Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich. Ich könnte jetzt eigentlich jeden Einzelnen von
Ihnen namentlich begrüßen. Dieser Versuchung widerstehe ich aber tapfer,
({0})
um nicht einen Berufungsfall für künftige Sitzungen zu
schaffen.
({1})
Jedenfalls freue ich mich über Ihre Anwesenheit umso
mehr.
Ich teile Ihnen mit, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, die heutige Tagesordnung um eine Vereinbarte Debatte zu dem Thema „Flüchtlingskatastrophe
im Mittelmeer“ zu erweitern, und dass diese Vereinbarte Debatte im Anschluss an die Fragestunde um
15 Uhr als Zusatzpunkt 1 unserer Tagesordnung mit einer Debattendauer von einer Stunde aufgerufen wird.
Unsere Fragestunde wird also entsprechend früher enden. - Dazu kann ich keinen Widerspruch erkennen.
Dann haben wir das so vereinbart.
Solche Vereinbarungen sind ohnehin umso einfacher,
je weniger
({2})
potenzielle Widerspruchsmöglichkeiten aufgrund der
Präsenz bestehen.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 1:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung
für das Jahr 2014 nach § 7 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates.
Der mit diesem Thema federführend Beauftragte ist
der Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, Helge
Braun. Ich möchte ihn deswegen bitten, dazu gleich einige einführende Bemerkungen zu machen.
Falls es nach der Erledigung dieses Themas noch
sonstige Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung oder an die Bundesregierung gibt, rufe ich diese
selbstverständlich auf. Es wäre hilfreich, wenn es bei
vorhandenem bzw. absehbarem Interesse schon einmal
eine vorherige Information gäbe.
Bitte schön, Herr Braun.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle
Ihnen heute den Bericht zur besseren Rechtsetzung für
das Jahr 2014 vor. Ich möchte definitorisch vorwegschicken, dass wir dabei insbesondere zwei Zahlenwerte
betrachten: Zum einen betrachten wir die Bürokratiekosten, also die Kosten, die für die Wirtschaft aus Informations- bzw. Mitteilungspflichten entstehen. Zum anderen
betrachten wir einen größeren Wert, und zwar den Erfüllungsaufwand, der für die Bürgerinnen und Bürger, für
die Verwaltung und für die Wirtschaft entsteht. Darunter
subsumieren wir nicht nur echte Bürokratiekosten im engeren Sinne, sondern all die Kosten, die der Staat den
Bürgern, der Verwaltung und der Wirtschaft darüber hinaus aufbürdet, etwa dadurch, dass gewisse Arten von
Müll getrennt werden müssen, dass aufgrund des Mindestlohns höhere Löhne gezahlt werden müssen, oder
eben auch dadurch, dass gewisse Umweltstandards
- Einbau von Filteranlagen etc. - eingehalten werden
müssen.
Wenn wir uns den Erfüllungsaufwand für den Bürger
anschauen, sehen wir, dass sich dieser im Jahr 2014
positiv entwickelt hat. Die Bürgerinnen und Bürger haben insgesamt einen Erfüllungsaufwand im Wert von
886 Millionen Euro weniger zu leisten. In Stunden umgerechnet heißt das: Wir haben den Menschen im Jahr
2014 ungefähr 8 Millionen Stunden zurückgegeben, die
sie für sinnvollere und schönere Dinge als für die Erfüllung bürokratischen Aufwands verwenden können.
Bei der Verwaltung geben wir 199 Millionen Euro dadurch frei, dass wir Aufwand reduzieren. Sowohl für den
Bürger als auch für die Verwaltung spielen dabei die Änderungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung eine besondere Rolle. Denn in Zukunft wird relativ
automatisiert der Zusatzbeitrag erhoben, und es ist nicht
mehr so wie bisher, dass der Bürger sein Einkommen
nachweisen und selber dafür sorgen muss, dass der Zusatzbeitrag entrichtet wird.
Ich nenne zwei weitere Beispiele, die wohl ganz eindrücklich zeigen, wo wir den Bürger entlastet haben.
Das erste Beispiel ist die vorausgefüllte Steuererklärung; so muss man in Zukunft seine Lohnsteuerdaten,
wenn man am elektronischen Verfahren teilnimmt, nicht
mehr selber in die Anlagen der Steuererklärung eintragen, sondern man kann die Daten automatisiert abrufen.
In Zukunft können auch weitere Bestandteile der Steuererklärung im automatisierten Verfahren durchgeführt
werden. Das, denke ich, nützt den Bürgerinnen und Bürgern.
Das zweite schöne Beispiel ist i-Kfz. Das Abmelden
von Fahrzeugen ist heute schon vielfach über das Internet möglich, ohne dass man zur Kfz-Zulassungsstelle
gehen muss. Onlineverfahren zu weiteren Verwaltungsdienstleistungen werden folgen.
Eine Sondersituation hatten wir im Jahr 2014 bei der
Wirtschaft. Wir konnten die Wirtschaft von echten Bürokratiekosten entlasten. Der Bürokratiekostenindex ist im
Jahr 2014 leicht gesunken. Aber bezüglich des Erfüllungsaufwandes gab es durch den Mindestlohn einen
Sondereffekt. Es sind - ich habe es eingangs beschrieben - insgesamt 9,7 Milliarden Euro mehr durch die
Wirtschaft aufzubringen, weil diejenigen, die bisher
noch keinen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro bekommen haben, zusätzliche Lohnkosten dadurch verursachen, dass an sie jetzt 8,50 Euro bezahlt wird. Das war
aber explizit der politische Wille des Gesetzgebers.
Zusätzlich zu unserem Arbeitsprogramm werden wir
morgen einen wichtigen Schritt gehen. Wir werden nämlich unser Portal „amtlich einfach“ online stellen. In diesem Portal kann man sich über eine Befragung von Bürgern und Unternehmen informieren, die wir zusammen
mit dem Statistischen Bundesamt durchführen. Hier geht
es darum, zu erfahren, wo Bürger oder Unternehmen Bürokratie als besonders belastend empfinden. Dieses Portal ist gleichzeitig auch ein Wegweiser durch die Bürokratie. Ich zeige Ihnen einmal diesen Wegweiser. - Wie
Sie sehen, sehen Sie nichts, weil es zu klein ist. Es soll
Sie einfach nur neugierig machen, diese Plattform einmal zu besuchen. Wir haben für verschiedene Lebenslagen - zum Beispiel Aufnahme eines Studiums, Geburt
eines Kindes, Sterbefall - alle einzelnen bürokratischen
Schritte, die in solchen Fällen notwendig sind, aufgeführt. Der Bürger oder das Unternehmen kann diesen
Wegweiser benutzen, um zu sehen: Was ist zwingend?
Was ist möglich? Was kann ich beantragen? Was ist dafür erforderlich?
Diese Plattform dient aber auch dazu - das ist für uns
der viel bedeutendere Punkt -, dass wir Ideen von Bürgern und Unternehmen aufnehmen, wie wir noch unbürokratischer werden können, wie wir Dinge vereinfachen
können, und zwar über eine Kommentarfunktion. Das
fordert die OECD von uns seit langem. Nun führen wir
es ein. Da es an den Lebenslagen, den einzelnen Verfahrensschritten entlangläuft, ist es sehr gut strukturiert und
kann deshalb hoffentlich zu sehr konkreten Maßnahmen
im Rahmen unserer Gesetzgebung führen.
Ich will meinen einleitenden Vortrag schließen, indem
ich sage: Ich glaube, wir haben eine Menge getan. Es ist
aber auch noch viel zu tun. Dazu entwickeln wir uns
auch methodisch weiter. Ich hoffe auf gute Ergebnisse in
den nächsten Jahren.
Vielen Dank. - Nachfragen? - Kollege Gambke.
Vielen Dank. - Sie haben mit schönen Worten die Erfolge deutlich gemacht. Aber wenn man einen Bericht
im Kabinett entgegennimmt, dann, denke ich, würdigt
man den Bericht auch kritisch.
Meine erste Frage lautet explizit: Wo sind die kritischen Punkte? - Es wird neben den Kosten zum Beispiel
nicht die Verfahrensdauer angesprochen. Wie ich aus der
Wirtschaft weiß, sind nicht immer die Kosten, sondern
vielfach die Verfahrensdauern für Probleme bei der Beantragung verantwortlich. Ist einmal kritisch gewürdigt
worden, dass bisher bei der Evaluation von Bürokratie
gerade diese Dimension nicht betrachtet wird?
Eine zweite Frage möchte ich auch im Kontext der
kritischen Würdigung anschließen. Die letzte Bundesregierung hat sich als Ziel vorgenommen, die Bürokratiekosten um 25 Prozent abzubauen. Die jetzige Bundesregierung sagt: One in, one out. - Wenn ich die
verschiedenen Projekte betrachte, die nicht unter die
„One in, one out“-Regelung fallen, aber bisher beschlossen wurden, vom Mindestlohn bis zur Maut, dann frage
ich: Ist im Kabinett kritisch hinterfragt worden, ob man
sich nicht, wie ja auch der Normenkontrollrat gefordert
hat, ambitioniertere Ziele setzen sollte als die, die sich
die jetzige Bundesregierung gesetzt hat?
Ich darf aus methodischen Gründen und im weitesten
Sinne als Beitrag zum Bürokratieabbau darauf hinweisen, dass wir uns auf jeweils eine Minute Redezeit für
Fragen und Antworten verständigt haben. - Herr Staatsminister.
Vielen Dank. - Zur ersten Frage nach den Verfahrensdauern: In der Tat sind Verfahrensdauern relativ schwer
strukturiert zu erfassen. Ich glaube aber, dass gerade das
Modell, das ich am Schluss angesprochen habe, den Unternehmen die Gelegenheit bietet, bei der Befragung
oder in der Kommentarfunktion Hinweise zu einzelnen
Verfahrensprozessen zu machen. Sie haben also die
Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass ein bestimmter
bürokratischer Weg besonders zeitkritisch ist. Die entsprechenden Punkte könnten wir im Weiteren in das Arbeitsprogramm aufnehmen. Ich glaube, die Frage der
Verfahrensdauer ist ein Punkt, den wir im Rahmen des
neuen Verfahrens stärker würdigen können. Wir achten
insofern schon darauf.
Wir erhalten, wie Sie richtig gesagt haben, viele Eingaben. Die Unternehmen sagen: Heutzutage ist Zeit
noch viel mehr wert als früher Geld. Wir sehen aber,
dass die Verfahrensdauer häufig einen bestimmten
Grund hat: das Beibringen gewisser Unterlagen zur
Schaffung von Plausibilität bzw. Nachvollziehbarkeit.
Wir arbeiten an dieser Stelle daran und schauen, wie wir
die Verfahren vereinfachen können.
Sie hatten dann angesprochen bzw. gefragt, ob wir
den Bericht im Kabinett kritisch gewürdigt haben. Das
haben wir heute selbstverständlich getan.
Was war Ihre zweite Frage? Bitte sagen Sie es noch
einmal kurz.
Warum kein Abbauziel?
Genau, die Frage nach einem konkreten Abbauziel. „One in, one out“ heißt ja: Es wird, wenn das Prinzip in
Kraft tritt, also ab 1. Juli dieses Jahres, keinen Zubau
mehr geben. Man kann sich, nachdem man sich in einer
Legislaturperiode ein so großes Abbauziel vorgenommen hat, nämlich 25 Prozent weniger Bürokratie, nicht
in der nächsten Legislaturperiode schon wieder vornehmen, 25 Prozent abzubauen. Wir sind ein Staat mit einem sehr präzisen Ordnungsrahmen. Das soll so bleiben.
Deshalb ist es richtig, das Ziel zu verfolgen, nicht zuzubauen, sondern das Niveau zu halten. Aber ein Abbau
von weiteren 25 Prozent, also insgesamt quasi eine Halbierung des Bürokratieaufwandes in Deutschland, wäre
unter anderem mit der gewollten Rechtssicherheit und
den hohen Umweltstandards in unserem Land nicht zu
vereinbaren. Wir wollen keine Standards reduzieren,
sondern Verfahren vereinfachen. Da ist „One in, one
out“ schon ein ambitioniertes Ziel.
Ich sehe keine weiteren Nachfragen zu diesem Bericht. Es gibt eine Reihe angemeldeter Nachfragen zu
anderen Themen, aber, wenn ich das richtig verstanden
habe, nicht unbedingt zur heutigen Kabinettssitzung. Ich
frage der guten Ordnung halber: Gibt es noch Fragen zur
heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich jetzt sonstige Fragen an die Bundesregierung auf. Wenn ich es richtig sehe, steht Herr Minister Müller zur Verfügung. Ich beginne mit der angemeldeten Frage der Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Müller,
es hat sehr lange gedauert, einen nationalen Flüchtlingsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen einzuberufen,
weil die Bundesregierung sich lange geweigert hat. Die
Kanzlerin musste durch öffentlichen Druck dazu gebracht werden. Jetzt soll er am 8. Mai stattfinden. Können Sie uns erklären, warum Sie bisher, bis heute, nicht
beabsichtigen, die kommunalen Spitzenverbände zu diesem Gipfel einzuladen? Das sind doch die Hauptakteure;
die Kommunen sind diejenigen, die für die Fragen der
Unterbringung, der Erstaufnahme, der Begleitung und
der Betreuung von Flüchtlingen die Hauptverantwortung
tragen, also diejenigen Akteure, die genau wissen, wo in
der Praxis Engpässe, Sorgen und Nöte bestehen. Dass
Sie ausgerechnet die kommunalen Spitzenverbände
nicht einladen, können wir nicht nachvollziehen. Wir
würden gerne von Ihnen eine Erklärung dafür haben.
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Die Bundesregierung,
insbesondere in Person von Herrn Altmaier, dem Chef
des Kanzleramtes, ist in einem ständigen Dialog auch
mit den Vertretern der Kommunen. Sie haben recht, dass
die Kommunen einen ganz entscheidenden, wichtigen
Beitrag zur Umsetzung und zur Lösung der insbesondere
mit der Aufnahme der Bürgerkriegsflüchtlinge verbundenen Probleme leisten. Dafür gebühren ihnen unsere
volle Anerkennung und unser Dank.
Ich möchte auch den Tausenden von Ehrenamtlichen
im Lande meinen Dank aussprechen, die durch ihren
großartigen Einsatz die Flüchtlinge menschenwürdig
empfangen und ihnen Türen öffnen.
Zum Flüchtlingsgipfel sind Bund und Länder eingeladen. Die Länder vertreten hier die Kommunen mit; das
entspricht dem in der Verfassung niedergelegten Verhältnis von Bund, Ländern und Kommunen.
({0})
Frau Kollegin Amtsberg.
Meine Frage bezieht sich auf den Zehn-Punkte-Plan,
über den in den letzten Tagen häufig diskutiert wurde.
Ich würde gerne wissen, ob die Bundesregierung nach
den Ereignissen vom Wochenende einen Fehler darin
sieht, sich dafür eingesetzt zu haben, dass die Mission
Mare Nostrum eingestellt wurde und deren Aufgaben
dann irgendwie auf andere Weise kompensiert wurden.
Diese entsetzliche Katastrophe fordert die gesamte
Europäische Union zum Handeln auf. Deshalb haben die
Außen- und Innenminister einen Zehn-Punkte-Katalog
erarbeitet. In ihm wurde auch das Thema Seenotrettung
verankert und eine Ausweitung der jetzt laufenden Mis9426
sion vereinbart. Es ist von einer Verdoppelung der Mittel
die Rede. Auf alle Fälle ist das Ziel, durch eine wesentliche Ausweitung der jetzigen Mission möglichst solche
Unglücke, wie sie jetzt passieren, zu verhindern.
Frau Hänsel.
Danke schön. - Herr Minister Müller, auch meine
Nachfrage bezieht sich auf das Flüchtlingsdrama. Sie haben den Zehn-Punkte-Plan angesprochen, der allerdings
vor allem eine Bekämpfung der Schleuserkriminalität
vorsieht. Man liest vonseiten der EU unter anderem, dass
die Zahl der Schiffe in Libyen reduziert werden müssen.
Sie fordern gleichzeitig ein Sofortprogramm in Höhe
von 10 Milliarden Euro.
Meine ganz konkrete Frage lautet: Setzen Sie sich dafür ein, dass die Flüchtlinge auf hoher See gerettet werden? Setzen Sie sich dafür ein, dass mithilfe dieser Mittel mehr Schiffe auf dem Mittelmeer zur Rettung der
Flüchtlinge eingesetzt werden? Oder legen Sie den Fokus, wie alle anderen auch, auf die Abwehr, auf die
Schleuserbekämpfung usw.? Sie haben heute im Morgenmagazin gesagt, die Boote müssten in die andere
Richtung fahren. Könnten Sie sich vielleicht ganz konkret äußern: Sind Sie für mehr Geld für die Flüchtlingsrettung?
In Ihrem Haus ist ja auch ein Papier zum Thema
christlich-jüdische Werte in Arbeit. Der christliche Wert
der Nächstenliebe müsste für Sie da doch an oberster
Stelle stehen, also konkret, dass die Menschen auf hoher
See gerettet werden.
Vielen Dank. - Im Prinzip könnte ich nur dreimal Ja
sagen, aber ich möchte das auch begründen.
Die erste und wichtigste Aufgabe ist, die Rettung der
Flüchtlinge im Mittelmeer in Zusammenarbeit der
28 europäischen Mitgliedstaaten sofort und effektiver zu
organisieren. Ich habe heute früh gesagt, dass ich persönlich Mare Nostrum nicht durch Triton ersetzt hätte.
Jetzt wird reagiert. Die erste und wichtigste Aufgabe ist
also, Rettung sofort und effektiver zu organisieren.
Der zweite Punkt ist - das findet sich auch in dem
Zehn-Punkte-Plan -: Wir müssen das Problem der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen - ich spreche jetzt
von den Bürgerkriegsflüchtlingen, nicht von Zuwanderern oder Asylbewerbern zum Beispiel aus dem Balkan und deren Verteilung in Europa solidarisch miteinander
gemeinsam lösen.
Zum dritten Punkt, zu meiner Aussage, dass es gelte,
mit dem Boot zurückzufahren in die Krisenländer, in die
Herkunftsländer. Wir haben, wenn Sie die Gesamtzahl
der Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber in
Deutschland in den Blick nehmen, im Wesentlichen drei
Hauptströme nach Europa bzw. nach Deutschland: einmal die Asylbewerber aus dem Balkan, zum anderen
- das ist die Spezialherausforderung - die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und aus dem Irak und zum Dritten
Flüchtlinge aus vier oder fünf afrikanischen Staaten,
zum Beispiel aus Somalia oder Eritrea.
Herr Minister, ich muss Sie an die Zeit erinnern.
Jawohl. - Ich habe vorgeschlagen, dass die Europäische Union Handlungsfähigkeit zeigt und mit einem
neuen Instrument, einem EU-Mittelmeer-und-AfrikaProgramm reagiert, das ein Volumen von 10 Milliarden
Euro umfassen sollte.
Herr Kollege Beck, weil ich gerne bei diesem Komplex bleiben möchte: Bezieht sich Ihre Frage auf diesen
Themenkomplex?
Ja.
Bitte.
Herr Minister, zunächst einmal möchte ich der Bundesregierung empfehlen, in der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages nachzuschauen, was wir bezüglich der Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände
in der letzten Legislatur geregelt haben. Vielleicht können Sie sich diese Regelung auch bei Ihren Gipfeln zu
eigen machen.
Nun zur Sache selbst: Mir ist nicht klar, wie Sie mit
3 Millionen Euro mehr für Triton bezüglich der Seenotrettung das leisten wollen, was im Rahmen von Mare
Nostrum einst geleistet wurde. Das geht zunächst schon
vom Mandat her gar nicht. Das Mandat von Triton ist ein
Frontex-Mandat; es dient der Sicherung der EU-Außengrenzen und nicht der Rettung des Lebens von Schiffbrüchigen auf dem Meer. Außerdem ist mir unklar, wie
man mit der Verdoppelung der Mittel für Triton, die damit aber immer noch ein Drittel unter denen für Mare
Nostrum liegen, das Gleiche wie mit Mare Nostrum erreichen will. Wir sehen doch gerade, dass mit einem
Drittel der Mittel im Ergebnis nichts dagegen getan werden konnte, dass Hunderte von Menschen im Mittelmeer
ertrunken sind.
Ich möchte Sie dann konkret fragen, wie die Bundesregierung sich die in dem Zehn-Punkte-Plan vorgesehene Bekämpfung der Schleuser vorstellt. Zu dieser
Frage fand auf europäischer Ebene am 20. April 2015
ein Gespräch statt. Der zuständige Kommissar sprach
von einer Front Line, an der man arbeite. Das ist die
Denke von Frontex; das entspricht aber nicht der Denke
von Mare Nostrum, einem Mandat, bei dem es um die
Rettung von Leben ging.
Kollege Beck, auch Sie können jetzt leider keinen
Vortrag zu dem Thema halten.
Nein, ich wollte bloß die Grundlage für die Frage
klarstellen.
Nein, wenn für die Frage insgesamt eine Minute zur
Verfügung steht, können nicht für die Beschreibung der
Grundlage der Frage 90 Sekunden in Anspruch genommen werden.
Da mögen Sie recht haben, Herr Präsident. Ich bin
reumütig.
Dass ich das noch erleben darf.
({0})
Herr Minister, ich möchte Sie trotzdem fragen, wie
Sie zu der angekündigten Zerstörung von Schleuserbooten stehen. Wir alle sind gegen die Schleuser. Aber Terroristen sind sie nicht.
({0})
Was bei Atalanta zulässig ist, ist meines Erachtens bei
der Bekämpfung der Schleuser unverhältnismäßig. Deshalb bitte ich Sie, klarzustellen, was die Bundesregierung in diesem Rahmen innerhalb der EU plant.
Erstens stelle ich noch einmal klar: Im europäischen
Rahmen muss klar und effektiv sichergestellt werden,
dass im Mittelmeer eine effektive Rettung der Flüchtlinge aus Seenot erfolgen kann.
({0})
Zweitens. Es ist klar, dass wir es bei dem Schlepperproblem mit einem Problem zu tun haben, bei dem insbesondere in Libyen organisierte Kriminalität dahintersteckt.
Die Frage, welche Möglichkeiten zur Bekämpfung oder
Verhinderung bestehen, wurde in der Tat im Kreis der
Innenminister in Brüssel erörtert. Entscheidungen in
diese Richtung sind aber noch keine getroffen worden.
Drittens ist entscheidend - ich sage das noch einmal -,
dass wir in die entsprechenden Länder gehen. Ich persönlich habe vorgeschlagen, einen EU-Syrien-Sondergesandten zu benennen. Er sollte sich nicht nur mit den
Strukturen im Land selbst vertraut machen, sondern
auch die Themen Schleuserbekämpfung, Grenzsicherung und Betreuung der Flüchtlinge mit den syrischen
Ansprechpartnern erörtern.
Frau Pfeiffer.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, die
Frau Bundeskanzlerin fährt morgen nach Brüssel, um
über das Thema Flüchtlinge zu diskutieren. Ich begrüße
das sehr. Meine Frage: War das heute Thema im Kabinett? Wenn ja, können Sie darüber etwas berichten?
Im Rahmen der informellen Aussprache war das
selbstverständlich ein Thema. Man spricht über Erfahrungen. Sie werden nachher vom Bundesminister des
Auswärtigen und vom Bundesminister des Innern in der
Debatte darüber ganz konkret informiert werden.
Herr Kollege Movassat.
Herr Bundesminister, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Kriegsflüchtlinge aufgenommen und in den
Ländern der Europäischen Union besser verteilt werden
sollen. Nun ist es so, dass das Asylrecht als Grund für
Asyl nicht nur Krieg kennt. Insofern frage ich: Wie gehen Sie mit anderen Asylgründen um?
Das Problem, das hier besteht, ist doch, dass die
Flüchtlinge alle keine legalen, keine sicheren Wege und
Möglichkeiten haben, nach Europa zu kommen. Das ist
ja der Grund, warum sie es über das Mittelmeer versuchen. Daher meine Frage: Gedenkt die Bundesregierung,
irgendetwas zu tun, um Menschen, die Asylgründe haben, einen sicheren Weg in die Europäische Union und
nach Deutschland zu ebnen?
Diese interessante Frage können Sie mit dem Bundesinnenminister erörtern. Ich kann Ihnen sagen - ich nutze
diese Gelegenheit gerne dazu -, dass unser Haus, das
BMZ, derzeit 120 Projekte in den Krisenländern Afrikas
und des MENA-Raumes umsetzt, damit die Flüchtlinge
in Not, in Elend, in dramatischen Situationen vor Ort
überhaupt überleben können; ich habe viele dieser Krisencamps besucht. Ich möchte mich beim Bundestag,
beim Finanzminister und beim Haushaltsausschuss bedanken. Deutschland leistet hier Herausragendes.
