Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/26/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte einen Augenblick Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu unserer heutigen Plenarsitzung und möchte Sie auf einige Änderungen unserer Tagesordnung aufmerksam machen. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG durch Ausgliederung ({0}) ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({1}) a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 170 zu Petitionen Drucksache 18/4440 b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 171 zu Petitionen Drucksache 18/4441 c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 172 zu Petitionen Drucksache 18/4442 d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 173 zu Petitionen Drucksache 18/4443 e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 174 zu Petitionen Drucksache 18/4444 f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 175 zu Petitionen Drucksache 18/4445 ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu den Vor- schlägen des Bundeswirtschaftsministers zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes bei Kohle- kraftwerken und zur Förderung der Kraft- Wärme-Kopplung ZP 4 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen Drucksache 18/3990 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({8}) Drucksache 18/4455 - Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4459 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Thomas Lutze, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland Drucksachen 18/806, 18/4455 Präsident Dr. Norbert Lammert c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes ({11}) Drucksache 18/3991 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({12}) Drucksache 18/4448 - Bericht des Haushaltsausschusses ({13}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4458 Dabei soll, soweit erforderlich, wie üblich von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 5 - hier geht es um den Bericht der Bundesregierung über die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland - und 15 - da geht es um die Beratung eines Antrags über eine Entscheidung des Bundessozialgerichts im Hinblick auf die Kürzung der Grundsicherung - werden abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Bevor wir in diese Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Mit jähem Entsetzen und tiefer Trauer haben wir die Nachricht vom verheerenden Flugzeugabsturz in den Alpen erhalten. Es ist eine menschliche Tragödie, die Deutschland, Spanien und Frankreich in Schock und Schmerz eint. Unter den 150 Opfern sind viele Menschen aus Deutschland und Spanien, darunter auch viele junge Menschen, sehr junge Menschen: 16 Schüler und Schülerinnen und zwei Lehrerinnen eines Gymnasiums der Stadt Haltern sind unter den Toten. Jeder von uns hat eine Vorstellung, was eine solche Nachricht für die eigene Familie oder den eigenen Freundeskreis bedeuten würde. Wir trauern mit den Angehörigen der Opfer und ihren Freunden. Und wir sprechen ihnen allen unser tiefes Mitgefühl aus. Deutschland hat nach diesem Unglück viel internationale Anteilnahme erfahren: aus Frankreich, aus Spanien, aus vielen anderen Ländern. „Heute sind wir alle Deutsche und Spanier“, hat mir die portugiesische Parlamentspräsidentin geschrieben. Für diese Zeichen des Mitgefühls in einer für uns alle besonders bitteren Stunde sind wir dankbar. Dankbar sind wir auch den Mitgliedern der Rettungsund Bergungsmannschaften, mehr als 600 Einsatzkräfte, die unter schwierigsten Umständen an der Unglücksstelle arbeiten und das ihnen Menschenmögliche tun. Die Frage nach dem Grund für den Absturz ist naturgemäß noch unbeantwortet und wird sich vielleicht auch nicht so bald verlässlich klären lassen. Aber selbst wenn wir die Antwort wissen, wird das für die Betroffenen kein Trost sein. Der Schmerz über den Verlust bleibt. Deshalb gilt ein besonderer Dank und Respekt all denen, die den Hinterbliebenen in diesen Stunden voller Verzweiflung nun zur Seite stehen - in Barcelona wie in Düsseldorf, in Haltern am See und in Seyne-les-Alpes in den französischen Alpen. Die Angehörigen der Opfer erleben jetzt eine unbeschreiblich schwere Zeit. Wir sind in unseren Gedanken bei ihnen und fühlen uns ihnen in einer ganz besonderen Weise verbunden. Und wir wünschen ihnen die Kraft und die Zuversicht, diese schwere Herausforderung zu bewältigen. Ich danke Ihnen. ({15}) Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits Drucksache 18/3693 ({16}) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({17}) Drucksache 18/4352 b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits Drucksache 18/3694 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({18}) Drucksache 18/4353 c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits Drucksache 18/3695 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({19}) Drucksache 18/4354 Präsident Dr. Norbert Lammert Zu diesem Tagesordnungspunkt darf ich die Botschafter und hochrangige Vertreter aus allen drei Ländern, auch den Botschafter Spaniens, auf der Ehrentribüne herzlich begrüßen. Mein ganz besonders herzlicher Gruß gilt dem Präsidenten des ukrainischen Parlaments und seiner Delegation. ({20}) Sehr geehrter, lieber Herr Groysman, uns allen ist der enge Zusammenhang bewusst zwischen den Verhandlungen über die Assoziierung mit der Europäischen Union und den Freiheitskämpfen auf dem Maidan. Ihre Anwesenheit heute unterstreicht die überragende Bedeutung, die Sie und das frei gewählte Parlament der Ukraine der europäischen Perspektive Ihres Landes beimessen. Wir freuen uns auf die künftige enge Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern und unseren Parlamenten, und wir wünschen Ihnen viel Kraft und Erfolg auf diesem nicht ganz einfachen Weg. Herzlich willkommen! ({21}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zu diesen Abkommen 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister des Auswärtigen, FrankWalter Steinmeier. ({22})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Europäische Union steht jetzt vor dem Abschluss dreier Assoziierungsabkommen mit Ländern in ihrer östlichen Nachbarschaft: mit Georgien, mit der Republik Moldau und mit der Ukraine. Die Abkommen sind wichtig. Sie sind wichtig für unsere Nachbarn, aber nicht weniger wichtig für Europa und unser Verhältnis zur europäischen Nachbarschaft. Wohl kaum ein Abkommen der EU hat so viel internationale Aufmerksamkeit erfahren wie das zwischen der EU und der Ukraine. Bei unserer heutigen Debatte im Deutschen Bundestag - der Bundestagspräsident hat gerade darauf hingewiesen - ist eine Delegation der ukrainischen Rada zu Gast. Verehrter Herr Parlamentspräsident, lieber Volodymyr Groysman, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem ukrainischen Parlament - dasselbe will ich für die anwesenden Botschafter der Ukraine, Georgiens und der Republik Moldau sagen -, seien Sie uns alle herzlich willkommen! ({0}) Die Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, von der ich sprach, rührt natürlich zuallererst daher, dass sich große Hoffnungen auf diese Abkommen richten, über die wir jetzt entscheiden: die Hoffnungen der Menschen in der Ukraine zum Beispiel auf Wachstum und Arbeit nach langer Stagnation, auf eine moderne und transparente Demokratie nach Korruption und nach Misswirtschaft, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es hat lange gedauert, bis die Verhandlungen überhaupt eröffnet wurden. Dann wurde sechs Jahre lang zwischen der Europäischen Union und der ukrainischen Führung verhandelt, dann die Kehrtwende unter Janukowytsch - wir erinnern uns alle -, und jetzt hat die ukrainische Regierung durch ihre Zustimmung zum Assoziierungsabkommen besiegelt, dass sie gemeinsam mit der Europäischen Union an dieser besseren Zukunft arbeiten will. Nun ist es an den Staaten der Europäischen Union, ihre Seite des Versprechens zu bekräftigen. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, werbe ich heute um Ihre möglichst breite Zustimmung in diesem Deutschen Bundestag. ({1}) Die Aufmerksamkeit für dieses Abkommen ist aber natürlich auch deshalb so groß, weil es im Zusammenhang steht mit einer dramatischen politischen Krise, die seit über einem Jahr nicht nur die Ukraine überschattet, sondern die Friedensordnung, wenn ich das so sagen darf, in ganz Europa. Gerade jetzt, wo wir vor dem Abschluss dieser drei Abkommen stehen, gilt es, deutlich zu sagen: Nicht die Intensivierung einer Partnerschaft ist die Ursache für die Zuspitzung des Konflikts, sondern Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine. Nicht der Weg der Kooperation hat uns in die Krise geführt, sondern der Weg der Konfrontation. Und weitere Konfrontation führt uns nicht hinaus, sondern weiter hinein in diesen Konflikt, und deshalb müssen wir sie vermeiden. ({2}) Deshalb sage ich immer wieder, auch gerne heute erneut und auch gerade an unsere russischen Nachbarn: Die Nachbarschaftspolitik der EU ist gegen niemanden gerichtet. ({3}) Wir wollen eine gute Zusammenarbeit nicht nur mit unseren Nachbarn, sondern auch mit den Nachbarn unserer Nachbarn. Alle 28 europäischen Außenminister haben das kürzlich in Riga deutlich zum Ausdruck gebracht. Vor allem ist es unsere gemeinsame Überzeugung hier in Deutschland, in der Regierung und sicherlich auch im Parlament. Auch deshalb sind wir so sehr um eine politische und nicht um eine militärische Lösung des UkraineKonflikts bemüht. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sie gelingt. ({4}) Eigentlich haben wir seit über 40 Jahren eine Grundlage, die es uns ermöglicht, die Vorgänge zu beurteilen. Kraft des Prinzips der Gleichberechtigung - darf ich zitieren und des Selbstbestimmungsrechts der Völker haben alle Völker jederzeit das Recht, in voller Freiheit … ihren inneren und äußeren politischen Status ohne äußere Einmischung zu bestimmen … So heißt es wortwörtlich in der KSZE-Schlussakte von 1975, die mit der Zustimmung Russlands zustande gekommen ist. Deshalb sage ich: Nur auf dieser gemeinsamen Basis können wir den akuten Konflikt entschärfen, entlang der konkreten Vereinbarung des Minsker Abkommens. Nur so kann die Basis für eine neue Zukunft unserer Beziehungen auch mit Russland geschaffen werden. Am Bemühen unsererseits wird und darf es auch nach Enttäuschungen und nach Rückschlägen nicht fehlen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Aber zurück zu den Assoziierungsabkommen. Diese drei Assoziierungsabkommen stellen die Beziehungen der Europäischen Union zu Georgien, Moldau und der Ukraine wirklich auf eine neue Stufe. Sie werden zu einem völlig neuen Grad an politischer Zusammenarbeit und wirtschaftlicher Verflechtung führen. Aber nicht nur das; die Abkommen bringen für unsere drei Partnerländer auch große Aufgaben mit sich, an deren Erfüllung in den kommenden Jahren zu arbeiten sein wird. Das wird mühsam, keine Frage. Der Prozess der Assoziierung verlangt von der Ukraine, von Georgien und von der Republik Moldau tiefgreifende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen. Aber ich weiß eben auch: Die Hoffnungen, die die Menschen in diesen Prozess legen - diese Hoffnungen setzen auch Kräfte frei. Das können wir jetzt schon in einigen der Länder sehen. Die Republik Moldau hat im letzten Jahr den Visaliberalisierungsprozess geradezu in Rekordzeit abgeschlossen. Georgien hat Justiz, Verwaltung und Grenzmanagement in bemerkenswerter Weise modernisiert. Und die Ukraine ist trotz des Konfliktes im eigenen Land zu Reformen bereit, sei es im Energiebereich oder bei der Korruptionsbekämpfung. Präsident Groysman hat mir gegenüber, aber, wie ich vermute, auch gestern im Auswärtigen Ausschuss den Fahrplan für die Reformen noch einmal erläutert. Wir wollen nicht vergessen: Schon Ende 2014 wurde ein erstes Reformgesetzpaket verabschiedet. Meine Damen und Herren, wir haben Interesse an dem Weg der Reformen - als Europäische Union und als deutsche Bundesregierung. Vor allen Dingen ist das allerdings im Interesse der drei Länder selbst. Deshalb wünsche ich Ihnen - das sage ich den drei Botschaftern und den anwesenden Parlamentsvertretern -, dass Ihnen die notwendige politische Unterstützung in Ihren Ländern nicht versagt bleibt. Denn eines bleibt am Ende auch wahr: Wir können diesen Reformprozess vonseiten der deutschen Regierung und der Europäischen Union unterstützen und werden das auch tun, aber getrieben werden muss er vom politischen Willen in den drei Ländern selbst. ({6}) Wenn der Weg gelingt, meine Damen und Herren, dann können diese drei Assoziierungsabkommen auch über die Partnerländer hinaus Wirkung entfalten. Auch unseren drei anderen östlichen Partnern Armenien, Aserbaidschan und Belarus, die keine Assoziierung mit der EU anstreben, wollen wir mit individuellen Angeboten gerecht werden. Auch in diesem Fall will ich betonen: Die Hand, die wir Armenien, Aserbaidschan und Belarus reichen, ist zugleich auch in Richtung Russland ausgestreckt. Denn die Europäische Union will nicht nur starke Einzelbindungen; wir wollen eine gute, stabile Nachbarschaft in und mit der gesamten Region. Das wird auch der Leitgedanke auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga sein. Größtmögliche Stabilität und Kooperation in einem möglichst großen Raum - daran ist uns allen gelegen: der EU, unseren östlichen Nachbarn und hoffentlich Russland auch. Ich bin jedenfalls überzeugt: Die Aufgaben, die vor unseren Nachbarn liegen, lassen sich ohnehin nicht lösen, wenn sie vor die Wahl zwischen Ost und West gestellt werden. Auch der Wiederaufbau der Ukraine wird nicht auf einem Bein gelingen - so dringend notwendig die Unterstützung des Westens auch sein wird. Eine bessere Zukunft für unsere Nachbarn liegt nicht im Entweder-oder, sondern im Sowohl-als-auch. Deshalb unterstützen wir als deutsche Bundesregierung nachdrücklich die trilateralen Gespräche zwischen der Ukraine, Russland und der EU. Wenn nach Auslaufen des augenblicklich noch geltenden Moratoriums zum Jahresende die Streitigkeiten über Handelsbeziehungen und Vereinbarkeit von Handelsregelungen nicht erneut aufbrechen sollen, dann rate ich - auch der Europäischen Kommission - dringend dazu, den Trilog endlich fortzusetzen und die Gespräche nicht weiter zu vertragen. ({7}) Ich komme zum Ende. Die Lage ist ernst. Europas Friedensordnung ist ins Wanken geraten. Jetzt geht es um Verantwortung, die wir, die Staaten der EU, unsere Nachbarn und auch Russland tragen. Die drei Abkommen, die vor uns liegen, können einen Beitrag zu Europas Friedensordnung sein. In dieser Verantwortung wollen wir nicht nur hier über sie abstimmen und sie unterzeichnen, sondern vor allen Dingen wollen und müssen wir sie in den kommenden Jahren mit Leben erfüllen. Herzlichen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke. ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Außenminister! Der renommierte US-amerikanische Politologe John Mearsheimer hat in seinem viel beachteten Aufsatz „Putin reagiert“ die Verantwortung für den Konflikt in der Ukraine vor allen Dingen dem Westen zugeschoben. Er benennt zwei zentrale Gründe dafür: erstens die NATO-Osterweiterung, zweitens die EU-Osterweiterung. Diese Assoziierungsabkommen, die wir heute diskutieren, sind Teil dieser Osterweiterung. Herr Steinmeier, Sie sagen, es dürfe kein Entwederoder geben. Die Geschichte des Jahres 2014 hat aber gezeigt, dass dieses EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine als Entweder-oder angelegt war. So hat es auch Kommissionspräsident Barroso gesagt. Wir lehnen das Entweder-oder ab, und wir lehnen deshalb auch dieses EU-Assoziierungsabkommen ab. ({0}) Die drei Assoziierungsabkommen haben zwei Dimensionen: einmal - das ist der größere Teil - eine wirtschaftspolitische Dimension, aber auch eine sicherheitspolitische, eine militärische Dimension. In allen Abkommen ist die tiefere Integration dieser Staaten in das europäische Sicherheitssystem angelegt. Auch das ist ein Problem, und das ist eine der Sorgen, die auch Russland in diesem Fall hatte. Aber die wichtigere und auch größere Dimension ist die wirtschaftspolitische Dimension. Es geht nicht nur um Ost gegen West, EU oder Russland, sondern es geht auch darum, dass diese Abkommen, wirtschaftspolitisch betrachtet, radikal neoliberale Abkommen sind. Es gibt dort ganz viele Bekenntnisse zur freien Marktwirtschaft, etwa in der Präambel. Aber vergeblich sucht man in diesen Abkommen nach Bekenntnissen etwa zur sozialen Marktwirtschaft oder nach einem Bezug auf das europäische Sozialstaatsmodell, das ja auch ein Kern europäischer Werte ist. Wir lehnen diese radikal neoliberalen Abkommen ab. ({1}) Im Kontext der Installierung dieser Abkommen, zum Beispiel in der Ukraine, sind ja schon viele Reformen eingefordert worden, zum Beispiel die drastische Erhöhung der Gas- und Strompreise oder der Wasserpreise für Privathaushalte. Der Tagesspiegel beziffert die durchschnittliche Erhöhung der Kosten für einen Zweipersonenhaushalt in der Ukraine, die zum 1. April 2015 in Kraft treten soll, auf 88 Prozent. Am 1. April dieses Jahr! Die WirtschaftsWoche schreibt dazu - ich zitiere -: Den Ukrainern bleibt nicht mehr viel zum Leben. Während es der Bevölkerung immer schlechter geht, können Oligarchen wie Staatspräsident Petro Poroschenko nicht klagen. Die Gewinne seiner Schokoladenfabriken haben sich verachtfacht. Auch seinen Freunden und Rivalen geht es nicht schlecht. Die Oligarchen kontrollieren das Bankensystem, die Stromversorgung und die Ölgesellschaften des Landes. Wir haben vor wenigen Tagen gesehen, dass auch einzelne Oligarchen wie Kolomojskyj Privatarmeen haben, die sie einsetzen. Das darf nicht sein. Auch im Zuge der Diskussion um das Assoziierungsabkommen müssen diese Privatarmeen aufgelöst werden, ebenso wie die freiwilligen Bataillone, die ja auch zum Teil von Kolomojskyj finanziert werden. ({2}) Erinnern wir uns einmal an die dramatische Entwicklung in der Ukraine: das Assoziierungsabkommen, die blutigen Unruhen auf dem Maidan, der verfassungswidrige Umsturz, die Gegenbewegung, die Sezession der Krim, der Krieg im Osten, der Versuch, das militärisch zu lösen, und natürlich die Reaktion Russlands - ich will das ja nicht verschweigen. All das, glaube ich, sollte uns einmal innehalten und überlegen lassen, ob wir nicht eine andere Ostpolitik anvisieren sollen, eine Ostpolitik, die nicht auf Konfrontation mit Russland setzt, und die vor allen Dingen wirtschaftspolitisch auf Entwicklung, auf Kooperation und nicht auf neoliberale Abkommen setzt. Ich glaube, eine solche Ostpolitik wäre dringend notwendig. Ich fordere Sie auf, eine solche Debatte in der Europäischen Union anzustoßen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Franz Josef Jung ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Vorbemerkung: Herr Hunko, ich will das, was Sie hier gerade eben als Schuldzuweisung an den Westen, was die Frage der Konfliktsituation in der Ukraine anbelangt, gesagt haben, mit allem Nachdruck zurückweisen. ({0}) Die Assoziierungsabkommen, die hier heute zur Abstimmung stehen, sind ein deutliches Signal an die freiheitsliebenden, an die europäisch gesinnten Menschen in der Ukraine, in Moldau und in Georgien. Deshalb werden wir diesen Assoziierungsabkommen auch zustimmen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Ratifizierung dieser drei Assoziierungsabkommen treffen wir heute, denke ich, auch eine historische Entscheidung. Es geht um die Stärkung der politischen, der wirtschaftlichen und der kulturellen Beziehungen zwischen der Europäischen Union, der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau. Und, meine Damen und Herren, es ist ein selbstbestimmter Weg, den diese Nationen hier im Hinblick auf Europa gewählt haben. Der Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen - das ist die Grundlage der Vereinbarungen der KSZE -: Es geht um die Selbstbestimmung der Völker. Und wenn die Völker hier eine klare Entscheidung für Europa treffen, dann sollten wir diese Entscheidung heute mit Nachdruck unterstützen. ({2}) Es geht auch um gleichberechtigte Beziehungen zu diesen Nationen, die ehemals in den Machtbereich der Sowjetunion gehört haben. Damit verbunden ist nicht nur der zollfreie Zugang zu den Märkten der Europäischen Union, sondern auch die Übernahme der rechtlichen und wirtschaftlichen Standards der Europäischen Union. Ich denke, wir als Deutsche, aber auch als Europäer übernehmen eine große Mitverantwortung, damit dieser Weg der schrittweisen Annäherung an Europa ein Erfolg wird. Meine Damen und Herren, insofern sind diese drei Abkommen der Europäischen Union mit Ländern außerhalb der Europäischen Union auch ein Stück weit einzigartig. Das Schlüsselland in diesem Prozess ist die Ukraine. Deshalb müssen wir, wie ich denke, uns immer wieder daran erinnern, dass die Aussetzung dieses Abkommens durch den damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch zu den Maidan-Demonstrationen geführt hat, bei denen sich Tausende Menschen in bitterer Kälte für Freiheit, für Demokratie, für Europa eingesetzt haben und Hunderte ihr Leben verloren haben. Wir dürfen diese Menschen nicht im Stich lassen und müssen heute in diesem Sinne eine positive Entscheidung für Freiheit und Europa treffen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, leider ist auch wahr, dass Russland bisher alles getan hat, um den Prozess der Annäherung an die EU in diesen Ländern zu erschweren. Es geht jetzt in der Ukraine darum, dass das Abkommen Minsk II in allen Teilen entsprechend umgesetzt wird. Diese Assoziierungsabkommen - das will ich ebenfalls unterstreichen - richten sich gerade nicht gegen Russland. Vielmehr geht es um eine engere Verknüpfung der Wirtschaftsräume. Hierbei bleibt die Hand nach Russland ausgestreckt. Es gibt die Vereinbarung zwischen der Europäischen Union, der Ukraine und Russland, den wirtschaftlichen Teil des Abkommens bis zum Ende dieses Jahres auszusetzen. Ich denke aber, es ist auch richtig - hier will ich auf das verweisen, was die Bundeskanzlerin auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos formuliert hat -, dass wir einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit Russland von Lissabon bis Wladiwostok anstreben. Aber dazu gehören immer zwei Seiten. Deshalb sage ich: Es geht hier nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. Unsere Hand bleibt weiterhin ausgestreckt. Es ist kein Signal gegen Russland, sondern es ist ein Signal für Freiheit und Europa, aber auch für eine Zukunftsperspektive in Europa und darüber hinaus. Deshalb, glaube ich, sind diese drei Abkommen so einzigartig und wichtig. Aus diesem Grund sollten wir ihnen heute auch zustimmen, meine Damen und Herren. ({4}) Nachdem ich das mit Blick auf Russland so formuliert habe, will ich noch einmal unterstreichen: Das Abkommen Minsk II muss in all seinen Teilen eingehalten werden. Das gilt insbesondere für den Waffenstillstand, der bisher nicht in allen Bereichen gewährleistet ist. Zwar wissen wir: Es gibt eine Strecke von immerhin 500 Kilometern, auf der die Waffen im Wesentlichen schweigen. Aber es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen, die zu beenden sind. Es geht auch um den Rückzug der schweren Waffen und insbesondere um die Gewährleistung der Kontrolle durch die OSZE. Die Separatisten müssen sicherstellen, dass die OSZE die unmittelbare Kontrolle hat, damit es zu einer friedlichen Entwicklung kommt. Wir wollen damit natürlich auch den Reformprozess beschleunigen. Besonders unterstreichen will ich das, was das ukrainische Parlament, die Abgeordneten und Präsident Groysman, bereits beschlossen hat. Es sind schon Reformen auf den Weg gebracht worden. Jetzt geht es in der Ukraine darum, dass die Reformen, die beschlossen worden sind, in der Verwaltung umgesetzt werden, damit die Menschen spüren, dass sich etwas verbessert. Es geht nicht nur darum, Gesetze zu beschließen, sondern sie müssen auch ihre Umsetzung finden. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Schritt, bei dem wir der Ukraine helfen müssen, damit sich die Situation vor Ort konkret verbessert. ({5}) Meine Damen und Herren, vorrangig geht es um die wirkungsvolle Bekämpfung der Korruption, eine Reform des Justizsystems, die Gewährleistung einer funktionierenden Verwaltung und eine Verfassungsreform mit dem Ziel der Dezentralisierung. Hierbei sollen die Regionen eingebunden werden. Ich halte es für richtig, dass die Macht der Oligarchen zurückgedrängt wird. Die Oligarchen haben in diesem Staat immer noch viel zu viel politischen Einfluss. ({6}) Dass Präsident Poroschenko dafür gesorgt hat, dass der Oligarch Kolomojskyj als Gouverneur abgesetzt wird, halte ich für ein Signal in die richtige Richtung. Die Macht der Oligarchen in der Ukraine muss zur Verbesserung der Situation der Menschen vor Ort zurückgedrängt werden. ({7}) Meine Damen und Herren, ich denke, dass sich die Menschen in der Ukraine vom politischen Wandel eine sichtbare Verbesserung erhoffen. Wir stehen an ihrer Seite, wenn es darum geht, diese Reformprozesse konkret umzusetzen. Wir sollten unsere Leistungen mit den Reformanstrengungen der Ukraine verbinden, um so zu einer schnelleren Verbesserung der Situation vor Ort beizutragen. Das, was für die Ukraine gilt, gilt im Hinblick auf die europäische Anbindung auch für Moldau und Georgien. Diese Länder der Östlichen Partnerschaft verdienen ebenfalls unsere Unterstützung. Moldau ist nach dem letzten Regierungswechsel, bei dem es zu einer Minderheitsregierung gekommen ist, in keiner einfachen Situation. Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist es richtig, das Assoziierungsabkommen hier und heute zu ratifizieren, um auch dort den Prozess in Richtung von Freiheit, Europa und unseren gemeinsamen Werten weiter zu fördern und zu unterstützen. Seit der Rosenrevolution hat Georgien seine Beziehungen zur Europäischen Union kontinuierlich ausgebaut. Tiflis hat fortlaufend an Reformen in Politik und Wirtschaft gearbeitet, die von der Europäischen Union im Rahmen der Östlichen Partnerschaft unterstützt worden sind. Georgien wird mit dem Abkommen weiter in den Binnenmarkt integriert. Weiteren Fortschritten im Bereich der Justiz und auf den Gebieten von Freiheit und Sicherheit wird der Weg geebnet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesen drei Assoziierungsabkommen haben wir die Chance, den drei Ländern eine Perspektive im Hinblick auf Europa zu eröffnen. Wir müssen allerdings feststellen: Wir beraten diese drei Abkommen in einer besonderen Situation. Ich unterstreiche: Wenn diese Länder - die Ukraine, Moldau und Georgien - sich in freier Selbstbestimmung enger an die Europäische Union binden wollen, wenn sie unsere Werte teilen wollen, wenn sie die Lebenssituation der Menschen vor Ort verbessern wollen, wenn sie damit auch Europa politisch stabiler machen wollen, dann sollten wir heute mit möglichst breiter Mehrheit diesen drei Assoziierungsabkommen für eine freiheitliche, für eine demokratische, für eine europäische Entwicklung in der Ukraine, in Moldau und in Georgien zustimmen. Herzlichen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrter Präsident! Sehr verehrte Herren Präsidenten! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach 1989 haben wir Europäerinnen und Europäer das große, das einmalige Glück gehabt, dass eine solche Umwälzung der Welt für uns, die wir jetzt in der Europäischen Union sind, fast komplett friedlich abgelaufen ist - fast komplett friedlich: Die Toten von Vilnius werden wir nämlich auch nicht vergessen. Das Glück, bei einer solchen Umwälzung für Stabilität in unserer Nachbarschaft sorgen zu können, die es vorher nicht gegeben hat, dieses Glück verdanken wir einem Konzept der Europäischen Union, das da lautet: Wir wollen Transformation durch Werte. Dazu gehören: Demokratie, freier Markt, Rechtsstaatlichkeit. Dieses Konzept ist die Grundlage für die Beziehungen der Europäischen Union zu ihrer Nachbarschaft, und es ist - daran wird sich trotz allen Unterstellungen vom Kreml und von sonst wo nichts ändern - richtig. ({0}) Dieses Konzept baut darauf, dass wir Frieden und Stabilität in unserer Nachbarschaft haben werden, wenn wir Anreize schaffen für Transformation in diesen Ländern: Transformation, die aufhört mit Oligarchie, Transformation, die den Zustand beendet, dass mit der Ökologie und der sozialen Situation der Menschen im Land schlecht umgegangen wird. Diese Transformation soll die Menschen ermächtigen, über die Zukunft ihrer Länder selber zu entscheiden. Herr Hunko, auf dieses Konzept hat der Kreml keine andere Antwort als Militär. Das können Sie doch nicht verteidigen! Stehen Sie - bei aller Kritik, die ich Ihnen zubillige - ein für das friedliche Konzept der Europäischen Union! ({1}) Im Januar 2007 lag das Verhandlungsmandat des Europäischen Rates vor. Seit 2007 steht die Assoziierung mit der Ukraine - übrigens als Ablösung der Partnerschafts- und Assoziierungsabkommen, die wir mit allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach 1989 geschlossen haben - auf der Tagesordnung. Zu behaupten, das sei die Provokation gewesen, die dann sieben Jahre später zu einem Krieg geführt hat, ist meiner Ansicht nach schlichtweg nicht logisch. ({2}) Das andere, was auch wichtig ist: Es war in der Ukraine ein Konsens zwischen allen politischen Parteien, die Assoziierung mit der Europäischen Union zu suchen. Es war in der Ukraine ein Konsens zwischen al9160 len politischen Parteien aus unterschiedlichen Gründen; aber niemand hat jemals gesagt: Wir dürfen das wegen Russland nicht machen. - Sogar Herr Putin wurde vor einigen Jahren zitiert mit den Worten: Wenn die Ukraine in die EU aufgenommen würde, hätte ich kein Problem damit. ({3}) Wenn Sie von einem Entweder-oder-Spiel reden, möchte ich ganz deutlich sagen: Das Entweder-oderSpiel ist vom Kreml aufgemacht worden. ({4}) Die Assoziierung steht nicht dem Freihandel zwischen der Ukraine, zwischen Moldau, zwischen Georgien und Russland entgegen. Es ist das Konzept der Eurasischen Wirtschaftsunion, was einer Assoziierung entgegensteht. Den Status quo der Freundschaft der Ukraine und des Handels der Ukraine mit Russland stellt das Assoziierungsabkommen nicht infrage. ({5}) Ich glaube, dass wir diese freie Entscheidung würdigen müssen. Ich glaube, dass es an die Grundlage der Werte der Europäischen Union ginge, wenn wir die freie Entscheidung der Länder, über deren Assoziierung wir heute abstimmen, ignorieren würden. Wir würden damit an etwas rütteln, was seit 1989 eines der entscheidenden Prinzipien war, nämlich: Ihr dürft euch in unsere Richtung orientieren; aber wir verlangen von euren Ländern Reformen im Sinne von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und natürlich auch gutnachbarschaftlichen Beziehungen. Aber natürlich kann man nicht sagen: Weil der Nachbar diese Beziehungen infrage stellt, dürft ihr euch nicht mehr assoziieren. - Das ist ein Fehlschluss; davon bin ich überzeugt. ({6}) Ich bin der festen Überzeugung: Wir müssen alles dafür tun, um die Ukraine und die Region zu stabilisieren. Die Assoziierungsabkommen können ein Schritt auf diesem Weg sein. Sie müssen umgesetzt werden, und zwar nach und nach in einem demokratischen und transparenten Prozess im Land - nicht einfach nur von oben nach unten. Das Gleiche gilt für Moldau und für Georgien. Die neue Regierung in Moldau macht uns in dieser Hinsicht wirklich Sorgen. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir - früher oder später - die Transformationskräfte in all diesen Ländern auf der politischen Bühne nur dann wirklich entscheidend voranbringen können, wenn es nicht länger ein Tabu ist, über eine EU-Perspektive für diese Länder zu reden. Ohne eine EU-Perspektive, denke ich, werden wir eine erfolgreiche Transformation dieser Länder nicht bis zum letzten Schritt erreichen können. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Franz Thönnes für die SPD-Fraktion. ({0})

