ist dies eine Forderung der Friedensforscher, die Sie teilen und für die europäische und deutsche Ebene berücksichtigen werden?
Die Forderung unterstreiche ich. Es darf nicht passieren, dass es im Bereich des europäischen Haushalts zur Umdeklaration von Haushaltstiteln, die der originären Entwicklungszusammenarbeit zugerechnet werden, in Richtung Verteidigungs- und militärische Aufgaben kommt.
Nachfrage.
Herr Minister, dann würde ich Sie vor dem Hintergrund dessen, dass Sie das so kritisch sehen – was ich sehr begrüßenswert finde –, fragen, ob Sie beispielsweise die Projekte mit dem Sudan beenden wollen, die derzeit auch mit deutscher Beteiligung, zum Beispiel im Rahmen von Better Migration Management, stattfinden. Dort werden gerade friedliche Oppositionelle in ihren Lagern vom Militärregime niedergeschossen. Bis in die Krankenhäuser werden sie verfolgt. Ich glaube, es wäre höchste Zeit, diese Projekte zu beenden, wenn Sie das, was Sie gerade gesagt haben, ernst meinen.
Im Sudan haben wir im Augenblick eine ganz schwierige Situation. Ich stelle die Frage: Was hilft es den Menschen in dem Land, wenn wir aus Krankenhäusern, aus humanitären Projekten herausgehen? Es hilft ihnen nichts.
Wir müssen alles verstärken, was die humanitäre Hilfe anbetrifft; denn die Menschen sind in großer Not, wenn es darum geht, zwischen den Fronten überhaupt überleben zu können.
Ulrich Oehme, AfD-Fraktion, stellt die nächste Frage.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister Müller, Sie haben in diesem Jahr Ihre Osterferien geopfert, um nach Moskau zu reisen.
Ja.
Welche Themen wurden bei den Gesprächen angesprochen, und welche Resultate haben Sie erzielt?
Das war kein Opfer. – Wenn wir Entwicklungspolitik so verstehen, wie ich es eingangs gesagt habe, dann ist klar, dass das größte Land der Welt beim Schutz der Biodiversität, beim Artenschutz, beim Klimaschutz nicht außen vor sein darf. Wenn Sie, liebe Gäste, Zuhörer, Kolleginnen und Kollegen, auf die Landkarte schauen und sich dabei an Ihren Erdkundeunterricht erinnern, dann sehen Sie, dass Russland das größte Land der Welt ist, was die Fläche und die Biodiversität anbetrifft. Deshalb habe ich mit dem russischen Umweltminister und Vertretern der Regierung zukünftige Strategien diskutiert. Es hat mich sehr gefreut, dass aus Anlass dieses Besuches die russische Regierung noch einmal bekräftigt hat, sie werde das Pariser Abkommen ratifizieren – ein ganz wichtiges Signal, dass Russland mit dabei ist.
Herr Kollege, möchten Sie eine Nachfrage stellen?
Ja, würde ich gern.
Bitte.
Bei der Pressekonferenz am 24. April 2019, an der auch die DPA teilnahm, wurde darüber gesprochen, dass auch intensive Gespräche über Libyen und Syrien geführt wurden. Mich würde interessieren: Was ist dabei herausgekommen?
Das waren Gespräche mit dem stellvertretenden Außenminister, natürlich vertrauliche Gespräche. Es ist vollkommen klar, dass ich auf die dramatische Situation in Syrien hingewiesen habe. Wir dürfen, was humanitäre Arbeit anbetrifft, in Syrien leider nur sehr beschränkt tätig sein. Russland spielt dort die zentrale Rolle, um Waffenstillstand und Frieden herzustellen. Ich habe dies eindringlich eingefordert.
Blicken wir nach Libyen, dürfen wir die Augen nicht verschließen und nur Presseerklärungen verschicken. Ich habe längst eine UN-Mission zur Befreiung der dortigen Flüchtlingslager gefordert, die sich in einer dramatischen Situation befinden. Dies umzusetzen, würde einer Stabilisierung der Regierung dienen.
Vielen Dank. – Alexander Graf Lambsdorff stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, die Bundesregierung hat sich ja dem Multilateralismus verschrieben. Die Welthandelsorganisation hat die Europäische Union aufgefordert, mit den Ländern Afrikas WTO-kompatible Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abzuschließen. Aus uns, den Freien Demokraten, schleierhaften Gründen gibt es dagegen eine relativ starke Opposition aus der Szene der Nichtregierungsorganisationen, von den Kollegen der Grünen, den Linken usw. Gott sei Dank ist es aber gelungen, ein solches Abkommen mit der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika, mit SADC, abzuschließen. Meine Frage an Sie jetzt: Wie beurteilen Sie die Erfolge dieses Abkommens? Sehen Sie das als eine positive Entwicklung, und was tun Sie und Ihr Haus konkret, um auf der europäischen Ebene und gegenüber den afrikanischen Partnern für den Abschluss weiterer Handelsabkommen zu werben?
Ich habe eingangs die Neukonzeption der deutschen Entwicklungspolitik dargestellt. Eine ihrer vier Säulen ist die Handelspolitik. Afrika braucht faire Handelsbeziehungen und ein faires Handelsabkommen mit der Europäischen Union. Die EPA-Diskussion, die seit zehn Jahre andauert, ist eine Basis. Wir wollen nicht zurückfallen.
Aber am 1. Juni dieses Jahres gab es einen neuen Quantensprung, den fast niemand in Europa nachvollzogen hat. Die Afrikanische Union, zumindest 25 afrikanische Länder haben selber eine Freihandelsunion auf den Weg gebracht, zwar nicht beschlossen, aber auf den Weg gebracht. Das ist der erste Schritt zu einem afrikanischen Binnenmarkt, zu einem Binnenmarkt, wie wir ihn 1987 in Europa beschlossen haben. Es ist viel zu tun. Jetzt geht es darum, die Handelsbeziehungen in einem neuen Abkommen zwischen Europa und Afrika neu zu definieren.
Nachfrage.
Ich will da nachhaken. Wir sind von der Welthandelsorganisation verpflichtet worden, diese Abkommen zu schließen. Sie haben eben gesagt, man solle die EPA-Diskussion als Ausgangspunkt nehmen. Aber es gibt ja noch ganze Regionen Afrikas, wo es bisher – auch aufgrund der eben genannten Opposition – nicht gelungen ist, solche Abkommen zu schließen. Sie wären aber wichtig.
Ja.
Südafrika hat beispielsweise seine Exporte von Fisch, Zucker, Orangen usw., aber auch von fertigen Produkten nach Europa vervielfachen können.
Ja.
Aus unserer Sicht ist wirksame Entwicklungszusammenarbeit Hilfe zur Selbsthilfe, das bedeutet auch die Integration Afrikas in den Welthandel, gerade mit Europa. Deswegen noch einmal die Frage: Was tun Sie konkret für weitere EPAs? – Punkt eins.
Punkt zwei: Wir haben das Vorankommen der afrikanischen Freihandelszone bemerkt. Wir begrüßen das außerordentlich. Ich möchte eine zweite Frage anschließen: Was tun Sie außerdem noch, um den innerafrikanischen Handel, der ja sehr schwach ausgeprägt ist, zu fördern?
Ich könnte jetzt einen ganzen Vortrag halten.
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Nein, das können Sie nicht.
Aber ich habe nur 30 Sekunden für die Antwort.
Richtig.
Erstens. An den westafrikanischen Grenzen standen die Lkws, wie ich gesehen habe, Tage und Wochen. Das ist nun beendet – ein Riesenfortschritt! Afrikaner müssen selber die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Handel in Afrika stattfinden kann.
Zweitens. Das EU-Afrika-Abkommen liegt jetzt auf dem Tisch. Man muss in der deutschen Ratspräsidentschaft zukunftsweisend auf die Themen eingehen.
Drittens. Die WTO muss sich endlich zur „Fairhandelsorganisation“ entwickeln, und sie darf nicht den Freihandel, den totalen Freihandel zu ihrem Credo machen.
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Matern von Marschall, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.
Herr Minister, hier sind viele junge Menschen. Viele von ihnen machen sich Sorgen um die Zukunft des Planeten. Sie sind auch für die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele verantwortlich, innerhalb derer auch das Bekenntnis zum Pariser Klimaschutzabkommen auftaucht. Können Sie uns beziffern, wie viele Mittel aus Ihrem Etat für den internationalen Klimaschutz eingesetzt werden und in welchen Bereichen vorzugsweise? Können Sie vielleicht auch eine Auskunft geben, in welchen Bereichen das mit besonderer Kosteneffizienz und unter welchen Nachhaltigkeitsaspekten dies auch mit Blick auf soziale und auch wirtschaftliche Aspekte geschieht? Viele der dort eingesetzten Technologien kommen ja aus Deutschland. Ich würde Sie bitten, besonders auf zwei Bereiche, nämlich Aufforstung auf der einen Seite und Ausbau erneuerbarer Energien auf der anderen Seite, einzugehen.
Wir haben ja kein Erkenntnisproblem, sondern das Ziel, zu handeln. Die Welt hat 2015 ein großartiges Abkommen in New York geschlossen – dort wurden die sogenannten SDGs verabschiedet – und im selben Jahr das Pariser Klimaabkommen. Es muss umgesetzt werden, hier im Deutschen Bundestag und in 190 anderen Parlamenten der Welt. Deshalb freue ich mich über Ihre Frage. Wir werden dieses Jahr eine SDG-Kampagne in Deutschland starten. Wir werden auch Druck auf die Verbände, auf die Wirtschaft und auf die Politik ausüben, damit wir hier wirklich vorankommen.
Das BMZ, mein Ministerium, ist das internationale Klimaministerium der Bundesregierung. Von Investitionen in Höhe von 4 Milliarden Euro bilden wir 3,4 Milliarden Euro in unserem Haus ab, zum Beispiel für Resilienzmaßnahmen in der Landwirtschaft, den Schutz der tropischen Regenwälder und vieles mehr. An dieser Stelle sage ich noch einmal: Die Kanzlerin hat eine Verdopplung der Mittel für den Klimaschutz bis 2020 zugesagt. Dazu fehlen mir im nächsten Haushalt 500 Millionen Euro. Das ist eine offene Flanke und Rechnung. Ich hoffe, dass ich bei den Haushaltsberatungen die notwendige Unterstützung des Parlaments habe.
Herr Minister, die Debatten innerhalb der Bundesregierung sollten Sie in einem anderen Hause führen.
Gibt es eine Nachfrage? – Dann stellt die nächste Frage die Kollegin Eva-Maria Schreiber, Die Linke.
Danke schön. – Lieber Minister Müller, Sie arbeiten seit Jahren daran, Menschenrechtsverstöße in den Lieferketten deutscher Unternehmen zu verhindern, und entscheidend für die Frage, wie verbindlich das fortgeführt wird, ist für Sie die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte“.
Ich finde es sehr erfreulich, dass sich jetzt auch BMW und Daimler dafür ausgesprochen haben, gesetzliche Vorgaben zur Kontrolle von Lieferanten einzuführen. Man konnte aber in der letzten Zeit der Presse entnehmen, dass das innerhalb der Bundesregierung nicht ganz so unterstützt wird; immer wieder wurde von Konflikten zwischen BMZ, Auswärtigem Amt und Wirtschaftsministerium berichtet. Zuerst hieß es, das Wirtschaftsministerium wolle im Rahmen der Befragung der Unternehmen die aktuellen Standards zugunsten der Privatwirtschaft verwässern. Dann schrieb der „Spiegel“, dass Altmaier damit doch eine Niederlage drohe. Da interessiert mich: Wie ist der aktuelle Stand der Dinge? Und was macht Sie optimistisch, dass Sie sich durchsetzen können?
Es sollte Konsens in Deutschland sein, dass in den Lieferketten, die in Afrika bzw. in den Entwicklungsländern starten, humane Bedingungen herrschen, das heißt existenzsichernde Löhne gezahlt werden. Ich will keine Kleidung tragen, die von Sklaven genäht wird, um das einmal ganz deutlich zu sagen. Das deutsche Textilbündnis zeigt, dass es geht: 50 Prozent des deutschen Textilhandels haben sich dem Ziel verschrieben, in den globalen Lieferketten vom Anfang bis zum Ende existenzsichernde Löhne zu zahlen und grundlegende ökologische Standards einzuhalten. Die Textilbranche ist nur ein Beispiel; es gibt Hunderte solcher Lieferketten.
Der Nationale Aktionsplan wird ein Bild ergeben, ob und wie viele deutsche Unternehmen sich diesen Vorgaben bereits verp flichtet fühlen. Sollte es zu einem positiven Ergebnis kommen, ist ein Gesetz nicht notwendig. Sollte es ein negatives Ergebnis geben, werden wir, Bundesminister Heil und ich, die Koalitionsvereinbarung umsetzen und eine Lieferkettenverordnung auf den Weg bringen.
Nachfrage? – Bitte.
Mir gefällt der Plan einer Lieferkettenverordnung; er hat schon die Runde gemacht.
Aber abgesehen davon: Für die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans ist es extrem wichtig, dass die Befragung sauber abläuft und nicht verwässert wird. Viele NGOs haben kritisiert, dass der Prozess intransparent und nicht repräsentativ sei, schon allein dadurch, dass die schwarzen Schafe nicht teilnehmen. Dazu kommt, dass das Konsortium unter der Führung von Ernst & Young aussagekräftige Informationen über die teilnehmenden Unternehmen haben wird; aber weder Sie als Bundesregierung noch die Zivilgesellschaft werden die Möglichkeit haben, die Antworten auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Daher meine Frage: Ist das die Art, wie Sie sich das Monitoring vorstellen, oder könnte man das nicht transparenter machen? Und wie gehen Sie mit der Kritik von zivilgesellschaftlicher Seite um?
Der Prozess der Abfrage der Unternehmen wird von vier Ministerien vorbereitet. Das Außenministerium ist dabei federführend. Wir haben die Durchführung bewusst nach außen vergeben, damit Manipulationen vonseiten der Ministerien nicht gegeben sind; daher kann Ernst & Young kein Vorwurf gemacht werden. Jetzt gilt es, diesen Prozess umzusetzen, die Ergebnisse auszuwerten und Konsequenzen zu ziehen. Ich verspreche Ihnen vollkommene Transparenz bei den rücklaufenden Fragebögen und den Ergebnissen.
Ottmar von Holtz, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich würde gern auf das Thema „Globale Gesundheit“ bzw. „Entwicklungszusammenarbeit und Gesundheit“ und hier konkret auf die Impfallianz GAVI zu sprechen kommen. Wir haben das Problem, dass im nächsten Jahr 20 Länder aus der Förderung von GAVI herausfallen, weil sie als sogenannte Middle-Income Countries klassifiziert werden. Das Problem besteht darin, dass diese Länder aus der Förderlinie von GAVI herausfallen, unabhängig davon, ob sie in der Lage sind, ihre eigenen Impfprogramme in finanziell vergleichbarer Höhe durchführen zu können, oder nicht. Meine Frage an Sie ist, ob das BMZ sich dieser Problemlage bewusst ist und was es tut, um sich im Rahmen der Entwicklung der Strategie von GAVI 5.0 dafür einzusetzen, den Transformationsprozess neu zu definieren, damit diese Länder in der Übergangsphase ihre Impfraten hoch halten können.
Das Problem ist bekannt. GAVI ist eine großartige Einrichtung, eine globale Impfallianz. Ich habe eingangs dargestellt, welche riesigen Erfolge zum Beispiel bei der Bekämpfung von Polio erzielt wurden, indem einfach in der ganzen Welt durchgeimpft wurde; das Gleiche gilt für die Pocken. Wir werden GAVI in der jetzigen Form weiter unterstützen. Ich würde das gern ausweiten. Das steht alles unter dem Haushaltsvorbehalt. Unterstützen Sie mich; dann können wir auch da noch mehr tun.
Nachfrage?
Ja, ich habe tatsächlich eine Nachfrage. – Am Ende geht es auch um die Preise der Produkte. Solange diese Länder in der Förderung von GAVI sind, ist das ja unproblematisch. Aber sobald sie herausfallen, sind diese Länder anderen Preisen von Impfstoffen und auch anderen Medikamenten ausgesetzt. Nun trat gerade in der Weltgesundheitsversammlung das Problem zutage, dass man mehr Transparenz in die Preisgestaltung bringen wollte, um die Verhandlungsposition dieser Länder zu stärken, was nicht erreicht wurde. Daher stelle ich dem BMZ die Frage, ob Sie sich dafür einsetzen würden, dass das künftig geändert wird.
Ja, selbstverständlich. Ich darf Ihnen sagen: Bei der letzten Auffüllung haben wir mit Unterstützung des Parlaments und vieler Kolleginnen und Kollegen 600 Millionen Euro über drei Jahre für GAVI zugesagt.