Ich nenne das Beispiel Libanon/Beirut. Ich war dort vor
kurzem in einem Palästinenserlager, aber auch in einem
syrischen Bürgerkriegslager. Dieses Land hat 1,2 Millionen Flüchtlinge infolge des syrischen Kriegsgeschehens
aufgenommen. Wir finanzieren dort beispielsweise über
UNICEF die Beschulung von 80 000 Kindern.
Auch den türkischen Freunden möchte ich ein herzliches Dankeschön sagen. Als Kobane zu fallen drohte,
kamen über die syrisch-türkische Grenze innerhalb von
zwei Tagen 250 000 syrische Flüchtlinge in die Türkei.
Diese Dimension muss man sich auch in Deutschland
einmal vor Augen führen, wenn wir über unsere Probleme in den Kommunen, im Land diskutieren. Damit
möchte ich die Lage hier nicht verniedlichen. Unser
Auftrag ist es, dort zu stabilisieren und diesen Ländern
zu helfen.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, Sie
können sich sicherlich vorstellen, dass Ihre Antwort auf
meine Frage mich nicht zufriedengestellt hat. Denn auf
der einen Seite lobhudeln Sie den Einsatz der Kommunen über alle Maßen, auf der anderen Seite sagen Sie den
Kommunen aber: Ihr seid verfassungsrechtlich eine abgeleitete Ebene der Länder, und deshalb habt ihr bei einem Flüchtlingsgipfel, bei dem es um die Unterbringung
von Flüchtlingen vor Ort in Deutschland, in den Städten,
Gemeinden und Landkreisen geht, nichts zu suchen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Auffassung der
gesamten Bundesregierung ist und frage Sie, wie das in
Einklang zu bringen ist mit den Regeln, die wir uns hier
im Deutschen Bundestag selbst gegeben haben. Es ist ja
so, dass wir den kommunalen Spitzenverbänden in der
letzten Legislaturperiode umfangreiche Beteiligungsrechte, Anhörungsrechte und Stellungnahmerechte bei
Gesetzesvorhaben und Fragen, die sie selbst betreffen,
eingeräumt haben.
Der Bund achtet die Rechte der selbstbewussten Länder im Föderalismus. Ich stelle die Lage einmal dar:
Bayern finanziert den Aufwand, die Kosten für die Betreuung der Flüchtlinge zu 100 Prozent,
({0})
Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und andere Bundesländer finanzieren den Aufwand zu 60 oder zu
70 Prozent.
({1})
Herr Minister, es war jetzt aber nicht nach der Finanzverteilung gefragt worden, sondern nach der Beteiligung
der Kommunen als Gesprächspartner bei einer möglichen Konferenz.
({0})
Herr Präsident, ich widerspreche Ihnen nicht. Aber
gehen Sie davon aus, dass ich die Frage verstanden habe.
Es gibt aber nicht nur bei der Fragestellerin den Eindruck, dass Sie die Frage nicht beantworten.
({0})
Gut. - Ich beantworte die Frage so, wie ich die Antwort verstehe.
({0})
Die Antwort lautet: Aufgrund des bestehenden Verhältnisses zwischen Bund, Ländern und Kommunen entscheidet nicht der Bund, ob Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen die Aufwendungen für Flüchtlinge zu
60 oder zu 80 Prozent übernehmen,
({1})
sondern die Länder regeln dies im Verhältnis mit ihren
Kommunen.
({2})
Deshalb haben wir die Situation, dass jetzt bei diesem
Gipfel der Bund mit den Ländern diese und viele andere
Probleme bespricht.
({3})
Frau Amtsberg.
Ich kann mich gar nicht entscheiden, welche der beiden nicht beantworteten Fragen ich jetzt wiederhole. Ich
entscheide mich für die des Kollegen Movassat; er hatte,
wie ich finde, eine sehr richtige Frage gestellt. Daher
möchte ich gerne fragen: Herr Minister, die Bundesregierung hat immer wieder beteuert, dass die Seenotrettung das Schlepperwesen begünstigt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, dass legale Zugangswege in
die Europäische Union das Leiden vielleicht nicht für
immer verschwinden lassen, aber zumindest die Zahl der
Todesopfer senken würden. Denn dann würde nicht
mehr die Notwendigkeit bestehen, auf seeuntaugliche
Boote zu steigen.
Es gibt viele Lösungsvorschläge und viele Wege;
({0})
aber das ist jetzt nicht unsere Aufgabe. Nachher werden
Sie eine entsprechende Debatte mit dem Außen- und
dem Innenminister führen, und wir werden auch die
nächsten Jahre mit diesem Thema konfrontiert sein. Jetzt
ist es wichtig, dass die Seenotrettung sofort und effektiv
- denn aktuell sterben Menschen im Mittelmeer - umgesetzt und ausgeweitet wird.
Darüber hinaus müssen wir uns den Hunderttausenden von Flüchtlingen, die in Libyen, aber auch in anderen Staaten auf Hilfe warten, zuwenden. Ich sage noch
einmal: Das Elend und die Not dieser Menschen sind
groß, sie sind traumatisiert und sehen keinen anderen
Ausweg. Sie kommen nicht aus Freude hierher und setzen sich nicht aus Freude dieser Gefahr aus; das habe ich
selber gesehen, meine Damen und Herren. Deshalb plädiere ich für den Ansatz - über ihn wird meiner Meinung
nach viel zu wenig diskutiert -, dorthin zu gehen, wo die
Menschen herkommen, und ihnen mit unseren Mitteln
und Möglichkeiten zu helfen.
Frau Hänsel.
Herr Minister Müller, da würde ich gerne nachhaken.
Man muss einmal ganz deutlich machen: Die EU-Kommission spricht in ihrem Zehn-Punkte-Plan davon, dass
die Stärkung von Frontex, die effizientere Rückführung
von Flüchtlingen und die Bekämpfung von Schleuserbanden die wichtigsten Aspekte in diesem Zusammenhang sind. Ich höre nicht, dass auch von dem Schwerpunkt Seenotrettung die Rede ist. Im Gegenteil, man
denkt sogar an Beispiele wie die Operation Atalanta zur
Piratenbekämpfung, weil es mittlerweile um die Vernichtung der Boote geht.
Meine ganz konkrete Frage an Sie lautet: Unterstützt
die Bundesregierung und unterstützen Sie ein robustes
Mandat - welcher Art auch immer - zur Bekämpfung
von Flüchtlingsbooten? Sind Sie also dafür, dass zukünftig jedes Boot, das in Libyen, Tunesien oder sonst wo im
Hafen liegt, als potenzielles Schleuserboot betrachtet
werden sollte, wodurch man in ganz neue Dimensionen
vorstoßen würde?
Erstens haben der Innen- und der Außenminister klar
bekundet, dass gehandelt werden muss, und zwar, wie es
in dem Papier steht, durch eine Verdopplung der Mittel
für die Seenotrettung. Darüber, wie das im Einzelnen organisiert wird, beraten im Augenblick die Experten.
Zweitens müssen die Maßnahmen weit darüber hinausgehen. Die Frage ist: Wie kann organisiertes
Schleppertum - hier werden mit dem Leid und dem Tod
von Menschen Millionen verdient - gestoppt werden?
Dazu wurden unter anderem die Vorschläge, die Sie gerade erwähnt haben, gemacht. Entscheidungen in dieser
Richtung sind bis dato aber nicht gefallen.
Frau Pfeiffer.
Vielen Dank. - Herr Minister, ich möchte auf die
wichtige Rolle der Entwicklungszusammenarbeit im
Hinblick auf die Flüchtlingsproblematik eingehen, sowohl was die Prävention als auch was die Ursachenbekämpfung betrifft. Welche Maßnahmen muss die deutsche Entwicklungspolitik treffen, um zu versuchen, die
Situation vor Ort ganz konkret zu verbessern? Welche
Maßnahmen muss die deutsche Entwicklungspolitik
treffen, um die Staaten, aus denen die Menschen auswandern, an ihre eigene Verantwortung zu erinnern?
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Oh ja! Erinnern Sie Libyen mal an
seine Verantwortung!
Sie haben ein Mehrfaches angesprochen. Den ersten
Punkt, Frau Pfeiffer, habe ich vorhin schon erwähnt. Die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit leistet hier ganz
Wesentliches. Wir haben zum Beispiel die Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“ ins Leben gerufen. Dabei geht es unter anderem
um den Libanon, Jordanien und Ägypten. In diesen Ländern wirken wir stabilisierend. Die vielfältigen Maßnahmen, auch im Hinblick auf die Kommunen, habe ich genannt.
Zweitens - das haben Sie angesprochen - müssen wir
aber auch in die Herkunftsländer gehen; darüber werden
wir im Ausschuss diskutieren müssen. Es gibt verschiedene Länder, in denen es ausgesprochen schwierig oder
unmöglich ist, vor Ort zu arbeiten. Als Beispiele nenne
ich den Jemen und Somalia. Man kann also nicht einfach
sagen: Ihr müsst in diese Länder gehen und die Gemeinden und die staatlichen Strukturen stabilisieren. - Es gibt
sie dort nämlich nicht.
Ein weiteres Beispiel ist Libyen. Lassen Sie mich zu
Libyen Folgendes sagen: Vor vier Jahren hat die Staatengemeinschaft eine Entscheidung getroffen. Deutschland
hat damals nach einer sehr kontroversen Diskussion sein
Veto eingelegt. Dem damaligen Bundesaußenminister ist
immer wieder vorgeworfen worden - nicht von mir, aber
von anderen -, sich an dem Schlag gegen Gaddafi bzw.
an dem Regime-Change nicht zu beteiligen. Man hat
diesen Regime-Change in Libyen durchgesetzt. Nun
sind wir vier Jahre weiter und stellen fest: Man hat nicht
getan, was Sie und wir vernetzte Entwicklung nennen,
nämlich die Waffenlager zu räumen und die Milizen zu
entwaffnen. Was ist daraufhin passiert? Mit diesen Waf9430
fen aus Libyen wurde Mali destabilisiert und Libyen in
den jetzigen Chaoszustand mit den bekannten Problemen versetzt. Dennoch sage ich: Auch jetzt müssen wir
mit einem Sondergesandten der EU die UN-Mission in
Libyen unterstützen und Strukturen der Zusammenarbeit
schaffen.
Herr Kollege Beck.
Ich will die Frage wiederholen: Es wurde besprochen,
dass man im Rahmen der jetzigen Maßnahmen zur Seenotrettung und zur Bekämpfung des Schleuserwesens
Schleuserboote an der afrikanischen Grenze präventiv
zerstören will. Wie und durch wen soll das erfolgen? Zu
Lande, zu Wasser oder aus der Luft? Mit Drohnen, mit
Bodentruppen? Ich hörte, man wolle sich an Atalanta
orientieren. Bei diesem Mandat handelt es sich aber um
Piraten und Terroristen und nicht um Schleuser. Ich bitte,
da jetzt wirklich konkret zu werden, Herr Minister, oder
das an einen Kollegen von einem Ressort abzugeben,
das hier gegebenenfalls antworten kann.
Herr Beck, Sie stellen da eine ganz zentrale Frage.
Selbstverständlich wurde über diese Fragen - so mein
Kenntnisstand; ich war nicht dabei - im Rat der Innenund Außenminister in Brüssel diskutiert. Dies wurde
auch publiziert. Aber ich muss Ihnen sagen: Dazu ist im
Kreise der deutschen Bundesregierung keine Entscheidung gefallen. Deshalb kann Ihnen hier auch niemand
sagen, wie was wo - das ist eine hypothetische Diskussion - umgesetzt werden soll.
({0})
Wir sind im Augenblick bei der Regierungsbefragung. Ich sehe auf der Regierungsbank ein Mitglied des
Kabinetts, an das Fragen gerichtet werden können. Dass
man diese mal mehr und mal weniger gut und vollständig beantwortet findet, liegt in der Natur der Sache. Aber
solange der Minister nicht selbst um die Beantwortung
durch einen Kollegen bittet, sehe ich keine Veranlassung, dass wir in diesem Tagesordnungspunkt anders als
üblich verfahren. Wir haben im Übrigen großen Wert darauf gelegt, dass für diesen Tagesordnungspunkt Mitglieder der Bundesregierung zur Verfügung stehen.
({0})
Die nächste Frage stellt Kollege Ströbele.
Mir drängt sich eine Frage auf, von der ich annehme,
dass Sie sie bisher noch nicht beantwortet haben. Es ist
ja gut und richtig, dass man versucht, in Libyen einigermaßen lebbare Verhältnisse zu schaffen, in diesem
Failing State, den wir da im Augenblick haben. Aber mir
ist nicht klar, welche Vorstellungen die internationale
Gemeinschaft und insbesondere die Bundesregierung eigentlich haben. Angenommen, das klappt halbwegs:
Was geschieht mit den Flüchtlingen, die ja nach wie vor
nach Libyen kommen, wenn sie wahrscheinlich nicht
mehr auf Schiffe und nicht mehr zu Schleppern gelassen
werden? Sollen die dort in Lager kommen, wie es unter
Gaddafi war, der dafür viele Millionen Dollar bekommen hat? Das war wirklich kein Vorbild; dort herrschten
unmenschliche Verhältnisse. Oder will man den Flüchtlingen - wenigstens einigen - eine legale Möglichkeit
eröffnen, nach Europa und damit auch nach Deutschland
zu kommen? Welche Vorstellungen gibt es da?
Ich bin dankbar, dass wir diese Diskussion so offen
führen können. Es gibt da keine einfachen Antworten.
Libyen ist ein Staat mit zwei Machtzentren - in Tobruk
und in der Nähe von Tripolis - und befindet sich im Augenblick in Verhandlungen und Gesprächen mit dem
UN-Vermittler. Darauf bauen wir.
Ich habe heute auch mit dem Außenminister darüber
gesprochen, wie gegebenenfalls Deutschland oder auch
die EU die diplomatischen Bemühungen durch den von
mir ins Spiel gebrachten Sondergesandten voranbringen
kann, damit Libyen eine Allparteienregierung bekommt
und wir einen Ansprechpartner für die Staatengemeinschaft, für Europa, aber auch für Deutschland haben, um
die entsprechenden Probleme angehen zu können. Es
geht darum, das Schleusertum zu bekämpfen, menschenwürdige Zustände für die Hunderttausende von Flüchtlingen zu schaffen, die sich dort aufhalten, die Grenzsicherung auszubauen und Wege zu finden - Stichwort
Resettlement -, diese Menschen in ihre eigenen Länder
zurückzubringen und ihnen dort eine Perspektive zu bieten.
Mir liegen jetzt noch zwei Wortmeldungen zu diesem
Themenkomplex vor, nämlich von Frau Hänsel und
Herrn Beck. Danach würde ich dieses Thema gerne abschließen.
Ich weiß, es gibt daneben noch eine weitere Wortmeldung - das habe ich notiert -, sodass nicht nur diese,
sondern gegebenenfalls auch noch andere Fragen beantwortet werden können. Wie Sie sicher beobachtet haben,
haben wir den üblichen Zeitrahmen für die Regierungsbefragung schon deutlich überschritten, was mit Blick
auf die Aktualität dieses Themas aber zweifellos angemessen ist.
Frau Hänsel.
Es geht um einen etwas anders gelagerten Themenkomplex, aber in eine ähnliche Richtung. - Man hört aus
Ihrem Hause, dass Sie an einem Strategiepapier für
christlich-jüdische Werte in der Entwicklungspolitik arbeiten. Wir sind ein säkularer Staat. Es gibt das Grundgesetz, die UN-Menschenrechtscharta und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte. Meine Frage lautet: Wieso brauchen wir jetzt eigentlich noch ein sozusagen religiöses Strategiepapier?
Wir sehen ja weltweit, dass Religionen oft eher zu Konflikten beitragen.
({0})
Von daher finde ich, dass wir die Menschenrechte sehr
stark in den Vordergrund stellen und auch garantieren
sollten. Gerade unser Grundgesetz ist eine gute Grundlage für ein würdiges Leben für alle und dafür, die internationale Entwicklungszusammenarbeit zu gestalten
Bitte achten Sie auf die Zeit.
- und hier nicht eventuell konfliktfördernd zu agieren.
({0})
Ich stehe für eine wertebasierte Entwicklungspolitik.
Der Satz: Die Würde des Menschen ist unteilbar
({0})
- unantastbar und unteilbar -, verbindet uns alle, weltweit. Wir haben für die Einhaltung der Menschenrechte
zu kämpfen, und dazu gehört an oberster Stelle auch Religionstoleranz.
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Religionen
in den Konfliktregionen zusammenzuführen und das Gespräch mit ihnen zu suchen. Ob in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan, in Nigeria oder in anderen
Krisengebieten, wo ich zu Besuch war: Ich habe dort
gemeinsam mit den Religionsführern - den christlichen,
den Muslimen, aber auch anderen - an einem Tisch gesessen. Die große Erkenntnis für mich war, dass die
Kriege in den allermeisten dieser Krisengebiete keine
Religionskriege - zum Beispiel Muslime gegen Christen sind, wie uns suggeriert wird. Die Religionsführer bieten
sich vielmehr die Hand.
Diesen Ansatz möchte ich verstärken: Religionsvielfalt, Toleranz und Wahrung der Minderheitenrechte.
({1})
Herr Kollege Beck.
Ich will mein Glück noch einmal mit einer Frage versuchen, die ich bereits gestellt habe, die aber vielleicht
eher in Ihr Ressort fällt. Wie soll bei einer Erhöhung der
Mittel für Triton um 3 Millionen Euro gewährleistet
sein, dass die Seenotrettung wenigstens auf dem Niveau
der Operation Mare Nostrum erfolgt, die am 31. Oktober
2014 endete, wenn man berücksichtigt, dass das Mandat
von Frontex dafür nicht ausreicht und die Mittel dann
immer noch um ein Drittel geringer sind als die, die
Mare Nostrum zur Verfügung standen?
Die Seenotrettung darf nicht am Geld scheitern.
({0})
Ich bin vorgestern so weit gegangen, zu sagen: Wenn in
Brüssel um 6 Millionen Euro gestritten wird, dann finanzieren wir das aus unserem Haushalt vor. Ich denke, ich
erhalte dafür Ihre Unterstützung. Das Signal ist angekommen.
Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wir leben in einer
neuen Zeit dramatischer Herausforderungen. Das Mittelmeer verbindet uns. Aber in den Regionen rund um das
Mittelmeer, in denen viele Deutsche Urlaub machen,
herrscht Krieg. 15 Millionen Menschen sind auf der
Flucht. Das ist eine dramatische Situation. Da schaue ich
in Richtung Brüssel: Wie reagiert Brüssel?
({1})
Ja, meine Damen und Herren, Deutschland reagiert,
und zwar ganz entschieden. Aber dies ist eine Gemeinschaftsaufgabe der Europäischen Union. Deshalb habe
ich die 10 Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe im
Rahmen eines Krisenprogramms aus Brüssel eingefordert.
({2})
Es ist ein gesamteuropäisches Thema, auf diese Krisen
mit neuen Zeichen der politischen Bewältigung zu reagieren.
({3})
Alle Leidenschaften zu diesem Thema sind mehr als
nachvollziehbar.
({0})
Aber ich mache auch darauf aufmerksam, dass wir darüber fast eine Dreiviertelstunde gesprochen haben und
dass wir nachher dazu eine Debatte führen werden. Da
Präsident Dr. Norbert Lammert
kann dann jeder den Gesichtspunkt, der ihm besonders
wichtig ist, in der gebotenen Deutlichkeit vortragen.
Jetzt gibt es eine Frage des Kollegen von Notz zu anderen Aufgaben der Bundesregierung.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Frage zum
Thema Vorratsdatenspeicherung geht an den Vertreter
des Innenministeriums. Der Staatssekretär aus diesem
Ministerium ist dankenswerterweise anwesend.
Von den vielen Voraussetzungen, die uns durch die
höchste Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung
vorgegeben sind, ist nach unserer Auffassung keine erfüllt. Ich will aber zu diesem Kompromiss - in Anführungsstrichen -, den es zwischen dem BMJ und dem
BMI gegeben hat, zwei Dinge konkret nachfragen.
Erster Punkt. Die Kommunikation der Berufsgeheimnisträger, die nicht gespeichert werden darf, soll jetzt
doch gespeichert werden. Wenn ich das in den Leitlinien
dazu richtig verstanden habe, wird mit einem Beweisverwertungsverbot argumentiert. Das gibt es aber schon
seit Jahrzehnten. Jetzt frage ich Sie, Herr Schröder: Wie
passt die Rechtsprechung, wonach die Kommunikation
von Berufsgeheimnisträgern nicht gespeichert werden
darf, mit Ihrer Argumentation zusammen, die Kommunikation dürfe gespeichert werden, weil es ein Beweisverwertungsverbot gebe, aufgrund dessen die Daten in Gerichtsverfahren nicht verwertet werden dürften? Meiner
Ansicht nach steht beides nicht in einem dialogischen
Verhältnis, sondern es ist irrig, so zu argumentieren.
Meine zweite Frage.
Nein, Herr Kollege von Notz. Diese stellen Sie bitte
gleich gesondert, denn Sie haben schon mit der ersten
Frage den Zeitrahmen überschritten.
({0})
Herr Kollege Schröder.
Wir nehmen bei der Vorratsdatenspeicherung besondere Rücksicht auf die Berufsgeheimnisträger. Das ist in
einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit. Unseres
Erachtens ist es sinnvoller, mit Beweisverwertungsverboten zu arbeiten, als den Staat genau wissen zu lassen,
welche IP-Adressen von welchen Berufsgeheimnisträgern
verwendet werden. Es wäre ein viel größerer Eingriff in
den Datenschutz, wenn alle Berufsgeheimnisträger genau
benennen müssten, mit welchen Kommunikationsmitteln sie kommunizieren. Der geringere Eingriff ist meines Erachtens, wenn die Berufsgeheimnisträger so arbeiten können wie bisher - wenn sie keine zusätzlichen
Daten übermitteln müssen - und das Ganze über das
Mittel der Beweisverwertungsverbote organisiert wird.
Eine weitere Frage?
({0})
- Nein, im Augenblick nicht. - Herr Kollege Ströbele.
Danke, Herr Präsident. - Wir befinden uns jetzt im
schleichenden Übergang zur Fragestunde.
Nein, schleichende Übergänge gibt es im Deutschen
Bundestag nicht, Herr Kollege Ströbele. Dass ausgerechnet Sie das ernsthaft vorschlagen, erschüttert mich beinahe.
({0})
Ich hatte bisher nur Gelegenheit, den Herrn Staatssekretär Lange dazu im Rechtsausschuss zu befragen. Jetzt
habe ich die Gelegenheit, den Staatssekretär im Innenministerium dazu zu befragen. Deshalb habe ich im Anschluss an das, was der Kollege gefragt hat, an Sie die
Frage - darauf kommen wir gleich auch noch im Rahmen der Fragestunde -: Wenn ich es richtig verstanden
habe, sind Ausnahmen vorgesehen, nämlich in sozialen
Bereichen bzw. für Personen, die in Notfällen in Anspruch genommen werden, oder im kirchlichen Bereich.
Das heißt, wenn sich ein Hilfesuchender an seinen
Beichtvater oder an einen Priester wendet, werden seine
Verbindungsdaten nicht gespeichert. Aber wenn er sich
an seinen Psychiater, seinen Arzt oder gar an seinen
Rechtsanwalt oder, noch schlimmer, an seinen Abgeordneten wenden will, dann werden sie gespeichert. Wie erklären Sie diese Unterschiede?
Wir sind innerhalb der Bundesregierung strikt an das
Ressortprinzip gebunden. Insofern hat mein Kollege
Lange sich bereit erklärt, die Frage zu beantworten.
Die Frage wird, wie angekündigt, eigentlich in der
Fragestunde aufgerufen. Ich würde jetzt einmal eine
Ausnahme von der sonstigen strengen Regel zulassen,
weil die Frage schon gestellt wurde. Wenn Sie einverstanden sind, Herr Kollege Lange, sie jetzt zu beantworten, dann können wir nachher die Fragestunde davon
entlasten.
Herr Präsident, ich schlage vor, dass ich die Frage 1
- es geht nämlich exakt um diese Frage - beantworte
wie geplant und dann noch zusätzlich gerne die weitere
Frage als Nachfrage akzeptiere. Im Übrigen haben wir
beide Fragen bereits heute Morgen im Rechtsausschuss
ausführlich erörtert. Aber ich wiederhole beides gerne
noch einmal.