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Gäste aus Georgien, aus Moldau und aus der Ukraine! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidungen, um die es heute geht, haben ihre Grundlage in der seit Mai 2009 von der EU und ihren Mitgliedstaaten verfolgten Politik des Auf- und Ausbaus einer Östlichen Partnerschaft mit den Ländern Aserbaidschan, Armenien, Georgien, Moldau, Ukraine und Weißrussland. Diese Partnerschaftspolitik war zentral darauf ausgerichtet, das Alltagsleben der Menschen in diesen Ländern Stück für Stück zu verbessern, Wohlstand und Lebensstandard in einem friedlichen Miteinander zu erhöhen. Dazu gehörten die Öffnung der Märkte, politische Reformen zur Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, eine intensivere Einbindung in die Zivilgesellschaft, Schritte zur Angleichung von Standards in verschiedenen Bereichen der Verwaltung und bei Fragen in den Bereichen Energie, Umwelt- und Klimaschutz, die Stärkung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung der Krake Korruption. Mittel und Instrument sollten die Assoziierungsabkommen, begleitet von umfassenden Freihandelsabkommen, sein. Nun kann keiner der politisch Handelnden auf dem europäischen Kontinent behaupten, während des knapp fünfjährigen Prozesses jeden Tag alles richtig und nichts falsch gemacht zu haben. Diese Feststellung ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass Aserbaidschan, Armenien und Weißrussland kein Assoziierungsabkommen unterzeichnen. Aber sie ergibt sich auch aus der Tatsache, dass der Weg von der Aufnahme der Verhandlungen bis zum jetzigen Abschluss und zur Ratifikation der Assoziierungsabkommen mit Georgien, Moldau und der Ukraine nicht frei von Konflikten dieser Länder und der Europäischen Union mit dem größten Nachbarn im Osten, nämlich mit Russland, war. Handelsauseinandersetzungen, gewalttätige Konflikte, Drohungen bis hin zu kriegerischen Handlungen, der Bruch des Völkerrechts durch Russland und der Verstoß gegen OSZE-Prinzipien, die Drohung mit und die Anwendung von Gewalt gegen die Ukraine haben uns in Europa in eine Situation geführt, in der die Gefahr einer neuen Spaltung nicht mehr irreal erscheint. In dieser Situation sind jetzt alle gehalten, Beiträge zur Deeskalation - in der Praxis wie in der Rhetorik - und zur Sicherung des Friedens zu leisten. ({0}) Deshalb ist in der aktuellen Lage in Europa nach wie vor das oberste Gebot, alles dafür zu tun, dass die Minsker Vereinbarungen der vier Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Russlands, der Ukraine und Deutschlands zum Waffenstillstand und zur friedlichen Konfliktlösung Schritt für Schritt nachprüfbar umgesetzt werden, und zwar von allen, die darin als Akteure genannt wurden hüben wie drüben. Dennoch ist der heutige Tag wie der 16. September des vergangenen Jahres, als das Europaparlament den Assoziierungsabkommen zugestimmt hat, ein Tag der Freude und der Perspektive - einer Perspektive, für die sich die Menschen in den Ländern Georgien, Moldau und der Ukraine engagiert haben, für die sie gestritten haben, für die sie bei Wahlen gestimmt haben, einer Perspektive der größeren Nähe zur Europäischen Union, zu mehr Wohlstand und mehr Freiheit. Diese Perspektive muss nicht bedeuten, dass die bisher existierenden engen internationalen Verbindungen und Wirtschaftsbeziehungen aufgegeben werden müssen, sondern sie kann mit dazu beitragen, zusammen von einer gemeinsamen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu profitieren. Moldau hat den Prozess der Assoziierung sehr intensiv mit der EU betrieben. Im Juni/Juli 2014 erfolgten Unterzeichnung und Ratifizierung. Das Gleiche gilt für Georgien. Seit April 2014 gilt die Visafreiheit. Dennoch gibt es enge Beziehungen zu Russland. Es gibt die Energieabhängigkeit, die Abhängigkeit mit Blick auf den Export moldauischer landwirtschaftlicher Produkte, und außerdem gewährleisten 600 000 bis 800 000 moldauische Gastarbeiter in Russland 20 Prozent des moldauischen Bruttoinlandsproduktes. Hier sind auch die russischen Handelsrestriktionen, die wir zu Recht kritisieren, und nicht zuletzt die offene Transnistrienfrage zu nennen. Bei allem Bekenntnis zu Europa müssen wir dennoch die geringe Wahlbeteiligung bei der letzten Wahl realisieren und sagen: Hier gilt es, mehr gute Arbeit zu leisten und für eine klare Unterstützung bei den zukünftigen Reformen zu sorgen, damit mehr Zuspruch gewonnen wird. Georgien ist sehr ambitioniert, insbesondere bei der Stärkung des Rechtsstaates und der Korruptionsbekämpfung. Doch auch hier gibt es Streitigkeiten innerhalb der Regierung, die nicht gerade Stabilität vermitteln. Meine Besuche in der Ukraine haben mir in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder deutlich gezeigt, wie stark die Europabegeisterung der Menschen ist und wie stark ihr Wille ist, nach 20 Jahren der Korruption und der Ausbeutung durch ein korruptes Staatswesen endlich einen guten Weg in Richtung Europa zu gehen. ({1}) So geschunden das Land durch die Konfliktlage und die kriegerische Auseinandersetzung ist, so ungebrochen ist der breite Wunsch der Menschen, den Weg nach Europa zu gehen. Nun gilt es, die Herkulesaufgabe der inneren Reformen trotz aller äußeren Widrigkeiten zielstrebig voranzutreiben, und zwar mit konkreter Implementierung. An Unterstützung soll es dabei nicht mangeln. Die Menschen dürfen nicht noch einmal enttäuscht werden. Denn mit der Zustimmung des ukrainischen Parlamentes zum Assoziierungsabkommen ist man ein Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger eingegangen; dafür hat die Maidan-Bewegung monatelang gekämpft, und dafür haben Menschen ihr Leben gelassen. ({2}) Die Herausforderungen sind enorm. Die Erwartungen im Inneren und von außen sind groß. Auf der Agenda stehen die konsequente Umsetzung der Beschlüsse von Minsk, eine Verfassungsreform, der Aufbau eines Rechtsstaates, die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols - nicht zuletzt durch die Entwaffnung aller staatlich nicht legitimierten Personen und Truppen -, der Kampf gegen Korruption und die Begrenzung der Macht der Oligarchen. Zu welchen Konflikten das führen kann, haben wir gerade bei der Entmachtung von Kolomojskyj gesehen. Zu nennen ist aber auch die ökonomische Realität: ein Wirtschaftseinbruch um circa 15 Prozent in 2014, 1,2 Millionen verlorengegangene Arbeitsplätze, 2 bis 3 Millionen Menschen ohne Arbeit, 50 Euro Durchschnittsrente, 130 bis 160 Euro Durchschnittseinkommen, Steuersätze von 20 Prozent, 8 Millionen registrierte Beschäftigte, 12 Millionen Rentnerinnen und Rentner. In dieser Relation erkennt man das Spannungsverhältnis. Die Finanzministerin, Frau Jaresko, sagt schon jetzt, die 40 Milliarden US-Dollar vom IWF und von der EU würden nicht ausreichen, und Gunter Deuber von der Raiffeisen Bank International in Wien prognostiziert gar einen Bedarf von 200 Milliarden US-Dollar in den kommenden Jahren. Wenn man sich das Ganze anschaut, dann erkennt man: Es geht jetzt darum, dass die Reformen die Menschen überzeugen müssen. Es müssen gute Reformen sein, die auch wahrnehmbar sind. Dazu gehört auch der soziale Dialog zwischen den Gewerkschaften, den Arbeitgebern und der Zivilgesellschaft, der in allen drei Assoziierungsabkommen gefordert wird. Es ist notwendig, die einzelnen Reformschritte gemeinsam zu diskutieren und zu beraten. Die Gespräche mit Gewerkschaftsvorsitzenden und mit der Führung des Arbeitgeberverbandes bei meinem Besuch in der Ukraine vor einigen Tagen haben mir deutlich gemacht, dass hier durchaus noch Spielraum nach oben ist. Wenn jetzt Finanzströme von Kiew in die Regionen fließen, weil diese mehr Verantwortung tragen sollen, dann müssen eine entsprechende Kontrolle und ein ent9162 sprechendes Monitoring stattfinden. Die neu gewählten Kommunalpolitiker müssen dafür unsere Unterstützung bekommen. ({3}) Wir alle bleiben als Parlamentarierinnen und Parlamentarier gefordert, unsere guten Kontakte in einen weiteren, intensivierten Erfahrungsaustausch einzubringen, damit sich Gutes aus den genannten Assoziierungsabkommen entwickeln kann. Abschließend ist auf die gemeinsame Verantwortung für die friedliche Entwicklung in diesem gesamten geografischen Raum - nicht zuletzt aufgrund der genannten Verflechtungen - hinzuweisen. Ich denke hier an folgende Passage in der Minsker Vereinbarung der vier Staats- und Regierungschefs: Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich unverändert zur Vision eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Deshalb gilt es, diesen Satz zusammen mit den Assoziierungsländern, der EU und Russland verantwortungsvoll durch gemeinsame Dialoge umzusetzen. Dazu gehört es auch, die Bestrebungen zur Visaliberalisierung mit den drei Ländern, aber auch mit Russland zu intensivieren, damit die Menschen sich begegnen und die vielfältigen Lebensweisen kennenlernen können und damit Fehlinformationen und eine falsche Informationspolitik den Frieden in Europa nicht gefährden. Stimmen wir dem Assoziierungsabkommen zu! Mit Verantwortung zur Verantwortung durch Verantwortung! Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Exzellenzen! Kolleginnen und Kollegen! Man muss schon über die Ziele sprechen - verständigen kann man sich nicht unbedingt -, wenn man diese Abkommen beurteilen will. Ich möchte Ihnen die Ziele der Linken vorstellen und begründen, weswegen wir glauben, dass die Abkommen nicht in eine vernünftige Richtung führen. Unser Ziel ist nach wie vor die Verfolgung der Idee von Michail Gorbatschow eines gemeinsamen Hauses Europa. Dieses Ziel haben wir doch einmal zusammen gehabt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie: das gemeinsame Haus Europa. Wir glauben und wollen, dass in diesem gemeinsamen Haus jeder seinen Platz findet. Es sind viele Zimmer zu vergeben. Da werden auch die Bevölkerungen der Ukraine, Moldawiens und Georgiens und die Bevölkerungen vieler anderer Länder ihren Platz finden. Die Einrichtung des anderen muss uns nicht gefallen und auch nicht die Art, wie er die Feten in seinen Räumen feiert. Aber wir müssen in einem gemeinsamen Europa zusammenleben wollen; das muss die Zielsetzung sein. ({0}) Wir haben versucht, uns Gedanken darüber zu machen, ob diese drei Abkommen zu einem gemeinsamen Haus Europa hinführen oder davon wegführen. Ich sage Ihnen: Diese drei Abkommen vertiefen die Spaltung in Europa. Deswegen werden wir ihnen nicht zustimmen. ({1}) Ich meine die Spaltung zwischen oben und unten - das kann man anhand der Abkommen nachvollziehen -, die Spaltung zwischen Ost und West, eine Spaltung, die wir endlich überwinden müssen, statt sie wieder zuzulassen. Man wartet da auf Signale. Ich habe in Ihrer Rede, Herr Jung, und auch in der Rede des Außenministers gehört - die Grünen haben dazu nichts gesagt; das ist typisch -, dass für Sie Sicherheit in Europa nur mit Russland und nicht gegen Russland möglich sein kann. Das haben wir Ihnen immer vorgetragen. Ich freue mich ja, dass Sie auch etwas von der Linken lernen. Von uns kann man viel lernen, wenn man genau hinhört. Fragen Sie doch einmal, ob Ihre Politik in diese Richtung angelegt ist. Ich sage Ihnen eins: Wenn Sie den Mut gehabt hätten, die Debatte über die Assoziierung mit dem Vorschlag zu verbinden, einige Sanktionen gegen Russland aufzuheben, wenn Sie beides miteinander gekoppelt hätten, dann hätten Sie einen Schritt in diese Richtung gemacht und wir hätten trotz aller Bedenken vielleicht zustimmen können. ({2}) Das haben Sie nicht gemacht. Sie haben im Gegenteil die Sanktionen gegen Russland verschärft. Deswegen sage ich Ihnen: Sie reden von Verständigung; dafür finden Sie unseren Beifall. Ihre praktische Politik aber bedeutet eine Verschärfung der Situation in Europa; das finde ich schlimm. Hier möchte ich eine andere Regelung haben. ({3}) Ich bin es leid, dass jeder hier von Visafreiheit redet. Wir reden seit ein paar Jahren darüber. Aber wenn es dazu kommt, sich für diese Visafreiheit zu entscheiden, blockiert die CDU/CSU jeden Schritt in diese Richtung. ({4}) Sie reden zwar davon, aber handeln anders: Das ist Ihre Politik. Diese sollten Sie endlich überwinden. ({5}) Ich möchte gern, dass Sie in Richtung eines gemeinsamen Hauses Europa einen Weg finden, um die schweren sozialen Verwerfungen oder zumindest die sozialen Auseinandersetzungen, die in der Ukraine mit Sicherheit kommen werden, unblutig zu überwinden und humanitäre Hilfe in Europa gemeinsam zu gestalten. Ich möchte auch, dass endlich mehr Demokratie gewagt wird. Es ist kein gutes Zeichen, wenn in Moldawien kurz vor den Wahlen eine unliebsame Partei einfach verboten wird. ({6}) Hätte diese Partei kandidieren können, wäre es in Moldawien zu einem anderen Ergebnis gekommen. Auch das gehört zu einem gemeinsamen Kampf für Demokratie in Europa dazu.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Vaatz möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sie sind bereit, diese zuzulassen? - Bitte schön, Herr Kollege Vaatz.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gehrcke, ich möchte Sie fragen, wie Sie es wagen können, von Demokratie zu reden, wenn Ihnen der Wille der Mehrheit der Menschen im Baltikum, der Mehrheit der Menschen in der Ukraine, der Mehrheit der Menschen in Moldawien und der Mehrheit der Menschen in Georgien ganz offensichtlich völlig gleichgültig ist. Ihnen geht es in Ihrer Rede nur um eines: Bahn frei für Russland! ({0}) Ich schließe daraus, dass Sie in diesem Parlament überhaupt nicht die linke Fraktion sind, als die Sie sich betiteln. Sie sind nichts anderes als der politische Arm des russischen Expansionismus. ({1}) Sie sind auch keine Linken mehr. Seitdem die russische Regierung ihr linkes Mäntelchen abgestreift hat und nach knallrechten expansionistischen Kriterien operiert, blasen Sie genau in deren Horn. Sie haben jede Glaubwürdigkeit in diesem Land verspielt. Sie waren immer auf der Seite der russischen Aggressionen: Sie waren auf der Seite der russischen Aggressionen, als es 1968 um die Tschechoslowakei gegangen ist, und Sie sind auf der Seite der russischen Aggressionen, wenn es heute um die Ukraine geht. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis. ({2})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Jetzt müssen Sie schon stehen bleiben, Herr Vaatz. Es gehört zum Prozedere, sich die Antwort im Stehen anzuhören. - Was ich in diesem Parlament wagen kann oder nicht wagen kann, das entscheiden Gott sei Dank nicht Sie, sondern in erster Linie die Wählerinnen und Wähler. ({0}) Mit denen bin ich im Dialog. Wir sind hier doch nicht in einer Erziehungsanstalt, in der einer sagen kann, was der andere sich wagen kann. Jeder darf sich wagen, seine politische Überzeugung hier im Parlament auszudrücken. Das ist Teil der Demokratie. ({1}) Ansonsten danke ich Ihnen für die Zwischenfrage. So ein glänzendes Beispiel von Antikommunismus, von Verkennen der Realität in Europa, wie Sie es hier vorgeführt haben, hätte ich mir gar nicht ausdenken können. Herzlichen Dank, Herr Vaatz! Ich bin Ihnen dankbar für diese Intervention. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Manfred Grund für die CDU/CSU. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Exzellenzen! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien sind gut für die Menschen in diesen Ländern und sind gut für das Zusammenleben und das Zusammenwachsen im gemeinsamen Haus Europa. ({0}) Das Bild vom „gemeinsamen Haus Europa“ geht auf eine Rede Michail Gorbatschows aus dem Jahre 1987 zurück, in der er wörtlich sagte: Europa ist … ein gemeinsames Haus, wo Geografie und Geschichte die Geschicke von Dutzenden von Ländern eng miteinander verwoben haben. Er sagte weiter: Doch nur zusammen, gemeinschaftlich und indem sie die vernünftigen Regeln der Koexistenz befolgen, können die Europäer ihr Haus bewahren … es besser und sicherer machen … Meine Damen und Herren, genau das wollen und das sollen die Assoziierungsabkommen bewirken: unser gemeinsames Haus Europa bewohnbarer, besser und sicherer machen. Ganz wichtig: Diese Abkommen sind nicht gegen Russland gerichtet. Russland ist Europa. Wir sind Nachbarn im gemeinsamen Haus Europa. Wir sind überzeugt, dass Russland der wichtigste Nachbar der Europäischen Union bleibt und Sicherheit in Europa nur mit Russland, aber auch nur unter Mitwirken Russlands zu erreichen ist. ({1}) Was aber ist passiert, dass aus dem von Gorbatschow vorgeschlagenen Ausbau des gemeinsamen Hauses Europa unter Wladimir Putin der Casus Belli, ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, wird, nur weil die Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnen will? Bis 2012 hat Wladimir Putin mehrfach versichert, dass er sich selbst einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine nicht widersetzen würde. In 2004 hat er es als damaliger russischer Präsident wörtlich so ausgedrückt: Wenn die Ukraine der Europäischen Union beitreten will, können wir das nur begrüßen. Und weiter: Russland könne davon nur profitieren. ({2}) Mit seiner Wiederwahl in 2012 hat Wladimir Putin seine Position aber radikal verändert; nicht wir haben uns verändert, sondern Putin hat seine Position verändert. Im August 2013 erklärte Putin, „Schutzmaßnahmen“ durchführen zu wollen, sollte die Ukraine das Assoziierungsabkommen unterzeichnen. Die Moskauer Zeitung Wedomosti schrieb kürzlich in einem Kommentar, dass sich Putin für die Meinung Europas nicht mehr interessiert. Wörtlich hieß es: Vielmehr ist nun die Entscheidung gefallen, sich vom Westen zu verabschieden. Mit anderen Worten, Herr Kollege Gehrcke: Putin kündigt die Wohnung Russlands im gemeinsamen Haus Europa. Wir bedauern die Selbstisolation Russlands unter Präsident Putin, werden aber gemeinsam mit der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau an diesem gemeinsamen Haus Europa weiterbauen. Meine Damen und Herren, warum sind die Assoziierungsabkommen für diese Transformationsländer so wichtig? Diese Abkommen sind vor allem eines: Sie sind Reformprogramme für die Modernisierung dieser Länder. Ihr Inhalt geht über Freihandel und wirtschaftliche Integration hinaus. Sie sind Instrumente, um die Länder Osteuropas an europäische und weltweite Standards von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und gutem Regierungshandeln heranzuführen. Damit soll den Menschen in der Ukraine, in Moldau und Georgien vor allem eines geboten werden: wirtschaftliche und demokratische Perspektiven. Denn in der Ukraine, in Moldau und Georgien haben die Menschen Jahrzehnte des Verfalls, der Stagnation, der Korruption und der Perspektivlosigkeit erlebt. Diese Menschen wollen eine Chance. Sie wollen eine Perspektive. Sie wollen Frieden und Wohlstand anstatt Willkür und Oligarchenherrschaft. Sie wollen die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren. Sie wollen Rechtssicherheit, den Schutz der Schwachen und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Genau dabei sollen die Assoziierungsabkommen helfen. Dafür haben junge Menschen auf dem Maidan in Kiew gekämpft. Dafür hat sich eine Mehrheit der Moldauer bei den Parlamentswahlen am 30. November letzten Jahres entschieden. Und genau daran werden wir das Handeln der Regierungen dieser Länder messen. Eines will ich ausdrücklich festhalten: Oligarchen gehören für uns weder in die Politik noch in die Wirtschaft. ({3}) Meine Damen und Herren, Wladimir Putin hat die Europäische Union einmal mit einem erloschenen Stern verglichen, dessen Licht durch das All strahlt, jedoch nicht mehr wärmt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Europäische Union ist von überzeugender Strahlkraft und hoher Attraktivität. Die europäische Sonne wärmt heute in ihrer Peripherie noch viel stärker als im Zentrum. ({4}) Wer ein Beispiel dafür sucht, findet es in der vorbildhaften demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, welche unser Nachbarland Polen in den letzten 20 Jahren durchlaufen hat. Kollege Gehrcke, Putin fürchtet sich nicht vor NATO und Europäischer Union. Er fürchtet sich vor dem Modell Polen, ausgedehnt auf die Ukraine vor seiner Haustür. Er fürchtet, dass Demokratie und Wohlstand - all das, was er seinem eigenen Land vorenthält - in der Ukraine Platz greifen würden. Die Menschen in der Ukraine, in Moldau und Georgien wollen an diese Wohlstandsentwicklung Anschluss finden, damit für sie das gemeinsame Haus Europa sicherer, wohnbarer, besser wird. Meine Damen und Herren, wir können ihnen dabei heute besonders helfen. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Marieluise Beck ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Jahren sind viele Assoziationsabkommen abgeschlossen worden, aber keines hatte - und das zu Recht - eine so große politische Aufmerksamkeit. Denn wir gehen mit diesen Assoziationsabkommen einen weiteren Schritt hin zur Überwindung von Jalta. Diese Spaltung Europas durch die Vereinbarungen von Jalta ist eine erzwungene gewesen. Es hat nach 1945 nicht die Situation gegeben, bei der alle Länder, die sich jenseits des Eisernen Vorhangs befanden, diese Spaltung bereitwillig hingenommen hätten. Es hat den Aufstand in Ungarn 1956 gegeben, es hat Prag 1968 gegeben. Marieluise Beck ({0}) Wir standen auf der anderen Seite und mussten zuschauen, wie diese Volks- und Freiheitsbewegungen mit Militär zurückgeschlagen worden sind. Vielleicht müssen wir sogar eines Tages noch einmal darüber sprechen, dass ein Teil unserer heutigen Republik, die damalige DDR, bei der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 mitbeteiligt war. ({1}) Das hat also auch eine historische Dimension. Wer auf dem Maidan war und wer in der Ukraine unterwegs ist - auch in Odessa, in Charkiw und Mariupol -, sieht mehr europäische Fähnchen, als wir je bei uns in Europa sehen. Warum? Weil die Menschen in ihr Unglück rennen wollen, vor dem Sie von der Linken sie bewahren wollen? ({2}) Oder weil die Menschen mit Europa die Chance auf soziale Gerechtigkeit und ein Ende von Willkür und Ausgeliefertsein verbinden? Was Ausgeliefertsein und die damit verbundene Ohnmacht bedeutet, können Sie in dem großartigen russischen Film Leviathan sehen: die Ohnmacht der kleinen Bürger gegen Funktionäre und Oligarchen, die schlichtweg wie eine Mafia den Staat und die Menschen ausplündern. Das wollen die Menschen in der Ukraine nicht mehr. ({3}) Ja, sie sind enttäuscht worden. Sie sind auch von der Orangen Revolution enttäuscht worden, weil die oligarchischen Strukturen sich auch unter Orange weiter fortgesetzt und festgesetzt haben. ({4}) Alle drei Länder, über die wir heute sprechen - Moldau, Georgien und die Ukraine -, bezahlen derzeit für die Entscheidung der freien Hinwendung zu Europa mit Abspaltungen eines Teils ihres Landes, an denen Russland tätig mitgewirkt hat. Wir werden sehen, wie die Ukraine unter diesen Bedingungen - Krieg in einem Teil des Landes, Unwissenheit, ob der Krieg weitergehen wird oder ob wir nicht in vier Wochen über Mariupol, Charkiw oder Odessa sprechen, die unter dem Deckmantel separatistischer Bewegungen eingenommen worden sind, von denen wir aber wissen, dass es russisches Militär ist - die dadurch fast unmöglichen Reformaufgaben angeht, die wir dem Land vorgeben und für die Menschen zu Recht abverlangen. Das ist fast eine Mission Impossible, aber es ist alternativlos, weil die Menschen in der Ukraine, auch in Moldau und Georgien ihre Erwartungen erfüllt sehen wollen, dass die Europäische Union Freiheit bedeutet, auch Wohlstand und Rechtsstaat - ich kann vor Gericht gehen und Recht bekommen, auch gegen jemanden, der reicher und mächtiger ist. All das muss eingelöst werden, auch wenn es unter diesen Bedingungen fast unmöglich ist. ({5}) Das gekränkte Imperium tut alles, um die Schritte in die Freiheit nicht nur zu behindern, sondern zum Scheitern zu bringen, weil es vor dem Erfolg die allergrößte Furcht hat. Der Erfolg dieser Reformen ist die größte Gefahr für Putin. Denn auch viele Menschen in Russland wissen, dass sie unter demokratischen und freiheitlichen Bedingungen ein besseres Leben haben könnten. ({6}) Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Wir sagen zu Recht: Wir wollen keine militärische Lösung. Wir wissen, dass der Kreml bereit ist, Militär einzusetzen und dies bereits getan hat. Wenn wir das sagen, dann ist das ein Versprechen, dass wir mit allen unseren Kräften und ohne auf unsere Schatullen zu schauen, den schwierigen Weg dieser drei Länder, der von Russland weiter torpediert werden wird, trotzdem mit allen Kräften, in aller Ernsthaftigkeit und mit sehr viel Geduld unterstützen. Wir wissen auch, dass das sehr viel materielle Unterstützung bedeuten wird. Wir haben ein Versprechen abgegeben. Wir geben es mit der Abstimmung auch heute ab, und dieses Versprechen einzulösen, sind wir den Menschen dort, wo bereits viele für die Freiheit ihr Leben gelassen haben - was es in unserem Nachkriegseuropa bisher noch nicht gegeben hat -, schuldig. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Parlamentspräsident Groysman! Sehr geehrte Exzellenzen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2012 erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis. Das Komitee wollte vor dem Hintergrund der ökonomischen Krise in Europa den Fokus auf den wichtigsten Effekt der EU lenken: die erfolgreiche Durchsetzung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa. Angesichts des Krieges in der Ukraine müssen wir heute aber konstatieren, dass die EU ihrem Friedensanspruch zumindest im Rahmen der Östlichen Partnerschaft nicht gerecht werden konnte. Das ist keine Schuldzuweisung, sondern eine schlichte Tatsachenfeststellung. Es gehört zur Wahrheit, dass nicht alle Menschen in der Ukraine und in Moldawien die Annäherung an die EU wollen. Die Menschen in den georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien sind seit dem Krieg von 2008 de facto kein Teil des Abkommens, das wir heute ratifizieren wollen. Genauso gehört es aber zur Wahrheit, dass sich die große Mehrheit der Ukrainer, der Georgier und der Moldawier in demokratischen Wahlen für Europa entschieden hat, und zwar trotz der massiven Drohungen und Interventionen aus Russland. Auf dem Maidan in Kiew riskierten Tausende Ukrainer sogar ihr Leben, getrieben von dem Wunsch nach Demokratie und Freiheit - Werte, für die Europa gemeinsam einstehen muss. Als überzeugte Europäer unterstützen wir diese Entscheidungen, und als überzeugte Demokraten bewundern wir diesen starken Willen. Ebenfalls gehört zur Wahrheit, dass Deutschland kein neutraler Akteur in diesem Konflikt ist, sondern ein aktiver Spieler sein muss. Als Schlüsselmacht in Europa kommt Deutschland eine besondere Bedeutung zu. Unsere Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister werden dieser Verantwortung mehr als gerecht. In enger Abstimmung mit unseren EU-Partnern verfolgen sie eine klare europäische Position, und sie werben mit bewundernswertem persönlichen Einsatz in Kiew, in Washington und in Moskau für ihre Überzeugung, dass der Konflikt in der Ukraine nicht mit Waffen zu lösen ist. ({0}) So unsicher der Erfolg des Minsker Abkommens erscheint, es stellt heute die einzige Option dar, das Blutvergießen in der Ostukraine dauerhaft zu beenden. Alle Seiten, Russland, die Rebellen und auch die Ukraine, müssen das erkennen. Die deutsch-französische Friedensinitiative ist auch ein Stück der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik für Europa. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte vertrauen wir Europäer in der Sicherheitspolitik nicht alleine militärischen Mitteln. Ganz im Sinne des Osteuropäers Immanuel Kant setzt Europa heute vor allem auf Friedenssicherung durch Demokratie und freie Marktwirtschaft. ({1}) Die Assoziierungsabkommen, die wir gleich beschließen wollen, sind in dieser Hinsicht ein Teil der europäischen Sicherheitspolitik. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, dass sich die Anrainerstaaten der EU unseren Werten annähern und auch die Chance bekommen, sich nachhaltig zu stabilisieren. Es ist richtig und legitim, dass Europa sie aktiv bei den notwendigen Reformen unterstützt. Die Abkommen sollen in der Ukraine, in Georgien und Moldawien Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freien Handel fördern. Europa hilft diesen drei Staaten mit dem Abbau von Handelshemmnissen, durch eine enge Kooperation in der Außenpolitik sowie bei der Modernisierung des Justizsystems und in Grundrechtsfragen. Als Anreiz für die Reformen stellt die EU bis 2020 rund 15,4 Milliarden Euro im Rahmen der Nachbarschaftshilfe zur Verfügung. Diese Unterstützung ist keine milde Gabe, sondern sie ist eine Investition in eine friedliche Zukunft Europas. Die erfolgreiche Umsetzung der Abkommen wäre ein Sicherheitsgewinn für ganz Europa. ({2}) Entscheidend für den Erfolg der Abkommen wird auch der Kampf gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit sein. Nur wenn die Menschen ihrem Staat vertrauen können, werden stabile Demokratien entstehen. Russland hat kein Vertrauen mehr in Europa, und Russland sieht in der Assoziierung eine Bedrohung. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Ein Faktor ist sicherlich die Angst vor einem russischen Maidan. Das macht die neue russische Militärdoktrin vom 25. Dezember des letzten Jahres deutlich. Darin betont Russland explizit die Gefahr eines gewaltsamen Sturzes der verfassungsgemäßen Ordnung und verknüpft diese Gefahr mit außenpolitischen Gefahren. Die Weltordnung, die vor 25 Jahren mit dem Fall der Mauer unterging, scheint sich in Osteuropa wieder aufzurichten: Zwei konkurrierende Gesellschaftsmodelle ringen dort um Einflusszonen. Niemand von uns kann aber ernsthaft einen zweiten Kalten Krieg wollen. ({3}) Russland hat mit der Annexion der Krim und mit der Destabilisierung der Ostukraine die europäische Friedensordnung massiv beschädigt und viel Vertrauen zerstört. Dieser Bruch des Völkerrechts lässt sich nicht entschuldigen, und es wird Jahre dauern, das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen. Trotzdem muss sich die EU mit Russland arrangieren. Zu einem neuen und stabilen Modus Vivendi mit Russland werden wir nur dann finden, wenn wir unsere unveräußerlichen Werte konsequent vertreten. Anderenfalls verlieren sie und damit auch die EU ihre Glaubhaftigkeit und ihre Stabilität. ({4}) Zur Glaubhaftigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört, dass wir den Wunsch der Menschen nach Demokratie und Freiheit aktiv unterstützen. Ich freue mich für die Ukraine, für Georgien und für Moldawien, dass der Deutsche Bundestag heute dem Willen der großen Mehrheit ihrer Bürgerinnen und Bürger entsprechen kann, ich glaube, ebenfalls mit großer Mehrheit, und eine Annäherung an die Europäische Union nun ermöglicht. Wir wollen sie auch künftig aktiv unterstützen, und ich bitte Sie alle daher heute, diesen drei Abkommen zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Präsident Dr. Norbert Lammert Wir kommen nun zur Abstimmung über die von der Bundesregierung eingebrachten drei Gesetzentwürfe zu den Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau andererseits. Tagesordnungspunkt 20 a. Zweite Beratung und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/4352, den Gesetzentwurf der Bundesregierung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD, der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. ({0}) Herr Präsident Groysman, Ihnen wird hoffentlich nicht nur das überragend deutliche Ergebnis gefallen, sondern auch die streitige Auseinandersetzung, die dem vorausgegangen ist, wie sich das für ein ordentliches, frei gewähltes Parlament gehört. ({1}) Tagesordnungspunkt 20 b. Zweite Beratung und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem Assoziierungsabkommen mit Georgien. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/4353, den Gesetzentwurf der Bundesregierung anzunehmen. Ich darf diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. ({2}) Tagesordnungspunkt 20 c. Zweite Beratung und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau, auch hier auf der Basis der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses; das ist die Drucksache 18/4354. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen. ({3}) Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für verbindliche politische Regeln im internationalen Sport - Menschenrechte achten, Umwelt schützen, Korruption bekämpfen Drucksache 18/3556 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({4}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Alle vier Jahre legen Sportlerinnen und Sportler bei Olympia den Eid ab, fair zu sein, Regeln zu achten und ritterlichen Geist zu zeigen. Das ist der Anspruch. Die Wirklichkeit ist aber so, dass Sie gerade den Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes einbringen, nach dem Motto: Wer im Sport betrügt, soll fliegen, und zwar in die JVA. - Sie legen die Latte ziemlich hoch und fordern oberflächlich Mittel, die schon in vielen anderen Bereichen gescheitert sind. Ich finde: Wer über die Sportlerinnen und Sportler spricht, darf über die Veranstalter nicht schweigen. Reden wir also über Korruption in den Chefetagen der großen Sportverbände, insbesondere beim Internationalen Olympischen Komitee und dem Weltfußballverband. Bestechung, Vetternwirtschaft und Intransparenz sind die Merkmale der weltgrößten Festspiele. Ich finde, das ist des Sportes nicht würdig. ({0}) Olympia und die Fußballweltmeisterschaften, die Orte weltweiter Freude und Begeisterung sowie weltweiten Mitfieberns, liegen in den Händen von Systemen, die wir staatlicherseits aufs Schärfste bekämpfen müssten. Das können wir nicht wollen. Das müssen wir ändern. ({1}) Die Liste der Demokratien, die sich gegen eine Bewerbung entschieden haben, wird immer länger. Ein ak9168 tuelles Beispiel sind die Olympischen Winterspiele 2022. München ist gegen die Austragung. Die Schweiz hat sich ebenfalls dagegen ausgesprochen. Norwegen sagte gleich ab. Es ist eben leider kein Wunder, dass die besten Partner von IOC und FIFA heute undemokratische Regime sind. Brot und Spiele als Geschenk von Diktatoren, korrupten Vereinen und globalen Playern in der Wirtschaft - das sage ich noch einmal - können wir nicht wollen. Das müssen wir ändern. ({2}) Wir wollen den Sport und die Spiele zurück. Die Funktionäre des Sports müssen für Strukturreformen sorgen. Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir Angebote für Spiele machen, die dem olympischen Geist zur Ehre gereichen. Deswegen bin ich froh, dass sich Hamburg für die Austragung der Olympischen Spiele 2024 bewirbt. Dann können wir zeigen: Es geht auch anders. ({3}) Hamburg ist eine gute Wahl. Denn dann können wir zeigen: Es geht ökologisch. Es geht nachhaltig. Es geht transparent. - Wir als Politikerinnen und Politiker haben die Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger wieder für den Sport zu begeistern. Das geht aber nur gemeinsam mit den Sportorganisationen. Deswegen haben wir ein Konzept für eine moderne internationale Sportpolitik vorgelegt. Wir wollen mehr Demokratie und Transparenz. Ich stelle, ehrlich gesagt, erstaunt fest, dass unsere Fraktion die einzige ist, die ein solches Konzept in den Deutschen Bundestag einbringt. ({4}) Was schlagen wir vor? Erstens. Die Vergabeverfahren um Sportgroßveranstaltungen müssen modernisiert werden. Natürlich entscheiden der DOSB und der DFB weiterhin autonom. Wir brauchen aber eine Richtschnur, die die verbindliche Beteiligung von Menschenrechtsorganisationen und von Umweltschutzorganisationen sicherstellt. Das ist, ehrlich gesagt, eigentlich eine Selbstverständlichkeit. ({5}) Zweitens: die Steuerpflicht. Die überwiegende Zahl der Verbände ist in der Schweiz angesiedelt. Dort gibt es gesunde Luft und minimale Steuersätze. ({6}) Doch obwohl sie nur als Vereine eingetragen sind, wird niemand bestreiten können, dass IOC und FIFA international tätige Wirtschaftsunternehmen sind. Für Fernseheinnahmen und Sponsoringgelder sind Steuern zu zahlen. Das ist doch selbstverständlich, und auch das gehört dazu. ({7}) Drittens. Die Bundesregierung muss stärker gegen Korruption und Intransparenz im Sport vorgehen. Deutschland hat da eine besondere Verantwortung, weil wir ein starker Player sind und die internationale Korruption im Sport seit den 80er-Jahren eben auch maßgeblich durch deutsche Funktionäre mit bewirkt und bestimmt worden ist. Es ist eine historische Tatsache: Korruption und Doping waren leider auch die widerlichen Begleiter deutscher Sportpräsenz auf internationaler Ebene, in Ost und in West. Das ist unser Anspruch. Was tun die Verbände? Ja, es gibt die Olympic Agenda 2020 mit 40 Empfehlungen. Aber: Bedauerlicherweise hat sich an der Grundstruktur des IOC nichts geändert. Deswegen kann von einer echten Reform keine Rede sein. ({8}) Ja, es gibt eine externe Untersuchung der Korruption bei der FIFA. Aber: Sonderermittler Garcia schmeißt hin, und Katar bekommt dann doch seine Winter-WM. Auch das kann nicht der Maßstab sein, den wir unterstützen. ({9}) Ja, in den internationalen Gremien des Sports sitzen zahlreiche Vertreter aus Deutschland. Aber: Eine wirkliche Initiative für einen glaubwürdigen Neuanfang geht von dort nicht aus. Ich bin froh, dass da einige sitzen, die den Mund aufmachen. Ich bin froh, dass einige Deutsche dabei sind. Aber trotzdem treten wir auf der Stelle, was eine echte Reform angeht. Auch das muss sich ändern. ({10}) Vor einigen Wochen hatte ich ein sehr gutes Gespräch mit Nachwuchssportlerinnen und -sportlern der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Für diese Sportlerinnen und Sportler kommt übrigens, wie für uns Grüne auch, ein Sportboykott von Olympia oder WM nicht infrage, selbstverständlich nicht. Sie sagen uns ganz klar: Machen Sie eine gute Politik. Wir wollen bei sauberen und transparenten Spielen auftreten. Wir wollen uns als Sportlerinnen und Sportler auf unseren Sport konzentrieren und nicht auf das, was Sie politisch machen; aber wir wollen Sie unterstützen. - Diese jungen Sportlerinnen und Sportler haben ein Recht darauf, dass wir politische Rahmenbedingungen setzen. ({11}) Wenn wir Olympische Spiele in Deutschland wollen, wenn wir Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften in demokratischen Staaten wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass wir dafür sein können, und zwar ohne jedes Wenn und Aber. Vielen Dank. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Eberhard Gienger. ({0})

Eberhard Gienger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Grünen vermengt bereits im Titel zwei verschiedene Ebenen miteinander: ({0}) auf der einen Seite die internationale Politik und Diplomatie und auf der anderen Seite die gesellschaftlichen Akteure rund um den Sport. Der Antrag richtet den Fokus auf Kernfragen der Sportpolitik, nämlich: Wo verlaufen die Grenzen zwischen Sport und Politik? Welche gesellschaftspolitischen Aufgaben vermag der Sport auf nationaler und auf internationaler Ebene zu übernehmen, und welche Aufgaben verbleiben, nicht zuletzt wegen des fehlenden Mandats der Sportorganisationen, im originären Kompetenzbereich von Politik und Demokratie? Vermischt man, wie im Antrag der Grünen, die beschriebenen Ebenen, richtet man sich mit überhöhten Erwartungen an die falschen Adressaten oder verwechselt gar die Maßstäbe mit den Möglichkeiten der Akteure. Dann können Sport und Politik die internationalen Herausforderungen nicht bewältigen und die Missstände nicht beseitigen. Betrachten wir zunächst einmal den organisierten Sport für sich. Nimmt man die Autonomie des Sports ernst, können sich die unabhängigen und meist nicht in Deutschland ansässigen Weltverbände nur selbst ein sportpolitisches Regelwerk verschreiben. ({1}) So hat zum Beispiel das IOC mehr als 200 Mitglieder oder die FIFA 209 Mitglieder. Das sind mehr Mitgliedsverbände als die Vereinten Nationen an Mitgliedstaaten haben. Das deutsche Stimmgewicht in diesen Gremien ist demzufolge überschaubar, wenn auch nicht ganz unbedeutend. Laut Transparency International werden in mehr als 100 Ländern der Welt die Menschenrechte, die Pressefreiheit und andere Grundsätze missachtet, die Umwelt nicht ausreichend geschützt und die Korruption nicht hinreichend bekämpft. Die Weltverbände des Sports stellt das regelmäßig vor das Dilemma, sich bei den beschriebenen Mehrheitsverhältnissen auf gemeinsame Grundsätze zu einigen. Gleichwohl finden sich in den Statuten des IOC und der FIFA Hinweise zu friedlichen internationalen Beziehungen oder auch Aspekten wie Good Governance, um zwei Beispiele zu nennen. Hier muss aber gesagt werden, dass bei derartigen Vorhaben und internationalen Beschlüssen die Vereinten Nationen auch regelmäßig scheitern. An dieser Stelle kommt man schließlich zu den konkreten sportpolitischen Handlungsmöglichkeiten und der moralischen Verantwortung von autonomen Sportverbänden, zum Beispiel im Rahmen der Organisation von Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Es ist klar, dass wegen eines zweiwöchigen Wettbewerbs wie den Olympischen Spielen in einem aus unserer Sicht problematischen Ausrichterland die politischen Verhältnisse nicht über Nacht geändert werden können. Eine solche Erwartung werden die internationalen Verbände nie erfüllen können. ({2}) Der Sport hat vor allem deshalb eine gesellschaftspolitische Macht und Ausstrahlungskraft. Damit ist der Sport nicht von seiner Verantwortung entbunden. Alles, was unmittelbar mit dem Sportereignis zu tun hat, fällt in den Verantwortungsbereich der Organisatoren des Weltverbandes und der Gastgeber. Hier müssen zum Beispiel auch Mindeststandards eingehalten werden. Es kann nicht hingenommen werden, dass in einem der reichsten Länder der Welt wie Katar jedes Jahr mit 400 Todesfällen von Wanderarbeitern gerechnet werden muss. Dies ist absolut nicht hinnehmbar. Auch Korruption bzw. Manipulation innerhalb der Sportfamilie muss aufgeklärt und bekämpft werden. ({3}) Die internationale Sportgemeinschaft muss sich letztlich zusammenfinden und Lösungen erarbeiten. Ich finde, die IOC-Reformagenda 2020 stimmt mich in diesem Punkt sehr viel optimistischer, wenngleich noch sehr viel Arbeit bevorsteht. Frau Göring-Eckardt, ich finde, man muss dem IOC und den Mitgliedern die Chance geben, einmal zu beginnen. Der Anfang ist jedenfalls gemacht. Kommen wir zu einer weiteren Frage, zur Aufgabe und Verantwortung der Politik und der Demokratie. In Abgrenzung zu dem Antrag der Grünen haben wir bereits einiges auf den Weg gebracht, umgesetzt oder auch geplant. ({4}) Ein jährlicher Bericht über die Maßnahmen und Fortschritte der internationalen Sportverbände, wie im Antrag gefordert, ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, sondern der Weltverbände. Mit der 5. UNESCO-Weltsportministerkonferenz von 2013 in Berlin und der unterzeichneten Erklärung hat die Bundesregierung neue Maßstäbe in der internationalen Sportpolitik gesetzt. Mittlerweile haben wir mit Stolz zur Kenntnis genommen, dass die dortigen Beschlüsse auch Veränderungen aufseiten des Sports angestoßen haben, Stichwort Reformagenda 2020 des IOC. Der Sportausschuss wird im April eine Delegationsreise in die Schweiz unternehmen und dort mit maßgeblichen Vertretern der internationalen Sportverbände zusammentreffen. Die Ergebnisse werden nach unserer Rückkehr im Sportausschuss diskutiert und sportpolitische Konsequenzen gezogen. Mit Blick auf die Zeit will ich nur noch einen Punkt benennen, der vor allem für Deutschland relevant ist. Wie unser Sportminister vor kurzem sehr treffend ausgeführt hat, hilft es nicht weiter, immer nur anderen Ländern und deren Verhältnissen - ob berechtigt oder unberechtigt - Fehler zu unterstellen. Wir können selbst mit einer innovativen, weltoffenen, vom Bürger getragenen und nachhaltigen Olympiabewerbung ein Zeichen setzen. Das haben wir bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland erfahren. Erst am letzten Samstag hat sich der organisierte Sport für Hamburg als Bewerberkandidat für die Olympischen Spiele ausgesprochen. Hier können wir zeigen, dass es auch anders geht und dass wir uns selbst konstruktiv einbringen. Hier haben sich die Grünen auf Bundesebene diesen Entscheidungen in den Bewerbergremien entzogen. Hier, lieber Kollege Mutlu, hätten die Grünen durchaus die Möglichkeit gehabt, die wichtigen Punkte ihres Antrags tatsächlich anzusprechen. ({5}) Ich würde dazu sagen: Chance vertan! ({6}) Im Übrigen wurde der Sportausschuss des Deutschen Bundestages erst im Kontext der Olympischen Spiele 1972 in München ins Leben gerufen. Und was, wenn nicht eine Olympiakandidatur, fällt in unseren Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich? Deutschland kann, wie ich finde, mit einer Bewerbung um die Olympischen Spiele 2024 auch die internationalen Reformbewegungen kraftvoll vorantreiben. Lassen Sie uns deswegen die Bewerbung begleiten und sie kritisch, aber durchaus konstruktiv unterstützen! Vielleicht sollten sich die Grünen ein Beispiel an den Hamburger Kollegen nehmen; denn sie haben das rechtzeitig erkannt. ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank. - Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Dr. André Hahn. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin den Grünen für diesen Antrag dankbar; denn er gibt uns die Möglichkeit, unmittelbar im Umfeld der vom DOSB beschlossenen Olympiabewerbung Hamburgs über verbindliche Regeln im internationalen Sport und über Kriterien für künftige Sportgroßveranstaltungen zu debattieren. Herr Kollege Gienger, im Gegensatz zu Ihnen meinen wir: Wir brauchen solche Regeln. ({0}) Aus Sicht der Linken muss dabei eines klar sein: Nach all den wahrlich nicht nur positiven Erfahrungen der letzten Olympiaden und Fußballweltmeisterschaften darf es ein einfaches Weiter-so definitiv nicht geben. ({1}) Der Spitzensport hat generell durchaus positive Wirkungen auf den Breitensport. Bekannte und erfolgreiche Sportler können als Vorbilder dienen und motivieren gerade Kinder und Jugendliche, selbst sportlich aktiv zu werden. Dennoch muss man konstatieren: Die zunehmende Kommerzialisierung im Hochleistungsbereich hat dem Sport insgesamt geschadet. Immer mehr Vereine, aber auch viele Spitzensportler sind auf Sponsoren angewiesen. Diese unterstützen aber vor allem jene Sportarten, die im Fokus der Medien stehen. Andere kommen kaum noch über die Runden. Den Kommunen fehlt oft das Geld, um den Breiten- und Schulsport besser zu unterstützen. Deshalb muss dem Gigantismus bei Sportgroßveranstaltungen endlich Einhalt geboten werden. ({2}) Denn alles geht auch ein Stück kleiner und deutlich bescheidener. Ökologische Nachhaltigkeit ist ebenso wichtig wie die Einbeziehung der Bürger in die Entscheidung über eventuelle Austragungsorte. ({3}) Und Host-City-Knebelverträge wie in der Vergangenheit, meine Damen und Herren, darf es nicht mehr geben. ({4}) Die momentan nahezu uneingeschränkte Macht vor allem des Internationalen Olympischen Komitees und der FIFA muss endlich gebrochen werden. Und überhaupt: Müssen wirklich alle vier Jahre zu Olympia weltweit immer neue Sportanlagen aus dem Boden gestampft werden? Kann man nicht auch, wie zum Beispiel beim Weltcup, reihum bereits existierende Einrichtungen früherer Olympiastandorte nutzen? ({5}) Über diese und andere Fragen sollten wir in den kommenden Wochen und Monaten miteinander diskutieren. Ich möchte die heutige Debatte dazu nutzen, im Sinne eines Diskussionsangebotes einige Kriterien zu benennen, anhand derer über eine Befürwortung oder Ablehnung von Sportgroßveranstaltungen entschieden werden sollte. Denn für die Bürgerinnen und Bürger muss nachvollziehbar sein, warum wir für oder gegen eine bestimmte Sportveranstaltung sind. Die Diskussion um die Olympiabewerbungen der Städte München, Hamburg und Berlin zeigten, dass eine solche Verständigung über Kriterien wichtig ist. Wenn selbst traditionelle WinterDr. André Hahn sportorte wie Oslo - Frau Katrin Göring-Eckardt hat darauf hingewiesen - das Handtuch werfen und auf eine Bewerbung verzichten, dann muss das nachdenklich stimmen. ({6}) Fakt ist und bleibt: Sportgroßveranstaltungen üben eine große Faszination auf Zuschauerinnen und Zuschauer aus; sie sind Höhepunkte im Leben der Athleten und können wichtige Werte in die Gesellschaft vermitteln. Die Grundidee der olympischen Bewegung ist auf Völkerverständigung, auf einen friedlichen Wettstreit von Athletinnen und Athleten aus unterschiedlichen Ländern gerichtet. Vor allem die Paralympics und andere Wettkämpfe der Behindertensportbewegung geben wichtige und nachhaltige Impulse hin zu einer inklusiven Gesellschaft, für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und die Beseitigung von Barrieren im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. ({7}) Fakt ist aber auch: Sportgroßveranstaltungen standen und stehen immer wieder im Spannungsfeld zwischen großer Begeisterung und öffentlicher Kritik. Das galt für die Olympischen und Paralympischen Spiele in Peking, Vancouver, London und Sotschi ebenso wie für die Fußballweltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien und deren Vergabe an Russland und Katar. Die grundsätzliche Kritik, das habe ich eingangs schon angesprochen, trifft vor allem die dahinterstehenden Organisationen, insbesondere das IOC, die FIFA und auch die UEFA, die als von Korruption durchdrungen wahrgenommen werden und deren Funktionären Profitgier vorgeworfen wird. Aber es geht natürlich auch um die politisch Verantwortlichen in den Austragungsorten. Dahinter steht ein generelles Unbehagen gegenüber dem zunehmenden Einfluss kommerzieller sowie politischer Interessen auf die Vergabe und den Ablauf von Sportveranstaltungen, und die Linke teilt diese Kritik ganz ausdrücklich. ({8}) Die olympischen Ideale und die Freude am Sport treten immer weiter zurück hinter die Interessen von Großkonzernen, die medienträchtige Sportveranstaltungen vor allem zur Platzierung von Werbung nutzen und die als Ausstatter bei Stadienbauten oder als sonstige Dienstleister möglichst hohe Gewinne einfahren wollen. Diese Dominanz von Profitinteressen öffnete zunehmend die Tür für Manipulationen und auch für Korruption. Die Linke will Profitinteressen bei der Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen zurückdrängen und wieder an die ursprüngliche olympische Idee anknüpfen. ({9}) Wir schlagen fünf Kriterien für eine Befürwortung oder eine Ablehnung von Sportgroßveranstaltungen vor: Erstes Kriterium sind für uns die sozialen und kulturellen Standards. Soziale Kriterien müssen sowohl bei der Bewerbung als auch bei der Durchführung von Sportgroßveranstaltungen eine entscheidende Rolle spielen. Ohne Bürgerentscheid darf es keine Olympischen Spiele geben. ({10}) Sowohl bei Infrastrukturmaßnahmen als auch bei den verschiedenen Kommunikationswegen muss auf die Barrierefreiheit geachtet werden. Ebenso wichtig ist es, dass es akzeptable Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzvorschriften in den potenziellen Austragungsorten gibt und dass diese auch eingehalten werden. Hier stimme ich Herrn Kollegen Gienger ausdrücklich zu. Zweites Kriterium sind die Menschen- und Bürgerrechte. Bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen müssen insbesondere die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte des UN-Sozialpaktes sowie die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation strikt eingehalten werden. ({11}) Der Umstand, dass durch ein Sportgroßereignis medial auf Missstände im jeweiligen Land aufmerksam gemacht wird, sollte positiv genutzt werden. Die Chance auf Austragung eines bedeutenden Sportereignisses kann auch bessere Möglichkeiten schaffen, um eine gesellschaftliche Öffnung und einen nachhaltigen Bewusstseinswandel zur Verbesserung der Menschenrechtslage im jeweiligen Land zu bewirken. Drittes Kriterium ist die Gewährung nachhaltiger Standards. Sportgroßveranstaltungen haben immer auch ökologische Auswirkungen. Diese entstehen zum einen durch die Infrastrukturmaßnahmen, durch den Ressourcenverbrauch und durch eine erhöhte Mobilität und zum anderen durch das erhöhte Abfallaufkommen. Bereits vorhandene Sportstätten und Einrichtungen sollten maximal genutzt werden, für alle Neubauten müssen umfassende Nachnutzungskonzepte entwickelt werden, ({12}) und in die jeweilige Bauplanung ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung zwingend zu integrieren. ({13}) Viertes Kriterium sind die ökonomischen und finanziellen Standards. Sowohl die Bewerbung als auch die Durchführung einer Sportgroßveranstaltung sind zum Teil mit erheblichen Kosten verbunden. Es ist zwingend notwendig, die Kosten transparent und öffentlich zu benennen. Dazu zählen auch die Bewirtschaftungskosten, die nach dem Sportgroßereignis auf die öffentliche Hand zukommen. ({14}) Fünftes Kriterium ist das Verhalten der Sportorganisationen; denn häufig sind die hinter der Sportveranstaltung stehenden Institutionen wie die FIFA und das IOC - ich habe es gesagt - der eigentliche Angriffspunkt für Kritik. Hier muss endlich ein Bewusstseinswandel stattfinden, und die im Dezember 2014 beschlossene Agenda 2020 des IOC könnte dazu ein erster wichtiger Schritt sein. ({15}) Ich bin - das haben Sie sicherlich gemerkt - persönlich durchaus ein Anhänger der olympischen Idee. Diese Idee ist in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten aber leider pervertiert worden. Deshalb habe ich großes Verständnis für alle Kritikerinnen und Kritiker, in meiner eigenen Fraktion genauso wie in der gesamten Gesellschaft. Deshalb begrüßen wir als Linke alles, was eine öffentliche Diskussion über diese Thematik befördert, und wir werden uns daran aktiv beteiligen. Herzlichen Dank. ({16})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Michaela Engelmeier hat jetzt das Wort für die SPD. ({0})

Michaela Engelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004266, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute den Antrag der Grünen für verbindliche politische Regeln im internationalen Sport. Dies ist eine durchaus wichtige Debatte, ({0}) die wir hier in diesem Hohen Hause unbedingt führen müssen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der Grünen formulieren in ihrem Antrag, dass der internationale Sport in einer Glaubwürdigkeitskrise steckt. Sie bezeichnen die Vergabe der Fußballweltmeisterschaften nach Russland und Katar als Fehlentscheidung. ({1}) Da bin ich ganz bei Ihnen. ({2}) In Sotschi haben wir gesehen, wie die Initiativen für um Lohn betrogene Arbeiter nach den Veranstaltungen oft ins Leere liefen. Genau wie in Sotschi darf die katastrophale Situation in Katar, besonders die Lage der Wanderarbeiter, nicht schöngeredet werden. ({3}) Wegen Menschenrechtsverletzungen und ökologischen Risiken sollte die FIFA Katar die WM entziehen. Auch ich plädiere dafür, diesen Schritt zu gehen. ({4}) Warum? Weil die FIFA mit ihrem Festhalten an Katar den Sport insgesamt, die weltweite Anerkennung und auch die Werte des Sports wie Fairness, Toleranz und Gerechtigkeit ad absurdum führt. ({5}) Das war aber leider schon alles, was ich an Ihrem Antrag so richtig gut finden kann. ({6}) Nicht gut finde ich hingegen, dass Sie den international organisierten Sport offensichtlich politisieren wollen. Denn Sie fordern, dass die Sportverbände an der Entwicklung von Formen der Bürgerbeteiligung mitwirken sollen. Sie fordern auch, dass der organisierte Sport auf die Abschaffung des Kafala-Systems in Katar hinwirken soll. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Ich bin für Bürgerbeteiligung, und ich bin entschieden gegen das Kafala-System in Katar. Aber ich halte es und wir halten es für die unmittelbare Aufgabe der Politik, diese Probleme zu benennen und Lösungen zu finden, ({7}) ohne dafür zwingend den Ball über die Bande des organisierten Sports zu spielen. ({8}) In dieser Hinsicht ist Ihr Antrag leider nicht zufriedenstellend. Ein weiterer Punkt: Mitglieder des Kabinetts sollen frühzeitig ankündigen, ob sie in das Ausrichterland reisen. Was soll denn „frühzeitig ankündigen“ heißen? Das bedarf doch eigentlich einer Konkretisierung. Aber ehrlich, was für ein Beitrag zur Lösung der Probleme soll das denn sein? Eigentlich können Sie sich das doch sparen. ({9}) Sie wollen zwischen den EU-Staaten abstimmen, dass in Zukunft keine Steuerbefreiung bei internationalen Sportgroßveranstaltungen gewährt werden soll. Wie darf ich das verstehen? Planen Sie, eine europäische Steuerunion durch die Hintertür einzuführen? ({10}) Sie schreiben außerdem, dass es Handlungsbedarf bei der Korruptionsbekämpfung im Sport gibt und dass die Bundesregierung diesen anerkennen soll. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, hier verweise ich besonders gerne auf den Koalitionsvertrag zwischen der Union und der SPD. ({11}) Denn dort haben wir festgehalten, dass Doping und Spielmanipulationen die ethisch-moralischen Werte des Sports zerstören, ({12}) die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler gefährden und die Konkurrenten im Wettkampf sowie die Veranstalter, Fans und Zuschauer täuschen und schädigen. Deshalb schaffen wir weiter gehende strafrechtliche Regelungen beim Kampf gegen Doping. Das Anti-DopingGesetz ist auf einem guten Weg, und die Planung zu einem Gesetz gegen Spielmanipulationen ist in vollem Gange. ({13}) Sie wollen auch, dass sich die Bundesrepublik dafür einsetzt, dass ökologische Standards in die Satzungen der internationalen Sportverbände aufgenommen werden. Nun einmal ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie soll denn da der Einsatz der Bundesregierung aussehen? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass wir in der internationalen Sportpolitik neben der Autonomie des organisierten Sports auch besondere Rahmenbedingungen beachten müssen. Hier gibt es ein internationales Problem, wie es zum Beispiel auch beim Kampf gegen den Klimawandel besteht, aber nur eine nationale Handlungsmacht. Nun ziehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, den Schluss, dass nur eine internationale Initiative das Problem der Vergabe internationaler Sportgroßveranstaltungen lösen kann. ({14}) Die Verantwortlichkeit nur auf die Politik, die Sponsoren und den organisierten Sport zu schieben, ist meiner Meinung nach falsch und eher billig. ({15}) Genau wie beim Kampf gegen den Klimawandel können auch nationale Strategien eine positive Wirkung entfalten. Ein gutes Konzept für nachhaltige Veranstaltungen kann ein Vorbild sein, dem andere Staaten folgen. Darum ist es notwendig, dass die Politik den organisierten Sport bei seinen Reformbemühungen konstruktiv und kritisch begleitet. Das bedeutet, dass man die Bemühungen des organsierten Sports, zum Beispiel die IOCAgenda 2020, genau betrachtet. Dort wird bereits ein ökologischer Standard gesetzt - ich zitiere -: Städte, die bereits eine Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2022 abgegeben haben, sollen ermutigt werden, möglichst temporäre und/oder zerlegbare Anlagen zu nutzen. Ein schönes Beispiel dafür ist Hamburg, die deutsche Bewerberstadt für die Olympischen und Paralympischen Spiele. An dieser Stelle übrigens herzliche Gratulation an die Hanseaten! ({16}) Hamburg plant ein rückbaubares Stadion. Überhaupt bieten die Olympischen und Paralympischen Spiele in Deutschland die Möglichkeit, ein gutes Konzept für nachhaltige Spiele zu präsentieren und umzusetzen. Sportgroßveranstaltungen haben eine gesellschaftliche Funktion. Sie integrieren die Gesellschaft und tragen zur Identitätsbildung unseres Landes und unserer Bevölkerung bei. Die Unterstützung der Reformbemühungen des organisierten Sports durch die Politik ist notwendig. Dafür muss ein offener und vertrauensvoller Dialog zwischen Sport und Politik geführt werden; man braucht aber keine angeordneten Vorschriften. Denn um die Glaubwürdigkeit und Integrität des Sports zu erhalten, bedarf es eines Richtungswechsels: weg vom Gigantismus und hin zu nachhaltigen und fairen Spielen. ({17}) Eine nachhaltige Organisation bedeutet, den sozialen, umweltpolitischen, nachhaltigen und sportlichen Aspekten von Sportgroßveranstaltungen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die Akzeptanz der Bevölkerung für Sportgroßveranstaltungen hängt davon ab, dass die Menschen mitgenommen werden. Wir müssen sie vom positiven Effekt einer deutschen Bewerbung und Ausrichtung einer Sportgroßveranstaltung überzeugen. Das ist übrigens die Lehre, die wir aus der gescheiterten Bewerbung Münchens ziehen müssen. Denn da wurden die Bürger nicht mitgenommen, obwohl es ein ziemlich nachhaltiges Konzept gab. Mein lieber Özcan, auch die Grünen im Rat der Stadt München fanden das damals übrigens interessant. Ich will noch einmal betonen: Ein nachhaltiges Konzept für eine internationale Sportgroßveranstaltung in Deutschland bedarf der Bürgerbeteiligung. Eine Volksbeteiligung im Zuge einer Bewerbung, wie sie beispielsweise in Hamburg stattfinden soll, halte ich für den geeigneten Mechanismus. Dadurch können alle wichtigen Akteure dieses Politikfeldes - der Bürger, der organisierte Sport und die Politik - den genannten Richtungswechsel zu nachhaltigen und gerechten Spielen wirklich mittragen und legitimieren. Wir sagen ganz selbstbewusst: Die Olympischen und Paralympischen Spiele in Hamburg 2024 wären ein erster Schritt. Liebes IOC, wenn ihr eure Reformagenda 2022 wirklich ernst nehmt, ist das genau die Bewerbung, die wir brauchen. Ich kann nur alle Menschen in unserem Land aufrufen: Seien Sie ab heute Feuer und Flamme für die Olympischen und Paralympischen Spiele und vor allen Dingen Feuer und Flamme für Hamburg! ({18})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Frank Steffel.