Das Gesundheitsthema ist eine der großen Erfolgsgeschichten der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit. Denken Sie 30 Jahre zurück: Jeder meinte, Aids sei nicht beherrschbar, die Medikamente nicht bezahlbar. Das Gegenteil ist heute der Fall – dank dieser globalen Zusammenarbeit, aber auch dank großer Konzerne, die sich einbringen und zum Teil sogar kostenfrei Medikamente in diesen Ländern zur Verfügung stellen.
Danke sehr. – Dietmar Friedhoff, AfD, stellt die nächste Frage.
Herr Minister, gute Worte, gute Gedanken, gute Taten – wenn es denn so einfach wäre! Afrika ist unruhig wie nie; die Entwicklungspolitik muss neu gedacht werden. Und jetzt kommt die Agenda 2030 mit 17 Zielen zum Schutz der Menschen. Zwei Ziele lauten: eine Welt ohne Hunger und Zugang zu Energie.
Meine Frage an Sie: Wurde im Hinblick auf die Umsetzbarkeit ihrer Ziele durch das Ministerium je berechnet, wie viele Menschen die Welt ernähren kann und wie viel Energie jedem Menschen zur Verfügung steht? Und was würde es die Weltgemeinschaft kosten, damit all diese Ziele umgesetzt werden können?
Jeden Tag wächst die Weltbevölkerung um 230 000 Menschen, das sind im Jahr 80 Millionen. Ihre Frage ist die Überlebensfrage: Können alle diese Menschen ernährt werden? Ja. Die Wissenschaft der Welt sagt: Ja, wir können dies. Ich habe die Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ aufgesetzt. Der Planet kann 10 Milliarden Menschen ernähren.
Die zweite Überlebensfrage lautet: Welchen Fußabdruck hinterlassen 10 Milliarden Menschen? Die Klima- und Umweltfrage: Kann der Planet 10 Milliarden Menschen ertragen – im besten Sinne des Wortes? – Ja, aber nur mit einem Technologiesprung in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wenn jeder afrikanische Haushalt in den nächsten zehn Jahren Zugang zu einer Steckdose bekommt, und zwar aufgrund jetziger Planungen auf der Basis von Kohle, dann bedeutet das 1 000 zusätzliche Kohlekraftwerke in der Welt. Das müssen und das können wir durch einen Technologie- und Investitionstransfer verhindern. Afrika darf nicht der schwarze Kontinent der Kohle sein, sondern muss mit unserer Hilfe zum grünen Kontinent der erneuerbaren Energien werden.
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Danke sehr. – Der Kollege Friedhoff möchte eine Nachfrage stellen.
Herr Minister, ich habe eine Nachfrage. Sie haben gerade von Teilhabe und von Schutz und Ressourcen gesprochen. Wenn uns Afrika am Herzen liegt, ist es dann nicht wichtig, die Immobilität im Hinblick auf die Umweltzerstörung – gerade im Bereich Kobalt und Lithium und in Bezug auf die Arbeitsbedingungen der Menschen – umgehend zu stoppen, und zwar so lange, bis eine nachhaltige Lieferkette gewährleistet, dass diese Menschen nicht versklavt werden, es keine Kinderarbeit gibt, keine Kriege geführt werden? Müssen wir nicht erst das eine sicherstellen, damit wir das andere tun können? Und ist das, was wir gerade tun, nicht der falsche Weg?
Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage. Sie geben mir da Rückenwind; ich bekomme ja immer Gegenwind.
Um Lieferketten in der ganzen Breite sozial und gerecht zu gestalten, braucht es auch ein Zugeständnis der deutschen Industrie, und viele machen das bereits. Der Nationale Aktionsplan wird dieses Thema auf die Tagesordnung setzen. Es wird keiner außen vor gelassen. Wir werden es auch zum Schwerpunktthema im Rahmen der europäischen Ratspräsidentschaft machen.
Danke sehr. – Michael Thews, SPD, ist der nächste Fragesteller.
Herr Präsident! Herr Minister Müller, meine Frage bezieht sich auf Abfalltransporte in Länder, die aufgrund ihrer Struktur eigentlich gar nicht für ein geordnetes Recycling geeignet sind. Der Fall Malaysia ging durch die Presse. Ein Thema dabei waren die gemischten Kunststoffabfälle. Die Umweltministerin Svenja Schulze hat im Basler Übereinkommen, das die internationalen Transporte regelt, erreicht, dass sich die Einstufung des Mülls ab 2021 ändern wird und dann strengere Regeln für gemischte Kunststoffabfälle gelten.
Aber meine Frage zielt darauf ab: Was machen wir bis dahin? Wäre es nicht möglich, dass Ihr Ministerium und Ihr Netzwerk dabei helfen, dass zum Beispiel der Fall Malaysia aufgeklärt wird und man Ross und Reiter benennt, also welches Handelsunternehmen, welche Entsorger, welche Transporteure daran beteiligt waren? Ich glaube, wenn wir so etwas aufklärten, würden wir ein wichtiges Zeichen an die Recyclingindustrie senden. Die Frage ist auch, ob das, was in der Vergangenheit passiert ist, überhaupt durch das geltende Gesetz abgedeckt ist; denn auch heute gibt es schon eine gewisse Sorgfaltspflicht bei der Durchführung solcher Transporte.
Jetzt sage ich Ihnen, was Sie als Deutscher Bundestag tun können. Die Bundesumweltministerin hat mit dem Basler Übereinkommen einen großen Erfolg erzielt. Wir könnten ab heute – bitte machen Sie das! – den Export unseres Mülls in Entwicklungsländer stoppen. Das erwartet die Jugend, das erwarten viele von uns. Wir könnten morgen – bringen Sie einen entsprechenden Antrag ein! – Plastikbeutel und -tüten in Deutschland verbieten. Tansania tut das, afrikanische Länder tun es. Warum tun wir es nicht?
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Inzwischen sind wir in der Situation, dass wir auf eine Zukunft zugehen, in der mehr Plastik als Fisch im Meer schwimmt. Hierfür sind wir ein Stück weit mitverantwortlich. Gehen wir also voraus und gehen diesen Weg.
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Herr Kollege, möchten Sie eine Nachfrage stellen? – Frau Kollegin Haßelmann, Sie können sich auch zu einer Nachfrage melden, wenn Sie das möchten. – Jetzt hat der Kollege Thews das Wort. 30 Sekunden sind für eine Nachfrage vorgesehen.
Herr Müller, Ihren Appell habe ich verstanden. Aber noch mal ganz konkret: Wir haben gesehen, dass der Müll in Malaysia herumlag; es gibt doch diese Fälle. Wir wissen, dass Malaysia einen Teil des Mülls nach Amerika oder nach Kanada zurückschicken will. Ich würde gerne an Sie appellieren und Sie fragen: Gibt es nicht die Möglichkeit, solche Fälle durch Ihr Ministerium zu verfolgen, sodass wir ganz konkret sagen können, wer das überhaupt war? Am Ende müssen wir doch ein Zeichen setzen. Wir haben hier eine gute Recyclingindustrie, und wir haben ein vernünftiges Sammelverfahren. Aber diese Fälle müssten einmal aufgeklärt werden. Ich würde mir wünschen, dass da auch von Ihrem Ministerium eine gewisse Unterstützung kommen würde, sodass wir den Sachen nachgehen können.
Der Sache gehe ich gerne nach. – Wir müssen Müll vermeiden und die Recyclingquote, die bei Plastiktüten bei 5 Prozent liegt, wesentlich erhöhen, den Müllexport, also den Transport unseres Drecks in Entwicklungsländer, einstellen und Müll selber verarbeiten.
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In den Entwicklungsländern habe ich mit der deutschen Abfallwirtschaft – Kompliment! – eine Initiative gestartet: Prevent Waste. Wir bringen unsere moderne Abfalltechnologie in die großen Ballungszentren Afrikas und Indiens; denn Müllbeseitigung ist in diesen Ländern ein großes Problem.
Danke sehr. – Dazu möchte die Kollegin Haßelmann eine Frage stellen.
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– Wir haben in den Regeln, die die Fraktionen vereinbart haben, verabredet, Herr Kollege Grund, dass Nachfragen zu Fragen gestellt werden dürfen. Ich kann Ihnen die Regeln gerne noch mal vorlesen.
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Vielen Dank, Herr Präsident.
Bitte sehr.
Ich halte mich selbstverständlich an die Regeln. – Herr Minister, ich finde eigentlich, dass es jetzt reicht. Sie sind heute in der Regierungsbefragung, und das Parlament fragt nicht nach der Privatauffassung von Gerd Müller, sondern danach, was Sie als Bundesregierung tun, was Sie als Teil der Bundesregierung veranlassen. Sie erklären dem Parlament aber dauernd, für was Sie alles sind und was man alles tun muss.
Wir haben gerade ganz konkrete Fragen zu dem Thema Plastikmüll – Stichwort „Malaysia“ – gehört, nämlich warum Sie als Bundesregierung bisher nicht gehandelt haben, was die Plastiksteuer und die Umsetzung der EU-Richtlinien angeht. Darauf wollen wir eine konkrete Antwort in Bezug auf Ihre Aufgabe in der Bundesregierung und nicht in Bezug auf Ihre Privatmeinung als Gerd Müller.
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Ich denke, dass dem Entwicklungsminister in der nächsten Regierungskoalition – wer auch immer die bildet – ein Gesetzesinitiativrecht gegeben wird, um das, was ich zur Vermeidung von Müll und Plastik in der Welt vorgeschlagen habe, als Gesetzesinitiative einbringen zu dürfen.
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Danke sehr. – Zu dem Themenbereich gibt es im Moment keine weiteren Fragen. Dann stellt die nächste Frage der Kollege Olaf in der Beek, FDP.
Das passt auch noch zu diesem Themenbereich. Herr Minister, Sie haben erst vor einigen Wochen wieder das Verbot von Einwegplastik in Deutschland gefordert und darauf verwiesen, dass wir in diesem Punkt wohl nicht schlechter sein können als so manches Entwicklungsland. Damit ist es zwar wieder gelungen, große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu bekommen, aber der globalen Vermüllung, vor allen Dingen der Meere, haben Sie damit nicht vorgebeugt.
Wir haben in Deutschland immer noch eine hervorragende Recyclingindustrie. Das Problem liegt also nicht direkt bei uns oder in der EU, sondern in Drittstaaten. Wie genau bewerten Sie die Tatsache, dass der Export von Plastik innerhalb der EU durch die Abfallverbringungsverordnung strenger geregelt ist als der Export von Plastik in Nicht-OECD-Staaten, also Drittstaaten? Und warum haben Sie als derjenige, der dazu in der Öffentlichkeit das Wort ergriffen hat, noch keine Nachbesserung der entsprechenden EU-Richtlinie – sie trägt die Nummer 1418/2007 – vorgeschlagen?
Wir leben in einem globalen Dorf; das war mein Eingangsstatement. Wir beziehen Ressourcen aus den Entwicklungsländern, verarbeiten sie und senden unseren Müll – nicht alles, aber ganz erhebliche Teile – in diese Länder zurück. Die Länder haben nicht die Kapazität der entsprechenden Verwertung.
Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel. Ich bin der deutsche Entwicklungsminister, der diese Fakten hier ins Plenum bringen muss, und habe das Privileg, viele solcher Orte sehen zu dürfen. Ich war in Agbogbloshie, der größten Elektronikschrottmüllhalde der Welt, auf der 15 000 Kinder arbeiten. Und was sehe ich dort? Ich sehe deutsche Mikrowellen, deutsche Gefrierschränke. Deutscher Elektronikschrott landet dort und wird von Kindern unter unsäglichen Zuständen auseinandergenommen. Wir haben also noch viel zu tun. Ich habe dort ein Projekt gestartet, um eine Kreislaufwirtschaft, eine nachhaltige Schrottverwertung aufzubauen und so den Kindern und Jugendlichen zu helfen. Dort, wo ich Kompetenz habe, setze ich sie auch ein.
Danke sehr. – Herr Kollege, eine Nachfrage?
Mich würde interessieren, inwiefern Sie persönlich, auch mit Ihrem Ministerium, die Möglichkeit sehen, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit Projekte anzustoßen, um beispielsweise mittels Blockchain-Technologie einen Wert zuordnen zu können und somit nicht nur die Weiterverarbeitung und Wertschöpfung von Plastikabfällen zu steigern, sondern auch das Recycling in Drittstaaten, insbesondere Entwicklungsländern, attraktiver zu machen, weil dies dann vergütet werden kann.
Wenn Sie auf die Homepage des BMZ gehen, die ich allen empfehlen kann, dann finden Sie dort die Initiative „Prevent Waste“. Das ist eine internationale Initiative – OECD, Weltbank, viele machen mit, auch die deutsche Entsorgungswirtschaft. Es geht um Müllverwertung. Müll als Wertstoff zu betrachten, ist in Kairo, in Mumbai, in den großen Ballungszentren eine riesige Herausforderung. Dazu haben wir die Technologie. Ich bin dankbar, dass ich das an dieser Stelle darstellen kann: Entwicklungspolitik heißt auch Win-win. Wir helfen den Menschen dort, indem wir Technologie transferieren, und wir sichern Arbeitsplätze hier. Das ist ein großartiger neuer Ansatz, den wir in einer größeren Dimension verfolgen müssen.
Danke sehr. – Stefan Sauer, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Minister Müller, in Ihrem engagierten Eingangsstatement sind Sie auch auf die Wertschöpfungskette eingegangen und darauf, dass die Entwicklungs- sowie Schwellenländer da zu wenig profitieren. Die Digitalisierung könnte hier vielleicht einen Beitrag leisten. In welchem Umfang fördert Ihr Ministerium die Digitalisierung, insbesondere in Afrika?
Uns allen in diesem globalen Dorf muss klar sein: Wir in den Industrieländern sind die Reichen. 10 Prozent der Menschheit besitzt 90 Prozent des Vermögens. Glauben Sie nicht, dass diejenigen in den Entwicklungsländern draußen bleiben. Wir können nicht Ressourcen, Menschen ausbeuten und sie an unserem Wohlstand nicht teilhaben lassen. Wir müssen ein Stück zurückgeben, neu teilen lernen. Wir brauchen eine neue Verantwortungsethik in diesen Ländern. Das heißt, wir müssen Lieferketten gerecht gestalten. Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel – ich rede über Dinge, die ich gesehen habe –: Bananen aus Mexiko werden für 14 Cent eingekauft, 14 Cent! Davon kann kein Mensch leben; deshalb arbeiten Kinder mit ihren Familien auf den Bananenplantagen. Warum übt der deutsche Groß- und Einzelhandel diesen Preisdruck auf die deutschen Lebensmittelketten aus? Warum müssen Bananen für 89 Cent in Deutschland im Angebot sein? 1 Kilo Bananen darf nicht unter 1 Euro kosten. Solche Dinge müssen wir durchsetzen, dann helfen wir den Menschen vor Ort.
Die nächste Frage stellt Christine Buchholz, Die Linke.
Sehr geehrter Herr Minister Müller, aus dem Sudan erreichen uns erschütternde Nachrichten. Die Demokratiebewegung spricht von einem Massaker mit dem Ziel, wieder eine Militärdiktatur zu errichten. Bis heute Morgen zählt man 60 Tote und Hunderte Verletzte. Verantwortlich für die Toten ist der Militärische Übergangsrat, der Soldaten und „Rapid Support Forces“ befehligt hat. Meine Frage ist: Wann wird die Bundesregierung, die ja auch schon mit dem vorherigen Präsidenten Omar al-Baschir, der gestürzt wurde, zusammengearbeitet hat, endlich die Zusammenarbeit mit der sudanesischen Regierung und auch mit diesem Übergangsrat einstellen, besonders in Fragen des Grenzmanagements und der Migrationsabwehr, die ja auch in Ihren Tätigkeitsbereich fallen?
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Zunächst einmal sind wir, glaube ich, alle froh, dass der Vorgängerdespot im Sudan nicht mehr regiert. Jetzt geht es um die Übergangsphase. Die Frage ist in der Tat: Was kann die deutsche Regierung dazu beitragen? Das sind klassische Herausforderungen, auf die wir in einer neuen Sicherheitsstruktur und Kooperation der Europäischen Union mit der Afrikanischen Union reagieren müssen. Meine Grundsatzaussage dazu ist: Wir müssen einen Quantensprung machen und Afrika, die Afrikanische Union auch im Sicherheitsbereich dazu befähigen, in solchen Krisensituationen einzugreifen, um afrikanische Krisen durch afrikanische Strukturen zu beheben.
Nachfrage?
Nun sind es genau die Kräfte der „Rapid Support Forces“, die ehemaligen Dschandschawid-Milizen, die von der sudanesischen Regierung mit der Grenzsicherung betraut sind. Die EU und auch die Bundesregierung kooperieren mit diesen Milizen. Wie wollen Sie in Zukunft sicherstellen, dass keinerlei EU-Gelder an diese Milizen gehen, die auch für das jetzige Massaker verantwortlich sind, und die Bundesregierung nicht in die politische Verantwortung kommt, genau für diese Kräfte mitverantwortlich zu sein?