({0})
Aber natürlich nicht vor der deutschen Weltöffentlichkeit. Das gibt Ihnen jetzt eine ganz andere Plattform.
({0})
Vielen Dank für diesen Hinweis. Ich fühle mich entsprechend geehrt.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 1 des Kollegen
Ströbele:
Wie glaubt die Bundesregierung nunmehr eine Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform regeln zu können - was
der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der
Justiz und für Verbraucherschutz, Christian Lange, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 25. März 2015 auf
meine mündliche Frage 2, Plenarprotokoll 18/96, hin vor allem wegen der damals noch schwebenden Kontroverse mit
dem Bundesministerium des Innern und wegen der „rechtlich
und technisch komplexen Materie“ noch nicht beantworten
konnte -, nachdem der Europäische Gerichtshof 2014 die
Speicherung der Daten jeglicher Berufsgeheimnisträger sowie
solcher Personen ausschloss, „bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte“, und wie glaubt die Bundesregierung
technisch, organisatorisch und regulativ sicherstellen zu können, dass derartige Daten, wie erforderlich, sicher erkannt und
von denen anderer Personen unterschieden werden können
und die Speicherung verbindlich unterbleibt?
Herr Kollege Ströbele, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Leitlinien zur Einführung einer Speicherfrist
und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten, die der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz am
15. April 2015 vorgestellt hat, kombinieren zeitlich und
inhaltlich eng begrenzte Speicherfristen mit sehr strengen Abrufregelungen. Auf diese Weise wird der Forderung des Europäischen Gerichtshofs nachgekommen, die
Regelung auf das absolut Notwendige zu beschränken.
Der Schutz von Berufsgeheimnisträgern wird sichergestellt. Verkehrsdaten, die sich auf Personen, Behörden
oder Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen beziehen, die grundsätzlich anonym bleibenden
Anrufern ganz oder überwiegend telefonische Beratung
in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und die
selbst oder deren Mitarbeiter insoweit besonderen Verschwiegenheitspflichten unterliegen, sind grundsätzlich
von der Speicherpflicht ausgenommen.
Darüber hinaus dürfen Daten von Personen, die nach
§ 53 StPO berechtigt sind, das Zeugnis zu verweigern
- nämlich die besagten Rechtsanwälte, Seelsorger,
Ärzte, Apotheker und dergleichen -, nicht abgerufen und
verwendet werden. Zufallsfunde unterliegen einem Verwertungsverbot.
Berufsgeheimnisträger bereits von der Speicherung
der Verkehrsdaten auszunehmen, ist nicht möglich. Es ist
unter Datenschutzgesichtspunkten nicht vertretbar, eine
Art Datenbank mit Berufsgeheimnisträgern und ihren
Rufnummern anzulegen und bei allen TK-Anbietern zu
hinterlegen. Der Eingriff in deren Berufsfreiheit und ihr
Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre dann
sogar noch größer - Kollege Schröder hat darauf hingewiesen - als der Nutzen, der in der Ausnahme von der
Speicherung liegt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Ströbele.
Meine vorhin an Staatssekretär Schröder gerichtete
Frage ist nicht beantwortet. Warum macht man diesen
Unterschied? Gibt es Berufsgeheimnisträger erster und
zweiter Klasse? Hat ein Anruf bei meinem Pfarrer oder
Beichtvater höheren Schutz, als wenn ich - oder ein
Mensch, der in Not ist - einen Psychiater anrufe?
Das ist nicht der Fall, und das will ich Ihnen gerne erklären, so wie ich das bereits heute Vormittag gemacht
habe. Für die besagten Organisationen, zum Beispiel für
die Telefonseelsorgehotlines, enthält das Telekommunikationsgesetz bereits jetzt Sonderregelungen. Nach § 99
TKG dürfen Einzelverbindungsnachweise Verbindungen
zu diesen Organisationen nicht erkennen lassen. Organisatorisch wird das dadurch gewährleistet, dass die Bundesnetzagentur die Inhaber solcher Anschlüsse auf Antrag in eine Liste aufnimmt, die die Dienstanbieter
quartalsweise abrufen müssen. Auf diese bereits bestehende Liste kann auch zur Umsetzung der Ausnahme
von der Speicherpflicht mit Bezug auf die genannten Organisationen zurückgegriffen werden.
Was den Unterschied zu den anderen, also den
Rechtsanwälten angeht, sehen die Leitlinien diese Ausnahmen von der Speicherpflicht vor, weil es unter Datenschutzgesichtspunkten - ich wiederhole mich - nicht
vertretbar ist, eine Datenbank mit Berufsgeheimnisträgern und ihren Rufnummern anzulegen und bei den TKAnbietern zu hinterlegen.
Bei dynamischen IP-Adressen - auch darauf hatte ich
bereits hingewiesen - ist eine Ausnahme auch technisch
nicht möglich. Stattdessen wird ein besonderer Schutz
auf der Ebene des Abrufs durch Erhebungs- und Verwertungsverbote gewährleistet. Diese sind im Übrigen bewährte Schutzmechanismen, die die Strafprozessordnung auch für andere Ermittlungsmaßnahmen vorsieht,
so zum Beispiel nach § 160 a StPO für Ermittlungsmaßnahmen generell und nach § 100 c StPO für die Wohnraumüberwachung im Besonderen. Genauso wie bei der
Wohnraumüberwachung soll das Erhebungs- und Verwertungsverbot nach den Leitlinien für alle in § 53 StPO
genannten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen,
zum Beispiel für Rechtsanwälte, gelten. Im Übrigen hat
sich dieses Verfahren bewährt.
Eine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, bei anderen Berufsgeheimnisträgern wie Rechtsanwälten, Abgeordneten, Psychiatern und Ärzten gehe das nicht, dann kann
man daraus auch den Schluss ziehen, dass man keine
Vorratsdatenspeicherung vornehmen darf. Das ist nicht
nur die Auffassung des Abgeordneten Ströbele - das
wäre schon wichtig genug -,
({0})
sondern auch die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs. Warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass
der Europäische Gerichtshof gesagt hat, Daten von Berufsgeheimnisträgern dürften nicht gespeichert werden,
weil dann der Schutz dieser Personengruppe hinfällig
oder zumindest angetastet werde?
Herr Kollege Ströbele, ich weise noch einmal darauf
hin, dass wir die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs umsetzen, indem wir die besonderen Rechte
von Rechtsanwälten und anderen Berufsgeheimnisträgern durch ein entsprechendes Erhebungs- und Verwertungsverbot schützen, wie ich gerade ausgeführt habe.
Ich habe nicht gesagt, dass es nicht geht. Vielmehr ist es
unseres Erachtens unter Datenschutzgesichtspunkten
nicht vertretbar, eine Art Datenbank für Berufsgeheimnisträger zusätzlich anzulegen und ihre Rufnummern bei
allen TK-Anbietern zu hinterlegen. Abgeordnete sind
durch die vorgesehenen Erhebungs- und Verwertungsverbote in besonderem Maße geschützt. Das gilt schon
heute; ich hatte Ihnen entsprechende Beispiele genannt.
Uns sind keinerlei Beschwerden bekannt, ganz im Gegenteil. Dieses Verfahren hat sich bewährt. Deshalb wollen wir daran festhalten.
Herr von Notz.
Das ist meiner Ansicht nach keine Beantwortung der
Frage, Herr Staatssekretär. Deswegen frage ich noch einmal anders nach. Da in dem entsprechenden Gerichtsurteil steht, Daten von Berufsgeheimnisträgern dürften
nicht gespeichert werden, und Sie darauf hinweisen, dass
ein Beweiserhebungs- bzw. ein Beweisverwertungsverbot besteht: Sind Sie der Auffassung, dass den Richtern
und Richterinnen des EuGH die Beweisverwertungsverbotsregelungen nicht bekannt waren und dass Ihr Vorschlag auf ernstzunehmende Art und Weise mit diesem
Urteil korrespondiert, oder teilen Sie meine Auffassung,
dass es sich hier um eine reine Schein- und Alibiargumentation handelt und Sie nur darauf spekulieren, mit irgendeiner Regelung bis zum nächsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts oder des EuGH durchzuhalten,
um erneut eine rechtswidrige Regelung zu schaffen, die
letztlich illegitim in die Grundrechte der Bürgerinnen
und Bürger eingreift?
Ich teile Ihre Auffassung nicht. Wir gewährleisten,
dass die besonderen Schutzbedürfnisse der Berufsgeheimnisträger erfüllt werden. Das ist eine seit vielen Jahren und Jahrzehnten bewährte Methode in Deutschland.
Dies entspricht der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs. Die Richtlinie entsprach ihr nicht. Deswegen ist sie moniert worden. Aber unser Gesetzentwurf,
den wir vorlegen werden, wird dem genügen.
Ich schließe damit die Regierungsbefragung.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
Drucksachen 18/4641, 18/4678
Es gibt zwei zugelassene dringliche Fragen aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, die ich zuerst aufrufe. Dabei geht es um Konsequenzen aus der Veröffentlichung von Dokumenten zur
Rolle der US-Militärbasis in Ramstein im Zusammenhang mit der gezielten Tötung durch Drohnen.
Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische
Staatssekretär Brauksiepe zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Abgeordneten
Sevim Dağdelen auf:
Wird die Bundesregierung - vor dem Hintergrund, dass
der Spiegel und die US-Enthüllungsplattform „The Intercept“
neue, vormals streng geheime Dokumente der US-Regierung
präsentierten, welche die zentrale Rolle der US-Militärbasis
Ramstein für alle Steuerungs- und Überwachungssignale der
Drohnen belegen ({0}) - sofort mittels eigener Untersuchungen der
Frage nachgehen, ob es in Ramstein einen Rechtsbruch von
deutschem Boden aus zu ahnden gibt, um somit weitere mögliche gezielte Tötungen durch Drohnen von deutschem Boden
zu verhindern?
Bitte, Herr Brauksiepe.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, ich beantworte die von Ihnen gestellte Ja/Nein-Frage mit Nein
und führe ergänzend Folgendes aus:
Nach intensiven, vertraulichen Gesprächen sicherte
die US-amerikanische Regierung der Bundesregierung
Mitte Januar 2015 zu, dass amerikanische Einsätze von
unbemannten Luftfahrzeugen in keiner Weise von Deutschland aus gesteuert oder durchgeführt würden und sämtliche
Entscheidungen über Einsätze unbemannter Luftfahrzeuge durch die US-Regierung in Washington fielen.
Jedwedes Handeln der Vereinigten Staaten von deutschem Staatsgebiet aus erfolge nach den Regeln des geltenden Rechts. Die Bundesregierung verweist in diesem
Zusammenhang auch auf ihre Antwort auf Ihre schriftliche Frage vom 8. April 2015.
Die Air Base Ramstein und die sich darauf befindliche Satelliten-Relaisstation wird von den USA ohne die
Mitwirkung oder Einbeziehung der Bundesregierung betrieben und genutzt. Selbst wenn sie dabei eine entscheidende Rolle beim Datentransfer zu Drohnen der USA
oder zu deren Steuerung einnehmen sollte, folgt daraus
keineswegs zwingend ein Rechtsbruch oder eine Straftat,
die von deutschem Boden ausgeht.
Unter rechtlichen Gesichtspunkten kann nur ein konkreter Drohneneinsatz bei Kenntnis aller maßgeblichen
Tatsachen bewertet werden. Dies ist immer eine Frage
des Einzelfalls, wobei in erster Linie Ziel des Einsatzes,
äußere Rahmenbedingungen und gegebener Kenntnisstand der Verantwortlichen im Mittelpunkt stehen würden und weniger die Struktur des Datentransfers.
Allein die zitierten Presseveröffentlichungen haben in
dieser Hinsicht bislang keinen Anlass für die zuständigen Justiz- und Polizeibehörden für die Einleitung konkreter Ermittlungen gegeben. Allerdings hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof bereits im Juni
2013 einen sogenannten Beobachtungsvorgang im Zusammenhang mit etwaigen von Deutschland aus geplanten, gesteuerten oder überwachten Drohneneinsätzen
angelegt. Dabei prüft er anhand offen verfügbarer Informationen, ob es Anhaltspunkte für in seine Verfolgungszuständigkeit fallende Straftaten gibt.
Bei weiteren Erkenntnissen würden die zuständigen
Behörden selbstverständlich auf der Grundlage der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen tätig werden, wie
dies in der Vergangenheit schon erfolgt ist. Ich verweise
in diesem Zusammenhang auf die Einstellungsverfügung
der Bundesanwaltschaft vom 20. Juni 2013 hinsichtlich
eines Drohneneinsatzes in Pakistan, Aktenzeichen 3 BJs
7/12-4.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe
Gäste, von meiner Seite aus. - Frau Dağdelen hat eine
Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte vor meiner eigentlichen Frage mit einer Verständnisfrage nachhaken, weil die Antwort so schnell vorgelesen wurde.
Habe ich es jetzt akustisch richtig verstanden, dass Sie
gesagt haben, auch wenn von Ramstein aus Drohnenangriffe stattfinden würden, diese nicht rechtswidrig wären? Sie haben das so schnell vorgelesen; deshalb frage
ich nach.
Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, dass dies
nicht zwingend der Fall ist, sondern dass die rechtliche
Würdigung eines Drohneneinsatzes immer nur als Einzelfall unter Würdigung aller mit diesem Einzelfall zusammenhängenden Umstände erfolgt.
Okay, gut. - Dann habe ich jetzt meine erste Nachfrage, Frau Präsidentin.
Ich möchte fragen: Unter welchen Umständen ist die
Bundesregierung bereit, zumindest diesen einzelnen Fällen einzelne Würdigungen zuteilwerden zu lassen und zu
prüfen, ob sie völkerrechtswidrig bzw. rechtswidrig sind
und ob die Bundesrepublik Deutschland, wenn tatsächlich die Daten für die tödlichen Drohnenangriffe über
Ramstein fließen, eventuell Gefahr läuft - ich verweise
in diesem Zusammenhang auf den Wissenschaftlichen
Dienst des Bundestages -, an „völkerrechtswidrige({0})
Militäroperationen“ beteiligt zu sein, die „durch ausländische Staaten von deutschem Territorium“ aus durchgeführt werden würden? Dies würde laut Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes von 2014 „eine Beteiligung
an einem völkerrechtswidrigen Delikt“ darstellen. Viele
Strafrechtler sagen auch, das sei Beihilfe zum Mord.
Frau Kollegin, ich habe bereits in meiner Antwort auf
Ihre Frage darauf hingewiesen, dass die in unserem
Rechts- und Rechtswegestaat zuständigen Justiz- und
Polizeibehörden, die über die Einleitung von konkreten
Ermittlungen zu entscheiden hätten, dafür bislang keinen
Anlass gesehen haben, über das hinaus, worauf ich Sie
auch hingewiesen habe, dass es einen Beobachtungsvorgang gibt und dass es in der Vergangenheit schon einmal
ein Verfahren gegeben hat, das seitens der Bundesanwaltschaft dann mit Begründung eingestellt worden ist.
Das sind die in unserem Rechtswegestaat dafür zuständigen Institutionen und die von ihnen dazu bisher getroffenen Entscheidungen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Vielen herzlichen Dank. - Herr Staatssekretär, schon
seit längerem, genauer: seit Sommer 2013, stellt meine
Fraktion hier im Deutschen Bundestag beständig Kleine
Anfragen, schriftliche Fragen, mündliche Fragen über
Erkenntnisse und Kenntnisse bezüglich der Drohnenmorde, die laut verschiedensten Berichten von deutschem Boden ausgehen sollen. Von den aktuellen Berichterstattungen von Spiegel und „The Intercept“
möchte ich nur eine kurz zitieren und Sie fragen, ob Sie
es bestätigen können bzw. ob Sie Kenntnis davon haben.
Der Spiegel schreibt am 18. April 2015:
Im Juni 2013, kurz vor Obamas Berlin-Besuch,
drängte die damalige Staatssekretärin im Auswärti9436
gen Amt darauf, von Washington eine Zusicherung
zu verlangen: dass sich US-Stellen in Deutschland
„nicht an gezielten Tötungseinsätzen“ beteiligen.
Emely Haber
- die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt wurde laut einem internen Vermerk jedoch überstimmt: „Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium plädieren hingegen dafür, Druck aus Parlament und Öffentlichkeit, auszusitzen‘.“
Meine Frage: Ist Ihnen dieser Vermerk bekannt, oder bestreiten Sie das, was im Spiegel steht? Sagen Sie: „Das
ist unwahr, was der Spiegel hier behauptet“?
Zweite Frage. Aufgrund dieser Berichterstattung im
Spiegel gab es Informationen und Auskünfte des Bundesministeriums der Verteidigung, dass mit anderen Kanälen die neuesten an die Öffentlichkeit gelangten Fakten in sachlich zuständigen Häusern besprochen werden
würden. Meine Frage: Wie oft, wann und wo fanden seit
diesen Enthüllungen von Spiegel und „The Intercept“
solche Beratungen statt? Falls sie noch nicht stattgefunden
haben: Wann gedenken Sie diese stattfinden zu lassen?
Frau Kollegin, ich kann Ihnen zu diesem Vermerk
nichts sagen. Ich habe keine Kenntnisse über diesen Vermerk. Ich kenne auch niemanden, der öffentlich oder anderswo behauptet, dass dies ein Vermerk aus dem Bundesministerium der Verteidigung sei.
({0})
Das Bundesministerium der Verteidigung hat seit der
kurzfristigen Einreichung Ihrer dringlichen Frage auch
nicht sämtliche anderen Ministerien dahin gehend einbezogen, zu erfahren, ob es irgendwo dort einen solchen
Vermerk gibt. Deswegen kann ich Ihnen diesen Vermerk
nicht bestätigen.
Vielen Dank. - Eine weitere Zusatzfrage hat der Abgeordnete Ströbele.
Ich bitte die Kollegen, sich wirklich an die Eine-Minute-Regelung zu halten; das macht schon Sinn.
Danke, Frau Präsidentin. Danke auch für den Hinweis. - Ich frage ganz kurz. Sie behaupten, die US-Regierung habe ausdrücklich in Abrede gestellt, bestritten,
dass von Ramstein aus sogenannte Killerdrohnen, also
Drohnen, die illegale, gezielte Hinrichtungen durchführen, eingesetzt werden. Wo und wann und wie - schriftlich oder mündlich? - hat die US-Regierung so etwas
verlauten lassen? Mir ist nur bekannt, dass die US-Regierung bestreitet, dass von Ramstein aus Drohnen eingesetzt werden. Das heißt aber überhaupt nicht, dass
Drohnen nicht, wie Sie es in Ihrer Antwort vorhin dargestellt haben, über Ramstein gesteuert werden. Der Bericht des Spiegels und andere Veröffentlichungen besagen: Diese Drohnen werden über Ramstein gesteuert,
das heißt, mit Unterstützung aus Deutschland.
Herr Kollege Ströbele, ich habe darauf hingewiesen
und wiederhole das gerne, dass die Regierung der Vereinigten Staaten der Bundesregierung versichert hat, jedwedes Handeln der Vereinigten Staaten von deutschem
Staatsgebiet erfolge nach den Regeln des geltenden
Rechts. Das kann ich hier nur noch einmal wiederholen.
Die Bewertung bestimmter Drohneneinsätze, die Sie
vorgenommen haben, ist Ihre Bewertung; sie ist nicht
die Bewertung der Bundesregierung. Für die Bundesregierung kann ich nur wiederholen, dass nur für den Einzelfall eine solche Bewertung vorgenommen werden
kann. Die Bundesregierung sitzt nicht über die Regierung der Vereinigten Staaten zu Gericht; es ist nicht ihre
Aufgabe, über jeden einzelnen Drohneneinsatz der Vereinigten Staaten vor Gericht zu sitzen und darüber eine
Bewertung abzugeben.
Ich kann nur feststellen, dass die zuständigen Strafverfolgungsbehörden in Deutschland im Hinblick auf einen Drohneneinsatz bisher in keinem Fall abschließend
zu einer solchen Bewertung gekommen sind, wie Sie sie
hier gerade politisch, wie das Ihr gutes Recht ist, vorgenommen haben.
({0})
Kollege Movassat und dann Frau Kotting-Uhl.
Danke. - Herr Staatssekretär, am 18. November 2011
wurde laut Berichten das Bundesverteidigungsministerium von den USA darüber informiert, dass in Ramstein
eine Relaisstation für Drohneneinsätze errichtet wird.
Was wurde Ihnen dazu mitgeteilt, welchem Zweck diese
Relaisstation für Drohneneinsätze dient? Wurden Sie
zum Beispiel darüber informiert, dass sich US-Drohnenpiloten über diese Relaisstation in die Drohnen einloggen?
Herr Kollege Movassat, es handelt sich bei dem von
Ihnen genannten Schreiben um kein geheimes Papier.
Dieses Schreiben ist Bestandteil der dem NSA-Untersuchungsausschuss vom Bundesministerium der Verteidigung vorgelegten Akten. Von daher ist es nicht geheim.
Ich könnte Ihnen das Schreiben jetzt komplett vorlesen. Das würde die in unserem Verfahren hier vorgesehene Zeit sprengen. Ich möchte mir jetzt auch nicht herausnehmen, zu entscheiden, welche Sätze daraus
besonders wichtig sind. Also, ich könnte es Ihnen vorlesen; das würde einige Zeit dauern. Aber, wie gesagt, es
ist dem NSA-Untersuchungsausschuss mit zur VerfüParl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
gung gestellt worden und von daher kein geheimes Papier.
({0})
Kollegin Kotting-Uhl hat die nächste Rückfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie
haben jetzt zweimal betont, dass die Nichtrechtmäßigkeit, die Rechtswidrigkeit nur in jedem einzelnen Fall,
also individuell, festgestellt werden könne. Dass Ramstein in diesen Zusammenhängen eine Rolle spielt, ist,
glaube ich, gar nicht zu bestreiten. Mich überzeugt
durchaus die Argumentation, die auch im Spiegel dargelegt wurde, dass aufgrund der Erdkrümmung eine Datenübertragung von den USA in die Einsatzgebiete gar nicht
zeitnah erfolgen kann; da entsteht eine Zeitverzögerung,
die eben dadurch ausgeschaltet wird, dass man das von
Ramstein aus macht. Das scheint mir relativ logisch zu
sein.
Meine konkrete Frage bezieht sich auf die Überprüfung der Rechtswidrigkeit in jedem einzelnen Fall. Sie
sagen, es sei nicht die Aufgabe von Deutschland, über
die USA zu Gericht zu sitzen. Es ist aber sehr wohl die
Aufgabe von Deutschland, zu schauen, ob unser Recht
eingehalten wird. Deshalb meine Frage: Wer überprüft
das nun in jedem einzelnen Fall?
Frau Kollegin, ich zitiere sonst eher zurückhaltend
aus Medienberichten. Aber ich will jetzt einmal einen
Satz aus Spiegel Online zitieren, der am 19. April veröffentlicht worden ist:
Der Einsatz von bewaffneten Drohnen ist nach gängiger Rechtsauffassung in bewaffneten Konflikten
grundsätzlich legal.
({0})
Das drückt genau das aus, was ich hier zum Ausdruck
gebracht habe. Es ist grundsätzlich legal. Ob es im Einzelfall legal ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden.
Wir haben von unseren amerikanischen Partnern die
Zusicherung erhalten, dass ihr Handeln von deutschem
Staatsgebiet aus nach den Regeln des geltenden Rechts
erfolgt, was sich im Übrigen auch schon aus dem
NATO-Truppenstatut und anderen völkerrechtlichen
Vereinbarungen ergibt. Danach hat sich jeder Gaststaat
hier an deutsches Recht zu halten. Also, über diese vertraglichen, völkerrechtlichen Vereinbarungen hinaus haben wir diese Zusicherung der Vereinigten Staaten erhalten, und wir haben keinen Anlass, an der Richtigkeit der
Zusicherungen, die wir bekommen, zu zweifeln.
({1})
Vielen Dank. - Nächste Rückfrage von Kollegin
Renner.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich möchte noch einmal
zu dem Dokument fragen, zu dem auch Kollege
Movassat eben schon gefragt hat und das im Spiegel veröffentlicht worden ist. In diesem Dokument aus dem
Herbst 2011 aus dem Verteidigungsministerium geht es
um ein Bauvorhaben auf dem Gelände von Ramstein,
wo unter dem Namen „UAS Satcom“ ein Kontrollzentrum für die Drohneneinsätze errichtet werden soll.