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Göring-Eckardt, auch wenn Sie mittlerweile etwas weiter hinten Platz genommen haben, möchte ich Ihnen sagen, dass ich Sie für Ihre differenzierte und zumeist sehr sachliche Argumentation sehr schätze. Heute war das, was Sie hier vorgetragen haben, allerdings außergewöhnlich oberflächlich, billig und ziemlich plump. ({0}) Das war eine Verallgemeinerung, mit der wir in dieser Debatte überhaupt nicht weiterkommen. Eine differenzierte Betrachtung beginnt damit, dass man FIFA, IOC und allen anderen Verbände nicht in einen Topf schmeißt. Beim IOC wird - übrigens unter einem deutschen Präsidenten - der schwierige Versuch unternommen, Veränderungen herbeizuführen und viele Länder im Bereich des Sports zu verändern. Die Gesellschaften in diesen Ländern verändern sich ja nicht etwa schneller - eher im Gegenteil. Meine Damen und Herren, die FIFA hat 209 Mitglieder. Davon ist, wenn überhaupt, die Hälfte demokratisch. In 70 Ländern gibt es noch heute per Gesetz ein Verbot von Homosexualität. Der Sport kann einen Beitrag dazu leisten, dass darüber in diesen Gesellschaften diskutiert wird. Aber er wird die Gesetze in diesen Ländern nicht ändern können. In 57 Ländern dieser Erde gibt es die Todesstrafe, die wir Deutsche aus guten Gründen ablehnen. Wir können für die Veränderungen, die wir uns wünschen, werben; aber wir werden sie in diesen 57 Ländern nicht alleine durch den Sport herbeiführen. Von Frauenrechten und Minderheitenrechten, wie wir sie in Mitteleuropa kennen, können wir in den meisten Ländern dieser Erde nicht sprechen. Wir können nur daran arbeiten, dass es in diesem Jahrhundert zu vielen Veränderungen kommt, auch durch den Sport und auch durch die Sportverbände. Wenn wir über die FIFA reden, eint uns sehr viel Kritik. Ich bin sehr sicher, dass es heute auch in der FIFA keine Entscheidung mehr mit drei Stimmen Mehrheit - 13 : 7 war das Ergebnis für Russland - geben würde, sondern eine Mehrheit für Spanien und Portugal, die sich damals auch beworben haben. Nur, zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass die Eskalation, die wir heute in Russland erleben, zum Zeitpunkt der Entscheidung der FIFA überhaupt nicht absehbar war. ({1}) Es war überhaupt nicht erkennbar, dass es zu einer militärischen Auseinandersetzung in Europa kommen würde. Insofern ist Ihre Forderung, die uns wahrscheinlich eint - wir brauchen Regeln, wir brauchen Standards, wir brauchen Verbände, die definieren, unter welchen Bedingungen sportliche Großereignisse auf diesem Planeten stattfinden können -, völlig berechtigt. Sie hat nur den falschen Adressaten; denn nicht die Bundesregierung kann das umsetzen - wir können alle dazu beitragen -, sondern die Sportverbände müssen ihre Standards diskutieren. ({2}) Nehmen Sie das Beispiel Katar: Ich halte es für einen absoluten Skandal und wundere mich über die Ruhe der Mitbewerber Japan, USA und Australien, dass sie akzeptieren, dass man sich um eine Fußballweltmeisterschaft, die im Sommer stattfinden soll, bewirbt und nach der Entscheidung skrupellos gesagt wird: Na, dann machen wir es eben kurz vor Weihnachten. - Das hat mit Transparenz und mit vernünftigen Entscheidungsprozessen nun überhaupt nichts zu tun. ({3}) Wahrscheinlich werden die USA und Japan und Australien ihre Chancen, die nächste Fußballweltmeisterschaft austragen zu dürfen, nicht schmälern wollen und sich deswegen bei diesem Thema so zurückhalten. Wir sind uns einig, dass mitten in der Weihnachtszeit aus deutscher, europäischer, christlicher Sicht generell ein schwieriger Zeitpunkt für eine Fußballweltmeisterschaft ist; das wird uns wohl einen. ({4}) Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die ganze Welt ist nicht Weihnachten unterwegs, sondern es gibt auch andere Feste in anderen Religionen. Aber dann, meine Damen und Herren, muss man das vor der Abstimmung sagen, es vor der Entscheidung zum Kriterium machen und darf nicht danach sagen: Jetzt verlegen wir das Ganze mal schnell in den November und in den Dezember. Insofern sind wir gut beraten, von den internationalen Verbänden immer wieder Regeln einzufordern und auch lautstark - ich bin den Grünen dankbar für die Debatte, die wir heute hier führen können - zu artikulieren, welche Erwartung wir als deutsche Demokratie an Verbände haben, aber auch an Länder, die internationale Großsportereignisse ausrichten dürfen. Natürlich ist Hamburg der demokratische, der moralische, der sportpolitische, der gesellschaftliche Gegenentwurf zu anderen Orten, an denen wir Großveranstaltungen erlebt haben und in Zukunft erleben werden. Ich rate uns sehr - da wäre übrigens auch die Linke gefordert, mal ihr eigenes Bild zu klären -, in der Frage Russland nicht doppelzüngig zu argumentieren: einerseits Maßstäbe einzufordern, dann aber einer Fußballmannschaft der Ukraine zuzumuten, dass sie möglicherweise in Moskau bei der Fußballweltmeisterschaft spielen muss, während ihre Verwandten von russischen Soldaten niedergeschossen werden. ({5}) Das muss dann auch kritisiert werden, lieber Herr Kollege Hahn. Das gehört dann auch zur Wahrheit: Dann kann man nicht dort weggucken, weil einem die russische Position aus politischen Gründen näher ist als vielleicht die mitteleuropäische oder die deutsche. Insofern, meine Damen und Herren, empfehle ich Glaubwürdigkeit. Ich empfehle, dass wir uns sehr differenziert damit beschäftigen. Im Übrigen empfehle ich auch, Frau Göring-Eckardt, dass wir dann Deutsche in die Gremien schicken. Ich war sehr froh, dass Sie bei Ihrer Rede ab und zu Ihre Kollegin Roth angeschaut haben - ich hatte den Eindruck, das hat besänftigend auf Ihr Manuskript gewirkt -, ({6}) weil es natürlich richtig ist, dass Frau Roth sich in den Gremien engagiert, ({7}) anders als die Grünen, die sich der Debatte über die Olympiabewerbung Deutschlands verweigern, an ihr nicht teilnehmen, aber vorher und hinterher schlaue Nachrichten verkünden; das ist sicherlich der falsche Weg. Transparenz ist wichtig, Dialog ist wichtig. Beides setzt übrigens voraus, dass wir mit den Verbänden reden, dass wir mit den Verantwortlichen reden und für unsere Werte werben. Ich bin mir ganz sicher: Wir werden kontinuierlich in diesem Jahrhundert in den Sportverbänden eine Entwicklung haben, die auch in der Gesellschaft weitergeht: zu mehr Demokratie, zu mehr Menschenrechten, zu mehr Transparenz. Dazu soll und muss der Sport einen Beitrag leisten. Dafür werden wir uns einsetzen. Herzlichen Dank. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner für die SPD ist der Kollege Detlev Pilger. ({0})

Detlev Pilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004376, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sport ist eine der schönsten Nebensachen der Welt, begeistert Menschen, erhält die Gesundheit, verschafft Emotionen und dient der Integration und der Völkerverständigung. Welches Bild jedoch die Bevölkerung vielfach von sportlichen Großveranstaltungen hat und welche Befürchtungen damit verbunden werden, hat uns der Bürgerentscheid zur Olympiabewerbung in München und Garmisch-Partenkirchen, aber auch in anderen europäischen Ländern deutlich gemacht. Die Olympiade in Sotschi und die WM in Brasilien haben diese Einschätzungen weiter verstärkt: Dort wurden gigantische Sportstätten ohne Rücksicht auf Umwelt und Natur gebaut; die Arbeitsbedingungen waren unmenschlich, und es gab wenige Nachnutzungskonzepte. In Brasilien wurden zum Teil Stadien für Zigtausende Besucher in biologisch hochsensiblen Gebieten gebaut, in denen heute nur wenige Hundert Menschen Sportveranstaltungen verfolgen. Diese Stadien sind schon heute dem Zerfall gewidmet. Die Abgründe, die sich im Rahmen der WM-Vergabe in Katar auftun, sind jedoch wohl kaum zu überbieten. ({0}) Die Verantwortlichen haben immerhin „nur“ vier Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass es im Sommer in der Wüste zu heiß ist, um Fußball zu spielen. Beim Bau der Stadien werden Menschen- und Arbeitsrechte nicht geachtet. Momentan sind mehr als 13 000 Gastarbeiter in Katar. Der Internationale Gewerkschaftsbund fällte 2014 ein vernichtendes Urteil - Zitat -: Ausländische Beschäftigte werden wie Sklaven behandelt. Schuld daran sei das Kafala-System, bei dem die Arbeiter dem Arbeitgeber gehören: Er nimmt ihnen den Pass ab, lässt sie sechs Tage in der Woche zehn Stunden am Tag in der Hitze schuften, sodass bisher schon Hunderte Arbeiter auf den Baustellen gestorben sind. Appelle, Abhilfe zu schaffen, verhallen. Wo bleibt der Aufschrei der Würdenträger? Wo bleibt die längst überfällige Bildung einer unabhängigen Kommission, die die Zustände kontrolliert? ({1}) Damit nicht genug: Bereits heute steht die FIFA im Hinblick auf die WM 2018 vor einem weiteren hausgemachten Problem. Je näher der Zeitpunkt der WM in Russland rückt, desto häufiger werden die Rufe nach einem Boykott laut. - Alles nichts Neues. Die Vergangenheit hat bereits vielfach gezeigt, dass die Unterdrückung der Opposition und die Verletzung der Menschenrechte keine Ausschlusskriterien für die Ausrichtung von sportlichen Großveranstaltungen sind. Mit diesem System wird billigend in Kauf genommen, dass sich politische Herrscher öffentlichkeitswirksam in Szene setzen. Doch zurück nach Katar. Ich kenne niemanden, der die Vergabe der WM in den Wüstenstaat gutheißen würde. Aber ich kenne auch keine Scheichs, die die eigentlichen großen Gewinner dieser WM sind. Man erkennt das schlechte Gewissen der FIFA, die nun die die Spieler abgebenden Vereine mit den doppelten Summen entschädigt. Wenn sich alle Europäer einig wären, dann sollten sie diese WM boykottieren. ({2}) Dann soll das System Blatter doch mal eine WM ohne Spanier, Italiener, Engländer, Holländer, Franzosen und Deutsche spielen! Das wäre ein deutliches Zeichen. ({3}) Denn dass sich die FIFA von selbst reformiert, ist so unwahrscheinlich wie ein Wintereinbruch in Katar. Mich und Millionen Fußballbegeisterte, die sich auf die Spiele vorbereiten und äußerst freuen, würde das zutiefst treffen. Aber den Preis würde ich zahlen und mich in dieser Zeit dann stattdessen auf den Advent und Weihnachten vorbereiten. Wenn Großveranstaltungen ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen sollen, darf es zukünftig nicht mehr zu solchen Vergaben kommen. ({4}) Wir brauchen Vergaberichtlinien, die mit den Sportorganisationen diskutiert und abgesprochen werden. Dieser Katalog muss sich an ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien ausrichten und ein schlüssiges Nachnutzungskonzept ausweisen. Gelingt das nicht, verlieren solche sportlichen Großveranstaltungen zusehends an Akzeptanz und verfehlen das Gefühl einer sportlichen Weltfamilie. Zu dieser gehören auch die Hunderte von Gastarbeitern in Katar, die bereits auf den Baustellen ihr Leben gelassen haben und deren Familien nun ohne Ernährer überleben müssen. Vielen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Özcan Mutlu. ({0})

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Umgang mit Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften verhalten wir uns ziemlich verrückt und widersprüchlich, wie auch die Debatte heute wieder gezeigt hat. Auf der einen Seite wissen wir um die strukturellen Probleme des internationalen Sports: Wir wissen um Korruption, Vetternwirtschaft, Intransparenz, die herrschende Großmannssucht und die Gigantomanie. Auf der anderen Seite sind wir aber auch Konsumenten dieser Sportevents. Die TV-Einschaltquoten steigen und steigen, und wir treffen uns Tag und Nacht zum Public Viewing - bald auch mit Glühwein zum Wüstenfußball 2022, was nur die wenigsten abschrecken wird. Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Vielleicht kommt die FIFA ja noch zur Vernunft und schaut nicht mehr zu, wie in Katar Menschenrechte mit Füßen getreten und Menschen wie Sklaven auf Baustellen gehalten werden. ({0}) Wir Grüne sagen ganz klar und deutlich: Die Verlegung der WM 2022 ist längst überfällig. ({1}) Meine Damen und Herren, transparente, saubere und nachhaltige Spiele sind möglich, wenn die Weltsportverbände wieder zu ihren Ursprüngen zurückfinden, statt sich von Kommerz und Korruption treiben zu lassen. Ob die FIFA und das IOC diesen Willen haben, darf im Allgemeinen bezweifelt werden. Peking, Sotschi, Russland und Katar sprechen für sich. Dabei haben sich die zahlreichen Länder im Rahmen der UNESCO-Weltsportministerkonferenz und der Berliner Erklärung auf klare und konkrete Regeln für den internationalen Sport verständigt. Deutschland kann mit der Hamburger Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 oder 2028 zeigen, dass nachhaltige und transparente Spiele in Demokratien sehr wohl möglich sind. ({2}) Bis dahin muss aber noch viel Wasser die Elbe herunterfließen. Wir wissen nämlich, dass sich der DOSB mit der Bewerbung Hamburgs für 2024 sehr viel vorgenommen hat - vielleicht zu viel, zumal die Chancen für die Fußball-EM 2024 in Deutschland sehr groß sind. Große Sorgen mache ich mir besonders auch um die Kostenentwicklung und die finanzielle Solidität der Bewerbungs- und Austragungsphase. Hier reicht ein kritischer Blick nach London. Mit circa 13,5 Milliarden Euro haben sich die Kosten der Londoner Spiele vervierfacht. Das kann und darf nicht der Weg von Hamburg sein. Ich bin aber optimistisch. Dank der absehbaren grünen Beteiligung im Hamburger Senat bin ich zuversichtlich, dass die Bewerbung einen guten Weg einschlagen wird. Bei dieser Gelegenheit wünsche ich der Hamburger Bewerbung viel Glück und viel Erfolg. ({3}) Ich möchte hier klarstellen, dass wir uns zu keiner Zeit gegen Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland ausgesprochen haben. Dass wir nicht als Feigenblatt zum DOSB gegangen sind, war auch keine Absage an die Spiele, sondern an das Gebaren des DOSB. ({4}) Ich habe bei der ganzen Debatte den Eindruck gewonnen, dass viele - auch in diesem Raum hier - das Ziel bescheidener Spiele in Hamburg mit uns teilen. Wir teilen die Absicht, dass die Menschen vor Ort frühzeitig in alle Planungsphasen einbezogen und mitgenommen werden. Wir wollen Spiele, bei denen der Sport und vor allem die Sportlerinnen und Sportler wieder im Mittelpunkt stehen. Selbst beim IOC wächst mit der Agenda 2020 langsam ein Reformpflänzchen. Aber ich glaube das erst, wenn rote Teppiche und freie Vorfahrt für IOC-MitglieÖzcan Mutlu der keine Vorbedingungen für Olympiabewerbungen mehr sind oder wenn Host-City-Verträge nicht wie in Stein gemeißelt unverändert bleiben müssen. Lieber Kollege Gienger, Frau Kollegin Engelmeier, Sie tun immer wieder so, als finde der Sport in einem politikfreien Raum statt. ({5}) - Das ist Unsinn. - Der Sport findet nicht im politikfreien Raum statt, und das sollten Sie endlich einmal verstehen. ({6}) Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Antrag möchten wir die Kräfte im organisierten Sport unterstützen, die mit uns die Vision eines besseren Sports und sauberer Spiele teilen. Ich möchte Sie einladen, diese Vision von sauberen, nachhaltigen und transparenten Spielen mit uns voranzubringen, gerade weil der Sport eine so herausragende gesellschaftliche Funktion hat.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Mutlu, der letzte Satz wäre ein guter Schlusssatz gewesen.

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen - egal, ob es dabei um Olympische und Paralympische Spiele in Hamburg, die European Games in Baku oder die Fußball-WM in Katar geht. Das hat der Sport nötig. Ich danke Ihnen. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist für die Unionsfraktion der Kollege Reinhard Grindel. ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pilger, Kritik an der FIFA ist berechtigt. Aber sie muss auch gerechtfertigt sein. Zur Fairness gehört es, auf den Umstand hinzuweisen, dass die FIFA bei der Fußballweltmeisterschaft von Brasilien acht Stadien verlangt hat. Die Entscheidung, zusätzlich auch in Manaus und noch an drei anderen Orten Stadien zu bauen, war eine Entscheidung der brasilianischen Regierung, die ich für falsch halte. Wenn man Kritik übt, dann muss man sie richtig adressieren. In diesem Fall muss sie an die brasilianische Regierung gerichtet werden. Im Übrigen haben wir es in Russland mit dem gleichen Phänomen zu tun. Auch da wurden statt der verlangten acht Stadien zwölf gebaut. Die Schwierigkeiten, die Russland im Augenblick hat, sind mit Sicherheit im Bereich des Baus von Stadien genauso groß wie im Bereich der Politik. Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben gesagt: Hamburg ist eine gute Wahl. - Das ist richtig. Aber niemand hat an dieser guten Wahl so wenig mitgewirkt wie die Bundestagsfraktion der Grünen. ({0}) Man muss es unseren Zuschauern einmal darstellen: Die gute Wahl für Hamburg ist unter anderem auf der Grundlage der Ergebnisse einer Expertenrunde beim DOSB getroffen worden. Da waren alle vertreten: Sportler, Olympiaexperten, Umweltverbände, Behindertenverbände, alle politischen Parteien, sogar die Linke, nur nicht die grüne Bundestagsfraktion. ({1}) Aber die Grünen waren vertreten, nämlich mit Frau Fegebank, der Landesvorsitzenden der Hamburger Grünen, ({2}) die dort als Teil der Hamburger Delegation einen exzellenten Auftritt hatte. Wie ich von Teilnehmern der Expertenrunde weiß, war ihr Auftritt sicherlich ein Beitrag dazu, dass sehr viele gesagt haben: Hamburg hat nicht nur ein gutes Konzept, sondern auch die verantwortlichen Personen, die bei den Menschen für dieses gute Konzept werben können. - Insofern sage ich Ihnen: Wir brauchen keine Leute, die von den Zuschauerrängen schlechte Stimmung verbreiten, sondern wir brauchen Leute, die auf dem Spielfeld mitmachen. Frau Fegebank hat das begriffen, Sie nicht. Das ist der große Unterschied. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Grindel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu? ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Kollege Grindel, eine Frage, weil ich Ihren falschen Vorwurf nicht im Raum stehen lassen möchte: Waren Sie denn geistig abwesend, als wir als grüne Bundestagsfraktion im Sportausschuss des Bundestages mehrfach das Thema Bewerbung von Berlin und Hamburg für die Olympischen Spiele in Deutschland angemeldet haben und Vertreter des DOSB eingeladen haben, um den Fahrplan für die Olympischen Spiele zu diskutieren, damit uns deutlich gemacht wird, wie die Entscheidungskriterien zu gewichten seien und, und, und? Das war nicht eine Sitzung, das waren mehrere Sitzungen. Waren Sie da geistig abwesend, oder muss ich Ihnen jetzt Böswilligkeit unterstellen?

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Ich habe darauf hingewiesen, dass der Satz von Frau Göring-Eckardt: „Hamburg ist eine gute Wahl“ stimmt, dass auch das stimmt, was Frau Engelmeier gesagt hat, dass Hamburg genau zur Reformagenda 2020 des IOC passt, dass Hamburg, wie der DOSB-Präsident Hörmann zu Recht gesagt hat, die Agenda-City ist und dass Hamburg im Grunde genommen ein Konzept vorgelegt hat, über das man sagen kann: Wenn ihr es mit Reformen ernst meint, dann nehmt Hamburg. - Deswegen bin ich auch guten Mutes, dass Hamburg alle Chancen hat, sich gegen Boston durchzusetzen. Wenn man aber für diese Sache ist, dann muss man darauf auch Einfluss nehmen. Diesen Einfluss auf diejenigen, die über die Vergabe zu entscheiden haben, hätte man in der genannten Expertenrunde geltend machen müssen. Sie aber haben gehofft, mit populistischen Argumenten, mit Ihrem Boykott und Ihrer Nichtanwesenheit bei dieser Veranstaltung bei Sportjournalisten oder anderen Punkte zu machen. Ich habe Ihnen eben gesagt, dass Frau Fegebank als Hamburger Grüne das anders gemacht hat, dass sie einen Beitrag dazu geleistet hat, dass der Satz von Frau Göring-Eckardt „Hamburg ist eine gute Wahl“ stimmt. Zu dieser Wahl hat Frau Fegebank beigetragen. Insofern kann ich nur sagen: Ich wünsche mir bei den Grünen etwas mehr Fegebank und etwas weniger Mutlu, wenn Sie mir das nicht übelnehmen. ({0}) Ich will Ihnen auch sagen, Herr Mutlu, da Sie diese Zwischenfrage gestellt haben: Sie haben hier kräftig vom Leder gezogen und gesagt, die Argumentation hier sei zum Teil verrückt und widersprüchlich. Sie sprechen in Ihrem Antrag weniger - um nicht zu sagen: gar nicht von der Autonomie des Sports, ({1}) sondern Sie sprechen von Berichtspflichten. Ferner ist davon die Rede, der Sport sei anzuhalten, der Sport habe überprüft zu werden. Sie sprechen sogar von Sanktionen gegen den Sport. Wissen Sie, was Sie wollen, klingt ein bisschen nach kompletter Kontrolle des Sports durch den Staat; das wäre Staatssport. Das, was Sie hier verlangen, ist - und das ist der Widerspruch - gerade in den Ländern an der Tagesordnung, bei denen Sie nicht wollen, dass dorthin sportliche Großveranstaltungen vergeben werden. Vielleicht denken Sie darüber noch einmal nach. Etwas weniger Kontrolle, etwas weniger staatlicher Einfluss, die Autonomie des Sports achten, auch das gehört zum Verhältnis von Politik und Sport, so wie es zumindest wir als Union haben. Sie vergießen hier Krokodilstränen wegen der Bewerber für die Olympischen Winterspiele 2022. Gleichzeitig verlangen Sie eine Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen. ({2}) Aber ich will Ihnen schon - auch ein bisschen in Abgrenzung zu Frau Engelmeier - entgegenhalten: Wenn man im Fall von München diese Form der Bürgerbeteiligung nicht durchgeführt hätte, sondern auf das Votum der von den Bürgern gewählten parlamentarischen und kommunalpolitischen Gremien vertraut hätte, dann hätten wir in meinen Augen jetzt sehr gute Chancen für eine Winterolympiade in München, einer Stadt, die den Anforderungen Ihres Antrages mehr entsprochen hätte als die Bewerberstädte Almaty oder Peking. Ich bin ganz sicher: Die leider manchmal etwas zu schweigsame Mehrheit der Bürger in München und Umgebung würde sich auf diese Spiele freuen. Es wäre in München auch anders gegangen und im Sinne der Menschen und der olympischen Idee vielleicht auch besser. ({3}) Ein letzter Gesichtspunkt. Sie mahnen den Sport in Ihrem Antrag sehr stark zur Corporate Social Responsibility, also zu sozialer Verantwortung. Sie formulieren das in einer Weise in Ihrem Antrag, die besagt, dass es da heute sehr viele Defizite gebe. Klaus-Dieter Fischer, der langjährige Präsident von Werder Bremen, der Ende letzten Jahres aus seinem Amt ausgeschieden ist und der in seinem Verein eine CSR-Abteilung mit über zehn Mitarbeitern geschaffen hat, ist gefragt worden, was für ihn der bewegendste Moment seiner Amtszeit war. Da hat er von der Blindenfußballabteilung bei Werder erzählt, die er einmal besucht hat. Er sprach davon, wie ein blinder kleiner Junge zum ersten Mal mittrainiert hat und hinterher zu seiner Mutter gesagt hat: Mama, stell dir vor, ich habe Fußball gespielt. Ich könnte Ihnen etwas zur Begeisterung von Mannschaften aus den Werkstätten für Behinderte sagen, die ihre Meisterschaften austragen. Mittlerweile schließen sich sogar ganze Teams Vereinen an, um dort im ganz normalen Spielbetrieb mitzumachen. Es gibt Hunderte von Flüchtlingskindern, die in diesen Tagen der Tristheit ihrer Unterkunft entfliehen, bei Vereinen Sport treiben, da glücklich sind und bei dieser Gelegenheit neue Freunde finden und auch Deutsch lernen. Oder soll ich Ihnen von dem Strafgefangenen erzählen, der entlassen wurde und ein neues Umfeld gefunden hat - heraus aus seinem alten -, weil er im Gefängnis den Schiedsrichterschein gemacht hat? Vereine sind womöglich dankbar, wenn so einer zu ihnen kommt. Diese Vereine fragen eben nicht nur: Was hast du vor der Zeit im Gefängnis gemacht? Es gibt Tausende von Beispielen, die deutlich machen, dass der Sport in unserem Land seine soziale Verantwortung wahrnimmt. ({4}) Dafür brauchen sie, Herr Kollege Mutlu, keine Anträge der Grünen. Dafür braucht man ein gutes Selbstverständnis, ehrenamtliches Engagement und eben kein Miesmachen, sondern Mitmachen. Dazu fordere ich uns alle auf. Herzlichen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner für die SPD ist der Kollege Axel Schäfer. ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute dieses Thema diskutieren. Es ist wichtig, fast am Ende dieser Debatte darauf hinzuweisen, dass es hier in vielen Punkten Übereinstimmung zwischen den Fraktionen gibt. Deshalb könnte ich eine Reihe von Punkten der Kollegin Göring-Eckardt und des Kollegen Hahn durchaus unterschreiben, die SPD insgesamt sicherlich auch. Ein Punkt wurde aber leider völlig ausgeblendet: So richtig Kritik an Verbänden ist, es darf die Selbstkritik nicht fehlen, also die Kritik am eigenen Parlament. Ich möchte deshalb daran erinnern, dass 1980 der Deutsche Bundestag - von den damals Beteiligten ist niemand mehr im Saal - den dümmsten Beschluss seiner Geschichte gefasst hat: Er hat die Sportverbände veranlasst, die Olympischen Spiele in Moskau zu boykottieren. ({0}) Das war dumm, weil wir fast die Einzigen waren, weil der Sport in eine Abhängigkeit geriet und weil dieser Beschluss irreparabel war: Anders als bei einer Rentenreform konnte man nichts mehr ändern, sondern die Spiele waren gelaufen. Dieser dumme Beschluss wurde vier Jahre später durch den ebenso dummen Beschluss der Volkskammer noch getoppt: Wie viele andere Staaten auch boykottierte die DDR die nächsten Spiele in Los Angeles. Das sollte uns eine Lehre sein. Wenn es um das Verhältnis zwischen Sport und Politik geht, sollten wir immer die Balance wahren sowie auch über die eigenen Fehler, Schwächen und Erfahrungen reflektieren. Es war wichtig, dass man auch hierüber einmal redet. ({1}) Es ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, notwendig, auf Folgendes hinzuweisen: Man darf bei keinem Großereignis - so wie es damals der Sportausschussvorsitzende Peter Danckert in Bezug auf die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland sagte -, bei diesen wichtigen und auch wirklich schönen Spielen und Wettkämpfen, zu keinem Zeitpunkt den Eindruck haben, dass in unserem Land - durch die Regeln, die uns die FIFA oder das IOC oktroyiert; die Host-City-Verträge wurden angesprochen - die Demokratie zum Teil außer Kraft gesetzt wird. Das geht in Demokratien nicht. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit unseren Bewerbungen - das gilt auch für das, was wir jetzt im Hinblick auf Hamburg beschlossen haben - ein gutes Beispiel auch was unser Verständnis in Europa und mit Europa angeht - geben, ohne dass wir den anderen Teilen der Welt vorschreiben wollen, wie etwas zu sein hat. Vielmehr sollten wir das im positiven Sinne machen. Kollege Grindel, da bin ich anderer Meinung als Sie: Wenn es in vier Städten in Bayern eine Mehrheit gegen Olympische Winterspiele gibt - was ich sehr bedauere -, dann ist das auch Teil der Demokratie, von der wir und mit der wir leben. Der DOSB ist heute der Meinung, dass man eine Vergabe nur noch durchführen kann, wenn das auch von den Bürgerinnen und Bürgern - genauso wie von den parlamentarischen Gremien - akzeptiert wird. Und das ist auch gut so. ({2}) Da ich gerade beim Kollegen Grindel war, kann ich nun direkt auf etwas sehr Positives zu sprechen kommen. Man muss auch im Deutschen Bundestag einmal darauf hinweisen, dass das Verhältnis zwischen Sport und Politik keine Einbahnstraße sein darf. Es ist gut und richtig, dass wir ehrenamtlich engagierte Funktionsträger haben. Das sind auf der einen Seite die Kollegen Gienger und Grindel sowie auf der anderen Seite die Kolleginnen Freitag und Engelmeier. Sie stehen in ihren Verbänden mit an der Spitze. Sie sind von ihren Wählerinnen und Wählern demokratisch legitimiert, haben entsprechende Verantwortung und können die Belange des Sports hier kompetent einbringen. Auch das gehört dazu. Des Weiteren gehört dazu, dass wir als Politikerinnen und Politiker unsere Meinung öffentlich klar kundtun, wenn es um streitige Fragen geht. Ich finde es wichtig, dass wir über Menschenrechte in Katar und auch über Diskriminierung in Sotschi reden. Das finde ich richtig. Genauso richtig finde ich es, dass einige von uns - das gilt für mich genauso - sagen: Wenn die FIFA jetzt einen neuen Präsidenten wählt, ist es gut, wenn sich die europäischen Verbände - es sind 54 abstimmen und einen gemeinsamen Kandidaten kraftvoll unterstützen. Ich sage Ihnen - nach den Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte - aber auch ganz offen: Ich wäre froh, wenn diese Abstimmung zu dem Ergebnis führen würde: Joseph Blatter ist weg. Es ist an der Zeit. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Johannes Steiniger für die CDU/ CSU. ({0})

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich als letzten Redner der Debatte zunächst noch auf ein paar Stichworte des Antrags, der uns heute vorliegt, zurückkommen, die im ersten Satz der Begründung aufgeführt sind. Darin ist von Menschenrechtsverletzungen, Gigantomanie, Umwelt- und Naturvernichtung, Korruption, Intransparenz und Vetternwirtschaft die Rede. Man hätte im Vorfeld durchaus auf die Idee kommen können, dass wir heute Morgen über die Bekämpfung des organisierten Verbrechens diskutieren. ({0}) Dies aber ist das Bild, das der eingebrachte Antrag vom internationalen Sport zeichnet. Dass es in der Sportwelt durchaus zu schweren Verfehlungen kommt, bestreitet kein Mensch. Ich glaube, es ist gut, dass wir heute in der Kernzeit über die Fraktionsgrenzen hinweg auch die Themen FIFA und Katar angesprochen haben. Dieser Antrag diskreditiert mit seinem implizierten Generalverdacht aber die gesamte internationale Sportfamilie. Wir dürfen die öffentliche Aufmerksamkeit nicht immer nur auf die einigen Dutzend Spitzenfunktionäre lenken, sondern wir müssen die Sportverbände an sich im Blick haben. Mein Bild etwa der Fußballweltmeisterschaft oder der Paralympischen und Olympischen Spiele in London ist ein anderes: Die weltweiten Spiele stehen aus meiner Sicht vielmehr für Begriffe wie Völkerverständigung, fairer Wettbewerb, internationale Begegnung und kultureller Austausch. Sie stehen für das friedliche Miteinander von Nationen und die Zusammenkunft von Athletinnen und Athleten aus der gesamten Welt, um ein gemeinsames Sportfest zu feiern. Der von den Grünen eingebrachte Antrag legt allerdings - auch das wurde heute schon angesprochen; es ist einer der wichtigsten Punkte, warum ich den Antrag nicht gut finde - ein Stück weit die Axt an die Autonomie des Sports und stellt diesen grundlegend infrage. Er widerspricht der Grundidee, dass Athletinnen und Athleten und die vielen ehrenamtlich Engagierten in den zahlreichen Sportvereinen sich innerhalb des DOSB und seiner Dachverbände selbst organisieren und dem Sport auch international eine funktionierende Struktur geben. Denn es sind die Verbände selbst, die ihre Zielsetzung und Ausrichtung festlegen. ({1}) Durch regelmäßige Wahlen und Beratung in ihren Mitgliederversammlungen entscheiden die Sportfachverbände eben ganz autonom über Personal und Inhalte. ({2}) Diese demokratischen Verfahren legitimieren ihr Handeln. Das ist der Wesenskern der Autonomie des Sports. ({3}) Es ist doch klar, dass es Regeln braucht. Aber in Ihrem Antrag wird der falsche Adressat angesprochen. Natürlich brauchen wir Regeln, und der DOSB muss an erster Stelle mitkämpfen. Aber wer in seinen Aussagen und seinem Wording den DOSB auf diese Weise anspricht, wie Sie seitens der Grünen es tun, Kollege Mutlu, wird keinen großen Erfolg haben. Ohne die Frage stellen zu wollen, wem mit dieser relativ losen Aneinanderreihung Ihrer 16 Punkte mit diffusen Problemlagen geholfen ist, möchte ich schon darauf hinweisen, dass man einige Ihrer Forderungen getrost abhaken kann, da sie entweder bereits erreicht, angedacht, geplant oder auf einem guten Weg sind. Vieles von dem, was im Antrag beispielsweise in puncto Nachhaltigkeit und Umweltschutz, Transparenz und Bürgerbeteiligung gefordert wird, ist im deutschen Konzept der Olympiabewerbung bereits umgesetzt, übrigens auch mit der klaren Orientierung an der Reformagenda 2020 des IOC. Wenn die Grünen konsequent wären, müssten sie denklogisch eigentlich die größten Vorkämpfer für Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland sein. ({4}) - Ja gut, Herr Mutlu. Aber so, wie Sie sich im Vorfeld der aktuellen Bewerbung verhalten haben, habe ich nicht feststellen können, dass Sie die größten Vorkämpfer für Olympische Spiele in Deutschland sind und das auch an erster Stelle beworben haben. ({5}) Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. ({6}) Denn man muss sich entscheiden: Nimmt man in Kauf, dass autoritäre Staaten den Zuschlag für Spiele bekommen, oder begreift man die Herausforderungen und Chancen einer eigenen starken Bewerbung? Dann kann man nämlich die Spiele nach unseren Standards ausrichten und damit für die Zukunft die Messlatte setzen. Es ist besser, Reformen von innen heraus anzugehen, als unrealistische Forderungen an die Politik zu stellen. Zurück zum Antrag. Der Antrag gibt der „Berliner Erklärung“ als Ergebnis der fünften Weltsportministerkonferenz viel Raum, und zwar aus meiner Sicht zu Recht. Denn sie gilt in der Tat als Meilenstein. ({7}) Die Grünen fordern nun die Bundesregierung auf, die getroffenen Beschlüsse schnell umzusetzen. Ich kann nicht erkennen, weshalb der Innen- und Sportminister des Gastgeberlandes ein Interesse daran haben sollte, dies nicht zu tun. Zum Umsetzungsstand der Vereinbarung der Weltsportministerkonferenz hat die Bundesregierung Anfang März ausführlich Stellung genommen. Beispielsweise wurden für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Leistungssport eine deutliche Verbesserung erreicht und zusätzliche Mittel bereitgestellt. Weiter wird die Wahrung der Integrität des Sports als zentrales Themenfeld in der „Berliner Erklärung“ beschrieben. Auch dieser zentralen Forderung kommen wir mit einem Anti-Doping-Gesetz nach. Ein entsprechender Gesetzentwurf war bereits gestern Gegenstand der Kabinettssitzung. Ich komme zum Schluss. Es ist falsch, zu glauben, dass sich die Sportfamilie in Deutschland auf europäischer und internationaler Ebene gewisser Missstände im organisierten Sport nicht bewusst ist. Vom Hochleistungssportler bis zum ehrenamtlich Engagierten haben schließlich alle das gemeinsame Ziel, die Integrität des Sports zu leben. Jeder, der im Sport Verantwortung trägt, weiß um die große Strahlkraft des Sports und die Bedeutung, die er für so viele Menschen in unserem Land hat. Lassen Sie uns in dem Sinne an dieser Idee weiter gemeinsam arbeiten, sodass es auch 2024 in Hamburg wieder heißen kann: Die Welt zu Gast bei Freunden. - Dieser Antrag leistet dazu leider keinen nennenswerten Beitrag. Danke schön. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3556 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden Drucksache 18/4422 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Forschungsrahmenprogramm der Bundesregierung zur IT-Sicherheit Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt 2015 - 2020 Drucksache 18/4304 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Weil ich keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Sven Volmering für die CDU/CSU das Wort. ({2})

Sven Volmering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004432, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die gerade kontrovers geführte Sportdebatte erleichtert mir ein wenig den Übergang zu meinem Redebeginn. Wir erinnern uns alle sehr gerne an das Jahr 2014, in dem wir Fußballweltmeister geworden sind. Dieser Titel war bei allem notwendigen Glück auch Lohn für den Tüchtigen, der sich nach den Debakeln bei großen Turnieren um die Jahrtausendwende auf den Weg gemacht hat, die Talentförderung in Deutschland neu zu gestalten. Vor einer ähnlichen Herausforderung steht Deutschland heute bei der digitalen Bildung. Wir hinken den Weltmeistern hinterher. Nur 1,5 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler haben bei der internationalen ICILS-Studie die höchste Kompetenzstufe erreicht. Computereinsatz findet viel zu selten und wenig fächerübergreifend statt. Nur 30 Prozent aller Kinder haben in der Schule regelmäßig Kontakt mit ihnen. Der internationale Mittelwert liegt hier bei 52 Prozent. Die Studie macht auch klar, dass das Aufwachsen in einer technologisch geprägten Welt nicht automatisch zu kompetenteren Nutzern führt. 30 Prozent der Schüler verfügen über nur sehr gering ausgeprägte digitale Kompetenzen; bei Schülern mit Zuwanderungshintergrund sind es sogar 40 Prozent. Ohne eine stärkere Verankerung digitaler Medien in allen Lernprozessen droht im internationalen Vergleich Mittelfeldgeplänkel und auf Sicht der Abstieg. Ob es uns nun gefällt oder nicht: Die Bereiche Lernen, Wissensaneignung und Mediennutzung werden sich durch die Digitalisierung weiter fundamental ändern. Zwei Drittel der Lehrer sind der Auffassung, dass der Einsatz digitaler Medien junge Menschen motivierend dabei unterstützt, Informationen wirksamer zu verarbeiten. 72 Prozent der Eltern und Schüler wünschen einen verstärkten Einsatz digitaler Medien. Um eine digitale Spaltung zu vermeiden, müssen wir allen Kindern und Jugendlichen eine vernünftige digitale Grundbildung zukommen lassen. ({0}) Diese ist eng mit Medienkompetenz verknüpft und beinhaltet dann auch den sicheren, verantwortungsvollen und kritischen Umgang mit digitalen Medien und Programmen. Das ist mit Blick auf den Datenschutz wichtig, aber auch mit Blick auf bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Es geht dabei nicht um die „totale Zwangsdigitalisierung“, wie der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, befürchtet, und es geht auch nicht um die Abschaffung wichtiger Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben, sondern um den didaktisch sinnvollen Einsatz, der sogar dazu führen kann, dass die Geräte, wenn es sinnvoll ist, auch einmal aus bleiben. Wenn aber in einer Minute im Internet 204 Millionen E-Mails verschickt, 13,8 Millionen WhatsApp-Nachrichten versendet, 42 000 Fotos bei Instagram hochgeladen und 277 000 Tweets gesendet werden - Herr Mutlu, wahrscheinlich machen Sie es gerade wieder -, ({1}) dann ist das die Lebensrealität, mit der unsere Kinder und Jugendlichen aufwachsen. Schule ist zu oft ein „Ort des digitalen Fastens“, wie ein Lehrer jüngst in einem Beitrag kritisiert hat. Das konterkariert dann auch ausgezeichnete Projekte wie den Medienpass NRW. Ich finde, es ist immer ein wenig plump, wenn Angst vor digitalen Medien auch damit begründet wird, dass eine überwältigende Mehrheit unserer Kinder und Jugendlichen zu potenziellen Cybermobbern wird. Das sage ich, ohne die Problematik herunterspielen zu wollen. Aber so geht es auch nicht. ({2}) Es ist daher eine gute Sache, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern eine Strategie „Digitales Lernen“ entwickelt. Es ist eine gute Sache, dass wir heute im Deutschen Bundestag über digitale Bildung debattieren. Dies ist auch Anerkennung für viele in der Bildung tätige Erzieher, Lehrer, Aus- und Fortbilder, die als Pioniere Innovationen in ihre Einrichtungen bringen und denen dafür auch unser Dank gebührt. Es ist auch eine gute Sache, dass CDU/CSU und SPD einen gemeinsamen Antrag auf den Weg bringen. Wir berücksichtigen dabei die Erkenntnisse aus der Enquete-Kommission, wir arbeiten den Koalitionsvertrag ab, und wir verteilen - das mache ich als Lehrer natürlich besonders gern Hausaufgaben an die Bundesregierung, die Länder und die KMK. Das positive Feedback vom Verband für Bildung und Erziehung, das wir auf unseren Antrag hin bekommen haben, hat uns sehr gefreut. ({3}) Es kann, lieber Herr Mutlu, keine Rede davon sein, dass beim Bund kein Interesse besteht, die IT-Bildung in Deutschland zu verbessern, wie Sie dem Tagesspiegel gesagt haben. ({4}) Es ist sicherlich legitim, zu fragen, und es ist auch legitim, zu kritisieren - das erwarte ich von einer Oppositionspartei -; aber ich erwarte auch, dass Sie konkrete eigene Ideen in die Debatte einbringen und vielleicht auch einmal über das ständige Schimpfen über das Kooperationsverbot hinausgehen. Das ist auf die Dauer ein bisschen ermüdend. Wenn man Bundestagsreden-Bingo spielen würde, wäre dieser Punkt immer sehr schnell abgehakt. ({5}) Letzte Woche haben die Minister Wanka und Gabriel den Startschuss für die Plattform Industrie 4.0 gegeben, in der Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik den Schulterschluss suchen. Eine ähnliche Zusammenarbeit erwarte ich eigentlich auch beim „Pakt für Digitale Bildung“, der die unterschiedlichen Aktivitäten dieser Akteure bündeln soll, um inhaltlich und infrastrukturell ein Stück voranzukommen. Ich durfte letzte Woche auf der CeBIT als Pate Schüler aus Dorsten beim „Open Roberta“-Projekt begleiten, bei dem Kinder lernen, einen Legoroboter zu programmieren. ({6}) Solche Kooperationsprojekte von Fraunhofer-Gesellschaft und Wirtschaft müssen viel stärker vernetzt, ausgebaut und auch bekannt werden. Es ist des Weiteren unerlässlich, bei der Aus- und Weiterbildung von Pädagogen und Lehrkräften anzusetzen. Die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ leistet ihren Beitrag. Ich wünsche mir, dass dort noch das eine oder andere Projekt mehr Aufnahme findet. ({7}) Wir brauchen eine Anpassung der Curricula und Prüfungsordnungen bei der Lehrerausbildung. Dabei konnten sich bislang nur magere 12 Prozent Kenntnisse über digital basierten Unterricht aneignen. Das ist leider noch zu wenig. Schließlich müssen wir über die Bundesländergrenzen hinweg über einheitliche Standards bei der Medienkompetenz für die unterschiedlichen Altersstufen der Schüler reden und sie dann auch in einer Ländervergleichsstudie überprüfen. Deshalb gehen wir hier einen neuen Weg. Wir wollen aufgrund der Wichtigkeit des gesamten Themas über einen Länderstaatsvertrag oder zuSven Volmering mindest über einen weiter gehenden KMK-Beschluss nachdenken. Neben der digitalen Grundbildung brauchen wir allerdings auch digitale Exzellenz. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, nach dem Vorbild der Eliteschulen des Sports unsere IT-Spitzenkräfte von morgen an Profilschulen IT/Digital auszubilden. Auch das ist eine Vereinbarung, die dringend mit Leben gefüllt werden muss. Die Länder könnten dies beispielsweise durch die Mittel finanzieren, die frei geworden sind, weil der Bund sie beim BAföG entlastet hat. Dort ist immer noch Potenzial vorhanden; diese Mittel können genutzt werden. ({8}) Der Antrag ist sehr umfangreich. Es fehlt die Zeit, alle Punkte anzusprechen. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, meiner Berichterstatterkollegin Saskia Esken und ihren Mitarbeitern sowie auch meinen Mitarbeitern für die gute Zusammenarbeit bei der Antragsformulierung zu danken. In 95 Prozent der Fälle ist das glattgelaufen. Bei 5 Prozent hat es gehakt; das ist normal. Insgesamt herzlichen Dank! Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit. Ebenfalls Dank an die Arbeitsgemeinschaften für Bildung der beiden Fraktionen CDU/ CSU und SPD, die wirklich zahlreiche Anregungen gegeben haben! Ich freue mich auf die Debatte jetzt, ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss - nach der wohlverdienten Osterpause - und bin gespannt, wie lange es dauert, Frau Hein, bis ich dann auch bei einer Rede von Ihnen theoretisch „Bingo!“ rufen könnte. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mal schauen, ob das mit dem Bingo etwas wird. ({0}) Ich würde auch gerne mit einem Zitat beginnen, und zwar mit einem Zitat des Vorsitzenden des VBE, des Verbandes Bildung und Erziehung. Er hat erst vor wenigen Tagen auf dem Schulleitungskongress in Düsseldorf gesagt: Die digitale Schule gibt es in Deutschland bislang nur virtuell … Es wurde auch kritisiert, was alles fehlt. Ich lese aus den Äußerungen seitens des VBE auch nicht viel Bestätigung, sondern eher Kritik an den Zuständen. ({1}) - Erst gestern? Dann müssen sich die Zustände aber in wenigen Tagen deutlich verändert haben. Ich glaube das nicht. Ich denke, dass die Kritik berechtigt ist, dass es dabei bleiben wird und leider auch bleiben muss. ({2}) Natürlich sind die digitalen Medien aus der Bildung, aus der Schule nicht mehr wegzudenken. Nur gibt es die Voraussetzungen dafür in den Schulen in Deutschland leider nicht. Ganz sicher gibt es gute Beispiele. Ich habe mir vor drei Jahren in Magdeburg in einer Grundschule angeschaut, wie eine dritte Klasse mit Laptop und Whiteboard arbeitet. Das war ein Projekt, das von der Magdeburger Uni und vom Fraunhofer-Institut begleitet wurde. Ich war sehr neugierig auf das digitale Klassenzimmer, und hinterher war ich wirklich beeindruckt. Die Klischees, die besagen, die Kinder würden nachher nur noch am Computer sitzen, stimmen nicht. ({3}) Da kann man sehr beruhigt sein. ({4}) Ist also alles gut? Nein, bei weitem nicht. Politikerinnen und Politiker aller Ebenen sonnen sich ganz gern im Lichte solcher Leuchttürme. Wir sind aber weit davon entfernt, dass die Nutzung digitaler Medien in der Schule zum Alltag gehört; Sie haben das eben anhand der Studie sehr ausführlich erläutert. Das liegt daran, dass die Schulen darauf nicht ausgerichtet sind. Die Lehrenden sind zu wenig darauf vorbereitet; die Lehr- und Lernmittel stehen nicht zur Verfügung. Durch den uns vorliegenden Antrag soll dies nun geändert werden. In der Tat werden wesentliche Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ aus der vergangenen Legislaturperiode aufgegriffen; das haben wir sehr wohl registriert. ({5}) Die Empfehlungen sind damals auch von allen Fraktionen begrüßt worden. Wir stehen auch heute noch dahinter; aber Begrüßen allein reicht eben nicht. ({6}) Wenn die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag davon sprechen, dass die Digitalisierung in einem rasanten Tempo voranschreitet, so will ich doch fragen, was Sie denn meinen, wie weit man in zwei Jahren mit diesem rasanten Tempo kommt. Wer von uns hat eigentlich noch das Handy von vor zwei Jahren? Ich glaube, wenn wir noch fünf Jahre brauchen, dann sind die Technologien sehr viel weiter und wir fangen wieder von Neuem an. ({7}) Deshalb haben wir keine Zeit mehr. Es wird aber Zeit benötigt, um das alles auf die Reihe zu bekommen. Ich war kürzlich in einem Gymnasium meines Bundeslandes. Man braucht heute Tablets, Whiteboards, digitale Arbeitsplätze für Lehrkräfte; das kennen Sie alles. In diesem Gymnasium gibt es in jeder Klassenstufe vier Parallelklassen, also etwa 32 Klassen, und nur fünf Whiteboards. Da kommt jede Klasse, schätze ich, jedes Vierteljahr einmal dran. Das ist doch keine digitale Bildung. ({8}) Und das ist schon viel, was in diesem Gymnasium zur Verfügung steht. Was also kann Ihr Antrag bewirken? Wollen Sie der Bundesregierung tatsächlich auf die Sprünge helfen? Ich bin gespannt, was der Staatssekretär nachher sagt. Dann hätten Sie allerdings mehr aufschreiben müssen als nur die Empfehlungen der Enquete-Kommission. Digitale Bildung geht nicht ohne Geld. Da können Sie den Breitbandausbau noch und nöcher vorantreiben. Wenn er vor der Schultür endet, ist nicht viel geholfen. ({9}) Das ist etwa so, als würden Sie eine Wasserleitung bis auf den Schulhof bauen, aber die Leitungen im Schulhaus vergessen. Dann können Sie zwar noch eine Pumpe anschließen und das Wasser ins Klassenzimmer tragen. Das geht aber mit digitalen Daten nicht. ({10}) Sie haben gerade ein Infrastrukturprogramm des Bundes beschlossen. Das wäre doch eine Chance gewesen, auch etwas für die digitale Bildung zu tun. ({11}) Zum Beispiel hätte ein digitales Ausbau- und Ausrüstungsprogramm für die Länder beschlossen werden können. Bei der energetischen Sanierung machen Sie das doch auch. Die dadurch zur Verfügung gestellten Gelder könnten die Länder dann in die Schulen stecken. Aber so bleiben Sie bei Ihren Aufforderungen und Ankündigungen stehen, verstecken sich hinter der Länderhoheit und kommen nicht voran. ({12}) In Ihrem Koalitionsvertrag werden Gespräche mit den Ländern über Profilschulen angekündigt. In Ihrem Antrag ist das nun zum Prüfauftrag verkommen. Ich finde, das ist eine beeindruckende Leistung. Sie hören sicherlich den Sarkasmus in meiner Stimme. Ich will ein paar Probleme nennen, über die wir dringend reden müssen und für die wir alle noch keine Lösung haben: Wie verändert sich der Unterricht, welche didaktische Aufbereitung ist nötig? Wie ist die technische Betreuung der Schulnetze zu gestalten? Eine Lehrkraft kann das nicht nebenbei machen. Wie soll die technische Erneuerung materiell und finanziell abgesichert werden? Um den sozialen Zugang zu sichern, hätten Sie ja wenigstens den Vorschlag machen können, die Mittel für das Schulbedarfspaket aufzustocken. Das könnte der Bund. So hätte man zum Beispiel zumindest für diejenigen, die von diesem Schulbedarfspaket profitieren, etwas tun können, damit sie sich mit Laptops und Tablets ausstatten. Das wäre eine Möglichkeit. ({13}) Ich muss mich hier aus Zeitgründen beschränken, will aber sagen, dass es auch eine ganze Menge Risiken gibt, die damit verbunden sind und die wir noch nicht überschauen. Einige von uns sitzen ja im Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Technikfolgenabschätzung. Genau darum geht es auch hier. Wir haben beantragt - es ist ja auch so aufgenommen worden -, einen Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung zu dieser Thematik einzufordern. Der wird erstellt und hoffentlich noch in diesem Jahr erscheinen. Wir wollen das nicht, um zu verhindern, dass es digitale Bildung gibt; wir wollen das, damit sie erfolgreich ist. Dazu muss man aber auch über die Probleme und Risiken sowie über die Auswirkungen etwas wissen. Darüber wissen wir zu wenig. Sie beschränken sich auf Appelle, verweisen ein weiteres Mal auf die Länder. So wird die Digitalisierung in der Bildung weiter auf sich warten lassen oder als Flickenteppich enden - wie das ganze Bildungssystem. Schönen Dank. ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Saskia Esken. ({0})