Ich werde der Information nachgehen; ich kann das so nicht nachvollziehen. Aber ich bin froh, dass es im Parlament noch Erregung gibt, von welcher Seite auch immer. Wenn gemordet wird, wenn Terrormilizen unterwegs sind, im Sudan oder heute Nacht in Idlib, wenn Menschen durch Bomben, durch Bombenhagel sterben, dann können wir das hier nicht einfach ausblenden. Ein Stück weit – das gebe ich zu – herrscht hier auch Hilflosigkeit, nicht nur in Europa, sondern auch bei der UN. Das muss uns dazu auffordern, die Sicherheitsstrukturen weiterzuentwickeln und qualitativ voranzubringen.
Danke sehr. – Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Fragesteller.
Herr Minister, jetzt kommen wir zu einem Thema, für das Sie wirklich verantwortlich sind. Das Problem „Plastikmüll“, haben Sie gesagt, müssten wir, das Parlament, erledigen. Das werden wir demnächst machen. Ich komme zu den Handelsverträgen, die Sie federführend für die Bundesregierung in Brüssel verhandelt haben. Kollege Graf Lambsdorff hat gemeint, das sei ja alles wunderbar, sie würden den Ländern helfen. Wenn man in den Ländern ist und mit den Regierungen spricht, bekommt man ein ganz anderes Feedback.
Die Koalition hat auch mitbekommen, dass nicht alles Gold ist, was da drinsteht. Deshalb haben Sie im Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass Sie die Wirtschaftsabkommen mit Afrika überprüfen werden. Sie haben das vor – wie lange dauert die Legislaturperiode an? – zwei Jahren festgelegt, und diesbezüglich ist noch nichts geschehen. Wir haben einmal nachgefragt: Warum geschieht nichts? – Die Antwort war: Wir müssen den afrikanischen Ländern auch die Möglichkeit der Überprüfung geben. Wir wollen denen helfen, einen Monitoring-Prozess einleiten und dann gemeinsam vorangehen. Jetzt bin ich öfter in Afrika. In Afrika ist bezüglich des Monitoring-Prozesses nichts bekannt. Wie verfahren Sie eigentlich weiter? Good Governance, war Ihre Aussage. Machen Sie Ihre Politik einmal öffentlich transpare nt.
Verbleiben wir nicht in der Vergangenheit, blicken wir nach vorne.
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Die Freihandelszone der Afrikanischen Union ist ein Quantensprung, den noch niemand in Europa und in Deutschland tatsächlich wahrgenommen hat.
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Deshalb ist die Zukunft ein EU‑AU-Freihandelsabkommen, und unter Freihandelsabkommen verstehe ich „Fairhandelsabkommen“. Das ist die Aufgabe der nächsten zwei Jahre. Das ist der Sprung nach vorne. Dann erübrigt sich vieles an Klein-Klein der EPAs.
Zweitens – das können Sie nachlesen; vielleicht wird es in zehn Jahren umgesetzt –: Wir müssen jetzt in Brüssel den nächsten Schritt wagen und den europäischen Wirtschaftsraum für die Mittelmeerunion öffnen, für die nordafrikanischen Staaten, was Wirtschaft und Handel, was Waren anbetrifft. So wie vor 25 Jahren Helmut Kohl den Mut zur Osterweiterung hatte, müssen wir in Richtung Mittelmeerunion jetzt einen mutigen Schritt vorausgehen. Damit würden wir den Menschen vor Ort ganz konkret Perspektiven eröffnen.
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Nachfrage?
Die Frage des Monitorings scheint jetzt keine Rolle mehr zu spielen, weil das Klein-Klein ist und die Afrikanische Union ein Freihandelsabkommen unterzeichnet hat. Sie wissen: Es ist unterzeichnet; es ist noch nichts operationalisiert. Ich war letzte Woche im Tschad und im Senegal. Man hat uns gesagt: Die Staus sind nach wie vor da. – Es ist gefährlich, solche Aussagen zu treffen. Sie wissen doch, dass viele von uns auch nach Afrika fahren und dort die gleichen Informationen bekommen. Das zentrale Problem mit den EPAs besteht darin, dass sie Wirtschaftseinheiten bilden und vor allen Dingen die regionale Integration fördern wollen. Wie kommen Sie mit dieser Zielsetzung und der Zielsetzung der AU zurecht, die ja für ganz Afrika die Freihandelsabkommen gestalten will?
Das können wir alles theoretisch ausdiskutieren. Mir geht es darum, dass konkret etwas passiert, zum Beispiel Tunesien seine Oliven nach Europa liefern darf, Südfrüchte hierher geliefert werden können. Es macht doch keinen Sinn, dass wir Entwicklungsgelder beispielsweise nach Tunesien geben, aber umgekehrt den Markt für deren wertvolle Produkte verschließen. Lass sie Geld verdienen, integriere sie in den europäischen Wirtschaftsraum, dann erübrigt es sich, deutsches Steuergeld dort hinzubringen. Wir müssen Handel mit den Afrikanern fair und jetzt in einer neuen Dimension gestalten.
Danke sehr. – Dazu möchte Graf Lambsdorff eine Frage stellen.
Herr Präsident, herzlichen Dank. – Der Kollege Kekeritz hat einen wichtigen Punkt angesprochen. Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament haben damals nur unter der Bedingung eines engmaschigen Monitorings des EPA mit dem südlichen Afrika zugestimmt. Wenn es richtig ist, dass es dieses Monitoring nicht gibt, ist es Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass es erfolgt. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Sie verweisen immer auf das große AU/EU-Freihandelsabkommen. Wie sehen Sie da den Marktzugang für landwirtschaftliche Produkte aus Afrika nach Europa vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Interessen Italiens, Spaniens, Portugals, Frankreichs und anderer? Der ist bei den EPA-Abkommen ja enorm vorteilhaft für die Länder, die sie unterzeichnet haben. Für mich ist das große Freihandelsabkommen die Taube auf dem Dach, die EPAs sind der Spatz in der Hand mit ganz konkreten Verbesserungen für ganz konkrete Länder.
Wir können ja die Märkte, den europäischen Markt, weiter abschotten und sagen: Keine afrikanischen Produkte zur Wertschöpfung hierher nach Europa.
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Ich sage Ihnen voraus: Dann kommen die Menschen. Wenn sie auf dem europäischen Markt nicht verdienen dürfen und in Armut zurückgelassen werden, dann kommen die Menschen. Man kann es ihnen nicht verdenken. Also gehen wir dort hin, öffnen die Märkte und eröffnen Chancen.
Jetzt nenne ich Ihnen noch ein Beispiel – ich gehe jetzt in den Europaausschuss –: Wir müssen endlich Mut haben, die Subventionsunion, die Subventionsstruktur des Haushalts der Europäischen Union in einen Investitions- und Zukunftshaushalt in der nächsten Finanzierungsperiode umzudeklinieren.
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Der europäische Haushalt kommt aus den 90er-Jahren und kann in dieser Weise in Richtung Afrika auf keinen Fall so fortgeschrieben werden. Das ist keine zukunftsfähige Politik.
Nachfrage?
Ganz kurz: Sie können sich bei den Freien Demokraten darauf verlassen, dass wir die Letzten sind, die unseren Markt abschotten wollen. Das war eine Frage nach der realistischen Erwartung angesichts der unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen in der Europäischen Union.
Aber lassen Sie mich nachhaken und den Punkt des Kollegen Kekeritz aufnehmen: Was tut die Bundesregierung ganz konkret für das Monitoring der EPAs, die es bereits gibt?
Ich sage noch etwas zu der Abschottung. Ich war ja schon im Parlament, als Helmut Kohl Bundeskanzler war und es um die Osterweiterung ging. Es gab nur Stimmen, die sagten: Das geht nicht. Die Osteuropäer nehmen uns die Arbeitsplätze weg, die Märkte. Wir können Polen, Tschechen usw., die zehn osteuropäischen Länder nicht integrieren. – Es war eine Erfolgsgeschichte. Ähnlich muss uns das mit den nordafrikanischen Ländern in dem nächsten Schritt gelingen, und es wird uns gelingen. Also lasst uns nicht Ängste in Italien, in Spanien und in Griechenland schüren! Machen wir auch mal einen Schritt nach vorne über das Klein-Klein der Tagespolitik hinaus!
Danke sehr. – Beatrix von Storch, AfD, stellt die nächste Frage.
Jetzt zum allgemeinen Teil, nehme ich an.
Das geht ja eh so ineinander über.
Genau. Das geht gerade fließend ineinander über. – Die Bundesregierung legt diese Woche einen Gesetzentwurf unter anderem zu der Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung vor. Es werden da neue Duldungstatbestände für abgelehnte Asylbewerber eingeführt, also diejenigen, die hergekommen sind und vorgetragen haben, Flüchtlinge zu sein, die ein Verfahren durchlaufen haben, das abschlägig beschieden worden ist. Jetzt sollen Duldungstatbestände für diese eingeführt werden. Wie gedenkt die Bundesregierung zu verhindern, dass genau dies zu einem sehr großen Pull-Faktor wird und jeder, der tatsächlich keinen Flüchtlingsgrund hat, weiß, dass er nach Ablehnung seines Bescheides doch eine weitere zusätzliche Möglichkeit hat, hierzubleiben, zumindest geduldet zu werden?
Ich begrüße zunächst einmal diesen Gesetzentwurf. Er zeigt, dass die Koalition nicht nur handlungsfähig ist, sondern an dieser Stelle das macht, was viele im Land längst einfordern. Ich begrüße, dass er ein Stück Öffnung ermöglicht, dass Menschen, die hier sind, die einen bestimmten Status, Aufenthalt mit Duldung bzw. abgelehnt, aber mit Duldung, haben, wenn sie Arbeit haben, auch ihr eigenes Geld verdienen dürfen.
Ich habe eine Nachfrage. Es geht ja genau darum, dass jetzt neue Duldungstatbestände geschaffen werden sollen, die es bisher nicht gegeben hat, und zwar für diejenigen, die in Ausbildung oder Beschäftigu ng sind. Noch mal: Es geht um den Pull-Faktor, den das auslöst, um das Signal in die Welt, das lautet: Wenn ihr es hierher geschafft habt, könnt ihr, auch wenn ihr keinen Fluchtgrund habt, hierbleiben, wenn ihr es irgendwie schafft, hier eine geringfügige Beschäftigung oder Ausbildung zu bekommen. – Wie wollen Sie verhindern, dass das zu einem Pull-Faktor wird, der noch mehr Menschen motiviert, hierherzukommen?
Liebe Frau von Storch, der Kollege vom Innenministerium wird im Detail ergänzen, denke ich. Ich kann Ihnen nur sagen: Bei meinen Reisen nach Afrika, nach Nordafrika oder in andere Länder, habe ich bisher nichts von einem Pull-Faktor gehört. Den Menschen in Deutschland muss man auch mal sagen: 90 Prozent der Flüchtlinge auf dem afrikanischen Kontinent flüchten in ärmste Nachbarländer und kommen nicht nach Deutschland. Ich sage Ihnen: Der Zeitpunkt wird kommen, an dem wir froh sind, wenn wir Tunesier für die deutsche Tourismuswirtschaft gewinnen können, wenn wir Menschen aus diesen Ländern gewinnen können, die bereit sind – Kollege Spahn hat das Thema Pflege im Blick –, uns zu pflegen und uns zu helfen. Mit diesem Gesetz wird ein Pull-Effekt in keiner Weise ausgelöst.
Die letzte Frage in diesem Format stellt nun der Abgeordnete Till Mansmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, für den wirtschaftlichen Aufbau vieler Entwicklungsländer mit sonnenreichem trockenem Klima wäre die Möglichkeit der Vermarktung des dort verfügbaren enormen Potenzials an erneuerbaren Energien sehr wichtig. Die Produktion an E‑Fuels oder Wasserstoff würde gleichzeitig das Speicherproblem der erneuerbaren Energien in Europa mindern oder sogar ganz beseitigen und erlauben, die vorhandene Infrastruktur weiter zu benutzen. Außerdem würde es die geostrategisch kritische Abhängigkeit von bestimmten Lieferländern fossiler Stoffe reduzieren. Auf europäischer Ebene wäre allerdings die Anrechnung von E‑Fuels auf die Grenzwerte beim Flottenverbrauch von Fahrzeugen notwendige Voraussetzung dafür, solche neuen nachhaltigen Energiemärkte überhaupt erst möglich zu machen.
Ich frage Sie daher, Herr Minister Dr. Müller: Welche Priorität hat die Anrechnung von erneuerbar erzeugten flüssigen oder gasförmigen Energieträgern auf Flottenverbrauchsrechnungen für die Bundesregierung auf der europäischen Ebene?
Erstens. Die Methanol-Beimischungsquote müssen wir in Brüssel verändern. Zweitens. Wir arbeiten daran mit einem Industriekonsortium, genau diesen Weg zu gehen und aus der Sonne Afrikas, die wir nahezu kostenlos haben, Methanol zu produzieren. Methanol zu produzieren, heißt, H 2 O und CO 2 zusammenzubringen. CO 2 zu binden, meine Damen und Herren, ist einer der Lösungsansätze für weltweiten Klimaschutz. In den afrikanischen Ländern, zum Beispiel in Ouarzazate in Marokko mit dem größten Solarkraftwerk der Welt, ist es möglich, dieses Projekt umzusetzen. Methanol als synthetischen Kraftstoff sehe ich als die Zukunft im Bereich unserer Kraftstoffe. Davon können wir profitieren, der Klimaschutz profitiert, und Afrika schafft Wertschöpfung für seine Wirtschaft.
Ich habe eine Nachfrage. Über die Bedeutung von erneuerbar erzeugten flüssigen Kraftstoffen sind wir uns offenbar einig. Aber meine Frage haben Sie nicht beantwortet. Deswegen frage ich noch mal: Welche Priorität hat die Anrechnung von diesen Stoffen in der Politik der Bundesregierung hinsichtlich der Flottenverbrauchsrechnung in Europa, dass man sie also anrechnen kann, wenn man Verbrennungsmotoren in Europa betreibt?
Ich weiß nicht, wer Ihnen die Frage aufgeschrieben hat.
Ich mir selber.
Ich beantworte sie sehr gerne sehr differenziert mit Expertise meiner Expertinnen und Experten, denen ich im Übrigen sehr danke. – Am Ende dieser Befragung der Bundesregierung wurde Ihnen allen ja auch deutlich, wie breit unser Spektrum ist: Technologieministerium, Umwelt-, Klima-, Agrarministerium im internationalen Kontext. Deshalb: Herzlichen Dank, dass Sie die Fragerunde so offen, präzise und kompetent gestaltet haben. Danke schön.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich korrigiere mich: Wir verlängern jetzt die Befragung der Bundesregierung, und zwar um die allgemeinen Fragen oder Fragen zu anderen Themen. Es kommen exakt noch zum Zuge: Herr Dr. Dirk Spaniel, dann Dr. Christian Jung und natürlich Katja Keul, und zwar in dieser Reihenfolge. Ich bitte darum, nur die jeweilige Frage zu stellen. Ich lasse keine Nachfragen mehr zu, damit wir anschließend zur Fragestunde kommen können. Wir beginnen mit der Frage von Dr. Dirk Spaniel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich frage das Verkehrsministerium und die Bundesregierung: Sind Sie der Meinung, dass es neben den scharfen europäischen CO 2 -Grenzwerten für Pkw, den Flottenverbrauchsgrenzwerten, die jetzt kommen werden, noch eine zusätzliche CO 2 -Steuer im Rahmen des Zertifikatehandels im Verkehrssektor braucht?
Bitte.
Herr Kollege Spaniel, Sie wissen ganz genau, dass es innerhalb der Bundesregierung eine Diskussion darüber gibt, ob es zu einer CO 2 -Steuer kommt oder nicht. Es gibt auch Vertreter, die einen Zertifikatehandel befürworten. Dazu zähle ich. Richtig ist, dass es in irgendeiner Form eine Bepreisung von CO 2 geben muss, um den Einsatz von erneuerbaren Energieträgern im Mobilitätssektor zu erleichtern.
Dann noch kurz eine Nachfrage.
Es gibt keine Nachfragen; das habe ich gerade eben gesagt. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Katja Keul.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich frage die Bundesregierung: Wer ist eigentlich im Moment Justizministerin in diesem Land? Die Europawahl war vor über einer Woche. Die bisherige Justizministerin hat wie seit Monaten angekündigt ihr Amt niedergelegt. Jetzt frage ich mich: Man hört gar nichts mehr. Ist sie noch Ministerin oder nicht? Wird das Justizministerium geschäftsführend aus Brüssel geführt? Warum wird eigentlich überhaupt nicht geklärt, wann es eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für dieses Amt gibt?
