Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/22/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich. Ich könnte jetzt eigentlich jeden Einzelnen von Ihnen namentlich begrüßen. Dieser Versuchung widerstehe ich aber tapfer, ({0}) um nicht einen Berufungsfall für künftige Sitzungen zu schaffen. ({1}) Jedenfalls freue ich mich über Ihre Anwesenheit umso mehr. Ich teile Ihnen mit, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, die heutige Tagesordnung um eine Vereinbarte Debatte zu dem Thema „Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer“ zu erweitern, und dass diese Vereinbarte Debatte im Anschluss an die Fragestunde um 15 Uhr als Zusatzpunkt 1 unserer Tagesordnung mit einer Debattendauer von einer Stunde aufgerufen wird. Unsere Fragestunde wird also entsprechend früher enden. - Dazu kann ich keinen Widerspruch erkennen. Dann haben wir das so vereinbart. Solche Vereinbarungen sind ohnehin umso einfacher, je weniger ({2}) potenzielle Widerspruchsmöglichkeiten aufgrund der Präsenz bestehen. Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung für das Jahr 2014 nach § 7 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates. Der mit diesem Thema federführend Beauftragte ist der Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, Helge Braun. Ich möchte ihn deswegen bitten, dazu gleich einige einführende Bemerkungen zu machen. Falls es nach der Erledigung dieses Themas noch sonstige Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung oder an die Bundesregierung gibt, rufe ich diese selbstverständlich auf. Es wäre hilfreich, wenn es bei vorhandenem bzw. absehbarem Interesse schon einmal eine vorherige Information gäbe. Bitte schön, Herr Braun.

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Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle Ihnen heute den Bericht zur besseren Rechtsetzung für das Jahr 2014 vor. Ich möchte definitorisch vorwegschicken, dass wir dabei insbesondere zwei Zahlenwerte betrachten: Zum einen betrachten wir die Bürokratiekosten, also die Kosten, die für die Wirtschaft aus Informations- bzw. Mitteilungspflichten entstehen. Zum anderen betrachten wir einen größeren Wert, und zwar den Erfüllungsaufwand, der für die Bürgerinnen und Bürger, für die Verwaltung und für die Wirtschaft entsteht. Darunter subsumieren wir nicht nur echte Bürokratiekosten im engeren Sinne, sondern all die Kosten, die der Staat den Bürgern, der Verwaltung und der Wirtschaft darüber hinaus aufbürdet, etwa dadurch, dass gewisse Arten von Müll getrennt werden müssen, dass aufgrund des Mindestlohns höhere Löhne gezahlt werden müssen, oder eben auch dadurch, dass gewisse Umweltstandards - Einbau von Filteranlagen etc. - eingehalten werden müssen. Wenn wir uns den Erfüllungsaufwand für den Bürger anschauen, sehen wir, dass sich dieser im Jahr 2014 positiv entwickelt hat. Die Bürgerinnen und Bürger haben insgesamt einen Erfüllungsaufwand im Wert von 886 Millionen Euro weniger zu leisten. In Stunden umgerechnet heißt das: Wir haben den Menschen im Jahr 2014 ungefähr 8 Millionen Stunden zurückgegeben, die sie für sinnvollere und schönere Dinge als für die Erfüllung bürokratischen Aufwands verwenden können. Bei der Verwaltung geben wir 199 Millionen Euro dadurch frei, dass wir Aufwand reduzieren. Sowohl für den Bürger als auch für die Verwaltung spielen dabei die Änderungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung eine besondere Rolle. Denn in Zukunft wird relativ automatisiert der Zusatzbeitrag erhoben, und es ist nicht mehr so wie bisher, dass der Bürger sein Einkommen nachweisen und selber dafür sorgen muss, dass der Zusatzbeitrag entrichtet wird. Ich nenne zwei weitere Beispiele, die wohl ganz eindrücklich zeigen, wo wir den Bürger entlastet haben. Das erste Beispiel ist die vorausgefüllte Steuererklärung; so muss man in Zukunft seine Lohnsteuerdaten, wenn man am elektronischen Verfahren teilnimmt, nicht mehr selber in die Anlagen der Steuererklärung eintragen, sondern man kann die Daten automatisiert abrufen. In Zukunft können auch weitere Bestandteile der Steuererklärung im automatisierten Verfahren durchgeführt werden. Das, denke ich, nützt den Bürgerinnen und Bürgern. Das zweite schöne Beispiel ist i-Kfz. Das Abmelden von Fahrzeugen ist heute schon vielfach über das Internet möglich, ohne dass man zur Kfz-Zulassungsstelle gehen muss. Onlineverfahren zu weiteren Verwaltungsdienstleistungen werden folgen. Eine Sondersituation hatten wir im Jahr 2014 bei der Wirtschaft. Wir konnten die Wirtschaft von echten Bürokratiekosten entlasten. Der Bürokratiekostenindex ist im Jahr 2014 leicht gesunken. Aber bezüglich des Erfüllungsaufwandes gab es durch den Mindestlohn einen Sondereffekt. Es sind - ich habe es eingangs beschrieben - insgesamt 9,7 Milliarden Euro mehr durch die Wirtschaft aufzubringen, weil diejenigen, die bisher noch keinen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro bekommen haben, zusätzliche Lohnkosten dadurch verursachen, dass an sie jetzt 8,50 Euro bezahlt wird. Das war aber explizit der politische Wille des Gesetzgebers. Zusätzlich zu unserem Arbeitsprogramm werden wir morgen einen wichtigen Schritt gehen. Wir werden nämlich unser Portal „amtlich einfach“ online stellen. In diesem Portal kann man sich über eine Befragung von Bürgern und Unternehmen informieren, die wir zusammen mit dem Statistischen Bundesamt durchführen. Hier geht es darum, zu erfahren, wo Bürger oder Unternehmen Bürokratie als besonders belastend empfinden. Dieses Portal ist gleichzeitig auch ein Wegweiser durch die Bürokratie. Ich zeige Ihnen einmal diesen Wegweiser. - Wie Sie sehen, sehen Sie nichts, weil es zu klein ist. Es soll Sie einfach nur neugierig machen, diese Plattform einmal zu besuchen. Wir haben für verschiedene Lebenslagen - zum Beispiel Aufnahme eines Studiums, Geburt eines Kindes, Sterbefall - alle einzelnen bürokratischen Schritte, die in solchen Fällen notwendig sind, aufgeführt. Der Bürger oder das Unternehmen kann diesen Wegweiser benutzen, um zu sehen: Was ist zwingend? Was ist möglich? Was kann ich beantragen? Was ist dafür erforderlich? Diese Plattform dient aber auch dazu - das ist für uns der viel bedeutendere Punkt -, dass wir Ideen von Bürgern und Unternehmen aufnehmen, wie wir noch unbürokratischer werden können, wie wir Dinge vereinfachen können, und zwar über eine Kommentarfunktion. Das fordert die OECD von uns seit langem. Nun führen wir es ein. Da es an den Lebenslagen, den einzelnen Verfahrensschritten entlangläuft, ist es sehr gut strukturiert und kann deshalb hoffentlich zu sehr konkreten Maßnahmen im Rahmen unserer Gesetzgebung führen. Ich will meinen einleitenden Vortrag schließen, indem ich sage: Ich glaube, wir haben eine Menge getan. Es ist aber auch noch viel zu tun. Dazu entwickeln wir uns auch methodisch weiter. Ich hoffe auf gute Ergebnisse in den nächsten Jahren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Vielen Dank. - Nachfragen? - Kollege Gambke.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Sie haben mit schönen Worten die Erfolge deutlich gemacht. Aber wenn man einen Bericht im Kabinett entgegennimmt, dann, denke ich, würdigt man den Bericht auch kritisch. Meine erste Frage lautet explizit: Wo sind die kritischen Punkte? - Es wird neben den Kosten zum Beispiel nicht die Verfahrensdauer angesprochen. Wie ich aus der Wirtschaft weiß, sind nicht immer die Kosten, sondern vielfach die Verfahrensdauern für Probleme bei der Beantragung verantwortlich. Ist einmal kritisch gewürdigt worden, dass bisher bei der Evaluation von Bürokratie gerade diese Dimension nicht betrachtet wird? Eine zweite Frage möchte ich auch im Kontext der kritischen Würdigung anschließen. Die letzte Bundesregierung hat sich als Ziel vorgenommen, die Bürokratiekosten um 25 Prozent abzubauen. Die jetzige Bundesregierung sagt: One in, one out. - Wenn ich die verschiedenen Projekte betrachte, die nicht unter die „One in, one out“-Regelung fallen, aber bisher beschlossen wurden, vom Mindestlohn bis zur Maut, dann frage ich: Ist im Kabinett kritisch hinterfragt worden, ob man sich nicht, wie ja auch der Normenkontrollrat gefordert hat, ambitioniertere Ziele setzen sollte als die, die sich die jetzige Bundesregierung gesetzt hat?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich darf aus methodischen Gründen und im weitesten Sinne als Beitrag zum Bürokratieabbau darauf hinweisen, dass wir uns auf jeweils eine Minute Redezeit für Fragen und Antworten verständigt haben. - Herr Staatsminister.

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Vielen Dank. - Zur ersten Frage nach den Verfahrensdauern: In der Tat sind Verfahrensdauern relativ schwer strukturiert zu erfassen. Ich glaube aber, dass gerade das Modell, das ich am Schluss angesprochen habe, den Unternehmen die Gelegenheit bietet, bei der Befragung oder in der Kommentarfunktion Hinweise zu einzelnen Verfahrensprozessen zu machen. Sie haben also die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass ein bestimmter bürokratischer Weg besonders zeitkritisch ist. Die entsprechenden Punkte könnten wir im Weiteren in das Arbeitsprogramm aufnehmen. Ich glaube, die Frage der Verfahrensdauer ist ein Punkt, den wir im Rahmen des neuen Verfahrens stärker würdigen können. Wir achten insofern schon darauf. Wir erhalten, wie Sie richtig gesagt haben, viele Eingaben. Die Unternehmen sagen: Heutzutage ist Zeit noch viel mehr wert als früher Geld. Wir sehen aber, dass die Verfahrensdauer häufig einen bestimmten Grund hat: das Beibringen gewisser Unterlagen zur Schaffung von Plausibilität bzw. Nachvollziehbarkeit. Wir arbeiten an dieser Stelle daran und schauen, wie wir die Verfahren vereinfachen können. Sie hatten dann angesprochen bzw. gefragt, ob wir den Bericht im Kabinett kritisch gewürdigt haben. Das haben wir heute selbstverständlich getan. Was war Ihre zweite Frage? Bitte sagen Sie es noch einmal kurz.

Dr. Thomas Gambke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004037, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Warum kein Abbauziel?

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Genau, die Frage nach einem konkreten Abbauziel. „One in, one out“ heißt ja: Es wird, wenn das Prinzip in Kraft tritt, also ab 1. Juli dieses Jahres, keinen Zubau mehr geben. Man kann sich, nachdem man sich in einer Legislaturperiode ein so großes Abbauziel vorgenommen hat, nämlich 25 Prozent weniger Bürokratie, nicht in der nächsten Legislaturperiode schon wieder vornehmen, 25 Prozent abzubauen. Wir sind ein Staat mit einem sehr präzisen Ordnungsrahmen. Das soll so bleiben. Deshalb ist es richtig, das Ziel zu verfolgen, nicht zuzubauen, sondern das Niveau zu halten. Aber ein Abbau von weiteren 25 Prozent, also insgesamt quasi eine Halbierung des Bürokratieaufwandes in Deutschland, wäre unter anderem mit der gewollten Rechtssicherheit und den hohen Umweltstandards in unserem Land nicht zu vereinbaren. Wir wollen keine Standards reduzieren, sondern Verfahren vereinfachen. Da ist „One in, one out“ schon ein ambitioniertes Ziel.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich sehe keine weiteren Nachfragen zu diesem Bericht. Es gibt eine Reihe angemeldeter Nachfragen zu anderen Themen, aber, wenn ich das richtig verstanden habe, nicht unbedingt zur heutigen Kabinettssitzung. Ich frage der guten Ordnung halber: Gibt es noch Fragen zur heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich jetzt sonstige Fragen an die Bundesregierung auf. Wenn ich es richtig sehe, steht Herr Minister Müller zur Verfügung. Ich beginne mit der angemeldeten Frage der Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Müller, es hat sehr lange gedauert, einen nationalen Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen einzuberufen, weil die Bundesregierung sich lange geweigert hat. Die Kanzlerin musste durch öffentlichen Druck dazu gebracht werden. Jetzt soll er am 8. Mai stattfinden. Können Sie uns erklären, warum Sie bisher, bis heute, nicht beabsichtigen, die kommunalen Spitzenverbände zu diesem Gipfel einzuladen? Das sind doch die Hauptakteure; die Kommunen sind diejenigen, die für die Fragen der Unterbringung, der Erstaufnahme, der Begleitung und der Betreuung von Flüchtlingen die Hauptverantwortung tragen, also diejenigen Akteure, die genau wissen, wo in der Praxis Engpässe, Sorgen und Nöte bestehen. Dass Sie ausgerechnet die kommunalen Spitzenverbände nicht einladen, können wir nicht nachvollziehen. Wir würden gerne von Ihnen eine Erklärung dafür haben.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Die Bundesregierung, insbesondere in Person von Herrn Altmaier, dem Chef des Kanzleramtes, ist in einem ständigen Dialog auch mit den Vertretern der Kommunen. Sie haben recht, dass die Kommunen einen ganz entscheidenden, wichtigen Beitrag zur Umsetzung und zur Lösung der insbesondere mit der Aufnahme der Bürgerkriegsflüchtlinge verbundenen Probleme leisten. Dafür gebühren ihnen unsere volle Anerkennung und unser Dank. Ich möchte auch den Tausenden von Ehrenamtlichen im Lande meinen Dank aussprechen, die durch ihren großartigen Einsatz die Flüchtlinge menschenwürdig empfangen und ihnen Türen öffnen. Zum Flüchtlingsgipfel sind Bund und Länder eingeladen. Die Länder vertreten hier die Kommunen mit; das entspricht dem in der Verfassung niedergelegten Verhältnis von Bund, Ländern und Kommunen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Amtsberg.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Frage bezieht sich auf den Zehn-Punkte-Plan, über den in den letzten Tagen häufig diskutiert wurde. Ich würde gerne wissen, ob die Bundesregierung nach den Ereignissen vom Wochenende einen Fehler darin sieht, sich dafür eingesetzt zu haben, dass die Mission Mare Nostrum eingestellt wurde und deren Aufgaben dann irgendwie auf andere Weise kompensiert wurden.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Diese entsetzliche Katastrophe fordert die gesamte Europäische Union zum Handeln auf. Deshalb haben die Außen- und Innenminister einen Zehn-Punkte-Katalog erarbeitet. In ihm wurde auch das Thema Seenotrettung verankert und eine Ausweitung der jetzt laufenden Mis9426 sion vereinbart. Es ist von einer Verdoppelung der Mittel die Rede. Auf alle Fälle ist das Ziel, durch eine wesentliche Ausweitung der jetzigen Mission möglichst solche Unglücke, wie sie jetzt passieren, zu verhindern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Minister Müller, auch meine Nachfrage bezieht sich auf das Flüchtlingsdrama. Sie haben den Zehn-Punkte-Plan angesprochen, der allerdings vor allem eine Bekämpfung der Schleuserkriminalität vorsieht. Man liest vonseiten der EU unter anderem, dass die Zahl der Schiffe in Libyen reduziert werden müssen. Sie fordern gleichzeitig ein Sofortprogramm in Höhe von 10 Milliarden Euro. Meine ganz konkrete Frage lautet: Setzen Sie sich dafür ein, dass die Flüchtlinge auf hoher See gerettet werden? Setzen Sie sich dafür ein, dass mithilfe dieser Mittel mehr Schiffe auf dem Mittelmeer zur Rettung der Flüchtlinge eingesetzt werden? Oder legen Sie den Fokus, wie alle anderen auch, auf die Abwehr, auf die Schleuserbekämpfung usw.? Sie haben heute im Morgenmagazin gesagt, die Boote müssten in die andere Richtung fahren. Könnten Sie sich vielleicht ganz konkret äußern: Sind Sie für mehr Geld für die Flüchtlingsrettung? In Ihrem Haus ist ja auch ein Papier zum Thema christlich-jüdische Werte in Arbeit. Der christliche Wert der Nächstenliebe müsste für Sie da doch an oberster Stelle stehen, also konkret, dass die Menschen auf hoher See gerettet werden.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Vielen Dank. - Im Prinzip könnte ich nur dreimal Ja sagen, aber ich möchte das auch begründen. Die erste und wichtigste Aufgabe ist, die Rettung der Flüchtlinge im Mittelmeer in Zusammenarbeit der 28 europäischen Mitgliedstaaten sofort und effektiver zu organisieren. Ich habe heute früh gesagt, dass ich persönlich Mare Nostrum nicht durch Triton ersetzt hätte. Jetzt wird reagiert. Die erste und wichtigste Aufgabe ist also, Rettung sofort und effektiver zu organisieren. Der zweite Punkt ist - das findet sich auch in dem Zehn-Punkte-Plan -: Wir müssen das Problem der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen - ich spreche jetzt von den Bürgerkriegsflüchtlingen, nicht von Zuwanderern oder Asylbewerbern zum Beispiel aus dem Balkan und deren Verteilung in Europa solidarisch miteinander gemeinsam lösen. Zum dritten Punkt, zu meiner Aussage, dass es gelte, mit dem Boot zurückzufahren in die Krisenländer, in die Herkunftsländer. Wir haben, wenn Sie die Gesamtzahl der Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland in den Blick nehmen, im Wesentlichen drei Hauptströme nach Europa bzw. nach Deutschland: einmal die Asylbewerber aus dem Balkan, zum anderen - das ist die Spezialherausforderung - die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und aus dem Irak und zum Dritten Flüchtlinge aus vier oder fünf afrikanischen Staaten, zum Beispiel aus Somalia oder Eritrea.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, ich muss Sie an die Zeit erinnern.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Jawohl. - Ich habe vorgeschlagen, dass die Europäische Union Handlungsfähigkeit zeigt und mit einem neuen Instrument, einem EU-Mittelmeer-und-AfrikaProgramm reagiert, das ein Volumen von 10 Milliarden Euro umfassen sollte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck, weil ich gerne bei diesem Komplex bleiben möchte: Bezieht sich Ihre Frage auf diesen Themenkomplex?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, zunächst einmal möchte ich der Bundesregierung empfehlen, in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages nachzuschauen, was wir bezüglich der Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände in der letzten Legislatur geregelt haben. Vielleicht können Sie sich diese Regelung auch bei Ihren Gipfeln zu eigen machen. Nun zur Sache selbst: Mir ist nicht klar, wie Sie mit 3 Millionen Euro mehr für Triton bezüglich der Seenotrettung das leisten wollen, was im Rahmen von Mare Nostrum einst geleistet wurde. Das geht zunächst schon vom Mandat her gar nicht. Das Mandat von Triton ist ein Frontex-Mandat; es dient der Sicherung der EU-Außengrenzen und nicht der Rettung des Lebens von Schiffbrüchigen auf dem Meer. Außerdem ist mir unklar, wie man mit der Verdoppelung der Mittel für Triton, die damit aber immer noch ein Drittel unter denen für Mare Nostrum liegen, das Gleiche wie mit Mare Nostrum erreichen will. Wir sehen doch gerade, dass mit einem Drittel der Mittel im Ergebnis nichts dagegen getan werden konnte, dass Hunderte von Menschen im Mittelmeer ertrunken sind. Ich möchte Sie dann konkret fragen, wie die Bundesregierung sich die in dem Zehn-Punkte-Plan vorgesehene Bekämpfung der Schleuser vorstellt. Zu dieser Frage fand auf europäischer Ebene am 20. April 2015 ein Gespräch statt. Der zuständige Kommissar sprach von einer Front Line, an der man arbeite. Das ist die Denke von Frontex; das entspricht aber nicht der Denke von Mare Nostrum, einem Mandat, bei dem es um die Rettung von Leben ging.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Beck, auch Sie können jetzt leider keinen Vortrag zu dem Thema halten.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich wollte bloß die Grundlage für die Frage klarstellen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, wenn für die Frage insgesamt eine Minute zur Verfügung steht, können nicht für die Beschreibung der Grundlage der Frage 90 Sekunden in Anspruch genommen werden.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da mögen Sie recht haben, Herr Präsident. Ich bin reumütig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dass ich das noch erleben darf. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich möchte Sie trotzdem fragen, wie Sie zu der angekündigten Zerstörung von Schleuserbooten stehen. Wir alle sind gegen die Schleuser. Aber Terroristen sind sie nicht. ({0}) Was bei Atalanta zulässig ist, ist meines Erachtens bei der Bekämpfung der Schleuser unverhältnismäßig. Deshalb bitte ich Sie, klarzustellen, was die Bundesregierung in diesem Rahmen innerhalb der EU plant.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Erstens stelle ich noch einmal klar: Im europäischen Rahmen muss klar und effektiv sichergestellt werden, dass im Mittelmeer eine effektive Rettung der Flüchtlinge aus Seenot erfolgen kann. ({0}) Zweitens. Es ist klar, dass wir es bei dem Schlepperproblem mit einem Problem zu tun haben, bei dem insbesondere in Libyen organisierte Kriminalität dahintersteckt. Die Frage, welche Möglichkeiten zur Bekämpfung oder Verhinderung bestehen, wurde in der Tat im Kreis der Innenminister in Brüssel erörtert. Entscheidungen in diese Richtung sind aber noch keine getroffen worden. Drittens ist entscheidend - ich sage das noch einmal -, dass wir in die entsprechenden Länder gehen. Ich persönlich habe vorgeschlagen, einen EU-Syrien-Sondergesandten zu benennen. Er sollte sich nicht nur mit den Strukturen im Land selbst vertraut machen, sondern auch die Themen Schleuserbekämpfung, Grenzsicherung und Betreuung der Flüchtlinge mit den syrischen Ansprechpartnern erörtern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Pfeiffer.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, die Frau Bundeskanzlerin fährt morgen nach Brüssel, um über das Thema Flüchtlinge zu diskutieren. Ich begrüße das sehr. Meine Frage: War das heute Thema im Kabinett? Wenn ja, können Sie darüber etwas berichten?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Im Rahmen der informellen Aussprache war das selbstverständlich ein Thema. Man spricht über Erfahrungen. Sie werden nachher vom Bundesminister des Auswärtigen und vom Bundesminister des Innern in der Debatte darüber ganz konkret informiert werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Movassat.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Bundesminister, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Kriegsflüchtlinge aufgenommen und in den Ländern der Europäischen Union besser verteilt werden sollen. Nun ist es so, dass das Asylrecht als Grund für Asyl nicht nur Krieg kennt. Insofern frage ich: Wie gehen Sie mit anderen Asylgründen um? Das Problem, das hier besteht, ist doch, dass die Flüchtlinge alle keine legalen, keine sicheren Wege und Möglichkeiten haben, nach Europa zu kommen. Das ist ja der Grund, warum sie es über das Mittelmeer versuchen. Daher meine Frage: Gedenkt die Bundesregierung, irgendetwas zu tun, um Menschen, die Asylgründe haben, einen sicheren Weg in die Europäische Union und nach Deutschland zu ebnen?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Diese interessante Frage können Sie mit dem Bundesinnenminister erörtern. Ich kann Ihnen sagen - ich nutze diese Gelegenheit gerne dazu -, dass unser Haus, das BMZ, derzeit 120 Projekte in den Krisenländern Afrikas und des MENA-Raumes umsetzt, damit die Flüchtlinge in Not, in Elend, in dramatischen Situationen vor Ort überhaupt überleben können; ich habe viele dieser Krisencamps besucht. Ich möchte mich beim Bundestag, beim Finanzminister und beim Haushaltsausschuss bedanken. Deutschland leistet hier Herausragendes. Ich nenne das Beispiel Libanon/Beirut. Ich war dort vor kurzem in einem Palästinenserlager, aber auch in einem syrischen Bürgerkriegslager. Dieses Land hat 1,2 Millionen Flüchtlinge infolge des syrischen Kriegsgeschehens aufgenommen. Wir finanzieren dort beispielsweise über UNICEF die Beschulung von 80 000 Kindern. Auch den türkischen Freunden möchte ich ein herzliches Dankeschön sagen. Als Kobane zu fallen drohte, kamen über die syrisch-türkische Grenze innerhalb von zwei Tagen 250 000 syrische Flüchtlinge in die Türkei. Diese Dimension muss man sich auch in Deutschland einmal vor Augen führen, wenn wir über unsere Probleme in den Kommunen, im Land diskutieren. Damit möchte ich die Lage hier nicht verniedlichen. Unser Auftrag ist es, dort zu stabilisieren und diesen Ländern zu helfen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie können sich sicherlich vorstellen, dass Ihre Antwort auf meine Frage mich nicht zufriedengestellt hat. Denn auf der einen Seite lobhudeln Sie den Einsatz der Kommunen über alle Maßen, auf der anderen Seite sagen Sie den Kommunen aber: Ihr seid verfassungsrechtlich eine abgeleitete Ebene der Länder, und deshalb habt ihr bei einem Flüchtlingsgipfel, bei dem es um die Unterbringung von Flüchtlingen vor Ort in Deutschland, in den Städten, Gemeinden und Landkreisen geht, nichts zu suchen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Auffassung der gesamten Bundesregierung ist und frage Sie, wie das in Einklang zu bringen ist mit den Regeln, die wir uns hier im Deutschen Bundestag selbst gegeben haben. Es ist ja so, dass wir den kommunalen Spitzenverbänden in der letzten Legislaturperiode umfangreiche Beteiligungsrechte, Anhörungsrechte und Stellungnahmerechte bei Gesetzesvorhaben und Fragen, die sie selbst betreffen, eingeräumt haben.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Der Bund achtet die Rechte der selbstbewussten Länder im Föderalismus. Ich stelle die Lage einmal dar: Bayern finanziert den Aufwand, die Kosten für die Betreuung der Flüchtlinge zu 100 Prozent, ({0}) Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und andere Bundesländer finanzieren den Aufwand zu 60 oder zu 70 Prozent. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, es war jetzt aber nicht nach der Finanzverteilung gefragt worden, sondern nach der Beteiligung der Kommunen als Gesprächspartner bei einer möglichen Konferenz. ({0})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident, ich widerspreche Ihnen nicht. Aber gehen Sie davon aus, dass ich die Frage verstanden habe.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt aber nicht nur bei der Fragestellerin den Eindruck, dass Sie die Frage nicht beantworten. ({0})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Gut. - Ich beantworte die Frage so, wie ich die Antwort verstehe. ({0}) Die Antwort lautet: Aufgrund des bestehenden Verhältnisses zwischen Bund, Ländern und Kommunen entscheidet nicht der Bund, ob Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen die Aufwendungen für Flüchtlinge zu 60 oder zu 80 Prozent übernehmen, ({1}) sondern die Länder regeln dies im Verhältnis mit ihren Kommunen. ({2}) Deshalb haben wir die Situation, dass jetzt bei diesem Gipfel der Bund mit den Ländern diese und viele andere Probleme bespricht. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Amtsberg.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann mich gar nicht entscheiden, welche der beiden nicht beantworteten Fragen ich jetzt wiederhole. Ich entscheide mich für die des Kollegen Movassat; er hatte, wie ich finde, eine sehr richtige Frage gestellt. Daher möchte ich gerne fragen: Herr Minister, die Bundesregierung hat immer wieder beteuert, dass die Seenotrettung das Schlepperwesen begünstigt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, dass legale Zugangswege in die Europäische Union das Leiden vielleicht nicht für immer verschwinden lassen, aber zumindest die Zahl der Todesopfer senken würden. Denn dann würde nicht mehr die Notwendigkeit bestehen, auf seeuntaugliche Boote zu steigen.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Es gibt viele Lösungsvorschläge und viele Wege; ({0}) aber das ist jetzt nicht unsere Aufgabe. Nachher werden Sie eine entsprechende Debatte mit dem Außen- und dem Innenminister führen, und wir werden auch die nächsten Jahre mit diesem Thema konfrontiert sein. Jetzt ist es wichtig, dass die Seenotrettung sofort und effektiv - denn aktuell sterben Menschen im Mittelmeer - umgesetzt und ausgeweitet wird. Darüber hinaus müssen wir uns den Hunderttausenden von Flüchtlingen, die in Libyen, aber auch in anderen Staaten auf Hilfe warten, zuwenden. Ich sage noch einmal: Das Elend und die Not dieser Menschen sind groß, sie sind traumatisiert und sehen keinen anderen Ausweg. Sie kommen nicht aus Freude hierher und setzen sich nicht aus Freude dieser Gefahr aus; das habe ich selber gesehen, meine Damen und Herren. Deshalb plädiere ich für den Ansatz - über ihn wird meiner Meinung nach viel zu wenig diskutiert -, dorthin zu gehen, wo die Menschen herkommen, und ihnen mit unseren Mitteln und Möglichkeiten zu helfen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister Müller, da würde ich gerne nachhaken. Man muss einmal ganz deutlich machen: Die EU-Kommission spricht in ihrem Zehn-Punkte-Plan davon, dass die Stärkung von Frontex, die effizientere Rückführung von Flüchtlingen und die Bekämpfung von Schleuserbanden die wichtigsten Aspekte in diesem Zusammenhang sind. Ich höre nicht, dass auch von dem Schwerpunkt Seenotrettung die Rede ist. Im Gegenteil, man denkt sogar an Beispiele wie die Operation Atalanta zur Piratenbekämpfung, weil es mittlerweile um die Vernichtung der Boote geht. Meine ganz konkrete Frage an Sie lautet: Unterstützt die Bundesregierung und unterstützen Sie ein robustes Mandat - welcher Art auch immer - zur Bekämpfung von Flüchtlingsbooten? Sind Sie also dafür, dass zukünftig jedes Boot, das in Libyen, Tunesien oder sonst wo im Hafen liegt, als potenzielles Schleuserboot betrachtet werden sollte, wodurch man in ganz neue Dimensionen vorstoßen würde?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Erstens haben der Innen- und der Außenminister klar bekundet, dass gehandelt werden muss, und zwar, wie es in dem Papier steht, durch eine Verdopplung der Mittel für die Seenotrettung. Darüber, wie das im Einzelnen organisiert wird, beraten im Augenblick die Experten. Zweitens müssen die Maßnahmen weit darüber hinausgehen. Die Frage ist: Wie kann organisiertes Schleppertum - hier werden mit dem Leid und dem Tod von Menschen Millionen verdient - gestoppt werden? Dazu wurden unter anderem die Vorschläge, die Sie gerade erwähnt haben, gemacht. Entscheidungen in dieser Richtung sind bis dato aber nicht gefallen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Pfeiffer.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Minister, ich möchte auf die wichtige Rolle der Entwicklungszusammenarbeit im Hinblick auf die Flüchtlingsproblematik eingehen, sowohl was die Prävention als auch was die Ursachenbekämpfung betrifft. Welche Maßnahmen muss die deutsche Entwicklungspolitik treffen, um zu versuchen, die Situation vor Ort ganz konkret zu verbessern? Welche Maßnahmen muss die deutsche Entwicklungspolitik treffen, um die Staaten, aus denen die Menschen auswandern, an ihre eigene Verantwortung zu erinnern? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Erinnern Sie Libyen mal an seine Verantwortung!

