Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte einen Augenblick Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu
unserer heutigen Plenarsitzung und möchte Sie auf einige Änderungen unserer Tagesordnung aufmerksam
machen.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE:
Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG
durch Ausgliederung
({0})
ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({1})
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 170 zu Petitionen
Drucksache 18/4440
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 171 zu Petitionen
Drucksache 18/4441
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 172 zu Petitionen
Drucksache 18/4442
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 173 zu Petitionen
Drucksache 18/4443
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 174 zu Petitionen
Drucksache 18/4444
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 175 zu Petitionen
Drucksache 18/4445
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zu den Vor-
schlägen des Bundeswirtschaftsministers zur
Reduzierung des CO2-Ausstoßes bei Kohle-
kraftwerken und zur Förderung der Kraft-
Wärme-Kopplung
ZP 4 a) - Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen
Drucksache 18/3990
Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({8})
Drucksache 18/4455
- Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/4459
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({10}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens,
Sabine Leidig, Thomas Lutze, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Einführung einer Pkw-Maut in
Deutschland
Drucksachen 18/806, 18/4455
Präsident Dr. Norbert Lammert
c) - Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes ({11})
Drucksache 18/3991
Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses ({12})
Drucksache 18/4448
- Bericht des Haushaltsausschusses ({13}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/4458
Dabei soll, soweit erforderlich, wie üblich von der
Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 5 - hier geht es um den Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre
Hilfe im Ausland - und 15 - da geht es um die Beratung
eines Antrags über eine Entscheidung des Bundessozialgerichts im Hinblick auf die Kürzung der Grundsicherung - werden abgesetzt.
Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.
Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann
können wir so verfahren.
Bevor wir in diese Tagesordnung eintreten, möchte
ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Mit
jähem Entsetzen und tiefer Trauer haben wir die Nachricht vom verheerenden Flugzeugabsturz in den Alpen
erhalten. Es ist eine menschliche Tragödie, die Deutschland, Spanien und Frankreich in Schock und Schmerz
eint. Unter den 150 Opfern sind viele Menschen aus
Deutschland und Spanien, darunter auch viele junge
Menschen, sehr junge Menschen: 16 Schüler und Schülerinnen und zwei Lehrerinnen eines Gymnasiums der
Stadt Haltern sind unter den Toten.
Jeder von uns hat eine Vorstellung, was eine solche
Nachricht für die eigene Familie oder den eigenen
Freundeskreis bedeuten würde. Wir trauern mit den Angehörigen der Opfer und ihren Freunden. Und wir sprechen ihnen allen unser tiefes Mitgefühl aus.
Deutschland hat nach diesem Unglück viel internationale Anteilnahme erfahren: aus Frankreich, aus Spanien,
aus vielen anderen Ländern. „Heute sind wir alle Deutsche und Spanier“, hat mir die portugiesische Parlamentspräsidentin geschrieben. Für diese Zeichen des
Mitgefühls in einer für uns alle besonders bitteren
Stunde sind wir dankbar.
Dankbar sind wir auch den Mitgliedern der Rettungsund Bergungsmannschaften, mehr als 600 Einsatzkräfte,
die unter schwierigsten Umständen an der Unglücksstelle arbeiten und das ihnen Menschenmögliche tun.
Die Frage nach dem Grund für den Absturz ist naturgemäß noch unbeantwortet und wird sich vielleicht auch
nicht so bald verlässlich klären lassen. Aber selbst wenn
wir die Antwort wissen, wird das für die Betroffenen
kein Trost sein. Der Schmerz über den Verlust bleibt.
Deshalb gilt ein besonderer Dank und Respekt all denen,
die den Hinterbliebenen in diesen Stunden voller Verzweiflung nun zur Seite stehen - in Barcelona wie in
Düsseldorf, in Haltern am See und in Seyne-les-Alpes in
den französischen Alpen.
Die Angehörigen der Opfer erleben jetzt eine unbeschreiblich schwere Zeit. Wir sind in unseren Gedanken
bei ihnen und fühlen uns ihnen in einer ganz besonderen
Weise verbunden. Und wir wünschen ihnen die Kraft
und die Zuversicht, diese schwere Herausforderung zu
bewältigen.
Ich danke Ihnen.
({15})
Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 20 a bis
20 c auf:
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom
27. Juni 2014 zwischen der Europäischen
Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits
und der Ukraine andererseits
Drucksache 18/3693 ({16})
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({17})
Drucksache 18/4352
b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der
Europäischen Union und der Europäischen
Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten
einerseits und Georgien andererseits
Drucksache 18/3694
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({18})
Drucksache 18/4353
c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen
vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen
Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits
und der Republik Moldau andererseits
Drucksache 18/3695
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({19})
Drucksache 18/4354
Präsident Dr. Norbert Lammert
Zu diesem Tagesordnungspunkt darf ich die Botschafter und hochrangige Vertreter aus allen drei Ländern,
auch den Botschafter Spaniens, auf der Ehrentribüne
herzlich begrüßen.
Mein ganz besonders herzlicher Gruß gilt dem Präsidenten des ukrainischen Parlaments und seiner Delegation.
({20})
Sehr geehrter, lieber Herr Groysman, uns allen ist der
enge Zusammenhang bewusst zwischen den Verhandlungen über die Assoziierung mit der Europäischen
Union und den Freiheitskämpfen auf dem Maidan. Ihre
Anwesenheit heute unterstreicht die überragende Bedeutung, die Sie und das frei gewählte Parlament der
Ukraine der europäischen Perspektive Ihres Landes beimessen. Wir freuen uns auf die künftige enge Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern und unseren Parlamenten, und wir wünschen Ihnen viel Kraft und Erfolg
auf diesem nicht ganz einfachen Weg.
Herzlich willkommen!
({21})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesen Abkommen 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Also können
wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister des Auswärtigen, FrankWalter Steinmeier.
({22})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Europäische Union steht jetzt vor dem Abschluss dreier Assoziierungsabkommen mit Ländern in
ihrer östlichen Nachbarschaft: mit Georgien, mit der Republik Moldau und mit der Ukraine. Die Abkommen
sind wichtig. Sie sind wichtig für unsere Nachbarn, aber
nicht weniger wichtig für Europa und unser Verhältnis
zur europäischen Nachbarschaft.
Wohl kaum ein Abkommen der EU hat so viel internationale Aufmerksamkeit erfahren wie das zwischen
der EU und der Ukraine. Bei unserer heutigen Debatte
im Deutschen Bundestag - der Bundestagspräsident hat
gerade darauf hingewiesen - ist eine Delegation der
ukrainischen Rada zu Gast. Verehrter Herr Parlamentspräsident, lieber Volodymyr Groysman, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem ukrainischen Parlament
- dasselbe will ich für die anwesenden Botschafter der
Ukraine, Georgiens und der Republik Moldau sagen -,
seien Sie uns alle herzlich willkommen!
({0})
Die Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, von der ich sprach, rührt natürlich zuallererst daher,
dass sich große Hoffnungen auf diese Abkommen richten, über die wir jetzt entscheiden: die Hoffnungen der
Menschen in der Ukraine zum Beispiel auf Wachstum
und Arbeit nach langer Stagnation, auf eine moderne
und transparente Demokratie nach Korruption und nach
Misswirtschaft, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Es hat lange gedauert, bis die Verhandlungen überhaupt
eröffnet wurden. Dann wurde sechs Jahre lang zwischen
der Europäischen Union und der ukrainischen Führung
verhandelt, dann die Kehrtwende unter Janukowytsch
- wir erinnern uns alle -, und jetzt hat die ukrainische
Regierung durch ihre Zustimmung zum Assoziierungsabkommen besiegelt, dass sie gemeinsam mit der Europäischen Union an dieser besseren Zukunft arbeiten will.
Nun ist es an den Staaten der Europäischen Union, ihre
Seite des Versprechens zu bekräftigen. Darum, liebe
Kolleginnen und Kollegen, werbe ich heute um Ihre
möglichst breite Zustimmung in diesem Deutschen Bundestag.
({1})
Die Aufmerksamkeit für dieses Abkommen ist aber
natürlich auch deshalb so groß, weil es im Zusammenhang steht mit einer dramatischen politischen Krise, die
seit über einem Jahr nicht nur die Ukraine überschattet,
sondern die Friedensordnung, wenn ich das so sagen
darf, in ganz Europa. Gerade jetzt, wo wir vor dem Abschluss dieser drei Abkommen stehen, gilt es, deutlich
zu sagen: Nicht die Intensivierung einer Partnerschaft ist
die Ursache für die Zuspitzung des Konflikts, sondern
Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim und
die Destabilisierung der Ostukraine. Nicht der Weg der
Kooperation hat uns in die Krise geführt, sondern der
Weg der Konfrontation. Und weitere Konfrontation führt
uns nicht hinaus, sondern weiter hinein in diesen Konflikt, und deshalb müssen wir sie vermeiden.
({2})
Deshalb sage ich immer wieder, auch gerne heute erneut und auch gerade an unsere russischen Nachbarn:
Die Nachbarschaftspolitik der EU ist gegen niemanden
gerichtet.
({3})
Wir wollen eine gute Zusammenarbeit nicht nur mit unseren Nachbarn, sondern auch mit den Nachbarn unserer
Nachbarn. Alle 28 europäischen Außenminister haben
das kürzlich in Riga deutlich zum Ausdruck gebracht.
Vor allem ist es unsere gemeinsame Überzeugung hier in
Deutschland, in der Regierung und sicherlich auch im
Parlament. Auch deshalb sind wir so sehr um eine politische und nicht um eine militärische Lösung des UkraineKonflikts bemüht. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sie gelingt.
({4})
Eigentlich haben wir seit über 40 Jahren eine Grundlage, die es uns ermöglicht, die Vorgänge zu beurteilen.
Kraft des Prinzips der Gleichberechtigung
- darf ich zitieren und des Selbstbestimmungsrechts der Völker haben
alle Völker jederzeit das Recht, in voller Freiheit …
ihren inneren und äußeren politischen Status ohne
äußere Einmischung zu bestimmen …
So heißt es wortwörtlich in der KSZE-Schlussakte
von 1975, die mit der Zustimmung Russlands zustande
gekommen ist. Deshalb sage ich: Nur auf dieser gemeinsamen Basis können wir den akuten Konflikt entschärfen, entlang der konkreten Vereinbarung des Minsker
Abkommens. Nur so kann die Basis für eine neue Zukunft unserer Beziehungen auch mit Russland geschaffen werden. Am Bemühen unsererseits wird und darf es
auch nach Enttäuschungen und nach Rückschlägen nicht
fehlen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Aber zurück zu den Assoziierungsabkommen. Diese
drei Assoziierungsabkommen stellen die Beziehungen
der Europäischen Union zu Georgien, Moldau und der
Ukraine wirklich auf eine neue Stufe. Sie werden zu einem völlig neuen Grad an politischer Zusammenarbeit
und wirtschaftlicher Verflechtung führen. Aber nicht nur
das; die Abkommen bringen für unsere drei Partnerländer auch große Aufgaben mit sich, an deren Erfüllung in
den kommenden Jahren zu arbeiten sein wird. Das wird
mühsam, keine Frage. Der Prozess der Assoziierung verlangt von der Ukraine, von Georgien und von der Republik Moldau tiefgreifende politische, wirtschaftliche und
gesellschaftliche Reformen. Aber ich weiß eben auch:
Die Hoffnungen, die die Menschen in diesen Prozess legen - diese Hoffnungen setzen auch Kräfte frei. Das
können wir jetzt schon in einigen der Länder sehen.
Die Republik Moldau hat im letzten Jahr den Visaliberalisierungsprozess geradezu in Rekordzeit abgeschlossen.
Georgien hat Justiz, Verwaltung und Grenzmanagement in bemerkenswerter Weise modernisiert.
Und die Ukraine ist trotz des Konfliktes im eigenen
Land zu Reformen bereit, sei es im Energiebereich oder
bei der Korruptionsbekämpfung. Präsident Groysman
hat mir gegenüber, aber, wie ich vermute, auch gestern
im Auswärtigen Ausschuss den Fahrplan für die Reformen noch einmal erläutert. Wir wollen nicht vergessen:
Schon Ende 2014 wurde ein erstes Reformgesetzpaket
verabschiedet.
Meine Damen und Herren, wir haben Interesse an
dem Weg der Reformen - als Europäische Union und als
deutsche Bundesregierung. Vor allen Dingen ist das allerdings im Interesse der drei Länder selbst. Deshalb
wünsche ich Ihnen - das sage ich den drei Botschaftern
und den anwesenden Parlamentsvertretern -, dass Ihnen
die notwendige politische Unterstützung in Ihren Ländern nicht versagt bleibt. Denn eines bleibt am Ende
auch wahr: Wir können diesen Reformprozess vonseiten
der deutschen Regierung und der Europäischen Union
unterstützen und werden das auch tun, aber getrieben
werden muss er vom politischen Willen in den drei Ländern selbst.
({6})
Wenn der Weg gelingt, meine Damen und Herren,
dann können diese drei Assoziierungsabkommen auch
über die Partnerländer hinaus Wirkung entfalten. Auch
unseren drei anderen östlichen Partnern Armenien, Aserbaidschan und Belarus, die keine Assoziierung mit der
EU anstreben, wollen wir mit individuellen Angeboten
gerecht werden. Auch in diesem Fall will ich betonen:
Die Hand, die wir Armenien, Aserbaidschan und Belarus
reichen, ist zugleich auch in Richtung Russland ausgestreckt. Denn die Europäische Union will nicht nur
starke Einzelbindungen; wir wollen eine gute, stabile
Nachbarschaft in und mit der gesamten Region. Das
wird auch der Leitgedanke auf dem Gipfel der Östlichen
Partnerschaft in Riga sein. Größtmögliche Stabilität und
Kooperation in einem möglichst großen Raum - daran
ist uns allen gelegen: der EU, unseren östlichen Nachbarn und hoffentlich Russland auch.
Ich bin jedenfalls überzeugt: Die Aufgaben, die vor
unseren Nachbarn liegen, lassen sich ohnehin nicht lösen, wenn sie vor die Wahl zwischen Ost und West gestellt werden. Auch der Wiederaufbau der Ukraine wird
nicht auf einem Bein gelingen - so dringend notwendig
die Unterstützung des Westens auch sein wird. Eine bessere Zukunft für unsere Nachbarn liegt nicht im Entweder-oder, sondern im Sowohl-als-auch. Deshalb unterstützen wir als deutsche Bundesregierung nachdrücklich
die trilateralen Gespräche zwischen der Ukraine, Russland und der EU. Wenn nach Auslaufen des augenblicklich noch geltenden Moratoriums zum Jahresende die
Streitigkeiten über Handelsbeziehungen und Vereinbarkeit von Handelsregelungen nicht erneut aufbrechen
sollen, dann rate ich - auch der Europäischen Kommission - dringend dazu, den Trilog endlich fortzusetzen
und die Gespräche nicht weiter zu vertragen.
({7})
Ich komme zum Ende. Die Lage ist ernst. Europas
Friedensordnung ist ins Wanken geraten. Jetzt geht es
um Verantwortung, die wir, die Staaten der EU, unsere
Nachbarn und auch Russland tragen. Die drei Abkommen, die vor uns liegen, können einen Beitrag zu Europas Friedensordnung sein. In dieser Verantwortung wollen wir nicht nur hier über sie abstimmen und sie
unterzeichnen, sondern vor allen Dingen wollen und
müssen wir sie in den kommenden Jahren mit Leben erfüllen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Andrej Hunko für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Außenminister! Der renommierte US-amerikanische Politologe John Mearsheimer hat in seinem viel beachteten
Aufsatz „Putin reagiert“ die Verantwortung für den Konflikt in der Ukraine vor allen Dingen dem Westen zugeschoben. Er benennt zwei zentrale Gründe dafür: erstens
die NATO-Osterweiterung, zweitens die EU-Osterweiterung. Diese Assoziierungsabkommen, die wir heute diskutieren, sind Teil dieser Osterweiterung.
Herr Steinmeier, Sie sagen, es dürfe kein Entwederoder geben. Die Geschichte des Jahres 2014 hat aber gezeigt, dass dieses EU-Assoziierungsabkommen mit der
Ukraine als Entweder-oder angelegt war. So hat es auch
Kommissionspräsident Barroso gesagt. Wir lehnen das
Entweder-oder ab, und wir lehnen deshalb auch dieses
EU-Assoziierungsabkommen ab.
({0})
Die drei Assoziierungsabkommen haben zwei Dimensionen: einmal - das ist der größere Teil - eine wirtschaftspolitische Dimension, aber auch eine sicherheitspolitische,
eine militärische Dimension. In allen Abkommen ist die
tiefere Integration dieser Staaten in das europäische Sicherheitssystem angelegt. Auch das ist ein Problem, und
das ist eine der Sorgen, die auch Russland in diesem Fall
hatte.
Aber die wichtigere und auch größere Dimension ist
die wirtschaftspolitische Dimension. Es geht nicht nur
um Ost gegen West, EU oder Russland, sondern es geht
auch darum, dass diese Abkommen, wirtschaftspolitisch
betrachtet, radikal neoliberale Abkommen sind. Es gibt
dort ganz viele Bekenntnisse zur freien Marktwirtschaft,
etwa in der Präambel. Aber vergeblich sucht man in diesen Abkommen nach Bekenntnissen etwa zur sozialen
Marktwirtschaft oder nach einem Bezug auf das europäische Sozialstaatsmodell, das ja auch ein Kern europäischer Werte ist. Wir lehnen diese radikal neoliberalen
Abkommen ab.
({1})
Im Kontext der Installierung dieser Abkommen, zum
Beispiel in der Ukraine, sind ja schon viele Reformen
eingefordert worden, zum Beispiel die drastische Erhöhung der Gas- und Strompreise oder der Wasserpreise
für Privathaushalte. Der Tagesspiegel beziffert die
durchschnittliche Erhöhung der Kosten für einen Zweipersonenhaushalt in der Ukraine, die zum 1. April 2015
in Kraft treten soll, auf 88 Prozent. Am 1. April dieses
Jahr! Die WirtschaftsWoche schreibt dazu - ich zitiere -:
Den Ukrainern bleibt nicht mehr viel zum Leben.
Während es der Bevölkerung immer schlechter
geht, können Oligarchen wie Staatspräsident Petro
Poroschenko nicht klagen. Die Gewinne seiner
Schokoladenfabriken haben sich verachtfacht.
Auch seinen Freunden und Rivalen geht es nicht
schlecht. Die Oligarchen kontrollieren das Bankensystem, die Stromversorgung und die Ölgesellschaften des Landes.
Wir haben vor wenigen Tagen gesehen, dass auch
einzelne Oligarchen wie Kolomojskyj Privatarmeen
haben, die sie einsetzen. Das darf nicht sein. Auch im
Zuge der Diskussion um das Assoziierungsabkommen
müssen diese Privatarmeen aufgelöst werden, ebenso
wie die freiwilligen Bataillone, die ja auch zum Teil
von Kolomojskyj finanziert werden.
({2})
Erinnern wir uns einmal an die dramatische Entwicklung in der Ukraine: das Assoziierungsabkommen, die
blutigen Unruhen auf dem Maidan, der verfassungswidrige Umsturz, die Gegenbewegung, die Sezession der
Krim, der Krieg im Osten, der Versuch, das militärisch
zu lösen, und natürlich die Reaktion Russlands - ich will
das ja nicht verschweigen. All das, glaube ich, sollte uns
einmal innehalten und überlegen lassen, ob wir nicht
eine andere Ostpolitik anvisieren sollen, eine Ostpolitik,
die nicht auf Konfrontation mit Russland setzt, und die
vor allen Dingen wirtschaftspolitisch auf Entwicklung,
auf Kooperation und nicht auf neoliberale Abkommen
setzt. Ich glaube, eine solche Ostpolitik wäre dringend
notwendig. Ich fordere Sie auf, eine solche Debatte in
der Europäischen Union anzustoßen.
Vielen Dank.
({3})
Franz Josef Jung ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine
Vorbemerkung: Herr Hunko, ich will das, was Sie hier
gerade eben als Schuldzuweisung an den Westen, was
die Frage der Konfliktsituation in der Ukraine anbelangt,
gesagt haben, mit allem Nachdruck zurückweisen.
({0})
Die Assoziierungsabkommen, die hier heute zur Abstimmung stehen, sind ein deutliches Signal an die freiheitsliebenden, an die europäisch gesinnten Menschen in
der Ukraine, in Moldau und in Georgien. Deshalb werden wir diesen Assoziierungsabkommen auch zustimmen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Ratifizierung dieser drei Assoziierungsabkommen treffen wir
heute, denke ich, auch eine historische Entscheidung. Es
geht um die Stärkung der politischen, der wirtschaftlichen und der kulturellen Beziehungen zwischen der Europäischen Union, der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau. Und, meine Damen und Herren, es ist ein
selbstbestimmter Weg, den diese Nationen hier im Hinblick auf Europa gewählt haben. Der Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen - das ist die Grundlage
der Vereinbarungen der KSZE -: Es geht um die Selbstbestimmung der Völker. Und wenn die Völker hier eine
klare Entscheidung für Europa treffen, dann sollten wir
diese Entscheidung heute mit Nachdruck unterstützen.
({2})
Es geht auch um gleichberechtigte Beziehungen zu
diesen Nationen, die ehemals in den Machtbereich der
Sowjetunion gehört haben. Damit verbunden ist nicht
nur der zollfreie Zugang zu den Märkten der Europäischen Union, sondern auch die Übernahme der rechtlichen und wirtschaftlichen Standards der Europäischen
Union. Ich denke, wir als Deutsche, aber auch als Europäer übernehmen eine große Mitverantwortung, damit
dieser Weg der schrittweisen Annäherung an Europa ein
Erfolg wird.
Meine Damen und Herren, insofern sind diese drei
Abkommen der Europäischen Union mit Ländern außerhalb der Europäischen Union auch ein Stück weit einzigartig.
Das Schlüsselland in diesem Prozess ist die Ukraine.
Deshalb müssen wir, wie ich denke, uns immer wieder
daran erinnern, dass die Aussetzung dieses Abkommens
durch den damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor
Janukowytsch zu den Maidan-Demonstrationen geführt
hat, bei denen sich Tausende Menschen in bitterer Kälte
für Freiheit, für Demokratie, für Europa eingesetzt haben
und Hunderte ihr Leben verloren haben. Wir dürfen
diese Menschen nicht im Stich lassen und müssen heute
in diesem Sinne eine positive Entscheidung für Freiheit
und Europa treffen.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, leider ist
auch wahr, dass Russland bisher alles getan hat, um den
Prozess der Annäherung an die EU in diesen Ländern zu
erschweren. Es geht jetzt in der Ukraine darum, dass das
Abkommen Minsk II in allen Teilen entsprechend umgesetzt wird. Diese Assoziierungsabkommen - das will ich
ebenfalls unterstreichen - richten sich gerade nicht gegen Russland. Vielmehr geht es um eine engere Verknüpfung der Wirtschaftsräume. Hierbei bleibt die Hand
nach Russland ausgestreckt. Es gibt die Vereinbarung
zwischen der Europäischen Union, der Ukraine und
Russland, den wirtschaftlichen Teil des Abkommens bis
zum Ende dieses Jahres auszusetzen.
Ich denke aber, es ist auch richtig - hier will ich auf
das verweisen, was die Bundeskanzlerin auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos formuliert hat -, dass wir einen
gemeinsamen Wirtschaftsraum mit Russland von Lissabon bis Wladiwostok anstreben. Aber dazu gehören immer zwei Seiten. Deshalb sage ich: Es geht hier nicht um
ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.
Unsere Hand bleibt weiterhin ausgestreckt. Es ist kein
Signal gegen Russland, sondern es ist ein Signal für
Freiheit und Europa, aber auch für eine Zukunftsperspektive in Europa und darüber hinaus. Deshalb, glaube
ich, sind diese drei Abkommen so einzigartig und wichtig. Aus diesem Grund sollten wir ihnen heute auch zustimmen, meine Damen und Herren.
({4})
Nachdem ich das mit Blick auf Russland so formuliert habe, will ich noch einmal unterstreichen: Das Abkommen Minsk II muss in all seinen Teilen eingehalten
werden. Das gilt insbesondere für den Waffenstillstand,
der bisher nicht in allen Bereichen gewährleistet ist.
Zwar wissen wir: Es gibt eine Strecke von immerhin
500 Kilometern, auf der die Waffen im Wesentlichen
schweigen. Aber es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen, die zu beenden sind. Es geht auch um den
Rückzug der schweren Waffen und insbesondere um die
Gewährleistung der Kontrolle durch die OSZE. Die Separatisten müssen sicherstellen, dass die OSZE die unmittelbare Kontrolle hat, damit es zu einer friedlichen
Entwicklung kommt. Wir wollen damit natürlich auch
den Reformprozess beschleunigen.
Besonders unterstreichen will ich das, was das ukrainische Parlament, die Abgeordneten und Präsident
Groysman, bereits beschlossen hat. Es sind schon Reformen auf den Weg gebracht worden. Jetzt geht es in der
Ukraine darum, dass die Reformen, die beschlossen worden sind, in der Verwaltung umgesetzt werden, damit die
Menschen spüren, dass sich etwas verbessert. Es geht
nicht nur darum, Gesetze zu beschließen, sondern sie
müssen auch ihre Umsetzung finden. Das ist, glaube ich,
ein wichtiger Schritt, bei dem wir der Ukraine helfen
müssen, damit sich die Situation vor Ort konkret verbessert.
({5})
Meine Damen und Herren, vorrangig geht es um die
wirkungsvolle Bekämpfung der Korruption, eine Reform des Justizsystems, die Gewährleistung einer funktionierenden Verwaltung und eine Verfassungsreform
mit dem Ziel der Dezentralisierung. Hierbei sollen die
Regionen eingebunden werden. Ich halte es für richtig,
dass die Macht der Oligarchen zurückgedrängt wird. Die
Oligarchen haben in diesem Staat immer noch viel zu
viel politischen Einfluss.
({6})
Dass Präsident Poroschenko dafür gesorgt hat, dass der
Oligarch Kolomojskyj als Gouverneur abgesetzt wird,
halte ich für ein Signal in die richtige Richtung. Die
Macht der Oligarchen in der Ukraine muss zur Verbesserung der Situation der Menschen vor Ort zurückgedrängt
werden.
({7})
Meine Damen und Herren, ich denke, dass sich die
Menschen in der Ukraine vom politischen Wandel eine
sichtbare Verbesserung erhoffen. Wir stehen an ihrer
Seite, wenn es darum geht, diese Reformprozesse konkret umzusetzen. Wir sollten unsere Leistungen mit den
Reformanstrengungen der Ukraine verbinden, um so zu
einer schnelleren Verbesserung der Situation vor Ort beizutragen.
Das, was für die Ukraine gilt, gilt im Hinblick auf die
europäische Anbindung auch für Moldau und Georgien.
Diese Länder der Östlichen Partnerschaft verdienen
ebenfalls unsere Unterstützung. Moldau ist nach dem
letzten Regierungswechsel, bei dem es zu einer Minderheitsregierung gekommen ist, in keiner einfachen Situation. Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist es richtig,
das Assoziierungsabkommen hier und heute zu ratifizieren, um auch dort den Prozess in Richtung von Freiheit,
Europa und unseren gemeinsamen Werten weiter zu fördern und zu unterstützen.
Seit der Rosenrevolution hat Georgien seine Beziehungen zur Europäischen Union kontinuierlich ausgebaut. Tiflis hat fortlaufend an Reformen in Politik und
Wirtschaft gearbeitet, die von der Europäischen Union
im Rahmen der Östlichen Partnerschaft unterstützt worden sind. Georgien wird mit dem Abkommen weiter in
den Binnenmarkt integriert. Weiteren Fortschritten im
Bereich der Justiz und auf den Gebieten von Freiheit und
Sicherheit wird der Weg geebnet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesen
drei Assoziierungsabkommen haben wir die Chance, den
drei Ländern eine Perspektive im Hinblick auf Europa zu
eröffnen. Wir müssen allerdings feststellen: Wir beraten
diese drei Abkommen in einer besonderen Situation. Ich
unterstreiche: Wenn diese Länder - die Ukraine, Moldau
und Georgien - sich in freier Selbstbestimmung enger an
die Europäische Union binden wollen, wenn sie unsere
Werte teilen wollen, wenn sie die Lebenssituation der
Menschen vor Ort verbessern wollen, wenn sie damit
auch Europa politisch stabiler machen wollen, dann sollten wir heute mit möglichst breiter Mehrheit diesen drei
Assoziierungsabkommen für eine freiheitliche, für eine
demokratische, für eine europäische Entwicklung in der
Ukraine, in Moldau und in Georgien zustimmen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrter Präsident! Sehr verehrte Herren Präsidenten! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach 1989
haben wir Europäerinnen und Europäer das große, das
einmalige Glück gehabt, dass eine solche Umwälzung
der Welt für uns, die wir jetzt in der Europäischen Union
sind, fast komplett friedlich abgelaufen ist - fast komplett friedlich: Die Toten von Vilnius werden wir nämlich auch nicht vergessen.
Das Glück, bei einer solchen Umwälzung für Stabilität in unserer Nachbarschaft sorgen zu können, die es
vorher nicht gegeben hat, dieses Glück verdanken wir einem Konzept der Europäischen Union, das da lautet: Wir
wollen Transformation durch Werte. Dazu gehören: Demokratie, freier Markt, Rechtsstaatlichkeit. Dieses Konzept ist die Grundlage für die Beziehungen der Europäischen Union zu ihrer Nachbarschaft, und es ist - daran
wird sich trotz allen Unterstellungen vom Kreml und
von sonst wo nichts ändern - richtig.
({0})
Dieses Konzept baut darauf, dass wir Frieden und Stabilität in unserer Nachbarschaft haben werden, wenn wir
Anreize schaffen für Transformation in diesen Ländern:
Transformation, die aufhört mit Oligarchie, Transformation, die den Zustand beendet, dass mit der Ökologie und
der sozialen Situation der Menschen im Land schlecht
umgegangen wird. Diese Transformation soll die Menschen ermächtigen, über die Zukunft ihrer Länder selber
zu entscheiden.
Herr Hunko, auf dieses Konzept hat der Kreml keine
andere Antwort als Militär. Das können Sie doch nicht
verteidigen! Stehen Sie - bei aller Kritik, die ich Ihnen
zubillige - ein für das friedliche Konzept der Europäischen Union!
({1})
Im Januar 2007 lag das Verhandlungsmandat des Europäischen Rates vor. Seit 2007 steht die Assoziierung
mit der Ukraine - übrigens als Ablösung der Partnerschafts- und Assoziierungsabkommen, die wir mit allen
Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach 1989 geschlossen haben - auf der Tagesordnung. Zu behaupten,
das sei die Provokation gewesen, die dann sieben Jahre
später zu einem Krieg geführt hat, ist meiner Ansicht
nach schlichtweg nicht logisch.
({2})
Das andere, was auch wichtig ist: Es war in der
Ukraine ein Konsens zwischen allen politischen Parteien, die Assoziierung mit der Europäischen Union zu
suchen. Es war in der Ukraine ein Konsens zwischen al9160
len politischen Parteien aus unterschiedlichen Gründen;
aber niemand hat jemals gesagt: Wir dürfen das wegen
Russland nicht machen. - Sogar Herr Putin wurde vor
einigen Jahren zitiert mit den Worten: Wenn die Ukraine
in die EU aufgenommen würde, hätte ich kein Problem
damit.
({3})
Wenn Sie von einem Entweder-oder-Spiel reden,
möchte ich ganz deutlich sagen: Das Entweder-oderSpiel ist vom Kreml aufgemacht worden.
({4})
Die Assoziierung steht nicht dem Freihandel zwischen
der Ukraine, zwischen Moldau, zwischen Georgien und
Russland entgegen. Es ist das Konzept der Eurasischen
Wirtschaftsunion, was einer Assoziierung entgegensteht.
Den Status quo der Freundschaft der Ukraine und des
Handels der Ukraine mit Russland stellt das Assoziierungsabkommen nicht infrage.
({5})
Ich glaube, dass wir diese freie Entscheidung würdigen müssen. Ich glaube, dass es an die Grundlage der
Werte der Europäischen Union ginge, wenn wir die freie
Entscheidung der Länder, über deren Assoziierung wir
heute abstimmen, ignorieren würden. Wir würden damit
an etwas rütteln, was seit 1989 eines der entscheidenden
Prinzipien war, nämlich: Ihr dürft euch in unsere Richtung orientieren; aber wir verlangen von euren Ländern
Reformen im Sinne von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und natürlich auch gutnachbarschaftlichen Beziehungen. Aber natürlich kann man nicht sagen: Weil
der Nachbar diese Beziehungen infrage stellt, dürft ihr
euch nicht mehr assoziieren. - Das ist ein Fehlschluss;
davon bin ich überzeugt.
({6})
Ich bin der festen Überzeugung: Wir müssen alles dafür tun, um die Ukraine und die Region zu stabilisieren.
Die Assoziierungsabkommen können ein Schritt auf diesem Weg sein. Sie müssen umgesetzt werden, und zwar
nach und nach in einem demokratischen und transparenten Prozess im Land - nicht einfach nur von oben nach
unten. Das Gleiche gilt für Moldau und für Georgien.
Die neue Regierung in Moldau macht uns in dieser Hinsicht wirklich Sorgen.
Ich bin auch davon überzeugt, dass wir - früher oder
später - die Transformationskräfte in all diesen Ländern
auf der politischen Bühne nur dann wirklich entscheidend voranbringen können, wenn es nicht länger ein
Tabu ist, über eine EU-Perspektive für diese Länder zu
reden. Ohne eine EU-Perspektive, denke ich, werden wir
eine erfolgreiche Transformation dieser Länder nicht bis
zum letzten Schritt erreichen können.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Franz Thönnes für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Gäste aus Georgien, aus Moldau und aus der Ukraine! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidungen, um die es heute geht, haben
ihre Grundlage in der seit Mai 2009 von der EU und ihren Mitgliedstaaten verfolgten Politik des Auf- und Ausbaus einer Östlichen Partnerschaft mit den Ländern
Aserbaidschan, Armenien, Georgien, Moldau, Ukraine
und Weißrussland.
Diese Partnerschaftspolitik war zentral darauf ausgerichtet, das Alltagsleben der Menschen in diesen Ländern Stück für Stück zu verbessern, Wohlstand und
Lebensstandard in einem friedlichen Miteinander zu erhöhen. Dazu gehörten die Öffnung der Märkte, politische Reformen zur Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und
Demokratie, eine intensivere Einbindung in die Zivilgesellschaft, Schritte zur Angleichung von Standards in
verschiedenen Bereichen der Verwaltung und bei Fragen
in den Bereichen Energie, Umwelt- und Klimaschutz,
die Stärkung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung der Krake Korruption. Mittel und Instrument sollten die Assoziierungsabkommen, begleitet von umfassenden Freihandelsabkommen, sein.
Nun kann keiner der politisch Handelnden auf dem
europäischen Kontinent behaupten, während des knapp
fünfjährigen Prozesses jeden Tag alles richtig und nichts
falsch gemacht zu haben. Diese Feststellung ergibt sich
schon allein aus der Tatsache, dass Aserbaidschan, Armenien und Weißrussland kein Assoziierungsabkommen
unterzeichnen. Aber sie ergibt sich auch aus der Tatsache, dass der Weg von der Aufnahme der Verhandlungen
bis zum jetzigen Abschluss und zur Ratifikation der Assoziierungsabkommen mit Georgien, Moldau und der
Ukraine nicht frei von Konflikten dieser Länder und der
Europäischen Union mit dem größten Nachbarn im Osten, nämlich mit Russland, war.
Handelsauseinandersetzungen, gewalttätige Konflikte,
Drohungen bis hin zu kriegerischen Handlungen, der
Bruch des Völkerrechts durch Russland und der Verstoß
gegen OSZE-Prinzipien, die Drohung mit und die Anwendung von Gewalt gegen die Ukraine haben uns in
Europa in eine Situation geführt, in der die Gefahr einer
neuen Spaltung nicht mehr irreal erscheint. In dieser Situation sind jetzt alle gehalten, Beiträge zur Deeskalation - in der Praxis wie in der Rhetorik - und zur Sicherung des Friedens zu leisten.
({0})
Deshalb ist in der aktuellen Lage in Europa nach wie
vor das oberste Gebot, alles dafür zu tun, dass die Minsker Vereinbarungen der vier Staats- und Regierungschefs
Frankreichs, Russlands, der Ukraine und Deutschlands
zum Waffenstillstand und zur friedlichen Konfliktlösung
Schritt für Schritt nachprüfbar umgesetzt werden, und
zwar von allen, die darin als Akteure genannt wurden hüben wie drüben.
Dennoch ist der heutige Tag wie der 16. September
des vergangenen Jahres, als das Europaparlament den
Assoziierungsabkommen zugestimmt hat, ein Tag der
Freude und der Perspektive - einer Perspektive, für die
sich die Menschen in den Ländern Georgien, Moldau
und der Ukraine engagiert haben, für die sie gestritten
haben, für die sie bei Wahlen gestimmt haben, einer Perspektive der größeren Nähe zur Europäischen Union, zu
mehr Wohlstand und mehr Freiheit. Diese Perspektive
muss nicht bedeuten, dass die bisher existierenden engen
internationalen Verbindungen und Wirtschaftsbeziehungen aufgegeben werden müssen, sondern sie kann mit
dazu beitragen, zusammen von einer gemeinsamen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu profitieren.
Moldau hat den Prozess der Assoziierung sehr intensiv mit der EU betrieben. Im Juni/Juli 2014 erfolgten
Unterzeichnung und Ratifizierung. Das Gleiche gilt für
Georgien. Seit April 2014 gilt die Visafreiheit. Dennoch
gibt es enge Beziehungen zu Russland. Es gibt die Energieabhängigkeit, die Abhängigkeit mit Blick auf den Export moldauischer landwirtschaftlicher Produkte, und
außerdem gewährleisten 600 000 bis 800 000 moldauische
Gastarbeiter in Russland 20 Prozent des moldauischen
Bruttoinlandsproduktes. Hier sind auch die russischen
Handelsrestriktionen, die wir zu Recht kritisieren, und
nicht zuletzt die offene Transnistrienfrage zu nennen.
Bei allem Bekenntnis zu Europa müssen wir dennoch
die geringe Wahlbeteiligung bei der letzten Wahl realisieren und sagen: Hier gilt es, mehr gute Arbeit zu leisten und für eine klare Unterstützung bei den zukünftigen
Reformen zu sorgen, damit mehr Zuspruch gewonnen
wird.
Georgien ist sehr ambitioniert, insbesondere bei der
Stärkung des Rechtsstaates und der Korruptionsbekämpfung. Doch auch hier gibt es Streitigkeiten innerhalb der
Regierung, die nicht gerade Stabilität vermitteln.
Meine Besuche in der Ukraine haben mir in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder deutlich gezeigt, wie stark die Europabegeisterung der Menschen
ist und wie stark ihr Wille ist, nach 20 Jahren der Korruption und der Ausbeutung durch ein korruptes Staatswesen endlich einen guten Weg in Richtung Europa zu
gehen.
({1})
So geschunden das Land durch die Konfliktlage und die
kriegerische Auseinandersetzung ist, so ungebrochen ist
der breite Wunsch der Menschen, den Weg nach Europa
zu gehen.
Nun gilt es, die Herkulesaufgabe der inneren Reformen trotz aller äußeren Widrigkeiten zielstrebig voranzutreiben, und zwar mit konkreter Implementierung. An
Unterstützung soll es dabei nicht mangeln. Die Menschen dürfen nicht noch einmal enttäuscht werden. Denn
mit der Zustimmung des ukrainischen Parlamentes zum
Assoziierungsabkommen ist man ein Versprechen an die
Bürgerinnen und Bürger eingegangen; dafür hat die
Maidan-Bewegung monatelang gekämpft, und dafür haben Menschen ihr Leben gelassen.
({2})
Die Herausforderungen sind enorm. Die Erwartungen
im Inneren und von außen sind groß. Auf der Agenda
stehen die konsequente Umsetzung der Beschlüsse von
Minsk, eine Verfassungsreform, der Aufbau eines
Rechtsstaates, die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols - nicht zuletzt durch die Entwaffnung aller staatlich nicht legitimierten Personen und Truppen -,
der Kampf gegen Korruption und die Begrenzung der
Macht der Oligarchen. Zu welchen Konflikten das führen kann, haben wir gerade bei der Entmachtung von
Kolomojskyj gesehen.
Zu nennen ist aber auch die ökonomische Realität: ein
Wirtschaftseinbruch um circa 15 Prozent in 2014,
1,2 Millionen verlorengegangene Arbeitsplätze, 2 bis
3 Millionen Menschen ohne Arbeit, 50 Euro Durchschnittsrente, 130 bis 160 Euro Durchschnittseinkommen, Steuersätze von 20 Prozent, 8 Millionen registrierte Beschäftigte, 12 Millionen Rentnerinnen und
Rentner. In dieser Relation erkennt man das Spannungsverhältnis.
Die Finanzministerin, Frau Jaresko, sagt schon jetzt,
die 40 Milliarden US-Dollar vom IWF und von der EU
würden nicht ausreichen, und Gunter Deuber von der
Raiffeisen Bank International in Wien prognostiziert gar
einen Bedarf von 200 Milliarden US-Dollar in den kommenden Jahren.
Wenn man sich das Ganze anschaut, dann erkennt man:
Es geht jetzt darum, dass die Reformen die Menschen
überzeugen müssen. Es müssen gute Reformen sein, die
auch wahrnehmbar sind. Dazu gehört auch der soziale
Dialog zwischen den Gewerkschaften, den Arbeitgebern
und der Zivilgesellschaft, der in allen drei Assoziierungsabkommen gefordert wird. Es ist notwendig, die einzelnen
Reformschritte gemeinsam zu diskutieren und zu beraten.
Die Gespräche mit Gewerkschaftsvorsitzenden und mit
der Führung des Arbeitgeberverbandes bei meinem Besuch in der Ukraine vor einigen Tagen haben mir deutlich gemacht, dass hier durchaus noch Spielraum nach
oben ist.
Wenn jetzt Finanzströme von Kiew in die Regionen
fließen, weil diese mehr Verantwortung tragen sollen,
dann müssen eine entsprechende Kontrolle und ein ent9162
sprechendes Monitoring stattfinden. Die neu gewählten
Kommunalpolitiker müssen dafür unsere Unterstützung
bekommen.
({3})
Wir alle bleiben als Parlamentarierinnen und Parlamentarier gefordert, unsere guten Kontakte in einen weiteren, intensivierten Erfahrungsaustausch einzubringen,
damit sich Gutes aus den genannten Assoziierungsabkommen entwickeln kann.
Abschließend ist auf die gemeinsame Verantwortung
für die friedliche Entwicklung in diesem gesamten geografischen Raum - nicht zuletzt aufgrund der genannten
Verflechtungen - hinzuweisen. Ich denke hier an folgende Passage in der Minsker Vereinbarung der vier
Staats- und Regierungschefs:
Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich unverändert zur Vision eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis
zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien
der OSZE.
Herr Kollege.
Ich komme zum Schluss. - Deshalb gilt es, diesen
Satz zusammen mit den Assoziierungsländern, der EU
und Russland verantwortungsvoll durch gemeinsame
Dialoge umzusetzen. Dazu gehört es auch, die Bestrebungen zur Visaliberalisierung mit den drei Ländern,
aber auch mit Russland zu intensivieren, damit die Menschen sich begegnen und die vielfältigen Lebensweisen
kennenlernen können und damit Fehlinformationen und
eine falsche Informationspolitik den Frieden in Europa
nicht gefährden.
Stimmen wir dem Assoziierungsabkommen zu! Mit
Verantwortung zur Verantwortung durch Verantwortung!
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Exzellenzen! Kolleginnen und Kollegen! Man muss schon über die Ziele sprechen - verständigen kann man sich nicht unbedingt -, wenn man diese
Abkommen beurteilen will. Ich möchte Ihnen die Ziele
der Linken vorstellen und begründen, weswegen wir
glauben, dass die Abkommen nicht in eine vernünftige
Richtung führen.
Unser Ziel ist nach wie vor die Verfolgung der Idee
von Michail Gorbatschow eines gemeinsamen Hauses
Europa. Dieses Ziel haben wir doch einmal zusammen
gehabt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie: das gemeinsame Haus Europa. Wir glauben und
wollen, dass in diesem gemeinsamen Haus jeder seinen
Platz findet. Es sind viele Zimmer zu vergeben. Da werden auch die Bevölkerungen der Ukraine, Moldawiens
und Georgiens und die Bevölkerungen vieler anderer
Länder ihren Platz finden. Die Einrichtung des anderen
muss uns nicht gefallen und auch nicht die Art, wie er
die Feten in seinen Räumen feiert. Aber wir müssen in
einem gemeinsamen Europa zusammenleben wollen;
das muss die Zielsetzung sein.
({0})
Wir haben versucht, uns Gedanken darüber zu machen, ob diese drei Abkommen zu einem gemeinsamen
Haus Europa hinführen oder davon wegführen. Ich sage
Ihnen: Diese drei Abkommen vertiefen die Spaltung in
Europa. Deswegen werden wir ihnen nicht zustimmen.
({1})
Ich meine die Spaltung zwischen oben und unten - das
kann man anhand der Abkommen nachvollziehen -, die
Spaltung zwischen Ost und West, eine Spaltung, die wir
endlich überwinden müssen, statt sie wieder zuzulassen.
Man wartet da auf Signale. Ich habe in Ihrer Rede,
Herr Jung, und auch in der Rede des Außenministers gehört - die Grünen haben dazu nichts gesagt; das ist
typisch -, dass für Sie Sicherheit in Europa nur mit
Russland und nicht gegen Russland möglich sein kann.
Das haben wir Ihnen immer vorgetragen. Ich freue mich
ja, dass Sie auch etwas von der Linken lernen. Von uns
kann man viel lernen, wenn man genau hinhört.
Fragen Sie doch einmal, ob Ihre Politik in diese Richtung angelegt ist. Ich sage Ihnen eins: Wenn Sie den Mut
gehabt hätten, die Debatte über die Assoziierung mit
dem Vorschlag zu verbinden, einige Sanktionen gegen
Russland aufzuheben, wenn Sie beides miteinander gekoppelt hätten, dann hätten Sie einen Schritt in diese
Richtung gemacht und wir hätten trotz aller Bedenken
vielleicht zustimmen können.
({2})
Das haben Sie nicht gemacht. Sie haben im Gegenteil
die Sanktionen gegen Russland verschärft. Deswegen
sage ich Ihnen: Sie reden von Verständigung; dafür finden Sie unseren Beifall. Ihre praktische Politik aber bedeutet eine Verschärfung der Situation in Europa; das
finde ich schlimm. Hier möchte ich eine andere Regelung haben.
({3})
Ich bin es leid, dass jeder hier von Visafreiheit redet.
Wir reden seit ein paar Jahren darüber. Aber wenn es
dazu kommt, sich für diese Visafreiheit zu entscheiden,
blockiert die CDU/CSU jeden Schritt in diese Richtung.
({4})
Sie reden zwar davon, aber handeln anders: Das ist Ihre
Politik. Diese sollten Sie endlich überwinden.
({5})
Ich möchte gern, dass Sie in Richtung eines gemeinsamen Hauses Europa einen Weg finden, um die schweren sozialen Verwerfungen oder zumindest die sozialen
Auseinandersetzungen, die in der Ukraine mit Sicherheit
kommen werden, unblutig zu überwinden und humanitäre Hilfe in Europa gemeinsam zu gestalten. Ich möchte
auch, dass endlich mehr Demokratie gewagt wird. Es ist
kein gutes Zeichen, wenn in Moldawien kurz vor den
Wahlen eine unliebsame Partei einfach verboten wird.
({6})
Hätte diese Partei kandidieren können, wäre es in Moldawien zu einem anderen Ergebnis gekommen. Auch
das gehört zu einem gemeinsamen Kampf für Demokratie in Europa dazu.
Der Kollege Vaatz möchte Ihnen eine Zwischenfrage
stellen. Sie sind bereit, diese zuzulassen? - Bitte schön,
Herr Kollege Vaatz.
Herr Kollege Gehrcke, ich möchte Sie fragen, wie Sie
es wagen können, von Demokratie zu reden, wenn Ihnen
der Wille der Mehrheit der Menschen im Baltikum, der
Mehrheit der Menschen in der Ukraine, der Mehrheit der
Menschen in Moldawien und der Mehrheit der Menschen in Georgien ganz offensichtlich völlig gleichgültig
ist. Ihnen geht es in Ihrer Rede nur um eines: Bahn frei
für Russland!
({0})
Ich schließe daraus, dass Sie in diesem Parlament überhaupt nicht die linke Fraktion sind, als die Sie sich betiteln. Sie sind nichts anderes als der politische Arm des
russischen Expansionismus.
({1})
Sie sind auch keine Linken mehr. Seitdem die russische Regierung ihr linkes Mäntelchen abgestreift hat und
nach knallrechten expansionistischen Kriterien operiert,
blasen Sie genau in deren Horn. Sie haben jede Glaubwürdigkeit in diesem Land verspielt. Sie waren immer
auf der Seite der russischen Aggressionen: Sie waren auf
der Seite der russischen Aggressionen, als es 1968 um
die Tschechoslowakei gegangen ist, und Sie sind auf der
Seite der russischen Aggressionen, wenn es heute um die
Ukraine geht. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis.
({2})
Jetzt müssen Sie schon stehen bleiben, Herr Vaatz. Es
gehört zum Prozedere, sich die Antwort im Stehen anzuhören. - Was ich in diesem Parlament wagen kann oder
nicht wagen kann, das entscheiden Gott sei Dank nicht
Sie, sondern in erster Linie die Wählerinnen und Wähler.
({0})
Mit denen bin ich im Dialog. Wir sind hier doch nicht in
einer Erziehungsanstalt, in der einer sagen kann, was der
andere sich wagen kann. Jeder darf sich wagen, seine
politische Überzeugung hier im Parlament auszudrücken. Das ist Teil der Demokratie.
({1})
Ansonsten danke ich Ihnen für die Zwischenfrage. So
ein glänzendes Beispiel von Antikommunismus, von
Verkennen der Realität in Europa, wie Sie es hier vorgeführt haben, hätte ich mir gar nicht ausdenken können.
Herzlichen Dank, Herr Vaatz! Ich bin Ihnen dankbar für
diese Intervention.
({2})
Das Wort erhält nun der Kollege Manfred Grund für
die CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Exzellenzen! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und
der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien sind
gut für die Menschen in diesen Ländern und sind gut für
das Zusammenleben und das Zusammenwachsen im gemeinsamen Haus Europa.
({0})
Das Bild vom „gemeinsamen Haus Europa“ geht auf
eine Rede Michail Gorbatschows aus dem Jahre 1987
zurück, in der er wörtlich sagte:
Europa ist … ein gemeinsames Haus, wo Geografie
und Geschichte die Geschicke von Dutzenden von
Ländern eng miteinander verwoben haben.
Er sagte weiter:
Doch nur zusammen, gemeinschaftlich und indem
sie die vernünftigen Regeln der Koexistenz befolgen, können die Europäer ihr Haus bewahren … es
besser und sicherer machen …
Meine Damen und Herren, genau das wollen und das
sollen die Assoziierungsabkommen bewirken: unser gemeinsames Haus Europa bewohnbarer, besser und sicherer machen. Ganz wichtig: Diese Abkommen sind nicht
gegen Russland gerichtet. Russland ist Europa. Wir sind
Nachbarn im gemeinsamen Haus Europa. Wir sind überzeugt, dass Russland der wichtigste Nachbar der Europäischen Union bleibt und Sicherheit in Europa nur mit
Russland, aber auch nur unter Mitwirken Russlands zu
erreichen ist.
({1})
Was aber ist passiert, dass aus dem von Gorbatschow
vorgeschlagenen Ausbau des gemeinsamen Hauses
Europa unter Wladimir Putin der Casus Belli, ein Krieg
zwischen Russland und der Ukraine, wird, nur weil die
Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnen will?
Bis 2012 hat Wladimir Putin mehrfach versichert,
dass er sich selbst einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine
nicht widersetzen würde. In 2004 hat er es als damaliger
russischer Präsident wörtlich so ausgedrückt:
Wenn die Ukraine der Europäischen Union beitreten will, können wir das nur begrüßen.
Und weiter: Russland könne davon nur profitieren.
({2})
Mit seiner Wiederwahl in 2012 hat Wladimir Putin
seine Position aber radikal verändert; nicht wir haben
uns verändert, sondern Putin hat seine Position verändert. Im August 2013 erklärte Putin, „Schutzmaßnahmen“ durchführen zu wollen, sollte die Ukraine das Assoziierungsabkommen unterzeichnen. Die Moskauer
Zeitung Wedomosti schrieb kürzlich in einem Kommentar, dass sich Putin für die Meinung Europas nicht mehr
interessiert. Wörtlich hieß es:
Vielmehr ist nun die Entscheidung gefallen, sich
vom Westen zu verabschieden.
Mit anderen Worten, Herr Kollege Gehrcke: Putin
kündigt die Wohnung Russlands im gemeinsamen Haus
Europa. Wir bedauern die Selbstisolation Russlands unter Präsident Putin, werden aber gemeinsam mit der
Ukraine, Georgien und der Republik Moldau an diesem
gemeinsamen Haus Europa weiterbauen.
Meine Damen und Herren, warum sind die Assoziierungsabkommen für diese Transformationsländer so
wichtig? Diese Abkommen sind vor allem eines: Sie
sind Reformprogramme für die Modernisierung dieser
Länder. Ihr Inhalt geht über Freihandel und wirtschaftliche Integration hinaus. Sie sind Instrumente, um die
Länder Osteuropas an europäische und weltweite Standards von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und gutem
Regierungshandeln heranzuführen.
Damit soll den Menschen in der Ukraine, in Moldau
und Georgien vor allem eines geboten werden: wirtschaftliche und demokratische Perspektiven. Denn in der
Ukraine, in Moldau und Georgien haben die Menschen
Jahrzehnte des Verfalls, der Stagnation, der Korruption
und der Perspektivlosigkeit erlebt. Diese Menschen wollen eine Chance. Sie wollen eine Perspektive. Sie wollen
Frieden und Wohlstand anstatt Willkür und Oligarchenherrschaft. Sie wollen die Stärke des Rechts und nicht
das Recht des Stärkeren. Sie wollen Rechtssicherheit,
den Schutz der Schwachen und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Genau dabei sollen die Assoziierungsabkommen helfen. Dafür haben junge Menschen auf dem
Maidan in Kiew gekämpft. Dafür hat sich eine Mehrheit
der Moldauer bei den Parlamentswahlen am 30. November letzten Jahres entschieden. Und genau daran werden
wir das Handeln der Regierungen dieser Länder messen.
Eines will ich ausdrücklich festhalten: Oligarchen gehören für uns weder in die Politik noch in die Wirtschaft.
({3})
Meine Damen und Herren, Wladimir Putin hat die
Europäische Union einmal mit einem erloschenen Stern
verglichen, dessen Licht durch das All strahlt, jedoch
nicht mehr wärmt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die
Europäische Union ist von überzeugender Strahlkraft
und hoher Attraktivität. Die europäische Sonne wärmt
heute in ihrer Peripherie noch viel stärker als im Zentrum.
({4})
Wer ein Beispiel dafür sucht, findet es in der vorbildhaften demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, welche unser Nachbarland Polen in den letzten 20 Jahren durchlaufen hat. Kollege Gehrcke, Putin
fürchtet sich nicht vor NATO und Europäischer Union.
Er fürchtet sich vor dem Modell Polen, ausgedehnt auf
die Ukraine vor seiner Haustür. Er fürchtet, dass Demokratie und Wohlstand - all das, was er seinem eigenen
Land vorenthält - in der Ukraine Platz greifen würden.
Die Menschen in der Ukraine, in Moldau und Georgien wollen an diese Wohlstandsentwicklung Anschluss
finden, damit für sie das gemeinsame Haus Europa sicherer, wohnbarer, besser wird. Meine Damen und Herren, wir können ihnen dabei heute besonders helfen.
Vielen Dank.
({5})
Marieluise Beck ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
den vergangenen Jahren sind viele Assoziationsabkommen abgeschlossen worden, aber keines hatte - und das
zu Recht - eine so große politische Aufmerksamkeit.
Denn wir gehen mit diesen Assoziationsabkommen einen weiteren Schritt hin zur Überwindung von Jalta.
Diese Spaltung Europas durch die Vereinbarungen von
Jalta ist eine erzwungene gewesen. Es hat nach 1945
nicht die Situation gegeben, bei der alle Länder, die sich
jenseits des Eisernen Vorhangs befanden, diese Spaltung
bereitwillig hingenommen hätten. Es hat den Aufstand
in Ungarn 1956 gegeben, es hat Prag 1968 gegeben.
Marieluise Beck ({0})
Wir standen auf der anderen Seite und mussten zuschauen, wie diese Volks- und Freiheitsbewegungen mit
Militär zurückgeschlagen worden sind. Vielleicht müssen wir sogar eines Tages noch einmal darüber sprechen,
dass ein Teil unserer heutigen Republik, die damalige
DDR, bei der Niederschlagung des Prager Frühlings
1968 mitbeteiligt war.
({1})
Das hat also auch eine historische Dimension.
Wer auf dem Maidan war und wer in der Ukraine unterwegs ist - auch in Odessa, in Charkiw und Mariupol -, sieht mehr europäische Fähnchen, als wir je bei
uns in Europa sehen. Warum? Weil die Menschen in ihr
Unglück rennen wollen, vor dem Sie von der Linken sie
bewahren wollen?
({2})
Oder weil die Menschen mit Europa die Chance auf soziale Gerechtigkeit und ein Ende von Willkür und Ausgeliefertsein verbinden?
Was Ausgeliefertsein und die damit verbundene Ohnmacht bedeutet, können Sie in dem großartigen russischen Film Leviathan sehen: die Ohnmacht der kleinen
Bürger gegen Funktionäre und Oligarchen, die schlichtweg wie eine Mafia den Staat und die Menschen ausplündern. Das wollen die Menschen in der Ukraine nicht
mehr.
({3})
Ja, sie sind enttäuscht worden. Sie sind auch von der
Orangen Revolution enttäuscht worden, weil die oligarchischen Strukturen sich auch unter Orange weiter fortgesetzt und festgesetzt haben.
({4})
Alle drei Länder, über die wir heute sprechen - Moldau,
Georgien und die Ukraine -, bezahlen derzeit für die
Entscheidung der freien Hinwendung zu Europa mit Abspaltungen eines Teils ihres Landes, an denen Russland
tätig mitgewirkt hat.
Wir werden sehen, wie die Ukraine unter diesen Bedingungen - Krieg in einem Teil des Landes, Unwissenheit, ob der Krieg weitergehen wird oder ob wir nicht in
vier Wochen über Mariupol, Charkiw oder Odessa sprechen, die unter dem Deckmantel separatistischer Bewegungen eingenommen worden sind, von denen wir aber
wissen, dass es russisches Militär ist - die dadurch fast
unmöglichen Reformaufgaben angeht, die wir dem Land
vorgeben und für die Menschen zu Recht abverlangen.
Das ist fast eine Mission Impossible, aber es ist alternativlos, weil die Menschen in der Ukraine, auch in Moldau und Georgien ihre Erwartungen erfüllt sehen wollen,
dass die Europäische Union Freiheit bedeutet, auch
Wohlstand und Rechtsstaat - ich kann vor Gericht gehen
und Recht bekommen, auch gegen jemanden, der reicher
und mächtiger ist. All das muss eingelöst werden, auch
wenn es unter diesen Bedingungen fast unmöglich ist.
({5})
Das gekränkte Imperium tut alles, um die Schritte in
die Freiheit nicht nur zu behindern, sondern zum Scheitern zu bringen, weil es vor dem Erfolg die allergrößte
Furcht hat. Der Erfolg dieser Reformen ist die größte
Gefahr für Putin. Denn auch viele Menschen in Russland
wissen, dass sie unter demokratischen und freiheitlichen
Bedingungen ein besseres Leben haben könnten.
({6})
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Wir sagen
zu Recht: Wir wollen keine militärische Lösung. Wir
wissen, dass der Kreml bereit ist, Militär einzusetzen
und dies bereits getan hat. Wenn wir das sagen, dann ist
das ein Versprechen, dass wir mit allen unseren Kräften
und ohne auf unsere Schatullen zu schauen, den schwierigen Weg dieser drei Länder, der von Russland weiter
torpediert werden wird, trotzdem mit allen Kräften, in aller Ernsthaftigkeit und mit sehr viel Geduld unterstützen.
Wir wissen auch, dass das sehr viel materielle Unterstützung bedeuten wird.
Wir haben ein Versprechen abgegeben. Wir geben es
mit der Abstimmung auch heute ab, und dieses Versprechen einzulösen, sind wir den Menschen dort, wo bereits
viele für die Freiheit ihr Leben gelassen haben - was es
in unserem Nachkriegseuropa bisher noch nicht gegeben
hat -, schuldig.
({7})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Parlamentspräsident Groysman! Sehr geehrte Exzellenzen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2012 erhielt
die Europäische Union den Friedensnobelpreis. Das Komitee wollte vor dem Hintergrund der ökonomischen
Krise in Europa den Fokus auf den wichtigsten Effekt
der EU lenken: die erfolgreiche Durchsetzung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in
Europa.
Angesichts des Krieges in der Ukraine müssen wir
heute aber konstatieren, dass die EU ihrem Friedensanspruch zumindest im Rahmen der Östlichen Partnerschaft nicht gerecht werden konnte. Das ist keine
Schuldzuweisung, sondern eine schlichte Tatsachenfeststellung. Es gehört zur Wahrheit, dass nicht alle Menschen in der Ukraine und in Moldawien die Annäherung
an die EU wollen. Die Menschen in den georgischen
Provinzen Abchasien und Südossetien sind seit dem
Krieg von 2008 de facto kein Teil des Abkommens, das
wir heute ratifizieren wollen.
Genauso gehört es aber zur Wahrheit, dass sich die
große Mehrheit der Ukrainer, der Georgier und der Moldawier in demokratischen Wahlen für Europa entschieden hat, und zwar trotz der massiven Drohungen und Interventionen aus Russland. Auf dem Maidan in Kiew
riskierten Tausende Ukrainer sogar ihr Leben, getrieben
von dem Wunsch nach Demokratie und Freiheit - Werte,
für die Europa gemeinsam einstehen muss. Als überzeugte Europäer unterstützen wir diese Entscheidungen,
und als überzeugte Demokraten bewundern wir diesen
starken Willen.
Ebenfalls gehört zur Wahrheit, dass Deutschland kein
neutraler Akteur in diesem Konflikt ist, sondern ein aktiver Spieler sein muss. Als Schlüsselmacht in Europa
kommt Deutschland eine besondere Bedeutung zu. Unsere Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister
werden dieser Verantwortung mehr als gerecht. In enger Abstimmung mit unseren EU-Partnern verfolgen
sie eine klare europäische Position, und sie werben mit
bewundernswertem persönlichen Einsatz in Kiew, in
Washington und in Moskau für ihre Überzeugung, dass
der Konflikt in der Ukraine nicht mit Waffen zu lösen ist.
({0})
So unsicher der Erfolg des Minsker Abkommens erscheint, es stellt heute die einzige Option dar, das Blutvergießen in der Ostukraine dauerhaft zu beenden. Alle
Seiten, Russland, die Rebellen und auch die Ukraine,
müssen das erkennen.
Die deutsch-französische Friedensinitiative ist auch
ein Stück der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik für Europa. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte
vertrauen wir Europäer in der Sicherheitspolitik nicht alleine militärischen Mitteln. Ganz im Sinne des Osteuropäers Immanuel Kant setzt Europa heute vor allem auf
Friedenssicherung durch Demokratie und freie Marktwirtschaft.
({1})
Die Assoziierungsabkommen, die wir gleich beschließen wollen, sind in dieser Hinsicht ein Teil der europäischen Sicherheitspolitik. Es liegt in unserem ureigenen
Interesse, dass sich die Anrainerstaaten der EU unseren
Werten annähern und auch die Chance bekommen, sich
nachhaltig zu stabilisieren. Es ist richtig und legitim,
dass Europa sie aktiv bei den notwendigen Reformen unterstützt.
Die Abkommen sollen in der Ukraine, in Georgien
und Moldawien Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
freien Handel fördern. Europa hilft diesen drei Staaten
mit dem Abbau von Handelshemmnissen, durch eine
enge Kooperation in der Außenpolitik sowie bei der Modernisierung des Justizsystems und in Grundrechtsfragen. Als Anreiz für die Reformen stellt die EU bis 2020
rund 15,4 Milliarden Euro im Rahmen der Nachbarschaftshilfe zur Verfügung. Diese Unterstützung ist
keine milde Gabe, sondern sie ist eine Investition in eine
friedliche Zukunft Europas. Die erfolgreiche Umsetzung
der Abkommen wäre ein Sicherheitsgewinn für ganz Europa.
({2})
Entscheidend für den Erfolg der Abkommen wird
auch der Kampf gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit sein. Nur wenn die Menschen ihrem Staat vertrauen können, werden stabile Demokratien entstehen.
Russland hat kein Vertrauen mehr in Europa, und
Russland sieht in der Assoziierung eine Bedrohung. Die
Gründe dafür mögen vielfältig sein. Ein Faktor ist sicherlich die Angst vor einem russischen Maidan. Das
macht die neue russische Militärdoktrin vom 25. Dezember des letzten Jahres deutlich. Darin betont Russland
explizit die Gefahr eines gewaltsamen Sturzes der verfassungsgemäßen Ordnung und verknüpft diese Gefahr
mit außenpolitischen Gefahren.
Die Weltordnung, die vor 25 Jahren mit dem Fall der
Mauer unterging, scheint sich in Osteuropa wieder aufzurichten: Zwei konkurrierende Gesellschaftsmodelle
ringen dort um Einflusszonen. Niemand von uns kann
aber ernsthaft einen zweiten Kalten Krieg wollen.
({3})
Russland hat mit der Annexion der Krim und mit der
Destabilisierung der Ostukraine die europäische Friedensordnung massiv beschädigt und viel Vertrauen zerstört. Dieser Bruch des Völkerrechts lässt sich nicht entschuldigen, und es wird Jahre dauern, das verlorene
Vertrauen wiederzugewinnen. Trotzdem muss sich die
EU mit Russland arrangieren. Zu einem neuen und stabilen Modus Vivendi mit Russland werden wir nur dann
finden, wenn wir unsere unveräußerlichen Werte konsequent vertreten. Anderenfalls verlieren sie und damit
auch die EU ihre Glaubhaftigkeit und ihre Stabilität.
({4})
Zur Glaubhaftigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen,
gehört, dass wir den Wunsch der Menschen nach Demokratie und Freiheit aktiv unterstützen. Ich freue mich für
die Ukraine, für Georgien und für Moldawien, dass der
Deutsche Bundestag heute dem Willen der großen Mehrheit ihrer Bürgerinnen und Bürger entsprechen kann, ich
glaube, ebenfalls mit großer Mehrheit, und eine Annäherung an die Europäische Union nun ermöglicht. Wir wollen sie auch künftig aktiv unterstützen, und ich bitte Sie
alle daher heute, diesen drei Abkommen zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wir kommen nun zur Abstimmung über die von der
Bundesregierung eingebrachten drei Gesetzentwürfe zu
den Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft
und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie der Ukraine,
Georgien und der Republik Moldau andererseits.
Tagesordnungspunkt 20 a.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem
Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf der Drucksache 18/4352, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich der Stimme
enthalten? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.
({0})
Herr Präsident Groysman, Ihnen wird hoffentlich
nicht nur das überragend deutliche Ergebnis gefallen,
sondern auch die streitige Auseinandersetzung, die dem
vorausgegangen ist, wie sich das für ein ordentliches,
frei gewähltes Parlament gehört.
({1})
Tagesordnungspunkt 20 b.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem
Assoziierungsabkommen mit Georgien. Der Auswärtige
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
der Drucksache 18/4353, den Gesetzentwurf der Bundesregierung anzunehmen. Ich darf diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich von
ihren Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf mit dem
gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
({2})
Tagesordnungspunkt 20 c.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem
Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau,
auch hier auf der Basis der Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses; das ist die Drucksache 18/4354.
Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte
ich, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen.
({3})
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Monika Lazar, Tom Koenigs, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für verbindliche politische Regeln im internationalen Sport - Menschenrechte achten,
Umwelt schützen, Korruption bekämpfen
Drucksache 18/3556
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Alle vier Jahre legen Sportlerinnen und Sportler bei
Olympia den Eid ab, fair zu sein, Regeln zu achten und
ritterlichen Geist zu zeigen. Das ist der Anspruch. Die
Wirklichkeit ist aber so, dass Sie gerade den Entwurf
eines Anti-Doping-Gesetzes einbringen, nach dem
Motto: Wer im Sport betrügt, soll fliegen, und zwar in
die JVA. - Sie legen die Latte ziemlich hoch und fordern
oberflächlich Mittel, die schon in vielen anderen Bereichen gescheitert sind.
Ich finde: Wer über die Sportlerinnen und Sportler
spricht, darf über die Veranstalter nicht schweigen. Reden wir also über Korruption in den Chefetagen der großen Sportverbände, insbesondere beim Internationalen
Olympischen Komitee und dem Weltfußballverband.
Bestechung, Vetternwirtschaft und Intransparenz sind
die Merkmale der weltgrößten Festspiele. Ich finde, das
ist des Sportes nicht würdig.
({0})
Olympia und die Fußballweltmeisterschaften, die Orte
weltweiter Freude und Begeisterung sowie weltweiten
Mitfieberns, liegen in den Händen von Systemen, die wir
staatlicherseits aufs Schärfste bekämpfen müssten. Das
können wir nicht wollen. Das müssen wir ändern.
({1})
Die Liste der Demokratien, die sich gegen eine Bewerbung entschieden haben, wird immer länger. Ein ak9168
tuelles Beispiel sind die Olympischen Winterspiele
2022. München ist gegen die Austragung. Die Schweiz
hat sich ebenfalls dagegen ausgesprochen. Norwegen
sagte gleich ab. Es ist eben leider kein Wunder, dass die
besten Partner von IOC und FIFA heute undemokratische Regime sind. Brot und Spiele als Geschenk von
Diktatoren, korrupten Vereinen und globalen Playern in
der Wirtschaft - das sage ich noch einmal - können wir
nicht wollen. Das müssen wir ändern.
({2})
Wir wollen den Sport und die Spiele zurück. Die
Funktionäre des Sports müssen für Strukturreformen
sorgen. Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir
Angebote für Spiele machen, die dem olympischen Geist
zur Ehre gereichen. Deswegen bin ich froh, dass sich
Hamburg für die Austragung der Olympischen Spiele
2024 bewirbt. Dann können wir zeigen: Es geht auch anders.
({3})
Hamburg ist eine gute Wahl. Denn dann können wir
zeigen: Es geht ökologisch. Es geht nachhaltig. Es geht
transparent. - Wir als Politikerinnen und Politiker haben
die Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger wieder für den
Sport zu begeistern. Das geht aber nur gemeinsam mit
den Sportorganisationen. Deswegen haben wir ein Konzept für eine moderne internationale Sportpolitik vorgelegt. Wir wollen mehr Demokratie und Transparenz. Ich
stelle, ehrlich gesagt, erstaunt fest, dass unsere Fraktion
die einzige ist, die ein solches Konzept in den Deutschen
Bundestag einbringt.
({4})
Was schlagen wir vor? Erstens. Die Vergabeverfahren
um Sportgroßveranstaltungen müssen modernisiert werden. Natürlich entscheiden der DOSB und der DFB weiterhin autonom. Wir brauchen aber eine Richtschnur, die
die verbindliche Beteiligung von Menschenrechtsorganisationen und von Umweltschutzorganisationen sicherstellt. Das ist, ehrlich gesagt, eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
({5})
Zweitens: die Steuerpflicht. Die überwiegende Zahl
der Verbände ist in der Schweiz angesiedelt. Dort gibt es
gesunde Luft und minimale Steuersätze.
({6})
Doch obwohl sie nur als Vereine eingetragen sind, wird
niemand bestreiten können, dass IOC und FIFA international tätige Wirtschaftsunternehmen sind. Für Fernseheinnahmen und Sponsoringgelder sind Steuern zu
zahlen. Das ist doch selbstverständlich, und auch das gehört dazu.
({7})
Drittens. Die Bundesregierung muss stärker gegen
Korruption und Intransparenz im Sport vorgehen.
Deutschland hat da eine besondere Verantwortung, weil
wir ein starker Player sind und die internationale Korruption im Sport seit den 80er-Jahren eben auch maßgeblich durch deutsche Funktionäre mit bewirkt und bestimmt worden ist. Es ist eine historische Tatsache:
Korruption und Doping waren leider auch die widerlichen Begleiter deutscher Sportpräsenz auf internationaler Ebene, in Ost und in West.
Das ist unser Anspruch. Was tun die Verbände?
Ja, es gibt die Olympic Agenda 2020 mit 40 Empfehlungen. Aber: Bedauerlicherweise hat sich an der Grundstruktur des IOC nichts geändert. Deswegen kann von
einer echten Reform keine Rede sein.
({8})
Ja, es gibt eine externe Untersuchung der Korruption
bei der FIFA. Aber: Sonderermittler Garcia schmeißt
hin, und Katar bekommt dann doch seine Winter-WM.
Auch das kann nicht der Maßstab sein, den wir unterstützen.
({9})
Ja, in den internationalen Gremien des Sports sitzen
zahlreiche Vertreter aus Deutschland. Aber: Eine wirkliche Initiative für einen glaubwürdigen Neuanfang geht
von dort nicht aus. Ich bin froh, dass da einige sitzen, die
den Mund aufmachen. Ich bin froh, dass einige Deutsche
dabei sind. Aber trotzdem treten wir auf der Stelle, was
eine echte Reform angeht. Auch das muss sich ändern.
({10})
Vor einigen Wochen hatte ich ein sehr gutes Gespräch
mit Nachwuchssportlerinnen und -sportlern der Stiftung
Deutsche Sporthilfe. Für diese Sportlerinnen und Sportler kommt übrigens, wie für uns Grüne auch, ein Sportboykott von Olympia oder WM nicht infrage, selbstverständlich nicht. Sie sagen uns ganz klar: Machen Sie
eine gute Politik. Wir wollen bei sauberen und transparenten Spielen auftreten. Wir wollen uns als Sportlerinnen und Sportler auf unseren Sport konzentrieren und
nicht auf das, was Sie politisch machen; aber wir wollen
Sie unterstützen. - Diese jungen Sportlerinnen und
Sportler haben ein Recht darauf, dass wir politische Rahmenbedingungen setzen.
({11})
Wenn wir Olympische Spiele in Deutschland wollen,
wenn wir Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften in demokratischen Staaten wollen, dann müssen
wir dafür sorgen, dass wir dafür sein können, und zwar
ohne jedes Wenn und Aber.
Vielen Dank.
({12})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Eberhard
Gienger.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Antrag der Grünen vermengt bereits im Titel zwei verschiedene Ebenen miteinander:
({0})
auf der einen Seite die internationale Politik und Diplomatie und auf der anderen Seite die gesellschaftlichen
Akteure rund um den Sport. Der Antrag richtet den
Fokus auf Kernfragen der Sportpolitik, nämlich: Wo verlaufen die Grenzen zwischen Sport und Politik? Welche
gesellschaftspolitischen Aufgaben vermag der Sport auf
nationaler und auf internationaler Ebene zu übernehmen,
und welche Aufgaben verbleiben, nicht zuletzt wegen
des fehlenden Mandats der Sportorganisationen, im originären Kompetenzbereich von Politik und Demokratie?
Vermischt man, wie im Antrag der Grünen, die beschriebenen Ebenen, richtet man sich mit überhöhten Erwartungen an die falschen Adressaten oder verwechselt gar
die Maßstäbe mit den Möglichkeiten der Akteure. Dann
können Sport und Politik die internationalen Herausforderungen nicht bewältigen und die Missstände nicht beseitigen.
Betrachten wir zunächst einmal den organisierten
Sport für sich. Nimmt man die Autonomie des Sports
ernst, können sich die unabhängigen und meist nicht in
Deutschland ansässigen Weltverbände nur selbst ein
sportpolitisches Regelwerk verschreiben.
({1})
So hat zum Beispiel das IOC mehr als 200 Mitglieder
oder die FIFA 209 Mitglieder. Das sind mehr Mitgliedsverbände als die Vereinten Nationen an Mitgliedstaaten
haben. Das deutsche Stimmgewicht in diesen Gremien
ist demzufolge überschaubar, wenn auch nicht ganz unbedeutend.
Laut Transparency International werden in mehr als
100 Ländern der Welt die Menschenrechte, die Pressefreiheit und andere Grundsätze missachtet, die Umwelt
nicht ausreichend geschützt und die Korruption nicht
hinreichend bekämpft. Die Weltverbände des Sports
stellt das regelmäßig vor das Dilemma, sich bei den beschriebenen Mehrheitsverhältnissen auf gemeinsame
Grundsätze zu einigen. Gleichwohl finden sich in den
Statuten des IOC und der FIFA Hinweise zu friedlichen
internationalen Beziehungen oder auch Aspekten wie
Good Governance, um zwei Beispiele zu nennen. Hier
muss aber gesagt werden, dass bei derartigen Vorhaben
und internationalen Beschlüssen die Vereinten Nationen
auch regelmäßig scheitern.
An dieser Stelle kommt man schließlich zu den konkreten sportpolitischen Handlungsmöglichkeiten und der
moralischen Verantwortung von autonomen Sportverbänden, zum Beispiel im Rahmen der Organisation von
Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Es ist
klar, dass wegen eines zweiwöchigen Wettbewerbs wie
den Olympischen Spielen in einem aus unserer Sicht
problematischen Ausrichterland die politischen Verhältnisse nicht über Nacht geändert werden können. Eine
solche Erwartung werden die internationalen Verbände
nie erfüllen können.
({2})
Der Sport hat vor allem deshalb eine gesellschaftspolitische Macht und Ausstrahlungskraft.
Damit ist der Sport nicht von seiner Verantwortung
entbunden. Alles, was unmittelbar mit dem Sportereignis
zu tun hat, fällt in den Verantwortungsbereich der Organisatoren des Weltverbandes und der Gastgeber. Hier
müssen zum Beispiel auch Mindeststandards eingehalten
werden. Es kann nicht hingenommen werden, dass in einem der reichsten Länder der Welt wie Katar jedes Jahr
mit 400 Todesfällen von Wanderarbeitern gerechnet
werden muss. Dies ist absolut nicht hinnehmbar. Auch
Korruption bzw. Manipulation innerhalb der Sportfamilie muss aufgeklärt und bekämpft werden.
({3})
Die internationale Sportgemeinschaft muss sich letztlich zusammenfinden und Lösungen erarbeiten. Ich finde,
die IOC-Reformagenda 2020 stimmt mich in diesem
Punkt sehr viel optimistischer, wenngleich noch sehr viel
Arbeit bevorsteht. Frau Göring-Eckardt, ich finde, man
muss dem IOC und den Mitgliedern die Chance geben,
einmal zu beginnen. Der Anfang ist jedenfalls gemacht.
Kommen wir zu einer weiteren Frage, zur Aufgabe
und Verantwortung der Politik und der Demokratie. In
Abgrenzung zu dem Antrag der Grünen haben wir bereits einiges auf den Weg gebracht, umgesetzt oder auch
geplant.
({4})
Ein jährlicher Bericht über die Maßnahmen und Fortschritte der internationalen Sportverbände, wie im Antrag gefordert, ist nicht Aufgabe der Bundesregierung,
sondern der Weltverbände. Mit der 5. UNESCO-Weltsportministerkonferenz von 2013 in Berlin und der unterzeichneten Erklärung hat die Bundesregierung neue
Maßstäbe in der internationalen Sportpolitik gesetzt.
Mittlerweile haben wir mit Stolz zur Kenntnis genommen, dass die dortigen Beschlüsse auch Veränderungen
aufseiten des Sports angestoßen haben, Stichwort Reformagenda 2020 des IOC. Der Sportausschuss wird im April
eine Delegationsreise in die Schweiz unternehmen und
dort mit maßgeblichen Vertretern der internationalen
Sportverbände zusammentreffen. Die Ergebnisse werden
nach unserer Rückkehr im Sportausschuss diskutiert und
sportpolitische Konsequenzen gezogen.
Mit Blick auf die Zeit will ich nur noch einen Punkt
benennen, der vor allem für Deutschland relevant ist.
Wie unser Sportminister vor kurzem sehr treffend ausgeführt hat, hilft es nicht weiter, immer nur anderen Ländern und deren Verhältnissen - ob berechtigt oder unberechtigt - Fehler zu unterstellen. Wir können selbst mit
einer innovativen, weltoffenen, vom Bürger getragenen
und nachhaltigen Olympiabewerbung ein Zeichen setzen. Das haben wir bei der Fußballweltmeisterschaft
2006 in Deutschland erfahren. Erst am letzten Samstag
hat sich der organisierte Sport für Hamburg als Bewerberkandidat für die Olympischen Spiele ausgesprochen.