Wer antwortet?
Frau Kollegin, ich wundere mich, dass Sie die Frage zum zweiten Mal stellen. Ich habe Sie Ihnen bereits heute Vormittag im Ausschuss beantwortet.
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Frau Bundesministerin Dr. Barley ist nach wie vor im Amt. Die Bundesregierung wird Ihnen zu gegebener Zeit mitteilen, wer ihre Nachfolge antritt.
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Die letzte Frage stellt Dr. Christian Jung.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Bundesminister, wir haben hier auch über das Kabinett und über die Arbeit der Bundesregierung gesprochen. Heute hat ja eine Kabinettssitzung stattgefunden. Eine Frage dazu: Haben Sie in den letzten Tagen innerhalb der Bundesregierung über die Berichte gesprochen, nach denen die Deutsche Bahn mittlerweile einen Schuldenstand von über 25 Milliarden Euro aufweist? Wie ist dazu Ihre Antwort?
Leider hatten wir heute keine Kabinettssitzung. Deshalb wurde auch nicht darüber gesprochen; tut mir leid. Die Kanzlerin ist in Großbritannien. Sie wissen, aus welchem Anlass. Deshalb ist der Termin der Kabinettssitzung verschoben worden.
Herzlichen Dank, Herr Minister, und auch herzlichen Dank an die anderen Vertreter der Bundesregierung für die Beantwortung der Fragen. Ich beende die Befragung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ein paar Tagen hat das Umweltbundesamt eine sehr, sehr bemerkenswerte Zahl veröffentlicht: 3 – in Worten: drei – Prozent der Menschen in diesem Land sind der Auffassung, dass die Bundesregierung genug für den Klimaschutz tut. Anders formuliert: Die Bevölkerung ist sich, wenn man aufrundet, komplett einig, dass zu wenig passiert.
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Ich glaube, es hat noch nie bei irgendeinem Thema so ein desaströses Zeugnis für eine Bundesregierung gegeben. Das ist unverantwortlich.
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Jetzt könnte man ja denken, auch nach dem Ergebnis der Europawahl: Die Bundesregierung legt los, legt Klimaschutzmaßnahmen auf den Tisch, reagiert. Aber, meine Damen und Herren, es passiert nichts – es passiert wieder nichts.
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Wir hören heute zum Beispiel, dass der Nobelpreisträger und Ökonom Stiglitz, der viel dazu veröffentlicht hat, der einer der anerkanntesten Experten ist, sagt: Die Folgen der Klimakrise sind mit einem neuen Weltkrieg zu vergleichen. – Aber von dieser Bundesregierung kommt keine Antwort. Ich frage: Worauf wollen Sie noch warten? Wo bleibt die Antwort?
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Statt sich mit Klimaschutz auseinanderzusetzen, kommen die Sozialdemokraten und beschäftigen sich mit ihrem Personal. Gut, das ist deren Sache.
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Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer will die Meinungsfreiheit im Internet einschränken,
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und das Ganze geht immer weiter: Wir haben Herrn Laschet, diesen Kohle-Taliban aus dem Rheinland, der sagte, man müsse die Erfolge der CDU besser verkaufen. Man fragt sich: Welche Erfolge?
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Aber den Bock abgeschossen hat Thomas Bareiß, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, der allen Ernstes getwittert hat: Die Schülerinnen und Schüler, die da im Moment auf die Straße gehen, sollten mal ihr erstes Geld verdienen; dann würde sich das mit der Forderung nach dem Klimaschutz erledigen.
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Ich sage: Herr Bareiß, wann machen Sie endlich mal den Job in dieser Bundesregierung, für den Sie Geld bekommen? Sie sind für die Energiewende und den Klimaschutz zuständig.
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Ich sage auch – das finde ich, ehrlich gesagt, ein Unding –: Seit über vier Monaten liegt das Ergebnis der Kohlekommission vor. Es ist völlig klar: Das reicht hinten und vorne nicht, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Aber Sie sind nicht mal dazu in der Lage, sich zu diesem unzureichenden Kompromiss zu bekennen. Wir haben heute im Wirtschaftsausschuss über vier Anträge der Opposition abgestimmt. Die haben Sie alle abgelehnt. Sie von der Großen Koalition wissen alles, was Sie nicht wollen; aber Sie haben keine Position zu diesem Kohleausstieg.
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Es ist jedoch unverantwortlich, die Menschen so im Unklaren zu lassen.
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Mal ehrlich: Noch schlimmer wird es beim Thema CO 2 -Preis. Da waren Sie schon mal weiter. 1995, Beschluss des Karlsruher Parteitags C 83: Da fordert die CDU „Einführung einer CO 2 -Energiesteuer“. Ich sage Ihnen: Das ist 25 Jahre her.
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Helmut Kohl war weiter, als Annegret Kramp-Karrenbauer im Jahr 2019 ist.
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Das Problem dieses Landes und dieser Partei CDU ist, dass sie sich in der Zeit zurückbewegen, und das ist ein Unding. Damit werden Sie den Zukunftsherausforderungen nicht gerecht.
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Ich sage Ihnen eines: Sie haben sich am Wochenende – man konnte es ja in diversen Zeitungen lesen; einen Beschluss haben Sie nicht gefasst – im Bundesvorstand mit Klimaschutz beschäftigt. Nachdem ich die Papiere, die da jetzt kursieren, gelesen habe, muss ich ehrlich sagen: Das ist eine krude Mischung aus Esoterik und schlechter Science-Fiction.
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Sie setzen auf Wundertechnologien, die es vielleicht irgendwann mal geben wird – nur um eine Ausrede dafür zu haben, jetzt an der Stelle nichts zu tun.
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Ich sage Ihnen eines klipp und klar: Wenn die Amerikaner in den 1960er-Jahren so gehandelt hätten, wie Sie jetzt hier Klimaschutz machen, dann säßen sie heute noch in Cape Canaveral und würden auf die Erfindung des Beamens warten und wären nie zum Mond gekommen, meine Damen und Herren. Doch genau dem entspricht Ihre Klimapolitik!
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Meine Damen und Herren, wir haben nämlich keinerlei Notwendigkeit für neue Technologien; denn wir haben die Techniken bereits. Was wir brauchen, ist Klarheit über den Kohleausstieg. Wir brauchen die Einführung eines CO 2 -Preises und dabei nicht die Ausweitung des Emissionshandels auf die anderen Sektoren. Das ist nur wieder eine Verschiebung in die Zukunft. Wir brauchen einen festen, klaren CO 2 -Preis. Vor allen Dingen: Wir brauchen endlich klare Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Die treiben Sie mit Ihrer Politik nämlich im Moment aus dem Land.
Kollege Krischer, achten Sie bitte auf die Zeit.
Die Windindustrie in Deutschland bricht zusammen.
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Sie zerstören eine Zukunftsindustrie, und das ist vor dem Hintergrund der Klimakrise unverantwortlich. Das müssen Sie in ein Klimaschutzgesetz einbetten. Handeln Sie jetzt endlich! Sitzen Sie das Problem nicht weiter aus!
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Setzen Sie bitte einen Punkt.
Das ist unverantwortlich den nächsten Generationen gegenüber.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In diesem Jahr werden wir in der Klimapolitik wichtige Weichen stellen.
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Wir, Herr Kollege Krischer, gehen Klimaschutz ganz konkret an. Deshalb sind die Maßnahmen, die das Klimakabinett jetzt auf den Weg bringen wird, genau die richtige Antwort: Klimaschutz konkret durch Maßnahmen, die wir morgen beschließen werden,
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und nicht irgendwelche Zukunftsprojekte, von denen Sie sprechen.
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Wir werden diese Maßnahmen in ein Klimaschutzgesetzespaket gießen, das es so noch nicht gegeben hat, und dieses Gesetzespaket umfasst nicht nur ein Gesetz, sondern Artikelgesetze für alle Bereiche. Es geht um Maßnahmen, die wir ganz konkret auf den Weg bringen.
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– Da können Sie ruhig lachen. Sie werden dann schauen, wenn dieses Gesetz Ende des Jahres verabschiedet wird. Ein solch umfassendes Konzept hat Rot-Grün nämlich nicht auf die Beine gestellt.
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Da werden wir auch als Fraktion nicht lockerlassen. Wir werden dieses Gesetzespaket verabschieden; denn es geht um eine ganz wichtige Herausforderung.
Dieses Jahr ist ein Schicksalsjahr für die Klimapolitik. Wir setzen in allen Bereichen auf Technologie, auf Fortschritt und auf Innovation und nicht auf Verbote, sondern auf Anreize. Es sind Anreize in allen Bereichen notwendig.
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Ein Beispiel für eine ganz konkrete Maßnahme: Es muss sich für den Hausbesitzer endlich steuerlich lohnen, wenn er sein Haus klimafreundlich saniert. Ich bin deshalb froh, dass der Bundesbauminister beispielsweise diese Maßnahme in das Klimakabinett eingebracht hat. Jetzt müssen sich diese Maßnahmen im kommenden Haushalt widerspiegeln. An der Stelle ist auch Finanzminister Scholz gefragt.
Der Bundestag wird das Gesetz verabschieden, und
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– mal schauen, ob Ihnen dann das Lachen vergeht – die Bundesländer müssen diesem Gesetz zustimmen. Ich setze darauf, dass dann das gilt, was die Grünen auch im Umweltausschuss gesagt haben, nämlich dass dieses Gesetz nicht von den Bundesländern blockiert wird, sondern verabschiedet wird.
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Aber auch andere Technologien, wie zum Beispiel die Wasserstofftechnologie oder synthetische Kraftstoffe, müssen attraktiver werden. Für all die Maßnahmen brauchen wir Geld, brauchen wir Anreize. Wie gesagt, da ist der Finanzminister gefragt.
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In der Diskussion um die Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg bringen, wird aber eines zu oft vergessen: welchen Kraftakt Deutschland als – ich möchte fast sagen – einzige Industrienation der Welt schon jetzt leistet. Kein anderes Industrieland steigt aus der Kernenergie aus und gestaltet zugleich den Ausstieg aus der Kohleverstromung.
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Gleichzeitig erhöhen wir den Anteil an erneuerbaren Energien auf 65 Prozent.
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Auch das gilt es einmal in dieser Debatte zu sagen, meine Damen und Herren.
Wir stehen auch für eine generationengerechte Politik. Wir haben es geschafft, dass wir nachhaltig wirtschaften und eine Haushaltspolitik verantworten, die nicht zulasten der jungen Generation geht. Jetzt gehen wir das nächste große Ziel an: Aus der sozialen Marktwirtschaft muss eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft werden. Im Interesse der nachkommenden Generationen muss Deutschland das Pariser Klimaabkommen einhalten und damit bis 2050 weitgehend klimaneutral wirtschaften. Wir brauchen nachhaltiges Wachstum.
Ein Instrument, um Klimainnovationen auszulösen, ist, CO 2 einen Preis zu geben.
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Dabei wollen wir den Einstieg in eine CO 2 -Bepreisung für alle Verbraucher kostenneutral gestalten, ohne dass es zu zusätzlichen einseitigen Belastungen für die Bürger kommt – um mal auf die Unterschiede zu den Grünen zu sprechen zu kommen.
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Wir haben bereits heute ein funktionierendes Instrument zur CO 2 -Bepreisung: den europäischen Emissionshandel, der weite Teile der Industrie- und Energiewirtschaft abdeckt. Das ist ein marktwirtschaftliches Instrument, mit dem CO 2 dort eingespart wird, wo es am kostengünstigsten ist. Das System funktioniert gut. Im Sektor „Energie und Industrie“ sinken die CO 2 -Emissionen kontinuierlich. Auch das muss man in dieser Debatte einmal feststellen.
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Jetzt gilt es, einen Schritt weiter zu gehen. Dabei ist es uns wichtig, keine nationalen Alleingänge zu machen. Jetzt, nach der Europawahl, besteht die historische Chance, auf europäischer Ebene den Durchbruch zu schaffen.
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Diese Chance muss jetzt genutzt werden, um zügig auf EU-Ebene oder in einer Koalition der Willigen mit möglichst vielen anderen EU-Staaten auch in den Sektoren Verkehr, Wärme und eventuell auch Landwirtschaft CO 2 einen Preis zu geben.
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Da gilt es aber, die Auswirkungen intensiv zu prüfen.
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Dazu tauschen wir uns mit der Wissenschaft aus. Wir schauen auf die Argumente der Wissenschaft; das ist unsere Verantwortung als Politik.
Die Bundesregierung hat Gutachten in Auftrag gegeben, und das Thema wird Mitte Juli auch im Klimakabinett aufgerufen. Dabei gelten für uns aber folgende Leitplanken: Es darf zu keiner einseitigen Belastung für die Bürgerinnen und Bürger kommen, –
Kollegin Weisgerber, setzen Sie bitte auch den Punkt.
– es darf nicht zu einer Verlagerung der Arbeitsplätze ins Ausland kommen, und die individuelle Mobilität im ländlichen Raum muss gewährleistet bleiben. Das sind für uns die Leitplanken.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dirk Spaniel für die AfD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Keine 24 Stunden ist es her, dass hier, wo ich gerade stehe, eine Gruppe Jugendlicher in einer Protestaktion für mehr Klimaschutz für Aufsehen gesorgt hat.
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Wir haben gesehen, dass es auch sehr viele Jugendliche gibt, welche diese absurde Klimahysterie ablehnen und die fragwürdige Aktion gestern mit Buhrufen quittiert haben.
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Mein besonderer Dank gilt dem mutigen jungen Mann, der die Sache hier buchstäblich in seine Hand nahm und das traurige Schauspiel beendet hat.
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Traurig ist es deshalb, weil es nichts bringt.
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Denn selbst wenn die Medienanstalten dieser Republik ihren Willen durchsetzen und wir in naher Zukunft grün regiert werden: Die Welt da draußen wird sich weiterdrehen. China, die USA, Indien und Russland emittieren allein mehr als 20 Gigatonnen CO 2 . Deutschland ist mit lediglich 0,8 Gigatonnen dabei. Man muss sich mal vor Augen führen, in welchem Verhältnis das zum Rest der Welt steht: Das ist weniger als ein Fünfzigstel. Und was wollen Sie dagegen tun? Sie wollen den Verbrennungsmotor gegen das Elektroauto tauschen und die Bürger mit einer CO 2 -Steuer belasten.
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Ein paar abgehobene Träumer und Hypermoralisten in Deutschland beschließen, die Welt zu retten. Und warum verschweigen Sie, wie aussichtslos dieses Unterfangen ist?
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– Ja, mit dem Klimaschutz. – Ihr fanatischer Kreuzzug gegen den Verbrennungsmotor und die deutsche Autoindustrie vernichtet Tausende Arbeitsplätze und den Wirtschaftsstandort Deutschland,
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und das alles, ohne signifikant CO 2 einzusparen. Global werden Sie gar nichts erreichen.
Erst gestern haben wir – zu meinem Erstaunen – in der ARD eine Reportage über die Herstellung von Batterien für Elektroautos gesehen,
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und die hat genau das belegt, was die AfD-Fraktion schon seit Langem immer wieder und wieder betont: Das Elektroauto ist weder umweltfreundlich noch klimaneutral. 17 Tonnen CO 2 werden alleine bei der Produktion einer Batterie erzeugt. Durch die vollständige Umstellung aller Neuzulassungen würde fast ein Drittel der heutigen CO 2 -Emmissionen im Verkehrssektor erzeugt, ohne dass 1 Meter gefahren wird.
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Es ist auch hinlänglich bekannt, dass beim aktuellen Strommix Elektrofahrzeuge genauso viel CO 2 ausstoßen wie herkömmliche Verbrennungsmotoren.
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Sie verlagern lediglich den Ausstoß vom Auspuff in die Kraftwerke, und das nennen Sie dann „klimaneutrale Mobilität“.
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Das ist ein Propagandakunstgriff, auf den so manche historische Persönlichkeit neidisch wäre.
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Übrigens: Das Argument, mit dem die Lüge vom CO 2 -neutralen Elektroauto entlarvt wird, gilt auch für den vermeintlich klimafreundlichen Nahverkehr. Ich sage hier ganz klar: Bauen Sie den ÖPNV ruhig aus. Jeder Pendler weiß, dass Sie das Thema in den letzten 30 Jahren sträflich vernachlässigt haben. Aber behaupten Sie doch um Himmels willen nicht, dass Sie damit das Weltklima retten wollen und können. Das – um den geschätzten Kollegen Holmeier zu zitieren – ist „Blödsinn hoch drei“!
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Eine U-Bahn verursacht circa 90 Gramm CO 2 pro Kilometer und Kopf. Ein E ‑ Klasse-Diesel verursacht circa 80 Gramm CO 2 pro Kilometer und Kopf – weniger als die U ‑ Bahn. Das sind nachprüfbare Fakten.