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Sie haben ein Mehrfaches angesprochen. Den ersten Punkt, Frau Pfeiffer, habe ich vorhin schon erwähnt. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit leistet hier ganz Wesentliches. Wir haben zum Beispiel die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“ ins Leben gerufen. Dabei geht es unter anderem um den Libanon, Jordanien und Ägypten. In diesen Ländern wirken wir stabilisierend. Die vielfältigen Maßnahmen, auch im Hinblick auf die Kommunen, habe ich genannt. Zweitens - das haben Sie angesprochen - müssen wir aber auch in die Herkunftsländer gehen; darüber werden wir im Ausschuss diskutieren müssen. Es gibt verschiedene Länder, in denen es ausgesprochen schwierig oder unmöglich ist, vor Ort zu arbeiten. Als Beispiele nenne ich den Jemen und Somalia. Man kann also nicht einfach sagen: Ihr müsst in diese Länder gehen und die Gemeinden und die staatlichen Strukturen stabilisieren. - Es gibt sie dort nämlich nicht. Ein weiteres Beispiel ist Libyen. Lassen Sie mich zu Libyen Folgendes sagen: Vor vier Jahren hat die Staatengemeinschaft eine Entscheidung getroffen. Deutschland hat damals nach einer sehr kontroversen Diskussion sein Veto eingelegt. Dem damaligen Bundesaußenminister ist immer wieder vorgeworfen worden - nicht von mir, aber von anderen -, sich an dem Schlag gegen Gaddafi bzw. an dem Regime-Change nicht zu beteiligen. Man hat diesen Regime-Change in Libyen durchgesetzt. Nun sind wir vier Jahre weiter und stellen fest: Man hat nicht getan, was Sie und wir vernetzte Entwicklung nennen, nämlich die Waffenlager zu räumen und die Milizen zu entwaffnen. Was ist daraufhin passiert? Mit diesen Waf9430 fen aus Libyen wurde Mali destabilisiert und Libyen in den jetzigen Chaoszustand mit den bekannten Problemen versetzt. Dennoch sage ich: Auch jetzt müssen wir mit einem Sondergesandten der EU die UN-Mission in Libyen unterstützen und Strukturen der Zusammenarbeit schaffen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will die Frage wiederholen: Es wurde besprochen, dass man im Rahmen der jetzigen Maßnahmen zur Seenotrettung und zur Bekämpfung des Schleuserwesens Schleuserboote an der afrikanischen Grenze präventiv zerstören will. Wie und durch wen soll das erfolgen? Zu Lande, zu Wasser oder aus der Luft? Mit Drohnen, mit Bodentruppen? Ich hörte, man wolle sich an Atalanta orientieren. Bei diesem Mandat handelt es sich aber um Piraten und Terroristen und nicht um Schleuser. Ich bitte, da jetzt wirklich konkret zu werden, Herr Minister, oder das an einen Kollegen von einem Ressort abzugeben, das hier gegebenenfalls antworten kann.

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Beck, Sie stellen da eine ganz zentrale Frage. Selbstverständlich wurde über diese Fragen - so mein Kenntnisstand; ich war nicht dabei - im Rat der Innenund Außenminister in Brüssel diskutiert. Dies wurde auch publiziert. Aber ich muss Ihnen sagen: Dazu ist im Kreise der deutschen Bundesregierung keine Entscheidung gefallen. Deshalb kann Ihnen hier auch niemand sagen, wie was wo - das ist eine hypothetische Diskussion - umgesetzt werden soll. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind im Augenblick bei der Regierungsbefragung. Ich sehe auf der Regierungsbank ein Mitglied des Kabinetts, an das Fragen gerichtet werden können. Dass man diese mal mehr und mal weniger gut und vollständig beantwortet findet, liegt in der Natur der Sache. Aber solange der Minister nicht selbst um die Beantwortung durch einen Kollegen bittet, sehe ich keine Veranlassung, dass wir in diesem Tagesordnungspunkt anders als üblich verfahren. Wir haben im Übrigen großen Wert darauf gelegt, dass für diesen Tagesordnungspunkt Mitglieder der Bundesregierung zur Verfügung stehen. ({0}) Die nächste Frage stellt Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mir drängt sich eine Frage auf, von der ich annehme, dass Sie sie bisher noch nicht beantwortet haben. Es ist ja gut und richtig, dass man versucht, in Libyen einigermaßen lebbare Verhältnisse zu schaffen, in diesem Failing State, den wir da im Augenblick haben. Aber mir ist nicht klar, welche Vorstellungen die internationale Gemeinschaft und insbesondere die Bundesregierung eigentlich haben. Angenommen, das klappt halbwegs: Was geschieht mit den Flüchtlingen, die ja nach wie vor nach Libyen kommen, wenn sie wahrscheinlich nicht mehr auf Schiffe und nicht mehr zu Schleppern gelassen werden? Sollen die dort in Lager kommen, wie es unter Gaddafi war, der dafür viele Millionen Dollar bekommen hat? Das war wirklich kein Vorbild; dort herrschten unmenschliche Verhältnisse. Oder will man den Flüchtlingen - wenigstens einigen - eine legale Möglichkeit eröffnen, nach Europa und damit auch nach Deutschland zu kommen? Welche Vorstellungen gibt es da?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Ich bin dankbar, dass wir diese Diskussion so offen führen können. Es gibt da keine einfachen Antworten. Libyen ist ein Staat mit zwei Machtzentren - in Tobruk und in der Nähe von Tripolis - und befindet sich im Augenblick in Verhandlungen und Gesprächen mit dem UN-Vermittler. Darauf bauen wir. Ich habe heute auch mit dem Außenminister darüber gesprochen, wie gegebenenfalls Deutschland oder auch die EU die diplomatischen Bemühungen durch den von mir ins Spiel gebrachten Sondergesandten voranbringen kann, damit Libyen eine Allparteienregierung bekommt und wir einen Ansprechpartner für die Staatengemeinschaft, für Europa, aber auch für Deutschland haben, um die entsprechenden Probleme angehen zu können. Es geht darum, das Schleusertum zu bekämpfen, menschenwürdige Zustände für die Hunderttausende von Flüchtlingen zu schaffen, die sich dort aufhalten, die Grenzsicherung auszubauen und Wege zu finden - Stichwort Resettlement -, diese Menschen in ihre eigenen Länder zurückzubringen und ihnen dort eine Perspektive zu bieten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mir liegen jetzt noch zwei Wortmeldungen zu diesem Themenkomplex vor, nämlich von Frau Hänsel und Herrn Beck. Danach würde ich dieses Thema gerne abschließen. Ich weiß, es gibt daneben noch eine weitere Wortmeldung - das habe ich notiert -, sodass nicht nur diese, sondern gegebenenfalls auch noch andere Fragen beantwortet werden können. Wie Sie sicher beobachtet haben, haben wir den üblichen Zeitrahmen für die Regierungsbefragung schon deutlich überschritten, was mit Blick auf die Aktualität dieses Themas aber zweifellos angemessen ist. Frau Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es geht um einen etwas anders gelagerten Themenkomplex, aber in eine ähnliche Richtung. - Man hört aus Ihrem Hause, dass Sie an einem Strategiepapier für christlich-jüdische Werte in der Entwicklungspolitik arbeiten. Wir sind ein säkularer Staat. Es gibt das Grundgesetz, die UN-Menschenrechtscharta und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Meine Frage lautet: Wieso brauchen wir jetzt eigentlich noch ein sozusagen religiöses Strategiepapier? Wir sehen ja weltweit, dass Religionen oft eher zu Konflikten beitragen. ({0}) Von daher finde ich, dass wir die Menschenrechte sehr stark in den Vordergrund stellen und auch garantieren sollten. Gerade unser Grundgesetz ist eine gute Grundlage für ein würdiges Leben für alle und dafür, die internationale Entwicklungszusammenarbeit zu gestalten

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte achten Sie auf die Zeit.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- und hier nicht eventuell konfliktfördernd zu agieren. ({0})

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Ich stehe für eine wertebasierte Entwicklungspolitik. Der Satz: Die Würde des Menschen ist unteilbar ({0}) - unantastbar und unteilbar -, verbindet uns alle, weltweit. Wir haben für die Einhaltung der Menschenrechte zu kämpfen, und dazu gehört an oberster Stelle auch Religionstoleranz. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Religionen in den Konfliktregionen zusammenzuführen und das Gespräch mit ihnen zu suchen. Ob in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan, in Nigeria oder in anderen Krisengebieten, wo ich zu Besuch war: Ich habe dort gemeinsam mit den Religionsführern - den christlichen, den Muslimen, aber auch anderen - an einem Tisch gesessen. Die große Erkenntnis für mich war, dass die Kriege in den allermeisten dieser Krisengebiete keine Religionskriege - zum Beispiel Muslime gegen Christen sind, wie uns suggeriert wird. Die Religionsführer bieten sich vielmehr die Hand. Diesen Ansatz möchte ich verstärken: Religionsvielfalt, Toleranz und Wahrung der Minderheitenrechte. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will mein Glück noch einmal mit einer Frage versuchen, die ich bereits gestellt habe, die aber vielleicht eher in Ihr Ressort fällt. Wie soll bei einer Erhöhung der Mittel für Triton um 3 Millionen Euro gewährleistet sein, dass die Seenotrettung wenigstens auf dem Niveau der Operation Mare Nostrum erfolgt, die am 31. Oktober 2014 endete, wenn man berücksichtigt, dass das Mandat von Frontex dafür nicht ausreicht und die Mittel dann immer noch um ein Drittel geringer sind als die, die Mare Nostrum zur Verfügung standen?

Dr. Gerd Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11002742

Die Seenotrettung darf nicht am Geld scheitern. ({0}) Ich bin vorgestern so weit gegangen, zu sagen: Wenn in Brüssel um 6 Millionen Euro gestritten wird, dann finanzieren wir das aus unserem Haushalt vor. Ich denke, ich erhalte dafür Ihre Unterstützung. Das Signal ist angekommen. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wir leben in einer neuen Zeit dramatischer Herausforderungen. Das Mittelmeer verbindet uns. Aber in den Regionen rund um das Mittelmeer, in denen viele Deutsche Urlaub machen, herrscht Krieg. 15 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Das ist eine dramatische Situation. Da schaue ich in Richtung Brüssel: Wie reagiert Brüssel? ({1}) Ja, meine Damen und Herren, Deutschland reagiert, und zwar ganz entschieden. Aber dies ist eine Gemeinschaftsaufgabe der Europäischen Union. Deshalb habe ich die 10 Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe im Rahmen eines Krisenprogramms aus Brüssel eingefordert. ({2}) Es ist ein gesamteuropäisches Thema, auf diese Krisen mit neuen Zeichen der politischen Bewältigung zu reagieren. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Alle Leidenschaften zu diesem Thema sind mehr als nachvollziehbar. ({0}) Aber ich mache auch darauf aufmerksam, dass wir darüber fast eine Dreiviertelstunde gesprochen haben und dass wir nachher dazu eine Debatte führen werden. Da Präsident Dr. Norbert Lammert kann dann jeder den Gesichtspunkt, der ihm besonders wichtig ist, in der gebotenen Deutlichkeit vortragen. Jetzt gibt es eine Frage des Kollegen von Notz zu anderen Aufgaben der Bundesregierung.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Frage zum Thema Vorratsdatenspeicherung geht an den Vertreter des Innenministeriums. Der Staatssekretär aus diesem Ministerium ist dankenswerterweise anwesend. Von den vielen Voraussetzungen, die uns durch die höchste Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung vorgegeben sind, ist nach unserer Auffassung keine erfüllt. Ich will aber zu diesem Kompromiss - in Anführungsstrichen -, den es zwischen dem BMJ und dem BMI gegeben hat, zwei Dinge konkret nachfragen. Erster Punkt. Die Kommunikation der Berufsgeheimnisträger, die nicht gespeichert werden darf, soll jetzt doch gespeichert werden. Wenn ich das in den Leitlinien dazu richtig verstanden habe, wird mit einem Beweisverwertungsverbot argumentiert. Das gibt es aber schon seit Jahrzehnten. Jetzt frage ich Sie, Herr Schröder: Wie passt die Rechtsprechung, wonach die Kommunikation von Berufsgeheimnisträgern nicht gespeichert werden darf, mit Ihrer Argumentation zusammen, die Kommunikation dürfe gespeichert werden, weil es ein Beweisverwertungsverbot gebe, aufgrund dessen die Daten in Gerichtsverfahren nicht verwertet werden dürften? Meiner Ansicht nach steht beides nicht in einem dialogischen Verhältnis, sondern es ist irrig, so zu argumentieren. Meine zweite Frage.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, Herr Kollege von Notz. Diese stellen Sie bitte gleich gesondert, denn Sie haben schon mit der ersten Frage den Zeitrahmen überschritten. ({0}) Herr Kollege Schröder.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Wir nehmen bei der Vorratsdatenspeicherung besondere Rücksicht auf die Berufsgeheimnisträger. Das ist in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit. Unseres Erachtens ist es sinnvoller, mit Beweisverwertungsverboten zu arbeiten, als den Staat genau wissen zu lassen, welche IP-Adressen von welchen Berufsgeheimnisträgern verwendet werden. Es wäre ein viel größerer Eingriff in den Datenschutz, wenn alle Berufsgeheimnisträger genau benennen müssten, mit welchen Kommunikationsmitteln sie kommunizieren. Der geringere Eingriff ist meines Erachtens, wenn die Berufsgeheimnisträger so arbeiten können wie bisher - wenn sie keine zusätzlichen Daten übermitteln müssen - und das Ganze über das Mittel der Beweisverwertungsverbote organisiert wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Frage? ({0}) - Nein, im Augenblick nicht. - Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Wir befinden uns jetzt im schleichenden Übergang zur Fragestunde.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, schleichende Übergänge gibt es im Deutschen Bundestag nicht, Herr Kollege Ströbele. Dass ausgerechnet Sie das ernsthaft vorschlagen, erschüttert mich beinahe. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hatte bisher nur Gelegenheit, den Herrn Staatssekretär Lange dazu im Rechtsausschuss zu befragen. Jetzt habe ich die Gelegenheit, den Staatssekretär im Innenministerium dazu zu befragen. Deshalb habe ich im Anschluss an das, was der Kollege gefragt hat, an Sie die Frage - darauf kommen wir gleich auch noch im Rahmen der Fragestunde -: Wenn ich es richtig verstanden habe, sind Ausnahmen vorgesehen, nämlich in sozialen Bereichen bzw. für Personen, die in Notfällen in Anspruch genommen werden, oder im kirchlichen Bereich. Das heißt, wenn sich ein Hilfesuchender an seinen Beichtvater oder an einen Priester wendet, werden seine Verbindungsdaten nicht gespeichert. Aber wenn er sich an seinen Psychiater, seinen Arzt oder gar an seinen Rechtsanwalt oder, noch schlimmer, an seinen Abgeordneten wenden will, dann werden sie gespeichert. Wie erklären Sie diese Unterschiede?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Wir sind innerhalb der Bundesregierung strikt an das Ressortprinzip gebunden. Insofern hat mein Kollege Lange sich bereit erklärt, die Frage zu beantworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Frage wird, wie angekündigt, eigentlich in der Fragestunde aufgerufen. Ich würde jetzt einmal eine Ausnahme von der sonstigen strengen Regel zulassen, weil die Frage schon gestellt wurde. Wenn Sie einverstanden sind, Herr Kollege Lange, sie jetzt zu beantworten, dann können wir nachher die Fragestunde davon entlasten.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Herr Präsident, ich schlage vor, dass ich die Frage 1 - es geht nämlich exakt um diese Frage - beantworte wie geplant und dann noch zusätzlich gerne die weitere Frage als Nachfrage akzeptiere. Im Übrigen haben wir beide Fragen bereits heute Morgen im Rechtsausschuss ausführlich erörtert. Aber ich wiederhole beides gerne noch einmal. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber natürlich nicht vor der deutschen Weltöffentlichkeit. Das gibt Ihnen jetzt eine ganz andere Plattform. ({0})