Hier können wir zeigen, dass es auch anders geht und
dass wir uns selbst konstruktiv einbringen. Hier haben
sich die Grünen auf Bundesebene diesen Entscheidungen in den Bewerbergremien entzogen. Hier, lieber Kollege Mutlu, hätten die Grünen durchaus die Möglichkeit
gehabt, die wichtigen Punkte ihres Antrags tatsächlich
anzusprechen.
({5})
Ich würde dazu sagen: Chance vertan!
({6})
Im Übrigen wurde der Sportausschuss des Deutschen
Bundestages erst im Kontext der Olympischen Spiele
1972 in München ins Leben gerufen. Und was, wenn
nicht eine Olympiakandidatur, fällt in unseren Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich?
Deutschland kann, wie ich finde, mit einer Bewerbung um die Olympischen Spiele 2024 auch die internationalen Reformbewegungen kraftvoll vorantreiben. Lassen Sie uns deswegen die Bewerbung begleiten und sie
kritisch, aber durchaus konstruktiv unterstützen! Vielleicht sollten sich die Grünen ein Beispiel an den Hamburger Kollegen nehmen; denn sie haben das rechtzeitig
erkannt.
({7})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist für die Fraktion
Die Linke der Kollege Dr. André Hahn.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bin den Grünen für diesen Antrag dankbar;
denn er gibt uns die Möglichkeit, unmittelbar im Umfeld
der vom DOSB beschlossenen Olympiabewerbung
Hamburgs über verbindliche Regeln im internationalen
Sport und über Kriterien für künftige Sportgroßveranstaltungen zu debattieren. Herr Kollege Gienger, im Gegensatz zu Ihnen meinen wir: Wir brauchen solche Regeln.
({0})
Aus Sicht der Linken muss dabei eines klar sein: Nach
all den wahrlich nicht nur positiven Erfahrungen der
letzten Olympiaden und Fußballweltmeisterschaften darf
es ein einfaches Weiter-so definitiv nicht geben.
({1})
Der Spitzensport hat generell durchaus positive Wirkungen auf den Breitensport. Bekannte und erfolgreiche
Sportler können als Vorbilder dienen und motivieren gerade Kinder und Jugendliche, selbst sportlich aktiv zu
werden. Dennoch muss man konstatieren: Die zunehmende Kommerzialisierung im Hochleistungsbereich hat
dem Sport insgesamt geschadet. Immer mehr Vereine,
aber auch viele Spitzensportler sind auf Sponsoren angewiesen. Diese unterstützen aber vor allem jene Sportarten, die im Fokus der Medien stehen. Andere kommen
kaum noch über die Runden. Den Kommunen fehlt oft
das Geld, um den Breiten- und Schulsport besser zu unterstützen.
Deshalb muss dem Gigantismus bei Sportgroßveranstaltungen endlich Einhalt geboten werden.
({2})
Denn alles geht auch ein Stück kleiner und deutlich bescheidener. Ökologische Nachhaltigkeit ist ebenso wichtig wie die Einbeziehung der Bürger in die Entscheidung
über eventuelle Austragungsorte.
({3})
Und Host-City-Knebelverträge wie in der Vergangenheit, meine Damen und Herren, darf es nicht mehr geben.
({4})
Die momentan nahezu uneingeschränkte Macht vor allem des Internationalen Olympischen Komitees und der
FIFA muss endlich gebrochen werden. Und überhaupt:
Müssen wirklich alle vier Jahre zu Olympia weltweit immer neue Sportanlagen aus dem Boden gestampft werden? Kann man nicht auch, wie zum Beispiel beim Weltcup, reihum bereits existierende Einrichtungen früherer
Olympiastandorte nutzen?
({5})
Über diese und andere Fragen sollten wir in den kommenden Wochen und Monaten miteinander diskutieren.
Ich möchte die heutige Debatte dazu nutzen, im Sinne
eines Diskussionsangebotes einige Kriterien zu benennen, anhand derer über eine Befürwortung oder Ablehnung von Sportgroßveranstaltungen entschieden werden
sollte. Denn für die Bürgerinnen und Bürger muss nachvollziehbar sein, warum wir für oder gegen eine bestimmte Sportveranstaltung sind. Die Diskussion um die
Olympiabewerbungen der Städte München, Hamburg
und Berlin zeigten, dass eine solche Verständigung über
Kriterien wichtig ist. Wenn selbst traditionelle WinterDr. André Hahn
sportorte wie Oslo - Frau Katrin Göring-Eckardt hat darauf hingewiesen - das Handtuch werfen und auf eine
Bewerbung verzichten, dann muss das nachdenklich
stimmen.
({6})
Fakt ist und bleibt: Sportgroßveranstaltungen üben
eine große Faszination auf Zuschauerinnen und Zuschauer aus; sie sind Höhepunkte im Leben der Athleten
und können wichtige Werte in die Gesellschaft vermitteln. Die Grundidee der olympischen Bewegung ist auf
Völkerverständigung, auf einen friedlichen Wettstreit
von Athletinnen und Athleten aus unterschiedlichen
Ländern gerichtet. Vor allem die Paralympics und andere
Wettkämpfe der Behindertensportbewegung geben wichtige und nachhaltige Impulse hin zu einer inklusiven Gesellschaft, für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und die Beseitigung von
Barrieren im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention.
({7})
Fakt ist aber auch: Sportgroßveranstaltungen standen
und stehen immer wieder im Spannungsfeld zwischen
großer Begeisterung und öffentlicher Kritik. Das galt für
die Olympischen und Paralympischen Spiele in Peking,
Vancouver, London und Sotschi ebenso wie für die Fußballweltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien und
deren Vergabe an Russland und Katar. Die grundsätzliche Kritik, das habe ich eingangs schon angesprochen,
trifft vor allem die dahinterstehenden Organisationen,
insbesondere das IOC, die FIFA und auch die UEFA, die
als von Korruption durchdrungen wahrgenommen werden und deren Funktionären Profitgier vorgeworfen
wird. Aber es geht natürlich auch um die politisch Verantwortlichen in den Austragungsorten. Dahinter steht
ein generelles Unbehagen gegenüber dem zunehmenden
Einfluss kommerzieller sowie politischer Interessen auf
die Vergabe und den Ablauf von Sportveranstaltungen,
und die Linke teilt diese Kritik ganz ausdrücklich.
({8})
Die olympischen Ideale und die Freude am Sport treten immer weiter zurück hinter die Interessen von Großkonzernen, die medienträchtige Sportveranstaltungen
vor allem zur Platzierung von Werbung nutzen und die
als Ausstatter bei Stadienbauten oder als sonstige
Dienstleister möglichst hohe Gewinne einfahren wollen.
Diese Dominanz von Profitinteressen öffnete zunehmend die Tür für Manipulationen und auch für Korruption. Die Linke will Profitinteressen bei der Ausrichtung
von Sportgroßveranstaltungen zurückdrängen und wieder an die ursprüngliche olympische Idee anknüpfen.
({9})
Wir schlagen fünf Kriterien für eine Befürwortung
oder eine Ablehnung von Sportgroßveranstaltungen vor:
Erstes Kriterium sind für uns die sozialen und kulturellen Standards. Soziale Kriterien müssen sowohl bei
der Bewerbung als auch bei der Durchführung von
Sportgroßveranstaltungen eine entscheidende Rolle spielen. Ohne Bürgerentscheid darf es keine Olympischen
Spiele geben.
({10})
Sowohl bei Infrastrukturmaßnahmen als auch bei den
verschiedenen Kommunikationswegen muss auf die
Barrierefreiheit geachtet werden. Ebenso wichtig ist es,
dass es akzeptable Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzvorschriften in den potenziellen Austragungsorten
gibt und dass diese auch eingehalten werden. Hier
stimme ich Herrn Kollegen Gienger ausdrücklich zu.
Zweites Kriterium sind die Menschen- und Bürgerrechte. Bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen
müssen insbesondere die wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Menschenrechte des UN-Sozialpaktes sowie
die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation strikt eingehalten werden.
({11})
Der Umstand, dass durch ein Sportgroßereignis medial
auf Missstände im jeweiligen Land aufmerksam gemacht wird, sollte positiv genutzt werden. Die Chance
auf Austragung eines bedeutenden Sportereignisses kann
auch bessere Möglichkeiten schaffen, um eine gesellschaftliche Öffnung und einen nachhaltigen Bewusstseinswandel zur Verbesserung der Menschenrechtslage
im jeweiligen Land zu bewirken.
Drittes Kriterium ist die Gewährung nachhaltiger
Standards. Sportgroßveranstaltungen haben immer auch
ökologische Auswirkungen. Diese entstehen zum einen
durch die Infrastrukturmaßnahmen, durch den Ressourcenverbrauch und durch eine erhöhte Mobilität und zum
anderen durch das erhöhte Abfallaufkommen. Bereits
vorhandene Sportstätten und Einrichtungen sollten maximal genutzt werden, für alle Neubauten müssen umfassende Nachnutzungskonzepte entwickelt werden,
({12})
und in die jeweilige Bauplanung ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung zwingend zu integrieren.
({13})
Viertes Kriterium sind die ökonomischen und finanziellen Standards. Sowohl die Bewerbung als auch die
Durchführung einer Sportgroßveranstaltung sind zum
Teil mit erheblichen Kosten verbunden. Es ist zwingend
notwendig, die Kosten transparent und öffentlich zu benennen. Dazu zählen auch die Bewirtschaftungskosten,
die nach dem Sportgroßereignis auf die öffentliche Hand
zukommen.
({14})
Fünftes Kriterium ist das Verhalten der Sportorganisationen; denn häufig sind die hinter der Sportveranstaltung stehenden Institutionen wie die FIFA und das IOC
- ich habe es gesagt - der eigentliche Angriffspunkt für
Kritik. Hier muss endlich ein Bewusstseinswandel stattfinden, und die im Dezember 2014 beschlossene Agenda
2020 des IOC könnte dazu ein erster wichtiger Schritt
sein.
({15})
Ich bin - das haben Sie sicherlich gemerkt - persönlich durchaus ein Anhänger der olympischen Idee. Diese
Idee ist in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten
aber leider pervertiert worden. Deshalb habe ich großes
Verständnis für alle Kritikerinnen und Kritiker, in meiner
eigenen Fraktion genauso wie in der gesamten Gesellschaft. Deshalb begrüßen wir als Linke alles, was eine
öffentliche Diskussion über diese Thematik befördert,
und wir werden uns daran aktiv beteiligen.
Herzlichen Dank.
({16})
Die Kollegin Michaela Engelmeier hat jetzt das Wort
für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
beraten heute den Antrag der Grünen für verbindliche
politische Regeln im internationalen Sport. Dies ist eine
durchaus wichtige Debatte,
({0})
die wir hier in diesem Hohen Hause unbedingt führen
müssen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der
Grünen formulieren in ihrem Antrag, dass der internationale Sport in einer Glaubwürdigkeitskrise steckt. Sie bezeichnen die Vergabe der Fußballweltmeisterschaften
nach Russland und Katar als Fehlentscheidung.
({1})
Da bin ich ganz bei Ihnen.
({2})
In Sotschi haben wir gesehen, wie die Initiativen für
um Lohn betrogene Arbeiter nach den Veranstaltungen
oft ins Leere liefen. Genau wie in Sotschi darf die katastrophale Situation in Katar, besonders die Lage der
Wanderarbeiter, nicht schöngeredet werden.
({3})
Wegen Menschenrechtsverletzungen und ökologischen Risiken sollte die FIFA Katar die WM entziehen.
Auch ich plädiere dafür, diesen Schritt zu gehen.
({4})
Warum? Weil die FIFA mit ihrem Festhalten an Katar
den Sport insgesamt, die weltweite Anerkennung und
auch die Werte des Sports wie Fairness, Toleranz und
Gerechtigkeit ad absurdum führt.
({5})
Das war aber leider schon alles, was ich an Ihrem Antrag so richtig gut finden kann.
({6})
Nicht gut finde ich hingegen, dass Sie den international
organisierten Sport offensichtlich politisieren wollen.
Denn Sie fordern, dass die Sportverbände an der Entwicklung von Formen der Bürgerbeteiligung mitwirken
sollen. Sie fordern auch, dass der organisierte Sport auf
die Abschaffung des Kafala-Systems in Katar hinwirken
soll. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Ich bin
für Bürgerbeteiligung, und ich bin entschieden gegen
das Kafala-System in Katar. Aber ich halte es und wir
halten es für die unmittelbare Aufgabe der Politik, diese
Probleme zu benennen und Lösungen zu finden,
({7})
ohne dafür zwingend den Ball über die Bande des organisierten Sports zu spielen.
({8})
In dieser Hinsicht ist Ihr Antrag leider nicht zufriedenstellend.
Ein weiterer Punkt: Mitglieder des Kabinetts sollen
frühzeitig ankündigen, ob sie in das Ausrichterland reisen. Was soll denn „frühzeitig ankündigen“ heißen? Das
bedarf doch eigentlich einer Konkretisierung. Aber ehrlich, was für ein Beitrag zur Lösung der Probleme soll
das denn sein? Eigentlich können Sie sich das doch sparen.
({9})
Sie wollen zwischen den EU-Staaten abstimmen, dass
in Zukunft keine Steuerbefreiung bei internationalen
Sportgroßveranstaltungen gewährt werden soll. Wie darf
ich das verstehen? Planen Sie, eine europäische Steuerunion durch die Hintertür einzuführen?
({10})
Sie schreiben außerdem, dass es Handlungsbedarf bei
der Korruptionsbekämpfung im Sport gibt und dass die
Bundesregierung diesen anerkennen soll. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, hier verweise ich besonders gerne auf den Koalitionsvertrag zwischen der
Union und der SPD.
({11})
Denn dort haben wir festgehalten, dass Doping und
Spielmanipulationen die ethisch-moralischen Werte des
Sports zerstören,
({12})
die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler gefährden
und die Konkurrenten im Wettkampf sowie die Veranstalter, Fans und Zuschauer täuschen und schädigen.
Deshalb schaffen wir weiter gehende strafrechtliche Regelungen beim Kampf gegen Doping. Das Anti-DopingGesetz ist auf einem guten Weg, und die Planung zu einem Gesetz gegen Spielmanipulationen ist in vollem
Gange.
({13})
Sie wollen auch, dass sich die Bundesrepublik dafür
einsetzt, dass ökologische Standards in die Satzungen
der internationalen Sportverbände aufgenommen werden. Nun einmal ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie soll denn da der Einsatz der Bundesregierung
aussehen? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass wir
in der internationalen Sportpolitik neben der Autonomie
des organisierten Sports auch besondere Rahmenbedingungen beachten müssen. Hier gibt es ein internationales
Problem, wie es zum Beispiel auch beim Kampf gegen
den Klimawandel besteht, aber nur eine nationale Handlungsmacht.
Nun ziehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Grünen, den Schluss, dass nur eine internationale Initiative das Problem der Vergabe internationaler Sportgroßveranstaltungen lösen kann.
({14})
Die Verantwortlichkeit nur auf die Politik, die Sponsoren
und den organisierten Sport zu schieben, ist meiner Meinung nach falsch und eher billig.
({15})
Genau wie beim Kampf gegen den Klimawandel können auch nationale Strategien eine positive Wirkung entfalten. Ein gutes Konzept für nachhaltige Veranstaltungen kann ein Vorbild sein, dem andere Staaten folgen.
Darum ist es notwendig, dass die Politik den organisierten Sport bei seinen Reformbemühungen konstruktiv
und kritisch begleitet. Das bedeutet, dass man die Bemühungen des organsierten Sports, zum Beispiel die IOCAgenda 2020, genau betrachtet. Dort wird bereits ein
ökologischer Standard gesetzt - ich zitiere -:
Städte, die bereits eine Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2022 abgegeben haben, sollen
ermutigt werden, möglichst temporäre und/oder
zerlegbare Anlagen zu nutzen.
Ein schönes Beispiel dafür ist Hamburg, die deutsche
Bewerberstadt für die Olympischen und Paralympischen
Spiele. An dieser Stelle übrigens herzliche Gratulation
an die Hanseaten!
({16})
Hamburg plant ein rückbaubares Stadion. Überhaupt
bieten die Olympischen und Paralympischen Spiele in
Deutschland die Möglichkeit, ein gutes Konzept für
nachhaltige Spiele zu präsentieren und umzusetzen.
Sportgroßveranstaltungen haben eine gesellschaftliche
Funktion. Sie integrieren die Gesellschaft und tragen zur
Identitätsbildung unseres Landes und unserer Bevölkerung bei. Die Unterstützung der Reformbemühungen des
organisierten Sports durch die Politik ist notwendig. Dafür muss ein offener und vertrauensvoller Dialog zwischen Sport und Politik geführt werden; man braucht
aber keine angeordneten Vorschriften. Denn um die
Glaubwürdigkeit und Integrität des Sports zu erhalten,
bedarf es eines Richtungswechsels: weg vom Gigantismus und hin zu nachhaltigen und fairen Spielen.
({17})
Eine nachhaltige Organisation bedeutet, den sozialen,
umweltpolitischen, nachhaltigen und sportlichen Aspekten von Sportgroßveranstaltungen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die Akzeptanz der Bevölkerung für
Sportgroßveranstaltungen hängt davon ab, dass die Menschen mitgenommen werden. Wir müssen sie vom positiven Effekt einer deutschen Bewerbung und Ausrichtung einer Sportgroßveranstaltung überzeugen. Das ist
übrigens die Lehre, die wir aus der gescheiterten Bewerbung Münchens ziehen müssen. Denn da wurden die
Bürger nicht mitgenommen, obwohl es ein ziemlich
nachhaltiges Konzept gab. Mein lieber Özcan, auch die
Grünen im Rat der Stadt München fanden das damals
übrigens interessant.
Ich will noch einmal betonen: Ein nachhaltiges Konzept für eine internationale Sportgroßveranstaltung in
Deutschland bedarf der Bürgerbeteiligung. Eine Volksbeteiligung im Zuge einer Bewerbung, wie sie beispielsweise in Hamburg stattfinden soll, halte ich für den geeigneten Mechanismus. Dadurch können alle wichtigen
Akteure dieses Politikfeldes - der Bürger, der organisierte Sport und die Politik - den genannten Richtungswechsel zu nachhaltigen und gerechten Spielen wirklich
mittragen und legitimieren.
Wir sagen ganz selbstbewusst: Die Olympischen und
Paralympischen Spiele in Hamburg 2024 wären ein erster Schritt. Liebes IOC, wenn ihr eure Reformagenda
2022 wirklich ernst nehmt, ist das genau die Bewerbung,
die wir brauchen. Ich kann nur alle Menschen in unserem Land aufrufen: Seien Sie ab heute Feuer und
Flamme für die Olympischen und Paralympischen
Spiele und vor allen Dingen Feuer und Flamme für
Hamburg!
({18})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Frank
Steffel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Göring-Eckardt, auch wenn Sie mittlerweile etwas weiter hinten Platz genommen haben, möchte ich Ihnen sagen, dass ich Sie für Ihre differenzierte und zumeist sehr
sachliche Argumentation sehr schätze. Heute war das,
was Sie hier vorgetragen haben, allerdings außergewöhnlich oberflächlich, billig und ziemlich plump.
({0})
Das war eine Verallgemeinerung, mit der wir in dieser
Debatte überhaupt nicht weiterkommen.
Eine differenzierte Betrachtung beginnt damit, dass
man FIFA, IOC und allen anderen Verbände nicht in einen Topf schmeißt. Beim IOC wird - übrigens unter einem deutschen Präsidenten - der schwierige Versuch unternommen, Veränderungen herbeizuführen und viele
Länder im Bereich des Sports zu verändern. Die Gesellschaften in diesen Ländern verändern sich ja nicht etwa
schneller - eher im Gegenteil.
Meine Damen und Herren, die FIFA hat 209 Mitglieder. Davon ist, wenn überhaupt, die Hälfte demokratisch.
In 70 Ländern gibt es noch heute per Gesetz ein Verbot
von Homosexualität. Der Sport kann einen Beitrag dazu
leisten, dass darüber in diesen Gesellschaften diskutiert
wird. Aber er wird die Gesetze in diesen Ländern nicht
ändern können. In 57 Ländern dieser Erde gibt es die Todesstrafe, die wir Deutsche aus guten Gründen ablehnen.
Wir können für die Veränderungen, die wir uns wünschen, werben; aber wir werden sie in diesen 57 Ländern
nicht alleine durch den Sport herbeiführen. Von Frauenrechten und Minderheitenrechten, wie wir sie in Mitteleuropa kennen, können wir in den meisten Ländern dieser Erde nicht sprechen. Wir können nur daran arbeiten,
dass es in diesem Jahrhundert zu vielen Veränderungen
kommt, auch durch den Sport und auch durch die Sportverbände.
Wenn wir über die FIFA reden, eint uns sehr viel Kritik. Ich bin sehr sicher, dass es heute auch in der FIFA
keine Entscheidung mehr mit drei Stimmen Mehrheit
- 13 : 7 war das Ergebnis für Russland - geben würde,
sondern eine Mehrheit für Spanien und Portugal, die sich
damals auch beworben haben. Nur, zur Wahrheit gehört
natürlich auch, dass die Eskalation, die wir heute in
Russland erleben, zum Zeitpunkt der Entscheidung der
FIFA überhaupt nicht absehbar war.
({1})
Es war überhaupt nicht erkennbar, dass es zu einer militärischen Auseinandersetzung in Europa kommen
würde. Insofern ist Ihre Forderung, die uns wahrscheinlich eint - wir brauchen Regeln, wir brauchen Standards,
wir brauchen Verbände, die definieren, unter welchen
Bedingungen sportliche Großereignisse auf diesem Planeten stattfinden können -, völlig berechtigt. Sie hat nur
den falschen Adressaten; denn nicht die Bundesregierung kann das umsetzen - wir können alle dazu beitragen -, sondern die Sportverbände müssen ihre Standards
diskutieren.
({2})
Nehmen Sie das Beispiel Katar: Ich halte es für einen
absoluten Skandal und wundere mich über die Ruhe der
Mitbewerber Japan, USA und Australien, dass sie akzeptieren, dass man sich um eine Fußballweltmeisterschaft,
die im Sommer stattfinden soll, bewirbt und nach der
Entscheidung skrupellos gesagt wird: Na, dann machen
wir es eben kurz vor Weihnachten. - Das hat mit Transparenz und mit vernünftigen Entscheidungsprozessen
nun überhaupt nichts zu tun.
({3})
Wahrscheinlich werden die USA und Japan und Australien ihre Chancen, die nächste Fußballweltmeisterschaft
austragen zu dürfen, nicht schmälern wollen und sich
deswegen bei diesem Thema so zurückhalten.
Wir sind uns einig, dass mitten in der Weihnachtszeit
aus deutscher, europäischer, christlicher Sicht generell
ein schwieriger Zeitpunkt für eine Fußballweltmeisterschaft ist; das wird uns wohl einen.
({4})
Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die ganze Welt ist
nicht Weihnachten unterwegs, sondern es gibt auch andere Feste in anderen Religionen. Aber dann, meine Damen und Herren, muss man das vor der Abstimmung sagen, es vor der Entscheidung zum Kriterium machen und
darf nicht danach sagen: Jetzt verlegen wir das Ganze
mal schnell in den November und in den Dezember.
Insofern sind wir gut beraten, von den internationalen
Verbänden immer wieder Regeln einzufordern und auch
lautstark - ich bin den Grünen dankbar für die Debatte,
die wir heute hier führen können - zu artikulieren, welche Erwartung wir als deutsche Demokratie an Verbände
haben, aber auch an Länder, die internationale Großsportereignisse ausrichten dürfen. Natürlich ist Hamburg
der demokratische, der moralische, der sportpolitische,
der gesellschaftliche Gegenentwurf zu anderen Orten, an
denen wir Großveranstaltungen erlebt haben und in Zukunft erleben werden.
Ich rate uns sehr - da wäre übrigens auch die Linke
gefordert, mal ihr eigenes Bild zu klären -, in der Frage
Russland nicht doppelzüngig zu argumentieren: einerseits Maßstäbe einzufordern, dann aber einer Fußballmannschaft der Ukraine zuzumuten, dass sie möglicherweise in Moskau bei der Fußballweltmeisterschaft
spielen muss, während ihre Verwandten von russischen
Soldaten niedergeschossen werden.
({5})
Das muss dann auch kritisiert werden, lieber Herr Kollege Hahn. Das gehört dann auch zur Wahrheit: Dann
kann man nicht dort weggucken, weil einem die russische Position aus politischen Gründen näher ist als vielleicht die mitteleuropäische oder die deutsche.
Insofern, meine Damen und Herren, empfehle ich
Glaubwürdigkeit. Ich empfehle, dass wir uns sehr differenziert damit beschäftigen. Im Übrigen empfehle ich
auch, Frau Göring-Eckardt, dass wir dann Deutsche in
die Gremien schicken. Ich war sehr froh, dass Sie bei Ihrer Rede ab und zu Ihre Kollegin Roth angeschaut haben
- ich hatte den Eindruck, das hat besänftigend auf Ihr
Manuskript gewirkt -,
({6})
weil es natürlich richtig ist, dass Frau Roth sich in den
Gremien engagiert,
({7})
anders als die Grünen, die sich der Debatte über die
Olympiabewerbung Deutschlands verweigern, an ihr
nicht teilnehmen, aber vorher und hinterher schlaue
Nachrichten verkünden; das ist sicherlich der falsche
Weg. Transparenz ist wichtig, Dialog ist wichtig. Beides
setzt übrigens voraus, dass wir mit den Verbänden reden,
dass wir mit den Verantwortlichen reden und für unsere
Werte werben. Ich bin mir ganz sicher: Wir werden kontinuierlich in diesem Jahrhundert in den Sportverbänden
eine Entwicklung haben, die auch in der Gesellschaft
weitergeht: zu mehr Demokratie, zu mehr Menschenrechten, zu mehr Transparenz. Dazu soll und muss der
Sport einen Beitrag leisten. Dafür werden wir uns einsetzen.
Herzlichen Dank.
({8})
Nächster Redner für die SPD ist der Kollege Detlev
Pilger.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Gäste! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Sport ist eine der schönsten
Nebensachen der Welt, begeistert Menschen, erhält die
Gesundheit, verschafft Emotionen und dient der Integration und der Völkerverständigung. Welches Bild jedoch
die Bevölkerung vielfach von sportlichen Großveranstaltungen hat und welche Befürchtungen damit verbunden
werden, hat uns der Bürgerentscheid zur Olympiabewerbung in München und Garmisch-Partenkirchen, aber
auch in anderen europäischen Ländern deutlich gemacht.
Die Olympiade in Sotschi und die WM in Brasilien
haben diese Einschätzungen weiter verstärkt: Dort wurden gigantische Sportstätten ohne Rücksicht auf Umwelt
und Natur gebaut; die Arbeitsbedingungen waren unmenschlich, und es gab wenige Nachnutzungskonzepte.
In Brasilien wurden zum Teil Stadien für Zigtausende
Besucher in biologisch hochsensiblen Gebieten gebaut,
in denen heute nur wenige Hundert Menschen Sportveranstaltungen verfolgen. Diese Stadien sind schon heute
dem Zerfall gewidmet.
Die Abgründe, die sich im Rahmen der WM-Vergabe
in Katar auftun, sind jedoch wohl kaum zu überbieten.
({0})
Die Verantwortlichen haben immerhin „nur“ vier Jahre
gebraucht, um zu erkennen, dass es im Sommer in der
Wüste zu heiß ist, um Fußball zu spielen. Beim Bau der
Stadien werden Menschen- und Arbeitsrechte nicht geachtet. Momentan sind mehr als 13 000 Gastarbeiter in
Katar. Der Internationale Gewerkschaftsbund fällte 2014
ein vernichtendes Urteil - Zitat -:
Ausländische Beschäftigte werden wie Sklaven behandelt.
Schuld daran sei das Kafala-System, bei dem die Arbeiter dem Arbeitgeber gehören: Er nimmt ihnen den Pass
ab, lässt sie sechs Tage in der Woche zehn Stunden am
Tag in der Hitze schuften, sodass bisher schon Hunderte
Arbeiter auf den Baustellen gestorben sind. Appelle, Abhilfe zu schaffen, verhallen. Wo bleibt der Aufschrei der
Würdenträger? Wo bleibt die längst überfällige Bildung
einer unabhängigen Kommission, die die Zustände kontrolliert?
({1})
Damit nicht genug: Bereits heute steht die FIFA im
Hinblick auf die WM 2018 vor einem weiteren hausgemachten Problem. Je näher der Zeitpunkt der WM in
Russland rückt, desto häufiger werden die Rufe nach einem Boykott laut. - Alles nichts Neues. Die Vergangenheit hat bereits vielfach gezeigt, dass die Unterdrückung
der Opposition und die Verletzung der Menschenrechte
keine Ausschlusskriterien für die Ausrichtung von sportlichen Großveranstaltungen sind. Mit diesem System
wird billigend in Kauf genommen, dass sich politische
Herrscher öffentlichkeitswirksam in Szene setzen.
Doch zurück nach Katar. Ich kenne niemanden, der
die Vergabe der WM in den Wüstenstaat gutheißen
würde. Aber ich kenne auch keine Scheichs, die die eigentlichen großen Gewinner dieser WM sind. Man erkennt das schlechte Gewissen der FIFA, die nun die die
Spieler abgebenden Vereine mit den doppelten Summen
entschädigt. Wenn sich alle Europäer einig wären, dann
sollten sie diese WM boykottieren.
({2})
Dann soll das System Blatter doch mal eine WM ohne
Spanier, Italiener, Engländer, Holländer, Franzosen und
Deutsche spielen! Das wäre ein deutliches Zeichen.
({3})
Denn dass sich die FIFA von selbst reformiert, ist so unwahrscheinlich wie ein Wintereinbruch in Katar.
Mich und Millionen Fußballbegeisterte, die sich auf
die Spiele vorbereiten und äußerst freuen, würde das zutiefst treffen. Aber den Preis würde ich zahlen und mich
in dieser Zeit dann stattdessen auf den Advent und Weihnachten vorbereiten.
Wenn Großveranstaltungen ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen sollen, darf es zukünftig nicht mehr zu
solchen Vergaben kommen.
({4})
Wir brauchen Vergaberichtlinien, die mit den Sportorganisationen diskutiert und abgesprochen werden. Dieser
Katalog muss sich an ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien ausrichten und ein schlüssiges Nachnutzungskonzept ausweisen. Gelingt das nicht, verlieren
solche sportlichen Großveranstaltungen zusehends an
Akzeptanz und verfehlen das Gefühl einer sportlichen
Weltfamilie. Zu dieser gehören auch die Hunderte von
Gastarbeitern in Katar, die bereits auf den Baustellen ihr
Leben gelassen haben und deren Familien nun ohne Ernährer überleben müssen.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der
Kollege Özcan Mutlu.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Umgang mit Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften verhalten wir uns ziemlich verrückt und widersprüchlich, wie auch die Debatte heute wieder gezeigt
hat. Auf der einen Seite wissen wir um die strukturellen
Probleme des internationalen Sports: Wir wissen um
Korruption, Vetternwirtschaft, Intransparenz, die herrschende Großmannssucht und die Gigantomanie. Auf
der anderen Seite sind wir aber auch Konsumenten dieser Sportevents. Die TV-Einschaltquoten steigen und
steigen, und wir treffen uns Tag und Nacht zum Public
Viewing - bald auch mit Glühwein zum Wüstenfußball
2022, was nur die wenigsten abschrecken wird. Ich kann
an dieser Stelle nur sagen: Vielleicht kommt die FIFA ja
noch zur Vernunft und schaut nicht mehr zu, wie in Katar Menschenrechte mit Füßen getreten und Menschen
wie Sklaven auf Baustellen gehalten werden.
({0})
Wir Grüne sagen ganz klar und deutlich: Die Verlegung
der WM 2022 ist längst überfällig.
({1})
Meine Damen und Herren, transparente, saubere und
nachhaltige Spiele sind möglich, wenn die Weltsportverbände wieder zu ihren Ursprüngen zurückfinden, statt
sich von Kommerz und Korruption treiben zu lassen. Ob
die FIFA und das IOC diesen Willen haben, darf im Allgemeinen bezweifelt werden. Peking, Sotschi, Russland
und Katar sprechen für sich. Dabei haben sich die zahlreichen Länder im Rahmen der UNESCO-Weltsportministerkonferenz und der Berliner Erklärung auf klare und
konkrete Regeln für den internationalen Sport verständigt.
Deutschland kann mit der Hamburger Bewerbung für
die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 oder
2028 zeigen, dass nachhaltige und transparente Spiele in
Demokratien sehr wohl möglich sind.
({2})
Bis dahin muss aber noch viel Wasser die Elbe herunterfließen. Wir wissen nämlich, dass sich der DOSB mit der
Bewerbung Hamburgs für 2024 sehr viel vorgenommen
hat - vielleicht zu viel, zumal die Chancen für die Fußball-EM 2024 in Deutschland sehr groß sind.
Große Sorgen mache ich mir besonders auch um die
Kostenentwicklung und die finanzielle Solidität der Bewerbungs- und Austragungsphase. Hier reicht ein kritischer Blick nach London. Mit circa 13,5 Milliarden Euro
haben sich die Kosten der Londoner Spiele vervierfacht.
Das kann und darf nicht der Weg von Hamburg sein.
Ich bin aber optimistisch. Dank der absehbaren grünen Beteiligung im Hamburger Senat bin ich zuversichtlich, dass die Bewerbung einen guten Weg einschlagen
wird. Bei dieser Gelegenheit wünsche ich der Hamburger Bewerbung viel Glück und viel Erfolg.
({3})
Ich möchte hier klarstellen, dass wir uns zu keiner
Zeit gegen Olympische und Paralympische Spiele in
Deutschland ausgesprochen haben. Dass wir nicht als
Feigenblatt zum DOSB gegangen sind, war auch keine
Absage an die Spiele, sondern an das Gebaren des
DOSB.
({4})
Ich habe bei der ganzen Debatte den Eindruck gewonnen, dass viele - auch in diesem Raum hier - das Ziel
bescheidener Spiele in Hamburg mit uns teilen. Wir teilen die Absicht, dass die Menschen vor Ort frühzeitig in
alle Planungsphasen einbezogen und mitgenommen werden. Wir wollen Spiele, bei denen der Sport und vor allem die Sportlerinnen und Sportler wieder im Mittelpunkt stehen.
Selbst beim IOC wächst mit der Agenda 2020 langsam ein Reformpflänzchen. Aber ich glaube das erst,
wenn rote Teppiche und freie Vorfahrt für IOC-MitglieÖzcan Mutlu
der keine Vorbedingungen für Olympiabewerbungen
mehr sind oder wenn Host-City-Verträge nicht wie in
Stein gemeißelt unverändert bleiben müssen.
Lieber Kollege Gienger, Frau Kollegin Engelmeier,
Sie tun immer wieder so, als finde der Sport in einem politikfreien Raum statt.
({5})
- Das ist Unsinn. - Der Sport findet nicht im politikfreien Raum statt, und das sollten Sie endlich einmal
verstehen.
({6})
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Antrag möchten wir die Kräfte im organisierten Sport unterstützen, die mit uns die Vision eines besseren Sports
und sauberer Spiele teilen. Ich möchte Sie einladen,
diese Vision von sauberen, nachhaltigen und transparenten Spielen mit uns voranzubringen, gerade weil der
Sport eine so herausragende gesellschaftliche Funktion
hat.
Herr Kollege Mutlu, der letzte Satz wäre ein guter
Schlusssatz gewesen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Lassen Sie
uns gemeinsam diesen Weg gehen - egal, ob es dabei um
Olympische und Paralympische Spiele in Hamburg, die
European Games in Baku oder die Fußball-WM in Katar
geht. Das hat der Sport nötig.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nächster Redner ist für die Unionsfraktion der Kollege Reinhard Grindel.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Pilger, Kritik an der FIFA ist berechtigt.
Aber sie muss auch gerechtfertigt sein. Zur Fairness gehört es, auf den Umstand hinzuweisen, dass die FIFA bei
der Fußballweltmeisterschaft von Brasilien acht Stadien
verlangt hat. Die Entscheidung, zusätzlich auch in
Manaus und noch an drei anderen Orten Stadien zu
bauen, war eine Entscheidung der brasilianischen Regierung, die ich für falsch halte. Wenn man Kritik übt, dann
muss man sie richtig adressieren. In diesem Fall muss sie
an die brasilianische Regierung gerichtet werden.
Im Übrigen haben wir es in Russland mit dem gleichen Phänomen zu tun. Auch da wurden statt der verlangten acht Stadien zwölf gebaut. Die Schwierigkeiten,
die Russland im Augenblick hat, sind mit Sicherheit im
Bereich des Baus von Stadien genauso groß wie im Bereich der Politik.
Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben gesagt:
Hamburg ist eine gute Wahl. - Das ist richtig. Aber niemand hat an dieser guten Wahl so wenig mitgewirkt wie
die Bundestagsfraktion der Grünen.
({0})
Man muss es unseren Zuschauern einmal darstellen: Die
gute Wahl für Hamburg ist unter anderem auf der Grundlage der Ergebnisse einer Expertenrunde beim DOSB
getroffen worden. Da waren alle vertreten: Sportler,
Olympiaexperten, Umweltverbände, Behindertenverbände, alle politischen Parteien, sogar die Linke, nur
nicht die grüne Bundestagsfraktion.
({1})
Aber die Grünen waren vertreten, nämlich mit Frau
Fegebank, der Landesvorsitzenden der Hamburger Grünen,
({2})
die dort als Teil der Hamburger Delegation einen exzellenten Auftritt hatte. Wie ich von Teilnehmern der Expertenrunde weiß, war ihr Auftritt sicherlich ein Beitrag
dazu, dass sehr viele gesagt haben: Hamburg hat nicht
nur ein gutes Konzept, sondern auch die verantwortlichen Personen, die bei den Menschen für dieses gute
Konzept werben können. - Insofern sage ich Ihnen: Wir
brauchen keine Leute, die von den Zuschauerrängen
schlechte Stimmung verbreiten, sondern wir brauchen
Leute, die auf dem Spielfeld mitmachen. Frau Fegebank
hat das begriffen, Sie nicht. Das ist der große Unterschied.
({3})
Herr Kollege Grindel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu?
({0})
Ja.
Danke, Herr Präsident. - Kollege Grindel, eine Frage,
weil ich Ihren falschen Vorwurf nicht im Raum stehen
lassen möchte: Waren Sie denn geistig abwesend, als wir
als grüne Bundestagsfraktion im Sportausschuss des Bundestages mehrfach das Thema Bewerbung von Berlin und
Hamburg für die Olympischen Spiele in Deutschland angemeldet haben und Vertreter des DOSB eingeladen
haben, um den Fahrplan für die Olympischen Spiele zu
diskutieren, damit uns deutlich gemacht wird, wie die
Entscheidungskriterien zu gewichten seien und, und,
und? Das war nicht eine Sitzung, das waren mehrere Sitzungen. Waren Sie da geistig abwesend, oder muss ich
Ihnen jetzt Böswilligkeit unterstellen?
Nein. Ich habe darauf hingewiesen, dass der Satz von
Frau Göring-Eckardt: „Hamburg ist eine gute Wahl“
stimmt, dass auch das stimmt, was Frau Engelmeier gesagt hat, dass Hamburg genau zur Reformagenda 2020
des IOC passt, dass Hamburg, wie der DOSB-Präsident
Hörmann zu Recht gesagt hat, die Agenda-City ist und
dass Hamburg im Grunde genommen ein Konzept vorgelegt hat, über das man sagen kann: Wenn ihr es mit
Reformen ernst meint, dann nehmt Hamburg. - Deswegen bin ich auch guten Mutes, dass Hamburg alle Chancen hat, sich gegen Boston durchzusetzen.
Wenn man aber für diese Sache ist, dann muss man
darauf auch Einfluss nehmen. Diesen Einfluss auf diejenigen, die über die Vergabe zu entscheiden haben, hätte
man in der genannten Expertenrunde geltend machen
müssen. Sie aber haben gehofft, mit populistischen Argumenten, mit Ihrem Boykott und Ihrer Nichtanwesenheit bei dieser Veranstaltung bei Sportjournalisten oder
anderen Punkte zu machen. Ich habe Ihnen eben gesagt,
dass Frau Fegebank als Hamburger Grüne das anders gemacht hat, dass sie einen Beitrag dazu geleistet hat, dass
der Satz von Frau Göring-Eckardt „Hamburg ist eine
gute Wahl“ stimmt. Zu dieser Wahl hat Frau Fegebank
beigetragen. Insofern kann ich nur sagen: Ich wünsche
mir bei den Grünen etwas mehr Fegebank und etwas weniger Mutlu, wenn Sie mir das nicht übelnehmen.
({0})
Ich will Ihnen auch sagen, Herr Mutlu, da Sie diese
Zwischenfrage gestellt haben: Sie haben hier kräftig
vom Leder gezogen und gesagt, die Argumentation hier
sei zum Teil verrückt und widersprüchlich. Sie sprechen
in Ihrem Antrag weniger - um nicht zu sagen: gar nicht von der Autonomie des Sports,
({1})
sondern Sie sprechen von Berichtspflichten. Ferner ist
davon die Rede, der Sport sei anzuhalten, der Sport habe
überprüft zu werden. Sie sprechen sogar von Sanktionen
gegen den Sport.
Wissen Sie, was Sie wollen, klingt ein bisschen nach
kompletter Kontrolle des Sports durch den Staat; das
wäre Staatssport. Das, was Sie hier verlangen, ist - und
das ist der Widerspruch - gerade in den Ländern an der
Tagesordnung, bei denen Sie nicht wollen, dass dorthin
sportliche Großveranstaltungen vergeben werden. Vielleicht denken Sie darüber noch einmal nach. Etwas weniger Kontrolle, etwas weniger staatlicher Einfluss, die
Autonomie des Sports achten, auch das gehört zum Verhältnis von Politik und Sport, so wie es zumindest wir
als Union haben.
Sie vergießen hier Krokodilstränen wegen der Bewerber für die Olympischen Winterspiele 2022. Gleichzeitig
verlangen Sie eine Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen.
({2})
Aber ich will Ihnen schon - auch ein bisschen in Abgrenzung zu Frau Engelmeier - entgegenhalten: Wenn
man im Fall von München diese Form der Bürgerbeteiligung nicht durchgeführt hätte, sondern auf das Votum
der von den Bürgern gewählten parlamentarischen und
kommunalpolitischen Gremien vertraut hätte, dann hätten wir in meinen Augen jetzt sehr gute Chancen für eine
Winterolympiade in München, einer Stadt, die den Anforderungen Ihres Antrages mehr entsprochen hätte als
die Bewerberstädte Almaty oder Peking. Ich bin ganz sicher: Die leider manchmal etwas zu schweigsame Mehrheit der Bürger in München und Umgebung würde sich
auf diese Spiele freuen. Es wäre in München auch anders
gegangen und im Sinne der Menschen und der olympischen Idee vielleicht auch besser.
({3})
Ein letzter Gesichtspunkt. Sie mahnen den Sport in
Ihrem Antrag sehr stark zur Corporate Social Responsibility, also zu sozialer Verantwortung. Sie formulieren
das in einer Weise in Ihrem Antrag, die besagt, dass es
da heute sehr viele Defizite gebe. Klaus-Dieter Fischer,
der langjährige Präsident von Werder Bremen, der Ende
letzten Jahres aus seinem Amt ausgeschieden ist und der
in seinem Verein eine CSR-Abteilung mit über zehn Mitarbeitern geschaffen hat, ist gefragt worden, was für ihn
der bewegendste Moment seiner Amtszeit war. Da hat er
von der Blindenfußballabteilung bei Werder erzählt, die
er einmal besucht hat. Er sprach davon, wie ein blinder
kleiner Junge zum ersten Mal mittrainiert hat und hinterher zu seiner Mutter gesagt hat: Mama, stell dir vor, ich
habe Fußball gespielt.
Ich könnte Ihnen etwas zur Begeisterung von Mannschaften aus den Werkstätten für Behinderte sagen, die
ihre Meisterschaften austragen. Mittlerweile schließen
sich sogar ganze Teams Vereinen an, um dort im ganz
normalen Spielbetrieb mitzumachen. Es gibt Hunderte
von Flüchtlingskindern, die in diesen Tagen der Tristheit
ihrer Unterkunft entfliehen, bei Vereinen Sport treiben,
da glücklich sind und bei dieser Gelegenheit neue
Freunde finden und auch Deutsch lernen.
Oder soll ich Ihnen von dem Strafgefangenen erzählen, der entlassen wurde und ein neues Umfeld gefunden
hat - heraus aus seinem alten -, weil er im Gefängnis
den Schiedsrichterschein gemacht hat? Vereine sind womöglich dankbar, wenn so einer zu ihnen kommt. Diese
Vereine fragen eben nicht nur: Was hast du vor der Zeit
im Gefängnis gemacht?
Es gibt Tausende von Beispielen, die deutlich machen, dass der Sport in unserem Land seine soziale Verantwortung wahrnimmt.
({4})
Dafür brauchen sie, Herr Kollege Mutlu, keine Anträge
der Grünen. Dafür braucht man ein gutes Selbstverständnis, ehrenamtliches Engagement und eben kein Miesmachen, sondern Mitmachen. Dazu fordere ich uns alle auf.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächster Redner für die SPD ist der Kollege Axel
Schäfer.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut, dass wir heute dieses Thema diskutieren. Es ist
wichtig, fast am Ende dieser Debatte darauf hinzuweisen, dass es hier in vielen Punkten Übereinstimmung
zwischen den Fraktionen gibt. Deshalb könnte ich eine
Reihe von Punkten der Kollegin Göring-Eckardt und des
Kollegen Hahn durchaus unterschreiben, die SPD insgesamt sicherlich auch.
Ein Punkt wurde aber leider völlig ausgeblendet: So
richtig Kritik an Verbänden ist, es darf die Selbstkritik
nicht fehlen, also die Kritik am eigenen Parlament. Ich
möchte deshalb daran erinnern, dass 1980 der Deutsche
Bundestag - von den damals Beteiligten ist niemand
mehr im Saal - den dümmsten Beschluss seiner Geschichte gefasst hat: Er hat die Sportverbände veranlasst,
die Olympischen Spiele in Moskau zu boykottieren.
({0})
Das war dumm, weil wir fast die Einzigen waren, weil
der Sport in eine Abhängigkeit geriet und weil dieser Beschluss irreparabel war: Anders als bei einer Rentenreform konnte man nichts mehr ändern, sondern die Spiele
waren gelaufen. Dieser dumme Beschluss wurde vier
Jahre später durch den ebenso dummen Beschluss der
Volkskammer noch getoppt: Wie viele andere Staaten
auch boykottierte die DDR die nächsten Spiele in Los
Angeles. Das sollte uns eine Lehre sein. Wenn es um das
Verhältnis zwischen Sport und Politik geht, sollten wir
immer die Balance wahren sowie auch über die eigenen
Fehler, Schwächen und Erfahrungen reflektieren. Es war
wichtig, dass man auch hierüber einmal redet.
({1})
Es ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, notwendig,
auf Folgendes hinzuweisen: Man darf bei keinem Großereignis - so wie es damals der Sportausschussvorsitzende Peter Danckert in Bezug auf die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland sagte -, bei diesen wichtigen
und auch wirklich schönen Spielen und Wettkämpfen, zu
keinem Zeitpunkt den Eindruck haben, dass in unserem
Land - durch die Regeln, die uns die FIFA oder das IOC
oktroyiert; die Host-City-Verträge wurden angesprochen - die Demokratie zum Teil außer Kraft gesetzt
wird. Das geht in Demokratien nicht.
Deshalb ist es wichtig, dass wir mit unseren Bewerbungen - das gilt auch für das, was wir jetzt im Hinblick
auf Hamburg beschlossen haben - ein gutes Beispiel auch was unser Verständnis in Europa und mit Europa
angeht - geben, ohne dass wir den anderen Teilen der
Welt vorschreiben wollen, wie etwas zu sein hat. Vielmehr sollten wir das im positiven Sinne machen.
Kollege Grindel, da bin ich anderer Meinung als Sie:
Wenn es in vier Städten in Bayern eine Mehrheit gegen
Olympische Winterspiele gibt - was ich sehr bedauere -,
dann ist das auch Teil der Demokratie, von der wir und
mit der wir leben. Der DOSB ist heute der Meinung,
dass man eine Vergabe nur noch durchführen kann,
wenn das auch von den Bürgerinnen und Bürgern - genauso wie von den parlamentarischen Gremien - akzeptiert wird. Und das ist auch gut so.
({2})
Da ich gerade beim Kollegen Grindel war, kann ich
nun direkt auf etwas sehr Positives zu sprechen kommen. Man muss auch im Deutschen Bundestag einmal
darauf hinweisen, dass das Verhältnis zwischen Sport
und Politik keine Einbahnstraße sein darf. Es ist gut und
richtig, dass wir ehrenamtlich engagierte Funktionsträger haben. Das sind auf der einen Seite die Kollegen
Gienger und Grindel sowie auf der anderen Seite die
Kolleginnen Freitag und Engelmeier. Sie stehen in ihren
Verbänden mit an der Spitze. Sie sind von ihren Wählerinnen und Wählern demokratisch legitimiert, haben entsprechende Verantwortung und können die Belange des
Sports hier kompetent einbringen. Auch das gehört dazu.
Des Weiteren gehört dazu, dass wir als Politikerinnen
und Politiker unsere Meinung öffentlich klar kundtun,
wenn es um streitige Fragen geht.
Ich finde es wichtig, dass wir über Menschenrechte in
Katar und auch über Diskriminierung in Sotschi reden.
Das finde ich richtig. Genauso richtig finde ich es, dass
einige von uns - das gilt für mich genauso - sagen:
Wenn die FIFA jetzt einen neuen Präsidenten wählt, ist
es gut, wenn sich die europäischen Verbände - es sind 54 abstimmen und einen gemeinsamen Kandidaten kraftvoll unterstützen.
Ich sage Ihnen - nach den Erfahrungen der letzten
Jahre und Jahrzehnte - aber auch ganz offen: Ich wäre
froh, wenn diese Abstimmung zu dem Ergebnis führen
würde: Joseph Blatter ist weg. Es ist an der Zeit.
({3})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Johannes Steiniger für die CDU/
CSU.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich als
letzten Redner der Debatte zunächst noch auf ein paar
Stichworte des Antrags, der uns heute vorliegt, zurückkommen, die im ersten Satz der Begründung aufgeführt
sind. Darin ist von Menschenrechtsverletzungen, Gigantomanie, Umwelt- und Naturvernichtung, Korruption,
Intransparenz und Vetternwirtschaft die Rede. Man hätte
im Vorfeld durchaus auf die Idee kommen können, dass
wir heute Morgen über die Bekämpfung des organisierten Verbrechens diskutieren.
({0})
Dies aber ist das Bild, das der eingebrachte Antrag vom
internationalen Sport zeichnet.
Dass es in der Sportwelt durchaus zu schweren Verfehlungen kommt, bestreitet kein Mensch. Ich glaube, es
ist gut, dass wir heute in der Kernzeit über die Fraktionsgrenzen hinweg auch die Themen FIFA und Katar angesprochen haben. Dieser Antrag diskreditiert mit seinem
implizierten Generalverdacht aber die gesamte internationale Sportfamilie.
Wir dürfen die öffentliche Aufmerksamkeit nicht immer nur auf die einigen Dutzend Spitzenfunktionäre lenken, sondern wir müssen die Sportverbände an sich im
Blick haben. Mein Bild etwa der Fußballweltmeisterschaft oder der Paralympischen und Olympischen Spiele
in London ist ein anderes: Die weltweiten Spiele stehen
aus meiner Sicht vielmehr für Begriffe wie Völkerverständigung, fairer Wettbewerb, internationale Begegnung und kultureller Austausch. Sie stehen für das friedliche Miteinander von Nationen und die Zusammenkunft
von Athletinnen und Athleten aus der gesamten Welt,
um ein gemeinsames Sportfest zu feiern.
Der von den Grünen eingebrachte Antrag legt allerdings - auch das wurde heute schon angesprochen; es ist
einer der wichtigsten Punkte, warum ich den Antrag
nicht gut finde - ein Stück weit die Axt an die Autonomie des Sports und stellt diesen grundlegend infrage. Er
widerspricht der Grundidee, dass Athletinnen und Athleten und die vielen ehrenamtlich Engagierten in den zahlreichen Sportvereinen sich innerhalb des DOSB und seiner Dachverbände selbst organisieren und dem Sport
auch international eine funktionierende Struktur geben.
Denn es sind die Verbände selbst, die ihre Zielsetzung
und Ausrichtung festlegen.
({1})
Durch regelmäßige Wahlen und Beratung in ihren
Mitgliederversammlungen entscheiden die Sportfachverbände eben ganz autonom über Personal und Inhalte.
({2})
Diese demokratischen Verfahren legitimieren ihr Handeln. Das ist der Wesenskern der Autonomie des Sports.
({3})
Es ist doch klar, dass es Regeln braucht. Aber in Ihrem Antrag wird der falsche Adressat angesprochen. Natürlich brauchen wir Regeln, und der DOSB muss an erster Stelle mitkämpfen. Aber wer in seinen Aussagen und
seinem Wording den DOSB auf diese Weise anspricht,
wie Sie seitens der Grünen es tun, Kollege Mutlu, wird
keinen großen Erfolg haben.
Ohne die Frage stellen zu wollen, wem mit dieser relativ losen Aneinanderreihung Ihrer 16 Punkte mit diffusen Problemlagen geholfen ist, möchte ich schon darauf
hinweisen, dass man einige Ihrer Forderungen getrost
abhaken kann, da sie entweder bereits erreicht, angedacht, geplant oder auf einem guten Weg sind. Vieles
von dem, was im Antrag beispielsweise in puncto Nachhaltigkeit und Umweltschutz, Transparenz und Bürgerbeteiligung gefordert wird, ist im deutschen Konzept der
Olympiabewerbung bereits umgesetzt, übrigens auch
mit der klaren Orientierung an der Reformagenda 2020
des IOC.
Wenn die Grünen konsequent wären, müssten sie
denklogisch eigentlich die größten Vorkämpfer für
Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland
sein.
({4})
- Ja gut, Herr Mutlu. Aber so, wie Sie sich im Vorfeld
der aktuellen Bewerbung verhalten haben, habe ich nicht
feststellen können, dass Sie die größten Vorkämpfer für
Olympische Spiele in Deutschland sind und das auch an
erster Stelle beworben haben.
({5})
Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.
({6})
Denn man muss sich entscheiden: Nimmt man in Kauf,
dass autoritäre Staaten den Zuschlag für Spiele bekommen, oder begreift man die Herausforderungen und
Chancen einer eigenen starken Bewerbung? Dann kann
man nämlich die Spiele nach unseren Standards ausrichten und damit für die Zukunft die Messlatte setzen. Es ist
besser, Reformen von innen heraus anzugehen, als unrealistische Forderungen an die Politik zu stellen.
Zurück zum Antrag. Der Antrag gibt der „Berliner Erklärung“ als Ergebnis der fünften Weltsportministerkonferenz viel Raum, und zwar aus meiner Sicht zu Recht.
Denn sie gilt in der Tat als Meilenstein.
({7})
Die Grünen fordern nun die Bundesregierung auf, die
getroffenen Beschlüsse schnell umzusetzen. Ich kann
nicht erkennen, weshalb der Innen- und Sportminister
des Gastgeberlandes ein Interesse daran haben sollte,
dies nicht zu tun. Zum Umsetzungsstand der Vereinbarung der Weltsportministerkonferenz hat die Bundesregierung Anfang März ausführlich Stellung genommen.
Beispielsweise wurden für die Teilhabe von Menschen
mit Behinderung im Leistungssport eine deutliche Verbesserung erreicht und zusätzliche Mittel bereitgestellt.
Weiter wird die Wahrung der Integrität des Sports als
zentrales Themenfeld in der „Berliner Erklärung“ beschrieben. Auch dieser zentralen Forderung kommen wir
mit einem Anti-Doping-Gesetz nach. Ein entsprechender
Gesetzentwurf war bereits gestern Gegenstand der Kabinettssitzung.
Ich komme zum Schluss. Es ist falsch, zu glauben,
dass sich die Sportfamilie in Deutschland auf europäischer und internationaler Ebene gewisser Missstände im
organisierten Sport nicht bewusst ist. Vom Hochleistungssportler bis zum ehrenamtlich Engagierten haben
schließlich alle das gemeinsame Ziel, die Integrität des
Sports zu leben. Jeder, der im Sport Verantwortung trägt,
weiß um die große Strahlkraft des Sports und die Bedeutung, die er für so viele Menschen in unserem Land hat.
Lassen Sie uns in dem Sinne an dieser Idee weiter gemeinsam arbeiten, sodass es auch 2024 in Hamburg wieder heißen kann: Die Welt zu Gast bei Freunden. - Dieser Antrag leistet dazu leider keinen nennenswerten
Beitrag.
Danke schön.
({8})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3556 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung
überwinden
Drucksache 18/4422
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Forschungsrahmenprogramm der Bundesregierung zur IT-Sicherheit
Selbstbestimmt und sicher in der digitalen
Welt 2015 - 2020
Drucksache 18/4304
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Weil ich
keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie
alle damit einverstanden sind.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Sven Volmering für die CDU/CSU
das Wort.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die gerade kontrovers geführte Sportdebatte
erleichtert mir ein wenig den Übergang zu meinem Redebeginn. Wir erinnern uns alle sehr gerne an das Jahr
2014, in dem wir Fußballweltmeister geworden sind.
Dieser Titel war bei allem notwendigen Glück auch
Lohn für den Tüchtigen, der sich nach den Debakeln bei
großen Turnieren um die Jahrtausendwende auf den Weg
gemacht hat, die Talentförderung in Deutschland neu zu
gestalten.
Vor einer ähnlichen Herausforderung steht Deutschland heute bei der digitalen Bildung. Wir hinken den
Weltmeistern hinterher. Nur 1,5 Prozent der deutschen
Schülerinnen und Schüler haben bei der internationalen
ICILS-Studie die höchste Kompetenzstufe erreicht.
Computereinsatz findet viel zu selten und wenig fächerübergreifend statt. Nur 30 Prozent aller Kinder haben in
der Schule regelmäßig Kontakt mit ihnen. Der internationale Mittelwert liegt hier bei 52 Prozent. Die Studie
macht auch klar, dass das Aufwachsen in einer technologisch geprägten Welt nicht automatisch zu kompetenteren Nutzern führt. 30 Prozent der Schüler verfügen über
nur sehr gering ausgeprägte digitale Kompetenzen; bei
Schülern mit Zuwanderungshintergrund sind es sogar
40 Prozent. Ohne eine stärkere Verankerung digitaler
Medien in allen Lernprozessen droht im internationalen
Vergleich Mittelfeldgeplänkel und auf Sicht der Abstieg.
Ob es uns nun gefällt oder nicht: Die Bereiche Lernen, Wissensaneignung und Mediennutzung werden sich
durch die Digitalisierung weiter fundamental ändern.
Zwei Drittel der Lehrer sind der Auffassung, dass der
Einsatz digitaler Medien junge Menschen motivierend
dabei unterstützt, Informationen wirksamer zu verarbeiten. 72 Prozent der Eltern und Schüler wünschen einen
verstärkten Einsatz digitaler Medien. Um eine digitale
Spaltung zu vermeiden, müssen wir allen Kindern und
Jugendlichen eine vernünftige digitale Grundbildung zukommen lassen.
({0})
Diese ist eng mit Medienkompetenz verknüpft und beinhaltet dann auch den sicheren, verantwortungsvollen
und kritischen Umgang mit digitalen Medien und Programmen. Das ist mit Blick auf den Datenschutz wichtig, aber auch mit Blick auf bessere Chancen auf dem
Arbeitsmarkt. Es geht dabei nicht um die „totale
Zwangsdigitalisierung“, wie der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, befürchtet, und es
geht auch nicht um die Abschaffung wichtiger Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben, sondern um den didaktisch sinnvollen Einsatz, der sogar dazu führen kann,
dass die Geräte, wenn es sinnvoll ist, auch einmal aus
bleiben.
Wenn aber in einer Minute im Internet 204 Millionen
E-Mails verschickt, 13,8 Millionen WhatsApp-Nachrichten versendet, 42 000 Fotos bei Instagram hochgeladen und 277 000 Tweets gesendet werden - Herr Mutlu,
wahrscheinlich machen Sie es gerade wieder -,
({1})
dann ist das die Lebensrealität, mit der unsere Kinder
und Jugendlichen aufwachsen. Schule ist zu oft ein „Ort
des digitalen Fastens“, wie ein Lehrer jüngst in einem
Beitrag kritisiert hat. Das konterkariert dann auch ausgezeichnete Projekte wie den Medienpass NRW. Ich finde,
es ist immer ein wenig plump, wenn Angst vor digitalen
Medien auch damit begründet wird, dass eine überwältigende Mehrheit unserer Kinder und Jugendlichen zu potenziellen Cybermobbern wird. Das sage ich, ohne die
Problematik herunterspielen zu wollen. Aber so geht es
auch nicht.
({2})
Es ist daher eine gute Sache, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern eine Strategie „Digitales Lernen“ entwickelt. Es ist eine gute Sache, dass wir
heute im Deutschen Bundestag über digitale Bildung debattieren. Dies ist auch Anerkennung für viele in der Bildung tätige Erzieher, Lehrer, Aus- und Fortbilder, die als
Pioniere Innovationen in ihre Einrichtungen bringen und
denen dafür auch unser Dank gebührt. Es ist auch eine
gute Sache, dass CDU/CSU und SPD einen gemeinsamen Antrag auf den Weg bringen. Wir berücksichtigen
dabei die Erkenntnisse aus der Enquete-Kommission,
wir arbeiten den Koalitionsvertrag ab, und wir verteilen
- das mache ich als Lehrer natürlich besonders gern Hausaufgaben an die Bundesregierung, die Länder und
die KMK. Das positive Feedback vom Verband für Bildung und Erziehung, das wir auf unseren Antrag hin bekommen haben, hat uns sehr gefreut.
({3})
Es kann, lieber Herr Mutlu, keine Rede davon sein,
dass beim Bund kein Interesse besteht, die IT-Bildung in
Deutschland zu verbessern, wie Sie dem Tagesspiegel
gesagt haben.
({4})
Es ist sicherlich legitim, zu fragen, und es ist auch legitim, zu kritisieren - das erwarte ich von einer Oppositionspartei -; aber ich erwarte auch, dass Sie konkrete eigene Ideen in die Debatte einbringen und vielleicht auch
einmal über das ständige Schimpfen über das Kooperationsverbot hinausgehen. Das ist auf die Dauer ein bisschen ermüdend. Wenn man Bundestagsreden-Bingo
spielen würde, wäre dieser Punkt immer sehr schnell abgehakt.
({5})
Letzte Woche haben die Minister Wanka und Gabriel
den Startschuss für die Plattform Industrie 4.0 gegeben,
in der Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik
den Schulterschluss suchen. Eine ähnliche Zusammenarbeit erwarte ich eigentlich auch beim „Pakt für Digitale
Bildung“, der die unterschiedlichen Aktivitäten dieser
Akteure bündeln soll, um inhaltlich und infrastrukturell
ein Stück voranzukommen. Ich durfte letzte Woche auf
der CeBIT als Pate Schüler aus Dorsten beim „Open Roberta“-Projekt begleiten, bei dem Kinder lernen, einen
Legoroboter zu programmieren.
({6})
Solche Kooperationsprojekte von Fraunhofer-Gesellschaft und Wirtschaft müssen viel stärker vernetzt, ausgebaut und auch bekannt werden.
Es ist des Weiteren unerlässlich, bei der Aus- und
Weiterbildung von Pädagogen und Lehrkräften anzusetzen. Die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ leistet ihren
Beitrag. Ich wünsche mir, dass dort noch das eine oder
andere Projekt mehr Aufnahme findet.
({7})
Wir brauchen eine Anpassung der Curricula und Prüfungsordnungen bei der Lehrerausbildung. Dabei konnten sich bislang nur magere 12 Prozent Kenntnisse über
digital basierten Unterricht aneignen. Das ist leider noch
zu wenig.
Schließlich müssen wir über die Bundesländergrenzen hinweg über einheitliche Standards bei der Medienkompetenz für die unterschiedlichen Altersstufen der
Schüler reden und sie dann auch in einer Ländervergleichsstudie überprüfen. Deshalb gehen wir hier einen
neuen Weg. Wir wollen aufgrund der Wichtigkeit des gesamten Themas über einen Länderstaatsvertrag oder zuSven Volmering
mindest über einen weiter gehenden KMK-Beschluss
nachdenken.
Neben der digitalen Grundbildung brauchen wir allerdings auch digitale Exzellenz. Im Koalitionsvertrag
wurde vereinbart, nach dem Vorbild der Eliteschulen des
Sports unsere IT-Spitzenkräfte von morgen an Profilschulen IT/Digital auszubilden. Auch das ist eine Vereinbarung, die dringend mit Leben gefüllt werden muss.
Die Länder könnten dies beispielsweise durch die Mittel
finanzieren, die frei geworden sind, weil der Bund sie
beim BAföG entlastet hat. Dort ist immer noch Potenzial
vorhanden; diese Mittel können genutzt werden.
({8})
Der Antrag ist sehr umfangreich. Es fehlt die Zeit,
alle Punkte anzusprechen. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, meiner Berichterstatterkollegin Saskia
Esken und ihren Mitarbeitern sowie auch meinen Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit bei der Antragsformulierung zu danken. In 95 Prozent der Fälle ist das
glattgelaufen. Bei 5 Prozent hat es gehakt; das ist normal. Insgesamt herzlichen Dank! Ich freue mich auf die
weitere Zusammenarbeit. Ebenfalls Dank an die Arbeitsgemeinschaften für Bildung der beiden Fraktionen CDU/
CSU und SPD, die wirklich zahlreiche Anregungen gegeben haben! Ich freue mich auf die Debatte jetzt, ich
freue mich auf die Debatte im Ausschuss - nach der
wohlverdienten Osterpause - und bin gespannt, wie
lange es dauert, Frau Hein, bis ich dann auch bei einer
Rede von Ihnen theoretisch „Bingo!“ rufen könnte.
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Rosemarie
Hein für die Fraktion Die Linke.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mal schauen, ob das mit dem Bingo etwas wird.
({0})
Ich würde auch gerne mit einem Zitat beginnen, und
zwar mit einem Zitat des Vorsitzenden des VBE, des
Verbandes Bildung und Erziehung. Er hat erst vor wenigen Tagen auf dem Schulleitungskongress in Düsseldorf
gesagt:
Die digitale Schule gibt es in Deutschland bislang
nur virtuell …
Es wurde auch kritisiert, was alles fehlt. Ich lese aus
den Äußerungen seitens des VBE auch nicht viel Bestätigung, sondern eher Kritik an den Zuständen.
({1})
- Erst gestern? Dann müssen sich die Zustände aber in
wenigen Tagen deutlich verändert haben. Ich glaube das
nicht. Ich denke, dass die Kritik berechtigt ist, dass es
dabei bleiben wird und leider auch bleiben muss.
({2})
Natürlich sind die digitalen Medien aus der Bildung,
aus der Schule nicht mehr wegzudenken. Nur gibt es die
Voraussetzungen dafür in den Schulen in Deutschland
leider nicht. Ganz sicher gibt es gute Beispiele. Ich habe
mir vor drei Jahren in Magdeburg in einer Grundschule
angeschaut, wie eine dritte Klasse mit Laptop und
Whiteboard arbeitet. Das war ein Projekt, das von der
Magdeburger Uni und vom Fraunhofer-Institut begleitet
wurde. Ich war sehr neugierig auf das digitale Klassenzimmer, und hinterher war ich wirklich beeindruckt. Die
Klischees, die besagen, die Kinder würden nachher nur
noch am Computer sitzen, stimmen nicht.
({3})
Da kann man sehr beruhigt sein.
({4})
Ist also alles gut? Nein, bei weitem nicht. Politikerinnen und Politiker aller Ebenen sonnen sich ganz gern im
Lichte solcher Leuchttürme. Wir sind aber weit davon
entfernt, dass die Nutzung digitaler Medien in der
Schule zum Alltag gehört; Sie haben das eben anhand
der Studie sehr ausführlich erläutert. Das liegt daran,
dass die Schulen darauf nicht ausgerichtet sind. Die Lehrenden sind zu wenig darauf vorbereitet; die Lehr- und
Lernmittel stehen nicht zur Verfügung.
Durch den uns vorliegenden Antrag soll dies nun geändert werden. In der Tat werden wesentliche Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale
Gesellschaft“ aus der vergangenen Legislaturperiode
aufgegriffen; das haben wir sehr wohl registriert.
({5})
Die Empfehlungen sind damals auch von allen Fraktionen begrüßt worden. Wir stehen auch heute noch dahinter; aber Begrüßen allein reicht eben nicht.
({6})
Wenn die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag davon
sprechen, dass die Digitalisierung in einem rasanten
Tempo voranschreitet, so will ich doch fragen, was Sie
denn meinen, wie weit man in zwei Jahren mit diesem
rasanten Tempo kommt. Wer von uns hat eigentlich noch
das Handy von vor zwei Jahren? Ich glaube, wenn wir
noch fünf Jahre brauchen, dann sind die Technologien
sehr viel weiter und wir fangen wieder von Neuem an.
({7})
Deshalb haben wir keine Zeit mehr. Es wird aber Zeit
benötigt, um das alles auf die Reihe zu bekommen.
Ich war kürzlich in einem Gymnasium meines Bundeslandes. Man braucht heute Tablets, Whiteboards, digitale Arbeitsplätze für Lehrkräfte; das kennen Sie alles.
In diesem Gymnasium gibt es in jeder Klassenstufe vier
Parallelklassen, also etwa 32 Klassen, und nur fünf
Whiteboards. Da kommt jede Klasse, schätze ich, jedes
Vierteljahr einmal dran. Das ist doch keine digitale Bildung.
({8})
Und das ist schon viel, was in diesem Gymnasium zur
Verfügung steht.
Was also kann Ihr Antrag bewirken? Wollen Sie der
Bundesregierung tatsächlich auf die Sprünge helfen? Ich
bin gespannt, was der Staatssekretär nachher sagt. Dann
hätten Sie allerdings mehr aufschreiben müssen als nur
die Empfehlungen der Enquete-Kommission.
Digitale Bildung geht nicht ohne Geld. Da können Sie
den Breitbandausbau noch und nöcher vorantreiben.
Wenn er vor der Schultür endet, ist nicht viel geholfen.
({9})
Das ist etwa so, als würden Sie eine Wasserleitung bis
auf den Schulhof bauen, aber die Leitungen im Schulhaus vergessen. Dann können Sie zwar noch eine Pumpe
anschließen und das Wasser ins Klassenzimmer tragen.
Das geht aber mit digitalen Daten nicht.
({10})
Sie haben gerade ein Infrastrukturprogramm des Bundes beschlossen. Das wäre doch eine Chance gewesen,
auch etwas für die digitale Bildung zu tun.
({11})
Zum Beispiel hätte ein digitales Ausbau- und Ausrüstungsprogramm für die Länder beschlossen werden können. Bei der energetischen Sanierung machen Sie das
doch auch. Die dadurch zur Verfügung gestellten Gelder
könnten die Länder dann in die Schulen stecken. Aber so
bleiben Sie bei Ihren Aufforderungen und Ankündigungen stehen, verstecken sich hinter der Länderhoheit und
kommen nicht voran.
({12})
In Ihrem Koalitionsvertrag werden Gespräche mit den
Ländern über Profilschulen angekündigt. In Ihrem Antrag ist das nun zum Prüfauftrag verkommen. Ich finde,
das ist eine beeindruckende Leistung. Sie hören sicherlich den Sarkasmus in meiner Stimme.
Ich will ein paar Probleme nennen, über die wir dringend reden müssen und für die wir alle noch keine Lösung haben: Wie verändert sich der Unterricht, welche
didaktische Aufbereitung ist nötig? Wie ist die technische Betreuung der Schulnetze zu gestalten? Eine Lehrkraft kann das nicht nebenbei machen. Wie soll die technische Erneuerung materiell und finanziell abgesichert
werden? Um den sozialen Zugang zu sichern, hätten Sie
ja wenigstens den Vorschlag machen können, die Mittel
für das Schulbedarfspaket aufzustocken. Das könnte der
Bund. So hätte man zum Beispiel zumindest für diejenigen, die von diesem Schulbedarfspaket profitieren, etwas tun können, damit sie sich mit Laptops und Tablets
ausstatten. Das wäre eine Möglichkeit.
({13})
Ich muss mich hier aus Zeitgründen beschränken, will
aber sagen, dass es auch eine ganze Menge Risiken gibt,
die damit verbunden sind und die wir noch nicht überschauen. Einige von uns sitzen ja im Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Technikfolgenabschätzung. Genau darum geht es auch hier. Wir haben beantragt - es ist
ja auch so aufgenommen worden -, einen Bericht des
Büros für Technikfolgen-Abschätzung zu dieser Thematik einzufordern. Der wird erstellt und hoffentlich noch
in diesem Jahr erscheinen. Wir wollen das nicht, um zu
verhindern, dass es digitale Bildung gibt; wir wollen das,
damit sie erfolgreich ist. Dazu muss man aber auch über
die Probleme und Risiken sowie über die Auswirkungen
etwas wissen. Darüber wissen wir zu wenig. Sie beschränken sich auf Appelle, verweisen ein weiteres Mal
auf die Länder. So wird die Digitalisierung in der Bildung weiter auf sich warten lassen oder als Flickenteppich enden - wie das ganze Bildungssystem.
Schönen Dank.
({14})
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Saskia Esken.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Gleich zu Beginn möchte ich gerne das Lob und den
Dank des Kollegen Volmering zurückgeben. Wir haben
wirklich sehr gut zusammengearbeitet, und wir sind zu
einem guten Antrag gekommen, wie ich meine.
Im Privaten wie bei der Arbeit - dieses Internet und
die digitalen Medien spielen eine immer größere Rolle.
Doch sind alle Menschen in Deutschland gleich gut vorbereitet, an dieser digitalisierten Welt teilzuhaben? Eine
Studie der Initiative D21 zur Entwicklung der digitalen
Kompetenz der Bevölkerung kommt zu einem ernüchternden Ergebnis. Entlang der sozioökonomischen Verhältnisse und dem Bildungsstand der Menschen verläuft
in Deutschland, so die Studie, eine stabile digitale Spaltung. Da gibt es diejenigen, die schon wie selbstverständlich und sehr kompetent an den Potenzialen der Digitalisierung teilhaben, und es gibt eben sehr viele,
denen nicht nur der schnelle Breitbandanschluss fehlt.
Ihnen fehlt vor allem der sichere und souveräne Umgang
mit dem, was wir mit dem Breitbandanschluss zu den
Menschen bringen wollen. Auch in der Arbeitswelt werden digitale Kompetenzen immer wichtiger. Es deutet
sich schon heute ein immenser Bedarf an IKT-Fachkräften an - in der Wirtschaft, aber auch in der öffentlichen
Verwaltung. Schon in sehr naher Zukunft wird es kaum
noch ein Berufsfeld geben, das ohne eine zumindest
grundständige IT-Bildung auskommt.
Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Digitalen
Agenda ein Pflichtenheft zur Gestaltung der digitalisierten Welt vorgenommen. Auch das heute hier vorgestellte
Forschungsrahmenprogramm der Bundesregierung zur
IT-Sicherheit ist einer solch wichtigen Aufgabe geschuldet: der Förderung der digitalen Souveränität des deutschen und europäischen Wirtschaftsraums in Bezug auf
IT-Sicherheitstechnik und Sicherheitsverfahren, die wir
für die Abwehr von Überwachung und Cyberkriminalität
brauchen. Daneben steht - nicht minder wichtig - die digitale Souveränität der Bürgerinnen und Bürger, die
durch einfach anwendbare Verschlüsselungsverfahren
und andere Schutzmaßnahmen wieder in die Lage versetzt werden sollen, Herr ihrer eigenen Daten zu sein.
Zum Thema „digitale Bildung“ - das ist ein weiterer
Beitrag zur digitalen Souveränität der Bürgerinnen und
Bürger - findet sich in der Digitalen Agenda ein ehrgeiziges, aber bislang wenig konkret ausgearbeitetes Vorhaben. Man will, so steht es dort geschrieben, mit den Bundesländern und anderen Akteuren des Bildungssystems
eine gemeinsame Strategie „Digitales Lernen“ erarbeiten. Mit dem Antrag von SPD und Union wollen wir diesem Vorhaben einen weiteren Anstoß geben und konkreter beschreiben, welche Maßnahmen im Rahmen dieser
Strategie umgesetzt werden sollen.
({0})
Vor wenigen Tagen hat der stellvertretende SPDFraktionsvorsitzende Hubertus Heil angekündigt, dass
die SPD-Fraktion auf der Grundlage des Investitionsprogramms des Bundes ab dem Haushaltsjahr 2016 60 Millionen Euro für die digitale Bildung zur Verfügung stellen will. Ich finde, das ist eine ausgezeichnete Investition
in die Zukunft unseres Landes.
({1})
Ich möchte auf drei der wichtigsten Voraussetzungen
eingehen, die erfüllt sein müssen, damit Schulen sich für
die Stärkung der digitalen Bildung auf den Weg machen
können. Sicher könnte man hier auch über die technische
Infrastruktur oder über die Finanzierung digitaler Endgeräte sprechen. Ich bin aber der Überzeugung, dass es in
der Bildung zuerst auf kompetente Lehrkräfte, auf klar
definierte und im Konsens vereinbarte Bildungsziele und
nicht zuletzt auf gute didaktische Konzepte und Lerngegenstände ankommt. Deshalb möchte ich genau darüber
sprechen.
Erstens. Digitale Bildung braucht Lehrerbildung.
Lehrkräfte wollen, dass sich Schülerinnen und Schüler
fit machen für die Mediengesellschaft, in der sie bereits
heute leben, und für die Schule arbeiten, wie wir gestern
vom BITKOM erfahren haben. In der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte fehlt es aber an Modulen für Mediendidaktik, sodass sich viele dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlen. Mit dem Antrag wollen wir deshalb die
verpflichtende Aufnahme mediendidaktischer Inhalte in
die Studien- und Prüfungsordnungen von Lehrkräften
und anderem pädagogischen Personal erreichen. Dazu
müssen Fortbildungsangebote kommen, die sich niederschwellig und effektiv am Bedarf der Bildungseinrichtungen und ihrer Lehrkräfte orientieren.
Zweitens. Digitale Bildung muss in die Bildungspläne. Wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien erwerben
und dass sie ein grundlegendes Verständnis für die Sprache der Digitalisierung, die Logik der Algorithmen erhalten. Gerade bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche sollen so besser für eine Teilhabe an der
digitalisierten Welt befähigt werden.
({2})
Wir empfehlen deshalb in unserem Antrag die fächerübergreifende Verankerung der Medienkompetenz in
den Bildungsplänen ebenso wie einen zeitgemäßen und
jeweils entwicklungsgerechten Informatikunterricht.
({3})
Drittens. Digitale Bildung braucht freie und offene
Lehr- und Lernmaterialien. Der gute Umgang mit der
Diversität, der gemeinsame Unterricht für behinderte
und nicht behinderte Schülerinnen und Schüler - diese
Ansätze brauchen differenzierte, barrierefreie und individuell anpassbare Konzepte und Materialien. Mit digitalen Medien sind solche Anpassungen ein Kinderspiel,
wenn sie in den richtigen Formaten vorliegen und wenn
das Bearbeiten, Speichern und Weitergeben der Materialien erlaubt ist. Schülerinnen und Schüler wiederum lassen sich dann von einem Thema packen, wenn sie ihre
Lerngegenstände selbst erstellen, verändern, weitergeben und sich dazu austauschen können. Sie können dabei
ihre Stärken und ihre kreativen Potenziale ausbauen und
Selbstwirksamkeit erleben. Beides sind wichtige Faktoren für einen nachhaltigen Lernerfolg.
({4})
Lehr- und Lernmaterialien müssen dazu unter Lizenzen
vorliegen, die die Veränderung und Weitergabe erlauben.
Solche Materialien werden als Open Educational Resources, kurz OER, bezeichnet. In Deutschland spielen
OER in den Schulen bisher keine große Rolle, während
europäische Nachbarn wie beispielsweise Polen, aber
auch die USA schon viel weiter sind.
In der Koalition sind wir gewillt, hier aufzuholen. Im
laufenden Haushaltsjahr haben wir erstmals 2 Millionen
Euro für OER eingeplant, und wir sind als SPD-Fraktion
entschlossen, diesen Titel weiter auszubauen.