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleich zu Beginn möchte ich gerne das Lob und den Dank des Kollegen Volmering zurückgeben. Wir haben wirklich sehr gut zusammengearbeitet, und wir sind zu einem guten Antrag gekommen, wie ich meine. Im Privaten wie bei der Arbeit - dieses Internet und die digitalen Medien spielen eine immer größere Rolle. Doch sind alle Menschen in Deutschland gleich gut vorbereitet, an dieser digitalisierten Welt teilzuhaben? Eine Studie der Initiative D21 zur Entwicklung der digitalen Kompetenz der Bevölkerung kommt zu einem ernüchternden Ergebnis. Entlang der sozioökonomischen Verhältnisse und dem Bildungsstand der Menschen verläuft in Deutschland, so die Studie, eine stabile digitale Spaltung. Da gibt es diejenigen, die schon wie selbstverständlich und sehr kompetent an den Potenzialen der Digitalisierung teilhaben, und es gibt eben sehr viele, denen nicht nur der schnelle Breitbandanschluss fehlt. Ihnen fehlt vor allem der sichere und souveräne Umgang mit dem, was wir mit dem Breitbandanschluss zu den Menschen bringen wollen. Auch in der Arbeitswelt werden digitale Kompetenzen immer wichtiger. Es deutet sich schon heute ein immenser Bedarf an IKT-Fachkräften an - in der Wirtschaft, aber auch in der öffentlichen Verwaltung. Schon in sehr naher Zukunft wird es kaum noch ein Berufsfeld geben, das ohne eine zumindest grundständige IT-Bildung auskommt. Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Digitalen Agenda ein Pflichtenheft zur Gestaltung der digitalisierten Welt vorgenommen. Auch das heute hier vorgestellte Forschungsrahmenprogramm der Bundesregierung zur IT-Sicherheit ist einer solch wichtigen Aufgabe geschuldet: der Förderung der digitalen Souveränität des deutschen und europäischen Wirtschaftsraums in Bezug auf IT-Sicherheitstechnik und Sicherheitsverfahren, die wir für die Abwehr von Überwachung und Cyberkriminalität brauchen. Daneben steht - nicht minder wichtig - die digitale Souveränität der Bürgerinnen und Bürger, die durch einfach anwendbare Verschlüsselungsverfahren und andere Schutzmaßnahmen wieder in die Lage versetzt werden sollen, Herr ihrer eigenen Daten zu sein. Zum Thema „digitale Bildung“ - das ist ein weiterer Beitrag zur digitalen Souveränität der Bürgerinnen und Bürger - findet sich in der Digitalen Agenda ein ehrgeiziges, aber bislang wenig konkret ausgearbeitetes Vorhaben. Man will, so steht es dort geschrieben, mit den Bundesländern und anderen Akteuren des Bildungssystems eine gemeinsame Strategie „Digitales Lernen“ erarbeiten. Mit dem Antrag von SPD und Union wollen wir diesem Vorhaben einen weiteren Anstoß geben und konkreter beschreiben, welche Maßnahmen im Rahmen dieser Strategie umgesetzt werden sollen. ({0}) Vor wenigen Tagen hat der stellvertretende SPDFraktionsvorsitzende Hubertus Heil angekündigt, dass die SPD-Fraktion auf der Grundlage des Investitionsprogramms des Bundes ab dem Haushaltsjahr 2016 60 Millionen Euro für die digitale Bildung zur Verfügung stellen will. Ich finde, das ist eine ausgezeichnete Investition in die Zukunft unseres Landes. ({1}) Ich möchte auf drei der wichtigsten Voraussetzungen eingehen, die erfüllt sein müssen, damit Schulen sich für die Stärkung der digitalen Bildung auf den Weg machen können. Sicher könnte man hier auch über die technische Infrastruktur oder über die Finanzierung digitaler Endgeräte sprechen. Ich bin aber der Überzeugung, dass es in der Bildung zuerst auf kompetente Lehrkräfte, auf klar definierte und im Konsens vereinbarte Bildungsziele und nicht zuletzt auf gute didaktische Konzepte und Lerngegenstände ankommt. Deshalb möchte ich genau darüber sprechen. Erstens. Digitale Bildung braucht Lehrerbildung. Lehrkräfte wollen, dass sich Schülerinnen und Schüler fit machen für die Mediengesellschaft, in der sie bereits heute leben, und für die Schule arbeiten, wie wir gestern vom BITKOM erfahren haben. In der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte fehlt es aber an Modulen für Mediendidaktik, sodass sich viele dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlen. Mit dem Antrag wollen wir deshalb die verpflichtende Aufnahme mediendidaktischer Inhalte in die Studien- und Prüfungsordnungen von Lehrkräften und anderem pädagogischen Personal erreichen. Dazu müssen Fortbildungsangebote kommen, die sich niederschwellig und effektiv am Bedarf der Bildungseinrichtungen und ihrer Lehrkräfte orientieren. Zweitens. Digitale Bildung muss in die Bildungspläne. Wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien erwerben und dass sie ein grundlegendes Verständnis für die Sprache der Digitalisierung, die Logik der Algorithmen erhalten. Gerade bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche sollen so besser für eine Teilhabe an der digitalisierten Welt befähigt werden. ({2}) Wir empfehlen deshalb in unserem Antrag die fächerübergreifende Verankerung der Medienkompetenz in den Bildungsplänen ebenso wie einen zeitgemäßen und jeweils entwicklungsgerechten Informatikunterricht. ({3}) Drittens. Digitale Bildung braucht freie und offene Lehr- und Lernmaterialien. Der gute Umgang mit der Diversität, der gemeinsame Unterricht für behinderte und nicht behinderte Schülerinnen und Schüler - diese Ansätze brauchen differenzierte, barrierefreie und individuell anpassbare Konzepte und Materialien. Mit digitalen Medien sind solche Anpassungen ein Kinderspiel, wenn sie in den richtigen Formaten vorliegen und wenn das Bearbeiten, Speichern und Weitergeben der Materialien erlaubt ist. Schülerinnen und Schüler wiederum lassen sich dann von einem Thema packen, wenn sie ihre Lerngegenstände selbst erstellen, verändern, weitergeben und sich dazu austauschen können. Sie können dabei ihre Stärken und ihre kreativen Potenziale ausbauen und Selbstwirksamkeit erleben. Beides sind wichtige Faktoren für einen nachhaltigen Lernerfolg. ({4}) Lehr- und Lernmaterialien müssen dazu unter Lizenzen vorliegen, die die Veränderung und Weitergabe erlauben. Solche Materialien werden als Open Educational Resources, kurz OER, bezeichnet. In Deutschland spielen OER in den Schulen bisher keine große Rolle, während europäische Nachbarn wie beispielsweise Polen, aber auch die USA schon viel weiter sind. In der Koalition sind wir gewillt, hier aufzuholen. Im laufenden Haushaltsjahr haben wir erstmals 2 Millionen Euro für OER eingeplant, und wir sind als SPD-Fraktion entschlossen, diesen Titel weiter auszubauen. ({5}) Dazu kommt die Forderung, dass wir das in die Jahre gekommene Urheberrecht endlich an die Erfordernisse des digitalen Zeitalters anpassen und die Verwendung geschützter Werke für Bildung und Wissenschaft weiter öffnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren, natürlich gibt es Schulen, die schon heute gute Medienbildungskonzepte umsetzen. Natür9186 lich gibt es Bundesländer, die sich schon auf einen richtigen Weg begeben. In Baden-Württemberg beispielsweise, woher ich komme - das hören Sie -, definieren Kultusminister Andreas Stoch und sein Haus im neuen Bildungsplan die Medienbildung als eine fächerübergreifende Leitperspektive. Über alle Altersstufen und Schulformen hinweg soll die Medienbildung eine starke Rolle spielen. Auch Bildungsministerin Britta Ernst hat sich für ihre Amtszeit vorgenommen, die Schulen in Schleswig-Holstein fit zu machen für das digitale Zeitalter. ({6}) Der Schulwettbewerb „Digitales Lernen“ soll nun in einem ersten Schritt besonders nachhaltige und ganzheitliche Medienbildungskonzepte auszeichnen und fördern, die dann als nachahmenswerte Beispiele ins Land ausstrahlen. Ich habe in unseren Vorgesprächen zu diesem Antrag, die wir mit den Ländern geführt haben, noch von einer Vielzahl guter Ansätze und Vorhaben gehört. Dennoch hat uns das unterdurchschnittliche Abschneiden Deutschlands in der ICILS-Studie zu den Computer- und Informationskompetenzen von Schülerinnen und Schülern vor Augen geführt: Um in der Fläche des Landes zu wirken, braucht es ein konzertiertes, verpflichtendes und damit verlässliches Gesamtkonzept für die Stärkung der digitalen Souveränität von Schülerinnen und Schülern. ({7}) Wir schlagen deshalb in unserem Antrag neben zahlreichen Forderungen an die Adresse des Bundes eine verbindliche Vereinbarung der Bundesländer über gemeinsame Bildungsziele, Standards und Maßnahmen vor, beispielsweise in einem Länderstaatsvertrag. Verbindliche Ziele, gemeinsame und konzertierte Maßnahmen die Strategie „Digitales Lernen“ kann davon nur profitieren. Bund und Länder, Schulträger und weitere Akteure müssen sich jetzt gemeinsam auf den Weg machen, die Chancen und Herausforderungen der digitalen Bildung in Angriff zu nehmen, um die digitale Spaltung zu überwinden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Özcan Mutlu. ({0})

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Computer-Trottel Deutsche Schüler liegen bei der IT-Kompetenz weit zurück - mit alten Geräten So lautet die Überschrift eines Kommentars einer Tageszeitung vom November 2014 in Reaktion auf die erste ICILS-Studie, eine internationale Bildungsstudie, die ähnlich wie die PISA-Studie die Internet- und Medienkompetenz von Achtklässlern untersucht hat. Im Gegensatz zum damaligen PISA-Schock blieb der ICILSSchock aus. Dabei gibt es genügend Gründe dafür: überalterte Hardware, mangelhafte Internetanbindung, unzureichende IT-Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer, ein Drittel der getesteten Schülerinnen und Schüler in der Gruppe der digitalen Analphabeten. Damit nicht genug: Die digitale Schere geht auseinander, die digitale Spaltung der Gesellschaft schreitet leider voran. Das können und dürfen wir nicht akzeptieren. ({0}) Liebe Koalition, Ihr gutgemeinter Antrag ist nicht geeignet, dieser Misere ein Ende zu setzen. Industrie 4.0, digitale Technologien, Digitale Agenda etc. verkommen zu Floskeln, wenn wir unsere Schülerinnen und Schüler nicht für die Anforderungen der neuen Medien wappnen. ({1}) Wir Grünen haben Anfang dieses Jahres die Bundesregierung gefragt, welche Konsequenzen sie aus den schlechten Ergebnissen der ICILS-Studie ziehe. Die Antworten der Bundesregierung auf unsere 19 Fragen kann man in einem Satz zusammenfassen: Wir sind nicht zuständig; das ist Aufgabe der Länder. - Ich sage: Das ist mehr als peinlich. ({2}) Ihr Antrag zur digitalen Bildung bleibt hinter dem, was dringend notwendig ist, und hinter dem, was Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vollmundig ankündigten, weit zurück. Er listet auf, was die Bundesregierung in Gesprächen „mit den Ländern und Akteuren aus allen Bildungsbereichen“ vor allem beraten soll. Daraus kann man schließen, dass die notwendigen Gespräche in den letzten 15 Monaten noch nicht einmal begonnen haben. Sie begrüßen in Ihrem Antrag Selbstverständlichkeiten und fordern die Bundesregierung auf, diverse bereits bestehende Programme weiter zu unterstützen. Ich sage: So wird das nichts mit der Stärkung von digitaler Bildung und Medienkompetenz und erst recht nichts mit der Überwindung der digitalen Spaltung der Gesellschaft. ({3}) An der entscheidenden Stelle fordern Sie die Bundesregierung auf, sich lediglich bei den Bundesländern und der KMK für einen Länderstaatsvertrag einzusetzen. Wenn Sie - da schaue ich in die Reihen der SPD - das Kooperationsverbot abgeschafft hätten, dann bräuchten wir heute so etwas nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Die digitale Gesellschaft stellt uns vor große Herausforderungen, vor allem in der Bildung, wie wir hier gehört haben. Deshalb empfehle ich, einen Blick in den Schlussbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zu werfen, ({5}) die in den Projektgruppen „Bildung und Forschung“ sowie „Medienkompetenz“ sehr konkrete Handlungsempfehlungen vorgelegt hat, ({6}) und zwar mit den Stimmen aller Fraktionen. Meine Damen und Herren, egal ob bei den Themen Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer, OER, Hardwareausstattung, Vernetzung, Lizenzen, Datenschutz usw. usf. - wir werden nicht umhinkommen, mehr Geld in die Hand zu nehmen, um die Handlungsempfehlungen umzusetzen und die Herausforderungen zu meistern. Deshalb ist Ihr Antrag zu kurz gesprungen. ({7}) An dieser Stelle kann ich nur hoffen, dass sich der Kollege Heil durchsetzt und die Bereitstellung der Mittel mit dem Koalitionspartner vereinbart wird. Digitale Bildung, Inklusion, Ganztagsschulausbau oder Bildungsgerechtigkeit insgesamt - all das sind Themen, die regelrecht nach der Abschaffung des Kooperationsverbotes schreien. Ich appelliere an Sie: Hören Sie diese Schreie, und handeln Sie jetzt! ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Stefan Müller. ({0})

Stefan Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003597

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Mutlu, wenn es einen Preis zu verteilen gäbe für den größten Nörgler, dann stünden Sie ziemlich weit oben auf der Rangliste. ({0}) Für die kurze Redezeit, die Sie haben, können Sie nichts. Vielleicht aber hätten Sie die kurze Redezeit, die Sie haben, dafür nutzen sollen, auch eigene Vorschläge zu machen. ({1}) Ich habe meine Unterlagen zu diesem Tagesordnungspunkt noch einmal durchgesehen; mir ist kein Antrag der Grünen aufgefallen. ({2}) Gleiches gilt übrigens auch für die Linke. Also: Leider Fehlanzeige. ({3}) Außer anderen, also den Regierungsfraktionen und der Bundesregierung, kluge Ratschläge zu geben und zu sagen, was alles nicht passt, hätten Sie die Zeit vielleicht dafür verwenden sollen, sich eigene konzeptionelle Gedanken zu machen, so wie es die beiden Regierungsfraktionen gemacht haben. ({4}) Wenn wir uns nun die Themen dieser Debatte einmal ansehen, dann stellen wir fest: Beide Themen, digitale Bildung einerseits und IT-Sicherheit andererseits, könnten jedenfalls auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein. Beide Themen eint aber, dass sie Reaktionen auf die Chancen und die Herausforderungen der Digitalisierung sind. Die Bundesregierung hat im letzten Jahr mit der Digitalen Agenda schon einmal wichtige Eckpfeiler im Bereich der Digitalisierung gesetzt. Dort werden alle Themen und Maßnahmen gebündelt, die mit der Digitalisierung zu tun haben. ({5}) Bildung, Wissenschaft und Forschung bilden einen ganz wesentlichen Bereich in dieser Agenda; ({6}) schlicht und ergreifend auch deswegen, weil wir zur Kenntnis nehmen, dass Bildung und Forschung auch bei der Digitalisierung wesentliche Treiber der Innovationen von morgen sind. Sie sind wirkungsvolle Hebel, um die Potenziale, die uns die Digitalisierung für Gesellschaft und Wirtschaft bietet, am Ende auch zu erschließen. Das heißt, es geht bei dieser Digitalen Agenda um eine große Bandbreite von Themen wie die Stärkung der Medienkompetenz, die Digitalisierung der Arbeitswelt und der Verwaltung bis hin zum Thema IT-Sicherheit. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Das BMBF hat eine ganze Reihe von Schwerpunkten im Rahmen dieser Digitalen Agenda gesetzt und wird sie noch setzen. Wir arbeiten an einer Open-Access-Strategie, weil auch in der Wissenschaft der freie Zugang zu aktuellen Publikationen von essenzieller Bedeutung ist. Es geht um den digitalen Wandel in der Wissenschaft. Wir sind einer Empfehlung des Wissenschaftsrates gefolgt und haben einen Rat für Informationsinfrastrukturen - der Begriff ist zugegebenermaßen ziemlich technisch - ins Leben gerufen, der nun eigene Vorschläge machen wird, wie die Digitalisierung und der digitale Wandel in der Wissenschaft gestaltet werden können. Wir werden ein eigenes Programm zur Medizininformatik auf den Weg bringen, um die bestehende Krankenversorgung weiter zu verbessern. Dies sollen einige wenige Beispiele sein, um zu zeigen, dass an dieser Stelle schon einiges passiert ist und dass die Fraktionen mit diesem Antrag wichtige Impulse auch für die weitere Arbeit im Bereich des digitalen Lernens geben. ({7}) Wir haben einen klaren Handlungsauftrag bereits im Koalitionsvertrag verankert. Der Antrag der Koalitionsfraktionen greift diesen Auftrag aus dem Koalitionsvertrag auf und setzt entsprechende Schwerpunkte. Sie haben ja aufmerksam zugehört. Wie man im Übrigen nach den Reden des Kollegen Volmering und der Frau Kollegin Esken sagen kann, da kämen keine Vorschläge, kann jedenfalls ich nicht nachvollziehen. Da ist vieles von dem aufgegriffen worden, was in der Tat auch Gegenstand unserer Gespräche mit den Ländern sein wird. ({8}) Herr Mutlu, man kann die föderalen Zuständigkeiten aber nun einmal nicht wegwischen. Ich finde es richtig, dass wir diese Zuständigkeitsverteilung haben. Der Bund wird natürlich seiner Verantwortung gerecht werden. Selbstverständlich werden wir Impulse geben und die Länder motivieren, ({9}) hier zu gemeinsamen Vereinbarungen zu kommen. ({10}) Da brauchen Sie sich gar keine Sorgen zu machen. ({11}) Wir brauchen an dieser Stelle Ihre Nachhilfe nicht. ({12}) Vor allem enthalten Sie uns Ihre Vorschläge immer noch vor. Sie hätten ja heute Gelegenheit gehabt, dazu etwas zu sagen. ({13}) Lassen Sie mich noch auf die IT-Sicherheit und auf das IT-Sicherheitsprogramm eingehen. Den großen Chancen der Digitalisierung stehen auch Risiken gegenüber. Allein für 2013 werden die wirtschaftlichen Schäden aufgrund von IT-Angriffen weltweit auf 575 Milliarden Dollar geschätzt. Das Problem ist, dass diese Angriffe nicht nur häufiger werden, sondern auch gefährlicher. Wir müssen leider zu dem Ergebnis kommen, dass bestehende Sicherheitslösungen immer noch zu kurz greifen. Das heißt, wir müssen an dieser Stelle langfristig denken. Wir müssen auch in der Forschung eine neue Qualität von IT-Sicherheit erreichen. Deshalb hat die Bundesregierung am 11. März das Forschungsrahmenprogramm zur IT-Sicherheit „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt 2015-2020“ beschlossen. Das Programm wird eine Laufzeit von sechs Jahren haben, also bis 2020 laufen, und ein Volumen von circa 180 Millionen Euro haben. Was sind die Ziele dieses Forschungsprogramms? Letztendlich lassen sich vier übergeordnete Ziele zusammenfassen. Erstens. Wir wollen die innovativen technischen Grundlagen für IT-Sicherheit weiter ausbauen. Zweitens. Wir wollen Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Staat besser vor illegalen Zugriffen auf die Daten schützen und damit letztlich auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Bereich der IT-Sicherheit stärken. Wir wollen Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen - das ist der dritte Punkt -, ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrzunehmen und selbst zu entscheiden, welche Daten über sie erhoben werden und wie diese Daten genutzt werden sollen und dürfen. Der vierte Punkt ist: Wir wollen und werden mit diesem Forschungsrahmenprogramm alle relevanten Aktivitäten innerhalb der Bundesregierung bündeln, fokussieren und gemeinsam nach außen hin darstellen. Wir haben uns, um diese Ziele zu erreichen, vier Forschungsschwerpunkte gesetzt. Es geht um Hightech für die IT-Sicherheit, also um die Entwicklung neuer technologischer Ansätze, zum Beispiel auch im Bereich des autonomen Fahrens. Es geht um sichere und vertrauenswürdige IKT-Systeme. Hier ist der Schwerpunkt bei der Sicherheit von komplexen Netzwerken und Systemen. Es geht um IT-Sicherheit in bestimmten Anwendungsfeldern, zum Beispiel beim Schutz kritischer Infrastrukturen. Es geht letztlich um Privatheit und Schutz von Daten für ein digitales Leben, zum Beispiel auch um den Schutz von sensiblen Gesundheitsdaten. Das alles sind Themen, die von außerordentlicher Wichtigkeit sind, wenn es um ein solches Sicherheitsforschungsprogramm geht. Das heißt, das neue Forschungsprogramm wird für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, unserer Unternehmen und auch des Staates einen wichtigen Beitrag leisten. Es soll das Vertrauen der Bürger in das Internet und in die Sicherheit in einer digitalen Welt, in einem digitalen Zeitalter stärken. Insofern ist mein Appell: Lassen Sie uns gemeinsam die Chancen der Digitalisierung nutzen für mehr Bildungsgerechtigkeit, exzellente Wissenschaft und Forschung und für mehr Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland. ({14})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. - Einen schönen Tag von meiner Seite Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und unseren Gästen auf der Tribüne. - Der nächste Redner in der Debatte: Harald Petzold für die Linke. ({0})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen! Nach dieser Rede von Herrn Staatssekretär Müller bin ich fast schon glücklich darüber, dass die Koalition überhaupt den Mut aufgebracht hat, hier einen solchen Antrag vorzulegen und wenigstens den Eindruck zu erwecken, dass sie mit dieser lahmen Schnecke von Bundesregierung unzufrieden ist. Die Koalition tut jetzt zumindest so, als wolle sie signalisieren, dass es ihr nicht schnell genug geht, nachdem wir schon wieder drei Jahre verschlafen haben, seitdem die Enquete-Kommission ihren Zwischenbericht vorgelegt hat. ({0}) Ich finde, Herr Staatssekretär Müller, es ist schon einigermaßen ({1}) dreist - sagt gerade meine Kollegin Lötzsch; ich kann mich dem nur anschließen -, wenn Sie dem Kollegen Mutlu und der Kollegin Hein vorwerfen, dass sie hier konkrete Beispiele und Vorschläge schuldig geblieben sind. Gleichzeitig haben Sie nicht mehr anzubieten als neue Arbeitskreise, neue Untersuchungen und neue Verhandlungsgruppen, mit denen Sie im Gespräch sein wollen. Wenn Sie das als konkrete Maßnahmen verkaufen wollen, werden mindestens weitere drei Jahre vergehen, in denen nichts passiert im Bereich digitaler Bildung, bei der Medienkompetenz und der Überwindung der digitalen Spaltung der Gesellschaft. ({2}) Wenn ich mir den Inhalt des Antrags anschaue, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, sehe ich, dass es sich mit dem Mut allerdings auch schon erledigt hat. ({3}) Das ist ein Antrag für die Schrankwand zu Hause. Den können Sie sich golden einrahmen, über das Bett hängen und weiterschlafen. ({4}) Sie haben bereits in der Darstellung der Ausgangssituation, mit der wir es zu tun haben, deutlich gemacht, dass Sie die Dimension des gesellschaftlichen Wandels, um die es hier geht, nicht einmal ansatzweise verstanden haben. Denn es geht natürlich nicht nur um Fachkräftemangel und Verwertbarkeit in der Wirtschaft, sondern auch um Selbstbestimmung, Freiheit, Emanzipation, Kritikfähigkeit, Urteilsvermögen ({5}) und natürlich auch um das Verhältnis von Wahrheit und Täuschung in der virtuellen und in der analogen Welt zugleich. Wer das aus den letzten Wochen und den Ereignissen rund um den Stinkefinger und unser Verhältnis zu Wirklichkeit und Fake nicht gelernt hat, dem kann ich nur sagen, er soll sich wieder schlafen legen. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalition beruft sich in ihrem Antrag auf die Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Ich kann Sie nur ermutigen: Machen Sie das aber konsequent! Gestehen Sie sich ein - der Kollege Mutlu hat es gesagt -: Ohne Überwindung des Kooperationsverbots wird das alles nichts werden. Sie reden hier von einem Länderstaatsvertrag. Wie lange soll das alles noch dauern? Ohne die Überwindung der feudalen, Entschuldigung, föderalen Kleinstaaterei im Bildungswesen ({7}) können wir uns bundesweite, gemeinsame, länderübergreifende Programme - und mit welchen Adjektiven Sie die ganzen Programme noch belegen wollen - abschminken. Ohne die Sicherstellung einer flächendeckenden Breitbandversorgung wird ein Großteil Ihrer Vorschläge technisch gar nicht funktionieren. Ohne eine umfassende Netzneutralität sind auch Ihre ganzen wohlklingenden Vorstellungen von der Förderung von freien Lern- und Lehrmaterialien, Schul-Clouds und dergleichen etwas für die Schrankwand. ({8}) Sie können froh sein, dass meine Redezeit schon zu Ende ist. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, daran wollte ich Sie gerade erinnern. ({0})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin, ich habe Ihr Signal gesehen. - Ich sage nur: Die Empfehlungen der Enquete-Kommission sind es wirklich wert, sie als Richtschnur dafür zu nehmen, welche Maßnahmen umgesetzt werden könnten. Sie waren schon damals Bundestagsabgeordneter, Herr Kollege Müller. Sie wissen, dass Sie die Hand gehoben haben, als es hieß, dass jeder Schüler einen Computer bekommen soll. Jeder! Das ist der Maßstab. Daran gilt es anzuknüpfen. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Petzold. - Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion Oliver Kaczmarek. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn wir als Bildungspolitiker über die Chancen des digitalen Wandels sprechen, dann tun wir das nicht nur, weil wir einen technologischen Wandel nachvollziehen wollen, sondern auch, weil wir diesen Wandel gestalten und die großen Potenziale heben wollen, die die digitale Bildung für die Entwicklung des gesamten Bildungswesens bietet. Dazu möchte ich zwei grundsätzliche Anmerkungen machen und am Schluss auf die Handlungsoptionen im jetzt schon bestehenden Rahmen eingehen. Der Handlungsbedarf liegt im internationalen Vergleich auf der Hand; Herr Kollege Volmering hat schon die ICILS-Studie, die die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen der Achtklässler erhoben hat, zitiert. Zusammengefasst kann man sagen: schlechte technische Ausstattung, mittlere Leistungen und hohe soziale Ungleichheit. Das hört sich für jemanden, der sich mit Schulleistungsstudien beschäftigt, irgendwie bekannt an; das scheint auf ein Strukturproblem hinzuweisen. Die Herausforderung für uns ist, dass wir mit digitaler Bildung insgesamt für mehr Chancengleichheit sorgen können. Das genau ist die Herausforderung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. ({0}) Nicht jeder Hinweis, den wir dazu in dieser Debatte erhalten, ist hilfreich. ({1}) Wer heute ein Buch über digitale Demenz, Verblödung oder die vermeintlichen Lügen der digitalen Bildung schreibt, verkauft zwar viele Bücher, liefert aber nicht nur hilfreiche und sinnvolle Hinweise zur digitalen Bildung. ({2}) Bei allem, was man dazu sagen kann - zum Beispiel, dass wir natürlich auch die Ergebnisse der Hirnforschung berücksichtigen müssen -, sind die Schlussfolgerungen, nicht selten in den Feuilletons der Zeitungen vorgetragen, teilweise falsch. Wer empfiehlt, digitale Medien zumindest im frühkindlichen Bereich und im Grundschulbereich zu verbannen, der ignoriert, dass der digitale Alltag bei den Kindern schon längst angekommen ist, und der macht einen Fehler, weil er nämlich insbesondere die Kinder benachteiligt, deren Eltern sie nicht im Umgang mit digitalen Medien unterstützen können. Das verstärkt die soziale Ungleichheit. Was wir brauchen, ist genau das Gegenteil. Deswegen dürfen wir die digitalen Medien nicht aus dem Alltag verbannen. ({3}) Die zweite Herausforderung, von der ich hoffe, dass sie mit digitaler Bildung bewältigt werden kann: Laptop und Beamer machen noch keinen guten Unterricht. Das gilt im Übrigen nicht nur für Schulen, sondern auch für Hochschulen, und da vielleicht sogar im Besonderen. Digitale Bildung, so wie wir sie verstehen müssen, bricht an einigen Stellen mit der Lernkultur, wie wir sie teilweise in unserem Bildungswesen in Deutschland vorfinden. Dabei ist, glaube ich, kooperatives Lernen die große Chance digitaler Bildung. Kooperatives Lernen meint: projektbezogen lernen, lösungsorientiert lernen, interdisziplinär lernen, teamorientiert lernen; das sind die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Wenn Schule, Hochschule, alle Bildungseinrichtungen so bleiben, wie sie sind, nur mit Computern, dann ist digitale Bildung gescheitert. Wir wollen, dass wir die große Chance der Modernisierung - auch der Lernkultur - mit digitalen Medien nutzen können. ({4}) Da komme ich wieder zurück auf die ICILS-Studie, weil sie auch Handlungsempfehlungen mitgibt, von denen ich glaube, dass sie zum Teil auch im bestehenden Rahmen schon sinnvoll mit angegangen werden können. Ich hoffe, dass wir in der Ausschussdebatte da über das eine oder andere vielleicht noch einmal konkret informiert werden und auch konkrete Verbesserungen vorschlagen können. Ich will vier Punkte herausgreifen. Der erste: Es geht um die Förderung professioneller Kompetenzen von Lehrpersonen; das ist hier mehrfach angesprochen worden. Vielleicht sollte man an dieser Stelle aber auch sagen, dass es - bei aller Kritik an diesem systemischen Fehler - natürlich auch darum geht, den Lehrerinnen und Lehrern, den Hochschullehrerinnen und -lehrern einmal Wertschätzung entgegenzubringen, die sich trotz widriger Umstände schon auf den Weg gemacht haben und versuchen, mit digitalen Medien im Unterricht sinnvoll zu arbeiten. Das gehört eben auch dazu: diese Wertschätzung an dieser Stelle aufzubringen. ({5}) Ich will auch das Stichwort „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ nennen, nicht weil ich der Meinung bin, dass die alle Strukturprobleme im Bildungswesen lösen kann, aber ich mir schon erhoffe, dass wir Projekte und Best Practice für die Integration von digitaler Bildung in den Unterricht identifizieren können. Zweite Herausforderung, die die Autoren der Studie benennen: Verbesserung der technischen Ausstattung in Schulen. Da muss ich schon sagen: Ich bin ein bisschen irritiert, dass die Redner der Opposition sich hierhinstellen und behaupten, die Bundesregierung würde ja überhaupt kein Geld in die Hand nehmen. Wir werden im Rahmen des Investitionsprogramms einen höheren Betrag - ich glaube, um die 4 Milliarden Euro - im Geschäftsbereich des Verkehrsministers zur Verfügung stellen, um den Breitbandausbau voranzubringen. ({6}) Darüber hinaus haben wir ein Sondervermögen gebildet - bis 2018, mit 3,5 Milliarden Euro -, mit dem strukturschwache Kommunen insbesondere in Infrastruktur und Bildung investieren können. Jetzt will ich hier nicht Ratschläge geben, wie sie die Gelder zu verteilen haben - da werden sowieso viel zu viele Ratschläge gegeben -, aber doch der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass Schulen mit leistungsfähigen Internetanschlüssen und intelligenten Schul-Cloud-Lösungen dann auch davon profitieren. ({7}) Ich will ganz kurz nur sagen: Was die Vertiefung der wissenschaftlichen Forschung angeht, müssen wir einmal darüber reden, ob das im Rahmenprogramm „Empirische Bildungsforschung“ eine Rolle spielen kann. Die Aufnahme der digitalen Bildung in die Bildungsberichterstattung ist sicherlich ein Punkt, den wir im Ausschuss diskutieren können. Frau Präsidentin, ich komme dann auch zum Schluss. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, sich darüber zu verständigen, dass es ganz grundsätzliche Potenziale gibt, die Kraft entfalten können zur Modernisierung unseres Bildungswesens, die Schule und Unterricht verändern und mehr Chancengleichheit herstellen können. Wenn wir das schaffen, dann bleibt es nicht nur bei einem technologischen Wandel, und das sollte unser Ziel sein. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege. - Nächste Rednerin in der Debatte: Tabea Rößner für Bündnis 90/ Die Grünen.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Der beste Jugendmedienschutz ist eine gut ausgebildete Medienkompetenz.“ ({0}) Ich hätte nie gedacht, dass ich der Großen Koalition im Neuland Internet einmal ein „+ 1“ aussprechen würde. Bei Ihrer bisherigen Tatenlosigkeit im Bereich Medienkompetenz ist es aber nicht verwunderlich, dass Sie sich auf grüne Positionen beziehen, um endlich vorwärtszukommen; allerdings endet hier meine Zustimmung dann auch. ({1}) Mich stört an Ihrem Antrag etwas ganz Grundsätzliches: Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen in Deutschland vor allem fördern wollen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, und nicht, um sie zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, zu mündigen Menschen in einer digitalen Gesellschaft zu machen. ({2}) Medienkompetent und mündig bedeutet aber auch: kritisch gegenüber der Medienberichterstattung in Sendungen wie Günter Jauch, kritisch gegenüber Fakes und Nicht-Fakes im Internet und kritisch gegenüber einer andauernden grundrechtswidrigen Totalüberwachung unserer Kommunikation; das sollte bei einer Debatte über Medienkompetenz nicht unerwähnt bleiben. ({3}) Natürlich ist der Fachkräftemangel ein Problem. Er darf aber nicht alleiniger Antrieb für Veränderungen sein. Sie müssen die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Die Forderung nach einem Pflichtfach Programmieren, wie von Bundeswirtschaftsminister Gabriel geäußert, muss man wohl auch in diesem ökonomischen Zusammenhang betrachten. Lassen Sie uns das Szenario einmal durchspielen: Von wem soll eine Achtjährige, die morgen in die Grundschule geht, was lernen? Viele Lehrkräfte sind doch heute gar nicht in der Lage, selbst medienkompetent zu handeln oder Medienkompetenz zu vermitteln, geschweige denn die vorhandene Kompetenz der Schülerinnen und Schüler sinnvoll in den Unterricht zu integrieren. Das war und ist größtenteils nicht Teil ihrer Ausbildung. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die sich selbst weiterbilden, nehme ich hier ausdrücklich aus. Mit anderen Worten: Wir - Herr Gabriel ist heute ja leider nicht da - müssen uns, egal ob bei fächerübergreifender Medienkompetenz oder beim Schulfach Informatik, zuallererst über die Lehrerausbildung unterhalten. ({4}) Das aber ist Ländersache. Kommen wir deshalb zurück zum Kompetenzbereich des Bundes. Das hat nämlich den Vorteil, dass Sie die Maßnahmen dann auch umsetzen können. Eine stärkere Förderung der Medienbildung im außerschulischen Bereich wäre ein Leichtes für die Bundesregierung. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran: Die Schule war vermutlich nicht der einzige Ort, an dem Sie in Ihrer Jugend etwas gelernt haben. Gerade außerschulische Lernorte sind für die Identität und die Bildung junger Menschen wichtiger denn je. In diesem Sinne würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung zuerst ihre eigenen Hausaufgaben macht. ({5}) Was ist zum Beispiel mit der Medienbildung von Erwerbstätigen oder Seniorinnen und Senioren? Sie wollen „die digitale Spaltung der Gesellschaft“ verhindern. Allerdings findet sich zum lebenslangen Lernen nicht eine einzige Maßnahme in Ihrem Antrag. Das finde ich fatal; denn die digitale Spaltung verläuft eindeutig zwischen den Generationen. Darauf hat die Kollegin Esken ja schon hingewiesen. ({6}) Es ist also die Aufgabe der Bundesregierung, den Bürgerinnen und Bürgern, den Erwerbstätigen, den Seniorinnen und Senioren, den Menschen Angebote zu machen, um in der digitalen Welt zurechtzukommen. Erlauben Sie mir zuletzt noch eine Randbemerkung: Die Forderung, Kitas, allgemeinbildende Schulen und Berufsschulen an das Breitbandnetz anzuschließen, ist ja schön, aber angesichts der Tatsachen doch eher eine Luftnummer. Wenn ich an den bisherigen Stand des Breitbandausbaus denke, dann komme ich nicht umhin, mich zu fragen, wie die Bundesregierung diese wohlfeile Forderung denn umsetzen möchte. Uns wundert diese Forderung auch deshalb, weil Sie doch gerade in Ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage sagen, das Programm „Schulen ans Netz“ sei erfolgreich abgeschlossen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ihre Redezeit auch.