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Vielen Dank für diesen Hinweis. Ich fühle mich entsprechend geehrt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann kommen wir jetzt zur Frage 1 des Kollegen Ströbele: Wie glaubt die Bundesregierung nunmehr eine Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform regeln zu können - was der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Christian Lange, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 25. März 2015 auf meine mündliche Frage 2, Plenarprotokoll 18/96, hin vor allem wegen der damals noch schwebenden Kontroverse mit dem Bundesministerium des Innern und wegen der „rechtlich und technisch komplexen Materie“ noch nicht beantworten konnte -, nachdem der Europäische Gerichtshof 2014 die Speicherung der Daten jeglicher Berufsgeheimnisträger sowie solcher Personen ausschloss, „bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte“, und wie glaubt die Bundesregierung technisch, organisatorisch und regulativ sicherstellen zu können, dass derartige Daten, wie erforderlich, sicher erkannt und von denen anderer Personen unterschieden werden können und die Speicherung verbindlich unterbleibt?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Herr Kollege Ströbele, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Leitlinien zur Einführung einer Speicherfrist und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten, die der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz am 15. April 2015 vorgestellt hat, kombinieren zeitlich und inhaltlich eng begrenzte Speicherfristen mit sehr strengen Abrufregelungen. Auf diese Weise wird der Forderung des Europäischen Gerichtshofs nachgekommen, die Regelung auf das absolut Notwendige zu beschränken. Der Schutz von Berufsgeheimnisträgern wird sichergestellt. Verkehrsdaten, die sich auf Personen, Behörden oder Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen beziehen, die grundsätzlich anonym bleibenden Anrufern ganz oder überwiegend telefonische Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und die selbst oder deren Mitarbeiter insoweit besonderen Verschwiegenheitspflichten unterliegen, sind grundsätzlich von der Speicherpflicht ausgenommen. Darüber hinaus dürfen Daten von Personen, die nach § 53 StPO berechtigt sind, das Zeugnis zu verweigern - nämlich die besagten Rechtsanwälte, Seelsorger, Ärzte, Apotheker und dergleichen -, nicht abgerufen und verwendet werden. Zufallsfunde unterliegen einem Verwertungsverbot. Berufsgeheimnisträger bereits von der Speicherung der Verkehrsdaten auszunehmen, ist nicht möglich. Es ist unter Datenschutzgesichtspunkten nicht vertretbar, eine Art Datenbank mit Berufsgeheimnisträgern und ihren Rufnummern anzulegen und bei allen TK-Anbietern zu hinterlegen. Der Eingriff in deren Berufsfreiheit und ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre dann sogar noch größer - Kollege Schröder hat darauf hingewiesen - als der Nutzen, der in der Ausnahme von der Speicherung liegt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine vorhin an Staatssekretär Schröder gerichtete Frage ist nicht beantwortet. Warum macht man diesen Unterschied? Gibt es Berufsgeheimnisträger erster und zweiter Klasse? Hat ein Anruf bei meinem Pfarrer oder Beichtvater höheren Schutz, als wenn ich - oder ein Mensch, der in Not ist - einen Psychiater anrufe?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Das ist nicht der Fall, und das will ich Ihnen gerne erklären, so wie ich das bereits heute Vormittag gemacht habe. Für die besagten Organisationen, zum Beispiel für die Telefonseelsorgehotlines, enthält das Telekommunikationsgesetz bereits jetzt Sonderregelungen. Nach § 99 TKG dürfen Einzelverbindungsnachweise Verbindungen zu diesen Organisationen nicht erkennen lassen. Organisatorisch wird das dadurch gewährleistet, dass die Bundesnetzagentur die Inhaber solcher Anschlüsse auf Antrag in eine Liste aufnimmt, die die Dienstanbieter quartalsweise abrufen müssen. Auf diese bereits bestehende Liste kann auch zur Umsetzung der Ausnahme von der Speicherpflicht mit Bezug auf die genannten Organisationen zurückgegriffen werden. Was den Unterschied zu den anderen, also den Rechtsanwälten angeht, sehen die Leitlinien diese Ausnahmen von der Speicherpflicht vor, weil es unter Datenschutzgesichtspunkten - ich wiederhole mich - nicht vertretbar ist, eine Datenbank mit Berufsgeheimnisträgern und ihren Rufnummern anzulegen und bei den TKAnbietern zu hinterlegen. Bei dynamischen IP-Adressen - auch darauf hatte ich bereits hingewiesen - ist eine Ausnahme auch technisch nicht möglich. Stattdessen wird ein besonderer Schutz auf der Ebene des Abrufs durch Erhebungs- und Verwertungsverbote gewährleistet. Diese sind im Übrigen bewährte Schutzmechanismen, die die Strafprozessordnung auch für andere Ermittlungsmaßnahmen vorsieht, so zum Beispiel nach § 160 a StPO für Ermittlungsmaßnahmen generell und nach § 100 c StPO für die Wohnraumüberwachung im Besonderen. Genauso wie bei der Wohnraumüberwachung soll das Erhebungs- und Verwertungsverbot nach den Leitlinien für alle in § 53 StPO genannten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, zum Beispiel für Rechtsanwälte, gelten. Im Übrigen hat sich dieses Verfahren bewährt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, bei anderen Berufsgeheimnisträgern wie Rechtsanwälten, Abgeordneten, Psychiatern und Ärzten gehe das nicht, dann kann man daraus auch den Schluss ziehen, dass man keine Vorratsdatenspeicherung vornehmen darf. Das ist nicht nur die Auffassung des Abgeordneten Ströbele - das wäre schon wichtig genug -, ({0}) sondern auch die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs. Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass der Europäische Gerichtshof gesagt hat, Daten von Berufsgeheimnisträgern dürften nicht gespeichert werden, weil dann der Schutz dieser Personengruppe hinfällig oder zumindest angetastet werde?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Herr Kollege Ströbele, ich weise noch einmal darauf hin, dass wir die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs umsetzen, indem wir die besonderen Rechte von Rechtsanwälten und anderen Berufsgeheimnisträgern durch ein entsprechendes Erhebungs- und Verwertungsverbot schützen, wie ich gerade ausgeführt habe. Ich habe nicht gesagt, dass es nicht geht. Vielmehr ist es unseres Erachtens unter Datenschutzgesichtspunkten nicht vertretbar, eine Art Datenbank für Berufsgeheimnisträger zusätzlich anzulegen und ihre Rufnummern bei allen TK-Anbietern zu hinterlegen. Abgeordnete sind durch die vorgesehenen Erhebungs- und Verwertungsverbote in besonderem Maße geschützt. Das gilt schon heute; ich hatte Ihnen entsprechende Beispiele genannt. Uns sind keinerlei Beschwerden bekannt, ganz im Gegenteil. Dieses Verfahren hat sich bewährt. Deshalb wollen wir daran festhalten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr von Notz.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist meiner Ansicht nach keine Beantwortung der Frage, Herr Staatssekretär. Deswegen frage ich noch einmal anders nach. Da in dem entsprechenden Gerichtsurteil steht, Daten von Berufsgeheimnisträgern dürften nicht gespeichert werden, und Sie darauf hinweisen, dass ein Beweiserhebungs- bzw. ein Beweisverwertungsverbot besteht: Sind Sie der Auffassung, dass den Richtern und Richterinnen des EuGH die Beweisverwertungsverbotsregelungen nicht bekannt waren und dass Ihr Vorschlag auf ernstzunehmende Art und Weise mit diesem Urteil korrespondiert, oder teilen Sie meine Auffassung, dass es sich hier um eine reine Schein- und Alibiargumentation handelt und Sie nur darauf spekulieren, mit irgendeiner Regelung bis zum nächsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts oder des EuGH durchzuhalten, um erneut eine rechtswidrige Regelung zu schaffen, die letztlich illegitim in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Ich teile Ihre Auffassung nicht. Wir gewährleisten, dass die besonderen Schutzbedürfnisse der Berufsgeheimnisträger erfüllt werden. Das ist eine seit vielen Jahren und Jahrzehnten bewährte Methode in Deutschland. Dies entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Die Richtlinie entsprach ihr nicht. Deswegen ist sie moniert worden. Aber unser Gesetzentwurf, den wir vorlegen werden, wird dem genügen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe damit die Regierungsbefragung. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde Drucksachen 18/4641, 18/4678 Es gibt zwei zugelassene dringliche Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, die ich zuerst aufrufe. Dabei geht es um Konsequenzen aus der Veröffentlichung von Dokumenten zur Rolle der US-Militärbasis in Ramstein im Zusammenhang mit der gezielten Tötung durch Drohnen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Brauksiepe zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 1 der Abgeordneten Sevim Dağdelen auf: Wird die Bundesregierung - vor dem Hintergrund, dass der Spiegel und die US-Enthüllungsplattform „The Intercept“ neue, vormals streng geheime Dokumente der US-Regierung präsentierten, welche die zentrale Rolle der US-Militärbasis Ramstein für alle Steuerungs- und Überwachungssignale der Drohnen belegen ({0}) - sofort mittels eigener Untersuchungen der Frage nachgehen, ob es in Ramstein einen Rechtsbruch von deutschem Boden aus zu ahnden gibt, um somit weitere mögliche gezielte Tötungen durch Drohnen von deutschem Boden zu verhindern? Bitte, Herr Brauksiepe.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich beantworte die von Ihnen gestellte Ja/Nein-Frage mit Nein und führe ergänzend Folgendes aus: Nach intensiven, vertraulichen Gesprächen sicherte die US-amerikanische Regierung der Bundesregierung Mitte Januar 2015 zu, dass amerikanische Einsätze von unbemannten Luftfahrzeugen in keiner Weise von Deutschland aus gesteuert oder durchgeführt würden und sämtliche Entscheidungen über Einsätze unbemannter Luftfahrzeuge durch die US-Regierung in Washington fielen. Jedwedes Handeln der Vereinigten Staaten von deutschem Staatsgebiet aus erfolge nach den Regeln des geltenden Rechts. Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammenhang auch auf ihre Antwort auf Ihre schriftliche Frage vom 8. April 2015. Die Air Base Ramstein und die sich darauf befindliche Satelliten-Relaisstation wird von den USA ohne die Mitwirkung oder Einbeziehung der Bundesregierung betrieben und genutzt. Selbst wenn sie dabei eine entscheidende Rolle beim Datentransfer zu Drohnen der USA oder zu deren Steuerung einnehmen sollte, folgt daraus keineswegs zwingend ein Rechtsbruch oder eine Straftat, die von deutschem Boden ausgeht. Unter rechtlichen Gesichtspunkten kann nur ein konkreter Drohneneinsatz bei Kenntnis aller maßgeblichen Tatsachen bewertet werden. Dies ist immer eine Frage des Einzelfalls, wobei in erster Linie Ziel des Einsatzes, äußere Rahmenbedingungen und gegebener Kenntnisstand der Verantwortlichen im Mittelpunkt stehen würden und weniger die Struktur des Datentransfers. Allein die zitierten Presseveröffentlichungen haben in dieser Hinsicht bislang keinen Anlass für die zuständigen Justiz- und Polizeibehörden für die Einleitung konkreter Ermittlungen gegeben. Allerdings hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof bereits im Juni 2013 einen sogenannten Beobachtungsvorgang im Zusammenhang mit etwaigen von Deutschland aus geplanten, gesteuerten oder überwachten Drohneneinsätzen angelegt. Dabei prüft er anhand offen verfügbarer Informationen, ob es Anhaltspunkte für in seine Verfolgungszuständigkeit fallende Straftaten gibt. Bei weiteren Erkenntnissen würden die zuständigen Behörden selbstverständlich auf der Grundlage der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen tätig werden, wie dies in der Vergangenheit schon erfolgt ist. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Einstellungsverfügung der Bundesanwaltschaft vom 20. Juni 2013 hinsichtlich eines Drohneneinsatzes in Pakistan, Aktenzeichen 3 BJs 7/12-4.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Gäste, von meiner Seite aus. - Frau Dağdelen hat eine Nachfrage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte vor meiner eigentlichen Frage mit einer Verständnisfrage nachhaken, weil die Antwort so schnell vorgelesen wurde. Habe ich es jetzt akustisch richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, auch wenn von Ramstein aus Drohnenangriffe stattfinden würden, diese nicht rechtswidrig wären? Sie haben das so schnell vorgelesen; deshalb frage ich nach.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, dass dies nicht zwingend der Fall ist, sondern dass die rechtliche Würdigung eines Drohneneinsatzes immer nur als Einzelfall unter Würdigung aller mit diesem Einzelfall zusammenhängenden Umstände erfolgt.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Okay, gut. - Dann habe ich jetzt meine erste Nachfrage, Frau Präsidentin. Ich möchte fragen: Unter welchen Umständen ist die Bundesregierung bereit, zumindest diesen einzelnen Fällen einzelne Würdigungen zuteilwerden zu lassen und zu prüfen, ob sie völkerrechtswidrig bzw. rechtswidrig sind und ob die Bundesrepublik Deutschland, wenn tatsächlich die Daten für die tödlichen Drohnenangriffe über Ramstein fließen, eventuell Gefahr läuft - ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages -, an „völkerrechtswidrige({0}) Militäroperationen“ beteiligt zu sein, die „durch ausländische Staaten von deutschem Territorium“ aus durchgeführt werden würden? Dies würde laut Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes von 2014 „eine Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Delikt“ darstellen. Viele Strafrechtler sagen auch, das sei Beihilfe zum Mord.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich habe bereits in meiner Antwort auf Ihre Frage darauf hingewiesen, dass die in unserem Rechts- und Rechtswegestaat zuständigen Justiz- und Polizeibehörden, die über die Einleitung von konkreten Ermittlungen zu entscheiden hätten, dafür bislang keinen Anlass gesehen haben, über das hinaus, worauf ich Sie auch hingewiesen habe, dass es einen Beobachtungsvorgang gibt und dass es in der Vergangenheit schon einmal ein Verfahren gegeben hat, das seitens der Bundesanwaltschaft dann mit Begründung eingestellt worden ist. Das sind die in unserem Rechtswegestaat dafür zuständigen Institutionen und die von ihnen dazu bisher getroffenen Entscheidungen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ihre zweite Zusatzfrage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen herzlichen Dank. - Herr Staatssekretär, schon seit längerem, genauer: seit Sommer 2013, stellt meine Fraktion hier im Deutschen Bundestag beständig Kleine Anfragen, schriftliche Fragen, mündliche Fragen über Erkenntnisse und Kenntnisse bezüglich der Drohnenmorde, die laut verschiedensten Berichten von deutschem Boden ausgehen sollen. Von den aktuellen Berichterstattungen von Spiegel und „The Intercept“ möchte ich nur eine kurz zitieren und Sie fragen, ob Sie es bestätigen können bzw. ob Sie Kenntnis davon haben. Der Spiegel schreibt am 18. April 2015: Im Juni 2013, kurz vor Obamas Berlin-Besuch, drängte die damalige Staatssekretärin im Auswärti9436 gen Amt darauf, von Washington eine Zusicherung zu verlangen: dass sich US-Stellen in Deutschland „nicht an gezielten Tötungseinsätzen“ beteiligen. Emely Haber - die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt wurde laut einem internen Vermerk jedoch überstimmt: „Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium plädieren hingegen dafür, Druck aus Parlament und Öffentlichkeit, auszusitzen‘.“ Meine Frage: Ist Ihnen dieser Vermerk bekannt, oder bestreiten Sie das, was im Spiegel steht? Sagen Sie: „Das ist unwahr, was der Spiegel hier behauptet“? Zweite Frage. Aufgrund dieser Berichterstattung im Spiegel gab es Informationen und Auskünfte des Bundesministeriums der Verteidigung, dass mit anderen Kanälen die neuesten an die Öffentlichkeit gelangten Fakten in sachlich zuständigen Häusern besprochen werden würden. Meine Frage: Wie oft, wann und wo fanden seit diesen Enthüllungen von Spiegel und „The Intercept“ solche Beratungen statt? Falls sie noch nicht stattgefunden haben: Wann gedenken Sie diese stattfinden zu lassen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich kann Ihnen zu diesem Vermerk nichts sagen. Ich habe keine Kenntnisse über diesen Vermerk. Ich kenne auch niemanden, der öffentlich oder anderswo behauptet, dass dies ein Vermerk aus dem Bundesministerium der Verteidigung sei. ({0}) Das Bundesministerium der Verteidigung hat seit der kurzfristigen Einreichung Ihrer dringlichen Frage auch nicht sämtliche anderen Ministerien dahin gehend einbezogen, zu erfahren, ob es irgendwo dort einen solchen Vermerk gibt. Deswegen kann ich Ihnen diesen Vermerk nicht bestätigen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Eine weitere Zusatzfrage hat der Abgeordnete Ströbele. Ich bitte die Kollegen, sich wirklich an die Eine-Minute-Regelung zu halten; das macht schon Sinn.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. Danke auch für den Hinweis. - Ich frage ganz kurz. Sie behaupten, die US-Regierung habe ausdrücklich in Abrede gestellt, bestritten, dass von Ramstein aus sogenannte Killerdrohnen, also Drohnen, die illegale, gezielte Hinrichtungen durchführen, eingesetzt werden. Wo und wann und wie - schriftlich oder mündlich? - hat die US-Regierung so etwas verlauten lassen? Mir ist nur bekannt, dass die US-Regierung bestreitet, dass von Ramstein aus Drohnen eingesetzt werden. Das heißt aber überhaupt nicht, dass Drohnen nicht, wie Sie es in Ihrer Antwort vorhin dargestellt haben, über Ramstein gesteuert werden. Der Bericht des Spiegels und andere Veröffentlichungen besagen: Diese Drohnen werden über Ramstein gesteuert, das heißt, mit Unterstützung aus Deutschland.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Ströbele, ich habe darauf hingewiesen und wiederhole das gerne, dass die Regierung der Vereinigten Staaten der Bundesregierung versichert hat, jedwedes Handeln der Vereinigten Staaten von deutschem Staatsgebiet erfolge nach den Regeln des geltenden Rechts. Das kann ich hier nur noch einmal wiederholen. Die Bewertung bestimmter Drohneneinsätze, die Sie vorgenommen haben, ist Ihre Bewertung; sie ist nicht die Bewertung der Bundesregierung. Für die Bundesregierung kann ich nur wiederholen, dass nur für den Einzelfall eine solche Bewertung vorgenommen werden kann. Die Bundesregierung sitzt nicht über die Regierung der Vereinigten Staaten zu Gericht; es ist nicht ihre Aufgabe, über jeden einzelnen Drohneneinsatz der Vereinigten Staaten vor Gericht zu sitzen und darüber eine Bewertung abzugeben. Ich kann nur feststellen, dass die zuständigen Strafverfolgungsbehörden in Deutschland im Hinblick auf einen Drohneneinsatz bisher in keinem Fall abschließend zu einer solchen Bewertung gekommen sind, wie Sie sie hier gerade politisch, wie das Ihr gutes Recht ist, vorgenommen haben. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kollege Movassat und dann Frau Kotting-Uhl.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Herr Staatssekretär, am 18. November 2011 wurde laut Berichten das Bundesverteidigungsministerium von den USA darüber informiert, dass in Ramstein eine Relaisstation für Drohneneinsätze errichtet wird. Was wurde Ihnen dazu mitgeteilt, welchem Zweck diese Relaisstation für Drohneneinsätze dient? Wurden Sie zum Beispiel darüber informiert, dass sich US-Drohnenpiloten über diese Relaisstation in die Drohnen einloggen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Movassat, es handelt sich bei dem von Ihnen genannten Schreiben um kein geheimes Papier. Dieses Schreiben ist Bestandteil der dem NSA-Untersuchungsausschuss vom Bundesministerium der Verteidigung vorgelegten Akten. Von daher ist es nicht geheim. Ich könnte Ihnen das Schreiben jetzt komplett vorlesen. Das würde die in unserem Verfahren hier vorgesehene Zeit sprengen. Ich möchte mir jetzt auch nicht herausnehmen, zu entscheiden, welche Sätze daraus besonders wichtig sind. Also, ich könnte es Ihnen vorlesen; das würde einige Zeit dauern. Aber, wie gesagt, es ist dem NSA-Untersuchungsausschuss mit zur VerfüParl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe gung gestellt worden und von daher kein geheimes Papier. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kollegin Kotting-Uhl hat die nächste Rückfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt zweimal betont, dass die Nichtrechtmäßigkeit, die Rechtswidrigkeit nur in jedem einzelnen Fall, also individuell, festgestellt werden könne. Dass Ramstein in diesen Zusammenhängen eine Rolle spielt, ist, glaube ich, gar nicht zu bestreiten. Mich überzeugt durchaus die Argumentation, die auch im Spiegel dargelegt wurde, dass aufgrund der Erdkrümmung eine Datenübertragung von den USA in die Einsatzgebiete gar nicht zeitnah erfolgen kann; da entsteht eine Zeitverzögerung, die eben dadurch ausgeschaltet wird, dass man das von Ramstein aus macht. Das scheint mir relativ logisch zu sein. Meine konkrete Frage bezieht sich auf die Überprüfung der Rechtswidrigkeit in jedem einzelnen Fall. Sie sagen, es sei nicht die Aufgabe von Deutschland, über die USA zu Gericht zu sitzen. Es ist aber sehr wohl die Aufgabe von Deutschland, zu schauen, ob unser Recht eingehalten wird. Deshalb meine Frage: Wer überprüft das nun in jedem einzelnen Fall?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich zitiere sonst eher zurückhaltend aus Medienberichten. Aber ich will jetzt einmal einen Satz aus Spiegel Online zitieren, der am 19. April veröffentlicht worden ist: Der Einsatz von bewaffneten Drohnen ist nach gängiger Rechtsauffassung in bewaffneten Konflikten grundsätzlich legal. ({0}) Das drückt genau das aus, was ich hier zum Ausdruck gebracht habe. Es ist grundsätzlich legal. Ob es im Einzelfall legal ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Wir haben von unseren amerikanischen Partnern die Zusicherung erhalten, dass ihr Handeln von deutschem Staatsgebiet aus nach den Regeln des geltenden Rechts erfolgt, was sich im Übrigen auch schon aus dem NATO-Truppenstatut und anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen ergibt. Danach hat sich jeder Gaststaat hier an deutsches Recht zu halten. Also, über diese vertraglichen, völkerrechtlichen Vereinbarungen hinaus haben wir diese Zusicherung der Vereinigten Staaten erhalten, und wir haben keinen Anlass, an der Richtigkeit der Zusicherungen, die wir bekommen, zu zweifeln. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. - Nächste Rückfrage von Kollegin Renner.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Ich möchte noch einmal zu dem Dokument fragen, zu dem auch Kollege Movassat eben schon gefragt hat und das im Spiegel veröffentlicht worden ist. In diesem Dokument aus dem Herbst 2011 aus dem Verteidigungsministerium geht es um ein Bauvorhaben auf dem Gelände von Ramstein, wo unter dem Namen „UAS Satcom“ ein Kontrollzentrum für die Drohneneinsätze errichtet werden soll. Da ist von „Predator“ und „Reaper“ die Rede. Das sind Begriffe, die diese Drohnen - bemannte und unbemannte - technisch ganz genau bezeichnen. Und es ist eben auch davon die Rede, dass es um die Aufstellung von „Mission Control Vans“ geht. Nun ist dieses Schreiben für uns nicht nur inhaltlich von Interesse, sondern auch Beleg dafür, dass der Bundesregierung möglicherweise doch schon zu einem früheren Zeitpunkt - vor der Veröffentlichung der Snowden-Dokumente und dieses Dokuments - bekannt gewesen sein muss, dass von Ramstein aus Drohnen gesteuert werden. Ich frage deswegen: Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung ziehen, wenn nach Analyse dieser Dokumente klar wird, dass die in der Vergangenheit getätigten Aussagen gegenüber dem Deutschen Bundestag nicht der Wahrheit entsprochen haben?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, sollten Sie mit dem letzten Teil Ihrer Frage die Unterstellung verbunden haben, dass die Bundesregierung zu irgendeinem Zeitpunkt den Deutschen Bundestag oder einzelne Mitglieder des Deutschen Bundestages bewusst unwahr unterrichtet hat, weise ich dies in aller Entschiedenheit zurück. Der von Ihnen angesprochene Vorgang war auch Gegenstand einer Kleinen Anfrage Ihrer Fraktion, auf die Ihnen das Auswärtige Amt mit Schreiben vom 12. Juli 2013 geantwortet hat. Ich greife den Punkt gerne noch einmal auf. In der Tat haben die US-Streitkräfte den Auftragsbautengrundsätzen entsprechend das BMVg darüber informiert, dass sie in Ramstein eine Relaiseinrichtung errichten wollen. Sie haben im November dann auch das von Ihnen und mir angesprochene Schreiben vorgelegt. Die Baumaßnahme kann von den Gaststreitkräften selbst vorgenommen werden. Die Bundesregierung ging in dem Zusammenhang von der Errichtung eines Kontrollzentrums außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aus, da die Baubeschreibung in der Tat lediglich die Baumaßnahmen zur Errichtung einer Station zur Weiterleitung von Daten über Satelliten umfasste. Über betriebliche Einzelheiten im Zusammenhang mit der Baumaßnahme der US-Gaststreitkräfte liegen dem Bundesministerium der Verteidigung nach wie vor keine Erkenntnisse vor. Für uns ist entscheidend, dass die Vereinigten Staaten uns gegenüber klargestellt haben, dass ihr Handeln geltendem Recht folgt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die letzte Nachfrage zu diesem Punkt hat Katja Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Brauksiepe, ich habe eben beruhigt zur Kenntnis genommen, dass wir uns einig sind, dass es keine Nettigkeit ist, wenn sich die Amerikaner hier an das deutsche Recht halten, sondern dass sie auch verpflichtet sind, deutsches Recht und das Völkerrecht zu beachten. Sind wir uns auch einig darüber, dass zur Prüfung, ob Rechtsverstöße vorliegen, der Generalbundesanwalt zuständig ist? Sind wir uns auch darüber einig, dass für strafrechtliche Ermittlungen das Legalitätsprinzip gilt, das heißt, dass auch ermittelt werden muss, wenn der Verdacht auf eine Straftat entsteht? Und sind wir uns auch darüber einig, dass der Generalbundesanwalt als politischer Beamter dem Weisungsrecht der Bundesregierung untersteht?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, das war jetzt eine Vielzahl von Fragen. Ich versuche, sie aus der Erinnerung zu rekapitulieren und zu beantworten. Für Völkerstrafrecht ist der Generalbundesanwalt zuständig. Die hier angesprochenen Tatbestände würden, wenn sie unter das Strafrecht fallen würden, vermutlich darunterfallen. Es ist generell denkbar, dass es Straftaten gibt, für deren Verfolgung in unserem Rechtswegestaat andere Strafverfolgungsbehörden zuständig wären. Das war ein Punkt, wonach Sie gefragt haben. Darüber sind wir uns also einig. Ja, der Generalbundesanwalt fällt mit seiner Tätigkeit in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Ich weiß nicht, ob Sie mit Ihrer Frage insinuieren wollten, dass der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz die politische Entscheidung treffen sollte, den Generalbundesanwalt anzuweisen, Ermittlungen zu führen. Ich kann nur noch einmal wiederholen, was ich eben schon gesagt habe, dass der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit etwaigen von Deutschland aus geplanten, gesteuerten oder überwachten Drohneneinsätzen bereits im Juni 2013 einen sogenannten Beobachtungsvorgang angelegt hat. Das heißt, er hat selbstverständlich die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, wenn er dies für geboten hält.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich komme nun zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Movassat: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Sachverhalt, dass die im Magazin Der Spiegel, Nummer 17/ 2015, veröffentlichten Regierungsdokumente zur Rolle der US-Militärbasis in Ramstein belegen, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in zahlreichen Kleinen Anfragen, mündlichen und schriftlichen Fragen zur Unterstützung der Relaisstation in Ramstein für die extralegalen Tötungen in Afrika, dem Jemen und Pakistan möglicherweise bewusst von der Bundesregierung belogen und getäuscht wurden ({0}), und inwiefern sieht sie dies mit dem Fragerecht der Parlamentarierinnen und Parlamentarier vereinbar?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege, ich antworte Ihnen wie folgt: Nach intensiven, vertraulichen Gesprächen sicherte die amerikanische Regierung der Bundesregierung Mitte Januar 2015 zu, dass US-amerikanische Einsätze von unbemannten Luftfahrzeugen in keiner Weise von Deutschland aus gesteuert oder durchgeführt würden und sämtliche Entscheidungen über Einsätze unbemannter Luftfahrzeuge durch die US-Regierung in Washington fielen. Jedwedes Handeln der Vereinigten Staaten von deutschem Staatsgebiet aus erfolge nach den Regeln des geltenden Rechts. Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammenhang erneut auf ihre Antwort auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Dağdelen vom 8. April 2015. Die Air Base Ramstein und die sich darauf befindliche Satelliten-Relaisstation wird von den USA ohne die Mitwirkung der Bundesregierung betrieben und genutzt. Die Bundesregierung hat zu jedem Zeitpunkt sämtliche Anfragen entsprechend ihrem jeweiligen Kenntnisstand beantwortet. Beschuldigungen, die Bundesregierung habe gelogen oder getäuscht, weise ich mit Entschiedenheit zurück.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Movassat, Sie haben eine Rückfragemöglichkeit.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatssekretär, in einem internen Regierungsdokument, das Sie nicht kennen wollen, steht, dass das Bundesverteidigungsministerium dafür plädiert hat, die ganze Sache gegenüber dem Parlament auszusitzen. Wer es nicht kennt, hat spätestens nach dieser Fragestunde den Eindruck, dass genau das geschehen ist; denn Sie weichen wirklich jeder Frage aus. Ich komme nun zu meiner Frage. Es gibt zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass der US-Drohnenkrieg ohne Ramstein nicht möglich ist und dass Ramstein der entscheidende Ort ist, um die Satelliten- bzw. die Datenverbindung herzustellen. Ein ehemaliger US-Drohnenpilot hat gesagt, dass er, immer wenn er sich zum Einsatz gemeldet hat, mit Ramstein Verbindung aufnehmen musste und dann mit seiner Drohne verbunden wurde. Die neuen Dokumente, die der Spiegel veröffentlicht hat, bestätigen dies ebenfalls. Sie sagen, im Einzelfall könne etwas rechtswidrig sein. Was ich mich frage, ist: Ab welchem Punkt hat die Bundesregierung im Einzelfall genügend Anhaltspunkte dafür, sich die Sachen genauer anzuschauen und zu prüfen, ob möglicherweise Rechtsverstöße vorliegen? Wo liegt die Schwelle für Sie?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege, Sie haben gesagt: „Was ich mich frage“. Offenbar haben Sie jetzt aber mich gefragt.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Gut. Dann antworte ich inhaltlich so, wie ich das auch vorher schon gemacht habe: Wir haben klare völkerrechtliche Verträge mit den Vereinigten Staaten. Wir haben in die identische Richtung gehende darüber hinausgehende Zusicherungen, und wir haben in unserem Land Strafverfolgungsbehörden, deren Aufgabe es ist, bei entsprechendem Anlass - falls sie den sehen - Ermittlungen einzuleiten. So ist unser Rechtswegestaat organisiert. Die Bewertung eines konkreten Drohneneinsatzes - auch das möchte ich wiederholen - kann nur im Einzelfall erfolgen. Wie Sie den von Ihnen hier zitierten Presseberichterstattungen, die ich ebenfalls auszugsweise zitiert habe, entnehmen können, sind solche Einsätze nicht grundsätzlich völkerrechtswidrig. Die Völkerrechtswidrigkeit könnte nur im Einzelfall festgestellt werden. Dies ist von den zuständigen Stellen aber bisher in keinem Fall erfolgt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Movassat, Sie haben eine zweite Frage.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wenn die ganze Sache so einfach wäre, dann hätte die Bundesregierung keinen Fragenkatalog an die US-Regierung geschickt. Dieser wurde von der US-Regierung ein Jahr lang nicht beantwortet und lag da einfach herum. Dann hat die US-Regierung Ihnen irgendwann das Wort gegeben und zugesichert: Da passiert nichts Rechtswidriges. Da wird natürlich immer sehr geschickt mit Worten agiert. Die US-Regierung sagt, es würden von Ramstein aus keine Drohnenangriffe gestartet und es würde von dort aus nicht gesteuert. Das ist eine interessante Art, Worte zu verwenden. Denn es wurde weder behauptet, dass die Drohneneinsätze von Ramstein aus starten, noch, dass der Pilot in Ramstein sitzt und sie steuert. Der Pilot sitzt in den USA und wird mit Ramstein verbunden. Ich frage mich: Wie kann es sein, dass es die Bundesregierung angesichts solch schwerwiegender Vorwürfe bei einer Zusicherung der US-Regierung belässt und nicht einmal darauf besteht, dass zumindest der Fragenkatalog beantwortet wird? Wir sprechen immerhin von dem möglichen Vorwurf der Beihilfe zum Mord. Das müsste doch für die Bundesregierung, die dem Grundgesetz verpflichtet ist, Anlass genug sein, hier aktiv zu werden.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege, die Regierung der Vereinigten Staaten hat uns die von mir inzwischen ungefähr ein halbes Dutzend Mal zitierte Zusicherung gegeben. Wir arbeiten mit unseren amerikanischen Partnern vertrauensvoll zusammen. Das vertrauensvolle Verhältnis basiert auch darauf, dass man dem Wort des anderen vertraut.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Zusatzfrage der Kollegin Höger.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass ich jetzt eine Zusatzfrage stellen darf. - Es gibt sehr viele Berichte, Herr Staatssekretär Brauksiepe, darüber, dass die Einsätze in Pakistan, im Jemen und in Somalia, also in Ländern, die keine Kriegsteilnehmer in irgendwelchen Kriegen sind, völkerrechtswidrig sind und dass dort extralegale Tötungen durch die USA vorgenommen werden. Deutschland ist leider Gottes dadurch, dass die Drohnen von Ramstein aus mit gesteuert werden, indirekt darin verwickelt. Es wundert mich schon, wenn Sie sagen, Sie trauen den Antworten auf diesen Fragenkatalog. Frau von der Leyen, die vor kurzem in den USA war, wollte laut Bericht des Spiegel nicht danach fragen und hat das Thema US-Drohnenkrieg und Beteiligung von Ramstein nicht auf die Tagesordnung gesetzt, obwohl die Beantwortung der Fragen für sie nicht uninteressant sein dürfte, um die Dinge weiter zu verfolgen und um genau beurteilen zu können, was dort passiert.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich bitte Sie, das, was Regierungsvertreter miteinander besprechen, doch ihnen und ihren Verabredungen zu überlassen. Die von Ihnen angesprochenen Fragen sind mit den Vereinigten Staaten erörtert worden. Inzwischen habe ich das Ergebnis mehr als ein halbes Dutzend Mal zitiert.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Aber Fragen dürfen gestellt werden. Dann müssen sie vielleicht noch einmal beantwortet werden.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Sehr gerne.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die Kollegin Dağdelen stellt jetzt die nächste Frage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte gerne zu dem Aspekt der vertrauensvollen Zusammenarbeit kurz Folgendes sagen: Es gibt manche Berichte, die behaupten, dass Deutschland ein Vasallenstaat der USA ist, weil man immer noch von vertrauensvoller Zusammenarbeit spricht und die Glaubwürdigkeit der USA überhaupt nicht infrage stellt. Das gilt auch angesichts des Umstan9440 des, dass selbst die Bundeskanzlerin und Millionen Bürgerinnen und Bürger jahrelang abgehört worden sind, ohne vom vertrauensvollen Verbündeten USA davon in Kenntnis gesetzt zu werden. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne wissen, ob die Bundesregierung zumindest ansatzweise bereit ist, eigenständige Untersuchungen anzustellen und dem weisungsgebundenen Generalbundesanwalt die Anweisung zu geben, hier tätig zu werden, um die Souveränität dieses Landes zu bewahren.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, es ist Ihr gutes Recht als frei gewählte Abgeordnete in einem freien Land dieses, Ihr Land als Vasallenstaat zu bezeichnen. Dass wir alle dieses Recht haben, haben wir zu einem Großteil unseren amerikanischen Freunden zu verdanken, die uns zusammen mit ihren Verbündeten von der Nazidiktatur befreit haben. ({0}) Dafür sind wir bis heute - ich denke, ganz überwiegend - zu Recht dankbar. Ich wiederhole, dass in unserem Rechtswegestaat Strafverfolgungsbehörden für die Verfolgung möglicher Straftaten zuständig sind; je nach Art der möglicherweise vorliegenden Straftat auch der Generalbundesanwalt oder andere Behörden. Es entspricht nach meinem Kenntnisstand nicht der Tradition und geübten Praxis dieser Bundesregierung, dass der zuständige Bundesminister, in diesem Fall der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, dem Generalbundesanwalt politisch motivierte Anweisungen gibt. Er ist erwachsen und ist sich seiner Kompetenzen ohne Zweifel bewusst, sonst hätte er nicht - auch das, Frau Präsidentin, wiederhole ich voller Vergnügen so oft, wie es gefragt wird beim Bundesgerichtshof bereits im Juni 2013 einen sogenannten Beobachtungsvorgang in Zusammenhang mit etwaigen von Deutschland aus geplanten, gesteuerten oder überwachten Drohneneinsätzen angelegt. Sonst hätte die Bundesanwaltschaft auch nicht am 20. Juni 2013 eine Einstellungsverfügung hinsichtlich eines Drohneneinsatzes in Pakistan erlassen. Mein Eindruck ist also: Alle zuständigen Behörden und Institutionen in diesem Land sind sich ihrer Verantwortung bewusst. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Staatssekretär. - Die nächste Rückfrage hat Herr Kollege Liebich.