({5})
Dazu kommt die Forderung, dass wir das in die Jahre gekommene Urheberrecht endlich an die Erfordernisse des
digitalen Zeitalters anpassen und die Verwendung geschützter Werke für Bildung und Wissenschaft weiter
öffnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren, natürlich gibt es Schulen, die schon
heute gute Medienbildungskonzepte umsetzen. Natür9186
lich gibt es Bundesländer, die sich schon auf einen richtigen Weg begeben. In Baden-Württemberg beispielsweise, woher ich komme - das hören Sie -, definieren
Kultusminister Andreas Stoch und sein Haus im neuen
Bildungsplan die Medienbildung als eine fächerübergreifende Leitperspektive. Über alle Altersstufen und
Schulformen hinweg soll die Medienbildung eine starke
Rolle spielen. Auch Bildungsministerin Britta Ernst hat
sich für ihre Amtszeit vorgenommen, die Schulen in
Schleswig-Holstein fit zu machen für das digitale Zeitalter.
({6})
Der Schulwettbewerb „Digitales Lernen“ soll nun in einem ersten Schritt besonders nachhaltige und ganzheitliche Medienbildungskonzepte auszeichnen und fördern,
die dann als nachahmenswerte Beispiele ins Land ausstrahlen.
Ich habe in unseren Vorgesprächen zu diesem Antrag,
die wir mit den Ländern geführt haben, noch von einer
Vielzahl guter Ansätze und Vorhaben gehört. Dennoch
hat uns das unterdurchschnittliche Abschneiden
Deutschlands in der ICILS-Studie zu den Computer- und
Informationskompetenzen von Schülerinnen und Schülern vor Augen geführt: Um in der Fläche des Landes zu
wirken, braucht es ein konzertiertes, verpflichtendes und
damit verlässliches Gesamtkonzept für die Stärkung der
digitalen Souveränität von Schülerinnen und Schülern.
({7})
Wir schlagen deshalb in unserem Antrag neben zahlreichen Forderungen an die Adresse des Bundes eine verbindliche Vereinbarung der Bundesländer über gemeinsame Bildungsziele, Standards und Maßnahmen vor,
beispielsweise in einem Länderstaatsvertrag. Verbindliche Ziele, gemeinsame und konzertierte Maßnahmen die Strategie „Digitales Lernen“ kann davon nur profitieren. Bund und Länder, Schulträger und weitere Akteure
müssen sich jetzt gemeinsam auf den Weg machen, die
Chancen und Herausforderungen der digitalen Bildung
in Angriff zu nehmen, um die digitale Spaltung zu überwinden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der
Kollege Özcan Mutlu.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Computer-Trottel
Deutsche Schüler liegen bei der IT-Kompetenz weit
zurück - mit alten Geräten
So lautet die Überschrift eines Kommentars einer Tageszeitung vom November 2014 in Reaktion auf die erste
ICILS-Studie, eine internationale Bildungsstudie, die
ähnlich wie die PISA-Studie die Internet- und Medienkompetenz von Achtklässlern untersucht hat. Im Gegensatz zum damaligen PISA-Schock blieb der ICILSSchock aus. Dabei gibt es genügend Gründe dafür: überalterte Hardware, mangelhafte Internetanbindung, unzureichende IT-Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer,
ein Drittel der getesteten Schülerinnen und Schüler in
der Gruppe der digitalen Analphabeten. Damit nicht genug: Die digitale Schere geht auseinander, die digitale
Spaltung der Gesellschaft schreitet leider voran. Das
können und dürfen wir nicht akzeptieren.
({0})
Liebe Koalition, Ihr gutgemeinter Antrag ist nicht geeignet, dieser Misere ein Ende zu setzen. Industrie 4.0,
digitale Technologien, Digitale Agenda etc. verkommen
zu Floskeln, wenn wir unsere Schülerinnen und Schüler
nicht für die Anforderungen der neuen Medien wappnen.
({1})
Wir Grünen haben Anfang dieses Jahres die Bundesregierung gefragt, welche Konsequenzen sie aus den
schlechten Ergebnissen der ICILS-Studie ziehe. Die
Antworten der Bundesregierung auf unsere 19 Fragen
kann man in einem Satz zusammenfassen: Wir sind nicht
zuständig; das ist Aufgabe der Länder. - Ich sage: Das
ist mehr als peinlich.
({2})
Ihr Antrag zur digitalen Bildung bleibt hinter dem,
was dringend notwendig ist, und hinter dem, was Sie in
Ihrem Koalitionsvertrag vollmundig ankündigten, weit
zurück. Er listet auf, was die Bundesregierung in Gesprächen „mit den Ländern und Akteuren aus allen Bildungsbereichen“ vor allem beraten soll. Daraus kann
man schließen, dass die notwendigen Gespräche in den
letzten 15 Monaten noch nicht einmal begonnen haben.
Sie begrüßen in Ihrem Antrag Selbstverständlichkeiten
und fordern die Bundesregierung auf, diverse bereits bestehende Programme weiter zu unterstützen. Ich sage:
So wird das nichts mit der Stärkung von digitaler Bildung und Medienkompetenz und erst recht nichts mit der
Überwindung der digitalen Spaltung der Gesellschaft.
({3})
An der entscheidenden Stelle fordern Sie die Bundesregierung auf, sich lediglich bei den Bundesländern und
der KMK für einen Länderstaatsvertrag einzusetzen.
Wenn Sie - da schaue ich in die Reihen der SPD - das
Kooperationsverbot abgeschafft hätten, dann bräuchten
wir heute so etwas nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Die digitale Gesellschaft stellt uns vor große Herausforderungen, vor allem in der Bildung, wie wir hier gehört haben. Deshalb empfehle ich, einen Blick in den
Schlussbericht der Enquete-Kommission „Internet und
digitale Gesellschaft“ zu werfen,
({5})
die in den Projektgruppen „Bildung und Forschung“ sowie „Medienkompetenz“ sehr konkrete Handlungsempfehlungen vorgelegt hat,
({6})
und zwar mit den Stimmen aller Fraktionen.
Meine Damen und Herren, egal ob bei den Themen
Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer, OER,
Hardwareausstattung, Vernetzung, Lizenzen, Datenschutz usw. usf. - wir werden nicht umhinkommen,
mehr Geld in die Hand zu nehmen, um die Handlungsempfehlungen umzusetzen und die Herausforderungen
zu meistern. Deshalb ist Ihr Antrag zu kurz gesprungen.
({7})
An dieser Stelle kann ich nur hoffen, dass sich der Kollege Heil durchsetzt und die Bereitstellung der Mittel mit
dem Koalitionspartner vereinbart wird.
Digitale Bildung, Inklusion, Ganztagsschulausbau
oder Bildungsgerechtigkeit insgesamt - all das sind Themen, die regelrecht nach der Abschaffung des Kooperationsverbotes schreien. Ich appelliere an Sie: Hören Sie
diese Schreie, und handeln Sie jetzt!
({8})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Stefan Müller.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrter Herr Mutlu, wenn es einen Preis zu verteilen
gäbe für den größten Nörgler, dann stünden Sie ziemlich
weit oben auf der Rangliste.
({0})
Für die kurze Redezeit, die Sie haben, können Sie nichts.
Vielleicht aber hätten Sie die kurze Redezeit, die Sie haben, dafür nutzen sollen, auch eigene Vorschläge zu machen.
({1})
Ich habe meine Unterlagen zu diesem Tagesordnungspunkt noch einmal durchgesehen; mir ist kein Antrag der
Grünen aufgefallen.
({2})
Gleiches gilt übrigens auch für die Linke. Also: Leider
Fehlanzeige.
({3})
Außer anderen, also den Regierungsfraktionen und der
Bundesregierung, kluge Ratschläge zu geben und zu sagen, was alles nicht passt, hätten Sie die Zeit vielleicht
dafür verwenden sollen, sich eigene konzeptionelle Gedanken zu machen, so wie es die beiden Regierungsfraktionen gemacht haben.
({4})
Wenn wir uns nun die Themen dieser Debatte einmal
ansehen, dann stellen wir fest: Beide Themen, digitale
Bildung einerseits und IT-Sicherheit andererseits, könnten jedenfalls auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein. Beide Themen eint aber, dass sie Reaktionen
auf die Chancen und die Herausforderungen der Digitalisierung sind. Die Bundesregierung hat im letzten Jahr
mit der Digitalen Agenda schon einmal wichtige Eckpfeiler im Bereich der Digitalisierung gesetzt. Dort werden alle Themen und Maßnahmen gebündelt, die mit der
Digitalisierung zu tun haben.
({5})
Bildung, Wissenschaft und Forschung bilden einen ganz
wesentlichen Bereich in dieser Agenda;
({6})
schlicht und ergreifend auch deswegen, weil wir zur
Kenntnis nehmen, dass Bildung und Forschung auch bei
der Digitalisierung wesentliche Treiber der Innovationen
von morgen sind. Sie sind wirkungsvolle Hebel, um die
Potenziale, die uns die Digitalisierung für Gesellschaft
und Wirtschaft bietet, am Ende auch zu erschließen.
Das heißt, es geht bei dieser Digitalen Agenda um
eine große Bandbreite von Themen wie die Stärkung der
Medienkompetenz, die Digitalisierung der Arbeitswelt
und der Verwaltung bis hin zum Thema IT-Sicherheit.
Dazu werde ich gleich noch etwas sagen.
Das BMBF hat eine ganze Reihe von Schwerpunkten
im Rahmen dieser Digitalen Agenda gesetzt und wird sie
noch setzen. Wir arbeiten an einer Open-Access-Strategie, weil auch in der Wissenschaft der freie Zugang zu
aktuellen Publikationen von essenzieller Bedeutung ist.
Es geht um den digitalen Wandel in der Wissenschaft.
Wir sind einer Empfehlung des Wissenschaftsrates gefolgt und haben einen Rat für Informationsinfrastrukturen - der Begriff ist zugegebenermaßen ziemlich technisch - ins Leben gerufen, der nun eigene Vorschläge
machen wird, wie die Digitalisierung und der digitale
Wandel in der Wissenschaft gestaltet werden können.
Wir werden ein eigenes Programm zur Medizininformatik auf den Weg bringen, um die bestehende Krankenversorgung weiter zu verbessern.
Dies sollen einige wenige Beispiele sein, um zu zeigen, dass an dieser Stelle schon einiges passiert ist und
dass die Fraktionen mit diesem Antrag wichtige Impulse
auch für die weitere Arbeit im Bereich des digitalen Lernens geben.
({7})
Wir haben einen klaren Handlungsauftrag bereits im
Koalitionsvertrag verankert. Der Antrag der Koalitionsfraktionen greift diesen Auftrag aus dem Koalitionsvertrag auf und setzt entsprechende Schwerpunkte. Sie haben ja aufmerksam zugehört. Wie man im Übrigen nach
den Reden des Kollegen Volmering und der Frau Kollegin Esken sagen kann, da kämen keine Vorschläge, kann
jedenfalls ich nicht nachvollziehen. Da ist vieles von
dem aufgegriffen worden, was in der Tat auch Gegenstand unserer Gespräche mit den Ländern sein wird.
({8})
Herr Mutlu, man kann die föderalen Zuständigkeiten
aber nun einmal nicht wegwischen. Ich finde es richtig,
dass wir diese Zuständigkeitsverteilung haben. Der
Bund wird natürlich seiner Verantwortung gerecht werden. Selbstverständlich werden wir Impulse geben und
die Länder motivieren,
({9})
hier zu gemeinsamen Vereinbarungen zu kommen.
({10})
Da brauchen Sie sich gar keine Sorgen zu machen.
({11})
Wir brauchen an dieser Stelle Ihre Nachhilfe nicht.
({12})
Vor allem enthalten Sie uns Ihre Vorschläge immer noch
vor. Sie hätten ja heute Gelegenheit gehabt, dazu etwas
zu sagen.
({13})
Lassen Sie mich noch auf die IT-Sicherheit und auf
das IT-Sicherheitsprogramm eingehen. Den großen
Chancen der Digitalisierung stehen auch Risiken gegenüber. Allein für 2013 werden die wirtschaftlichen Schäden aufgrund von IT-Angriffen weltweit auf 575 Milliarden Dollar geschätzt. Das Problem ist, dass diese
Angriffe nicht nur häufiger werden, sondern auch gefährlicher. Wir müssen leider zu dem Ergebnis kommen,
dass bestehende Sicherheitslösungen immer noch zu
kurz greifen. Das heißt, wir müssen an dieser Stelle langfristig denken. Wir müssen auch in der Forschung eine
neue Qualität von IT-Sicherheit erreichen. Deshalb hat
die Bundesregierung am 11. März das Forschungsrahmenprogramm zur IT-Sicherheit „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt 2015-2020“ beschlossen. Das
Programm wird eine Laufzeit von sechs Jahren haben,
also bis 2020 laufen, und ein Volumen von circa
180 Millionen Euro haben.
Was sind die Ziele dieses Forschungsprogramms?
Letztendlich lassen sich vier übergeordnete Ziele zusammenfassen. Erstens. Wir wollen die innovativen technischen Grundlagen für IT-Sicherheit weiter ausbauen.
Zweitens. Wir wollen Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Staat besser vor illegalen Zugriffen auf die
Daten schützen und damit letztlich auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Bereich der IT-Sicherheit stärken. Wir wollen Bürgerinnen und Bürger in die
Lage versetzen - das ist der dritte Punkt -, ihr Recht auf
informationelle Selbstbestimmung wahrzunehmen und
selbst zu entscheiden, welche Daten über sie erhoben
werden und wie diese Daten genutzt werden sollen und
dürfen. Der vierte Punkt ist: Wir wollen und werden mit
diesem Forschungsrahmenprogramm alle relevanten Aktivitäten innerhalb der Bundesregierung bündeln, fokussieren und gemeinsam nach außen hin darstellen.
Wir haben uns, um diese Ziele zu erreichen, vier Forschungsschwerpunkte gesetzt. Es geht um Hightech für
die IT-Sicherheit, also um die Entwicklung neuer technologischer Ansätze, zum Beispiel auch im Bereich des
autonomen Fahrens. Es geht um sichere und vertrauenswürdige IKT-Systeme. Hier ist der Schwerpunkt bei der
Sicherheit von komplexen Netzwerken und Systemen.
Es geht um IT-Sicherheit in bestimmten Anwendungsfeldern, zum Beispiel beim Schutz kritischer Infrastrukturen. Es geht letztlich um Privatheit und Schutz von Daten für ein digitales Leben, zum Beispiel auch um den
Schutz von sensiblen Gesundheitsdaten.
Das alles sind Themen, die von außerordentlicher
Wichtigkeit sind, wenn es um ein solches Sicherheitsforschungsprogramm geht. Das heißt, das neue Forschungsprogramm wird für die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger, unserer Unternehmen und auch des Staates
einen wichtigen Beitrag leisten. Es soll das Vertrauen der
Bürger in das Internet und in die Sicherheit in einer digitalen Welt, in einem digitalen Zeitalter stärken.
Insofern ist mein Appell: Lassen Sie uns gemeinsam
die Chancen der Digitalisierung nutzen für mehr Bildungsgerechtigkeit, exzellente Wissenschaft und Forschung und für mehr Wohlstand und Beschäftigung in
Deutschland.
({14})
Vielen Dank, Herr Kollege Müller. - Einen schönen
Tag von meiner Seite Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und unseren Gästen auf der Tribüne. - Der
nächste Redner in der Debatte: Harald Petzold für die
Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen!
Nach dieser Rede von Herrn Staatssekretär Müller bin
ich fast schon glücklich darüber, dass die Koalition überhaupt den Mut aufgebracht hat, hier einen solchen Antrag vorzulegen und wenigstens den Eindruck zu erwecken, dass sie mit dieser lahmen Schnecke von
Bundesregierung unzufrieden ist. Die Koalition tut jetzt
zumindest so, als wolle sie signalisieren, dass es ihr
nicht schnell genug geht, nachdem wir schon wieder drei
Jahre verschlafen haben, seitdem die Enquete-Kommission ihren Zwischenbericht vorgelegt hat.
({0})
Ich finde, Herr Staatssekretär Müller, es ist schon einigermaßen
({1})
dreist - sagt gerade meine Kollegin Lötzsch; ich kann
mich dem nur anschließen -, wenn Sie dem Kollegen
Mutlu und der Kollegin Hein vorwerfen, dass sie hier
konkrete Beispiele und Vorschläge schuldig geblieben
sind. Gleichzeitig haben Sie nicht mehr anzubieten als
neue Arbeitskreise, neue Untersuchungen und neue Verhandlungsgruppen, mit denen Sie im Gespräch sein wollen. Wenn Sie das als konkrete Maßnahmen verkaufen
wollen, werden mindestens weitere drei Jahre vergehen,
in denen nichts passiert im Bereich digitaler Bildung, bei
der Medienkompetenz und der Überwindung der digitalen Spaltung der Gesellschaft.
({2})
Wenn ich mir den Inhalt des Antrags anschaue, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, sehe ich, dass es sich mit dem Mut allerdings
auch schon erledigt hat.
({3})
Das ist ein Antrag für die Schrankwand zu Hause. Den
können Sie sich golden einrahmen, über das Bett hängen
und weiterschlafen.
({4})
Sie haben bereits in der Darstellung der Ausgangssituation, mit der wir es zu tun haben, deutlich gemacht,
dass Sie die Dimension des gesellschaftlichen Wandels,
um die es hier geht, nicht einmal ansatzweise verstanden
haben. Denn es geht natürlich nicht nur um Fachkräftemangel und Verwertbarkeit in der Wirtschaft, sondern
auch um Selbstbestimmung, Freiheit, Emanzipation,
Kritikfähigkeit, Urteilsvermögen
({5})
und natürlich auch um das Verhältnis von Wahrheit und
Täuschung in der virtuellen und in der analogen Welt zugleich. Wer das aus den letzten Wochen und den Ereignissen rund um den Stinkefinger und unser Verhältnis zu
Wirklichkeit und Fake nicht gelernt hat, dem kann ich
nur sagen, er soll sich wieder schlafen legen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalition beruft sich in ihrem Antrag auf die Empfehlungen
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Ich kann Sie nur ermutigen: Machen Sie das
aber konsequent! Gestehen Sie sich ein - der Kollege
Mutlu hat es gesagt -: Ohne Überwindung des Kooperationsverbots wird das alles nichts werden. Sie reden hier
von einem Länderstaatsvertrag. Wie lange soll das alles
noch dauern? Ohne die Überwindung der feudalen, Entschuldigung, föderalen Kleinstaaterei im Bildungswesen
({7})
können wir uns bundesweite, gemeinsame, länderübergreifende Programme - und mit welchen Adjektiven Sie
die ganzen Programme noch belegen wollen - abschminken. Ohne die Sicherstellung einer flächendeckenden Breitbandversorgung wird ein Großteil Ihrer
Vorschläge technisch gar nicht funktionieren. Ohne eine
umfassende Netzneutralität sind auch Ihre ganzen wohlklingenden Vorstellungen von der Förderung von freien
Lern- und Lehrmaterialien, Schul-Clouds und dergleichen etwas für die Schrankwand.
({8})
Sie können froh sein, dass meine Redezeit schon zu
Ende ist.
({9})
Ja, daran wollte ich Sie gerade erinnern.
({0})
Frau Präsidentin, ich habe Ihr Signal gesehen. - Ich
sage nur: Die Empfehlungen der Enquete-Kommission
sind es wirklich wert, sie als Richtschnur dafür zu nehmen, welche Maßnahmen umgesetzt werden könnten.
Sie waren schon damals Bundestagsabgeordneter, Herr
Kollege Müller. Sie wissen, dass Sie die Hand gehoben
haben, als es hieß, dass jeder Schüler einen Computer
bekommen soll. Jeder! Das ist der Maßstab. Daran gilt es
anzuknüpfen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Petzold. - Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion Oliver Kaczmarek.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wenn wir als Bildungspolitiker über die Chancen des digitalen Wandels sprechen,
dann tun wir das nicht nur, weil wir einen technologischen Wandel nachvollziehen wollen, sondern auch,
weil wir diesen Wandel gestalten und die großen Potenziale heben wollen, die die digitale Bildung für die Entwicklung des gesamten Bildungswesens bietet. Dazu
möchte ich zwei grundsätzliche Anmerkungen machen
und am Schluss auf die Handlungsoptionen im jetzt
schon bestehenden Rahmen eingehen.
Der Handlungsbedarf liegt im internationalen Vergleich auf der Hand; Herr Kollege Volmering hat schon
die ICILS-Studie, die die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen der Achtklässler erhoben hat, zitiert. Zusammengefasst kann man sagen: schlechte technische Ausstattung, mittlere Leistungen und hohe
soziale Ungleichheit. Das hört sich für jemanden, der
sich mit Schulleistungsstudien beschäftigt, irgendwie bekannt an; das scheint auf ein Strukturproblem hinzuweisen. Die Herausforderung für uns ist, dass wir mit digitaler Bildung insgesamt für mehr Chancengleichheit
sorgen können. Das genau ist die Herausforderung, mit
der wir uns auseinandersetzen müssen.
({0})
Nicht jeder Hinweis, den wir dazu in dieser Debatte
erhalten, ist hilfreich.
({1})
Wer heute ein Buch über digitale Demenz, Verblödung
oder die vermeintlichen Lügen der digitalen Bildung
schreibt, verkauft zwar viele Bücher, liefert aber nicht
nur hilfreiche und sinnvolle Hinweise zur digitalen Bildung.
({2})
Bei allem, was man dazu sagen kann - zum Beispiel,
dass wir natürlich auch die Ergebnisse der Hirnforschung berücksichtigen müssen -, sind die Schlussfolgerungen, nicht selten in den Feuilletons der Zeitungen
vorgetragen, teilweise falsch. Wer empfiehlt, digitale
Medien zumindest im frühkindlichen Bereich und im
Grundschulbereich zu verbannen, der ignoriert, dass der
digitale Alltag bei den Kindern schon längst angekommen ist, und der macht einen Fehler, weil er nämlich insbesondere die Kinder benachteiligt, deren Eltern sie
nicht im Umgang mit digitalen Medien unterstützen können. Das verstärkt die soziale Ungleichheit. Was wir
brauchen, ist genau das Gegenteil. Deswegen dürfen wir
die digitalen Medien nicht aus dem Alltag verbannen.
({3})
Die zweite Herausforderung, von der ich hoffe, dass
sie mit digitaler Bildung bewältigt werden kann: Laptop
und Beamer machen noch keinen guten Unterricht. Das
gilt im Übrigen nicht nur für Schulen, sondern auch für
Hochschulen, und da vielleicht sogar im Besonderen.
Digitale Bildung, so wie wir sie verstehen müssen, bricht
an einigen Stellen mit der Lernkultur, wie wir sie teilweise in unserem Bildungswesen in Deutschland vorfinden. Dabei ist, glaube ich, kooperatives Lernen die große
Chance digitaler Bildung. Kooperatives Lernen meint:
projektbezogen lernen, lösungsorientiert lernen, interdisziplinär lernen, teamorientiert lernen; das sind die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Wenn
Schule, Hochschule, alle Bildungseinrichtungen so bleiben, wie sie sind, nur mit Computern, dann ist digitale
Bildung gescheitert. Wir wollen, dass wir die große
Chance der Modernisierung - auch der Lernkultur - mit
digitalen Medien nutzen können.
({4})
Da komme ich wieder zurück auf die ICILS-Studie,
weil sie auch Handlungsempfehlungen mitgibt, von denen ich glaube, dass sie zum Teil auch im bestehenden
Rahmen schon sinnvoll mit angegangen werden können.
Ich hoffe, dass wir in der Ausschussdebatte da über das
eine oder andere vielleicht noch einmal konkret informiert werden und auch konkrete Verbesserungen vorschlagen können. Ich will vier Punkte herausgreifen.
Der erste: Es geht um die Förderung professioneller
Kompetenzen von Lehrpersonen; das ist hier mehrfach
angesprochen worden. Vielleicht sollte man an dieser
Stelle aber auch sagen, dass es - bei aller Kritik an diesem systemischen Fehler - natürlich auch darum geht,
den Lehrerinnen und Lehrern, den Hochschullehrerinnen
und -lehrern einmal Wertschätzung entgegenzubringen,
die sich trotz widriger Umstände schon auf den Weg gemacht haben und versuchen, mit digitalen Medien im
Unterricht sinnvoll zu arbeiten. Das gehört eben auch
dazu: diese Wertschätzung an dieser Stelle aufzubringen.
({5})
Ich will auch das Stichwort „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ nennen, nicht weil ich der Meinung bin, dass
die alle Strukturprobleme im Bildungswesen lösen kann,
aber ich mir schon erhoffe, dass wir Projekte und Best
Practice für die Integration von digitaler Bildung in den
Unterricht identifizieren können.
Zweite Herausforderung, die die Autoren der Studie
benennen: Verbesserung der technischen Ausstattung in
Schulen. Da muss ich schon sagen: Ich bin ein bisschen
irritiert, dass die Redner der Opposition sich hierhinstellen und behaupten, die Bundesregierung würde ja überhaupt kein Geld in die Hand nehmen. Wir werden im
Rahmen des Investitionsprogramms einen höheren Betrag - ich glaube, um die 4 Milliarden Euro - im Geschäftsbereich des Verkehrsministers zur Verfügung stellen, um den Breitbandausbau voranzubringen.
({6})
Darüber hinaus haben wir ein Sondervermögen gebildet
- bis 2018, mit 3,5 Milliarden Euro -, mit dem strukturschwache Kommunen insbesondere in Infrastruktur und
Bildung investieren können. Jetzt will ich hier nicht Ratschläge geben, wie sie die Gelder zu verteilen haben - da
werden sowieso viel zu viele Ratschläge gegeben -, aber
doch der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass Schulen
mit leistungsfähigen Internetanschlüssen und intelligenten Schul-Cloud-Lösungen dann auch davon profitieren.
({7})
Ich will ganz kurz nur sagen: Was die Vertiefung der
wissenschaftlichen Forschung angeht, müssen wir einmal darüber reden, ob das im Rahmenprogramm „Empirische Bildungsforschung“ eine Rolle spielen kann. Die
Aufnahme der digitalen Bildung in die Bildungsberichterstattung ist sicherlich ein Punkt, den wir im Ausschuss
diskutieren können.
Frau Präsidentin, ich komme dann auch zum Schluss.
Ich glaube, dass es sinnvoll ist, sich darüber zu verständigen, dass es ganz grundsätzliche Potenziale gibt, die
Kraft entfalten können zur Modernisierung unseres Bildungswesens, die Schule und Unterricht verändern und
mehr Chancengleichheit herstellen können. Wenn wir
das schaffen, dann bleibt es nicht nur bei einem technologischen Wandel, und das sollte unser Ziel sein.
({8})
Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege. - Nächste
Rednerin in der Debatte: Tabea Rößner für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Der beste Jugendmedienschutz ist eine gut ausgebildete Medienkompetenz.“
({0})
Ich hätte nie gedacht, dass ich der Großen Koalition im
Neuland Internet einmal ein „+ 1“ aussprechen würde.
Bei Ihrer bisherigen Tatenlosigkeit im Bereich Medienkompetenz ist es aber nicht verwunderlich, dass Sie sich
auf grüne Positionen beziehen, um endlich vorwärtszukommen; allerdings endet hier meine Zustimmung dann
auch.
({1})
Mich stört an Ihrem Antrag etwas ganz Grundsätzliches: Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie die
Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen in
Deutschland vor allem fördern wollen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, und nicht, um sie zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, zu mündigen Menschen
in einer digitalen Gesellschaft zu machen.
({2})
Medienkompetent und mündig bedeutet aber auch: kritisch gegenüber der Medienberichterstattung in Sendungen wie Günter Jauch, kritisch gegenüber Fakes und
Nicht-Fakes im Internet und kritisch gegenüber einer andauernden grundrechtswidrigen Totalüberwachung unserer Kommunikation; das sollte bei einer Debatte über
Medienkompetenz nicht unerwähnt bleiben.
({3})
Natürlich ist der Fachkräftemangel ein Problem. Er
darf aber nicht alleiniger Antrieb für Veränderungen
sein. Sie müssen die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Die Forderung nach einem Pflichtfach Programmieren, wie von Bundeswirtschaftsminister Gabriel geäußert, muss man wohl auch in diesem ökonomischen
Zusammenhang betrachten. Lassen Sie uns das Szenario
einmal durchspielen: Von wem soll eine Achtjährige, die
morgen in die Grundschule geht, was lernen? Viele
Lehrkräfte sind doch heute gar nicht in der Lage, selbst
medienkompetent zu handeln oder Medienkompetenz zu
vermitteln, geschweige denn die vorhandene Kompetenz
der Schülerinnen und Schüler sinnvoll in den Unterricht
zu integrieren. Das war und ist größtenteils nicht Teil ihrer Ausbildung. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die
sich selbst weiterbilden, nehme ich hier ausdrücklich
aus.
Mit anderen Worten: Wir - Herr Gabriel ist heute ja
leider nicht da - müssen uns, egal ob bei fächerübergreifender Medienkompetenz oder beim Schulfach Informatik, zuallererst über die Lehrerausbildung unterhalten.
({4})
Das aber ist Ländersache.
Kommen wir deshalb zurück zum Kompetenzbereich
des Bundes. Das hat nämlich den Vorteil, dass Sie die
Maßnahmen dann auch umsetzen können. Eine stärkere
Förderung der Medienbildung im außerschulischen Bereich wäre ein Leichtes für die Bundesregierung. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran: Die Schule war vermutlich nicht der einzige Ort, an dem Sie in Ihrer Jugend
etwas gelernt haben. Gerade außerschulische Lernorte
sind für die Identität und die Bildung junger Menschen
wichtiger denn je. In diesem Sinne würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung zuerst ihre eigenen
Hausaufgaben macht.
({5})
Was ist zum Beispiel mit der Medienbildung von Erwerbstätigen oder Seniorinnen und Senioren? Sie wollen
„die digitale Spaltung der Gesellschaft“ verhindern. Allerdings findet sich zum lebenslangen Lernen nicht eine
einzige Maßnahme in Ihrem Antrag. Das finde ich fatal;
denn die digitale Spaltung verläuft eindeutig zwischen
den Generationen. Darauf hat die Kollegin Esken ja
schon hingewiesen.
({6})
Es ist also die Aufgabe der Bundesregierung, den Bürgerinnen und Bürgern, den Erwerbstätigen, den Seniorinnen und Senioren, den Menschen Angebote zu machen,
um in der digitalen Welt zurechtzukommen.
Erlauben Sie mir zuletzt noch eine Randbemerkung:
Die Forderung, Kitas, allgemeinbildende Schulen und
Berufsschulen an das Breitbandnetz anzuschließen, ist ja
schön, aber angesichts der Tatsachen doch eher eine
Luftnummer. Wenn ich an den bisherigen Stand des
Breitbandausbaus denke, dann komme ich nicht umhin,
mich zu fragen, wie die Bundesregierung diese wohlfeile
Forderung denn umsetzen möchte. Uns wundert diese
Forderung auch deshalb, weil Sie doch gerade in Ihrer
Antwort auf unsere Kleine Anfrage sagen, das Programm „Schulen ans Netz“ sei erfolgreich abgeschlossen.
Ihre Redezeit auch.
Vielen Dank.
({0})
Danke, Frau Kollegin. - Nächster Redner ist Thomas
Jarzombek für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Tageszeitung Die Welt hat vor wenigen
Tagen eine Theorie aufgestellt, nämlich dass Google
ohne „Jugend forscht“ nicht erfunden worden wäre. Man
hat als Beleg für diese These angeführt, dass der junge
Andreas von Bechtolsheim mit 18 Jahren den Bundeswettbewerb „Jugend forscht“ gewonnen hat und, wie der
eine oder andere weiß, später einer der ersten Investoren
bei Google gewesen ist, eine Firma gegründet hat, Sun
Microsystems, die unter anderem die Programmiersprache Java entwickelt hat und, glaube ich, ein schweres
Fundament des Internets ist.
Der junge Andreas von Bechtolsheim aus Bayern,
Deutschland, der mit 18 Jahren bei „Jugend forscht“ gewonnen hat, beginnt danach an der TU München zu studieren. Man kann es an verschiedenen Stellen nachlesen:
Er war frustriert, weil es dort keine Computer für den jungen, computerbegeisterten Andreas von Bechtolsheim
gegeben hat. Schon kurze Zeit später ging er nach
Pittsburgh, dann nach Stanford. Er ist nie wieder nach
Deutschland zurückgekehrt.
Ich hatte vor zwei Jahren die Gelegenheit, ihn persönlich zu treffen. Ich habe ihn gefragt, was wir als Deutsche eigentlich tun können, damit Deutschland wieder
zum Gründerstandort wird und beim Internet aufholt.
Seine Antwort war sehr resignativ. Ich freue mich, dass
heute schon so oft von der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ und von der Projektgruppe
Medienkompetenz gesprochen wurde, die ich damals
vor fünf Jahren geleitet habe. Dort haben Kollegin
Rößner und auch einige andere aus diesem Saal mitgearbeitet. Man muss sich hier die Frage stellen: Was ist aus
all diesen guten Dingen, die wir hier vor fünf Jahren gemeinsam auf die Schiene gebracht haben, eigentlich geworden?
({0})
- Freut euch mal nicht zu früh, Herr Mutlu.
Die Studie ICILS kommt zu dem Ergebnis, dass in
Deutschland - das ist ein bitteres Ergebnis - elf Schüler
auf einen Computer kommen, dass Chile und Thailand
hier vor uns liegen, dass die Lehrerausbildung im Bereich IT Zufall ist und dass es auf diesem Gebiet seit
2006 eigentlich kaum noch eine Entwicklung gibt. Jetzt
muss man sich die Frage stellen, was in den Ländern eigentlich passiert ist.
Lieber Herr Mutlu, ihr Grünen seid Schnacker, wenn
ich das mal so sagen darf.
({1})
Hier werden schlaue Reden gehalten. Frau Rößner, Sie
kommen aus Rheinland-Pfalz und müssten doch einmal
zu Ihrer Ministerpräsidentin gehen und sagen: Mach
doch mal etwas! - Hannelore Kraft hat in NordrheinWestfalen von Megahertz, Megabits und Mega-Irgendwas gesprochen.
({2})
Ich habe keinen einzigen Beitrag in NRW gesehen, wie
man an dieses Thema herangehen will.
Wir haben hier doch gemeinsam gesagt: Wir wollen
ein Tablet oder ein Laptop für jeden Schüler. - Wo ist die
entsprechende Initiative in den Ländern? Man kann sagen: Bring your own device! Die Geräte, die die Schüler
schon besitzen, sollen also mitgebracht werden, und daneben sorgen wir für einen Ausgleichsmechanismus für
diejenigen, die sich ein solches Gerät nicht leisten können. Ich sehe in diesen Ländern keine entsprechende Initiative.
In unserem Antrag wird richtigerweise auch auf das
Programmieren eingegangen. Das Programmieren nach
der Grundschule ist eine sehr wichtige Kompetenz.
Diese könnte man doch einmal zum Schwerpunkt machen.
Zum Thema Lehrerausbildung. Ich finde es einen
Skandal, dass in der heutigen Lehrerausbildung immer
noch nicht gelernt wird, wie man mit der IT umgeht.
Auch die neuen digitalen Medien - das hat die Kollegin Esken sehr richtig gesagt -, die Open Educational
Resources und das digitale Lernen sind ganz wichtig. In
Deutschland hat man immer den Eindruck, dass das Lernen trocken sein und Schmerzen bereiten muss.
({3})
Das darf auf keinen Fall Spaß machen, sonst ist das
Spielerei. Schauen Sie sich einmal an, wie viele Kinder
vor einigen Jahren bei „Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging“ mit totaler Begeisterung Rechenaufgaben gelöst
haben. Man kann offenbar auf spielerische Weise auch
diejenigen erreichen, deren Eltern sie nicht zum Bildungserfolg antreiben.
Wir haben gestern Abend mit unserer Arbeitsgruppe
ein spannendes Start-up-Unternehmen getroffen, nämlich sofatutor. Es wurde hier in Berlin gegründet und hat
mittlerweile über 200 Mitarbeiter. Sie machen Lernvideos für Schüler und veröffentlichen sie im Internet.
Das ist wirklich eine tolle Sache. 90 000 Schüler haben
dies abonniert. Momentan brauchen sie Wachstumskapital, aber sie finden hier niemanden, der sie finanziert.
Jetzt haben sie Angebote aus den USA. Mit diesen Angeboten ist aber verbunden, dass sie dann auch in die
USA gehen müssen. Hier sind also wichtige Weichenstellungen nötig, um ein Unternehmen wie sofatutor in
Deutschland, in Berlin, zu halten und die entsprechenden
Projekte mit unseren Lernplänen zu verbinden.
Damit komme ich zu meinem letzten Punkt, nämlich
der Lust zum Gründen. Auch das ist ein extrem wichtiges Thema. Ich bin stolz und froh, dass in Deutschland
so viele junge Menschen davon träumen, eine Karriere
im öffentlichen Dienst zu machen.
({4})
Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass unsere öffentliche Verwaltung so viel leistungsfähiger ist
als in manch anderen Ländern. Ich will hier Griechenland gar nicht exemplarisch benennen. Ich würde es mir
aber schon wünschen, dass sich der eine oder andere
auch dafür entscheidet, zu gründen.
Es gibt eine junge Dame, Martina Neef, die hier ganz
tolle Projekte mit Schülern durchführt. In den Projektwochen wird gezeigt, wie man ein Unternehmen gründet, um Lust auf Unternehmensgründungen zu machen.
Das geht nur mit Gründern zusammen. Ich glaube, hier
müssen wir noch mehr machen.
Vieles aus diesem Antrag führt genau dorthin. Deshalb bin ich Sven Volmering sehr dankbar, dass er diesen
Antrag in den letzten Monaten mit so viel Energie nach
vorne getrieben hat
({5})
und sich nicht dadurch frustrieren lässt, dass wir hier
viele gute Projekte und viele gute Fördermittel auf den
Weg bringen, während in den Ländern - zumindest in einigen - am Ende nur sehr wenig passiert. Dort muss
mehr stattfinden.
Die Länder bilden jetzt allen Ernstes einen Bund-Länder-Arbeitskreis zu der Frage, ob die Landesmedienanstalten bei Google hineinregulieren können, wenn es
um die Ergebnisreihenfolge bei manchen Themen geht.
Ich glaube, wenn das die zentrale Problemstellung der
Länder ist, dann haben sie noch nicht begriffen, was die
Herausforderung des digitalen Wandels ist.
({6})
Ich freue mich über unsere Initiative.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege. Also, an meiner Schule,
übrigens in Bayern, ging es anders zu als bei Ihnen. Ich
hoffe, Sie überwinden Ihr Trauma.
({0})
Nächster Redner ist Dr. Jens Zimmermann für die
SPD.
({1})
Frau Präsidentin! Auch ich könnte ein paar Schulgeschichten beisteuern, will das aber lassen.
({0})
- Ich bin nicht traumatisiert, obwohl ich in Hessen zur
Schule gegangen bin.
({1})
Wir hatten eine schöne Schule mit viel zu wenigen Computern - wenn ich das einmal sagen darf.
Aber wir behandeln heute nicht nur das Thema digitale Bildung, sondern auch die Unterrichtung durch die
Bundesregierung zum Forschungsrahmenprogramm zur
IT-Sicherheit. Leider habe ich von den Rednern der Oppositionsfraktionen zum Thema IT-Sicherheit überhaupt
nichts gehört.
({2})
Dabei ist das mindestens genauso wichtig wie die Bildung. Das geht ineinander über.
Die Bundesregierung legt im Rahmen der neuen
Hightech-Strategie ein Maßnahmenprogramm vor. Die
Digitalisierung und die Nutzung der IT-Infrastruktur in
allen Bereichen - das haben wir heute schon mehrfach
gehört - schreiten mit großer Geschwindigkeit voran.
Ich denke, es ist auch wichtig, nicht den Eindruck zu erwecken, als sei das etwas, was irgendwann in der Zukunft kommt. Wir sind mittendrin. Ich bin gerade vom
NSA-Untersuchungsausschuss hierhergekommen und
sage Ihnen: Wir sollten wirklich nicht immer so tun, als
würde uns das erst irgendwann in der Zukunft betreffen.
Das betrifft uns schon heute.
({3})
Umso besser ist es, dass die Bundesregierung mit der
Aufstellung des Forschungsrahmenprogramms zur ITSicherheit unter der Überschrift: „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt 2015-2020“ diese Aktivitäten
erweitert. Im vergangenen Jahr haben wir das Konzept
zur digitalen Agenda verabschiedet. Das Forschungsrahmenprogramm greift hier nun wichtige Aspekte heraus
und setzt die richtigen Schwerpunkte.
IT-Sicherheit ist kein Spartenthema. Es betrifft mindestens drei Bereiche. Als Gesetzgeber sind wir gefordert, Schäden für die Bürgerinnen und Bürger und für
die Unternehmen zu verhindern. Wir sind gefordert, Unternehmen und die kritische Infrastruktur vor Cyberattacken zu schützen, und wir sind im Interesse jedes Einzelnen und jeder Einzelnen sowie der Unternehmen
gefordert, die Ausspähung durch ausländische Geheimdienste zu verhindern.
Gerade gestern haben wir im Ausschuss Digitale
Agenda den Jahresbericht des BSI über die sicherheitsrelevanten Vorfälle in der IT diskutiert. Die aktuellen
Zahlen und Anlässe zeigen, dass wir in Deutschland
und international in diesem Bereich eine zunehmende
Gefährdungslage haben. Einige werden es mitbekommen haben: Auch unser Hohes Haus, der Deutsche Bundestag mit seiner Internetadresse www.bundestag.de,
und die Seite www.bundeskanzlerin.de sind in diesem
Jahr Opfer von Attacken geworden. Das ist kein Einzelfall. Das trifft viele Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen jeden Tag.
180 Millionen Euro werden an dieser Stelle in den
kommenden Jahren zur Verfügung gestellt. Das ist wichtig. Ich denke, da kann man in Zukunft möglicherweise
noch ein bisschen draufsatteln. Aber es ist eben auch vom
Kollegen angesprochen worden: Wir müssen dafür sorgen, dass junge Unternehmen Möglichkeiten haben, Lösungen im Bereich IT-Sicherheit auf den Markt zu bringen. An dieser Stelle wird auch klar, warum es so etwas
wie das Kleinanlegerschutzgesetz geben muss, das wir
noch beraten und mit dem wir dafür sorgen, dass Crowdfunding, mit dem junge Unternehmen in diesem Bereich
gefördert werden, weiterhin möglich ist. Auch werden wir
nicht nur für die Grundlagenforschung sorgen, sondern
am Ende vor allem auch für Anwendungsmöglichkeiten.
({4})
Ich komme zum Schluss. Es bleibt festzuhalten: ITSicherheit muss künftig bei allen technischen Innovationen und Entwicklungen immer mitgedacht werden. Die
Einbindung sicherer verschlüsselter Verfahren und der
Ausbau unserer nationalen Kompetenzen sowie die europäische Forschungszusammenarbeit müssen gestärkt
werden.
Als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen wir es, dass
Hochschulen, Forschungsinstitute und Unternehmen auf
dem Weg zur sicheren IT-Infrastruktur unterstützt werden. Das Rahmenprogramm sendet an dieser Stelle den
richtigen Impuls. Ich will auch sagen: Allen Unkenrufen
zum Trotz ist die digitale Agenda auf einem guten Weg.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. - Der letzte
Redner in dieser Debatte ist Dr. Wolfgang Stefinger von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Vielen Dank für Ihren Hinweis, dass Sie sehr positive Erfahrungen mit dem bayerischen Schulsystem gemacht haben. Das ist wieder einmal ein Beleg dafür, wie gut wir sind. Sehr schön! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durchschnittlich drei Stunden am Tag nutzt jeder Deutsche das Internet. Wir kommunizieren beruflich und privat in digitalen
Räumen. Wir versenden Nachrichten. Wir chatten und telefonieren. Wir kaufen online ein, nutzen Onlinebanking,
buchen online unseren Urlaub. Wir nutzen Onlinenetzwerke, um mit Freunden weltweit in Kontakt zu bleiben.
Wir wollen überall und möglichst vom Smartphone, Tablet-PC oder Laptop auf unsere Daten zugreifen können,
von zu Hause, am Arbeitsplatz, von unterwegs. Wir sind
auf dem Weg ins Zeitalter von selbstfahrenden Autos,
Telemedizin, Smart Home, Industrie 4.0 und des Internets der Dinge. Das Internet ist aus unserem Leben nicht
mehr wegzudenken. Fast jeder nutzt es. Es ist für die
meisten selbstverständlich geworden.
Die digitale Welt bietet ungeahnte Möglichkeiten,
viele Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft, für Wissenschaft und Forschung, für die Medizin. Informationsund Kommunikationstechnologien durchdringen alle
Bereiche unserer Gesellschaft. Ohne sie gäbe es keine
funktionierenden Krankenhäuser, keine Strom- und Wasserversorgung, kein Bankensystem, keine wettbewerbsfähige Industrie.
Die Digitalisierung stellt uns aber auch vor große Herausforderungen. Regelmäßig erreichen uns Berichte
über IT-Sicherheitslücken, Cyberspionage oder HackerDr. Wolfgang Stefinger
angriffe. Im Jahr 2013 wurden von mindestens 800 Millionen Menschen weltweit persönliche Daten gestohlen.
Auch die wirtschaftlichen Schäden sind immens. Mit am
stärksten betroffen ist Deutschland - ein aufgrund seiner
Wirtschafts- und Innovationskraft besonders begehrtes
Angriffsziel.
Aus diesen Gründen ist es extrem wichtig, dass wir
uns auf eine sichere Informations- und Kommunikationstechnologie verlassen können. Unser Forschungsrahmenprogramm setzt genau an diesen Stellen an.
({0})
Mit diesem wegweisenden Programm werden die bisherigen und zukünftigen Förderaktivitäten im Bereich der
IT-Sicherheitsforschung ressortübergreifend gebündelt
und wird die Sichtbarkeit der umfangreichen Aktivitäten
der Bundesregierung deutlich erhöht.
Das halte ich persönlich für sehr wichtig; denn das
Thema IT-Sicherheit ist seit langem auf der Agenda, und
auch die bisherigen Erfolge können sich durchaus sehen
lassen.
({1})
Sie beweisen nämlich einmal mehr: Deutschland kann
das. Deutschland kann Forschung und Entwicklung
nicht nur in der Industrie und der Medizin, sondern auch
im Digitalen. Wir sind und bleiben die Nation der Denker und Erfinder. Vielen Dank an dieser Stelle an unsere
Wissenschaftler!
Wir können IT-Sicherheit. Wir haben hervorragende
Forschungseinrichtungen und innovative Unternehmen.
Das zeigen auch der letztjährige Erfolg und die Auszeichnung der vom Bildungs- und Forschungsministerium geförderten Kompetenzzentren auf dem Gebiet der
IT-Sicherheit. Wir ruhen uns auf dem, was wir erreicht
haben, aber nicht aus; denn die Innovationsgeschwindigkeit im IT-Bereich ist immens, und auch Hacker und Cyberkriminelle gehen immer professioneller vor.
Mit unserem Forschungsrahmenprogramm setzen wir
inhaltliche Schwerpunkte in dem Bereich „Hightech für
die IT-Sicherheit“. Wir bauen weiter an sicheren und
vertrauenswürdigen Informations- und Kommunikationssystemen. Wir erforschen weiterhin die IT-Sicherheit für wichtige Anwendungsfelder, etwa Industrie 4.0,
Medizin, Logistik und kritische Infrastrukturen, und wir
schützen auch die Privatheit der Daten.
Wir werden Forschungseinrichtungen stärker fördern
und vernetzen, kleine und mittelständische Unternehmen
besser unterstützen und die europäische und internationale Kooperation ausbauen. Daneben fördern wir den
wissenschaftlichen Nachwuchs.
({2})
Das Programm mit der Laufzeit von 2015 bis 2020 ist
als offenes Programm angelegt. Das heißt, innerhalb der
Laufzeit wird es einer Prüfung unterzogen und bei Bedarf inhaltlich aktualisiert oder ergänzt und finanziell angepasst. Wir wollen, dass unsere Bürger und unsere Wirtschaft die vielfältigen Chancen der Digitalisierung nutzen.
Hierfür sind Vertrauen und Akzeptanz eine wichtige Voraussetzung, Vertrauen darauf, dass die Daten auch im
Netz sicher sind.
Ich sage aber auch: Wer seine Daten leichtfertig preisgibt und keine Schutzsoftware nutzt, kann nicht erwarten, dass sich der Staat darum kümmert. Es geht auch um
ein Stück Eigenverantwortung. Hierfür haben wir heute
zum einen den Antrag bezüglich der Medienkompetenz
auf den Weg gebracht. Zum anderen fördern wir mit dem
Forschungsrahmenprogramm auch anwendungsfreundliche Sicherheitsprogramme. Wir sind also auf dem richtigen Weg - auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung und
Sicherheit in der digitalen Welt. Das sind zwei Dinge,
die für uns zusammengehören.
Wir investieren 180 Millionen Euro - das ist nur der
Betrag, den das Forschungsministerium zur Verfügung
stellt - in unsere Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit.
({3})
Das alles, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist
eine gute Investition in Deutschlands Zukunft.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Stefinger. - Damit
schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/4422 und 18/4304 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. -
Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei
der Vollstreckung von freiheitsentziehenden
Sanktionen und bei der Überwachung von
Bewährungsmaßnahmen
Drucksache 18/4347
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Innenausschuss
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Das Europäische Semester stärken, besser
umsetzen und weiterentwickeln
Drucksache 18/4426
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Claudia Roth
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Luise Amtsberg, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen stärken
Drucksache 18/4430
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Tourismus
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. - Sie sind einverstanden. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 j sowie
die Zusatzpunkte 2 a bis 2 f auf. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 27 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Anhänge F und G zum Übereinkommen vom
9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr ({3})
Drucksache 18/4049
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({4})
Drucksache 18/4408
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4408, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4049 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig - bei Zustimmung aller Fraktionen angenommen.
({5})
Tagesordnungspunkt 27 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Gesetzes und des
Betäubungsmittelgesetzes
Drucksache 18/4278
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft
({6})
Drucksache 18/4446
Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4446, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4278 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung - bei Zustimmung von CDU/CSU,
SPD und Linke und bei Gegenstimmen von den Grünen - angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist - bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und
der Linken sowie bei Gegenstimmen von den Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes
Drucksache 18/4281
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({7})
Drucksache 18/4452
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4452, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4281 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung - bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen;
dagegen war die Linke - angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben.
- Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/
Die Grünen; dagegen ist die Linke.
Tagesordnungspunkt 27 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften
Drucksache 18/4202
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({8})
Drucksache 18/4453
Vizepräsidentin Claudia Roth
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4453, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4202 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die
Grünen; dagegen ist die Linke.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben.
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand.
Der Gesetzentwurf ist angenommen: Zustimmung CDU/
CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei der Gegenstimme von den Linken.
Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 27 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 164 zu Petitionen
Drucksache 18/4339
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 164 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 165 zu Petitionen
Drucksache 18/4340
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 165 ist angenommen bei
Zustimmung von CDU/CSU, SPD, Gegenstimmen der
Linken und Enthaltungen von Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 27 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 166 zu Petitionen
Drucksache 18/4341
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 166 ist einstimmig von allen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 167 zu Petitionen
Drucksache 18/4342
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Nein. Sammelübersicht 167 ist angenommen
bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken und
Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt 27 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 168 zu Petitionen
Drucksache 18/4343
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 168 ist angenommen: Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen, Enthaltungen der Linken.
Tagesordnungspunkt 27 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 169 zu Petitionen
Drucksache 18/4344
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 169 ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Gegenstimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken.
Zusatzpunkt 2 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 170 zu Petitionen
Drucksache 18/4440
Ich kann Ihnen leider nicht sagen, worum es da geht;
das würde sonst zu lange dauern. Aber es dauert auch so
noch eine Weile.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 170 ist damit einstimmig von allen Fraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 2 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 171 zu Petitionen
Drucksache 18/4441
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 171 ist angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Gegenstimmen der Linken,
Enthaltungen bei Bündnis 90/Die Grünen.
Zusatzpunkt 2 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 172 zu Petitionen
Drucksache 18/4442
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 172 ist von allen Fraktionen einstimmig angenommen.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 173 zu Petitionen
Drucksache 18/4443
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 173 ist angenommen bei
Zustimmung CDU/CSU, SPD und Linken und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen.
Zusatzpunkt 2 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 174 zu Petitionen
Drucksache 18/4444
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 174 ist angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen,
Gegenstimmen von den Linken.
Zusatzpunkt 2 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 175 zu Petitionen
Drucksache 18/4445
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 175 ist angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Gegenstimmen von den
Linken und Bündnis 90/Die Grünen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen des Bundeswirtschaftsministers zur
Reduzierung des CO2-Ausstoßes bei Kohlekraftwerken und zur Förderung der KraftWärme-Kopplung
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der Debatte ist Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir die Klimaschutzziele 2020 erreichen wollen,
dann muss eines klar sein: Der Kraftwerkssektor, der
Stromerzeugungssektor darf dann nur noch maximal
290 Millionen Tonnen CO2 emittieren. Um das zu erreichen, brauchen wir vor allen Dingen drei Dinge: den
Ausbau der erneuerbaren Energien, die Abschaltung von
alten Kohlekraftwerken und den Ausbau der KraftWärme-Kopplung.
({0})
Ich habe bisher gedacht, in diesem Hause gebe es einen Konsens, dass wir bis 2020 einen Anteil der KraftWärme-Kopplung an der Stromerzeugung von 25 Prozent anstreben. Das habe ich jedenfalls in den Debatten
immer so wahrgenommen.
({1})
Jetzt schaue ich in das Papier des BMWi und finde
dort etwas, was mich an die Taschenspielertricks von
Herrn Dobrindt erinnert. Das 25-Prozent-Ziel ist zwar
immer noch da, aber es bezieht sich nicht mehr auf die
gesamte Stromerzeugung, sondern nur noch auf die thermische Stromerzeugung, und wir landen netto bei einem
Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung von 17 Prozent. Das
heißt nichts anderes, als dass wir den Status quo festschreiben. Man muss einfach feststellen: Wenn dieses in
dem Papier beschriebene Ziel so umgesetzt wird, dann
wird der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung nicht mehr
stattfinden. Damit schlägt die Bundesregierung eine weitere Säule der Energiewende weg. Hier war bisher ein
Konsens. Ich hoffe, dass dieses Papier nicht durch dieses
Parlament geht, sondern dass wir hier andere Akzente
setzen und die Kraft-Wärme-Kopplung weiter ausbauen.
({2})
Dann muss man über Kohlekraftwerke reden - keine
Frage. Wenn wir das Klimaschutzziel erreichen wollen,
müssen alte Kohlekraftwerke vom Markt. Da beißt die
Maus keinen Faden ab. Das ist nicht nur eine Frage des
Klimaschutzes; denn mir kann keiner erklären, warum in
Deutschland hochmoderne Kraft-Wärme-KopplungsAnlagen und hochmoderne Gaskraftwerke stillstehen,
die Betreiber sogar überlegen, die Anlagen zu demontieren, und gleichzeitig Kohlekraftwerke boomen. Da muss
die Politik handeln. Da kommen wir nicht drum herum.
Das ist sonnenklar.
({3})
Jetzt hat Sigmar Gabriel einen Vorschlag gemacht.
Man wird ja bescheiden in Zeiten der Großen Koalition.
({4})
Wenn es überhaupt schon einmal einen Vorschlag gibt,
der über Eckpunktepapiere und allgemeine Bekundungen hinausgeht, dann ist das schon mal etwas Positives.
({5})
Das ist gut, und deshalb kann man an dieser Stelle auch
einmal ein lobendes Wort an den Bundeswirtschaftsminister richten.
({6})
- Er freut sich, dass er das noch erleben darf. - Ich sage
aber, Herr Gabriel: Wenn man sich den Vorschlag genau
anguckt, dann wird man feststellen: Er hat bestenfalls
homöopathische Wirkung.
({7})
Damit werden wir es nicht erreichen, in relevantem Umfang Kohlekraftwerke abzuschalten.
Jetzt könnte ich mich ja freuen: Wir führen eine Instrumentendebatte. Wir Grünen schlagen was vor.
({8})
Die Umweltverbände schlagen was vor. Andere schlagen was vor.
({9})
Genau das findet aber wieder nicht statt. Wir erleben
wieder das energiepolitische Verhinderungsdreieck:
Fuchs, Pfeiffer, Bareiß. Die stellen jedes Instrument infrage.
({10})
Die wollen überhaupt nichts. Die stellen es am Ende
überhaupt infrage, dass man im Bereich der Kohlekraftwerke etwas machen muss. Ich sage Ihnen: Wenn Sie an
dieser Stelle ehrlich wären, dann hätten Sie im Dezember dem Klimaaktionsprogramm der Bundesregierung
nicht zustimmen dürfen. Wenn das, was ich in Interviews und Statements in den letzten Tagen gehört habe,
ehrlich gemeint ist, dann müssen Sie sagen: Wir treten
das Klimaschutzziel in die Tonne. - Das wiederum
trauen Sie sich nicht, sondern Sie versuchen nur, tatsächliche Maßnahmen zu verhindern.
({11})
Meine Damen und Herren, man muss bei dem Thema
auch etwas über Energiekonzerne sagen. Ich erlebe ein
RWE, das plötzlich den Untergang von 70 000 Arbeitsplätzen in der Braunkohleindustrie herbeiredet.
({12})
RWE hat nicht einmal mehr 10 000 Arbeitsplätze in
Nordrhein-Westfalen. Wie kann ein Konzern dann so unverantwortlich sein und hier ein Bild malen, als ginge
ein Industriestandort unter? Das, meine Damen und Herren, ist absurd. Wenn Arbeitsplätze bei RWE gefährdet
sind, dann hat das eine Ursache, nämlich dass jahrelang
die Zukunft verschlafen worden ist, dass das Geld verzockt worden ist, dass man die Zukunftsperspektive
nicht erkannt hat und dass man die Zukunftschancen verpasst hat. Das hat nichts mit der Abschaltung alter Kohlekraftwerke zu tun.
({13})
Da bin ich, ehrlich gesagt, entsetzt. Da lesen wir von
einem Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen. Er
schreibt jetzt Briefe. Der Mann, Großpopulist der NRWCDU mit hochflexiblen Grundsätzen, wird jetzt zum
neuen Braunkohle-Ajatollah
({14})
und sagt: NRW geht unter, wenn da nicht gehandelt
wird, wenn es so kommt, dass alte Kohlekraftwerke abgeschaltet werden.
({15})
Liebe Sozialdemokraten, bevor Sie an dieser Stelle lachen: Ich sage ganz ehrlich: Das, was ich von Hannelore
Kraft zu dem Thema gehört habe, steht dem in der Sache
um nichts nach, ist vielleicht in der Wortwahl nicht ganz
so drall.
Ich finde das unverantwortlich. Wir sind in Nordrhein-Westfalen eigentlich weiter - nach zwei Koalitionsverträgen, nach etlichen Regierungsentscheidungen -, nämlich so weit, dass klar ist: Wir brauchen den
Strukturwandel in der Braunkohle. Der wird kommen,
meine Damen und Herren. Je früher man sich darauf einstellt, desto besser ist es, desto besser kann man die Folgen bewältigen. Das ist die Herausforderung.
({16})
Herr Kollege.
Letzter Satz, Frau Präsidentin. - Ich warne noch einmal davor, den Fehler zu machen, den wir beim Steinkohlebergbau gemacht haben, nämlich an überkommenen Strukturen festzuhalten, sodass es am Ende deutlich
teurer wird und wir mit Milliarden etwas subventionieren, was keine Zukunft hat. Machen Sie diesen Fehler
nicht mehr! Sorgen Sie endlich mit dafür, dass die Kraftwerke aus Adenauers Zeiten aus dem Markt verschwinden und dass wir ein zukunftsfähiges Energiesystem in
Deutschland bekommen!
Danke schön.
({0})
Vielen Dank, Kollege Krischer. - Nächster Redner in
der Debatte: Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat
bekennen wir uns als CDU/CSU zum energiepolitischen
Zieldreieck. Die Ziele dieses Zieldreiecks gilt es gleichgewichtig zu verfolgen, nämlich Versorgungssicherheit,
Bezahlbarkeit und eine umweltschonende, nachhaltige
Energieversorgung.
Wer dem Kollegen Krischer zugehört hat, der weiß:
Er hat nichts zur Versorgungssicherheit gesagt, schon
gar nichts zur Bezahlbarkeit, sondern er hat bei diesem
Zieldreieck einseitig das Thema CO2/Umwelt angesprochen.
({0})
Wir wollen, dass dieses Zieldreieck ausgeglichen ist und
die Ziele ausgeglichen verfolgt werden.
({1})
Auch für uns haben der Umweltschutz und die CO2Reduktion hohe Bedeutung. Wir haben Klimaschutzziele, zu denen wir uns ganz klar bekennen.
({2})
Aber wir wollen diese Klimaschutzziele im Gegensatz
zu Ihnen effizient und bezahlbar erreichen.
({3})
Für uns sind diese Ziele kein Selbstzweck.
Wir werden uns deshalb sehr genau mit dem beschäftigen, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat. Ich
glaube, dass der eine oder andere Punkt noch nicht der
Weisheit allerletzter Schluss ist, insbesondere wenn es
darum geht, zusätzlich zu europäischen Instrumenten nationale Instrumente zu etablieren.
({4})
Es geht darum, dass wir im Strombereich 22 Millionen Tonnen CO2 einsparen wollen.
({5})
- Natürlich wollen wir mehr einsparen. - Das ist aber
nicht losgelöst möglich, sondern muss im europäischen
Kontext erfolgen.
({6})
Ich möchte nur einmal einordnen, über was wir reden.
Wir haben weltweit mehr als 40 Milliarden Tonnen CO2Emissionen pro Jahr. Wir reden jetzt über die Frage, wie
man in dem ganz speziellen Fall der Stromerzeugung in
Deutschland mit 22 Millionen Tonnen umgeht. Das ist
also ein halbes Promille der weltweiten CO2-Emissionen. Wir sagen: Es muss sehr genau überlegt werden, ob
das, was vorgeschlagen wurde, klimapolitisch sinnvoll
ist, ob es in ökonomischer Hinsicht Sinn macht und welche Auswirkungen es auf die Versorgungssicherheit hat.
Klimapolitisch ist es leider ein Nullsummenspiel,
({7})
wenn wir in Deutschland sagen: Wir wollen das neben
dem Emissionshandel machen, der im Strombereich und
im Industriebereich einen klaren Pfad vorschlägt. Sie
alle kennen das; das haben wir gemeinsam vereinbart.
Die Zielvorgaben im Emissionshandel lauten: Von
1,9 Milliarden Tonnen in 2013 gehen wir bis 2020 mit
einem jährlichen Reduktionsfaktor von 1,74 Prozent auf
1,7 Milliarden Tonnen zurück. Das gilt EU-weit. Wenn
wir jetzt in Deutschland mehr einsparen, dann bleibt das
europäische Ziel trotzdem gleich.
({8})
Dann kann an anderer Stelle in Europa mehr emittiert
werden. Das macht überhaupt keinen Sinn.
({9})
Deshalb müssen wir, wenn wir auf nationaler Ebene
mehr machen wollen, entsprechend etwas in den Sektoren, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, zum
Beispiel im Gebäudebereich, unternehmen. Ich warte da
auf Ihre Vorschläge. Sie aber blockieren seit Jahren im
Bundesrat eine entsprechende Lösung,
({10})
weil die Länder und ihre grünen Minister zwar immer
den Klimaschutz ansprechen,
({11})
aber nicht bereit sind, auch nur 1 Euro mehr für beispielsweise die steuerliche Förderung der energetischen
Gebäudesanierung auszugeben.
({12})
Dann wurde die Kraft-Wärme-Kopplung angesprochen. In der Tat, beim jetzt vorliegenden Vorschlag
besteht die Gefahr, dass die hocheffiziente KWK mit
Wirkungsgraden von 80 bis 90 Prozent nicht mehr rentabel ist und dann abgeschaltet wird. Wenn wir auf der
einen Seite 22 Millionen Tonnen einsparen wollen, auf
der anderen Seite aber allein im Bereich der öffentlichen
KWK, wenn diese abgeschaltet würde, knapp 18 Millionen Tonnen mehr Emissionen haben, dann müssen wir
zumindest einmal fragen, ob das der richtige Weg ist.
Das müssen wir uns sehr genau anschauen.
Auch zur Frage der Kosten: Wir haben mit den jetzt
vorgeschlagenen Instrumenten eine Strompreiserhöhung um - ich nehme einmal die Zahl des Wirtschaftsministeriums - round about 0,02 Cent pro Kilowattstunde. Der jetzt vorliegende Vorschlag würde also
Mehrkosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro bedeuten.
Was würde eingespart? Wenn Sie die CO2-Emissionen
mit dem Zertifikatspreis verrechnen, dann reden wir
über 130 bis 150 Millionen Euro. Die Mehrkosten lägen
also um den Faktor 10 höher - von den Auswirkungen
auf die Versorgungssicherheit und auf all das, was gesicherte Leistungen und anderes angeht, einmal ganz zu
schweigen.
Wir werden uns deshalb sehr genau mit dem Thema
auseinandersetzen. Es gibt noch viele Fragen. Wir
werden die Ziele erreichen. Wir werden sie aber so erreichen, dass es klimapolitisch sinnvoll und nicht ein Nullsummenspiel ist, dass es aus ökonomischer Sicht Sinn
macht und die Versorgungssicherheit nicht gefährdet
wird.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank, Kollege Dr. Pfeiffer. - Nächste Rednerin in der Debatte: Eva Bulling-Schröter für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gabriel, wenn Ihr Vorschlag, so wie er jetzt vorliegt, eins zu eins umgesetzt würde,
({0})
wäre bis 2020 ein großer Schritt getan. Wir meinen aber:
Es wird wohl nicht so kommen; denn die großen Bremser schreien jetzt am lautesten. Das wussten Sie natürlich, Herr Gabriel. Dass die Kohleländer rebellieren und
die Belegschaften der Kohlekraftwerke aus sozialen
Gründen Sturm gegen den Kohlebeitrag laufen, war eigentlich klar.
Angesichts der harschen Kritik vonseiten der CDU
und der Konzerne wirkt Ihr Vorschlag fast so, als könne
er nicht ganz falsch sein. Das ist aber nur die halbe
Wahrheit. Niemand weiß derzeit, ob der neue Klimabeitrag die ältesten Dreckschleudern unwirtschaftlich
macht; denn wir kennen die genauen Kosten für den Betrieb der Kohlekraftwerke eben nicht.
Es ist nämlich erstens völlig offen, ob der von Ihnen
vorgeschlagene Preis von 18 bis 20 Euro pro Tonne CO2
wirklich zu der erwünschten CO2-Reduzierung führt.
Zum Zweiten. Die Eckpunkte werden natürlich nicht
so bleiben.
({1})
Da hat der Kollege der CDU ja schon etwas angedeutet.
Ich gehe davon aus, dass der jetzt bei 18 bis 20 Euro pro
Tonne CO2 angesetzte Preis noch ordentlich geschliffen
wird, die Freigrenzen angehoben werden und, und, und.
Sie kennen das ja.
Abgesehen davon haben ja die Kohlekonzerne bereits
ein erhebliches Erpressungspotenzial in Form von
Klagen in Milliardenhöhe gegen den Atomausstieg aufgebaut.
({2})
Ich vermute leider: Die Bundesregierung wird sich mit
den Energiekonzernen am Ende auf einen Deal einigen
- wir kennen das -, und der Deal wird leider butterweich
sein. Das wollen wir natürlich nicht.
({3})
Noch ein dritter Punkt ist wichtig. Der Klimabeitrag
für Kohlekraftwerke wirkt erst ab 2017 und zunächst nur
bis 2020. Sie haben keine längerfristige Strategie für den
Umgang mit der Kohleverstromung. Und was kommt
dann nach 2020? Wir müssen ja weiterdenken. Hätten
Sie sich für einen geplanten und geordneten Ausstieg aus
der Kohle entschieden, dann könnte der fällige Strukturwandel in den betroffenen Regionen eingeleitet werden.
Dass wir diesen Strukturwandel brauchen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das halte ich für unbestritten.
Dafür müssen wir natürlich auch etwas tun.
({4})
Dann hätte nicht nur das Klima Sicherheit, sondern auch
die Belegschaften, die sich längerfristig darauf einstellen
könnten.
In dem Getöse um die Kohleabgabe gehen leider
- vielleicht auch gewollt - die schmerzlichen Maßnahmen gegen die Kraft-Wärme-Kopplung fast vollständig
unter. Sie rücken vom bisherigen Ziel „25 Prozent KWK
bis 2020“ deutlich ab. Das haben wir zwar schon befürchtet, als das Grünbuch herauskam. Aber dass Sie im
Windschatten der CO2-Debatte die KWK so radikal zusammenstutzen, wie es jetzt geplant ist, das hätten wir
nicht für möglich gehalten.
Sie sagen, dass sich der Anteil von 25 Prozent nur an
der thermischen, also der fossilen Erzeugung, statt an der
gesamten Stromerzeugung bemessen soll. Wir sagen:
Das ist ein Rechentrick; denn Sie wussten selbst, dass
mit dem Aufwuchs bei den Erneuerbaren der Anteil der
Fossilen zurückgeht und damit die Stellschraube für
KWK. Der Rückgang der thermischen Erzeugung und
der Zubau bei den Erneuerbaren waren auch schon klar,
als das KWK-Ziel gesetzt wurde. Das wussten Sie. Sie
können rechnen. So ist es also nicht.
Ihr Vorschlag bedeutet, dass wir nur noch ein 19-Prozent-Ziel - 19,4 Prozent haben wir berechnet - für den
Anteil der KWK bis 2020 und einen Aufwuchs von gerade einmal 3 Prozent in fünf Jahren haben. Das ist
schon ein bisschen wenig.
({5})
Ich halte das nicht nur für bedauerlich, sondern ich halte
es auch für jämmerlich, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen.
Es war von Beginn an klar, dass die KWK nur eine
Übergangstechnologie auf dem Weg zur Vollversorgung
durch Erneuerbare sein würde, aber trotzdem ein ganz
wichtiger Beitrag. Ich sage Ihnen: Sie lassen jetzt die
Stadtwerke im Regen stehen, für die Sie sich noch als
Umweltminister eingesetzt haben. Sie schreddern jetzt
Ihr eigenes KWK-Ziel.
({6})
Sie selbst geben der lange siechenden KWK einen
Gnadenstoß; so empfinden wir das und im Übrigen auch
die KWK-Hersteller, die uns ja jetzt schreiben, sowie die
Stadtwerke. Dazu, dass Sie von einem moderaten Ausbau reden, sage ich: Sie haben Angst vor Ihrer ehemaligen Courage. Das werden wir nicht hinnehmen. Wir
wollen die Stadtwerke schützen, und wir brauchen auch
die kleinen KWK-Anlagen.
({7})
Wir brauchen natürlich in Klima- und Energiefragen
Visionen
({8})
und kein kurzfristiges Herumdoktern.
Zum Schluss vielleicht noch etwas zur Preissicherheit, die immer wieder angesprochen wird. Gestern war
im Wirtschaftsausschuss der Präsident der IRENA. Er
hat uns nochmals ans Herz gelegt: Wir müssen aus der
Kohle raus. Die regenerativen Energien sind bezahlbarer. Sie sind konkurrenzlos billig. - Er ist nicht irgendjemand, sondern der Präsident der Internationalen Energieagentur. Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann
glauben Sie doch den Leuten, die permanent an diesen
Fragen arbeiten. Ich denke, Sie sollten sich dies zu Herzen nehmen und nicht immer erzählen, dass die fossilen
Energieträger so viel billiger sind. In Wirklichkeit sind
es die regenerativen Energien.
Frau Kollegin.
Die sind zukunftsfähig. Die anderen eben nicht.
({0})
Danke, Frau Kollegin Bulling-Schröter. - Nächster
Redner in der Debatte: Dirk Becker für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Nachdem Herr Dr. Pfeiffer für die Union ein Bekenntnis zu den Klimazielen abgelegt hat, will ich das
natürlich auch für die Sozialdemokraten bestätigen. Wir
stehen zu dem 40-Prozent-Ziel,
({0})
und wir stehen zu den Maßnahmen, die das Kabinett im
Dezember mit den Stimmen der Kanzlerin, des Wirtschaftsministers und aller anderen Minister beschlossen
hat, unter anderem, zur Erreichung dieses Ziels auch
22 Millionen Tonnen Ersparnis im Kraftwerkepark zu
erbringen. Ich sage eines ganz klar, Herr Dr. Pfeiffer:
Nationale Ziele erfordern nationale Maßnahmen. Wir in
Deutschland stehen in der Verantwortung, genau diese
Maßnahmen zu beschließen, und wir haben das vor.
({1})
Ich will kurz auf die Punkte eingehen, die jetzt debattiert werden. Wir haben zum einen gehört, dass Eckpunkte einer KWK-Novelle vorgelegt wurden. Frau
Bulling-Schröter, eines verstehe ich überhaupt nicht:
Jetzt wird ein KWK-Gesetz vorgelegt, was dazu beitragen soll
({2})
- Eckpunkte -, dass die wirtschaftlichen Grundlagen für
Bestandsanlagen verbessert werden, dass wir einen
Rahmen schaffen, dass das 25-Prozent-Ziel nicht aufgegeben, sondern beibehalten wird, obwohl wir wissen,
dass wir es nicht erreichen werden. Jetzt vom KWKAbbruch-Gesetz zu sprechen, zeigt doch, dass es Ihnen
gar nicht um eine sachliche Debatte geht. Wo ist denn
das Engagement für die Stadtwerke, wenn Sie so über
das KWK-Gesetz reden?
({3})
Wir wollen in der Tat, dass hocheffiziente KraftWärme-Kopplung, die mit 29 Millionen Tonnen auch
einen CO2-Minderungsbeitrag in unserem Konzept zu
erbringen hat, weiter ausgebaut wird; denn sie macht
Sinn. Es macht aber keinen Sinn, nur den Ausbau zu
finanzieren. Wir müssen uns auch um den Bestand kümmern. Das werden wir mit dieser Novelle tun.
Es handelt sich um Eckpunkte; die sind gut. Es gibt
Beratungsbedarf. Wir werden in aller Verantwortung sehen, welche Stellschrauben wir möglicherweise noch
verändern müssen, welche Ziele wir gemeinsam mit dem
Koalitionspartner vereinbaren. Aber wichtig ist mir die
Botschaft an alle Akteure im Markt: Wir werden dafür
sorgen, dass die, die im Vertrauen auf Klimaschutzziele
in den letzten Jahren in hocheffiziente KWK investiert
haben, jetzt nicht im Regen stehen bleiben. Dafür werden wir sorgen.
({4})
Ich will jetzt auf die Frage eingehen, wie man diesen
zusätzlichen CO2-Minderungsbeitrag von 22 Millionen
Tonnen erbringt. Ich sage noch einmal ganz klar: Dass
diese 22 Millionen Tonnen kommen werden, wissen wir
seit Dezember verbindlich. Das wissen die Kraftwerksbetreiber. Die haben sich auch damit auseinandergesetzt.
Jeder, der sich halbwegs in der Kraftwerkswelt auskennt
und dort umschaut, hat natürlich eine Ahnung, welche
Kraftwerke besonders betroffen sein werden. Das hat
unter anderem etwas mit CO2-Intensität zu tun. Ich muss
sagen, Herr Minister: Das, was Sie im jetzigen Verfahren
vorgelegt haben - das gebe ich zu -, war für viele eine
Überraschung.
({5})
Wir haben im Vorfeld andere Sachen diskutiert.
({6})
Ich sage es einmal ganz allgemein, ohne dass wir darüber im Detail gesprochen haben: Jetzt auf ein bewährtes bestehendes wirtschaftliches Instrument, nämlich den
Emissionshandel, aufzusetzen, hat zunächst einmal
Charme; ich will das eindeutig sagen. Bevor wir jetzt
neue Instrumente entwickeln, ist die Diskussion, es so zu
machen, wirklich aller Mühe wert. Ich finde, es lohnt
sich, darüber zu reden. Wir werden das mit Ihrem Haus
und dem Koalitionspartner konstruktiv machen.
({7})
Ich will eines aufgreifen, weil immer der Eindruck
entsteht, es gehe darum, wann der Kohleausstieg, wenn
nicht schon jetzt sofort, kommt. Die gesamte Klimaschutzdebatte, die wir hier seit Jahren führen, ist nicht
eine Debatte über den Kohleausstieg,
({8})
sondern über den CO2-Ausstieg.
({9})
Insgesamt müssen wir die CO2-Emissionen reduzieren.
Von daher, liebe Grünen, hören Sie auf, hier das Thema
nur aus Gründen des eigenen Parteienproporzes immer
auf die Kohledebatte zu verengen! Aber wir müssen uns
der Debatte stellen.
({10})
Ich will eines ganz klar sagen: Wir werden das tun,
aber wir werden auch die Sorgen der Beschäftigten aufnehmen. Denn sosehr wir zu den Zielen stehen, so wichtig ist es für uns, auch die Verunsicherung, die Ängste
der Menschen, die im Bereich der Tagebaue und der
Kraftwerkswirtschaft arbeiten, aufzunehmen, sie nicht
zu diskriminieren, sondern sie mitzunehmen und zu
schauen: Wie können wir diese Dinge so regeln, dass die
Befürchtungen, die jetzt geäußert werden, sich nicht bewahrheiten? - Ich glaube, da ist auch vieles überzogen.
({11})
Aber wir wollen das mit den betroffenen Menschen diskutieren und sie ernst nehmen; denn wir werden den Klimawandel nur dann hinbekommen, wenn wir die Menschen insgesamt mitnehmen, auch die Beschäftigten der
klassischen Energiewirtschaft. Das ist unsere Verantwortung. Wir werden sie wahrnehmen.
Vielen Dank.
({12})
Vielen Dank, Herr Kollege Becker. - Nächster Redner in der Debatte: Thomas Bareiß für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Ich muss gestehen: Ich bin den Grünen,
auch Oliver Krischer, sehr dankbar, dass sie heute diese
Aktuelle Stunde beantragt haben.
({0})
Denn der CO2-Ausstieg auf der einen Seite und der Kohleausstieg auf der anderen Seite sind Themen, die viele
Menschen in unserem Land bewegen.
({1})
Gerade als Baden-Württemberger, der mit Kohle oder
Braunkohle nicht so eng in Berührung kommt wie Oliver
Krischer in seinem Wahlkreis, sage ich: Wir haben in
Deutschland eine Gesamtverantwortung. Von der Kohleindustrie leben 80 000 Menschen in unserem Land.
({2})
Wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschen spüren,
dass sie unseren Zuspruch haben und wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Deshalb bitte ich, hier ein bisschen anders zu diskutieren.
({3})
Wir haben ganze Landstriche, die ausbluten werden,
wenn der grüne Kohleausstieg kommt ({4})
im Rheinischen Revier, im Lausitzer Revier und im Mitteldeutschen Revier.
Ich sage gerade zu den Grünen, gerade zu dir, lieber
Olli Krischer, der du aus einer Region kommst, in der
sehr viele Menschen von der Braunkohle leben:
({5})
Auch diese Menschen haben ein Anrecht auf Sicherheit,
auf eine Zukunft und darauf, dass die Politik ein Stück
weit das anerkennt, was sie tun, was sie in den letzten
Jahren für die Volkswirtschaft, für Deutschland getan
haben. Auch das ist etwas, was im Zentrum unserer Politik stehen muss.
({6})
Gerade wenn wir über Braunkohle und die Kohleindustrie generell diskutieren, müssen wir die Importabhängigkeit Deutschlands in Betracht ziehen. Deutschland steht im Bereich der Energieabhängigkeit in der
Europäischen Union an vierter Stelle. Deshalb sage ich
in dieser Debatte auch ganz klar: Wir können nicht innerhalb von drei Jahrzehnten aus der Kernenergie und
der Kohle aussteigen.
({7})
Das wird nicht funktionieren. Das wäre nicht nur unbezahlbar, sondern das würde auch unsere Energiesicherheit gefährden. Deshalb wird es diesen Weg mit uns
nicht geben, meine sehr verehrten Damen, meine Herren.
Ich will gerne auch etwas zum Thema Klimaschutz
sagen, weil es, wie schon meine Vorredner gesagt haben,
auch für uns ein wichtiges Thema ist. Ich will zuvor eines klarstellen, weil es immer wieder verzerrt dargestellt
wird: Deutschland ist Vorreiter im Bereich des Klimaschutzes.
({8})
Wir haben unsere Kioto-Ziele schon vor vier Jahren
übererfüllt; wir liegen 25 Prozent über den Kioto-Zielen.