Da ist von „Predator“ und „Reaper“ die Rede. Das
sind Begriffe, die diese Drohnen - bemannte und unbemannte - technisch ganz genau bezeichnen. Und es ist
eben auch davon die Rede, dass es um die Aufstellung
von „Mission Control Vans“ geht.
Nun ist dieses Schreiben für uns nicht nur inhaltlich
von Interesse, sondern auch Beleg dafür, dass der Bundesregierung möglicherweise doch schon zu einem
früheren Zeitpunkt - vor der Veröffentlichung der
Snowden-Dokumente und dieses Dokuments - bekannt
gewesen sein muss, dass von Ramstein aus Drohnen
gesteuert werden. Ich frage deswegen: Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung ziehen, wenn nach
Analyse dieser Dokumente klar wird, dass die in der
Vergangenheit getätigten Aussagen gegenüber dem
Deutschen Bundestag nicht der Wahrheit entsprochen
haben?
Frau Kollegin, sollten Sie mit dem letzten Teil Ihrer
Frage die Unterstellung verbunden haben, dass die Bundesregierung zu irgendeinem Zeitpunkt den Deutschen
Bundestag oder einzelne Mitglieder des Deutschen Bundestages bewusst unwahr unterrichtet hat, weise ich dies
in aller Entschiedenheit zurück.
Der von Ihnen angesprochene Vorgang war auch Gegenstand einer Kleinen Anfrage Ihrer Fraktion, auf die
Ihnen das Auswärtige Amt mit Schreiben vom 12. Juli
2013 geantwortet hat. Ich greife den Punkt gerne noch
einmal auf. In der Tat haben die US-Streitkräfte den Auftragsbautengrundsätzen entsprechend das BMVg darüber informiert, dass sie in Ramstein eine Relaiseinrichtung errichten wollen. Sie haben im November dann
auch das von Ihnen und mir angesprochene Schreiben
vorgelegt. Die Baumaßnahme kann von den Gaststreitkräften selbst vorgenommen werden.
Die Bundesregierung ging in dem Zusammenhang
von der Errichtung eines Kontrollzentrums außerhalb
der Bundesrepublik Deutschland aus, da die Baubeschreibung in der Tat lediglich die Baumaßnahmen zur
Errichtung einer Station zur Weiterleitung von Daten
über Satelliten umfasste. Über betriebliche Einzelheiten
im Zusammenhang mit der Baumaßnahme der US-Gaststreitkräfte liegen dem Bundesministerium der Verteidigung nach wie vor keine Erkenntnisse vor.
Für uns ist entscheidend, dass die Vereinigten Staaten
uns gegenüber klargestellt haben, dass ihr Handeln geltendem Recht folgt.
Die letzte Nachfrage zu diesem Punkt hat Katja Keul.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Brauksiepe, ich
habe eben beruhigt zur Kenntnis genommen, dass wir
uns einig sind, dass es keine Nettigkeit ist, wenn sich die
Amerikaner hier an das deutsche Recht halten, sondern
dass sie auch verpflichtet sind, deutsches Recht und das
Völkerrecht zu beachten. Sind wir uns auch einig darüber, dass zur Prüfung, ob Rechtsverstöße vorliegen,
der Generalbundesanwalt zuständig ist? Sind wir uns
auch darüber einig, dass für strafrechtliche Ermittlungen
das Legalitätsprinzip gilt, das heißt, dass auch ermittelt
werden muss, wenn der Verdacht auf eine Straftat entsteht? Und sind wir uns auch darüber einig, dass der Generalbundesanwalt als politischer Beamter dem Weisungsrecht der Bundesregierung untersteht?
Frau Kollegin, das war jetzt eine Vielzahl von Fragen.
Ich versuche, sie aus der Erinnerung zu rekapitulieren
und zu beantworten.
Für Völkerstrafrecht ist der Generalbundesanwalt zuständig. Die hier angesprochenen Tatbestände würden,
wenn sie unter das Strafrecht fallen würden, vermutlich
darunterfallen. Es ist generell denkbar, dass es Straftaten
gibt, für deren Verfolgung in unserem Rechtswegestaat
andere Strafverfolgungsbehörden zuständig wären. Das
war ein Punkt, wonach Sie gefragt haben. Darüber sind
wir uns also einig.
Ja, der Generalbundesanwalt fällt mit seiner Tätigkeit
in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums
der Justiz und für Verbraucherschutz. Ich weiß nicht, ob
Sie mit Ihrer Frage insinuieren wollten, dass der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz die politische Entscheidung treffen sollte, den Generalbundesanwalt anzuweisen, Ermittlungen zu führen. Ich kann
nur noch einmal wiederholen, was ich eben schon gesagt
habe, dass der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit etwaigen von Deutschland aus geplanten, gesteuerten oder überwachten Drohneneinsätzen bereits im Juni 2013 einen sogenannten
Beobachtungsvorgang angelegt hat. Das heißt, er hat
selbstverständlich die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, wenn er dies für geboten hält.
Ich komme nun zur dringlichen Frage 2 des Kollegen
Movassat:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
Sachverhalt, dass die im Magazin Der Spiegel, Nummer 17/
2015, veröffentlichten Regierungsdokumente zur Rolle der
US-Militärbasis in Ramstein belegen, dass die Abgeordneten
des Deutschen Bundestages in zahlreichen Kleinen Anfragen,
mündlichen und schriftlichen Fragen zur Unterstützung der
Relaisstation in Ramstein für die extralegalen Tötungen in
Afrika, dem Jemen und Pakistan möglicherweise bewusst von
der Bundesregierung belogen und getäuscht wurden ({0}), und inwiefern sieht sie dies mit
dem Fragerecht der Parlamentarierinnen und Parlamentarier
vereinbar?
Herr Kollege, ich antworte Ihnen wie folgt: Nach intensiven, vertraulichen Gesprächen sicherte die amerikanische Regierung der Bundesregierung Mitte Januar 2015
zu, dass US-amerikanische Einsätze von unbemannten
Luftfahrzeugen in keiner Weise von Deutschland aus gesteuert oder durchgeführt würden und sämtliche Entscheidungen über Einsätze unbemannter Luftfahrzeuge
durch die US-Regierung in Washington fielen. Jedwedes
Handeln der Vereinigten Staaten von deutschem Staatsgebiet aus erfolge nach den Regeln des geltenden
Rechts. Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammenhang erneut auf ihre Antwort auf die schriftliche
Frage der Abgeordneten Dağdelen vom 8. April 2015.
Die Air Base Ramstein und die sich darauf befindliche Satelliten-Relaisstation wird von den USA ohne die
Mitwirkung der Bundesregierung betrieben und genutzt.
Die Bundesregierung hat zu jedem Zeitpunkt sämtliche
Anfragen entsprechend ihrem jeweiligen Kenntnisstand
beantwortet. Beschuldigungen, die Bundesregierung
habe gelogen oder getäuscht, weise ich mit Entschiedenheit zurück.
Herr Movassat, Sie haben eine Rückfragemöglichkeit.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, in einem internen
Regierungsdokument, das Sie nicht kennen wollen,
steht, dass das Bundesverteidigungsministerium dafür
plädiert hat, die ganze Sache gegenüber dem Parlament
auszusitzen. Wer es nicht kennt, hat spätestens nach dieser Fragestunde den Eindruck, dass genau das geschehen
ist; denn Sie weichen wirklich jeder Frage aus.
Ich komme nun zu meiner Frage. Es gibt zahlreiche
Anhaltspunkte dafür, dass der US-Drohnenkrieg ohne
Ramstein nicht möglich ist und dass Ramstein der entscheidende Ort ist, um die Satelliten- bzw. die Datenverbindung herzustellen. Ein ehemaliger US-Drohnenpilot
hat gesagt, dass er, immer wenn er sich zum Einsatz gemeldet hat, mit Ramstein Verbindung aufnehmen musste
und dann mit seiner Drohne verbunden wurde. Die
neuen Dokumente, die der Spiegel veröffentlicht hat, bestätigen dies ebenfalls.
Sie sagen, im Einzelfall könne etwas rechtswidrig
sein. Was ich mich frage, ist: Ab welchem Punkt hat die
Bundesregierung im Einzelfall genügend Anhaltspunkte
dafür, sich die Sachen genauer anzuschauen und zu prüfen, ob möglicherweise Rechtsverstöße vorliegen? Wo
liegt die Schwelle für Sie?
Herr Kollege, Sie haben gesagt: „Was ich mich
frage“. Offenbar haben Sie jetzt aber mich gefragt.
Ja.
Gut. Dann antworte ich inhaltlich so, wie ich das auch
vorher schon gemacht habe: Wir haben klare völkerrechtliche Verträge mit den Vereinigten Staaten. Wir haben in die identische Richtung gehende darüber hinausgehende Zusicherungen, und wir haben in unserem Land
Strafverfolgungsbehörden, deren Aufgabe es ist, bei entsprechendem Anlass - falls sie den sehen - Ermittlungen
einzuleiten. So ist unser Rechtswegestaat organisiert.
Die Bewertung eines konkreten Drohneneinsatzes
- auch das möchte ich wiederholen - kann nur im Einzelfall erfolgen. Wie Sie den von Ihnen hier zitierten
Presseberichterstattungen, die ich ebenfalls auszugsweise zitiert habe, entnehmen können, sind solche Einsätze nicht grundsätzlich völkerrechtswidrig. Die Völkerrechtswidrigkeit könnte nur im Einzelfall festgestellt
werden. Dies ist von den zuständigen Stellen aber bisher
in keinem Fall erfolgt.
Herr Movassat, Sie haben eine zweite Frage.
Herr Staatssekretär, wenn die ganze Sache so einfach
wäre, dann hätte die Bundesregierung keinen Fragenkatalog an die US-Regierung geschickt. Dieser wurde
von der US-Regierung ein Jahr lang nicht beantwortet
und lag da einfach herum. Dann hat die US-Regierung
Ihnen irgendwann das Wort gegeben und zugesichert:
Da passiert nichts Rechtswidriges.
Da wird natürlich immer sehr geschickt mit Worten
agiert. Die US-Regierung sagt, es würden von Ramstein
aus keine Drohnenangriffe gestartet und es würde von
dort aus nicht gesteuert. Das ist eine interessante Art,
Worte zu verwenden. Denn es wurde weder behauptet,
dass die Drohneneinsätze von Ramstein aus starten,
noch, dass der Pilot in Ramstein sitzt und sie steuert. Der
Pilot sitzt in den USA und wird mit Ramstein verbunden.
Ich frage mich: Wie kann es sein, dass es die Bundesregierung angesichts solch schwerwiegender Vorwürfe
bei einer Zusicherung der US-Regierung belässt und
nicht einmal darauf besteht, dass zumindest der Fragenkatalog beantwortet wird? Wir sprechen immerhin von
dem möglichen Vorwurf der Beihilfe zum Mord. Das
müsste doch für die Bundesregierung, die dem Grundgesetz verpflichtet ist, Anlass genug sein, hier aktiv zu
werden.
Herr Kollege, die Regierung der Vereinigten Staaten
hat uns die von mir inzwischen ungefähr ein halbes Dutzend Mal zitierte Zusicherung gegeben. Wir arbeiten mit
unseren amerikanischen Partnern vertrauensvoll zusammen. Das vertrauensvolle Verhältnis basiert auch darauf,
dass man dem Wort des anderen vertraut.
Zusatzfrage der Kollegin Höger.
Vielen Dank, dass ich jetzt eine Zusatzfrage stellen
darf. - Es gibt sehr viele Berichte, Herr Staatssekretär
Brauksiepe, darüber, dass die Einsätze in Pakistan, im
Jemen und in Somalia, also in Ländern, die keine
Kriegsteilnehmer in irgendwelchen Kriegen sind, völkerrechtswidrig sind und dass dort extralegale Tötungen
durch die USA vorgenommen werden. Deutschland ist
leider Gottes dadurch, dass die Drohnen von Ramstein
aus mit gesteuert werden, indirekt darin verwickelt.
Es wundert mich schon, wenn Sie sagen, Sie trauen
den Antworten auf diesen Fragenkatalog. Frau von der
Leyen, die vor kurzem in den USA war, wollte laut Bericht des Spiegel nicht danach fragen und hat das Thema
US-Drohnenkrieg und Beteiligung von Ramstein nicht
auf die Tagesordnung gesetzt, obwohl die Beantwortung
der Fragen für sie nicht uninteressant sein dürfte, um die
Dinge weiter zu verfolgen und um genau beurteilen zu
können, was dort passiert.
Frau Kollegin, ich bitte Sie, das, was Regierungsvertreter miteinander besprechen, doch ihnen und ihren Verabredungen zu überlassen. Die von Ihnen angesprochenen Fragen sind mit den Vereinigten Staaten erörtert
worden. Inzwischen habe ich das Ergebnis mehr als ein
halbes Dutzend Mal zitiert.
Aber Fragen dürfen gestellt werden. Dann müssen sie
vielleicht noch einmal beantwortet werden.
Sehr gerne.
Die Kollegin Dağdelen stellt jetzt die nächste Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte gerne zu
dem Aspekt der vertrauensvollen Zusammenarbeit kurz
Folgendes sagen: Es gibt manche Berichte, die behaupten, dass Deutschland ein Vasallenstaat der USA ist, weil
man immer noch von vertrauensvoller Zusammenarbeit
spricht und die Glaubwürdigkeit der USA überhaupt
nicht infrage stellt. Das gilt auch angesichts des Umstan9440
des, dass selbst die Bundeskanzlerin und Millionen Bürgerinnen und Bürger jahrelang abgehört worden sind,
ohne vom vertrauensvollen Verbündeten USA davon in
Kenntnis gesetzt zu werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich gerne wissen,
ob die Bundesregierung zumindest ansatzweise bereit
ist, eigenständige Untersuchungen anzustellen und dem
weisungsgebundenen Generalbundesanwalt die Anweisung zu geben, hier tätig zu werden, um die Souveränität
dieses Landes zu bewahren.
Frau Kollegin, es ist Ihr gutes Recht als frei gewählte
Abgeordnete in einem freien Land dieses, Ihr Land als
Vasallenstaat zu bezeichnen. Dass wir alle dieses Recht
haben, haben wir zu einem Großteil unseren amerikanischen Freunden zu verdanken, die uns zusammen mit ihren Verbündeten von der Nazidiktatur befreit haben.
({0})
Dafür sind wir bis heute - ich denke, ganz überwiegend - zu Recht dankbar.
Ich wiederhole, dass in unserem Rechtswegestaat
Strafverfolgungsbehörden für die Verfolgung möglicher
Straftaten zuständig sind; je nach Art der möglicherweise vorliegenden Straftat auch der Generalbundesanwalt oder andere Behörden. Es entspricht nach meinem
Kenntnisstand nicht der Tradition und geübten Praxis
dieser Bundesregierung, dass der zuständige Bundesminister, in diesem Fall der Bundesminister der Justiz
und für Verbraucherschutz, dem Generalbundesanwalt
politisch motivierte Anweisungen gibt. Er ist erwachsen
und ist sich seiner Kompetenzen ohne Zweifel bewusst,
sonst hätte er nicht - auch das, Frau Präsidentin, wiederhole ich voller Vergnügen so oft, wie es gefragt wird beim Bundesgerichtshof bereits im Juni 2013 einen sogenannten Beobachtungsvorgang in Zusammenhang mit
etwaigen von Deutschland aus geplanten, gesteuerten
oder überwachten Drohneneinsätzen angelegt. Sonst
hätte die Bundesanwaltschaft auch nicht am 20. Juni
2013 eine Einstellungsverfügung hinsichtlich eines
Drohneneinsatzes in Pakistan erlassen. Mein Eindruck
ist also: Alle zuständigen Behörden und Institutionen in
diesem Land sind sich ihrer Verantwortung bewusst.
({1})
Danke, Herr Staatssekretär. - Die nächste Rückfrage
hat Herr Kollege Liebich.
Herr Staatssekretär, wie bereits angesprochen wurde,
hat die Verteidigungsministerin ihren Amtskollegen in
den USA nach den Veröffentlichungen getroffen. Dann
ist von ihrem Haus gesagt worden, es sei explizit nicht
über diese Veröffentlichungen gesprochen worden. Zudem sagte ihr Haus, man hätte mit den „sachlich zuständigen Häusern auf anderen Kanälen“ darüber geredet.
Mich würde interessieren, was die „anderen Kanäle“
sind und wie oft welche Beratungen dazu stattgefunden
haben. Wenn die Verteidigungsministerin nicht mit ihrem Amtsbruder in den USA darüber spricht und es „andere Kanäle“ gibt, dann würde ich gerne wissen, welche
Kanäle dies sind und wie wir darüber informiert werden.
Herr Kollege, ich traue mir nicht zu, eine vollständige
Übersicht über Presseartikel zu diesem Thema zu haben.
Wenn es aber beispielsweise um die Nürnberger Zeitung
von heute geht, kann ich sagen: Es ist plausibel, dass
diese Zeitung von heute nicht Gegenstand von Gesprächen in den letzten Tagen gewesen sein kann. Ansonsten
habe ich mehrfach darauf hingewiesen, dass wir mit den
Vereinigten Staaten auf allen Ebenen vertrauensvoll zusammenarbeiten und wir uns selbstverständlich auch innerhalb der Bundesregierung über diese Fragen abstimmen. Ich habe Ihnen die Ergebnisse mitgeteilt; sie sind
Ihnen immer auch auf Anfragen Ihrer Fraktion hin
- Kleine Anfragen, schriftliche Fragen - mitgeteilt worden. Wir wiederholen das mit Freuden bei jedem Anlass,
den Sie uns bieten.
({0})
Danke, Herr Brauksiepe. - Herr Ströbele ist jetzt mit
einer Rückfrage dran.
Herr Staatssekretär, bei aller Freundschaft und Dankbarkeit gegenüber den USA: Gibt es Ihnen und der Bundesregierung nicht genügend Anlass, den USA hin und
wieder nicht ganz so sehr zu vertrauen und an der Wahrheitsliebe des Partners USA das eine oder andere Mal zu
zweifeln, dass Sie in den letzten Monaten und Jahren zur
Kenntnis nehmen mussten, dass die NSA und die USAdministration - auch angesichts der Vorwürfe, die sich
aus den Dokumenten von Edward Snowden ergeben,
dass deutsche Kommunikationsbeziehungen massenweise verdachtslos ausgespäht worden sind - zwar immer wieder behauptet haben, die USA hielten sich an
Gesetz und Recht, aber trotzdem eingestehen mussten,
das Handy der Kanzlerin abgehört zu haben? Oder können Sie mir ein deutsches Gesetz nennen, nach dem es
für US-Behörden zulässig ist, das Handy der Kanzlerin
abzuhören? Wenn es sich dabei um eine gesetzwidrige,
strafbare Handlung handelt, kann es ja nicht sein, dass
sich die USA immer an Gesetz und Recht in Deutschland halten. Auch angesichts der Masse der entsprechenden Dokumente kann es nicht stimmen, dass sie sich in
Fragen der Massendatenüberwachung immer an Gesetz
und Recht in Deutschland gehalten haben.
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Ströbele, in der Tat bezog sich die Antwort unserer amerikanischen Freunde nicht auf eine
Frage der Bundesregierung zum Thema Datenüberwachung, sondern auf eine Frage zum Thema Drohneneinsätze. Die Einschätzung der Bundesregierung zu dieser
Antwort habe ich Ihnen mitgeteilt; da kann ich mich nur
wiederholen.
Frau Renner.
Herr Staatssekretär, Sie antworten mit Freude, wir
fragen mit Freude. - Auch das NATO-Truppenstatut legt
fest, dass sich die US-Streitkräfte an deutsches Recht
und Gesetz zu halten haben. Wenn jetzt valide Anhaltspunkte dafür im Raum stehen, dass man sich von Ramstein aus möglicherweise an Straftaten, möglicherweise
auch an völkerrechtswidrigen Einsätzen beteiligt hat,
dann ist es das eine, dass der Generalbundesanwalt ein
Prüfverfahren durchführt. Das andere ist die Frage: Inwieweit gibt es Überlegungen, Kontroll- und Prüfrechte
seitens anderer Behörden auszuüben? Ist zum Beispiel
überlegt worden, Ramstein zu besuchen, zu inspizieren,
sich die entsprechenden Anlagen zeigen zu lassen? Eine
solche Aktion wäre neben der Klärung der Frage, ob der
Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang ermitteln soll, doch eigentlich angezeigt, wenn man als Bundesbehörde sozusagen in allen Teilen Rechtsstaatlichkeit
gewährleisten will.
Frau Kollegin, ich gehe davon aus, dass es schon häufiger „Besuche“ - um Ihr Wort aufzugreifen - in Ramstein gegeben hat.
({0})
Für die Verfolgung von möglicherweise strafrechtlich zu
würdigenden Handlungen gibt es gleichwohl in unserem
Rechtswegestaat die zuständigen Strafverfolgungsbehörden; ich kann mich hier nur wiederholen.
({1})
Die letzte Nachfrage in dieser Runde stellt die Kollegin Keul.
Herr Staatssekretär, weil Sie das mit so viel Freude
wiederholt haben, möchte ich noch einmal anmerken,
dass ein Beobachtungsvorgang etwas anderes ist als eine
strafrechtliche Ermittlung und dass eine Beobachtung sicherlich nicht dem Legalitätsprinzip unterliegt.
Je länger ich Ihnen zuhöre, desto mehr stellt sich mir
die Frage: Hält das Verteidigungsministerium eigentlich
noch an der Rechtsauffassung fest, dass Gewalteinwirkungen auf dem Territorium eines anderen Staates, insbesondere durch bewaffnete Drohnen, ausschließlich im
Rahmen eines bewaffneten Konfliktes völkerrechtsmäßig und jenseits eines solchen bewaffneten Konfliktes
völkerrechtswidrig sind?
Frau Kollegin, für die Bundesregierung ist das Völkerrecht selbstverständlich maßgebend. Es gibt legitime
Ziele militärischer Maßnahmen und nicht legitime Ziele;
diese Unterscheidung gibt es, und die hält die Bundesregierung selbstverständlich für richtig.
({0})
Worum es sich handelt, das kann nur im Einzelfall gewürdigt werden unter Berücksichtigung aller Umstände
dieses Einzelfalls.
({1})
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und mit
Freude beantwortet worden sind, rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/4641 auf.
Die Frage 31 der Kollegin Bärbel Höhn wurde durch
die Bundesregierung nachträglich dem Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit zugeordnet und wird nach
Frage 28 aufgerufen.
({0})
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.
Die Frage 1 des Kollegen Hans-Christian Ströbele
wurde bereits durch Staatssekretär Christian Lange be-
antwortet.1)
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Katja Keul auf:
Wie sind die vom Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz und vom Bundesministerium des Innern
jüngst vorgestellten Pläne für eine geplante Vorratsdatenspei-
cherung in Deutschland mit dem Urteil des Europäischen Ge-
richtshofes vom 8. April 2014 vereinbar, in dem das Gericht
die damalige EU-Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie für nich-
tig erklärte und feststellte, dass eine anlasslose Speicherung
von Daten ohne Differenzierung auf die Daten eines bestimm-
1) Siehe Seite 9433 A
Vizepräsidentin Claudia Roth
ten Zeitraums, eines bestimmten geografischen Gebiets oder
eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in
eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, unzulässig ist?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage 2 der Kollegin Keul beantworte ich wie folgt:
Die Leitlinien zur Einführung einer Speicherpflicht
und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten, die der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz am
15. April 2015 vorgestellt hat, kombinieren zeitlich und
inhaltlich eng begrenzte Speicherfristen mit sehr strengen Abrufregelungen. Auf diese Weise wird den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs nachgekommen.
Die vorgeschlagene Regelung ist deutlich enger gefasst als die alte EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Es werden weniger Daten für einen deutlich kürzeren Zeitraum gespeichert, es sollen bei weitem nicht alle
Daten gespeichert werden, und die Daten von Diensten
der elektronischen Post sind komplett ausgenommen.
Hinsichtlich der Speicherfrist wird, ausgehend von
der Sensibilität der Daten für den Bürger, nach Datenarten differenziert: Die Höchstspeicherfrist für Standortdaten beträgt vier Wochen, für die übrigen Verkehrsdaten zehn Wochen. Auch für den Zugriff auf die Daten
werden mit striktem Richtervorbehalt, sehr engem Straftatenkatalog und Substantiierungsanforderungen hohe
Hürden errichtet.
Auf Standortdaten darf nur einzeln zugegriffen werden. Bewegungsprofile sind nicht möglich. Grundrechtseingriffe werden auf das absolut Notwendige beschränkt.