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin. - Nächster Redner ist Thomas Jarzombek für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Tageszeitung Die Welt hat vor wenigen Tagen eine Theorie aufgestellt, nämlich dass Google ohne „Jugend forscht“ nicht erfunden worden wäre. Man hat als Beleg für diese These angeführt, dass der junge Andreas von Bechtolsheim mit 18 Jahren den Bundeswettbewerb „Jugend forscht“ gewonnen hat und, wie der eine oder andere weiß, später einer der ersten Investoren bei Google gewesen ist, eine Firma gegründet hat, Sun Microsystems, die unter anderem die Programmiersprache Java entwickelt hat und, glaube ich, ein schweres Fundament des Internets ist. Der junge Andreas von Bechtolsheim aus Bayern, Deutschland, der mit 18 Jahren bei „Jugend forscht“ gewonnen hat, beginnt danach an der TU München zu studieren. Man kann es an verschiedenen Stellen nachlesen: Er war frustriert, weil es dort keine Computer für den jungen, computerbegeisterten Andreas von Bechtolsheim gegeben hat. Schon kurze Zeit später ging er nach Pittsburgh, dann nach Stanford. Er ist nie wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Ich hatte vor zwei Jahren die Gelegenheit, ihn persönlich zu treffen. Ich habe ihn gefragt, was wir als Deutsche eigentlich tun können, damit Deutschland wieder zum Gründerstandort wird und beim Internet aufholt. Seine Antwort war sehr resignativ. Ich freue mich, dass heute schon so oft von der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ und von der Projektgruppe Medienkompetenz gesprochen wurde, die ich damals vor fünf Jahren geleitet habe. Dort haben Kollegin Rößner und auch einige andere aus diesem Saal mitgearbeitet. Man muss sich hier die Frage stellen: Was ist aus all diesen guten Dingen, die wir hier vor fünf Jahren gemeinsam auf die Schiene gebracht haben, eigentlich geworden? ({0}) - Freut euch mal nicht zu früh, Herr Mutlu. Die Studie ICILS kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland - das ist ein bitteres Ergebnis - elf Schüler auf einen Computer kommen, dass Chile und Thailand hier vor uns liegen, dass die Lehrerausbildung im Bereich IT Zufall ist und dass es auf diesem Gebiet seit 2006 eigentlich kaum noch eine Entwicklung gibt. Jetzt muss man sich die Frage stellen, was in den Ländern eigentlich passiert ist. Lieber Herr Mutlu, ihr Grünen seid Schnacker, wenn ich das mal so sagen darf. ({1}) Hier werden schlaue Reden gehalten. Frau Rößner, Sie kommen aus Rheinland-Pfalz und müssten doch einmal zu Ihrer Ministerpräsidentin gehen und sagen: Mach doch mal etwas! - Hannelore Kraft hat in NordrheinWestfalen von Megahertz, Megabits und Mega-Irgendwas gesprochen. ({2}) Ich habe keinen einzigen Beitrag in NRW gesehen, wie man an dieses Thema herangehen will. Wir haben hier doch gemeinsam gesagt: Wir wollen ein Tablet oder ein Laptop für jeden Schüler. - Wo ist die entsprechende Initiative in den Ländern? Man kann sagen: Bring your own device! Die Geräte, die die Schüler schon besitzen, sollen also mitgebracht werden, und daneben sorgen wir für einen Ausgleichsmechanismus für diejenigen, die sich ein solches Gerät nicht leisten können. Ich sehe in diesen Ländern keine entsprechende Initiative. In unserem Antrag wird richtigerweise auch auf das Programmieren eingegangen. Das Programmieren nach der Grundschule ist eine sehr wichtige Kompetenz. Diese könnte man doch einmal zum Schwerpunkt machen. Zum Thema Lehrerausbildung. Ich finde es einen Skandal, dass in der heutigen Lehrerausbildung immer noch nicht gelernt wird, wie man mit der IT umgeht. Auch die neuen digitalen Medien - das hat die Kollegin Esken sehr richtig gesagt -, die Open Educational Resources und das digitale Lernen sind ganz wichtig. In Deutschland hat man immer den Eindruck, dass das Lernen trocken sein und Schmerzen bereiten muss. ({3}) Das darf auf keinen Fall Spaß machen, sonst ist das Spielerei. Schauen Sie sich einmal an, wie viele Kinder vor einigen Jahren bei „Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging“ mit totaler Begeisterung Rechenaufgaben gelöst haben. Man kann offenbar auf spielerische Weise auch diejenigen erreichen, deren Eltern sie nicht zum Bildungserfolg antreiben. Wir haben gestern Abend mit unserer Arbeitsgruppe ein spannendes Start-up-Unternehmen getroffen, nämlich sofatutor. Es wurde hier in Berlin gegründet und hat mittlerweile über 200 Mitarbeiter. Sie machen Lernvideos für Schüler und veröffentlichen sie im Internet. Das ist wirklich eine tolle Sache. 90 000 Schüler haben dies abonniert. Momentan brauchen sie Wachstumskapital, aber sie finden hier niemanden, der sie finanziert. Jetzt haben sie Angebote aus den USA. Mit diesen Angeboten ist aber verbunden, dass sie dann auch in die USA gehen müssen. Hier sind also wichtige Weichenstellungen nötig, um ein Unternehmen wie sofatutor in Deutschland, in Berlin, zu halten und die entsprechenden Projekte mit unseren Lernplänen zu verbinden. Damit komme ich zu meinem letzten Punkt, nämlich der Lust zum Gründen. Auch das ist ein extrem wichtiges Thema. Ich bin stolz und froh, dass in Deutschland so viele junge Menschen davon träumen, eine Karriere im öffentlichen Dienst zu machen. ({4}) Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass unsere öffentliche Verwaltung so viel leistungsfähiger ist als in manch anderen Ländern. Ich will hier Griechenland gar nicht exemplarisch benennen. Ich würde es mir aber schon wünschen, dass sich der eine oder andere auch dafür entscheidet, zu gründen. Es gibt eine junge Dame, Martina Neef, die hier ganz tolle Projekte mit Schülern durchführt. In den Projektwochen wird gezeigt, wie man ein Unternehmen gründet, um Lust auf Unternehmensgründungen zu machen. Das geht nur mit Gründern zusammen. Ich glaube, hier müssen wir noch mehr machen. Vieles aus diesem Antrag führt genau dorthin. Deshalb bin ich Sven Volmering sehr dankbar, dass er diesen Antrag in den letzten Monaten mit so viel Energie nach vorne getrieben hat ({5}) und sich nicht dadurch frustrieren lässt, dass wir hier viele gute Projekte und viele gute Fördermittel auf den Weg bringen, während in den Ländern - zumindest in einigen - am Ende nur sehr wenig passiert. Dort muss mehr stattfinden. Die Länder bilden jetzt allen Ernstes einen Bund-Länder-Arbeitskreis zu der Frage, ob die Landesmedienanstalten bei Google hineinregulieren können, wenn es um die Ergebnisreihenfolge bei manchen Themen geht. Ich glaube, wenn das die zentrale Problemstellung der Länder ist, dann haben sie noch nicht begriffen, was die Herausforderung des digitalen Wandels ist. ({6}) Ich freue mich über unsere Initiative. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege. Also, an meiner Schule, übrigens in Bayern, ging es anders zu als bei Ihnen. Ich hoffe, Sie überwinden Ihr Trauma. ({0}) Nächster Redner ist Dr. Jens Zimmermann für die SPD. ({1})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Auch ich könnte ein paar Schulgeschichten beisteuern, will das aber lassen. ({0}) - Ich bin nicht traumatisiert, obwohl ich in Hessen zur Schule gegangen bin. ({1}) Wir hatten eine schöne Schule mit viel zu wenigen Computern - wenn ich das einmal sagen darf. Aber wir behandeln heute nicht nur das Thema digitale Bildung, sondern auch die Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Forschungsrahmenprogramm zur IT-Sicherheit. Leider habe ich von den Rednern der Oppositionsfraktionen zum Thema IT-Sicherheit überhaupt nichts gehört. ({2}) Dabei ist das mindestens genauso wichtig wie die Bildung. Das geht ineinander über. Die Bundesregierung legt im Rahmen der neuen Hightech-Strategie ein Maßnahmenprogramm vor. Die Digitalisierung und die Nutzung der IT-Infrastruktur in allen Bereichen - das haben wir heute schon mehrfach gehört - schreiten mit großer Geschwindigkeit voran. Ich denke, es ist auch wichtig, nicht den Eindruck zu erwecken, als sei das etwas, was irgendwann in der Zukunft kommt. Wir sind mittendrin. Ich bin gerade vom NSA-Untersuchungsausschuss hierhergekommen und sage Ihnen: Wir sollten wirklich nicht immer so tun, als würde uns das erst irgendwann in der Zukunft betreffen. Das betrifft uns schon heute. ({3}) Umso besser ist es, dass die Bundesregierung mit der Aufstellung des Forschungsrahmenprogramms zur ITSicherheit unter der Überschrift: „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt 2015-2020“ diese Aktivitäten erweitert. Im vergangenen Jahr haben wir das Konzept zur digitalen Agenda verabschiedet. Das Forschungsrahmenprogramm greift hier nun wichtige Aspekte heraus und setzt die richtigen Schwerpunkte. IT-Sicherheit ist kein Spartenthema. Es betrifft mindestens drei Bereiche. Als Gesetzgeber sind wir gefordert, Schäden für die Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen zu verhindern. Wir sind gefordert, Unternehmen und die kritische Infrastruktur vor Cyberattacken zu schützen, und wir sind im Interesse jedes Einzelnen und jeder Einzelnen sowie der Unternehmen gefordert, die Ausspähung durch ausländische Geheimdienste zu verhindern. Gerade gestern haben wir im Ausschuss Digitale Agenda den Jahresbericht des BSI über die sicherheitsrelevanten Vorfälle in der IT diskutiert. Die aktuellen Zahlen und Anlässe zeigen, dass wir in Deutschland und international in diesem Bereich eine zunehmende Gefährdungslage haben. Einige werden es mitbekommen haben: Auch unser Hohes Haus, der Deutsche Bundestag mit seiner Internetadresse www.bundestag.de, und die Seite www.bundeskanzlerin.de sind in diesem Jahr Opfer von Attacken geworden. Das ist kein Einzelfall. Das trifft viele Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen jeden Tag. 180 Millionen Euro werden an dieser Stelle in den kommenden Jahren zur Verfügung gestellt. Das ist wichtig. Ich denke, da kann man in Zukunft möglicherweise noch ein bisschen draufsatteln. Aber es ist eben auch vom Kollegen angesprochen worden: Wir müssen dafür sorgen, dass junge Unternehmen Möglichkeiten haben, Lösungen im Bereich IT-Sicherheit auf den Markt zu bringen. An dieser Stelle wird auch klar, warum es so etwas wie das Kleinanlegerschutzgesetz geben muss, das wir noch beraten und mit dem wir dafür sorgen, dass Crowdfunding, mit dem junge Unternehmen in diesem Bereich gefördert werden, weiterhin möglich ist. Auch werden wir nicht nur für die Grundlagenforschung sorgen, sondern am Ende vor allem auch für Anwendungsmöglichkeiten. ({4}) Ich komme zum Schluss. Es bleibt festzuhalten: ITSicherheit muss künftig bei allen technischen Innovationen und Entwicklungen immer mitgedacht werden. Die Einbindung sicherer verschlüsselter Verfahren und der Ausbau unserer nationalen Kompetenzen sowie die europäische Forschungszusammenarbeit müssen gestärkt werden. Als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen wir es, dass Hochschulen, Forschungsinstitute und Unternehmen auf dem Weg zur sicheren IT-Infrastruktur unterstützt werden. Das Rahmenprogramm sendet an dieser Stelle den richtigen Impuls. Ich will auch sagen: Allen Unkenrufen zum Trotz ist die digitale Agenda auf einem guten Weg. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. - Der letzte Redner in dieser Debatte ist Dr. Wolfgang Stefinger von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Vielen Dank für Ihren Hinweis, dass Sie sehr positive Erfahrungen mit dem bayerischen Schulsystem gemacht haben. Das ist wieder einmal ein Beleg dafür, wie gut wir sind. Sehr schön! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durchschnittlich drei Stunden am Tag nutzt jeder Deutsche das Internet. Wir kommunizieren beruflich und privat in digitalen Räumen. Wir versenden Nachrichten. Wir chatten und telefonieren. Wir kaufen online ein, nutzen Onlinebanking, buchen online unseren Urlaub. Wir nutzen Onlinenetzwerke, um mit Freunden weltweit in Kontakt zu bleiben. Wir wollen überall und möglichst vom Smartphone, Tablet-PC oder Laptop auf unsere Daten zugreifen können, von zu Hause, am Arbeitsplatz, von unterwegs. Wir sind auf dem Weg ins Zeitalter von selbstfahrenden Autos, Telemedizin, Smart Home, Industrie 4.0 und des Internets der Dinge. Das Internet ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Fast jeder nutzt es. Es ist für die meisten selbstverständlich geworden. Die digitale Welt bietet ungeahnte Möglichkeiten, viele Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft, für Wissenschaft und Forschung, für die Medizin. Informationsund Kommunikationstechnologien durchdringen alle Bereiche unserer Gesellschaft. Ohne sie gäbe es keine funktionierenden Krankenhäuser, keine Strom- und Wasserversorgung, kein Bankensystem, keine wettbewerbsfähige Industrie. Die Digitalisierung stellt uns aber auch vor große Herausforderungen. Regelmäßig erreichen uns Berichte über IT-Sicherheitslücken, Cyberspionage oder HackerDr. Wolfgang Stefinger angriffe. Im Jahr 2013 wurden von mindestens 800 Millionen Menschen weltweit persönliche Daten gestohlen. Auch die wirtschaftlichen Schäden sind immens. Mit am stärksten betroffen ist Deutschland - ein aufgrund seiner Wirtschafts- und Innovationskraft besonders begehrtes Angriffsziel. Aus diesen Gründen ist es extrem wichtig, dass wir uns auf eine sichere Informations- und Kommunikationstechnologie verlassen können. Unser Forschungsrahmenprogramm setzt genau an diesen Stellen an. ({0}) Mit diesem wegweisenden Programm werden die bisherigen und zukünftigen Förderaktivitäten im Bereich der IT-Sicherheitsforschung ressortübergreifend gebündelt und wird die Sichtbarkeit der umfangreichen Aktivitäten der Bundesregierung deutlich erhöht. Das halte ich persönlich für sehr wichtig; denn das Thema IT-Sicherheit ist seit langem auf der Agenda, und auch die bisherigen Erfolge können sich durchaus sehen lassen. ({1}) Sie beweisen nämlich einmal mehr: Deutschland kann das. Deutschland kann Forschung und Entwicklung nicht nur in der Industrie und der Medizin, sondern auch im Digitalen. Wir sind und bleiben die Nation der Denker und Erfinder. Vielen Dank an dieser Stelle an unsere Wissenschaftler! Wir können IT-Sicherheit. Wir haben hervorragende Forschungseinrichtungen und innovative Unternehmen. Das zeigen auch der letztjährige Erfolg und die Auszeichnung der vom Bildungs- und Forschungsministerium geförderten Kompetenzzentren auf dem Gebiet der IT-Sicherheit. Wir ruhen uns auf dem, was wir erreicht haben, aber nicht aus; denn die Innovationsgeschwindigkeit im IT-Bereich ist immens, und auch Hacker und Cyberkriminelle gehen immer professioneller vor. Mit unserem Forschungsrahmenprogramm setzen wir inhaltliche Schwerpunkte in dem Bereich „Hightech für die IT-Sicherheit“. Wir bauen weiter an sicheren und vertrauenswürdigen Informations- und Kommunikationssystemen. Wir erforschen weiterhin die IT-Sicherheit für wichtige Anwendungsfelder, etwa Industrie 4.0, Medizin, Logistik und kritische Infrastrukturen, und wir schützen auch die Privatheit der Daten. Wir werden Forschungseinrichtungen stärker fördern und vernetzen, kleine und mittelständische Unternehmen besser unterstützen und die europäische und internationale Kooperation ausbauen. Daneben fördern wir den wissenschaftlichen Nachwuchs. ({2}) Das Programm mit der Laufzeit von 2015 bis 2020 ist als offenes Programm angelegt. Das heißt, innerhalb der Laufzeit wird es einer Prüfung unterzogen und bei Bedarf inhaltlich aktualisiert oder ergänzt und finanziell angepasst. Wir wollen, dass unsere Bürger und unsere Wirtschaft die vielfältigen Chancen der Digitalisierung nutzen. Hierfür sind Vertrauen und Akzeptanz eine wichtige Voraussetzung, Vertrauen darauf, dass die Daten auch im Netz sicher sind. Ich sage aber auch: Wer seine Daten leichtfertig preisgibt und keine Schutzsoftware nutzt, kann nicht erwarten, dass sich der Staat darum kümmert. Es geht auch um ein Stück Eigenverantwortung. Hierfür haben wir heute zum einen den Antrag bezüglich der Medienkompetenz auf den Weg gebracht. Zum anderen fördern wir mit dem Forschungsrahmenprogramm auch anwendungsfreundliche Sicherheitsprogramme. Wir sind also auf dem richtigen Weg - auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung und Sicherheit in der digitalen Welt. Das sind zwei Dinge, die für uns zusammengehören. Wir investieren 180 Millionen Euro - das ist nur der Betrag, den das Forschungsministerium zur Verfügung stellt - in unsere Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. ({3}) Das alles, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine gute Investition in Deutschlands Zukunft. Vielen Dank. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Stefinger. - Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/4422 und 18/4304 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überwei- sungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen Drucksache 18/4347 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Innenausschuss b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Das Europäische Semester stärken, besser umsetzen und weiterentwickeln Drucksache 18/4426 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss Vizepräsidentin Claudia Roth c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Koenigs, Luise Amtsberg, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen stärken Drucksache 18/4430 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({2}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Tourismus Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Sie sind einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 j sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 f auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 27 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Anhänge F und G zum Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr ({3}) Drucksache 18/4049 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({4}) Drucksache 18/4408 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4408, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4049 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig - bei Zustimmung aller Fraktionen angenommen. ({5}) Tagesordnungspunkt 27 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Gesetzes und des Betäubungsmittelgesetzes Drucksache 18/4278 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({6}) Drucksache 18/4446 Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4446, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4278 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung - bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linke und bei Gegenstimmen von den Grünen - angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist - bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und der Linken sowie bei Gegenstimmen von den Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes Drucksache 18/4281 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({7}) Drucksache 18/4452 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4452, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4281 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung - bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen; dagegen war die Linke - angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen; dagegen ist die Linke. Tagesordnungspunkt 27 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/4202 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({8}) Drucksache 18/4453 Vizepräsidentin Claudia Roth Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4453, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4202 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen; dagegen ist die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen: Zustimmung CDU/ CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei der Gegenstimme von den Linken. Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 27 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 164 zu Petitionen Drucksache 18/4339 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 164 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 27 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 165 zu Petitionen Drucksache 18/4340 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 165 ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD, Gegenstimmen der Linken und Enthaltungen von Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 27 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 166 zu Petitionen Drucksache 18/4341 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 166 ist einstimmig von allen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 167 zu Petitionen Drucksache 18/4342 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Nein. Sammelübersicht 167 ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 27 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 168 zu Petitionen Drucksache 18/4343 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 168 ist angenommen: Zustimmung von CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen, Enthaltungen der Linken. Tagesordnungspunkt 27 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 169 zu Petitionen Drucksache 18/4344 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 169 ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. Zusatzpunkt 2 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 170 zu Petitionen Drucksache 18/4440 Ich kann Ihnen leider nicht sagen, worum es da geht; das würde sonst zu lange dauern. Aber es dauert auch so noch eine Weile. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 170 ist damit einstimmig von allen Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 2 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 171 zu Petitionen Drucksache 18/4441 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 171 ist angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Gegenstimmen der Linken, Enthaltungen bei Bündnis 90/Die Grünen. Zusatzpunkt 2 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 172 zu Petitionen Drucksache 18/4442 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 172 ist von allen Fraktionen einstimmig angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 173 zu Petitionen Drucksache 18/4443 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 173 ist angenommen bei Zustimmung CDU/CSU, SPD und Linken und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen. Zusatzpunkt 2 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 174 zu Petitionen Drucksache 18/4444 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 174 ist angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Gegenstimmen von den Linken. Zusatzpunkt 2 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 175 zu Petitionen Drucksache 18/4445 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 175 ist angenommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Gegenstimmen von den Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen des Bundeswirtschaftsministers zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes bei Kohlekraftwerken und zur Förderung der KraftWärme-Kopplung Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der Debatte ist Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir die Klimaschutzziele 2020 erreichen wollen, dann muss eines klar sein: Der Kraftwerkssektor, der Stromerzeugungssektor darf dann nur noch maximal 290 Millionen Tonnen CO2 emittieren. Um das zu erreichen, brauchen wir vor allen Dingen drei Dinge: den Ausbau der erneuerbaren Energien, die Abschaltung von alten Kohlekraftwerken und den Ausbau der KraftWärme-Kopplung. ({0}) Ich habe bisher gedacht, in diesem Hause gebe es einen Konsens, dass wir bis 2020 einen Anteil der KraftWärme-Kopplung an der Stromerzeugung von 25 Prozent anstreben. Das habe ich jedenfalls in den Debatten immer so wahrgenommen. ({1}) Jetzt schaue ich in das Papier des BMWi und finde dort etwas, was mich an die Taschenspielertricks von Herrn Dobrindt erinnert. Das 25-Prozent-Ziel ist zwar immer noch da, aber es bezieht sich nicht mehr auf die gesamte Stromerzeugung, sondern nur noch auf die thermische Stromerzeugung, und wir landen netto bei einem Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung von 17 Prozent. Das heißt nichts anderes, als dass wir den Status quo festschreiben. Man muss einfach feststellen: Wenn dieses in dem Papier beschriebene Ziel so umgesetzt wird, dann wird der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung nicht mehr stattfinden. Damit schlägt die Bundesregierung eine weitere Säule der Energiewende weg. Hier war bisher ein Konsens. Ich hoffe, dass dieses Papier nicht durch dieses Parlament geht, sondern dass wir hier andere Akzente setzen und die Kraft-Wärme-Kopplung weiter ausbauen. ({2}) Dann muss man über Kohlekraftwerke reden - keine Frage. Wenn wir das Klimaschutzziel erreichen wollen, müssen alte Kohlekraftwerke vom Markt. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das ist nicht nur eine Frage des Klimaschutzes; denn mir kann keiner erklären, warum in Deutschland hochmoderne Kraft-Wärme-KopplungsAnlagen und hochmoderne Gaskraftwerke stillstehen, die Betreiber sogar überlegen, die Anlagen zu demontieren, und gleichzeitig Kohlekraftwerke boomen. Da muss die Politik handeln. Da kommen wir nicht drum herum. Das ist sonnenklar. ({3}) Jetzt hat Sigmar Gabriel einen Vorschlag gemacht. Man wird ja bescheiden in Zeiten der Großen Koalition. ({4}) Wenn es überhaupt schon einmal einen Vorschlag gibt, der über Eckpunktepapiere und allgemeine Bekundungen hinausgeht, dann ist das schon mal etwas Positives. ({5}) Das ist gut, und deshalb kann man an dieser Stelle auch einmal ein lobendes Wort an den Bundeswirtschaftsminister richten. ({6}) - Er freut sich, dass er das noch erleben darf. - Ich sage aber, Herr Gabriel: Wenn man sich den Vorschlag genau anguckt, dann wird man feststellen: Er hat bestenfalls homöopathische Wirkung. ({7}) Damit werden wir es nicht erreichen, in relevantem Umfang Kohlekraftwerke abzuschalten. Jetzt könnte ich mich ja freuen: Wir führen eine Instrumentendebatte. Wir Grünen schlagen was vor. ({8}) Die Umweltverbände schlagen was vor. Andere schlagen was vor. ({9}) Genau das findet aber wieder nicht statt. Wir erleben wieder das energiepolitische Verhinderungsdreieck: Fuchs, Pfeiffer, Bareiß. Die stellen jedes Instrument infrage. ({10}) Die wollen überhaupt nichts. Die stellen es am Ende überhaupt infrage, dass man im Bereich der Kohlekraftwerke etwas machen muss. Ich sage Ihnen: Wenn Sie an dieser Stelle ehrlich wären, dann hätten Sie im Dezember dem Klimaaktionsprogramm der Bundesregierung nicht zustimmen dürfen. Wenn das, was ich in Interviews und Statements in den letzten Tagen gehört habe, ehrlich gemeint ist, dann müssen Sie sagen: Wir treten das Klimaschutzziel in die Tonne. - Das wiederum trauen Sie sich nicht, sondern Sie versuchen nur, tatsächliche Maßnahmen zu verhindern. ({11}) Meine Damen und Herren, man muss bei dem Thema auch etwas über Energiekonzerne sagen. Ich erlebe ein RWE, das plötzlich den Untergang von 70 000 Arbeitsplätzen in der Braunkohleindustrie herbeiredet. ({12}) RWE hat nicht einmal mehr 10 000 Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen. Wie kann ein Konzern dann so unverantwortlich sein und hier ein Bild malen, als ginge ein Industriestandort unter? Das, meine Damen und Herren, ist absurd. Wenn Arbeitsplätze bei RWE gefährdet sind, dann hat das eine Ursache, nämlich dass jahrelang die Zukunft verschlafen worden ist, dass das Geld verzockt worden ist, dass man die Zukunftsperspektive nicht erkannt hat und dass man die Zukunftschancen verpasst hat. Das hat nichts mit der Abschaltung alter Kohlekraftwerke zu tun. ({13}) Da bin ich, ehrlich gesagt, entsetzt. Da lesen wir von einem Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen. Er schreibt jetzt Briefe. Der Mann, Großpopulist der NRWCDU mit hochflexiblen Grundsätzen, wird jetzt zum neuen Braunkohle-Ajatollah ({14}) und sagt: NRW geht unter, wenn da nicht gehandelt wird, wenn es so kommt, dass alte Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. ({15}) Liebe Sozialdemokraten, bevor Sie an dieser Stelle lachen: Ich sage ganz ehrlich: Das, was ich von Hannelore Kraft zu dem Thema gehört habe, steht dem in der Sache um nichts nach, ist vielleicht in der Wortwahl nicht ganz so drall. Ich finde das unverantwortlich. Wir sind in Nordrhein-Westfalen eigentlich weiter - nach zwei Koalitionsverträgen, nach etlichen Regierungsentscheidungen -, nämlich so weit, dass klar ist: Wir brauchen den Strukturwandel in der Braunkohle. Der wird kommen, meine Damen und Herren. Je früher man sich darauf einstellt, desto besser ist es, desto besser kann man die Folgen bewältigen. Das ist die Herausforderung. ({16})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Letzter Satz, Frau Präsidentin. - Ich warne noch einmal davor, den Fehler zu machen, den wir beim Steinkohlebergbau gemacht haben, nämlich an überkommenen Strukturen festzuhalten, sodass es am Ende deutlich teurer wird und wir mit Milliarden etwas subventionieren, was keine Zukunft hat. Machen Sie diesen Fehler nicht mehr! Sorgen Sie endlich mit dafür, dass die Kraftwerke aus Adenauers Zeiten aus dem Markt verschwinden und dass wir ein zukunftsfähiges Energiesystem in Deutschland bekommen! Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Krischer. - Nächster Redner in der Debatte: Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat bekennen wir uns als CDU/CSU zum energiepolitischen Zieldreieck. Die Ziele dieses Zieldreiecks gilt es gleichgewichtig zu verfolgen, nämlich Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und eine umweltschonende, nachhaltige Energieversorgung. Wer dem Kollegen Krischer zugehört hat, der weiß: Er hat nichts zur Versorgungssicherheit gesagt, schon gar nichts zur Bezahlbarkeit, sondern er hat bei diesem Zieldreieck einseitig das Thema CO2/Umwelt angesprochen. ({0}) Wir wollen, dass dieses Zieldreieck ausgeglichen ist und die Ziele ausgeglichen verfolgt werden. ({1}) Auch für uns haben der Umweltschutz und die CO2Reduktion hohe Bedeutung. Wir haben Klimaschutzziele, zu denen wir uns ganz klar bekennen. ({2}) Aber wir wollen diese Klimaschutzziele im Gegensatz zu Ihnen effizient und bezahlbar erreichen. ({3}) Für uns sind diese Ziele kein Selbstzweck. Wir werden uns deshalb sehr genau mit dem beschäftigen, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat. Ich glaube, dass der eine oder andere Punkt noch nicht der Weisheit allerletzter Schluss ist, insbesondere wenn es darum geht, zusätzlich zu europäischen Instrumenten nationale Instrumente zu etablieren. ({4}) Es geht darum, dass wir im Strombereich 22 Millionen Tonnen CO2 einsparen wollen. ({5}) - Natürlich wollen wir mehr einsparen. - Das ist aber nicht losgelöst möglich, sondern muss im europäischen Kontext erfolgen. ({6}) Ich möchte nur einmal einordnen, über was wir reden. Wir haben weltweit mehr als 40 Milliarden Tonnen CO2Emissionen pro Jahr. Wir reden jetzt über die Frage, wie man in dem ganz speziellen Fall der Stromerzeugung in Deutschland mit 22 Millionen Tonnen umgeht. Das ist also ein halbes Promille der weltweiten CO2-Emissionen. Wir sagen: Es muss sehr genau überlegt werden, ob das, was vorgeschlagen wurde, klimapolitisch sinnvoll ist, ob es in ökonomischer Hinsicht Sinn macht und welche Auswirkungen es auf die Versorgungssicherheit hat. Klimapolitisch ist es leider ein Nullsummenspiel, ({7}) wenn wir in Deutschland sagen: Wir wollen das neben dem Emissionshandel machen, der im Strombereich und im Industriebereich einen klaren Pfad vorschlägt. Sie alle kennen das; das haben wir gemeinsam vereinbart. Die Zielvorgaben im Emissionshandel lauten: Von 1,9 Milliarden Tonnen in 2013 gehen wir bis 2020 mit einem jährlichen Reduktionsfaktor von 1,74 Prozent auf 1,7 Milliarden Tonnen zurück. Das gilt EU-weit. Wenn wir jetzt in Deutschland mehr einsparen, dann bleibt das europäische Ziel trotzdem gleich. ({8}) Dann kann an anderer Stelle in Europa mehr emittiert werden. Das macht überhaupt keinen Sinn. ({9}) Deshalb müssen wir, wenn wir auf nationaler Ebene mehr machen wollen, entsprechend etwas in den Sektoren, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, zum Beispiel im Gebäudebereich, unternehmen. Ich warte da auf Ihre Vorschläge. Sie aber blockieren seit Jahren im Bundesrat eine entsprechende Lösung, ({10}) weil die Länder und ihre grünen Minister zwar immer den Klimaschutz ansprechen, ({11}) aber nicht bereit sind, auch nur 1 Euro mehr für beispielsweise die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung auszugeben. ({12}) Dann wurde die Kraft-Wärme-Kopplung angesprochen. In der Tat, beim jetzt vorliegenden Vorschlag besteht die Gefahr, dass die hocheffiziente KWK mit Wirkungsgraden von 80 bis 90 Prozent nicht mehr rentabel ist und dann abgeschaltet wird. Wenn wir auf der einen Seite 22 Millionen Tonnen einsparen wollen, auf der anderen Seite aber allein im Bereich der öffentlichen KWK, wenn diese abgeschaltet würde, knapp 18 Millionen Tonnen mehr Emissionen haben, dann müssen wir zumindest einmal fragen, ob das der richtige Weg ist. Das müssen wir uns sehr genau anschauen. Auch zur Frage der Kosten: Wir haben mit den jetzt vorgeschlagenen Instrumenten eine Strompreiserhöhung um - ich nehme einmal die Zahl des Wirtschaftsministeriums - round about 0,02 Cent pro Kilowattstunde. Der jetzt vorliegende Vorschlag würde also Mehrkosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro bedeuten. Was würde eingespart? Wenn Sie die CO2-Emissionen mit dem Zertifikatspreis verrechnen, dann reden wir über 130 bis 150 Millionen Euro. Die Mehrkosten lägen also um den Faktor 10 höher - von den Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und auf all das, was gesicherte Leistungen und anderes angeht, einmal ganz zu schweigen. Wir werden uns deshalb sehr genau mit dem Thema auseinandersetzen. Es gibt noch viele Fragen. Wir werden die Ziele erreichen. Wir werden sie aber so erreichen, dass es klimapolitisch sinnvoll und nicht ein Nullsummenspiel ist, dass es aus ökonomischer Sicht Sinn macht und die Versorgungssicherheit nicht gefährdet wird. Vielen Dank. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Dr. Pfeiffer. - Nächste Rednerin in der Debatte: Eva Bulling-Schröter für die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gabriel, wenn Ihr Vorschlag, so wie er jetzt vorliegt, eins zu eins umgesetzt würde, ({0}) wäre bis 2020 ein großer Schritt getan. Wir meinen aber: Es wird wohl nicht so kommen; denn die großen Bremser schreien jetzt am lautesten. Das wussten Sie natürlich, Herr Gabriel. Dass die Kohleländer rebellieren und die Belegschaften der Kohlekraftwerke aus sozialen Gründen Sturm gegen den Kohlebeitrag laufen, war eigentlich klar. Angesichts der harschen Kritik vonseiten der CDU und der Konzerne wirkt Ihr Vorschlag fast so, als könne er nicht ganz falsch sein. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Niemand weiß derzeit, ob der neue Klimabeitrag die ältesten Dreckschleudern unwirtschaftlich macht; denn wir kennen die genauen Kosten für den Betrieb der Kohlekraftwerke eben nicht. Es ist nämlich erstens völlig offen, ob der von Ihnen vorgeschlagene Preis von 18 bis 20 Euro pro Tonne CO2 wirklich zu der erwünschten CO2-Reduzierung führt. Zum Zweiten. Die Eckpunkte werden natürlich nicht so bleiben. ({1}) Da hat der Kollege der CDU ja schon etwas angedeutet. Ich gehe davon aus, dass der jetzt bei 18 bis 20 Euro pro Tonne CO2 angesetzte Preis noch ordentlich geschliffen wird, die Freigrenzen angehoben werden und, und, und. Sie kennen das ja. Abgesehen davon haben ja die Kohlekonzerne bereits ein erhebliches Erpressungspotenzial in Form von Klagen in Milliardenhöhe gegen den Atomausstieg aufgebaut. ({2}) Ich vermute leider: Die Bundesregierung wird sich mit den Energiekonzernen am Ende auf einen Deal einigen - wir kennen das -, und der Deal wird leider butterweich sein. Das wollen wir natürlich nicht. ({3}) Noch ein dritter Punkt ist wichtig. Der Klimabeitrag für Kohlekraftwerke wirkt erst ab 2017 und zunächst nur bis 2020. Sie haben keine längerfristige Strategie für den Umgang mit der Kohleverstromung. Und was kommt dann nach 2020? Wir müssen ja weiterdenken. Hätten Sie sich für einen geplanten und geordneten Ausstieg aus der Kohle entschieden, dann könnte der fällige Strukturwandel in den betroffenen Regionen eingeleitet werden. Dass wir diesen Strukturwandel brauchen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, das halte ich für unbestritten. Dafür müssen wir natürlich auch etwas tun. ({4}) Dann hätte nicht nur das Klima Sicherheit, sondern auch die Belegschaften, die sich längerfristig darauf einstellen könnten. In dem Getöse um die Kohleabgabe gehen leider - vielleicht auch gewollt - die schmerzlichen Maßnahmen gegen die Kraft-Wärme-Kopplung fast vollständig unter. Sie rücken vom bisherigen Ziel „25 Prozent KWK bis 2020“ deutlich ab. Das haben wir zwar schon befürchtet, als das Grünbuch herauskam. Aber dass Sie im Windschatten der CO2-Debatte die KWK so radikal zusammenstutzen, wie es jetzt geplant ist, das hätten wir nicht für möglich gehalten. Sie sagen, dass sich der Anteil von 25 Prozent nur an der thermischen, also der fossilen Erzeugung, statt an der gesamten Stromerzeugung bemessen soll. Wir sagen: Das ist ein Rechentrick; denn Sie wussten selbst, dass mit dem Aufwuchs bei den Erneuerbaren der Anteil der Fossilen zurückgeht und damit die Stellschraube für KWK. Der Rückgang der thermischen Erzeugung und der Zubau bei den Erneuerbaren waren auch schon klar, als das KWK-Ziel gesetzt wurde. Das wussten Sie. Sie können rechnen. So ist es also nicht. Ihr Vorschlag bedeutet, dass wir nur noch ein 19-Prozent-Ziel - 19,4 Prozent haben wir berechnet - für den Anteil der KWK bis 2020 und einen Aufwuchs von gerade einmal 3 Prozent in fünf Jahren haben. Das ist schon ein bisschen wenig. ({5}) Ich halte das nicht nur für bedauerlich, sondern ich halte es auch für jämmerlich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Es war von Beginn an klar, dass die KWK nur eine Übergangstechnologie auf dem Weg zur Vollversorgung durch Erneuerbare sein würde, aber trotzdem ein ganz wichtiger Beitrag. Ich sage Ihnen: Sie lassen jetzt die Stadtwerke im Regen stehen, für die Sie sich noch als Umweltminister eingesetzt haben. Sie schreddern jetzt Ihr eigenes KWK-Ziel. ({6}) Sie selbst geben der lange siechenden KWK einen Gnadenstoß; so empfinden wir das und im Übrigen auch die KWK-Hersteller, die uns ja jetzt schreiben, sowie die Stadtwerke. Dazu, dass Sie von einem moderaten Ausbau reden, sage ich: Sie haben Angst vor Ihrer ehemaligen Courage. Das werden wir nicht hinnehmen. Wir wollen die Stadtwerke schützen, und wir brauchen auch die kleinen KWK-Anlagen. ({7}) Wir brauchen natürlich in Klima- und Energiefragen Visionen ({8}) und kein kurzfristiges Herumdoktern. Zum Schluss vielleicht noch etwas zur Preissicherheit, die immer wieder angesprochen wird. Gestern war im Wirtschaftsausschuss der Präsident der IRENA. Er hat uns nochmals ans Herz gelegt: Wir müssen aus der Kohle raus. Die regenerativen Energien sind bezahlbarer. Sie sind konkurrenzlos billig. - Er ist nicht irgendjemand, sondern der Präsident der Internationalen Energieagentur. Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann glauben Sie doch den Leuten, die permanent an diesen Fragen arbeiten. Ich denke, Sie sollten sich dies zu Herzen nehmen und nicht immer erzählen, dass die fossilen Energieträger so viel billiger sind. In Wirklichkeit sind es die regenerativen Energien.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die sind zukunftsfähig. Die anderen eben nicht. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin Bulling-Schröter. - Nächster Redner in der Debatte: Dirk Becker für die SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Nachdem Herr Dr. Pfeiffer für die Union ein Bekenntnis zu den Klimazielen abgelegt hat, will ich das natürlich auch für die Sozialdemokraten bestätigen. Wir stehen zu dem 40-Prozent-Ziel, ({0}) und wir stehen zu den Maßnahmen, die das Kabinett im Dezember mit den Stimmen der Kanzlerin, des Wirtschaftsministers und aller anderen Minister beschlossen hat, unter anderem, zur Erreichung dieses Ziels auch 22 Millionen Tonnen Ersparnis im Kraftwerkepark zu erbringen. Ich sage eines ganz klar, Herr Dr. Pfeiffer: Nationale Ziele erfordern nationale Maßnahmen. Wir in Deutschland stehen in der Verantwortung, genau diese Maßnahmen zu beschließen, und wir haben das vor. ({1}) Ich will kurz auf die Punkte eingehen, die jetzt debattiert werden. Wir haben zum einen gehört, dass Eckpunkte einer KWK-Novelle vorgelegt wurden. Frau Bulling-Schröter, eines verstehe ich überhaupt nicht: Jetzt wird ein KWK-Gesetz vorgelegt, was dazu beitragen soll ({2}) - Eckpunkte -, dass die wirtschaftlichen Grundlagen für Bestandsanlagen verbessert werden, dass wir einen Rahmen schaffen, dass das 25-Prozent-Ziel nicht aufgegeben, sondern beibehalten wird, obwohl wir wissen, dass wir es nicht erreichen werden. Jetzt vom KWKAbbruch-Gesetz zu sprechen, zeigt doch, dass es Ihnen gar nicht um eine sachliche Debatte geht. Wo ist denn das Engagement für die Stadtwerke, wenn Sie so über das KWK-Gesetz reden? ({3}) Wir wollen in der Tat, dass hocheffiziente KraftWärme-Kopplung, die mit 29 Millionen Tonnen auch einen CO2-Minderungsbeitrag in unserem Konzept zu erbringen hat, weiter ausgebaut wird; denn sie macht Sinn. Es macht aber keinen Sinn, nur den Ausbau zu finanzieren. Wir müssen uns auch um den Bestand kümmern. Das werden wir mit dieser Novelle tun. Es handelt sich um Eckpunkte; die sind gut. Es gibt Beratungsbedarf. Wir werden in aller Verantwortung sehen, welche Stellschrauben wir möglicherweise noch verändern müssen, welche Ziele wir gemeinsam mit dem Koalitionspartner vereinbaren. Aber wichtig ist mir die Botschaft an alle Akteure im Markt: Wir werden dafür sorgen, dass die, die im Vertrauen auf Klimaschutzziele in den letzten Jahren in hocheffiziente KWK investiert haben, jetzt nicht im Regen stehen bleiben. Dafür werden wir sorgen. ({4}) Ich will jetzt auf die Frage eingehen, wie man diesen zusätzlichen CO2-Minderungsbeitrag von 22 Millionen Tonnen erbringt. Ich sage noch einmal ganz klar: Dass diese 22 Millionen Tonnen kommen werden, wissen wir seit Dezember verbindlich. Das wissen die Kraftwerksbetreiber. Die haben sich auch damit auseinandergesetzt. Jeder, der sich halbwegs in der Kraftwerkswelt auskennt und dort umschaut, hat natürlich eine Ahnung, welche Kraftwerke besonders betroffen sein werden. Das hat unter anderem etwas mit CO2-Intensität zu tun. Ich muss sagen, Herr Minister: Das, was Sie im jetzigen Verfahren vorgelegt haben - das gebe ich zu -, war für viele eine Überraschung. ({5}) Wir haben im Vorfeld andere Sachen diskutiert. ({6}) Ich sage es einmal ganz allgemein, ohne dass wir darüber im Detail gesprochen haben: Jetzt auf ein bewährtes bestehendes wirtschaftliches Instrument, nämlich den Emissionshandel, aufzusetzen, hat zunächst einmal Charme; ich will das eindeutig sagen. Bevor wir jetzt neue Instrumente entwickeln, ist die Diskussion, es so zu machen, wirklich aller Mühe wert. Ich finde, es lohnt sich, darüber zu reden. Wir werden das mit Ihrem Haus und dem Koalitionspartner konstruktiv machen. ({7}) Ich will eines aufgreifen, weil immer der Eindruck entsteht, es gehe darum, wann der Kohleausstieg, wenn nicht schon jetzt sofort, kommt. Die gesamte Klimaschutzdebatte, die wir hier seit Jahren führen, ist nicht eine Debatte über den Kohleausstieg, ({8}) sondern über den CO2-Ausstieg. ({9}) Insgesamt müssen wir die CO2-Emissionen reduzieren. Von daher, liebe Grünen, hören Sie auf, hier das Thema nur aus Gründen des eigenen Parteienproporzes immer auf die Kohledebatte zu verengen! Aber wir müssen uns der Debatte stellen. ({10}) Ich will eines ganz klar sagen: Wir werden das tun, aber wir werden auch die Sorgen der Beschäftigten aufnehmen. Denn sosehr wir zu den Zielen stehen, so wichtig ist es für uns, auch die Verunsicherung, die Ängste der Menschen, die im Bereich der Tagebaue und der Kraftwerkswirtschaft arbeiten, aufzunehmen, sie nicht zu diskriminieren, sondern sie mitzunehmen und zu schauen: Wie können wir diese Dinge so regeln, dass die Befürchtungen, die jetzt geäußert werden, sich nicht bewahrheiten? - Ich glaube, da ist auch vieles überzogen. ({11}) Aber wir wollen das mit den betroffenen Menschen diskutieren und sie ernst nehmen; denn wir werden den Klimawandel nur dann hinbekommen, wenn wir die Menschen insgesamt mitnehmen, auch die Beschäftigten der klassischen Energiewirtschaft. Das ist unsere Verantwortung. Wir werden sie wahrnehmen. Vielen Dank. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. - Nächster Redner in der Debatte: Thomas Bareiß für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich muss gestehen: Ich bin den Grünen, auch Oliver Krischer, sehr dankbar, dass sie heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben. ({0}) Denn der CO2-Ausstieg auf der einen Seite und der Kohleausstieg auf der anderen Seite sind Themen, die viele Menschen in unserem Land bewegen. ({1}) Gerade als Baden-Württemberger, der mit Kohle oder Braunkohle nicht so eng in Berührung kommt wie Oliver Krischer in seinem Wahlkreis, sage ich: Wir haben in Deutschland eine Gesamtverantwortung. Von der Kohleindustrie leben 80 000 Menschen in unserem Land. ({2}) Wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschen spüren, dass sie unseren Zuspruch haben und wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Deshalb bitte ich, hier ein bisschen anders zu diskutieren. ({3}) Wir haben ganze Landstriche, die ausbluten werden, wenn der grüne Kohleausstieg kommt ({4}) im Rheinischen Revier, im Lausitzer Revier und im Mitteldeutschen Revier. Ich sage gerade zu den Grünen, gerade zu dir, lieber Olli Krischer, der du aus einer Region kommst, in der sehr viele Menschen von der Braunkohle leben: ({5}) Auch diese Menschen haben ein Anrecht auf Sicherheit, auf eine Zukunft und darauf, dass die Politik ein Stück weit das anerkennt, was sie tun, was sie in den letzten Jahren für die Volkswirtschaft, für Deutschland getan haben. Auch das ist etwas, was im Zentrum unserer Politik stehen muss. ({6}) Gerade wenn wir über Braunkohle und die Kohleindustrie generell diskutieren, müssen wir die Importabhängigkeit Deutschlands in Betracht ziehen. Deutschland steht im Bereich der Energieabhängigkeit in der Europäischen Union an vierter Stelle. Deshalb sage ich in dieser Debatte auch ganz klar: Wir können nicht innerhalb von drei Jahrzehnten aus der Kernenergie und der Kohle aussteigen. ({7}) Das wird nicht funktionieren. Das wäre nicht nur unbezahlbar, sondern das würde auch unsere Energiesicherheit gefährden. Deshalb wird es diesen Weg mit uns nicht geben, meine sehr verehrten Damen, meine Herren. Ich will gerne auch etwas zum Thema Klimaschutz sagen, weil es, wie schon meine Vorredner gesagt haben, auch für uns ein wichtiges Thema ist. Ich will zuvor eines klarstellen, weil es immer wieder verzerrt dargestellt wird: Deutschland ist Vorreiter im Bereich des Klimaschutzes. ({8}) Wir haben unsere Kioto-Ziele schon vor vier Jahren übererfüllt; wir liegen 25 Prozent über den Kioto-Zielen. Bei einem Thema, dem der Energieeffizienz, sind wir in der Spitze der Welt; es gibt kein Industrieland auf der Welt, das im Bereich der Energieeffizienz so schnell vorankommt wie wir. Wir haben es in den letzten 20 Jahren geschafft, unser Wirtschaftswachstum konsequent vom Energieverbrauch zu entkoppeln. Auch das ist ein Erfolg unserer Energiepolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({9}) Ich bitte auch euch von den Grünen, das einmal anzuerkennen. ({10}) Wir müssen trotzdem im Bereich Klimaschutz mehr tun - gar keine Frage! Wir müssen es aber auf europäischer Ebene tun. Deshalb hat die rot-grüne Regierung 2003 zu Recht Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes und der CO2-Emissionen auf europäischer Ebene angesiedelt. Wir haben damals den europäischen Klimahandel installiert; 2005 ging es los. ({11}) Es wurde der Fahrplan aufgestellt, konsequent jedes Jahr 1,75 Prozent der Klimazertifikate aus dem Markt herauszunehmen - ein marktwirtschaftliches Instrument, das dazu führt, dass wir die CO2-Reduktionskosten für unser Land günstig heben können. Daran müssen wir festhalten, und es wird auch gelingen. Wir haben schon jetzt in der Europäischen Union über 9 Prozent CO2 eingespart. Ich bitte aber, zu bedenken: Wenn wir jetzt mit nationalen Alleingängen eigene Instrumente im Bereich der CO2-Reduktion installieren, werden wir im Bereich der CO2-Zertifikate einen weiteren Preisverfall erleben. Wir würden den CO2-Handel Stück für Stück aushöhlen und dieses Instrument, das eigentlich von unserer Seite auf europäischer Ebene gewollt wird und das wir sogar in die Welt exportieren wollen, konterkarieren. ({12}) Wir würden so dafür sorgen, dass andere Länder in Europa CO2 günstiger emittieren. Wir würden in Europa unter dem Strich nicht mehr CO2 einsparen. Das macht unterm Strich keinen Sinn, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auch hier würden wir nationale Alleingänge nicht für sinnvoll erachten. ({13}) Zur Wahrheit gehört dazu ({14}) das ist auch ein wichtiger Punkt -: Diese CO2-Reduktionen werden wir nur schaffen, wenn andere Länder mitziehen werden. Allein die Menge von 22 Millionen Tonnen, von der wir jetzt mehrfach gesprochen haben und die wir jetzt mit großer Kraftanstrengung im Bereich der Kohleindustrie reduzieren wollen, wird in China allein in 16 Stunden emittiert. ({15}) Da sehen wir einmal die Größenordnung, von der wir reden. ({16}) In 16 Stunden haben die Chinesen diesen CO2-Ausstoß, den wir unter größten Kraftanstrengungen in den nächsten zehn Jahren im Bereich der Kohleindustrie heben wollen. ({17}) Das macht doch keinen Sinn. Deshalb müssen wir hier europäisch herangehen. Ich bin dankbar, dass Angela Merkel und Sigmar Gabriel das gemeinsam auf europäischer Ebene voranbringen. ({18}) In diesem Sinne brauchen wir weiterhin eine Politik, die saubere, bezahlbare und sichere Energieversorgung gewährleistet. Deshalb wird es mit uns nicht gleichzeitig einen Kernenergie- und Kohleausstieg geben. Das machen wir nicht mit. Danke schön. ({19})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Bareiß. - Nächster Redner in der Debatte: Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es stimmt. Wir haben gestern im Wirtschaftsausschuss mit dem Generalsekretär der IRENA gesprochen, aber wir wollen das einmal in einen richtigen Zusammenhang stellen. Es war nicht so, dass er gesagt hat: In Deutschland wird nicht genügend für die Energiewende getan. Vielmehr hat er das Gegenteil dargestellt und gesagt: Deutschland ist Vorbild für die Energiewende in der Welt. - Das müssen wir an dieser Stelle auch einmal so festhalten. ({0}) Seit einer Woche, also seitdem das BMWi den Vorschlag zur Einsparung der 22 Millionen Tonnen veröffentlicht hat, kennt die politische Erregung keine Grenzen mehr. Die Proteste gestern waren dabei der Höhepunkt. Dabei muss man doch ehrlicherweise sagen, dass das Minderungsziel von 40 Prozent bereits im Koalitionsvertrag steht, also eineinhalb Jahre bekannt ist, und dass der Kabinettsbeschluss zu den 22 Millionen Tonnen am 3. Dezember 2014 gefasst wurde, also auch schon längst bekannt ist. Deswegen sollte die Überraschung nicht zu groß sein. Die Gespräche dazu, wie man diese 22 Millionen Tonnen zusätzliche Einsparung umsetzt, laufen bereits seit Wochen. Allerdings habe ich bisher keinerlei Ergebnisse gesehen. Es gab wenig konstruktive Zusammenarbeit in diesem ganzen Rahmen. Deshalb habe ich großes Verständnis dafür, dass das Ministerium nun einen Vorschlag vorlegt. Ich habe dafür jedenfalls größeres Verständnis als für die kontroverse Debatte, die sich aufgrund dieses Vorschlags daraus ergibt. ({1}) Ich muss bei genauerer Betrachtung sagen: Ich finde den Vorschlag durchdacht und gut. Er ist ein schlankes und effizientes Instrument. ({2}) Aus meiner Sicht überrascht die Mechanik. Er setzt auf dem bestehenden ETS auf und ist zunächst einmal technologieoffen konzipiert. Im Gegensatz zu anderen Themen, die wir sonst miteinander behandeln, dürften wir also aus europarechtlicher Sicht erst einmal keine Probleme miteinander haben. Das Hauptargument der Gegner des Klimabeitrags, sofern Argumente benutzt werden, ist, dass einige betroffene Braunkohlekraftwerke unwirtschaftlich sind und dementsprechend stillgelegt werden - mit Folgen auch für die dazugehörigen Tagebaue. Von dieser Angst getrieben, haben gestern viele Menschen gegen den Vorschlag protestiert. Ich habe großes Verständnis für die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, und wir tragen in diesem Zusammenhang alle miteinander eine große Verantwortung für die Menschen, die direkt von unseren Entscheidungen betroffen sind. ({3}) Deshalb müssen wir uns intensiv mit den Auswirkungen beschäftigen und dürfen nicht gleich anfangen, aufeinander zu schimpfen. Ich möchte Sie alle dazu aufrufen, liebe Kolleginnen und Kollegen, das auch konstruktiv zu tun. Ich gebe zu bedenken, dass die Stromproduktion thermischer Kraftwerke auch heute schon in einem gewissen Umfang der Last folgt. Und weil genau das so ist, erscheint es mir wahrscheinlicher, dass die alten Kohlekraftwerke nicht generell stillgelegt werden, sondern sich ihre Produktion stärker als bisher noch an der im Netz erforderlichen Last und damit am Markt orientiert. Das ist etwas, das uns auch in der Debatte zum Grünbuch und anschließend zum Weißbuch eigentlich zugutekommt und in die richtige Richtung geht. Mit dieser und mit anderen Fragen sollten wir uns intensiver beschäftigen und natürlich auch mit möglichen Alternativen. Dieser Vorschlag muss ja nicht zwingend das Ende der Fahnenstange sein. Ernsthafte Alternativen vermisse ich allerdings bislang. Niemand will das Kind mit dem Bade ausschütten. Deshalb müssen die Beteiligten sachlich und konstruktiv miteinander reden. Ich bin froh, dass sich nun auch die Wirtschaft bereit erklärt hat, sich sachlich an der Diskussion zu beteiligen. Einem sogenannten Alternativvorschlag möchte ich an dieser Stelle aber gleich den Wind aus den Segeln nehmen, und zwar ist es keine Option, einfach Zertifikate in Höhe von 22 Millionen Tonnen CO2 zu kaufen. Das käme nicht nur der deutschen, sondern vor allen Dingen der europäischen CO2-Bilanz zugute. Damit ist das keine Lösung. In der ganzen Aufregung ein wenig untergegangen ist der Vorschlag zur Kraft-Wärme-Kopplung. Der derzei9206 tige Deckel soll von 750 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro angehoben werden. Für mich ist noch viel wesentlicher: Wir wollen uns im Wesentlichen auf die KWKAnlagen der Kommunen fokussieren, die zurzeit zwar nicht wirtschaftlich sind, aber trotzdem laufen müssen. Grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, da Emissionen einzusparen, wo viel zu holen ist. Bei den KWK-Anlagen oder bei großen Heizkraftwerken ist das eher nicht der Fall. Es macht auch wenig Sinn, die Kraftwerke auf der einen Seite zu fördern und auf der anderen Seite von ihnen einen Klimaschutzbeitrag zu verlangen. Deshalb sollte man meiner Meinung nach vielleicht einmal darüber nachdenken, ob man nicht eine Form von Wärmegutschrift für die durch gekoppelte Erzeugung von Energie vermiedenen Emissionen einführen könnte. An diesem Punkt könnten wir das Papier doch weiterentwickeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch über die kommenden, vielleicht für uns alle etwas ruhigeren Ostertage sachlich über diesen Vorschlag und über andere Vorschläge reden und etwaige Alternativen prüfen, damit die Menschen im Lande sehen, dass wir verantwortungsvoll mit dieser Thematik umgehen und nicht leichtfertig Arbeitsplätze riskieren wollen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Johann Saathoff. - Die nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Anja Weisgerber für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel aller Fraktionen hier im Haus ist, dass Deutschland bis 2020 den CO2-Ausstoß um 40 Prozent reduziert. Wir unterscheiden uns allerdings darin, wie wir dieses Ziel erreichen wollen. ({0}) Bei all unseren Entscheidungen müssen wir auch die Frage mit einbeziehen, welche Auswirkungen nationale Maßnahmen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland, auf die Wettbewerbsfähigkeit und auch auf die Arbeitsplätze in Deutschland haben. Eines der wichtigsten Instrumente, um die Klimaziele auf europäischer und nationaler Ebene zu erreichen, ist der Emissionshandel. Denn er ist ein Instrument, das maximalen Klimaschutzeffekt bei maximaler Kosteneffizienz bringt. In Brüssel steht die finale Verhandlungsrunde zur Marktstabilitätsreserve unmittelbar bevor. Die Bundesregierung ist hier mit ihren Forderungen ({1}) ehrgeiziger als andere Mitgliedstaaten. Denn wir wollen, dass die Einführung der Marktstabilitätsreserve vorgezogen wird und dass die Zertifikate, die im Rahmen des sogenannten Backloadings vorübergehend aus dem Markt genommen wurden, direkt in die Reserve überführt werden. Und das ist gut so, meine Damen und Herren. Bei der ersten Forderung scheinen wir uns durchzusetzen. ({2}) Bei der zweiten Forderung hat Deutschland noch nicht die erforderliche Mehrheit der Mitgliedstaaten hinter sich. Unser Hauptaugenmerk muss sich jetzt auf eine wirksame vorgezogene Reform des Emissionshandels richten, und wir müssen bei den anderen Mitgliedstaaten Überzeugungsarbeit leisten. Denn durch den Emissionshandel unterliegt die Wirtschaft in ganz Europa den gleichen Wettbewerbsbedingungen. Eben deswegen brauchen wir diese Reform. ({3}) Weil wir verhindern wollen, dass Arbeitsplätze verlagert werden, setzen wir uns in Brüssel auch dafür ein, dass eine Reform des Emissionshandels mit einer Reform der Ausnahmen für die energieintensive Industrie gekoppelt wird. Generell ist unser Hauptaugenmerk auch darauf zu richten, dass sich die nationalen Maßnahmen, über die wir jetzt diskutieren, immer in den Emissionshandel einfügen. Denn dem Klima bringt es unter dem Strich nichts, wenn aufgrund nationaler Gesetze mehr Zertifikate im Markt sind und dann zum Beispiel Polen noch billiger emittieren kann. ({4}) Die Vorschläge aus dem Wirtschaftsministerium sind mit dem Emissionshandel grundsätzlich kompatibel; ({5}) deshalb sind sie zu prüfen. Aber wir müssen immer kritisch darauf schauen, welche Auswirkungen solche Eingriffe auf die Versorgungssicherheit, den Strompreis und die Arbeitsplätze haben werden. Da haben wir noch eine ganze Latte von Fragen, meine Damen und Herren. ({6}) Zu der Forderung von Herrn Krischer - sagen Sie doch einmal, wie wir dann die Klimaziele erreichen wollen! -: Auf unserem Weg dahin müssen wir unseren Fokus noch stärker auf den Bereich legen, der nicht dem Emissionshandel unterliegt, wie den Gebäudebereich. ({7}) - Hören Sie mir bitte erst einmal zu, Herr Krischer. - Im Bundesrat liegt ein Antrag Bayerns zur steuerlichen FörDr. Anja Weisgerber derung der energetischen Gebäudesanierung auf dem Tisch. ({8}) Außerdem hat Bayern die sofortige Sachentscheidung für morgen beantragt. ({9}) Deshalb rufe ich die Bundesländer auf: Stimmen Sie diesem Antrag morgen endlich zu! Wir brauchen nämlich gar keine Gegenfinanzierung. ({10}) Zu Ihrem Einwurf, der Vorschlag würde beinhalten, dass das nur der Bund zahlt: Das stimmt schlicht nicht. ({11}) Frau Hasselfeldt hat schon letzte Woche klargestellt, dass Ihre Aussage dazu falsch ist. ({12}) Das stimmt so, wie gesagt, nicht. ({13}) Wir brauchen keine Gegenfinanzierung. Die Abschaffung des Handwerkerbonus wird es mit uns nicht geben. ({14}) Das wäre eine Überkompensation für die Länder. ({15}) Wir würden damit bundesweit rund 9 Millionen Steuerfälle treffen, kleine Mieter genauso wie Eigenheimbesitzer. Die steuerliche Förderung finanziert sich von selbst; das wissen Sie. Wenn die Bundesländer glaubwürdig sein und ihre Klimaziele erreichen wollen, dann dürfen sie diesen Antrag nicht weiter aus rein taktisch-politischen Gründen blockieren. So können wir unsere Klimaziele nämlich nicht erreichen, meine Damen und Herren. ({16}) Zum Abschluss noch zwei Sätze zum Netzausbau. Erst muss klar sein, welche Förderinstrumente für konventionelle Kraftwerkskapazitäten und KWK-Anlagen es geben wird. ({17}) Erst dann weiß man, wie viel Strom vor Ort, auch durch konventionelle Kraftwerke, produziert wird. Erst dann weiß man, Herr Wirtschaftsminister Gabriel, welcher Übertragungsbedarf besteht und welche Stromtrassen definitiv erforderlich sind. ({18}) Bevor solch weitreichende Entscheidungen, wie etwa zum Bau neuer Gleichstromtrassen, getroffen werden, ({19}) muss der Bedarf unzweifelhaft und für die Bürger erklärbar bestätigt werden. Deshalb ist es richtig, dass auf die Forderung der CSU hin die Förderung der Kraftwerkskapazitäten und der KWK-Anlagen an die Frage gekoppelt wird, welche Trassen am Ende wirklich benötigt werden. Das ist nicht zuletzt für die Akzeptanz vor Ort wichtig. Denn die Energiewende kann nur gemeinsam mit den Bürgern und nicht gegen sie gelingen. Vielen Dank. ({20})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Dr. Weisgerber. - Das Wort in dieser Aussprache hat jetzt für neun Minuten der Bundesminister Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Weisgerber, ich finde, dass Sie recht haben, was den Netzausbau angeht. Deswegen hat die Bundesnetzagentur das alles berechnet. Danach hat auch Ihre Fraktion in der letzten Legislaturperiode den jetzigen Netzausbau beschlossen. ({0}) Ich will nur sagen: Ihre Forderung ist völlig berechtigt. Deswegen gab es diese Pläne. Dann haben der Deutsche Bundestag und der Bundesrat - mit all denen, die heute gelegentlich anderer Meinung sind - beschlossen: Diese Netze brauchen wir. - Dann wurde das ins Gesetz geschrieben. ({1}) - Ja, so ist das. Ich kann ja nichts dafür, dass das beschlossen wurde. Ich übrigens habe das damals auch mit beschlossen. Nur: Ich distanziere mich jetzt nicht davon; das ist der Unterschied. ({2}) Ich kann das aber alles verstehen und bin sicher, wir finden auch dafür vernünftige Lösungen und Verfahren. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will erst einmal allen danken, die sich an dieser Debatte beteiligen. Abgesehen von manchen Vorwürfen finde ich, dass wir jetzt dazu gezwungen werden, uns ehrlich zu machen. ({4}) Denn seit Jahren - nicht erst seit der Koalitionsvereinbarung, sondern seit Jahren - beschließen wir alle miteinander in großer Einmütigkeit: Erstens. Deutschland will bis 2020 40 Prozent weniger CO2 als im Jahr 1990 emittieren; das beschließen wir immer einstimmig. Zweitens beschließen wir, dass das Ganze nicht dazu führen soll, dass Strompreise steigen - das geschieht nicht mehr einstimmig; das gebe ich zu, Frau Höhn -, drittens beschließen wir Ausbauziele für KWK, auch meistens einvernehmlich. ({5}) Viertens beschließen wir, dass wir das alles versorgungssicher machen wollen, und fünftens, dass das alles keine Arbeitsplätze kosten soll. - Solange man bei den Überschriften bleibt, ist es wunderbar, das alles zu beschließen; schwierig wird es, wenn es konkret wird. Dieser Punkt ist jetzt gekommen. Wenn wir bis 2020 40 Prozent CO2 gegenüber dem Jahr 1990 einsparen wollen, dann müssen wir sagen, wie wir das schaffen wollen; denn noch sind wir davon ein Stück entfernt. Es nützt nichts, auf den europäischen Emissionshandel zu verweisen. Ehrlich gesagt, ich bin durch die Lande gelaufen und habe überall gesagt: Mensch, Leute, wir müssen jetzt den europäischen Emissionshandel wieder in Gang bringen und nicht nationale Instrumente entwerfen. - Das Problem ist nur, dass der europäische Emissionshandel am Boden liegt, es gibt ihn de facto nicht, und es gibt nicht die Bereitschaft in Europa, den Vorschlägen Deutschlands, der skandinavischen Länder und Frankreichs zu folgen, diesen Emissionshandel deutlich vor dem Jahr 2020 wieder in Gang zu setzen. ({6}) - Nein, Herr Krischer: Nirgendwo außer in den genannten Ländern haben wir bei diesem Anliegen große Freunde. ({7}) Osteuropa ist komplett dagegen. Es gibt 26 Millionen Arbeitslose in Europa, sodass viele Länder sagen: Wir wollen an das Thema nicht ran. - Ich finde das falsch, ich finde, dass der Emissionshandel eigentlich viel schneller wieder in Gang gesetzt werden müsste; aber ich bin sehr, sehr skeptisch, ob das vor 2020 passieren wird. Wenn wir dennoch das 40-Prozent-Ziel erreichen wollen, dann werden wir sagen müssen, wie das gehen soll, und können nicht auf den Emissionshandel verweisen; denn von da kommt es nicht. Übrigens nur ein Hinweis, Herr Kollege Pfeiffer: Weil die Gefahr in der Tat besteht, dass man hier Zertifikate sozusagen nicht nutzt und sie dann woandershin wandern, ist unser Vorschlag, dass diese Zertifikate stillgelegt werden und dieses CO2 nicht woanders emittiert werden kann; das ist ein anderer Vorschlag. ({8}) - Nein. Die Wahrheit ist doch, dass Sie sich in Ihrer Rede zu dem 40-Prozent-Ziel gerade nicht bekannt haben, ({9}) sondern sich für nachhaltigen Umweltschutz ausgesprochen haben. Wenn man darauf verweist, wie viel CO2 China binnen weniger Tage emittiert, dann steckt dahinter doch immer die Idee, dass unser eigener Beitrag nicht so wichtig sei. Der Beitrag Europas und Deutschlands zum Klimaschutz bemisst sich nicht daran, ob wir 35, 38 oder 41 Prozent mindern, sondern daran, dass ein hochindustrialisiertes Land zeigt, dass ambitionierter Klimaschutz möglich ist und dass dabei die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung nicht gefährdet, sondern ausgebaut wird. ({10}) Wenn wir Deutsche das nicht machen, wenn wir das als Europäer nicht tun und die Ziele des Klimaschutzes zurücknehmen aus Angst, wir könnten es nicht bezahlen, dann können Sie sicher sein, dass aus den Schwellenund Entwicklungsländern uns niemand folgen wird, und dann ist der internationale Klimaschutz im Eimer. Das ist die dahinterstehende Debatte. ({11}) Ich bin dafür, dass wir über alle Instrumente diskutieren, von mir aus auch streiten; aber wir müssen uns in ein paar Punkten ehrlich machen: Erstens. Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Er ist nicht ohne einen Beitrag des Stromsektors, aus dem circa 40 Prozent der Emissionen in Deutschland stammen, zu erreichen. ({12}) Zweitens. Strompreisstabilität gibt es auch nicht zum Nulltarif. Ich verberge übrigens gar nicht, dass wir die alten KWK-Ziele mit dem Papier aufgeben. Warum sollte ich das tun? ({13}) Ich verberge das nicht: weil ich das schon in allen öffentlichen Debatten gesagt habe. - Ich bin der Überzeugung, dass das notwendig ist, wenn wir das Ziel der Strompreisstabilität erreichen wollen. Wenn wir das alte KWK-Ziel halten würden - ein KWK-Anteil an der Stromerzeugung von 25 Prozent -, es weiter ausbauen würden und gleichzeitig das tun wollen, was ich für zwingend nötig halte, nämlich die bestehenden Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen zu sichern, sie gerade nicht kaputtgehen zu lassen, die Stadtwerke zu unterstützen, indem insbesondere gasbetriebene KWK sozusagen abgesichert werden, dann hieße das: Wir müssen zum ersten Mal, was wir bisher nicht tun, in die Bestandsförderung gehen. Wenn Sie beides zusammen machen wollen - die alten erhalten und ambitionierte Ausbauziele verfolgen -, dann müssen Sie sich hierhinstellen und sagen: Wir sind dafür, dass der Strompreis um 3 bis 4 Cent pro Kilowattstunde steigt. ({14}) Dann sind wir relativ nah dran an dem, was uns die Erneuerbaren bereits kosten. Und Sie müssen sagen: Wir sind bereit, 3 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich dafür auszugeben. ({15}) Das macht aber von Ihnen keiner. Auch an dieser Stelle bitte ich darum, ehrlich zu sein. ({16}) Wir können ja darüber debattieren und dann entscheiden. ({17}) Aber, Herr Krischer, Sie dürfen sich nicht davor drücken, der Öffentlichkeit zu sagen, dass das dann 3 Milliarden Euro mehr kostet und dass das die Menschen bezahlen müssen - übrigens sowohl Menschen mit großen als auch mit kleinen Einkommen. Das wird im Übrigen auch die mittelständische Wirtschaft bezahlen müssen. Das werden nicht die energieintensiven Unternehmen bezahlen müssen; die sind befreit. ({18}) - Ja, zu Recht sind sie befreit! Denn wir wollen in Deutschland nicht Hunderttausende Jobs verlieren. ({19}) Wenn die Stahl-, die Aluminium-, die Kupfer-, die Chemieindustrie und viele andere Bereiche nicht befreit wären, würde das ja nicht gleichzeitig bedeuten, dass dann niemand mehr CO2 emittiert, sondern dann machen die das in Ländern, in denen es keinen Klimaschutz gibt, und dann sind die Jobs bei uns weg. Das ist übrigens auch der Grund, aus dem die Grünen früher einmal, als sie noch in der Regierung waren, diesen Befreiungen zugestimmt haben, und zwar, wie ich glaube, zu Recht, meine Damen und Herren. ({20}) Frau Bulling-Schröter, ich würde gerne mal eine Veranstaltung erleben, auf der Sie und nach Ihnen der Kollege Claus zum Thema Kohle bzw. Braunkohle reden - einfach nur als Zuhörer. ({21}) Denn dann würde sich zeigen, dass das nicht funktioniert. Wir müssen in der Debatte ehrlich sein und dürfen nicht so tun, als ließe sich alles erreichen, ohne dass man einen Preis dafür zahlen müsste. Drittens - auch das gehört zur Ehrlichkeit -: Strukturwandel braucht Zeit. ({22}) Das geht nicht von heute auf morgen. Ich bin übrigens der festen Überzeugung, dass Herr Bareiß recht hat: Man kann nicht zeitgleich aus der Kernenergie und aus der Kohle aussteigen. Das ist aber mit dem Vorschlag auch gar nicht möglich. Denn wenn wir von den knapp über 300 Millionen Tonnen CO2, die aus fossilen Kraftwerken in 2020 noch emittiert werden, jetzt zusätzlich 22 Millionen Tonnen einsparen wollen, dann kann man nicht wirklich sagen, dass das der Ausstieg aus der Kohle ist. ({23}) Das ist ein relativ bescheidener Beitrag. Strukturwandel braucht also Zeit. Daraus ergibt sich übrigens die vierte Wahrheit, um die wir uns in der aktuellen Debatte völlig herumdrücken: Die eigentliche Herausforderung kommt nach 2020. Denn der Deutsche Bundestag, das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben verabredet, dass es nach 2020 noch mal richtig losgehen soll mit dem Klimaschutz. Wir wollen dann jedes Jahr 2,2 Prozent der Emissionen einsparen. Das heißt, die Herausforderungen des Strukturwandels entstehen doch nicht durch die Einsparung der 22 Millionen Tonnen, die wir jetzt vorschlagen, um das nationale 40-Prozent-Ziel zu erreichen. Die Herausforderung kommt danach, wenn es weitergeht. Deswegen, glaube ich, ist diese Debatte wichtig. Aber man muss sie auch mit einigermaßen offenem Visier führen. Man darf nicht glauben, man könnte die unterschiedlichen Ziele alle in Einklang bringen. Wir haben in den nächsten Wochen ausreichend Zeit, diese Debatte zu führen. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass ich keine Strukturabbrüche bei der Kohle will. Selbst wenn es nur um 10 000 Arbeitsplätze gehen würde, Herr Krischer, wäre das, wie ich finde, eine ganze Menge. Die Menschen, die da arbeiten, vertrauen darauf, dass die Politik ihnen einen Weg zeigt und dass sie nicht durch unsere politischen Entscheidungen in die Arbeitslosigkeit geschickt werden. ({24}) - Ich sage doch nicht, dass Sie das wollen. ({25}) - Herr Krischer, das mache ich da auch. ({26}) - Die Photovoltaik! Frau Höhn, jetzt hören Sie doch mal auf, immer Volksverdummung im Parlament zu machen! ({27}) Der Einbruch der Photovoltaik kommt daher, dass aus China massiv Panels rübergeschoben werden; dagegen laufen Antidumpingverfahren. Das kommt doch nicht durch die Politik der Bundesregierung. Macht doch den Leuten nicht immer was vor! ({28}) Da wissen ja die Betroffenen besser Bescheid. Deswegen müssen wir, glaube ich, über diese Wege reden. Ich will erstens darauf hinweisen, dass es unser Ziel ist, KWK im Bestand zu halten und die Stadtwerke zu retten. Dazu haben wir hier einen Vorschlag gemacht. Ich lasse gerne mit mir darüber reden, wie wir das weiter ausbauen können. Aber dann müssen wir auch über die Preise und die Kosten sprechen. Zweitens bitte ich dringend darum, dass wir im Rahmen der Diskussion über den Umgang mit der Kohle wirklich alles dafür tun, den Menschen die Ängste vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze zu nehmen. Ich bin mir mit der Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, mit den beiden Ministerpräsidenten von Sachsen und Brandenburg, mit den Vorsitzenden der Gewerkschaften IG BCE und Verdi absolut einig, dass es auf gar keinen Fall zu Dominoeffekten bei der Braunkohle kommen darf. Wir wollen den Braunkohletagebau nicht schließen; wir wollen die Leute nicht in die Arbeitslosigkeit schicken. Wir glauben, dass wir einen verkraftbaren Vorschlag mit relativ geringfügigen Auswirkungen gemacht haben. Wir werden jetzt mit allen in die Diskussion darüber einsteigen, wie man diesen Vorschlag weiterentwickeln kann. Ich glaube, dass wir dabei auf einem ganz guten Weg sind. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({29})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Sigmar Gabriel. - Ich unterbreche für einen ganz kurzen Moment. Wir müssen durch einen Blick in die Geschäftsordnung klären, wie wir jetzt mit der Redezeit weiter umgehen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind geschäftsordnungstreu. Weil es eine relativ deutliche Redezeitüberziehung des Ministers gab, schlagen die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer vor, dass jede Fraktion noch einen zusätzlichen Redner oder eine zusätzliche Rednerin in dieser Aktuellen Stunde benennen darf. Bitte sagen Sie uns hier oben die Namen derjenigen, die in dieser Debatte noch reden wollen. Ich gehe derweil weiter vor: Der nächste Redner ist Ralph Lenkert für die Linke. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, bei den Zielen sind wir uns einig. Das, was Sie hier zu den Kohlekraftwerken vorgelegt haben, ist für das Klima allerdings so wie Kamillentee für eine Grippe: Hilft manchmal, schadet nicht. Ihre Vorschläge zu den Stromtrassen sind aber ein echtes Problem für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich zitiere aus Ihrem Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem es heißt, beim Strom müsse es weiter bundesweit einen einheitlichen Preis geben. Einheitliche Preise bundesweit? Wenn Ihnen das so nahegeht, dann empfehle ich Ihnen die Annahme unseres Antrages für bundesweit einheitliche Netzentgelte; denn damit würde man diesem Ziel einen Schritt näherkommen. ({0}) Zu den bundeseinheitlichen Preisen: In Lübbenau - das liegt in Brandenburg - kostet der Strom 29 Cent je Kilowattstunde. In München kostet er 25 Cent je Kilowattstunde. Das sind 15 Prozent Unterschied. Das nenne ich nicht einheitlich. Wer hat einheitliche Strompreise? Das sind die Großunternehmen. An der Börse kostet der Strom 3,6 Cent je Kilowattstunde. Die Börsenstrompreise sind einheitlich. Davon profitieren Großunternehmen, Stromhändler und Stromspekulanten. Für diese Klientel kämpfen Sie um neue Stromtrassen, und das lehnt die Linke ab. ({1}) Wenn die Gleichstromtrassen gebaut werden, kommen auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zusätzliche Kosten in Höhe von 10 Milliarden Euro zu; denn sie und nicht die Gabriel-Connection bezahlen die Investitionssumme für die Gleichstromtrassen. Für Abschreibungen, garantierte Renditen und Betriebskosten entstehen für die Verbraucherinnen und Verbraucher so zusätzliche Kosten in Höhe von insgesamt 1 Milliarde Euro pro Jahr. Deshalb lehnt die Linke diese Trassen ab. ({2}) Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was passiert, wenn die Trassen nicht kommen? Es gibt zum Beispiel die Aussage: Dann gibt es zwei Preiszonen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet, dass die Kosten für den Strom in Süddeutschland um 275 Millionen Euro pro Jahr steigen würden, während sie in Norddeutschland um 163 Millionen Euro pro Jahr sinken würden. Rechnen wir jetzt einmal dagegen: Betriebskosten von 1 Milliarde Euro für die Gleichstromtrassen bedeuten für Süddeutschland anteilig 300 Millionen Euro Mehrkosten bei den Netzentgelten, die die Verbraucherinnen und Verbraucher und nicht die Großkonzerne bezahlen müssten. Kosten von 275 Millionen Euro für höhere Strompreise oder Kosten von 300 Millionen Euro für höhere Netzentgelte: Sie können wählen. Die Linke entscheidet sich dafür, die Netzentgelte nicht anzuheben. Im Norden sieht es noch einmal anders aus. Da werden nämlich niedrige Strompreise und nicht zu zahlende Netzentgelte zu sinkenden Strompreisen führen. Deswegen gratuliert die Linke der CSU, dass sie mit uns gemeinsam die Stromtrassen ablehnt. ({3}) Jetzt kommt natürlich der nächste Einwand von Grünen und SPD: Wir brauchen den Strom, damit die Versorgungssicherheit in Bayern gewährleistet ist. - Im Moment liegt die Leistung der Stromproduktion in Bayern bei 4 Gigawatt. Diese steigt bis 2024 auf 13 Gigawatt. Die bestehenden Stromtrassen, die heute in Betrieb sind, haben eine Kapazität von 21 Gigawatt. Wo ist da die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet? Da ist noch keine Grenzkoppelei berücksichtigt. Das sind nur innerdeutsche Trassen. Diese Frage hätte ich gerne beantwortet. Deswegen sind wir sicher: Zur Versorgungssicherheit braucht es keine neuen Trassen. ({4}) Nächstes Argument: Der Windstrom muss aus dem Norden wegtransportiert werden. Wir haben in Norddeutschland eine Leistung aus erneuerbaren Energien von 50 Gigawatt installiert. Der Eigenverbrauch in Norddeutschland liegt bei 40 Gigawatt. Das heißt, wegen dieser 10 Gigawatt bei Extremwetterlagen brauchen wir keine neuen Trassen. Die 21 Gigawatt reichen. Wir haben aber 20 Gigawatt Strom aus Kohlekraftwerken, die wegen der Primärregelenergie ständig laufen müssen. Das ist die Energie, die gebraucht wird, damit zwischen Stromverbrauch und Stromerzeugung immer ausgeglichen werden kann. Solange es keine Alternative für die Bereitstellung dieser Regelenergie gibt, werden die Kohlekraftwerke nicht vom Markt genommen. Eine Alternative sind zum Beispiel Batteriespeicher. Wenn diese die Regelenergie bereitstellen, brauchen wir die Kohlekraftwerke nicht durchlaufen zu lassen und brauchen dann auch keine neuen Trassen. Natürlich brauchen wir wesentlich mehr KWK-Anlagen. Kraft-Wärme-Kopplung ist für die dunkle Flaute hilfreich und kann zukünftig, gekoppelt mit der Tauchsiederwirkung, wenn es zu viel Windstrom gibt, den Stromüberschuss im Norden sinnvoll in Wärme umwandeln. Auch dann sind die 500-Kilovolt-Trassen überflüssig. ({5}) Unsere Vorschläge lauten:

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Aber bitte kurz.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. - Erzeugen Sie die Regelleistung über Batterien. Fördern Sie KWK. Schaffen Sie bundeseinheitliche Netzentgelte. Dann brauchen wir keine neuen Trassen. Das hat die CSU schon verstanden. ({0}) Verstehen Sie jetzt auch den Rest. Dann erreichen wir Klimaschutz, der sozial gerecht und vernünftig ist. Ich danke Ihnen. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Lenkert. - Nächster Redner in der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Oliver Krischer hat ganz zu Beginn dieser Debatte ein Dreieck in unserer Fraktion ausgemacht. ({0}) Lieber Oliver Krischer, ich finde, diese Betrachtung greift etwas zu kurz. Dank Sigmar Gabriel und der Geschäftsordnung stellt unsere Fraktion allein in dieser Debatte sechs Redner. Auch ein Blick auf unsere Fraktion zeigt unschwer: Wir sind deutlich mehr als drei. Die Breite unserer Fraktion bringt automatisch eine breite Debatte mit sich. Genau das ist der Grund, warum bei uns über alle Aspekte und Auswirkungen dieses Vorschlages, über den wir heute reden, intensiv diskutiert wird. Es wird gefragt: Was heißt das für die Wirtschaft? Was heißt das für den Klimaschutz? Was heißt das für die Menschen in den betroffenen Regionen? Das ist das Gegenteil von Einseitigkeit. Das ist Ausdruck der Breite einer Volkspartei. In diesem Ringen innerhalb unserer Fraktion und mit unserem Koalitionspartner geht es allein um die Frage: Wie erreichen wir einen guten Weg, und wie erreichen wir am Ende eine gute Lösung? Ich finde, das macht auch die Stärke einer Volkspartei aus. ({1}) Das führt zu der Frage: Was ist der Maßstab, nach dem wir diese Diskussion führen, und was ist der Maßstab für das, was ich als „gute Lösung“ beschrieben habe? Ein Maßstab ist die große Herausforderung des Klimawandels. Unsere Rolle als Vorreiter im Klimaschutz kommt in unserem 40-Prozent-Ziel zum Ausdruck. Es geht darum, dass wir die Lücke schließen, damit sich keine Glaubwürdigkeitslücke auftut und damit unsere Beschlüsse dazu führen, der Bundesregierung für die Verhandlungen auf dem Klimagipfel in Paris Rückenwind zu geben, Rückenwind für die Umweltministerin und Rückenwind für unsere Kanzlerin. Das ist das Ziel der Union und der Koalition. Darum geht es. ({2}) Zur Nachhaltigkeit gehören neben der Behandlung der Klimafrage auch andere Aspekte. Deshalb ist eben auch Maßstab - das ist in dieser Debatte ebenfalls deutlich geworden - die Bewältigung der Auswirkungen der Umsetzung dieses Vorschlags auf die Wirtschaft, auf Arbeitsplätze in der Kohleindustrie genauso wie in Gaskraftwerken, auf Versorgungssicherheit, auf Strompreise, auf die betroffenen Regionen. Es geht dabei auch um die sozialen Auswirkungen. ({3}) Das alles müssen wir in Einklang bringen. Umwelt und Klima, Wirtschaft und Arbeitsplätze sowie Soziales müssen wir unter einen Hut bekommen. Das ist die Herausforderung. ({4}) Jetzt stellen sich konkrete Fragen zu diesem Vorschlag. Die Maßgabe im vorgelegten Nationalen Aktionsplan Klimaschutz ist: Wir müssen im Strombereich zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Wir sind uns einig: Das Beste wäre, wir würden unser Ziel durch den Emissionshandel erreichen. Wir wissen aber auch: Die Wahrscheinlichkeit, dass das Nötige bis zum Jahr 2020 beschlossen wird und Wirkungen zeigt, ist nicht gerade hoch; darauf können wir uns nicht verlassen. Deshalb reden wir über diese nationalen Maßnahmen. Die nötigen Maßnahmen müssen erstens natürlich EU-kompatibel sein; sie müssen mit dem CO2-Emissionshandel in der Europäischen Union einhergehen und rechtlich zulässig sein. Sie müssen zweitens, selbstverständlich in einem Ordnungsrahmen, ein Höchstmaß an Flexibilität ermöglichen. Sie müssen drittens die Maßgabe von Versorgungssicherheit berücksichtigen, und sie dürfen nicht zum Treiber für die Strompreise werden. Sie müssen viertens die Klimalücke schließen. Der Bundeswirtschafts- und Energieminister sagt, dass all diese Aspekte in seinem Vorschlag berücksichtigt sind. Meine Meinung ist: Das, was auf dem Tisch liegt, ist eine gute Diskussionsgrundlage. Sie werden wir jetzt intensiv prüfen; sie werden wir diskutieren. Das heißt auch, es ist noch keine Entscheidung gefallen, weil eben nichts alternativlos ist. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Wer das am Ende ablehnen wollte, der brauchte gute Alternativen, und mit diesen Alternativen müssten die Ziele, die genannt worden sind - Reduktion der klimaschädlichen Emissionen um mindestens 40 Prozent, zusätzliche Einsparung von 22 Millionen Tonnen CO2 -, erreicht werden können. Was nicht geht, ist einfach eine Antwort nach dem Motto: Das wollen wir nicht; Augen zu und durch. Wir ringen jetzt um eine gute Lösung im Sinne der Nachhaltigkeit in ihrer ganzen Breite im Bereich des Klimaschutzes. Auf die Debatte darüber freuen wir uns. Herzlichen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Andreas Jung. - Nächste Rednerin in der Debatte: Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Jung, ich hatte gehofft, dass Sie als Union den Vorschlag vor dieser Debatte prüfen und nicht erst danach. Dann hätten wir die unsäglichen Argumente dafür, warum das alles Quatsch sei - auch Herr Pfeiffer hat sie hier vorgetragen -, hier nicht noch einmal gehört. Ich finde es wirklich unglaublich, dass Kollege Bareiß auch noch wiederholt, wir könnten aus der Kohle in den nächsten drei Jahrzehnten nicht aussteigen; wir sollten gar nicht erst anfangen, darüber nachzudenken. Das toppt ja fast noch den IG-BCE-Lobbyisten Herrn Freese, der gesagt hat, dass wir vor dem Jahr 2050 im Kohlebereich überhaupt nichts machen dürfen. Wie wollen Sie die Klimaziele - nicht nur die deutschen, sondern auch die europäischen und die internationalen - erreichen, wenn Sie vor dem Jahr 2045, wie es Herr Bareiß sagte, oder vor dem Jahr 2050 mit dem Klimaschutz nicht beginnen wollen? Das müssen Sie uns jetzt hier einmal erläutern. ({0}) Was sich auch noch offenbart hat, ist, dass Sie nicht nur die Klimaschutzpolitik nicht verstanden haben, Herr Pfeiffer, sondern auch die Europapolitik. Wer sich hierhinstellt und sagt, er könne nichts tun, weil Europa Vorgaben gemacht habe, der versteht nicht, was eine Gesetzgebung auf der europäischen Ebene ist, der versteht nicht, dass man über Mindeststandards natürlich hinausgehen kann. Genau dies fordern wir auch hier beim Klimaschutz. ({1}) Diese Volksverdummung setzen Sie auch noch bei den Arbeitsplätzen fort. Herr Gabriel, ich habe Sie in den letzten Tagen in Brandenburg gegen die Ansage Ihres dortigen Ministerpräsidenten vehement verteidigt. Dass aber auch Sie jetzt wieder das Arbeitsplatzargument hier anführen, ist doch wirklich ein wenig traurig. ({2}) - Nein, das ist ein falsches Argument; auch bezogen auf PV. Sie sagen, die Photovoltaik sei aufgrund der Module aus China eingebrochen. Waren Sie einmal in Frankfurt ({3})? Da gab es First Solar. Die haben ein neues Werk mit 3 000 neuen Arbeitsplätzen gebaut. Das geschah, weil die damalige Bundesregierung - also Ihre liebe Union - angekündigt hatte, dass die Freiflächenförderung weitergeht. Die damalige Staatssekretärin Frau Reiche - sie hat jetzt eine andere Aufgabe - war dort und hat den Scheck der Bundesregierung über die Fördermittel übergeben. Zwei Monate später hat die damalige Bundesregierung die Freiflächenförderung - Freiflächen gibt es in Ostdeutschland in sehr großem Ausmaß gekappt. Und was war die Ansage an First Solar? Das neu eröffnete Werk mit 3 000 Arbeitsplätzen musste aufgrund der falschen EEG-Politik in Deutschland schließen. Das kann man nun wirklich nicht den Chinesen in die Schuhe schieben, Herr Gabriel. ({4}) Ich bringe jetzt - Oliver Krischer hat es in Bezug auf NRW angesprochen; ich will das einmal für Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt ansprechen - ein Sachargument bezogen auf die Arbeitsplätze in den Regionen vor Ort. Es wird gesagt, dass dann plötzlich alle Arbeitsplätze vernichtet werden und dass kein Strukturwandel mehr vorgenommen werden kann. Erster Punkt: Der Strukturwandel in Ostdeutschland ist in vollem Gange. Wer das negiert, streut den Menschen dort vor Ort Sand in die Augen. Ich nenne jetzt einmal die Zahlen der Brandenburger Landesregierung, die plötzlich sagt: Alle Arbeitsplätze werden vernichtet. Dabei hat sie selbst - bevor der Vorschlag von Herrn Gabriel kam - bei Prognos eine Studie in Auftrag gegeben. Deren Ergebnis lautet, dass die Zahl der Arbeitsplätze bei Vattenfall um 3 000 zurückgehen wird. Sie wird danach von 6 000 Direktbeschäftigten heute auf 3 000 Direktbeschäftigte in den nächsten Jahren zurückgehen. Das passiert von allein, weil der Strukturwandel im Gange ist. Zweiter Punkt: Zwei Drittel der Beschäftigten in der Kohlebranche sind über 45 Jahre alt. Was bedeutet das für Brandenburg? Die werden in den nächsten Jahren sowieso in Rente gehen. Das sind die offiziellen Zahlen der Kohlewirtschaft. Der Strukturwandel ist in vollem Gange. Dritter Punkt: Wie sieht es denn in der Lausitz mit den Fachkräften aus? Dazu gibt es eine ifo-Studie, die von der Lausitzregion selbst in Auftrag gegeben wurde. Sie wollen nicht über Kohleausstieg reden; aber bis zum Jahr 2030 wird die Zahl an Fachkräften bzw. an Menschen, die im arbeitsfähigen Alter sind, in der Region um 36 Prozent zurückgehen. Das heißt, Sie werden gar keine Arbeitskräfte haben, die dann in irgendwelchen Kohlejobs arbeiten könnten, wenn es diese dann überhaupt noch geben wird bzw. wenn sie nicht schon von Vattenfall abgebaut sind. Das heißt, Sie betreiben hier absolute Volksverdummung zulasten der Menschen in der Region. Diese Menschen brauchen Planungssicherheit in Bezug darauf, wie die Zukunft dort aussehen soll. Dafür müssen wir uns endlich einsetzen. ({5}) Selbst die Unternehmen - das gilt auch für Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind - fordern diese Planungssicherheit ein. Ich zitiere jetzt einmal einen potenziellen Käufer von Vattenfall, den Chef des tschechischen Energiekonzerns EPH, der auch an der MIBRAG mitbeteiligt ist, also weiß, was Braunkohlepolitik in Deutschland bedeutet. Der sagte im Handelsblatt: Der Ausstieg - er sprach vom Kohleausstieg - kommt von selbst, aber eben Schritt für Schritt. Was wir brauchen, sind klare Ansagen der Politik. - Diese klaren Ansagen müssen wir hier im Deutschen Bundestag treffen, damit nicht nur die Arbeitnehmer und die Region, sondern auch die Unternehmen Planungssicherheit haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({6}) Jetzt am Schluss komme ich ganz kurz zu dem Instrument. Wir sind ganz bei Ihnen, wenn Sie, Herr Gabriel, sagen, dass wir mit dem Ausstieg anfangen müssen. Wir Grünen bestehen aber darauf, dass dort, wo „Klimaschutz“ draufsteht, auch wirklich Klimaschutz drin ist. Wir haben die CO2-Grenzwerte vorgeschlagen. Es gibt also einen Vorschlag in diesem Bereich. Das ist nicht ganz der, den Sie haben. Unser Grenzwert wäre aus unserer Sicht planungssicher. Wenn Sie aber Ihren Vorschlag ernst meinen, hören Sie bitte genau zu und lesen Sie bitte die Dokumente, in denen steht, wo man wirklich nachlegen muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Baerbock, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Bisher ist die Frage der Modernisierung noch ungeklärt. Sie sagen, dass im Zweifel ab einem Alter von 20 Jahren gezahlt werden muss. Dann steht aber drin „es sei denn, sie werden modernisiert“. Was ist Modernisierung? Ist der Austausch der Rauchentschwefelungsanlage Modernisierung? Damit wird alle Kraft aus der Regelung herausgenommen, und niemand muss die Umlage zahlen. Darauf müssen Sie gucken.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das können Sie jetzt wirklich nicht mehr bis zum Ende erklären.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie müssen auf den Preis schauen, ob der wirklich Wirkung entfaltet. Vor allen Dingen müssen Sie sich fragen: Was wollen wir machen, wenn die Projektionen wieder zu höheren Zahlen bei den CO2-Emissionen führen und wir - um die Zielmarke von 290 Millionen Tonnen zu erreichen nicht nur 22 Millionen Tonnen, sondern deutlich mehr einsparen müssen? Ihr Instrument kann nicht nachgesteuert werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Baerbock, im Zweifel habe ich hier eine Möglichkeit, auszuschalten.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hier müssen Sie nachlegen. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Frank Schwabe das Wort. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Als jemand, der aus einer Region, dem Ruhrgebiet, kommt, wo die Kohle in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt hat und immer noch spielt, aber in Zukunft jedenfalls in der Förderung vermutlich keine Rolle mehr spielen wird - leider wird das so sein -, weiß ich, wie schwierig die Debatte in den Regionen ist. Deswegen kann ich auch die Diskussion sowohl im Rheinischen Braunkohlerevier als auch in den ostdeutschen Braunkohlerevieren nachvollziehen. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, den Menschen vor Ort eine Perspektive zu bieten. Neben all dem, was wir diskutieren, sei es beim Klimaschutz oder zu Veränderungen im Energiesektor, brauchen die Menschen eine Perspektive. Diese dürfen sie nicht erst im Anschluss aufgezeigt bekommen, sondern wenn wir über solche Maßnahmen diskutieren, sind wir in der Verantwortung, auch gleichzeitig eine Perspektive aufzuzeigen. ({0}) Der Bundeswirtschaftsminister hat gerade deutlich gemacht - ich kann dem kaum etwas hinzufügen -, dass es wichtig ist, dass wir uns in der politischen Debatte ehrlich machen. Das müssen wir in der Energiepolitik insgesamt machen. Es geht nämlich nicht nur um die Frage, die wir heute diskutieren, sondern es gibt sehr viele Fragen, bei denen sich der Wirtschaftsminister auf den Weg gemacht hat, uns ehrlich zu machen und klar zu sagen, was das, was wir an Zielen umsetzen wollen, am Ende kostet und wie man die Vorhaben konkret umsetzen will. Wir müssen uns in der Debatte auch ehrlich machen, was Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Preisstabilität angeht. Das ist im Übrigen gerade auch für die Regionen und die betroffenen Unternehmen notwendig. Sie müssen nämlich verlässlich wissen, worauf sie sich einzustellen haben und wie die Rahmenbedingungen für die Zukunft sind. Deswegen ist völlig klar - ich möchte wiederholen, was schon viele gesagt haben -: Es gibt ein CO2-Minderungsziel in Deutschland von mindestens 40 Prozent. Das hat der Deutsche Bundestag gemeinschaftlich beschlossen. Dahinter stehen die gesamte Bundesregierung und auch die Bundeskanzlerin. Wenn es ein solches Ziel gibt, dann müssen wir im Deutschen Bundestag alles tun, um dieses Ziel erreichen zu können. ({1}) Das Programm sieht nun einmal vor - das wurde im letzten Jahr beschlossen -, 22 Millionen Tonnen CO2 im Kraftwerkssektor einzusparen. Natürlich wollen wir, dass der europäische Emissionshandel funktionstüchtig ist. Ich bin sehr skeptisch, dass er in kurzer Zeit funktionstüchtig werden kann. Zurzeit ist er jedenfalls nicht ausreichend funktionstüchtig, und die Hoffnung, dass sich dies ändert und dazu beiträgt, dass wir bis zum Jahr 2020 unser Ziel erreichen, ist nicht groß. Die Preise für Emissionszertifikate liegen zurzeit bei 6 oder 7 Euro. Das reicht nicht aus, um eine ausreichende Lenkungswirkung zu erzielen. Auch dafür muss man die Bundesregierung loben: Wir haben jetzt einen Bundeswirtschaftsminister, der auch schon Umweltminister war. Zu der Zeit war Deutschland in der Tat international ein Vorreiter. Die Vorreiterrolle ist allerdings in den vier Regierungsjahren dazwischen verloren gegangen. Wir können jetzt aber wieder daran anknüpfen. Wir sind in vielen Bereichen vielleicht noch nicht perfekt, aber ich finde, wir können wieder an unsere Vorreiterrolle anknüpfen. Dazu gehört auch ein zwischen Umweltministerin und Wirtschaftsminister abgestimmtes Auftreten in Brüssel. Das ist mittlerweile wieder erreicht, nachdem wir in Deutschland jahrelang herumgeeiert sind und gar nicht klar war, wo Deutschland steht. Nachdem wir damals als Bremser aufgetreten sind, sind wir jetzt zumindest bei der Reform des europäischen Emissionshandels wieder Vorreiter. ({2}) Aber zurzeit reicht der Zertifikatepreis beim Emissionshandel nicht aus, um eine ausreichende Lenkungswirkung zu erzielen. Deshalb müssen wir eine Antwort darauf geben, wie wir unsere Ziele sonst erreichen wollen. Ich war überrascht von dem Vorschlag, der uns vorgelegt wurde, weil es ein hochintelligenter Vorschlag ist, der, anders als behauptet wurde, dem europäischen Emissionshandel nicht entgegensteht. Die Gleichung, die hier aufgemacht wurde, stimmt schlichtweg nicht, dass wir durch Einsparungen in Deutschland am Ende dafür sorgen, dass andere in Europa mehr emittieren können. Denn mit dem Vorschlag ist verbunden, dass wir gleichzeitig Emissionshandelszertifikate vom Markt aufkaufen. Insofern ist das Instrumentarium in der Tat mit dem europäischen Emissionshandel kompatibel, und es sorgt gleichzeitig dafür, dass wir in Deutschland handlungsfähig sind und unsere Ziele entsprechend erreichen können. Ich wiederhole, was schon viele gesagt haben: Wer für das 40-Prozent-Ziel steht und akzeptiert, dass wir Einsparungen brauchen - und im Kraftwerkssektor haben wir Einsparpotenziale -, der muss, wenn er dieses Instrument ablehnt, ein anderes Instrument bieten. ({3}) Ich habe noch kein solches Instrument gesehen. Deswegen begrüße ich das Instrument, das der Wirtschaftsminister vorgeschlagen hat, sehr. ({4}) Ich glaube, dass wir mit dem, was hier vorgelegt wurde und was man sicherlich im parlamentarischen Verfahren noch diskutieren kann, ganz viel tun, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Ich glaube, dass wir gleichzeitig durchaus auf dem Weg sind, Perspektiven für die betroffenen Regionen zu entwickeln. Daran wird allerdings auch weiter zu arbeiten sein. Glück auf! ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dr. Herlind Gundelach hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Herlind Gundelach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in einem sind wir uns hier im Hause einig - das hat die Debatte bisher auch gezeigt -: Alle bekennen sich zu dem 40-Prozent-Ziel der CO2-Minderung. ({0}) - Doch. Da haben Sie ihn völlig falsch verstanden. Auch er bekennt sich dazu. ({1}) Ich denke, das ist schon einmal ein positives Signal, das nach draußen geht. Auch wenn das 40-Prozent-Ziel damals unter anderen Rahmenbedingungen beschlossen wurde - das möchte ich betonen -, so halten wir dennoch an diesem Ziel fest. Das soll deutlich gesagt werden. Seit dieser Zeit haben sich allerdings auch die Rahmenbedingungen unserer Energieversorgung drastisch verändert. Wir alle wissen, dass die erneuerbaren Energien in der Zwischenzeit mehr als 25 Prozent bei der Stromerzeugung ausmachen. ({2}) Kraftwerke auf fossiler Basis kämpfen deswegen ums Überleben. Das zeigt auch die Diskussion um das künftige Strommarktdesign. Lassen Sie mich eine weitere Zahl bringen: Deutschland hat im Jahr 2013 mehr als 34 Terawattstunden Strom netto exportiert. ({3}) Legt man den von der Kommission festgelegten Emissionsfaktor von 0,76 Tonnen CO2 pro Megawattstunde an, dann wären das bereits fast 26 Millionen Tonnen CO2, die wir in Deutschland zwar produziert, aber nicht verbraucht haben. Auch das sollte man bei dieser Gelegenheit einmal betonen. ({4}) Über noch eines müssen wir uns im Klaren sein: Aufgrund des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien, den wir alle wollen, wird diese Zahl in den nächsten Jahren noch zunehmen. Klimapolitik ist aber nicht nur Strompolitik, sondern sie umfasst auch die Bereiche Wärme und Kälte sowie Energieeffizienz. Deswegen hat die Bundesregierung den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz vorgelegt. Deshalb müssen wir aus meiner Sicht neben dem Strommarkt, über den wir heute im Wesentlichen gesprochen haben, auch die anderen Sektoren in den Blick nehmen, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. Um es noch einfacher zu formulieren: Wir müssen die Gelder, die zusätzliche Emissionsminderungen kosten, so optimal wie möglich einsetzen. Deshalb muss diese Diskussion - das ist heute in der Debatte auch schon angeklungen - auch im Kontext der Überlegungen erfolgen, wie es zum Beispiel bei der KWK weitergeht; denn sie bietet noch immer die beste Ausbeute der fossilen Energieressourcen. Ich glaube, auch da besteht ein großer Konsens hier im Hause. Allerdings werfen die jetzt vorliegenden Überlegungen des BMWi aus meiner Sicht mehr Fragen auf, als sie beantworten. Zunächst einmal - auch das ist festzuhalten - bedeuten die Vorschläge einen massiven Eingriff ins Eigentum, was überdies aus meiner Sicht von Anfang an eine Schwachstelle in der Energiewendepolitik war. ({5}) Betreiber von Kraftwerken haben nämlich in der Regel eine Genehmigung zur Freisetzung von Treibhausgasen, meist aufgrund ihrer Genehmigung nach dem BundesImmissionsschutzgesetz. Ihre Emissionszertifikate haben sie übrigens nicht nur kostenlos erhalten, sondern sie haben sie zum Teil auch käuflich erworben. Nun sollen sie aufgrund einer neu berechneten Grundausstattung partiell stillgelegt werden, die eine nationale Berechnung ist. Hier ist aus meiner Sicht ein Widerspruch zu Ihnen, Herr Minister Gabriel. Sie sagen: Wir wollen diese Zertifikate stilllegen. - Das ist richtig. Damit ist ein Teil des in Europa vorhandenen Potenzials stillgelegt. Nur, dem, was der Kollege Pfeiffer vorhin gesagt hat, haben Sie widersprochen. Er hat gesagt, man könnte rein theoretisch nationales Geld nehmen und Zertifikate aufkaufen; ({6}) denn dem Klima ist es vergleichsweise egal, ob die Zertifikate in Deutschland oder sonst wo stillgelegt werden. Entscheidend ist die CO2-Minderung. Daher sehe ich darin keine hundertprozentige Logik. ({7}) Es sind aus meiner Sicht noch weitere Fragen nicht ganz geklärt. Ich hatte gerade das Thema Eigentum angesprochen. Ist damit nicht eventuell ein enteignungsgleicher Eingriff verbunden? Wird die nach Artikel 12 des Grundgesetzes garantierte Berufsfreiheit eingeschränkt? Im Übrigen gibt es aus meiner Sicht auch noch keinen hinreichenden Nachweis, ob die Vorschläge mit dem EU-Recht kompatibel sind, und zwar sowohl mit dem Wettbewerbsrecht als auch mit dem Emissionshandelsrecht. Auch scheint mir der Vorschlag - das ist der letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte - prima facie zu sehr auf eine einseitige Beeinträchtigung der Braunkohle zu setzen, die übrigens immer noch unser einziger heimischer Energieträger ist, und zwar sowohl was den nicht differenzierenden Freibetrag pro installierter Gigawattkapazität als auch was das Alter der Kraftwerke angeht. In Ihrem Vorschlag heißt es, dass 90 Prozent der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen nicht betroffen seien. Bei den Braunkohlekraftwerken stellt sich das aber etwas anders dar; denn hier ist das Verhältnis ungefähr 28 : 16. 28 dieser Kraftwerke sind schon deutlich älter als 20 Jahre und sind daher sofort betroffen. Auch haben die Vorschläge massive Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft, ihre Struktur und die damit verbundenen Arbeitsplätze; das ist ebenfalls schon angeklungen. Erste Schätzungen gehen von bis zu 20 000 Arbeitsplätzen aus. Ich habe auch schon höhere Zahlen gehört; ganz genau weiß das vermutlich keiner von uns. Unsere Klimaschützer bringen immer wieder zum Ausdruck, dass Kohlekraftwerke, insbesondere Braunkohlekraftwerke, das Klima schädigen und deswegen aus Gründen der Nachhaltigkeit am besten sofort stillgelegt werden müssten. Diesen Klimaschützern kann ich nur sagen: Nachhaltigkeit umfasst drei Dimensionen, nämlich die Ökonomie, die Ökologie und das Soziale, und das müssen wir bei unseren Entscheidungen, denke ich, immer bedenken. Die neuen Länder - das ist, glaube ich, auch klar sind von diesem Vorschlag ganz besonders betroffen. ({8}) Das spiegelt auch die Betroffenheit wider, die in den öffentlichen Diskussionen dort zum Ausdruck kommt. Auch das ist ein Punkt, den wir beachten müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin.