Bei einem Thema, dem der Energieeffizienz, sind wir in
der Spitze der Welt; es gibt kein Industrieland auf der
Welt, das im Bereich der Energieeffizienz so schnell vorankommt wie wir. Wir haben es in den letzten 20 Jahren
geschafft, unser Wirtschaftswachstum konsequent vom
Energieverbrauch zu entkoppeln. Auch das ist ein Erfolg
unserer Energiepolitik, meine sehr verehrten Damen und
Herren.
({9})
Ich bitte auch euch von den Grünen, das einmal anzuerkennen.
({10})
Wir müssen trotzdem im Bereich Klimaschutz mehr
tun - gar keine Frage! Wir müssen es aber auf europäischer Ebene tun. Deshalb hat die rot-grüne Regierung
2003 zu Recht Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes und der CO2-Emissionen auf europäischer Ebene angesiedelt. Wir haben damals den europäischen Klimahandel installiert; 2005 ging es los.
({11})
Es wurde der Fahrplan aufgestellt, konsequent jedes Jahr
1,75 Prozent der Klimazertifikate aus dem Markt herauszunehmen - ein marktwirtschaftliches Instrument, das
dazu führt, dass wir die CO2-Reduktionskosten für unser
Land günstig heben können. Daran müssen wir festhalten, und es wird auch gelingen. Wir haben schon jetzt in
der Europäischen Union über 9 Prozent CO2 eingespart.
Ich bitte aber, zu bedenken: Wenn wir jetzt mit nationalen Alleingängen eigene Instrumente im Bereich der
CO2-Reduktion installieren, werden wir im Bereich der
CO2-Zertifikate einen weiteren Preisverfall erleben. Wir
würden den CO2-Handel Stück für Stück aushöhlen und
dieses Instrument, das eigentlich von unserer Seite auf
europäischer Ebene gewollt wird und das wir sogar in
die Welt exportieren wollen, konterkarieren.
({12})
Wir würden so dafür sorgen, dass andere Länder in Europa CO2 günstiger emittieren. Wir würden in Europa
unter dem Strich nicht mehr CO2 einsparen. Das macht
unterm Strich keinen Sinn, meine sehr verehrten Damen
und Herren. Auch hier würden wir nationale Alleingänge nicht für sinnvoll erachten.
({13})
Zur Wahrheit gehört dazu ({14})
das ist auch ein wichtiger Punkt -: Diese CO2-Reduktionen werden wir nur schaffen, wenn andere Länder mitziehen werden. Allein die Menge von 22 Millionen Tonnen, von der wir jetzt mehrfach gesprochen haben und
die wir jetzt mit großer Kraftanstrengung im Bereich der
Kohleindustrie reduzieren wollen, wird in China allein
in 16 Stunden emittiert.
({15})
Da sehen wir einmal die Größenordnung, von der wir reden.
({16})
In 16 Stunden haben die Chinesen diesen CO2-Ausstoß,
den wir unter größten Kraftanstrengungen in den nächsten zehn Jahren im Bereich der Kohleindustrie heben
wollen.
({17})
Das macht doch keinen Sinn. Deshalb müssen wir hier
europäisch herangehen. Ich bin dankbar, dass Angela
Merkel und Sigmar Gabriel das gemeinsam auf europäischer Ebene voranbringen.
({18})
In diesem Sinne brauchen wir weiterhin eine Politik,
die saubere, bezahlbare und sichere Energieversorgung
gewährleistet. Deshalb wird es mit uns nicht gleichzeitig
einen Kernenergie- und Kohleausstieg geben. Das machen wir nicht mit.
Danke schön.
({19})
Vielen Dank, Herr Kollege Bareiß. - Nächster Redner
in der Debatte: Johann Saathoff für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ja, es stimmt. Wir haben gestern im Wirtschaftsausschuss mit dem Generalsekretär der IRENA
gesprochen, aber wir wollen das einmal in einen richtigen Zusammenhang stellen. Es war nicht so, dass er gesagt hat: In Deutschland wird nicht genügend für die
Energiewende getan. Vielmehr hat er das Gegenteil dargestellt und gesagt: Deutschland ist Vorbild für die Energiewende in der Welt. - Das müssen wir an dieser Stelle
auch einmal so festhalten.
({0})
Seit einer Woche, also seitdem das BMWi den Vorschlag zur Einsparung der 22 Millionen Tonnen veröffentlicht hat, kennt die politische Erregung keine
Grenzen mehr. Die Proteste gestern waren dabei der Höhepunkt. Dabei muss man doch ehrlicherweise sagen,
dass das Minderungsziel von 40 Prozent bereits im Koalitionsvertrag steht, also eineinhalb Jahre bekannt ist,
und dass der Kabinettsbeschluss zu den 22 Millionen
Tonnen am 3. Dezember 2014 gefasst wurde, also auch
schon längst bekannt ist. Deswegen sollte die Überraschung nicht zu groß sein.
Die Gespräche dazu, wie man diese 22 Millionen
Tonnen zusätzliche Einsparung umsetzt, laufen bereits
seit Wochen. Allerdings habe ich bisher keinerlei Ergebnisse gesehen. Es gab wenig konstruktive Zusammenarbeit in diesem ganzen Rahmen. Deshalb habe ich großes
Verständnis dafür, dass das Ministerium nun einen Vorschlag vorlegt. Ich habe dafür jedenfalls größeres Verständnis als für die kontroverse Debatte, die sich aufgrund dieses Vorschlags daraus ergibt.
({1})
Ich muss bei genauerer Betrachtung sagen: Ich finde
den Vorschlag durchdacht und gut. Er ist ein schlankes
und effizientes Instrument.
({2})
Aus meiner Sicht überrascht die Mechanik. Er setzt auf
dem bestehenden ETS auf und ist zunächst einmal technologieoffen konzipiert. Im Gegensatz zu anderen Themen, die wir sonst miteinander behandeln, dürften wir
also aus europarechtlicher Sicht erst einmal keine Probleme miteinander haben.
Das Hauptargument der Gegner des Klimabeitrags,
sofern Argumente benutzt werden, ist, dass einige betroffene Braunkohlekraftwerke unwirtschaftlich sind
und dementsprechend stillgelegt werden - mit Folgen
auch für die dazugehörigen Tagebaue. Von dieser Angst
getrieben, haben gestern viele Menschen gegen den Vorschlag protestiert. Ich habe großes Verständnis für die
Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, und wir tragen in
diesem Zusammenhang alle miteinander eine große Verantwortung für die Menschen, die direkt von unseren
Entscheidungen betroffen sind.
({3})
Deshalb müssen wir uns intensiv mit den Auswirkungen
beschäftigen und dürfen nicht gleich anfangen, aufeinander zu schimpfen. Ich möchte Sie alle dazu aufrufen,
liebe Kolleginnen und Kollegen, das auch konstruktiv zu
tun.
Ich gebe zu bedenken, dass die Stromproduktion thermischer Kraftwerke auch heute schon in einem gewissen
Umfang der Last folgt. Und weil genau das so ist, erscheint es mir wahrscheinlicher, dass die alten Kohlekraftwerke nicht generell stillgelegt werden, sondern
sich ihre Produktion stärker als bisher noch an der im
Netz erforderlichen Last und damit am Markt orientiert.
Das ist etwas, das uns auch in der Debatte zum Grünbuch und anschließend zum Weißbuch eigentlich zugutekommt und in die richtige Richtung geht. Mit dieser
und mit anderen Fragen sollten wir uns intensiver beschäftigen und natürlich auch mit möglichen Alternativen. Dieser Vorschlag muss ja nicht zwingend das Ende
der Fahnenstange sein.
Ernsthafte Alternativen vermisse ich allerdings bislang. Niemand will das Kind mit dem Bade ausschütten.
Deshalb müssen die Beteiligten sachlich und konstruktiv
miteinander reden. Ich bin froh, dass sich nun auch die
Wirtschaft bereit erklärt hat, sich sachlich an der Diskussion zu beteiligen.
Einem sogenannten Alternativvorschlag möchte ich
an dieser Stelle aber gleich den Wind aus den Segeln
nehmen, und zwar ist es keine Option, einfach Zertifikate in Höhe von 22 Millionen Tonnen CO2 zu kaufen.
Das käme nicht nur der deutschen, sondern vor allen
Dingen der europäischen CO2-Bilanz zugute. Damit ist
das keine Lösung.
In der ganzen Aufregung ein wenig untergegangen ist
der Vorschlag zur Kraft-Wärme-Kopplung. Der derzei9206
tige Deckel soll von 750 Millionen Euro auf 1 Milliarde
Euro angehoben werden. Für mich ist noch viel wesentlicher: Wir wollen uns im Wesentlichen auf die KWKAnlagen der Kommunen fokussieren, die zurzeit zwar
nicht wirtschaftlich sind, aber trotzdem laufen müssen.
Grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, da Emissionen
einzusparen, wo viel zu holen ist. Bei den KWK-Anlagen oder bei großen Heizkraftwerken ist das eher nicht
der Fall.
Es macht auch wenig Sinn, die Kraftwerke auf der einen Seite zu fördern und auf der anderen Seite von ihnen
einen Klimaschutzbeitrag zu verlangen. Deshalb sollte
man meiner Meinung nach vielleicht einmal darüber
nachdenken, ob man nicht eine Form von Wärmegutschrift für die durch gekoppelte Erzeugung von Energie
vermiedenen Emissionen einführen könnte. An diesem
Punkt könnten wir das Papier doch weiterentwickeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch
über die kommenden, vielleicht für uns alle etwas ruhigeren Ostertage sachlich über diesen Vorschlag und über
andere Vorschläge reden und etwaige Alternativen prüfen, damit die Menschen im Lande sehen, dass wir verantwortungsvoll mit dieser Thematik umgehen und nicht
leichtfertig Arbeitsplätze riskieren wollen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank, Johann Saathoff. - Die nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Anja Weisgerber für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Das Ziel aller Fraktionen hier im Haus ist,
dass Deutschland bis 2020 den CO2-Ausstoß um 40 Prozent reduziert. Wir unterscheiden uns allerdings darin,
wie wir dieses Ziel erreichen wollen.
({0})
Bei all unseren Entscheidungen müssen wir auch die
Frage mit einbeziehen, welche Auswirkungen nationale
Maßnahmen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland,
auf die Wettbewerbsfähigkeit und auch auf die Arbeitsplätze in Deutschland haben.
Eines der wichtigsten Instrumente, um die Klimaziele
auf europäischer und nationaler Ebene zu erreichen, ist
der Emissionshandel. Denn er ist ein Instrument, das maximalen Klimaschutzeffekt bei maximaler Kosteneffizienz bringt. In Brüssel steht die finale Verhandlungsrunde zur Marktstabilitätsreserve unmittelbar bevor. Die
Bundesregierung ist hier mit ihren Forderungen
({1})
ehrgeiziger als andere Mitgliedstaaten. Denn wir wollen,
dass die Einführung der Marktstabilitätsreserve vorgezogen wird und dass die Zertifikate, die im Rahmen des sogenannten Backloadings vorübergehend aus dem Markt
genommen wurden, direkt in die Reserve überführt werden. Und das ist gut so, meine Damen und Herren.
Bei der ersten Forderung scheinen wir uns durchzusetzen.
({2})
Bei der zweiten Forderung hat Deutschland noch nicht
die erforderliche Mehrheit der Mitgliedstaaten hinter
sich. Unser Hauptaugenmerk muss sich jetzt auf eine
wirksame vorgezogene Reform des Emissionshandels
richten, und wir müssen bei den anderen Mitgliedstaaten
Überzeugungsarbeit leisten. Denn durch den Emissionshandel unterliegt die Wirtschaft in ganz Europa den gleichen Wettbewerbsbedingungen. Eben deswegen brauchen wir diese Reform.
({3})
Weil wir verhindern wollen, dass Arbeitsplätze verlagert werden, setzen wir uns in Brüssel auch dafür ein,
dass eine Reform des Emissionshandels mit einer Reform der Ausnahmen für die energieintensive Industrie
gekoppelt wird.
Generell ist unser Hauptaugenmerk auch darauf zu
richten, dass sich die nationalen Maßnahmen, über die
wir jetzt diskutieren, immer in den Emissionshandel einfügen. Denn dem Klima bringt es unter dem Strich
nichts, wenn aufgrund nationaler Gesetze mehr Zertifikate im Markt sind und dann zum Beispiel Polen noch
billiger emittieren kann.
({4})
Die Vorschläge aus dem Wirtschaftsministerium sind
mit dem Emissionshandel grundsätzlich kompatibel;
({5})
deshalb sind sie zu prüfen. Aber wir müssen immer
kritisch darauf schauen, welche Auswirkungen solche
Eingriffe auf die Versorgungssicherheit, den Strompreis
und die Arbeitsplätze haben werden. Da haben wir noch
eine ganze Latte von Fragen, meine Damen und Herren.
({6})
Zu der Forderung von Herrn Krischer - sagen Sie
doch einmal, wie wir dann die Klimaziele erreichen
wollen! -: Auf unserem Weg dahin müssen wir unseren
Fokus noch stärker auf den Bereich legen, der nicht dem
Emissionshandel unterliegt, wie den Gebäudebereich.
({7})
- Hören Sie mir bitte erst einmal zu, Herr Krischer. - Im
Bundesrat liegt ein Antrag Bayerns zur steuerlichen FörDr. Anja Weisgerber
derung der energetischen Gebäudesanierung auf dem
Tisch.
({8})
Außerdem hat Bayern die sofortige Sachentscheidung
für morgen beantragt.
({9})
Deshalb rufe ich die Bundesländer auf: Stimmen Sie diesem Antrag morgen endlich zu! Wir brauchen nämlich
gar keine Gegenfinanzierung.
({10})
Zu Ihrem Einwurf, der Vorschlag würde beinhalten,
dass das nur der Bund zahlt: Das stimmt schlicht nicht.
({11})
Frau Hasselfeldt hat schon letzte Woche klargestellt,
dass Ihre Aussage dazu falsch ist.
({12})
Das stimmt so, wie gesagt, nicht.
({13})
Wir brauchen keine Gegenfinanzierung.
Die Abschaffung des Handwerkerbonus wird es mit
uns nicht geben.
({14})
Das wäre eine Überkompensation für die Länder.
({15})
Wir würden damit bundesweit rund 9 Millionen Steuerfälle treffen, kleine Mieter genauso wie Eigenheimbesitzer. Die steuerliche Förderung finanziert sich von selbst;
das wissen Sie. Wenn die Bundesländer glaubwürdig
sein und ihre Klimaziele erreichen wollen, dann dürfen
sie diesen Antrag nicht weiter aus rein taktisch-politischen Gründen blockieren. So können wir unsere Klimaziele nämlich nicht erreichen, meine Damen und Herren.
({16})
Zum Abschluss noch zwei Sätze zum Netzausbau.
Erst muss klar sein, welche Förderinstrumente für konventionelle Kraftwerkskapazitäten und KWK-Anlagen
es geben wird.
({17})
Erst dann weiß man, wie viel Strom vor Ort, auch durch
konventionelle Kraftwerke, produziert wird. Erst dann
weiß man, Herr Wirtschaftsminister Gabriel, welcher
Übertragungsbedarf besteht und welche Stromtrassen
definitiv erforderlich sind.
({18})
Bevor solch weitreichende Entscheidungen, wie etwa
zum Bau neuer Gleichstromtrassen, getroffen werden,
({19})
muss der Bedarf unzweifelhaft und für die Bürger erklärbar bestätigt werden. Deshalb ist es richtig, dass auf die
Forderung der CSU hin die Förderung der Kraftwerkskapazitäten und der KWK-Anlagen an die Frage gekoppelt wird, welche Trassen am Ende wirklich benötigt
werden. Das ist nicht zuletzt für die Akzeptanz vor Ort
wichtig. Denn die Energiewende kann nur gemeinsam
mit den Bürgern und nicht gegen sie gelingen.
Vielen Dank.
({20})
Vielen Dank, Frau Dr. Weisgerber. - Das Wort in
dieser Aussprache hat jetzt für neun Minuten der Bundesminister Sigmar Gabriel.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Weisgerber, ich finde, dass Sie recht
haben, was den Netzausbau angeht. Deswegen hat die
Bundesnetzagentur das alles berechnet. Danach hat auch
Ihre Fraktion in der letzten Legislaturperiode den jetzigen Netzausbau beschlossen.
({0})
Ich will nur sagen: Ihre Forderung ist völlig berechtigt.
Deswegen gab es diese Pläne. Dann haben der Deutsche
Bundestag und der Bundesrat - mit all denen, die heute
gelegentlich anderer Meinung sind - beschlossen: Diese
Netze brauchen wir. - Dann wurde das ins Gesetz geschrieben.
({1})
- Ja, so ist das. Ich kann ja nichts dafür, dass das beschlossen wurde. Ich übrigens habe das damals auch mit
beschlossen. Nur: Ich distanziere mich jetzt nicht davon;
das ist der Unterschied.
({2})
Ich kann das aber alles verstehen und bin sicher, wir finden auch dafür vernünftige Lösungen und Verfahren.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will erst einmal
allen danken, die sich an dieser Debatte beteiligen. Abgesehen von manchen Vorwürfen finde ich, dass wir
jetzt dazu gezwungen werden, uns ehrlich zu machen.
({4})
Denn seit Jahren - nicht erst seit der Koalitionsvereinbarung, sondern seit Jahren - beschließen wir alle miteinander in großer Einmütigkeit: Erstens. Deutschland
will bis 2020 40 Prozent weniger CO2 als im Jahr 1990
emittieren; das beschließen wir immer einstimmig.
Zweitens beschließen wir, dass das Ganze nicht dazu
führen soll, dass Strompreise steigen - das geschieht
nicht mehr einstimmig; das gebe ich zu, Frau Höhn -,
drittens beschließen wir Ausbauziele für KWK, auch
meistens einvernehmlich.
({5})
Viertens beschließen wir, dass wir das alles versorgungssicher machen wollen, und fünftens, dass das alles keine
Arbeitsplätze kosten soll. - Solange man bei den Überschriften bleibt, ist es wunderbar, das alles zu beschließen; schwierig wird es, wenn es konkret wird.
Dieser Punkt ist jetzt gekommen. Wenn wir bis 2020
40 Prozent CO2 gegenüber dem Jahr 1990 einsparen
wollen, dann müssen wir sagen, wie wir das schaffen
wollen; denn noch sind wir davon ein Stück entfernt. Es
nützt nichts, auf den europäischen Emissionshandel zu
verweisen. Ehrlich gesagt, ich bin durch die Lande
gelaufen und habe überall gesagt: Mensch, Leute, wir
müssen jetzt den europäischen Emissionshandel wieder
in Gang bringen und nicht nationale Instrumente entwerfen. - Das Problem ist nur, dass der europäische Emissionshandel am Boden liegt, es gibt ihn de facto nicht,
und es gibt nicht die Bereitschaft in Europa, den
Vorschlägen Deutschlands, der skandinavischen Länder
und Frankreichs zu folgen, diesen Emissionshandel
deutlich vor dem Jahr 2020 wieder in Gang zu setzen.
({6})
- Nein, Herr Krischer: Nirgendwo außer in den genannten Ländern haben wir bei diesem Anliegen große
Freunde.
({7})
Osteuropa ist komplett dagegen. Es gibt 26 Millionen
Arbeitslose in Europa, sodass viele Länder sagen: Wir
wollen an das Thema nicht ran. - Ich finde das falsch,
ich finde, dass der Emissionshandel eigentlich viel
schneller wieder in Gang gesetzt werden müsste; aber
ich bin sehr, sehr skeptisch, ob das vor 2020 passieren
wird. Wenn wir dennoch das 40-Prozent-Ziel erreichen
wollen, dann werden wir sagen müssen, wie das gehen
soll, und können nicht auf den Emissionshandel verweisen; denn von da kommt es nicht.
Übrigens nur ein Hinweis, Herr Kollege Pfeiffer: Weil
die Gefahr in der Tat besteht, dass man hier Zertifikate
sozusagen nicht nutzt und sie dann woandershin
wandern, ist unser Vorschlag, dass diese Zertifikate stillgelegt werden und dieses CO2 nicht woanders emittiert
werden kann; das ist ein anderer Vorschlag.
({8})
- Nein. Die Wahrheit ist doch, dass Sie sich in Ihrer
Rede zu dem 40-Prozent-Ziel gerade nicht bekannt
haben,
({9})
sondern sich für nachhaltigen Umweltschutz ausgesprochen haben. Wenn man darauf verweist, wie viel CO2
China binnen weniger Tage emittiert, dann steckt dahinter doch immer die Idee, dass unser eigener Beitrag nicht
so wichtig sei. Der Beitrag Europas und Deutschlands
zum Klimaschutz bemisst sich nicht daran, ob wir 35, 38
oder 41 Prozent mindern, sondern daran, dass ein hochindustrialisiertes Land zeigt, dass ambitionierter Klimaschutz möglich ist und dass dabei die wirtschaftliche und
industrielle Entwicklung nicht gefährdet, sondern ausgebaut wird.
({10})
Wenn wir Deutsche das nicht machen, wenn wir das als
Europäer nicht tun und die Ziele des Klimaschutzes zurücknehmen aus Angst, wir könnten es nicht bezahlen,
dann können Sie sicher sein, dass aus den Schwellenund Entwicklungsländern uns niemand folgen wird, und
dann ist der internationale Klimaschutz im Eimer. Das
ist die dahinterstehende Debatte.
({11})
Ich bin dafür, dass wir über alle Instrumente diskutieren, von mir aus auch streiten; aber wir müssen uns in
ein paar Punkten ehrlich machen:
Erstens. Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Er
ist nicht ohne einen Beitrag des Stromsektors, aus dem
circa 40 Prozent der Emissionen in Deutschland stammen, zu erreichen.
({12})
Zweitens. Strompreisstabilität gibt es auch nicht zum
Nulltarif. Ich verberge übrigens gar nicht, dass wir die
alten KWK-Ziele mit dem Papier aufgeben. Warum
sollte ich das tun?
({13})
Ich verberge das nicht: weil ich das schon in allen öffentlichen Debatten gesagt habe. - Ich bin der Überzeugung,
dass das notwendig ist, wenn wir das Ziel der Strompreisstabilität erreichen wollen.
Wenn wir das alte KWK-Ziel halten würden - ein
KWK-Anteil an der Stromerzeugung von 25 Prozent -,
es weiter ausbauen würden und gleichzeitig das tun wollen, was ich für zwingend nötig halte, nämlich die bestehenden Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen zu sichern,
sie gerade nicht kaputtgehen zu lassen, die Stadtwerke
zu unterstützen, indem insbesondere gasbetriebene
KWK sozusagen abgesichert werden, dann hieße das:
Wir müssen zum ersten Mal, was wir bisher nicht tun, in
die Bestandsförderung gehen. Wenn Sie beides zusammen machen wollen - die alten erhalten und ambitionierte Ausbauziele verfolgen -, dann müssen Sie sich
hierhinstellen und sagen: Wir sind dafür, dass der Strompreis um 3 bis 4 Cent pro Kilowattstunde steigt.
({14})
Dann sind wir relativ nah dran an dem, was uns die Erneuerbaren bereits kosten. Und Sie müssen sagen: Wir
sind bereit, 3 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich dafür
auszugeben.
({15})
Das macht aber von Ihnen keiner. Auch an dieser Stelle
bitte ich darum, ehrlich zu sein.
({16})
Wir können ja darüber debattieren und dann entscheiden.
({17})
Aber, Herr Krischer, Sie dürfen sich nicht davor drücken, der Öffentlichkeit zu sagen, dass das dann 3 Milliarden Euro mehr kostet und dass das die Menschen bezahlen müssen - übrigens sowohl Menschen mit großen
als auch mit kleinen Einkommen. Das wird im Übrigen
auch die mittelständische Wirtschaft bezahlen müssen.
Das werden nicht die energieintensiven Unternehmen
bezahlen müssen; die sind befreit.
({18})
- Ja, zu Recht sind sie befreit! Denn wir wollen in
Deutschland nicht Hunderttausende Jobs verlieren.
({19})
Wenn die Stahl-, die Aluminium-, die Kupfer-, die
Chemieindustrie und viele andere Bereiche nicht befreit
wären, würde das ja nicht gleichzeitig bedeuten, dass
dann niemand mehr CO2 emittiert, sondern dann machen
die das in Ländern, in denen es keinen Klimaschutz gibt,
und dann sind die Jobs bei uns weg. Das ist übrigens
auch der Grund, aus dem die Grünen früher einmal, als
sie noch in der Regierung waren, diesen Befreiungen zugestimmt haben, und zwar, wie ich glaube, zu Recht,
meine Damen und Herren.
({20})
Frau Bulling-Schröter, ich würde gerne mal eine
Veranstaltung erleben, auf der Sie und nach Ihnen der
Kollege Claus zum Thema Kohle bzw. Braunkohle
reden - einfach nur als Zuhörer.
({21})
Denn dann würde sich zeigen, dass das nicht funktioniert. Wir müssen in der Debatte ehrlich sein und dürfen
nicht so tun, als ließe sich alles erreichen, ohne dass man
einen Preis dafür zahlen müsste.
Drittens - auch das gehört zur Ehrlichkeit -: Strukturwandel braucht Zeit.
({22})
Das geht nicht von heute auf morgen. Ich bin übrigens
der festen Überzeugung, dass Herr Bareiß recht hat: Man
kann nicht zeitgleich aus der Kernenergie und aus der
Kohle aussteigen. Das ist aber mit dem Vorschlag auch
gar nicht möglich. Denn wenn wir von den knapp über
300 Millionen Tonnen CO2, die aus fossilen Kraftwerken in 2020 noch emittiert werden, jetzt zusätzlich
22 Millionen Tonnen einsparen wollen, dann kann man
nicht wirklich sagen, dass das der Ausstieg aus der
Kohle ist.
({23})
Das ist ein relativ bescheidener Beitrag.
Strukturwandel braucht also Zeit. Daraus ergibt sich
übrigens die vierte Wahrheit, um die wir uns in der aktuellen Debatte völlig herumdrücken: Die eigentliche
Herausforderung kommt nach 2020. Denn der Deutsche
Bundestag, das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben verabredet, dass
es nach 2020 noch mal richtig losgehen soll mit dem
Klimaschutz. Wir wollen dann jedes Jahr 2,2 Prozent der
Emissionen einsparen. Das heißt, die Herausforderungen
des Strukturwandels entstehen doch nicht durch die
Einsparung der 22 Millionen Tonnen, die wir jetzt vorschlagen, um das nationale 40-Prozent-Ziel zu erreichen.
Die Herausforderung kommt danach, wenn es weitergeht. Deswegen, glaube ich, ist diese Debatte wichtig.
Aber man muss sie auch mit einigermaßen offenem
Visier führen.
Man darf nicht glauben, man könnte die unterschiedlichen Ziele alle in Einklang bringen. Wir haben in den
nächsten Wochen ausreichend Zeit, diese Debatte zu
führen. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass ich
keine Strukturabbrüche bei der Kohle will. Selbst wenn
es nur um 10 000 Arbeitsplätze gehen würde, Herr
Krischer, wäre das, wie ich finde, eine ganze Menge. Die
Menschen, die da arbeiten, vertrauen darauf, dass die
Politik ihnen einen Weg zeigt und dass sie nicht durch
unsere politischen Entscheidungen in die Arbeitslosigkeit geschickt werden.
({24})
- Ich sage doch nicht, dass Sie das wollen.
({25})
- Herr Krischer, das mache ich da auch.
({26})
- Die Photovoltaik! Frau Höhn, jetzt hören Sie doch mal
auf, immer Volksverdummung im Parlament zu machen!
({27})
Der Einbruch der Photovoltaik kommt daher, dass aus
China massiv Panels rübergeschoben werden; dagegen
laufen Antidumpingverfahren. Das kommt doch nicht
durch die Politik der Bundesregierung. Macht doch den
Leuten nicht immer was vor!
({28})
Da wissen ja die Betroffenen besser Bescheid.
Deswegen müssen wir, glaube ich, über diese Wege
reden. Ich will erstens darauf hinweisen, dass es unser
Ziel ist, KWK im Bestand zu halten und die Stadtwerke
zu retten. Dazu haben wir hier einen Vorschlag gemacht.
Ich lasse gerne mit mir darüber reden, wie wir das weiter
ausbauen können. Aber dann müssen wir auch über die
Preise und die Kosten sprechen.
Zweitens bitte ich dringend darum, dass wir im Rahmen der Diskussion über den Umgang mit der Kohle
wirklich alles dafür tun, den Menschen die Ängste vor
dem Verlust ihrer Arbeitsplätze zu nehmen. Ich bin mir
mit der Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen,
mit den beiden Ministerpräsidenten von Sachsen und
Brandenburg, mit den Vorsitzenden der Gewerkschaften
IG BCE und Verdi absolut einig, dass es auf gar keinen
Fall zu Dominoeffekten bei der Braunkohle kommen
darf. Wir wollen den Braunkohletagebau nicht schließen; wir wollen die Leute nicht in die Arbeitslosigkeit
schicken.
Wir glauben, dass wir einen verkraftbaren Vorschlag
mit relativ geringfügigen Auswirkungen gemacht haben.
Wir werden jetzt mit allen in die Diskussion darüber einsteigen, wie man diesen Vorschlag weiterentwickeln
kann. Ich glaube, dass wir dabei auf einem ganz guten
Weg sind.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({29})
Vielen Dank, Sigmar Gabriel. - Ich unterbreche für
einen ganz kurzen Moment. Wir müssen durch einen
Blick in die Geschäftsordnung klären, wie wir jetzt mit
der Redezeit weiter umgehen. - Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir sind geschäftsordnungstreu. Weil es eine
relativ deutliche Redezeitüberziehung des Ministers gab,
schlagen die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen
und Geschäftsführer vor, dass jede Fraktion noch einen
zusätzlichen Redner oder eine zusätzliche Rednerin in
dieser Aktuellen Stunde benennen darf. Bitte sagen Sie
uns hier oben die Namen derjenigen, die in dieser Debatte noch reden wollen.
Ich gehe derweil weiter vor: Der nächste Redner ist
Ralph Lenkert für die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, bei den Zielen sind wir uns einig.
Das, was Sie hier zu den Kohlekraftwerken vorgelegt
haben, ist für das Klima allerdings so wie Kamillentee
für eine Grippe: Hilft manchmal, schadet nicht.
Ihre Vorschläge zu den Stromtrassen sind aber ein
echtes Problem für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich zitiere aus Ihrem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem es heißt, beim Strom
müsse es weiter bundesweit einen einheitlichen Preis geben. Einheitliche Preise bundesweit? Wenn Ihnen das so
nahegeht, dann empfehle ich Ihnen die Annahme unseres Antrages für bundesweit einheitliche Netzentgelte;
denn damit würde man diesem Ziel einen Schritt näherkommen.
({0})
Zu den bundeseinheitlichen Preisen: In Lübbenau
- das liegt in Brandenburg - kostet der Strom 29 Cent je
Kilowattstunde. In München kostet er 25 Cent je Kilowattstunde. Das sind 15 Prozent Unterschied. Das nenne
ich nicht einheitlich.
Wer hat einheitliche Strompreise? Das sind die Großunternehmen. An der Börse kostet der Strom 3,6 Cent je
Kilowattstunde. Die Börsenstrompreise sind einheitlich.
Davon profitieren Großunternehmen, Stromhändler und
Stromspekulanten. Für diese Klientel kämpfen Sie um
neue Stromtrassen, und das lehnt die Linke ab.
({1})
Wenn die Gleichstromtrassen gebaut werden, kommen auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zusätzliche Kosten in Höhe von 10 Milliarden Euro zu; denn sie
und nicht die Gabriel-Connection bezahlen die Investitionssumme für die Gleichstromtrassen. Für Abschreibungen, garantierte Renditen und Betriebskosten entstehen
für die Verbraucherinnen und Verbraucher so zusätzliche
Kosten in Höhe von insgesamt 1 Milliarde Euro pro Jahr.
Deshalb lehnt die Linke diese Trassen ab.
({2})
Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was passiert,
wenn die Trassen nicht kommen? Es gibt zum Beispiel
die Aussage: Dann gibt es zwei Preiszonen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet, dass
die Kosten für den Strom in Süddeutschland um
275 Millionen Euro pro Jahr steigen würden, während
sie in Norddeutschland um 163 Millionen Euro pro Jahr
sinken würden. Rechnen wir jetzt einmal dagegen: Betriebskosten von 1 Milliarde Euro für die Gleichstromtrassen bedeuten für Süddeutschland anteilig 300 Millionen Euro Mehrkosten bei den Netzentgelten, die die
Verbraucherinnen und Verbraucher und nicht die Großkonzerne bezahlen müssten. Kosten von 275 Millionen
Euro für höhere Strompreise oder Kosten von 300 Millionen Euro für höhere Netzentgelte: Sie können wählen.
Die Linke entscheidet sich dafür, die Netzentgelte nicht
anzuheben.
Im Norden sieht es noch einmal anders aus. Da werden nämlich niedrige Strompreise und nicht zu zahlende
Netzentgelte zu sinkenden Strompreisen führen. Deswegen gratuliert die Linke der CSU, dass sie mit uns gemeinsam die Stromtrassen ablehnt.
({3})
Jetzt kommt natürlich der nächste Einwand von Grünen und SPD: Wir brauchen den Strom, damit die Versorgungssicherheit in Bayern gewährleistet ist. - Im Moment liegt die Leistung der Stromproduktion in Bayern
bei 4 Gigawatt. Diese steigt bis 2024 auf 13 Gigawatt.
Die bestehenden Stromtrassen, die heute in Betrieb sind,
haben eine Kapazität von 21 Gigawatt. Wo ist da die
Versorgungssicherheit nicht gewährleistet? Da ist noch
keine Grenzkoppelei berücksichtigt. Das sind nur innerdeutsche Trassen. Diese Frage hätte ich gerne beantwortet. Deswegen sind wir sicher: Zur Versorgungssicherheit braucht es keine neuen Trassen.
({4})
Nächstes Argument: Der Windstrom muss aus dem
Norden wegtransportiert werden. Wir haben in Norddeutschland eine Leistung aus erneuerbaren Energien
von 50 Gigawatt installiert. Der Eigenverbrauch in
Norddeutschland liegt bei 40 Gigawatt. Das heißt, wegen dieser 10 Gigawatt bei Extremwetterlagen brauchen
wir keine neuen Trassen. Die 21 Gigawatt reichen.
Wir haben aber 20 Gigawatt Strom aus Kohlekraftwerken, die wegen der Primärregelenergie ständig laufen
müssen. Das ist die Energie, die gebraucht wird, damit
zwischen Stromverbrauch und Stromerzeugung immer
ausgeglichen werden kann. Solange es keine Alternative
für die Bereitstellung dieser Regelenergie gibt, werden
die Kohlekraftwerke nicht vom Markt genommen. Eine
Alternative sind zum Beispiel Batteriespeicher. Wenn
diese die Regelenergie bereitstellen, brauchen wir die
Kohlekraftwerke nicht durchlaufen zu lassen und brauchen dann auch keine neuen Trassen.
Natürlich brauchen wir wesentlich mehr KWK-Anlagen. Kraft-Wärme-Kopplung ist für die dunkle Flaute
hilfreich und kann zukünftig, gekoppelt mit der Tauchsiederwirkung, wenn es zu viel Windstrom gibt, den
Stromüberschuss im Norden sinnvoll in Wärme umwandeln. Auch dann sind die 500-Kilovolt-Trassen überflüssig.
({5})
Unsere Vorschläge lauten:
Aber bitte kurz.
Ja. - Erzeugen Sie die Regelleistung über Batterien.
Fördern Sie KWK. Schaffen Sie bundeseinheitliche
Netzentgelte. Dann brauchen wir keine neuen Trassen.
Das hat die CSU schon verstanden.
({0})
Verstehen Sie jetzt auch den Rest. Dann erreichen wir
Klimaschutz, der sozial gerecht und vernünftig ist.
Ich danke Ihnen.
({1})
Vielen Dank, Herr Kollege Lenkert. - Nächster Redner in der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Oliver Krischer hat ganz zu Beginn dieser Debatte ein
Dreieck in unserer Fraktion ausgemacht.
({0})
Lieber Oliver Krischer, ich finde, diese Betrachtung
greift etwas zu kurz. Dank Sigmar Gabriel und der Geschäftsordnung stellt unsere Fraktion allein in dieser Debatte sechs Redner. Auch ein Blick auf unsere Fraktion
zeigt unschwer: Wir sind deutlich mehr als drei.
Die Breite unserer Fraktion bringt automatisch eine
breite Debatte mit sich. Genau das ist der Grund, warum
bei uns über alle Aspekte und Auswirkungen dieses Vorschlages, über den wir heute reden, intensiv diskutiert
wird. Es wird gefragt: Was heißt das für die Wirtschaft?
Was heißt das für den Klimaschutz? Was heißt das für
die Menschen in den betroffenen Regionen? Das ist das
Gegenteil von Einseitigkeit. Das ist Ausdruck der Breite
einer Volkspartei. In diesem Ringen innerhalb unserer
Fraktion und mit unserem Koalitionspartner geht es allein um die Frage: Wie erreichen wir einen guten Weg,
und wie erreichen wir am Ende eine gute Lösung? Ich
finde, das macht auch die Stärke einer Volkspartei aus.
({1})
Das führt zu der Frage: Was ist der Maßstab, nach
dem wir diese Diskussion führen, und was ist der Maßstab für das, was ich als „gute Lösung“ beschrieben
habe? Ein Maßstab ist die große Herausforderung des
Klimawandels. Unsere Rolle als Vorreiter im Klimaschutz kommt in unserem 40-Prozent-Ziel zum Ausdruck. Es geht darum, dass wir die Lücke schließen, damit sich keine Glaubwürdigkeitslücke auftut und damit
unsere Beschlüsse dazu führen, der Bundesregierung für
die Verhandlungen auf dem Klimagipfel in Paris Rückenwind zu geben, Rückenwind für die Umweltministerin und Rückenwind für unsere Kanzlerin. Das ist das
Ziel der Union und der Koalition. Darum geht es.
({2})
Zur Nachhaltigkeit gehören neben der Behandlung
der Klimafrage auch andere Aspekte. Deshalb ist eben
auch Maßstab - das ist in dieser Debatte ebenfalls deutlich geworden - die Bewältigung der Auswirkungen
der Umsetzung dieses Vorschlags auf die Wirtschaft,
auf Arbeitsplätze in der Kohleindustrie genauso wie
in Gaskraftwerken, auf Versorgungssicherheit, auf Strompreise, auf die betroffenen Regionen. Es geht dabei auch
um die sozialen Auswirkungen.
({3})
Das alles müssen wir in Einklang bringen. Umwelt und
Klima, Wirtschaft und Arbeitsplätze sowie Soziales
müssen wir unter einen Hut bekommen. Das ist die Herausforderung.
({4})
Jetzt stellen sich konkrete Fragen zu diesem Vorschlag. Die Maßgabe im vorgelegten Nationalen Aktionsplan Klimaschutz ist: Wir müssen im Strombereich
zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Wir sind
uns einig: Das Beste wäre, wir würden unser Ziel durch
den Emissionshandel erreichen. Wir wissen aber auch:
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Nötige bis zum Jahr
2020 beschlossen wird und Wirkungen zeigt, ist nicht
gerade hoch; darauf können wir uns nicht verlassen.
Deshalb reden wir über diese nationalen Maßnahmen.
Die nötigen Maßnahmen müssen erstens natürlich
EU-kompatibel sein; sie müssen mit dem CO2-Emissionshandel in der Europäischen Union einhergehen und
rechtlich zulässig sein. Sie müssen zweitens, selbstverständlich in einem Ordnungsrahmen, ein Höchstmaß an
Flexibilität ermöglichen. Sie müssen drittens die Maßgabe von Versorgungssicherheit berücksichtigen, und sie
dürfen nicht zum Treiber für die Strompreise werden.
Sie müssen viertens die Klimalücke schließen.
Der Bundeswirtschafts- und Energieminister sagt,
dass all diese Aspekte in seinem Vorschlag berücksichtigt sind. Meine Meinung ist: Das, was auf dem Tisch
liegt, ist eine gute Diskussionsgrundlage. Sie werden wir
jetzt intensiv prüfen; sie werden wir diskutieren. Das
heißt auch, es ist noch keine Entscheidung gefallen, weil
eben nichts alternativlos ist. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Wer das am Ende ablehnen wollte, der
brauchte gute Alternativen, und mit diesen Alternativen
müssten die Ziele, die genannt worden sind - Reduktion
der klimaschädlichen Emissionen um mindestens
40 Prozent, zusätzliche Einsparung von 22 Millionen
Tonnen CO2 -, erreicht werden können. Was nicht geht,
ist einfach eine Antwort nach dem Motto: Das wollen
wir nicht; Augen zu und durch.
Wir ringen jetzt um eine gute Lösung im Sinne der
Nachhaltigkeit in ihrer ganzen Breite im Bereich des
Klimaschutzes. Auf die Debatte darüber freuen wir uns.
Herzlichen Dank.
({5})
Vielen Dank, Andreas Jung. - Nächste Rednerin in
der Debatte: Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Jung, ich hatte gehofft, dass Sie als Union
den Vorschlag vor dieser Debatte prüfen und nicht erst
danach. Dann hätten wir die unsäglichen Argumente dafür, warum das alles Quatsch sei - auch Herr Pfeiffer hat
sie hier vorgetragen -, hier nicht noch einmal gehört.
Ich finde es wirklich unglaublich, dass Kollege
Bareiß auch noch wiederholt, wir könnten aus der Kohle
in den nächsten drei Jahrzehnten nicht aussteigen; wir
sollten gar nicht erst anfangen, darüber nachzudenken.
Das toppt ja fast noch den IG-BCE-Lobbyisten Herrn
Freese, der gesagt hat, dass wir vor dem Jahr 2050 im
Kohlebereich überhaupt nichts machen dürfen. Wie wollen Sie die Klimaziele - nicht nur die deutschen, sondern
auch die europäischen und die internationalen - erreichen, wenn Sie vor dem Jahr 2045, wie es Herr Bareiß
sagte, oder vor dem Jahr 2050 mit dem Klimaschutz
nicht beginnen wollen? Das müssen Sie uns jetzt hier
einmal erläutern.
({0})
Was sich auch noch offenbart hat, ist, dass Sie nicht
nur die Klimaschutzpolitik nicht verstanden haben, Herr
Pfeiffer, sondern auch die Europapolitik. Wer sich hierhinstellt und sagt, er könne nichts tun, weil Europa Vorgaben gemacht habe, der versteht nicht, was eine Gesetzgebung auf der europäischen Ebene ist, der versteht
nicht, dass man über Mindeststandards natürlich hinausgehen kann. Genau dies fordern wir auch hier beim Klimaschutz.
({1})
Diese Volksverdummung setzen Sie auch noch bei
den Arbeitsplätzen fort. Herr Gabriel, ich habe Sie in den
letzten Tagen in Brandenburg gegen die Ansage Ihres
dortigen Ministerpräsidenten vehement verteidigt. Dass
aber auch Sie jetzt wieder das Arbeitsplatzargument hier
anführen, ist doch wirklich ein wenig traurig.
({2})
- Nein, das ist ein falsches Argument; auch bezogen auf
PV. Sie sagen, die Photovoltaik sei aufgrund der Module
aus China eingebrochen. Waren Sie einmal in Frankfurt
({3})? Da gab es First Solar. Die haben ein neues Werk
mit 3 000 neuen Arbeitsplätzen gebaut. Das geschah,
weil die damalige Bundesregierung - also Ihre liebe
Union - angekündigt hatte, dass die Freiflächenförderung weitergeht. Die damalige Staatssekretärin Frau
Reiche - sie hat jetzt eine andere Aufgabe - war dort
und hat den Scheck der Bundesregierung über die Fördermittel übergeben. Zwei Monate später hat die damalige Bundesregierung die Freiflächenförderung - Freiflächen gibt es in Ostdeutschland in sehr großem Ausmaß gekappt. Und was war die Ansage an First Solar? Das
neu eröffnete Werk mit 3 000 Arbeitsplätzen musste aufgrund der falschen EEG-Politik in Deutschland schließen. Das kann man nun wirklich nicht den Chinesen in
die Schuhe schieben, Herr Gabriel.
({4})
Ich bringe jetzt - Oliver Krischer hat es in Bezug auf
NRW angesprochen; ich will das einmal für Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt ansprechen - ein
Sachargument bezogen auf die Arbeitsplätze in den Regionen vor Ort. Es wird gesagt, dass dann plötzlich alle
Arbeitsplätze vernichtet werden und dass kein Strukturwandel mehr vorgenommen werden kann.
Erster Punkt: Der Strukturwandel in Ostdeutschland
ist in vollem Gange. Wer das negiert, streut den Menschen dort vor Ort Sand in die Augen. Ich nenne jetzt
einmal die Zahlen der Brandenburger Landesregierung,
die plötzlich sagt: Alle Arbeitsplätze werden vernichtet.
Dabei hat sie selbst - bevor der Vorschlag von Herrn
Gabriel kam - bei Prognos eine Studie in Auftrag gegeben. Deren Ergebnis lautet, dass die Zahl der Arbeitsplätze bei Vattenfall um 3 000 zurückgehen wird. Sie
wird danach von 6 000 Direktbeschäftigten heute auf
3 000 Direktbeschäftigte in den nächsten Jahren zurückgehen. Das passiert von allein, weil der Strukturwandel
im Gange ist.
Zweiter Punkt: Zwei Drittel der Beschäftigten in der
Kohlebranche sind über 45 Jahre alt. Was bedeutet das
für Brandenburg? Die werden in den nächsten Jahren sowieso in Rente gehen. Das sind die offiziellen Zahlen
der Kohlewirtschaft. Der Strukturwandel ist in vollem
Gange.
Dritter Punkt: Wie sieht es denn in der Lausitz mit
den Fachkräften aus? Dazu gibt es eine ifo-Studie, die
von der Lausitzregion selbst in Auftrag gegeben wurde.
Sie wollen nicht über Kohleausstieg reden; aber bis zum
Jahr 2030 wird die Zahl an Fachkräften bzw. an Menschen, die im arbeitsfähigen Alter sind, in der Region um
36 Prozent zurückgehen. Das heißt, Sie werden gar
keine Arbeitskräfte haben, die dann in irgendwelchen
Kohlejobs arbeiten könnten, wenn es diese dann überhaupt noch geben wird bzw. wenn sie nicht schon von
Vattenfall abgebaut sind. Das heißt, Sie betreiben hier
absolute Volksverdummung zulasten der Menschen in
der Region. Diese Menschen brauchen Planungssicherheit in Bezug darauf, wie die Zukunft dort aussehen soll.
Dafür müssen wir uns endlich einsetzen.
({5})
Selbst die Unternehmen - das gilt auch für Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind - fordern diese
Planungssicherheit ein. Ich zitiere jetzt einmal einen potenziellen Käufer von Vattenfall, den Chef des tschechischen Energiekonzerns EPH, der auch an der MIBRAG
mitbeteiligt ist, also weiß, was Braunkohlepolitik in
Deutschland bedeutet. Der sagte im Handelsblatt: Der
Ausstieg - er sprach vom Kohleausstieg - kommt von
selbst, aber eben Schritt für Schritt. Was wir brauchen,
sind klare Ansagen der Politik. - Diese klaren Ansagen
müssen wir hier im Deutschen Bundestag treffen, damit
nicht nur die Arbeitnehmer und die Region, sondern
auch die Unternehmen Planungssicherheit haben, meine
sehr verehrten Damen und Herren.
({6})
Jetzt am Schluss komme ich ganz kurz zu dem Instrument. Wir sind ganz bei Ihnen, wenn Sie, Herr Gabriel,
sagen, dass wir mit dem Ausstieg anfangen müssen. Wir
Grünen bestehen aber darauf, dass dort, wo „Klimaschutz“ draufsteht, auch wirklich Klimaschutz drin ist.
Wir haben die CO2-Grenzwerte vorgeschlagen. Es gibt
also einen Vorschlag in diesem Bereich. Das ist nicht
ganz der, den Sie haben. Unser Grenzwert wäre aus unserer Sicht planungssicher. Wenn Sie aber Ihren Vorschlag ernst meinen, hören Sie bitte genau zu und lesen
Sie bitte die Dokumente, in denen steht, wo man wirklich nachlegen muss.
Kollegin Baerbock, Sie müssen bitte zum Schluss
kommen.
Ich komme zum Schluss. - Bisher ist die Frage der
Modernisierung noch ungeklärt. Sie sagen, dass im
Zweifel ab einem Alter von 20 Jahren gezahlt werden
muss. Dann steht aber drin „es sei denn, sie werden modernisiert“. Was ist Modernisierung? Ist der Austausch
der Rauchentschwefelungsanlage Modernisierung? Damit wird alle Kraft aus der Regelung herausgenommen,
und niemand muss die Umlage zahlen. Darauf müssen
Sie gucken.
Das können Sie jetzt wirklich nicht mehr bis zum
Ende erklären.
Sie müssen auf den Preis schauen, ob der wirklich
Wirkung entfaltet.
Vor allen Dingen müssen Sie sich fragen: Was wollen
wir machen, wenn die Projektionen wieder zu höheren
Zahlen bei den CO2-Emissionen führen und wir - um die
Zielmarke von 290 Millionen Tonnen zu erreichen nicht nur 22 Millionen Tonnen, sondern deutlich mehr
einsparen müssen? Ihr Instrument kann nicht nachgesteuert werden.
Kollegin Baerbock, im Zweifel habe ich hier eine
Möglichkeit, auszuschalten.
Hier müssen Sie nachlegen.
Danke.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Frank Schwabe
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Als jemand, der aus einer
Region, dem Ruhrgebiet, kommt, wo die Kohle in der
Vergangenheit eine große Rolle gespielt hat und immer
noch spielt, aber in Zukunft jedenfalls in der Förderung
vermutlich keine Rolle mehr spielen wird - leider wird
das so sein -, weiß ich, wie schwierig die Debatte in den
Regionen ist. Deswegen kann ich auch die Diskussion
sowohl im Rheinischen Braunkohlerevier als auch in den
ostdeutschen Braunkohlerevieren nachvollziehen. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, den Menschen vor Ort
eine Perspektive zu bieten. Neben all dem, was wir diskutieren, sei es beim Klimaschutz oder zu Veränderungen im Energiesektor, brauchen die Menschen eine
Perspektive. Diese dürfen sie nicht erst im Anschluss
aufgezeigt bekommen, sondern wenn wir über solche
Maßnahmen diskutieren, sind wir in der Verantwortung,
auch gleichzeitig eine Perspektive aufzuzeigen.
({0})
Der Bundeswirtschaftsminister hat gerade deutlich
gemacht - ich kann dem kaum etwas hinzufügen -, dass
es wichtig ist, dass wir uns in der politischen Debatte
ehrlich machen. Das müssen wir in der Energiepolitik
insgesamt machen. Es geht nämlich nicht nur um die
Frage, die wir heute diskutieren, sondern es gibt sehr
viele Fragen, bei denen sich der Wirtschaftsminister auf
den Weg gemacht hat, uns ehrlich zu machen und klar zu
sagen, was das, was wir an Zielen umsetzen wollen, am
Ende kostet und wie man die Vorhaben konkret umsetzen will.
Wir müssen uns in der Debatte auch ehrlich machen,
was Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Preisstabilität angeht. Das ist im Übrigen gerade auch für die
Regionen und die betroffenen Unternehmen notwendig.
Sie müssen nämlich verlässlich wissen, worauf sie sich
einzustellen haben und wie die Rahmenbedingungen für
die Zukunft sind.
Deswegen ist völlig klar - ich möchte wiederholen,
was schon viele gesagt haben -: Es gibt ein CO2-Minderungsziel in Deutschland von mindestens 40 Prozent.
Das hat der Deutsche Bundestag gemeinschaftlich beschlossen. Dahinter stehen die gesamte Bundesregierung
und auch die Bundeskanzlerin. Wenn es ein solches Ziel
gibt, dann müssen wir im Deutschen Bundestag alles
tun, um dieses Ziel erreichen zu können.
({1})
Das Programm sieht nun einmal vor - das wurde im
letzten Jahr beschlossen -, 22 Millionen Tonnen CO2 im
Kraftwerkssektor einzusparen. Natürlich wollen wir,
dass der europäische Emissionshandel funktionstüchtig
ist. Ich bin sehr skeptisch, dass er in kurzer Zeit funktionstüchtig werden kann. Zurzeit ist er jedenfalls nicht
ausreichend funktionstüchtig, und die Hoffnung, dass
sich dies ändert und dazu beiträgt, dass wir bis zum Jahr
2020 unser Ziel erreichen, ist nicht groß. Die Preise für
Emissionszertifikate liegen zurzeit bei 6 oder 7 Euro.
Das reicht nicht aus, um eine ausreichende Lenkungswirkung zu erzielen.
Auch dafür muss man die Bundesregierung loben:
Wir haben jetzt einen Bundeswirtschaftsminister, der
auch schon Umweltminister war. Zu der Zeit war
Deutschland in der Tat international ein Vorreiter. Die
Vorreiterrolle ist allerdings in den vier Regierungsjahren
dazwischen verloren gegangen. Wir können jetzt aber
wieder daran anknüpfen. Wir sind in vielen Bereichen
vielleicht noch nicht perfekt, aber ich finde, wir können
wieder an unsere Vorreiterrolle anknüpfen. Dazu gehört
auch ein zwischen Umweltministerin und Wirtschaftsminister abgestimmtes Auftreten in Brüssel. Das ist mittlerweile wieder erreicht, nachdem wir in Deutschland
jahrelang herumgeeiert sind und gar nicht klar war, wo
Deutschland steht. Nachdem wir damals als Bremser
aufgetreten sind, sind wir jetzt zumindest bei der Reform
des europäischen Emissionshandels wieder Vorreiter.
({2})
Aber zurzeit reicht der Zertifikatepreis beim Emissionshandel nicht aus, um eine ausreichende Lenkungswirkung zu erzielen. Deshalb müssen wir eine Antwort
darauf geben, wie wir unsere Ziele sonst erreichen wollen. Ich war überrascht von dem Vorschlag, der uns vorgelegt wurde, weil es ein hochintelligenter Vorschlag ist,
der, anders als behauptet wurde, dem europäischen
Emissionshandel nicht entgegensteht. Die Gleichung,
die hier aufgemacht wurde, stimmt schlichtweg nicht,
dass wir durch Einsparungen in Deutschland am Ende
dafür sorgen, dass andere in Europa mehr emittieren
können. Denn mit dem Vorschlag ist verbunden, dass wir
gleichzeitig Emissionshandelszertifikate vom Markt aufkaufen.
Insofern ist das Instrumentarium in der Tat mit dem
europäischen Emissionshandel kompatibel, und es sorgt
gleichzeitig dafür, dass wir in Deutschland handlungsfähig sind und unsere Ziele entsprechend erreichen können. Ich wiederhole, was schon viele gesagt haben: Wer
für das 40-Prozent-Ziel steht und akzeptiert, dass wir
Einsparungen brauchen - und im Kraftwerkssektor haben wir Einsparpotenziale -, der muss, wenn er dieses
Instrument ablehnt, ein anderes Instrument bieten.
({3})
Ich habe noch kein solches Instrument gesehen. Deswegen begrüße ich das Instrument, das der Wirtschaftsminister vorgeschlagen hat, sehr.
({4})
Ich glaube, dass wir mit dem, was hier vorgelegt
wurde und was man sicherlich im parlamentarischen
Verfahren noch diskutieren kann, ganz viel tun, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Ich glaube, dass wir
gleichzeitig durchaus auf dem Weg sind, Perspektiven
für die betroffenen Regionen zu entwickeln. Daran wird
allerdings auch weiter zu arbeiten sein.
Glück auf!
({5})
Die Kollegin Dr. Herlind Gundelach hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, in einem sind wir uns hier im Hause einig
- das hat die Debatte bisher auch gezeigt -: Alle bekennen sich zu dem 40-Prozent-Ziel der CO2-Minderung.
({0})
- Doch. Da haben Sie ihn völlig falsch verstanden. Auch
er bekennt sich dazu.
({1})
Ich denke, das ist schon einmal ein positives Signal,
das nach draußen geht. Auch wenn das 40-Prozent-Ziel
damals unter anderen Rahmenbedingungen beschlossen
wurde - das möchte ich betonen -, so halten wir dennoch an diesem Ziel fest. Das soll deutlich gesagt werden.
Seit dieser Zeit haben sich allerdings auch die Rahmenbedingungen unserer Energieversorgung drastisch
verändert. Wir alle wissen, dass die erneuerbaren Energien in der Zwischenzeit mehr als 25 Prozent bei der
Stromerzeugung ausmachen.
({2})
Kraftwerke auf fossiler Basis kämpfen deswegen ums
Überleben. Das zeigt auch die Diskussion um das künftige Strommarktdesign. Lassen Sie mich eine weitere
Zahl bringen: Deutschland hat im Jahr 2013 mehr als
34 Terawattstunden Strom netto exportiert.
({3})
Legt man den von der Kommission festgelegten Emissionsfaktor von 0,76 Tonnen CO2 pro Megawattstunde an,
dann wären das bereits fast 26 Millionen Tonnen CO2,
die wir in Deutschland zwar produziert, aber nicht verbraucht haben. Auch das sollte man bei dieser Gelegenheit einmal betonen.
({4})
Über noch eines müssen wir uns im Klaren sein: Aufgrund des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien,
den wir alle wollen, wird diese Zahl in den nächsten Jahren noch zunehmen.
Klimapolitik ist aber nicht nur Strompolitik, sondern
sie umfasst auch die Bereiche Wärme und Kälte sowie
Energieeffizienz. Deswegen hat die Bundesregierung
den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz vorgelegt.
Deshalb müssen wir aus meiner Sicht neben dem Strommarkt, über den wir heute im Wesentlichen gesprochen
haben, auch die anderen Sektoren in den Blick nehmen,
wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. Um
es noch einfacher zu formulieren: Wir müssen die Gelder, die zusätzliche Emissionsminderungen kosten, so
optimal wie möglich einsetzen.
Deshalb muss diese Diskussion - das ist heute in der
Debatte auch schon angeklungen - auch im Kontext der
Überlegungen erfolgen, wie es zum Beispiel bei der
KWK weitergeht; denn sie bietet noch immer die beste
Ausbeute der fossilen Energieressourcen. Ich glaube,
auch da besteht ein großer Konsens hier im Hause.
Allerdings werfen die jetzt vorliegenden Überlegungen des BMWi aus meiner Sicht mehr Fragen auf, als
sie beantworten. Zunächst einmal - auch das ist festzuhalten - bedeuten die Vorschläge einen massiven Eingriff ins Eigentum, was überdies aus meiner Sicht von
Anfang an eine Schwachstelle in der Energiewendepolitik war.
({5})
Betreiber von Kraftwerken haben nämlich in der Regel
eine Genehmigung zur Freisetzung von Treibhausgasen,
meist aufgrund ihrer Genehmigung nach dem BundesImmissionsschutzgesetz. Ihre Emissionszertifikate haben sie übrigens nicht nur kostenlos erhalten, sondern sie
haben sie zum Teil auch käuflich erworben. Nun sollen
sie aufgrund einer neu berechneten Grundausstattung
partiell stillgelegt werden, die eine nationale Berechnung ist.
Hier ist aus meiner Sicht ein Widerspruch zu Ihnen,
Herr Minister Gabriel. Sie sagen: Wir wollen diese Zertifikate stilllegen. - Das ist richtig. Damit ist ein Teil des
in Europa vorhandenen Potenzials stillgelegt. Nur, dem,
was der Kollege Pfeiffer vorhin gesagt hat, haben Sie
widersprochen. Er hat gesagt, man könnte rein theoretisch nationales Geld nehmen und Zertifikate aufkaufen;
({6})
denn dem Klima ist es vergleichsweise egal, ob die Zertifikate in Deutschland oder sonst wo stillgelegt werden.
Entscheidend ist die CO2-Minderung. Daher sehe ich darin keine hundertprozentige Logik.
({7})
Es sind aus meiner Sicht noch weitere Fragen nicht
ganz geklärt. Ich hatte gerade das Thema Eigentum angesprochen. Ist damit nicht eventuell ein enteignungsgleicher Eingriff verbunden? Wird die nach Artikel 12
des Grundgesetzes garantierte Berufsfreiheit eingeschränkt? Im Übrigen gibt es aus meiner Sicht auch noch
keinen hinreichenden Nachweis, ob die Vorschläge mit
dem EU-Recht kompatibel sind, und zwar sowohl mit
dem Wettbewerbsrecht als auch mit dem Emissionshandelsrecht.
Auch scheint mir der Vorschlag - das ist der letzte
Punkt, auf den ich eingehen möchte - prima facie zu
sehr auf eine einseitige Beeinträchtigung der Braunkohle
zu setzen, die übrigens immer noch unser einziger heimischer Energieträger ist, und zwar sowohl was den
nicht differenzierenden Freibetrag pro installierter Gigawattkapazität als auch was das Alter der Kraftwerke angeht.
In Ihrem Vorschlag heißt es, dass 90 Prozent der
Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen nicht betroffen seien. Bei den Braunkohlekraftwerken stellt sich das
aber etwas anders dar; denn hier ist das Verhältnis ungefähr 28 : 16. 28 dieser Kraftwerke sind schon deutlich älter als 20 Jahre und sind daher sofort betroffen.
Auch haben die Vorschläge massive Auswirkungen
auf die regionale Wirtschaft, ihre Struktur und die damit
verbundenen Arbeitsplätze; das ist ebenfalls schon angeklungen. Erste Schätzungen gehen von bis zu 20 000 Arbeitsplätzen aus. Ich habe auch schon höhere Zahlen gehört; ganz genau weiß das vermutlich keiner von uns.
Unsere Klimaschützer bringen immer wieder zum
Ausdruck, dass Kohlekraftwerke, insbesondere Braunkohlekraftwerke, das Klima schädigen und deswegen
aus Gründen der Nachhaltigkeit am besten sofort stillgelegt werden müssten. Diesen Klimaschützern kann ich
nur sagen: Nachhaltigkeit umfasst drei Dimensionen,
nämlich die Ökonomie, die Ökologie und das Soziale,
und das müssen wir bei unseren Entscheidungen, denke
ich, immer bedenken.
Die neuen Länder - das ist, glaube ich, auch klar sind von diesem Vorschlag ganz besonders betroffen.
({8})
Das spiegelt auch die Betroffenheit wider, die in den öffentlichen Diskussionen dort zum Ausdruck kommt.
Auch das ist ein Punkt, den wir beachten müssen.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss. - Noch einmal: Das Ziel
„40 Prozent“ ist aus meiner Sicht in Ordnung. Der Weg
dahin muss aber gründlich durchdacht werden. Schnellschüsse und Ideologie sind hier aus meiner Sicht fehl am
Platz.
({0})
Die Kollegin Bärbel Höhn hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister Gabriel, ich möchte diese Diskussion zu
dem nutzen, zu dem Sie uns verholfen haben. Dadurch,
dass Sie länger geredet haben, haben wir die Möglichkeit, spontan zu reagieren. Ich finde, diese Möglichkeit
sollten wir auch nutzen; denn wir bleiben bei den Debatten hier im Bundestag immer noch zu oft fest am Blatt.
Deshalb möchte ich gern genau die Punkte aufgreifen,
die Sie hier angesprochen haben.
Sie haben gesagt: Wir müssen uns ehrlich machen,
und zwar in einer wichtigen Frage, nämlich der Frage:
Wie gehen wir mit einem Strukturwandel um, von dem
ganz bestimmte Regionen besonders betroffen sind? Ich lebe seit über 35 Jahren im Ruhrgebiet, und damit
habe ich den Strukturwandel in der Steinkohle extrem
und sehr intensiv miterlebt. Ich habe circa 20 Jahre in einem Bergarbeiterviertel gewohnt, und ich kenne die Situation. Ich finde, sich ehrlich zu machen, das heißt
auch, dass wir uns genau überlegen müssen: Wie ist der
Strukturwandel in der Steinkohle gelaufen? War er so,
wie er gelaufen ist, wirklich gut? War er gut für die Region? Ich sage: Er war nicht gut. Er war deshalb nicht
gut, weil die Große Koalition - das waren die IG BCE
und die SPD; das waren der Wirtschaftsrat der Union
und die CDU - viel zu lange an der Steinkohle festgehalten hat, falsche Subventionen in die Region gegeben hat.
Sie ist damit Verursacher der Krise, die wir heute noch
im Ruhrgebiet haben.
({0})
Solche Fehler sollten wir nicht noch einmal machen.
Sich ehrlich zu machen, heißt auch, aus Krisen und aus
der Bewältigung von Krisen in der Vergangenheit zu lernen und es in Zukunft anders zu machen.
Wenn wir die Energiewende erreichen wollen, dann
müssen wir sie in Nordrhein-Westfalen erreichen. Wenn
wir es da schaffen, dann sind wir durch. Das heißt aber
andersherum, dass wir das auch bei der Kohle angehen
müssen. Ich finde gut, dass der Minister darauf hingewiesen hat, dass die Reduktion um 22 Millionen Tonnen
CO2, die er im Kohlebereich angesprochen hat, nicht der
Ausstieg aus der Kohle ist. Es ist ein wichtiger Punkt, zu
sagen: Man kann nicht von heute auf morgen aus der
Kohle aussteigen. Aber man muss anfangen, aus der
Kohle auszusteigen. Man muss ein Konzept machen
({1})
und den Leuten die Wahrheit dazu sagen, wie sich das
Ganze entwickelt.
({2})
Dazu gehört, dass wir gerade in Nordrhein-Westfalen
sozusagen das Festhängen an der Kohle angehen müssen. Es gibt noch zu viel fossiles Denken in NordrheinWestfalen, und das müssen wir überwinden; denn wir
wollen doch, dass in dieser Region, Nordrhein-Westfalen, wo die meiste Energie Europas erzeugt wird, in Zukunft weiterhin die meiste Energie Europas erzeugt
wird. Das kann nur im Bereich der erneuerbaren Energien geschehen. Deshalb müssen wir gerade in Nordrhein-Westfalen auf die erneuerbaren Energien setzen.
Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern eine Alternative zur Steinkohle und zur Braunkohle bieten; ansonsten werden wir diese Krise nicht überwinden und werden
in den Krisenregionen genau dieselben Probleme bekommen, wie wir sie im Ruhrgebiet haben.
({3})
Wenn in den Regionen Zehntausende Menschen betroffen sind, ist das natürlich ein großes politisches Problem; ich weiß das selber. Da kann man nicht einfach
nur die ökologische Karte ziehen. Da muss man natürlich auch die wirtschaftliche und die soziale Karte ziehen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass wir damals das
ganze Geld nicht immer nur in die Steinkohle gesteckt
und die Subventionen immer weiter verlängert hätten,
sondern in Alternativen, die den Menschen in der Zukunft zugutekommen, investiert und nicht am Alten, was
sowieso eines Tages kaputtgeht, festgehalten hätten.
Die Finanzkrise von Nordrhein-Westfalen hat auch
mit dem langen Festhalten an der Steinkohle zu tun. Man
hat immer Gelder für die Steinkohle zur Verfügung gestellt und dafür weniger Geld in die Infrastruktur gesteckt. Genau da haben wir jetzt, im Vergleich zu den anderen Bundesländern, ein noch größeres Problem. Das
ist eine Spätfolge der falsch behandelten Krise des Steinkohlebergbaus. Das darf sich nicht wiederholen.
({4})
Nordrhein-Westfalen sollte viel stärker von den Arbeitsplätzen profitieren, die die erneuerbaren Energien
bieten. Wir reden hier über 370 000 Arbeitsplätze. In
Nordrhein-Westfalen verfügen wir über enormes Knowhow. Wir müssen diese Chance ergreifen. Das heißt: Klimaschutz muss ein wichtiger Bereich sein. Wir werden
insgesamt 200 Millionen Tonnen CO2 einsparen müssen.
Die Kohle muss einen enormen Beitrag dazu leisten; das
weiß der Minister Gabriel auch. Im gesamten Energiesektor sind das von 2013 bis 2020 90 bis 100 Millionen
Tonnen, um die reduziert werden muss. Die 22 Millionen Tonnen sind nur ein kleiner Anteil. Das heißt: Wir
müssen an die alten Kohlekraftwerke rangehen. Wir
müssen, gerade im Bereich der Braunkohle, an die Klimakiller rangehen, um die Klimaziele zu erreichen und
um Nordrhein-Westfalen und Brandenburg sowie weiteren Braunkohleregionen in den neuen Bundesländern
eine Zukunft zu geben. Es wäre gut, wenn diese Debatte
im Bundestag dazu führen würde, diesen Weg ein Stück
gemeinsam zu gehen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Debatte nimmt erstaunlicherweise eine ganz
neue Wendung, wenn Sie, Frau Höhn, sagen, man soll
nicht immer die ökologische Karte ziehen. Das haben
Ihre Vorredner aber in extremer Weise getan.
({0})
Sie haben einfach deutlich gemacht, dass bei den Grünen
der ökonomische Sachverstand im Vergleich zum ökologischen Sachverstand eben nicht so groß ist.
({1})
Ich muss einmal deutlich sagen: Sie haben nicht ganz
unrecht, wenn Sie sagen, dass die langfristigen Subventionen, die in Nordrhein-Westfalen in die Steinkohle geflossen sind, den Strukturwandel aufgehalten haben; das
ist unbestritten. Wenn Sie sich aber einmal den Haushalt
des Bundeswirtschaftsministeriums anschauen, sehen
Sie, dass der größte Posten nicht die Förderung von
Innovationen, sondern die Abarbeitung der Steinkohlealtlasten ist. Das geht bis 2018, und das hat Rot-Grün
damals in vollem Umfang mit ausgehandelt.
({2})
Sie müssen sich also überhaupt nicht darüber aufregen.
Denn auch Sie sind Mitverursacher dieses Problems gewesen.
({3})
Wenn Sie dies nun auf die Braunkohle übertragen
wollen, Frau Höhn, dann sind Sie auf dem Holzweg. Die
Braunkohle ist subventionsfrei.
({4})
Nicht ein Cent aus dem Bundeshaushalt fließt in die
Braunkohle. Die Braunkohle ist der einzige heimische
Energieträger, der in vielen Revieren subventionsfrei abgebaut wird. Das ist der Unterschied zur Steinkohle.
({5})
Dass jetzt die Restlasten, die 22 Millionen Tonnen
CO2, die noch einzusparen sind, sozusagen auf einen Industriezweig abgeladen werden sollen, empfinden viele
Abgeordnete, die aus diesen Regionen kommen, als
falsch. Die Diskussion, die Ihre Kollegin Baerbock geführt hat, ist einseitig. Sie hat sich hier unheimlich aufgeplustert und gesagt: Wegen der paar Arbeitsplätze
bricht doch die Welt nicht zusammen, und der Strukturwandel läuft doch schon. - Natürlich läuft der.
({6})
Das ist doch unbestritten; denn auch die Kohlereserven
und die Bergbauplanungen sind endlich.
Was Sie wollen, ist sozusagen eine bruchartige Entwicklung. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben so einen
Bruch 1990 erlebt. Es gibt noch 21 000 direkte Arbeitsplätze in der Braunkohle. Das war einmal das Dreifache.
Das sollten Sie wissen, wenn Sie über Strukturwandel
reden. Sie haben es nicht erlebt; denn Sie sind ja erst ein
paar Jahre später dahin gekommen.
Meine Damen und Herren, das ist einmal für einen
Kraftwerksblock ausgerechnet worden, nämlich am Beispiel des Kraftwerks Jänschwalde - das sind nicht meine
Zahlen; das sind die Zahlen der Gewerkschaft -: In
Jänschwalde gibt es sechs 500-Megawatt-Blöcke. Bei
20 Euro pro Tonne CO2 würde das eine finanzielle
Mehrbelastung von 400 Millionen Euro pro Jahr bedeuten. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ein Kraftwerksbetreiber dieses Geld erwirtschaften kann.
Nun sagen Sie: Um die paar Arbeitsplätze ist es nicht
so schade. Da finden sich neue.
({7})
Aber Sie müssen natürlich sehen: Im Unterschied zur
Steinkohle, die zumeist aus allen Teilen der Welt importiert wird, wird die Braunkohle überwiegend in Deutschland gefördert. Das ist der große Unterschied zur Steinkohle.
({8})
Das heißt also: Wenn ein Kraftwerksblock oder ein
Großkraftwerk geschlossen wird, weil dieses Geld am
Markt nicht zu verdienen ist, dann schließt nicht bloß
das Kraftwerk, sondern natürlich auch die Grube, weil
sie gar keine Abnehmer mehr für ihre Kohle hat.
({9})
An dieser Kohle, an dieser Grube und an diesem Kraftwerk hängen natürlich Hunderte von Mittelständlern,
Hunderte von Lieferanten aus der Region, die jedes Jahr
Produkte und Dienstleistungen im Umfang von mehreren 100 Millionen Euro an das Kraftwerk und die Grube
liefern. Insofern: Strukturwandel ist okay. Es darf aber
kein Bruch erfolgen. Er muss vielmehr gezielt angegangen werden.
({10})
Ich werde Ihre Rede gerne einmal den Gewerkschaftern in der Region zur Verfügung stellen, damit sie wissen, wie Grüne denken.
({11})
Ihnen ist es scheißegal, was aus der Region wird; Hauptsache, Sie können Ihre große ökologische Karte ziehen.
Ich möchte noch einmal sagen: Bei dem Ziel, die
22 Millionen Tonnen CO2 einzusparen - das ist ja offensichtlich -, spielt das Thema Wärme überhaupt keine
Rolle mehr, weil man im Bundesrat bei der CO2-Gebäudesanierung einfach nicht weiterkommt. Morgen wird ja
wieder ein Tag sein, an dem die Bundesländer bei der
Abstimmung, die das Land Bayern beantragt hat, beweisen können, dass sie bei der CO2-Gebäudesanierung mitmachen. Klimaschutz ist nicht alleine eine Aufgabe der
Bundesregierung, sondern Klimaschutz ist auch eine
Aufgabe des gesamten Landes. Deswegen kann man
nur sagen: Die Bundesländer können sich hier nicht
überall herausziehen und sagen: Der Bund muss das
bezahlen. - Insofern werden wir sehen, wie die morgige
Abstimmung ausgeht - da können wir ja auch sehen, wie
Herr Kretschmann als grüner Ministerpräsident reagiert -,
und dann die Diskussion weiterführen.
Vielen Dank.
({12})
Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat für die Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Minister Gabriel hat recht, wenn er sagt:
Wir müssen ehrlich miteinander reden. - Er hat ja festgestellt, dass dieses Hohe Haus das CO2-Reduktionsziel
von 40 Prozent bekräftigt hat. Darüber diskutieren wir ja
schon lange. Auch in der letzten Legislatur wurde dieses
Ziel ja schon so formuliert.
Natürlich hängt es auch an den Zertifikaten. Die
Linke hat schon vor einigen Jahren festgestellt, dass der
Zertifikatehandel gescheitert ist. Wenn wir uns jetzt die
Preise anschauen, dann kann man natürlich sagen: Er ist
gescheitert - außer man würde Backloading betreiben.
Backloading heißt, dass die überschüssigen Zertifikate
herausgenommen werden, heißt aber auch, dass sie dann
nicht mehr in Verkehr gebracht werden - auch nicht
2020 -, sondern dass sie weg sind, dadurch natürlich weniger CO2 ausgestoßen werden kann und die Preise steigen. Die Preise sollen aber nicht deshalb steigen, weil irgendjemand das Geld einhamstern will, wie hier immer
wieder behauptet wird, sondern um Neuinvestitionen zu
rekrutieren. Das wäre sinnvoll.
Auf europäischer Ebene stößt das zum großen Teil
nicht auf Gegenliebe. Unter den Gegnern sind auch Länder, die Angst vor höherer Arbeitslosigkeit haben, wie
zum Beispiel Griechenland oder Spanien. Das ist natürlich auch Politik dieser EU, die ganz andere Ziele verfolgt. Das hat natürlich auch Auswirkungen in diesen
Ländern wie Arbeitslosigkeit oder Schulden. Da beißt
sich die Katze in den Schwanz.
({0})
Zur Erfüllung dieses 40-Prozent-Ziels fehlt noch etwas - Kollege Lämmel hat es angesprochen -: die Gebäudedämmung, die energetische Sanierung. Ich fordere
die Kontrahenten auf, sich hier endlich einig zu werden;
denn das ist dringend notwendig.
({1})
Wir brauchen eine Rate von 2 Prozent. Dann könnte der
Mittelstand, Kollege Lämmel, den Sie hier angesprochen
haben, wirklich gefördert werden.
({2})
Das wären zukunftssichere Arbeitsplätze - sie müssten
im Osten und Westen nach Tarif bezahlt werden - und
wäre somit eine Sache für lange Zeit; denn die energetische Sanierung braucht Jahre, bis wir den Stand erreicht
haben, den wir wollen.
({3})
Dann können wir wieder über ein Klimaschutzgesetz
reden, das immer wieder angemahnt wird. Ich halte es
nach wie vor für sinnvoll. Die jetzige Regierung will es
nicht. Die SPD wollte es in der letzten Legislaturperiode,
jetzt nicht mehr. Das finde ich schade. Wir sollten uns
gemeinsam hinsetzen und das überprüfen. Wir sollten
die Ziele noch einmal aufschreiben und Überprüfungsschritte festlegen. Wenn Sie ein solches Klimaaktionsprogramm haben, wäre das kein Problem.
Zu den Preisen. Es wird immer über Preise gesprochen. Dabei reden wir auch über die energieintensiven
Unternehmen, die natürlich vieles geschenkt bekommen.
Es wird hier immer über Arbeitsplätze gesprochen. Sie
werfen uns hasserfüllt vor, wir wollten Arbeitsplätze
vernichten. Das wollen wir gar nicht. Aber wir sagen natürlich, dass man das Ganze auch staffeln kann, um die
Umverteilung, die weiter von unten nach oben geht, ein
bisschen auf den Kopf zu stellen.
({4})
Was wollen wir noch? Wir, die Linke, wollen ein Gesetz zum Kohleausstieg. Wir wollen nicht sofort aussteigen, wie immer behauptet wird, sondern wir wollen
einen Plan. Wir wollen, dass bis 2040 das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet wird. Wir wollen einen Plan. Wir
wollen, dass die Kilowattstunden, so wie bei den AKW,
von den alten auf die neuen übertragen werden können
und dass Effizienzbenchmarks in Dreijahresschritten
überprüft werden. Hier sind wir bei dem Thema Arbeitsplätze. Alle Unternehmen sagen uns: Wir müssen uns
auf die Politik verlassen können, damit wir planen können. Eine Strukturpolitik würde die Planung ermöglichen. Ich bin doch die Letzte, die das nicht versteht. Vor
meiner Zeit im Bundestag war ich Betriebsrätin, und ich
weiß, wie es Kolleginnen und Kollegen geht, die entlassen werden. Hier braucht man Qualifizierungsoffensiven. Man braucht in der Regionalplanung viele Dinge.
Hier müssen wir uns auf die Hinterbeine stellen und sagen: So könnte es gehen. Es geht auch; denn wir sind ja
innovativ.
({5})
Sie wollen sowieso immer innovativ sein. Dann sollten
wir wirklich einmal schauen, wie wir vorankommen;
denn alle sagen uns: Wenn die Energiewende bei euch
nicht geht, dann geht sie nirgends. Also haben wir die
verdammte Pflicht und Schuldigkeit, etwas zu tun.
Zum Schluss etwas zu den Ausbauzielen der KWK.
Momentan beträgt die Umlage 0,3 Prozent. Dann wäre
sie höher. Ich denke, das wäre im Rahmen der KWK
auch möglich. Darüber müssten wir uns einigen. Ich
denke, es wäre ein sinnvoller Schritt, KWK für die Zukunft zu sichern. Auch das sind Arbeitsplätze, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Der Kollege Hubertus Heil hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am
Ende einer solchen Debatte muss man feststellen, Frau
Kollegin Bulling-Schröter, dass wir heute über zwei
Punkte diskutieren, nämlich über das Thema Klimabeitrag aus dem Kraftwerkspark und über das Thema KraftWärme-Kopplung. Das lässt uns aus den Augen verlieren, dass dieses Thema in eine Reihe von Vorschlägen
eingebettet ist, die nur ein Ziel haben: Wir wollen und
müssen dafür sorgen, dass die Energiewende nicht entgleist, dass sie wieder auf die Erfolgsspur kommt. Die
Ziele, die wir vertreten, sind gleichrangig, nämlich eine
saubere, versorgungssichere und bezahlbare Energieversorgung in Deutschland zu gewährleisten. Deshalb sage
Hubertus Heil ({0})
ich: Das Maßnahmenpaket, das der Bundeswirtschaftsminister in der letzten Woche vorgelegt hat, reiht sich in
das ein, was wir im letzten Jahr begonnen haben. Nachdem
jahrelang Reformen, die notwendig gewesen wären, liegen
geblieben sind - auch bei der Vorgängerregierung -, müssen wir dafür sorgen, dass das Ganze wieder in Ordnung
gebracht wird.