Darüber hinaus werden Datensicherheit, Transparenz
und effektiver Rechtsschutz gewährleistet. Berufsgeheimnisträger werden besonders geschützt.
Frau Kollegin, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Sie werden sicherlich, wie ich auch, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gelesen haben, in dem steht, dass eine anlasslose Speicherung von Daten ohne Differenzierung auf
die Daten eines bestimmten Zeitraums, eines bestimmten geografischen Gebietes oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere
Straftat verwickelt sein könnte, unzulässig ist. Wenn ich
mir Ihre Leitlinien, die uns schriftlich vorliegen, ansehe,
muss ich Sie fragen: Sind wir uns darüber einig, dass
das, was nach diesen Leitlinien stattfinden soll, erstens
anlasslos ist, zweitens, was den Beginn der Speicherung
betrifft, zeitlich nicht eingeschränkt ist, drittens geografisch nicht eingeschränkt ist und auch nicht auf einen bestimmten Personenkreis eingeschränkt ist? Wie passt das
mit dem Urteil des EuGH zusammen?
Frau Kollegin, die Definition von „anlasslos“ hat der
EuGH selbst gegeben, indem er festgestellt hat - Randziffer 57 des Urteils -, dass sich die Richtlinie generell
auf alle Personen, auf alle elektronischen Kommunikationsmittel sowie auf sämtliche Verkehrsdaten erstreckt.
Zugleich hat er hervorgehoben - Randziffer 58 -, dass
die Erfassung sämtlicher Personen erfolgt, ohne dass sie
Anlass zur Strafverfolgung gegeben haben. Der EuGH
beanstandet - das steht in derselben Randziffer -, dass
die Richtlinie - Zitat - „keinerlei Ausnahme“ bezüglich
der Personen enthält, die „nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen“.
Diesen Vorgaben werden wir dadurch nachkommen,
dass gerade nicht alle Daten gespeichert werden - wie
ich es in der Antwort eben dargestellt habe. So sind die
Daten von Diensten der elektronischen Post komplett
ausgenommen. Auch aufgerufene Internetseiten und Inhalte der Kommunikationen werden nicht gespeichert.
Hinsichtlich der Speicherfrist wird, ausgehend von der
Sensibilität der Daten für den Bürger, nach Datenarten
differenziert. Die Höchstspeicherfrist für Standortdaten
beträgt vier Wochen, für die übrigen Verkehrsdaten zehn
Wochen. Schließlich werden Berufsgeheimnisträger besonders geschützt. Wir sind der Überzeugung, dass wir
dem EuGH-Urteil damit Genüge tun.
Frau Kollegin, haben Sie eine zweite Nachfrage?
Ja, ich habe eine zweite Nachfrage. - Sie werden verstehen, dass mich das nicht überzeugt. Ich habe eine
konkrete Frage zu Ihren Leitlinien. In Ihren Leitlinien
steht unter anderem, dass es jetzt den neuen Straftatbestand der Datenhehlerei geben soll. Ich frage mich: Was
ist das für ein neuer Straftatbestand? Bedeutet das, dass
das, was unter anderem der Finanzminister von NRW in
den letzten Jahren gemacht hat, nämlich das Aufkaufen
von Bankdaten-CDs aus der Schweiz, zukünftig eine
Straftat sein soll?
Frau Kollegin, wir haben dies in der Tat in die Leitlinien aufgenommen. Wir sind im Augenblick dabei, die
entsprechenden Vorschriften in einen Referentenentwurf zu gießen. Diesen haben wir abzuwarten. Wenn er
vorliegt, kann ich Ihnen über die Einzelheiten gerne
Auskunft geben.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich sehe keine
weiteren Rückfragen.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Katja Keul auf:
Hält der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz an seiner öffentlichen Äußerung vom 15. Dezember
2014 fest, als er auf Twitter die Nachricht verbreitete, „VDS
lehne ich entschieden ab - verstößt gg Recht auf Privatheit u
Datenschutz. Kein deutsches Gesetz und keine EU-RL!“, und,
Vizepräsidentin Claudia Roth
falls nein, was hat zu seiner veränderten politischen Bewertung des Themas geführt ({0})?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, ich
beantworte Frage 3 wie folgt:
Der Tweet ist vor dem Hintergrund eines Interviews
mit der Süddeutschen Zeitung vom 15. Dezember 2014
zu sehen, mit dem der Tweet verlinkt ist. In dem Interview selbst hat sich der Bundesminister der Justiz und
für Verbraucherschutz, Herr Maas, zu dem Vorhalt: „Ihr
Koalitionspartner fordert in dem Antrag die Vorratsdatenspeicherung und ein Verbot der sogenannten Sympathie-Werbung für Terrororganisationen“, wie folgt geäußert - ich zitiere Herrn Maas -:
Ich lehne beides ganz entschieden ab. Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen das
Recht auf Privatheit und gegen den Datenschutz.
Das hat der Europäische Gerichtshof klargestellt.
Für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, so wie
die Sicherheitspolitiker sie sich wünschen, wird es
kein deutsches Gesetz und keine EU-Richtlinie geben.
Genau so kommt es jetzt auch, Frau Kollegin Keul.
Das erkennen Sie an den Leitlinien, die wir vorgestellt
haben. Sie entsprechen nicht den Vorstellungen der Sicherheitspolitiker, sondern mit ihnen wird versucht, die
Balance herzustellen zwischen Sicherheit auf der einen
Seite und Datenschutz auf der anderen Seite. Deshalb ist
dieser Tweet in vollem Einklang mit dem Vorgehen der
Bundesregierung.
Frau Kollegin Keul, haben Sie eine Rückfrage?
Ja, habe ich. Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr
Lange, Sie hatten mich heute schon im Rechtsausschuss
auf dieses andere, angeblich verlinkte Zitat hingewiesen.
Ich bin dem noch einmal nachgegangen. Der Link in
dem Tweet des Ministers verweist aber gerade nicht auf
dieses Interview, sondern auf eine Onlinezusammenfassung der Süddeutschen Zeitung, in der der Minister wörtlich zitiert wird:
„In unserem Grundgesetz steht ein solches Grundrecht auf innere Sicherheit nicht.“ Auch die VDS
und das Verbot der Sympathiewerbung lehne er
„ganz entschieden ab“.
Das ist das, was verlinkt worden ist.
Im Übrigen ist, glaube ich, auch der Tweet selber, der
zweifelsfrei dem Minister zuzuordnen ist, eindeutig. Im
Tweet steht:
VDS lehne ich entschieden ab - so hat er es auch verlinkt verstößt gg Recht auf Privatheit u Datenschutz.
Kein deutsches Gesetz und keine EU-RL!
Was hat den Minister bewogen, von dieser Rechtsauffassung abzurücken?
Frau Kollegin, ich habe bereits ausgeführt, wie das
Zitat in der Süddeutschen Zeitung von Herrn Bundesminister Maas lautete. Ich kann es gerne wiederholen.
({0})
Der entscheidende Satz lautet:
Das hat der Europäische Gerichtshof klargestellt.
Für eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, so wie
die Sicherheitspolitiker sie sich wünschen, wird es
kein deutsches Gesetz und keine EU-Richtlinie geben.
Dem hat die Bundesregierung nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank, dass Sie das wiederholt haben. Aber ich
sagte gerade, dass dies nicht die Stelle ist, die mich hier
interessiert. Das steht weder in dem Tweet, noch ist es
das, worauf in dem Tweet verlinkt wird. Es mag ja sein,
dass der Minister noch andere Interviews gibt, die von
anderen Personen freigegeben werden, aber ich hatte Sie
zu dem gefragt, was der Minister selbst getweetet hat.
Ich frage deswegen noch einmal: Was hat den Minister
bewogen, seine Rechtsauffassung zu ändern?
Frau Präsidentin, ist es die dritte Nachfrage?
({0})
Das war die zweite. Sie hat nur insgesamt mehrere
Fragen gestellt.
Dann beantworte ich die zweite Nachfrage gerne, indem ich noch einmal sage, dass der Bundesminister diesen Tweet im Hinblick auf dieses Interview - es fand
auch am selben Tag statt - geschrieben hat. So hatte ich
es bereits dargestellt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Dann kommen wir zur Frage 4 des Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz:
Welche zusätzlichen Vorkehrungen für die IT-Sicherheit
der durch die geplante Vorratsdatenspeicherung anfallenden
Massenspeicher bei den privaten Providern wird die Bundesregierung - auch vor dem Hintergrund der bisherigen
Erkenntnisse zu geheimdienstlichen Attacken auf Datenbestände weltweit - vorschlagen, um dem Diktum des Bundesverfassungsgerichts ({0}) zu entsprechen, wo9444
Vizepräsidentin Claudia Roth
nach verschärfte Vorschriften für die Datensicherung zur
verfassungsrechtlichen Absicherung zwingend erforderlich
sind?
Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, die Frage des Kollegen von Notz
beantworte ich gerne wie folgt:
Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 15. April 2015 Leitlinien zur Einführung
einer Speicherfrist und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vorgestellt. Durch die in den Leitlinien skizzierte
Regelung wird eine nach dem Stand der Technik höchstmögliche Sicherheit der Daten gewährleistet. Die Speicherung hat im Inland zu erfolgen.
Die Anbieter müssen die Daten gegen unbefugte
Kenntnisnahme und Verwendung schützen. Konkret erforderlich sind insbesondere der Einsatz eines besonders
sicheren Verschlüsselungsverfahrens, die Speicherung in
gesonderten Speichereinrichtungen mit einem hohen
Schutz vor Zugriffen aus dem Internet, die revisionssichere Protokollierung des Zugriffs sowie die Gewährleistung des Vieraugenprinzips für den Zugriff auf die
Daten. Daneben sind detaillierte Löschungsvorschriften
sowohl für die TK-Anbieter als auch für die Strafverfolgungsbehörden vorzusehen.
Es handelt sich hierbei nicht nur um rechtliche, sondern insbesondere um technische Detailfragen. Diese
Fragen erörtern wir derzeit mit den entsprechenden Experten. Konkrete Regelungen dazu werden wir in dem
Gesetzentwurf vorlegen.
Herr von Notz.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Dazu hätte ich
eine Rückfrage. Sie bezeichnen es als technische Detailfragen. Meiner Ansicht nach sind es Vorgaben, die
das Bundesverfassungsgericht sehr klar gefasst hat.
Mich würde interessieren, ob diese konkret - wir haben
ja bisher nur diese Leitlinien - ins Gesetz geschrieben
werden und wie die Einhaltung dieser Voraussetzungen
für solch riesige Datenbanken, wie sie jetzt nach Ihrem
Willen entstehen sollen, sozusagen regelmäßig geprüft
werden sollen.
Zum Vieraugenprinzip und zur Verschlüsselung, die
jetzt bei all den Unternehmen in Deutschland implementiert werden soll, frage ich: Gibt es eine Kosteneinschätzung der Bundesregierung, was das die Unternehmen
kosten wird?
Genau darüber, Herr Kollege von Notz, sind wir im
Augenblick in den Beratungen bei uns im Hause. Der
Gesetzentwurf ist noch nicht fertiggestellt. Deshalb kann
ich Ihnen darauf zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Antwort geben.
Haben Sie eine zweite Rückfrage, Herr von Notz?
Eine Nachfrage zu dem Aspekt habe ich noch. Mir ist
zu Ohren gekommen bzw. ich habe es an mehreren Stellen von den beiden zuständigen Ministern so argumentiert gesehen, dass der Kompromiss - Kompromiss in
Anführungsstrichen; denn mit uns hat er nicht stattgefunden, insofern ist es keiner - zwischen den beiden
Häusern, Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium, unverändert durchs Parlament gehen soll. Da
frage ich Sie jetzt einmal als Parlamentarier: Halten Sie
das für eine legitime Vorgehensweise, wenn zwei Minister einen Kompromiss aushandeln, oder glauben Sie,
dass dieses Haus sehr wohl ein Mitspracherecht hat, wie
dieses Gesetz am Ende auszusehen hat?
Zunächst einmal, Herr Kollege, äußere ich mich zu
der Glaubensfrage nicht. Ich lege Wert auf die Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative.
In dem Fall obliegt es der Legislative, sich zu überlegen,
wie sie mit einem Gesetzentwurf, den wir vorlegen werden, umgehen wird.
Dann kommen wir zur Frage 5 des Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung - vor dem Hintergrund weiterer seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
von 2010 ({0}) entstandener privater Massenspeicher, sowohl auf privater als auch auf öffentlicher Ebene,
national als auch europaweit - ihren Gesetzesvorstoß zur Vorratsdatenspeicherung hinsichtlich der vom Bundesverfassungsgericht zwingend vorgesehenen Prüfung einer „Überwachungsgesamtrechnung“?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank. - Diese Frage beantworte ich wie folgt:
Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommt der
Begriff „Überwachungsgesamtrechnung“ nicht vor. Er
bezieht sich, in Auslegung des Urteils, auf einen vom
Bundesverfassungsgericht eingebrachten Aspekt. Die
Freiheit, in seiner Freiheitswahrnehmung nicht total erfasst und registriert zu werden, zählt das Bundesverfassungsgericht - Zitat - „zur verfassungsrechtlichen
Identität der Bundesrepublik Deutschland“. Eine Gesetzgebung - Zitat -, „die auf eine möglichst flächendeckende vorsorgliche Speicherung aller für die Strafverfolgung oder Gefahrenprävention nützlichen Daten
zielte“, wäre „von vornherein mit der Verfassung unvereinbar“. Es dürfen also nicht praktisch alle Aktivitäten
der Bürger durch alle staatlich erfolgten oder veranlassParl. Staatssekretär Christian Lange
ten Speicherungen zu Strafverfolgungszwecken zusammen erfasst und rekonstruiert werden können.
Dieser Gefahr wird in dem Gesetzentwurf dadurch
begegnet, dass enge Zugriffsschranken und eindeutige
Verwendungszwecke normiert werden. Die Speicherung
erfolgt nicht bei staatlichen Stellen. Strafverfolgungsbehörden haben nur Zugriff auf einzelne - ich wiederhole:
einzelne - Datensätze unter eng normierten Voraussetzungen. Um die Evaluation des Gesetzes zu ermöglichen
und dem Gesetzgeber zu ermöglichen, den Umfang der
erhobenen Daten zu überprüfen, sehen wir Statistikpflichten vor.
Insbesondere wird die Neuregelung deutlich enger als
die alte EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung sein.
Es werden weniger Daten für einen deutlich kürzeren
Zeitraum gespeichert. Es werden bei weitem nicht alle
Daten gespeichert. Durch diese Regelungen wird auch
mit Blick auf die Gesamtheit der bereits vorhandenen
Datensammlungen sichergestellt, dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert
werden kann. Damit wird den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen.
Herr von Notz.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Auch dazu eine
Nachfrage, Herr Staatssekretär. In der Fachliteratur wird
im Hinblick auf diesen Gedanken des Bundesverfassungsgerichts von einer Überwachungsgesamtrechnung
gesprochen. Damit ist mitnichten allein die Vorratsdatenspeicherung bezüglich der Kommunikationsdaten gemeint, sondern in dem Urteil von 2010 waren damit alle
möglichen Vorratsdatenspeicherungen gemeint; das war
vor Edward Snowden und vor PNR.
Es findet also eine massenhafte Speicherung von Daten statt. Sie wissen vielleicht: Wir haben einen Untersuchungsausschuss zur NSA. Geheimdienste aus aller Welt
machen nichts anderes, als Vorratsdatenspeicherungen
durchzuführen, und zwar im Hinblick auf alle möglichen
Daten. Deswegen frage ich Sie: An welcher Stelle hat
das, was Karlsruhe entschieden hat, in Ihre Überlegungen Eingang gefunden? Ich meine damit nicht etwa die
Farce, dass man E-Mails ausgenommen hat, sondern ich
frage Sie: Wie berechnen Sie bei der Überwachungsgesamtrechnung Snowden, die Geheimdienste und andere
Vorratsdatenspeicherungen wie PNR konkret mit ein?
Erstens lege ich Wert darauf, dass es sich bei dem
Stichwort „Überwachungsgesamtrechnung“ um einen
Begriff handelt, der von Herrn Professor Roßnagel in einem Aufsatz über das Urteil zur VDS geprägt wurde und
der keinesfalls in der gesamten Literatur üblich ist.
Zum Zweiten. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seinem Urteil das damalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen Artikel 10 Absatz 1
Grundgesetz für nichtig erklärt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange, so sagte das Bundesverfassungsgericht, dass die gesetzliche Ausgestaltung einer
solchen Datenspeicherung dem besonderen Gewicht des
mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriffs
in angemessener Form Rechnung trägt. Erforderlich
seien hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes. Der
Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten seien nur
verfassungsmäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienten.
Genau diesen Vorgaben wollen wir mit unserem Gesetzentwurf Rechnung tragen. Insbesondere sollen deutlich weniger Daten für einen deutlich kürzeren Zeitraum
gespeichert werden, so wie es uns im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben wurde. Es sollen deshalb auch bei weitem nicht alle Daten gespeichert werden. Die Daten von Diensten der elektronischen Post
sind komplett ausgenommen. Hinsichtlich der Speicherfrist wird, ausgehend von der Sensibilität, nach Datenarten differenziert. Ich sagte bereits: Die Höchstspeicherfrist für Standortdaten beträgt vier Wochen, für
übrige Verkehrsdaten zehn Wochen. Was den Zugriff auf
die Daten betrifft, installieren wir einen strikten Richtervorbehalt. Es gibt einen sehr engen Strafenkatalog und
Substantiierungsanforderungen mit hohen Hürden.
Auf Standortdaten darf nur einzeln zugegriffen werden. Bewegungsprofile sind nicht möglich. Grundrechtseingriffe werden auf das absolut Notwendige beschränkt.
Darüber hinaus gewährleisten wir für die Bürger Datensicherheit, Transparenz und effektiven Rechtsschutz.
Und schließlich werden die Berufsgeheimnisträger, über
die wir bereits gesprochen haben, besonders geschützt.
Herr von Notz hat keine weitere Frage; die Beantwortung erfolgte auch in der doppelten Zeit.
Die Frage 6 der Abgeordneten Kunert wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Die Frage 7 der Abgeordneten Kunert, die Fragen 8
und 9 des Abgeordneten Christian Kühn, die Fragen 10
und 11 der Abgeordneten Haßelmann sowie die Frage 12
der Abgeordneten Paus werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Auch hier werden die Fragen 13 und 14 der Abgeordneten Sabine Zimmermann schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Die Frage 15 des Abgeordneten Krischer wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe die letzte Frage in dieser Fragestunde auf,
nämlich die Frage 16 des Abgeordneten Ebner:
Vizepräsidentin Claudia Roth
Aus welchen Gründen hat sich das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, - im Gegensatz zum US-amerikanischen
Äquivalent, der Environmental Protection Agency, EPA, die
mit mehreren Teilnehmerinnen und Teilnehmern vertreten
war - nicht an dem Treffen der Arbeitsgruppe der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, IARC, zur Ermittlung der Kanzerogenität von Glyphosat
vom 3. bis 10. März 2015 in Lyon beteiligt ({0}), welches zu der am 20. März 2015 in
der angesehenen medizinischen Fachzeitschrift The Lancet
veröffentlichten Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ führte, und in welcher
Weise werden sich das BfR oder andere Institutionen des
Bundes mit dieser Einstufung sowie der zugehörigen, zur Veröffentlichung anstehenden Monografie des IARC vertieft auseinandersetzen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Danke, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Kollege
Ebner, die Arbeitsgruppe der Internationalen Krebsforschungsagentur der WHO zur Einschätzung der Kanzerogenität von Glyphosat und anderen Stoffen wurde
nach den internen Regeln der Krebsforschungsagentur
zusammengestellt. Regierungen oder nationale Behörden nehmen keinen Einfluss auf deren Zusammensetzung.
Herr Ebner.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, lassen
wir einmal die Frage hinsichtlich der Beteiligung des
BfR beiseite, das natürlich dennoch als Beobachter an
diesen Besprechungen hätte teilnehmen können.
Unabhängig von der Einschätzung des Bundesinstitutes für Risikobewertung nun zu meiner Frage. Nach der
Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur bei der Weltgesundheitsorganisation und der Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend
beim Menschen“ und der häufigen Feststellung von
Lymphdrüsenkrebs bei Landwirten, die mit Glyphosat in
Verbindung kommen, frage ich Sie angesichts der anstehenden Zulassungsverlängerung: Sind Sie ebenso wie
Staatssekretärin Flachsbarth - entgegen dem Vorsorgeprinzip der Europäischen Union - der Auffassung, dass
diese Krebsgefährdung erst niet- und nagelfest bewiesen
sein muss, bevor die Bundesregierung hier handelt? Und
ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat erteilt werden
soll - ja oder nein?
Herr Staatssekretär, bitte.
Die Bundesregierung nimmt hier ihre Aufgabe in der
Form wahr, dass die entsprechenden Institute eine Bewertung vornehmen, die sie der EFSA, die zuständig ist,
übermitteln. In dem Falle - das habe ich schon berichtet - haben wir uns an die Übermittlungsfristen gehalten.
Neuere Erkenntnisse werden ebenfalls bewertet. Es wird
auch - das ist schon berichtet worden, wie mir zugegangen ist - eine Bewertung vorgenommen, wenn die entsprechenden Veröffentlichungen über die Grundlagen
der Einschätzung der WHO zugänglich sind.
Im Übrigen wird ein Dissensverfahren innerhalb der
WHO durchgeführt, um die unterschiedlichen Stellungnahmen der einzelnen Einrichtungen der WHO zu konzertieren.
Herr Ebner, wenn Sie möchten, können Sie eine
zweite Nachfrage stellen.
Danke, Frau Präsidentin. - Der Präsident des BfR,
Professor Hensel, hat heute Morgen im Ausschuss für
Ernährung und Landwirtschaft seine Einschätzung wiederholt, dass ihn Funde von Glyphosat im Urin von
Stadtbewohnern nicht überraschen, sondern zu erwarten
waren. Gleichzeitig wissen wir, dass krebserregende
Substanzen - und als solche hat die Internationale
Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation Glyphosat nun einmal eingestuft - schon in geringen Mengen hochproblematisch sein können, insbesondere dann, wenn sie über einen langen Zeitraum
aufgenommen werden.
Jetzt frage ich Sie: Plant die Bundesregierung in
Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Menschen in
diesem Land als ersten Schritt eine Ausweitung des Humanmonitorings auf Glyphosat zum Beispiel in Urin
oder in Muttermilch, um die Belastung der Bevölkerung
überhaupt quantifizieren zu können, und wird sie in Zukunft auch tierische Lebensmittel auf Glyphosatrückstände überprüfen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Herr Kollege Ebner, ich verweise noch einmal auf das
Verfahren. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln unterliegt einem genau festgelegten Verfahren. In diesem
Verfahren werden die entsprechenden Stellungnahmen
verfasst, eingereicht und bewertet, und dann wird entschieden. An diesem Verfahren ändert sich nichts.
Ich habe Kenntnis, dass der Präsident des BfR seine
Einschätzung - insbesondere seine Gefahreneinschätzung - vor dem Ausschuss auch in dieser Weise wiedergegeben hat, und die brauche ich hier nicht zu wiederholen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Claudia Roth
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die
nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Vereinbarte Debatte
Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer
Für diese Debatte ist eine Stunde vorgesehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, darf ich Sie bitten, sich von Ihren
Plätzen zu erheben. Darum bitte ich auch die Gäste hier
in unserem Haus.
({0})
Der Deutsche Bundestag und die Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes sind zutiefst betroffen über das
Schiffsunglück im Mittelmeer, bei dem in der Nacht zum
Sonntag vermutlich mehr als 800 Menschen - Frauen,
Männer, Kinder - ums Leben kamen. Die Opfer kamen
aus Afrika und aus den Ländern des Nahen Ostens. Sie
hatten sich auf der Flucht vor Kriegen, vor Gewalt, vor
Armut, vor Hunger, vor politischer und religiöser Verfolgung auf den Weg nach Europa gemacht.
Das Unglück mit seinen zahlreichen Opfern ist die
schwerste Flüchtlingskatastrophe in einer langen Reihe
von ähnlichen tödlichen Unglücken, bei denen in den
vergangenen Jahren bereits Tausende Menschen ihr Leben verloren haben. Angesichts des großen Leids, das
sich beinahe täglich im Mittelmeer ereignet, sind wir
- insbesondere wir als verantwortliche Akteure in Politik und Gesellschaft - mehr denn je aufgefordert, alles in
unserer Macht Stehende zu tun, damit sich diese tragischen Ereignisse nicht wiederholen. Wir hoffen sehr
- das hoffen wir alle -, dass der morgen anstehende Gipfel zur Flüchtlingspolitik Maßnahmen zur Verhinderung
derartiger Katastrophen auf den Weg bringen wird.