Dr. Herlind Gundelach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Noch einmal: Das Ziel „40 Prozent“ ist aus meiner Sicht in Ordnung. Der Weg dahin muss aber gründlich durchdacht werden. Schnellschüsse und Ideologie sind hier aus meiner Sicht fehl am Platz. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Bärbel Höhn hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Gabriel, ich möchte diese Diskussion zu dem nutzen, zu dem Sie uns verholfen haben. Dadurch, dass Sie länger geredet haben, haben wir die Möglichkeit, spontan zu reagieren. Ich finde, diese Möglichkeit sollten wir auch nutzen; denn wir bleiben bei den Debatten hier im Bundestag immer noch zu oft fest am Blatt. Deshalb möchte ich gern genau die Punkte aufgreifen, die Sie hier angesprochen haben. Sie haben gesagt: Wir müssen uns ehrlich machen, und zwar in einer wichtigen Frage, nämlich der Frage: Wie gehen wir mit einem Strukturwandel um, von dem ganz bestimmte Regionen besonders betroffen sind? Ich lebe seit über 35 Jahren im Ruhrgebiet, und damit habe ich den Strukturwandel in der Steinkohle extrem und sehr intensiv miterlebt. Ich habe circa 20 Jahre in einem Bergarbeiterviertel gewohnt, und ich kenne die Situation. Ich finde, sich ehrlich zu machen, das heißt auch, dass wir uns genau überlegen müssen: Wie ist der Strukturwandel in der Steinkohle gelaufen? War er so, wie er gelaufen ist, wirklich gut? War er gut für die Region? Ich sage: Er war nicht gut. Er war deshalb nicht gut, weil die Große Koalition - das waren die IG BCE und die SPD; das waren der Wirtschaftsrat der Union und die CDU - viel zu lange an der Steinkohle festgehalten hat, falsche Subventionen in die Region gegeben hat. Sie ist damit Verursacher der Krise, die wir heute noch im Ruhrgebiet haben. ({0}) Solche Fehler sollten wir nicht noch einmal machen. Sich ehrlich zu machen, heißt auch, aus Krisen und aus der Bewältigung von Krisen in der Vergangenheit zu lernen und es in Zukunft anders zu machen. Wenn wir die Energiewende erreichen wollen, dann müssen wir sie in Nordrhein-Westfalen erreichen. Wenn wir es da schaffen, dann sind wir durch. Das heißt aber andersherum, dass wir das auch bei der Kohle angehen müssen. Ich finde gut, dass der Minister darauf hingewiesen hat, dass die Reduktion um 22 Millionen Tonnen CO2, die er im Kohlebereich angesprochen hat, nicht der Ausstieg aus der Kohle ist. Es ist ein wichtiger Punkt, zu sagen: Man kann nicht von heute auf morgen aus der Kohle aussteigen. Aber man muss anfangen, aus der Kohle auszusteigen. Man muss ein Konzept machen ({1}) und den Leuten die Wahrheit dazu sagen, wie sich das Ganze entwickelt. ({2}) Dazu gehört, dass wir gerade in Nordrhein-Westfalen sozusagen das Festhängen an der Kohle angehen müssen. Es gibt noch zu viel fossiles Denken in NordrheinWestfalen, und das müssen wir überwinden; denn wir wollen doch, dass in dieser Region, Nordrhein-Westfalen, wo die meiste Energie Europas erzeugt wird, in Zukunft weiterhin die meiste Energie Europas erzeugt wird. Das kann nur im Bereich der erneuerbaren Energien geschehen. Deshalb müssen wir gerade in Nordrhein-Westfalen auf die erneuerbaren Energien setzen. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern eine Alternative zur Steinkohle und zur Braunkohle bieten; ansonsten werden wir diese Krise nicht überwinden und werden in den Krisenregionen genau dieselben Probleme bekommen, wie wir sie im Ruhrgebiet haben. ({3}) Wenn in den Regionen Zehntausende Menschen betroffen sind, ist das natürlich ein großes politisches Problem; ich weiß das selber. Da kann man nicht einfach nur die ökologische Karte ziehen. Da muss man natürlich auch die wirtschaftliche und die soziale Karte ziehen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass wir damals das ganze Geld nicht immer nur in die Steinkohle gesteckt und die Subventionen immer weiter verlängert hätten, sondern in Alternativen, die den Menschen in der Zukunft zugutekommen, investiert und nicht am Alten, was sowieso eines Tages kaputtgeht, festgehalten hätten. Die Finanzkrise von Nordrhein-Westfalen hat auch mit dem langen Festhalten an der Steinkohle zu tun. Man hat immer Gelder für die Steinkohle zur Verfügung gestellt und dafür weniger Geld in die Infrastruktur gesteckt. Genau da haben wir jetzt, im Vergleich zu den anderen Bundesländern, ein noch größeres Problem. Das ist eine Spätfolge der falsch behandelten Krise des Steinkohlebergbaus. Das darf sich nicht wiederholen. ({4}) Nordrhein-Westfalen sollte viel stärker von den Arbeitsplätzen profitieren, die die erneuerbaren Energien bieten. Wir reden hier über 370 000 Arbeitsplätze. In Nordrhein-Westfalen verfügen wir über enormes Knowhow. Wir müssen diese Chance ergreifen. Das heißt: Klimaschutz muss ein wichtiger Bereich sein. Wir werden insgesamt 200 Millionen Tonnen CO2 einsparen müssen. Die Kohle muss einen enormen Beitrag dazu leisten; das weiß der Minister Gabriel auch. Im gesamten Energiesektor sind das von 2013 bis 2020 90 bis 100 Millionen Tonnen, um die reduziert werden muss. Die 22 Millionen Tonnen sind nur ein kleiner Anteil. Das heißt: Wir müssen an die alten Kohlekraftwerke rangehen. Wir müssen, gerade im Bereich der Braunkohle, an die Klimakiller rangehen, um die Klimaziele zu erreichen und um Nordrhein-Westfalen und Brandenburg sowie weiteren Braunkohleregionen in den neuen Bundesländern eine Zukunft zu geben. Es wäre gut, wenn diese Debatte im Bundestag dazu führen würde, diesen Weg ein Stück gemeinsam zu gehen. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte nimmt erstaunlicherweise eine ganz neue Wendung, wenn Sie, Frau Höhn, sagen, man soll nicht immer die ökologische Karte ziehen. Das haben Ihre Vorredner aber in extremer Weise getan. ({0}) Sie haben einfach deutlich gemacht, dass bei den Grünen der ökonomische Sachverstand im Vergleich zum ökologischen Sachverstand eben nicht so groß ist. ({1}) Ich muss einmal deutlich sagen: Sie haben nicht ganz unrecht, wenn Sie sagen, dass die langfristigen Subventionen, die in Nordrhein-Westfalen in die Steinkohle geflossen sind, den Strukturwandel aufgehalten haben; das ist unbestritten. Wenn Sie sich aber einmal den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums anschauen, sehen Sie, dass der größte Posten nicht die Förderung von Innovationen, sondern die Abarbeitung der Steinkohlealtlasten ist. Das geht bis 2018, und das hat Rot-Grün damals in vollem Umfang mit ausgehandelt. ({2}) Sie müssen sich also überhaupt nicht darüber aufregen. Denn auch Sie sind Mitverursacher dieses Problems gewesen. ({3}) Wenn Sie dies nun auf die Braunkohle übertragen wollen, Frau Höhn, dann sind Sie auf dem Holzweg. Die Braunkohle ist subventionsfrei. ({4}) Nicht ein Cent aus dem Bundeshaushalt fließt in die Braunkohle. Die Braunkohle ist der einzige heimische Energieträger, der in vielen Revieren subventionsfrei abgebaut wird. Das ist der Unterschied zur Steinkohle. ({5}) Dass jetzt die Restlasten, die 22 Millionen Tonnen CO2, die noch einzusparen sind, sozusagen auf einen Industriezweig abgeladen werden sollen, empfinden viele Abgeordnete, die aus diesen Regionen kommen, als falsch. Die Diskussion, die Ihre Kollegin Baerbock geführt hat, ist einseitig. Sie hat sich hier unheimlich aufgeplustert und gesagt: Wegen der paar Arbeitsplätze bricht doch die Welt nicht zusammen, und der Strukturwandel läuft doch schon. - Natürlich läuft der. ({6}) Das ist doch unbestritten; denn auch die Kohlereserven und die Bergbauplanungen sind endlich. Was Sie wollen, ist sozusagen eine bruchartige Entwicklung. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben so einen Bruch 1990 erlebt. Es gibt noch 21 000 direkte Arbeitsplätze in der Braunkohle. Das war einmal das Dreifache. Das sollten Sie wissen, wenn Sie über Strukturwandel reden. Sie haben es nicht erlebt; denn Sie sind ja erst ein paar Jahre später dahin gekommen. Meine Damen und Herren, das ist einmal für einen Kraftwerksblock ausgerechnet worden, nämlich am Beispiel des Kraftwerks Jänschwalde - das sind nicht meine Zahlen; das sind die Zahlen der Gewerkschaft -: In Jänschwalde gibt es sechs 500-Megawatt-Blöcke. Bei 20 Euro pro Tonne CO2 würde das eine finanzielle Mehrbelastung von 400 Millionen Euro pro Jahr bedeuten. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ein Kraftwerksbetreiber dieses Geld erwirtschaften kann. Nun sagen Sie: Um die paar Arbeitsplätze ist es nicht so schade. Da finden sich neue. ({7}) Aber Sie müssen natürlich sehen: Im Unterschied zur Steinkohle, die zumeist aus allen Teilen der Welt importiert wird, wird die Braunkohle überwiegend in Deutschland gefördert. Das ist der große Unterschied zur Steinkohle. ({8}) Das heißt also: Wenn ein Kraftwerksblock oder ein Großkraftwerk geschlossen wird, weil dieses Geld am Markt nicht zu verdienen ist, dann schließt nicht bloß das Kraftwerk, sondern natürlich auch die Grube, weil sie gar keine Abnehmer mehr für ihre Kohle hat. ({9}) An dieser Kohle, an dieser Grube und an diesem Kraftwerk hängen natürlich Hunderte von Mittelständlern, Hunderte von Lieferanten aus der Region, die jedes Jahr Produkte und Dienstleistungen im Umfang von mehreren 100 Millionen Euro an das Kraftwerk und die Grube liefern. Insofern: Strukturwandel ist okay. Es darf aber kein Bruch erfolgen. Er muss vielmehr gezielt angegangen werden. ({10}) Ich werde Ihre Rede gerne einmal den Gewerkschaftern in der Region zur Verfügung stellen, damit sie wissen, wie Grüne denken. ({11}) Ihnen ist es scheißegal, was aus der Region wird; Hauptsache, Sie können Ihre große ökologische Karte ziehen. Ich möchte noch einmal sagen: Bei dem Ziel, die 22 Millionen Tonnen CO2 einzusparen - das ist ja offensichtlich -, spielt das Thema Wärme überhaupt keine Rolle mehr, weil man im Bundesrat bei der CO2-Gebäudesanierung einfach nicht weiterkommt. Morgen wird ja wieder ein Tag sein, an dem die Bundesländer bei der Abstimmung, die das Land Bayern beantragt hat, beweisen können, dass sie bei der CO2-Gebäudesanierung mitmachen. Klimaschutz ist nicht alleine eine Aufgabe der Bundesregierung, sondern Klimaschutz ist auch eine Aufgabe des gesamten Landes. Deswegen kann man nur sagen: Die Bundesländer können sich hier nicht überall herausziehen und sagen: Der Bund muss das bezahlen. - Insofern werden wir sehen, wie die morgige Abstimmung ausgeht - da können wir ja auch sehen, wie Herr Kretschmann als grüner Ministerpräsident reagiert -, und dann die Diskussion weiterführen. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Gabriel hat recht, wenn er sagt: Wir müssen ehrlich miteinander reden. - Er hat ja festgestellt, dass dieses Hohe Haus das CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent bekräftigt hat. Darüber diskutieren wir ja schon lange. Auch in der letzten Legislatur wurde dieses Ziel ja schon so formuliert. Natürlich hängt es auch an den Zertifikaten. Die Linke hat schon vor einigen Jahren festgestellt, dass der Zertifikatehandel gescheitert ist. Wenn wir uns jetzt die Preise anschauen, dann kann man natürlich sagen: Er ist gescheitert - außer man würde Backloading betreiben. Backloading heißt, dass die überschüssigen Zertifikate herausgenommen werden, heißt aber auch, dass sie dann nicht mehr in Verkehr gebracht werden - auch nicht 2020 -, sondern dass sie weg sind, dadurch natürlich weniger CO2 ausgestoßen werden kann und die Preise steigen. Die Preise sollen aber nicht deshalb steigen, weil irgendjemand das Geld einhamstern will, wie hier immer wieder behauptet wird, sondern um Neuinvestitionen zu rekrutieren. Das wäre sinnvoll. Auf europäischer Ebene stößt das zum großen Teil nicht auf Gegenliebe. Unter den Gegnern sind auch Länder, die Angst vor höherer Arbeitslosigkeit haben, wie zum Beispiel Griechenland oder Spanien. Das ist natürlich auch Politik dieser EU, die ganz andere Ziele verfolgt. Das hat natürlich auch Auswirkungen in diesen Ländern wie Arbeitslosigkeit oder Schulden. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. ({0}) Zur Erfüllung dieses 40-Prozent-Ziels fehlt noch etwas - Kollege Lämmel hat es angesprochen -: die Gebäudedämmung, die energetische Sanierung. Ich fordere die Kontrahenten auf, sich hier endlich einig zu werden; denn das ist dringend notwendig. ({1}) Wir brauchen eine Rate von 2 Prozent. Dann könnte der Mittelstand, Kollege Lämmel, den Sie hier angesprochen haben, wirklich gefördert werden. ({2}) Das wären zukunftssichere Arbeitsplätze - sie müssten im Osten und Westen nach Tarif bezahlt werden - und wäre somit eine Sache für lange Zeit; denn die energetische Sanierung braucht Jahre, bis wir den Stand erreicht haben, den wir wollen. ({3}) Dann können wir wieder über ein Klimaschutzgesetz reden, das immer wieder angemahnt wird. Ich halte es nach wie vor für sinnvoll. Die jetzige Regierung will es nicht. Die SPD wollte es in der letzten Legislaturperiode, jetzt nicht mehr. Das finde ich schade. Wir sollten uns gemeinsam hinsetzen und das überprüfen. Wir sollten die Ziele noch einmal aufschreiben und Überprüfungsschritte festlegen. Wenn Sie ein solches Klimaaktionsprogramm haben, wäre das kein Problem. Zu den Preisen. Es wird immer über Preise gesprochen. Dabei reden wir auch über die energieintensiven Unternehmen, die natürlich vieles geschenkt bekommen. Es wird hier immer über Arbeitsplätze gesprochen. Sie werfen uns hasserfüllt vor, wir wollten Arbeitsplätze vernichten. Das wollen wir gar nicht. Aber wir sagen natürlich, dass man das Ganze auch staffeln kann, um die Umverteilung, die weiter von unten nach oben geht, ein bisschen auf den Kopf zu stellen. ({4}) Was wollen wir noch? Wir, die Linke, wollen ein Gesetz zum Kohleausstieg. Wir wollen nicht sofort aussteigen, wie immer behauptet wird, sondern wir wollen einen Plan. Wir wollen, dass bis 2040 das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet wird. Wir wollen einen Plan. Wir wollen, dass die Kilowattstunden, so wie bei den AKW, von den alten auf die neuen übertragen werden können und dass Effizienzbenchmarks in Dreijahresschritten überprüft werden. Hier sind wir bei dem Thema Arbeitsplätze. Alle Unternehmen sagen uns: Wir müssen uns auf die Politik verlassen können, damit wir planen können. Eine Strukturpolitik würde die Planung ermöglichen. Ich bin doch die Letzte, die das nicht versteht. Vor meiner Zeit im Bundestag war ich Betriebsrätin, und ich weiß, wie es Kolleginnen und Kollegen geht, die entlassen werden. Hier braucht man Qualifizierungsoffensiven. Man braucht in der Regionalplanung viele Dinge. Hier müssen wir uns auf die Hinterbeine stellen und sagen: So könnte es gehen. Es geht auch; denn wir sind ja innovativ. ({5}) Sie wollen sowieso immer innovativ sein. Dann sollten wir wirklich einmal schauen, wie wir vorankommen; denn alle sagen uns: Wenn die Energiewende bei euch nicht geht, dann geht sie nirgends. Also haben wir die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, etwas zu tun. Zum Schluss etwas zu den Ausbauzielen der KWK. Momentan beträgt die Umlage 0,3 Prozent. Dann wäre sie höher. Ich denke, das wäre im Rahmen der KWK auch möglich. Darüber müssten wir uns einigen. Ich denke, es wäre ein sinnvoller Schritt, KWK für die Zukunft zu sichern. Auch das sind Arbeitsplätze, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Hubertus Heil hat für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende einer solchen Debatte muss man feststellen, Frau Kollegin Bulling-Schröter, dass wir heute über zwei Punkte diskutieren, nämlich über das Thema Klimabeitrag aus dem Kraftwerkspark und über das Thema KraftWärme-Kopplung. Das lässt uns aus den Augen verlieren, dass dieses Thema in eine Reihe von Vorschlägen eingebettet ist, die nur ein Ziel haben: Wir wollen und müssen dafür sorgen, dass die Energiewende nicht entgleist, dass sie wieder auf die Erfolgsspur kommt. Die Ziele, die wir vertreten, sind gleichrangig, nämlich eine saubere, versorgungssichere und bezahlbare Energieversorgung in Deutschland zu gewährleisten. Deshalb sage Hubertus Heil ({0}) ich: Das Maßnahmenpaket, das der Bundeswirtschaftsminister in der letzten Woche vorgelegt hat, reiht sich in das ein, was wir im letzten Jahr begonnen haben. Nachdem jahrelang Reformen, die notwendig gewesen wären, liegen geblieben sind - auch bei der Vorgängerregierung -, müssen wir dafür sorgen, dass das Ganze wieder in Ordnung gebracht wird. Wir haben im letzten Jahr mit der EEG-Reform dafür gesorgt, dass wir erstens verlässliche Ausbaupfade für die erneuerbaren Energien bekommen, dass wir zweitens die Kosten einigermaßen im Griff behalten und dass wir drittens die notwendigen Ausnahmetatbestände für energieintensive Betriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen, erhalten konnten. Das war harte Arbeit. Das war der erste Schritt. Letzte Woche ist vom Ministerium ein Paket mit Eckpunkten vorgelegt worden, die insgesamt vier Themen behandeln, zum einen die Frage: Wie gehen wir jetzt bei der Frage der Ordnung am Strommarkt, des Strommarktdesigns, weiter vor? Das Bundesministerium schlägt vor, dass wir uns auf den Weg der Ertüchtigung des Strommarktes begeben - Stichwort Strommarkt 2.0 -, dass wir mit einer Kapazitätsreserve arbeiten, nicht mit dem Instrument der Kapazitätsmärkte. Unsere Aufgabe wird es in den nächsten Wochen sein, in den Koalitionsfraktionen mit dem Minister gemeinsam zu beraten, wie das ausgestaltet wird, damit wir beim stetigen Ausbau der erneuerbaren Energien niemals die Versorgungssicherheit in diesem Land gefährden, die ein hohes Gut für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist. Auch wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, brauchen wir in diesem Land eine gesicherte Stromleistung. Dies kosteneffizient und sicher zu organisieren, ist die erste wichtige Aufgabe. ({1}) Zweitens geht es in diesem Zusammenhang auch um das Thema Kraft-Wärme-Kopplung. Ich finde es richtig, dass das Ministerium einen Vorschlag unterbreitet hat, der KWK stärkt oder zumindest dafür sorgt, dass diejenigen, die in den letzten Jahren im Bereich der KraftWärme-Kopplung in hocheffiziente Kraftwerke für die allgemeine Versorgung investiert haben, eine Chance bekommen, diese Kraftwerke wirtschaftlich zu betreiben, damit sie am Netz bleiben und damit auch einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Herr Minister, das, was Sie da vorschlagen - übrigens im Interesse vieler Stadtwerke und Kommunen in diesem Land -, ist ein ganz wesentlicher Schritt, den die SPD-Bundestagsfraktion massiv unterstützt. ({2}) Wir werden uns in diesem Zusammenhang auch Fragen stellen müssen. Es ist richtig - der Minister hat darauf hingewiesen -: Wenn man alle Ausbauziele im Bereich der KWK gleichzeitig propagieren würde, würden die Kosten um 2 bis 3 Milliarden Euro steigen. Wir müssen auch da die Kosten, den Strompreis, im Blick behalten. Ich sage aber trotzdem: Wir werden schauen, ob eine Fokussierung im allgemeinen Bestand nur auf Gas tatsächlich der richtige Weg ist. ({3}) Es kann dann sein, dass 1 Milliarde Euro nicht ganz ausreicht und wir vielleicht an einem anderen höheren Deckel arbeiten müssen. Das werden wir miteinander prüfen. Aber der Weg ist in diesem Bereich richtig, und von einem Abbruch im Bereich der KWK kann keine Rede sein. ({4}) Drittens: das Thema Netzausbau. An die Kollegen von der CDU gerichtet: Da gibt es überhaupt keine Diskussion zwischen CDU und SPD; wir sind uns da einig. Es gilt aber auch für den dritten Koalitionspartner, dass wir uns daran erinnern sollten, was dazu unmissverständlich im Koalitionsvertrag steht. Mit Erlaubnis der Präsidentin darf ich den Satz zitieren: Für den Ausbau des Übertragungsnetzes stellt der Bundesbedarfsplan auch in Zukunft das zentrale Instrument dar. Ich sage Ihnen: Die Netzintegration ist notwendig. Sie ist miteinander beschlossen worden. Da gilt, frei nach Franz Josef Strauß, der alte Satz: Pacta sunt servanda Verträge sind einzuhalten. Diese Investitionssicherheit brauchen wir auch in Deutschland. ({5}) Viertens: die Frage des Beitrags des Kraftwerksparks zur Erreichung der Klimaschutzziele, auch des 40-Prozent-Ziels, bis zum Jahre 2020. Die Klimaschutzziele sind in diesem Haus hundertprozentiger Konsens und wurden nie infrage gestellt. Sie wurden am 3. Dezember mit einem Kabinettsbeschluss hinterlegt, bei dem man sich verschiedene Sektoren vorgenommen hat, durchaus auch den Wärmesektor. Für die energetische Gebäudesanierung stehen zukünftig, weil Sigmar Gabriel dafür gekämpft hat, 2 Milliarden Euro zusätzlich zum Marktanreizprogramm zur Verfügung. Wir schauen nicht nur auf den Kraftwerkspark; wir schauen beispielsweise auch auf den Wärmesektor, den Gebäudesektor und den Verkehrssektor. Klimaschutzziele kann man nicht allein im Kraftwerkspark umsetzen, es sei denn, man will Deutschland deindustrialisieren; das ist ganz klar. Aber es ist eben auch richtig, dass das Bundeskabinett unter Leitung der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf der internationalen Konferenz in Paris mit anderen Ländern dieser Welt verhandlungsfähig sein will, beschlossen hat, dass der Kraftwerkspark bis 2020 einen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen im Umfang von 22 Millionen Tonnen leisten soll. Deshalb sagen wir: Wir unterstützen die Bundeskanzlerin und den Bundeswirtschaftsminister, damit Ernst zu machen, und der Koalitionspartner ist genauso eingeladen, die Bundeskanzlerin bei diesem Ziel zu unterstützen. ({6}) Wir können gerne darüber reden, wie wir es umsetzen. Ich sage: Das vorgeschlagene Instrument ist interessant. Hubertus Heil ({7}) Wir müssen es hinsichtlich der Frage, welche Auswirkungen es auf den Strompreis hat, und der Frage, was es für einzelne Regionen im Strukturwandel bedeutet, überprüfen. Das muss man vernünftig miteinander besprechen und dann ausgestalten. Aber nichts tun, Kollege Pfeiffer, sich wegducken bei der ganzen Sache, das zählt nicht. ({8}) Wir werden gemeinsam ein Instrument finden müssen. Das sind Sie Ihrer Kanzlerin, vor allen Dingen aber dem Klimaschutz in Deutschland schuldig, meine Damen und Herren. ({9}) Ich komme zum Schluss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Heil, dieses Gespräch mit dem Koalitionspartner müssen Sie jetzt an anderer Stelle fortsetzen. Sie haben die Zeit überschritten.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das mache ich gerne, Frau Präsidentin. Gestatten Sie mir bitte einen Schlusssatz. - Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion wird Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf dem Weg unterstützen. Wir wollen und wir werden es schaffen, eine sichere, eine saubere und eine bezahlbare Energieversorgung langfristig in Deutschland zu erreichen. Wir sind jetzt auf dem Weg, unterstützen Sie uns dabei. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Europäischen Union vom 15. Februar 2010 und 22. Januar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 1872 ({1}) und 2158 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/4203, 18/4447 - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4456 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. - Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen zügig vorzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion. ({4})

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon vor rund einem Jahr haben wir hier über die European Union Training Mission, EUTM, gesprochen. Damals ging es um die Wiederaufnahme der Beteiligung der Bundeswehr an dieser Ausbildungsmission, heute diskutieren wir über die Fortsetzung des Mandats. Sie wissen, dass die Mission im vergangenen Jahr von Uganda direkt nach Mogadischu verlegt worden ist. Das war richtig und sinnvoll; denn somalische Probleme können nur im Land, also in Somalia, gelöst werden. Es hat sich auch gezeigt, dass diese Verlagerung durchaus zu einer qualitativen Verbesserung der Mission hat führen können. Durch die Ausbildung direkt vor Ort in dem betroffenen Land können die somalischen Streitkräfte ihr Personal flexibler und auch kurzfristiger in die Ausbildungslehrgänge schicken, und die Verlagerung nach Mogadischu trägt bei den somalischen Partnern zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit dieses Engagements der EU bei. Darüber hinaus trägt sie auch dazu bei, die Arbeitsbeziehungen mit den somalischen Sicherheitsbehörden zu verbessern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sicherheitslage in Mogadischu und in Teilen Süd- und Zentralsomalias ist seit 2011 auch durch die AU-Mission AMISOM verbessert, jedoch unbestritten weiterhin fragil. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Anschläge der alSchabab auf Regierungseinrichtungen mit leider mehreren Toten. Aber auch diese Meldung erreichte uns in dieser Woche: Somalische Soldaten konnten mit Unterstützung der AU die Insel Kudhaa von der Al-Schabab-Miliz zurückerobern. Sie ist jetzt wieder unter der Kontrolle der somalischen Regierungstruppen. Dennoch: Somalia bedroht als ein sogenannter Failed State die Stabilität des gesamten Raums um das Horn von Afrika. Das ist nach wie vor ein zentrales Problem in dieser Region. Wir wissen, Somalia gehört zu den ärmsten Ländern der Erde. Die Menschen sind seit Jahren Hunger und Bürgerkriegen ausgesetzt und leben in äußerst prekären wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Das Land ist immer noch geprägt durch kaum vorhandene staatliche Strukturen, gerade im Bereich der Sicherheit und der Justiz, und bietet darüber hinaus einen Rückzugsraum für Terrorismus und Piraterie. Die somalische Regierung, die 2012 eingesetzt wurde, bemüht sich um eine Verbesserung der Situation, kann aber nach wie vor keine belastbare und erfolgreiche Staatsgewalt ausüben. Das heißt, Somalia wird weiterhin die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft benötigen. Die Ausbildungsmission EUTM soll die somalische Regierung schrittweise dazu befähigen, eigenverantwortlich für Sicherheit und Stabilisierung des Landes zu sorgen. Bislang wurden insgesamt 4 800 Soldaten ausgebildet. 136 Soldaten aus 11 EU-Staaten sind vor Ort. Deutschland stellt zurzeit 8 Soldaten. Die somalische Regierung benötigt weiterhin Hilfen im Bereich der Spezialistenausbildung, in der Ausbildung von Führungskräften und beim Mentoring somalischer Ausbilder sowie grundsätzliche Beratung zum Aufbau der eigenen Streitkräfte. Diese Hilfe sollten und können wir dem Land im Rahmen dieses Mandates zukommen lassen. Denn nur wenn die Bevölkerung durch die eigenen Streitkräfte geschützt werden kann, können sich die dringend notwendigen rechtsstaatlichen und auch wirtschaftlichen Strukturen auf Dauer etablieren. ({0}) Die EU-Mission EUTM ist jedoch nur ein Teil eines umfassenden EU-Ansatzes in dieser Region; denn das europäische Engagement ist durchaus vielschichtig. Die EU ist auch größter Mittelgeber der AU-Mission AMISOM. Deutschland ist bislang mit einem Fünftel an der Gesamtsumme beteiligt. Die EU unterstützt neben EUTM die zivile Mission EUCAP NESTOR sowie die Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie. An allen drei Missionen ist unser Land beteiligt. Die Unterstützung ist aber auch vom Ansatz her noch weitgehender. So ist die EU mittlerweile wichtigster Mittelgeber im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Von 2008 bis 2013 hat die Europäische Union insgesamt 521 Millionen Euro unter anderem für gute Regierungsführung, wirtschaftliche Entwicklung und auch Bildung bereitgestellt. Im Jahr 2016 sollen Wahlen in Somalia stattfinden. Die Demokratisierung ist in einigen somalischen Regionen bereits vorangeschritten, wenn auch natürlich längst nicht in zufriedenstellendem Maße. Bis 2016 - das kann nur zu hoffen bleiben - werden weitere Erfolge sichtbar werden müssen, Erfolge, die vor allen Dingen die Bevölkerung wahrnehmen und auch als Verbesserung ihrer eigenen Situation erkennen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesen Gründen bitten wir um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Alexander Neu für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Erlauben Sie mir zwei Anmerkungen, einmal zu Somalia und dann generell zum westlichen Antiterrorkampf und Staatsaufbaukonzept. Erste Anmerkung. Das herrschende Regime in Mogadischu, soweit es überhaupt herrscht, ist autoritär und islamistisch geprägt. Die Scharia ist die erste Norm in der Verfassung. Sie steht also über den normalen staatlichen Gesetzen. Das ist weit entfernt von dem, was gerade gesagt wurde: Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit. ({0}) Faktisch ist das Ziel der EUTM, ein islamistisches Regime gegen ein anderes, nämlich al-Schabab, in Stellung zu bringen und zu halten, gemäß dem Motto von Kissinger: Hauptsache es sind unsere Schweinehunde. Dieser unausgesprochene Ansatz ist nicht zielführend und kann nicht zielführend sein. ({1}) Zweite Anmerkung. Das sicherheitspolitische Konzept des Westens bezüglich Antiterrorkampf und Staatsaufbau ist und bleibt zum Scheitern verurteilt, da lediglich Symptome bekämpft werden, häufig sogar neue Ursachen für Terrorismus durch die Symptombekämpfung geschaffen werden. Ein Beispiel ist Somalia. Somalia ist ein Land, das mit am meisten unter dem US-Drohnenkrieg - ich sage auch: US-Drohnenterror - zu leiden hat. Nicht nur potenzielle Terroristen werden ohne juristische Grundlagen getötet, nein, die meisten Getöteten sind Zivilisten, das heißt Frauen, Kinder und Männer, die nichts mit Terrorismus zu tun haben. Die Menschenrechtsorganisation Reprieve hat kürzlich berechnet, dass weltweit auf einen getöteten Terroristen im Rahmen des US-Drohnenkrieges 28 getötete Zivilisten kommen, 1 : 28. Die Vereinigung der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, IPPNW, veröffentlichte vor wenigen Tagen eine Studie mit dem Titel „Body Count“, frei übersetzt: Zahl der Getöteten. Demnach habe der US-geführte Antiterrorkrieg bereits über 1 Million Tote - das heißt, Kriegstote und Kriegsfolgetote - zu verantworten. Über 1 Million! Das, meine Damen und Herren, ist der Humus, auf dem weltweit neuer Terrorismus wächst. So kann man ihn aber nicht bekämpfen. Da können Sie so viele Staatsaufbauprojekte suggerieren, wie Sie wollen. Das wird nicht funktionieren. ({2}) Was sagt die Bundesregierung dazu? Nun, sie könnte ja sagen, sie hätte keinen Einfluss auf den US-Antiterrorkrieg. Das ist falsch, zumindest mit Blick auf den Drohnenkrieg. Die US-Drohneneinsätze in asiatischen und afrikanischen Ländern laufen über US-Stützpunkte in Deutschland. Oder - um es anders, klarer auszudrücken -: Die USA könnten ihren Drohnenterror in afrikanischen und asiatischen Ländern nicht praktizieren, wenn die Bundesregierung endlich dafür Sorge tragen würde, dass die USA das deutsche Staatsgebiet nicht für ihre Kriegsführung missbrauchen. ({3}) Wie reagiert die Bundesregierung auf den öffentlichen Druck, der derzeit wächst? Wie reagiert die Bundesregierung im Spagat zwischen Vasallentreue einerseits und Rechtsstaatlichkeitsgedanken andererseits? ({4}) Sie reagiert ähnlich wie im NSA-Skandal, den Edward Snowden aufgedeckt hat: Erst will sie davon nichts wissen. Dann entscheidet sie sich angesichts des wachsenden öffentlichen Drucks dazu, die USA doch einmal sanft zu fragen, ob an den Vorwürfen etwas dran sein könnte. Die USA antworten natürlich ebenso sanft, wie man es sich in Berlin erhofft: Nein, da ist nichts dran; das stimmt nicht. - In Berlin ist man mit dieser Aussage glücklich und zufrieden. Darauf, dass die USA es nicht immer ganz genau mit der Wahrheit nehmen, wenn es um Kriegspolitik geht, kommt die Bundesregierung nicht. ({5}) - Mir ist das Thema bekannt, und ich habe den Rahmen weit ausgedehnt. ({6}) Dementsprechend werden die Zusagen der USA, dass deutsches Territorium für den Drohnenkrieg nicht missbraucht wird, nicht weiter geprüft. Fazit: Die deutsche Staatsräson ist: sich lieber mit US-Kriegsverbrechen gemein machen - unter der Decke natürlich -, als die internationale Rechtsordnung und Menschenrechte zu respektieren, wenn es um deutschamerikanische Beziehungen und deutsch-amerikanische Interessen geht. Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist das Gegenteil einer verantwortungsvollen Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist feige und heuchlerisch. ({7}) Daher lehnt die Linke den Antrag auf Verlängerung von EUTM Somalia ebenso ab wie den Entschließungsantrag der Grünen, weil er ein falsches Konzept nur optimieren möchte. Ich danke Ihnen. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Roderich Kiesewetter hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon traurig, Herr Kollege Dr. Neu, dass Sie den Bundestag als ein Forum für Desinformation und Propaganda nutzen, ({0}) statt als stärkste Oppositionspartei bessere Vorschläge zu machen. Das haben Sie nicht getan. ({1}) Terrorismus, organisierte Kriminalität, Flüchtlingsströme - Somalia ist ein erschütterndes Beispiel für die Auswirkungen, die fragile Staaten bis nach Asien und Europa haben. Es ist in unserem Kerninteresse, den Ursachen von Flüchtlingsströmen nicht nur nachzugehen, sondern sie auch intensiv zu bekämpfen und in Afrika mit einem übergreifenden Ansatz Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Das genau machen wir im Rahmen dieser Ausbildungsmission. Ich will im Folgenden darstellen, welche unsere Kerninteressen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kiesewetter, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Dağdelen? ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, aber ich freue mich auf die Kurzintervention hinterher. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Europäer sind dort nicht deshalb engagiert, weil wir direkt militärisch eingreifen wollen, sondern weil wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten wollen. In unserem Kerninteresse ist es, dass die Ursachen von Flüchtlingsströmen bekämpft werden. Vor allen Dingen aber müssen die Ursachen des raumgreifenden Terrorismus bekämpft werden, der nicht nur von Somalia ausgeht, sondern über Boko Haram auch Kenia und andere Staaten wie Nigeria und Libyen erfasst. Außerdem gefährdet er, wie wir gerade im Jemen erleben, auch die Sicherheit Afrikas, der arabischen Welt und Europas. ({1}) Seit dem Jahr 2006 ist die internationale Gemeinschaft in Somalia engagiert, zunächst mit der Mission AMISOM der Afrikanischen Union. Kurz nach Inkrafttreten dieser Mission war klar, dass hier übergreifend geholfen werden muss - da gab es dann die UNO-Mission UNOSOM, die immer noch wirksam ist -, und dann haben wir Europäer uns aufgerufen gefühlt, zu unterstützen. Wir machen dies zur Unterstützung des Welternährungsprogramms und zur Bekämpfung der Piraterie mit der Operation Atalanta. Wir unterstützen die Küsten9224 sicherheit mit der EU-Mission EUCAP NESTOR, und wir sind seit einigen Jahren - insbesondere in Somalia, seit zwei Jahren - aktiv mit der Ausbildungsmission. An dieser Ausbildungsmission sind zwar insgesamt nur 130 europäische Soldaten, darunter 8 deutsche Soldaten, beteiligt; aber durch diesen Ausbildungsprozess ist bis jetzt schon ein Viertel der somalischen Streitkräfte gegangen. Das ist ein Erfolg. Ich möchte an dieser Stelle allen europäischen Soldaten, die mitgewirkt haben an diesem übergreifenden Ansatz, danken. ({2}) Hier zeigen auch wir Deutschen europäische Solidarität; denn die Flüchtlingsströme aus Somalia gehen über Libyen nach Italien, nach Malta, nach Spanien. Hier zeigen wir auch, dass wir mit einer konzertierten Ausbildung unterstützen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Übergreifende ist allerdings auch das Schwierige. In Somalia haben wir erreicht, dass al-Schabab keine räumliche Verantwortung bzw. räumliche Herrschaft mehr übernommen hat und übernehmen kann. Wir haben erreicht, dass das somalische Budget sich in den letzten zwei Jahren durch Steuereinnahmen um ein Fünftel erhöht hat. Wir haben erreicht, dass der Teil der somalischen Streitkräfte, den wir unterstützen, so etwas wie eine Stütze der dortigen Regierung geworden ist. Allerdings stehen wir vor zwei Herausforderungen - das müssen wir auch ganz offen ansprechen -: Die Ausbildungsmission kann nur ein Teil sein in dem vernetzten strategischen Ansatz, den ich angesprochen habe. Ganz wesentlich ist eine legitime Regierung. Erstmals seit 2012 haben wir wieder eine Regierung; bis 2012 stand das Land vor dem Zerfall. In den letzten drei Jahren hat die Regierung zumindest die Kontrolle über einen Teil des Landes wiedergewonnen. Im nächsten Jahr finden erstmals wieder Parlamentswahlen statt. Es ist, glaube ich, unsere Verantwortung, dieser Regierung zu zeigen, dass die internationale Zusammenarbeit Forderungen stellt an Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung, was dort einen erheblichen Aufwand bedeutet. Auf der anderen Seite - ich spreche hier die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen an - wäre es ein fatales Signal, jetzt, knapp eineinhalb Jahre vor den Parlamentswahlen, aus dieser Mission auszusteigen. Im Gegenteil: Heute früh hat eine Vertreterin Ihrer Fraktion sehr deutlich angesprochen, warum wir die EU-Assoziierungsabkommen brauchen. Auch wenn in den Staaten Moldawien, Ukraine und Georgien nicht alles so ist, wie wir uns das wünschen, müssen wir uns dort engagieren. Genauso müssen wir uns weiterhin in Somalia engagieren, dürfen uns nicht von dort zurückziehen, auch wenn die Mission noch zu verbessern ist. ({3}) Rauszugehen ist keine Alternative. Entscheidend ist, dass wir uns dort weiterhin einbringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werbe intensiv für die Zustimmung zu diesem Mandat. Die Ausbildungsmission ist eingebunden in eine überregionale Initiative, nicht nur, was die deutsche Afrikastrategie angeht. Die Europäische Union ist auf dem Weg und muss auf dem Weg bleiben, globaler Akteur für zivil unterstützte Sicherheit zu sein. Es ist unsere Aufgabe, ein glaubwürdiger Pfeiler im Konzert der internationalen Organisationen zu sein. Dank der Europäischen Union ist die Afrikanische Union in der Lage, Missionen durchzuführen. „Hilfe zur Selbsthilfe, afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“ muss unsere Devise sein. Die Ausbildungsmission leistet dazu einen erheblichen, wertvollen Beitrag. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Dağdelen das Wort.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Herr Kollege Kiesewetter, nachdem Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie so zu fragen. Sie haben meinem Kollegen Alexander Neu hier vorgeworfen, dass er das Plenum des Deutschen Bundestages als ein Forum für Desinformation und Propaganda nutzen würde. ({0}) Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass am 20. März ({1}) das liegt also noch nicht lange zurück - in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel von John Goetz und Frederik Obermaier mit dem Titel „Amerikanischer Drohnenkrieg - Was die Regierung unter Aufklärung versteht“ erschienen ist. Ich will Ihnen nur kurz den Teaser vortragen: Haben die USA Drohnenflüge von Stützpunkten in Deutschland aus organisiert? Washington dementiert. Berlin ist damit zufrieden - obwohl sich die Bundesregierung womöglich eines Verbrechens schuldig macht. Darauf ist mein Kollege Neu hier eingegangen. Die Bundesregierung ist in Somalia in einen Krieg verwickelt - zum einen in den Atalanta-Krieg, zum anderen durch die Militärausbildung von Sicherheitskräften, die den Bürgerkrieg weiter anheizen sollen, und drittens quasi auch in diesen Drohnenkrieg der USA in Somalia zum Teil gegen unbeteiligte Zivilisten; denn hier sind Stützpunkte in Ramstein und von AFRICOM. Auf diese Vorwürfe reagiert diese Bundesregierung entweder, indem sie sagt, dass sie nichts weiß, oder, indem sie einen Fragebogen an die USA schickt, die dann sagen: „Von Ramstein oder AFRICOM geht nichts aus“, obwohl Piloten der Drohnen zum Teil auf diesen Stützpunkten waren und das ausgesagt haben - sowohl gegenüber der Süddeutschen als auch gegenüber der Fernsehsendung Panorama. Deshalb ist unsere Frage: Warum ist diese Bundesregierung nicht bereit, ihre demokratische Souveränität in Ramstein und in Stuttgart bei AFRICOM durchzusetzen und mindestens zu untersuchen, ob diese Vorwürfe wahr sind oder nicht? Das ist unsere einzige Frage an diese Bundesregierung. Daran werden wir diese Bundesregierung auch messen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind gerade wieder Zeuge von Desinformation geworden. Erstens. Es gibt keinen Atalanta-Krieg, sondern es gibt eine Unterstützung des Welternährungsprogramms. ({0}) Zweitens. Sie sprachen von einer „womöglichen“ Unterstützung. An Spekulationen beteilige ich mich nicht. Drittens. Es ist Aufgabe des NSA-Untersuchungsausschusses, den geheimen Drohnenkrieg zu untersuchen. Von Ihnen sind der Kollege Hahn und die Kollegin Renner mit dabei. Informieren Sie sich bei den beiden! Viertens. Ich habe dem Kollegen Dr. Alexander Neu bei den Königsbronner Gesprächen ein Forum angeboten. Ihre Partei hat seine Dienstreise dorthin verhindert. Der Kollege Liebich dagegen nimmt teil; er ist mutig. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Linke sollte sich den Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit stellen und nicht hier Propaganda und Desinformation verbreiten. Ende meiner Antwort auf die Kurzintervention. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Neu, ich gebe Ihnen gleich einen Hinweis dazu, wie sich Ihr Begehr nachher umsetzen lässt. Sie können jetzt nicht in eine Debatte um die Kurzintervention bzw. die Erwiderung darauf einsteigen. Das Wort hat der Kollege Dr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Somalia gehört zu den krisengeschüttelten Ländern Afrikas, die Unterstützung brauchen. Hier ergeben Staatsversagen, regionale Konflikte, die fortschreitende Dürre, die Überfischung der Küstengewässer und der islamistische Terror in weiten Teilen des Landes eine schreckliche Mischung der Destabilisierung, unter der die Bevölkerung massiv leidet. Kollegin Dağdelen, deswegen ist es richtig, dass die EU und die internationale Gemeinschaft sich dort engagieren. Sie können das doch nicht mit dem Hinweis auf Drohnenkriegsführung der USA wegwischen. Die kritisiere auch ich in verschiedener Hinsicht, aber sie als Vorwand zu nehmen, um zu sagen: „Man soll sich da quasi ganz raushalten“, ist nun wirklich falsch und schlecht. ({0}) Deswegen ist es auch grundsätzlich richtig, dass die Europäische Union dort nicht nur humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe leistet, sondern sich auch um den Aufbau von Sicherheitsstrukturen kümmern will. Allerdings, Kollege Kiesewetter, das in einem Atemzug mit EU-Assoziierungsabkommen in Europa zu nennen - das ist nun wirklich die falsche Kategorie, die Sie da verwendet haben. Da haben wir es nun wirklich mit ganz anderen Problemen zu tun. ({1}) Sie wissen: Wir Grüne stehen im Zusammenhang mit dem Aufbau von Sicherheitsstrukturen - gerade in afrikanischen Krisenländern - auch dem Einsatz der Bundeswehr aufgeschlossen gegenüber. Meine Fraktion unterstützt den europäischen Ausbildungseinsatz in Mali und hat auch die Bundeswehrmandate für die Zentralafrikanische Republik, für den Südsudan und für Darfur unterstützt. Bei allen Schwachpunkten und Problemen, die man auch dort feststellen kann und muss: Wir sind vom Konzept dieser Einsätze überzeugt. Das ist im Fall Somalia anders.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schmidt, ich habe erst einmal die Uhr angehalten und frage Sie, ob Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Dağdelen zulassen.

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Schmidt, vielen Dank. - Sie haben mich ja direkt angesprochen und gemeint, dass es sozusagen schlecht ist, zu sagen: Wir sollten uns da raushalten und bei dem Einsatz EUTM Somalia gegen die al-Schabab wegen des Bürgerkriegs nicht mitmachen. Man kämpft dort an der Seite der USA und auch an der Seite einiger Golf-Diktatoren. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie etwas fragen, was mit dem Nachbarland Jemen und auch mit diesem Einsatz gegen Terroristen und al-Qaida - die al-Schabab ist ja im Verbund der al-Qaida - zu tun hat: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass sich die USA ganz hastig aus dem Jemen, diesem Nachbarland, zurückgezogen und Rüstungsgüter im Wert von 500 Millionen US-Dollar zurückgelassen haben, die laut Washington Post jetzt in den Händen der al-Qaida sind? Glauben Sie, dass das ein Beitrag dazu ist, sowohl die al-Qaida in Somalia als auch die al-Qaida im Jemen zurückzudrängen?