Wir haben im letzten Jahr mit der EEG-Reform dafür
gesorgt, dass wir erstens verlässliche Ausbaupfade für
die erneuerbaren Energien bekommen, dass wir zweitens
die Kosten einigermaßen im Griff behalten und dass wir
drittens die notwendigen Ausnahmetatbestände für energieintensive Betriebe, die im internationalen Wettbewerb
stehen, erhalten konnten. Das war harte Arbeit. Das war
der erste Schritt.
Letzte Woche ist vom Ministerium ein Paket mit Eckpunkten vorgelegt worden, die insgesamt vier Themen
behandeln, zum einen die Frage: Wie gehen wir jetzt bei
der Frage der Ordnung am Strommarkt, des Strommarktdesigns, weiter vor? Das Bundesministerium schlägt vor,
dass wir uns auf den Weg der Ertüchtigung des Strommarktes begeben - Stichwort Strommarkt 2.0 -, dass wir
mit einer Kapazitätsreserve arbeiten, nicht mit dem Instrument der Kapazitätsmärkte. Unsere Aufgabe wird es
in den nächsten Wochen sein, in den Koalitionsfraktionen mit dem Minister gemeinsam zu beraten, wie das
ausgestaltet wird, damit wir beim stetigen Ausbau der
erneuerbaren Energien niemals die Versorgungssicherheit in diesem Land gefährden, die ein hohes Gut für den
Wirtschaftsstandort Deutschland ist. Auch wenn der
Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, brauchen
wir in diesem Land eine gesicherte Stromleistung. Dies
kosteneffizient und sicher zu organisieren, ist die erste
wichtige Aufgabe.
({1})
Zweitens geht es in diesem Zusammenhang auch um
das Thema Kraft-Wärme-Kopplung. Ich finde es richtig,
dass das Ministerium einen Vorschlag unterbreitet hat,
der KWK stärkt oder zumindest dafür sorgt, dass diejenigen, die in den letzten Jahren im Bereich der KraftWärme-Kopplung in hocheffiziente Kraftwerke für die
allgemeine Versorgung investiert haben, eine Chance bekommen, diese Kraftwerke wirtschaftlich zu betreiben,
damit sie am Netz bleiben und damit auch einen Beitrag
zur Versorgungssicherheit leisten. Herr Minister, das,
was Sie da vorschlagen - übrigens im Interesse vieler
Stadtwerke und Kommunen in diesem Land -, ist ein
ganz wesentlicher Schritt, den die SPD-Bundestagsfraktion massiv unterstützt.
({2})
Wir werden uns in diesem Zusammenhang auch Fragen stellen müssen. Es ist richtig - der Minister hat darauf hingewiesen -: Wenn man alle Ausbauziele im Bereich der KWK gleichzeitig propagieren würde, würden
die Kosten um 2 bis 3 Milliarden Euro steigen. Wir müssen auch da die Kosten, den Strompreis, im Blick behalten. Ich sage aber trotzdem: Wir werden schauen, ob
eine Fokussierung im allgemeinen Bestand nur auf Gas
tatsächlich der richtige Weg ist.
({3})
Es kann dann sein, dass 1 Milliarde Euro nicht ganz ausreicht und wir vielleicht an einem anderen höheren Deckel arbeiten müssen. Das werden wir miteinander prüfen. Aber der Weg ist in diesem Bereich richtig, und von
einem Abbruch im Bereich der KWK kann keine Rede
sein.
({4})
Drittens: das Thema Netzausbau. An die Kollegen
von der CDU gerichtet: Da gibt es überhaupt keine Diskussion zwischen CDU und SPD; wir sind uns da einig.
Es gilt aber auch für den dritten Koalitionspartner, dass
wir uns daran erinnern sollten, was dazu unmissverständlich im Koalitionsvertrag steht. Mit Erlaubnis der
Präsidentin darf ich den Satz zitieren:
Für den Ausbau des Übertragungsnetzes stellt der
Bundesbedarfsplan auch in Zukunft das zentrale Instrument dar.
Ich sage Ihnen: Die Netzintegration ist notwendig. Sie
ist miteinander beschlossen worden. Da gilt, frei nach
Franz Josef Strauß, der alte Satz: Pacta sunt servanda Verträge sind einzuhalten. Diese Investitionssicherheit
brauchen wir auch in Deutschland.
({5})
Viertens: die Frage des Beitrags des Kraftwerksparks
zur Erreichung der Klimaschutzziele, auch des 40-Prozent-Ziels, bis zum Jahre 2020. Die Klimaschutzziele
sind in diesem Haus hundertprozentiger Konsens und
wurden nie infrage gestellt. Sie wurden am 3. Dezember
mit einem Kabinettsbeschluss hinterlegt, bei dem man
sich verschiedene Sektoren vorgenommen hat, durchaus
auch den Wärmesektor. Für die energetische Gebäudesanierung stehen zukünftig, weil Sigmar Gabriel dafür
gekämpft hat, 2 Milliarden Euro zusätzlich zum Marktanreizprogramm zur Verfügung. Wir schauen nicht nur
auf den Kraftwerkspark; wir schauen beispielsweise
auch auf den Wärmesektor, den Gebäudesektor und den
Verkehrssektor.
Klimaschutzziele kann man nicht allein im Kraftwerkspark umsetzen, es sei denn, man will Deutschland
deindustrialisieren; das ist ganz klar. Aber es ist eben
auch richtig, dass das Bundeskabinett unter Leitung der
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf der internationalen Konferenz in Paris mit anderen Ländern dieser
Welt verhandlungsfähig sein will, beschlossen hat, dass
der Kraftwerkspark bis 2020 einen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen im Umfang von 22 Millionen
Tonnen leisten soll. Deshalb sagen wir: Wir unterstützen
die Bundeskanzlerin und den Bundeswirtschaftsminister,
damit Ernst zu machen, und der Koalitionspartner ist genauso eingeladen, die Bundeskanzlerin bei diesem Ziel
zu unterstützen.
({6})
Wir können gerne darüber reden, wie wir es umsetzen.
Ich sage: Das vorgeschlagene Instrument ist interessant.
Hubertus Heil ({7})
Wir müssen es hinsichtlich der Frage, welche Auswirkungen es auf den Strompreis hat, und der Frage, was es
für einzelne Regionen im Strukturwandel bedeutet, überprüfen. Das muss man vernünftig miteinander besprechen und dann ausgestalten. Aber nichts tun, Kollege
Pfeiffer, sich wegducken bei der ganzen Sache, das zählt
nicht.
({8})
Wir werden gemeinsam ein Instrument finden müssen.
Das sind Sie Ihrer Kanzlerin, vor allen Dingen aber dem
Klimaschutz in Deutschland schuldig, meine Damen und
Herren.
({9})
Ich komme zum Schluss.
Kollege Heil, dieses Gespräch mit dem Koalitionspartner müssen Sie jetzt an anderer Stelle fortsetzen. Sie
haben die Zeit überschritten.
Das mache ich gerne, Frau Präsidentin. Gestatten Sie
mir bitte einen Schlusssatz. - Meine Damen und Herren,
die SPD-Bundestagsfraktion wird Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf dem Weg unterstützen. Wir
wollen und wir werden es schaffen, eine sichere, eine
saubere und eine bezahlbare Energieversorgung langfristig in Deutschland zu erreichen. Wir sind jetzt auf dem
Weg, unterstützen Sie uns dabei.
Herzlichen Dank.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM
Somalia auf Grundlage des Ersuchens der
somalischen Regierung mit Schreiben vom
27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie
der Beschlüsse des Rates der Europäischen
Union vom 15. Februar 2010 und 22. Januar
2013 in Verbindung mit den Resolutionen
1872 ({1}) und 2158 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Drucksachen 18/4203, 18/4447
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/4456
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. - Ich bitte,
die notwendigen Umgruppierungen zügig vorzunehmen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schon vor rund einem Jahr haben wir hier über die European Union Training Mission, EUTM, gesprochen. Damals ging es um die Wiederaufnahme der Beteiligung
der Bundeswehr an dieser Ausbildungsmission, heute
diskutieren wir über die Fortsetzung des Mandats.
Sie wissen, dass die Mission im vergangenen Jahr von
Uganda direkt nach Mogadischu verlegt worden ist. Das
war richtig und sinnvoll; denn somalische Probleme
können nur im Land, also in Somalia, gelöst werden. Es
hat sich auch gezeigt, dass diese Verlagerung durchaus
zu einer qualitativen Verbesserung der Mission hat führen können. Durch die Ausbildung direkt vor Ort in dem
betroffenen Land können die somalischen Streitkräfte
ihr Personal flexibler und auch kurzfristiger in die Ausbildungslehrgänge schicken, und die Verlagerung nach
Mogadischu trägt bei den somalischen Partnern zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit dieses Engagements der
EU bei. Darüber hinaus trägt sie auch dazu bei, die Arbeitsbeziehungen mit den somalischen Sicherheitsbehörden zu verbessern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sicherheitslage
in Mogadischu und in Teilen Süd- und Zentralsomalias
ist seit 2011 auch durch die AU-Mission AMISOM verbessert, jedoch unbestritten weiterhin fragil. Ich erinnere
in diesem Zusammenhang nur an die Anschläge der alSchabab auf Regierungseinrichtungen mit leider mehreren Toten.
Aber auch diese Meldung erreichte uns in dieser Woche: Somalische Soldaten konnten mit Unterstützung der
AU die Insel Kudhaa von der Al-Schabab-Miliz zurückerobern. Sie ist jetzt wieder unter der Kontrolle der
somalischen Regierungstruppen. Dennoch: Somalia bedroht als ein sogenannter Failed State die Stabilität des
gesamten Raums um das Horn von Afrika. Das ist nach
wie vor ein zentrales Problem in dieser Region.
Wir wissen, Somalia gehört zu den ärmsten Ländern
der Erde. Die Menschen sind seit Jahren Hunger und
Bürgerkriegen ausgesetzt und leben in äußerst prekären
wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Das Land
ist immer noch geprägt durch kaum vorhandene staatliche Strukturen, gerade im Bereich der Sicherheit und der
Justiz, und bietet darüber hinaus einen Rückzugsraum
für Terrorismus und Piraterie.
Die somalische Regierung, die 2012 eingesetzt
wurde, bemüht sich um eine Verbesserung der Situation,
kann aber nach wie vor keine belastbare und erfolgreiche
Staatsgewalt ausüben. Das heißt, Somalia wird weiterhin
die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft benötigen. Die Ausbildungsmission EUTM soll die somalische Regierung schrittweise dazu befähigen, eigenverantwortlich für Sicherheit und Stabilisierung des Landes
zu sorgen. Bislang wurden insgesamt 4 800 Soldaten
ausgebildet. 136 Soldaten aus 11 EU-Staaten sind vor
Ort. Deutschland stellt zurzeit 8 Soldaten.
Die somalische Regierung benötigt weiterhin Hilfen
im Bereich der Spezialistenausbildung, in der Ausbildung von Führungskräften und beim Mentoring somalischer Ausbilder sowie grundsätzliche Beratung zum
Aufbau der eigenen Streitkräfte. Diese Hilfe sollten und
können wir dem Land im Rahmen dieses Mandates zukommen lassen. Denn nur wenn die Bevölkerung durch
die eigenen Streitkräfte geschützt werden kann, können
sich die dringend notwendigen rechtsstaatlichen und
auch wirtschaftlichen Strukturen auf Dauer etablieren.
({0})
Die EU-Mission EUTM ist jedoch nur ein Teil eines
umfassenden EU-Ansatzes in dieser Region; denn das
europäische Engagement ist durchaus vielschichtig. Die
EU ist auch größter Mittelgeber der AU-Mission
AMISOM. Deutschland ist bislang mit einem Fünftel an
der Gesamtsumme beteiligt. Die EU unterstützt neben
EUTM die zivile Mission EUCAP NESTOR sowie die
Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie. An allen drei Missionen ist unser Land beteiligt.
Die Unterstützung ist aber auch vom Ansatz her noch
weitgehender. So ist die EU mittlerweile wichtigster
Mittelgeber im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Von 2008 bis 2013 hat die Europäische Union insgesamt 521 Millionen Euro unter anderem für gute Regierungsführung, wirtschaftliche Entwicklung und auch
Bildung bereitgestellt.
Im Jahr 2016 sollen Wahlen in Somalia stattfinden.
Die Demokratisierung ist in einigen somalischen Regionen bereits vorangeschritten, wenn auch natürlich längst
nicht in zufriedenstellendem Maße. Bis 2016 - das kann
nur zu hoffen bleiben - werden weitere Erfolge sichtbar
werden müssen, Erfolge, die vor allen Dingen die Bevölkerung wahrnehmen und auch als Verbesserung ihrer eigenen Situation erkennen kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesen Gründen
bitten wir um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden
Antrag.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Alexander Neu für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Erlauben Sie mir zwei Anmerkungen, einmal zu Somalia und dann generell zum westlichen Antiterrorkampf und Staatsaufbaukonzept.
Erste Anmerkung. Das herrschende Regime in Mogadischu, soweit es überhaupt herrscht, ist autoritär und
islamistisch geprägt. Die Scharia ist die erste Norm in
der Verfassung. Sie steht also über den normalen staatlichen Gesetzen. Das ist weit entfernt von dem, was gerade gesagt wurde: Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit.
({0})
Faktisch ist das Ziel der EUTM, ein islamistisches Regime gegen ein anderes, nämlich al-Schabab, in Stellung
zu bringen und zu halten, gemäß dem Motto von
Kissinger: Hauptsache es sind unsere Schweinehunde.
Dieser unausgesprochene Ansatz ist nicht zielführend
und kann nicht zielführend sein.
({1})
Zweite Anmerkung. Das sicherheitspolitische Konzept des Westens bezüglich Antiterrorkampf und Staatsaufbau ist und bleibt zum Scheitern verurteilt, da lediglich Symptome bekämpft werden, häufig sogar neue
Ursachen für Terrorismus durch die Symptombekämpfung geschaffen werden.
Ein Beispiel ist Somalia. Somalia ist ein Land, das
mit am meisten unter dem US-Drohnenkrieg - ich sage
auch: US-Drohnenterror - zu leiden hat. Nicht nur potenzielle Terroristen werden ohne juristische Grundlagen
getötet, nein, die meisten Getöteten sind Zivilisten, das
heißt Frauen, Kinder und Männer, die nichts mit Terrorismus zu tun haben. Die Menschenrechtsorganisation
Reprieve hat kürzlich berechnet, dass weltweit auf einen
getöteten Terroristen im Rahmen des US-Drohnenkrieges 28 getötete Zivilisten kommen, 1 : 28.
Die Vereinigung der Internationalen Ärzte für die
Verhütung des Atomkrieges, IPPNW, veröffentlichte vor
wenigen Tagen eine Studie mit dem Titel „Body Count“,
frei übersetzt: Zahl der Getöteten. Demnach habe der
US-geführte Antiterrorkrieg bereits über 1 Million Tote
- das heißt, Kriegstote und Kriegsfolgetote - zu verantworten. Über 1 Million! Das, meine Damen und Herren,
ist der Humus, auf dem weltweit neuer Terrorismus
wächst. So kann man ihn aber nicht bekämpfen. Da können Sie so viele Staatsaufbauprojekte suggerieren, wie
Sie wollen. Das wird nicht funktionieren.
({2})
Was sagt die Bundesregierung dazu? Nun, sie könnte
ja sagen, sie hätte keinen Einfluss auf den US-Antiterrorkrieg. Das ist falsch, zumindest mit Blick auf den
Drohnenkrieg. Die US-Drohneneinsätze in asiatischen
und afrikanischen Ländern laufen über US-Stützpunkte
in Deutschland. Oder - um es anders, klarer auszudrücken -: Die USA könnten ihren Drohnenterror in afrikanischen und asiatischen Ländern nicht praktizieren,
wenn die Bundesregierung endlich dafür Sorge tragen
würde, dass die USA das deutsche Staatsgebiet nicht für
ihre Kriegsführung missbrauchen.
({3})
Wie reagiert die Bundesregierung auf den öffentlichen Druck, der derzeit wächst? Wie reagiert die Bundesregierung im Spagat zwischen Vasallentreue einerseits und Rechtsstaatlichkeitsgedanken andererseits?
({4})
Sie reagiert ähnlich wie im NSA-Skandal, den Edward
Snowden aufgedeckt hat: Erst will sie davon nichts wissen. Dann entscheidet sie sich angesichts des wachsenden öffentlichen Drucks dazu, die USA doch einmal
sanft zu fragen, ob an den Vorwürfen etwas dran sein
könnte. Die USA antworten natürlich ebenso sanft, wie
man es sich in Berlin erhofft: Nein, da ist nichts dran;
das stimmt nicht. - In Berlin ist man mit dieser Aussage
glücklich und zufrieden. Darauf, dass die USA es nicht
immer ganz genau mit der Wahrheit nehmen, wenn es
um Kriegspolitik geht, kommt die Bundesregierung
nicht.
({5})
- Mir ist das Thema bekannt, und ich habe den Rahmen
weit ausgedehnt.
({6})
Dementsprechend werden die Zusagen der USA, dass
deutsches Territorium für den Drohnenkrieg nicht missbraucht wird, nicht weiter geprüft.
Fazit: Die deutsche Staatsräson ist: sich lieber mit
US-Kriegsverbrechen gemein machen - unter der Decke
natürlich -, als die internationale Rechtsordnung und
Menschenrechte zu respektieren, wenn es um deutschamerikanische Beziehungen und deutsch-amerikanische
Interessen geht. Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist
das Gegenteil einer verantwortungsvollen Außen- und
Sicherheitspolitik. Das ist feige und heuchlerisch.
({7})
Daher lehnt die Linke den Antrag auf Verlängerung von
EUTM Somalia ebenso ab wie den Entschließungsantrag
der Grünen, weil er ein falsches Konzept nur optimieren
möchte.
Ich danke Ihnen.
({8})
Der Kollege Roderich Kiesewetter hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon
traurig, Herr Kollege Dr. Neu, dass Sie den Bundestag
als ein Forum für Desinformation und Propaganda nutzen,
({0})
statt als stärkste Oppositionspartei bessere Vorschläge zu
machen. Das haben Sie nicht getan.
({1})
Terrorismus, organisierte Kriminalität, Flüchtlingsströme - Somalia ist ein erschütterndes Beispiel für die
Auswirkungen, die fragile Staaten bis nach Asien und
Europa haben. Es ist in unserem Kerninteresse, den Ursachen von Flüchtlingsströmen nicht nur nachzugehen,
sondern sie auch intensiv zu bekämpfen und in Afrika
mit einem übergreifenden Ansatz Hilfe zur Selbsthilfe
zu leisten. Das genau machen wir im Rahmen dieser
Ausbildungsmission. Ich will im Folgenden darstellen,
welche unsere Kerninteressen sind.
Kollege Kiesewetter, gestatten Sie eine Frage oder
Bemerkung der Kollegin Dağdelen?
({0})
Nein, aber ich freue mich auf die Kurzintervention
hinterher.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Europäer sind dort nicht deshalb engagiert, weil wir direkt
militärisch eingreifen wollen, sondern weil wir Hilfe zur
Selbsthilfe leisten wollen. In unserem Kerninteresse ist
es, dass die Ursachen von Flüchtlingsströmen bekämpft
werden. Vor allen Dingen aber müssen die Ursachen des
raumgreifenden Terrorismus bekämpft werden, der nicht
nur von Somalia ausgeht, sondern über Boko Haram
auch Kenia und andere Staaten wie Nigeria und Libyen
erfasst. Außerdem gefährdet er, wie wir gerade im Jemen erleben, auch die Sicherheit Afrikas, der arabischen
Welt und Europas.
({1})
Seit dem Jahr 2006 ist die internationale Gemeinschaft in Somalia engagiert, zunächst mit der Mission
AMISOM der Afrikanischen Union. Kurz nach Inkrafttreten dieser Mission war klar, dass hier übergreifend geholfen werden muss - da gab es dann die UNO-Mission
UNOSOM, die immer noch wirksam ist -, und dann haben wir Europäer uns aufgerufen gefühlt, zu unterstützen. Wir machen dies zur Unterstützung des Welternährungsprogramms und zur Bekämpfung der Piraterie mit
der Operation Atalanta. Wir unterstützen die Küsten9224
sicherheit mit der EU-Mission EUCAP NESTOR, und
wir sind seit einigen Jahren - insbesondere in Somalia,
seit zwei Jahren - aktiv mit der Ausbildungsmission. An
dieser Ausbildungsmission sind zwar insgesamt nur
130 europäische Soldaten, darunter 8 deutsche Soldaten,
beteiligt; aber durch diesen Ausbildungsprozess ist bis
jetzt schon ein Viertel der somalischen Streitkräfte gegangen. Das ist ein Erfolg. Ich möchte an dieser Stelle
allen europäischen Soldaten, die mitgewirkt haben an
diesem übergreifenden Ansatz, danken.
({2})
Hier zeigen auch wir Deutschen europäische Solidarität;
denn die Flüchtlingsströme aus Somalia gehen über
Libyen nach Italien, nach Malta, nach Spanien. Hier zeigen wir auch, dass wir mit einer konzertierten Ausbildung unterstützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Übergreifende ist allerdings auch das Schwierige. In Somalia
haben wir erreicht, dass al-Schabab keine räumliche Verantwortung bzw. räumliche Herrschaft mehr übernommen hat und übernehmen kann. Wir haben erreicht, dass
das somalische Budget sich in den letzten zwei Jahren
durch Steuereinnahmen um ein Fünftel erhöht hat. Wir
haben erreicht, dass der Teil der somalischen Streitkräfte, den wir unterstützen, so etwas wie eine Stütze der
dortigen Regierung geworden ist.
Allerdings stehen wir vor zwei Herausforderungen
- das müssen wir auch ganz offen ansprechen -: Die
Ausbildungsmission kann nur ein Teil sein in dem vernetzten strategischen Ansatz, den ich angesprochen
habe. Ganz wesentlich ist eine legitime Regierung. Erstmals seit 2012 haben wir wieder eine Regierung; bis
2012 stand das Land vor dem Zerfall. In den letzten drei
Jahren hat die Regierung zumindest die Kontrolle über
einen Teil des Landes wiedergewonnen. Im nächsten
Jahr finden erstmals wieder Parlamentswahlen statt. Es
ist, glaube ich, unsere Verantwortung, dieser Regierung
zu zeigen, dass die internationale Zusammenarbeit Forderungen stellt an Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung, was dort einen erheblichen Aufwand bedeutet.
Auf der anderen Seite - ich spreche hier die Kollegen
von Bündnis 90/Die Grünen an - wäre es ein fatales Signal, jetzt, knapp eineinhalb Jahre vor den Parlamentswahlen, aus dieser Mission auszusteigen. Im Gegenteil:
Heute früh hat eine Vertreterin Ihrer Fraktion sehr deutlich angesprochen, warum wir die EU-Assoziierungsabkommen brauchen. Auch wenn in den Staaten Moldawien, Ukraine und Georgien nicht alles so ist, wie wir
uns das wünschen, müssen wir uns dort engagieren. Genauso müssen wir uns weiterhin in Somalia engagieren,
dürfen uns nicht von dort zurückziehen, auch wenn die
Mission noch zu verbessern ist.
({3})
Rauszugehen ist keine Alternative. Entscheidend ist,
dass wir uns dort weiterhin einbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werbe
intensiv für die Zustimmung zu diesem Mandat. Die
Ausbildungsmission ist eingebunden in eine überregionale Initiative, nicht nur, was die deutsche Afrikastrategie angeht. Die Europäische Union ist auf dem Weg und
muss auf dem Weg bleiben, globaler Akteur für zivil unterstützte Sicherheit zu sein. Es ist unsere Aufgabe, ein
glaubwürdiger Pfeiler im Konzert der internationalen
Organisationen zu sein. Dank der Europäischen Union
ist die Afrikanische Union in der Lage, Missionen
durchzuführen. „Hilfe zur Selbsthilfe, afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“ muss unsere Devise
sein. Die Ausbildungsmission leistet dazu einen erheblichen, wertvollen Beitrag. Ich bitte Sie deshalb um Ihre
Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({4})
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Dağdelen
das Wort.
Lieber Herr Kollege Kiesewetter, nachdem Sie meine
Zwischenfrage nicht zugelassen haben, bleibt mir nichts
anderes übrig, als Sie so zu fragen. Sie haben meinem
Kollegen Alexander Neu hier vorgeworfen, dass er das
Plenum des Deutschen Bundestages als ein Forum für
Desinformation und Propaganda nutzen würde.
({0})
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass am 20. März ({1})
das liegt also noch nicht lange zurück - in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel von John Goetz und Frederik
Obermaier mit dem Titel „Amerikanischer Drohnenkrieg - Was die Regierung unter Aufklärung versteht“
erschienen ist. Ich will Ihnen nur kurz den Teaser vortragen:
Haben die USA Drohnenflüge von Stützpunkten in
Deutschland aus organisiert? Washington dementiert. Berlin ist damit zufrieden - obwohl sich die
Bundesregierung womöglich eines Verbrechens
schuldig macht.
Darauf ist mein Kollege Neu hier eingegangen. Die
Bundesregierung ist in Somalia in einen Krieg verwickelt - zum einen in den Atalanta-Krieg, zum anderen
durch die Militärausbildung von Sicherheitskräften, die
den Bürgerkrieg weiter anheizen sollen, und drittens
quasi auch in diesen Drohnenkrieg der USA in Somalia
zum Teil gegen unbeteiligte Zivilisten; denn hier sind
Stützpunkte in Ramstein und von AFRICOM.
Auf diese Vorwürfe reagiert diese Bundesregierung
entweder, indem sie sagt, dass sie nichts weiß, oder, indem sie einen Fragebogen an die USA schickt, die dann
sagen: „Von Ramstein oder AFRICOM geht nichts aus“,
obwohl Piloten der Drohnen zum Teil auf diesen Stützpunkten waren und das ausgesagt haben - sowohl gegenüber der Süddeutschen als auch gegenüber der Fernsehsendung Panorama.
Deshalb ist unsere Frage: Warum ist diese Bundesregierung nicht bereit, ihre demokratische Souveränität
in Ramstein und in Stuttgart bei AFRICOM durchzusetzen und mindestens zu untersuchen, ob diese Vorwürfe
wahr sind oder nicht? Das ist unsere einzige Frage an
diese Bundesregierung. Daran werden wir diese Bundesregierung auch messen.
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind gerade
wieder Zeuge von Desinformation geworden.
Erstens. Es gibt keinen Atalanta-Krieg, sondern es
gibt eine Unterstützung des Welternährungsprogramms.
({0})
Zweitens. Sie sprachen von einer „womöglichen“ Unterstützung. An Spekulationen beteilige ich mich nicht.
Drittens. Es ist Aufgabe des NSA-Untersuchungsausschusses, den geheimen Drohnenkrieg zu untersuchen.
Von Ihnen sind der Kollege Hahn und die Kollegin
Renner mit dabei. Informieren Sie sich bei den beiden!
Viertens. Ich habe dem Kollegen Dr. Alexander Neu
bei den Königsbronner Gesprächen ein Forum angeboten. Ihre Partei hat seine Dienstreise dorthin verhindert.
Der Kollege Liebich dagegen nimmt teil; er ist mutig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Linke
sollte sich den Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit stellen und nicht hier Propaganda und Desinformation verbreiten.
Ende meiner Antwort auf die Kurzintervention.
({1})
Kollege Neu, ich gebe Ihnen gleich einen Hinweis
dazu, wie sich Ihr Begehr nachher umsetzen lässt. Sie
können jetzt nicht in eine Debatte um die Kurzintervention bzw. die Erwiderung darauf einsteigen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Frithjof Schmidt für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, Somalia gehört zu den krisengeschüttelten Ländern
Afrikas, die Unterstützung brauchen. Hier ergeben
Staatsversagen, regionale Konflikte, die fortschreitende
Dürre, die Überfischung der Küstengewässer und der
islamistische Terror in weiten Teilen des Landes eine
schreckliche Mischung der Destabilisierung, unter der
die Bevölkerung massiv leidet.
Kollegin Dağdelen, deswegen ist es richtig, dass die
EU und die internationale Gemeinschaft sich dort engagieren. Sie können das doch nicht mit dem Hinweis auf
Drohnenkriegsführung der USA wegwischen. Die kritisiere auch ich in verschiedener Hinsicht, aber sie als
Vorwand zu nehmen, um zu sagen: „Man soll sich da
quasi ganz raushalten“, ist nun wirklich falsch und
schlecht.
({0})
Deswegen ist es auch grundsätzlich richtig, dass die
Europäische Union dort nicht nur humanitäre Hilfe und
Entwicklungshilfe leistet, sondern sich auch um den
Aufbau von Sicherheitsstrukturen kümmern will. Allerdings, Kollege Kiesewetter, das in einem Atemzug mit
EU-Assoziierungsabkommen in Europa zu nennen - das
ist nun wirklich die falsche Kategorie, die Sie da verwendet haben. Da haben wir es nun wirklich mit ganz
anderen Problemen zu tun.
({1})
Sie wissen: Wir Grüne stehen im Zusammenhang mit
dem Aufbau von Sicherheitsstrukturen - gerade in
afrikanischen Krisenländern - auch dem Einsatz der
Bundeswehr aufgeschlossen gegenüber. Meine Fraktion
unterstützt den europäischen Ausbildungseinsatz in Mali
und hat auch die Bundeswehrmandate für die Zentralafrikanische Republik, für den Südsudan und für Darfur
unterstützt. Bei allen Schwachpunkten und Problemen,
die man auch dort feststellen kann und muss: Wir sind
vom Konzept dieser Einsätze überzeugt.
Das ist im Fall Somalia anders.
Kollege Schmidt, ich habe erst einmal die Uhr angehalten und frage Sie, ob Sie eine Frage oder Bemerkung
der Kollegin Dağdelen zulassen.
Ja, bitte.
Herr Schmidt, vielen Dank. - Sie haben mich ja direkt
angesprochen und gemeint, dass es sozusagen schlecht
ist, zu sagen: Wir sollten uns da raushalten und bei dem
Einsatz EUTM Somalia gegen die al-Schabab wegen des
Bürgerkriegs nicht mitmachen.
Man kämpft dort an der Seite der USA und auch an
der Seite einiger Golf-Diktatoren. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie etwas fragen, was mit dem
Nachbarland Jemen und auch mit diesem Einsatz gegen
Terroristen und al-Qaida - die al-Schabab ist ja im Verbund der al-Qaida - zu tun hat: Haben Sie zur Kenntnis
genommen, dass sich die USA ganz hastig aus dem
Jemen, diesem Nachbarland, zurückgezogen und
Rüstungsgüter im Wert von 500 Millionen US-Dollar
zurückgelassen haben, die laut Washington Post jetzt in
den Händen der al-Qaida sind? Glauben Sie, dass das ein
Beitrag dazu ist, sowohl die al-Qaida in Somalia als auch
die al-Qaida im Jemen zurückzudrängen?
Frau Kollegin Dağdelen, Sie bringen hier Sachen zusammen, die ich jetzt so erst einmal nicht zusammenbringen möchte.
({0})
Ich habe Ihnen vorgeworfen, dass Sie die Kritik an
der amerikanischen Drohnenkriegsführung als Vorwand
dafür nutzen, zu sagen: Das Engagement der internationalen Gemeinschaft, der Europäischen Union und der
Vereinten Nationen, in Somalia ist falsch und schlecht. Man kann über einzelne Punkte dieses Engagements reden, und Sie werden feststellen, dass ich empfehlen
werde, diesem Einsatz heute nicht zuzustimmen, weil
ich eben Kritik daran habe.
Aber es ist ein grundsätzlicher Unterschied, konkret
zu kritisieren, was die internationale Gemeinschaft in
solchen Zusammenhängen tut, oder aufzuzeigen, wenn
man glaubt, dass sie etwas falsch macht, oder daherzukommen und zu sagen, man soll sich dort eigentlich
komplett raushalten. Das ist ein politikunfähiger Ansatz,
den Sie hier immer wieder vortragen, und er wird auch
nicht besser, wenn Sie sagen: Lassen Sie uns einmal von
Somalia schnell auf den Jemen kommen; im Jemen ist es
auch ganz schrecklich.
({1})
Das ist nicht der Weg, wie wir hier über Somalia diskutieren wollen. Das finde ich, ehrlich gesagt, unernsthaft.
({2})
Ich möchte darauf zurückkommen, dass wir glauben,
dass man den Fall Somalia und das, was dort gemacht
wird, konkret beurteilen muss. Wir haben das Konzept
des europäischen Ausbildungseinsatzes für somalische
Kämpfer von Anfang an kritisiert. Bis vor 15 Monaten
fand das in Uganda statt. Deshalb war das hier im
Bundestag nicht mandatspflichtig, und deshalb haben
wir hier nicht so darüber diskutiert.
In Uganda wurden im Grunde Milizen aus bestimmten Clans ausgebildet, die dann in Zentralsomalia zu einer Armee gegen al-Schabab verbunden werden sollten.
Dieses Konzept birgt die große Gefahr späterer bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den ausgebildeten
Claneinheiten. Es besteht das Risiko, dass diese Milizen
außer Kontrolle geraten und auf eigene Rechnung Gebiete beherrschen, dass es zu hohen Desertationsraten
kommt und dass gelieferte Waffen in andere Hände
wandern. Deswegen haben wir den Ausbildungseinsatz
in Uganda schon seit Jahren als falsch kritisiert. Die Verlegung nach Mogadischu vor einem Jahr hat daran nichts
geändert. Das falsche Konzept wird fortgeführt, und das
ist schlecht.
({3})
Evaluierungen im Kontext von AMISON benennen
genau dieses Problem und die Gefahr der Bildung von
homogenen Claneinheiten. Das Fehlen von Kasernen
führt dazu, dass sich die Milizen eigene Unterkünfte in
der Region suchen. Von etwa 4 800 Ausgebildeten sollen
nur 1 600 in geschlossenen Verbänden stationiert sein.
Die anderen wohnen mehrheitlich zu Hause, wie es die
Bundesregierung in der Antwort auf eine Frage meiner
Kollegin Brugger etwas blauäugig formuliert hat.
({4})
Mehrheitlich zu Hause wohnen: Was kann das in Somalia bei rund 3 000 Milizionären alles heißen?
Auch das sicherheitspolitische Umfeld in Zentralsomalia wirft einige Fragen auf. So bilden die USA separat Kämpfer aus. Das heißt, sie haben die Ausbildung
an ein Privatunternehmen vergeben, an Bancroft Global.
Die handeln mit Immobilien und führen Entwicklungsprojekte durch, sind aber eben auch in der Militärausbildung tätig. Bekannte Söldner wie der Franzose Richard
Rouget, der laut New York Times schon in einen Putsch
auf den Komoren und in den Bürgerkrieg der Elfenbeinküste 2003 verwickelt war, sind in dieser Ausbildung tätig. Mit solch dubiosen Sicherheitspartnern sollte man
eigentlich nichts zu tun haben.
({5})
Es soll da um die Ausbildung von Spezialeinheiten
für die somalische Armee gehen, die sogenannten
Danab-Einheiten. Da fragt man sich schon: Gibt es da
etwas, was wir wissen sollten? Gibt es da eine Zusammenarbeit mit EUTM, und wenn ja, wie sieht sie aus? Ist
das Bestandteil eines von Deutschland mitgetragenen
Gesamtkonzeptes? Für meine Fraktion muss ich hier
sagen: Wir sehen nicht, dass sich gegenüber der kritikwürdigen Ausbildungskonzeption in Uganda im letzten
Jahr irgendetwas substanziell verbessert hat. Wir haben
dieses Konzept und das Mandat dafür vor einem Jahr abgelehnt, und wir werden es auch diesmal ablehnen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wir finden
es nicht richtig, dass Sie die Bundeswehr in diesen Einsatz in diesem Umfeld schicken wollen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
2008 stellte der Tagesspiegel allen Fraktionen die Frage:
Warum soll sich Deutschland überhaupt in Afrika engaElisabeth Motschmann
gieren? - Diese Frage bleibt aktuell. Die Antworten
darauf waren überzeugend; Ausnahme: die Linke. Ihre
Antworten damals waren genauso verantwortungslos,
abwegig und falsch wie das, was Sie heute hier gesagt
haben, Herr Neu. Wir müssen diese Frage beantworten,
wenn wir Soldaten nach Somalia schicken.
Licht und Schatten charakterisieren unseren Nachbarkontinent Afrika insgesamt. Krasse Gegensätze kennzeichnen das Leben und die Politik in Afrika in seinen
unterschiedlichen Staaten und natürlich auch in Somalia.
Demokratie und Autokratie, demokratisch gewählte
Präsidenten und kaum legitimierte Despoten, Aufbau
staatlicher Strukturen und Prozesse des Staatsverfalls,
hohe Wachstumsraten und Inflation sowie Korruption,
reiche Bodenschätze und bittere Armut, einzelne friedliche Zonen und Krieg, Terror und Vertreibung: Das alles
trifft zum großen Teil auch auf Somalia zu.
Licht und Schatten: Der Entschuldungsprozess
schreitet voran, internationale Finanzhilfen haben sich
im letzten Jahrzehnt verdoppelt, die Staatseinnahmen
sind um 21 Prozent gestiegen. Das ist positiv. Und trotzdem: Armut, Terror, Gewalt und Hunger.
Eines der zentralen Probleme sind die sehr fragilen
staatlichen Strukturen. Seit über 20 Jahren werden sie
vom Bürgerkrieg zwischen Regierung und Al-SchababMiliz immer wieder zerstört. Die Hauptstadt Mogadischu
ist Ende 2011 von den Regierungstruppen und der Afrikanischen Union befreit worden. Das ist positiv. 4 600
somalische Soldaten wurden ausgebildet, sie sind zuverlässig. Das ist positiv. Die Milizionäre sind nicht mehr in
der Lage - Herr Kiesewetter hat darauf hingewiesen -,
größere Räume zu kontrollieren. Auch das ist positiv.
Und trotzdem: Zuletzt hatten die Terroristen von alSchabab am 20. Februar dieses Jahres ein Hotel in
Mogadischu angegriffen. 20 Menschen mussten ihr
Leben lassen, unter ihnen der Vizebürgermeister und ein
Abgeordneter.
Es kann also von einer dauerhaften Verdrängung von
al-Schabab oder von Frieden noch lange keine Rede
sein. Es kann auch keine Rede von der konsequenten
Umsetzung von Völkerrecht und Menschenrechten sein.
Genau deshalb engagieren wir uns in Afrika. Genau
deshalb ist die europäische Mission EUTM Somalia
weiterhin notwendig und wichtig, nicht weil wir irgendwelche kolonialen Expansionsabsichten hätten, wie es
uns die Linken immer wieder unterstellen, sondern weil
die Menschen in Somalia einen berechtigten Anspruch
auf Völkerrecht, Menschenrechte, auf Perspektiven für
ihr Leben und auf zunächst bescheidenen Wohlstand haben. Deshalb engagieren wir uns.
Das Ziel bleiben die Ausbildung der somalischen Sicherheitskräfte, die dazu befähigt werden sollen, selbst
für Stabilität im Lande zu sorgen, die wirksame
Bekämpfung von kriminellen und terroristischen Strukturen mit den Mitteln der Sicherheits- und Ordnungspolitik. Es war daher zum Beispiel eine richtige Entscheidung, die Ausbildung von Uganda in das Trainingscamp
Jazeera in Mogadischu zu verlegen, auch wenn die Rahmenbedingungen für die Ausbildung schwierig sind.
Hier darf man sicher nicht unsere Maßstäbe anlegen,
Kollege Schmidt. Es war richtig, diese Verlagerung vorzunehmen und die Wahrnehmung von Sicherheitsverantwortung auf das Land zu übertragen.
Nächstes Jahr, 2016, sind Wahlen in Somalia. Bis dahin muss noch viel passieren. Die Menschen müssen
eine eigenverantwortliche Lebensperspektive bekommen, um überhaupt den Mut zu haben, die neuen Strukturen, die zu schaffen sind, zu schützen und zu stärken.
Neben dem politischen und strukturellen Ausbau des
Landes ist aber auch ein geistiger Aufbau der Zivilgesellschaft notwendig, was bei 62 Prozent Analphabetenquote sehr schwer ist.
Ein Einklang von militärischer und ziviler Entwicklungszusammenarbeit ist daher wichtig, und es passt gut,
dass das BMZ erhebliche Mittel nach Somalia gibt. Somalia wird mit diesen Geldern in seinen Bemühungen
unterstützt, notwendige Entwicklungen im Land voranzubringen. Dieses Zusammenspiel humanitärer und militärischer Hilfe muss weitergehen. Ohne Sicherheit ist
humanitäre Hilfe nicht möglich. Auch das möchte ich
den Linken immer wieder ins Stammbuch schreiben:
Humanitäre Hilfe, die Sie wollen, geht nicht ohne ein
Minimum an Sicherheit.
({0})
Ohne Sicherheit sind freie demokratische Wahlen
nicht denkbar. Ohne die Bekämpfung der Al-SchababMiliz ist die Zukunft des Landes und seiner Menschen in
Gefahr. Ohne Bekämpfung der organisierten Kriminalität haben rechtsstaatliche Strukturen keine Chance.
Fest steht - ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin -:
Somalia wird noch viele Jahre auf Hilfe von außen angewiesen sein. Vorausgesetzt, die politische Lage lässt es
zu, wird Deutschland mit seinen Bündnispartnern dazu
einen Beitrag leisten. Die Eindämmung des Terrors ist
eine politische Aufgabe, zu der auch Deutschland beitragen kann und muss. Aus diesen Gründen bitte ich Sie
herzlich um Ihre Zustimmung für den Einsatz.
Am Ende auch von meiner Seite herzlichen Dank an
alle Soldatinnen und Soldaten, die in Somalia oder in anderen Ländern einen schweren, oft auch gefährlichen
Einsatz leisten! Aber es ist zum Wohle der Menschen,
und deshalb müssen wir Ja zu diesem Einsatz sagen und
ihn positiv begleiten.
Vielen Dank.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schön, dass
Sie so zahlreich dieser Debatte folgen. Ich bitte Sie um
den notwendigen Respekt und die Aufmerksamkeit auch
für die beiden noch folgenden Redner in dieser Debatte.
Dazu gehört aus meiner Sicht, dass Sie die ausreichend
vorhandenen Sitzgelegenheiten auch tatsächlich nutzen.
Es wäre sehr schön, wenn ich auch in meiner eigenen
Vizepräsidentin Petra Pau
Fraktion erhört würde und deren Abgeordnete Platz nähmen. Aber das gilt auch für die Unionsfraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten Sie Ihre
Fraktionskollegen in den hinteren Reihen darauf aufmerksam machen, dass wir noch immer in der Debatte
sind und sich diese vorwiegend hier vorne abspielt? Der Kollege Thomas Hitschler hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich bedanke mich erst
einmal ganz herzlich dafür, dass Sie die Aufmerksamkeit
im Saal gesteigert haben. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor nicht ganz einem Jahr stand ich schon einmal
an dieser Stelle und habe um Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandats der Bundeswehr gebeten.
({0})
Ich werde dies auch heute tun; denn ich bin davon überzeugt, dass der deutsche Einsatz in Somalia dazu beiträgt, dass sich Strukturen entwickeln und verfestigen, in
denen die Somalis selbst für ihre Sicherheit sorgen können.
Frei nach Rousseau ist der Stärkste nie stark genug,
wenn er seine Stärke nicht in Recht verwandeln kann.
Gemeinsam mit Angehörigen der Streitkräfte aus zehn
weiteren Staaten bilden die Soldaten der Bundeswehr in
vier Lehrgängen somalische Bürgerinnen und Bürger
aus. Die Teilnehmer dieser Lehrgänge sind motiviert. Sie
möchten den Menschen in ihrem Land, in ihrer Heimat
Sicherheit geben.
Um zu verstehen, wie wichtig allein dieses Ziel ist,
müssen wir uns vor Augen führen, wie lange die Somalis
keinen Frieden und auch keine Sicherheit kennen. Der
Bürgerkrieg fing 1991 an. Das ist jetzt 24 Jahre her. Kolleginnen und Kollegen, wie groß schätzen Sie den Anteil
der Menschen in Somalia, die jünger als 24 Jahre sind,
für die der Gedanke, dass Frieden und Sicherheit eigentlich selbstverständlich sein sollten, fremd ist? 20 Prozent? 30 Prozent? Es sind fast 63 Prozent.
Diese Menschen, die im Bürgerkrieg aufgewachsen
sind, wollen jetzt dafür eintreten, dass die nächste Generation in ihrem Land Frieden und Sicherheit als etwas
Normales wahrnehmen kann. Es ist daher gut und wichtig, dass auch wir dabei Verantwortung übernehmen.
Die militärische Unterstützung, die Deutschland Somalia zuteilwerden lässt, stellt aber nur einen Teil des
deutschen Engagements für die Menschen dort dar.
Ohne Unterbrechung stellt Deutschland seit Beginn des
Konflikts Nothilfe und unterstützt Flüchtlinge in angrenzenden Staaten, aber auch Rückkehrer, die ihr Land wieder aufbauen wollen.
({1})
Deutschland unterstützt darüber hinaus Organisationen,
die dieses gebeutelte Land von Minen befreien. Weiter
stellt die Bundesregierung bis 2016 über 100 Millionen
Euro für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung. Und ich meine: Das ist auch gut so!
({2})
Ich wünsche mir, dass sich der deutsche Aufbaubeitrag irgendwann auf das rein zivile Feld konzentrieren
und auch beschränken kann. Bei allen Fortschritten, die
es in den vergangenen Monaten gegeben hat, ist dieses
Land leider längst nicht so weit. Teile Somalias sind immer noch in Händen der Al-Schabab-Milizen. Al-Schabab ist in der letzten Zeit im Fokus unserer Öffentlichkeit weniger präsent. Das liegt nicht daran, dass deren
Mitglieder sich plötzlich des Unrechts bewusst geworden wären, welches sie verbreiten. Es liegt vielmehr daran, dass die Verbrechen der al-Schabab derzeit von
noch größeren Schandtaten in vielen anderen Bereichen
überschattet werden. Ich brauche auf den Begriff des sogenannten „Islamischen Staates“ gar nicht weiter einzugehen.
Vor diesem Hintergrund, Kolleginnen und Kollegen,
müssen wir auch darüber nachdenken, wie das künftige
Engagement der Bundeswehr aussehen sollte. Wir tragen
Verantwortung dafür, im Rahmen unserer Möglichkeiten
bei der Beilegung von Konflikten und dem Wiederaufbau von Staaten zu helfen. Auch dies ist eine der Lektionen, die wir aus unserer Geschichte gelernt haben.
Derzeit dienen etwa 2 500 Soldatinnen und Soldaten
in Auslandseinsätzen. Dies ist der niedrigste Stand seit
über 20 Jahren. Von den insgesamt 16 Einsätzen sind bei
9 weniger als 50 Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Das
kleinste Kontingent besteht aus einem Angehörigen der
Bundeswehr, der im Rahmen von EUCAP NESTOR in
Tansania tätig ist.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Jede Soldatin
und jeder Soldat, die bzw. der im Ausland Dienst tut,
macht einen guten, macht einen notwendigen Job. Dafür
sind wir ihnen auch alle dankbar. Wir müssen uns nur die
Frage stellen, ob die Beteiligung an vielen Einsätzen mit
wenigen Kräften mehr Sinn macht als die Konzentration
auf wenige Einsätze mit größeren Kontingenten. Ich bin
der Ansicht, dass es möglich ist, sich mit unseren Partnern in der EU, in der NATO und auch bei den Vereinten
Nationen besser zu koordinieren und unterschiedliche
Schwerpunkte zu setzen. Auch das muss Teil einer zukünftigen deutschen Sicherheitsstrategie sein.
({3})
Denn wir stehen jetzt gerade sicherheitspolitisch an einem Punkt, an dem die Weichen für die Zukunft gestellt
werden. Die große Zahl der Einsätze, an denen die Bundeswehr beteiligt ist, hat uns die Gelegenheit gegeben,
Erfahrungen zu sammeln und herauszufinden, wo unsere
Stärken sind. Der Einsatz im Rahmen von EUTM Somalia hat uns bei diesem Erfahrungsgewinn geholfen, und
noch viel wichtiger: Er hilft den Menschen in Somalia
dabei, ihr Land wieder aufzubauen.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, heute der Verlängerung des Mandats zuzustimmen. Die SPD-Fraktion wird dies tun.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Julia Obermeier für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die junge Somalierin Maymun Muhyadine
Mohamed spielt für ihr Leben gerne Fußball. Doch die
Liebe zum Fußball machte sie zur Witwe. Radikalislamische Al-Schabab-Milizen bedrohten Maymun. Frauen
dürfen keinen Sport machen, sagten sie. Maymun solle
einen Körperschleier tragen, auch wenn sie damit weder
einen Ball stoppen noch flanken kann. Maymuns junger
Ehemann verteidigte seine Frau gegenüber den Milizen.
Daraufhin drangen die Islamisten nachts in ihr Haus ein
und ermordeten ihn. Maymun, die damals schwanger
war, floh daraufhin aus Mogadischu. Heute lebt sie zusammen mit ihrer inzwischen vier Jahre alten Tochter in
einem Flüchtlingslager in Dschibuti.
Ähnlich wie Maymun ergeht es vielen ihrer Landsleute. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Seit 1990
herrscht in Somalia Bürgerkrieg. Kriminalität, Terror
und Gewalt gehören am Horn von Afrika zum Alltag.
Derzeit sind über 4 Millionen Somalier auf humanitäre
Hilfe angewiesen.
Die internationale Staatengemeinschaft lässt Somalia
nicht allein. Bis 2016 fließen 1,6 Milliarden Euro an Unterstützung. Allein das BMZ hilft den Menschen in Somalia mit rund 100 Millionen Euro, darunter 86 Millionen Euro für die städtische Wasserversorgung und die
ländliche Entwicklung und weitere 8 Millionen Euro für
Maßnahmen gegen die Dürre.
Aber diese Hilfen können nur in halbwegs sicheren
Regionen ankommen. Die militärische Beteiligung
Deutschlands an der EU-Mission in Somalia ist Teil eines ganzheitlichen, vernetzten Ansatzes. Nur wenn alle
Instrumente erfolgreich greifen, können wir den Menschen dort helfen.
Etwa 150 Soldatinnen und Soldaten aus elf EU-Mitgliedstaaten sind derzeit für die europäische Trainingsmission im Einsatz. Deutschland unterstützt diese Ausbildungsmission mit bis zu 20 Soldatinnen und Soldaten.
Es ist eine reine Ausbildungsmission, kein Kampfeinsatz. Derzeit leisten sechs deutsche Offiziere und zwei
Unteroffiziere ihren Dienst in Somalia. Deutschland leistet dort einen kleinen, aber wichtigen Beitrag.
Seit 2010 hat EUTM Somalia 4 800 somalische Soldaten ausgebildet. Die europäische Trainingsmission ist
einer der tragenden Pfeiler der europäischen Sicherheitsstrategie für die Region am Horn von Afrika.
Weitere militärische Hilfe erhält Somalia seit mehreren Jahren durch die Operation Atalanta. Aktuell schützt
die Fregatte „Bayern“ Schiffe des Welternährungsprogramms vor Piratenübergriffen. Darüber hinaus unterstützt die zivil-militärische Mission EUCAP NESTOR
die somalischen Behörden. Somalia baut derzeit eine
Küstenpolizei auf, um selbst für Sicherheit in diesem
Seeraum zu sorgen.
Der Weg zu einem funktionierenden Staatswesen in
Somalia ist noch lang. Wir wollen die Somalier auf diesem Weg begleiten. Unser langfristiges Ziel ist es, den
Menschen in Somalia ein sicheres Leben zu ermöglichen. Auch Maymun und ihre Tochter wollen eines Tages ohne Angst in den Straßen von Mogadischu Fußball
spielen. Den langen Weg dorthin wollen wir gemeinsam
bereiten. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Alexander Neu das Wort
nach § 30 unserer Geschäftsordnung zu einer Erklärung
zur Aussprache.
Kollege Kiesewetter, Sie hatten auf Ihre Königsbrunner Veranstaltung und auf meine Absage hingewiesen.
Ja, ich habe die Teilnahme als Referent abgesagt, nachdem ich die Genossinnen und Genossen der Partei vor
Ort konsultiert habe, die eine Protestaktion gegen diese
Veranstaltung planen. Ich wollte nicht unsolidarisch
sein. Mir diese Absage, die letztendlich von innerparteilicher Demokratie zeugt, als nachteilig auszulegen, halte
ich für problematisch. Es mag sein, dass es in Ihrer
Partei nicht üblich ist, innerparteilich miteinander zu diskutieren und demokratisch zu entscheiden; bei uns ist es
das.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Kiesewetter das Wort zu einer Erwiderung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bleibe bei meiner Feststellung, dass hier heute ein Vertreter der Linkspartei Desinformation und Propaganda betrieben hat. Ich
halte sehr viel davon, dass wir alle Foren auch außerhalb
des Parlaments nutzen, um deutlich zu machen, was
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Vielfalt bedeuten.
Ich halte sehr wenig davon, wenn dieses Hohe Haus als
Plattform für Propaganda und die Verteidigung hybrider
Kriegsformen verwendet wird.
Herzlichen Dank.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 18/4447 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Bera-
tungsmission EUTM Somalia. Ich mache darauf auf-
merksam, dass mir mehrere Erklärungen nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung vorliegen, die wir entsprechend
unseren Regelungen zu Protokoll nehmen.1)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag auf Drucksache 18/4203 anzunehmen.
Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die na-
mentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Vorsorglich mache
ich darauf aufmerksam, dass wir damit noch nicht am
Ende der Abstimmungen zu diesem Tagesordnungs-
punkt sind, es sich also empfiehlt, wenn Sie weiter an
unseren Verhandlungen teilnehmen wollen, sich hinzu-
setzen, damit wir im Präsidium die weiteren Abstim-
mungsergebnisse zweifelsfrei feststellen können.
Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme bei
der namentlichen Abstimmung noch nicht abgegeben
hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der
namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben.2)
Ich wiederhole meine Bitte, nun Platz zu nehmen, damit wir die weitere Abstimmung durchführen können.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4461. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Norbert Müller ({0}), Klaus
Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe
jetzt
1) Anlage 2
2) Seite 9233 C
Drucksache 18/4418
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe ist längst überfällig.
({0})
Meine Fraktion hat hierzu eine Kleine Anfrage an die
Bundesregierung gestellt, und die Antwort hat mich echt
überrascht: Die Arbeitsbedingungen in den Sozial- und
Erziehungsdiensten sind überproportional belastend, die
Rahmenbedingungen sind überwiegend schlecht, und
das Gehalt langt hinten und vorn nicht.
In dieser Branche - übrigens einer der größten Branchen in Deutschland - arbeitet über 1 Million Menschen.
Die Mehrheit der Beschäftigten sind Frauen. Mehr als
die Hälfte arbeitet in Teilzeit. Ein Drittel der Beschäftigten ist heute bereits über 50 Jahre alt. Die Frage ist:
Kommen Jüngere nach und, wenn ja, unter welchen Bedingungen? Von den unter 25-Jährigen waren 2005 noch
95 Prozent und 2013 noch 85 Prozent befristet beschäftigt. Von den neu eingestellten Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern werden drei Viertel mit einem befristeten
Arbeitsvertrag abgespeist. Auch hier haben die Jüngeren
das Nachsehen. Wie sollen diese Menschen eine Zukunft
planen oder sich für eine Familie entscheiden? Das ist
die aktuelle Situation für die meisten Beschäftigten in
den Sozial- und Erziehungsberufen. Es gibt wirklich
nichts zu beschönigen.
({1})
Zum Glück kommt da gerade Bewegung in die Sache.
Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Situation in den
Berufen der Sozial- und Erziehungsdienste bieten die
laufenden Tarifverhandlungen in der Branche. Die Beschäftigten in diesen Bereichen streiken gerade für eine
deutliche Aufwertung ihrer Arbeit. Es geht ihnen dabei
nicht nur um mehr Geld. Es geht ihnen vor allem um die
längst überfällige Anerkennung ihres Berufsbildes.
Diese Aufwertung ist auch dringend nötig; denn nur
verbesserte Arbeitsbedingungen können die Grundlage
für qualitativ hochwertige soziale Pflegedienste und gute
Kinderbetreuung sein.
Letzten Freitag kam es erneut zu Warnstreiks, wie
übrigens auch heute in Berlin. In meinem Bundesland
Niedersachsen haben sich 40 000 Beschäftigte an diesen
Warnstreiks beteiligt. Das finde ich richtig klasse.
({2})
Auch in meinem Wahlkreis wurde gestreikt. Auf die
Frage, warum er streike, sagte ein junger Sozialassistent
meiner Lokalzeitung - ich zitiere -: Weil es eigentlich
nicht sein kann, dass Menschen, die Autos bauen, mehr
Anerkennung haben als Menschen, die mit Kindern arbeiten.
({3})
Ich finde, dieser junge Mann hat absolut recht. Ich erwarte, dass den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsbereich gleiche finanzielle und gesellschaftliche
Anerkennung widerfährt wie den Facharbeitern aus dem
Bereich der Industrie.
({4})
Die Erwartung der Gesellschaft und die Anforderungen an die Beschäftigten steigen kontinuierlich. Das
steht in keinem Verhältnis zum Verdienst und auch in
keinem Verhältnis zu den belastenden Arbeitsbedingungen. Ja, selbstverständlich geht mit einer steigenden
Wertschätzung des Berufsbildes auch ein steigendes Gehalt einher. Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung
und zur Aufwertung dieser Branche sind die politischen
Rahmenbedingungen, die hier im Parlament geschaffen
werden. Zur Steigerung der Qualität der Arbeit müssen
wir über die chronische Unterbesetzung in dieser Branche reden. Fast drei Viertel der Fachkräfte leiden unter
dem übermäßigen beruflichen Stress. Wir sprechen hier
von Arbeit an der Grenze der Leistungsfähigkeit. Genau
deswegen brauchen wir eine Anti-Stress-Verordnung, in
deren Konzept die psychischen Belastungen einbezogen
werden. Das ist ein klarer Auftrag an die Bundesregierung.
({5})
Der Gesetzgeber muss aber auch die Rahmenbedingungen für gute Arbeit insgesamt stärken. Ich sage zum wiederholten Male - auch wenn es Ihnen zu den Ohren herauskommt -: Die sachgrundlosen Befristungen gehören
abgeschafft. Basta!
({6})
Die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen
sind definitiv mehr wert; denn sie leisten eine wertvolle
Arbeit.
Die Linke findet, dass gut funktionierende öffentliche
und soziale Dienstleistungen ein wesentlicher Bestandteil für eine solidarische Gesellschaft sind. Deswegen
haben die Kolleginnen und Kollegen aus den Sozial- und
Erziehungsdiensten unseren Respekt und unsere volle
Unterstützung in ihrem Tarifkampf.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe jetzt“ was für ein Zufall, dass Sie, die Kollegen von der
Linken, diesen Antrag jetzt im Kontext der aktuellen
Tarifverhandlungen einbringen.
({0})
Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Ich möchte daher
festhalten: Lohnverhandlungen gehören in die Hände der
Tarifpartner und nicht in die Hände der Politik.
({1})
Wir haben in Deutschland eine gut funktionierende Tarifpartnerschaft, und ich bin mir sicher, dass die Verhandlungspartner in den laufenden Verhandlungen eine
gute und faire Lösung für alle Beteiligten finden werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht von der
Hand zu weisen: Die Aufgaben in den Sozial- und Erziehungsberufen sind vielfältig. Ob beraten, erziehen, betreuen, pflegen, fördern und auch helfen - es sind alles
wichtige Hilfestellungen. Hierfür brauchen wir gut ausgebildetes und motiviertes Personal. Aber wie erreichen
wir dies? Hierzu sind mehrere Bausteine notwendig. Neben einer guten Bezahlung sind es auch gute Rahmenund Arbeitsbedingungen. Fakt ist: Daran arbeitet die
CDU/CSU-geführte Bundesregierung seit vielen Jahren.
Ich möchte Beispiele nennen.
Seit Oktober 2008 gibt es das Aktionsprogramm Kindertagespflege. Es trägt dazu bei, mehr Personal für die
Tagespflege zu gewinnen, die Qualität der Betreuung zu
steigern und das Berufsbild insgesamt aufzuwerten. Neben der Schaffung eines niederschwellig angelegten Beratungsangebotes, das übrigens auch online abzurufen
ist, gehört dazu seit Juni 2012 auch die Förderung von
Festanstellungen des Kindertagespflegepersonals durch
Lohnkostenzuschüsse zur Weiterentwicklung dieses
Aktionsprogramms.
Wir finden auch Beispiele im Bereich der Pflege. Hier
haben wir schon 2008 durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz Rahmenbedingungen angepasst, was zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geführt hat. Aktuell
wird die Pflege entbürokratisiert. Speziell wollen wir die
Reduzierung der Pflegedokumentation auf ein notwendiges Maß.
Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich Pflege: Noch
im Dezember letzten Jahres haben wir das Pflegestärkungsgesetz verabschiedet. Im Bereich der Demenzkranken in stationären Einrichtungen wurde damit der
Betreuungsschlüssel herabgesetzt, was ebenfalls zu einer
Entlastung des Personals führt.
({2})
Ganz aktuell haben wir am Montag dieser Sitzungswoche die Vergütung von Pflegekräften in einer öffentlichen Anhörung des Petitionsausschusses zum Thema gemacht. Der Bundesminister Gröhe war persönlich zu
Gast. Dies macht deutlich, wie ernst wir innerhalb der
CDU/CSU-Fraktion dieses Thema nehmen.
({3})
- Der Bundesgesundheitsminister hat gesagt, dass er
diesbezüglich in den direkten Dialog mit den Krankenkassen und Leistungserbringern treten will, um eine angemessene Bezahlung in der Pflege zu ermöglichen.
({4})
- Das ist Tatsache.
Nicht zu vergessen: Mit der Einführung des Mindestlohns auch im Pflegebereich ist ein wichtiger Schritt hin
zu mehr Lohngleichheit in einem von Frauen häufig gewählten Berufsfeld geschaffen worden.
({5})
All das zeigt: Wir kümmern uns. Wir erarbeiten Lösungen. Wir haben konstruktive Lösungsvorschläge und
setzen diese auch um.
Kollegin Voßbeck-Kayser, gestatten Sie eine Frage
oder Bemerkung der Kollegin Krellmann?
Nein, ich möchte meine Rede fortsetzen. Ich habe Ihnen auch zugehört, Frau Krellmann.
Unser Ansinnen ist nicht, Kollegen der Fraktion Die
Linke, Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen. Die
Arbeit in der Pflege und in den vielen Sozial- und Erziehungsberufen verdient ebenso Anerkennung und Wertschätzung wie die Arbeitsleistung in jeder anderen Branche.
Gerne nenne ich Ihnen ein weiteres Beispiel, an dem
Sie sehen können, dass wir konstruktiv und lösungsorientiert arbeiten. Um die Attraktivität der Ausbildung in
den Pflegeberufen zu steigern, wollen wir die Ausbildung in den Bereichen Kranken- und Altenpflege
zusammenfassen. Hierdurch werden die beruflichen
Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten über den gesamten Zeitraum des Erwerbslebens verbessert und vergrößert, und auch die individuelle Berufszufriedenheit
wird gestärkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum erwähne ich
das? Soziale Arbeit, Pflege, Erziehungs- und Betreuungsarbeit beruhen immer auf Beziehungsarbeit. Deshalb ist es richtig und wichtig, sich neben einer guten
Bezahlung auch um die Verbesserung von Strukturen zu
kümmern. Verbesserte Strukturen schaffen nämlich verbesserte Arbeitsbedingungen, verbesserte Arbeitsbedingungen führen zu mehr Zufriedenheit, und mehr Zufriedenheit bedingt psychisches Wohlbefinden.
({0})
Dies haben mich 30 Berufsjahre in psychiatrischen Beratungs- und Betreuungsdiensten gelehrt.
Was Ihre Forderung nach Wertschätzung angeht:
Wertschätzung erfährt man neben einer angemessenen
Entlohnung und guten Arbeitsbedingungen auch - das
sei mir an dieser Stelle gestattet zu erwähnen - durch ein
Dankeschön, einen Händedruck, ein Lächeln eines Kindes oder einer zu pflegenden Person. Diese besondere
Wertschätzung ist mit keinem Geld der Welt zu bezahlen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
Linke, als Letztes möchte ich auf Ihre Forderung nach
einem Kitaqualitätsgesetz eingehen. Sie wissen schon,
dass dieses Thema bereits in Arbeit ist?
({2})
Auf der Konferenz zur frühen Bildung im November
letzten Jahres hat sich die Bundesfamilienministerin mit
den Fachministern der Länder auf einen Prozess zur Entwicklung gemeinsamer Qualitätsziele für die Kindertagesbetreuung geeinigt. Ferner wurde in diesem Zusammenhang auch eine Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen
und Vertretern des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände eingesetzt, die sowohl konkrete
Handlungsziele zur Weiterentwicklung der Qualität in
der Kindertagesbetreuung als auch Vorschläge zur Finanzierung erarbeitet. Warten wir doch erst einmal die
Ergebnisse der Praktiker ab, statt nach einem bundeseinheitlichen Kitaqualitätsgesetz zu rufen. Ob ein solches
Gesetz aufgrund der regionalen Unterschiede und somit
auch der regionalen Anforderungen der richtige Weg ist,
wage ich zu bezweifeln.
Ich kann zusammenfassend nur sagen: Dieser Antrag
gehört in Zeiten von Tarifverhandlungen in die Kategorie „Aktionismus, Populismus, Effekthascherei“. Ansonsten gibt es nichts Neues und Konkretes. Somit lehnen wir Ihren Antrag ab.
({3})
Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Krellmann
das Wort.
Frau Voßbeck-Kayser, ich glaube es gar nicht, wie Sie
am Schluss die Keule herausgeholt und draufgehauen
haben, wo Sie nur können. Ich finde, ich habe einen sehr
konkreten Vorschlag gemacht. Sie haben überhaupt
nichts dazu gesagt, was die Bundesregierung machen
könnte. Es geht hier nicht um die Bundesländer, nicht
um die zehntausend komplizierten Sachen, die Sie genannt haben. Der einfachste Vorschlag wäre, die befristeten Beschäftigungsverhältnisse abzuschaffen. Ihre
Bundesregierung hat uns gesagt, dass 85 Prozent der
Menschen in diesem Bereich befristet beschäftigt sind.
Was ist das für eine Wertschätzung?
Bei qualifizierten Berufen rede ich auch nicht über
den Mindestlohn. Das kommt überhaupt nicht infrage.
Arbeit muss mehr wert sein.
({0})
Diese hochqualifizierte Arbeit muss entsprechend gut
entlohnt werden und nicht mit einem Mindestlohn. Das
geht gar nicht. Überlegen Sie sich doch einmal, wie
lange Sie bei 8,50 Euro arbeiten müssen, damit Sie auch
etwas verdienen? Aufwertung sieht anders aus. Was jetzt
in der Tarifrunde passiert, finde ich richtig super, und es
ist ein gutes Zeichen, dass wir im Bundestag über dieses
wichtige Thema reden, das die Menschen draußen bewegt, und zwar nicht nur 500, sondern 5 000, 10 000,
50 000.
({1})
Wünschen Sie das Wort zur Erwiderung? - Bitte.
Frau Krellmann, wenn Sie schon den Mindestlohn erwähnen, dann bleiben Sie nicht immer bei 8,50 Euro stehen.
({0})
- Ja, ich habe über den Mindestlohn gesprochen.
({1})
Aber Sie wissen sicher wie auch ich, dass die Entlohnung im Bereich der Pflege über 8,50 Euro liegt.
Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich Ihnen das
von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 578. Mit Ja haben 454 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt, mit Nein 115, und 9 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 577;
davon
ja: 453
nein: 115
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer ({0})
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({1})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({2})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Vizepräsidentin Petra Pau
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({3})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
({4})
Stefan Müller ({5})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({6})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({7})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Ronja Schmitt ({8})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({9})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({10})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({11})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({12})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({13})
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({14})
Peter Weiß ({15})
Sabine Weiss ({16})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({17})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({18})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({19})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({20})
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Vizepräsidentin Petra Pau
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({21})
Markus Paschke
Sabine Poschmann
Florian Post
Achim Post ({22})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({23})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({24})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({25})
Matthias Schmidt ({26})
Dagmar Schmidt ({27})
Carsten Schneider ({28})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({29})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Waltraud Wolff
({30})
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({31})
Thomas Nord
Harald Petzold ({32})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({33})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({34})
Volker Beck ({35})
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({36})
Christian Kühn ({37})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({38})
Ulle Schauws
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Petra Hinz ({39})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Anja Hajduk
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Dr. Valerie Wilms
Wir setzen nun die Debatte zum Thema „Aufwertung
der Sozial- und Erziehungsberufe“ fort. Das Wort hat die
Kollegin Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Antrag kommt auch wegen
der Kampagne zu den Sozial- und Erziehungsberufen.
Die Kampagne heißt: „Richtig gut - Aufwerten jetzt!“
Sie ist richtig und wichtig. Auch ich habe sie namentlich
aus vollem Herzen unterstützt.
({0})
Die Beschäftigten im Sozialbereich engagieren sich für
die Menschen und für die Gesellschaft. Deshalb haben
sie Anerkennung, Wertschätzung und auch eine gute
Entlohnung verdient. Es geht immerhin um den Wert
von Arbeit.
({1})
Vier Aspekte des Antrags möchte ich kurz ansprechen:
Erstens. Auch wir Grünen fordern eine Qualitätsoffensive in den Kitas. Da geht es insbesondere um einen besseren Personalschlüssel. Für die Kinder bedeutet
mehr Qualität bessere Lebens- und Bildungsperspektiven, für die Eltern geht es um bessere Vereinbarkeit von
Familie und Beruf, und für die Beschäftigten entstehen
so bessere Arbeitsbedingungen. Die Bundesregierung
macht sich aber bei der Qualität einen schlanken Fuß,
und das ist nicht akzeptabel.
({2})
Zweitens. Es geht natürlich nicht nur um die Beschäftigten in den Kitas, sondern auch um offene Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Eingliederungshilfe und vielfältige andere Sozialdienste. Ich bin mir nicht sicher, ob
Leiharbeit und Werkverträge in diesen Bereichen tatsächlich eine so große Rolle spielen. Dennoch warten
auch wir auf die angekündigten Reformen und fordern
Equal Pay ab dem ersten Tag in der Leiharbeit. Vor allem
fordern wir eine klare Ansage gegen den Missbrauch
von Werkverträgen.
({3})
Das Thema Befristung hingegen ist viel wichtiger;
das wurde schon angesprochen. Die Fakten sind bekannt. Bei Befristungen sind die Löhne niedriger, und
zwar im Schnitt um 18 Prozent. Es fehlen Aufstiegs- und
Weiterbildungsmöglichkeiten. Betroffen sind insbesondere junge Menschen. Familien- und Lebensplanung
sind Worte, die junge Menschen nur noch als Fremdwörter kennen. Vor dem Hintergrund, dass die Bundesagentur für Arbeit davon ausgeht, dass im Jahr 2016 21 000
Erzieherinnen und Erzieher fehlen werden, sind Befristungen fatal. Deshalb fordern auch wir die Abschaffung
der sachgrundlosen Befristung; denn Brüche im Erwerbsleben sind nicht gut und erst recht nicht ermutigend.
({4})
Drittens. Richtig ist auch die Forderung nach einer
Anti-Stress-Verordnung; denn bei diesem Thema geht es
immerhin um die Gesundheit gerade der Beschäftigten
im sozialen Bereich. Immerhin sind sie es, die Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen zur Seite stehen, zum
Beispiel bei Problemen in der Pubertät oder in der
Schule, bei Krankheit, Pflege oder Behinderung. Sie unterstützen und helfen in allen Lebenslagen. Sie sind
emotional gefordert und wollen auch emotional, also mit
Gefühl und Verständnis, ihre Arbeit machen. Da entsteht
durch Arbeitsverdichtung, durch zu wenig Zeit zwangsläufig Stress, und zwar teilweise über die Belastungsgrenze hinaus. Deshalb müssen die Arbeitgeber sensibilisiert werden. Sie müssen wissen, wann und wie Stress
entsteht, und vor allem, wie er vermieden werden kann.
Die Belastungsgrenzen der Beschäftigten gerade im sozialen Bereich müssen endlich im Mittelpunkt stehen.
Schöne Worte sind einfach zu wenig. Handeln ist angesagt. Nehmen Sie von der CDU/CSU das endlich zur
Kenntnis!
({5})
Viertens. Wenn es um die sozialen Berufe geht, dann
geht es auch um den Wert von Arbeit. Damit bin ich zum
Schluss beim Thema Entgeltgleichheit. Dieser Aspekt
fehlt leider im Antrag.
({6})
- Gut. - Auf der Homepage Karrierebibel werden beispielsweise die Bereiche Chemie, Fahrzeugbau und Metall als „Top-Branchen“ bezeichnet, der Bereich „Gesundheit und soziale Dienste“ hingegen als „FlopBranche“. Der Grund ist natürlich bekannt: Im Jahr 2014
lagen die Einstiegsgehälter im Bereich Naturwissenschaften bei über 46 000 Euro, bei den Erziehungswissenschaften gerade einmal bei 32 000 Euro. Die schlecht
bezahlten Berufe sind eindeutig noch immer Frauensache. Das ist nicht fair und schon gar nicht gerecht.
({7})
Es geht also nicht allein darum, dass Arbeit gleich bezahlt wird, sondern es geht auch um gleichen Lohn für
gleichwertige Arbeit. Nur so steigt der Wert von Arbeit
und in der Folge auch der Lohn von Frauen, und zwar
gerade in den Sozial- und Erziehungsberufen. Hier ist
die Politik in der Verantwortung, aber Transparenz allein, liebe SPD, ist einfach zu wenig.
({8})
Es gibt noch viel zu tun. Packen Sie es endlich an!
Notwendig ist gute, sichere und gesunde Arbeit, gerade
für die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die
Kollegin Gabriele Hiller-Ohm.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich wette, dass sich fast alle
hier im Saal noch an den Namen ihrer GrundschullehreGabriele Hiller-Ohm
rin erinnern werden. Meine hieß Fräulein Peters - damals sagte man das noch so.
({0})
Sie hat bis heute einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Aber kennen Sie auch noch den Namen Ihres
ersten Finanzberaters? Ich jedenfalls habe ihn vergessen,
obwohl seine Dienstleistung deutlich höher bewertet und
auch bezahlt wird als die Arbeit der Grundschullehrerin.
Er muss nicht studieren und hat dann doch etwa
1 000 Euro mehr in der Tasche als mein damaliges Fräulein Peters.
Schon an diesem kleinen Beispiel erkennen Sie die
mangelnde Wertschätzung der Sozial- und Erziehungsberufe, in denen weit über 80 Prozent Frauen arbeiten.
Das lässt doch nur einen Schluss zu: So etwas ist ungerecht und frauenfeindlich und gehört endlich abgeschafft.
({1})
Wir haben in unserem Koalitionsvertrag mit CDU/CSU
deshalb festgeschrieben, dass wir gemeinsam mit den
Tarifpartnern die Sozial- und Erziehungsberufe endlich
aufwerten wollen.
Nun liegt uns heute ein Antrag der Linksfraktion zu
diesem Thema vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken, Sie beschreiben die Ungerechtigkeit in unserer
Gesellschaft in Ihrem Antrag treffend. Wenn ich mir
aber Ihre Forderungen anschaue, kommen mir Zweifel,
ob Sie es tatsächlich ernst meinen oder uns wieder einmal nur einen Showantrag vorgelegt haben.
({2})
Ihre erste Forderung lautet nämlich: „‚Gleicher Lohn
für gleiche Arbeit‘ ab dem ersten Einsatztag ohne Ausnahme bei der Leiharbeit.“
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie in
Frankreich! Da gibt es das schon!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Forderung
erreichen Sie mit Sicherheit keine grundsätzliche Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe.
({3})
Denn von den rund 1,2 Millionen Beschäftigten sind gerade einmal 0,3 Prozent in Leiharbeit; ich wiederhole:
0,3 Prozent. Diese Forderung nützt den Beschäftigten
also überhaupt nichts.
({4})
Die oberste Forderung muss doch lauten: Gebt den
Altenpflegerinnen, den Erzieherinnen, den Kinderpflegerinnen, den Heilerzieherinnen, den Sozialarbeiterinnen und den Sozialpädagoginnen endlich mehr Geld!
Speist sie nicht länger mit miesen Löhnen für harte und
verantwortungsvolle Arbeit ab! Und denkt bitte auch an
meine Grundschullehrerin!
({5})
Nur über eine gerechte Bezahlung werten wir die Berufe auf und machen sie auch für Männer attraktiv. Also,
Gewerkschaften: Tut etwas für die Frauen und boxt gerechte Löhne durch!
({6})
Wir wünschen Verdi und der GEW bei ihren laufenden
Tarifverhandlungen viel Erfolg.
In meiner Heimatstadt Lübeck setzt sich übrigens die
SPD auf kommunaler Ebene für eine gerechte Bezahlung der Sozial- und Erziehungsberufe ein; das ist prima.
Ich hoffe, dass viele Städte und Gemeinden und auch die
kirchlichen Einrichtungen zu dem gleichen Schluss
kommen und fairen Tariferhöhungen zustimmen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber nicht wir hier
im Bundestag haben das Heft des Handelns in der Hand.
Die Länder und Kommunen sind es. Sie sind die Arbeitgeber, und sie müssen mehr Geld rausrücken. Eigentlich
müsste das auch klappen. Von Bundesseite aus haben
wir nämlich eine enorme Entlastung der Länder und
Kommunen auf den Weg gebracht. Nach der Grundsicherung im Alter hat der Bund zum 1. Januar auch die
Finanzierung des BAföG komplett übernommen. Letzte
Woche hat das Kabinett ein weiteres massives Entlastungs- und Investitionspaket vor allem für finanzschwache Kommunen in Höhe von 5 Milliarden Euro beschlossen. Wenn wir alles zusammenrechnen, kommen
wir bis 2018 auf über 25 Milliarden Euro, die der Bund
an die Kommunen weiterreicht. Das ist das größte Entlastungspaket für Kommunen seit Jahrzehnten.
({7})
Wir werden die Städte und Gemeinden auch zukünftig,
zum Beispiel bei steigenden Flüchtlingszahlen, nicht im
Regen stehen lassen.
({8})
Natürlich kämpfen wir als SPD auch weiterhin für
gute Arbeit und bessere Arbeitsbedingungen.
({9})
Im Koalitionsvertrag haben wir eine Menge verankern
können, was uns wichtig ist. Darunter sind auch viele der
im Antrag der Linken angesprochenen Themen. Den
Mindestlohn haben wir bereits umgesetzt. Bravo! Den
Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen werden
wir bekämpfen.
({10})
Noch in diesem Jahr wird dazu eine Gesetzesinitiative
kommen. Außerdem werden wir gegen unfreiwillige
Teilzeit vorgehen und ein Rückkehrrecht von Teilzeit in
Vollzeit bzw. zur alten Arbeitszeit einführen. Auch den
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz werden wir verbessern. Unser Leitbild ist ein ganzheitlicher, physische und
psychische Belastungen umfassender Arbeitsschutz.
Dazu gehört auch die neue Arbeitsstättenverordnung, an
der wir arbeiten.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, eines ist
klar: Mit Ihren Forderungen in Ihrem Antrag tragen Sie
nicht zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe
bei, und auch mein Fräulein Peters lassen Sie im Regen
stehen. Es ist wie immer: Sie machen große Worte und
Versprechungen, wir hingegen handeln und verbessern
das Leben der Menschen Stück für Stück. Das ist der
Unterschied.
({12})
Vielen Dank. - Es spricht jetzt der Kollege Matthäus
Strebl für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten den Antrag der Fraktion Die
Linke „Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe
jetzt“. Die Antragsteller greifen damit eine vor allem
durch die Medien weitverbreitete Stimmung auf,
({0})
nach der Sozial- und Erziehungsberufe nicht ihrer Bedeutung entsprechend entlohnt werden. Um es vorweg
zu sagen: Wenn der Antrag in erster Linie höhere Entgelte für die Beschäftigten in den genannten Berufen
zum Ziel haben sollte, wäre der Deutsche Bundestag der
falsche Ort, um das zu diskutieren.
Lassen Sie mich zu Beginn folgende Feststellung treffen: Deutschland ist ein Sozialstaat wie kaum ein anderes Land. Dennoch gibt es natürlich Probleme, um die
wir uns als Legislative kümmern müssen. In dem vorliegenden Antrag werden bessere Bezahlung, höhere Eingruppierung und zeitgemäße Tätigkeitsmerkmale gefordert. Sicherlich hätten vor allem die betroffenen
Personen gegen die Umsetzung nichts einzuwenden. Die
Beschäftigten, um die es geht, arbeiten in Einrichtungen
der Kinder- und Jugendhilfe, der Familienhilfe, der frühkindlichen Betreuung und in anderen sozialen Berufen.