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Die Debatte um vermeintliche Einsparungen an CO 2 ist lächerlich und verlogen.
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Selbst wenn Sie mit all Ihren absurden Zwangsmaßnahmen, Verboten und Steuern das Leben den Menschen in Deutschland so weit vermiest und die Industrie erfolgreich zerstört haben, wird sich global gar nichts ändern.
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Lassen Sie uns vernünftige Politik machen! Umweltschutz ist Heimatschutz, aber wir wollen auch in einem modernen Industriestaat leben. Die AfD wird das konsequent einfordern.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Svenja Schulze.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Eigentlich wissen es alle: Klimaschutz ist die Menschheitsaufgabe unserer Zeit. Und auch wenn wir hier manchmal etwas anderes hören: Wir haben beim Klimaschutz eigentlich kein Erkenntnisproblem mehr. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit belegen den menschengemachten Klimawandel,
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und um eine Katastrophe abzuwenden, müssen wir die Erderwärmung nach Möglichkeit auf unter 1,5 Grad begrenzen.
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Wir haben beim Klimaschutz übrigens auch kein Vertragsproblem. Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen und dem europäischen Regelwerk gibt es einen verbindlichen, einen internationalen Rechtsrahmen.
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Jedes Land kennt sein Restbudget an CO 2 und hat eben auch zu liefern.
Und wir haben beim Klimaschutz den Rückhalt der Gesellschaft; wir haben sogar den Rückhalt großer Teile der Wirtschaft. Deswegen passiert auch schon etwas. Wir haben in dieser Bundesregierung schon etwas erreicht:
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Wir haben den Kohleausstieg auf den Weg gebracht. Das ist wirklich ein Meilenstein für den Klimaschutz.
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Mit der Kohlekommission ist etwas gelungen, was für viele lange unlösbar erschien, nämlich einen klima- und sozialverträglichen Konsens zu finden. Spätestens 2038, wahrscheinlich aber sogar früher, beenden wir di e Kohleverstromung in Deutschland.
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Meine Damen und Herren Abgeordnete von den Grünen, vielleicht können Sie sich das noch einmal genauer ansehen: Bis 2022 werden 30 Prozent des Kohlestroms vom Netz genommen.
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Das ist deutlich mehr, als Sie bei Jamaika jemals verhandelt haben. Deswegen können Sie vielleicht ein bisschen mit stolz darauf sein, was wir da geschafft haben.
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Aber, meine Damen und Herren, wir wissen: Nur sozial gerechte Klimapolitik behält Mehrheiten in der Gesellschaft. Deswegen hat das Kabinett Eckpunkte für ein „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ beschlossen. Wir ermöglichen es den betroffenen Regionen, einen Strukturwandel auf den Weg zu bringen, indem wir sie eben massiv finanziell unterstützen. Dahinter kann auch niemand mehr zurück.
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Und wir sorgen für ein vernünftiges Tempo beim Klimaschutz und beschreiten einen verlässlichen, einen sozial- und energiepolitisch verantwortbaren Pfad gleichermaßen.
Meine Damen und Herren, nach dem Konsens in der Energiewirtschaft heißt es nun: Jetzt sind alle anderen dran und müssen wirklich liefern. – Auch hier haben wir einen Zeitplan, und wir haben die richtigen Instrumente. Es liegt das von mir erarbeitete Klimaschutzgesetz auf dem Tisch.
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Es wird dauerhaft und verbindlich regeln, wie viel der Verkehr, die Industrie, die Landwirtschaft und die Gebäude nun an CO 2 einsparen müssen.
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Der Wettbewerb um die besten Ideen ist nun eröffnet; er hat nach der Europawahl noch mal deutlich an Fahrt gewonnen. Inzwischen werden jeden Tag neue konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt; so soll es auch sein. Im Klimakabinett sortieren wir das. Wir lassen unabhängig prüfen, was wirklich zum Ziel führt. Wir haben uns einen verbindlichen Zeitplan gesetzt: Alle Grundentscheidungen fallen im September, danach geht es ans Gesetzeswerk.
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Also: 2019 wird das Jahr des Handelns im Klimaschutz werden.
Als Umweltministerin und als Sozialdemokratin sage ich ganz klar und unmissverständlich: Klimaschutz ist die zentrale Gestaltungsaufgabe dieser Regierung in 2019!
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Es ist unsere Aufgabe, die Hebel zur Zukunft umzulegen und Sicherheit, Verlässlichkeit zu schaffen. Mit dem Klimaschutzgesetz, das ich vorgelegt habe, haben wir das richtige Instrument.
Aber, meine Damen und Herren, wie jede politische Debatte hat auch die Klimaschutzdebatte ihre Tücken. Es gibt Überzeichnungen, es gibt Verharmlosungen, es gibt auch die ein oder andere Nebelkerze; auch darauf möchte ich eingehen. Ich finde die groteskeste Variante, die wir in der aktuellen Debatte hören, ist der Versuch, eine Renaissance der Atomkraft herbeizureden.
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Was wir für den Klimaschutz ganz sicher nicht brauchen, ist eine Rückkehr zur Atomkraft.
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Sie birgt das Risiko eines Reaktorunfalls. Sie beschert uns weiteren Atommüll. Sie ist enorm teuer, und sie verstopft künftig unsere dezentralen Stromnetze.
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Ich fordere hier noch mal sehr deutlich: Schluss mit dieser Geisterdebatte!
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Meine Damen und Herren, ich warne aber auch vor Überzeichnungen bei der Bepreisung von CO 2 . Meine Haltung hierzu ist klar und eindeutig: Wir brauchen eine CO 2 -Bepreisung, weil sie das teuer macht, was wir vermeiden wollen. Sie kann eine Lenkungswirkung entfalten. Sie ist damit ein wichtiges Element in einer Gesamtstrategie zum Klimaschutz. Aber sie löst nicht alle Probleme. Ein CO 2 -Preis, der alle anderen Instrumente überflüssig macht, würde bedeuten, dass man sehr hoch einsteigen müsste, und das kann dann nicht mehr sozial gerecht sein.
Ein CO 2 -Preis muss aber fair sein. Der Staat muss die Einnahmen an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben; denn vor allem Pendler, vor allen Dingen Mieterinnen und Mieter können dem höheren Preis durch ihr eigenes Verhalten oft gar nicht ausweichen. Deshalb dürfen sie nicht die Verlierer und Verliererinnen des Klimaschutzes werden. Wir geben ihnen aber Anreize, um auf klimafreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen. Es muss sich lohnen, kleinere Autos zu fahren, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen und CO 2 zu reduzieren.
({17})
Das Klimakabinett wird sich mit diesem Instrument im Juli auseinandersetzen. Es wird in die Grundentscheidung im September einfließen.
Meine Damen und Herren, ich finde, das ist ein sehr ernstes Thema, und das sollten wir auch als ernstes Thema diskutieren; denn überall auf der Welt verändern sich alte Gewissheiten. Viele Menschen spüren, dass sich etwas Grundlegendes verändert:
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unsere Art, zu produzieren, unsere Art, Industrieland zu sein, unsere Art, zu wohnen, zu arbeiten, uns fortzubewegen, zu konsumieren. Damit wird vielen inzwischen auch bewusst: Die notwendigen Veränderungen betreffen unmittelbar mich, sie betreffen mein eigenes Leben.
In das Denken an die Zukunft mischen sich Ungeduld, Veränderungsbereitschaft und Sorgen gleichermaßen. Deswegen müssen wir alle gemeinsam darauf achten, dass es eine gerechte Transformation wird, dass wir es so organisieren, wie wir es beim Kohleausstieg vormachen: dass es fair, dass es gerecht ist. Das ist jedenfalls mir als Sozialdemokratin wichtig. Daran arbeite ich, und daran muss sich auch die Regierung in 2019 messen lasse n.
Herzlichen Dank.
({19})
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Frank Sitta für die Fraktion der FDP.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Klima beschäftigt die Menschen in Deutschland zu Recht. Wenn ich mir die jetzige Debatte mal vor Augen halte, stelle ich fest, dass wir Angstmache vor einer Weltkriegssituation haben. Wir haben Vergleiche mit Propagandagrößen aus der Geschichte, wir hören von der Union: „Morgen geht es los“, und die Ministerin erklärt uns, wie man planwirtschaftlich zum Ziel kommt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist kein Wunder, dass die Menschen verunsichert sind und sich Sorgen um den Klimaschutz in unserem Land machen.
({0})
Wir wollen die Klimaziele von Paris erreichen. Darüber sind wir uns hier weitgehend einig.
({1})
Deutschland muss den Anspruch haben, mit gutem Beispiel voranzugehen. Auch da sind wir uns hier weitgehend einig. Es ist aber Unsinn, zu behaupten, dass bisher nichts für den Klimaschutz getan wurde. Fragen Sie die Steuerzahler und Stromkunden in diesem Land, die die gewaltigen Summen, die zur Verringerung von CO 2 -Emissionen geflossen sind, bezahlen mussten. Und warum – das frage ich Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren – geben wir in Deutschland dennoch kein nachahmenswertes Beispiel ab?
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Ein führender Industriestaat sollte in der Lage sein, anderen in Sachen Klimaschutz den Weg aufzuzeigen, den Weg, der am kostengünstigsten und damit auch am sozialverträglich sten ist. Dieser Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir uns bisher mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit verweigert.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, kein Land der Welt gibt für jede eingesparte Tonne CO 2 so viel Geld aus wie wir. Die deutschen Stromkunden bezahlen im Namen des Klimaschutzes die höchsten Energiepreise in Europa, und dennoch erreichen wir die selbstgesteckten Ziele nicht. Planwirtschaft – das zeigt sich da – hat sich eben noch nie als sonderlich effizientes System erwiesen.
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– Die Energiewende – darüber können wir gerne sprechen – hat durchaus einige Anreize, die planwirtschaftlich sind. – Mit der staatlich verordneten Beendigung der Braunkohleverstromung hat sich die Bundesregierung aber ein weiteres Mal genau für diese Planwirtschaft entschieden. Es wird übrigens keineswegs besser, wenn wir anschließend versuchen, die Folgen der planwirtschaftlichen Maßnahmen mit neuer Planwirtschaft zu beheben.
Zu dem, was ich heute lesen konnte – die Bundeskanzlerin will das Pillepalle in der Klimapolitik beenden –, kann ich nur sagen: Wenn Sie dieses teure Pillepalle meinen, dann haben Sie die Freien Demokraten an Ihrer Seite.
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Ich hätte mich auch gefreut, wenn die Bundeskanzlerin dazu heute vielleicht das eine oder andere gesagt hätte. Aber für den Fall, dass sich Kolleginnen und Kollegen hier noch nicht sicher sind: Wir debattieren morgen über einen ganz interessanten Antrag der Freien Demokraten zum Klimaschutz. Sie können sich uns gerne anschließen.
Es ist hier gesagt worden, dass wir einen CO 2 -Preis brauchen. Der muss aber nicht gesetzt werden, sondern der muss sich am Markt bilden; denn erst mit einem CO 2 -Marktpreis wird es für alle wirtschaftlich attraktiv, in die Vermeidung von Emissionen und in die Speicherung und Biomasse zu investieren.
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Paris gibt uns einen klaren Pfad vor, wie viel Treibhausgase netto jedes Jahr ausgestoßen werden dürfen.
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Wer davon 1 Tonne in Anspruch nehmen will, der sollte dafür bezahlen. Durch Angebot und Nachfrage entsteht ein CO 2 -Preis am Markt, bei dem die festgeschriebene Obergrenze gar nicht überschritten werden kann. Wir sollten vor diesem Hintergrund das bestehende europäische Emissionshandelssystem auf möglichst viele Sektoren ausweiten und mit dem Verkehr beginnen.
({8})
Das dauert keine zehn Jahre; das könnte man auf europäischer Ebene innerhalb eines guten halben Jahres bewerkstelligen.
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Nach der Europawahl wäre jetzt auch der richtige Zeitpunkt dafür.
Über solche Anreize und Marktprozesse bekommen wir endlich die Dynamik in den Klimaschutz, die keine Regulierung und Besteuerung jemals erreichen werden. Wir halten es auch nicht für zielführend, zu versuchen, den passenden CO 2 -Preis quasi mit der Glaskugel in Amtsstuben in Form einer Steuer zu bestimmen, womöglich am Ende noch nach Kassenlage. Da sind die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu Recht misstrauisch.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zugegeben – das merkt man auch heute wieder –: Marktwirtschaftliche Lösungen sind weniger schlagzeilenträchtig als etwa ein politisch festgesetzter Kohleausstieg per Gesetz.
({11})
Sie hätten aber doch den Vorteil, dass wir nicht noch Millionen an Steuergeldern für Entschädigungen an die Energiekonzerne zahlen müssen. Wir haben gerade auch gelernt, dass Kommissionen solche Ausstiege beschließen; das ist auch interessant.
({12})
Als Parlamentarier nehme ich zur Kenntnis, dass Kommissionen die moralisch wichtigen Dinge in diesem Land entscheiden. Auch hier kritisieren wir das Ganze. Nationale Alleingänge bringen am Ende ohnehin wenig.
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Wenn sich – auch das muss betont werden – in anderen Ländern viel kostengünstiger viel mehr erreichen lässt, sollten wir diese Länder dabei unterstützen.
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Denn der Atmosphäre ist es egal, wo auf der Welt 1 Tonne CO 2 herkommt oder – besser gesagt – nicht mehr herkommt. Dem deutschen Steuerzahler und Stromkunden ist es aber nicht egal.
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Wenn es also einen Vorschlag gibt, marktwirtschaftlich und mit Technologieoffenheit auf einem günstigen Weg die Klimaziele zu erreichen, dann würden wir dem hier im Deutschen Bundestag zustimmen,
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dann haben Sie die Freien Demokraten an Ihrer Seite.
Herzlichen Dank.
({17})
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Lorenz Gösta Beutin.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Es ist ja nun ein offenes Geheimnis, dass linke Klimapolitik in Differenz steht zur Politik dieser Bundesregierung, zum Versagen der Bundesregierung bei der Klimapolitik. Heute Morgen war ich im Wirtschaftsausschuss und war ganz ehrlich etwas darüber erstaunt, wie weit der Realitätsverlust da gediehen ist. Selbstverständlich habe ich auch dort wieder die Klimapolitik der Bundesregierung kritisiert. Was kam als Reaktion darauf? Als Reaktion kam – ich zitiere –: Wir sind auf dem richtigen Weg. – Das heißt, es wird gesagt: Der richtige Weg ist vielleicht der Weg in den Abgrund, der richtige Weg ist zehn Jahre Stillstand bei der Klimapolitik,
({0})
der richtige Weg ist das Verfehlen der Klimaziele 2020 oder 2030.
Wir sehen eine Bundeskanzlerin Merkel, die beim Klimaschutzgesetz bremst, die die Bundesumweltministerin und ein durchaus ambitioniertes Klimaschutzgesetz ausbremst. Das ist nicht der richtige Weg. Das ist der falsche Weg.
({1})
Dann haben wir uns angeschaut, was die Regierungssprecherin nach der Europawahl zu den Vorschlägen im Bereich der Klimapolitik gesagt hat. Schauen Sie sich das einmal an. Lassen Sie sich das, was dort gesagt wurde, auf der Zunge zergehen. Ich zitiere: Es wird gar nicht zwingend notwendig sein, vonseiten der Politik Vorschriften zu machen, sondern es wird wahrscheinlich schon ein verändertes Verhalten der Bevölkerung bei Mobilität und Ernährung vielleicht dazu führen, dass wir die Klimaschutzziele erreichen. – Das ist eine Frechheit, was Sie hier präsentieren;
({2})
denn Sie verlagern Ihr Versagen in diesem Bereich auf den Rücken der Bevölkerung. Es geht hier nicht um individuelles Konsumverhalten. Es geht nicht an, dass hier auf ganzer Linie versagt und dann gesagt wird: Die Bevölkerung soll es richten, weil wir es nicht auf die Reihe bekommen.
({3})
Nein, wir müssen uns doch anschauen, was die Problematik ist. Die Problematik ist, dass 100 Konzerne weltweit verantwortlich sind für über 70 Prozent der CO 2 -Emissionen. Das heißt, es wird überhaupt keine Chance geben, echten Klimaschutz zu machen, wenn wir nicht den Mut haben, uns mit diesen Konzernen anzulegen, die vom Klimawandel profitieren.
({4})
Das ist jetzt keine Leerformel, sondern das ist ganz konkret. Das kann man ganz konkret für alle Bereiche diskutieren.
Zum Kohleausstieg. Der Kohleausstieg funktioniert doch nicht, wenn wir uns mit der Kohle-Lobby nicht anlegen. Er funktioniert doch nicht, wenn wir uns mit den Energiekonzernen nicht anlegen, und er funktioniert schon gar nicht , wenn wir sagen: Okay, dann müssen wir die Kohlekonzerne für die entgangenen Gewinne entschädigen. – Das ist doch der falsche Weg; das haben wir doch gesehen. Wir müssen die Strompreise bezahlbar machen. Wir müssen die Energiewende sozial gerecht machen. Wir müssen Akzeptanz fördern, aber nicht Konzerne für entgangene Gewinne entschädigen.