Der Deutsche Bundestag trauert mit den Angehörigen
der Opfer, mit ihren Familien, mit ihren Freunden,
Freundinnen und allen, die ihnen nahestanden. Wir drücken ihnen unser tief empfundenes Mitgefühl aus.
Sie haben sich zu Ehren der Opfer von Ihren Plätzen
erhoben. Ich danke Ihnen von Herzen.
({1})
Ich gebe dem ersten Redner in der Debatte, dem Bundesminister des Inneren, Dr. de Maizière, das Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Bilder vom
Wochenende wahrgenommen und in unsere Herzen eingebrannt. Ich möchte mit noch ein paar anderen Geschichten und Bildern beginnen:
Ich werde die junge Frau, eine junge Afrikanerin,
nicht vergessen, die ich vor einiger Zeit im Erstaufnahmelager in München gesehen habe. Sie hatte ein Kind,
das sie noch stillte, vor sich liegen und war schon wieder
hochschwanger. Sie war alleine gekommen und Monate
unterwegs. Man kann nur ahnen, wie es zu der Schwangerschaft gekommen war.
Ich bin geprägt von den gestrigen Bildern von Flüchtlingen, die sich an ein Boot geklammert haben, das zerschellt war.
Ich höre Berichte von 5 bis 10 Milliarden Dollar, die
die Schlepper im Jahr im Mittelmeer verdienen.
Ich war gestern bei der Bundespolizei am Frankfurter
Flughafen und habe dort einen Mann gesehen, der aufgehalten worden ist. Er hatte Asyl beantragt. Das war ein
syrischer Professor. Er war von New York nach Deutschland geflogen und hatte hier Asyl beantragt, weil sein
Visumantrag zweimal abgelehnt worden war.
Ich habe vor meinen Augen eine Schulklasse, die ich
vor wenigen Tagen in Nürnberg getroffen habe - unbegleitete Minderjährige und junge Erwachsene in allen
Statusgruppen - und die begeistert Deutsch gelernt haben.
Ich habe vor meinen Augen das Bild des abgebrannten Flüchtlingsheims.
Aber ich denke auch an andere Bilder und Gespräche
aus der letzten Zeit. Ich habe in der Außenstelle des
BAMF mit einer jungen Frau gesprochen. Sie konnte
drei Sätze Arabisch und sagte, sie stamme aus Syrien.
Der Dolmetscher meinte, sie stamme aus Serbien.
Ich erlebe den bitteren Streit in Deutschland, ob man
eine Familie noch nach Italien oder in die Niederlande
schicken könne, und dazu unterschiedliche Entscheidungen der Verwaltungsgerichte.
Mir erzählte ein Landrat, dass er Probleme mit einem
jungen Tunesier hat, der mittelschwere Straftaten begeht
und in jedem Asylbewerberheim Unruhe stiftet. Die Tunesische Botschaft aber weigert sich, für ihn einen Pass
auszustellen, sodass er nicht abgeschoben werden kann.
Ich erinnere mich an die Präsidentin des Kosovo, die
mir gesagt hat, dass sie persönlich an eine Bushaltestelle
in Pristina gegangen ist, um kosovarische Bürger, für die
18 Busse bereitstanden, um sie nach Deutschland zu
bringen, davon abzuhalten, ihr Land zu verlassen.
({0})
- Dazu habe ich einiges erzählt. - Der Oberbürgermeister von Duisburg hat uns letzte Woche in der Migrationskonferenz gesagt, dass es in Duisburg - wahrlich keine
einfache Stadt - überhaupt keine Probleme mit Asylbewerbern gibt, aber massive Bedenken gegen Armutsmigranten aus Bulgarien und Rumänien.
Warum erzähle ich diese Geschichten?
({1})
Ich erzähle diese Geschichten, weil sie zeigen, dass das
Thema „Asyl, Flüchtlinge und Migration“ ganz vielschichtig ist. Dahinter verbergen sich sehr viele unterschiedliche Geschichten und Schicksale. Deswegen ist
mein erster Wunsch: Bitte vereinfachen wir diese Debatte nicht. Bitte lassen Sie uns nicht von einem hohen
moralischen Ross aus sprechen.
({2})
Bitte machen wir keine Versprechungen, die wir nicht
halten können.
({3})
Wir brauchen Emotionen und einen kühlen Verstand.
Wir brauchen die Kraft zur Differenzierung für alle diese
Gruppen. Es gibt keine einfachen Antworten. Es gibt
keine schnellen Lösungen. Es ist richtig, dass sich
Europa nicht abschotten darf.
({4})
Es ist aber genauso richtig, dass Europa nicht jeden aus
Afrika aufnehmen kann, der nach Europa möchte.
({5})
Das übersteigt die Kapazitäten unseres letztlich reichen
Europas und gefährdet die Zukunft Afrikas. Beides wollen wir nicht.
({6})
Die Ursachen, mit denen wir es zu tun haben, sind
eine Mischung aus bitterer Armut, brutaler politischer
Verfolgung und dreckigen Verbrechen. Diesen Ursachen
müssen wir mit einer europäischen Antwort begegnen:
nachhaltige Humanität, stabilisierende Entwicklungspolitik und harte Strafverfolgung. Das muss unsere Antwort sein. Das ist leicht gesagt, aber schwer getan.
Meine Gefühle am Wochenende waren eine Mischung aus Trauer und Zorn: Trauer über die Toten und
Zorn über die Täter. Das Ende der Operation Mare
Nostrum war übrigens nicht das Ende der Seenotrettung.
Im Gegenteil: Seit dem Beginn der Operation Triton stehen nicht weniger Einsatzmittel zur Rettung Schiffbrüchiger zur Verfügung.
({7})
Zusätzlich zu den Schiffen, Flugzeugen und Hubschraubern, die eingesetzt wurden, operieren in dem Seegebiet
die italienische Marine und die Seenotrettungskräfte Italiens und Maltas.
Es spricht für sich, dass bis April 2015 entlang der
Route circa 19 000 Menschen von Triton aus Seenot gerettet wurden. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es etwa genauso viele Menschen. Es gibt nur einen
Unterschied: Es sind viel mehr Menschen in seeuntüchtigen Booten losgeschickt worden. Damit konnten sie gerade das Hoheitsgewässer ihres Landes verlassen. Dann
wurde die Notrufzentrale angerufen. Gewollter Schiffbruch und Gefährdung von Menschenleben ist der Kern
des Geschäftsmodells dieser dreckigen Verbrecher.
Meine Damen und Herren, Deutschland, die EU, wir
alle wollen angesichts dieser Ereignisse nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen. Wir müssen verhindern, dass
weitere Menschen im Mittelmeer zu Tode kommen. Migration ist schwierig genug; ich habe einige Beispiele
geschildert. Migration darf keine Frage von Leben und
Tod werden.
Es war richtig, dass uns die Hohe Vertreterin am
Montag zu einer gemeinsamen Sitzung der Außen- und
Innenminister eingeladen hatte. Die Kommission hat in
dieser Sitzung zehn Punkte zur Diskussion und Beschlussfassung vorgelegt. Diesen Punkten wurde im Wesentlichen zugestimmt, auch wenn sie noch weiterer
Konkretisierungen und Präzisierungen bedürfen.
Ich nenne die Punkte, die mir wichtig sind:
Erstens, die Seenotrettung: Wir müssen alle Maßnahmen, die dort möglich sind, konzentrieren. Die Seenotrettung unter Führung von Triton und Poseidon muss
dringend verbessert und auf europäischer Ebene finanziert werden, gerne auch unter stärkerer deutscher Beteiligung. Es wird zu diskutieren sein, was das ist. Die
Kommission hat eine Verdoppelung vorgeschlagen. Es
kann auch eine Verdreifachung sein. Seenotrettung ist
das Erste, Wichtigste und Dringlichste, was unverzüglich beginnen muss.
({8})
Zweitens, der Kampf gegen kriminelle Schlepper:
Von Libyen aus können die Schleuserbanden die Flüchtlinge sehenden Auges in den Tod schicken. Sie können
weithin ungehindert agieren. Deswegen müssen wir
- auch das ist ein Vorschlag der Kommission - darüber
reden, wie wir solche Todesboote zerstören und die Infrastruktur schädigen können. Wenn Menschen gerettet
worden sind, dürfen diese Boote nicht erneut dazu genutzt werden, weitere Menschen in Lebensgefahr zu
bringen.
({9})
Möglicherweise müssen wir auch vorbeugend tätig werden, dass solche Schiffe gar nicht erst genutzt werden.
Der UN-Sicherheitsrat hat gestern getagt. Die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates drängen auf eine stärkere
internationale Zusammenarbeit, um weitere Bootstragödien zu vermeiden und die Schlepperbanden zu bekämpfen. Alle illegalen Wege für die Migration müssten geschlossen werden, so der Sicherheitsrat gestern.
Drittens brauchen wir eine politische Stabilisierung
Libyens und der Region. Dazu wird sicher gleich FrankWalter Steinmeier reden. Aber ich habe in diesem Zusammenhang einige Fragen: Warum hat für die beiden libyschen Machtzentren das Thema Flüchtlinge im Moment noch keine Priorität? Und was sagen eigentlich die
afrikanischen Führer dazu, dass ihnen ihre Mittelschicht
wegläuft? Ist das dort ein ebenso großes Thema wie bei
uns, und was können wir tun, damit es auch dort ein großes Thema wird?
Viertens. Wir haben in Europa auch eine gemeinsame
Verantwortung für die Flüchtlinge, die gerettet werden.
Wir dürfen die Erstaufnahmestaaten nicht alleine lassen.
Es muss sichergestellt werden, dass die Flüchtlinge
überall, auch in Griechenland und Italien, aufgenommen
und registriert werden. Wenn dafür Unterstützung erforderlich ist, muss diese von der Kommission und den
übrigen Mitgliedstaaten geleistet werden, gerne unter
Führung der EASO. Deutschland ist bereit. Ich bin dazu
bereit, dass wir mit vielen Mitarbeitern dort hingehen
und Italien bei der Aufnahme dieser Flüchtlinge helfen
und sie unterstützen.
({10})
Das eigentliche Ziel muss sein, dass wir dort die Registrierung und auch die Prüfung der Asylgründe und
des Flüchtlingsschutzes vornehmen, dass wir von dort in
Europa und nach Europa verteilen und dass wir von dort
gemeinsam, auch europäisch, zu Rückführungen kommen, die human sind. Das ist die richtige Lösung. Dazu
gehört eine geordnete und gerechte Verteilung in
Europa. Ich glaube, dass jetzt die Zeit ist, darüber ernsthaft zu reden.
Es kann nicht sein, dass sich nur 10 von 28 Staaten an
der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen. Das ist nicht
in Ordnung, und das müssen wir jetzt sofort zu beenden
versuchen.
({11})
Meine Damen und Herren, wir arbeiten mit Hochdruck daran, einen substanziellen Beitrag zu einem gemeinsamen europäischen Handeln zu leisten. Das ist
nicht einfach. Ich habe es bereits gesagt: Es gibt keine
einfachen und schnellen Lösungen. Wir müssen Menschen retten. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen. Wir müssen die Schlepper bekämpfen. Das alles
müssen wir gemeinsam und solidarisch tun: in Europa
und für Europa.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank, Herr Dr. de Maizière. - Nächste Rednerin in der Debatte: Petra Pau für die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Tausende Flüchtlinge, Menschen ohnehin in Not, ertrinken im Mittelmeer. Das ist eine
menschliche Katastrophe und ein politisches Desaster.
Versagt hat die EU-Flüchtlingspolitik, also auch die
deutsche. Sie ist auf Abwehr ausgerichtet statt auf Lösungen. Das muss sich ändern.
({0})
1990 lief der BBC-Film Der Marsch. Darin versuchen immer mehr Menschen, ihrem Elend in Afrika zu
entkommen und Hilfe im gelobten Europa zu finden. Sie
stoßen auf eine hochgerüstete Festung, in der Rassismus
brodelt. Das war vor 25 Jahren, einem Vierteljahrhundert. Nun scheint das Szenario Realität zu werden. Mit
dem Abendland und westlichen Werten hat all das nichts
zu tun. In denselben 25 Jahren sind die Fluchtursachen
nicht weniger geworden, nicht der Hunger, nicht das
Elend, nicht Vertreibung, auch nicht Kriege. Genau dort
liegt aber das tiefere Problem. Wer weniger Flüchtlinge
will, muss eine globale Entwicklung fördern, die Gerechtigkeit schafft und Frieden gebietet.
({1})
Das beginnt bei fairem Handel ohne Rüstungsexporte.
Nun will sich die EU auf einen Zehn-Punkte-Plan einigen, von A wie Asylverfahren bis Z wie Zusammenarbeit der Polizeien. Nach E wie Entwicklung und H wie
Humanismus sucht man vergebens. Da hilft auch der
Verweis nichts, das eine müsse sofort sein und das andere folge langfristig; denn wenn die langen Fristen
nicht sofort beginnen, werden sie auch in weiteren
25 Jahren nicht fruchten.
Flüchtlinge wiederum, die es bis in die Bundesrepublik schaffen, treffen auf zwei Deutschlands. In einem
schüren „besorgte“ Bürger Hass. Im anderen leisten bewegte Bürger Hilfe. Letzteren gelten unser Dank, unser
Zuspruch und unsere Unterstützung.
({2})
Zumeist handelt es sich um Ehrenamtliche, beispielsweise vom Arbeiter-Samariter-Bund, von der Arbeiterwohlfahrt oder aus der Nachbarschaft von Unterkünften
und aus den Gemeinden. Aber auch das gehört zum Alltag: Sie brauchen Schutz.
Noch etwas muss sich ändern. Integration ist mehr als
Innenpolitik. Sie betrifft nahezu alle Bereiche: Bildung
und Soziales, Recht, Arbeit, Teilhabe usw. Die Sozialministerinnen von Brandenburg und Thüringen haben
dazu aktuell ein Konzept vorgelegt. Ich empfehle uns allen einen Blick darauf.
Schließlich geht es nicht, dass der Bund sagt: Wir registrieren die Flüchtlinge, während die Betreuung allein
den Ländern und den Kommunen obliegt. Der Bund
muss umgehend mehr Verantwortung übernehmen, mit
Geld, mit Liegenschaften, mit humanen Standards und
mit einer Politik, die Flucht und Vertreibung entgegenwirkt.
({3})
Vielen Dank, Kollegin Petra Pau. - Nächster Redner
in der Debatte ist Bundesminister Dr. Frank-Walter
Steinmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich weiß nicht, wie viele Flüchtlingslager ich in den letzten Jahren gesehen und erlebt habe. Die Schicksale derer, die sich etwa im Mittleren Osten mit knapper Not,
mit Haut und Haaren und ein bisschen Leben in die
Flüchtlingslager gerettet haben, übersteigen häufig genug das Vorstellbare. Allein 11 Millionen Flüchtlinge
gibt es im weiteren Umfeld Syriens und des Iraks, die
meisten davon im Libanon und in Jordanien.
Ja, auch bei uns gibt es - wer wüsste das nicht - kritische Diskussionen, in manchen Fällen auch Abneigung
gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Ich weiß das,
und wir müssen das thematisieren, gerade angesichts
von brennenden Flüchtlingsunterkünften.
Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. 100 000 Flüchtlinge aus Syrien haben Aufnahme in Deutschland gefunden, mehr als in allen anderen europäischen Ländern. Ich
finde, das ist der Zeitpunkt, den vielen Städten und
Kommunen, die die Aufnahme organisiert haben, und
den Menschen, die die Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft aufgenommen haben und viele von ihnen betreuen, Dank zu sagen.
({0})
Wäre das der Anlass für diese Diskussion, wäre es
gut, aber dem ist leider nicht so. 800, 900, vielleicht
1 000 Menschen sind am vergangenen Wochenende bei
einem Schiffsunglück vor der Küste Libyens im Mittelmeer ums Leben gekommen. Man kann die Not, die
diese Menschen auf überfüllte und untaugliche Boote
treibt, die furchtbaren Momente der Havarie und das für
die meisten chancenlose Ringen um das Überleben auf
offener See nur erahnen. Das alles ist unerträglich.
Das erschüttert uns in Wahrheit nicht nur als Mitmenschen - Gott sei Dank das auch -, sondern das muss uns
in ganz besonderer Weise als Europäer erschüttern; denn
diese Menschen waren nicht auf dem Weg irgendwohin,
sie waren auf dem Weg nach Europa, mit vielen Hoffnungen auf dieses Europa. Deshalb trifft diese Tragödie,
über die wir heute reden, eben nicht nur die Flüchtlinge,
sondern sie betrifft auch Europa. Natürlich ist es unsere
Verantwortung, Menschen vor dem sicheren Tod zu bewahren, selbst wenn sie von gewissenlosen Menschenhändlern auf eine Reise unter Todesgefahren geschickt
werden. Deshalb sage ich zunächst einmal: Das ist Gegenstand der humanitären Verantwortung, und vor der
dürfen wir nicht kneifen.
({1})
Ich habe diese Woche nach dem Rat der Außenminister und der Innenminister gesagt: Das, was wir am vergangenen Wochenende erlebt haben, ist nicht das Ende;
es ist der traurige Höhepunkt einer Tragödie, und wir
können nicht einmal mit Sicherheit sagen, wie es in den
nächsten Wochen und Monaten weitergehen wird. Viele
Tausend werden auch weiterhin den Weg über das Mittelmeer wagen. All das gehört zur bitteren Wahrheit.
Manche macht dieser Zustand einfach nur fassungslos,
andere begnügen sich mit der Suche nach Schuldigen,
und Dritte wollen das Problem mit einem Handstreich
aus der Welt schaffen. Ich verstehe alle diese drei Empfindungen, ich kenne sie teilweise von mir selbst. Aber
uns allen ist klar: Keine dieser drei Empfindungen bietet
eine wirklich überzeugende Antwort.
Sicher erwarten die Menschen in Deutschland mehr
von uns, aber wir dürfen auch nicht über die Möglichkeiten und die Grenzen unserer Politik täuschen. Deshalb
spreche ich von den vier Dimensionen, die ineinandergreifen müssen, damit wir in den nächsten Monaten mit
hoffentlich größerer Effizienz tätig werden können.
Das Erste ist die erwähnte humanitäre Verantwortung.
Ganz vorn steht die Verbesserung der Seenotrettung.
Wichtig ist nicht - das möchte ich sagen -, wie diese zukünftige europäische Mission heißen wird. Deshalb halte
ich die Debatte, ob sie wieder Mare Nostrum heißen
wird oder nicht, für nicht entscheidend. Entscheidend ist
doch, egal wie sie heißt, dass der Erfolg bei der Rettung
von Schiffbrüchigen größer wird. Die Verdoppelung der
finanziellen Mittel, die jetzt von der Kommission angekündigt worden ist, ist jedenfalls der richtige Weg. Das
muss sein, und das finde ich richtig.
({2})
Das Zweite ist: Wenn wir wissen, dass Flüchtlinge
weiterhin ankommen werden, dann werden wir jedenfalls seitens der Regierung Wert darauf legen, dass wir
zu einer gerechteren Verteilung in Europa kommen.
Thomas de Maizière und ich haben das im Rat in dieser
Woche angemahnt. Aber das wird keine ganz einfache
Diskussion werden. Dazu gehört Überzeugungsarbeit
und Beharrlichkeit, und die werden wir beide - das verspreche ich - an den Tag legen.
({3})
Drittens - das hat der Innenminister eben gesagt -: Es
wäre eine Selbstlüge, wenn wir sagen würden, wir könnten mit besserer Verteilung und Seenotrettung das Problem lösen. Wir müssen bereit sein, mit größerer Effizienz, auch mit größerer Bereitschaft der Länder zur
Zusammenarbeit endlich das kriminelle Tun derjenigen
zu beenden, für die das Ganze, das wir hier miteinander
diskutieren, keine Frage von Humanität ist. Das, was wir
hier unter humanitärer Verantwortung diskutieren, ist für
diejenigen, die flüchtende Menschen durch das Kriegsgebiet in Libyen treiben und die Überlebenden dieser
Flucht in seeuntaugliche Boote setzen, nichts anderes als
schlichte Profitgier. Ich glaube, das können wir nicht
länger erdulden und ertragen. Diesen Menschen müssen
wir das Handwerk legen.
({4})
Viertens. Es gibt die außenpolitische Dimension;
Thomas de Maizière hat sie angekündigt. Es lässt sich
leicht sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass die Transitländer nicht mehr Gelegenheit bieten für den Ausbau
von illegaler Migration, das Tätigwerden von Schleuserbanden und die Aktivitäten von Menschenhandel. Das
lässt sich leicht sagen. Es lässt sich ebenfalls leicht sagen: Wir müssen die Ursachen für die Flucht aus den
Herkunftsländern bekämpfen. All das ist richtig.
Nur, werfen wir einen Blick auf die Landkarte: Was
ist denn tatsächlich der Fall? Wir haben in der Tat gute
Kooperationen. Es hat gerade erst eine Konferenz mit
den mediterranen Staaten aus Nordafrika in Barcelona
stattgefunden. Dort, wo Staatlichkeit existiert - in Marokko, in Tunesien, in Algerien -, haben Schleuserbanden keine Grundlage für ihr schändliches Tun gefunden.
Sie finden sie in einer Region vor, in der die Staatlichkeit
kollabiert und wo zwei Machtgruppen miteinander im
Streit sind und Krieg gegeneinander führen. Das Land
Libyen bietet aufgrund erodierender Staatlichkeit im
Grunde genommen die Grundlage dafür, dass sich kriminelle Banden, Menschenhändler, dort verbreiten können
und dass Menschen auf eine unverantwortliche Art und
Weise in große Gefahr, ich will nicht sagen: auf den Weg
des fast sicheren Todes, gebracht werden.
Was die Herkunftsländer angeht, so sieht es ja nicht
anders aus. Die zusammenbrechende libysche Staatlichkeit hat eine Vorgeschichte. Das Ende des Gaddafi-Regimes, das notwendig war, hat mit sich gebracht, dass die
Inhalte der Waffenkeller Gaddafis heute in die ganze Gegend verstreut sind
({5})
und dass die Kämpfer und die Soldaten der ehemaligen
libyschen Armee heute in Nordmali und in Niger tätig
sind. Deshalb sage ich: Es wird uns so ganz einfach nicht
gelingen, die sicherlich notwendige Stabilisierung von
Transitländern und Herkunftsländern herbeizuführen.
Gegen Ende meiner Rede will ich sagen: Für mich ist
das alles kein Grund, sich auf Schuldvorwürfe zu beschränken oder gar in Resignation zu verfallen, sondern
es ist eben der Beginn von beharrlicher Arbeit, an der
Stabilisierung dieser Nachbarregionen zu wirken.
Ich frage noch einmal mit Blick auf Engagements und
Bemühungen, die wir in den letzten Jahren hinter uns gebracht haben: Wie lange ist daran gezweifelt worden, ob
man nach 12 Jahren Verhandlungen im 13. Jahr mit dem
Iran ein Verhandlungsergebnis zustande bringt? Noch
haben wir es nicht; aber zumindest die Chance dafür ist
da. Der zuständige Sonderbotschafter der Vereinten Nationen verhandelt jetzt fünf Monate über die Frage einer
Regierung der nationalen Einheit für Libyen.
Machen wir uns nichts vor: Wir sind darauf angewiesen, dass diese Bemühungen zum Erfolg führen. Nur mit
der Stabilisierung von Staatlichkeit, nur mit der Beendigung des Konflikts zwischen den Machtgruppen in
Tobruk und Tripolis wird Libyen veränderbar und nicht
mehr das Durchgangslager für viele Millionen Flüchtlinge auf einer gefährlichen Reise über das Mittelmeer in
gefahrvolle Situationen sein. Deshalb: Klagen wir uns
nicht selbst an wegen mangelnder Mitmenschlichkeit.
Verlangen wir von uns selbst, dass wir mehr tun, um in
Seenot Geratene zu retten. Aber haben wir auch Verständnis dafür, dass die Stabilisierung der Nachbarregionen Mühe, Zeit und Aufwand bedeuten wird. Das gehört
zum Realismus, mit dem ich die gegenwärtige Situation
beschreibe.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. - Nächste
Rednerin in dieser Debatte: Katrin Göring-Eckardt für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Außenminister, zum Realismus gehört, dass
wir uns erinnern. Vor eineinhalb Jahren sind schon einmal mehrere Hundert Flüchtlinge im Mittelmeer, vor
Lampedusa, ertrunken. Ganz Europa ist damals auf die
kleine Insel gepilgert. Es gab Versprechen und Schwüre,
dass das nie wieder passieren dürfe.