Rund 722 000 Menschen sind heute in den Sozial- und
Erziehungsdiensten beschäftigt, und der Bedarf wird
auch in den nächsten Jahren weiter ansteigen.
Einige weitere Zahlen möchte ich nennen, um die Dimensionen deutlich zu machen: 527 000 Menschen arbeiten in Kindertagesstätten, davon 180 000 in Einrichtungen öffentlicher Träger. Fast 355 000 von ihnen sind
Erzieherinnen, die ihre Aufgaben unter teils schwierigen
Bedingungen erfüllen. Allein hier gab es laut Statistischem Bundesamt seit 2008 einen Anstieg von 29 Prozent. Nicht immer im Blickfeld stehen die 37 000 Beschäftigten in der außerschulischen Jugendarbeit und die
65 000 im Heimbereich.
Angesichts der demografischen Entwicklung dürfte
der Personalaufwuchs hier erst am Anfang stehen.
Träger der Einrichtungen sind in der weitaus größten
Zahl Kommunen und kirchliche Einrichtungen. Sie
müssten die Kosten, die durch eine Umsetzung des Antrags entstehen würden, tragen. Das aber können sich angesichts der ohnehin angespannten Kassenlage viele
nicht leisten. Der Bund scheidet als Finanzier aus, und
die Zusatzkosten auf die Eltern abzuwälzen, wäre höchst
unsozial.
Ungeachtet der zunehmenden Bedeutung der Sozialund Erziehungsberufe und ihrer noch mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung ist es nach meiner festen
Überzeugung die Angelegenheit der Tarifpartner, für
eine angemessene Bezahlung zu sorgen. Die Fraktion
Die Linke entpuppt sich mit ihrem Antrag in gewisser
Weise als „Trittbrettfahrer“ bei den laufenden Tarifverhandlungen.
({1})
Im konkreten Fall mag das zulässig sein; denn bei den
Tarifgesprächen geht es um eine deutliche Aufwertung
der in den Sozial- und Erziehungsberufen geleisteten Arbeit. Aber wie gewohnt enthält auch dieser Antrag die
bekannten Forderungen nach neuen Gesetzen und Verordnungen.
({2})
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einen
Blick zurück in die Geschichte des Parlaments werfen,
weil das zu dieser Debatte passt. Ich habe nachgelesen:
Der frühere Bundesratspräsident Kai-Uwe von Hassel
- ja, so weit gehe ich zurück - hat 1955 seine Forderung
nach Entbürokratisierung damit begründet, dass im Jahr
zuvor 240 Gesetzentwürfe eingegangen waren.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine solche
Zahl schafft die Fraktion Die Linke heute spielend allein.
({4})
Der Antrag spiegelt erneut das Denken wider, dass der
Staat alles regeln müsse.
Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsdienste eine Angelegenheit der Tarifpartner ist.
({5})
Bei den derzeitigen Verhandlungen geht es um eine Anhebung um durchschnittlich 10 Prozent. Das wird insbeMatthäus Strebl
sondere durch die öffentlichen Träger nicht finanzierbar
sein. Aber das ist eine Angelegenheit - darauf möchte
ich zum Schluss noch einmal hinweisen -, die die Tarifpartner unter sich ausmachen müssen und die nicht in
den Deutschen Bundestag gehört. Das muss und wird so
bleiben. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab.
({6})
Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei Erziehungsberufen fällt den allermeisten von uns zuerst die
eigene Kindergärtnerin ein oder, wie bei Frau HillerOhm, die erste Lehrerin, Fräulein Peters - sehr schön.
Bezeichnend ist, dass die meisten von uns dabei eine
Frau vor Augen haben. Sozial- und Erziehungsberufe
werden ganz überwiegend von Frauen ausgeübt. Dafür
gibt es verschiedene Gründe. Und ehrlich: Die wenigsten davon haben ihre Berechtigung.
({0})
Fakt ist aber: In Sozial- und Erziehungsberufen wird
wertvolle Arbeit geleistet. Es geht uns allen besser, weil
es diese Berufe gibt. Wir profitieren in den verschiedensten Lebensphasen von ihnen. Das können kurze und
lange Phasen sein, zu Beginn, mittendrin oder am Ende
unseres Lebens; manche sind vielleicht sogar ein Leben
lang auf Hilfe angewiesen. Wenn wir uns diese Bedeutung vor Augen führen, wird schnell klar: Es kommt
nicht darauf an, ob Mann oder Frau. Viel wichtiger sind
gute Arbeitsbedingungen in diesen Jobs.
({1})
Nur gute Arbeitsbedingungen erlauben auch eine
hohe Qualität. Wie gut kann ich meinen Job machen,
wenn ich allein für zu viele Kinder verantwortlich bin?
Wenn ich eine zweite Stelle annehmen muss, weil das
Geld am Ende des Monats nicht reicht? Wenn ich immer
wieder neu beginne, weil ich keinen unbefristeten Vertrag bekomme? Gute Arbeitsbedingungen in Sozial- und
Erziehungsberufen liegen in Wahrheit in unser aller Interesse, damit wir bestmöglich davon profitieren können.
({2})
Gute Arbeitsbedingungen sind wir den vielen Frauen
und den wenigen Männern in diesen Berufen auch schuldig, weil sie tagtäglich einen wertvollen Beitrag leisten.
Leider sind die Arbeitsverhältnisse in der Erziehungsund Sozialarbeit oft nicht gut. Viele Erzieherinnen arbeiten in Teilzeit, und das meist unfreiwillig. Frau
Krellmann, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu
({3})
in diesem Bereich: Wäre Erzieher wirklich ein Männerberuf, die Arbeitsbedingungen und die Löhne wären
bestimmt viel besser.
({4})
Meine Damen und Herren von der Linken, Sie sehen:
Sympathie für Ihren Antrag ist durchaus vorhanden.
Wenn Sie aber gleich als Erstes eine Veränderung im
Bereich der Leiharbeit und der Werkverträge fordern, so
hat mich das dann doch einigermaßen irritiert. Ich sage
Ihnen etwas: Die Sozial- und Erziehungsberufe haben
wirklich viele Probleme; dass dort zu viele Leih- und
Werkvertragsarbeitnehmer eingesetzt würden, ist aber
gerade nicht das Problem.
({5})
Aber sei’s drum: Im Koalitionsvertrag hat sich die
GroKo ganz grundsätzlich darauf geeinigt, dass wir den
Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern wollen.
({6})
Das ist auch richtig und wichtig. Die Vergangenheit hat
gezeigt, dass die bestehenden Regelungen nicht ausreichen. Leiharbeit wird immer wieder missbraucht, um
Arbeitskosten zu senken oder Mitbestimmungsrechte zu
umgehen. Wir werden daher einen besseren gesetzlichen
Schutz für die Leiharbeitnehmer durchsetzen. Wir haben
deswegen im Koalitionsvertrag vereinbart: Spätestens
nach neun Monaten müssen Leiharbeitnehmer wie das
Stammpersonal bezahlt werden. Und: Leiharbeit soll vor
allem wieder auf das beschränkt werden, wofür sie gedacht war: Auftragsspitzen zu bewältigen.
({7})
Herr Kollege Bartke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Krellmann?
Ja, gerne.
Zu dem Thema „Leiharbeit und Werkverträge“: Der
Antrag wurde geschrieben, als wir noch nicht die Antwort der Bundesregierung hatten, wie das an dieser
Stelle aussieht. Auch weil wir einer Verlängerung der
Zeit für die Beantwortung durch das Ministerium zugestimmt haben, haben wir natürlich erst jetzt erfahren,
dass Leiharbeit und Werkverträge hier nicht das Ausmaß
haben, wie wir ursprünglich angenommen haben.
Akzeptieren Sie in diesem Zusammenhang, dass das der
Teil unseres Antrages ist, der am wenigsten wichtig ist?
({0})
Ich akzeptiere das, selbstverständlich. Aber das ist
natürlich die erste Forderung, die Sie stellen; gestatten
Sie mir, dass ich dann auch auf diese Forderung eingehe.
Im Grundsatz ist die Forderung, Werkverträge und Leiharbeit vernünftig zu regulieren, natürlich richtig. Dass es
im Bereich der Sozial- und Erziehungsberufe nun gerade
nicht so ist, das nehme ich gerne zur Kenntnis.
Ich möchte fortfahren: Die Höchstüberlassungsdauer
wird 18 Monate betragen. Leiharbeitnehmer sollen künftig auch nicht mehr als Streikbrecher eingesetzt werden
können. Bei den Schwellenwerten des Betriebsverfassungsgesetzes sollen sie aber mitgezählt werden. Auf
diese Weise werden wir ihre Rechte deutlich stärken.
Im Bereich der Leiharbeit - nicht bei den Sozial- und
Erziehungsberufen - hat es am Ende der vergangenen
Legislaturperiode schon einen tariflichen Mindestlohn
gegeben. Dies führte in der Vergangenheit zu einem immer stärkeren Ausweichen auf die Rechtskonstruktion
Werkvertragsarbeitnehmer. Diese Konstruktion wird
jetzt verschärft genutzt, um den Mindestlohn zu umgehen. Die Beschäftigten bleiben unterbezahlt und ohne
soziale Absicherung zurück. Unternehmen gelingt es
viel zu häufig, die Arbeitsumstände so zu gestalten, dass
der Missbrauch nur schwer feststellbar ist. Die Kriterien
zur Unterscheidung zwischen Leiharbeit und Werkverträgen sind kompliziert. Für manche Unternehmen
scheint das attraktiv: Lohneinsparungen winken, und das
Risiko der Aufdeckung ist gering. Die Folgen davon tragen vor allem die Beschäftigten: Ihnen werden ihr Lohn
und ihre Rechte vorenthalten.
Aber auch hier steuern wir gegen. Im Kampf gegen
den Missbrauch von Werkverträgen werden wir die
Mitwirkungs- und Informationsrechte der Betriebsräte
ausweiten. Wir werden die Kontrolle von Scheinselbstständigkeit genauer regeln und bessere Prüfmöglichkeiten schaffen. Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung
wird künftig sanktioniert. Außerdem wollen wir den gesetzlichen Arbeitsschutz für Werkvertragsarbeitnehmer
sicherstellen.
Meine Damen und Herren, noch in diesem Jahr werden wir das in Angriff nehmen. Diese Gesetze werden
ein Meilenstein in der Stärkung der Arbeitnehmerrechte
sein.
Ich danke Ihnen.
({0})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4418 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union
Drucksache 18/4047
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0})
Drucksache 18/4409
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, jetzt die
Plätze einzunehmen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Uwe Feiler, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Werte Gäste auf den Besuchertribünen! Der
Eigenmittelbeschluss, über den wir heute abschließend
beraten und dem wir heute zustimmen sollten, bestimmt
die Finanzierungsquellen der EU und legt die Verteilung
der finanziellen Lasten für den mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 auf die einzelnen Mitgliedstaaten
fest. Die EU verfügt anders als die Mitgliedstaaten nicht
über eigene Steuereinnahmen und ist daher auf die Mittelzuweisungen ihrer 28 Mitglieder angewiesen.
Die Eigenmittel sind Einnahmen, die zur Finanzierung des Gesamthaushaltes der EU bestimmt sind und
ihr von Rechts wegen zustehen. Eine darüber hinausgehende Finanzierung, beispielsweise durch Anleihen oder
gar eine Verschuldung, ist nicht vorgesehen. So ist es
zwischen den Mitgliedstaaten vertraglich vereinbart.
Der EU stehen drei Kategorien von Eigenmitteln zur
Verfügung, die ich nachfolgend als „Säulen“ bezeichnen
möchte.
Die erste Säule mit circa 15 Prozent Anteil bilden die
traditionellen Eigenmittel. Darunter verstehen wir die
Zölle und Agrarabgaben. Diese Quelle bleibt in ihrer
Struktur unverändert bestehen. Lediglich die Erhebungspauschale, die die Mitgliedstaaten für ihren Verwaltungsaufwand einbehalten können, verringert sich von
25 auf 20 Prozent.
Die zweite Säule in einer Höhe von circa 11 Prozent
besteht aus einem Anteil an den Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten. Die Berechnung erfolgt nach
einem selbst für einen Finanzwissenschaftler komplizierten und wenig transparenten Verfahren. Deutschland,
die Niederlande und Schweden als große Nettozahler erhalten hier einen Rabatt. Dieser beträgt für Deutschland
rund 1 Milliarde Euro jährlich.
Die dritte Säule mit einem Anteil von circa 74 Prozent richtet sich nach dem Bruttonationaleinkommen der
Mitgliedstaaten. Auch hier gibt es nach einem komplizierten Berechnungsverfahren Ausgleichsmechanismen
für die Niederlande und Schweden und neu hinzugekommen auch für Dänemark und Österreich. Der Rabatt für
das Vereinigte Königreich, der sogenannte Britenrabatt,
bleibt unverändert bestehen.
Auch bei den Eigenmittelobergrenzen ergeben sich
keine Veränderungen, sodass, in der Summe betrachtet,
das bisherige Eigenmittelsystem - mit kleinen Modifizierungen - weiter Anwendung findet.
Deutschland wird im Jahr 2015 rund 32,3 Milliarden
Euro und für die gesamte Finanzperiode 2014 bis 2020
rund 234 Milliarden Euro an den EU-Haushalt abführen.
Meine Damen und Herren, diese Zahlungen werden
ausschließlich aus dem Bundeshaushalt bestritten. Bundesländer und Kommunen beteiligen sich hieran nicht,
obwohl sie gleichermaßen vom Mittelrückfluss, der
circa 50 Prozent der geleisteten Zahlungen beträgt, für
von der EU geförderte Projekte profitieren. Das ist so
gewollt; das ist auch gut so und hat sich in der Vergangenheit, wie vielerorts in Deutschland zu sehen ist, bewährt.
({0})
Bei den immer lauter werdenden Rufen der Bundesländer nach mehr finanzieller Unterstützung seitens des
Bundes sei dieser Hinweis jedoch gestattet, da unsere
Länderkollegen diese Art der mittelbaren Finanzierung
gerne unter den Tisch fallen lassen.
Das Eigenmittelsystem ist geprägt durch den Grundsatz der Einstimmigkeit. Das hat auf der einen Seite eine
Vielzahl von Kompromissen in Form von Ausgleichsmechanismen und Rabatten zur Folge. Auf der anderen
Seite steht aber ein von allen Mitgliedstaaten getragener
Vorschlag, eine von allen getragene Lösung.
Seit Bestehen des Eigenmittelsystems gibt es Diskussionen über die Reformbedürftigkeit des Verfahrens.
Aus diesen Diskussionen heraus hat sich das System
aber stetig weiterentwickelt. So lässt sich für die Periode
2014 bis 2020 positiv anmerken, dass auf der Ausgabenseite eine stärkere Ausrichtung an der Europa-2020Strategie erfolgte. Letztlich hat sich das System auch in
Zeiten von Krisen bewährt. Ich verweise hier auf die
vergangene Periode 2007 bis 2013, in der wir eine
Finanz- und Wirtschaftskrise zu bewältigen hatten.
({1})
Dennoch wird seitens der europäischen Institutionen und
vieler Experten ein weiterer Reformbedarf gesehen. Die
nunmehr eingesetzte hochrangige Gruppe „Eigenmittel“
soll geeignete Reformvorschläge erarbeiten und entsprechend zur Diskussion stellen.
Meine Damen und Herren, die Frage nach der
Reformbedürftigkeit des Systems lässt sich durchaus
bejahen. Aber wie reformfähig ist es tatsächlich? Reformen und Änderungen jeder Art sind auch hier nur nach
dem Prinzip der Einstimmigkeit möglich. Für mich lassen sich derartige Vorschläge nur in kleinen Schritten
verwirklichen. Wenn ich am Ufer eines Sees stehe und
an das gegenüberliegende Ufer möchte, mir aber das
nötige Werkzeug für den Bau einer Brücke oder eines
Floßes fehlt, muss ich den See umwandern. Der Weg ist
zwar länger, ich benötige mehr Schritte, erreiche dennoch mein Ziel. Ähnlich verhält es sich in meinen Augen
mit der Reformfähigkeit des Eigenmittelsystems.
Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber - für mich
gibt es hierzu keine Alternative -: Es kann keine Reform
der Einnahmeseite ohne eine Reform der Ausgabenseite
geben.
({2})
Dabei gilt es, die Juste-retour-Denkweise - also, was
bekomme ich von meinen eingezahlten Mitteln wieder
zurück - zu verlassen
({3})
und den Fokus auf eine Politik zu richten, die die gesamteuropäischen Interessen vertritt. Beispiele können
hier eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik oder
eine noch stärkere gemeinsame Sicherheitspolitik bis hin
zur Aufstellung einer europäischen Armee sein. Diese
Liste lässt sich beliebig weiterführen.
Meine Damen und Herren, bei allen Reformen muss
aber der europäische Mehrwert auf der Ausgabenseite
deutlich im Vordergrund stehen.
({4})
Haben wir letztlich dieses Mehr an Mehrwert, können
wir auch über ein Mehr an Finanzautonomie bis hin zur
Einführung einer EU-Steuer nachdenken und diskutieren.
Aber auch für eine EU-Steuer sehe ich nur das Prinzip
der kleinen Schritte als erfolgversprechend an. Wünschenswert wäre sicherlich eine einheitliche Unternehmensteuer
({5})
mit einheitlichen Steuersätzen und einer einheitlichen
Bemessungsgrundlage. Das würde Steuerdumping in
den Mitgliedstaaten sicherlich verhindern. Aber für viele
unserer Mitgliedstaaten wäre dieser Schritt zu groß.
Ich würde als ersten Schritt vielmehr eine Reform des
Mehrwertsteuereigenmittelsystems ins Auge fassen.
Mehr Transparenz, eine einfachere Berechnungsme9242
thode und ein höherer Anteil zulasten der Mittel aus dem
Bruttonationaleinkommen könnten hier eine Diskussionsgrundlage sein.
({6})
Meine Damen und Herren, die große Herausforderung besteht aber darin, einerseits dem europäischen
Gedanken gerecht zu werden, das Eigenmittelsystem
optimal zu reformieren, und andererseits dafür zu
sorgen, dass die Interessen der deutschen Steuerzahler,
denen gegenüber wir verantwortlich sind, bei der gerechten Lastenverteilung angemessen berücksichtigt
werden.
({7})
Meine Fraktion begrüßt die vorliegende Beschlussempfehlung und wird dem Gesetzentwurf zustimmen.
Das Eigenmittelsystem hat sich bewährt. Es ist effektiv
und stabil. Es geht vorwiegend um die Verteilung der
finanziellen Lasten zwischen 28 Mitgliedstaaten. Es ist
deswegen nicht einfach, das ganze System von heute auf
morgen zu verändern. Eine Veränderung kann deswegen
nur in kleinen Schritten vorangetrieben werden.
Ich freue mich auf die Debatten dazu und bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Vielen Dank. - Der Kollege Dr. Diether Dehm spricht
jetzt für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die Linke will mehr Eigenmittel für Europa,
weil ein friedliches, soziales und ökologisches Europa
mehr braucht. Hier ist als Königsweg - der Kollege
Feiler hat das hier eben angedeutet - eine eigene EUKörperschaftsteuer in der Diskussion. Damit könnte
Europa immerhin dem Wettlauf um immer niedrigere
Steuern für das Großkapital einen Riegel vorschieben.
Einzelne Mitgliedstaaten, nicht nur Luxemburg, haben
Steuerdumping viel zu lange als ihr Geschäftsmodell
propagieren dürfen.
Allein: Eine eigene EU-Steuer scheitert am unausgegorenen Konstrukt der EU, deren vertragliche Grundlage
die Linke auch darum grundsätzlich kritisiert und dagegen auch geklagt hat.
({0})
Ich zitiere aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
Die demokratische Grundregel der wahlrechtlichen
Erfolgschancengleichheit ({1})
gilt nur innerhalb eines Volkes, nicht in einem supranationalen Vertretungsorgan, das … eine Vertretung der miteinander vertraglich verbundenen Völker bleibt.
Noch einmal deutlich: Eigene Steuereinnahmen der
EU scheitern so lange, wie in Ihrem EU-Konstrukt und
seinen Verträgen eine demokratisch-parlamentarische
Kontrolle von Steuererhebung und Mittelverwendung
nicht vorgesehen ist.
({2})
Ja, wir brauchen mehr Mittel für Europa, wenn wir
prosperierende europäische Wirtschaftsräume schaffen
wollen, die miteinander fairen Handel treiben, inklusive
Griechenland,
({3})
die ökologische Nachhaltigkeit fortschreiben wollen, inklusive Frankreich,
({4})
die Finanzkapital gerecht besteuern wollen, inklusive
England, und die entsprechende Lohnerhöhungen durchsetzen wollen, inklusive Deutschland.
({5})
Das könnte eine echte Offensive für Zukunftsinvestitionen geben, aber nicht Junckers Schaufensterplan, für den
aus dem aktuellen MFR auch noch erhebliche Gelder abgegriffen werden sollen.
Wir brauchen wirtschaftlich schlaue und sozial gerechte Investitionen der öffentlichen Hände statt einer
Subventionierung der Renditen von Finanzhaien durch
die Steuerzahler über Public-private-Partnership, wie das
im Juncker-Plan vorgesehen ist. Wir brauchen auch nicht
die kleinkrämerische Nettosaldenlogik; Kollege Feiler
hat das nur zart und höflich angedeutet. Ich füge einmal
hinzu: Sagen Sie das auch Herrn Schäuble und seinen
„Friends of Better Spending“, was diese Nettosaldenlogik bedeutet, nämlich: Was hole ich kurzfristig mehr aus
der EU heraus, als ich hineingeben muss? Es geht in
Wahrheit um europäische Solidarität, die auch uns Deutschen nachhaltiges Wirtschaften ermöglicht.
({6})
Immerhin hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnet, dass in Deutschland seit 1999 eine
addierte Investitionslücke von rund 1 Billion Euro aufgelaufen ist. Wir wollen mehr für den MFR, damit Beschäftigung und Kleinunternehmen eine neue Perspektive eröffnet werden kann; denn aus dem MFR fließen
über 90 Prozent der Gelder in die Länder zurück, nicht in
die Taschen der Verwalter von Hedgefonds, von Bankern und anderen Großspekulanten.
Wenn wir wirklich den realistischen und lebensnotwendigen europäischen Traum einer wirtschaftlichen
und sozialen Kohäsion, einer Angleichung von Spanien
über Griechenland bis Frankreich und Schweden erreichen wollen, dann ist die national-egomanische Nettosaldenlogik ebenso fatal, wie es die Bankenrettung der
letzten Jahre war.
({7})
So aber versorgt der MFR 2014 bis 2020 die EU nicht
mit den vor allem im Kampf gegen die Krise nötigen
Mitteln. Hinzu kommt noch, dass laut Kommission seit
2007 die Investitionen EU-weit um 15 Prozent gesunken
sind. Zumindest an den leidigen Britenrabatt und die
„Rabatte der Rabatte“ könnten Sie jederzeit ohne verfassungsrechtliche Bedenken ran.
Meine Fraktion wird den Gesetzentwurf ablehnen,
weil er für Deutschland zu kurz gedacht und für Europa
zu wenig ist.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Joachim Poß, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Uwe Feiler hat bei diesem spannenden
Thema, „Eigenmittelsystem der Europäischen Union“,
vieles zu Recht erläutert. Dabei führt das Wort „Eigenmittel“ eigentlich in die Irre. Es suggeriert, dass die EU
wirklich eigene Mittel besitzt. Das ist ja nun nicht der
Fall. Tatsächlich kommen 85 Prozent der Einnahmen der
EU von den Mitgliedstaaten. Lediglich 15 Prozent der
Einnahmen werden aus Zöllen und Agrarabgaben bestritten. Deswegen hat in diesem Zusammenhang der
Sachverständige Henrik Enderlein betont - zu Recht,
meine ich -, dass diese Eigenmittelstruktur, die duale
Legitimationsstruktur, die Governance der EU, nicht widerspiegelt. Eigentlich müssten wir eine hälftige Aufteilung haben: eine echte steuerliche Quelle für die eine
Hälfte und für die andere Hälfte Beiträge der Mitgliedstaaten.
({0})
Wir, die Bundesrepublik Deutschland, tragen in den
Jahren 2014 bis 2020 jährlich mit über 30 Milliarden
Euro zum Haushalt der Europäischen Union und damit
auch zur ausreichenden Ausstattung der verschiedenen
Politikbereiche bei - ich glaube, das muss man hier noch
einmal ganz deutlich erwähnen -, ansteigend von über
31 Milliarden Euro im Jahre 2014 auf 35,77 Milliarden
Euro in 2020. Das heißt, wir schreiben das bestehende
System fort, weil man sich anders nicht hat verständigen
können. Es ist bekannt, dass die Leistungen der Mitgliedstaaten in einem nicht sehr transparenten Verfahren
aus dem Mehrwertsteueraufkommen und dem Bruttonationaleinkommen bestimmt werden, abzüglich möglicher Rabatte und Rabatten von Rabatten.
Die Kritik, dass dieses Verfahren intransparent ist und
sich nicht an den Aufgaben der Europäischen Union
orientiert, ist damit nicht ganz von der Hand zu weisen.
({1})
Der vorliegende Eigenmittelbeschluss, der Teil der sehr
schwierigen Verhandlungen über den mehrjährigen
Finanzrahmen ist, löst diese Probleme nicht, jedenfalls
nicht vollständig. Aber, Herr Kollege Dehm, er ermöglicht es der Europäischen Union, in einer ihrer größten
Krisen weiterhin handlungsfähig zu sein. Das hätten Sie
zumindest konzedieren können.
Wir stehen in einer Krise in Europa, und deswegen
sollten wir die nächsten Jahre nutzen, um über weitere
Schritte im Eigenmittelsystem und der EU nachzudenken. Diese europäische Doppelkrise - Finanz- und Wirtschaftskrise einerseits und Russland-Ukraine-Krise andererseits und ihre sozialen Auswirkungen, insbesondere
die hohe Jugendarbeitslosigkeit - haben Europa verändert und machen weiteren Handlungsbedarf deutlich.
Zudem fordern uns - das haben wir vorhin an einem
Beispiel erlebt - rechte und linke Populisten und Nationalisten heraus. Das gefährdet die Zukunft Europas in
meinen Augen. Die Zukunft Europas ist aber eine
Schicksalsfrage für uns, gerade in Anbetracht der Krisen
und geopolitischen Veränderungen. Deswegen müssen
wir uns entscheiden: weitere Renationalisierung oder
eine verstärkte europäische Integration. In der Renationalisierung liegt keine gute Zukunft für die europäische,
westlich orientierte Wertegemeinschaft.
({2})
Diese Erkenntnis muss aber auch praktische Konsequenzen haben. Ich füge hinzu: auch bei den Eigenmitteln. Diese Konsequenz müssen wir im weiteren Prozess
- ich verweise auf die Expertenkommission um Mario
Monti, die bis zum nächsten Jahr Vorschläge vorlegen
soll - auch wirklich aufbringen. Mittlerweile müssen ja
alle in Europa den Schuss gehört haben und wissen, was
auf dem Spiel steht. Dem muss man sich dann auch in einer solchen Frage wie der der Ausgestaltung der Eigenmittel stellen, weil die Struktur der Eigenmittel hinter
dieser Entwicklung zurückbleibt. Das ist nicht verwunderlich wegen der unterschiedlichen Interessenlagen der
28 Mitgliedstaaten; schließlich braucht man Einstimmigkeit.
Wir könnten versuchen, wie es der Kollege Feiler dargestellt hat, das Ganze in kleinen Schritten zu verändern.
Das würde in meinen Augen aber bedeuten, zu viele
Kompromisse eingehen zu müssen, die das System
wahrscheinlich weiter verkomplizieren. Das ist die Erfahrung der Vergangenheit.
Dann ist zu überlegen, ob nicht durch eine Körperschaftsteuer oder eine andere Steuerquelle die Abhängigkeit des EU-Haushaltes von Mitteln der Mitgliedstaaten reduziert werden kann. Es scheint sogar Konsens zu
sein - jedenfalls bei denen, die sich damit beschäftigen -,
dass man das versuchen sollte. Oder - das wäre das
Beste, liebe Kolleginnen und Kollegen - wir nutzen am
besten die aktuellen Krisen, die Druck erzeugen, und
streben eine Verständigung über die weiteren Schritte
der europäischen Integration - insbesondere für die
Währungsunion - an. Denn nur dann, wenn wir darüber
Klarheit herstellen können, welche Aufgaben die EU zukünftig übernehmen soll, können wir auch das hierfür
notwendige Eigenmittelsystem bestimmen. Ich glaube,
wir sollten einer solchen Logik folgen, zumindest den
Mut haben, etwas mutiger zu werden und das zu versuchen - und nicht von vornherein in der nächsten Zeit nur
eine Politik der kleinen Schritte machen.
({3})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege Manuel
Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Rabatt auf den Britenrabatt und die „Nacht der langen Messer“ - es gibt so vieles im europäischen Haushaltswesen
in Sachen Eigenmittel, was man eigentlich niemandem
erklären kann. Wie soll man eigentlich jemandem erklären, dass der Rabatt, den Deutschland auf den Rabatt des
Vereinigten Königreichs bekommt, eigentlich von den
Menschen in Griechenland bezahlt wird? Doch es ist so
ähnlich, wie es die Vorredner gesagt haben. Die notwendigen Veränderungen werden auch durch ein System des
„Juste retour“ verhindert. Dabei lässt jeder seinen Computer ausrechnen, was am Ende der Entscheidung für ihn
in der Nettozahler- oder Nettoempfängerposition herauskommt. Mit der Einstimmigkeit ist natürlich auch die Situation gegeben, dass man die Schritte, die man gehen
müsste, nicht gehen kann. Es gab dazu interessante Versuche. Beim letzten großen Gipfel wurde versucht, die
Zettel zu verbieten, mit denen die Computer gefragt werden, wie viel Geld am Ende herauskommt.
Wir müssen uns aber wirklich - da möchte ich den
Kollegen Poß unterstützen - Folgendes vor Augen halten: Viele „Nächte der langen Messer“ - so werden diese
großen Gipfel genannt, auf denen am Ende die Höhe der
Beträge ausgemacht wird - werden wir uns nicht mehr
leisten können, weil sie an die Legitimität der Europäischen Union gehen und das Vertrauen der Menschen untergraben, dass wir gute Kompromisse machen können.
Wir haben das Eigenmittelsystem aufgebaut, um die
Europäische Union von nationalen Interessen unabhängiger machen zu können. Das zweite Problem, das wir
auch vor Augen haben müssen, besteht darin, dass wir
aber durch den tatsächlichen Erfolg der EU - dabei geht
es um die Abschaffung der Zollgrenzen im Inneren als
auch um die Schaffung von weltweiten Abkommen, die
zur Zollfreiheit führen - letztlich - nach dem Motto von
Greenpeace, die es immer haben wollten - erreicht haben, dass die EU das abschafft, was sie selber finanziert.
So wird es nicht funktionieren. Deswegen ist eine Reform des Eigenmittelsystems wirklich notwendig.
({0})
Die Kommission und das Europäische Parlament haben das schon vor Verabschiedung des letzten mehrjährigen Finanzrahmens eingefordert. Man muss sagen, dass
auch die deutsche Bundesregierung nicht bereit war,
dazu beizutragen, wirklich zu einer Reform zu kommen.
Deswegen ist es entscheidend, dass jetzt die Arbeit der
Monti-Gruppe als Ausgangspunkt genommen wird, um
auch mit dem „Juste-retour-Denken“ der deutschen Bundesregierung endlich Schluss zu machen und diesen Pfad
zu verlassen, wie Herr Feiler gerade richtig gesagt hat.
({1})
Ich freue mich, Diether, dass du mehr Geld für
Europa forderst. Ich dachte immer, es gibt kein richtiges
Leben im falschen; aber offenkundig bist du noch nicht
ganz verloren. Immerhin willst du für das neoliberale
böse Monsterprojekt EU mehr Geld haben.
({2})
Da sind wir uns schon mal einig. Dafür möchte ich herzlich danken. Das ist eine gute Sache.
Ich möchte - weil an einer Stelle dann doch die Begrenztheit deiner Fraktion zum Ausdruck kam -, um über
nationale Grenzen hinwegzudenken, die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung richtigstellen. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich nicht gesagt, man könne
keine Steuerkompetenz für Europa einführen, weil Europa nicht demokratisch sei. Es hat lediglich gesagt, dass
die Gesamtverantwortung mit ausreichenden politischen
Freiräumen für Einnahmen und Ausgaben noch im Bundestag liegt. Das heißt, innerhalb dieses Rahmens kann
man durchaus mehr für Eigenmittel und echte EU-Steuern tun, wofür wir uns einsetzen.
({3})
Es ist eine wirklich gute Idee, über eine Mehrwertsteuerreform und über die Finanztransaktionsteuer zu reden. Am Ende eine EU-Unternehmensteuer - vielleicht
über den Weg einer gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage - zu erreichen, ist eine gute Idee.
Das wollen auch wir angehen.
Wir Grünen glauben, dass man versuchen muss, das
Projekt der europäischen Einigung jetzt entschlossen voranzutreiben, weil es Besonderheiten gibt, die man sich
bei dem trockenen Thema EU-Haushalt kaum anzusprechen traut. Der EU-Haushalt ist nämlich eine verdammt
gute Idee, die gleichzeitig auch noch verdammt erfolgreich ist. Er schafft es, Kohäsion und Konvergenz zu erzielen. Das heißt, der EU-Haushalt ist das Instrument,
mit dem wir dafür sorgen, dass ärmere Regionen zu
mehr Wohlstand kommen, ohne dabei auf Kosten anderer zu leben. Das ist gelebte Solidarität, die wir über den
EU-Haushalt organisieren.
({4})
Deswegen ist Europa sein Geld wert.
Wir Grünen sehen das. Wir sehen, dass 70 Prozent
dessen, was im EU-Haushalt ausgegeben wird, in Investitionen geht. Wir sehen, dass viele Länder - gerade Länder in schweren Wirtschaftskrisen, ob Portugal oder Ungarn - ohne den EU-Haushalt gar nicht mehr investieren
könnten. Wir sehen, dass der Haushalt der Europäischen
Union das richtige Instrument ist, um in der Krise antiManuel Sarrazin
zyklisch gegen Armut und Verwahrlosung angehen zu
können.
Deswegen meinen wir, dass es richtig ist, dass Europa
Eigenmittel bekommt, und wir befürworten, dass heute
im Bundestag eigenes Geld für Europa beschlossen werden soll. Aber wir finden, dass das Eigenmittelsystem
anspruchsvoller werden muss und dass Europa mehr Eigenmittel braucht. Deswegen enthalten wir uns in der
Abstimmung, weil uns der vorliegende Gesetzentwurf
nicht weit genug geht.
Vielen Dank.
({5})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Alexander
Radwan, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute den Eigenmittelbeschluss, der im Rahmen
der mehrjährigen Finanzplanung gefasst wurde. Schon
dem letzten Beschluss, der im November 2013 für die
Jahre 2014 bis 2020 gefasst wurde, ging eine heftige
Diskussion voraus. Wie üblich waren Kommission und
Parlament in ihren Vorgaben durchaus großzügiger als
das, was am Schluss herausgekommen ist.
Angesichts des Ergebnisses war ich gerade mit Blick
auf den deutschen Haushalt und unsere Politik hier froh,
dass zu dem Zeitpunkt Großbritannien und Deutschland
hart sein konnten und sagen können: Wir sparen in
Deutschland, und da geht es nicht an, dass man in Europa nicht spart. - Das ist durchaus ein Vorteil des jetzigen Systems. Wenn wir über die weitere Entwicklung
dieses Systems reden, müssen wir genau darauf achten,
was am Schluss herauskommt. Die Kanzlerin und der
Bundesfinanzminister haben dafür gesorgt, dass die
deutsche Sparphilosophie ein Stück weit auch in Europa
gewahrt bleibt, und das war richtig so.
({0})
Es wurde schon mehrfach gesagt: Die Einnahmenund Ausgabenseite sind maßgeblich. Es gibt Kritikpunkte wie eine mangelnde Transparenz und ein sogenanntes Demokratiedefizit, den Vorwurf, dass die einzelnen Mitgliedstaaten wichtiger sind als die europäischen
Institutionen und dass das Ganze zu komplex ist.
Ich kenne die Diskussion schon sehr lange. Ich war
selber zehn Jahre im Europäischen Parlament und habe
sie von dort aus verfolgen dürfen. Es gab etwa den
Wunsch nach einer eigenen Steuererhebungskompetenz
oder die Forderung nach einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für den Mehrwertsteuersatz. Das sind
tiefgreifende Diskussionen. Bei einigen Beiträgen wundert es mich, dass man der Meinung ist: Wenn man das
System ändert, dann wird auf einmal aus dem ach so
neoliberalen und kapitalistischen Europa ein soziales.
({1})
Die Kausalität, dass eine Systemänderung gleichzeitig
zu einer Politikänderung führt, finde ich bemerkenswert.
Es kam schon Kritik an bestimmten Politiken zur
Sprache. Wir diskutieren die Frage - Sie hatten das angesprochen, Herr Kollege Poß -, inwieweit eine Vertiefung stattfinden soll und welche Kompetenzen abgegeben werden sollen. Das sollte und kann man diskutieren.
Aber wenn die Kompetenzen einmal weg sind, dann sind
sie weg. Mit den entsprechenden Ergebnissen hat man
dann zu leben, auch wenn es irgendwann im Rat und im
Parlament andere Mehrheiten gibt.
({2})
- Genau. Auch Deutschland ist ein demokratischer Staat.
Sie können gerne der Meinung sein, dass wir in Deutschland die Kompetenzen im Bereich der Steuererhebung
verlagern sollten, statt sie selber zu behalten. Sie können
durchaus dieser Meinung sein. Ich bin der Meinung, für
die Steuerpolitik sollten erst einmal die Nationalstaaten
Verantwortung tragen. Auch das bewegt sich im Rahmen
der Demokratie und ist nicht antidemokratisch.
({3})
Automatisch zu sagen, das sei antidemokratisch, halte
ich für abenteuerlich.
({4})
Wir sollten also genau darüber nachdenken, in welchen Bereichen wir eine Vertiefung der EU und eine Verlagerung der Kompetenzen wollen. Dabei müssen wir
genau schauen, wie die aktuelle Situation ist. Was ist
realistisch? Zurzeit gilt die Einstimmigkeit auf europäischer Ebene in Steuerfragen und Eigenmittelfragen. Wir
wissen, dass es in absehbarer Zeit ein Referendum über
den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union
geben wird.
({5})
Wir können natürlich gerne eine solche Diskussion
momentan mit Großbritannien führen. Jeder, Herr Kollege Sarrazin, der sich mit Europa auseinandersetzt,
weiß, wie diese Diskussion in Großbritannien geführt
wird.
({6})
- Die ist im Mai dieses Jahres. Bis Mai dieses Jahres
werden Sie dieses Thema nicht gelöst haben, selbst Sie
nicht. Das müssten selbst die zugestehen.
Wir müssen also genau schauen, welche Themen wir
vorantreiben. Ich kann mir durchaus ein abgestuftes Vorgehen dabei vorstellen, eine gemeinsame Bemessungs9246
grundlage in bestimmten Bereichen zu finden. So könnte
man die Festlegung der Steuersätze in nationaler Verantwortung belassen, aber sich bei der Frage, wie Gewinne
ermittelt werden, darauf einigen, dass Gewinne oder
Verluste nicht mehr durch Verschiebungen von einem
Staat in den anderen generiert werden können. Ich plädiere also für ein abgestuftes Vorgehen.
({7})
Man könnte darüber nachdenken, auch bei der Finanztransaktionsteuer abgestuft vorzugehen, wobei ich
hier schon anmerken möchte, auch wenn ich den Prozess
der vertieften Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten unterstütze: Wir haben zum ersten Mal ein neues
System der Gesetzesfindung auf europäischer Ebene,
das bisher keine Anwendung gefunden hat. Wenn dieses
System erfolgreich sein sollte, wofür wir alle werben
und wofür wir kämpfen, kann das auch in anderen Bereichen der Zusammenarbeit dazu führen, dass sich Staaten
zusammentun und entsprechend vorangehen.
Wir müssen die politischen Situationen in den Mitgliedstaaten und die Haltung der Bevölkerungen beachten. Darum ist bei dem Thema der Integration und Vertiefung sehr wohl darauf zu achten, welche Diskussion
wir lostreten und welche Staaten wir mitnehmen. Ich
plädiere dafür, dass wir das Thema der Eigenmittel und
der Finanzierung Europas behutsam angehen und dass
wir realistisch vorgehen.
Was mich an Diskussionen, die auf nationaler Ebene
geführt wurden, oft gestört hat, ist, dass man gesagt hat:
„Wir werden das Problem jetzt europäisch angehen, und
wir werden es europäisch lösen“ - das ist auch in diesem
Hohen Hause verkündet worden -, ohne dass es eine
Aussicht gegeben hätte, auf europäischer Ebene einen
Konsens zu finden. Dann waren die Enttäuschungen
über Europa groß, und Europa wurde die Schuld gegeben. Die Leute fügen Europa einen Schaden zu, sie erheben Forderungen, von denen sie schon während der Debatte wissen, dass sie keinerlei Aussicht auf Realisierung
haben.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
({8})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Christian Petry.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Europa braucht Visionen. Europa braucht keine
technokratische Diskussion, Europa braucht Visionen
auf dem Weg in ein soziales Europa, in ein Europa des
Miteinanders, in ein Europa des Austausches. Dafür
braucht Europa natürlich ausreichend Geld.
Wir reden heute über den Beschluss des Rates der EU
über die Eigenmittel vom Mai 2014 und über den Planungszeitraum von 2014 bis 2020. Die EU-Eigenmittel
speisen sich aus Zoll- und Mehrwertsteuereinnahmen sowie anteilig aus den Bruttonationaleinkommen der Mitgliedstaaten. Dazu gibt es eine sehr komplizierte Berechnung. Ein Blick in das Gesetz ist wirklich sehr
interessant. Die Formeln, die dort aufgeführt sind, sind
nachvollziehbar, aber wirklich nicht einfach. Ich sage
das als jemand, der einmal Mathematik studiert hat. Ich
kenne das aus Lehrbüchern. So kompliziert müsste es eigentlich nicht sein. Deutschland hat 31 Milliarden Euro
für 2014 und nach den Berechnungen des BMF 35 Milliarden Euro im Jahr 2020 zu zahlen.
Wichtig ist auch, dass die Überschrift über dem EUHaushalt nun „Intelligentes und integratives Wachstum“
lautet und die Mittel für die Schwerpunkte früherer Jahre
- ich nenne zum Beispiel die Agrarförderung, den Ausgleich und die Austerität - etwas zurückgehen, es hin zu
mehr Investitionen und zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa geht. Die Eigenmittelausstattung
- das ist schon ein paarmal genannt worden - ist für
viele Regionen in Europa natürlich segensreich, was die
Förderung der Projekte angeht. Sie muss grundsätzlich
diskutiert werden; das ist hier schon genannt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig, dass das System zu kompliziert ist, dass das Einstimmigkeitsprinzip etwas hinderlich sein kann und dass
quasi eine Unabhängigkeit der Finanzierung nicht gewährleistet ist. Vorschläge werden schon lange diskutiert. Bereits 2005 hat der Europäische Rat eine Evaluierung dieses Systems beschlossen. Die sogenannte
Monti-Gruppe hat ihre Arbeit aufgenommen, einen Zwischenbericht vorgelegt und bekannte Schwachstellen des
Eigenmittelsystems angesprochen. Ich glaube, es ist sehr
wichtig, dass wir hierüber auch in unseren parlamentarischen Gremien sehr ausführlich diskutieren.
Das ist wichtig; denn Europa braucht Visionen. Wir
brauchen einen stärkeren Konsens der Staats- und Regierungschefs - dies wird immer schwieriger -, und wir
brauchen positive Signale für Europa, auch aus dem Parlament heraus. Ich will einmal ein Beispiel dafür nennen,
was kein positives Signal wird. Die morgige Debatte um
die Maut wird mit Sicherheit kein positives Signal für
Europa werden. Viele Sozialdemokraten werden zustimmen, obwohl sie eigentlich nicht viel davon halten.
({0})
Ich wünsche mir, dass es im Parlament viel mehr positive Diskussionen über Europa gibt.
Eine Vision ist die Erweiterung Europas. Eine Vision
ist, dass wir Europa größer machen. Es gibt weiße Flecken im mittleren Balkan. Die Staaten dort müssen den
Weg nach Europa finden. Da müssen wir helfen und unterstützen. Ich nenne Moldau und Georgien. Es gibt dort
beitrittswillige Länder. Die Türkei ist weiterhin ein
Thema, auch wenn der Beitritt heute - vermeintlich noch in weiter Ferne liegt. Diese Visionen brauchen wir.
Dafür braucht Europa eine ausreichende und vor allem unabhängigere Ausstattung mit finanziellen Mitteln.
Kollege Dehm hat es gesagt: Natürlich muss man auch
über das Miteinander und die Konstruktion Europas reChristian Petry
den dürfen und das weiterentwickeln dürfen. Das Ziel
der Vereinigten Staaten von Europa, eine echte Sozialunion, eine Europäische Union, die die Menschen mitnimmt, das ist der Anspruch, den wir an uns selber haben müssen. Es geht um ein friedenschaffendes Europa,
eine Konstruktion, die wir hier aufbauen und mit unterstützen können. In diesem Sinne sind die positiven Visionen in Europa zu sehen.
Zum Gesetzentwurf. Ich persönlich würde mich natürlich sehr freuen, wenn wir bereits beim nächsten Finanzrahmen eine unabhängige Finanzierungsquelle hätten, eigene Steuern der EU zum Beispiel, und die
Anpassung der Steuersysteme. Herr Kollege Radwan,
ich habe es nicht so verstanden, dass wir unsere Steuerhoheit abschaffen wollen; die soll es weiterhin geben. Es
geht darum, dass wir eine zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit, eine neue Steuerhoheit bei der EU kreieren
wollen, die allgemein akzeptiert ist. Das sollte man nicht
vermengen und nicht gegeneinander ausspielen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vision
eines sozialen Europas soll uns treiben. Die Eigenmittelausstattung werden wir beschließen. Bis 2020 ist das in
trockenen Tüchern. Wir sollten uns sehr rasch daranmachen, das System zu modernisieren und letztlich für ein
modernes, soziales und friedliches Europa zu sichern.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glück
auf!
({2})
Vielen Dank. - Das war der letzte Redner zu diesem
Tagesordnungspunkt. Damit schließe ich diese Debatte.
Wir kommen zur
zweiten Beratung
und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union. Der Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4409, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4047 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({0}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke,
Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen - Kooperative Holzvermarktung ermöglichen
Drucksachen 18/2876, 18/3578
Über die Beschlussempfehlung werden wir nachher
namentlich abstimmen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass derzeit schon eine Reihe von Erklärungen
nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Kordula Kovac, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der
Tribüne! Wir reden heute über den Antrag zur Sicherstellung der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und somit auch über die grüne Lunge unserer Republik: den
deutschen Wald. Auch bei mir zu Hause in Wolfach
prägt der Schwarzwald mit seinen tief eingekerbten Tälern, Felsen, Bächen und großen, zusammenhängenden
Waldgebieten die Region ohnegleichen, und das in
mehrfacher Hinsicht: nicht nur wegen der biologischen
Vielfalt, sondern auch wegen der Unmenge an Leistungen, die der Wald für uns erbringt. Er ist für uns ein Erholungsraum, aber eben auch ein Rohstofflieferant.
Zurzeit werden die Waldflächen in den einzelnen
Bundesländern unterschiedlich bewirtschaftet und der
Verkauf von Holz ganz unterschiedlich organisiert.
Diese unterschiedliche Handhabe in den Ländern hat
sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt und bewährt und
trägt den unterschiedlichen regionalen Besonderheiten
Rechnung.
Kein Landeswaldgesetz ist dabei wie das andere.
Während Bayern den Holzverkauf nicht als hoheitliche
Aufgabe begreift, sondern ihn vollständig privatwirtschaftlich organisiert, ist das Vorgehen in BadenWürttemberg ein vollkommen anderes. Hier herrscht,
historisch gewachsen, eine enge Kooperation zwischen
dem Land und der privaten Holzwirtschaft vor. Diese
Form der Bewirtschaftung bringt für alle Beteiligten
Vorteile und trägt maßgeblich dazu bei, den Wald
nachhaltig als Ökosystem zu schützen. So unterstützen
in Baden-Württemberg die Forstämter die privaten
Waldbesitzer dabei, nachhaltig zu forsten. Gerade für
viele kleinere Waldbesitzer ist diese Unterstützung Gold
wert,
({0})
weil sie eine derartig professionelle Bewirtschaftung ihrer Waldparzellen nicht selbstständig leisten könnten.
Die Zusammenarbeit zwischen dem Land und den
Privaten kommt letztendlich jedermann zugute. Aber
dennoch muss klargestellt werden, dass auch im Bereich
der Holzvermarktung staatlicher Dirigismus niemals
der freien Marktwirtschaft vorgehen kann. Als CDUAbgeordnete sage ich an dieser Stelle deutlich, dass die
Union die Partei der sozialen Marktwirtschaft ist und
bleibt.
({1})
Genau aus diesem Grund dürfen wir auch nicht einfach
über die Bedenken, die das Bundeskartellamt unlängst
gegen das Modell des Holzverkaufs in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern geäußert hat, hinweggehen.
Natürlich ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwischen dem Land und einzelnen privaten Waldbesitzern
eine stärkere Position auf dem Holzmarkt. Natürlich ist
es so, dass das Markieren der hiebreifen Bäume durch
eine zentrale Stelle bereits das Angebot deutlich einschränkt. Und natürlich ist es auch so, dass dabei für den
Kunden in Bezug auf die Auswahl der Händler nur eine
kleinere Auswahl zur Verfügung steht. Die Frage ist aber
doch, ob diese Einschränkung schlecht ist. Für mich als
Konservative ist es ein Glaubenssatz, dass nichts verändert werden muss, was sich über Jahre hinweg bewährt
hat. Und genau damit dringen wir zum eigentlichen Kern
dessen vor, was wir heute hier diskutieren.
Ein Wettbewerb in der Forstwirtschaft soll, ja muss,
möglich sein, aber nicht um jeden Preis.
({2})
Es geht vielmehr darum, wie bestehende Strukturen so
angepasst werden können, dass sowohl Bewährtes erhalten bleibt, aber auch Raum für neue Ansätze geschaffen
werden kann.
Damit, liebe Freunde von den Grünen, kommen wir
zu Ihrem Antrag, in dem viel Kluges steht,
({3})
zum Beispiel, dass Wälder bedeutende großflächige
Ökosysteme sind, die durch geeignete Bewirtschaftungsmaßnahmen in all ihren Funktionen zu erhalten, weiterzuentwickeln und zu schützen sind, oder dass Wälder
eine besondere Bedeutung für das Klima, für die
Speicherung von Wasser sowie für die Erhaltung der Artenvielfalt haben,
({4})
und eben auch, dass die staatliche Unterstützung der
Waldbewirtschaftung, wie sie zum Beispiel in meinem
Heimatbundesland Baden-Württemberg praktiziert wird,
in besonderem Maße den vielfältigen Ansprüchen an den
Wald als Erholungsstätte für die Bevölkerung gerecht
wird. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf, dass wir
als Union Ihnen jede dieser Aussagen unterschreiben
würden;
({5})
und auch die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, nämlich
historisch gewachsene Regelungen im Kern zu erhalten
und gegen den Angriff des Bundeskartellamtes zu verteidigen, sind richtig. Allerdings kommen Sie mit Ihrer
Forderung zu spät. Die Große Koalition und hier insbesondere Landwirtschaftsminister Christian Schmidt,
der ein kluger Mann ist, haben das Problem schon vor
langer Zeit erkannt.
({6})
Es ist schon längst so, dass wir dabei sind, Vorschläge
auf den Weg zu bringen, wie das Bundeswaldgesetz
dahin gehend geändert werden kann, dass die länderspezifischen Regelungen weiterhin bestehen bleiben
können.
({7})
Im Kern wird in nächster Zeit ganz konkret darüber
geredet werden können, inwiefern gerade solche forstwirtschaftlichen Dienstleistungen, die der eigentlichen
Forstvermarktung vorgelagert sind, wie der Waldbau,
wie die Markierung, wie die Holzernte oder wie die
Bereitstellung des Rohholzes, aus dem Kartellrecht ausgeklammert werden können. Dadurch, liebe Kolleginnen
und Kollegen, werden die hergebrachten landestypischen Strukturen gewahrt.
Wir brauchen deshalb an dieser Stelle als Union und
als Koalition keine Nachhilfe von der Opposition, schon
gar nicht zu sozialer Marktwirtschaft und Wettbewerb.
Aus genau diesem Grund lehnen wir Ihren Antrag heute
ab. Da Ihnen, liebe Freunde von den Grünen, so viel an
dem Thema liegt, freuen wir uns, wenn Sie beim nächsten Mal für unsere Änderungsvorschläge stimmen.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Im Grunde geht es heute um die Frage:
Wollen wir sicherstellen, dass sich private Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer oder Kommunen bei der Betreuung ihres Waldes zwischen staatlichen und privaten
Forstdienstleistern entscheiden können? Genau das hat
das Kartellamt infrage gestellt, weil es wettbewerbsrechtliche Bedenken hat, wenn sich der staatliche Forst
dort einmischt. Dieses Damoklesschwert schwebt aber
schon seit Ende 2013 über den Köpfen der Beschäftigten. Ich finde, wir müssen hier jetzt Klarheit schaffen.
({0})
Für uns Linke steht völlig außer Frage, dass ein staatliches Angebot zur forstlichen Betreuung im Privat- und
Kommunalwald wichtig ist. Ich habe die Debatte eigentlich bisher so verstanden, dass wir uns an dieser Stelle
auch vollkommen einig sind. Gerade für die vielen
Klein- und Kleinstwaldbesitzer oder für die Kommunen
ist ein staatliches Unterstützungsangebot eine wichtige
Alternative, vielleicht anders als bei den großen Waldbesitzern, die häufig selbst eigene Forstleute einstellen
können.
Als Linke wollen wir, dass genau wie bei Äckern und
Wiesen auch das Eigentum am Wald in der Gesellschaft
breit gestreut und dort auch verankert bleibt.
({1})
Wenn wir trotzdem eine optimale forstliche Betreuung
und nachhaltige Nutzung des Waldes sichern wollen,
dann brauchen wir eben professionelle Unterstützung.
Ich sage: Bei staatlichen Forstleuten kann man davon
ausgehen, dass die wirtschaftlichen Eigeninteressen dem
Gemeinwohlinteresse deutlich nachgeordnet sind,
({2})
auch wenn sie zugegebenermaßen von den öffentlichen
Haushalten der Länder nicht völlig unabhängig sind.
Aber forstliches Handeln kann in dem Fall ja auch demokratisch kontrolliert werden.
Die Agrarminister aller Bundesländer haben bei einer
Konferenz in Potsdam im vergangenen Jahr dazu gesagt:
Dadurch sind sie Ansprech- und Servicepartner für
Waldbesitzer, Behörden, Bürgerinnen und Bürger.
Sie genießen hohe Akzeptanz in der Bevölkerung
sowie bei den maßgeblichen Verbänden der Waldbesitzer und der Holzindustrie.
Diese Verbindung zwischen der Gemeinwohlverpflichtung einerseits und dem Vertrauen andererseits ist
deshalb wichtig, weil es im Wald eben um mehr geht als
um Holzernte. Der Bund Deutscher Forstleute, also die
Gewerkschaft der Forstleute, sagt das unter der Überschrift „Der Wald ist keine Schraubenfabrik!“ so:
Die Pflege und Bewirtschaftung des Waldes sind
Teil der Daseinsvorsorge. Sie garantieren die Gemeinwohlleistungen zum Schutz des Klimas und
der Umwelt, der Erholung und Gesundheit, der Bildung und vieles mehr. Der Wald ist mehr als Holzproduktion.
({3})
Besser kann man aus meiner Sicht die Fürsorgefunktion
des Staates für den Wald nicht beschreiben.
Eigentlich wundert man sich, wenn überhaupt infrage
gestellt wird, dass die staatliche Betreuung von Privatund Kommunalwald möglich sein soll. Aber die Sägeund Holzindustrie hat das im Jahr 2001 kritisiert. Genau
das war die Aufforderung an das Kartellamt, aktiv zu
werden. Ehrlich gesagt wundere ich mich auch deshalb
ein wenig darüber, weil in vielen anderen Branchen das
Kartellamt viel mehr gefordert ist, um Marktdominanz
einzuschränken, zum Beispiel bei den Supermarktketten.
({4})
Noch mehr wundern mich die Zweifel des Kartellamtes, weil es hier eben nicht um die Holzvermarktung und
damit um Wettbewerb geht. Bei der forstlichen Betreuung geht es vielmehr um die vielen Schritte, die im
Laufe des Lebens eines Waldes vor der Holzernte
stattfinden müssen, also um Tätigkeiten, die dem Wettbewerbsrecht gar nicht unterliegen. Es geht zum Beispiel
um die Holzauszeichnung, dass also ein staatlicher
Förster feststellt, welche Bäume gefällt werden können,
und dass trotzdem der Wald nachhaltig genutzt werden
kann. Es geht zum Beispiel darum, einen Nadelwald, bei
dem alle Bäume gleichaltrig sind, zu einem Mischwald
umzubauen, damit die ökologische Funktion des Waldes
gesichert wird. Deshalb ist aus meiner Sicht vor allem
die fachliche Qualität der forstlichen Betreuung von
Bedeutung dafür, für welchen Dienstleister ich mich
entscheide. Das muss aus meiner Sicht auch gesichert
bleiben.
({5})
Wenn eine Klarstellung im Bundeswaldgesetz notwendig ist, um die Bedenken des Kartellamtes auszuräumen, dann sollten wir dieses Problem endlich lösen,
nicht nur weil wir endlich Rechtssicherheit brauchen,
sondern vor allen Dingen weil die Beschäftigten in den
Forstämtern, Forstverwaltungen und auch die Waldbesitzer Klarheit brauchen. Der Antrag der Grünen geht
genau in diese Richtung, und deswegen werden wir ihm
zustimmen.
Ich sage aber auch: Beim Bundeswaldgesetz gibt es
noch ganz andere Baustellen. Ich nenne als Beispiel die
Festschreibung von sozialökologischen Mindestkriterien
für die Waldbewirtschaftung. Wir haben dies immer gefordert; die SPD und die Grünen auch - ich weiß. Wenn
es jetzt wirklich noch Debattenbedarf gibt, muss man
das möglicherweise von der Lösung des Kartellamtsproblems trennen, damit man das zügig klären kann. Eine
noch bessere Lösung wäre aber, dass es Bewegung bei
den Mindeststandards gibt und sie endlich im Bundeswaldgesetz festgeschrieben werden. Wir werden diese
Entwicklung jedenfalls weiter beobachten und voranbringen.
Wir bleiben Ihnen auf den Fersen.
({6})
Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Petra Crone, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Forstwirtschaft in
Deutschland ist ein ganz wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Allein in Baden-Württemberg werden die Umsätze laut
landeseigener Clusterstudie aus 2010 auf 500 Millionen
Euro beziffert. Zusammengenommen erwirtschafteten
die Betriebe des Clusters Forst und Holz im Jahr 2008
im Ländle einen Umsatz von über 31 Milliarden Euro.
Das ist eine ganze Menge. Ich hoffe sehr, dass wir hier
einer Meinung sind, nämlich dass für diesen bedeutenden Wirtschaftszweig die marktwirtschaftlichen Grundsätze Anwendung finden müssen.
Ich benenne diesen Fakt so explizit, weil Außenstehende bei der Debatte den Eindruck gewinnen konnten,
der Forstwirtschaft, vor allem der staatlichen, gehe es
ausschließlich um das Erreichen von Gemeinwohlzielen.
Die sind auch dabei, klar. Aber auch der Staatsbetrieb im
Forst handelt unternehmerisch. Wer Holz verkauft, ist
Marktteilnehmer und kann erst einmal keine Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen - Punkt.
Nebenbei, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich hätte
mir niemals gedacht, dass ich einmal Nachhilfe im Fach
„Der Wettbewerb als Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft“ geben werde. Aber wir wachsen ja alle mit
unseren Aufgaben.
({0})
Was finden wir also vor in der deutschen Forstwirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen? Grundsätzlich
können die forstliche Beratung sowie die Vorbereitung
und Durchführung von Holzeinschlägen, auch das oft
beschworene Auszeichnen von Bäumen zum Einschlag
von privaten Förstern, Forstingenieuren und Forstunternehmen vorgenommen werden - oder von staatlichen.
In der Praxis zeigt sich aber in einigen Bundesländern, dass private Unternehmen es schwerer haben am
Markt. Warum haben sie es schwerer? Hier können wir
wirklich mal die Dinge beim Namen nennen, anstatt immer so kryptisch zu reden, als wüssten wir alle nicht,
warum. Private Unternehmen haben es schwerer, weil
die Landesforstbetriebe beihilferechtlich zumindest fragwürdige Preise unter den tatsächlichen Kosten verlangen. Die Preise sind durch den Steuerzahler indirekt subventioniert. Ich habe den Präsidenten der Forstkammer
Baden-Württemberg, den CDU-Bürgermeister Roland
Burger, sehr wohl gehört, als er bei der Mitgliederversammlung in Baden-Baden ins gleiche Horn blies:
Künftig müssten die staatlichen Gebühren für die
Dienstleistungen kostendeckend sein. Die bislang gewährte indirekte Förderung werde in eine direkte Förderung umgewandelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das Bild
zeichnen wollen, das Wirtschaftskraft, Gemeinwohl und
Forderungen nach einem neuen Paragrafen im Bundeswaldgesetz umfasst, dann, finde ich, sollte das Bild auch
möglichst vollständig sein.
({1})
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in einigen Bundesländern etwas aufgebaut, was die eine Seite als „Einheitsforstamt“ bezeichnet, die andere als „Monstranz
desselben“ geißelt. Dieses Rundumwohlfühlpaket - so
wurde es oftmals genannt - für alle Waldbesitzer, egal
ob Staats-, Kommunal- oder Privatwald, beginnt bei den
Pflanzungen und endet bei der Vermarktung und dem
Verkauf des Holzes. Diese gängige Praxis rief bereits
2002 - das ist eben schon gesagt worden - das Bundeskartellamt nach einer Beschwerde der Sägeindustrie auf
den Plan. Damals schon im Blickfeld: Baden-Württemberg.
Am Ende der Untersuchungen der 1. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes steht ein beachtliches
Monopol. Andere nennen es Syndikat, wieder andere
Vertriebskartell. Fakt ist: 60 Prozent des Rundholzaufkommens vertreibt der Landesbetrieb ForstBW. Das ist
nicht nur Holz aus dem Staatswald, sondern auch Holz
aus Kommunal- und Privatwäldern. ForstBW verhandelt
für alle Waldbesitzer die Preise und bestimmt Kunden
und Verkaufskonditionen. Das ist nicht nur ein Verstoß
gegen das deutsche Kartellrecht, sondern ist auch potenziell geeignet, den innerstaatlichen Wettbewerb in der
EU zu behindern. Das ist laut dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verboten.
Früher lag die Schwelle für eine den Markt beherrschende Stellung bei 30 Prozent, heute bei 40 Prozent. In
Baden-Württemberg sind es aber 60 Prozent.
({2})
Und was, lieber Harald Ebner, steht noch mal im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen von 2013 auf
Seite 65? Sie fordern darin eine Stärkung des Bundeskartellamtes „bei der Regulierung von … monopolistischen Märkten“.
({3})
Sehr geehrte Damen und Herren, die Verhandlungen
des Landes Baden-Württemberg in dem Kartellverfahren
sind gescheitert. Das ist schade, denn Ende 2014 standen
alle Zeichen auf Einvernehmen. Betreuungsangebote
durch das Land für kleine private Waldbesitzer wären
vom Kartellamt gebilligt worden. Da deren Holzmenge
im Regelfall deutlich unter 100 Hektar liegt, hatte das
Kartellamt eine entsprechende Schwelle pro Waldbesitzer
vorgesehen. Ich will diesen Fakt noch einmal erklären,
liebe Kollegen und Kolleginnen: Mit der 100-HektarSchwelle würdigt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen den Arbeitsgemeinschaftsgedanken, ohne
den die forstwirtschaftliche Leistung nicht möglich
wäre. Heißt: Eine gedeihliche Kooperation zwischen
Land und Waldbesitzern unterhalb dieser Schwelle wäre
möglich gewesen.
Ehrlich gesagt: Ich hätte es besser gefunden, wenn
Forstminister Bonde weiter mit dem Bundeskartellamt
nach einer vernünftigen Lösung gesucht hätte. Das Land
wird jetzt voraussichtlich die Untersagungsentscheidung
abwarten, um diese dann gerichtlich überprüfen zu lassen. Ländersache also? Oder doch nicht?
Hoffnungsvoll blicken jetzt alle Beteiligten des Landes auf unser Landwirtschaftsressort im Bund. Auch die
SPD-Bundestagsfraktion steht einer Änderung des Bundeswaldgesetzes nicht ablehnend gegenüber,
({4})
wenn sie denn ordentlich gemacht ist, also aus verfassungsrechtlicher Sicht okay ist, und wenn die fachlichen
Probleme in den Ländern gelöst würden. Das ist die Prämisse der SPD an Gesetze: gute Gesetze und nicht Symbolpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
In insgesamt fünf Bundesländern sind die Strukturen
bedenklich; folglich sind sie es in elf anderen Bundesländern nicht. Die Frage, die wir uns als Bundespolitiker
stellen müssen, ist doch die: Warum sollte der Bund in
die föderalen Strukturen ordnungsrechtlich eingreifen,
wenn kartellrechtlich unbedenkliche Lösungen vor der
Haustür liegen? Das Verfahren ruft zu Recht Kritiker
und Mahner einer Gesetzesänderung auf den Plan. Was
oftmals nicht gesehen oder besser nicht gesagt wird:
Auch die Forstpartie hat keine einheitliche Position.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selten wurde das
Für und Wider präziser, klüger und vielschichtiger erwogen als beim Kolloquium in Freiburg. Ein bisschen mehr
Verliebtheit in die Mühen des Details würde ich mir auch
für unsere Debatte hier im Hohen Hause wünschen.
({6})
Wir sind doch nicht der verlängerte Arm von Landesministern, lieber Harald Ebner. Wir tragen hier doch
nicht Landespolitik aus, sondern suchen Gesetzesbegründungen für Geeignetheit und Erforderlichkeit der
geplanten Kartellrechtsausnahme.
({7})
Nebenbei: Die Beantragung, über die Beschlussempfehlung eine namentliche Abstimmung durchzuführen,
finde ich ziemlich kleinlich.
({8})
Als Abgeordnete sage ich: Das BMEL ist immer noch
am Zug, an einer tragfähigen Formulierung für eine kartellrechtliche Lösung im Bundeswaldgesetz zu arbeiten.
Hier wünsche ich mir von unserem Hause ein bisschen
weniger sachdienlich-juristische Hinweise von außerhalb und ein Mehr an vertraulicher und konstruktiver
Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft. Da ist bislang einfach zu wenig gelaufen.
({9})
Sehr geehrte Damen und Herren, bestimmt vermissen
Sie in meiner Rede bereits die berühmten drei Worte:
gute fachliche Praxis. Das Bundesumweltministerium
fordert deren Verankerung im Bundeswaldgesetz. Ich
finde, für diese Forderung hat das BMUB gute Gründe,
zum Beispiel, wenn eine Liberalisierung befürchtet wird.
Es hilft übrigens auch ein Blick in das SPD-Regierungsprogramm von 2013. Bei Bündnis 90/Die Grünen finden
Sie es auf Seite 157, Harald Ebner, zur Erinnerung. Warum Sie jetzt davon nichts mehr wissen wollen, müssen
Sie mir mal in einer ruhigen Minute erklären. Vielleicht
finden wir ja die Zeit.
Ich darf auch daran erinnern, dass wir 2008 in der
Großen Koalition kurz vor der Einigung auf gemeinsame
Kriterien zur guten fachlichen Praxis standen.
({10})
Was ist eigentlich so schlimm an ökologischen Mindeststandards im Wald, dass wir es nicht einmal schaffen,
uns darauf zu verständigen, darüber zu sprechen, zu erörtern, wo Schnittmengen liegen könnten, wie ein Kriterienkatalog aussehen könnte, der dann für alle gilt? Denn
dem, der sagt, das könne doch jedes Bundesland in den
Gesetzen selbst regeln, da brauche es keine Ordnungspolitik von Berlin aus, dem sage ich: Ja! Das gilt dann aber
auch für die kartellrechtskonformen forstlichen Strukturen. Ansonsten ist es föderal konfus.
({11})
Es gilt das von unserer Seite Gesagte in der vorliegenden Beschlussempfehlung: Die SPD-Bundestagsfraktion
ist bei einer Änderung des Bundeswaldgesetzes an Bord,
wenn uns die Regierung einen guten, fachlich und
grundrechtlich haltbaren Entwurf vorlegt.
Ich danke Ihnen.
({12})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Harald Ebner von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Die deutsche Waldwirtschaft blickt zu
Recht stolz auf eine 300-jährige Tradition der Nachhaltigkeit zurück. Das ist ein Fundament, auf dem wir angesichts der Herausforderungen von Klimawandel und
Artensterben aufbauen könnten - könnten, wenn das
Kartellamt nicht wäre, das den Wald als reine Rohstoffquelle für Rundholz betrachtet.
Wälder sind aber - das hat die Kollegin Tackmann
schon gesagt - nicht nur Holzlieferanten, sondern haben
viele Gemeinwohlfunktionen bei Klimaschutz, Luftreinhaltung, Wasserhaushalt, Artenvielfalt, Naherholung
usw.
({0})
Darum ist es heute und auch in Zukunft existenziell, dass
Wälder nicht allein nach Renditekriterien und maximaler
Holzausbeute bewirtschaftet werden. Die staatlichen
Forstverwaltungen haben die verschiedenen Waldfunktionen in ihrem Arbeitsauftrag. In vielen Bundesländern
übernehmen sie für private Waldbesitzer kleiner Waldflächen und für waldbesitzende Kommunen Auswahl
und Auszeichnung von Bäumen und bestimmen so ganz
wesentlich das Erscheinungsbild unserer Wälder. Das
hat sich seit Jahrzehnten für die Waldbesitzer, für das
Gemeinwesen, für die Steuerzahler und für die Natur bewährt. Auch die Sägeunternehmen betonen im Übrigen,
wie praktisch die Bündelung der Holzmengen durch die
Landesforstbetriebe sei, dadurch hätten sie eine verlässliche Rohstoffversorgung und keinen zersplitterten Einkauf.
Dennoch fordert das Bundeskartellamt nun faktisch
die Zerschlagung dieser bewährten und breit akzeptierten Strukturen. Warum? Der Bundeskartellamtspräsident
hat es auf den Punkt gebracht: Er hält es nicht für hinnehmbar, dass aus Gründen der Preisgestaltung Holzvorräte ungenutzt in den Wäldern stehen bleiben und nicht
dem Markt zugeführt werden.
({1})
Das zeigt: Es geht hier gar nicht um die Frage, wer Holz
vermarktet, sondern nur um die maximale Steigerung
der Holzmenge. Alles andere soll diesem Kriterium untergeordnet werden. Das Kartellamt sieht hier im wahrsten Sinne des Wortes den Wald vor lauter Bäumen nicht.
({2})
Mit Nachhaltigkeit hat das gar nichts mehr zu tun. Im
Gegenteil: Das ist ein Generalangriff auf die Tradition
von Carlowitz, meine Damen und Herren.
({3})
Die traurige Folge dieses Irrwegs ist ein Kartellverfahren gegen die Forstverwaltung Baden-Württemberg.
Auch andere Bundesländer sind aufgrund ähnlicher
Strukturen bereits im Visier. Jetzt drohen jahrelange
Rechtsstreitigkeiten, Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe usw. Auch die Sägeindustrie, die das alles
veranlasst hat, fragt sich inzwischen, wie sie die Geister,
die sie da rief, wieder loswird.
Wichtiger Dreh- und Angelpunkt ist jetzt: Was zählt
zur Holzvermarktung? Etwa schon die Entscheidung darüber, welcher Baum oder welche Baumart im Wald stehen bleibt? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Holzvermarktung fängt am Wegrand an und nicht vorher. Um
das ein für alle Mal klarzustellen, und zwar so, dass es
auch das Bundeskartellamt kapiert, muss das Bundeswaldgesetz, Herr Bleser, zügig geändert werden. Genau
darum geht es in unserem Antrag, um nicht mehr und um
nicht weniger.
Über diese Forderungen herrscht angeblich fraktionsübergreifend Konsens. Heute habe ich zum ersten Mal
von der Kollegin Crone erhebliche Bedenken gehört.
Diese habe ich bislang im Ausschuss nicht hören können. Die Forstwirtschaft, die Gewerkschaften, die Landräte, die Kommunen, die Umweltverbände - sie alle fordern eine schnelle Gesetzesänderung. Auch die
Agrarministerkonferenz hat hierzu einen klaren Beschluss gefasst. Warum passiert hier nichts?
({4})
Viele von Ihnen haben den Betroffenen schnelle Hilfe
versprochen. Doch Sie bleiben sie bis heute schuldig.
Der Gesetzentwurf aus dem BMEL ist seit Monaten im
Nirwana verschwunden; er taucht nicht einmal mehr in
der Vorhabenplanung der Bundesregierung auf.
Die Zeit drängt. Um zu verhindern, dass funktionierende Strukturen zu Bruch gehen, muss jetzt gehandelt
werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Ein abgestimmter Gesetzentwurf muss endlich auf den
Tisch. Diffuse Bedenken oder weitergehende Forderungen, was sonst noch alles wünschenswert wäre - da
stimme ich Petra Crone zu; da gibt es noch vieles -,
muss man aber in einem zweiten Teil machen. Das müssen wir jetzt zugunsten einer schnellen Lösung zurückstellen. Wenn Sie jetzt sagen, liebe Frau Kovac, unser
Antrag sei unnötig, Sie seien schon dran, dann muss ich
Sie fragen: Wo ist denn Ihr Gesetz? Warum geht nichts
voran? Von der Absicht, ein Gesetz zu machen, kann
sich der Wald nichts kaufen.
Seit Mitte Oktober letzten Jahres liegt unser Antrag
vor. Sie haben keine inhaltliche Begründung für Ihre Ablehnung im Ausschuss geliefert. Was hätte eigentlich gegen einen gemeinsamen Antrag gesprochen? Sie haben
sich nicht geregt. Heute ist die Nagelprobe dafür, wie
sehr es Ihnen um die Sache geht. Bislang war Schweigen
im Walde. Heute können Sie beweisen, dass Ihnen die
Zukunftsfähigkeit unserer Wälder und der bewährten
Forststrukturen wirklich am Herzen liegt. Deshalb fordern wir Sie auf: Sorgen Sie endlich für die notwendige
Gesetzesänderung! Beenden Sie die unerträgliche Lage
der vom Kartellverfahren bedrohten Länder und der
Forstwirtschaft! Machen Sie einen Knopf dran, und
stimmen Sie unserem Antrag zu, damit der deutsche
Wald eine Zukunft hat!
Danke schön.
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Alois Rainer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Schon 1713 legte Carl von Carlowitz den
Grundstein für die nachhaltige Waldwirtschaft. Heute,
über 300 Jahre später, ist dieses Prinzip in der Forstwirtschaft und in der Forstpolitik fest verankert. In seinem
Werk Sylvicultura oeconomica - auf Deutsch: nachhaltige Forstwirtschaft - ging es um eine kontinuierliche,
beständige und nachhaltige Nutzung des Waldes.
Heute, über 300 Jahre später, ist mit 11,4 Millionen
Hektar Wald ein Drittel der Fläche Deutschlands bewaldet. Mit der dritten Bundeswaldinventur bekamen wir
darüber hinaus die Informationen, dass in Deutschland
mehr Holz nachwächst, als wir nutzen. Zudem haben wir
mehr davon als jedes andere Land in der Europäischen
Union. Der gute Zustand des Waldes ist das Ergebnis einer vernünftigen Struktur- und Waldpolitik. Daher ist es
richtig, dass die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder
in Deutschland weiterhin so bestehen bleibt, wie sie derzeit in den Waldgesetzen des Bundes und der Länder
festgeschrieben ist. Darum müssen wir nicht ständig
Dinge verändern, die in der Sache bereits seit Jahren hervorragend funktionieren. Wir haben Regulatoren und
Mechanismen, die sich bewährt haben und gut sind. Ich
sehe derzeit keinen Anlass, in irgendeiner Weise an den
gesetzlichen Stellschrauben zu drehen.
({0})
Es ist auch nicht notwendig, die Waldbesitzer mit
noch mehr Auflagen und Vorschriften einzuschränken;
da ich selbst Waldbesitzer bin, weiß ich, was das bedeutet. Wir werden daran festhalten, die Waldstrategie 2020
voranzutreiben und dabei verstärkt auf die Schutzziele
der Biodiversitätsstrategie zu setzen, so wie wir es im
Koalitionsvertrag festgehalten haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
muss Holz, das gerodet wird, auch vermarktet werden
können. Hierzu möchte ich gern den Beschluss der
Agrarminister der Länder vom 5. September 2014 in
Erinnerung rufen. Darin stellen sie fest - ich zitiere -:
… dass sich die historisch gewachsenen, länderspezifischen Strukturen in der Unterstützung von
Forstbetrieben unterschiedlicher Waldbesitzarten
bewährt haben. Sie halten mit ihren Einrichtungen
insbesondere bei kleinteiliger Besitzartenzersplitterung regional angepasste Lösungsansätze für eine
nachhaltige Waldbewirtschaftung bereit.
In einem weiteren Punkt bitten die Agrarminister der
Länder - insbesondere die der von SPD und Grünen regierten Länder - den Bund, dafür Sorge zu tragen, dass
die bewährten länderspezifischen Strukturen der Unterstützung des nichtstaatlichen Waldbesitzes erhalten
bleiben, und darüber hinaus, dass die Landesforstverwaltungen dies im Sinne einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Waldbewirtschaftung in den Bundesländern weiter fortsetzen können, und notfalls die dafür
nötigen gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen. Dies,
meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir
längst getan, oder es ist in Arbeit.
Unabhängig davon, dass wir in Bayern bereits seit
Jahrzehnten eine vernünftige und gut funktionierende
Selbstvermarktung haben, möchte ich betonen, dass
Bayern auch bei der aktuellen kartellrechtlichen Fragestellung eigentlich außen vor ist. Denn die Organisationsstruktur im Freistaat wird vom Kartellamt als vorbildlich angesehen.
({1})
Daher besteht aus unserer Sicht hier kein Handlungsbedarf.
Darüber hinaus findet die geplante Novellierung des
Bundeswaldgesetzes eine breite Unterstützung und
große Zustimmung bei allen Beteiligten, da sie genau die
Felder anspricht, die Sie in Ihrem Antrag auch nennen.
Demzufolge ist der heute vorliegende Antrag zwar nicht
grundsätzlich falsch,
({2})
aber absolut überflüssig, lieber Herr Kollege,
({3})
da wir bereits, wie erwähnt, seit dem letzten Jahr über
konkrete Formulierungsvorschläge verfügen,
({4})
die sich derzeit in der Ressortabstimmung befinden. Ich
kann Ihrem Antrag auch keine neuen Informationen entnehmen, die nicht längst bekannt sind und bereits umfassend diskutiert werden. Der Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist daher in Gänze abzulehnen.
Danke schön.
({5})
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es macht sich eine
allgemeine Unruhe breit wie immer vor namentlichen
Abstimmungen; aber der Kollege Alois Gerig würde
sich jetzt über Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit freuen.
({0})
Darf ich Sie darum bitten?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich
nicht nur über die ungeteilte Aufmerksamkeit, ich freue
mich auch, dass wir dank des grünen Antrags das schöne
Thema Wald kurz vor Ostern noch debattieren und behandeln dürfen und auch aufgrund der - ebenfalls von
den Grünen beantragten - namentlichen Abstimmung
hier solch eine große Präsenz haben.
({0})
Aber, liebe Freunde von Bündnis 90/Die Grünen: Es
hilft nichts.
({1})
Wir werden diesen Antrag ablehnen. Er ist inhaltlich, ich
möchte sagen, tadellos.
({2})
Bereits bei der Einbringung im November 2014 haben
wir sehr wohl die Hand gereicht und gesagt: Die Bundesregierung ist unterwegs,
({3})
es gibt Arbeit im Hintergrund, es gibt Gesetzentwürfe.
Deshalb biete ich noch mal an: Zieht doch diesen Antrag
zurück,
({4})
und lasst uns im Sinne der Bedeutung des deutschen
Waldes gemeinsame Sache machen!
({5})
Dann würden wir auch der Agrarministerkonferenz gerecht werden und vielen, vielen Waldbesitzern draußen
in der Praxis.