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wie bereits angesprochen wurde, hat die Verteidigungsministerin ihren Amtskollegen in den USA nach den Veröffentlichungen getroffen. Dann ist von ihrem Haus gesagt worden, es sei explizit nicht über diese Veröffentlichungen gesprochen worden. Zudem sagte ihr Haus, man hätte mit den „sachlich zuständigen Häusern auf anderen Kanälen“ darüber geredet. Mich würde interessieren, was die „anderen Kanäle“ sind und wie oft welche Beratungen dazu stattgefunden haben. Wenn die Verteidigungsministerin nicht mit ihrem Amtsbruder in den USA darüber spricht und es „andere Kanäle“ gibt, dann würde ich gerne wissen, welche Kanäle dies sind und wie wir darüber informiert werden.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege, ich traue mir nicht zu, eine vollständige Übersicht über Presseartikel zu diesem Thema zu haben. Wenn es aber beispielsweise um die Nürnberger Zeitung von heute geht, kann ich sagen: Es ist plausibel, dass diese Zeitung von heute nicht Gegenstand von Gesprächen in den letzten Tagen gewesen sein kann. Ansonsten habe ich mehrfach darauf hingewiesen, dass wir mit den Vereinigten Staaten auf allen Ebenen vertrauensvoll zusammenarbeiten und wir uns selbstverständlich auch innerhalb der Bundesregierung über diese Fragen abstimmen. Ich habe Ihnen die Ergebnisse mitgeteilt; sie sind Ihnen immer auch auf Anfragen Ihrer Fraktion hin - Kleine Anfragen, schriftliche Fragen - mitgeteilt worden. Wir wiederholen das mit Freuden bei jedem Anlass, den Sie uns bieten. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Brauksiepe. - Herr Ströbele ist jetzt mit einer Rückfrage dran.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, bei aller Freundschaft und Dankbarkeit gegenüber den USA: Gibt es Ihnen und der Bundesregierung nicht genügend Anlass, den USA hin und wieder nicht ganz so sehr zu vertrauen und an der Wahrheitsliebe des Partners USA das eine oder andere Mal zu zweifeln, dass Sie in den letzten Monaten und Jahren zur Kenntnis nehmen mussten, dass die NSA und die USAdministration - auch angesichts der Vorwürfe, die sich aus den Dokumenten von Edward Snowden ergeben, dass deutsche Kommunikationsbeziehungen massenweise verdachtslos ausgespäht worden sind - zwar immer wieder behauptet haben, die USA hielten sich an Gesetz und Recht, aber trotzdem eingestehen mussten, das Handy der Kanzlerin abgehört zu haben? Oder können Sie mir ein deutsches Gesetz nennen, nach dem es für US-Behörden zulässig ist, das Handy der Kanzlerin abzuhören? Wenn es sich dabei um eine gesetzwidrige, strafbare Handlung handelt, kann es ja nicht sein, dass sich die USA immer an Gesetz und Recht in Deutschland halten. Auch angesichts der Masse der entsprechenden Dokumente kann es nicht stimmen, dass sie sich in Fragen der Massendatenüberwachung immer an Gesetz und Recht in Deutschland gehalten haben.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Ströbele, in der Tat bezog sich die Antwort unserer amerikanischen Freunde nicht auf eine Frage der Bundesregierung zum Thema Datenüberwachung, sondern auf eine Frage zum Thema Drohneneinsätze. Die Einschätzung der Bundesregierung zu dieser Antwort habe ich Ihnen mitgeteilt; da kann ich mich nur wiederholen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Renner.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie antworten mit Freude, wir fragen mit Freude. - Auch das NATO-Truppenstatut legt fest, dass sich die US-Streitkräfte an deutsches Recht und Gesetz zu halten haben. Wenn jetzt valide Anhaltspunkte dafür im Raum stehen, dass man sich von Ramstein aus möglicherweise an Straftaten, möglicherweise auch an völkerrechtswidrigen Einsätzen beteiligt hat, dann ist es das eine, dass der Generalbundesanwalt ein Prüfverfahren durchführt. Das andere ist die Frage: Inwieweit gibt es Überlegungen, Kontroll- und Prüfrechte seitens anderer Behörden auszuüben? Ist zum Beispiel überlegt worden, Ramstein zu besuchen, zu inspizieren, sich die entsprechenden Anlagen zeigen zu lassen? Eine solche Aktion wäre neben der Klärung der Frage, ob der Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang ermitteln soll, doch eigentlich angezeigt, wenn man als Bundesbehörde sozusagen in allen Teilen Rechtsstaatlichkeit gewährleisten will.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich gehe davon aus, dass es schon häufiger „Besuche“ - um Ihr Wort aufzugreifen - in Ramstein gegeben hat. ({0}) Für die Verfolgung von möglicherweise strafrechtlich zu würdigenden Handlungen gibt es gleichwohl in unserem Rechtswegestaat die zuständigen Strafverfolgungsbehörden; ich kann mich hier nur wiederholen. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die letzte Nachfrage in dieser Runde stellt die Kollegin Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, weil Sie das mit so viel Freude wiederholt haben, möchte ich noch einmal anmerken, dass ein Beobachtungsvorgang etwas anderes ist als eine strafrechtliche Ermittlung und dass eine Beobachtung sicherlich nicht dem Legalitätsprinzip unterliegt. Je länger ich Ihnen zuhöre, desto mehr stellt sich mir die Frage: Hält das Verteidigungsministerium eigentlich noch an der Rechtsauffassung fest, dass Gewalteinwirkungen auf dem Territorium eines anderen Staates, insbesondere durch bewaffnete Drohnen, ausschließlich im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes völkerrechtsmäßig und jenseits eines solchen bewaffneten Konfliktes völkerrechtswidrig sind?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, für die Bundesregierung ist das Völkerrecht selbstverständlich maßgebend. Es gibt legitime Ziele militärischer Maßnahmen und nicht legitime Ziele; diese Unterscheidung gibt es, und die hält die Bundesregierung selbstverständlich für richtig. ({0}) Worum es sich handelt, das kann nur im Einzelfall gewürdigt werden unter Berücksichtigung aller Umstände dieses Einzelfalls. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und mit Freude beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/4641 auf. Die Frage 31 der Kollegin Bärbel Höhn wurde durch die Bundesregierung nachträglich dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zugeordnet und wird nach Frage 28 aufgerufen. ({0}) Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die Frage 1 des Kollegen Hans-Christian Ströbele wurde bereits durch Staatssekretär Christian Lange be- antwortet.1) Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Katja Keul auf: Wie sind die vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und vom Bundesministerium des Innern jüngst vorgestellten Pläne für eine geplante Vorratsdatenspei- cherung in Deutschland mit dem Urteil des Europäischen Ge- richtshofes vom 8. April 2014 vereinbar, in dem das Gericht die damalige EU-Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie für nich- tig erklärte und feststellte, dass eine anlasslose Speicherung von Daten ohne Differenzierung auf die Daten eines bestimm- 1) Siehe Seite 9433 A Vizepräsidentin Claudia Roth ten Zeitraums, eines bestimmten geografischen Gebiets oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, unzulässig ist? Herr Staatssekretär, bitte.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage 2 der Kollegin Keul beantworte ich wie folgt: Die Leitlinien zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten, die der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz am 15. April 2015 vorgestellt hat, kombinieren zeitlich und inhaltlich eng begrenzte Speicherfristen mit sehr strengen Abrufregelungen. Auf diese Weise wird den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs nachgekommen. Die vorgeschlagene Regelung ist deutlich enger gefasst als die alte EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Es werden weniger Daten für einen deutlich kürzeren Zeitraum gespeichert, es sollen bei weitem nicht alle Daten gespeichert werden, und die Daten von Diensten der elektronischen Post sind komplett ausgenommen. Hinsichtlich der Speicherfrist wird, ausgehend von der Sensibilität der Daten für den Bürger, nach Datenarten differenziert: Die Höchstspeicherfrist für Standortdaten beträgt vier Wochen, für die übrigen Verkehrsdaten zehn Wochen. Auch für den Zugriff auf die Daten werden mit striktem Richtervorbehalt, sehr engem Straftatenkatalog und Substantiierungsanforderungen hohe Hürden errichtet. Auf Standortdaten darf nur einzeln zugegriffen werden. Bewegungsprofile sind nicht möglich. Grundrechtseingriffe werden auf das absolut Notwendige beschränkt. Darüber hinaus werden Datensicherheit, Transparenz und effektiver Rechtsschutz gewährleistet. Berufsgeheimnisträger werden besonders geschützt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie werden sicherlich, wie ich auch, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gelesen haben, in dem steht, dass eine anlasslose Speicherung von Daten ohne Differenzierung auf die Daten eines bestimmten Zeitraums, eines bestimmten geografischen Gebietes oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, unzulässig ist. Wenn ich mir Ihre Leitlinien, die uns schriftlich vorliegen, ansehe, muss ich Sie fragen: Sind wir uns darüber einig, dass das, was nach diesen Leitlinien stattfinden soll, erstens anlasslos ist, zweitens, was den Beginn der Speicherung betrifft, zeitlich nicht eingeschränkt ist, drittens geografisch nicht eingeschränkt ist und auch nicht auf einen bestimmten Personenkreis eingeschränkt ist? Wie passt das mit dem Urteil des EuGH zusammen?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Kollegin, die Definition von „anlasslos“ hat der EuGH selbst gegeben, indem er festgestellt hat - Randziffer 57 des Urteils -, dass sich die Richtlinie generell auf alle Personen, auf alle elektronischen Kommunikationsmittel sowie auf sämtliche Verkehrsdaten erstreckt. Zugleich hat er hervorgehoben - Randziffer 58 -, dass die Erfassung sämtlicher Personen erfolgt, ohne dass sie Anlass zur Strafverfolgung gegeben haben. Der EuGH beanstandet - das steht in derselben Randziffer -, dass die Richtlinie - Zitat - „keinerlei Ausnahme“ bezüglich der Personen enthält, die „nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen“. Diesen Vorgaben werden wir dadurch nachkommen, dass gerade nicht alle Daten gespeichert werden - wie ich es in der Antwort eben dargestellt habe. So sind die Daten von Diensten der elektronischen Post komplett ausgenommen. Auch aufgerufene Internetseiten und Inhalte der Kommunikationen werden nicht gespeichert. Hinsichtlich der Speicherfrist wird, ausgehend von der Sensibilität der Daten für den Bürger, nach Datenarten differenziert. Die Höchstspeicherfrist für Standortdaten beträgt vier Wochen, für die übrigen Verkehrsdaten zehn Wochen. Schließlich werden Berufsgeheimnisträger besonders geschützt. Wir sind der Überzeugung, dass wir dem EuGH-Urteil damit Genüge tun.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, haben Sie eine zweite Nachfrage?