({5})
Für die Verkehrswende bedeutet das – das können wir aus dem Dieselskandal lernen –: Es funktioniert nicht, ohne dass wir uns mit den Autokonzernen anlegen, ohne dass wir uns mit Daimler, BMW, VW und mit anderen anlegen. Und auf der anderen Seite müssen wir doch sagen: Es funktioniert nur, wenn wir den Individualverkehr reduzieren, wenn wir dafür sorgen, dass die Städte nicht mehr mit Autos verstopft sind.
({6})
Es funktioniert doch nur, wenn wir den öffentlichen Nahverkehr massiv ausbauen
({7})
und wenn wir eine Bahn haben, die eine Bahn für alle ist, die günstig und attraktiv und keine Aktiengesellschaft ist.
({8})
Das brauchen wir.
Kommen wir zum Bereich der Landwirtschaft; da haben wir es neulich auf EU-Ebene bei den Verhandlungen über die GAP gesehen. Es wird nicht funktionieren, ohne dass wir sagen: Mit dieser Form der Agrarindustrie – mit diesen mächtigen Agrarkonzernen, mit Fleischfabriken – wird es nicht funktionieren. Wir müssen eine nachhaltige Landwirtschaft fördern, und wir müssen aus dieser überbordenden Fleischherstellung rauskommen.
Last, but not least. Es funktioniert auch nur, wenn wir über den nationalen Tellerrand hinausgucken, wenn wir begreifen, dass es nur mit einer globalen Politik geht, dass es nicht funktioniert mit einer unfairen Handelspolitik, dass es nicht funktioniert mit der Ausbeutung der Ressourcen der Länder des globalen Südens. Eine Energiewende muss auch global eine gerechte Energiewende sein, eine gerechte Klimapolitik.
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Stattdessen erleben wir eine Regierung – ich muss es leider so bitter sagen –, die die Energiewende momentan an die großen Energiekonzerne verscherbelt. Wir brauchen das Gegenteil: Wir müssen Akzeptanz stärken, indem wir Bürgerenergie fördern, indem wir Genossenschaften fördern, indem wir Kommunen fördern.
({10})
Wir brauchen eine vollkommen andere Energiepolitik der vielen. Wir brauchen eine demokratische Energiewende.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN
Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Carsten Müller.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der globale Klimawandel ist mit absoluter Sicherheit eine der größten Herausforderungen und eine Bedrohung für die Schöpfung und für die Lebenschancen künftiger Generationen. Und weil es bei diesem Thema eben um die Bewahrung der Schöpfung geht, sind Klimaschutz und Umweltschutz Kernbestandteil der politischen DNA der Union, und das seit vielen Jahren.
({0})
1986 hat Helmut Kohl den ersten Bundesumweltminister berufen, und, meine Damen und Herren, 1997 hat Angela Merkel, seinerzeit Umweltministerin, das erste Mal eine globale Vereinbarung, nämlich das Kyoto-Protokoll, mit auf den Weg gebracht, das es ermöglicht, klimaschädliche Grenzwerte festzulegen. Es war im Übrigen im Jahr 2015 die unionsgeführte Bundesregierung, die das Klimaabkommen von Paris ganz maßgeblich vorangebracht hat und dafür gesorgt hat, dass wir dort einsteigen.
Meine Damen und Herren, in Deutschland haben wir einiges erreichen können:
({1})
Von 1990 bis 2017 sanken die Gesamtemissionen in Bezug auf CO 2 um 344 Millionen Tonnen oder 27,5 Prozent, und allein von 2017 auf 2018 konnten wir einen Rückgang von 4,5 Prozent verzeichnen. Der Bruttostromverbrauch wird zu 38 Prozent aus erneuerbarer Stromerzeugung gedeckt. Das sind meines Erachtens außerordentlich große Erfolge.
({2})
Wir haben – das gehört allerdings auch und bedauerlicherweise zur Wahrheit – etwas an Schwung verloren in den letzten zehn Jahren. Und das wollen wir wieder aufholen. Die Einsparziele für 2020 werden wir verfehlen; deswegen arbeiten wir umso fester daran, die Ziele für das Jahr 2030 zu erreichen.
Das Thema Kohleausstieg – es ist heute angesprochen worden – treiben wir dafür maßgeblich voran. Wir finden die im großen gesellschaftlichen Konsens erarbeiteten Vorschläge hochinteressant. Sie können – und für meine Person bin ich mir sicher: sie werden – ein guter Leitweg für den Ausstieg sein. Und, meine Damen und Herren, wir behalten dabei auch eines im Auge: Klimawandel ist eine soziale Frage; aber auch Klimapolitik ist eine soziale Frage. Wir wollen nicht Arm gegen Reich ausspielen, und wir wollen nicht die Bevölkerung in den Städten gegen die Bevölkerung in den ländlichen Räumen unseres Landes ausspielen.
({3})
Die Grünen fragen heute nach Konzepten der Bundesregierung. Bemerkenswerterweise – dafür war der eher schreiend vorgetragene Beitrag des Kollegen Krischer ein Beleg – bleiben die Grünen selber bei dem, was sie wollen, erstaunlich unkonkret.
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Das Unkonkrete ist, ehrlich gesagt, noch der geringste Vorwurf, den man Ihnen machen kann. Wir schauen uns einfach mal an, was passiert, wenn Sie tatsächlich in Regierungsverantwortung stehen. Meine Damen und Herren, schauen wir nach Nordrhein-Westfalen, wo eine rot-grüne Regierung abgewählt worden ist
({5})
und wo mit Unterstützung der Grünen im Jahr 2013 ein sogenanntes Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht worden ist, in dem eine Minderung um 25 Prozent bis zum Jahr 2020 vorgesehen ist. Mit Blick auf die Bundesebene kann ich sagen, Herr Krischer: Wir haben Sie und Ihre Ambitionen schon lange überrundet.
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Die Bevölkerung sollte Sie nicht an Ihren Worten messen, sondern an Ihren Taten. Ich habe es Ihnen schon mal vorgehalten – es ist im Grunde genommen unvorstellbar –: Vor drei Jahren gewährte der grüne Umweltminister Remmel in Nordrhein-Westfalen – wie gesagt, mittlerweile abgewählt, aus gutem Grund – der Braunkohleverstromung noch eine große Zukunft. Er hat folgenden Satz unterschrieben, und ich halte Ihnen diesen vor: Braunkohlenabbau ist im rheinischen Revier weiterhin erforderlich. Dabei bleiben die Abbaugrenzen der Tagebaue Inden und Hambach unverändert. Und der Tagebau Garzweiler II wird so verkleinert, dass die Ortschaft Holzweiler, die Siedlung Dackweiler und der Hauerhof nicht umgesiedelt werden. – Und das unterschreibt ein grüner Umweltminister. So viel zur grünen Realitätspolitik.
({7})
Meine Damen und Herren, das Thema CO 2 -Bepreisung ist ein großes Thema. Gestatten Sie mir einige wenige Hinweise. Ich finde den Einstieg in eine CO 2 -Bepreisung interessant und richtig.
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Diese kann für den Verbraucher kostenneutral gestaltet werden. Ich finde im Übrigen dabei eine Idee besonders interessant: Wenn wir den CO 2 -Ausstoß bis 2050 auf null absenken, dann sinkt eben auch die entsprechende Belastung der Bürgerinnen und Bürger. Das ist meines Erachtens ein unschlagbares Argument.
Wir wollen das Dickicht aus Energiebesteuerung dringend durchforsten. Das passiert in allernächster Zeit; wir haben es gestern von der Kanzlerin gehört. Wir wollen den Weltklimavertrag erfüllen. Das alles schaffen wir im Übrigen nicht allein mit der CO 2 -Bepreisung, sondern wir brauchen auch Förderprogramme. Wir brauchen Mindeststandards und Anreizprogramme. Die Kollegin Weisgerber hat zum Thema „Gebäudesanierungsprogramm und steuerliche Förderung“ einige Worte verloren.
Was hilft uns weiter? Uns hilft konkrete Politik, Stichwort: Waldschutz. Was kennzeichnet gute Klimapolitik? Gute Klimapolitik braucht Ideen statt Ideologien, Technologien statt Verbote und Pragmatismus statt Dogmatismus, und dafür steht die Union.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Karsten Hilse für die Fraktion der AfD.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Deutschland wurde in den letzten Monaten von einer professionell durchgezogenen Kampagne heimgesucht, offensichtlich organisiert von finanzkräftigen Lobbyisten,
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NGOs und der Umweltzerstörungspartei, unterstützt von einem Großteil der Medien. Das begann damit, dass Ökoterroristen im Hambacher Forst, die Polizisten mit Brandsätzen bewarfen, als Umweltaktivisten bezeichnet wurden. Extremisten, die gezielt Menschen töten wollen, sind keine Aktivisten, sondern potenzielle Mörder.
Damit wurde natürlich die Kohlekommission, in der kein einziger Energiefachmann, kein einziger Netzfachmann saß, massiv unter Druck gesetzt, einen möglichst schnellen Kohleausstieg zu beschließen.
({1})
Den einzigen Rohstoff, den wir in Hülle und Fülle in Deutschland haben und der laut brandenburgischem Wirtschaftsministerium theoretisch noch 1 000 Jahre reichen würde, verteufeln Sie. Grund ist das Herbeireden des Endes der Welt durch ein paar falsche Weltuntergangspropheten. Das ist nichts Neues in der Geschichte der Menschheit. Im Mittelalter ging es falschen Weltuntergangspropheten meistens an den Kragen, wenn sich ihre Prophezeiungen nicht bewahrheiteten. Heute sitzen sie im Parlament, sind Staatschefs oder Behördenleiter. Allein in den letzten 50 Jahren hatten Weltuntergangspropheten Hochkonjunktur, angefangen beim Club of Rome, laut einigen Journalisten Drahtzieher der No-Education-Friday-Schwänzereien, der 1972 prophezeite, spätestens 1992 wären alle Öl- und Gasvorkommen aufgebraucht.
({2})
1989 sagte Noel Brown von der UNO: Ganze Nationen könnten von der Erdoberfläche gelöscht werden, wenn bis zum Jahre 2000 die globale Erwärmung nicht rückgängig gemacht wird. – Rajendra Pachauri, damaliger Vorsitzender des IPCC, sagte im Jahr 2007: Wenn es vor 2011 keine Maßnahmen gibt, ist es zu spät. – Prinz Charles sagte 2009: Die Menschheit hat nur noch 96 Monate, um die Welt vor dem unwiederbringlichen Zusammenbruch des Klima- und Ökosystems zu retten. – Laurent Fabius sagte 2014: „Wir haben 500 Tage, um das Klimachaos abzuwenden.“ Jeder, der diesen falschen Propheten heute immer noch glaubt, ist, höflich ausgedrückt, entweder sehr leichtgläubig, oder er ist Altparteienpolitiker und knallharter Lobbyist.
({3})
Wenn es um Lobbyinteressen geht, wird hingenommen, dass Hunderttausende Vögel und Fledermäuse, Billionen Insekten getötet und jahrhundertealte Wälder für noch mehr Vogelschredder zerstört werden. Der Rubel muss rollen vom Endverbraucher zu den Profiteuren der sogenannten Energiewende, die sich mit deren Geld die Taschen füllen. Das ist kein Klimaschutz; das ist Ausplünderung.
({4})
Tagtäglich redet man dem, dessen Geldbeutel geschröpft wird, ein, dass er am bevorstehenden Weltuntergang Schuld hat und deshalb brav den modernen Ablass in Form der EEG-Umlage zu zahlen hat. Die größten Einpeitscher sind aus der Umweltzerstörungspartei mit dem grünen Mäntelchen. Darunter verstecken sich Sozialisten und Kommunisten jeglicher Couleur.
({5})
In der Tradition Maos missbrauchen diese die Kinder, um sie gegen ihre Eltern aufzuhetzen.
({6})
Vorbild ist das China zur Zeit der Kulturrevolution mit Millionen von Toten. Spontan werden die No-Education-Friday-Schwänztage organisiert, um die Menschen auf die CO2-Steuer einzustimmen. Die Galionsfigur macht nicht nur „no education on Fridays“, sondern jetzt auch „no education every day“.
({7})
Wie viele Kinder werden sich ihr wohl anschließen, um dann von den Politikern der Altparteien für ihren Einsatz gelobt zu werden?
({8})
Um dem Ganzen noch mehr Nachdruck zu verleihen, biegen dann auch noch 700 Wissenschaftler um die Ecke, um den hüpfenden und schreienden Kindern den Rücken zu stärken. Die Leitmedien kriegen sich vor lauter Lobhudelei für die Umweltzerstörer nicht ein. Sie sind bis zu den Europawahlen die meist eingeladenen Gäste in Talkshows gewesen. Und zu guter Letzt wird mit viel Geld und viel Aufwand ein semiprofessionelles Propagandavideo gedreht, damit die Umweltzerstörer auch sicher in großer Zahl nach Brüssel ziehen. Also, liebe Umweltzerstörer und liebe Finanziers, das war eine sauber durchgeplante Kampagne.
({9})
Hut ab!
({10})
Gestern konnten wir im Parlament sehen, dass die Anhänger dieser Sekte zwar am lautesten, aber noch lange nicht in der Mehrheit sind, als sie ein No-Education-Friday-Transparent entfalteten. Die Buhrufe der restlichen Jugendlichen und der Beifall, als ein beherzter junger Mann das Transparent entfernte, lassen mich hoffen und zeigen auch, dass unsere Jugend zum größten Teil nicht auf die falschen Weltuntergangspropheten hereinfällt.
Für alle CDU-Genossen: Lassen Sie sich den Niedergang der SPD eine Warnung sein. Das passiert, wenn man den falschen Propheten hinterherläuft. Sie haben ihre Schuldigkeit getan, indem sie die umweltzerstörerische Ideologie gesellschaftsfähig gemacht haben. Jetzt werden sie von den Ideologen nicht mehr gebraucht und abserviert. Entweder entledigen Sie sich Ihres Hemmschuhs und machen wieder vernünftige Politik, oder Sie enden als Kofferträger der Grünen.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Carsten Träger für die Fraktion der SPD.
({0})
Vielen Dank. – Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Hilse, es ist ja immer eine Plage, Ihnen zuzuhören.
({0})
Aber heute sollten Sie sich mal ganz gezielt bei einigen Leuten, die Sie beleidigt haben, entschuldigen.
({1})
Ich meine, wir alle werden gut dafür bezahlt, uns das anzuhören. Wenn Sie aber allen Ernstes behaupten, dass die Mitglieder der Kohlekommission – das sind Gewerkschaftsvertreter der IG BCE, das ist der BDI, das sind Wissenschaftler und Vertreter der Energiewirtschaft – überhaupt keine Ahnung von Energie haben, dann sollten Sie vielleicht wirklich mal in sich gehen.
({2})
Aber Anstand kann man von Ihnen nicht verlangen. Sie sind ja dafür bekannt, dass Sie solche Sprüche klopfen.
({3})
Klimaschutz ist nicht nur das Thema dieser Aktuellen Stunde, Klimaschutz ist das Thema unserer Zeit. Das war übrigens schon vor der Europawahl und vor Fridays for Future klar – zumindest mir und meiner Partei, der SPD. Ich glaube, das war auch allen anderen hier im Hause mit Ausnahme Ihrer Fraktion klar. Klimaschutz ist die größte Herausforderung für unsere Generation. Wir sind die Ersten, die erkennen, wie weitreichend die Folgen sind, und wir sind die Letzten, die es wirklich noch in den Griff bekommen können.
Wir sprechen über nicht weniger als den Umbau unserer Industriege sellschaft, wie wir sie kennen. Denken wir an das Thema Heizen: Es ist völlig klar, dass wir zwar nicht heute und nicht morgen – ich will niemandem Angst machen –, aber doch perspektivisch nicht mehr mit fossilen Energieträgern heizen können.
Ähnliches gilt für den Verkehr. Alle Mobilität braucht saubere Antriebssysteme. Auch da kann nicht von heute auf morgen umgestellt werden, aber wir müssen uns über die Richtung einigen. Wir müssen uns darüber einig sein, dass wir saubere Mobilität brauchen.
({4})
Wir müssen über das Thema Konsum sprechen. Die Art und Weise, wie wir produzieren, ist langfristig nicht weiter fortführbar.
Im Bereich der Energie sind wir Gott sei Dank schon ein gutes Stück vorangekommen. 40 Prozent unseres Strombedarfs werden heutzutage mit erneuerbaren Energien gedeckt. Da muss es weitergehen; das muss ausgebaut werden. Die rot-grüne Energiewende war da ein guter Anfang.