Ich gebe ja zu: Ich hätte mir die Ressortabstimmung
auch etwas beschleunigter vorgestellt.
({6})
Eigentlich haben wir hier ein kleines Artikelgesetz, mit
dem wir das Bundeswaldgesetz gemeinsam mit dem
Bundesjagdgesetz behandeln und novellieren wollen;
aber wir tun uns schwer in der Ressortabstimmung. Da
die Kollegin Crone das BMEL benannt hat, füge ich
hinzu: Wir haben mit unserem Ministerium die Federführung, und ich sehe nicht ein, dass an einem kleinen
Artikelgesetz nachher alle mitberaten, dann Ministerien
irgendwelche Auflagen da einbringen wollen, die diesem
Gesetz nicht gerecht werden.
Dem Wald - das wurde heute gesagt - geht es relativ
gut. Relativ heißt: Es gibt Kalamitäten mit Ungeziefer,
mit Frost oder eben auch mit Wind und Schnee. Aber wir
müssen schauen, dass wir im Sinne der ökonomischen
und ökologischen Bedeutung des Waldes, die immens
hoch ist, unsere kleinen Waldbauern schützen.
Der Wald - ein Drittel Deutschlands ist damit bewachsen - ist die grüne Lunge, CO2-Senke, er ist Erholungsraum für die Menschen. Holz ist Rohstoff und auch
ein wiederentdeckter sehr wichtiger Baustoff und Energielieferant. Der bundesweite Cluster Forst und Holz
macht 170 Milliarden Euro Umsatz und bietet 1,2 Millionen Beschäftigten einen Arbeitsplatz; damit ist er ein
sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor.
Ich habe eigentlich kein Verständnis dafür, dass das
Bundeskartellamt, das juristisch recht haben mag, mit
dem Kartellrechtsverfahren gegen Baden-Württemberg
- das angekündigtermaßen auf andere Bundesländer ausgeweitet wird - genau wieder die Falschen trifft, nämlich unsere Kleinwaldbesitzer, die wegen der bescheidenen Holzpreise in den vergangenen Jahrzehnten häufig
keinerlei Gewinne machen konnten. Sie alle laufen nach
dem Beschluss des Kartellamts Gefahr, nicht mehr im
bisherigen Maße betreut zu werden.
({7})
Das Schlimmste, was unseren Waldbesitzern passieren
könnte, wäre - das sage ich vor dem Hintergrund, dass
Baden-Württemberg die Vereinbarung zurückgezogen
hat, ob nun zu Recht oder zu Unrecht -, dass ein Bundesland gegen das Kartellamt klagen würde. Das würde
für Unsicherheit an der rechtlichen Front auf mehrere
Jahre sorgen. Das wäre absolut falsch.
Die bewährten Forststrukturen sind in den einzelnen
Bundesländern unterschiedlich gewachsen. In BadenWürttemberg zum Beispiel sind die Forstverwaltungen
überwiegend beim Land und bei den Kommunen angesiedelt. Diese Strukturen würden durch die Umsetzung
des Vorschlags des Kartellamts zerschlagen, mit der
Folge, dass akute Probleme bei den Kommunen als Arbeitgeber einerseits und bei den Waldbesitzern andererseits auftreten würden.
Ich betone vor diesem Hintergrund noch einmal:
Wichtig ist die vorgesehene, mit den bundesweit agierenden Forstverbänden abgestimmte Gesetzesänderung;
das war eine recht schwierige Geburt. Einerseits werden
dadurch bewährte Strukturen gesichert. Andererseits
wird dadurch Raum für neue Entwicklungen in der
freien Marktwirtschaft geschaffen.
Ich schlage abschließend vor: Lassen Sie uns möglichst alle gemeinsam - wir liegen nur minimal auseinander - dafür Sorge tragen, dass der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in die
Ressortabstimmung eingebrachte Entwurf eines Waldgesetzes übernommen wird
({8})
und dass keine Spielchen - welcher Art auch immer mit diesem relativ kleinen Gesetz gespielt werden.
({9})
Wir können uns dann glücklich schätzen und unseren
Wald und unsere Waldbesitzer in eine gute Zukunft führen. Der deutsche Wald und die deutschen Waldbesitzer
haben unsere volle Aufmerksamkeit verdient.
({10})
In den letzten 15 Sekunden meiner Redezeit möchte
ich Sie bitten, Ihren Antrag zurückzuziehen.
({11})
Dann sind wir auf einer großen gemeinsamen Linie.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Vielen Dank. - Damit ist die Aussprache beendet.
Da ich davon ausgehe, dass die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen Ihrer Bitte, Herr Gerig, nicht folgt, kommen
wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen -
Kooperative Holzvermarktung ermöglichen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/3578, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2876 abzulehnen.
Wir stimmen auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses namentlich ab. Zu dieser Abstimmung liegen
uns bisher 49 Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung vor.1)
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen be-
setzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim-
mung.
Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? - Ich sehe keine Kolleginnen
und Kollegen mehr, die nicht abgestimmt haben. Dann
beende ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.2)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme
({0})
Drucksachen 18/3786, 18/3992
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
Drucksache 18/4451
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Alexander Radwan, CDU/CSU-Fraktion.
1) Anlagen 3 bis 5
2) Seite 9258 D
({2})
Meine Damen und Herren! Wir beraten heute die Einlagensicherung. Dabei handelt es sich um die letzte
Säule der Bankenunion.
Lassen Sie mich in Erinnerung rufen: Mit der Regulierung der Kapitalmärkte auf europäischer Ebene ging
es los. Wir haben dann die Aufsicht eingeführt, die jetzt
bei der Europäischen Zentralbank liegt, welche ihre Aufgabe angegangen ist. Diese Aufsicht - das möchte ich
schon betonen - ist ein großer Fortschritt, weil wir die
Banken und die Produkte jetzt grenzüberschreitend beaufsichtigen können.
Die Europäische Zentralbank übt auf der einen Seite
eine unmittelbare Aufsicht aus. Auf der anderen Seite
werden mittelbar auch die Regionalbanken und die kleinen Banken beaufsichtigt. Von daher ist es mir schon
wichtig, dass wir als Bundestag genau hinschauen, wie
diese Aufsicht in der Praxis funktioniert. Wir wollten
immer, dass unsere Regionalbanken mit Blick auf die
Aufsicht nicht überfordert werden, die hier durch die
BaFin wahrgenommen wird.
({0})
Wir haben dann auf europäischer Ebene die Abwicklung geregelt und dann national umgesetzt. Ich möchte
nur anmerken: Der erste Fall ist jetzt in Österreich eingetreten. Wir haben festgestellt, dass Garantien durch den
Staat Österreich, aber auch durch das Land Kärnten
wohl nicht so sicher sind, wie wir uns das erhofft hatten.
Ich wünsche mir, die Europäische Kommission, die immer sehr kritisch auf die verschiedenen Bereiche schaut,
möge sich den Fall der HGAA in Österreich genau vor
Augen führen, um zu sehen, was da passiert ist.
({1})
Heute beschließen wir die Einlagensicherung. Anders
als bei der Abwicklung haben wir hier keinen europäischen, sondern einen nationalen Fonds, was ich für richtig halte: Die nationalen Banken haften für ihren Bereich, aber nicht darüber hinaus. Es geht um 0,8 Prozent
der gedeckten Einlagen.
Es geht hier erst einmal um Verbraucherschutz. Die
Erstattung bis zu einer Summe von 100 000 Euro wird
zukünftig ohne Antrag gewährleistet. Damit soll auch
verhindert werden, dass es künftig wieder zu langen
Schlangen vor den Banken kommt - wir alle haben noch
die Bilder im Kopf -, wie wir sie früher beim BankenRun erleben mussten und wie wir sie kürzlich bei der Finanzkrise in Großbritannien gesehen haben. Die Bürger
sollen wissen, dass ihre Einlagen sicher sind, zumindest
bis zu einem Volumen von 100 000 Euro.
Wir verkürzen die Auszahlungsfrist auf sieben Tage.
Das heißt, innerhalb von sieben Tagen muss ausgezahlt
werden - ohne Antrag. Und wir werden - das finde ich
ganz besonders wichtig - die Summe von 500 000 Euro
beim Eingang bestimmter Zahlungen garantieren, zum
Beispiel aufgrund von Abfindungen oder nach Immobiliengeschäften, weil dann ein größerer Betrag auf dem
Konto ist. Das ist in diesem Bereich ein großer Fortschritt.
Der zweite Punkt, der uns von der CDU/CSU-Fraktion wichtig ist, ist, dass das Dreisäulensystem erhalten
bleibt und sich in die Struktur einfügen kann. Da hatten
wir bis zum Schluss Diskussionen über die Frage: Wie
ist es mit den privaten Einrichtungen? Da können wir
uns sicherlich eine Weiterentwicklung vorstellen, wenn
folgender Grundsatz eingehalten wird: Es handelt sich
um öffentliche Gelder, und mit diesen öffentlichen Geldern muss man entsprechend vorsichtig umgehen.
Ein anderer Punkt ist, dass auch Sparkassen und Genossenschaftsbanken bei entsprechenden Anpassungen
- wir alle bekommen die Diskussionen über die Anpassungen mit - im europäischen Rahmen einem entsprechenden Verbundsystem der Einlagensicherung angehören können, aber unter Berücksichtigung ihrer
nationalen Strukturen. Das, meine Damen und Herren,
ist gelebte Subsidiarität: Wir machen europäische Vorgaben, berücksichtigen dabei aber die nationalen Besonderheiten. Ich bin sehr dankbar, dass uns das gelungen
ist.
({2})
Im Zusammenhang mit dem Verbundsystem ist es
wichtig, dass auch die Risikoverteilung und risikoadäquate Bemessungen der Beiträge berücksichtigt werden. Ein Punkt, den wir von der Unionsfraktion diskutiert haben - ich habe das aber auch aus den Beiträgen
der Kollegen aus den anderen Fraktionen
herausgehört -, ist die Frage, wie wir zukünftig mit europäischen Vorgaben der EBA im Rahmen von Level 2
und Level 3 umgehen. Die Situation ist so, dass in Richtlinien und Verordnungen Kompetenzen auf Expertengruppen wie die von EBA und ESMA verlagert werden,
und diese konkretisieren dann solche Maßnahmen. Wir
haben auf europäischer Ebene ein parlamentarisches
Kontrollsystem: Das Europäische Parlament kann ein
Veto einlegen, wenn die Kommission einen entsprechenden Vorschlag macht.
Aber auch wir als Bundestag, wir als Abgeordnete des
deutschen Volkes müssen und sollen darauf achten, dass
die Gesetze, die wir beschließen, in unserem Sinne dann
auch angewendet werden.
({3})
Wenn Probleme bei der Umsetzung auftreten, wendet
man sich nämlich an den jeweiligen Abgeordneten und
fragt: Was für Gesetze habt ihr gemacht, und wie geht
die Verwaltung damit um? - Nach meinem Kenntnisstand haben wir hier zum ersten Mal einen Versuch gemacht. Ich bin aber nach wie vor für schärfere Regeln. Frau Präsidentin, Sie mahnen mich gerade. Mir stehen
neun Minuten Redezeit zur Verfügung; jetzt wollen Sie
mir nur fünf Minuten geben. Aber vielleicht war meine
Information falsch.
Sie haben neun Minuten Redezeit. Wenn dies nicht
ersichtlich war, dann tut es mir leid. Sie bekommen jetzt
also noch vier Minuten Redezeit.
Das muss Ihnen nicht leidtun.
Sie haben jetzt noch vier Minuten Redezeit. Wenn Sie
etwas kürzer reden, ist es auch nicht schlimm.
({0})
Haben Sie eine Ahnung! - Lassen Sie mich noch einmal zur EBA kommen. Unsere Beschlussempfehlung
enthält einen Passus, in dem wir klarmachen: Wir möchten, dass die entsprechenden Vorgaben der EBA die Risikoadäquanz bei den Gebühren berücksichtigen. Sollte
dies nicht der Fall sein - wir wissen ja nicht, wie entsprechende Beschlüsse durch die Aufseher in Europa erfolgen -, dann erwarten wir von der BaFin, diese nicht
anzuwenden; dieses Wahlrecht hat sie. Wenn sie sie anwenden will, dann erwarten wir, dass dies vorher vor
dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages begründet wird. Das ist ein erster Versuch. Aber ich denke,
da die Kapitalmarktregulierung wie andere Regulierungen auch sehr stark nach dem Komitologie-Verfahren
abläuft, angefangen auf der internationalen Ebene wie
Basel II oder IFRS über die europäische Ebene bis hin
zur nationalen Ebene, müssen wir alles daransetzen, hier
nach Möglichkeit noch strengere Vorgaben zu machen,
um der Verwaltung dabei zu helfen, sich am Willen des
Gesetzgebers zu orientieren.
Wir haben die Diskussion um die Rolle des Rechnungshofes gehabt. Wir hatten Konsens, dass der Rechnungshof entsprechend seinen engen Vorgaben tätig
werden kann. Was die steuerliche Behandlung angeht,
waren wir uns einig, dass wir keine Übertragung wollen,
weil wir nicht möchten, dass das Kapital zurückgeführt
wird. Wenn eine entsprechende Vorgabe aus Brüssel
kommen sollte, sollte die Beitragsentrichtung von Banken und Wertpapierunternehmen so sein, dass Wettbewerbsgleichheit besteht.
Meine Damen und Herren, uns ist gemeinsam ein guter Schritt gelungen. Im Vergleich zu Diskussionen, die
wir im Finanzausschuss über andere Bereiche, zum Beispiel Griechenland, führen, war die Atmosphäre unter
den Fraktionen recht harmonisch. Unterschiedliche Auffassungen gab es nur in Details. Ich bedanke mich beim
Bundesfinanzministerium für die gute, konstruktive Unterstützung. Ich plädiere natürlich für Zustimmung zu
diesem Gesetz.
Besten Dank.
({0})
Vielen Dank. - Ich bedanke mich für die vorbildliche
Einhaltung der Redezeit.
Nächster Redner ist jetzt der Kollege Dr. Axel Troost,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für die allermeisten von uns gilt: Wer Geld aufbewahren
will und wer Zahlungen abwickeln will, hat ein Bankkonto, weil das in der Regel doch besser ist als das Kopfkissen und der schwarze Koffer. Die geldwirtschaftlichen Infrastrukturen müssen insofern erhalten bleiben
und sicher sein.
Das Einlagensicherungsgesetz bringt uns hier auf europäischer Ebene sicherlich einen Schritt weiter und ist
insofern Bestandteil einer besseren Finanzmarktregulierung. Es zwingt nun alle dazu, sich an diese EU-Richtlinie zu halten. Dabei muss in Deutschland relativ wenig
geändert werden, weil unsere Einlagensicherungssysteme den angestrebten Vorstellungen schon sehr nahekommen.
Ich will aber sagen, dass wir schon noch die eine oder
andere Frage haben. Trotzdem bleibt es dabei: Das Gesetz geht in die richtige Richtung. Es ist sicherlich kein
großer Wurf; wir werden uns bei der Abstimmung enthalten. Wie gesagt, wir glauben aber, dass es in die richtige Richtung geht.
Ich will allerdings noch drei Punkte hervorheben:
Erstens. Schon mein Vorredner hat es ausgeführt: Zukünftig sind Einlagen bis zu 100 000 Euro gesichert. Zudem ist festgelegt worden, dass in bestimmten Fällen
- Auszahlung einer Rente, Auszahlung einer Lebensversicherung, Einnahmen aus dem Verkauf eines Hauses
und in anderen Fällen - bis zu 500 000 Euro gesichert
sind. Das ist sicherlich auch vernünftig.
Sicherlich ist es auch so, dass bei Pleiten kleiner Banken all diese Maßnahmen reichen werden. Wenn wirklich große, systemrelevante Banken in Schieflage geraten, wird das im Zweifelsfall nicht reichen. Allerdings
kommt dann auch nicht sofort die Einlagensicherung
zum Tragen, sondern es gibt dazwischen noch die Abwicklungsmechanismen; denn gerade für diese Banken
sind auch andere Mechanismen geschaffen worden.
Trotzdem wird es natürlich dabei bleiben, dass in solchen Fällen die Politik und möglicherweise am Ende
auch die Steuerzahler weiter benötigt werden.
Zweitens. Für Pleiten einzelner kleinerer Institute haben wir, wie schon gesagt, in Deutschland ein bewährtes
dreigliedriges System. Insbesondere bei den Sparkassen
und Genossenschaftsbanken ist es so, dass auch jetzt
schon nicht nur 100 000 Euro gesichert sind, sondern es
wird das gesamte Institut, das vor der Insolvenz steht,
entsprechend gerettet. Der Kollege Radwan hat darauf
hingewiesen, dass es Schwierigkeiten oder erst einmal
Unklarheiten gab, ob man das deutsche System mit der
Dreigliedrigkeit eins zu eins übertragen kann. Das ist
weitestgehend gelungen. Ich fand das, was er eben hier
ausgeführt hat, wirklich bemerkenswert und interessant.
Denn letztendlich heißt es: Es gelingt nicht immer,
Richtlinien so auszugestalten, dass sie den nationalen
Spezialitäten im Einzelnen gerecht werden.
Wenn die Europäische Bankenaufsicht - das ist die
Langfassung für die Kurzfassung EBA; ich würde draußen wieder beschimpft werden, wenn ich nur „EBA“ sagen würde - für die Bundesrepublik nicht passende Umsetzungsrichtlinien festlegen würde, insbesondere was
Sparkassen und Genossenschaftsbanken angeht, sodass
zwischen diesen kleinen Instituten und den Zentralinstituten hinsichtlich der Beiträge ein Ungleichgewicht bestünde, könnten wir sagen: Wir sorgen dafür, dass die
BaFin hier aushilft. Oder zur Not helfen wir als Bundestag aus. - Das wäre sicherlich vernünftig.
Drittens. Für die meisten Bürgerinnen und Bürger
steht im Augenblick gar nicht das Problem von Bankenpleiten im Mittelpunkt. Vielmehr geht es ihnen um die
niedrigen Zinsen, mit denen sie so gut wie nicht leben
können. Das ist als solches nicht zu dramatisieren. Man
muss immer wieder hervorheben, dass in Zeiten ohne
Wachstum und Inflation auch 0,05 Prozent Zinsen nicht
automatisch einen realen Verlust darstellen.
({0})
Vor zwei, drei Jahren hatten wir noch 2,5 Prozent Zinsen, aber 3 Prozent Inflationsrate. Da war die Situation
schlechter. Darüber hat niemand geschimpft.
Trotzdem ist das natürlich ein Anzeichen, dass wir in
Europa nach wie vor in einer tiefen Wirtschaftskrise stecken. Wir stecken in einer Wachstumskrise und haben
eine hohe Arbeitslosigkeit. Außerdem besteht Deflationsgefahr. Deswegen ist und bleibt es so - das will ich
auch an dieser Stelle sagen -, dass wir einen Politikwechsel brauchen. Wir müssen raus aus dem Kaputtsparen. Gerade aus Deutschland heraus müssen wir Impulse
mit mehr öffentlichen Investitionen setzen, um eben
auch Wachstum zu generieren und damit insgesamt die
Euro-Zone aus diesen stagnativen Tendenzen herauszubringen.
Danke schön.
({1})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Die Finanzkrise ist zurück in Deutschland“ - so war zumindest in der FAZ vor einigen Tagen zu lesen. „Die
deutschen Privatbanken übernehmen die Düsseldorfer
Hypothekenbank mit ihrem Einlagensicherungsfond“ so konnte man weiterlesen. Was war der Hintergrund?
Der Düsseldorfer Hypothekenbank drohte die Insolvenz,
und der bisherige Eigner Lone Star - ich sage in Klammern: wir haben früher „Heuschrecke“ dazu gesagt ({0})
war nicht bereit, sich finanziell weiter zu engagieren.
Die Bank ist nicht systemrelevant. Die Bilanzsumme
beträgt nur 11 Milliarden Euro - das ist für Bankenverhältnisse nicht viel -, aber sie ist wichtig für den deutschen Pfandbriefmarkt, der immerhin ein Volumen von
500 Milliarden Euro hat. Nun wird diese Bank bereits
zum zweiten Mal von einem Einlagensicherungsfonds
übernommen. Das erste Mal geschah das in der Finanzkrise 2008.
Damit sind wir ganz aktuell bei unserem Thema, das
wir heute diskutieren, nämlich der Einlagensicherung,
und bei dem Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden wollen. Die Geschichte des Bankwesens war immer
eng mit Krisen und dem Verlust von Kundengeldern verbunden. Ich erinnere nur an die Herstatt-Bank 1974 oder
an die Bank Northern Rock in Großbritannien im Krisenjahr 2008.
In Deutschland wurden lange Schlangen von Kunden
vor Banken durch die Garantie von Bundeskanzlerin
Merkel und Finanzminister Steinbrück verhindert. Sie
garantierten die Sicherheit der Einlagen.
All diese Ereignisse zeigen, wie bedeutsam der vorliegende Gesetzentwurf zur Einlagensicherung ist. Man muss
sich vor Augen führen, dass es in Deutschland immerhin
um die gewaltige Summe von fast 3 Billionen Euro und
um die Stabilität des gesamten Finanzsystems geht.
Mit dem Gesetzentwurf wird neben Aufsicht und Abwicklung die dritte Säule der europäischen Bankenunion
etabliert. Damit erreichen wir eine neue Qualität der Zusammenarbeit in Europa und eine neue Stufe der Finanzmarktstabilität.
({1})
Wir wissen zwar, dass es eine hundertprozentige Sicherheit vor neuen Krisen nicht gibt. Aber die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung der Krise, wie wir sie erlebt
haben, ist sehr viel geringer geworden.
Anders als bei der Schaffung einer gemeinsamen Aufsicht und eines Abwicklungsregimes auf europäischer
Ebene wollten wir bei der Einlagensicherung keine Vergemeinschaftung der Risiken. Der deutsche Sparer sollte
nicht für die Einlagen eines Bankkunden anderswo in
Europa haften, falls seine Bank insolvent wird.
Wir wollten aber den Flickenteppich europäischer
Entschädigungsregelungen vereinheitlichen und mit gemeinsamen Regeln neues Vertrauen schaffen und dabei
die besondere Struktur des deutschen Finanzwesens erhalten. Es galt, unser traditionelles Drei-Säulen-System
aus privaten Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit den jeweiligen gesetzlichen, institutssichernden und freiwilligen Einlagensicherungseinrichtungen in
das neue europaweite System zu integrieren. Das ist zu
100 Prozent gelungen.
({2})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir eine
europäische Richtlinie um. Deshalb gilt unser Dank auch
dem Europaparlament, das sich in dieser Frage sehr erfolgreich engagiert hat.
({3})
Alle Einlagensicherungssysteme eines Mitgliedstaates
müssen jetzt verpflichtend innerhalb von zehn Jahren ein
Mindestvermögen von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen ihrer Kreditinstitute ansparen. Damit werden europaweit für den Fall der Insolvenz einer Bank mindestens
100 000 Euro pro Anleger garantiert, in besonderen Fällen auch bis zu 500 000 Euro. Das ist allerdings nur die
Basisabsicherung. Die Institutssicherungssysteme und
die Einlagensicherung der privaten Banken leisten darüber hinaus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesetzesberatung war sehr konstruktiv. Dafür möchte ich mich
beim Koalitionspartner, aber auch bei der Opposition bedanken. Wichtig war uns eine angemessene und risikogerechte Verteilung der Beitragslasten. Der Kollege
Radwan hat es eben schon angesprochen. Die EBA ist
hier in der Verantwortung, entsprechende Vorgaben zu
machen. Wir werden darauf achten, dass sie auch wirklich risikoangemessen sind, das heißt, dass Institute mit
hohem Risiko auch entsprechend höhere Beiträge leisten
müssen. Denn wir haben ein sehr ausdifferenziertes und
kleinteiliges Bankensystem, das wir erhalten wollen.
({4})
Wir haben neben einigen anderen Sachen auch die
Prüfungsrechte des Bundesrechnungshofs erweitert. Er
darf nun die wirtschaftliche Anlage und Verwaltung der
verfügbaren Finanzmittel der Einlagensicherungssysteme sowie die ordnungsgemäße und wirtschaftliche
Durchführung des Entschädigungsverfahrens überprüfen, und ich denke, das ist auch gut so.
Ich freue mich über die breite Unterstützung dieses
Gesetzentwurfs. Die Grünen haben angekündigt, dass sie
zustimmen werden. Mit diesem Gesetz wird die Bankenunion in Europa Realität. Die Finanzmärkte werden stabiler, und die Sparerinnen und Sparer werden besser geschützt.
Vielen Dank.
({5})
Ich verlese das Protokoll über das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft
zum Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi
Lemke, Bärbel Höhn und weiterer Abgeordneter der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen - Kooperative
Holzvermarktung ermöglichen“, Drucksachen 18/2876
und 18/3578: abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben
gestimmt 448, mit Nein haben gestimmt 115. Damit ist
die Beschlussempfehlung angenommen.
Vizepräsident Peter Hintze
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 563;
davon
ja: 448
nein: 115
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer ({0})
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Oliver Grundmann
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({1})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({2})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Karin Maag
Yvonne Magwas
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({3})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
({4})
Stefan Müller ({5})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({6})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Ronja Schmitt ({7})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({8})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({9})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Armin Schuster ({10})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl ({11})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({12})
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({13})
Vizepräsident Peter Hintze
Peter Weiß ({14})
Sabine Weiss ({15})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({16})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({17})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({18})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Petra Hinz ({19})
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({20})
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({21})
Markus Paschke
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Florian Post
Achim Post ({22})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({23})
Bernd Rützel
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({24})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({25})
Matthias Schmidt ({26})
Dagmar Schmidt ({27})
Carsten Schneider ({28})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({29})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({30})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
CDU/CSU
Josef Göppel
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({31})
Thomas Nord
Harald Petzold ({32})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Frank Tempel
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({33})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Marieluise Beck ({34})
Ekin Deligöz
Vizepräsident Peter Hintze
Katharina Dröge
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({35})
Christian Kühn ({36})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Als Nächstem erteile ich dem Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
({37})
Es ist in meiner Fraktion nicht üblich, dass wir vor
dem Reden klatschen.
({0})
Danke schön. - Wir wollen erst einmal wissen, was gesagt wird. Aber ich danke schon einmal.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut, dass wir uns in dieser insgesamt eher von Harmonie geprägten Debatte die abendliche Zeit mit ein bisschen Humor versüßen. Tatsache ist - der Kollege hat es
schon gesagt -, dass wir dem Gesetzentwurf zustimmen
werden; denn auch wir meinen, dass eine harmonisierte
Einlagensicherung ein unverzichtbarer Teil der europäischen Bankenunion ist. Neben der gemeinsamen Aufsicht und dem gemeinsamen Restrukturierungsmechanismus ist eine stabile Einlagensicherung eine wichtige
dritte Säule. Das haben wir von Anfang an mit unterstützt.
Wenn man sich im Rückblick die drei Säulen anschaut, fällt schon auf, dass die Bundesregierung bei allen drei Säulen erst einmal gezögert und gebremst hat
und zum Jagen getragen werden musste. Dass jetzt trotzdem etwas Sinnvolles herausgekommen ist, ist deswegen eher der Überwindung dieser Bremsaktionen geschuldet. Bei dem Thema der Einlagensicherung haben
Sie sogar mit einer Subsidiaritätsrüge versucht, das
ganze Projekt zu Fall zu bringen. Zum Glück ist das
nicht gelungen, zum Glück haben Sie sich nicht durchgesetzt; denn die Harmonisierung der Einlagensicherungssysteme ist ein wichtiger Schritt.
({2})
Es ist schon gesagt worden, warum das wichtig ist. Es
braucht Vertrauen der Einleger, dass sie auch im Falle
der Schieflage einer Bank über ihre Einlagen verfügen
können. Sonst würde der Bank Run drohen, eine Destabilisierung der Situation. Das kann in Krisensituationen
dazu führen, dass im Zweifelsfall der Steuerzahler einstehen muss. Die Garantieerklärung der Bundeskanzlerin und des Finanzministers Steinbrück im Herbst 2008
hat genau das impliziert. Es ist wichtig, dass es zu einer
solchen Situation nicht kommt, dass es also kein Überspringen der Risiken von Banken auf Staaten gibt.
Zur Aufrechterhaltung des Vertrauens brauchen wir
eine Harmonisierung, damit es in Europa in Krisenzeiten
nicht zu einem problematischen Wettlauf um die sichersten Systeme kommt. Wir als Grüne begrüßen jetzt den
Aufbau von Einlagensicherungsfonds durch Beiträge der
Institute und dass es gelungen ist, die Regelung so auszugestalten, dass auch die kleinen Banken in Deutschland, also Genossenschaftsbanken und Sparkassen, damit leben können.
({3})
Auch die Höhe der Vorsorge von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen ist vertretbar, auch wenn wir eine etwas höhere Abdeckung für richtig gehalten hätten. Wir
finden es auch richtig - das betrifft die Umsetzung hier
in Deutschland -, dass der Bundesrechnungshof eine
Prüfungsmöglichkeit erhält.
Obwohl wir zustimmen, möchte ich zwei Punkte in
Bezug auf die Verhandlungsposition der Bundesregierung und die Umsetzung kritisieren.
Der erste Punkt ist die gegenseitige Kreditvergabe.
Die Situation in Europa würde stabiler, wenn sich die
Einlagensicherungssysteme gegenseitig Kredite geben
könnten. Natürlich muss man da über Fragen der Haftung und der Kontrolle reden, damit es nicht zu falschen
Anreizen kommt. Aber statt dieses Problem anzugehen,
hat sich die Bundesregierung von Anfang an in ihrer ablehnenden Haltung eingemauert. Das finden wir falsch.
Wir hätten die Möglichkeit gehabt, über eine Vernetzung
der Einlagensicherungssysteme das Gesamtsystem in
Europa im Interesse der Kundinnen und Kunden noch
stabiler zu machen. Hier blieb eine gute europäische
Chance leider ungenutzt.
({4})
Der zweite Punkt. Auch dazu eine kritische Anmerkung. Die Richtlinie schreibt vor, dass mindestens
70 Prozent der Finanzmittel des Einlagensicherungsfonds tatsächlich einbezahlt werden müssen. Bis zu
30 Prozent der Finanzmittel können auch durch Zahlungsverpflichtungen abgedeckt werden. In der Umsetzung schöpft die Koalition diesen Spielraum vollständig
aus, und das ist aus mehreren Gründen problematisch:
Erstens - das ist offensichtlich - sind Zahlungsverpflichtungen weniger liquide, bieten weniger Sicherheit
und sind nicht im gleichen Maß verfügbar wie Barmittel.
Zweitens - das ist unter Stabilitätsgesichtspunkten
viel wichtiger - wirken solche Zahlungsverpflichtungen,
wenn sie in Krisensituationen abgerufen werden, prozyklisch. Das kann Krisen verschärfen.
Drittens - da wird es jetzt etwas technisch - verschärft das das Problem der Belastung der Vermögenswerte in den Banken, das Problem der sogenannten
Asset Encumbrance. Einfach ausgedrückt: Wenn immer
mehr Vermögenswerte schon für bestimmte Zwecke reserviert werden, dann kann in Krisenzeiten nicht mehr
darauf zurückgegriffen werden. Auch das wirkt krisenverschärfend.
Deswegen halten wir es für falsch, die Möglichkeiten
zur Abdeckung der Finanzmittel durch Zahlungsverpflichtungen vollständig auszuschöpfen. Hier stellt die
Bundesregierung die Wettbewerbssorgen der Institute
über die Interessen der Finanzmarktstabilität.
Ich will zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft
werfen. Es ist so - das finde ich gut -, dass die Kommission zugesagt hat, die Umsetzung der Richtlinie 2019 zu
evaluieren und noch einmal Vorschläge zur Weiterentwicklung vorzulegen. Ich hoffe, dass das dann wirklich
genutzt wird, um noch bestehende Schwächen zu korrigieren. Ich hoffe, dass dann eine deutsche Bundesregierung sich konstruktiver und europafreundlicher in die
Diskussion zur Weiterentwicklung der Einlagensicherung einbringt, als es auf dem Weg zum heute zu verabschiedenden Gesetz der Fall war.
Danke schön.
({5})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Matthias Hauer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute beraten wir abschließend über den dritten
und damit letzten Baustein der europäischen Bankenunion: die Umsetzung der Richtlinie zur Einlagensicherung. Schon im November letzten Jahres ist der Einheitliche Europäische Bankenaufsichtsmechanismus in
Kraft getreten, die erste Säule der Bankenunion. Die
Großbanken in der Euro-Zone werden seitdem zentral
durch die EZB beaufsichtigt, unterstützt durch die nationalen Aufsichtsbehörden. Die Aufsicht über die europäischen Großbanken ist damit erheblich gestärkt worden.
Die zweite Säule der Bankenunion bildet seit Januar
der geltende einheitliche Bankenabwicklungsmechanismus. Es gibt nun klare und europäisch einheitliche
Regeln für die Abwicklung und Sanierung von notleidenden Banken. Es haften nun vorrangig die Eigentümer
und Gläubiger der Banken und dann die von den Banken
gefüllten Abwicklungsfonds.
Mit der Umsetzung der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme, der dritten Säule der Bankenunion,
gehen wir heute einen Schritt weiter. Wir schützen die
Sparer noch besser vor dem Verlust ihrer Ersparnisse.
Die Banken müssen die Systeme zur Einlagensicherung
finanziell besser ausstatten, und das Erstattungsverfahren wird unbürokratischer, kundenfreundlicher und
transparenter.
({0})
Durch die Richtlinie werden nun die Einlagensicherungssysteme EU-weit harmonisiert, und es wird ein
einheitliches Schutzniveau für alle Sparer in der EU
geschaffen. Gut ausgestattete und funktionierende Einlagensicherungssysteme sind ein wesentlicher Faktor, um
das Vertrauen in das Bankensystem zu stärken. Auch in
der jüngeren Vergangenheit konnten wir in europäischen
Ländern einen guten Eindruck davon gewinnen, was
passiert, wenn Vertrauen in die finanzielle Leistungsfähigkeit von Banken abhandenkommt.
Die Einlagensicherung vermeidet im Krisenfall einen
massiven Abzug von Spareinlagen und trägt somit dazu
bei, dass sich eine Krise nicht weiter verschärft.
In Deutschland haben wir schon lange ein sehr gutes
System der Einlagensicherung. Die Entschädigungseinrichtungen der privaten und öffentlichen Banken, die
institutsbezogenen Sicherungssysteme der regionalen
Sparkassen- und Giroverbände und die Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken haben sich in der Vergangenheit bewährt. Diese etablierten und historisch
gewachsenen Strukturen bleiben erhalten. Dafür haben
sich CDU und CSU auch in der Vergangenheit stets eingesetzt.
({1})
- Die SPD auch.
Bei der Anhörung zu dem Gesetzentwurf waren sich
die Sachverständigen einig: Die Umsetzung ist gelungen. Auch die Drei-Säulen-Struktur der deutschen
Bankenlandschaft wird berücksichtigt. Für die institutssichernden Systeme des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes ist nun noch die
endgültige Ausgestaltung der Beitragsbemessung ein
wichtiges Thema. Eine angemessene und risikogerechte
Verteilung der Beitragslasten innerhalb der Systeme
muss sichergestellt werden.
Auch künftig haftet die deutsche Einlagensicherung
ausschließlich für Einlagen in Deutschland. Bei Banken
aus anderen EU-Staaten mit deutscher Niederlassung
greift die Einlagensicherung des Herkunftsstaates, bei
Banken mit Sitz im EU-Ausland jeweils das nationale
Einlagensicherungssystem vor Ort.
Eine Vergemeinschaftung der Haftung abzulehnen,
das ist und bleibt eine richtige Entscheidung. Mit der
CDU und der CSU wird es auch künftig kein europäisches System der Einlagensicherung geben, das eine
Vergemeinschaftung der Haftung vorsieht. - An dieser
Stelle hätte der Zwischenruf „Die SPD sieht das genauso!“ kommen können.
({2})
Alle EU-Länder sind durch die Richtlinie verpflichtet,
dafür zu sorgen, dass ihre Banken nationale Einlagensicherungssysteme innerhalb einer Frist von zehn Jahren
mit einem Mindestvermögen ausstatten. Wir erhalten
damit EU-weit gleiche Standards und transparente
Regeln, aber eben ohne, dass ein EU-Mitgliedstaat bei
der Einlagensicherung für einen anderen Staat einstehen
muss.
Der Schutz von Sparguthaben in Deutschland hat sich
in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die Höhe der
geschützten Einlagen ist nach und nach erhöht worden,
zunächst von 20 000 auf 50 000 Euro, nunmehr auf
100 000 Euro. Auch die frühere Selbstbeteiligung der
Sparer von 10 Prozent ist 2009 komplett entfallen.
Schon heute ist also von der Einlagensicherung geschützt, wer auf seinem Konto ein Guthaben von bis zu
100 000 Euro hat. Mit dem vorliegenden Gesetz behalten wir diese Sicherungsgrenze bei.
Für einige Bereiche heben wir die Sicherungsgrenze
sogar deutlich an, nämlich auf 500 000 Euro. Wer seine
Eigentumswohnung oder sein Haus verkauft, wer aus
einem Sozialplan als Arbeitnehmer eine Zahlung bekommt oder eine Versicherungsleistung nach einem
schweren Unfall, der ist künftig stärker geschützt. Für
derartige Ereignisse, bei denen üblicherweise ein großer
Betrag auf einmal auf ein Konto geleistet wird, ist der
Schutz bisher nämlich noch nicht ausreichend. Das ändern wir heute. In solchen Sondersituationen profitieren
die Sparer künftig sechs Monate lang mit einem Betrag
bis zu 500 000 Euro von der Einlagensicherung und
haben somit genug Zeit, das Geld nach reiflicher Überlegung neu diversifiziert anzulegen.
Uns ist wichtig, dass Sparer im Schadensfall künftig
schnell und unbürokratisch an ihr Geld kommen. Sie
erhalten die Entschädigung nunmehr schon nach 7 Arbeitstagen statt bisher nach 20 Tagen und müssen dafür
auch keinen Antrag mehr stellen. Diese schnellere
Auszahlung greift bereits ab Mai 2016. Nach der EURichtlinie hätten wir uns dafür bis zu zehn Jahre Zeit
lassen können. Es ist gut, dass die Bundesregierung für
eine zügige und unbürokratische Umsetzung gesorgt hat.
Im Rahmen der Anhörung gab es viel Lob, nicht nur für
die Richtlinie, sondern auch für das Gesetz: sowohl für
die höhere Sicherungsgrenze von 500 000 Euro als auch
für die rasche Auszahlungsfrist von sieben Arbeitstagen.
Da darf die Opposition ruhig zugeben: Die Bundesregierung hat gute Arbeit geleistet.
({3})
Das ist mir in Ihren Reden ein bisschen zu kurz gekommen.
({4})
Die Transparenz wird durch das Gesetz erhöht. Die
Kreditinstitute werden nun verpflichtet, ihre Kunden
besser über die Einlagensicherung und insbesondere
über das Entschädigungsverfahren aufzuklären. Zusätzlich bekommt der Bundesrechnungshof ein gesetzliches
Prüfungsrecht gegenüber allen Einlagensicherungssystemen; das haben meine Vorredner schon vertieft, das will
ich nicht noch einmal wiederholen.
Abschließend bleibt festzustellen: Die Umsetzung ist
ein wichtiger Schritt, die Sparer besser zu schützen und
gleichzeitig die Banken in Finanzkrisen stabiler zu
machen. Unser gutes und funktionierendes System der
Einlagensicherung in Deutschland wird durch das
Gesetz noch weiter verbessert. Die Sparer in Deutschland können sich darauf verlassen, dass ihre Einlagen
geschützt sind. Künftig können sie davon ausgehen, dass
sie im Krisenfall schnell und unbürokratisch entschädigt
werden.
Vielen Dank.
({5})
Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich
das Wort dem Abgeordneten Christian Petry, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! 2015 wird das Jahr des Verbraucherschutzes. In
vielen Bereichen stärken wir die Rechte der Verbraucher
und schützen ihre Anlagen und Güter. In vielen Bereichen werden das wirtschaftliche und das finanzpolitische
Handeln transparenter. Die Regulierungsmechanismen
und Aufsichtsbehörden werden gestärkt.
Die Reaktionen und Schlüsse aus der Finanzmarktkrise werden zügig gezogen, und durch die Einlagensicherung - es ist hier ja mehrfach genannt worden wird neben dem Aufsichts- und Abwicklungsregime die
dritte Säule der Bankenunion verwirklicht. Ich denke, es
ist ein guter Tag - auch, um zu dieser Stunde darauf
hinzuweisen -, weil damit ein starker Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher, eine starke Reglementierung und Transparenz im Markt geschaffen werden.
({0})
Alle Staaten müssen Einlagensicherungsfonds aufbauen. Das heißt also, es wird auch für europäische Ver9264
hältnisse sicherer. Die Wertgrenzen sind genannt worden.
In der Frage, ob sich europäische Sicherungssysteme gegenseitig unterstützen sollten oder nicht, bin ich nicht so
absolut festgelegt, dass ich sage: Nein, das kann es auf
keinen Fall geben; wir wollen nicht die Sicherungssysteme von Kroatien oder Slowenien absichern.
({1})
- Griechenland ist ein gutes Beispiel, Herr Brinkhaus.
Auch das kann man immer als Beispiel bringen.
({2})
Man muss sehen, ob es im Zuge der Evaluation 2019
fachlich und faktisch gesehen Sinn macht, nochmals darüber zu diskutieren. Das ist nicht Bestandteil der heutigen Debatte. Man sollte aber, denke ich, diese Frage
nicht völlig aus den Augen verlieren.
Der Fonds garantiert: Im Entschädigungsfall sind die
Einlagen bis 100 000 Euro und Vermögen in besonderen
Lebenslagen bis 500 000 Euro sechs Monate abgesichert; das ist hier bereits genannt worden. Dies sind die
unteren Grenzen; denn die Institutssicherungen leisten
durchaus mehr. Ich glaube, das ist ein guter Tag, ein gutes Zeichen für die Verbraucherinnen und Verbraucher,
dass ihre Einlagen sicher sind.
({3})
Anleger sollen ihr Geld ohne Antrag innerhalb von
sieben Tagen zurückerhalten. Wir sind hier Vorreiter in
Europa. Wir hätten natürlich auch gerne eine längere
Übergangsfrist gehabt. Wir wollen aber, dass es unbürokratisch und schnell geht und dass bereits ab Sommer
2016 die Gelder innerhalb dieser Sieben-Tages-Frist
zurückerstattet werden. Eine entsprechende Informationspflicht wird natürlich auch eingeführt.
Wir können stolz darauf sein, dass in den Verhandlungen erreicht worden ist, dass auch die etablierten institutsbezogenen Sicherungssysteme der Sparkassen, der
Volksbanken und der Raiffeisen- und Genossenschaftsbanken zukünftig als gesetzliche Sicherungssysteme
anerkannt werden. Darüber hinaus ist es gut, dass das
Signal ausgesandt wurde, dass beim Übergang eines
institutsbezogenen Systems in ein gesetzliches Sicherungssystem keine steuerliche Mehrbelastung für Banken ausgelöst werden soll. Dies ist ein positives Signal;
denn es wäre ja nicht unbedingt nachvollziehbar, wenn
das, was abgesichert werden soll, auch noch zusätzlich
besteuert wird. Ich glaube, hier ist im Finanzministerium
gute Arbeit geleistet worden.
({4})
Hinsichtlich der risikoorientierten Beiträge, die die
Banken in das Einlagesystem einzahlen müssen, soll es
zu keiner Mehrbelastung der institutsbezogenen Systeme
kommen. Der Wert von 0,8 Prozent ist genannt worden.
Herr Dr. Schick, das ist okay. Da kann man auch über
andere Beträge reden; aber als Startschuss ist das prima.
70 Prozent der Mittel müssen eingezahlt werden. Ich
halte das für eine ausreichend hohe Quote. Aber auch
das muss man irgendwann einmal überprüfen: War es
wirklich so, oder war es nicht so? Wenn irgendwann einmal ein entsprechender Fall eingetreten ist, dann wird es
zum Schwur kommen.
Im Zuge der Richtlinienumsetzung wird es also keine
Ungleichbehandlung der Banken in den bisherigen
Sicherungssystemen geben. Auch die Begrenzung der
Prüfungsrechte des Rechnungshofes auf die beliehenen
hoheitlichen Teile ist damit sichergestellt. Das macht
auch Sinn. Ein weiter gehendes Prüfungsrecht wäre auch
nicht nachvollziehbar gewesen. Die Angleichung der
nationalen Systeme in Europa ist ein wichtiges Signal
für die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher.
Die Anpassung der Sicherheitssysteme flankiert natürlich auch viele Projekte, die wir auf nationaler und europäischer Ebene im Sinne der Anleger und des Verbraucherschutzes umsetzen. Ich nenne hier nur einmal das
Kleinanlegerschutzgesetz.
Wir rücken damit den Schutz der Verbraucherinnen
und Verbraucher in den Vordergrund europäischer und
nationaler Finanzmarktpolitik. 2015 ist das Jahr des Verbraucherschutzes.
Glück auf!
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parla-
ments und des Rates über Einlagensicherungssysteme.
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/4451, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3786 und 18/3992
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Vizepräsident Peter Hintze
Aktiv gegen Subventionen für den Neubau
von Atomkraftwerken in der EU
Drucksache 18/4215
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Subventionen für britisches Atomkraftwerk
Hinkley Point C stoppen und rechtliche
Schritte einlegen
Drucksache 18/4316
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Federführung strittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Abgeordnete Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke, das
Wort.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Im Oktober vergangenen Jahres hat die alte
EU-Kommission kurz vor Ablauf ihrer Amtszeit mit Zustimmung des deutschen EU-Kommissars Oettinger
einen unsäglichen Beschluss gefasst. Sie hat den Weg
dafür frei gemacht, dass die britische Regierung den
Neubau eines Atomreaktors in Hinkley Point sowie den
dort erzeugten Atomstrom für 35 Jahre mit dem Geld der
Steuerzahler und Steuerzahlerinnen subventionieren
darf.
Bürgschaften von über 20 Milliarden Euro will die
britische Regierung für den Bau übernehmen. Ein skandalöser Beschluss, der nicht nur die britischen Steuerzahler und Steuerzahlerinnen teuer zu stehen kommen
wird.
({0})
Diese Beihilfebewilligung öffnet auch die Tür für andere
Regierungen, die den unverantwortlichen Weg in die
Atomenergie gehen wollen. Polen, Tschechien und andere Länder stehen bereits in den Startlöchern. Ohne
staatliche Mittel würde es keine weiteren Atomkraftwerke geben - das wissen Sie alle -, weil sie beim Bau
und Betrieb und mit Blick auf die Endlagerung viel zu
teuer sind. Dieser Beschluss der EU-Kommission ist ein
Schlag gegen die Energiewende durch erneuerbare Energien.
({1})
Deshalb stellen wir als Fraktion Die Linke heute diesen Antrag. Wir wollen erreichen, dass die Bundesregierung mit allen rechtlichen und politisch möglichen Maßnahmen und notfalls auch mit Klagen, wie Österreich
und Luxemburg sie angekündigt haben, dafür sorgt, dass
dieser Beschluss der EU-Kommission dahin kommt, wohin er gehört, nämlich in den Mülleimer.
({2})
Der Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende
Gabriel ist darin offenbar mit uns einer Meinung, genauso wie es die Grünen schon die ganze Zeit sind. Anfang März hatte er sich gegen Subventionen für neue
Atomkraftwerke in Europa ausgesprochen. Auf gar keinen Fall dürften öffentliche Gelder für die Atomenergie
eingesetzt werden, sagte er Anfang März. Gestern haben
wir in der Fragestunde erfahren, dass das mit der Klarheit der SPD und insbesondere der Bundesregierung
noch nicht so weit her ist. Staatssekretärin Zypries, die
heute anwesend ist, hat auf eine Nachfrage der Kollegin
Britta Haßelmann nicht beantworten können, ob es bezüglich dieser Angelegenheit tatsächlich zu einer Klarheit in der Regierung gekommen ist. Ich bin sehr gespannt, ob heute in dieser Parlamentsdebatte mehr
Klarheit geschaffen wird. Denn eigentlich wäre nach den
Äußerungen des SPD-Vorsitzenden davon auszugehen,
dass die SPD heute Zustimmung zu unserem Antrag signalisiert.
({3})
Ich bin sehr gespannt auf die Ausführungen der SPDFraktion zu dieser Frage.
Der Kommissionsbeschluss basiert auf dem europäischen Atomfördervertrag Euratom. Dieser Vertrag hat
zum Ziel - ich zitiere -,
… die Voraussetzungen für die Entwicklung einer
mächtigen Kernindustrie zu schaffen, welche die
Energieerzeugung erweitert, die Technik modernisiert und auf zahlreichen anderen Gebieten zum
Wohlstand ihrer Völker beiträgt …
Nicht nur angesichts der Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima ist das ein Hohn. Der Euratom-Vertrag dient nur der Atomlobby, die ihre wirtschaftlichen
Interessen auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler durchboxen will. Das Schlupfloch Euratom muss
endlich geschlossen werden, der Euratom-Vertrag muss
aufgelöst werden.
({4})
Die Linke meint: Ein neues nukleares Zeitalter in Europa muss verhindert werden. Atomausstieg in Deutschland und Atomsubventionierung in Europa passen nicht
zusammen. Noch kann sich die Große Koalition auch in
Europa für einen tatsächlichen Atomausstieg starkmachen. Das bedeutet aber, gegen die Entscheidung der
EU-Kommission und gegen die Beihilfegenehmigung
für Hinkley Point C vorzugehen. Dazu fordern wir Sie
heute mit unserem Antrag auf.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Barbara Lanzinger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben je einen
Antrag zu einem - das gebe ich zu - nicht sehr einfachen
Thema gestellt: zur Subventionierung von Atomkraftwerken in anderen Mitgliedstaaten der EU.
Wir haben in Deutschland die Energiewende beschlossen, und darauf sind wir stolz. Dennoch muss uns
eines klar sein: Dies ist eine nationale Entscheidung.
Auch wenn ich persönlich die Subventionierung aus moralischen Gründen, aber auch aus ökologischen Gründen
nicht für die beste Lösung halte, so müssen wir uns dennoch an der Sachlage orientieren und an Gesetze halten.
Ihre Anträge möchte ich daher aus juristischer und politischer Sicht betrachten.
Wir müssen uns aus juristischer Sicht nach den
Grundsätzen der EU richten, die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union stehen. Hier ist in
Artikel 3 festgelegt, dass sich die Mitgliedstaaten zu
einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb
verpflichten. Dazu gehört natürlich auch, dass der Wettbewerb nicht durch staatliche Begünstigungen beeinträchtigt oder verzerrt werden darf. Darum haben die
Mitgliedstaaten die EU-Kommission beauftragt, grundsätzlich darauf zu achten, dass die erforderlichen Wettbewerbsregeln eingehalten werden, damit der Binnenmarkt marktwirtschaftlich funktioniert.
Dieser Grundsatz spiegelt sich auch in den energiepolitischen Grundsätzen der EU wider. Artikel 194 AEUV
besagt, dass die EU vor allem das Funktionieren des
Energiemarktes sicherstellen und die Energieversorgungssicherheit gewährleisten will. In Artikel 194 Absatz 2 ist jedoch ein weiterer, wesentlicher Grundsatz geregelt: Im Rahmen dieser Regelungen kann jeder
Mitgliedstaat frei über seinen nationalen Energiemix
entscheiden. Dazu gehört auch die Frage, inwieweit einzelne Mitgliedstaaten Kernkraftwerke durch nationale
Maßnahmen unterstützen.
Wenn Großbritannien für sich entscheidet, dass die
Kernkraft ein wesentliches Element seiner Energieversorgung sein soll, dann können wir dies moralisch und
ökologisch verurteilen. Die Grundsätze besagen aber
auch, dass es nicht in den Aufgabenbereich der EUKommission fällt, sich diesbezüglich einzumischen.
({0})
Die EU-Kommission ist als Wächterin der Verträge nur
befähigt, zu prüfen, ob öffentliche Zuwendungen im
Einklang mit dem EU-Beihilferecht stehen und der Wettbewerb im Binnenmarkt trotz dieser Zuwendungen aufrechterhalten werden kann. Wir haben also juristisch
keine Möglichkeit, die Entscheidung Großbritanniens
über seinen Energiemix zu beeinflussen.
({1})
Auch wenn die Bundesregierung einen europäischen
Förderrahmen oder sogar eine europäische Finanzierung
für Kernkraftwerke ablehnt, geht es bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht um eine politische Entscheidung,
sondern erst einmal um die Klärung einer Beihilferechtsfrage.
Frau Abgeordnete, der Abgeordnete Lenkert möchte
eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie ihm gewähren, oder wollen Sie weitersprechen?
Ich würde jetzt gern weiterreden. Das würde die Redezeit nur unnötig verlängern. - Nach der Einreichung
des Antrags auf Beihilfe von Großbritannien hat die
Kommission sachgerecht - wie in Artikel 108 Absatz 2
des Vertrags über die Arbeitsweise der EU vorgeschrieben - geprüft, ob es sich im Rahmen der bestehenden
Regelungen um eine ungerechtfertigte Beihilfe handelt.
Im Verlauf der eingehenden Prüfungen hatte sich Großbritannien dazu bereit erklärt, wesentliche Änderungen
an den Projektfinanzierungsbedingungen vorzunehmen.
Dadurch änderte sich die Sachlage, und die Kommission
ist der Auffassung, dass die staatliche Unterstützung
weiterhin in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht und dass eine unangemessene Wettbewerbsverzerrung im Binnenmarkt vermieden wird.
Die Bundesregierung hat den Beihilfebeschluss der
EU-Kommission zu Hinkley Point faktisch und rechtlich
analysiert und darauf basierend festgestellt, dass der Beschlusstext keine beihilferechtlichen Aussagen enthält,
die nach Ansicht der Bundesregierung so offensichtlich
rechtsfehlerhaft sind, dass eine Nichtigkeitsklage hinreichend erfolgversprechend wäre.
Aus diesen Gründen halte ich fest: Es war keine politische Entscheidung, sondern die Anwendung von europäischem Recht. Die EU-Kommission trifft in diesem
Bereich keine Entscheidung für oder gegen die Atomkraft, sondern sie prüft rein wettbewerbsrechtliche Fragen. Diese Prinzipien gelten übrigens auch für Förderregelungen für erneuerbare Energien.
An dieser Stelle komme ich zur politischen Antwort
auf Ihren Antrag: Die Fraktion Die Linke schreibt, dass
durch die Beihilfegewährung der EU-Kommission die
klima- und verbraucherfreundlichen erneuerbaren Energien eine massive Benachteiligung erfahren und ausgebremst werden. Hierzu möchte ich Sie auf eine Studie
hinweisen, die erstmalig darstellt, in welcher Höhe öffentliche Subventionen 2012 EU-weit gewährt wurden:
in Höhe von rund 140 Milliarden Euro. Am meisten profitiert davon haben laut dieser Studie die erneuerbaren
Energien mit über 40 Milliarden Euro.
({0})
Laut der Studie erhält Deutschland mit 25 Milliarden
Euro sogar die höchsten Energiehilfen in der Europäischen Union: 14,7 Milliarden Euro für Solarenergie und
10,1 Milliarden Euro nur für Onshorewindenergie. Hingegen werden fossile Energieträger nur halb so viel gefördert. Kernenergie macht mit 7 Milliarden Euro bei
von der EU genehmigten Subventionen in allen 28 Mitgliedstaaten zusammen genau 5 Prozent aus. Man kann
nun darüber diskutieren, ob es notwendig ist, diese überhaupt zu subventionieren. Das ist sicherlich diskussionswürdig.
Ich stimme der Fraktion der Grünen zu, dass wir eine
risikobehaftete Energieform, wie es die Nuklearenergie
ist, nicht fördern sollten. Deshalb haben wir in Deutschland die Energiewende und den Atomausstieg beschlossen. Das ist gut und richtig so. Dennoch müssen wir
deutlich sagen: Es ist unser nationales Projekt und keines, welches von allen 28 Mitgliedstaaten genauso mitgetragen wird. Es ist zweifellos wünschenswert, dass benachbarte Länder und auch die EU insgesamt eine besser
koordinierte Energiepolitik verfolgen und hierzu auch
gezielter auf erneuerbare Energien achten sollten. Dennoch obliegt es uns nicht, andere Mitgliedstaaten zu
maßregeln.
Mindestens genauso wünschenswert ist es auch, endlich mehr Wettbewerb in unsere stark subventionierte
- ich sage dies bewusst - und regulierte Energiewirtschaft zu bringen. Wir wollen Wettbewerb statt Subventionen.
({1})
So interpretiere ich auch Ihre heutigen Anträge. Sie
sprechen hiermit endlich ein Thema an, das wir auch in
Deutschland haben: Das EEG ist Subvention pur,
({2})
von Rot-Grün vor über 14 Jahren als Anschubfinanzierung für die schwach ausgeprägten erneuerbaren Energien richtigerweise eingeführt. Ich denke aber, diese ist
zunehmend zu überdenken.
({3})
Genau wegen dieses Instruments schaut die EU-Kommission auch bei uns sehr genau hin, inwieweit unser
energiewirtschaftlicher Wettbewerb verzerrt wird. Denn
der ursprüngliche Gedanke, einen Ausbau durch massive
Beihilfen zu fördern oder fördern zu müssen, ist schon
länger nicht mehr in diesem Ausmaß gegeben.
({4})
Wer im Glashaus sitzt, sollte - damit möchte ich
schließen - nicht mit Steinen werfen. Deshalb müssen
wir in Bezug auf staatliche Subventionen selbst sehr
stark aufpassen. Wir sollten niemanden kritisieren, wenn
wir nicht ganz sicher sind, dass wir selbst keinen Anlass
zur Kritik geben. Wir können Anregungen geben und ein
Beispiel für andere Länder sein, aber wir können sie zu
nichts zwingen.
Wir haben mit unserem Projekt Energiewende genug
eigene Herausforderungen - ich spreche bewusst nicht
von Problemen -, die angegangen werden müssen. Wir
sollten uns - damit meine ich ganz explizit auch die
Opposition - auf die aktuell in Deutschland zu bewältigenden Herausforderungen konzentrieren. In meiner
Rede letzte Woche habe ich es bereits so formuliert, und
ich möchte es Ihnen auch heute zum Abschluss mit auf
den Weg geben: Ich würde mich freuen, wenn Sie ihre
ganze Kraft, die Sie jetzt in Anträge stecken, verwenden,
um uns bei all unseren Vorhaben zu den wirklich wichtigen Themen in der Energiepolitik zu unterstützen.
({5})
Danke schön fürs Zuhören.
({6})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
müssen die Debatte natürlich im Kontext der EU-Energieunion führen. Ein wesentlicher Bestandteil dieser
vorgelegten Strategie ist ja die Nutzung der Atomenergie. Der zuständige Kommissar hat schon angekündigt,
dass er noch in diesem Jahr einen - ich zitiere - „illustrativen Ausbauplan“ für AKWs in Europa vorlegen will.
Das heißt, schon heute ist klar, dass die Bewilligung dieser höchst umstrittenen Beihilfen für das AKW-Projekt
in Großbritannien der Wegweiser für weitere Atomprojekte in anderen Mitgliedstaaten sein wird, wenn dieser
energie- und wettbewerbspolitische Irrsinn nicht noch
gestoppt wird.
Die Beihilfebewilligung ist der Einstieg in eine europäische Subventionspolitik für Atomenergie. Schauen
wir uns die Subvention noch einmal kurz an. Der
Contract for Difference legt fest: 12,8 Cent pro Kilowattstunde inklusive Inflationsausgleich. Die Financial
Times hat übrigens inzwischen errechnet, dass das heißt,
dass diese Umlage bis zu den 2050er-Jahren auf 35 Cent
pro Kilowattstunde ansteigen wird, also dann, wenn die
erneuerbaren Energien längst unschlagbar billig geworden sind.
Dazu kommen eine Kreditbürgschaft der britischen
Regierung und eine großzügige Bewertung späterer
Rückbaukosten. Dazu kommt, dass es keine Ausschreibung gab. Es kommt auch noch eine Garantie für den
Fall eines politisch begründeten sogenannten Shutdown
dazu. Das heißt, auch ein Atomausstieg muss - das wird
schon festgelegt - entschädigt werden. Das mag zukünftige Regierungen in Großbritannien durchaus von einem
Atomausstiegsbeschluss abhalten.
Der Erzeugermarkt wird durch Subventionen von
Atomstrom geschädigt. Denn anders als beim EEG, das
degressiv angelegt ist und dazu da war, eine neue
Technologie in den Markt einzuführen, geht es hier um
eine Technologie die sechs Jahrzehnte alt ist und offensichtlich immer noch nicht oder nicht mehr in der Lage
ist, sich selbst finanziell zu tragen.
({0})
Welches Bild gibt Deutschland ab? Das energiepolitische Gesicht Deutschlands in der EU: Man stimmt zu;
die Bundesregierung nimmt hin, keine Klage, keine
öffentliche Äußerung, die das entschieden mit dem
Ausdruck höchster Empörung - so würde ich das erwarten - zurückweist. - Das heißt, Sie drücken sich. Das
Ausstiegsland Deutschland drückt sich. Die Frage ist:
Warum? Vielleicht glauben Sie, dass Sie zu Dankbarkeit
verpflichtet sind, weil die EU-Kommission bei den übersteigerten Ausnahmen für die Industrie bei der EEGUmlage die Füße stillgehalten hat. Vielleicht denken Sie,
dass Sie als Gegenleistung jetzt besser hier die Füße
stillhalten.
({1})
Oder Sie drücken sich, weil, wie Sie selbst sagen, eine
Klage nicht hinreichend erfolgreich wäre. Da kann ich
nur sagen: So what? Lohnt das den Kampf nicht?
Aber es stellt sich auch die Frage, ob Sie mit dieser
Begründung recht haben. Das Wirtschaftsministerium
kommt zu der Einsicht, die Erfolgsaussichten einer
Klage seien nach vorliegenden Erkenntnissen eher gering, da die Tatbestandsmerkmale einer Beihilfe gemäß
Artikel 107 AEUV von der Europäischen Kommission
geprüft wurden. Darauf haben ja auch Sie, Frau
Lanzinger, Bezug genommen. Schauen wir uns den Artikel einmal genau an. Bezug genommen hat die Kommission auf Artikel 107 des Vertrages über die Arbeitsweise
der EU. In Absatz 3 b steht wörtlich:
Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von
gemeinsamem europäischem Interesse oder zur
Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats.
Ja, hallo! Hier liegt kein gemeinschaftliches Interesse
vor. Ein AKW-Bau in der EU liegt nicht im Interesse
Österreichs, er liegt nicht im Interesse Luxemburgs, und
er sollte nicht im Interesse Deutschlands liegen. Es liegt
auch keine Marktstörung vor. Sie wird durch diese Subventionierung ja erst herbeigeführt.
({2})
Das Fazit lautet: Beihilfen sollen Marktversagen korrigieren und nicht produzieren. Deutschland sollte für einen europäischen Atomausstieg arbeiten und nicht mit
Schweigen und Stillhalten den Einstieg in eine EU-Subventionspolitik für die Atomkraft unterstützen. Unser
Antrag gibt Ihnen dazu die Chance.
({3})
Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich
das Wort der Abgeordneten Dr. Nina Scheer, SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich teile natürlich die Ansicht, die
hier, auch vom Antragsteller, schon vertreten wurde: Es
kann nicht sein, dass wir in der heutigen Zeit weiter in
die Atomenergie investieren und sie subventionieren.
Das ist eigentlich ein mitgliedstaatliches Armutszeugnis;
das muss ich gleich vorweg sagen.
({0})
Investitionen in Atomenergie sind unverantwortlich.
Wir wissen um die Risiken; das brauche ich hier nicht
weiter auszuführen. Man muss auch in Rechnung stellen,
dass die erneuerbaren Energien schon heute kostengünstiger sind, wenn man alle Kosten, die hineinzurechnen
sind, mit hineinrechnet. Insofern ist es ganz wichtig, an
dieser Stelle festzuhalten: Es darf nicht passieren, dass
wir Unionsmittel bereitstellen, um daraus Subventionen
für die Gewinnung von Atomenergie zu stricken. Mittel
der Europäischen Union zur Subventionierung der
Atomenergie darf es nicht geben.
({1})
Insofern ist es ganz wichtig, schon an dieser Stelle
festzuhalten, dass man solchen Staaten, die in der Europäischen Union derzeit fordern, einen weiteren, neuen
Rechtsrahmen zu schaffen, um Atomenergie aus der EU
heraus subventionieren zu können - dazu gehören Polen,
Großbritannien und Frankreich; es sind acht Staaten -,
eine klare Absage erteilen muss. Natürlich schwebt diesen Staaten vor, dass man so etwas im Rahmen der Energieunion, über die derzeit diskutiert wird und die geschaffen werden soll, implementieren könnte. Das darf
nicht sein. Ich finde es richtig, lobenswert, aber auch
selbstverständlich - das muss ich an dieser Stelle sagen -,
dass sich unser Bundeswirtschaftsminister hierzu schon
ganz klar geäußert und gesagt hat: Das darf es nicht geben. EU-Gelder stehen hierfür nicht zur Verfügung.
({2})
- Er hat sich klar geäußert, und ich nehme ihn da beim
Wort. Ich habe auch überhaupt keinen Anlass, an seinen
Äußerungen zu zweifeln.
Wir müssen im Blick haben, dass der Antrag, über
den wir heute reden, auf eine andere Ebene bzw. auf eine
andere Maßnahme zielt. Er zielt auf die Beihilfeentscheidung der Europäischen Kommission. Die Kommission hat darüber zu entscheiden, wie Maßnahmen von
Mitgliedstaaten, die Fördermaßnahmen bzw. fördernde
Regelungen enthalten, einzustufen sind. Hier ist die
Maßnahme Großbritanniens zur Förderung von Hinkley
Point C - das ist ein gigantisches Atomausbauprojekt angesprochen. Ich möchte festhalten: Es ist ökonomisch
blind, unverantwortlich und eine gigantische Geldvernichtung.
Maßgeblich für die Bewertung der Kommissionsentscheidung ist, ob sie rechtsfehlerhaft ist. Ich denke, man
kann wahrscheinlich - viele Juristen, viele Meinungen verschiedene Positionen dazu vertreten. Aber ich erachte
es als problematisch, wenn man die Fehlerhaftigkeit an
einer mitgliedstaatlichen Entscheidung festmacht und
wenn - Frau Lanzinger hat das schon dargestellt - im
Kern angegriffen wird, dass sich ein Staat für eine bestimmte Form der Energiegewinnung entschieden hat.
({3})
So misslich es ist, dass es in diesem Fall die Entscheidung für die Atomenergie ist: Es bleibt dabei, dass das
eine mitgliedstaatliche Entscheidung ist. Ich möchte
gerne an Sie alle, auch an die Grünen, appellieren, zu
Ende zu denken, wohin es führt, wenn man diese
Entscheidungshoheit angreift. Wenn man die Hoheit der
Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix selbst zu entscheiden, angreift, dann kann es eben auch passieren,
dass der Förderrahmen im Hinblick auf den Ausbau
erneuerbarer Energien, den wir haben und der weltweit
Ausstrahlungswirkung hat, und das Erneuerbare-Energien-Gesetz angegriffen werden. Man hält sich dann
nicht mehr konsistent an die Kriterien und auch die Argumentation, die wir hier selbst nutzen, um, auch vorbildhaft, die Nutzung der erneuerbaren Energien weiter
auszubauen.
({4})
Insofern möchte ich an dieser Stelle Frau Lanzinger,
die ich ja gerade lobend erwähnt habe mit diesem Argument, auch kritisieren. Ich finde, dass es unlogisch ist,
einerseits darauf zu verweisen, dass wir die mitgliedstaatliche Gestaltungshoheit haben, aber an anderer
Stelle, im nächsten Satz dann zu sagen: Wir müssen das
aber jetzt hinterfragen. - Das finde ich eben gerade
nicht. Wir haben hier wirklich - das habe ich ja schon erwähnt - ein vorbildhaftes Instrument mit weltweiter
Ausstrahlung. Der Systemwettbewerb hat hier eine entscheidende Rolle. Man sollte so etwas nicht untergraben,
man sollte es wertschätzen. Insofern halte ich es für
problematisch, zu versuchen, die Nutzung der Atomenergie in Europa zu beenden, indem man die Entscheidung der Kommission auf dem Weg der Klage angreift.
Es muss natürlich unsere Aufgabe bleiben, die Nutzung der Atomenergie in der EU zu beenden. Deswegen
müssen wir uns an dieser Stelle weitere Maßnahmen
überlegen, damit es nicht neue Förderrahmen gibt. Wir
brauchen auch einen Ausstieg aus der europäischen
Denke, dass Atomenergie eine klimafreundliche Technologie sei. Damit aufzuräumen, muss eine Aufgabe bleiben. Ich erachte aber diese Maßnahme nicht als den richtigen Weg, um dieses Feld aufzubrechen, und hoffe, dass
wir es in der Europäischen Union schaffen, all die Altlasten, die wir auch regelungstechnisch haben - den
Euratom-Vertrag; die Fördermaßnahmen, die wir für dieses Kernfusionsprojekt immer noch ständig mitfinanzieren -, zu überarbeiten, dass wir dort mit europäischer
Stimme einer weiteren Nutzung der Atomenergie eine
klare Absage erteilen; das wünsche ich mir.
({5})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Abgeordneten Zdebel von der Fraktion Die Linke?
Ja.
Bitte.
Danke, Frau Scheer, dass Sie die Frage zugelassen haben. Ich habe eigentlich zwei, weil Sie sich dazu noch
nicht geäußert haben. Die eine ist: Wie bewerten Sie
denn vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen die Entscheidung der Länder Österreich und Luxemburg, gegen
die Entscheidung der EU-Kommission vorzugehen? Die
andere ist: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang
die Zustimmung des deutschen EU-Kommissars? Ich
halte es, teilweise zumindest, für weltfremd, davon
auszugehen, dass das nicht möglicherweise mit der Bundesregierung abgestimmt ist.
Um das Letzte aufzugreifen: Von einer Abstimmung
mit der Bundesregierung weiß ich schlichtweg nichts.
Ich kann auch nicht spekulativ hier irgendwas in die
Welt setzen; das führt auch nicht zur Klärung des Sachverhalts.
Zu der Frage, ob es denn richtig ist oder wie man bewertet, wie Österreich vorgeht: Ich kann das Ansinnen
sehr gut teilen, dass man gerne verhindern möchte,
({0})
dass im europäischen Raum weiterhin in die Förderung
der Atomenergie investiert wird. Nur, wenn man genau
auf die Maßnahme und auf den Weg schaut und vom
Ende her betrachtet, was man damit angreift, halte ich es
mit Blick auf unsere Fördermechanismen, die wir für die
Erneuerbaren haben, für gefährlich, so einen Weg zu gehen.
({1})
- Es tut mir leid, wenn Sie das nicht teilen; aber das ist
meine Überzeugung.
({2})
- Sie können weiterschimpfen; ich bin jetzt auch schon
am Ende meiner Rede.
Vielen Dank.
({3})
Wir sind damit am Ende der Aussprache.
Tagesordnungspunkt 11 a. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4215 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 11 b. Die Vorlage auf Drucksache 18/4316 soll ebenfalls an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die
Federführung ist jedoch strittig: Die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim
Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.
({0})
- Bitte?
({1})
- Bündnis 90/Die Grünen stimmt dem Präsidium zu; das
begrüßen wir.
Wir stimmen jetzt über beide Überweisungsvor-
schläge ab. Zuerst lasse ich über den Überweisungsvor-
schlag von Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer
stimmt für den Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/
Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Damit ist der Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/
Die Grünen mit den Stimmen der CDU/CSU und der
SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Überweisungsvorschlag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ab. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Diesem Überwei-
sungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der
SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen zugestimmt. Der Überweisungs-
vorschlag ist somit angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Stefan Kaufmann, Albert Rupprecht,
Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Hubertus Heil ({2}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Europas Wettbewerbs- und Zukunftsfähig-
keit durch Forschung und Innovation stärken
Drucksache 18/4423
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Strategie der Bundesregierung zum Europäischen Forschungsraum
Leitlinien und nationale Roadmap
Drucksache 18/2260
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erstem erteile ich das
Wort für die Bundesregierung Herrn Parlamentarischen
Staatssekretär Thomas Rachel.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die politische Integration Europas
ist das größte und erfolgreichste grenzüberschreitende
Friedensprojekt der Neuzeit.
({0})
Gerade in der aktuellen Weltlage mit ihren vielen Konflikten und Kriegen gilt es, diese nur scheinbare Selbstverständlichkeit zu betonen. Ich glaube, dass deshalb unsere Debatte sehr wichtig ist. Sie kommt zum richtigen
Zeitpunkt.
In Europa erarbeiten wir etwa 19 Prozent der globalen
Wirtschaftsleistung. Noch hat Europa etwa 30 Prozent
Anteil an der weltweiten Wissensproduktion. Aber der
Rest der Welt schläft nicht. Die weltweiten F-und-EAusgaben sind von 2000 bis 2011 um 77 Prozent gestiegen, während der weltweite Anteil Europas im gleichen
Zeitraum von 27 auf 23 Prozent gefallen ist. Wir können
uns nicht mit Mittelmaß zufriedengeben. Europa muss
handlungsfähig sein, und gerade Deutschland muss
hochinnovativ bleiben.
({1})
Dies erfordert erhebliche Investitionen in Forschung und
Entwicklung. Die Bundesregierung hat hier Maßstäbe
gesetzt. Innerhalb dieser Legislaturperiode werden zusätzlich 3 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung haben sich seit 2005 um
60 Prozent auf rund 14,4 Milliarden Euro erhöht.
({2})
Noch nie wurde so viel Geld für Forschung und Entwicklung seitens des Bundes ausgegeben. Der Staat und
die Unternehmen erreichen Hand in Hand fast das 3-Prozent-Ziel.
({3})
Wir brauchen aber auch einen Forschungsraum, der
die Menschen zusammenbringt. Grenzüberschreitende
Projektförderung, gemeinsame Nutzung von Forschungsinfrastrukturen, die Mobilität in einem Wirtschaftsraum mit 500 Millionen Menschen sind nur einige Stichworte. Wir brauchen eine Willkommenskultur,
die die Besten aus der Welt in Sachen Forschung und
Wissenschaft anspricht und zu uns holt.
Die Bundesregierung hat eine eigene Strategie zum
Europäischen Forschungsraum im vergangenen Jahr verabschiedet. Wir waren übrigens das erste und sind bisher
auch das einzige Mitgliedsland, das eine solche Strategie
vorgelegt hat. Ich glaube, andere Staaten werden uns folgen.
Das neue Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ ist gestartet, um auch den Europäischen Forschungsraum zu gestalten. Neu ist dabei die
Synthese aus Forschungs- und Innovationselementen.
Die Verwertung der Forschungsergebnisse rückt stärker
in den Vordergrund. Wir können nach einem Jahr feststellen: Deutschland ist in „Horizont 2020“ gut gestartet.
Wir liegen auf Platz eins in Europa, sowohl bei den Projektbeteiligungen als auch bei den Zuwendungen.
({4})
Rund 3 300 deutsche Institutionen haben Anträge eingereicht und über 900 davon haben erfolgreich Projekte
eingeworben. Die Erfolgsquote liegt bei 27 Prozent.
Deutsche Akteure haben bereits 1,5 Milliarden Euro an
Drittmitteln aus Europa eingeworben, und das, obwohl
der Wettbewerb sehr viel intensiver geworden ist als
noch im 7. Forschungsrahmenprogramm.
Der Anteil der Unternehmen an den deutschen Beteiligungen beträgt rund 36 Prozent. Das ist gut und wichtig, weil wir den Innovationsschub natürlich auch in die
Unternehmen in Deutschland hineinbringen wollen.
Jeder fünfte „ERC Starting Grant“ in der Grundlagenund Spitzenforschung ging 2014 an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in deutschen Einrichtungen.
Damit ist Deutschland in Bezug auf den Standort erstmalig auf Platz eins - mit deutlichem Abstand vor dem Vereinigten Königreich.
({5})
Um den Begriff von Herrn Rupprecht aufzunehmen:
Gleichzeitig reicht der Weltmeister seine Hand. Im Bereich „Teaming“ unterstützen wir den Aufbau von Exzellenzzentren in den leistungsschwächeren EU-Regionen. In 14 von 31 ausgewählten europäischen
Konsortien sind deutsche Einrichtungen am Exzellenzaufbau in den ost- und südeuropäischen Mitgliedstaaten
beteiligt.
({6})
Wir bringen unser Know-how ein, um Europa insgesamt
nach vorne zu bringen.
({7})
Diese gute Zwischenbilanz bereits nach einem Jahr ist
für uns ein ermutigendes Zeichen und gleichzeitig Ansporn; denn Europa braucht unbedingt Wachstum. Das
wird klar, wenn wir uns die Situation in verschiedenen
Ländern anschauen. Dafür müssen wir auch private Investitionen mobilisieren. Deswegen unterstützen wir als
Bundesregierung auch die Einrichtung des Europäischen
Fonds für Strategische Investitionen.
({8})
Wie Sie wissen, sollen auch Gelder aus „Horizont 2020“
zur Finanzierung herangezogen werden. Wir nehmen die
kritischen Hinweise aus der Wissenschaft hierzu sehr
ernst. Wir sind davon überzeugt, dass der EFSI wichtige
Impulse für die europäische Wettbewerbsfähigkeit setzen kann; denn Bildung, Forschung und Innovation gehören zu den strategischen Investitionsbereichen des
EFSI. Diese Chancen sollten wir gemeinsam nutzen.
Ich hoffe sehr, dass bei der konkreten Beratung des
Haushalts durch das Europäische Parlament vor allem
den Anliegen im Bereich Forschung und Innovation
Rechnung getragen wird und dass dieser Bereich bei der
schlussendlichen Haushaltsaufstellung gestärkt wird;
denn dadurch stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit von
Europa.
Herzlichen Dank.
({9})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Herr Staatssekretär, wenn ich Sie so höre,
dann habe ich den Eindruck: Die europäische Zusammenarbeit in der Forschung gestaltet sich für Sie so, wie
Sie den Binnenmarkt verstehen: Forschung muss wertvoll sein und den Regeln der Profite unterworfen werden. Was das heißt, sehen wir: Die Starken gewinnen,
die Schwachen sterben. Diese Unterwerfung der Forschung unter die Wirtschaftlichkeitskriterien lehnt die
Linke ab.
({0})
In Europa soll die Wissens- und Innovationsentwicklung als reiner Wettbewerb verstanden werden. Zukünftig müssen die Forscherinnen und Forscher dann noch
mehr als bisher um Förderungen kämpfen, statt unabhängig zu forschen und gemeinsam die Probleme der
Gesellschaft zu lösen.
Förderkriterien, Exzellenzinitiativen und der Zwang
zur Vermarktung von Ideen verschärfen Spaltung und
Konkurrenz innerhalb der EU. Wie sollen die finanzschwachen Länder Europas ihren Eigenanteil aufbringen, um EU-Mittel aus Förderprogrammen zu erhalten?
Wie sollen diese Länder die besten Köpfe an ihren Forschungseinrichtungen halten, wenn sie wie Griechenland
gezwungen werden, Gehälter massiv zu senken? Und
wie soll sich dann eine innovative Wirtschaft entwickeln?
({1})
Man muss dafür bei Ihnen nicht einmal zwischen den
Zeilen lesen, um zu erkennen: Deutschlands Vorreiterrolle in Europa soll ausgebaut werden. Die Strategie der
Regierung priorisiert effektivere nationale - sprich:
deutsche - Forschungssysteme. Auch im Forschungsbereich opfern Sie die Idee eines einigen, fortschrittlichen
Europas den kurzfristigen Wettbewerbsvorteilen
Deutschlands. Heute gewinnt Deutschland vom neuen
„keep the brains“, dem Nehmen der besten Köpfe.
({2})
In Griechenland, wo Universitäten geschlossen werden müssen, wandern die besten Forscherinnen und Forscher ab. Spanien verliert die besten Köpfe, weil andere
Länder besser zahlen können.
({3})
Die Koalition und die deutschen Konzerne jubeln über
solche Abwanderungen und ignorieren die Nebenwirkungen.
An deutschen Forschungseinrichtungen wächst der
Konkurrenzdruck zwischen den Beschäftigten. Eine
Folge ist der Befristungs- und Teilzeitwahn an unseren
Hochschulen. Weniger als 10 Prozent der wissenschaftlichen Beschäftigten sind unbefristet und in Vollzeit beschäftigt. Das ist unerträglich.