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich habe eine zweite Nachfrage. - Sie werden verstehen, dass mich das nicht überzeugt. Ich habe eine konkrete Frage zu Ihren Leitlinien. In Ihren Leitlinien steht unter anderem, dass es jetzt den neuen Straftatbestand der Datenhehlerei geben soll. Ich frage mich: Was ist das für ein neuer Straftatbestand? Bedeutet das, dass das, was unter anderem der Finanzminister von NRW in den letzten Jahren gemacht hat, nämlich das Aufkaufen von Bankdaten-CDs aus der Schweiz, zukünftig eine Straftat sein soll?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Kollegin, wir haben dies in der Tat in die Leitlinien aufgenommen. Wir sind im Augenblick dabei, die entsprechenden Vorschriften in einen Referentenentwurf zu gießen. Diesen haben wir abzuwarten. Wenn er vorliegt, kann ich Ihnen über die Einzelheiten gerne Auskunft geben.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich sehe keine weiteren Rückfragen. Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Katja Keul auf: Hält der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz an seiner öffentlichen Äußerung vom 15. Dezember 2014 fest, als er auf Twitter die Nachricht verbreitete, „VDS lehne ich entschieden ab - verstößt gg Recht auf Privatheit u Datenschutz. Kein deutsches Gesetz und keine EU-RL!“, und, Vizepräsidentin Claudia Roth falls nein, was hat zu seiner veränderten politischen Bewertung des Themas geführt ({0})? Herr Staatssekretär.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, ich beantworte Frage 3 wie folgt: Der Tweet ist vor dem Hintergrund eines Interviews mit der Süddeutschen Zeitung vom 15. Dezember 2014 zu sehen, mit dem der Tweet verlinkt ist. In dem Interview selbst hat sich der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Herr Maas, zu dem Vorhalt: „Ihr Koalitionspartner fordert in dem Antrag die Vorratsdatenspeicherung und ein Verbot der sogenannten Sympathie-Werbung für Terrororganisationen“, wie folgt geäußert - ich zitiere Herrn Maas -: Ich lehne beides ganz entschieden ab. Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen das Recht auf Privatheit und gegen den Datenschutz. Das hat der Europäische Gerichtshof klargestellt. Für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, so wie die Sicherheitspolitiker sie sich wünschen, wird es kein deutsches Gesetz und keine EU-Richtlinie geben. Genau so kommt es jetzt auch, Frau Kollegin Keul. Das erkennen Sie an den Leitlinien, die wir vorgestellt haben. Sie entsprechen nicht den Vorstellungen der Sicherheitspolitiker, sondern mit ihnen wird versucht, die Balance herzustellen zwischen Sicherheit auf der einen Seite und Datenschutz auf der anderen Seite. Deshalb ist dieser Tweet in vollem Einklang mit dem Vorgehen der Bundesregierung.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin Keul, haben Sie eine Rückfrage?

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, habe ich. Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Lange, Sie hatten mich heute schon im Rechtsausschuss auf dieses andere, angeblich verlinkte Zitat hingewiesen. Ich bin dem noch einmal nachgegangen. Der Link in dem Tweet des Ministers verweist aber gerade nicht auf dieses Interview, sondern auf eine Onlinezusammenfassung der Süddeutschen Zeitung, in der der Minister wörtlich zitiert wird: „In unserem Grundgesetz steht ein solches Grundrecht auf innere Sicherheit nicht.“ Auch die VDS und das Verbot der Sympathiewerbung lehne er „ganz entschieden ab“. Das ist das, was verlinkt worden ist. Im Übrigen ist, glaube ich, auch der Tweet selber, der zweifelsfrei dem Minister zuzuordnen ist, eindeutig. Im Tweet steht: VDS lehne ich entschieden ab - so hat er es auch verlinkt verstößt gg Recht auf Privatheit u Datenschutz. Kein deutsches Gesetz und keine EU-RL! Was hat den Minister bewogen, von dieser Rechtsauffassung abzurücken?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Kollegin, ich habe bereits ausgeführt, wie das Zitat in der Süddeutschen Zeitung von Herrn Bundesminister Maas lautete. Ich kann es gerne wiederholen. ({0}) Der entscheidende Satz lautet: Das hat der Europäische Gerichtshof klargestellt. Für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, so wie die Sicherheitspolitiker sie sich wünschen, wird es kein deutsches Gesetz und keine EU-Richtlinie geben. Dem hat die Bundesregierung nichts hinzuzufügen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, dass Sie das wiederholt haben. Aber ich sagte gerade, dass dies nicht die Stelle ist, die mich hier interessiert. Das steht weder in dem Tweet, noch ist es das, worauf in dem Tweet verlinkt wird. Es mag ja sein, dass der Minister noch andere Interviews gibt, die von anderen Personen freigegeben werden, aber ich hatte Sie zu dem gefragt, was der Minister selbst getweetet hat. Ich frage deswegen noch einmal: Was hat den Minister bewogen, seine Rechtsauffassung zu ändern?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Präsidentin, ist es die dritte Nachfrage? ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das war die zweite. Sie hat nur insgesamt mehrere Fragen gestellt.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Dann beantworte ich die zweite Nachfrage gerne, indem ich noch einmal sage, dass der Bundesminister diesen Tweet im Hinblick auf dieses Interview - es fand auch am selben Tag statt - geschrieben hat. So hatte ich es bereits dargestellt. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Dann kommen wir zur Frage 4 des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz: Welche zusätzlichen Vorkehrungen für die IT-Sicherheit der durch die geplante Vorratsdatenspeicherung anfallenden Massenspeicher bei den privaten Providern wird die Bundesregierung - auch vor dem Hintergrund der bisherigen Erkenntnisse zu geheimdienstlichen Attacken auf Datenbestände weltweit - vorschlagen, um dem Diktum des Bundesverfassungsgerichts ({0}) zu entsprechen, wo9444 Vizepräsidentin Claudia Roth nach verschärfte Vorschriften für die Datensicherung zur verfassungsrechtlichen Absicherung zwingend erforderlich sind? Herr Staatssekretär.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Präsidentin, die Frage des Kollegen von Notz beantworte ich gerne wie folgt: Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 15. April 2015 Leitlinien zur Einführung einer Speicherfrist und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vorgestellt. Durch die in den Leitlinien skizzierte Regelung wird eine nach dem Stand der Technik höchstmögliche Sicherheit der Daten gewährleistet. Die Speicherung hat im Inland zu erfolgen. Die Anbieter müssen die Daten gegen unbefugte Kenntnisnahme und Verwendung schützen. Konkret erforderlich sind insbesondere der Einsatz eines besonders sicheren Verschlüsselungsverfahrens, die Speicherung in gesonderten Speichereinrichtungen mit einem hohen Schutz vor Zugriffen aus dem Internet, die revisionssichere Protokollierung des Zugriffs sowie die Gewährleistung des Vieraugenprinzips für den Zugriff auf die Daten. Daneben sind detaillierte Löschungsvorschriften sowohl für die TK-Anbieter als auch für die Strafverfolgungsbehörden vorzusehen. Es handelt sich hierbei nicht nur um rechtliche, sondern insbesondere um technische Detailfragen. Diese Fragen erörtern wir derzeit mit den entsprechenden Experten. Konkrete Regelungen dazu werden wir in dem Gesetzentwurf vorlegen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr von Notz.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Dazu hätte ich eine Rückfrage. Sie bezeichnen es als technische Detailfragen. Meiner Ansicht nach sind es Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht sehr klar gefasst hat. Mich würde interessieren, ob diese konkret - wir haben ja bisher nur diese Leitlinien - ins Gesetz geschrieben werden und wie die Einhaltung dieser Voraussetzungen für solch riesige Datenbanken, wie sie jetzt nach Ihrem Willen entstehen sollen, sozusagen regelmäßig geprüft werden sollen. Zum Vieraugenprinzip und zur Verschlüsselung, die jetzt bei all den Unternehmen in Deutschland implementiert werden soll, frage ich: Gibt es eine Kosteneinschätzung der Bundesregierung, was das die Unternehmen kosten wird?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Genau darüber, Herr Kollege von Notz, sind wir im Augenblick in den Beratungen bei uns im Hause. Der Gesetzentwurf ist noch nicht fertiggestellt. Deshalb kann ich Ihnen darauf zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Antwort geben.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Haben Sie eine zweite Rückfrage, Herr von Notz?

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine Nachfrage zu dem Aspekt habe ich noch. Mir ist zu Ohren gekommen bzw. ich habe es an mehreren Stellen von den beiden zuständigen Ministern so argumentiert gesehen, dass der Kompromiss - Kompromiss in Anführungsstrichen; denn mit uns hat er nicht stattgefunden, insofern ist es keiner - zwischen den beiden Häusern, Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium, unverändert durchs Parlament gehen soll. Da frage ich Sie jetzt einmal als Parlamentarier: Halten Sie das für eine legitime Vorgehensweise, wenn zwei Minister einen Kompromiss aushandeln, oder glauben Sie, dass dieses Haus sehr wohl ein Mitspracherecht hat, wie dieses Gesetz am Ende auszusehen hat?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Zunächst einmal, Herr Kollege, äußere ich mich zu der Glaubensfrage nicht. Ich lege Wert auf die Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative. In dem Fall obliegt es der Legislative, sich zu überlegen, wie sie mit einem Gesetzentwurf, den wir vorlegen werden, umgehen wird.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Dann kommen wir zur Frage 5 des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz: Wie rechtfertigt die Bundesregierung - vor dem Hintergrund weiterer seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 ({0}) entstandener privater Massenspeicher, sowohl auf privater als auch auf öffentlicher Ebene, national als auch europaweit - ihren Gesetzesvorstoß zur Vorratsdatenspeicherung hinsichtlich der vom Bundesverfassungsgericht zwingend vorgesehenen Prüfung einer „Überwachungsgesamtrechnung“? Herr Staatssekretär.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Vielen Dank. - Diese Frage beantworte ich wie folgt: Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommt der Begriff „Überwachungsgesamtrechnung“ nicht vor. Er bezieht sich, in Auslegung des Urteils, auf einen vom Bundesverfassungsgericht eingebrachten Aspekt. Die Freiheit, in seiner Freiheitswahrnehmung nicht total erfasst und registriert zu werden, zählt das Bundesverfassungsgericht - Zitat - „zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland“. Eine Gesetzgebung - Zitat -, „die auf eine möglichst flächendeckende vorsorgliche Speicherung aller für die Strafverfolgung oder Gefahrenprävention nützlichen Daten zielte“, wäre „von vornherein mit der Verfassung unvereinbar“. Es dürfen also nicht praktisch alle Aktivitäten der Bürger durch alle staatlich erfolgten oder veranlassParl. Staatssekretär Christian Lange ten Speicherungen zu Strafverfolgungszwecken zusammen erfasst und rekonstruiert werden können. Dieser Gefahr wird in dem Gesetzentwurf dadurch begegnet, dass enge Zugriffsschranken und eindeutige Verwendungszwecke normiert werden. Die Speicherung erfolgt nicht bei staatlichen Stellen. Strafverfolgungsbehörden haben nur Zugriff auf einzelne - ich wiederhole: einzelne - Datensätze unter eng normierten Voraussetzungen. Um die Evaluation des Gesetzes zu ermöglichen und dem Gesetzgeber zu ermöglichen, den Umfang der erhobenen Daten zu überprüfen, sehen wir Statistikpflichten vor. Insbesondere wird die Neuregelung deutlich enger als die alte EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung sein. Es werden weniger Daten für einen deutlich kürzeren Zeitraum gespeichert. Es werden bei weitem nicht alle Daten gespeichert. Durch diese Regelungen wird auch mit Blick auf die Gesamtheit der bereits vorhandenen Datensammlungen sichergestellt, dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden kann. Damit wird den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr von Notz.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Auch dazu eine Nachfrage, Herr Staatssekretär. In der Fachliteratur wird im Hinblick auf diesen Gedanken des Bundesverfassungsgerichts von einer Überwachungsgesamtrechnung gesprochen. Damit ist mitnichten allein die Vorratsdatenspeicherung bezüglich der Kommunikationsdaten gemeint, sondern in dem Urteil von 2010 waren damit alle möglichen Vorratsdatenspeicherungen gemeint; das war vor Edward Snowden und vor PNR. Es findet also eine massenhafte Speicherung von Daten statt. Sie wissen vielleicht: Wir haben einen Untersuchungsausschuss zur NSA. Geheimdienste aus aller Welt machen nichts anderes, als Vorratsdatenspeicherungen durchzuführen, und zwar im Hinblick auf alle möglichen Daten. Deswegen frage ich Sie: An welcher Stelle hat das, was Karlsruhe entschieden hat, in Ihre Überlegungen Eingang gefunden? Ich meine damit nicht etwa die Farce, dass man E-Mails ausgenommen hat, sondern ich frage Sie: Wie berechnen Sie bei der Überwachungsgesamtrechnung Snowden, die Geheimdienste und andere Vorratsdatenspeicherungen wie PNR konkret mit ein?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Erstens lege ich Wert darauf, dass es sich bei dem Stichwort „Überwachungsgesamtrechnung“ um einen Begriff handelt, der von Herrn Professor Roßnagel in einem Aufsatz über das Urteil zur VDS geprägt wurde und der keinesfalls in der gesamten Literatur üblich ist. Zum Zweiten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil das damalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen Artikel 10 Absatz 1 Grundgesetz für nichtig erklärt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange, so sagte das Bundesverfassungsgericht, dass die gesetzliche Ausgestaltung einer solchen Datenspeicherung dem besonderen Gewicht des mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriffs in angemessener Form Rechnung trägt. Erforderlich seien hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten seien nur verfassungsmäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienten. Genau diesen Vorgaben wollen wir mit unserem Gesetzentwurf Rechnung tragen. Insbesondere sollen deutlich weniger Daten für einen deutlich kürzeren Zeitraum gespeichert werden, so wie es uns im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben wurde. Es sollen deshalb auch bei weitem nicht alle Daten gespeichert werden. Die Daten von Diensten der elektronischen Post sind komplett ausgenommen. Hinsichtlich der Speicherfrist wird, ausgehend von der Sensibilität, nach Datenarten differenziert. Ich sagte bereits: Die Höchstspeicherfrist für Standortdaten beträgt vier Wochen, für übrige Verkehrsdaten zehn Wochen. Was den Zugriff auf die Daten betrifft, installieren wir einen strikten Richtervorbehalt. Es gibt einen sehr engen Strafenkatalog und Substantiierungsanforderungen mit hohen Hürden. Auf Standortdaten darf nur einzeln zugegriffen werden. Bewegungsprofile sind nicht möglich. Grundrechtseingriffe werden auf das absolut Notwendige beschränkt. Darüber hinaus gewährleisten wir für die Bürger Datensicherheit, Transparenz und effektiven Rechtsschutz. Und schließlich werden die Berufsgeheimnisträger, über die wir bereits gesprochen haben, besonders geschützt.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr von Notz hat keine weitere Frage; die Beantwortung erfolgte auch in der doppelten Zeit. Die Frage 6 der Abgeordneten Kunert wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Frage 7 der Abgeordneten Kunert, die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Christian Kühn, die Fragen 10 und 11 der Abgeordneten Haßelmann sowie die Frage 12 der Abgeordneten Paus werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Auch hier werden die Fragen 13 und 14 der Abgeordneten Sabine Zimmermann schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die Frage 15 des Abgeordneten Krischer wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe die letzte Frage in dieser Fragestunde auf, nämlich die Frage 16 des Abgeordneten Ebner: Vizepräsidentin Claudia Roth Aus welchen Gründen hat sich das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, - im Gegensatz zum US-amerikanischen Äquivalent, der Environmental Protection Agency, EPA, die mit mehreren Teilnehmerinnen und Teilnehmern vertreten war - nicht an dem Treffen der Arbeitsgruppe der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, IARC, zur Ermittlung der Kanzerogenität von Glyphosat vom 3. bis 10. März 2015 in Lyon beteiligt ({0}), welches zu der am 20. März 2015 in der angesehenen medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichten Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ führte, und in welcher Weise werden sich das BfR oder andere Institutionen des Bundes mit dieser Einstufung sowie der zugehörigen, zur Veröffentlichung anstehenden Monografie des IARC vertieft auseinandersetzen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Danke, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege Ebner, die Arbeitsgruppe der Internationalen Krebsforschungsagentur der WHO zur Einschätzung der Kanzerogenität von Glyphosat und anderen Stoffen wurde nach den internen Regeln der Krebsforschungsagentur zusammengestellt. Regierungen oder nationale Behörden nehmen keinen Einfluss auf deren Zusammensetzung.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Ebner.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, lassen wir einmal die Frage hinsichtlich der Beteiligung des BfR beiseite, das natürlich dennoch als Beobachter an diesen Besprechungen hätte teilnehmen können. Unabhängig von der Einschätzung des Bundesinstitutes für Risikobewertung nun zu meiner Frage. Nach der Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur bei der Weltgesundheitsorganisation und der Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ und der häufigen Feststellung von Lymphdrüsenkrebs bei Landwirten, die mit Glyphosat in Verbindung kommen, frage ich Sie angesichts der anstehenden Zulassungsverlängerung: Sind Sie ebenso wie Staatssekretärin Flachsbarth - entgegen dem Vorsorgeprinzip der Europäischen Union - der Auffassung, dass diese Krebsgefährdung erst niet- und nagelfest bewiesen sein muss, bevor die Bundesregierung hier handelt? Und ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat erteilt werden soll - ja oder nein?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Staatssekretär, bitte.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Die Bundesregierung nimmt hier ihre Aufgabe in der Form wahr, dass die entsprechenden Institute eine Bewertung vornehmen, die sie der EFSA, die zuständig ist, übermitteln. In dem Falle - das habe ich schon berichtet - haben wir uns an die Übermittlungsfristen gehalten. Neuere Erkenntnisse werden ebenfalls bewertet. Es wird auch - das ist schon berichtet worden, wie mir zugegangen ist - eine Bewertung vorgenommen, wenn die entsprechenden Veröffentlichungen über die Grundlagen der Einschätzung der WHO zugänglich sind. Im Übrigen wird ein Dissensverfahren innerhalb der WHO durchgeführt, um die unterschiedlichen Stellungnahmen der einzelnen Einrichtungen der WHO zu konzertieren.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Ebner, wenn Sie möchten, können Sie eine zweite Nachfrage stellen.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Der Präsident des BfR, Professor Hensel, hat heute Morgen im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft seine Einschätzung wiederholt, dass ihn Funde von Glyphosat im Urin von Stadtbewohnern nicht überraschen, sondern zu erwarten waren. Gleichzeitig wissen wir, dass krebserregende Substanzen - und als solche hat die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation Glyphosat nun einmal eingestuft - schon in geringen Mengen hochproblematisch sein können, insbesondere dann, wenn sie über einen langen Zeitraum aufgenommen werden. Jetzt frage ich Sie: Plant die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Menschen in diesem Land als ersten Schritt eine Ausweitung des Humanmonitorings auf Glyphosat zum Beispiel in Urin oder in Muttermilch, um die Belastung der Bevölkerung überhaupt quantifizieren zu können, und wird sie in Zukunft auch tierische Lebensmittel auf Glyphosatrückstände überprüfen?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Staatssekretär, bitte.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, ich verweise noch einmal auf das Verfahren. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln unterliegt einem genau festgelegten Verfahren. In diesem Verfahren werden die entsprechenden Stellungnahmen verfasst, eingereicht und bewertet, und dann wird entschieden. An diesem Verfahren ändert sich nichts. Ich habe Kenntnis, dass der Präsident des BfR seine Einschätzung - insbesondere seine Gefahreneinschätzung - vor dem Ausschuss auch in dieser Weise wiedergegeben hat, und die brauche ich hier nicht zu wiederholen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. Vizepräsidentin Claudia Roth Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Vereinbarte Debatte Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer Für diese Debatte ist eine Stunde vorgesehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, darf ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. Darum bitte ich auch die Gäste hier in unserem Haus. ({0}) Der Deutsche Bundestag und die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind zutiefst betroffen über das Schiffsunglück im Mittelmeer, bei dem in der Nacht zum Sonntag vermutlich mehr als 800 Menschen - Frauen, Männer, Kinder - ums Leben kamen. Die Opfer kamen aus Afrika und aus den Ländern des Nahen Ostens. Sie hatten sich auf der Flucht vor Kriegen, vor Gewalt, vor Armut, vor Hunger, vor politischer und religiöser Verfolgung auf den Weg nach Europa gemacht. Das Unglück mit seinen zahlreichen Opfern ist die schwerste Flüchtlingskatastrophe in einer langen Reihe von ähnlichen tödlichen Unglücken, bei denen in den vergangenen Jahren bereits Tausende Menschen ihr Leben verloren haben. Angesichts des großen Leids, das sich beinahe täglich im Mittelmeer ereignet, sind wir - insbesondere wir als verantwortliche Akteure in Politik und Gesellschaft - mehr denn je aufgefordert, alles in unserer Macht Stehende zu tun, damit sich diese tragischen Ereignisse nicht wiederholen. Wir hoffen sehr - das hoffen wir alle -, dass der morgen anstehende Gipfel zur Flüchtlingspolitik Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Katastrophen auf den Weg bringen wird. Der Deutsche Bundestag trauert mit den Angehörigen der Opfer, mit ihren Familien, mit ihren Freunden, Freundinnen und allen, die ihnen nahestanden. Wir drücken ihnen unser tief empfundenes Mitgefühl aus. Sie haben sich zu Ehren der Opfer von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen von Herzen. ({1}) Ich gebe dem ersten Redner in der Debatte, dem Bundesminister des Inneren, Dr. de Maizière, das Wort. ({2})