({5})
In allen anderen Sektoren wird es höchste Zeit, dass wir die Ärmel hochkrempeln.
Was will ich mit dieser Aufzählung außerdem sagen? Ich will damit sagen, dass Klimaschutz auch eine soziale Frage ist. Wie verändern wir die Heizungen in unseren Privathäusern, wenn wir nur einen kleinen Geldbeutel zur Verfügung haben? Wie sieht individuelle Mobilität künftig für Menschen aus, die jeden Euro zweimal umdrehen müssen? Wo findet man einen neuen Job, wenn der alte Beruf – wie zum Beispiel bei den Kolleginnen und Kollegen in der Kohle – in der Form nicht mehr existieren wird? Insofern betrifft Klimapolitik uns alle, nicht nur mit Blick auf die ökologischen Folgen, sondern auch mit Blick auf unser soziales Zusammenleben. Klimapolitik ist eine zutiefst soziale Frage, die wir dringend beantworten müssen.
({6})
– Da haben Sie recht: Das ist auch eine ökonomische Frage.
({7})
Wir brauchen schnelle und nachhaltige Lösungen, bei denen wir alles im Blick behalten: das ökologisch bitter Notwendige, das sozial Ausgewogene, aber auch das wirtschaftlich Vernünftige. Denn nur gemeinsam mit der Wirtschaft wird es funktionieren, dass wir die richtigen Maßnahmen ergreifen, die dann auch Wirkung entfalten. Die Beschlüsse der von Ihnen gescholtenen Kohlekommission liegen auf dem Tisch. Ich würde sie als wirklich historisch einordnen; denn damit schaffen wir es, einen gesellschaftlichen Großkonflikt zu verhindern, bevor er richtig entbrennt. Wir werden in den nächsten Jahren übrigens mehr Kohlekraftwerke abschalten, als es bei den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition geplant war.
({8})
Dabei sprechen wir auch über die schon erwähnte CO 2 -Bepreisung, die viele unserer europäischen Nachbarn schon mit gutem Erfolg eingeführt haben, die die Wissenschaftler vehement fordern und von der auch die Vertreter der Wirtschaft sagen: Das sollten wir endlich machen. – Sie wird eine ökologische Wirkung haben; deswegen führen wir sie ein. Aber sie muss natürlich auch sozial so gerecht gestaltet werden, dass sich das jeder leisten kann. Wir wollen damit keine Einnahmequelle für den Staat schaffen, sondern wir wollen die Einnahmen so zurückgeben, dass im Endeffekt diejenigen belohnt werden, die sich klimafreundlich verhalten, und diejenigen, die klimaschädlich agieren, einen höheren Preis zu zahlen haben. So erzielen wir eine Lenkungswirkung, und so geben wir jedem die Chance, sich mit seinem Verhalten einen Vorteil zu erwirtschaften.
({9})
Natürlich ist diese CO 2 -Bepreisung nicht das Ende aller Maßnahmen. Vielmehr müssen wir dieses ganze Thema in einen vernünftigen ordnungsrechtlichen Rahmen einbetten. Wir stehen auch weiterhin zum ETS. Wir glauben allerdings nicht, dass das reichen wird; denn – Sie haben es ja angesprochen – es wird lange dauern, das zu verhandeln. Dieses System hat sich als nicht krisenfest erwiesen. Was passiert, wenn die nächste Wirtschafts- und Finanzkrise vor der Haustür steht? Das wird also nicht die Lösung aller Probleme sein. Wir brauchen dazu noch einen ordnungsrechtlichen Rahmen, damit diejenigen, die sich vernünftig verhalten, am Ende auch profitieren und trotzdem eine ökologische Lenkungswirkung erzielt wird.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Lisa Badum.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es stimmt: Es hat gestern bei „Jugend und Parlament“ hier im Plenum eine Protestaktion gegen die Klimakrise stattgefunden. Ich möchte das gar nicht im Einzelnen bewerten. Für mich ist die entscheidende Frage: Warum denken junge Menschen, dass sie sich wie tot auf den Boden legen müssen, um endlich politisch gehört zu werden? Das ist die entscheidende Frage.
({0})
Ich habe die Antwort darauf: Weil sie Ihre scheintote Antwort auf das Rezo-Video gesehen haben.
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Da geht es nicht um mangelnde Social Media Skills der Union. Das fände ich jetzt nicht so schlimm. Vielmehr zeigt sich an Ihrem Umgang mit dem Video die Art Ihrer Politik.
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Sie versuchen, mit einem Werkzeugkasten aus dem letzten Jahrhundert die globalen Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Wer nur einen rostigen Hammer hat, für den ist die ganze Welt ein Nagel. Diese Nichtantwort, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat bei der Europawahl dann auch ein entsprechendes Ergebnis gezeitigt.
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Dieser Umgang mit den YouTubern ist meiner Ansicht nach einfach ein verfehlter Politikstil, der sich im Ignorieren des Gegenübers, im Ignorieren der Inhalte und auch im Spott zeigt. Ich glaube, Politik im 21. Jahrhundert sollte nicht aussehen wie bei „House of Cards“. Politik im 21. Jahrhundert sollte eine Politik auf Augenhöhe sein, eine Politik des gemeinsamen Lernens. Die Politik des 21. Jahrhunderts ist eine globale, solidarische Klimastreikbewegung als Antwort auf die globale Klimakrise, meine sehr geehrten Damen und Herren.
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– Es wird noch konkreter.
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Ich komme jetzt darauf, wie Sie damit umgegangen sind. Sie haben nämlich diese Bewegung ignoriert. Aber die Ergebnisse der Europawahl lassen Sie jetzt doch in hektische, wenn auch sehr planlose Betriebsamkeit verfallen. Seit zwei Jahren will der französische Präsident mit uns über eine gemeinsame CO 2 -Steuer reden. Gestern hat die Kanzlerin angekündigt, dass sie mit Frankreich und den Niederlanden jetzt enger zusammenarbeiten will. Geht doch!
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Von daher: Ein gewisses Problembewusstsein scheint da zu sein. Aber angesichts der Vielstimmigkeit aus Ihren Reihen kann ich gar nichts mehr hören. Erst heißt es, man warte auf das CO 2 -Preiskonzept von Herrn Edenhofer. Dann erarbeiten Herr Nüßlein und Herr Jung zusammen Vorschläge für eine Energiesteuerreform.
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Dann haben wir am Wochenende ja gehört, dass der Vorstand der CDU den Zertifikatehandel favorisiert hat. Frau Weisgerber hat das gerade auch noch mal ausgeführt.
({8})
Warum sagen Sie es nicht gleich, dass Sie das Ganze einfach wieder zehn Jahre lang aufschieben wollen, bis der Emissionshandel reformiert ist, dass Sie nichts tun wollen?
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Sie brauchen überhaupt kein Gutachten. Ihre Botschaft an die Konzerne ist doch: Verpestet ruhig unsere Atmosphäre, die Folgekosten der Hitzewellen, der Unwetter tragen wir, die ganze Gesellschaft, für euch; die ganze Gesellschaft bezahlt für euch Klimasünder.
({10})
Warum wollen Sie wieder alles in die Zukunft schieben?
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Ich sehe hier ein altes Problem von Ihnen wiederkommen: die Angst.
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So mancher Ihrer ostdeutschen Ministerpräsidenten sagt ja offen, dass er keine CO 2 -Bepreisung will. Ich habe den Eindruck, Sie wollen sich bis zu den Landtagswahlen tot stellen, um zu warten, bis das Gespenst des Rechtspopulismus vorbeigezogen ist.
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Aber was passiert denn nach der Wahl? Wenn Sie die Wahl gewinnen oder eher gesagt nicht so krachend verlieren, dann werden Sie das als Signal nehmen, die Klimapolitik weiter auszubremsen.
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Aber bei einem schlechten Ergebnis tun Sie das doch genauso. So kommen Sie aus Ihrer angstgeleiteten Tretmühle nie heraus; denn nach der Wahl ist vor der Wahl. Sagen Sie mir doch bitte: Nach welcher Wahl können wir eine Politik für die Zukunft von Ihnen erwarten? Nach welcher Wahl?
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– Nach gar keiner Wahl. Danke, das war schon die Antwort. – Ihre Konsequenz aus der Europawahl ist: Sie schaffen es vor der Sommerpause gerade noch, sich auf Asylrechtsverschärfungen zu einigen.
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Das ist es, was die GroKo vor der Sommerpause zustande bringt.
Frau Schulze, ich finde es wirklich sehr interessant, wie Sie hier aufgetreten sind. Stimmt: Das Klimaschutzgesetz liegt irgendwo in der Schublade. Das haben wir im Parlament aber noch nie gesehen. Wir haben hier auch noch nie ein Kohleausstiegsgesetz gesehen, obwohl der Bericht der Kohlekommission seit Monaten vorliegt. Herr Seehofer hatte in seinem Modelleisenbahnkeller viele Wochen lang Zeit, um sich Maßnahmen zum Klimaschutz auszudenken. Jetzt kommt er mit der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung um die Ecke, einem uralten Hut. Das ist wirklich Volksverdummung, was Sie hier als Klimaschutzpolitik präsentieren.
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Genauso ist es mit den Konzepten zur CO 2 -Bepreisung: Die liegen seit Monaten in den Ministerien. Kommen Sie endlich damit um die Ecke. Ich sage es Ihnen noch mal: Sie können keinen ernsthaften Klimaschutz machen, ohne dass die Ressorts ihre Beiträge liefern – Energie, Landwirtschaft, Gebäude, Verkehr usw. Wenn das nicht geschieht, dann können wir es vergessen. Sie müssen mit dem Klimaschutzgesetz jetzt um die Ecke kommen. Die Wählerinnen und Wähler sagen zu Ihnen: Zurück in die Zukunft. Wir leben im 21. Jahrhundert. – Das ist die Botschaft von der Straße, und das ist die Botschaft von der Wahlurne.
({18})
Greifen Sie die endlich auf, und machen Sie eine vernünftige Klimapolitik.
Danke schön.
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Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Volkmar Vogel.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir nach dem Versuch einer Wahlanalyse wieder mit den Füßen auf den Boden und zurück zum Thema.
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Klimaschutz – es wurde heute schon von anderen Rednern angedeutet – ist tatsächlich eine soziale Aufgabe, und es ist tatsächlich auch eine soziale Frage, die es zu lösen gilt. In mehrfacher Hinsicht: Zum einen geht es um die Erhaltung der Schöpfung, um den sorgsamen Umgang mit unseren Ressourcen, zum anderen ist es aber auch eine soziale Frage, weil es Geld kostet. Nichts ist zum Nulltarif zu haben.
({1})
Ich muss sagen: Ich habe bei den Debattenbeiträgen der Grünen ein Wort dazu vermisst, welche Kosten entstehen, wie man diese Kosten schultern und wem man sie auferlegen will.
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Diese Frage muss beantwortet werden.
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Wir geben die Antworten darauf. Nichts ist zum Nulltarif zu haben. Das betrifft alle Sektoren: Industrie, Energie, Verkehr, Landwirtschaft und auch den Gebäudebestand. Lassen Sie mich das am Beispiel Gebäudebestand erläutern: Auch das Wohnen ist eine soziale Frage; darüber sind wir uns einig. Der Anspruch, den wir haben, ist: Jeder soll in unserem Sozialstaat eine menschenwürdige Wohnung haben, die er auch bezahlen kann. So viel gehört auch zur Wahrheit: Energetische Ertüchtigung, energetische Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz kosten Geld, das bezahlt werden muss und umgelegt wird.
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Was Sie in Ihren Reden sagen, dass Stillstand herrscht, dass nichts passiert, dass es rückwärtsgeht, das ist Quatsch. Man muss an dieser Stelle einmal sagen, was in den letzten Jahren passiert ist. Ich kann mich erinnern, dass wir in den Jahren 2008, 2009 im Zusammenhang mit dem Gebäudesanierungsprogramm noch über 800 Millionen bzw. 1 Milliarde Euro gesprochen haben. Es gab teilweise auch Überlegungen, das Programm nicht weiterzuführen. Es waren wir, die das gemeinsam weiterentwickelt und jetzt mit über 2 Milliarden Euro ausgestattet haben.
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Wir werden auch ordnungspolitisch dafür sorgen, dass es an dieser Stelle weitergeht. Die Koalition ruht sich nicht aus. Nein, wir werden dafür sorgen,
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dass die Förderinstrumente weiter ausgebaut werden. Wir werden auch den ordnungsrechtlichen Rahmen neu aufstellen. Wir werden die Energieeinsparverordnung, die Maßnahmen bezüglich der Energieeffizienz regelt, und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, das sich mit den Erneuerbaren im Heizungsbereich beschäftigt, wieder zusammenführen, so wie es sich gehört, in ein Gebäude-Energie-Gesetz. Wir werden auch die Förderkulisse, die damit im Zusammenhang steht, anpassen, vereinfachen und für jeden gut handhabbar machen. Das sind die Maßnahmen, die wir auf den Weg bringen und die natürlich auch ergänzt werden durch das, was das Klimakabinett, nämlich die betroffenen Ministerien, gemeinsam festlegt. Wir werden das umsetzen.
Ein weiterer großer Unterschied zwischen uns und den Grünen ist der, dass wir die Maßnahmen, die wir vorhaben, die wir einleiten, vorher auf den Prüfstand stellen,
({7})
ob sie wirtschaftlich vertretbar sind oder ob es möglich i st, die Wirtschaftlichkeitslücke, die besteht, durch uns zu schließen. Wir werden auf den Prüfstand stellen, ob das, was wir tun, auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland nützt oder ob es ihm schadet.
Last, but not least oder nicht zuletzt:
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Wir werden auf den Prüfstand stellen, ob das, was wir tun, auch sozial verträglich ist; denn nichts geht zum Nulltarif. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am härtesten wird es die Menschen mit geringem Einkommen treffen. Eine CO 2 -Bepreisung darf auf keinen Fall oben drauf kommen, on top. Es ist nicht jeder in der Lage und hat auch nicht das Geld, bezüglich der Energieeffizienz immer auf dem neusten Stand der Technik zu sein. Wir müssen darauf achten, dass das für Menschen mit geringem Einkommen nicht zum Nachteil wird.
Ich sage Ihnen: Wir bleiben bei unserem Prinzip: Fordern, soweit es ordnungsrechtlich notwendig ist, und Fördern, um die Akzeptanz der Menschen zu haben. Und, weil es heute hier angeklungen ist: Die Klimawende gelingt nur mit den Menschen, sie gelingt nur, wenn wir sie mitnehmen, wenn wir ihnen reinen Wein einschenken und wenn wir ihnen auch darlegen, was zu tun ist. Ja, wir müssen unsere Anstrengungen erhöhen. Das werden wir in der Koalition in den nächsten Wochen mit den entsprechenden Beschlüssen, die zu fassen sind, tun, aber mit Augenmaß.
Eines lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir werden in unserer Fraktion darauf achten, dass all das, was zu tun ist, nicht zum Nachteil der Bürger gereicht, und insbesondere nicht zum Nachteil derer, die wenig in der Tasche haben, der Geringverdiener.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, lassen Sie mich zum Abschluss noch sagen: Wenn Sie die Ideen, die Sie hier haben, nach vorne bringen wollen, dann sagen Sie den Leuten auch, was es kostet, wie Sie es finanzieren wollen und welchen Beitrag jeder Einzelne zu leisten hat.
Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Klaus Mindrup für die Fraktion der SPD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anlehnung an ein Zitat von Willy Brandt möchte ich sagen: Klimaschutz ist nicht alles, aber ohne Klimaschutz ist alles nichts.
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Wir erleben gerade, wie Angst vor einem Klimaschutzgesetz geschürt wird. Ich war vor 14 Tagen in London und habe mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Vereinigten Königreich gesprochen. Dort hat man vor zehn Jahren ein Klimaschutzgesetz in einem Allparteienkonsens beschlossen. Dort wird Klimaschutz als Chance für grünes Wachstum und für eine grüne Industriepolitik gesehen. Gerade wird dort das Klimaschutzziel von 80 Prozent auf Klimaneutralität im Jahr 2050 verschärft.
An die Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Dort hat man einen Carbon Price Floor im Emissionshandel eingeführt, weil man sich eben nicht allein auf die Marktkräfte verlässt, sondern weil man sagt, man braucht eine Planung und muss den Preis regelmäßig anziehen. Deswegen an die Kolleginnen und Kollegen, die immer von der Planwirtschaft sprechen und mir gerade nicht zuhören: Kein Plan ist auch keine Lösung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Man muss keine Angst vor einem guten Klimaschutzgesetz haben. Angst müssen wir vor dem menschengemachten Klimawandel haben.
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Was ich gerade wieder aus der Ecke ganz rechts gehört habe, macht einem wirklich Angst. Aber es gilt das, was ich hier schon einmal gesagt habe: Jeder hat ein Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand hat ein Recht auf eigene Fakten.