({4})
Statt sich um Nachwuchs zu kümmern, schöpfen die
deutsche Industrie und die deutschen Forschungseinrichtungen aus dem EU-Pool und sparen bei Gehältern und
Ausbildung. Was passiert, wenn in einigen Jahren die ärmeren EU-Staaten wie Griechenland, Spanien und Portugal ausgeblutet sind, wenn der Pool leer ist, wenn der
Nachwuchs fehlt?
Im Interesse Deutschlands und der europäischen Integration fordert die Linke: erstens bessere Arbeitsbedingungen an Forschungseinrichtungen, und zwar über ein
Wissenschaftszeitvertragsgesetz in Deutschland; zweitens eine bessere Grundfinanzierung von Hochschulen
und Forschungseinrichtungen,
({5})
damit Forscher nicht um Exzellenzmittel streiten, sondern gemeinsam an exzellenter Forschung arbeiten;
({6})
drittens, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt,
dass finanzschwache EU-Staaten EU-Forschungsmittel
ohne Eigenanteil erhalten; viertens, ein Ende der Politik
„keep the brains“ und mehr Nachwuchsförderung in
Deutschland und in der EU.
Mit unseren Forderungen sind europaweit bessere
Forschungsbedingungen erreichbar. Wir Linke kämpfen
für eine zukunftsweisende Forschungslandschaft, die ein
soziales, ökologisches und gebildetes Europa unterstützt.
({7})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten René Röspel, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erlauben Sie mir nach dieser Rede eine Vorbemerkung: Lieber Kollege Lenkert, ich habe mich, wie
wahrscheinlich viele andere, entschieden, in die Politik
zu gehen und mich politisch zu engagieren, egal ob es
um eine Verbesserung beim Straßenverkehr oder um etwas anderes ging, weil ich gestalten wollte, weil ich etwas verändern wollte. Wer ein Feuer anmachen will, damit es anderen Leuten warm wird, der muss ein
Feuerzeug in die Hand nehmen, und der macht sich auch
manchmal die Finger dreckig, wenn Asche darauf fällt.
({0})
Aber dieses ewige Genörgel und diese ewige Besserwisserei, dass alles anders gemacht werden muss, ohne dass
man selbst etwas dazu beiträgt, das - so muss ich sagen geht mir spätabends manchmal auf den Geist.
({1})
Der Antrag, den wir als Koalition hier vorlegen - der
Staatssekretär hat dazu einiges gesagt -, macht deutlich,
dass die neuen Mitgliedstaaten, die natürlich noch nicht
so stark wie die Bundesrepublik Deutschland, wie
Frankreich, Großbritannien und andere sind, mit den europäischen Programmen eine Chance bekommen, exzellente Wissenschaftler hervorzubringen. Darum geht es.
({2})
Ich finde, dieser Antrag zeigt ein Stück weit unser Handeln, und das ist auch gut so.
Weil der Staatssekretär unsere Ideen zur Unterstützung eines Europäischen Forschungsraums, in dem wir
gemeinsam forschen, damit das Klima besser wird, damit wir neue Technologien entwickeln, die der Gesellschaft dienen, schon hervorragend ausgeführt hat - darauf brauche ich mich nicht zu konzentrieren -,
beschränke ich mich auf den anderen Teil, der in unserem Antrag auch eine Rolle spielt, nämlich den europäischen Strukturfonds, der von Jean-Claude Juncker und
der Kommission geplant ist und auf den Weg gebracht
wird. Wir begrüßen ausdrücklich die Initiative, mit einem kleinen Teil öffentlichen Geldes große private Investitionen für Infrastruktur, Forschung und Innovationen auf den Weg zu bringen.
({3})
Das ist ein guter Ansatz. Wir in Deutschland haben
mit einem ähnlichen Ansatz hervorragende Erfahrungen
gemacht. Ich bin davon überzeugt, dass diese Maßnahmen noch dazu beitragen, dass Deutschland im europäischen Vergleich sehr gut dasteht. Die letzte Große Koalition - einige der Älteren werden sich erinnern ({4})
hat nämlich in der Finanzkrise einige wichtige Pakete
auf den Weg gebracht. Das betraf nicht nur die Verlängerung des Bezuges des Kurzarbeitergeldes - am Rande
bemerkt: das spielt heute nicht eine solche Rolle -, sondern wir haben auch Konjunkturpakete geschnürt, mit
denen wir nachhaltige Investitionen, gerade in den Kommunen, generiert haben. Da ging es um die energetische
Sanierung von Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen, damit Energie gespart werden kann. Das hat
Bewegung in den Arbeitsmarkt und in die Situation insgesamt gebracht. So ähnlich verhält es sich mit diesem
Europäischen Fonds für Strategische Investitionen.
Beide Projekte sind vergleichbar. Deswegen ist das gut.
Aber all das hat nur geklappt, weil die Voraussetzungen in Deutschland besonders gut waren und sind.
Warum sind wir erfolgreich? Weil andere Länder unsere Produkte offenbar gerne kaufen. Warum kaufen sie
sie? Weil sie offenbar eine hohe Qualität haben, weil sie
technisch interessant sind, weil sie innovativ sind und
weil Made in Germany immer noch ein Begriff für Material ist, das eigentlich relativ lange hält.
Wie sind wir in der Lage, solch gute Produkte zu produzieren? Das ist in erster Linie unsere Arbeitnehmerschaft, den vielen Menschen, die diese Produkte erzeugen, zu verdanken. Warum haben wir in Deutschland
gute Arbeitnehmer? Das hat im Wesentlichen zwei
Gründe, wobei der eine eine Besonderheit in Deutschland ist:
Wir haben ein duales Berufsausbildungssystem, das
ganz hervorragend in der Lage ist, im Berufsleben stehende junge Menschen auszubilden, zur Gesellin oder
zum Gesellen, zur Meisterin oder zur Technikerin. Das
ist etwas, was uns von vielen anderen Ländern unterscheidet. Diese Menschen sind in der Lage, Produkte gut
herzustellen und zu entwickeln. Das ist der eine Bereich.
({5})
Über den anderen Bereich können wir heute zwar
nicht ausführlich reden, aber er ist unerhört wichtig: Wir
haben in Deutschland glänzend ausgebildete Forscherinnen und Forscher, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das haben wir einem System zu verdanken,
das ebenfalls sehr differenziert ist, einem System, das einerseits Grundlagenforschung in Deutschland und andererseits angewandte Forschung finanziert.
Was ist der Unterschied zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung? Grundlagenforschung ist, wenn Sie Ihrer Oma zu erklären versuchen,
was das ist, sie das nicht versteht und am Ende fragt:
Wofür ist das gut?
Angewandte Forschung kann man der Oma erklären,
indem man ihr sagt: Damit machen wir die LED schöner
und wärmer.
({6})
Oder: Wir sparen Energie, und du bekommst einen
neuen Kühlschrank. - Das ist etwas, was die Industrie
macht, woran die Industrie ein Interesse hat, weil sie von
immer weiter verbesserten Produkten profitiert.
Was die Industrie nicht fördert, das ist die Grundlagenforschung, das ist das, was die Max-Planck-Institute
machen, das ist das, was die Helmholtz-Gemeinschaft
und andere Forschungsgemeinschaften machen, das ist
das, was vor allen Dingen an den Hochschulen und Universitäten gemacht wird. Dort geht es darum, einfach nur
um der Sache und des Erkenntnisgewinnes willen zu forschen. Das bezahlt keine Wirtschaft, kein Privatunternehmen, sondern das finanziert der Staat. Das ist eine
unglaublich wichtige Aufgabe der öffentlichen Hand.
Darauf können wir nicht verzichten.
({7})
An dieser Stelle kriege ich wieder den Dreh zum
Europäischen Fonds für Strategische Investitionen. Er
wiederum wird aus einigen Programmen auf europäischer Ebene finanziert, unter anderem aus dem Programm „Horizont 2020“, dem großen Forschungsrahmenprogramm auf europäischer Ebene. 2,7 Milliarden
Euro werden aus diesem Topf genommen, um diesen Infrastrukturbereich zu finanzieren. Dagegen haben wir
grundsätzlich nichts, weil es viele Bereiche gibt, die profitieren.
Es wird aus dem Bereich der Nanotechnologie Geld
genommen, um Infrastrukturen und Innovationen zu
finanzieren. Es wird aus dem Bereich der Lasertechnologie und dem Bereich des ressourceneffizienten Wirtschaftens Geld genommen. Das alles wird möglicherweise zurückkommen. Wenn man aus dem Bereich
Grundlagenforschung Geld herausnimmt und Industrieunternehmen unterstützt, die in diesem Bereich arbeiten,
und zusätzliche Innovationen ermöglicht und Investitionen getätigt werden, kommt dieses Geld irgendwann zurück.
Ein wichtiger Punkt in diesem Antrag ist - da beziehen wir Stellung -, dass die Europäische Kommission
plant, drei Stellen Geld zu entziehen, bei denen wir es
für falsch halten. Dort geht es nämlich um Bereiche der
Grundlagenforschung, die niemand anderes finanziert.
Die dort entzogenen Gelder kommen auch nicht über Infrastrukturverbesserungen oder Investitionen zurück.
Zwei dieser Bereiche sind der Europäische Forschungsrat und das Marie-Curie-Programm, mit dem man die
Mobilität bzw. den Austausch von Wissenschaftlern
finanziert. Aus diesem Programm darf kein Geld herausgenommen werden, weil es ganz wichtig ist, dass junge
Wissenschaftler in Europa mobil sind, andere Labore,
andere Situationen kennenlernen.
({8})
Durch den Europäischen Forschungsrat wird exzellente
Grundlagenforschung gefördert. Das Geld, das aus diesem Bereich herausgenommen wird, kommt nicht auf einem anderen Weg zurück.
Unser Antrag enthält zwei wesentliche Punkte:
Erstens. Wir sagen, wir wollen einen Europäischen
Forschungsraum, in dem alle Länder und alle Menschen,
übrigens unabhängig von ihrer Herkunft, die Möglichkeit haben, Wissenschaft zu betreiben.
Zweitens. Wir appellieren ausdrücklich an die EUKommission, aus keinem der drei Bereiche, in denen es
um Grundlagenforschung geht, Geld zu nehmen, sondern Alternativen zu suchen; dann nämlich schaffen wir
es, einen gemeinsamen Forschungsraum in Europa zu
entwickeln.
Vielen Dank.
({9})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuversicht und
Zukunft in Europa entstehen gerade dann, wenn Zusammenarbeit und Zusammenhalt tagtäglich gelebt werden.
Das gilt ganz besonders in der Wissenschaft. Forschung
ist Zukunftsmotor und Innovationstreiber für unsere wissensbasierten Volkswirtschaften auf dem ganzen Kontinent. Deshalb ist ein vertiefter und lebendiger Europäischer Forschungsraum von ganz zentraler Bedeutung für
europäisches Bewusstsein und Weltoffenheit, für mehr
Forschergeist und eine höhere Mobilität kreativer Köpfe,
für künftigen Wohlstand und Zukunftsfähigkeit.
Deutschland muss sich in Europa für eine nachhaltigere Forschungspolitik einsetzen. Der EU-Haushaltskontrollausschuss hat in dieser Woche unter anderem
dem Kernfusionsreaktor ITER die Haushaltsentlastung
für 2013 verweigert. Das bestätigt uns Grüne. Seit Jahren kritisieren wir Missmanagement, Kostenexplosion
und Kostenrisiken bei ITER. Trotzdem will die EU zwischen 2014 und 2020 2,9 Milliarden Euro in das Projekt
stecken, Gelder, die an anderer Stelle für innovative Forschung auf dem Gebiet erneuerbarer Energien und Energieeffizienz einfach fehlen.
Wir müssen endlich grundlegend umsteuern. Europa
braucht kräftigere Investitionen in Forschung, auf europäischer Ebene genauso wie in den einzelnen Mitgliedstaaten. Davon sind wir noch weit entfernt. Deutschland
hat das Ziel 3 Prozent des BIPs für Forschung und Entwicklung noch längst nicht erreicht - das sollte schon
vor einem halben Jahrzehnt der Fall sein - und hätte sich
schon längst das 3,5-Prozent-Ziel setzen müssen. Unser
Land muss endlich zur Spitzengruppe der Innovationsländer aufschließen.
({0})
Gleichzeitig muss die Bundesregierung im gemeinsamen Haus Europa dafür sorgen, dass manche osteuropäischen Länder und Griechenland mehr Spielraum für Investitionen in Forschung und Entwicklung haben. Die
einseitige Sparpolitik, die Griechenland auferlegt wurde,
hat nicht nur zu einer schärferen sozialen Spaltung geführt, sondern auch zu massiven Kürzungen bei öffentlichen Bildungs- und Hochschulinvestitionen.
({1})
Das kann so nicht weitergehen. Da wird dringend eine
Kehrtwende benötigt.
({2})
Wenn Sie, liebe Koalition, vom Europäischen Forschungsraum reden und das ernst meinen, müssen Sie
endlich Ihrer Verantwortung gegenüber den finanzärmeren und auch forschungsärmeren Ländern gerecht werKai Gehring
den. Die Bundesregierung hat lange eine europäische
Investitionsoffensive blockiert und dadurch auch öffentliche Investitionen in Ländern mit einer Wirtschaftskrise
weiter gedrosselt. Jetzt endlich soll Junckers Investitionsplan kommen - aber mit einem ganz krassen Webfehler. Denn Juncker will dem wichtigen EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ im Gegenzug
2,7 Milliarden Euro entziehen. Das macht keinen Sinn,
das ist falsch. Dazu sagen wir ganz klar Nein. Diese Mittel sollen nicht entzogen werden.
Sie schwiemeln, was das angeht, in Ihrem Antrag viel
zu sehr rum. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie
bei der Grundlagenforschung eine 15-fache Hebelwirkung erzielen. Das ist ein koalitionärer Formelkompromiss.
({3})
Für den Europäischen Forschungsraum bringt das aber
zu wenig. Keine Kürzungen bei „Horizon 2020“ - das
wäre eine klare Botschaft dieses Hauses.
({4})
Ich sage Ihnen auch: Der Europäische Forschungsraum muss sich durch Ideenreichtum und Vielfalt auszeichnen. Eine einseitige Marktorientierung wird diesem
Ziel nicht gerecht. Forschung ist mehr als die Jagd nur
nach marktfähigen Produkten und Patenten. Es geht
auch um die Lösung großer Herausforderungen. Auch
geht es um soziale und ökologische Innovationen. Gerade von der Union würde ich mir wünschen, dass sie
darauf stärker Wert legt. In Ihrem Koalitionsantrag findet sich viel Technokratisches, aber leider nichts Visionäres.
({5})
Der Europäische Forschungsraum braucht eine anständige Finanzausstattung. Deshalb hoffe ich sehr darauf,
dass sowohl das EU-Parlament als auch Kommission und
Rat hier noch zur Vernunft kommen, was die Finanzausstattung von „Horizon 2020“ angeht.
({6})
Sorgen Sie mit dafür, dass es nicht zu Kürzungen
kommt. Die Förderung des EU-Forschungsraums darf
kein finanzpolitischer Steinbruch sein, sondern muss für
alle Mitgliedstaaten Zukunftsvorsorge bieten.
({7})
Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich
das Wort dem Abgeordneten Dr. Stefan Kaufmann.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lieber Kai Gehring, Politik
braucht Visionen, aber Politik braucht auch harte Arbeit.
Und Europa ist eben oftmals auch harte Arbeit. Deshalb
auch dieser Antrag der Koalitionsfraktionen, den ich Ihnen heute am Schluss dieser Debatte in aller Kürze vorstellen möchte. Er kam nach wochenlanger Arbeit der
Büros und auch nach einigen kniffligen Verhandlungen
zustande. An dieser Stelle sage ich Dank an den Kollegen René Röspel.
({0})
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund der
großen Herausforderungen im weltweiten Wettbewerb
ist für uns eine Stärkung der Forschung auch auf europäischer Ebene essenziell. Wir müssen bei der Forschung in Europa noch mehr PS auf die Straße bringen.
Die anderen Länder werden nämlich nicht auf uns warten: China, Türkei, Israel und auch Russland. Wir alle erleben dies überall dort, wo wir als Parlamentarier unterwegs sind. Thomas Rachel hat schon einige Zahlen dazu
geliefert.
Durch Forschung und Innovation erzielte Wissensund Technologievorsprünge sind der Schlüssel für die
langfristige Sicherung und Stärkung von Europas Wettbewerbsfähigkeit. Dafür bedarf es auf europäischer
Ebene erstens eines gemeinsamen Forschungsraums
- darüber haben wir heute diskutiert -, der die Forschung in Europa durch grenzüberschreitende Kooperationen und eine engere Verzahnung insgesamt stärkt, und
zwar ohne harmonisierende gesetzliche Maßnahmen.
Beispielhaft - auch das wurde bereits erwähnt - gehören für mich insbesondere die sehr erfolgreichen Teaming- und Twinning-Maßnahmen dazu, um die sich in
Deutschland zum Beispiel insbesondere die MaxPlanck-Gesellschaft verdient macht und die die neuen
EU-Mitgliedstaaten beim Aufbau ihrer Forschungskapazitäten unterstützen. Damit haben wir eine echte Winwin-Situation für die beteiligten Mitgliedstaaten und somit ein ganz hervorragendes Exempel für den Mehrwert
europäischer Zusammenarbeit.
({1})
Zweitens bedarf es dafür der konsequenten Umsetzung der geplanten europäischen Roadmap zum Europäischen Forschungsraum, und zwar komplementär zu
den nationalen Strategien. Dadurch kann die Leistungsfähigkeit des Europäischen Forschungsraums weiter
gestärkt werden. Ich nenne nur die Stichpunkte „Forschungsinfrastrukturen“, „Mobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern“ sowie die „weitere Stärkung der Internationalität“. Auch dazu hat unser
Staatssekretär einiges gesagt.
Ein weiteres, aktuelleres Thema ist der bereits erwähnte EFSI, der Europäische Fonds für Strategische Investitionen. Wir haben uns wegen offensichtlich spürbarer Auswirkungen gerade auf den EU-Forschungsetat
sehr frühzeitig in der AG und im Ausschuss mit dem
EFSI beschäftigt - allerdings, da müssen wir ehrlich
sein, meine Damen und Herren, ist in Brüssel die Messe
zum EFSI schon weitgehend gelesen -; deshalb kommt
dieser Antrag heute zu einem frühen Zeitpunkt. Noch
einmal Danke schön, dass wir ihn in einem Kraftakt so
schnell durch das parlamentarische Verfahren gebracht
haben!
({2})
Nun zum Inhalt. Wir, die Union, begrüßen die Initiative der EU-Kommission zur Steigerung der Investitionstätigkeit innerhalb der EU dem Grundsatz nach. Wir
müssen aber bei der weiteren Ausarbeitung der gesetzlichen Grundlage für den EFSI bis zum Sommer in Brüssel aus unserer Sicht auf folgende Punkte besonders achten - einige wurden schon angesprochen -: Die anteilige
Finanzierung des EFSI aus „Horizon 2020“ sollte sich
zumindest im Ergebnis nicht nachteilig auf die Gesamtfinanzierung von Forschung in Europa auswirken. Da
bin ich auch bei dir, lieber Kai Gehring.
({3})
Hinsichtlich der genauen Ausgestaltung müssen wir
sehr genau darauf achten, dass bei der Auswahl der
EFSI-Projekte insbesondere auch forschungs- und innovationsbasierte Projekte berücksichtigt werden. Denn
genau darum geht es bei dieser Investitionsoffensive: um
innovationsbasiertes Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb müssen diese Kriterien in dem Paket eine
Rolle spielen.
({4})
Außerdem sollten wir dafür Sorge tragen, dass die Förderung der Grundlagenforschung stark bleibt. Deutschland lag 2014 bei den Starting Grants des Europäischen
Forschungsrates erstmals auf Platz eins - Thomas Rachel
hat es schon gesagt -, und zwar mit 70 von 328 Grants.
Auch bei den Projektbeteiligungen und Zuwendungen
liegt Deutschland auf Platz eins. Im ersten Jahr von „Horizon 2020“ sind bereits 1,5 Milliarden Euro an Drittmitteln aus Europa nach Deutschland geflossen. Das ist ein
Wort. Thomas Rachel hat auch hierzu schon das Notwendige gesagt.
Auch deshalb sollten die Mittel nur insoweit den Programmlinien entnommen werden, wie sie auch zur
Garantie für konkrete Investitionsvorhaben benötigt
werden - also ein sogenanntes Frontloading.
In diesen Zusammenhang gehört auch, dass nochmals
über den Rückfluss nicht verbrauchter Garantiesummen
in „Horizon 2020“ diskutiert wird. Ich bin, offen gesagt,
nicht glücklich darüber, dass dieser Punkt in letzter Minute aus dem Antrag herausfallen musste.
Letzter Punkt. Wir wollen, dass nicht nur privatrechtliche Institutionen, sondern auch unsere öffentlich-rechtlich verfassten Forschungseinrichtungen und Hochschulen beim EFSI Anträge stellen können.
({5})
Zusammenfassend gesagt geht es darum, mit der Investitionsoffensive auf der einen Seite und dem weltgrößten Forschungsprogramm „Horizon 2020“ sowie
der Weiterentwicklung eines gemeinsamen Europäischen Forschungsraums auf der anderen Seite Europa
auch und gerade durch Forschung und Innovation zukunftsfest zu machen. Ich bin überzeugt davon, dass unser Antrag einen konstruktiven Beitrag zur Stärkung der
europäischen Forschung leisten wird. Damit senden wir
auch ein starkes Signal des Deutschen Bundestages nach
Brüssel, gerade während der Verhandlungen zum EFSI.
Deshalb darf ich Sie heute Abend herzlich um Ihre Zustimmung bitten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Tagesordnungspunkt 12 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD auf Drucksache 18/4423 mit dem Titel
„Europas Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit durch
Forschung und Innovation stärken“. Wer stimmt für die-
sen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 12 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/2260 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b
auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Neue Dynamik für nukleare Abrüstung - Der
Humanitären Initiative beitreten
Drucksachen 18/3409, 18/4217
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Inge
Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
In UN-Generalversammlung der Uranwaffen-Resolution zustimmen
Vizepräsident Peter Hintze
- zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka
Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise
Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
VN-Resolution zu Uranmunition zustimmen
Drucksachen 18/3407, 18/3410, 18/4218
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich dem Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Brunner, SPDFraktion, das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen
und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich
sage ganz klar: Atomwaffen braucht kein Mensch. Sie
schaffen weder Vertrauen noch Sicherheit.
({0})
- Schön, dass die Linken klatschen. - Frank-Walter
Steinmeier hat es auf den Punkt gebracht: Global Zero
ist mehr als eine Vision; das ist eine Notwendigkeit. Eine
Welt frei von Atomwaffen darf verdammt noch einmal
keine wolkenhafte Utopie bleiben; sie ist Verpflichtung
für uns und für alle Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrags. Gerade deswegen muss die kommende
Überprüfungskonferenz in New York gelingen. Ein
Scheitern hätte schwerwiegende Folgen, nicht nur für
den nuklearen Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozess
selbst; es geht auch um die Glaubwürdigkeit der Atommächte.
Wissen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, meine
Damen und Herren: Wir haben zwar ein Netz von vertrauensbildenden, stabilisierenden Abrüstungsverträgen; das ist jedoch ein Netz, dessen Maschen immer
weiter und durchlässiger werden. Manchmal möchte ich
gar meinen, dass dieses Netz sogar in Vergessenheit geraten ist. Daher gilt an dieser Stelle besonderer Dank
Frank-Walter Steinmeier für seinen unermüdlichen Einsatz; denn er und das Auswärtige Amt unterstützen die
Bemühungen des Finnen Jaakko Laajava, doch noch die
Konferenz über eine massenvernichtungswaffenfreie
Zone im Mittleren Osten zustande zu bringen. Gerade
jetzt, bei all den Krisen, wäre es nämlich verantwortungslos, Sicherheit allein zu sehen und dabei Abrüstung
und Rüstungskontrolle zu vernachlässigen.
({1})
Um allerdings neue Dynamik in die Sache zu bringen,
bedürfte es einer Fülle von Maßnahmen. Würde ich jedoch den gesamten Handlungsbedarf und alle Probleme
aufzählen, könnte manch einer vielleicht vor Angst blass
werden. Daher heute nur einige Punkte, Hinweise und
Anmerkungen, welche mir persönlich wichtig erscheinen.
Erstens. Wir brauchen eine Erweiterung der Rüstungskontrolle für Kleinwaffen.
({2})
Sie ist ein wesentliches Element von Krisenprävention
und Terrorbekämpfung. Kleinwaffen und leichte Waffen
verursachen mehr Opfer als jede andere Waffenart. Man
schätzt, dass durch die rund 875 Millionen Stück im
Umlauf jedes Jahr eine halbe Million Menschen getötet
werden. Ehrlich gesagt: Ich empfand es letztes Jahr, als
Kleinwaffen deutscher Hersteller in Südamerika ohne
Exportgenehmigung auftauchten, als Schande.
({3})
Wie kann es sein, dass vertragliche Zusagen zur Endverbleibskontrolle unterlaufen werden, sodass nicht mehr
genutzte Waffen relativ leicht von den USA nach
Kolumbien gelangen? Ja, mit dem ATT-Vertrag wurde
Transparenz geschaffen, und die Exportkontrollen wurden verbessert. Aber es braucht auch ein weiterführendes Gesamtkonzept der vielen Einzelmaßnahmen. Ja, es
macht mich persönlich wütend, wenn ich in der deutschen Rüstungsindustrie immer nur Jammern höre, weil
bei Exportgenehmigungen durch Sigmar Gabriel endlich
hingeschaut wird.
({4})
Zweitens. Wann, wenn nicht jetzt, brauchen wir eine
reibungslose Umsetzung der Vertrags über den Offenen
Himmel von 1992? Open Skies ermöglicht ungehinderte
Beobachtungsflüge in den Hoheitsgebieten der Vertragsstaaten. Dies erfolgt, dies funktioniert, dies ist ein Erfolgsprojekt. Open Skies ist der einzige multilaterale
Vertrag, der wirklich funktioniert. Er ist die Plattform,
um auch und gerade mit Russland weiter kommunizieren
zu können. Er kann aber auch die Brücke sein, die zu beschreiten wir Russland anbieten wollen. Deshalb, meine
Damen und Herren, sind wir mehr als optimistisch, dass
wir bald, so wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wieder
mit einem eigenen, einem modernen Flugzeug dabei
sind, wenn es darum geht, Open Skies zu unterstützen.
({5})
Daran mit Vorrang zu arbeiten, das ist unsere Aufgabe,
und das ist gut so.
Drittens: die verbale Aufrüstung. Ich war in der Vergangenheit nie Teil einer sich an Schienengleise ankettenden Friedensbewegung; das Engagement der Menschen in Ehren. Ich glaube auch nicht, dass sich die
Lehren und die Rhetorik des Kalten Krieges im Guten
und im Schlechten auf heutige Situationen anwenden
lassen. Wir haben es mit einer Vielzahl von Krisen zu
tun, und dies unter ganz anderen Vorzeichen. Für mich
heißt „Abrüstung“ übersetzt nicht banal „weniger Militär“. Die Formel muss vielmehr heißen: Das Richtige
wollen, und dies richtig tun. - Das heißt: infrage stellen,
Rüstungsexporte von Fall zu Fall prüfen. Das heißt: ehrlich und beharrlich die Chancen suchen, diese Welt sicherer zu machen. Zusammen mit der Rüstungskontrolle
heißt das: Vertrauen schaffen.
Was mich in letzter Zeit besonders beunruhigt, hat
vielleicht nicht unmittelbar mit Abrüstungspolitik oder
Rüstungskontrolle zu tun. Es ist die verbale Aufrüstung,
die viel Vertrauen im Keim zerstört. Feindbilder in der
Gesellschaft werden geschürt. Empörungen gegen einzelne Menschen wachsen. Verschwörungstheorien gegen
die Politik werden beliebt.
Da ist Russland, das ohne erkennbare Not Dänemark
einen Atomschlag androht - Dänemark, ein Land, das
neben Island für mich und sicherlich für alle eines der
friedliebendsten Länder dieser Welt ist. Da ist Russland,
das den Konflikt sucht, um von eigenen Problemen abzulenken. Es konstruiert Bedrohungen, beschäftigt ganze
Behörden in Moskau und Sankt Petersburg, die das öffentliche Bild des Landes schönreden und den vermeintlichen Feind scharfzeichnen. Aber da ist zum anderen
auch das US-Repräsentantenhaus, das Waffenlieferungen in die Ukraine fordert. Sie sagen, sie wollten Frieden
schaffen. Ich sage: Wenn sie das tun, kommt Putin und
schafft noch mehr von seinem Frieden. - Aber da ist
auch unser enger Freund Frankreich, der seine Atomwaffen weiterhin öffentlich als geeignete Abschreckungswaffe preist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um
internationale Verantwortung. Dieses verbale Wettrüsten
muss ein Ende haben. Frank-Walter Steinmeier macht
diesen Dialog vor: beharrlich in der Sache, auf Augenhöhe und vor allen Dingen mit viel Geduld. Wir werden
damit nicht Putin auf den Boden zurückholen - der ist in
seiner eigenen Welt -; aber wir und unsere Bündnispartner müssen in unserem eigenen Interesse den sachlichen
Dialog suchen.
Eigentlich bräuchten wir alle eine Zeit der Ruhe, der
Besinnung, eine Zeit des Denkens, weniger des Redens;
denn wenn wir es nicht schaffen, die Rhetorik herunterzufahren, wächst die Gefahr, dass aus diesen wilden Visionen eine neue Realität wird. Daher fordere ich: Aus,
Schluss und vorbei mit verbaler Aufrüstung! Mehr Dialog, mehr internationale Verantwortung, mehr Pflichtbewusstsein gegenüber Verträgen und mehr Gelassenheit
in öffentlichen Debatten!
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und
vielen Dank, dass ich kurz überziehen durfte, Herr Präsident.
({6})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Inge Höger, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben zurzeit den Wechsel von der Außenpolitik der Zurückhaltung von Guido Westerwelle hin zu einer Politik
der Übernahme von mehr Verantwortung. Damit einher
geht eine massive Aufrüstung der NATO und der Bundeswehr. Was die Große Koalition seit 2013 als Abrüstungspolitik verkauft, verdient diesen Namen leider
nicht.
Nehmen wir zum Beispiel den Verbleib der USAtomwaffen in Deutschland. Darüber haben Sie in Ihrer
Rede kein Wort verloren. Herr Westerwelle hat zwar
auch nichts für diesen so dringend notwendigen Abzug
getan; aber er hat immerhin die Forderung formuliert.
Davon sind wir heute meilenweit entfernt. Stattdessen
modernisieren die USA ihr Nukleararsenal in RheinlandPfalz, und die Bundesregierung hat offensichtlich nichts
dagegen.
({0})
Die neuen modernen Atombomben sollen dann leichter
und zielgenauer eingesetzt werden. Was für ein Hohn!
Die Linke bleibt dabei: Die Atomwaffen müssen sofort
abgezogen werden. Auch die Bereitstellung von Bundeswehrflugzeugen als Trägersysteme und die Ausbildung
deutscher Soldatinnen und Soldaten für den atomaren
Ernstfall muss endlich ein Ende haben.
({1})
Ein weniger bekanntes Beispiel für die abrüstungsfeindliche Politik von Schwarz-Rot ist das Abstimmungsverhalten der Bundesrepublik auf UN-Ebene zum
Thema Uranmunition.
({2})
Regelmäßig bringen Indonesien und andere Staaten Resolutionen in der UN-Generalversammlung ein, die den
Einsatz von Waffen mit abgereichertem Uran problematisieren. In der Vergangenheit hatte die Bundesregierung
diesen Resolutionen immer zugestimmt; im vergangenen
Jahr hat sie sich leider nur enthalten. Das ist angesichts
der vielen Zivilistinnen und Zivilisten, die durch die Einwirkung von abgereichertem Uran erkrankt oder verstorben sind, absolut beschämend. Ich appelliere an die Bundesregierung: Geben Sie sich einen Ruck, und setzen Sie
sich gegen den Einsatz von Uranwaffen ein!
({3})
Aber zurück zur weitaus zerstörerischsten und unmenschlichsten Waffe, der Atombombe. Uns liegt heute
ein Antrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert
wird, der Humanitären Initiative beizutreten. Deren Ziel
ist es, die Strategie der nuklearen Abschreckung als das
zu bezeichnen, was sie ist: ein Spiel mit dem Leben von
Millionen unschuldiger Zivilistinnen und Zivilisten. Jeder Einsatz von Atombomben hätte katastrophale Folgen
für das Überleben unseres Planeten. Kein Staat und
keine internationale Organisation wären in der Lage, humanitäre Hilfe zu leisten. In diesem Zusammenhang
macht es mir große Sorgen, wenn der US-Kongress im
Rahmen der Ukraine-Krise mit der Kündigung des Vertrages droht, der den Einsatz nuklearer Mittelstreckenraketen verbietet. Die Bundesregierung sollte entgegen ihrer bisherigen Gewohnheit deeskalierend auf diesen
Konflikt wirken. Jeder Drohung, Atomwaffen einzusetzen, muss unmissverständlich widersprochen werden.
({4})
In einigen Wochen wird die Überprüfungskonferenz
zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag in New York
stattfinden. Noch nie war dieser Atomwaffensperrvertrag so sehr in Gefahr wie momentan. Grund dafür ist
unter anderem die Stagnation bei der Umsetzung der
2010 beschlossenen Konferenz für eine Zone ohne Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten.
({5})
Viele Staaten der Region fühlen sich nicht mehr sicher,
und sie haben recht: Was hilft ein Atomwaffensperrvertrag, an den sich nicht alle Staaten halten? Es ist gut,
dass es bei den Atomverhandlungen mit dem Iran Fortschritte gibt. Ähnliche Fortschritte sind aber auch mit
der inoffiziellen Atommacht Israel notwendig. Entweder
dürfen alle Atomwaffen haben oder keiner.
({6})
Ich bin dafür, dass kein Staat Atombomben besitzen
darf.
({7})
Die Linke setzt sich für eine Welt ohne Atomwaffen und
ohne Atomkraftwerke ein. Wenn Sie das auch wollen,
dann müssen Sie dem Antrag zustimmen.
({8})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Höger, dann wollen wir einmal Ihren Versuch der
parlamentarischen Volksverdummung eindämmen. Sie
haben nämlich dem Parlament und der Öffentlichkeit
verschwiegen, worum es in Wahrheit bei der UN-Resolution geht. Bei der UN-Resolution geht es um Untersuchungen zur Schädlichkeit des Einsatzes von Uranmunition.
Sie verschweigen - und dadurch wird Ihre Absicht
der Täuschung sehr offensichtlich -, dass beispielsweise
die Bundesrepublik in der Bundeswehr seit rund vier
Jahrzehnten gar keine Uranmunition mehr einsetzt und
damit vorbildlich vorangeht. Sie verschweigen der Öffentlichkeit auch - und zwar nicht zum ersten Mal, sondern auch schon in der Debatte am 4. Dezember 2014;
ich habe das eben nachgelesen -, dass sich die Bundesrepublik Deutschland deswegen enthalten hat, weil sie
sich mit ihrer Forderung, auch neueste wissenschaftliche
Erkenntnisse in die Untersuchung der Schädlichkeit einzubeziehen, nicht durchsetzen konnte. Man hat sich
innerhalb der UN bedauerlicherweise und unverständlicherweise dafür entschieden, einen Teil des Wissensspektrums einfach auszublenden. Deswegen haben wir
gesagt: Wir enthalten uns. Wir wollen eine seriöse Untersuchung gewährleistet wissen. - Das war nicht gegeben. Aber weil wir in Deutschland nach wie vor überwiegend von der Schädlichkeit der Uranmunition
überzeugt sind und um das Verhalten der letzten Jahrzehnte nicht zu konterkarieren, haben wir uns enthalten.
Herr Abgeordneter, die Frau Abgeordnete Höger
fragt, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Das war eben schon so schwer erträglich, dass ich
diese Zwischenfrage nicht zulassen möchte. Das verbessert auch, ehrlich gesagt, ihre Position nicht.
({0})
Meine Damen und Herren, insofern kommen wir
heute zu einer Ablehnung der Anträge von Linken und
Grünen, die sich mit dem Komplex Uranmunition auseinandergesetzt haben.
Zum Thema der atomaren Abrüstung. Der Kollege
Brunner hat hier einige ganz allgemeine Überlegungen
in den Raum gestellt, verschiedene Regierungsmitglieder gelobt und ein Zitat an den Anfang seiner Rede
gestellt. Ich möchte seinem Beispiel folgen und mich
einmal auf Papst Franziskus beziehen, der Folgendes gesagt hat: Atomwaffen haben das Potenzial, uns und die
Zivilisation zu zerstören. Sie sind ein globales Problem,
das alle Nationen betrifft und Auswirkungen auf die zukünftigen Generationen sowie unseren Heimatplaneten
hat. - Meine Damen und Herren, ich sage: Dahinter können wir uns alle versammeln. Ich halte, Koalitionsfreund
Brunner, Ihre Behauptung „Atomwaffen braucht kein
Mensch“ so nicht eins zu eins für richtig.
Wir müssen den Blick auf die heutige Zeit richten. Ich
finde es bemerkenswert, dass da offensichtlich auch die
Kollegin Höger einen ganz dicken Balken in ihrem Auge
hat. Wir befinden uns in einer Zeit, in der man - das bekomme ich in vielen Gesprächen mit Bürgerinnen und
Bürgern mit - Angst vor kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa hat. Weswegen ist das so? Russland
hat einen Nachbarstaat überfallen, ausgeraubt, Teile des
Gebietes der souveränen Ukraine besetzt. Das geht an
uns allen nicht spurlos vorbei. Russland hat damit wichtigen Grundvoraussetzungen für Abrüstung, nämlich
Verlässlichkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit, einen
Bärendienst erwiesen. Es hat einen atomaren Abrüstungsvertrag gebrochen. Das Budapester Memorandum
von 1994 - im Übrigen haben wir das vor fast genau einem Jahr hier auch diskutiert - ist leider nicht mehr das
Papier wert, auf dem es geschrieben steht. Wir sehen
diese Entwicklung nicht nur im Bereich der atomaren
Abrüstung, sondern auch bei der konventionellen Abrüstung. Russland entzieht sich einer weiteren Teilnahme
am KSE-Abkommen, also an der Überwachung der konventionellen Waffenpotenziale. Das ist meines Erachtens
ein ganz schwerer Anschlag auf Vertrauen und Glaubwürdigkeit sowie auf gute Nachbarschaft in Europa.
Carsten Müller ({1})
Es hat in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von
Verletzungen des Luftraums der baltischen Staaten gegeben. Nun würden Sie sagen: Na gut, es sind eben auch
die bösen NATO-Staaten. - Aber wie erklären Sie dann
beispielsweise Luftraumverletzungen in Finnland? Ich
halte es - das hat der Kollege Brunner richtigerweise
angesprochen - für nicht angängig, dass ein russischer
Botschafter dem Staat Dänemark mit dem Einsatz von
Atomraketen gegen dänische Kriegsschiffe droht. Das
spricht für sich. So kann man Abrüstung leider nicht
fundiert ansehen. Wir wollen uns deswegen nach wie vor
im sicheren Schoß der nuklearen Teilhabe der NATO
aufgehoben wissen.
Die CDU/CSU - das will ich auch sagen - tritt für
Abrüstung ein, für konventionelle und nukleare, und
zwar insbesondere dann, wenn Abrüstung die Welt sicherer macht, und nicht, wenn einseitige Abrüstung die
Welt unsicherer macht und Despoten sich dadurch zu
Übergriffen ermutigt fühlen. Deswegen können wir den
Anträgen von Linken und Grünen nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({2})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem
Abgeordneten Jürgen Trittin, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir waren
in diesem Haus schon einmal weiter. Vor fünf Jahren
haben CDU/CSU, SPD, die damals noch existierende
FDP, die sich heute gefallen lassen muss, von Frau
Höger gelobt zu werden,
({0})
und die Grünen einen Antrag für eine Welt frei von
Atomwaffen verabschiedet. Damals war es möglich,
einen parteiübergreifenden Konsens in dieser Frage zu
erzielen.
({1})
Nun stellen wir fest: Das ist vorbei; den Konsens für die
atomwaffenfreie Welt gibt es nicht mehr. Sie haben sich
- Herr Müller hat das gerade gezeigt - von diesem Konsens verabschiedet. Was das Handeln angeht - nicht Ihre
Rede, Herr Brunner -, gilt das auch für die SPD.
Wir wollen an diesem Konsens festhalten, auch in
schwierigen Zeiten. Damals war es einfach, zu diesem
Konsens zu stehen. Es war der Zeitpunkt, wo Barack
Obama einen Neustart der US-russischen Beziehungen
wollte - übrigens das Gegenteil der von Putin behaupteten Einkreisungspolitik. Es gab eine neue Vereinbarung
zur Begrenzung strategischer Waffen. Aber diese ist unter die Räder gekommen, weil wir auf der Basis des
Bruchs international gültiger Abrüstungsabkommen
- das ist das Budapester Memorandum gewesen - in Europa in eine neue Situation geschlittert sind. Die Frage
ist doch nur: Reagieren wir wie sie und vergelten Gleiches mit Gleichem? Bewegen wir uns also in der Spirale
der gegenseitigen Aufrüstung? Oder zerstören wir die
Erzählung, das Narrativ, von Putin? Was hindert uns
zum Beispiel daran, nach erfolgten Verhandlungen mit
dem Iran zu sagen: „Wir brauchen keinen Raketenabwehrschirm“?
({2})
Was hindert uns daran, zu sagen: „Sie mögen mit absurden Äußerungen gegenüber Dänemark das Klima in Europa versauen, lieber Herr Putin, aber wir verabschieden
uns von der Lüge der Sicherheit durch Abschreckung“?
Das wäre doch eine vernünftige Reaktion, zumal wir alle
wissen, dass zur Bewältigung moderner Gefahren, der
Kriege und Krisen, Atomwaffen überhaupt nicht beitragen können. Die meisten Kriege sind asymmetrisch: zerfallende Staaten und Terrornetzwerke, Ungleichheit,
Korruption, Klimawandel, Dürre. Gegen all das hilft
kein einziger nuklearer Sprengkopf. Ein einziger würde
ausreichen, die Region von Norditalien bis Tschechien
und Österreich komplett zu verwüsten. Es hilft also
nicht, daran festzuhalten.
Interessanterweise teilt auch die Bundesregierung die
Einschätzung von den fatalen ökologischen und humanitären Folgen vom Einsatz von Atomwaffen; sie hat an
der Konferenz in Wien teilgenommen. Dennoch lagern
bis heute in der Vulkaneifel 20 einsatzfähige Bomben.
Jeden Morgen steigen deutsche Piloten auf und üben,
diese Atombomben abzuwerfen. Als die SPD noch in
der Opposition war, wollte sie die abziehen. Jetzt hat die
Große Koalition, die Bundesregierung, nicht einmal
mehr den Mut, die Erklärung der Humanitären Initiative
zu unterschreiben, wonach der Einsatz von Atomwaffen
- ich zitiere - „under any circumstances“, also unter allen möglichen Umständen, auszuschließen ist. 155 Staaten haben das unterschrieben. Aber Sie behaupten, das
sei mit der NATO-Mitgliedschaft nicht vereinbar. Tatsache ist: Norwegen, Dänemark und Island, alles NATOMitglieder, haben diese Erklärung unterschrieben. Was
hindert Sie, Herr Roth, was hindert die Bundesregierung
daran, diese Erklärung zu unterschreiben? Ich finde, das
kann nur politische Feigheit sein.
({3})
Hier sollen die Atomwaffen nicht nur nicht abgezogen,
sondern sogar modernisiert werden. Das ist absurd; das
ist feige.
Ich zitiere: Das Ziel von Global Zero ist keine Spielwiese für Utopisten; denn diese Waffen sind heute
militärisch obsolet. - So Frank-Walter Steinmeier. Herr
Steinmeier hat recht; aber dann handeln Sie auch danach. Machen Sie den Weg frei für ein atomwaffenfreies
Deutschland! Sorgen Sie für den Abzug der nuklearen
Teilhabe! Sorgen Sie dafür, dass diese Waffen nicht modernisiert werden!
({4})
Die Bitte kommt etwas spät; aber es wäre gut, wenn
die Redner bei der Äußerung ihrer wichtigen Gedanken
zwischendurch auch auf die Uhr schauen würden und
nicht nur auf das Redemanuskript. Wir haben das jetzt
akzeptiert. Aber prinzipiell diente dies der allgemeinen
Fairness. Die meisten nehmen sich den Höhepunkt für
den Schluss vor und verlegen den Schluss an das Ende
der Redezeit, genauer gesagt: dahinter. Dann sind wir bei
der Gewissensfrage, ob wir den schönen Gedankengang
unterbrechen. Wir haben ihn jetzt fließen lassen; aber es
wäre trotzdem fair, beim nächsten Mal die Redezeit einzuhalten.
Als letzter Rednerin in dieser Aussprache gebe ich
das Wort der Abgeordneten Julia Obermeier, CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit den 1970er-Jahren verzichtet die Bundeswehr auf den Einsatz von Uranmunition, auch wenn der
Einsatz von Munition aus abgereichertem Uran völkerrechtlich nach wie vor zulässig ist.
Was die gesundheitlichen Folgen betrifft, haben die
Bundeswehr und die Gesellschaft für Strahlenforschung
deutsche Soldatinnen und Soldaten nach ihrem Einsatz
im Kosovo untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ihre Gesundheit durch den Einsatz dieser
Munition nicht gefährdet war und sie zu keinem Zeitpunkt erhöhten Strahlenbelastungen ausgesetzt waren.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Studien der
NATO, der IAEO, der Weltgesundheitsorganisation, der
UNO und auch der Europäischen Kommission. Es konnten zwar Spuren von abgereichertem Uran in der Umwelt nachgewiesen werden. Allerdings lag die Belastung
weit unter den Grenzwerten der IAEO.
In den vorliegenden Anträgen fordern Sie, dass
Deutschland für eine UN-Resolution stimmt, die darauf
abzielt, die Auswirkungen der Uranmunition weiter zu
untersuchen. Allerdings werden die Ergebnisse der eben
genannten Studien in dieser Resolution nur teilweise
oder gar nicht berücksichtigt. Die Resolution ist also
nicht auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Das war
der Grund, warum sich Deutschland zusammen mit 20
anderen Nationen bei der Abstimmung im Sicherheitsrat
enthalten hat. An den Ursachen dieser Enthaltung hat
sich nichts geändert. Deshalb werden wir heute die beiden Anträge der Grünen und der Linken ablehnen.
Vor viel größeren Herausforderungen stehen wir bei
unseren Abrüstungsbemühungen angesichts des aggressiven Verhaltens Russlands. Seit Beginn der UkraineKrise wird der Ton Russlands gegenüber dem Westen
immer schärfer. Vor wenigen Tagen war in einer dänischen Zeitung eine Drohung des russischen Botschafters
zu lesen. Demzufolge - ich zitiere - „werden dänische
Kriegsschiffe zu Zielen russischer Atomraketen“. Russlands atomare Drohungen richten sich aber nicht nur gegen Dänemark, sondern auch gegen unsere Nachbarn
und weitere NATO-Staaten. Moskau will nun wieder
Iskander-Raketen in Kaliningrad stationieren. Diese Raketen können Atomsprengköpfe tragen und haben eine
Reichweite von knapp 500 Kilometern. Damit können
sie Warschau, Vilnius, aber auch Frankfurt an der Oder
erreichen. Mit diesen Einschüchterungsversuchen baut
Russland eine nukleare Drohkulisse auf. Die Abschreckung als Teil des Strategischen Konzepts der NATO
lebt dadurch traurigerweise wieder auf. Mit Blick auf
dieses aggressive Verhalten Russlands und auch auf die
aktuelle geopolitische Lage wäre es deshalb fatal, nun
alle US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa abzuziehen, wie Sie das in Ihrem Antrag fordern. Ebenso wenig darf sich Deutschland aus der operativen nuklearen
Teilhabe zurückziehen. Das wäre der falsche Schritt zum
falschen Zeitpunkt.
({0})
Das Verhalten der russischen Regierung führt uns vor
Augen: Wir sind leider weit entfernt von einer Welt ohne
Atomwaffen. Russland bricht internationale Verträge
wie das Budapester Memorandum. Freiwillig hat die
Ukraine 1994 auf ihre Atomwaffen verzichtet. Im
Gegenzug war der Ukraine die Unversehrtheit ihrer
Landesgrenzen zugesichert worden. Ihre Kollegin
Marieluise Beck hat heute in diesem Haus Russland zu
Recht als „gekränktes Imperium“ beschrieben, dessen
Verhalten nicht vorhersehbar ist. Deshalb ist es umso
problematischer, dass Russland internationale Bemühungen zur nuklearen Abrüstung weiter ablehnt. Der Kreml
hat im Dezember 2014 einen wichtigen Pfeiler der amerikanisch-russischen Nuklearkooperation aufgekündigt.
Dieses Abkommen sollte verhindern, dass Nuklearwaffen in falsche Hände geraten. Zudem lehnt die Führung
in Moskau Angebote der USA nach wie vor ab, ein
New-START-Abkommen zu verhandeln.
Sehr geehrte Damen und Herren, grundsätzlich würden wir uns in diesem Hause sicherlich alle eine atomwaffenfreie Welt wünschen. Dieses Ziel können wir aber
nicht über eine Einbahnstraße erreichen. Länder mit und
ohne Atomwaffen müssen diesen Weg gemeinsam beschreiten, sonst landen wir in einer gefährlichen Sackgasse. Deshalb werden wir auch diesen Antrag ablehnen.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende der Aussprache angekommen. Wir kommen jetzt zu einer Reihe von
Abstimmungen.
Tagesordnungspunkt 13 a. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Neue Dynamik für nukleare Abrüstung - Der
Humanitären Initiative beitreten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
18/4217, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3409 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? 9282
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 13 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 18/4218. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/3407 mit dem Titel „In UN-Generalversammlung der
Uranwaffen-Resolution zustimmen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3410 mit dem Titel „VN-Resolution zu Uranmunition zustimmen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes
Drucksache 18/3923
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({0})
Drucksache 18/4454
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/4457
Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär für die Bundesregierung.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als wir in
der Woche die unterschiedlichen Redezeiten und Redner
festgelegt haben, hat unser verkehrspolitischer Sprecher
Ulrich Lange darauf hingewiesen, dass die Lkw-Maut
weiblich sei und die Pkw-Maut männlich. Deswegen
freue ich mich sehr, die Debatte heute gemeinsam mit
Daniela Ludwig besprechen zu dürfen. Auch für die
Kollegin Ferner war der Grund, hierzubleiben, dass dies
aus frauenpolitischer Sicht berücksichtigt werden kann.
({0})
- Eben, Frau Wilms spricht auch. Das Thema ist auf jedem Fall hervorragend abgedeckt.
Spaß beiseite, zurück zum Thema. Wir haben hier in
den letzten Wochen sehr oft über verschiedene Verkehrsinfrastrukturfinanzierungen gesprochen, und diese haben
in den parlamentarischen Beratungen insgesamt einen
sehr breiten Raum eingenommen. Deswegen möchte ich
mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen
im Verkehrsausschuss für die wirklich guten und sachlichen Beratungen und für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ganz besonders möchte ich mich auch
bei den beiden Regierungsfraktionen für die vielen Berichterstattergespräche in vielen Bereichen, aber ganz
besonders für die konstruktive Zusammenarbeit zum
Thema Lkw-Maut bedanken.
Wir werden in dieser Woche eine weitere finanzpolitische Diskussion über die Einführung der Infrastrukturabgabe haben; darüber werden wir separat beraten. Jetzt
geht es erst einmal darum, uns anzusehen, wie sich die
Finanzierung in den nächsten Wochen und Monaten
durch die Ausweitung und die Vertiefung der Lkw-Maut
durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes entwickelt. Wir haben erst vor wenigen Wochen die erste Lesung gehabt. Da hatte ich bereits die Möglichkeit, den Gesetzentwurf, die Ziele und
den Inhalt ausführlich vorzustellen. Ich möchte das nicht
alles wiederholen, sondern nur eine kurze Zusammenfassung geben, worum es uns in dem Gesetz geht.
Was wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden, ist für uns ein ganz wichtiger Baustein; es handelt sich um ein ganz breites Maßnahmenpaket. Wir haben in unserem Haus bei der Finanzierung der
Infrastruktur die Notwendigkeit, zusätzliche Haushaltsmittel zu bekommen. Ich glaube, wir sind uns alle einig,
dass wir eine gute Infrastruktur brauchen. Wir haben,
zum Beispiel durch dieses Gesetz, 5 Milliarden Euro zusätzlich. Auch morgen werden wir ein Gesetz verabschieden, das zusätzlich Geld in die Kassen spülen wird.
({1})
Wir werden jetzt mit dem Gesetz zur Lkw-Maut in einem ersten Schritt die Mautpflicht zum 1. Juli 2015 auf
weitere 1 100 Kilometer vierstreifige Bundesstraßen
ausdehnen. Wenn man sich anschaut, wie viel das tatsächlich bedeutet, sieht man, dass es ein Zuwachs des
mautpflichtigen Streckennetzes von rund 8 Prozent ist,
sprich: von 14 000 Kilometern auf 15 100 Kilometer.
Welche Einnahmeerwartung haben wir da? Wir erwarten
im Zeitraum von 2015 bis 2017 zunächst einmal Einnahmen von insgesamt 200 Millionen Euro.
Es gibt einen zweiten Schritt. Der zweite Schritt soll
zum 1. Oktober 2015 erfolgen. Dann wird die Mautpflichtgrenze von derzeit 12 Tonnen auf 7,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht abgesenkt. Hier erwarten wir im
Zeitraum von 2015 bis 2017 zusätzliche Einnahmen von
insgesamt 675 Millionen Euro. Das sind für uns keine
Peanuts, sondern jeder einzelne Euro, jede einzelne Million sind sehr, sehr viel Geld für den Haushalt. Jeder
kann sich einmal überlegen, was das bedeutet. Uns liegen ja Briefe von fast allen Abgeordneten vor, in denen
Wünsche angemeldet werden.
({2})
- Nein, von Ihnen nicht, Frau Wilms. Ich weiß, dass Sie
dem Minister direkt schreiben.
({3})
Wir gehen also davon aus, dass insgesamt 170 000
Lkws aus dem In- und Ausland zusätzlich Maut bezahlen werden, allerdings mit deutlich geringeren mautpflichtigen Fahrleistungen als derzeit im schweren Straßengüterverkehr.
Wir hatten - das gehört in den parlamentarischen Beratungen dazu - selbstverständlich eine Diskussion über
die Erweiterung der Achsklasseneinteilung von bisher
zwei Achsklassen auf zukünftig vier Achsklassen. Wir
hatten auch eine Expertenanhörung zu diesem Thema
am 16. März 2015. Bei der Anhörung gab es noch einmal viele interessante Aspekte. Aber ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen, dass die Bundesregierung
die Befürchtung nicht teilt, dass mit der neuen Achsklasseneinteilung Fehlanreize zur Nutzung von Fahrzeugen
mit weniger Achsen gesetzt werden, also dass es durch
diese neue Achsklasseneinteilung zu Verschiebungen
von fünfachsigen zu vierachsigen Fahrzeugkombinationen kommen wird. Vielmehr halten wir diese vier Achsklassen für geboten, weil mit vier Achsklassen die verursachungsgerechte Anlastung der Wegekosten besser
gewährleistet werden kann.
An der Kostenstruktur im Güterkraftverkehr haben
die Mautkosten einen Anteil von 10 bis 15 Prozent. Die
Personal- und die Kraftstoffkosten haben mit über
50 Prozent einen weitaus gewichtigeren Anteil an den
Gesamtkosten.
Wir wollen selbstverständlich eine praxisnahe Lösung; das ist klar. Deswegen sage ich auch: Wir hatten
viele Diskussionen. Wir haben uns auf Kompromisse geeinigt, aber wir werden als Bundesregierung - das ist uns
wichtig - ganz genau beobachten, ob es durch die
Mautänderung zu Änderungen an den Fahrzeugflotten
kommt. Wir würden die entsprechenden Ergebnisse
selbstverständlich in das nächste Wegekostengutachten
einfließen lassen, um eventuelle Fehlanreize - sollte es
diese geben; davon gehen wir im Moment nicht aus - zu
minimieren.
Alles zusammengefasst, kann ich sagen: Ich glaube,
wir haben heute mit den unterschiedlichen Modellen
einen weiteren wichtigen Schritt gemacht, um unsere
Infrastruktur in Deutschland zukunftsfest zu machen und
in den nächsten Jahren aufzurüsten. Deswegen noch einmal vielen herzlichen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit. Ich hoffe, dass diese morgen genauso stattfindet.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt
Thomas Lutze das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, das mit morgen - weiß ich
nicht.
({0})
Da müssen wir alle noch eine Nacht drüber schlafen;
aber ich habe meine Bedenken, dass das funktioniert.
Kommen wir zu der Sache, um die es heute geht,
nämlich die Lkw-Maut. Hier begrüßen wir es grundsätzlich, dass in Zukunft mehr Fahrzeuge, mehr Verkehrsmittel von der Maut betroffen sein werden, also Maut
bezahlen müssen. Das ist richtig. Wir brauchen eine Abgabe, die wirklich streng nach dem Kriterium des Verursacherprinzips aufgestellt ist. Wie gesagt, da bewegen
wir uns im Moment in die richtige Richtung.
({1})
Die Gesetzesvorlage beinhaltet allerdings mehrere
Punkte - das ist auch vonseiten der Koalitionsabgeordneten immer wieder betont worden -, die nach wie vor
noch nicht so ausgereift sind, dass man sagen kann: Wir
machen hier ein Gesetz, das die nächsten zehn Jahre Bestand hat. - Ich glaube, auch dieses Gesetz werden wir in
dieser Wahlperiode noch das eine oder andere Mal zur
Vorlage bekommen. Das ist bei diesem Thema auch kein
Beinbruch; da können wir über alles reden.
Es ist uns bewusst, dass in diesem Gesetzentwurf eine
ganze Reihe von Ausnahmen vorhanden ist. Bei der einen oder anderen Ausnahme bin ich auch dabei. Wenn
man zum Beispiel sagt, dass Schausteller- und Zirkusbetriebe von der Maut befreit sein sollen, dann hat das
sicherlich gute Gründe. Wenn es allerdings weiter heißt,
dass Reisebusse - hiermit meine ich vor allem die Fernlinienbusse - von dieser Maut befreit sein sollen, dann
mache ich mehr als ein großes Fragezeichen daran.
Worum geht es eigentlich? Ich denke, dass wir die
Verkehrsmittel, über die wir in der Verkehrspolitik insgesamt reden, miteinander vergleichen müssen. Da ist es
für mich nicht nachvollziehbar, warum zum Beispiel ein
Zug- bzw. Bahnreisender für jeden Kilometer, den er
fährt, eine Streckengebühr bezahlen muss, dass auch für
jeden Halt, den der Zug an einer Station oder einem
Bahnhof macht, eine Gebühr fällig wird und dass Fernlinienbusse im Gegensatz dazu die Infrastruktur - sprich:
die Autobahnen und Bundesstraßen - vollkommen kostenfrei benutzen dürfen. Das halten wir von der Linken
für zumindest diskussionswürdig.
({2})
Es gibt natürlich Bedenken. Die Fernlinienbusse wurden auch deshalb eingeführt, weil man gesagt hat: Man
kann damit eine günstige, eine billige Alternative zur
teuren Bahn schaffen. - Die Frage ist nur: Was würde
denn in der Realität passieren, wenn man, wie wir vorschlagen, eine Fernbusmaut einführen würde? Eine
Fahrkarte von Berlin nach Saarbrücken zum Beispiel
würde ungefähr 1 Euro bis 1,50 Euro teurer werden. Bei
Fahrpreisen auf dieser Strecke von 25 Euro bis 50 Euro
ist das sicherlich ein absolut überschaubarer Betrag.
({3})
Bei allem Respekt: Bei diesen Summen bricht nicht sofort der komplette Fernbusmarkt zusammen. Das glaube
ich beim besten Willen nicht.
({4})
Wir als Linksfraktion haben einen Änderungsantrag
eingebracht. Wenn Sie ihm zustimmen, dann leisten Sie
einen Beitrag zu mehr Wettbewerbsgerechtigkeit zwischen den Verkehrsträgern und Verkehrsmitteln. Es
kann, wie gesagt, für meine Begriffe nicht sein, dass
man für einen Zug, der zum Beispiel von Frankfurt nach
Hamburg fährt, zahlen muss, während ein Fernbus, der
in aller Regel parallel zur Eisenbahn fährt, die Infrastruktur kostenfrei benutzen darf. Wenn wir eine Fernbusmaut hätten, würde sie dem Finanzminister rund
90 Millionen Euro pro Jahr einbringen. Dies ist sicherlich keine Riesensumme, aber verglichen mit dem, worum es in der Diskussion morgen gehen wird, auch kein
schlechter Betrag.
({5})
Ja, Fernbusse sind eine beliebte, da billige Alternative
zur Bahn und zum Flugzeug. Aber neben dem Wettbewerbsvorteil, den die Fernbusse bezüglich der Maut haben, gibt es weitere Schattenseiten: Die Fahrerinnen und
Fahrer werden im Gegensatz zu Lokführern oder Flugzeugpiloten unterirdisch bezahlt. Bis 2019 können diese
Busse nach wie vor völlig frei von Plätzen für Rollstuhlfahrer durch die Gegend fahren. Ich mache ein ganz großes Fragezeichen, ob das Gesetz, nach dem auch Fernbusse behindertengerecht sein müssen, 2019 umgesetzt
wird.
Zurück zur Maut. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag einfach zu! Sagen Sie Ja dazu! Dann würden wir
im Gegenzug auch Ja zu Ihrem Gesetzentwurf sagen.
({6})
- Es ist ganz einfach. Das ist ein kleiner Änderungsantrag. - Sie brauchen ihm nur zuzustimmen. Ansonsten
werden Sie von der Linken für Ihren Gesetzentwurf eine
wohlwollende, aber kämpferische Enthaltung bekommen.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Sebastian Hartmann, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
nehme einmal an, Herr Kollege, dass sich das Angebot
auf das heutige Mautgesetz bezogen hat und nicht auf
das morgige.
({0})
Okay, gut.
Wir konzentrieren uns jetzt heute auf heute; morgen
ist ja auch noch ein Tag. Tatsächlich ist das verkehrspolitisch eine bewegende Woche, wenn wir an den Ausschuss denken und an das, was in Europa passiert ist; das
ist für uns Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitiker
und alle hier im Hause auch nicht einfach.
Aber heute Abend sprechen wir über die Lkw-Maut,
und ich möchte mich bei den Ausführungen auch wirklich auf das Gesetz und unsere Perspektive, die wir in
dieses Gesetz hineinbringen, konzentrieren. Tatsächlich
- Sie haben es ausgeführt, Frau Staatssekretärin -: Es
geht um die Vertiefung und die Verbreiterung der Bemautung unserer Straßen. Das ist im Koalitionsvertrag
ausgeführt, wir haben es vereinbart. Auf der anderen
Seite gleichen wir auch Mindereinnahmen aus, die daher
kommen, dass wir den europäischen Rechtsrahmen ausschöpfen müssen. Da geht es auch um Kapitalkosten und
Zinskosten. Wir müssen in einer Wegekostenrechnung
auch die Kosten entsprechend nachweisen.
Wir gehen heute Abend einen Schritt, um insgesamt
die Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur mit
380 Millionen Euro - das ist nicht wenig Geld - an jährlichen Mehreinnahmen zu verstärken. Mehr Einnahmen
bedeutet: eine bessere und leistungsfähigere Infrastruktur. Wir gehen einen weiteren Schritt weg von der Haushaltsfinanzierung hin zu einer stärkeren Nutzerfinanzierung, folgen damit einem europäischen Trend.
Aber lassen Sie uns doch einen Ausblick wagen. Wir
gehen als Große Koalition weit über das hinaus, was wir
heute Abend beschließen. Wir haben deutlich gemacht,
wie die Perspektive des zukünftigen Mautsystems ausseSebastian Hartmann
hen soll. Wir werden uns verabschieden müssen von bestimmten Systematiken, die wir bislang zur Grundlage
der Bemautung gemacht haben. Das simple Zählen von
Achsen wird nicht mehr ausreichen, um Gewichte ausreichend abzubilden. Man muss sich vor Augen führen,
dass die Achsklasse der Vierachser im Moment Gespanne von 7,5 Tonnen bis zu 38 Tonnen unfasst; da
fehlt nicht mehr viel zu Fünfachsern mit bis zu 40 Tonnen.
({1})
Die Staatssekretärin ist auf die Anhörung eingegangen. Wir nehmen die Hinweise des Gewerbes ernst. Wir
nehmen die Hinweise der Speditionen ernst. Wir danken
auch für die wichtigen Hinweise, die wir von den Sachverständigen erhalten haben, auch durch die Stellungnahmen. Es ist wichtig, dass wir anerkennen, dass es
eine Achsklassenproblematik gibt, und dass wir Ergebnisse aus der bisherigen Bemautung und ihrer Kontrolle
in die zukünftige Fortentwicklung des Systems einfließen lassen und dieses System erweitern und ihm eine
Perspektive geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Die Härten, dass wir nach der bisherigen Systematik
das Gewicht anhand der Achsen nicht eindeutig abbilden
können, erkennen wir an. Wir zeigen mit unserem Entschließungsantrag auf, dass wir uns bei der Anlastung
der Infrastrukturkosten zukünftig viel deutlicher am tatsächlich auf die Straße gebrachten Gewicht orientieren
wollen; denn wir müssen den tatsächlichen Verschleiß,
den Verbrauch unserer Infrastruktur abbilden und genau
das bemauten.
Weil wir das in der bisherigen Systematik nicht so
einfach können - wir können nicht eine Vollbremsung
einlegen und das System von jetzt auf gleich umschalten -, ist es wichtig, dass wir dem Gewerbe ausreichend
früh die Perspektiven aufzeigen. Damit erreichen wir
zwei Dinge: Einerseits vermeiden wir eine kurzfristige
Umstellung des Fuhrparks, wie sie drohte, wenn jetzt ein
falscher Anreiz geschaffen würde, beispielsweise von
fünf auf vier Achsen umzustellen; denn es wird sich
nicht lohnen, den Fuhrpark für eine Übergangszeit umzustellen. Andererseits zeigen wir auf, dass wir uns näher am Gewicht orientieren wollen.
Eine zweite Erkenntnis konnten wir ebenso aus der
Anhörung der Sachverständigen entnehmen. Wir blicken
auf eine erfolgreiche Bemautung unserer Bundesfernstraßen, der Bundesautobahnen und der Bundesstraßen
zurück. Für die Freunde der Statistik: Wenn zu
1 200 Kilometern Bundesstraße, die bemautet werden,
weitere 1 100 Kilometer Bundesstraße hinzukommen,
was wir heute beschließen, dann zeigt das die Perspektive auf: dass wir demnächst alle Bundesstraßen einbeziehen müssen. Das ist ein Vielfaches der jetzt angestrebten Verdopplung der bemauteten Kilometer
Bundesstraßen. Das ist ein Ziel, das wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, und wir zeigen auch den Weg
auf: dass wir zur Mitte des nächsten Jahres mit einem eigenen Gesetzentwurf klarmachen werden, wie es mit der
Bemautung unserer Straßen weitergeht. Der verbindliche
Zeitplan wird erweitert.
({3})
Und nicht nur das: Wir haben in der Sachverständigenanhörung auch die Erfahrung gesammelt, dass die
Trennung in Mautkontrolldienst und Straßenkontrolldienst eine willkürliche Trennung ist, die aber aus haushalterischen Gründen notwendig ist. Wir wollen den Personaleinsatz zukünftig flexibilisieren, wenn das Geld im
Mautkreislauf rechtssicher angelastet werden kann. Das
eröffnet nicht nur eine effizientere Kontrolle unserer
Straßen, sondern eröffnet auch den Kolleginnen und
Kollegen im BAG - das ist für sie sehr wichtig - ganz
neue Perspektiven. Wir nehmen die Hinweise des Präsidenten des BAG, für die ich mich ausdrücklich bedanken
möchte, sehr ernst und sagen ihm zu, dass wir diesen
Weg weitergehen wollen.
({4})
Ein weiterer Gedanke ist: Wenn wir das System erweitern, dann wollen wir das auch durch die Verknüpfung des einen Verkehrsträgers mit den digitalisierten
Möglichkeiten der Zukunft tun. Wenn wir über intelligente Netze sprechen, dann müssen wir die Daten, die
wir durch das Lkw-Mautsystem gewinnen, nutzbar machen, und zwar anonym, nicht einer Person zuordbar,
nicht für andere Zwecke, sondern gemäß dem Gedanken,
dass wir mit intelligenten Netzen das System insgesamt
effizienter machen.
({5})
Frau Kollegin Dr. Wilms, wir schätzen den Austausch
immer. Aber bedenken Sie: Wenn wir die Netze intelligent machen und auf die Daten der Telematik zugreifen,
dann lassen sich Staukosten und unnötige Umweltbelastungen vermeiden sowie die Fahrzeuge sicherer machen.
Auch diese Perspektive zeigen wir auf. Wir machen die
Daten dabei entsprechend den Vorgaben des härtesten
europäischen Datenschutzes verfügbar. Frau Kollegin
Dr. Wilms, machen Sie doch einfach mit! Erkennen Sie
doch an, dass wir als Große Koalition sagen:
({6})
Ja, wir können bei der dritten Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes nicht alle Wege auf einmal gehen.
Aber im Gegensatz zu Ihnen zeigen wir sehr deutlich einen Weg auf, wie es gehen kann und wohin wir wollen.
({7})
Das lädt doch zur Zustimmung ein, liebe Frau Kollegin.
({8})
Angesichts meiner Redezeit, die abläuft, fasse ich zusammen: Wir stellen das System um. Wir verlagern die
Bemautung weg von den reinen Achszahlen hin zu der
tatsächlichen Belastung unserer Infrastruktur durch Gewicht.
Ein letzter Gedanke. Wir unterstützen die Bundesregierung auf ihrem Weg in Europa. Sie will dafür sorgen,
dass der europäische Rechtsrahmen weiterentwickelt
und die entsprechende Richtlinie angepasst wird. Zukünftig werden die externen Kosten der tatsächlichen
Belastungen durch Luftschadstoffe und Lärm im Rahmen eines entsprechenden Katasters den Infrastrukturkosten hinzugefügt, um eine faire Bemautung aller Verkehrsträger organisieren zu können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Vielen Dank. - Als Nächste hat die Kollegin
Dr. Valerie Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste auf den Tribünen! Frau Staatssekretärin
Bär, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein hübscher Versuch, reicht aber bei weitem nicht aus, um die Infrastrukturprobleme in diesem Land zu lösen. Mithilfe dieses
Gesetzes werden Sie zwar etwa 380 Millionen Euro einnehmen, wie Kollege Hartmann eben deutlich ausgeführt hat. Aber durch die Senkung der Lkw-Maut aufgrund des katastrophalen Wegekostengutachtens, das in
Gang gesetzt wurde, hatten Sie bereits Einnahmeverluste
in Höhe von 460 Millionen Euro zu verzeichnen. Betreiben wir nun einmal einfache Mathematik wie in der
Grundschule: 380 Millionen minus 460 Millionen ergibt
nach meiner Rechnung - das entspricht Adam Riese noch immer ein Minus von 80 Millionen. Ist das der
Weg nach vorne, den man beschreiten will, um mehr
Einnahmen zu erzielen? Fehlstelle, Sie haben nichts! Niente!
({0})
So lösen Sie die Infrastrukturprobleme garantiert nicht.
Bleiben Sie auf dem Teppich! Verkaufen Sie dieses Gesetz nicht als Chance auf riesengroße Einnahmesteigerungen!
Wie Sie wissen, wird es mit uns nur eine verursachergerechte Maut geben. Das beinhaltet eine Ausweitung
auf alle Bundesstraßen und eine Maut für Lkws ab 3,5
Tonnen. Also auch die sogenannten Sprinter müssen einbezogen werden.
({1})
Eine Pkw-Maut à la CSU - darüber werden wir morgen
noch sehr intensiv reden; ich schätze, dass dann auch Ihr
Minister persönlich anwesend sein wird - schließen wir
kategorisch aus, weil sie nicht verursachergerecht ist.
Ein Lkw zerstört die Straßen bis zu 60 000-mal mehr als
ein Pkw. Das muss sich auch in den Mautgebühren widerspiegeln.
({2})
Ich komme jetzt zu diesem Gesetzentwurf.
({3})
Wir werden ihn heute unterstützen, weil Sie damit einen
kleinen Schritt in die richtige Richtung gehen und versuchen, die Einnahmeverluste aus dem letzten Jahr etwas
auszugleichen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland gibt
es aber 32 000 Kilometer Bundesstraßen und nicht nur
1 100 Kilometer. Das sollten Sie schon ernst nehmen.
Sehen Sie darum zu, dass Sie so schnell wie möglich alle
Bundesstraßen in die Mautberechnung aufnehmen. Dann
erhalten Sie nämlich 2,3 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich, und damit könnte dieses Ruinenministerium
endlich auch einmal etwas Vernünftiges anfangen, nämlich einen Teil des Dilemmas der bröckelnden Republik
beseitigen.
({4})
Wir mussten den stetigen Verfall der Straßen in den letzten Monaten leidvoll erleben: an der Leverkusener
Rheinbrücke und an der Rader Hochbrücke. Das wird
sich im ganzen Land weiter fortsetzen, wenn wir nicht
gegensteuern.
Ich komme jetzt zu der tollen Anhörung, die der Kollege Hartmann hier angesprochen hat. In dieser Anhörung haben wir sehr deutlich gehört, dass es den Sachverständigen um eine gerechte Maut geht. Das wollen
wir auch. Wir wollen eine Maut, die die schweren Brummer stärker belastet, weil sie die größten Schäden an unseren Straßen anrichten. Hier müssen wir hin. Wir dürfen
uns nicht nur die Achslast anschauen, sondern wir müssen auch das Gesamtgewicht im Blick haben. Kollege
Hartmann hat das eben ja auch deutlich dargestellt. Dies
muss möglichst schnell in Gang kommen; denn bei uns
in Schleswig-Holstein fahren die Hunderttonner über die
Rader Hochbrücke und machen diese Brücke kaputt.
Warum sollte es sinnvoll sein, neue Achsklassen einzuführen? Es werden dann Fahrzeuge mit weniger Achsen eingesetzt, auf deren Achsen jeweils mehr Gewicht
lastet. Das, was Sie derzeit veranstalten, ist also grober
Unfug.
({5})
Ich appelliere daher an Sie: Beobachten Sie die Entwicklung ganz genau, und passen Sie die Achsklassen
schnellstens verursachergerecht an! Arbeiten Sie daran,
dass wir das Verkehrssystem endlich ausreichend erhalten können! Dafür brauchen wir dringend die Lkw-Maut
für alle außerörtlichen Straßen und für alle Fahrzeuge ab
3,5 Tonnen Gesamtgewicht, also auch für die Fernbusse.
Da sind wir mit dabei.
({6})
Beenden Sie das Klein-Klein, und übernehmen Sie endlich Verantwortung für den gesamten Verkehrsbereich! Wenn Sie das vielleicht, werte Kollegin, dem Minister
heute Abend noch mitteilen könnten, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Danke.
({7})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Daniela Ludwig, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Woche ist die Woche des Systemwechsels. Mit der
morgigen Debatte zur Pkw-Maut und mit der heutigen
Erweiterung und Vertiefung der Lkw-Maut bekennen
wir uns als Große Koalition ganz klar zum Verursacherprinzip und zur Nutzerfinanzierung. Das ist sicherlich
eine gute Nachricht an diesem Abend.
Der Erhalt und der Ausbau insbesondere der Verkehrsinfrastruktur werden uns natürlich auch künftig
weiter beschäftigen. Liebe Frau Dr. Wilms, es ist völlig
richtig, dass wir an der einen oder anderen Stelle dringenden Nachholbedarf haben. Ich will jetzt nicht wieder
die Vergangenheit bemühen, in der auch Sie ab und an
einmal Verantwortung in der Regierung trugen, aber ich
kann mich an kaum einen Verkehrsminister erinnern,
dem es gelungen ist, einen Verkehrshaushalt im Umfang
von 14 Milliarden Euro aufzulegen, wie es Alexander
Dobrindt in den nächsten Jahren gelingen wird.
({0})
Das ist ein sensationelles Ergebnis, und dafür brauchte
es halt erst die CSU und die CDU.
({1})
Auch die Lkw-Maut ist trotz einiger Wehwehchen
zum Zeitpunkt ihrer Einführung sicherlich eine Erfolgsgeschichte geworden. Das hängt nicht nur mit den zusätzlichen Einnahmen zusammen, sondern auch damit,
dass ihre geschickte Ausgestaltung gerade in den ersten
Jahren in der Branche Anreize für Investitionen in die
Flotte gesetzt hat, sodass es zu einer deutlichen Schadstoffreduzierung gekommen ist. Insofern ist es wichtig
und richtig, diese Erfolgsgeschichte mit diesem Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen, nun auch fortzuschreiben.
Es ist völlig richtig gesagt worden: 1 100 Kilometer
vierstreifig ausgebaute Bundesstraßen mehr, nicht mehr
nur Zwölftonner, sondern Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen.
({2})
Natürlich wird es auch - liebe Frau Dr. Wilms, Sie haben
unseren Koalitionsvertrag, wie ich Sie kenne, sicherlich
gut gelesen - die Ausweitung auf alle Bundesstraßen geben.
({3})
Dazu haben wir uns frühzeitig bekannt. Das ist Wille
dieser Großen Koalition. Seien Sie sich sicher: Wir setzen dieses Ziel genauso konsequent um wie morgen die
Pkw-Maut.
Wir haben aber auch, lieber Kollege Hartmann - Sie
haben die Kniffe, wie ich finde, schon perfekt genannt -,
die Schwächen erkannt, die sich gerade in den letzten
Monaten gezeigt haben. Das war letztlich auch der
Grund für unseren Entschließungsantrag, für den ich hier
stark werben möchte.
({4})
Damit wird der Finger in die Wunde gelegt, und damit
werden die Knackpunkte angegangen.
({5})
Wir wollen, dass die Datengrundlage für das nächste
Wegekostengutachten deutlich überarbeitet und deutlich
verbessert werden; denn es ist genauso, wie Sie sagen:
Die tatsächliche Belastung der Infrastruktur durch die
Fahrzeuge muss ausschlaggebend sein. Das muss am
Ende des Tages unser Ziel sein und kein Umweg über diverse Berechnungsmethoden. Ich glaube, da sind wir
wesentlich näher beieinander, als das der eine oder andere Redebeitrag vermuten lassen würde.
Wir müssen uns auch auf europäischer Ebene für Verbesserungen einsetzen - auch das finden Sie in unserem
sehr gelungenen Entschließungsantrag -,
({6})
nämlich für die mögliche Anlastung externer Kosten.
Auch muss die Methodik für die Wegekostenrechnung
so weiterentwickelt werden, dass ein noch höherer Kostendeckungsgrad erreicht wird sowie deutlich mehr Stabilität im Hinblick auf die anlastbaren Wegekosten. Wir
brauchen nicht nur Rechtssicherheit, sondern wir brauchen auch Finanzsicherheit.
In diesem Sinne glaube ich, dass wir heute einen
wichtigen Schritt in die richtige Richtung tun, aber dass
wir damit nicht am Ende sind, sondern dass im Gegenteil
noch sehr viel Arbeit vor uns liegt. Darüber, dass wir die
Lkw-Maut noch ökologischer und noch verursacherge9288
rechter ausgestalten müssen, sind wir uns alle einig. Deswegen ist der nächste richtige Schritt die Ausweitung auf
alle Bundesstraßen dieser Republik. Wichtig für uns:
Wir gehen es an. Morgen packen wir die Pkw-Maut.
In diesem Sinne: Vielen herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4454,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/3923 anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/4462 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Änderungsantrag
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in der dritten Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/4463. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke gegen
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich brauche jetzt
nur noch für kurze Zeit Ihre ganze Aufmerksamkeit. Ich
verspreche Ihnen auch, dass ich Sie dann, wenn das hier
jetzt zügig geht, entlasse.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Niema
Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Hunger bekämpfen, Recht auf Nahrung stär-
ken
Drucksachen 18/1482, 18/3613
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. -
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.1)
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3613, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/1482 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes
Drucksache 18/2231
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({1})
Drucksache 18/4355
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4355, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/2231
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption
Drucksache 18/4350
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2})
Innenausschuss
1) Anlage 6
2) Anlage 7
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4350 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes ({3})
Drucksache 18/4349
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({4})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
1) Anlage 8
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) Ich sehe keinen Widerspruch.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4349 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich
sehe, Sie sind alle damit einverstanden. Dann ist die
Überweisung beschlossen.
Wie versprochen, sind wir jetzt am Schluss unserer
heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27. März 2015, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.