Europa ist gescheitert. Mehr als 1 000 Menschen sind
in den vergangenen Tagen beim verzweifelten Versuch
gestorben, bei uns in Europa Schutz zu finden, ihr Recht
auf internationalen Schutz in Anspruch zu nehmen, ihr
Recht darauf, um Asyl zu ersuchen. Diese Menschen aus
Syrien, Eritrea, dem Irak, Afghanistan sind auch unsere
Toten. Wir kennen noch nicht einmal ihre Namen, und
wir haben keine Kerzen für sie angezündet.
Nicht das Mittelmeer ist grausam, sondern es ist die
Abschottungspolitik, die über Jahre gemacht worden ist;
es ist die Entscheidung, die Seenotrettungsaktion Mare
Nostrum zu beenden, meine Damen und Herren,
({0})
wegen 9 Millionen Euro im Monat und wegen des Kalküls, „weniger Seenotrettung“ hieße „weniger Anreize
für Schlepper“. Ja, wir müssen gegen kriminelles Verhalten vorgehen; wir müssen Schlepper zur Verantwortung
ziehen - da sind wir uns einig -, aber vor allem müssen
wir ihnen doch die Geschäftsgrundlage entziehen. Wer
auf sicherem, auf legalem Weg nach Europa kommen
kann, der braucht keinen Schlepper.
({1})
Ich finde es erschreckend, dass jetzt wieder weniger über
Korridore der sicheren Überfahrt geredet wird als über
militärische Maßnahmen zur Abschreckung und Verfolgung von Schleppern und sogar über ein UN-Mandat dafür.
Tausende Menschen haben mit ihrem Leben bezahlt.
Das war mit Ansage, das war mit Wissen, nicht nur weil
wir als Grüne und andere das hier im Haus thematisiert
haben; Hilfsorganisationen haben es gesagt, Kirchen haben es gesagt, die Verantwortlichen vor Ort in Süditalien, in Griechenland, auf Malta haben es immer wieder
gesagt. Das hätte Ihnen, Herr Innenminister, Ihr Verstand, aber auch Ihr Herz sagen können: Wer keinen
Ausweg mehr hat, der versucht alles, der versucht alles,
was nur irgendwie möglich ist, was nur irgendwie geht.
Deswegen: Ja, es sind auch unsere, es sind auch Ihre Toten. In jeder Hinsicht sind es die Toten einer gescheiterten Abschottungspolitik. Das ist nicht die Suche nach
Schuldigen. Das ist Realismus; das ist: die Wahrheit sagen. Das ist die Grundlage dafür, dass das Handeln wirklich verändert wird, dass wirklich etwas getan wird, um
die Flüchtlinge zu retten.
({2})
Wir brauchen die sicheren Korridore. Das ist Nothilfe. Das ist das Erste, was wir tun müssen. Wir brauchen die Seenotrettung. Natürlich: Wir müssen mehr
Flüchtlinge aufnehmen, auch hier bei uns in Deutschland
- das müssen wir ehrlicherweise sagen -, und wir müssen darüber reden, wie das geht.
Herr Außenminister, ich stimme Ihnen zu: Es wird
nicht einfach sein, die Region zu stabilisieren. Jeder hier
weiß, dass das Monate, dass das Jahre, dass das womöglich sogar Jahrzehnte dauern wird. Aber wir können darauf nicht warten, so wie die Menschen nicht warten
können, die hierher, in unser Europa, in eine sichere
Aufnahme, kommen wollen.
Mir geht es nicht darum, ob die Seenotrettung „Mare
Nostrum“ oder anders heißt. Mir geht es darum, dass es
um Seenotrettung und nicht um Grenzsicherung geht,
und das ist der Unterschied.
({3})
Meine Damen und Herren, wenn es in der Europäischen Union um Wirtschaft und Finanzen geht, spannen
wir riesige Rettungsschirme auf. Wenn es um die Flüchtlinge geht, dann scheitert es an 9 Millionen Euro. Wir
sind eine Gemeinschaft der Menschlichkeit, des Friedens, der Solidarität. Wenn wir all das nicht preisgeben
wollen, dann müssen wir jetzt gemeinsam als Europa
Verantwortung übernehmen; sonst verraten wir uns
selbst; sonst verraten wir unsere Werte, das, weswegen
wir ein einzigartiger Kontinent sind. Es ist auch morgen
die Aufgabe beim Gipfel, das deutlich zu machen. Wenn
der Westen, wenn Europa diese Wertegemeinschaft ist,
dann sind die Toten im Mittelmeer die größte Verletzung
des europäischen Wertekanons seit der Gründung. So
können wir unsere Seele verlieren. Das müssen wir verhindern. Tun Sie jetzt etwas, das ehrlich ist, das anhält
und nicht wieder nach ein paar Monaten vergessen ist,
wenn die Katastrophen von den ersten Seiten der Zeitungen verschwunden sind.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Katrin Göring-Eckardt. - Nächste Rednerin in der Debatte: Andrea Lindholz für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Europa und jeder einzelne von uns ist schockiert von den
Katastrophen auf dem Mittelmeer, die in wenigen Tagen
über 1 000 Menschenleben gefordert haben. Die Bilder,
die uns erreichen, lösen Trauer und Entsetzen aus. Diesen Schock gab es auch am 3. Oktober 2013, als bei
Lampedusa rund 370 Menschen starben. Damals war
sich Europa einig: So etwas darf sich nicht wiederholen.
Diesen Anspruch hat Europa nicht erfüllt.
In meiner Rede Ende Oktober 2014 habe ich darauf
hingewiesen, dass die Frontex-Mission Triton möglicherweise nicht unsere humanitären Ansprüche erfüllen
wird und Europa nachsteuern muss. Ja, mit Triton wurden 11 400 Menschen gerettet; aber die neue Katastrophe zeigt auch, dass das nicht ausreicht. Wir brauchen
kurzfristig eine erweiterte strategische Rettungsmission.
Europa muss zeigen, dass es handlungsfähig ist und zu
seinen humanitären Werten steht.
Eine Rettungsmission macht aber nur Sinn, wenn sie
in eine breitere Strategie eingebettet ist. Wir sollten uns
auch keine Illusion darüber machen: Eine Rettungsmission bietet niemals absoluten Schutz. Die Mission Mare
Nostrum konnte zwar viele Menschen retten; trotzdem
starben auch in dieser Zeit rund 3 500 Flüchtlinge auf
dem Mittelmeer. Und jeder Tote - da sind wir uns einig ist ein Toter zu viel.
Die gewaltige Fläche des Mittelmeeres lässt sich
nicht komplett überwachen. Eine dauerhafte Lösung
wird daher nicht auf dem Wasser, sondern nur an Land
zu finden sein. Der Bundesinnenminister hat recht: Wir
werden keine einfachen und auch keine schnellen Lösungen finden. Wir brauchen eine Vielzahl an Maßnahmen.
Auch der aktuelle Zehn-Punkte-Plan der EU-Kommission
kann ein Ende der Katastrophen nicht garantieren. Solange Menschen die Überfahrt wagen, wird immer auch
ein Risiko bleiben.
Wir diskutieren Flüchtlingszentren in Transitstaaten.
Sie könnten ein Teil der Lösung sein, auch wenn die instabile Lage zum Beispiel in Libyen die Einrichtung erschwert. Doch auch in den anderen Krisenstaaten betreiben wir mit der UNO solche Zentren. Europa muss in
den Transitländern vor den Gefahren der Überfahrt warnen und aufklären. Zur Wahrheit gehört auch, dass nicht
jede Überfahrt über das Mittelmeer, die zu einer Einreise
nach Europa führt, auch einen Asylanspruch garantiert.
Nur wenn wir die Menschen von der Überfahrt abhalten,
wird auch das Sterben aufhören.
Ein europäisches Programm zur Neuansiedlung von
besonders Schutzbedürftigen wäre ein weiterer Ansatz.
Doch selbst wenn es jetzt europaweit noch mehr Aufnahmebereitschaft geben sollte - was zu begrüßen
wäre -, müssten wir uns darüber im Klaren sein, dass
solche Programme angesichts von weltweit über 50 Millionen Flüchtlingen niemals eine substanzielle Lösung
darstellen können. Wir werden niemals alle Menschen
bei uns aufnehmen können.
Gerade deswegen ist auch der Kampf gegen Schleuser von zentraler Bedeutung. Menschenschmuggel ist
heute eine der lukrativsten Einnahmequellen der organisierten Kriminalität. In den instabilen Transitländern
fehlen zuverlässige Partner für die Strafverfolgung. Daher sind als Option auch Militäreinsätze gegen Schleuser
und die Zerstörung der Schiffe zu prüfen. Letztendlich
muss der Markt ausgetrocknet werden; denn erst wenn
klar ist, dass sich die Überfahrt nicht lohnt, wird auch
das tödliche Milliardengeschäft mit der Verzweiflung
der Menschen aufhören.
({0})
Wir müssen langfristig die Herkunfts- und Transitländer durch effektiveren Einsatz der europäischen Entwicklungshilfe stabilisieren. Die EU-Staaten zusammen
leisten über die Hälfte der weltweit gezahlten Entwicklungshilfe. Über die EU müssen wir diese Mittel verstärkt koordinieren und mit innen- und außenpolitischen
Zielen verknüpfen. Europa muss sich, seine Mittel und
seine Ziele vielleicht neu überdenken. Wir leben in diesen Zeiten eben anders und müssen schauen, wofür wir
diese Gelder verwenden.
Ich finde es unerträglich, wenn Herr Gysi die Bundesregierung für das Elend der Welt verantwortlich macht.
({1})
Auch der Vorwurf, unsere Flüchtlingspolitik sei verantwortungslos, ist haltlos.
({2})
Deutschland setzt in der Flüchtlingspolitik in Europa
und weltweit Maßstäbe.
({3})
Das bestätigt uns der UN-Flüchtlingskommissar. Jeder
dritte Asylbewerber in Europa wird in Deutschland registriert und versorgt. Wir haben alles andere als eine
Abschottungspolitik betrieben. Wir müssen den Menschen in unserem Land, den Kommunen und den vielen
ehrenamtlichen Helfern für die großartige Leistung danken, die sie derzeit erbringen, um den Flüchtlingsstrom
bei uns zu bewältigen.
({4})
Wir sind auch weiterhin gefordert, eine verantwortungsvolle Asylpolitik zu betreiben, eine Asylpolitik, die
darauf ausgerichtet ist, an die Solidarität in unserem
Land zu appellieren und diese zu erhalten. Auch das ist
ein Teil der Wahrheit unserer Asylpolitik. Niemand in
Europa sollte die Tragödien auf dem Mittelmeer missbrauchen, um politisches Kapital daraus zu schlagen.
({5})
Europa hat die humanitäre Pflicht, zu helfen. Europa
kann solche Katastrophen dauerhaft aber nur gemeinsam
und zusammen mit den Herkunftsstaaten verhindern.
Und: Die Ursachen für diese Katastrophen können nur in
Afrika und im Nahen Osten und nicht bei uns behoben
werden. Wir warten seit Jahren auf eine kohärente Strategie der EU. Der aktuelle Zehn-Punkte-Plan der Kommission ist ein weiterer Schritt, genauso wie die für Mai
erwartete Migrationsstrategie. Europa muss konsequent,
zügig und auch solidarisch handeln.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. - Nächste Rednerin in dieser Debatte: Ulla Jelpke für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat in
den letzten Jahren in der Tat immer wieder große Flüchtlingstragödien im Mittelmeer gegeben. Aber war das
Anlass für eine Umkehr in der EU-Flüchtlingspolitik?
Leider nein. Man erschreckt sich kurz, verspricht sehr
viel, und dann geht alles weiter wie bisher. Ich finde, das
muss jetzt endlich ein Ende haben.
({0})
Ehrlich gesagt: Flüchtlings- und Hilfsorganisationen
sind es leid, die ewigen Betroffenheitsfloskeln der EUInnenminister zu hören. Auch Sie, Herr Minister de
Maizière, haben es vor einer Woche noch abgelehnt,
Mare Nostrum überhaupt zu akzeptieren, und haben es
als Beihilfe für Schlepperunwesen diffamiert. Ist Ihnen
eigentlich klar, wie beschämend es ist, dass die EU im
vorigen Jahr diese humanitäre Rettungsaktion eingestellt
hat, weil nicht genug Geld dafür da war? Die EU hat damit den Tod von Hunderten von Flüchtlingen in Kauf genommen. Am Tod der 900 Menschen, die vor wenigen
Tagen ertrunken sind, tragen Sie eine Mitschuld, genau
wie alle anderen Innenminister, die legale Zugangswege
in die Europäische Union bisher verhindert haben.
({1})
Was tut not? Es muss ein radikaler Wechsel in der
Flüchtlingspolitik her. Flüchtlinge, die in Europa Asyl
beantragen wollen, brauchen gefahrlose Möglichkeiten
der Einreise. Doch was macht die EU? Sie rüstet sich regelrecht für einen Krieg. Man sollte sich - so steht es im
Zehn-Punkte-Programm der EU - von der Militärmis9454
sion vor Somalia zu ähnlichen Operationen gegen
Schleuser im Mittelmeer inspirieren lassen. In Zukunft
sollen also Flüchtlingsboote schon an der afrikanischen
Küste zerstört werden. Wie das gehen soll? Keine Ahnung. Ich sage Ihnen: Das wird ein Krieg gegen Flüchtlinge werden, der das Elend weiter verschlimmern wird.
({2})
Die Linke fordert stattdessen: Schicken Sie nicht Kriegsschiffe, sondern Fähren nach Nordafrika, die asylsuchende Flüchtlinge nach Europa bringen können. Hier
können sie dann Asylanträge stellen, ohne dass ein
Mensch sterben muss.
Die Schleuser werden so dargestellt, als wenn sie allein schuld sind an der Zahl der Flüchtlinge, die nach
Europa wollen, und den Schiffskatastrophen, ganz nach
dem Motto: Haltet den Dieb! Natürlich gibt es Fluchthelfer und Schleuser, die kriminell sind und die Flüchtlinge
schwer ausbeuten. Aber die EU macht das Geschäft für
die Schleuser doch erst möglich. Wenn man ihnen wirklich die Geschäftsgrundlage nehmen will, dann muss
man Wege eröffnen, damit Flüchtlinge nach Europa
kommen können. Das bedeutet zum Beispiel, eine Visapolitik einzuführen oder andere Möglichkeiten für legale
Wege nach Europa zu suchen.
({3})
Die Debatte klingt immer wieder an: Fluchtursachen
müssen bekämpft werden. - Wie werden sie denn wirklich bekämpft? Dazu würde es zum Beispiel gehören,
eine gerechte Wirtschafts- und Handelsordnung gerade
auch in Nordafrika einzuführen und damit aufzuhören,
subventionierte Nahrungsmittel nach Afrika zu schicken
und so die heimischen Märkte dort zu zerstören.
({4})
Das Leerfischen der afrikanischen Küstengewässer
durch EU-Fangflotten einzustellen, damit die Menschen
dort eine Lebensgrundlage haben, wäre ein weiterer
wirklicher Beitrag im Kampf gegen Fluchtursachen. Das
würde den Flüchtlingen eine Perspektive in ihren Ländern geben können.
({5})
Begreifen Sie bitte: Die Abschottung funktioniert
nicht, sie macht die Überfahrten über das Mittelmeer nur
gefährlicher und treibt die Zahl der Todesopfer hoch.
Deshalb fordert die Linke ganz klar - übrigens auch die
Flüchtlingsorganisationen -: Eine Rettungsoperation wie
Mare Nostrum muss wieder her.
({6})
Und: Flüchtlinge müssen in weitaus größerem Umfang
hier aufgenommen werden. Für Menschen in Not müssen legale und gefahrlose Fluchtwege geschaffen werden, sonst wird die Tragödie in einigen Monaten hier erneut Thema sein.
Ich danke Ihnen.
({7})
Vielen Dank, Ulla Jelpke. - Nächster Redner in der
Debatte: Dr. Lars Castellucci für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein unendlich trauriger Anlass, der uns heute hier versammelt.
Erneut und sehr erwartbar sind wieder Tausende Menschen im Mittelmeer ertrunken. Sie haben ein besseres
Leben gesucht, sie haben den Tod gefunden. Europa hat
dabei nicht einmal zugesehen. Europa hat weggeschaut.
Die Zahlen im Haushalt der EU sprechen eine klare
Sprache: Wir schützen unsere Grenzen besser als die
Menschen. Das ist nicht mein Europa. Mein Europa bedeutet: Leben.
({0})
In den vergangenen Tagen waren die Medien voll von
Appellen, an dieser Situation etwas zu verändern. Viele
haben sich gefragt, und ich habe mich das manchmal
auch gefragt: An wen richten sich diese Appelle eigentlich? Die Antwort lautet: Meist an andere. Ich frage
mich: Wie steht es um unsere Verantwortung? Natürlich,
wir zetteln keine Kriege an, wir sind keine Schleuser,
wir nehmen unglaublich viele Flüchtlinge auf, wir muten
unserer Bevölkerung einiges zu, unser Engagement für
Verständigung in der Welt ist verbunden mit dem Namen
unseres Außenministers, und es ist beispielhaft. Ja, wir
übernehmen viel Verantwortung, aber so empfinde ich
es: Vor Lampedusa haben wir versagt.
Verantwortung heißt, dass man tut, was man kann.
Was das Mittelmeer angeht, kann ich nicht sehen, dass
wir alles getan hätten, was wir hätten tun können, obwohl uns der Papst dazu aufgefordert hat, obwohl uns
das Europäische Parlament dazu aufgefordert hat, obwohl es eigentlich überhaupt keiner Aufforderung bedarf
außer der des Herzens und des Rechts, einfach das zu
tun, was die Not verlangt. Die Toten im Mittelmeer sind
auch meine Toten. Ich fühle mich mitverantwortlich, und
ich verneige mich vor ihnen.
Herr Innenminister, ich habe Sie Anfang März angeschrieben. Ich zitiere aus dem Schreiben: Wenn das
Frühjahr kommt, werden Frontex und die italienische
Mission vor Libyen nicht ausreichen, weiteres Massensterben zu verhindern. - Ich habe dann auch etwas über
Mare Nostrum geschrieben. Nun ist es so gekommen.
Recht zu behalten, macht niemanden lebendig. Und es
ist klar: Wir wissen gar nicht, ob diese Katastrophe überhaupt hätte verhindert werden können.
Natürlich ist es keine Lösung für die Flüchtlingsproblematik, die Menschen aus dem Meer zu fischen. Alles,
was gesagt wurde, ist ja richtig: Wir müssen die SchleuDr. Lars Castellucci
ser bekämpfen, die Fluchtursachen beachten, den Menschen andere Wege bieten, über das Meer zu kommen.
Wir brauchen eine Flüchtlingspolitik in Europa, die von
Humanität und Solidarität getragen ist, weil das unseren
Kontinent ausmacht.
({1})
Wir können nicht auf ein Gesamtkonzept warten, sondern müssen handeln, wenn Handeln verlangt ist. Vielleicht ist es ein Handeln, das nicht hundertprozentig
richtig ist, aber eines, das Leben schützt; das ist unsere
erste Aufgabe.
({2})
Der Respekt vor dem Leben jedes Einzelnen ist das
Fundament Europas. Deswegen erwarte ich, Herr Innenminister, dass beim morgigen Krisengipfel eine Seenotrettung verabredet wird, die der aktuellen Lage angemessen ist. Wie auch immer die Lösung aussieht: Sie
muss der aktuellen Lage angemessen sein - nicht mehr
und nicht weniger.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein trauriger
Anlass, der uns heute hier versammelt. Aber es kann
auch ein Wendepunkt sein; das sind Krisen öfters. Was
wir dieser Tage hören, klingt danach. Lassen wir diesen
Worten nun Taten folgen!
({4})
Vielen Dank, Herr Dr. Castellucci. - Nächste Rednerin in der Debatte: Luise Amtsberg für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Innenminister, es ist etwa ein halbes Jahr her, da haben Sie das Ende der Seenotrettungsoperation Mare
Nostrum mit den Worten begleitet, dass das, was „als
Nothilfe gedacht war“, sich „als Brücke nach Europa erwiesen“ habe. Die Bundesregierung hat Italien damals
klargemacht, dass diese Brücke in die Europäische
Union für Schutzsuchende nicht gewünscht ist und geschlossen werden muss. Ja, Herr de Maizière, Mare Nostrum war eine Brücke, eine, die vor Ertrinken gerettet
hat. Deswegen war Mare Nostrum ein Menschenrechtsprojekt, das bis heute seinesgleichen sucht.
({0})
Auch in dieser Legislatur haben wir, die Opposition,
die entsprechenden Themen immer wieder gemeinsam
auf die Tagesordnung gehoben. Wir haben gemeinsam
parlamentarische Reisen an die Grenzen und in die Krisenregionen gemacht, haben hier und vor Ort mit Flüchtlingen gesprochen, haben Frontex angehört und Grenzzäune gesehen. Dennoch sind wir seit Lampedusa über
das parlamentarische Bedauern nie hinausgekommen.
Herr Innenminister, Sie sagen, die Debatte war leidenschaftlich; Sie haben sie auch als ideologisch kritisiert. Ich frage mich wirklich: Wen wundert es eigentlich? Gerade eben haben Sie noch gesagt, Triton ersetze
Mare Nostrum und könne vom finanziellen Aufwand
her, aber auch logistisch mithalten. Triton patrouilliert
aber nur innerhalb der 30-Meilen-Zone, mit acht Booten
und zwei Flugzeugen. Deutschland unterstützt das
Ganze mit einem Rettungshubschrauber, der noch nicht
einmal angekommen ist. Wir können doch nicht ernsthaft sagen, dass das gleichzusetzen ist.
({1})
Ich sage auch ganz deutlich: Es geht einfach nicht,
immer wieder das Argument vorzutragen - eine verquere Sicht -, dass die Seenotrettung einen Anreiz darstellt, aber das Fehlen legaler Einreisewege nicht als Teil
des Problems zu betrachten.
({2})
Die Menschen, die fliehen, die fliehen müssen, würden
bestimmt lieber auf sicherem Wege nach Europa kommen; sie suchen es sich nicht aus, so zu kommen. Wenn
es legale Wege in die EU gibt, steigen Flüchtlinge nicht
in seeuntaugliche Boote. Wenn sie nicht mehr in seeuntaugliche Boote steigen, haben die Schlepper keine
Geschäftsgrundlage mehr. Wenn Sie mir so weit folgen
können, dann wissen Sie eigentlich auch, was der
nächste Schritt sein muss: die Schaffung legaler Zugangswege.
({3})
Wenn Sie das nicht überzeugt, dann sei an dieser
Stelle vielleicht darauf hingewiesen, dass der überwiegende Teil der Schutzsuchenden, die zu uns kommen,
aus Herkunftsländern mit einer sehr hohen Asylanerkennungsquote stammen: 80 Prozent der Syrer, 60 Prozent
der Eritreer werden als Asylberechtigte anerkannt.
Schon allein deshalb sind wir zur Hilfe verpflichtet und
müssen ihnen diese Wege aufzeigen. Aber genau das
wurde in dem am Montag vorgestellten Zehn-PunktePlan bedauerlicherweise vergessen: Kein einziges Wort
über legale Zugangswege.
({4})
Ich sage das, weil das Rad nicht neu erfunden werden
muss. Legale Einreisewege gibt es bereits zuhauf. Morgen beraten wir einen Antrag der Grünen zur weiteren
Aufstockung des Syrien-Kontingentes. Das ist ein legaler Weg. Wir wollen mehr Personal in den Botschaften,
damit Familienzusammenführungen verbessert werden.
Auch das ist ein legaler Weg der Zuwanderung. Außerdem wollen wir ein höheres Resettlement-Kontingent.
Auch das ist ein legaler Weg, der - das stimmt - in dem
Zehn-Punkte-Programm erwähnt worden ist. Aber wie
kann es sein, dass sich die gesamte EU auf die Aufnahme von gerade einmal 5 000 Resettlement-Flüchtlingen verständigt?
({5})
Hier wäre ein Machtwort unserer Bundeskanzlerin in
Richtung der anderen Mitgliedstaaten gefragt. Ich hoffe,
dass das morgen in Brüssel passieren wird.