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Bilder vom Wochenende wahrgenommen und in unsere Herzen eingebrannt. Ich möchte mit noch ein paar anderen Geschichten und Bildern beginnen: Ich werde die junge Frau, eine junge Afrikanerin, nicht vergessen, die ich vor einiger Zeit im Erstaufnahmelager in München gesehen habe. Sie hatte ein Kind, das sie noch stillte, vor sich liegen und war schon wieder hochschwanger. Sie war alleine gekommen und Monate unterwegs. Man kann nur ahnen, wie es zu der Schwangerschaft gekommen war. Ich bin geprägt von den gestrigen Bildern von Flüchtlingen, die sich an ein Boot geklammert haben, das zerschellt war. Ich höre Berichte von 5 bis 10 Milliarden Dollar, die die Schlepper im Jahr im Mittelmeer verdienen. Ich war gestern bei der Bundespolizei am Frankfurter Flughafen und habe dort einen Mann gesehen, der aufgehalten worden ist. Er hatte Asyl beantragt. Das war ein syrischer Professor. Er war von New York nach Deutschland geflogen und hatte hier Asyl beantragt, weil sein Visumantrag zweimal abgelehnt worden war. Ich habe vor meinen Augen eine Schulklasse, die ich vor wenigen Tagen in Nürnberg getroffen habe - unbegleitete Minderjährige und junge Erwachsene in allen Statusgruppen - und die begeistert Deutsch gelernt haben. Ich habe vor meinen Augen das Bild des abgebrannten Flüchtlingsheims. Aber ich denke auch an andere Bilder und Gespräche aus der letzten Zeit. Ich habe in der Außenstelle des BAMF mit einer jungen Frau gesprochen. Sie konnte drei Sätze Arabisch und sagte, sie stamme aus Syrien. Der Dolmetscher meinte, sie stamme aus Serbien. Ich erlebe den bitteren Streit in Deutschland, ob man eine Familie noch nach Italien oder in die Niederlande schicken könne, und dazu unterschiedliche Entscheidungen der Verwaltungsgerichte. Mir erzählte ein Landrat, dass er Probleme mit einem jungen Tunesier hat, der mittelschwere Straftaten begeht und in jedem Asylbewerberheim Unruhe stiftet. Die Tunesische Botschaft aber weigert sich, für ihn einen Pass auszustellen, sodass er nicht abgeschoben werden kann. Ich erinnere mich an die Präsidentin des Kosovo, die mir gesagt hat, dass sie persönlich an eine Bushaltestelle in Pristina gegangen ist, um kosovarische Bürger, für die 18 Busse bereitstanden, um sie nach Deutschland zu bringen, davon abzuhalten, ihr Land zu verlassen. ({0}) - Dazu habe ich einiges erzählt. - Der Oberbürgermeister von Duisburg hat uns letzte Woche in der Migrationskonferenz gesagt, dass es in Duisburg - wahrlich keine einfache Stadt - überhaupt keine Probleme mit Asylbewerbern gibt, aber massive Bedenken gegen Armutsmigranten aus Bulgarien und Rumänien. Warum erzähle ich diese Geschichten? ({1}) Ich erzähle diese Geschichten, weil sie zeigen, dass das Thema „Asyl, Flüchtlinge und Migration“ ganz vielschichtig ist. Dahinter verbergen sich sehr viele unterschiedliche Geschichten und Schicksale. Deswegen ist mein erster Wunsch: Bitte vereinfachen wir diese Debatte nicht. Bitte lassen Sie uns nicht von einem hohen moralischen Ross aus sprechen. ({2}) Bitte machen wir keine Versprechungen, die wir nicht halten können. ({3}) Wir brauchen Emotionen und einen kühlen Verstand. Wir brauchen die Kraft zur Differenzierung für alle diese Gruppen. Es gibt keine einfachen Antworten. Es gibt keine schnellen Lösungen. Es ist richtig, dass sich Europa nicht abschotten darf. ({4}) Es ist aber genauso richtig, dass Europa nicht jeden aus Afrika aufnehmen kann, der nach Europa möchte. ({5}) Das übersteigt die Kapazitäten unseres letztlich reichen Europas und gefährdet die Zukunft Afrikas. Beides wollen wir nicht. ({6}) Die Ursachen, mit denen wir es zu tun haben, sind eine Mischung aus bitterer Armut, brutaler politischer Verfolgung und dreckigen Verbrechen. Diesen Ursachen müssen wir mit einer europäischen Antwort begegnen: nachhaltige Humanität, stabilisierende Entwicklungspolitik und harte Strafverfolgung. Das muss unsere Antwort sein. Das ist leicht gesagt, aber schwer getan. Meine Gefühle am Wochenende waren eine Mischung aus Trauer und Zorn: Trauer über die Toten und Zorn über die Täter. Das Ende der Operation Mare Nostrum war übrigens nicht das Ende der Seenotrettung. Im Gegenteil: Seit dem Beginn der Operation Triton stehen nicht weniger Einsatzmittel zur Rettung Schiffbrüchiger zur Verfügung. ({7}) Zusätzlich zu den Schiffen, Flugzeugen und Hubschraubern, die eingesetzt wurden, operieren in dem Seegebiet die italienische Marine und die Seenotrettungskräfte Italiens und Maltas. Es spricht für sich, dass bis April 2015 entlang der Route circa 19 000 Menschen von Triton aus Seenot gerettet wurden. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es etwa genauso viele Menschen. Es gibt nur einen Unterschied: Es sind viel mehr Menschen in seeuntüchtigen Booten losgeschickt worden. Damit konnten sie gerade das Hoheitsgewässer ihres Landes verlassen. Dann wurde die Notrufzentrale angerufen. Gewollter Schiffbruch und Gefährdung von Menschenleben ist der Kern des Geschäftsmodells dieser dreckigen Verbrecher. Meine Damen und Herren, Deutschland, die EU, wir alle wollen angesichts dieser Ereignisse nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir müssen verhindern, dass weitere Menschen im Mittelmeer zu Tode kommen. Migration ist schwierig genug; ich habe einige Beispiele geschildert. Migration darf keine Frage von Leben und Tod werden. Es war richtig, dass uns die Hohe Vertreterin am Montag zu einer gemeinsamen Sitzung der Außen- und Innenminister eingeladen hatte. Die Kommission hat in dieser Sitzung zehn Punkte zur Diskussion und Beschlussfassung vorgelegt. Diesen Punkten wurde im Wesentlichen zugestimmt, auch wenn sie noch weiterer Konkretisierungen und Präzisierungen bedürfen. Ich nenne die Punkte, die mir wichtig sind: Erstens, die Seenotrettung: Wir müssen alle Maßnahmen, die dort möglich sind, konzentrieren. Die Seenotrettung unter Führung von Triton und Poseidon muss dringend verbessert und auf europäischer Ebene finanziert werden, gerne auch unter stärkerer deutscher Beteiligung. Es wird zu diskutieren sein, was das ist. Die Kommission hat eine Verdoppelung vorgeschlagen. Es kann auch eine Verdreifachung sein. Seenotrettung ist das Erste, Wichtigste und Dringlichste, was unverzüglich beginnen muss. ({8}) Zweitens, der Kampf gegen kriminelle Schlepper: Von Libyen aus können die Schleuserbanden die Flüchtlinge sehenden Auges in den Tod schicken. Sie können weithin ungehindert agieren. Deswegen müssen wir - auch das ist ein Vorschlag der Kommission - darüber reden, wie wir solche Todesboote zerstören und die Infrastruktur schädigen können. Wenn Menschen gerettet worden sind, dürfen diese Boote nicht erneut dazu genutzt werden, weitere Menschen in Lebensgefahr zu bringen. ({9}) Möglicherweise müssen wir auch vorbeugend tätig werden, dass solche Schiffe gar nicht erst genutzt werden. Der UN-Sicherheitsrat hat gestern getagt. Die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates drängen auf eine stärkere internationale Zusammenarbeit, um weitere Bootstragödien zu vermeiden und die Schlepperbanden zu bekämpfen. Alle illegalen Wege für die Migration müssten geschlossen werden, so der Sicherheitsrat gestern. Drittens brauchen wir eine politische Stabilisierung Libyens und der Region. Dazu wird sicher gleich FrankWalter Steinmeier reden. Aber ich habe in diesem Zusammenhang einige Fragen: Warum hat für die beiden libyschen Machtzentren das Thema Flüchtlinge im Moment noch keine Priorität? Und was sagen eigentlich die afrikanischen Führer dazu, dass ihnen ihre Mittelschicht wegläuft? Ist das dort ein ebenso großes Thema wie bei uns, und was können wir tun, damit es auch dort ein großes Thema wird? Viertens. Wir haben in Europa auch eine gemeinsame Verantwortung für die Flüchtlinge, die gerettet werden. Wir dürfen die Erstaufnahmestaaten nicht alleine lassen. Es muss sichergestellt werden, dass die Flüchtlinge überall, auch in Griechenland und Italien, aufgenommen und registriert werden. Wenn dafür Unterstützung erforderlich ist, muss diese von der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten geleistet werden, gerne unter Führung der EASO. Deutschland ist bereit. Ich bin dazu bereit, dass wir mit vielen Mitarbeitern dort hingehen und Italien bei der Aufnahme dieser Flüchtlinge helfen und sie unterstützen. ({10}) Das eigentliche Ziel muss sein, dass wir dort die Registrierung und auch die Prüfung der Asylgründe und des Flüchtlingsschutzes vornehmen, dass wir von dort in Europa und nach Europa verteilen und dass wir von dort gemeinsam, auch europäisch, zu Rückführungen kommen, die human sind. Das ist die richtige Lösung. Dazu gehört eine geordnete und gerechte Verteilung in Europa. Ich glaube, dass jetzt die Zeit ist, darüber ernsthaft zu reden. Es kann nicht sein, dass sich nur 10 von 28 Staaten an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. Das ist nicht in Ordnung, und das müssen wir jetzt sofort zu beenden versuchen. ({11}) Meine Damen und Herren, wir arbeiten mit Hochdruck daran, einen substanziellen Beitrag zu einem gemeinsamen europäischen Handeln zu leisten. Das ist nicht einfach. Ich habe es bereits gesagt: Es gibt keine einfachen und schnellen Lösungen. Wir müssen Menschen retten. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen. Wir müssen die Schlepper bekämpfen. Das alles müssen wir gemeinsam und solidarisch tun: in Europa und für Europa. Vielen Dank. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Dr. de Maizière. - Nächste Rednerin in der Debatte: Petra Pau für die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Tausende Flüchtlinge, Menschen ohnehin in Not, ertrinken im Mittelmeer. Das ist eine menschliche Katastrophe und ein politisches Desaster. Versagt hat die EU-Flüchtlingspolitik, also auch die deutsche. Sie ist auf Abwehr ausgerichtet statt auf Lösungen. Das muss sich ändern. ({0}) 1990 lief der BBC-Film Der Marsch. Darin versuchen immer mehr Menschen, ihrem Elend in Afrika zu entkommen und Hilfe im gelobten Europa zu finden. Sie stoßen auf eine hochgerüstete Festung, in der Rassismus brodelt. Das war vor 25 Jahren, einem Vierteljahrhundert. Nun scheint das Szenario Realität zu werden. Mit dem Abendland und westlichen Werten hat all das nichts zu tun. In denselben 25 Jahren sind die Fluchtursachen nicht weniger geworden, nicht der Hunger, nicht das Elend, nicht Vertreibung, auch nicht Kriege. Genau dort liegt aber das tiefere Problem. Wer weniger Flüchtlinge will, muss eine globale Entwicklung fördern, die Gerechtigkeit schafft und Frieden gebietet. ({1}) Das beginnt bei fairem Handel ohne Rüstungsexporte. Nun will sich die EU auf einen Zehn-Punkte-Plan einigen, von A wie Asylverfahren bis Z wie Zusammenarbeit der Polizeien. Nach E wie Entwicklung und H wie Humanismus sucht man vergebens. Da hilft auch der Verweis nichts, das eine müsse sofort sein und das andere folge langfristig; denn wenn die langen Fristen nicht sofort beginnen, werden sie auch in weiteren 25 Jahren nicht fruchten. Flüchtlinge wiederum, die es bis in die Bundesrepublik schaffen, treffen auf zwei Deutschlands. In einem schüren „besorgte“ Bürger Hass. Im anderen leisten bewegte Bürger Hilfe. Letzteren gelten unser Dank, unser Zuspruch und unsere Unterstützung. ({2}) Zumeist handelt es sich um Ehrenamtliche, beispielsweise vom Arbeiter-Samariter-Bund, von der Arbeiterwohlfahrt oder aus der Nachbarschaft von Unterkünften und aus den Gemeinden. Aber auch das gehört zum Alltag: Sie brauchen Schutz. Noch etwas muss sich ändern. Integration ist mehr als Innenpolitik. Sie betrifft nahezu alle Bereiche: Bildung und Soziales, Recht, Arbeit, Teilhabe usw. Die Sozialministerinnen von Brandenburg und Thüringen haben dazu aktuell ein Konzept vorgelegt. Ich empfehle uns allen einen Blick darauf. Schließlich geht es nicht, dass der Bund sagt: Wir registrieren die Flüchtlinge, während die Betreuung allein den Ländern und den Kommunen obliegt. Der Bund muss umgehend mehr Verantwortung übernehmen, mit Geld, mit Liegenschaften, mit humanen Standards und mit einer Politik, die Flucht und Vertreibung entgegenwirkt. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Petra Pau. - Nächster Redner in der Debatte ist Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie viele Flüchtlingslager ich in den letzten Jahren gesehen und erlebt habe. Die Schicksale derer, die sich etwa im Mittleren Osten mit knapper Not, mit Haut und Haaren und ein bisschen Leben in die Flüchtlingslager gerettet haben, übersteigen häufig genug das Vorstellbare. Allein 11 Millionen Flüchtlinge gibt es im weiteren Umfeld Syriens und des Iraks, die meisten davon im Libanon und in Jordanien. Ja, auch bei uns gibt es - wer wüsste das nicht - kritische Diskussionen, in manchen Fällen auch Abneigung gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Ich weiß das, und wir müssen das thematisieren, gerade angesichts von brennenden Flüchtlingsunterkünften. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. 100 000 Flüchtlinge aus Syrien haben Aufnahme in Deutschland gefunden, mehr als in allen anderen europäischen Ländern. Ich finde, das ist der Zeitpunkt, den vielen Städten und Kommunen, die die Aufnahme organisiert haben, und den Menschen, die die Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft aufgenommen haben und viele von ihnen betreuen, Dank zu sagen. ({0}) Wäre das der Anlass für diese Diskussion, wäre es gut, aber dem ist leider nicht so. 800, 900, vielleicht 1 000 Menschen sind am vergangenen Wochenende bei einem Schiffsunglück vor der Küste Libyens im Mittelmeer ums Leben gekommen. Man kann die Not, die diese Menschen auf überfüllte und untaugliche Boote treibt, die furchtbaren Momente der Havarie und das für die meisten chancenlose Ringen um das Überleben auf offener See nur erahnen. Das alles ist unerträglich. Das erschüttert uns in Wahrheit nicht nur als Mitmenschen - Gott sei Dank das auch -, sondern das muss uns in ganz besonderer Weise als Europäer erschüttern; denn diese Menschen waren nicht auf dem Weg irgendwohin, sie waren auf dem Weg nach Europa, mit vielen Hoffnungen auf dieses Europa. Deshalb trifft diese Tragödie, über die wir heute reden, eben nicht nur die Flüchtlinge, sondern sie betrifft auch Europa. Natürlich ist es unsere Verantwortung, Menschen vor dem sicheren Tod zu bewahren, selbst wenn sie von gewissenlosen Menschenhändlern auf eine Reise unter Todesgefahren geschickt werden. Deshalb sage ich zunächst einmal: Das ist Gegenstand der humanitären Verantwortung, und vor der dürfen wir nicht kneifen. ({1}) Ich habe diese Woche nach dem Rat der Außenminister und der Innenminister gesagt: Das, was wir am vergangenen Wochenende erlebt haben, ist nicht das Ende; es ist der traurige Höhepunkt einer Tragödie, und wir können nicht einmal mit Sicherheit sagen, wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen wird. Viele Tausend werden auch weiterhin den Weg über das Mittelmeer wagen. All das gehört zur bitteren Wahrheit. Manche macht dieser Zustand einfach nur fassungslos, andere begnügen sich mit der Suche nach Schuldigen, und Dritte wollen das Problem mit einem Handstreich aus der Welt schaffen. Ich verstehe alle diese drei Empfindungen, ich kenne sie teilweise von mir selbst. Aber uns allen ist klar: Keine dieser drei Empfindungen bietet eine wirklich überzeugende Antwort. Sicher erwarten die Menschen in Deutschland mehr von uns, aber wir dürfen auch nicht über die Möglichkeiten und die Grenzen unserer Politik täuschen. Deshalb spreche ich von den vier Dimensionen, die ineinandergreifen müssen, damit wir in den nächsten Monaten mit hoffentlich größerer Effizienz tätig werden können. Das Erste ist die erwähnte humanitäre Verantwortung. Ganz vorn steht die Verbesserung der Seenotrettung. Wichtig ist nicht - das möchte ich sagen -, wie diese zukünftige europäische Mission heißen wird. Deshalb halte ich die Debatte, ob sie wieder Mare Nostrum heißen wird oder nicht, für nicht entscheidend. Entscheidend ist doch, egal wie sie heißt, dass der Erfolg bei der Rettung von Schiffbrüchigen größer wird. Die Verdoppelung der finanziellen Mittel, die jetzt von der Kommission angekündigt worden ist, ist jedenfalls der richtige Weg. Das muss sein, und das finde ich richtig. ({2}) Das Zweite ist: Wenn wir wissen, dass Flüchtlinge weiterhin ankommen werden, dann werden wir jedenfalls seitens der Regierung Wert darauf legen, dass wir zu einer gerechteren Verteilung in Europa kommen. Thomas de Maizière und ich haben das im Rat in dieser Woche angemahnt. Aber das wird keine ganz einfache Diskussion werden. Dazu gehört Überzeugungsarbeit und Beharrlichkeit, und die werden wir beide - das verspreche ich - an den Tag legen. ({3}) Drittens - das hat der Innenminister eben gesagt -: Es wäre eine Selbstlüge, wenn wir sagen würden, wir könnten mit besserer Verteilung und Seenotrettung das Problem lösen. Wir müssen bereit sein, mit größerer Effizienz, auch mit größerer Bereitschaft der Länder zur Zusammenarbeit endlich das kriminelle Tun derjenigen zu beenden, für die das Ganze, das wir hier miteinander diskutieren, keine Frage von Humanität ist. Das, was wir hier unter humanitärer Verantwortung diskutieren, ist für diejenigen, die flüchtende Menschen durch das Kriegsgebiet in Libyen treiben und die Überlebenden dieser Flucht in seeuntaugliche Boote setzen, nichts anderes als schlichte Profitgier. Ich glaube, das können wir nicht länger erdulden und ertragen. Diesen Menschen müssen wir das Handwerk legen. ({4}) Viertens. Es gibt die außenpolitische Dimension; Thomas de Maizière hat sie angekündigt. Es lässt sich leicht sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Transitländer nicht mehr Gelegenheit bieten für den Ausbau von illegaler Migration, das Tätigwerden von Schleuserbanden und die Aktivitäten von Menschenhandel. Das lässt sich leicht sagen. Es lässt sich ebenfalls leicht sagen: Wir müssen die Ursachen für die Flucht aus den Herkunftsländern bekämpfen. All das ist richtig. Nur, werfen wir einen Blick auf die Landkarte: Was ist denn tatsächlich der Fall? Wir haben in der Tat gute Kooperationen. Es hat gerade erst eine Konferenz mit den mediterranen Staaten aus Nordafrika in Barcelona stattgefunden. Dort, wo Staatlichkeit existiert - in Marokko, in Tunesien, in Algerien -, haben Schleuserbanden keine Grundlage für ihr schändliches Tun gefunden. Sie finden sie in einer Region vor, in der die Staatlichkeit kollabiert und wo zwei Machtgruppen miteinander im Streit sind und Krieg gegeneinander führen. Das Land Libyen bietet aufgrund erodierender Staatlichkeit im Grunde genommen die Grundlage dafür, dass sich kriminelle Banden, Menschenhändler, dort verbreiten können und dass Menschen auf eine unverantwortliche Art und Weise in große Gefahr, ich will nicht sagen: auf den Weg des fast sicheren Todes, gebracht werden. Was die Herkunftsländer angeht, so sieht es ja nicht anders aus. Die zusammenbrechende libysche Staatlichkeit hat eine Vorgeschichte. Das Ende des Gaddafi-Regimes, das notwendig war, hat mit sich gebracht, dass die Inhalte der Waffenkeller Gaddafis heute in die ganze Gegend verstreut sind ({5}) und dass die Kämpfer und die Soldaten der ehemaligen libyschen Armee heute in Nordmali und in Niger tätig sind. Deshalb sage ich: Es wird uns so ganz einfach nicht gelingen, die sicherlich notwendige Stabilisierung von Transitländern und Herkunftsländern herbeizuführen. Gegen Ende meiner Rede will ich sagen: Für mich ist das alles kein Grund, sich auf Schuldvorwürfe zu beschränken oder gar in Resignation zu verfallen, sondern es ist eben der Beginn von beharrlicher Arbeit, an der Stabilisierung dieser Nachbarregionen zu wirken. Ich frage noch einmal mit Blick auf Engagements und Bemühungen, die wir in den letzten Jahren hinter uns gebracht haben: Wie lange ist daran gezweifelt worden, ob man nach 12 Jahren Verhandlungen im 13. Jahr mit dem Iran ein Verhandlungsergebnis zustande bringt? Noch haben wir es nicht; aber zumindest die Chance dafür ist da. Der zuständige Sonderbotschafter der Vereinten Nationen verhandelt jetzt fünf Monate über die Frage einer Regierung der nationalen Einheit für Libyen. Machen wir uns nichts vor: Wir sind darauf angewiesen, dass diese Bemühungen zum Erfolg führen. Nur mit der Stabilisierung von Staatlichkeit, nur mit der Beendigung des Konflikts zwischen den Machtgruppen in Tobruk und Tripolis wird Libyen veränderbar und nicht mehr das Durchgangslager für viele Millionen Flüchtlinge auf einer gefährlichen Reise über das Mittelmeer in gefahrvolle Situationen sein. Deshalb: Klagen wir uns nicht selbst an wegen mangelnder Mitmenschlichkeit. Verlangen wir von uns selbst, dass wir mehr tun, um in Seenot Geratene zu retten. Aber haben wir auch Verständnis dafür, dass die Stabilisierung der Nachbarregionen Mühe, Zeit und Aufwand bedeuten wird. Das gehört zum Realismus, mit dem ich die gegenwärtige Situation beschreibe. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. - Nächste Rednerin in dieser Debatte: Katrin Göring-Eckardt für Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Außenminister, zum Realismus gehört, dass wir uns erinnern. Vor eineinhalb Jahren sind schon einmal mehrere Hundert Flüchtlinge im Mittelmeer, vor Lampedusa, ertrunken. Ganz Europa ist damals auf die kleine Insel gepilgert. Es gab Versprechen und Schwüre, dass das nie wieder passieren dürfe. Europa ist gescheitert. Mehr als 1 000 Menschen sind in den vergangenen Tagen beim verzweifelten Versuch gestorben, bei uns in Europa Schutz zu finden, ihr Recht auf internationalen Schutz in Anspruch zu nehmen, ihr Recht darauf, um Asyl zu ersuchen. Diese Menschen aus Syrien, Eritrea, dem Irak, Afghanistan sind auch unsere Toten. Wir kennen noch nicht einmal ihre Namen, und wir haben keine Kerzen für sie angezündet. Nicht das Mittelmeer ist grausam, sondern es ist die Abschottungspolitik, die über Jahre gemacht worden ist; es ist die Entscheidung, die Seenotrettungsaktion Mare Nostrum zu beenden, meine Damen und Herren, ({0}) wegen 9 Millionen Euro im Monat und wegen des Kalküls, „weniger Seenotrettung“ hieße „weniger Anreize für Schlepper“. Ja, wir müssen gegen kriminelles Verhalten vorgehen; wir müssen Schlepper zur Verantwortung ziehen - da sind wir uns einig -, aber vor allem müssen wir ihnen doch die Geschäftsgrundlage entziehen. Wer auf sicherem, auf legalem Weg nach Europa kommen kann, der braucht keinen Schlepper. ({1}) Ich finde es erschreckend, dass jetzt wieder weniger über Korridore der sicheren Überfahrt geredet wird als über militärische Maßnahmen zur Abschreckung und Verfolgung von Schleppern und sogar über ein UN-Mandat dafür. Tausende Menschen haben mit ihrem Leben bezahlt. Das war mit Ansage, das war mit Wissen, nicht nur weil wir als Grüne und andere das hier im Haus thematisiert haben; Hilfsorganisationen haben es gesagt, Kirchen haben es gesagt, die Verantwortlichen vor Ort in Süditalien, in Griechenland, auf Malta haben es immer wieder gesagt. Das hätte Ihnen, Herr Innenminister, Ihr Verstand, aber auch Ihr Herz sagen können: Wer keinen Ausweg mehr hat, der versucht alles, der versucht alles, was nur irgendwie möglich ist, was nur irgendwie geht. Deswegen: Ja, es sind auch unsere, es sind auch Ihre Toten. In jeder Hinsicht sind es die Toten einer gescheiterten Abschottungspolitik. Das ist nicht die Suche nach Schuldigen. Das ist Realismus; das ist: die Wahrheit sagen. Das ist die Grundlage dafür, dass das Handeln wirklich verändert wird, dass wirklich etwas getan wird, um die Flüchtlinge zu retten. ({2}) Wir brauchen die sicheren Korridore. Das ist Nothilfe. Das ist das Erste, was wir tun müssen. Wir brauchen die Seenotrettung. Natürlich: Wir müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen, auch hier bei uns in Deutschland - das müssen wir ehrlicherweise sagen -, und wir müssen darüber reden, wie das geht. Herr Außenminister, ich stimme Ihnen zu: Es wird nicht einfach sein, die Region zu stabilisieren. Jeder hier weiß, dass das Monate, dass das Jahre, dass das womöglich sogar Jahrzehnte dauern wird. Aber wir können darauf nicht warten, so wie die Menschen nicht warten können, die hierher, in unser Europa, in eine sichere Aufnahme, kommen wollen. Mir geht es nicht darum, ob die Seenotrettung „Mare Nostrum“ oder anders heißt. Mir geht es darum, dass es um Seenotrettung und nicht um Grenzsicherung geht, und das ist der Unterschied. ({3}) Meine Damen und Herren, wenn es in der Europäischen Union um Wirtschaft und Finanzen geht, spannen wir riesige Rettungsschirme auf. Wenn es um die Flüchtlinge geht, dann scheitert es an 9 Millionen Euro. Wir sind eine Gemeinschaft der Menschlichkeit, des Friedens, der Solidarität. Wenn wir all das nicht preisgeben wollen, dann müssen wir jetzt gemeinsam als Europa Verantwortung übernehmen; sonst verraten wir uns selbst; sonst verraten wir unsere Werte, das, weswegen wir ein einzigartiger Kontinent sind. Es ist auch morgen die Aufgabe beim Gipfel, das deutlich zu machen. Wenn der Westen, wenn Europa diese Wertegemeinschaft ist, dann sind die Toten im Mittelmeer die größte Verletzung des europäischen Wertekanons seit der Gründung. So können wir unsere Seele verlieren. Das müssen wir verhindern. Tun Sie jetzt etwas, das ehrlich ist, das anhält und nicht wieder nach ein paar Monaten vergessen ist, wenn die Katastrophen von den ersten Seiten der Zeitungen verschwunden sind. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katrin Göring-Eckardt. - Nächste Rednerin in der Debatte: Andrea Lindholz für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa und jeder einzelne von uns ist schockiert von den Katastrophen auf dem Mittelmeer, die in wenigen Tagen über 1 000 Menschenleben gefordert haben. Die Bilder, die uns erreichen, lösen Trauer und Entsetzen aus. Diesen Schock gab es auch am 3. Oktober 2013, als bei Lampedusa rund 370 Menschen starben. Damals war sich Europa einig: So etwas darf sich nicht wiederholen. Diesen Anspruch hat Europa nicht erfüllt. In meiner Rede Ende Oktober 2014 habe ich darauf hingewiesen, dass die Frontex-Mission Triton möglicherweise nicht unsere humanitären Ansprüche erfüllen wird und Europa nachsteuern muss. Ja, mit Triton wurden 11 400 Menschen gerettet; aber die neue Katastrophe zeigt auch, dass das nicht ausreicht. Wir brauchen kurzfristig eine erweiterte strategische Rettungsmission. Europa muss zeigen, dass es handlungsfähig ist und zu seinen humanitären Werten steht. Eine Rettungsmission macht aber nur Sinn, wenn sie in eine breitere Strategie eingebettet ist. Wir sollten uns auch keine Illusion darüber machen: Eine Rettungsmission bietet niemals absoluten Schutz. Die Mission Mare Nostrum konnte zwar viele Menschen retten; trotzdem starben auch in dieser Zeit rund 3 500 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Und jeder Tote - da sind wir uns einig ist ein Toter zu viel. Die gewaltige Fläche des Mittelmeeres lässt sich nicht komplett überwachen. Eine dauerhafte Lösung wird daher nicht auf dem Wasser, sondern nur an Land zu finden sein. Der Bundesinnenminister hat recht: Wir werden keine einfachen und auch keine schnellen Lösungen finden. Wir brauchen eine Vielzahl an Maßnahmen. Auch der aktuelle Zehn-Punkte-Plan der EU-Kommission kann ein Ende der Katastrophen nicht garantieren. Solange Menschen die Überfahrt wagen, wird immer auch ein Risiko bleiben. Wir diskutieren Flüchtlingszentren in Transitstaaten. Sie könnten ein Teil der Lösung sein, auch wenn die instabile Lage zum Beispiel in Libyen die Einrichtung erschwert. Doch auch in den anderen Krisenstaaten betreiben wir mit der UNO solche Zentren. Europa muss in den Transitländern vor den Gefahren der Überfahrt warnen und aufklären. Zur Wahrheit gehört auch, dass nicht jede Überfahrt über das Mittelmeer, die zu einer Einreise nach Europa führt, auch einen Asylanspruch garantiert. Nur wenn wir die Menschen von der Überfahrt abhalten, wird auch das Sterben aufhören. Ein europäisches Programm zur Neuansiedlung von besonders Schutzbedürftigen wäre ein weiterer Ansatz. Doch selbst wenn es jetzt europaweit noch mehr Aufnahmebereitschaft geben sollte - was zu begrüßen wäre -, müssten wir uns darüber im Klaren sein, dass solche Programme angesichts von weltweit über 50 Millionen Flüchtlingen niemals eine substanzielle Lösung darstellen können. Wir werden niemals alle Menschen bei uns aufnehmen können. Gerade deswegen ist auch der Kampf gegen Schleuser von zentraler Bedeutung. Menschenschmuggel ist heute eine der lukrativsten Einnahmequellen der organisierten Kriminalität. In den instabilen Transitländern fehlen zuverlässige Partner für die Strafverfolgung. Daher sind als Option auch Militäreinsätze gegen Schleuser und die Zerstörung der Schiffe zu prüfen. Letztendlich muss der Markt ausgetrocknet werden; denn erst wenn klar ist, dass sich die Überfahrt nicht lohnt, wird auch das tödliche Milliardengeschäft mit der Verzweiflung der Menschen aufhören. ({0}) Wir müssen langfristig die Herkunfts- und Transitländer durch effektiveren Einsatz der europäischen Entwicklungshilfe stabilisieren. Die EU-Staaten zusammen leisten über die Hälfte der weltweit gezahlten Entwicklungshilfe. Über die EU müssen wir diese Mittel verstärkt koordinieren und mit innen- und außenpolitischen Zielen verknüpfen. Europa muss sich, seine Mittel und seine Ziele vielleicht neu überdenken. Wir leben in diesen Zeiten eben anders und müssen schauen, wofür wir diese Gelder verwenden. Ich finde es unerträglich, wenn Herr Gysi die Bundesregierung für das Elend der Welt verantwortlich macht. ({1}) Auch der Vorwurf, unsere Flüchtlingspolitik sei verantwortungslos, ist haltlos. ({2}) Deutschland setzt in der Flüchtlingspolitik in Europa und weltweit Maßstäbe. ({3}) Das bestätigt uns der UN-Flüchtlingskommissar. Jeder dritte Asylbewerber in Europa wird in Deutschland registriert und versorgt. Wir haben alles andere als eine Abschottungspolitik betrieben. Wir müssen den Menschen in unserem Land, den Kommunen und den vielen ehrenamtlichen Helfern für die großartige Leistung danken, die sie derzeit erbringen, um den Flüchtlingsstrom bei uns zu bewältigen. ({4}) Wir sind auch weiterhin gefordert, eine verantwortungsvolle Asylpolitik zu betreiben, eine Asylpolitik, die darauf ausgerichtet ist, an die Solidarität in unserem Land zu appellieren und diese zu erhalten. Auch das ist ein Teil der Wahrheit unserer Asylpolitik. Niemand in Europa sollte die Tragödien auf dem Mittelmeer missbrauchen, um politisches Kapital daraus zu schlagen. ({5}) Europa hat die humanitäre Pflicht, zu helfen. Europa kann solche Katastrophen dauerhaft aber nur gemeinsam und zusammen mit den Herkunftsstaaten verhindern. Und: Die Ursachen für diese Katastrophen können nur in Afrika und im Nahen Osten und nicht bei uns behoben werden. Wir warten seit Jahren auf eine kohärente Strategie der EU. Der aktuelle Zehn-Punkte-Plan der Kommission ist ein weiterer Schritt, genauso wie die für Mai erwartete Migrationsstrategie. Europa muss konsequent, zügig und auch solidarisch handeln. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. - Nächste Rednerin in dieser Debatte: Ulla Jelpke für die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat in den letzten Jahren in der Tat immer wieder große Flüchtlingstragödien im Mittelmeer gegeben. Aber war das Anlass für eine Umkehr in der EU-Flüchtlingspolitik? Leider nein. Man erschreckt sich kurz, verspricht sehr viel, und dann geht alles weiter wie bisher. Ich finde, das muss jetzt endlich ein Ende haben. ({0}) Ehrlich gesagt: Flüchtlings- und Hilfsorganisationen sind es leid, die ewigen Betroffenheitsfloskeln der EUInnenminister zu hören. Auch Sie, Herr Minister de Maizière, haben es vor einer Woche noch abgelehnt, Mare Nostrum überhaupt zu akzeptieren, und haben es als Beihilfe für Schlepperunwesen diffamiert. Ist Ihnen eigentlich klar, wie beschämend es ist, dass die EU im vorigen Jahr diese humanitäre Rettungsaktion eingestellt hat, weil nicht genug Geld dafür da war? Die EU hat damit den Tod von Hunderten von Flüchtlingen in Kauf genommen. Am Tod der 900 Menschen, die vor wenigen Tagen ertrunken sind, tragen Sie eine Mitschuld, genau wie alle anderen Innenminister, die legale Zugangswege in die Europäische Union bisher verhindert haben. ({1}) Was tut not? Es muss ein radikaler Wechsel in der Flüchtlingspolitik her. Flüchtlinge, die in Europa Asyl beantragen wollen, brauchen gefahrlose Möglichkeiten der Einreise. Doch was macht die EU? Sie rüstet sich regelrecht für einen Krieg. Man sollte sich - so steht es im Zehn-Punkte-Programm der EU - von der Militärmis9454 sion vor Somalia zu ähnlichen Operationen gegen Schleuser im Mittelmeer inspirieren lassen. In Zukunft sollen also Flüchtlingsboote schon an der afrikanischen Küste zerstört werden. Wie das gehen soll? Keine Ahnung. Ich sage Ihnen: Das wird ein Krieg gegen Flüchtlinge werden, der das Elend weiter verschlimmern wird. ({2}) Die Linke fordert stattdessen: Schicken Sie nicht Kriegsschiffe, sondern Fähren nach Nordafrika, die asylsuchende Flüchtlinge nach Europa bringen können. Hier können sie dann Asylanträge stellen, ohne dass ein Mensch sterben muss. Die Schleuser werden so dargestellt, als wenn sie allein schuld sind an der Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa wollen, und den Schiffskatastrophen, ganz nach dem Motto: Haltet den Dieb! Natürlich gibt es Fluchthelfer und Schleuser, die kriminell sind und die Flüchtlinge schwer ausbeuten. Aber die EU macht das Geschäft für die Schleuser doch erst möglich. Wenn man ihnen wirklich die Geschäftsgrundlage nehmen will, dann muss man Wege eröffnen, damit Flüchtlinge nach Europa kommen können. Das bedeutet zum Beispiel, eine Visapolitik einzuführen oder andere Möglichkeiten für legale Wege nach Europa zu suchen. ({3}) Die Debatte klingt immer wieder an: Fluchtursachen müssen bekämpft werden. - Wie werden sie denn wirklich bekämpft? Dazu würde es zum Beispiel gehören, eine gerechte Wirtschafts- und Handelsordnung gerade auch in Nordafrika einzuführen und damit aufzuhören, subventionierte Nahrungsmittel nach Afrika zu schicken und so die heimischen Märkte dort zu zerstören. ({4}) Das Leerfischen der afrikanischen Küstengewässer durch EU-Fangflotten einzustellen, damit die Menschen dort eine Lebensgrundlage haben, wäre ein weiterer wirklicher Beitrag im Kampf gegen Fluchtursachen. Das würde den Flüchtlingen eine Perspektive in ihren Ländern geben können. ({5}) Begreifen Sie bitte: Die Abschottung funktioniert nicht, sie macht die Überfahrten über das Mittelmeer nur gefährlicher und treibt die Zahl der Todesopfer hoch. Deshalb fordert die Linke ganz klar - übrigens auch die Flüchtlingsorganisationen -: Eine Rettungsoperation wie Mare Nostrum muss wieder her. ({6}) Und: Flüchtlinge müssen in weitaus größerem Umfang hier aufgenommen werden. Für Menschen in Not müssen legale und gefahrlose Fluchtwege geschaffen werden, sonst wird die Tragödie in einigen Monaten hier erneut Thema sein. Ich danke Ihnen. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Ulla Jelpke. - Nächster Redner in der Debatte: Dr. Lars Castellucci für die SPD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein unendlich trauriger Anlass, der uns heute hier versammelt. Erneut und sehr erwartbar sind wieder Tausende Menschen im Mittelmeer ertrunken. Sie haben ein besseres Leben gesucht, sie haben den Tod gefunden. Europa hat dabei nicht einmal zugesehen. Europa hat weggeschaut. Die Zahlen im Haushalt der EU sprechen eine klare Sprache: Wir schützen unsere Grenzen besser als die Menschen. Das ist nicht mein Europa. Mein Europa bedeutet: Leben. ({0}) In den vergangenen Tagen waren die Medien voll von Appellen, an dieser Situation etwas zu verändern. Viele haben sich gefragt, und ich habe mich das manchmal auch gefragt: An wen richten sich diese Appelle eigentlich? Die Antwort lautet: Meist an andere. Ich frage mich: Wie steht es um unsere Verantwortung? Natürlich, wir zetteln keine Kriege an, wir sind keine Schleuser, wir nehmen unglaublich viele Flüchtlinge auf, wir muten unserer Bevölkerung einiges zu, unser Engagement für Verständigung in der Welt ist verbunden mit dem Namen unseres Außenministers, und es ist beispielhaft. Ja, wir übernehmen viel Verantwortung, aber so empfinde ich es: Vor Lampedusa haben wir versagt. Verantwortung heißt, dass man tut, was man kann. Was das Mittelmeer angeht, kann ich nicht sehen, dass wir alles getan hätten, was wir hätten tun können, obwohl uns der Papst dazu aufgefordert hat, obwohl uns das Europäische Parlament dazu aufgefordert hat, obwohl es eigentlich überhaupt keiner Aufforderung bedarf außer der des Herzens und des Rechts, einfach das zu tun, was die Not verlangt. Die Toten im Mittelmeer sind auch meine Toten. Ich fühle mich mitverantwortlich, und ich verneige mich vor ihnen. Herr Innenminister, ich habe Sie Anfang März angeschrieben. Ich zitiere aus dem Schreiben: Wenn das Frühjahr kommt, werden Frontex und die italienische Mission vor Libyen nicht ausreichen, weiteres Massensterben zu verhindern. - Ich habe dann auch etwas über Mare Nostrum geschrieben. Nun ist es so gekommen. Recht zu behalten, macht niemanden lebendig. Und es ist klar: Wir wissen gar nicht, ob diese Katastrophe überhaupt hätte verhindert werden können. Natürlich ist es keine Lösung für die Flüchtlingsproblematik, die Menschen aus dem Meer zu fischen. Alles, was gesagt wurde, ist ja richtig: Wir müssen die SchleuDr. Lars Castellucci ser bekämpfen, die Fluchtursachen beachten, den Menschen andere Wege bieten, über das Meer zu kommen. Wir brauchen eine Flüchtlingspolitik in Europa, die von Humanität und Solidarität getragen ist, weil das unseren Kontinent ausmacht. ({1}) Wir können nicht auf ein Gesamtkonzept warten, sondern müssen handeln, wenn Handeln verlangt ist. Vielleicht ist es ein Handeln, das nicht hundertprozentig richtig ist, aber eines, das Leben schützt; das ist unsere erste Aufgabe. ({2}) Der Respekt vor dem Leben jedes Einzelnen ist das Fundament Europas. Deswegen erwarte ich, Herr Innenminister, dass beim morgigen Krisengipfel eine Seenotrettung verabredet wird, die der aktuellen Lage angemessen ist. Wie auch immer die Lösung aussieht: Sie muss der aktuellen Lage angemessen sein - nicht mehr und nicht weniger. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein trauriger Anlass, der uns heute hier versammelt. Aber es kann auch ein Wendepunkt sein; das sind Krisen öfters. Was wir dieser Tage hören, klingt danach. Lassen wir diesen Worten nun Taten folgen! ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Dr. Castellucci. - Nächste Rednerin in der Debatte: Luise Amtsberg für Bündnis 90/Die Grünen.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister, es ist etwa ein halbes Jahr her, da haben Sie das Ende der Seenotrettungsoperation Mare Nostrum mit den Worten begleitet, dass das, was „als Nothilfe gedacht war“, sich „als Brücke nach Europa erwiesen“ habe. Die Bundesregierung hat Italien damals klargemacht, dass diese Brücke in die Europäische Union für Schutzsuchende nicht gewünscht ist und geschlossen werden muss. Ja, Herr de Maizière, Mare Nostrum war eine Brücke, eine, die vor Ertrinken gerettet hat. Deswegen war Mare Nostrum ein Menschenrechtsprojekt, das bis heute seinesgleichen sucht. ({0}) Auch in dieser Legislatur haben wir, die Opposition, die entsprechenden Themen immer wieder gemeinsam auf die Tagesordnung gehoben. Wir haben gemeinsam parlamentarische Reisen an die Grenzen und in die Krisenregionen gemacht, haben hier und vor Ort mit Flüchtlingen gesprochen, haben Frontex angehört und Grenzzäune gesehen. Dennoch sind wir seit Lampedusa über das parlamentarische Bedauern nie hinausgekommen. Herr Innenminister, Sie sagen, die Debatte war leidenschaftlich; Sie haben sie auch als ideologisch kritisiert. Ich frage mich wirklich: Wen wundert es eigentlich? Gerade eben haben Sie noch gesagt, Triton ersetze Mare Nostrum und könne vom finanziellen Aufwand her, aber auch logistisch mithalten. Triton patrouilliert aber nur innerhalb der 30-Meilen-Zone, mit acht Booten und zwei Flugzeugen. Deutschland unterstützt das Ganze mit einem Rettungshubschrauber, der noch nicht einmal angekommen ist. Wir können doch nicht ernsthaft sagen, dass das gleichzusetzen ist. ({1}) Ich sage auch ganz deutlich: Es geht einfach nicht, immer wieder das Argument vorzutragen - eine verquere Sicht -, dass die Seenotrettung einen Anreiz darstellt, aber das Fehlen legaler Einreisewege nicht als Teil des Problems zu betrachten. ({2}) Die Menschen, die fliehen, die fliehen müssen, würden bestimmt lieber auf sicherem Wege nach Europa kommen; sie suchen es sich nicht aus, so zu kommen. Wenn es legale Wege in die EU gibt, steigen Flüchtlinge nicht in seeuntaugliche Boote. Wenn sie nicht mehr in seeuntaugliche Boote steigen, haben die Schlepper keine Geschäftsgrundlage mehr. Wenn Sie mir so weit folgen können, dann wissen Sie eigentlich auch, was der nächste Schritt sein muss: die Schaffung legaler Zugangswege. ({3}) Wenn Sie das nicht überzeugt, dann sei an dieser Stelle vielleicht darauf hingewiesen, dass der überwiegende Teil der Schutzsuchenden, die zu uns kommen, aus Herkunftsländern mit einer sehr hohen Asylanerkennungsquote stammen: 80 Prozent der Syrer, 60 Prozent der Eritreer werden als Asylberechtigte anerkannt. Schon allein deshalb sind wir zur Hilfe verpflichtet und müssen ihnen diese Wege aufzeigen. Aber genau das wurde in dem am Montag vorgestellten Zehn-PunktePlan bedauerlicherweise vergessen: Kein einziges Wort über legale Zugangswege. ({4}) Ich sage das, weil das Rad nicht neu erfunden werden muss. Legale Einreisewege gibt es bereits zuhauf. Morgen beraten wir einen Antrag der Grünen zur weiteren Aufstockung des Syrien-Kontingentes. Das ist ein legaler Weg. Wir wollen mehr Personal in den Botschaften, damit Familienzusammenführungen verbessert werden. Auch das ist ein legaler Weg der Zuwanderung. Außerdem wollen wir ein höheres Resettlement-Kontingent. Auch das ist ein legaler Weg, der - das stimmt - in dem Zehn-Punkte-Programm erwähnt worden ist. Aber wie kann es sein, dass sich die gesamte EU auf die Aufnahme von gerade einmal 5 000 Resettlement-Flüchtlingen verständigt? ({5}) Hier wäre ein Machtwort unserer Bundeskanzlerin in Richtung der anderen Mitgliedstaaten gefragt. Ich hoffe, dass das morgen in Brüssel passieren wird. Ein weiteres bedauerliches Ergebnis ist, dass Triton mehr Geld bekommen soll. Wer glaubt, dass das der Seenotrettung dient, der ist echt auf dem Holzweg; denn Triton ist eine Mission von Frontex, unserer Grenzschutzagentur. Die EU-Außenbeauftragte Mogherini hat gesagt, dass es nicht primäres Ziel dieser Mission sei, Menschenleben zu retten. Was wir wollen, ist eine zivile Seenotrettung, eine Mission, die ganz klar nur dieses Mandat hat. ({6}) Eine Sache vielleicht noch, weil diese Debatte natürlich nicht ohne das Schlagwort „Fluchtursachen bekämpfen“ auskommt. Ich finde das auch richtig. Unser Anspruch muss sein, die Situation vor Ort - da, wo es uns möglich ist - zu ändern. Wir müssen darüber beraten, wie wir eine Verbesserung der Situation in den Transitstaaten erreichen können. Aber das sind natürlich Maßnahmen, die in weiter Ferne liegen. Deshalb sage ich: Eine Debatte über Aufnahmezentren und die Externalisierung der Asylverfahren stellt sich derzeit überhaupt nicht, weil die Sicherheitslage beispielsweise in Libyen das nicht zulässt. Ich möchte daran erinnern: Es gab vor kurzem eine EU-Mission, bei der es darum ging, Libyen bei der Sicherung seiner Grenzen zu unterstützen; die Europa- und Außenpolitiker werden sie kennen: EUBAM. Sie kann derzeit aber nicht mehr operieren, weil die Sicherheitslage vor Ort derart dramatisch ist. Mittlerweile soll sie irgendwo in Tunesien tätig sein, aber eigentlich arbeitet sie gar nicht mehr. Zu den Herkunftsländern. Wir haben im Rahmen einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung zu Eritrea befragt: Was heißt es eigentlich, die Lage vor Ort zu verbessern? Wissen Sie, was das Auswärtige Amt uns auf diese Frage geantwortet hat? Die Bekämpfung der Fluchtursachen liege primär in Eritreas Verantwortung. So macht man keine Flüchtlingspolitik, und so wird man die Situation vor Ort auch nicht ändern. Herzlichen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Luise Amtsberg. - Nächste Rednerin in der Debatte: Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die dramatischen Flüchtlingstragödien im Mittelmeer machen jeden beklommen, der ein Herz im Leibe hat. Der Untergang von fast Tausend Menschen auf einem Seelenverkäufer ist nur ein Teil davon. Wie viele Menschen auf dem Grunde des Mittelmeers liegen, wissen wir alle nicht. Auch viele kleine Schiffe sind untergegangen, von denen wir nie erfahren haben. Eines wird deutlich: Wir brauchen mehr Hilfe im Mittelmeer. Aber - und das wurde auch schon gesagt - das alleine reicht bei weitem nicht aus; denn das ist nur eine Bekämpfung der Symptome, und keine Krankheit kann man nur durch die Bekämpfung der Symptome heilen. Wir müssen versuchen, an die Wurzeln zu gehen. ({0}) Es ist unabdingbar, die Ursachen für diese gigantischen und atemberaubenden Flüchtlingsbewegungen zu beseitigen. Kein Land, auch Europa nicht, kann diese gewaltigen Flüchtlingsströme alleine bewältigen; da machen wir uns nichts vor. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht hilfreich, in erster Linie immer die Europäische Union für die humanitäre Situation der Flüchtlinge verantwortlich zu machen. Wir in Europa helfen, und Deutschland hilft mehr als jedes andere europäische Land. Verantwortlich sind vor allem die Gewalt, das Chaos und die Perspektivlosigkeit in den jeweiligen Herkunftsländern, vor denen sich die Menschen in das stabile und für sie sehr verheißungsvolle Europa retten wollen. Ein europäisches Gesamtkonzept zur Rettung, zur Aufnahme und auch zu einer fairen Verteilung der hier in Europa angelangten Flüchtlinge ist längst überfällig. ({1}) Ich bin froh, dass es jetzt Konferenzen dazu gibt. Vielleicht denken jetzt auch andere EU-Mitgliedsländer einmal darüber nach, wie sie Hilfe geben können, damit nicht länger zehn EU-Länder das alleine zu schultern versuchen. Es geht alle in der Europäischen Union an. Es muss eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge auf alle 28 EU-Mitgliedstaaten geben. ({2}) Weil Syrien angesprochen wurde: Deutschland nimmt die allermeisten syrischen Flüchtlinge auf, und zwar auch auf Basis legaler Kontingente. Das haben wir sehr früh auf den Weg gebracht. Europa steht aber auch in der Verantwortung, seinem humanitären Selbstverständnis gerecht zu werden und seine trotz unseres Wohlstands begrenzten Ressourcen und Kapazitäten am Ende klug einzusetzen. Manches, was ich hier gehört habe, klingt nach einer völlig ungesteuerten Zuwanderung durch offene Grenzen; mancher fordert das fast. Damit wären die Europäische Union und die Länder der Europäischen Union aber absolut überfordert, die Akzeptanz bei unseren Bürgern würde schwinden, und das würde Hilfe absolut unmöglich machen. ({3}) Dringend erforderlich und unverzichtbar ist eine umgehende und konsequente Bekämpfung der skrupellosen und kriminellen Schlepperbanden und Menschenhändler. Wir müssen alles daransetzen, diesen Schleuserbanden, denen ein Menschenleben gar nichts bedeutet - sie wollen Geld haben und sonst überhaupt nichts -, das Handwerk zu legen, und zwar mit allen Möglichkeiten. ({4}) Der Vorschlag der EU-Kommission, aus den Erfahrungen mit der Pirateriebekämpfung zu lernen und systematisch nach Schiffen der Menschenhändler zu suchen und diese nach Bergung der Flüchtlinge zu zerstören, ist sicherlich eine Facette eines ganzen Tableaus. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das, was wir heute sehen, ist nur ein Vorbote dessen, was noch zu erwarten ist. Weltweit sind mehr als 50 Millionen Menschen auf der Flucht, und ein erheblicher Teil davon vor den Toren Europas. Wenn die Staatengemeinschaft unfähig bleibt, Krieg und Elend einzudämmen, wird das auch Europa destabilisieren. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Den Vorschlag von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, ein EU-Sofortprogramm für die Finanzierung eines Wirtschafts- und Stabilisierungsprogramms in den Fluchtländern ins Leben zu rufen, halte ich für einen wichtigen Ansatz, um Fluchtursachen zu minimieren. Seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützen wir ausdrücklich diesen Weg. ({5}) Wir müssen gemeinsam mit anderen dringend vor Ort die Fluchtursachen bekämpfen. Dazu brauchen wir nicht nur eine gemeinsame europäische Strategie mit einer besseren Verzahnung der Außen-, der Innen- und der Entwicklungspolitik in und zwischen den EU-Mitgliedstaaten, sondern auch ganz elementar die Stabilisierung der Herkunfts- und Transitländer; denn dort liegen die Ursachen für all das Elend, das die Menschen auf den Weg, auf die Flucht schickt. Das ist längst überfällig. Insbesondere die Länder der Afrikanischen Union und die wohlhabenden Golfstaaten sind gefordert, sich deutlich stärker als bisher zu engagieren. Sie sind gefordert, mit Engagement die Probleme ihres eigenen Kontinents anzugehen. Wir wollen gerne dabei helfen, aber dort liegt die Wurzel des Übels, das die Menschen dazu bringt, sich auf die Reise zu begeben. Wir wollen den Menschen helfen. Das heißt, wir müssen die Ursachen angehen und so unterstützend wirken. Danke schön. ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Rüdiger Veit, SPD. ({0})