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Im Augenblick ist es so, dass 550 Hektar Wald südlich von Berlin brennen. 550 Hektar!
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– Natürlich hat das etwas mit dem Klimawandel zu tun. Das ist genau das, was uns die Klimaforscher vorausgesagt haben: Extremereignisse. Aber wer nicht hören will, der kann offenbar auch nicht hören.
Wirklich klar ist: Wer die Heimat schützen will und den menschengemachten Klimawandel leugnet, ist ein Leugner der Tatsachen und verrät die Heimat. Das ist unerträglich.
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Wir haben über den europäischen Emissionshandel geredet. Wir reden über einen Preis für CO 2 . Das werden wir in den nächsten Wochen noch vertiefen. Aber wer sagt, CO 2 hat im Augenblick keinen Preis, der springt zu kurz. Im europäischen Rechtssystem ist es so, dass wir außerhalb des europäischen Emissionshandels im Effort-Sharing-Bereich natürlich einen CO 2 -Preis haben, wenn wir unsere Ziele nicht erreichen. Die Agora sagt, wir müssen 30 bis 60 Milliarden Euro Strafe zahlen oder Emissionsrechte einkaufen oder mit Vertragsverletzungsverfahren rechnen, wenn wir unsere Ziele nicht erreichen. Also hat CO 2 heute schon einen Preis.
({6})
Deswegen ist es richtig, dass wir in den Klimaschutz investieren und dass wir dort vorankommen und nicht tatenlos bleiben. Dafür hat die SPD sehr energisch gekämpft, ansonsten stünde das nicht im Koalitionsvertrag. Wir mussten unseren Koalitionspartner hier gewaltig zum Jagen tragen.
({7})
Wir haben einen erheblichen Fortschritt in der Bundesregierung erreicht. Das ist beim Petersberger Klimadialog passiert. Jetzt ist das Ziel für 2050 – ich glaube, hier haben wir einen weitgehenden Konsens – Klimaneutralität. Das ist auch richtig. Wenn man nicht Klimaneutralität anstrebt, dann will jeder die verbleibenden 20 Prozent für sich haben. Deswegen ist Klimaneutralität das richtige Ziel. Allerdings, von 80 auf 100 Prozent zu kommen, erfordert erhebliche Anstrengungen. Das sagt auch der BDI. Aber wir haben doch eine innovative Wirtschaft und eine innovative Wissenschaft, wo innovative Menschen arbeiten und forschen. Das können wir doch schaffen, wenn wir es gemeinsam angehen.
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Klar ist, dass wir, wenn wir die CO 2 -Emissionen auf null zurückführen wollen, in unserem Staatshaushalt nicht mit den Einnahmen planen können; denn die Einnahmen werden im Jahr 2050 auf null zurückgehen, hoffentlich schon in 2040. Deswegen ist das Schweizer Modell der Rückführung so interessant.
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Eines ist aber auch klar: Wir müssen uns mit den Hemmnissen beschäftigen. Was hält uns eigentlich auf? Das ist nicht nur der CO 2 -Preis, sondern das sind auch unglaubliche bürokratische Hemmnisse für die Energiewende. Ich kann es den Kolleginnen und Kollegen der Grünen nicht ersparen: Wir hatten ja Energiestaatssekretär Baake.
({10})
Ich muss hier klar von den Baake-Bremsen sprechen, die hier aufgebaut worden sind. Ein 52-Gigawatt-Deckel kommt aus dem Haus, wo er Energiestaatssekretär war.
({11})
– Das ist doch von ihm vorgeschlagen worden.
({12})
Ausschreibungen für alle Windenergieanlagen – man hätte Ausnahmen machen können –, EEG-Umlagen bei Eigenverbrauch, EEG-Umlagen bei Power-to-X, Verhinderung von PPAs: Ja, das hat ein grüner Staatssekretär entwickelt. Wie soll man denn als Sozialdemokrat dagegen agier en, wenn Sie dann solche Leute schicken? Das sind doch die angeblichen Fachleute.
({13})
Deswegen – das verstehe ich von meinem Koalitionspartner nicht –: Warum ändern Sie die Politik in diesem Haus nicht? Hier kann ich nur sagen: Sie haben die Sozialdemokraten an Ihrer Seite. Wir können wirklich entbürokratisieren. Lassen Sie uns wieder eine Bürgerenergiewende machen, gemeinsam mit den Genossenschaften, gemeinsam mit den Unternehmern, mit den Mieterinnen und Mietern, dann wird es auch gelingen.
Ich sage zum Abschluss: zur Sonne, zur Freiheit.
Danke schön.
({14})
Dem kommen wir jetzt auch langsam näher. – Vorletzter Redner in der Debatte ist Dr. Christoph Ploß für die Fraktion der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Einige Ausführungen der Grünen gerade bei dieser Debatte haben mich doch etwas erstaunt. Denn vor der Europawahl und auch bei vielen Bundestagsdebatten haben wir als CDU/CSU-Fraktion immer wieder hervorgehoben – Sie als Grüne waren auch dabei –, dass wir die großen politischen Themen nur europäisch und multilateral lösen können und nicht mit nationalen Alleingängen.
({0})
Wir haben über Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik gesprochen; wir haben über Migrationspolitik gesprochen. Aber wir haben auch über Klimaschutz gesprochen und festgestellt, dass wir das nicht im Alleingang schaffen. Deswegen bin ich doch sehr verwundert, dass Sie direkt nach der Europawahl dieses Versprechen wieder einkassieren und hier wirklich nur einem nationalen Alleingang das Wort geredet haben.
({1})
Wenn Sie sich mal die Zahlen anschauen – ich empfehle Ihnen, das im Nachgang der Debatte zu tun –, dann sehen Sie, dass Deutschland für 2,3 Prozent der CO 2 -Emissionen verantwortlich ist, die USA für 15 Prozent und China für 28 Prozent.
({2})
Weltweit sind circa 1 400 neue Kohlekraftwerke im Bau oder in Planung. Wenn man sich das einmal ganz nüchtern anschaut, dann sieht man: Mit einem nationalen Alleingang werden wir den Klimaschutz nicht voranbringen können.
({3})
Meine Damen und Herren, aber wir brauchen natürlich auch Anstrengungen im Deutschen Bundestag und hier in Deutschland, auch wenn wir am Ende eine europäische Lösung favorisieren. Ich sage aber auch ganz klar – das ist eben bei der Debatte angeklungen; gerade vonseiten der Linken kommt das immer wieder –, dass es falsch wäre, nationale Steuern einzuführen und die einfach nur obendrauf zu legen. Das würde gerade die Menschen, die wenig Geld haben, überhaupt nicht für den Klimaschutz begeistern. Wir brauchen nur mal ins Nachbarland Frankreich zu schauen, um zu sehen, wo es hinführt, wenn man einfach eine neue CO 2 -Steuer obendrauf legt.
Stattdessen wäre es sinnvoller, das europäische Emissionshandelssystem, das in den vergangenen Jahren erfolgreich angelaufen ist, auf weitere Bereiche auszuweiten, zum Beispiel auf Verkehr oder Gebäude. Das wäre etwas, das wir uns sehr gut vorstellen könnten und das auch unserer proeuropäischen Linie entspricht. Ich persönlich, liebe Grüne, hoffe, dass Sie auf diesen Pfad wieder zurückfinden.
({4})
Denn wenn man sich mal anschaut, was es bedeuten würde, wenn Ihre Forderungen, die Sie hier und auch bei anderen Gelegenheiten erhoben haben, umgesetzt würden, stellt man fest: Wir stehen vor zwei Möglichkeiten. Einmal können wir sagen: Der Schiffs-, Flug- und Autoverkehr wird massiv reduziert, er wird verboten, so wie Sie das in einigen Bundesländern mit den Fahrverboten machen. Oder wir haben die Möglichkeit, den Klimaschutz durch Innovation, Unternehmertum, Wissenschaft und Forschung voranzutreiben. Ich sage ganz klar für die CDU/CSU-Fraktion: Wir wollen letzteren Weg gehen und nicht den Weg der Verbote, den Weg der Gängelung oder den Weg der Bevormundung.
({5})
Meine Damen und Herren, deswegen standen in den vergangenen beiden Bundeshaushalten Rekordinvestitionen in die Infrastruktur ganz weit vorn auf der Agenda. Den öffentlichen Nahverkehr, den Radverkehr und den Ausbau der Schieneninfrastruktur unterstützen wir massiv aus dem Deutschen Bundestag heraus. Nehmen Sie mal das Beispiel der Strecke Hamburg–Berlin. Durch den Ausbau der Bahninfrastruktur gibt es heute gar keine Flugverbindung mehr, weil es so gut und bequem ist, mit der Bahn zu fahren; dieses Beispiel sollte Schule machen. Ebenso sollten wir auf neue innovative Antriebsformen wie zum Beispiel Wasserstoff setzen; denn der verursacht keine giftigen Emissionen und ist nahezu unendlich verfügbar. Ich würde Sie gern einladen, anstatt der Ideologie nachzurennen, lieber mit uns zusammen zum Beispiel den Wasserstoff als Antriebsform zu befördern und voranzutreiben; denn daraus – auch das haben eben meine Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion schon ansatzweise gesagt – könnte man zum Beispiel auch E-Fuels, synthetische Kraftstoffe, herstellen, die wiederum für den Antrieb von Flugzeugen, Schiffen und Lkws infrage kommen könnten.
Wenn wir so rangehen, dann ist das Ganze innovativ, dann ist das modern, dann ist das zukunftsträchtig, dann kann man Klimaschutz auch mit einer guten Wirtschaftspolitik zusammenführen, und dann kommt der Wind der norddeutschen Küsten sozusagen direkt in den Verkehrsträgern, in den unterschiedlichen Verkehrsmitteln an. So sollten wir es kombinieren – aber eben nicht mit Verboten.
({6})
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Abschluss der Bundesregierung danken, weil wichtige Weichenstellungen vorgenommen worden sind, zum Beispiel mit der Hightech-Strategie 2025 oder mit dem Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. Da gibt es eine ganz spezielle Förderung, die das vorantreiben soll. Die Bundesregierung ist mit vielen Dingen auf dem richtigen Weg. Wir sagen hier ganz klar: Wir wollen mit Innovationsfreude, Schaffenskraft, Wissenschaft, Unternehmertum und einer internationalen CO 2 -Bepreisung erreichen, dass wir die Klimaschutzziele erfüllen, aber nicht durch Gängelung, Steuererhöhung oder eine Verbotskultur. Das wäre sowohl für die Wirtschaft als auch für die vielen Bürger in unserem Land der völlig falsche Ansatz.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der SPD der Kollege Timon Gremmels.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fand es sehr beeindruckend: Allein an den vier Rednerinnen und Rednern der CDU/CSU-Fraktion ist die ganze Kakofonie der Union in energie- und klimaschutzpolitischen Fragen deutlich geworden.
({0})
Das war ja die ganze Bandbreite, die Sie hier aufgezählt haben. Herr Kollege Müller hat davon gesprochen, dass die Ergebnisse der Kohlekommission für ihn hochinteressant wären und wichtige Leitfragen aufwerfen würden. Nein, für uns Sozialdemokraten ist das, was dort erarbeitet worden ist, eins zu eins umzusetzen.
({1})
Das ist ein klimapolitischer Konsens, den wir mit möglichst vielen Beteiligten auf den Weg gebracht haben; den wollen wir umsetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren, und zwar ganz konkret und ganz zeitnah.
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Wir wollen da nicht auf Zeit spielen.
Ich fand es in den letzten Wochen spannend, dass es bei der Union nach der Europawahl auch Stimmen gab, die forderten, dass man mal hinterfragt, ob der Kohlekompromiss sinnvoll ist, ob er so umgesetzt oder nicht noch mal aufgeschnürt werden soll. Das würde uns wirklich richtig zurückwerfen. Wir wollen ihn jetzt umsetzen wie das Klimaschutzgesetz, und wir wollen, dass beides noch dieses Jahr kommt. Dafür steht die SPD, dafür machen wir Politik, und dafür haben wir, glaube ich, auch eine gute Unterstützung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({3})
Herr Müller, Sie haben gesagt, Sie hätten 1987 mit Herrn Töpfer den ersten Umweltminister gehabt. Wir können noch früher anfangen: Willy Brandt hat schon 1961 gesagt: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden.“ Aber ich glaube, dass wir an dieser Stelle keinen Wettstreit machen sollten. Hören Sie doch mal ein bisschen mehr auf Herrn Töpfer! Es wäre, glaube ich, auch heute noch sehr hilfreich, wenn Sie ihm und nicht anderen Heilsbringern zuhören würden.
({4})
Ja, und auch zur CO 2 -Bepreisung muss ich sagen: Ehrlich gesagt, bin ich nach diesen vier Unionsreden auch nicht wirklich schlauer. Was gilt denn nun bei der Union? Wo wollen Sie denn in dieser Frage hin? Was ist Ihr Modell? Ich sage Ihnen: Auch darauf kann man Antworten geben, und darauf erwarten die Menschen auch Antworten. CO 2 -Bepreisung kann ein Baustein sein hin zu mehr Klimaschutz, aber sie muss sozialverträglich ausgestaltet werden. Die Menschen, die einen kleinen Geldbeutel haben, müssen wissen, dass sie am Ende nicht die Zeche zahlen. Der Pendler bei mir im Wahlkreis, der ein unsaniertes Haus hat und jeden Tag nach Kassel einpendelt, der muss wissen, dass er am Ende des Tages nicht derjenige ist, der die Suppe auslöffelt. Es ist die Aufgabe der Sozialdemokratie, genau darauf zu achten; das ist unser Maßstab, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Übrigens, liebe Kollegen von der Union: Ihre Kacheln im Europawahlkampf fand ich echt bezeichnend. Sie haben sich ja wirklich als die Klimaschutzpartei dargestellt.
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Am schönsten fand ich ja die Kachel – das fand ich schon dreist –, auf der Sie geschrieben haben: Wer hat denn den Atomausstieg umgesetzt? – Dafür haben Sie sich noch loben lassen wollen. Dank Ihrer Politik, die Sie damals mit der FDP gemacht haben, zahlen wir heute Milliarden an Entschädigung für die Atomindustrie.
({7})
Sich dafür noch feiern zu lassen, das fand ich schon mutig; das sage ich in aller koalitionären Freundschaft.
Dann war da auch noch Herr Bareiß – der wurde schon zitiert; ein sehr hilfreiches Zitat –, der die jungen Menschen von Fridays for Future beschimpft hat. Was ich auch spannend fand – das muss man mal sagen, in aller koalitionären Freundschaft –, ist, was dann die WerteUnion unkommentiert von sich gibt. Die haben Anfang der Woche gefordert, man solle doch mal schön über die Frage der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke nachdenken.
({8})
Ich habe niemanden von der Spitze der Union gehört, der dem widersprochen hat. Das sind Testballons, die hier steigen gelassen werden.
({9})
Ich sage Ihnen ziemlich deutlich für die SPD-Fraktion: Wir dürfen an dieser Stelle nicht Kohleausstieg und Atomausstieg gegeneinander ausspielen. Wir brauchen beides. Ich sage Ihnen: Wir kriegen in Deutschland beides hin – Atomausstieg bis 2022 und keinen Tag länger.
({10})
Es dauert mit dem Kohleausstieg bei uns etwas länger als in anderen Ländern. Und wenn man mit den Jugendlichen von Fridays for Future spricht, kann man auch vermitteln, warum wir etwas mehr Zeit – bis 2038 – brauchen, weil wir nämlich parallel noch aus der Atomkraft aussteigen. Das ist ein Problem, das weder die Franzosen noch die Engländer noch die Schweden haben.
({11})
Man kann mit den jungen Leuten ins Gespräch kommen, den Diskurs suchen und dies verdeutlichen.
({12})
Ich bin froh und dankbar, dass junge Leute sich engagieren und uns auf die Füße treten, auch wenn es manchmal schmerzhaft ist, auch wenn sie nicht in allen Punkten recht haben. Aber es ist ihre Aufgabe. Es freut mich, dass die Jugend so politisch geworden ist. Hier müssen wir ansetzen.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss eines deutlich sagen: Wir müssen jetzt handeln. Wir dürfen nicht länger auf Zeit spielen. Das wird der Sommer der Entscheidung.
({14})
Es wird sich in diesem Sommer zeigen, ob die Große Koalition in Sachen Klimaschutz und Energiewende bereit und willig ist, den Ausbaupfad – 65 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 – zu beschreiten.
({15})
Die SPD ist bereit. Wir verhandeln zur Not Tag und Nacht, um diejenigen zu überzeugen, die noch überzeugt werden müssen. In diesem Sinne: Alles Gute! Wir stehen bereit.
Danke schön.
({16})
Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aktuelle Stunde.
Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. Juni 2019, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 17.00 Uhr)