Ein weiteres bedauerliches Ergebnis ist, dass Triton
mehr Geld bekommen soll. Wer glaubt, dass das der Seenotrettung dient, der ist echt auf dem Holzweg; denn Triton ist eine Mission von Frontex, unserer Grenzschutzagentur. Die EU-Außenbeauftragte Mogherini hat
gesagt, dass es nicht primäres Ziel dieser Mission sei,
Menschenleben zu retten.
Was wir wollen, ist eine zivile Seenotrettung, eine
Mission, die ganz klar nur dieses Mandat hat.
({6})
Eine Sache vielleicht noch, weil diese Debatte natürlich nicht ohne das Schlagwort „Fluchtursachen bekämpfen“ auskommt. Ich finde das auch richtig. Unser
Anspruch muss sein, die Situation vor Ort - da, wo es
uns möglich ist - zu ändern. Wir müssen darüber beraten, wie wir eine Verbesserung der Situation in den Transitstaaten erreichen können. Aber das sind natürlich
Maßnahmen, die in weiter Ferne liegen. Deshalb sage
ich: Eine Debatte über Aufnahmezentren und die Externalisierung der Asylverfahren stellt sich derzeit überhaupt nicht, weil die Sicherheitslage beispielsweise in
Libyen das nicht zulässt.
Ich möchte daran erinnern: Es gab vor kurzem eine
EU-Mission, bei der es darum ging, Libyen bei der Sicherung seiner Grenzen zu unterstützen; die Europa- und
Außenpolitiker werden sie kennen: EUBAM. Sie kann
derzeit aber nicht mehr operieren, weil die Sicherheitslage vor Ort derart dramatisch ist. Mittlerweile soll sie
irgendwo in Tunesien tätig sein, aber eigentlich arbeitet
sie gar nicht mehr.
Zu den Herkunftsländern. Wir haben im Rahmen einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung zu Eritrea befragt: Was heißt es eigentlich, die Lage vor Ort zu verbessern? Wissen Sie, was das Auswärtige Amt uns auf
diese Frage geantwortet hat? Die Bekämpfung der
Fluchtursachen liege primär in Eritreas Verantwortung. So macht man keine Flüchtlingspolitik, und so wird man
die Situation vor Ort auch nicht ändern.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank, Luise Amtsberg. - Nächste Rednerin in
der Debatte: Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die dramatischen Flüchtlingstragödien im Mittelmeer
machen jeden beklommen, der ein Herz im Leibe hat.
Der Untergang von fast Tausend Menschen auf einem
Seelenverkäufer ist nur ein Teil davon. Wie viele Menschen auf dem Grunde des Mittelmeers liegen, wissen
wir alle nicht. Auch viele kleine Schiffe sind untergegangen, von denen wir nie erfahren haben.
Eines wird deutlich: Wir brauchen mehr Hilfe im Mittelmeer. Aber - und das wurde auch schon gesagt - das
alleine reicht bei weitem nicht aus; denn das ist nur eine
Bekämpfung der Symptome, und keine Krankheit kann
man nur durch die Bekämpfung der Symptome heilen.
Wir müssen versuchen, an die Wurzeln zu gehen.
({0})
Es ist unabdingbar, die Ursachen für diese gigantischen und atemberaubenden Flüchtlingsbewegungen zu
beseitigen. Kein Land, auch Europa nicht, kann diese gewaltigen Flüchtlingsströme alleine bewältigen; da machen wir uns nichts vor. Es ist in diesem Zusammenhang
auch nicht hilfreich, in erster Linie immer die Europäische Union für die humanitäre Situation der Flüchtlinge
verantwortlich zu machen. Wir in Europa helfen, und
Deutschland hilft mehr als jedes andere europäische
Land. Verantwortlich sind vor allem die Gewalt, das
Chaos und die Perspektivlosigkeit in den jeweiligen Herkunftsländern, vor denen sich die Menschen in das stabile und für sie sehr verheißungsvolle Europa retten wollen.
Ein europäisches Gesamtkonzept zur Rettung, zur
Aufnahme und auch zu einer fairen Verteilung der hier in
Europa angelangten Flüchtlinge ist längst überfällig.
({1})
Ich bin froh, dass es jetzt Konferenzen dazu gibt. Vielleicht denken jetzt auch andere EU-Mitgliedsländer einmal darüber nach, wie sie Hilfe geben können, damit
nicht länger zehn EU-Länder das alleine zu schultern
versuchen. Es geht alle in der Europäischen Union an. Es
muss eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge auf alle
28 EU-Mitgliedstaaten geben.
({2})
Weil Syrien angesprochen wurde: Deutschland nimmt
die allermeisten syrischen Flüchtlinge auf, und zwar
auch auf Basis legaler Kontingente. Das haben wir sehr
früh auf den Weg gebracht.
Europa steht aber auch in der Verantwortung, seinem
humanitären Selbstverständnis gerecht zu werden und
seine trotz unseres Wohlstands begrenzten Ressourcen
und Kapazitäten am Ende klug einzusetzen. Manches,
was ich hier gehört habe, klingt nach einer völlig ungesteuerten Zuwanderung durch offene Grenzen; mancher
fordert das fast. Damit wären die Europäische Union und
die Länder der Europäischen Union aber absolut überfordert, die Akzeptanz bei unseren Bürgern würde
schwinden, und das würde Hilfe absolut unmöglich machen.
({3})
Dringend erforderlich und unverzichtbar ist eine umgehende und konsequente Bekämpfung der skrupellosen
und kriminellen Schlepperbanden und Menschenhändler. Wir müssen alles daransetzen, diesen Schleuserbanden, denen ein Menschenleben gar nichts bedeutet - sie
wollen Geld haben und sonst überhaupt nichts -, das
Handwerk zu legen, und zwar mit allen Möglichkeiten.
({4})
Der Vorschlag der EU-Kommission, aus den Erfahrungen mit der Pirateriebekämpfung zu lernen und systematisch nach Schiffen der Menschenhändler zu suchen und
diese nach Bergung der Flüchtlinge zu zerstören, ist sicherlich eine Facette eines ganzen Tableaus.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das, was wir
heute sehen, ist nur ein Vorbote dessen, was noch zu erwarten ist. Weltweit sind mehr als 50 Millionen Menschen auf der Flucht, und ein erheblicher Teil davon vor
den Toren Europas. Wenn die Staatengemeinschaft unfähig bleibt, Krieg und Elend einzudämmen, wird das auch
Europa destabilisieren. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Den Vorschlag von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, ein EU-Sofortprogramm für die
Finanzierung eines Wirtschafts- und Stabilisierungsprogramms in den Fluchtländern ins Leben zu rufen, halte
ich für einen wichtigen Ansatz, um Fluchtursachen zu
minimieren. Seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
unterstützen wir ausdrücklich diesen Weg.
({5})
Wir müssen gemeinsam mit anderen dringend vor Ort
die Fluchtursachen bekämpfen. Dazu brauchen wir nicht
nur eine gemeinsame europäische Strategie mit einer
besseren Verzahnung der Außen-, der Innen- und der
Entwicklungspolitik in und zwischen den EU-Mitgliedstaaten, sondern auch ganz elementar die Stabilisierung
der Herkunfts- und Transitländer; denn dort liegen die
Ursachen für all das Elend, das die Menschen auf den
Weg, auf die Flucht schickt. Das ist längst überfällig.
Insbesondere die Länder der Afrikanischen Union und
die wohlhabenden Golfstaaten sind gefordert, sich deutlich stärker als bisher zu engagieren. Sie sind gefordert,
mit Engagement die Probleme ihres eigenen Kontinents
anzugehen. Wir wollen gerne dabei helfen, aber dort
liegt die Wurzel des Übels, das die Menschen dazu
bringt, sich auf die Reise zu begeben. Wir wollen den
Menschen helfen. Das heißt, wir müssen die Ursachen
angehen und so unterstützend wirken.
Danke schön.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Rüdiger Veit, SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Der tragische, der sehr traurige Anlass
für diese Debatte hat im Ton dieser Debatte Gott sei
Dank seinen Niederschlag gefunden. Darüber bin ich
froh. Ich war mir nicht ganz sicher, ob das so kommt.
Nur an einer Stelle kam es zu einer Personalisierung,
die ich gerne weggeräumt hätte. In aller freundschaftlichen und kollegialen Verbundenheit zu Ulla Jelpke
möchte ich nicht stehen lassen, dass es eine persönliche
Verantwortung des amtierenden Bundesinnenministers
für die tragischen Ereignisse, die uns hier zusammengeführt haben, gibt. Diese Personalisierung ist nicht angemessen.
({0})
Im Übrigen bin ich über den Zehn-Punkte-Plan froh.
Aber ich sage auch ausdrücklich - die Mitverursacher
werden das vielleicht gar nicht anders sehen -: Das
reicht nicht. Wenn für uns klar ist, dass wir eine umfassendere Seenotrettung im Mittelmeer bis weit unter die
libysche Küste brauchen, um die Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren, dann mutet es mich aus europäischer Sicht ein bisschen kleinkrämerisch an, wenn dafür
nun statt 3 Millionen vielleicht 6 Millionen Euro im Monat zur Verfügung gestellt werden, während wir vorher
über ein Jahr lang erwartet haben, dass Italien 9 Millionen Euro pro Monat für sein Engagement aufwendet. Ich
denke, hier muss deutlich mehr passieren. Das wäre auch
meine Erwartung an den Gipfel, der morgen stattfindet.
Das würde ich mir sehr wünschen.
({1})
Um auch das gleich abzuräumen: Die Logik und die
Argumentation, weil die Operation Mare Nostrum so
viele Menschen vor Seenot gerettet hat, hätte sie einen
starken Pull-Effekt gehabt und dazu geführt, dass sich
mehr Flüchtlinge auf den Weg gemacht haben, können
nicht wahr sein. Wenn diese Betrachtungsweise richtig
wäre, müsste man den Maßstab einmal umdrehen und
sagen: Gäbe es keine Seenotrettung, wäre die Gefahr für
die Menschen, ums Leben zu kommen, so groß und der
Abschreckungseffekt entsprechend stark, sodass dann
vielleicht keine mehr kommen. Diese Argumentation
dürfen wir uns bitte schön weder in die eine noch in die
andere Richtung zu eigen machen.
({2})
Ich warne auch davor, die ganze Betrachtung auf das
verbrecherische Schleuserunwesen zu konzentrieren.
Denn ich glaube nicht, dass eine Vielzahl von Schleusern dazu führt, dass es viele Flüchtlinge gibt. Vielmehr
glaube ich, dass es viele und immer mehr Schleuser gibt,
weil es viele Flüchtlinge gibt.
({3})
Wir müssen uns auch vor der Einschätzung hüten, es
könnte heute gelingen, eine Wüste und vielleicht auch
das Mittelmeer auf eigene Faust, ohne Unterstützung,
ohne Organisation und ohne Schleuser zu durchqueren.
Das ist per definitionem eigentlich gar nicht denkbar. Insofern sage ich noch einmal: Wir dürfen nicht glauben,
dass wir, wenn wir das eine Problem wirksam bekämpft
haben, wir das andere Problem los sind. Der Leidensdruck der Menschen, die sich auf den Weg nach Europa
machen, ist so groß, dass sie sich, egal wer sich um die
Frage des Transports und der Organisation kümmert,
weiterhin auf den Weg machen werden. Die Ursachen,
die wir in der Tat alle bekämpfen wollen, sind bereits benannt worden.
Ich will jetzt mit Blick auf den Gipfel, der stattfindet,
an die Bundesregierung und namentlich auch an die
Bundeskanzlerin drei Bitten äußern. Ich sage wirklich
ohne jeden falschen Unterton: Sie wird ja aus der Sicht
mancher hier im Hause zu Recht als eine der mächtigsten Frauen nicht nur in Europa, sondern auch in der Welt
eingeschätzt. Deswegen bitte ich, dass sie mit allem
Druck und der Durchsetzungskraft, die ihr eigen sein
kann, jetzt an dieser Stelle beharrlich ist, dass sie Folgendes bitte umsetzt und nicht nur mit den Kolleginnen
und Kollegen darüber redet.
Der erste Punkt ist eine angemessene Verteilung von
Flüchtlingen in ganz Europa.
({4})
Das heißt nicht automatisch, dass wir in Deutschland
mehr aufnehmen müssten, im Gegenteil: nach Maßgabe
der letzten Zahlen sogar etwas weniger.
({5})
- Je nachdem - in der Tat -, je nach der Betrachtung. - Aber ich weise darauf hin - ich bitte, jetzt mit ein
paar Sekunden Redezeit ein bisschen großzügig zu
sein -: Es gibt eine kleine Schwachstelle in der Argumentation. Solange Deutschland in den vergangenen
Jahrzehnten nicht in dieser Weise betroffen war, haben
alle Bundesregierungen und Innenminister, egal welcher
Couleur, immer gesagt: Wir können mit Dublin eigentlich ganz hervorragend leben. Ich sage einmal: Solange
es uns nicht in diesem Maße betrifft, ist es für uns vielleicht ein weniger großes Problem, wenn die Mittelmeeranrainerstaaten mit einer großen Anzahl von
Flüchtlingen belastet sind. Das ist auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Aber trotzdem müssen wir energisch
und intensiv in diese Richtung weiter handeln. Das wäre
meine Bitte zu Punkt eins.
Zu Punkt zwei: Resettlement, legale Möglichkeiten
für Flüchtlinge, zu uns zu kommen. Die Zahl ist schon
genannt worden: 2013 gab es ein Resettlement-Programm in ganz Europa im Umfang von etwas über
5 000 Menschen. In der gleichen Zeit kamen über
400 000 Flüchtlinge nach Europa. Über 400 000! Man
betrachte einmal diese Relation. Oder - noch eine andere
Zahl zum Vergleich -: Im Libanon gibt es bei etwas über
4 Millionen Einwohnern 1,5 Millionen Flüchtlinge.
Rechnen Sie das einmal auf Deutschland um! Das wären
27 Millionen Flüchtlinge in Deutschland - 27 Millionen! -, wobei wir noch ganz andere Voraussetzungen haben.
Das heißt, es ist schändlich, wenn sich Europa seiner
Verantwortung hier nicht stellt und nicht zu ganz anderen Zahlen und Kapazitäten für die Aufnahme von
Flüchtlingen, die nun wirklich schutzbedürftig sind,
kommt. Auch da würde ich Sie, Frau Bundeskanzlerin,
bitten, sich nachdrücklich einzusetzen und Druck zu machen, damit man nicht nur darüber redet, sondern auch
zu einem Ergebnis kommt.
({6})
Dritte und letzte Bemerkung. Ich bin ein kleines bisschen skeptisch, wenn es um Aufnahmezentren, Internierungslager und Beratungsmöglichkeiten im Vorfeld geht.
Ich stelle klar: Alles, was hilft, zu verhindern, dass sich
Menschen unter Lebensgefahr über das Mittelmeer auf
den Weg machen müssen, ist eine gute Idee. Aber ob all
das funktionieren kann, weiß ich nicht.
({7})
Solche Überlegungen hat auch schon Ihr Amtsvorvorvorgänger, Otto Schily, mit seinen europäischen Kollegen angestellt. Wir haben es damals nicht zu einem Ergebnis gebracht. Ich halte das auch heute für höchst
problematisch. Auch bin ich mir über die Größenordnung solcher Einrichtungen in Transitländern oder Herkunftsländern überhaupt nicht im Klaren. Das gilt auch
im Hinblick auf die Probleme und die Frage: Wer betreut
die Menschen da eigentlich? Aber ich bitte Sie, auf europäischer Ebene zu überlegen - auch das ist eine Bitte an
Sie -, ob nicht die unmittelbare Vergabe von Schutzvisa
durch die Botschaften und Konsulate der bessere Weg
wäre, um die Menschen in zuverlässiger Art und Weise
zielgerichtet zu beraten und vielleicht zu ermöglichen,
dass einige der ganz besonders Schutzbedürftigen auf legalem und ungefährlichem Wege nach Europa und somit
auch nach Deutschland kommen. Ich wäre Ihnen sehr
dankbar und ich wäre sehr froh, wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin - nachdem schon Frank-Walter Steinmeier und
Thomas de Maizière versprochen haben, sich dafür einzusetzen -, uns in der nächsten Sitzungswoche über gute
Ergebnisse unterrichten könnten.
Gutes Gelingen!
({8})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich, CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich glaube, in dieser Debatte ist deutlich
geworden, dass sich alle in diesem Haus im Ziel einig
sind: Das Sterben im Mittelmeer muss beendet werden.
Wir haben in dieser Debatte allerdings, glaube ich, gemerkt, dass es durchaus unterschiedliche Auffassungen
darüber gibt, wie wir dieses Ziel erreichen. Liebe Frau
Göring-Eckardt, ich finde es unangemessen, dass Sie
hier Schuldzuweisungen vornehmen
({0})
und versuchen, aus dieser ernsten Lage politisches Kapital zu schlagen.
({1})
Ich will Kommissar Avramopoulos zitieren, der am
Montag zu Recht gesagt hat: Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern es geht jetzt darum, Verantwortung
für die Zukunft zu tragen.
({2})
Darum geht es. Um diese Verantwortung ringen wir gemeinsam.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesinnenminister hat zu Recht gesagt: Wir müssen zwischen den Flüchtlingen differenzieren. - Wir sollten uns
um eine differenzierte Debatte in diesem Land bemühen.
Ich beginne mit den Syrern. Wir haben bei den Syrern
eine Anerkennungsquote, die sich in Richtung 100 Prozent bewegt. Das heißt also, es ist anerkannt, dass die
Syrer nach unseren gesetzlichen Vorschriften in Europa
den Anspruch und das Recht auf Anerkennung als
Flüchtlinge haben.
({4})
Aber es ist ihnen natürlich nicht zuzumuten, dass sie zunächst einmal unter Lebensgefahr nach Europa kommen
müssen, um dieses Recht überhaupt in Anspruch nehmen zu können.
({5})
Deswegen will ich das, was der Bundesinnenminister
hier gesagt hat, ausdrücklich unterstützen: Wir müssen
Anlaufstellen auch außerhalb Europas schaffen, um eine
Prüfung vornehmen zu können. Aber hier ist ein europäischer Konsens erforderlich; denn es muss dann natürlich entschieden werden, wie diese Flüchtlinge in Europa verteilt werden.
Ich möchte darauf hinweisen, dass es in Deutschland
schon vor zweieinhalb Jahren ein Programm zur Aufnahme von 10 000 Syrern gab, in der Hoffnung, es möge
Vorbild für andere europäische Länder sein. Diese Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt.
({6})
Ich glaube, das muss jetzt anders werden. Angesichts der
Toten im Mittelmeer muss Europa in seiner Gesamtheit
Verantwortung übernehmen.
({7})
Aber auch da gilt: Wir können nicht alle Syrer in Europa
aufnehmen, sondern auch andere Länder sind gefordert.
Ich möchte das sehr vorbildliche Verhalten der Türkei
erwähnen, die Flüchtlinge sowohl dezentral als auch
zentral unterbringt. Aber auch die arabische Welt ist gefordert, sich dieses Themas anzunehmen.
Thema Afrika: Es ist heute schon richtig gesagt worden: Die Probleme Afrikas können nur in Afrika und
nicht auf europäischem Boden gelöst werden. Deswegen
ist es wichtig - Gerd Müller ist zu Recht für seine Aktivitäten in Afrika gelobt worden -, die Lebensbedingungen der Menschen dort zu verbessern. Aber es muss
auch darum gehen, Fluchtalternativen innerhalb Afrikas
zu schaffen. Das ist eine außenpolitische Aufgabe. Man
muss mit den Regierungen Afrikas verhandeln, dass sie
auch bereit sind, Flüchtlingslager auf ihrem Boden zu
akzeptieren. Hier kann die Europäische Union beweisen,
dass sie auch außenpolitisch handlungsfähig ist. Es geht
also darum, nicht immer nur die Einrichtung diplomatischer Stellen zu fordern, sondern auch Erfolge vorzuweisen. Das wünschen wir uns sehr.
Wir müssen den Kampf gegen Schleuser verstärken,
und es wäre sehr gut, wenn wir uns einig wären, dass das
nicht gute Fluchthelfer, sondern Verbrecherorganisationen sind, für die das Leben der Menschen nichts wert ist.
Deswegen müssen sie auch mit der uns zur Verfügung
stehenden Härte bekämpft werden.
Meine Damen und Herren, es muss nach Afrika, an
die dortige Bevölkerung, die klare Botschaft ausgesendet werden, dass die Menschen nicht alle nach Europa
kommen können. Diese Botschaft darf nicht erst in
Nordafrika überbracht, sondern muss auch in Zentralafrika über die Regierungen transportiert werden. Der
Bundesinnenminister hat zu Recht gesagt: Auch diese
Länder haben kein Interesse daran, dass ihre Eliten, dass
die kräftigsten und stärksten jungen Männer nach Europa gehen. Sie werden in ihren Ländern gebraucht. Ich
glaube, dass es hier eine Zusammenarbeit mit den Regierungen geben kann und geben muss.
Was sind unsere Erwartungen an die Europäische
Union und an die Mitgliedstaaten der Europäischen
Dr. Hans-Peter Friedrich ({8})
Union? Wir reden immer von Subsidiarität und meinen
mit Subsidiarität, die EU-Kommission und die Institutionen sollen sich aus den Dingen heraushalten, die die
Mitgliedstaaten allein regeln können. Aber Subsidiarität
hat auch eine Kehrseite, nämlich die Gemeinschaft ist
dann zum Handeln aufgefordert, wenn ein Staat überfordert ist. Malta, Italien, Griechenland sind überfordert,
also ist es eine Aufgabe der Europäischen Union, nach
dem Prinzip der Subsidiarität auch einzugreifen.
({9})
Wir haben derzeit die Situation, dass 70 Prozent aller
Asylbewerber in fünf Ländern - Frankreich, Italien,
Deutschland, Schweden, Ungarn - aufgenommen werden. Auch das kann auf Dauer nicht so bleiben, sondern
hier muss gehandelt werden. Wir erwarten, dass die Europäische Kommission wie angekündigt zügig eine mit
substanziellen Punkten gefüllte Migrationsagenda vorlegt. Sie kann nicht mehr nur im Ungefähren und Vielleicht bleiben.
({10})
Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir eine
europäische Flüchtlingskonferenz einberufen und uns
das Gesamtproblem - Flüchtlingspolitik in Europa vornehmen. Es ist wichtig, dass wir das gemeinsame
Asylrecht, das in Europa seit 2013 gilt, auch gemeinsam
umsetzen. Dort ist vorgesehen, dass überall die Unterbringung von Flüchtlingen mit gemeinsamen Standards
möglich ist. Derzeit haben wir noch die Situation, dass
selbst die Gerichte bei uns entscheiden: Ihr könnt innerhalb der Dublin-Regelungen niemanden in Nachbarländer abschieben, weil dort die Standards nicht erfüllt
sind. - Auch das muss anders werden. Auch hier erwarte
ich ein Handeln der Europäischen Union, und sie hat
dazu die Möglichkeiten.
Schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren:
Die EU braucht eine Afrika-Strategie nicht nur auf dem
Papier, sondern eine, die auch umgesetzt wird. Natürlich
ist es wichtig, dass wir gemeinsam die Lebensbedingungen in Afrika verbessern, dass dort Brunnen gebohrt und
Straßen gebaut werden. Aber ich will aufgreifen, was der
Bundesaußenminister gesagt hat: Das allein reicht nicht
aus, um Terroristen und Verbrecher, um organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Da sind etwas robustere Maßnahmen erforderlich - auch das gehört zur Realität und
zur Wahrheit, über die wir in diesem Haus reden müssen -: nicht nur gute Maßnahmen zu ergreifen und Hilfen über Entwicklungspolitik zu geben, sondern auch die
Bereitschaft zu zeigen, einzugreifen und die Verbrecher
in die Schranken zu weisen. Ich habe großen Respekt
vor unseren französischen Freunden und Nachbarn, die
in Mali bewiesen haben, wie das geht und wie man das
machen kann.
({11})
- Ja, dass Sie sich da aufregen, ist mir klar.
Es gibt ein ganzes Bündel von notwendigen Maßnahmen, die jetzt umzusetzen sind. Es ist nicht einfach, aber
es geht darum, dass wir all diese Fragestellungen Stück
für Stück abarbeiten. Das bedeutet, Verantwortung zu
übernehmen und zu tragen. Dass wir das gemeinsam tun,
darauf hoffe ich.
Vielen Dank.
({12})
Damit haben wir das Ende dieser Aussprache erreicht.
Wir sind damit zugleich auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 23. April 2015,
9 Uhr, ein
Die Sitzung ist geschlossen.