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Der tragische, der sehr traurige Anlass für diese Debatte hat im Ton dieser Debatte Gott sei Dank seinen Niederschlag gefunden. Darüber bin ich froh. Ich war mir nicht ganz sicher, ob das so kommt. Nur an einer Stelle kam es zu einer Personalisierung, die ich gerne weggeräumt hätte. In aller freundschaftlichen und kollegialen Verbundenheit zu Ulla Jelpke möchte ich nicht stehen lassen, dass es eine persönliche Verantwortung des amtierenden Bundesinnenministers für die tragischen Ereignisse, die uns hier zusammengeführt haben, gibt. Diese Personalisierung ist nicht angemessen. ({0}) Im Übrigen bin ich über den Zehn-Punkte-Plan froh. Aber ich sage auch ausdrücklich - die Mitverursacher werden das vielleicht gar nicht anders sehen -: Das reicht nicht. Wenn für uns klar ist, dass wir eine umfassendere Seenotrettung im Mittelmeer bis weit unter die libysche Küste brauchen, um die Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren, dann mutet es mich aus europäischer Sicht ein bisschen kleinkrämerisch an, wenn dafür nun statt 3 Millionen vielleicht 6 Millionen Euro im Monat zur Verfügung gestellt werden, während wir vorher über ein Jahr lang erwartet haben, dass Italien 9 Millionen Euro pro Monat für sein Engagement aufwendet. Ich denke, hier muss deutlich mehr passieren. Das wäre auch meine Erwartung an den Gipfel, der morgen stattfindet. Das würde ich mir sehr wünschen. ({1}) Um auch das gleich abzuräumen: Die Logik und die Argumentation, weil die Operation Mare Nostrum so viele Menschen vor Seenot gerettet hat, hätte sie einen starken Pull-Effekt gehabt und dazu geführt, dass sich mehr Flüchtlinge auf den Weg gemacht haben, können nicht wahr sein. Wenn diese Betrachtungsweise richtig wäre, müsste man den Maßstab einmal umdrehen und sagen: Gäbe es keine Seenotrettung, wäre die Gefahr für die Menschen, ums Leben zu kommen, so groß und der Abschreckungseffekt entsprechend stark, sodass dann vielleicht keine mehr kommen. Diese Argumentation dürfen wir uns bitte schön weder in die eine noch in die andere Richtung zu eigen machen. ({2}) Ich warne auch davor, die ganze Betrachtung auf das verbrecherische Schleuserunwesen zu konzentrieren. Denn ich glaube nicht, dass eine Vielzahl von Schleusern dazu führt, dass es viele Flüchtlinge gibt. Vielmehr glaube ich, dass es viele und immer mehr Schleuser gibt, weil es viele Flüchtlinge gibt. ({3}) Wir müssen uns auch vor der Einschätzung hüten, es könnte heute gelingen, eine Wüste und vielleicht auch das Mittelmeer auf eigene Faust, ohne Unterstützung, ohne Organisation und ohne Schleuser zu durchqueren. Das ist per definitionem eigentlich gar nicht denkbar. Insofern sage ich noch einmal: Wir dürfen nicht glauben, dass wir, wenn wir das eine Problem wirksam bekämpft haben, wir das andere Problem los sind. Der Leidensdruck der Menschen, die sich auf den Weg nach Europa machen, ist so groß, dass sie sich, egal wer sich um die Frage des Transports und der Organisation kümmert, weiterhin auf den Weg machen werden. Die Ursachen, die wir in der Tat alle bekämpfen wollen, sind bereits benannt worden. Ich will jetzt mit Blick auf den Gipfel, der stattfindet, an die Bundesregierung und namentlich auch an die Bundeskanzlerin drei Bitten äußern. Ich sage wirklich ohne jeden falschen Unterton: Sie wird ja aus der Sicht mancher hier im Hause zu Recht als eine der mächtigsten Frauen nicht nur in Europa, sondern auch in der Welt eingeschätzt. Deswegen bitte ich, dass sie mit allem Druck und der Durchsetzungskraft, die ihr eigen sein kann, jetzt an dieser Stelle beharrlich ist, dass sie Folgendes bitte umsetzt und nicht nur mit den Kolleginnen und Kollegen darüber redet. Der erste Punkt ist eine angemessene Verteilung von Flüchtlingen in ganz Europa. ({4}) Das heißt nicht automatisch, dass wir in Deutschland mehr aufnehmen müssten, im Gegenteil: nach Maßgabe der letzten Zahlen sogar etwas weniger. ({5}) - Je nachdem - in der Tat -, je nach der Betrachtung. - Aber ich weise darauf hin - ich bitte, jetzt mit ein paar Sekunden Redezeit ein bisschen großzügig zu sein -: Es gibt eine kleine Schwachstelle in der Argumentation. Solange Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten nicht in dieser Weise betroffen war, haben alle Bundesregierungen und Innenminister, egal welcher Couleur, immer gesagt: Wir können mit Dublin eigentlich ganz hervorragend leben. Ich sage einmal: Solange es uns nicht in diesem Maße betrifft, ist es für uns vielleicht ein weniger großes Problem, wenn die Mittelmeeranrainerstaaten mit einer großen Anzahl von Flüchtlingen belastet sind. Das ist auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Aber trotzdem müssen wir energisch und intensiv in diese Richtung weiter handeln. Das wäre meine Bitte zu Punkt eins. Zu Punkt zwei: Resettlement, legale Möglichkeiten für Flüchtlinge, zu uns zu kommen. Die Zahl ist schon genannt worden: 2013 gab es ein Resettlement-Programm in ganz Europa im Umfang von etwas über 5 000 Menschen. In der gleichen Zeit kamen über 400 000 Flüchtlinge nach Europa. Über 400 000! Man betrachte einmal diese Relation. Oder - noch eine andere Zahl zum Vergleich -: Im Libanon gibt es bei etwas über 4 Millionen Einwohnern 1,5 Millionen Flüchtlinge. Rechnen Sie das einmal auf Deutschland um! Das wären 27 Millionen Flüchtlinge in Deutschland - 27 Millionen! -, wobei wir noch ganz andere Voraussetzungen haben. Das heißt, es ist schändlich, wenn sich Europa seiner Verantwortung hier nicht stellt und nicht zu ganz anderen Zahlen und Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen, die nun wirklich schutzbedürftig sind, kommt. Auch da würde ich Sie, Frau Bundeskanzlerin, bitten, sich nachdrücklich einzusetzen und Druck zu machen, damit man nicht nur darüber redet, sondern auch zu einem Ergebnis kommt. ({6}) Dritte und letzte Bemerkung. Ich bin ein kleines bisschen skeptisch, wenn es um Aufnahmezentren, Internierungslager und Beratungsmöglichkeiten im Vorfeld geht. Ich stelle klar: Alles, was hilft, zu verhindern, dass sich Menschen unter Lebensgefahr über das Mittelmeer auf den Weg machen müssen, ist eine gute Idee. Aber ob all das funktionieren kann, weiß ich nicht. ({7}) Solche Überlegungen hat auch schon Ihr Amtsvorvorvorgänger, Otto Schily, mit seinen europäischen Kollegen angestellt. Wir haben es damals nicht zu einem Ergebnis gebracht. Ich halte das auch heute für höchst problematisch. Auch bin ich mir über die Größenordnung solcher Einrichtungen in Transitländern oder Herkunftsländern überhaupt nicht im Klaren. Das gilt auch im Hinblick auf die Probleme und die Frage: Wer betreut die Menschen da eigentlich? Aber ich bitte Sie, auf europäischer Ebene zu überlegen - auch das ist eine Bitte an Sie -, ob nicht die unmittelbare Vergabe von Schutzvisa durch die Botschaften und Konsulate der bessere Weg wäre, um die Menschen in zuverlässiger Art und Weise zielgerichtet zu beraten und vielleicht zu ermöglichen, dass einige der ganz besonders Schutzbedürftigen auf legalem und ungefährlichem Wege nach Europa und somit auch nach Deutschland kommen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar und ich wäre sehr froh, wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin - nachdem schon Frank-Walter Steinmeier und Thomas de Maizière versprochen haben, sich dafür einzusetzen -, uns in der nächsten Sitzungswoche über gute Ergebnisse unterrichten könnten. Gutes Gelingen! ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich, CDU/CSU. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in dieser Debatte ist deutlich geworden, dass sich alle in diesem Haus im Ziel einig sind: Das Sterben im Mittelmeer muss beendet werden. Wir haben in dieser Debatte allerdings, glaube ich, gemerkt, dass es durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie wir dieses Ziel erreichen. Liebe Frau Göring-Eckardt, ich finde es unangemessen, dass Sie hier Schuldzuweisungen vornehmen ({0}) und versuchen, aus dieser ernsten Lage politisches Kapital zu schlagen. ({1}) Ich will Kommissar Avramopoulos zitieren, der am Montag zu Recht gesagt hat: Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern es geht jetzt darum, Verantwortung für die Zukunft zu tragen. ({2}) Darum geht es. Um diese Verantwortung ringen wir gemeinsam. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesinnenminister hat zu Recht gesagt: Wir müssen zwischen den Flüchtlingen differenzieren. - Wir sollten uns um eine differenzierte Debatte in diesem Land bemühen. Ich beginne mit den Syrern. Wir haben bei den Syrern eine Anerkennungsquote, die sich in Richtung 100 Prozent bewegt. Das heißt also, es ist anerkannt, dass die Syrer nach unseren gesetzlichen Vorschriften in Europa den Anspruch und das Recht auf Anerkennung als Flüchtlinge haben. ({4}) Aber es ist ihnen natürlich nicht zuzumuten, dass sie zunächst einmal unter Lebensgefahr nach Europa kommen müssen, um dieses Recht überhaupt in Anspruch nehmen zu können. ({5}) Deswegen will ich das, was der Bundesinnenminister hier gesagt hat, ausdrücklich unterstützen: Wir müssen Anlaufstellen auch außerhalb Europas schaffen, um eine Prüfung vornehmen zu können. Aber hier ist ein europäischer Konsens erforderlich; denn es muss dann natürlich entschieden werden, wie diese Flüchtlinge in Europa verteilt werden. Ich möchte darauf hinweisen, dass es in Deutschland schon vor zweieinhalb Jahren ein Programm zur Aufnahme von 10 000 Syrern gab, in der Hoffnung, es möge Vorbild für andere europäische Länder sein. Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt. ({6}) Ich glaube, das muss jetzt anders werden. Angesichts der Toten im Mittelmeer muss Europa in seiner Gesamtheit Verantwortung übernehmen. ({7}) Aber auch da gilt: Wir können nicht alle Syrer in Europa aufnehmen, sondern auch andere Länder sind gefordert. Ich möchte das sehr vorbildliche Verhalten der Türkei erwähnen, die Flüchtlinge sowohl dezentral als auch zentral unterbringt. Aber auch die arabische Welt ist gefordert, sich dieses Themas anzunehmen. Thema Afrika: Es ist heute schon richtig gesagt worden: Die Probleme Afrikas können nur in Afrika und nicht auf europäischem Boden gelöst werden. Deswegen ist es wichtig - Gerd Müller ist zu Recht für seine Aktivitäten in Afrika gelobt worden -, die Lebensbedingungen der Menschen dort zu verbessern. Aber es muss auch darum gehen, Fluchtalternativen innerhalb Afrikas zu schaffen. Das ist eine außenpolitische Aufgabe. Man muss mit den Regierungen Afrikas verhandeln, dass sie auch bereit sind, Flüchtlingslager auf ihrem Boden zu akzeptieren. Hier kann die Europäische Union beweisen, dass sie auch außenpolitisch handlungsfähig ist. Es geht also darum, nicht immer nur die Einrichtung diplomatischer Stellen zu fordern, sondern auch Erfolge vorzuweisen. Das wünschen wir uns sehr. Wir müssen den Kampf gegen Schleuser verstärken, und es wäre sehr gut, wenn wir uns einig wären, dass das nicht gute Fluchthelfer, sondern Verbrecherorganisationen sind, für die das Leben der Menschen nichts wert ist. Deswegen müssen sie auch mit der uns zur Verfügung stehenden Härte bekämpft werden. Meine Damen und Herren, es muss nach Afrika, an die dortige Bevölkerung, die klare Botschaft ausgesendet werden, dass die Menschen nicht alle nach Europa kommen können. Diese Botschaft darf nicht erst in Nordafrika überbracht, sondern muss auch in Zentralafrika über die Regierungen transportiert werden. Der Bundesinnenminister hat zu Recht gesagt: Auch diese Länder haben kein Interesse daran, dass ihre Eliten, dass die kräftigsten und stärksten jungen Männer nach Europa gehen. Sie werden in ihren Ländern gebraucht. Ich glaube, dass es hier eine Zusammenarbeit mit den Regierungen geben kann und geben muss. Was sind unsere Erwartungen an die Europäische Union und an die Mitgliedstaaten der Europäischen Dr. Hans-Peter Friedrich ({8}) Union? Wir reden immer von Subsidiarität und meinen mit Subsidiarität, die EU-Kommission und die Institutionen sollen sich aus den Dingen heraushalten, die die Mitgliedstaaten allein regeln können. Aber Subsidiarität hat auch eine Kehrseite, nämlich die Gemeinschaft ist dann zum Handeln aufgefordert, wenn ein Staat überfordert ist. Malta, Italien, Griechenland sind überfordert, also ist es eine Aufgabe der Europäischen Union, nach dem Prinzip der Subsidiarität auch einzugreifen. ({9}) Wir haben derzeit die Situation, dass 70 Prozent aller Asylbewerber in fünf Ländern - Frankreich, Italien, Deutschland, Schweden, Ungarn - aufgenommen werden. Auch das kann auf Dauer nicht so bleiben, sondern hier muss gehandelt werden. Wir erwarten, dass die Europäische Kommission wie angekündigt zügig eine mit substanziellen Punkten gefüllte Migrationsagenda vorlegt. Sie kann nicht mehr nur im Ungefähren und Vielleicht bleiben. ({10}) Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir eine europäische Flüchtlingskonferenz einberufen und uns das Gesamtproblem - Flüchtlingspolitik in Europa vornehmen. Es ist wichtig, dass wir das gemeinsame Asylrecht, das in Europa seit 2013 gilt, auch gemeinsam umsetzen. Dort ist vorgesehen, dass überall die Unterbringung von Flüchtlingen mit gemeinsamen Standards möglich ist. Derzeit haben wir noch die Situation, dass selbst die Gerichte bei uns entscheiden: Ihr könnt innerhalb der Dublin-Regelungen niemanden in Nachbarländer abschieben, weil dort die Standards nicht erfüllt sind. - Auch das muss anders werden. Auch hier erwarte ich ein Handeln der Europäischen Union, und sie hat dazu die Möglichkeiten. Schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die EU braucht eine Afrika-Strategie nicht nur auf dem Papier, sondern eine, die auch umgesetzt wird. Natürlich ist es wichtig, dass wir gemeinsam die Lebensbedingungen in Afrika verbessern, dass dort Brunnen gebohrt und Straßen gebaut werden. Aber ich will aufgreifen, was der Bundesaußenminister gesagt hat: Das allein reicht nicht aus, um Terroristen und Verbrecher, um organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Da sind etwas robustere Maßnahmen erforderlich - auch das gehört zur Realität und zur Wahrheit, über die wir in diesem Haus reden müssen -: nicht nur gute Maßnahmen zu ergreifen und Hilfen über Entwicklungspolitik zu geben, sondern auch die Bereitschaft zu zeigen, einzugreifen und die Verbrecher in die Schranken zu weisen. Ich habe großen Respekt vor unseren französischen Freunden und Nachbarn, die in Mali bewiesen haben, wie das geht und wie man das machen kann. ({11}) - Ja, dass Sie sich da aufregen, ist mir klar. Es gibt ein ganzes Bündel von notwendigen Maßnahmen, die jetzt umzusetzen sind. Es ist nicht einfach, aber es geht darum, dass wir all diese Fragestellungen Stück für Stück abarbeiten. Das bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und zu tragen. Dass wir das gemeinsam tun, darauf hoffe ich. Vielen Dank. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit haben wir das Ende dieser Aussprache erreicht. Wir sind damit zugleich auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 23. April 2015, 9 Uhr, ein Die Sitzung ist geschlossen.