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Dağdelen, Sie bringen hier Sachen zusammen, die ich jetzt so erst einmal nicht zusammenbringen möchte. ({0}) Ich habe Ihnen vorgeworfen, dass Sie die Kritik an der amerikanischen Drohnenkriegsführung als Vorwand dafür nutzen, zu sagen: Das Engagement der internationalen Gemeinschaft, der Europäischen Union und der Vereinten Nationen, in Somalia ist falsch und schlecht. Man kann über einzelne Punkte dieses Engagements reden, und Sie werden feststellen, dass ich empfehlen werde, diesem Einsatz heute nicht zuzustimmen, weil ich eben Kritik daran habe. Aber es ist ein grundsätzlicher Unterschied, konkret zu kritisieren, was die internationale Gemeinschaft in solchen Zusammenhängen tut, oder aufzuzeigen, wenn man glaubt, dass sie etwas falsch macht, oder daherzukommen und zu sagen, man soll sich dort eigentlich komplett raushalten. Das ist ein politikunfähiger Ansatz, den Sie hier immer wieder vortragen, und er wird auch nicht besser, wenn Sie sagen: Lassen Sie uns einmal von Somalia schnell auf den Jemen kommen; im Jemen ist es auch ganz schrecklich. ({1}) Das ist nicht der Weg, wie wir hier über Somalia diskutieren wollen. Das finde ich, ehrlich gesagt, unernsthaft. ({2}) Ich möchte darauf zurückkommen, dass wir glauben, dass man den Fall Somalia und das, was dort gemacht wird, konkret beurteilen muss. Wir haben das Konzept des europäischen Ausbildungseinsatzes für somalische Kämpfer von Anfang an kritisiert. Bis vor 15 Monaten fand das in Uganda statt. Deshalb war das hier im Bundestag nicht mandatspflichtig, und deshalb haben wir hier nicht so darüber diskutiert. In Uganda wurden im Grunde Milizen aus bestimmten Clans ausgebildet, die dann in Zentralsomalia zu einer Armee gegen al-Schabab verbunden werden sollten. Dieses Konzept birgt die große Gefahr späterer bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den ausgebildeten Claneinheiten. Es besteht das Risiko, dass diese Milizen außer Kontrolle geraten und auf eigene Rechnung Gebiete beherrschen, dass es zu hohen Desertationsraten kommt und dass gelieferte Waffen in andere Hände wandern. Deswegen haben wir den Ausbildungseinsatz in Uganda schon seit Jahren als falsch kritisiert. Die Verlegung nach Mogadischu vor einem Jahr hat daran nichts geändert. Das falsche Konzept wird fortgeführt, und das ist schlecht. ({3}) Evaluierungen im Kontext von AMISON benennen genau dieses Problem und die Gefahr der Bildung von homogenen Claneinheiten. Das Fehlen von Kasernen führt dazu, dass sich die Milizen eigene Unterkünfte in der Region suchen. Von etwa 4 800 Ausgebildeten sollen nur 1 600 in geschlossenen Verbänden stationiert sein. Die anderen wohnen mehrheitlich zu Hause, wie es die Bundesregierung in der Antwort auf eine Frage meiner Kollegin Brugger etwas blauäugig formuliert hat. ({4}) Mehrheitlich zu Hause wohnen: Was kann das in Somalia bei rund 3 000 Milizionären alles heißen? Auch das sicherheitspolitische Umfeld in Zentralsomalia wirft einige Fragen auf. So bilden die USA separat Kämpfer aus. Das heißt, sie haben die Ausbildung an ein Privatunternehmen vergeben, an Bancroft Global. Die handeln mit Immobilien und führen Entwicklungsprojekte durch, sind aber eben auch in der Militärausbildung tätig. Bekannte Söldner wie der Franzose Richard Rouget, der laut New York Times schon in einen Putsch auf den Komoren und in den Bürgerkrieg der Elfenbeinküste 2003 verwickelt war, sind in dieser Ausbildung tätig. Mit solch dubiosen Sicherheitspartnern sollte man eigentlich nichts zu tun haben. ({5}) Es soll da um die Ausbildung von Spezialeinheiten für die somalische Armee gehen, die sogenannten Danab-Einheiten. Da fragt man sich schon: Gibt es da etwas, was wir wissen sollten? Gibt es da eine Zusammenarbeit mit EUTM, und wenn ja, wie sieht sie aus? Ist das Bestandteil eines von Deutschland mitgetragenen Gesamtkonzeptes? Für meine Fraktion muss ich hier sagen: Wir sehen nicht, dass sich gegenüber der kritikwürdigen Ausbildungskonzeption in Uganda im letzten Jahr irgendetwas substanziell verbessert hat. Wir haben dieses Konzept und das Mandat dafür vor einem Jahr abgelehnt, und wir werden es auch diesmal ablehnen. Meine Damen und Herren von der Koalition, wir finden es nicht richtig, dass Sie die Bundeswehr in diesen Einsatz in diesem Umfeld schicken wollen. Danke für die Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2008 stellte der Tagesspiegel allen Fraktionen die Frage: Warum soll sich Deutschland überhaupt in Afrika engaElisabeth Motschmann gieren? - Diese Frage bleibt aktuell. Die Antworten darauf waren überzeugend; Ausnahme: die Linke. Ihre Antworten damals waren genauso verantwortungslos, abwegig und falsch wie das, was Sie heute hier gesagt haben, Herr Neu. Wir müssen diese Frage beantworten, wenn wir Soldaten nach Somalia schicken. Licht und Schatten charakterisieren unseren Nachbarkontinent Afrika insgesamt. Krasse Gegensätze kennzeichnen das Leben und die Politik in Afrika in seinen unterschiedlichen Staaten und natürlich auch in Somalia. Demokratie und Autokratie, demokratisch gewählte Präsidenten und kaum legitimierte Despoten, Aufbau staatlicher Strukturen und Prozesse des Staatsverfalls, hohe Wachstumsraten und Inflation sowie Korruption, reiche Bodenschätze und bittere Armut, einzelne friedliche Zonen und Krieg, Terror und Vertreibung: Das alles trifft zum großen Teil auch auf Somalia zu. Licht und Schatten: Der Entschuldungsprozess schreitet voran, internationale Finanzhilfen haben sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt, die Staatseinnahmen sind um 21 Prozent gestiegen. Das ist positiv. Und trotzdem: Armut, Terror, Gewalt und Hunger. Eines der zentralen Probleme sind die sehr fragilen staatlichen Strukturen. Seit über 20 Jahren werden sie vom Bürgerkrieg zwischen Regierung und Al-SchababMiliz immer wieder zerstört. Die Hauptstadt Mogadischu ist Ende 2011 von den Regierungstruppen und der Afrikanischen Union befreit worden. Das ist positiv. 4 600 somalische Soldaten wurden ausgebildet, sie sind zuverlässig. Das ist positiv. Die Milizionäre sind nicht mehr in der Lage - Herr Kiesewetter hat darauf hingewiesen -, größere Räume zu kontrollieren. Auch das ist positiv. Und trotzdem: Zuletzt hatten die Terroristen von alSchabab am 20. Februar dieses Jahres ein Hotel in Mogadischu angegriffen. 20 Menschen mussten ihr Leben lassen, unter ihnen der Vizebürgermeister und ein Abgeordneter. Es kann also von einer dauerhaften Verdrängung von al-Schabab oder von Frieden noch lange keine Rede sein. Es kann auch keine Rede von der konsequenten Umsetzung von Völkerrecht und Menschenrechten sein. Genau deshalb engagieren wir uns in Afrika. Genau deshalb ist die europäische Mission EUTM Somalia weiterhin notwendig und wichtig, nicht weil wir irgendwelche kolonialen Expansionsabsichten hätten, wie es uns die Linken immer wieder unterstellen, sondern weil die Menschen in Somalia einen berechtigten Anspruch auf Völkerrecht, Menschenrechte, auf Perspektiven für ihr Leben und auf zunächst bescheidenen Wohlstand haben. Deshalb engagieren wir uns. Das Ziel bleiben die Ausbildung der somalischen Sicherheitskräfte, die dazu befähigt werden sollen, selbst für Stabilität im Lande zu sorgen, die wirksame Bekämpfung von kriminellen und terroristischen Strukturen mit den Mitteln der Sicherheits- und Ordnungspolitik. Es war daher zum Beispiel eine richtige Entscheidung, die Ausbildung von Uganda in das Trainingscamp Jazeera in Mogadischu zu verlegen, auch wenn die Rahmenbedingungen für die Ausbildung schwierig sind. Hier darf man sicher nicht unsere Maßstäbe anlegen, Kollege Schmidt. Es war richtig, diese Verlagerung vorzunehmen und die Wahrnehmung von Sicherheitsverantwortung auf das Land zu übertragen. Nächstes Jahr, 2016, sind Wahlen in Somalia. Bis dahin muss noch viel passieren. Die Menschen müssen eine eigenverantwortliche Lebensperspektive bekommen, um überhaupt den Mut zu haben, die neuen Strukturen, die zu schaffen sind, zu schützen und zu stärken. Neben dem politischen und strukturellen Ausbau des Landes ist aber auch ein geistiger Aufbau der Zivilgesellschaft notwendig, was bei 62 Prozent Analphabetenquote sehr schwer ist. Ein Einklang von militärischer und ziviler Entwicklungszusammenarbeit ist daher wichtig, und es passt gut, dass das BMZ erhebliche Mittel nach Somalia gibt. Somalia wird mit diesen Geldern in seinen Bemühungen unterstützt, notwendige Entwicklungen im Land voranzubringen. Dieses Zusammenspiel humanitärer und militärischer Hilfe muss weitergehen. Ohne Sicherheit ist humanitäre Hilfe nicht möglich. Auch das möchte ich den Linken immer wieder ins Stammbuch schreiben: Humanitäre Hilfe, die Sie wollen, geht nicht ohne ein Minimum an Sicherheit. ({0}) Ohne Sicherheit sind freie demokratische Wahlen nicht denkbar. Ohne die Bekämpfung der Al-SchababMiliz ist die Zukunft des Landes und seiner Menschen in Gefahr. Ohne Bekämpfung der organisierten Kriminalität haben rechtsstaatliche Strukturen keine Chance. Fest steht - ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin -: Somalia wird noch viele Jahre auf Hilfe von außen angewiesen sein. Vorausgesetzt, die politische Lage lässt es zu, wird Deutschland mit seinen Bündnispartnern dazu einen Beitrag leisten. Die Eindämmung des Terrors ist eine politische Aufgabe, zu der auch Deutschland beitragen kann und muss. Aus diesen Gründen bitte ich Sie herzlich um Ihre Zustimmung für den Einsatz. Am Ende auch von meiner Seite herzlichen Dank an alle Soldatinnen und Soldaten, die in Somalia oder in anderen Ländern einen schweren, oft auch gefährlichen Einsatz leisten! Aber es ist zum Wohle der Menschen, und deshalb müssen wir Ja zu diesem Einsatz sagen und ihn positiv begleiten. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schön, dass Sie so zahlreich dieser Debatte folgen. Ich bitte Sie um den notwendigen Respekt und die Aufmerksamkeit auch für die beiden noch folgenden Redner in dieser Debatte. Dazu gehört aus meiner Sicht, dass Sie die ausreichend vorhandenen Sitzgelegenheiten auch tatsächlich nutzen. Es wäre sehr schön, wenn ich auch in meiner eigenen Vizepräsidentin Petra Pau Fraktion erhört würde und deren Abgeordnete Platz nähmen. Aber das gilt auch für die Unionsfraktion. Liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten Sie Ihre Fraktionskollegen in den hinteren Reihen darauf aufmerksam machen, dass wir noch immer in der Debatte sind und sich diese vorwiegend hier vorne abspielt? Der Kollege Thomas Hitschler hat für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Thomas Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004303, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich bedanke mich erst einmal ganz herzlich dafür, dass Sie die Aufmerksamkeit im Saal gesteigert haben. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor nicht ganz einem Jahr stand ich schon einmal an dieser Stelle und habe um Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandats der Bundeswehr gebeten. ({0}) Ich werde dies auch heute tun; denn ich bin davon überzeugt, dass der deutsche Einsatz in Somalia dazu beiträgt, dass sich Strukturen entwickeln und verfestigen, in denen die Somalis selbst für ihre Sicherheit sorgen können. Frei nach Rousseau ist der Stärkste nie stark genug, wenn er seine Stärke nicht in Recht verwandeln kann. Gemeinsam mit Angehörigen der Streitkräfte aus zehn weiteren Staaten bilden die Soldaten der Bundeswehr in vier Lehrgängen somalische Bürgerinnen und Bürger aus. Die Teilnehmer dieser Lehrgänge sind motiviert. Sie möchten den Menschen in ihrem Land, in ihrer Heimat Sicherheit geben. Um zu verstehen, wie wichtig allein dieses Ziel ist, müssen wir uns vor Augen führen, wie lange die Somalis keinen Frieden und auch keine Sicherheit kennen. Der Bürgerkrieg fing 1991 an. Das ist jetzt 24 Jahre her. Kolleginnen und Kollegen, wie groß schätzen Sie den Anteil der Menschen in Somalia, die jünger als 24 Jahre sind, für die der Gedanke, dass Frieden und Sicherheit eigentlich selbstverständlich sein sollten, fremd ist? 20 Prozent? 30 Prozent? Es sind fast 63 Prozent. Diese Menschen, die im Bürgerkrieg aufgewachsen sind, wollen jetzt dafür eintreten, dass die nächste Generation in ihrem Land Frieden und Sicherheit als etwas Normales wahrnehmen kann. Es ist daher gut und wichtig, dass auch wir dabei Verantwortung übernehmen. Die militärische Unterstützung, die Deutschland Somalia zuteilwerden lässt, stellt aber nur einen Teil des deutschen Engagements für die Menschen dort dar. Ohne Unterbrechung stellt Deutschland seit Beginn des Konflikts Nothilfe und unterstützt Flüchtlinge in angrenzenden Staaten, aber auch Rückkehrer, die ihr Land wieder aufbauen wollen. ({1}) Deutschland unterstützt darüber hinaus Organisationen, die dieses gebeutelte Land von Minen befreien. Weiter stellt die Bundesregierung bis 2016 über 100 Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung. Und ich meine: Das ist auch gut so! ({2}) Ich wünsche mir, dass sich der deutsche Aufbaubeitrag irgendwann auf das rein zivile Feld konzentrieren und auch beschränken kann. Bei allen Fortschritten, die es in den vergangenen Monaten gegeben hat, ist dieses Land leider längst nicht so weit. Teile Somalias sind immer noch in Händen der Al-Schabab-Milizen. Al-Schabab ist in der letzten Zeit im Fokus unserer Öffentlichkeit weniger präsent. Das liegt nicht daran, dass deren Mitglieder sich plötzlich des Unrechts bewusst geworden wären, welches sie verbreiten. Es liegt vielmehr daran, dass die Verbrechen der al-Schabab derzeit von noch größeren Schandtaten in vielen anderen Bereichen überschattet werden. Ich brauche auf den Begriff des sogenannten „Islamischen Staates“ gar nicht weiter einzugehen. Vor diesem Hintergrund, Kolleginnen und Kollegen, müssen wir auch darüber nachdenken, wie das künftige Engagement der Bundeswehr aussehen sollte. Wir tragen Verantwortung dafür, im Rahmen unserer Möglichkeiten bei der Beilegung von Konflikten und dem Wiederaufbau von Staaten zu helfen. Auch dies ist eine der Lektionen, die wir aus unserer Geschichte gelernt haben. Derzeit dienen etwa 2 500 Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen. Dies ist der niedrigste Stand seit über 20 Jahren. Von den insgesamt 16 Einsätzen sind bei 9 weniger als 50 Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Das kleinste Kontingent besteht aus einem Angehörigen der Bundeswehr, der im Rahmen von EUCAP NESTOR in Tansania tätig ist. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Jede Soldatin und jeder Soldat, die bzw. der im Ausland Dienst tut, macht einen guten, macht einen notwendigen Job. Dafür sind wir ihnen auch alle dankbar. Wir müssen uns nur die Frage stellen, ob die Beteiligung an vielen Einsätzen mit wenigen Kräften mehr Sinn macht als die Konzentration auf wenige Einsätze mit größeren Kontingenten. Ich bin der Ansicht, dass es möglich ist, sich mit unseren Partnern in der EU, in der NATO und auch bei den Vereinten Nationen besser zu koordinieren und unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Auch das muss Teil einer zukünftigen deutschen Sicherheitsstrategie sein. ({3}) Denn wir stehen jetzt gerade sicherheitspolitisch an einem Punkt, an dem die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Die große Zahl der Einsätze, an denen die Bundeswehr beteiligt ist, hat uns die Gelegenheit gegeben, Erfahrungen zu sammeln und herauszufinden, wo unsere Stärken sind. Der Einsatz im Rahmen von EUTM Somalia hat uns bei diesem Erfahrungsgewinn geholfen, und noch viel wichtiger: Er hilft den Menschen in Somalia dabei, ihr Land wieder aufzubauen. Aus diesen Gründen bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, heute der Verlängerung des Mandats zuzustimmen. Die SPD-Fraktion wird dies tun. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Julia Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die junge Somalierin Maymun Muhyadine Mohamed spielt für ihr Leben gerne Fußball. Doch die Liebe zum Fußball machte sie zur Witwe. Radikalislamische Al-Schabab-Milizen bedrohten Maymun. Frauen dürfen keinen Sport machen, sagten sie. Maymun solle einen Körperschleier tragen, auch wenn sie damit weder einen Ball stoppen noch flanken kann. Maymuns junger Ehemann verteidigte seine Frau gegenüber den Milizen. Daraufhin drangen die Islamisten nachts in ihr Haus ein und ermordeten ihn. Maymun, die damals schwanger war, floh daraufhin aus Mogadischu. Heute lebt sie zusammen mit ihrer inzwischen vier Jahre alten Tochter in einem Flüchtlingslager in Dschibuti. Ähnlich wie Maymun ergeht es vielen ihrer Landsleute. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Seit 1990 herrscht in Somalia Bürgerkrieg. Kriminalität, Terror und Gewalt gehören am Horn von Afrika zum Alltag. Derzeit sind über 4 Millionen Somalier auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die internationale Staatengemeinschaft lässt Somalia nicht allein. Bis 2016 fließen 1,6 Milliarden Euro an Unterstützung. Allein das BMZ hilft den Menschen in Somalia mit rund 100 Millionen Euro, darunter 86 Millionen Euro für die städtische Wasserversorgung und die ländliche Entwicklung und weitere 8 Millionen Euro für Maßnahmen gegen die Dürre. Aber diese Hilfen können nur in halbwegs sicheren Regionen ankommen. Die militärische Beteiligung Deutschlands an der EU-Mission in Somalia ist Teil eines ganzheitlichen, vernetzten Ansatzes. Nur wenn alle Instrumente erfolgreich greifen, können wir den Menschen dort helfen. Etwa 150 Soldatinnen und Soldaten aus elf EU-Mitgliedstaaten sind derzeit für die europäische Trainingsmission im Einsatz. Deutschland unterstützt diese Ausbildungsmission mit bis zu 20 Soldatinnen und Soldaten. Es ist eine reine Ausbildungsmission, kein Kampfeinsatz. Derzeit leisten sechs deutsche Offiziere und zwei Unteroffiziere ihren Dienst in Somalia. Deutschland leistet dort einen kleinen, aber wichtigen Beitrag. Seit 2010 hat EUTM Somalia 4 800 somalische Soldaten ausgebildet. Die europäische Trainingsmission ist einer der tragenden Pfeiler der europäischen Sicherheitsstrategie für die Region am Horn von Afrika. Weitere militärische Hilfe erhält Somalia seit mehreren Jahren durch die Operation Atalanta. Aktuell schützt die Fregatte „Bayern“ Schiffe des Welternährungsprogramms vor Piratenübergriffen. Darüber hinaus unterstützt die zivil-militärische Mission EUCAP NESTOR die somalischen Behörden. Somalia baut derzeit eine Küstenpolizei auf, um selbst für Sicherheit in diesem Seeraum zu sorgen. Der Weg zu einem funktionierenden Staatswesen in Somalia ist noch lang. Wir wollen die Somalier auf diesem Weg begleiten. Unser langfristiges Ziel ist es, den Menschen in Somalia ein sicheres Leben zu ermöglichen. Auch Maymun und ihre Tochter wollen eines Tages ohne Angst in den Straßen von Mogadischu Fußball spielen. Den langen Weg dorthin wollen wir gemeinsam bereiten. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Ich erteile dem Kollegen Dr. Alexander Neu das Wort nach § 30 unserer Geschäftsordnung zu einer Erklärung zur Aussprache.

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollege Kiesewetter, Sie hatten auf Ihre Königsbrunner Veranstaltung und auf meine Absage hingewiesen. Ja, ich habe die Teilnahme als Referent abgesagt, nachdem ich die Genossinnen und Genossen der Partei vor Ort konsultiert habe, die eine Protestaktion gegen diese Veranstaltung planen. Ich wollte nicht unsolidarisch sein. Mir diese Absage, die letztendlich von innerparteilicher Demokratie zeugt, als nachteilig auszulegen, halte ich für problematisch. Es mag sein, dass es in Ihrer Partei nicht üblich ist, innerparteilich miteinander zu diskutieren und demokratisch zu entscheiden; bei uns ist es das. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich erteile dem Kollegen Kiesewetter das Wort zu einer Erwiderung.

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bleibe bei meiner Feststellung, dass hier heute ein Vertreter der Linkspartei Desinformation und Propaganda betrieben hat. Ich halte sehr viel davon, dass wir alle Foren auch außerhalb des Parlaments nutzen, um deutlich zu machen, was Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Vielfalt bedeuten. Ich halte sehr wenig davon, wenn dieses Hohe Haus als Plattform für Propaganda und die Verteidigung hybrider Kriegsformen verwendet wird. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 18/4447 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Bera- tungsmission EUTM Somalia. Ich mache darauf auf- merksam, dass mir mehrere Erklärungen nach § 31 unse- rer Geschäftsordnung vorliegen, die wir entsprechend unseren Regelungen zu Protokoll nehmen.1) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung, den Antrag auf Drucksache 18/4203 anzunehmen. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die na- mentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Vorsorglich mache ich darauf aufmerksam, dass wir damit noch nicht am Ende der Abstimmungen zu diesem Tagesordnungs- punkt sind, es sich also empfiehlt, wenn Sie weiter an unseren Verhandlungen teilnehmen wollen, sich hinzu- setzen, damit wir im Präsidium die weiteren Abstim- mungsergebnisse zweifelsfrei feststellen können. Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme bei der namentlichen Abstimmung noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstim- mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Ich wiederhole meine Bitte, nun Platz zu nehmen, damit wir die weitere Abstimmung durchführen können. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4461. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Norbert Müller ({0}), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe jetzt 1) Anlage 2 2) Seite 9233 C Drucksache 18/4418 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke. ({2})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe ist längst überfällig. ({0}) Meine Fraktion hat hierzu eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, und die Antwort hat mich echt überrascht: Die Arbeitsbedingungen in den Sozial- und Erziehungsdiensten sind überproportional belastend, die Rahmenbedingungen sind überwiegend schlecht, und das Gehalt langt hinten und vorn nicht. In dieser Branche - übrigens einer der größten Branchen in Deutschland - arbeitet über 1 Million Menschen. Die Mehrheit der Beschäftigten sind Frauen. Mehr als die Hälfte arbeitet in Teilzeit. Ein Drittel der Beschäftigten ist heute bereits über 50 Jahre alt. Die Frage ist: Kommen Jüngere nach und, wenn ja, unter welchen Bedingungen? Von den unter 25-Jährigen waren 2005 noch 95 Prozent und 2013 noch 85 Prozent befristet beschäftigt. Von den neu eingestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern werden drei Viertel mit einem befristeten Arbeitsvertrag abgespeist. Auch hier haben die Jüngeren das Nachsehen. Wie sollen diese Menschen eine Zukunft planen oder sich für eine Familie entscheiden? Das ist die aktuelle Situation für die meisten Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen. Es gibt wirklich nichts zu beschönigen. ({1}) Zum Glück kommt da gerade Bewegung in die Sache. Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Situation in den Berufen der Sozial- und Erziehungsdienste bieten die laufenden Tarifverhandlungen in der Branche. Die Beschäftigten in diesen Bereichen streiken gerade für eine deutliche Aufwertung ihrer Arbeit. Es geht ihnen dabei nicht nur um mehr Geld. Es geht ihnen vor allem um die längst überfällige Anerkennung ihres Berufsbildes. Diese Aufwertung ist auch dringend nötig; denn nur verbesserte Arbeitsbedingungen können die Grundlage für qualitativ hochwertige soziale Pflegedienste und gute Kinderbetreuung sein. Letzten Freitag kam es erneut zu Warnstreiks, wie übrigens auch heute in Berlin. In meinem Bundesland Niedersachsen haben sich 40 000 Beschäftigte an diesen Warnstreiks beteiligt. Das finde ich richtig klasse. ({2}) Auch in meinem Wahlkreis wurde gestreikt. Auf die Frage, warum er streike, sagte ein junger Sozialassistent meiner Lokalzeitung - ich zitiere -: Weil es eigentlich nicht sein kann, dass Menschen, die Autos bauen, mehr Anerkennung haben als Menschen, die mit Kindern arbeiten. ({3}) Ich finde, dieser junge Mann hat absolut recht. Ich erwarte, dass den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsbereich gleiche finanzielle und gesellschaftliche Anerkennung widerfährt wie den Facharbeitern aus dem Bereich der Industrie. ({4}) Die Erwartung der Gesellschaft und die Anforderungen an die Beschäftigten steigen kontinuierlich. Das steht in keinem Verhältnis zum Verdienst und auch in keinem Verhältnis zu den belastenden Arbeitsbedingungen. Ja, selbstverständlich geht mit einer steigenden Wertschätzung des Berufsbildes auch ein steigendes Gehalt einher. Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung und zur Aufwertung dieser Branche sind die politischen Rahmenbedingungen, die hier im Parlament geschaffen werden. Zur Steigerung der Qualität der Arbeit müssen wir über die chronische Unterbesetzung in dieser Branche reden. Fast drei Viertel der Fachkräfte leiden unter dem übermäßigen beruflichen Stress. Wir sprechen hier von Arbeit an der Grenze der Leistungsfähigkeit. Genau deswegen brauchen wir eine Anti-Stress-Verordnung, in deren Konzept die psychischen Belastungen einbezogen werden. Das ist ein klarer Auftrag an die Bundesregierung. ({5}) Der Gesetzgeber muss aber auch die Rahmenbedingungen für gute Arbeit insgesamt stärken. Ich sage zum wiederholten Male - auch wenn es Ihnen zu den Ohren herauskommt -: Die sachgrundlosen Befristungen gehören abgeschafft. Basta! ({6}) Die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen sind definitiv mehr wert; denn sie leisten eine wertvolle Arbeit. Die Linke findet, dass gut funktionierende öffentliche und soziale Dienstleistungen ein wesentlicher Bestandteil für eine solidarische Gesellschaft sind. Deswegen haben die Kolleginnen und Kollegen aus den Sozial- und Erziehungsdiensten unseren Respekt und unsere volle Unterstützung in ihrem Tarifkampf. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Christel Voßbeck-Kayser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004434, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe jetzt“ was für ein Zufall, dass Sie, die Kollegen von der Linken, diesen Antrag jetzt im Kontext der aktuellen Tarifverhandlungen einbringen. ({0}) Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Ich möchte daher festhalten: Lohnverhandlungen gehören in die Hände der Tarifpartner und nicht in die Hände der Politik. ({1}) Wir haben in Deutschland eine gut funktionierende Tarifpartnerschaft, und ich bin mir sicher, dass die Verhandlungspartner in den laufenden Verhandlungen eine gute und faire Lösung für alle Beteiligten finden werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht von der Hand zu weisen: Die Aufgaben in den Sozial- und Erziehungsberufen sind vielfältig. Ob beraten, erziehen, betreuen, pflegen, fördern und auch helfen - es sind alles wichtige Hilfestellungen. Hierfür brauchen wir gut ausgebildetes und motiviertes Personal. Aber wie erreichen wir dies? Hierzu sind mehrere Bausteine notwendig. Neben einer guten Bezahlung sind es auch gute Rahmenund Arbeitsbedingungen. Fakt ist: Daran arbeitet die CDU/CSU-geführte Bundesregierung seit vielen Jahren. Ich möchte Beispiele nennen. Seit Oktober 2008 gibt es das Aktionsprogramm Kindertagespflege. Es trägt dazu bei, mehr Personal für die Tagespflege zu gewinnen, die Qualität der Betreuung zu steigern und das Berufsbild insgesamt aufzuwerten. Neben der Schaffung eines niederschwellig angelegten Beratungsangebotes, das übrigens auch online abzurufen ist, gehört dazu seit Juni 2012 auch die Förderung von Festanstellungen des Kindertagespflegepersonals durch Lohnkostenzuschüsse zur Weiterentwicklung dieses Aktionsprogramms. Wir finden auch Beispiele im Bereich der Pflege. Hier haben wir schon 2008 durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz Rahmenbedingungen angepasst, was zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geführt hat. Aktuell wird die Pflege entbürokratisiert. Speziell wollen wir die Reduzierung der Pflegedokumentation auf ein notwendiges Maß. Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich Pflege: Noch im Dezember letzten Jahres haben wir das Pflegestärkungsgesetz verabschiedet. Im Bereich der Demenzkranken in stationären Einrichtungen wurde damit der Betreuungsschlüssel herabgesetzt, was ebenfalls zu einer Entlastung des Personals führt. ({2}) Ganz aktuell haben wir am Montag dieser Sitzungswoche die Vergütung von Pflegekräften in einer öffentlichen Anhörung des Petitionsausschusses zum Thema gemacht. Der Bundesminister Gröhe war persönlich zu Gast. Dies macht deutlich, wie ernst wir innerhalb der CDU/CSU-Fraktion dieses Thema nehmen. ({3}) - Der Bundesgesundheitsminister hat gesagt, dass er diesbezüglich in den direkten Dialog mit den Krankenkassen und Leistungserbringern treten will, um eine angemessene Bezahlung in der Pflege zu ermöglichen. ({4}) - Das ist Tatsache. Nicht zu vergessen: Mit der Einführung des Mindestlohns auch im Pflegebereich ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Lohngleichheit in einem von Frauen häufig gewählten Berufsfeld geschaffen worden. ({5}) All das zeigt: Wir kümmern uns. Wir erarbeiten Lösungen. Wir haben konstruktive Lösungsvorschläge und setzen diese auch um.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Voßbeck-Kayser, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Krellmann?

Christel Voßbeck-Kayser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004434, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte meine Rede fortsetzen. Ich habe Ihnen auch zugehört, Frau Krellmann. Unser Ansinnen ist nicht, Kollegen der Fraktion Die Linke, Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen. Die Arbeit in der Pflege und in den vielen Sozial- und Erziehungsberufen verdient ebenso Anerkennung und Wertschätzung wie die Arbeitsleistung in jeder anderen Branche. Gerne nenne ich Ihnen ein weiteres Beispiel, an dem Sie sehen können, dass wir konstruktiv und lösungsorientiert arbeiten. Um die Attraktivität der Ausbildung in den Pflegeberufen zu steigern, wollen wir die Ausbildung in den Bereichen Kranken- und Altenpflege zusammenfassen. Hierdurch werden die beruflichen Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten über den gesamten Zeitraum des Erwerbslebens verbessert und vergrößert, und auch die individuelle Berufszufriedenheit wird gestärkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum erwähne ich das? Soziale Arbeit, Pflege, Erziehungs- und Betreuungsarbeit beruhen immer auf Beziehungsarbeit. Deshalb ist es richtig und wichtig, sich neben einer guten Bezahlung auch um die Verbesserung von Strukturen zu kümmern. Verbesserte Strukturen schaffen nämlich verbesserte Arbeitsbedingungen, verbesserte Arbeitsbedingungen führen zu mehr Zufriedenheit, und mehr Zufriedenheit bedingt psychisches Wohlbefinden. ({0}) Dies haben mich 30 Berufsjahre in psychiatrischen Beratungs- und Betreuungsdiensten gelehrt. Was Ihre Forderung nach Wertschätzung angeht: Wertschätzung erfährt man neben einer angemessenen Entlohnung und guten Arbeitsbedingungen auch - das sei mir an dieser Stelle gestattet zu erwähnen - durch ein Dankeschön, einen Händedruck, ein Lächeln eines Kindes oder einer zu pflegenden Person. Diese besondere Wertschätzung ist mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, als Letztes möchte ich auf Ihre Forderung nach einem Kitaqualitätsgesetz eingehen. Sie wissen schon, dass dieses Thema bereits in Arbeit ist? ({2}) Auf der Konferenz zur frühen Bildung im November letzten Jahres hat sich die Bundesfamilienministerin mit den Fachministern der Länder auf einen Prozess zur Entwicklung gemeinsamer Qualitätsziele für die Kindertagesbetreuung geeinigt. Ferner wurde in diesem Zusammenhang auch eine Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände eingesetzt, die sowohl konkrete Handlungsziele zur Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung als auch Vorschläge zur Finanzierung erarbeitet. Warten wir doch erst einmal die Ergebnisse der Praktiker ab, statt nach einem bundeseinheitlichen Kitaqualitätsgesetz zu rufen. Ob ein solches Gesetz aufgrund der regionalen Unterschiede und somit auch der regionalen Anforderungen der richtige Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Ich kann zusammenfassend nur sagen: Dieser Antrag gehört in Zeiten von Tarifverhandlungen in die Kategorie „Aktionismus, Populismus, Effekthascherei“. Ansonsten gibt es nichts Neues und Konkretes. Somit lehnen wir Ihren Antrag ab. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Krellmann das Wort.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Voßbeck-Kayser, ich glaube es gar nicht, wie Sie am Schluss die Keule herausgeholt und draufgehauen haben, wo Sie nur können. Ich finde, ich habe einen sehr konkreten Vorschlag gemacht. Sie haben überhaupt nichts dazu gesagt, was die Bundesregierung machen könnte. Es geht hier nicht um die Bundesländer, nicht um die zehntausend komplizierten Sachen, die Sie genannt haben. Der einfachste Vorschlag wäre, die befristeten Beschäftigungsverhältnisse abzuschaffen. Ihre Bundesregierung hat uns gesagt, dass 85 Prozent der Menschen in diesem Bereich befristet beschäftigt sind. Was ist das für eine Wertschätzung? Bei qualifizierten Berufen rede ich auch nicht über den Mindestlohn. Das kommt überhaupt nicht infrage. Arbeit muss mehr wert sein. ({0}) Diese hochqualifizierte Arbeit muss entsprechend gut entlohnt werden und nicht mit einem Mindestlohn. Das geht gar nicht. Überlegen Sie sich doch einmal, wie lange Sie bei 8,50 Euro arbeiten müssen, damit Sie auch etwas verdienen? Aufwertung sieht anders aus. Was jetzt in der Tarifrunde passiert, finde ich richtig super, und es ist ein gutes Zeichen, dass wir im Bundestag über dieses wichtige Thema reden, das die Menschen draußen bewegt, und zwar nicht nur 500, sondern 5 000, 10 000, 50 000. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wünschen Sie das Wort zur Erwiderung? - Bitte.

Christel Voßbeck-Kayser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004434, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Krellmann, wenn Sie schon den Mindestlohn erwähnen, dann bleiben Sie nicht immer bei 8,50 Euro stehen. ({0}) - Ja, ich habe über den Mindestlohn gesprochen. ({1}) Aber Sie wissen sicher wie auch ich, dass die Entlohnung im Bereich der Pflege über 8,50 Euro liegt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 578. Mit Ja haben 454 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 115, und 9 Kolleginnen und Kollegen haben sich enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon ja: 453 nein: 115 enthalten: 9 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer ({0}) Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Oliver Grundmann Monika Grütters Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({1}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({2}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Vizepräsidentin Petra Pau Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({3}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Dr. Gerd Müller ({4}) Stefan Müller ({5}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Kerstin Radomski Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({6}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({7}) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Ronja Schmitt ({8}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({9}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({10}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Armin Schuster ({11}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({12}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({13}) Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({14}) Peter Weiß ({15}) Sabine Weiss ({16}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({17}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({18}) Burkhard Blienert Willi Brase Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({19}) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({20}) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Vizepräsidentin Petra Pau Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({21}) Markus Paschke Sabine Poschmann Florian Post Achim Post ({22}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({23}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({24}) Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({25}) Matthias Schmidt ({26}) Dagmar Schmidt ({27}) Carsten Schneider ({28}) Ursula Schulte Swen Schulz ({29}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Klaus Barthel Dr. Ute Finckh-Krämer Cansel Kiziltepe Waltraud Wolff ({30}) DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({31}) Thomas Nord Harald Petzold ({32}) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({33}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({34}) Volker Beck ({35}) Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Oliver Krischer Stephan Kühn ({36}) Christian Kühn ({37}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Lisa Paus Brigitte Pothmer Claudia Roth ({38}) Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Enthalten SPD Marco Bülow Petra Hinz ({39}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Anja Hajduk Dieter Janecek Tom Koenigs Omid Nouripour Cem Özdemir Dr. Valerie Wilms Wir setzen nun die Debatte zum Thema „Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe“ fort. Das Wort hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Antrag kommt auch wegen der Kampagne zu den Sozial- und Erziehungsberufen. Die Kampagne heißt: „Richtig gut - Aufwerten jetzt!“ Sie ist richtig und wichtig. Auch ich habe sie namentlich aus vollem Herzen unterstützt. ({0}) Die Beschäftigten im Sozialbereich engagieren sich für die Menschen und für die Gesellschaft. Deshalb haben sie Anerkennung, Wertschätzung und auch eine gute Entlohnung verdient. Es geht immerhin um den Wert von Arbeit. ({1}) Vier Aspekte des Antrags möchte ich kurz ansprechen: Erstens. Auch wir Grünen fordern eine Qualitätsoffensive in den Kitas. Da geht es insbesondere um einen besseren Personalschlüssel. Für die Kinder bedeutet mehr Qualität bessere Lebens- und Bildungsperspektiven, für die Eltern geht es um bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und für die Beschäftigten entstehen so bessere Arbeitsbedingungen. Die Bundesregierung macht sich aber bei der Qualität einen schlanken Fuß, und das ist nicht akzeptabel. ({2}) Zweitens. Es geht natürlich nicht nur um die Beschäftigten in den Kitas, sondern auch um offene Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Eingliederungshilfe und vielfältige andere Sozialdienste. Ich bin mir nicht sicher, ob Leiharbeit und Werkverträge in diesen Bereichen tatsächlich eine so große Rolle spielen. Dennoch warten auch wir auf die angekündigten Reformen und fordern Equal Pay ab dem ersten Tag in der Leiharbeit. Vor allem fordern wir eine klare Ansage gegen den Missbrauch von Werkverträgen. ({3}) Das Thema Befristung hingegen ist viel wichtiger; das wurde schon angesprochen. Die Fakten sind bekannt. Bei Befristungen sind die Löhne niedriger, und zwar im Schnitt um 18 Prozent. Es fehlen Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Betroffen sind insbesondere junge Menschen. Familien- und Lebensplanung sind Worte, die junge Menschen nur noch als Fremdwörter kennen. Vor dem Hintergrund, dass die Bundesagentur für Arbeit davon ausgeht, dass im Jahr 2016 21 000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen werden, sind Befristungen fatal. Deshalb fordern auch wir die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung; denn Brüche im Erwerbsleben sind nicht gut und erst recht nicht ermutigend. ({4}) Drittens. Richtig ist auch die Forderung nach einer Anti-Stress-Verordnung; denn bei diesem Thema geht es immerhin um die Gesundheit gerade der Beschäftigten im sozialen Bereich. Immerhin sind sie es, die Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zur Seite stehen, zum Beispiel bei Problemen in der Pubertät oder in der Schule, bei Krankheit, Pflege oder Behinderung. Sie unterstützen und helfen in allen Lebenslagen. Sie sind emotional gefordert und wollen auch emotional, also mit Gefühl und Verständnis, ihre Arbeit machen. Da entsteht durch Arbeitsverdichtung, durch zu wenig Zeit zwangsläufig Stress, und zwar teilweise über die Belastungsgrenze hinaus. Deshalb müssen die Arbeitgeber sensibilisiert werden. Sie müssen wissen, wann und wie Stress entsteht, und vor allem, wie er vermieden werden kann. Die Belastungsgrenzen der Beschäftigten gerade im sozialen Bereich müssen endlich im Mittelpunkt stehen. Schöne Worte sind einfach zu wenig. Handeln ist angesagt. Nehmen Sie von der CDU/CSU das endlich zur Kenntnis! ({5}) Viertens. Wenn es um die sozialen Berufe geht, dann geht es auch um den Wert von Arbeit. Damit bin ich zum Schluss beim Thema Entgeltgleichheit. Dieser Aspekt fehlt leider im Antrag. ({6}) - Gut. - Auf der Homepage Karrierebibel werden beispielsweise die Bereiche Chemie, Fahrzeugbau und Metall als „Top-Branchen“ bezeichnet, der Bereich „Gesundheit und soziale Dienste“ hingegen als „FlopBranche“. Der Grund ist natürlich bekannt: Im Jahr 2014 lagen die Einstiegsgehälter im Bereich Naturwissenschaften bei über 46 000 Euro, bei den Erziehungswissenschaften gerade einmal bei 32 000 Euro. Die schlecht bezahlten Berufe sind eindeutig noch immer Frauensache. Das ist nicht fair und schon gar nicht gerecht. ({7}) Es geht also nicht allein darum, dass Arbeit gleich bezahlt wird, sondern es geht auch um gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Nur so steigt der Wert von Arbeit und in der Folge auch der Lohn von Frauen, und zwar gerade in den Sozial- und Erziehungsberufen. Hier ist die Politik in der Verantwortung, aber Transparenz allein, liebe SPD, ist einfach zu wenig. ({8}) Es gibt noch viel zu tun. Packen Sie es endlich an! Notwendig ist gute, sichere und gesunde Arbeit, gerade für die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen. Vielen Dank. ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Gabriele Hiller-Ohm. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wette, dass sich fast alle hier im Saal noch an den Namen ihrer GrundschullehreGabriele Hiller-Ohm rin erinnern werden. Meine hieß Fräulein Peters - damals sagte man das noch so. ({0}) Sie hat bis heute einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Aber kennen Sie auch noch den Namen Ihres ersten Finanzberaters? Ich jedenfalls habe ihn vergessen, obwohl seine Dienstleistung deutlich höher bewertet und auch bezahlt wird als die Arbeit der Grundschullehrerin. Er muss nicht studieren und hat dann doch etwa 1 000 Euro mehr in der Tasche als mein damaliges Fräulein Peters. Schon an diesem kleinen Beispiel erkennen Sie die mangelnde Wertschätzung der Sozial- und Erziehungsberufe, in denen weit über 80 Prozent Frauen arbeiten. Das lässt doch nur einen Schluss zu: So etwas ist ungerecht und frauenfeindlich und gehört endlich abgeschafft. ({1}) Wir haben in unserem Koalitionsvertrag mit CDU/CSU deshalb festgeschrieben, dass wir gemeinsam mit den Tarifpartnern die Sozial- und Erziehungsberufe endlich aufwerten wollen. Nun liegt uns heute ein Antrag der Linksfraktion zu diesem Thema vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie beschreiben die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft in Ihrem Antrag treffend. Wenn ich mir aber Ihre Forderungen anschaue, kommen mir Zweifel, ob Sie es tatsächlich ernst meinen oder uns wieder einmal nur einen Showantrag vorgelegt haben. ({2}) Ihre erste Forderung lautet nämlich: „‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ ab dem ersten Einsatztag ohne Ausnahme bei der Leiharbeit.“ (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie in Frankreich! Da gibt es das schon! Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Forderung erreichen Sie mit Sicherheit keine grundsätzliche Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe. ({3}) Denn von den rund 1,2 Millionen Beschäftigten sind gerade einmal 0,3 Prozent in Leiharbeit; ich wiederhole: 0,3 Prozent. Diese Forderung nützt den Beschäftigten also überhaupt nichts. ({4}) Die oberste Forderung muss doch lauten: Gebt den Altenpflegerinnen, den Erzieherinnen, den Kinderpflegerinnen, den Heilerzieherinnen, den Sozialarbeiterinnen und den Sozialpädagoginnen endlich mehr Geld! Speist sie nicht länger mit miesen Löhnen für harte und verantwortungsvolle Arbeit ab! Und denkt bitte auch an meine Grundschullehrerin! ({5}) Nur über eine gerechte Bezahlung werten wir die Berufe auf und machen sie auch für Männer attraktiv. Also, Gewerkschaften: Tut etwas für die Frauen und boxt gerechte Löhne durch! ({6}) Wir wünschen Verdi und der GEW bei ihren laufenden Tarifverhandlungen viel Erfolg. In meiner Heimatstadt Lübeck setzt sich übrigens die SPD auf kommunaler Ebene für eine gerechte Bezahlung der Sozial- und Erziehungsberufe ein; das ist prima. Ich hoffe, dass viele Städte und Gemeinden und auch die kirchlichen Einrichtungen zu dem gleichen Schluss kommen und fairen Tariferhöhungen zustimmen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber nicht wir hier im Bundestag haben das Heft des Handelns in der Hand. Die Länder und Kommunen sind es. Sie sind die Arbeitgeber, und sie müssen mehr Geld rausrücken. Eigentlich müsste das auch klappen. Von Bundesseite aus haben wir nämlich eine enorme Entlastung der Länder und Kommunen auf den Weg gebracht. Nach der Grundsicherung im Alter hat der Bund zum 1. Januar auch die Finanzierung des BAföG komplett übernommen. Letzte Woche hat das Kabinett ein weiteres massives Entlastungs- und Investitionspaket vor allem für finanzschwache Kommunen in Höhe von 5 Milliarden Euro beschlossen. Wenn wir alles zusammenrechnen, kommen wir bis 2018 auf über 25 Milliarden Euro, die der Bund an die Kommunen weiterreicht. Das ist das größte Entlastungspaket für Kommunen seit Jahrzehnten. ({7}) Wir werden die Städte und Gemeinden auch zukünftig, zum Beispiel bei steigenden Flüchtlingszahlen, nicht im Regen stehen lassen. ({8}) Natürlich kämpfen wir als SPD auch weiterhin für gute Arbeit und bessere Arbeitsbedingungen. ({9}) Im Koalitionsvertrag haben wir eine Menge verankern können, was uns wichtig ist. Darunter sind auch viele der im Antrag der Linken angesprochenen Themen. Den Mindestlohn haben wir bereits umgesetzt. Bravo! Den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen werden wir bekämpfen. ({10}) Noch in diesem Jahr wird dazu eine Gesetzesinitiative kommen. Außerdem werden wir gegen unfreiwillige Teilzeit vorgehen und ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit bzw. zur alten Arbeitszeit einführen. Auch den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz werden wir verbessern. Unser Leitbild ist ein ganzheitlicher, physische und psychische Belastungen umfassender Arbeitsschutz. Dazu gehört auch die neue Arbeitsstättenverordnung, an der wir arbeiten. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, eines ist klar: Mit Ihren Forderungen in Ihrem Antrag tragen Sie nicht zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe bei, und auch mein Fräulein Peters lassen Sie im Regen stehen. Es ist wie immer: Sie machen große Worte und Versprechungen, wir hingegen handeln und verbessern das Leben der Menschen Stück für Stück. Das ist der Unterschied. ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Es spricht jetzt der Kollege Matthäus Strebl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten den Antrag der Fraktion Die Linke „Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe jetzt“. Die Antragsteller greifen damit eine vor allem durch die Medien weitverbreitete Stimmung auf, ({0}) nach der Sozial- und Erziehungsberufe nicht ihrer Bedeutung entsprechend entlohnt werden. Um es vorweg zu sagen: Wenn der Antrag in erster Linie höhere Entgelte für die Beschäftigten in den genannten Berufen zum Ziel haben sollte, wäre der Deutsche Bundestag der falsche Ort, um das zu diskutieren. Lassen Sie mich zu Beginn folgende Feststellung treffen: Deutschland ist ein Sozialstaat wie kaum ein anderes Land. Dennoch gibt es natürlich Probleme, um die wir uns als Legislative kümmern müssen. In dem vorliegenden Antrag werden bessere Bezahlung, höhere Eingruppierung und zeitgemäße Tätigkeitsmerkmale gefordert. Sicherlich hätten vor allem die betroffenen Personen gegen die Umsetzung nichts einzuwenden. Die Beschäftigten, um die es geht, arbeiten in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, der Familienhilfe, der frühkindlichen Betreuung und in anderen sozialen Berufen. Rund 722 000 Menschen sind heute in den Sozial- und Erziehungsdiensten beschäftigt, und der Bedarf wird auch in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Einige weitere Zahlen möchte ich nennen, um die Dimensionen deutlich zu machen: 527 000 Menschen arbeiten in Kindertagesstätten, davon 180 000 in Einrichtungen öffentlicher Träger. Fast 355 000 von ihnen sind Erzieherinnen, die ihre Aufgaben unter teils schwierigen Bedingungen erfüllen. Allein hier gab es laut Statistischem Bundesamt seit 2008 einen Anstieg von 29 Prozent. Nicht immer im Blickfeld stehen die 37 000 Beschäftigten in der außerschulischen Jugendarbeit und die 65 000 im Heimbereich. Angesichts der demografischen Entwicklung dürfte der Personalaufwuchs hier erst am Anfang stehen. Träger der Einrichtungen sind in der weitaus größten Zahl Kommunen und kirchliche Einrichtungen. Sie müssten die Kosten, die durch eine Umsetzung des Antrags entstehen würden, tragen. Das aber können sich angesichts der ohnehin angespannten Kassenlage viele nicht leisten. Der Bund scheidet als Finanzier aus, und die Zusatzkosten auf die Eltern abzuwälzen, wäre höchst unsozial. Ungeachtet der zunehmenden Bedeutung der Sozialund Erziehungsberufe und ihrer noch mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung ist es nach meiner festen Überzeugung die Angelegenheit der Tarifpartner, für eine angemessene Bezahlung zu sorgen. Die Fraktion Die Linke entpuppt sich mit ihrem Antrag in gewisser Weise als „Trittbrettfahrer“ bei den laufenden Tarifverhandlungen. ({1}) Im konkreten Fall mag das zulässig sein; denn bei den Tarifgesprächen geht es um eine deutliche Aufwertung der in den Sozial- und Erziehungsberufen geleisteten Arbeit. Aber wie gewohnt enthält auch dieser Antrag die bekannten Forderungen nach neuen Gesetzen und Verordnungen. ({2}) Werte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einen Blick zurück in die Geschichte des Parlaments werfen, weil das zu dieser Debatte passt. Ich habe nachgelesen: Der frühere Bundesratspräsident Kai-Uwe von Hassel - ja, so weit gehe ich zurück - hat 1955 seine Forderung nach Entbürokratisierung damit begründet, dass im Jahr zuvor 240 Gesetzentwürfe eingegangen waren. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine solche Zahl schafft die Fraktion Die Linke heute spielend allein. ({4}) Der Antrag spiegelt erneut das Denken wider, dass der Staat alles regeln müsse. Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsdienste eine Angelegenheit der Tarifpartner ist. ({5}) Bei den derzeitigen Verhandlungen geht es um eine Anhebung um durchschnittlich 10 Prozent. Das wird insbeMatthäus Strebl sondere durch die öffentlichen Träger nicht finanzierbar sein. Aber das ist eine Angelegenheit - darauf möchte ich zum Schluss noch einmal hinweisen -, die die Tarifpartner unter sich ausmachen müssen und die nicht in den Deutschen Bundestag gehört. Das muss und wird so bleiben. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPDFraktion. ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei Erziehungsberufen fällt den allermeisten von uns zuerst die eigene Kindergärtnerin ein oder, wie bei Frau HillerOhm, die erste Lehrerin, Fräulein Peters - sehr schön. Bezeichnend ist, dass die meisten von uns dabei eine Frau vor Augen haben. Sozial- und Erziehungsberufe werden ganz überwiegend von Frauen ausgeübt. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Und ehrlich: Die wenigsten davon haben ihre Berechtigung. ({0}) Fakt ist aber: In Sozial- und Erziehungsberufen wird wertvolle Arbeit geleistet. Es geht uns allen besser, weil es diese Berufe gibt. Wir profitieren in den verschiedensten Lebensphasen von ihnen. Das können kurze und lange Phasen sein, zu Beginn, mittendrin oder am Ende unseres Lebens; manche sind vielleicht sogar ein Leben lang auf Hilfe angewiesen. Wenn wir uns diese Bedeutung vor Augen führen, wird schnell klar: Es kommt nicht darauf an, ob Mann oder Frau. Viel wichtiger sind gute Arbeitsbedingungen in diesen Jobs. ({1}) Nur gute Arbeitsbedingungen erlauben auch eine hohe Qualität. Wie gut kann ich meinen Job machen, wenn ich allein für zu viele Kinder verantwortlich bin? Wenn ich eine zweite Stelle annehmen muss, weil das Geld am Ende des Monats nicht reicht? Wenn ich immer wieder neu beginne, weil ich keinen unbefristeten Vertrag bekomme? Gute Arbeitsbedingungen in Sozial- und Erziehungsberufen liegen in Wahrheit in unser aller Interesse, damit wir bestmöglich davon profitieren können. ({2}) Gute Arbeitsbedingungen sind wir den vielen Frauen und den wenigen Männern in diesen Berufen auch schuldig, weil sie tagtäglich einen wertvollen Beitrag leisten. Leider sind die Arbeitsverhältnisse in der Erziehungsund Sozialarbeit oft nicht gut. Viele Erzieherinnen arbeiten in Teilzeit, und das meist unfreiwillig. Frau Krellmann, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu ({3}) in diesem Bereich: Wäre Erzieher wirklich ein Männerberuf, die Arbeitsbedingungen und die Löhne wären bestimmt viel besser. ({4}) Meine Damen und Herren von der Linken, Sie sehen: Sympathie für Ihren Antrag ist durchaus vorhanden. Wenn Sie aber gleich als Erstes eine Veränderung im Bereich der Leiharbeit und der Werkverträge fordern, so hat mich das dann doch einigermaßen irritiert. Ich sage Ihnen etwas: Die Sozial- und Erziehungsberufe haben wirklich viele Probleme; dass dort zu viele Leih- und Werkvertragsarbeitnehmer eingesetzt würden, ist aber gerade nicht das Problem. ({5}) Aber sei’s drum: Im Koalitionsvertrag hat sich die GroKo ganz grundsätzlich darauf geeinigt, dass wir den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhindern wollen. ({6}) Das ist auch richtig und wichtig. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die bestehenden Regelungen nicht ausreichen. Leiharbeit wird immer wieder missbraucht, um Arbeitskosten zu senken oder Mitbestimmungsrechte zu umgehen. Wir werden daher einen besseren gesetzlichen Schutz für die Leiharbeitnehmer durchsetzen. Wir haben deswegen im Koalitionsvertrag vereinbart: Spätestens nach neun Monaten müssen Leiharbeitnehmer wie das Stammpersonal bezahlt werden. Und: Leiharbeit soll vor allem wieder auf das beschränkt werden, wofür sie gedacht war: Auftragsspitzen zu bewältigen. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Bartke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Krellmann?

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Zu dem Thema „Leiharbeit und Werkverträge“: Der Antrag wurde geschrieben, als wir noch nicht die Antwort der Bundesregierung hatten, wie das an dieser Stelle aussieht. Auch weil wir einer Verlängerung der Zeit für die Beantwortung durch das Ministerium zugestimmt haben, haben wir natürlich erst jetzt erfahren, dass Leiharbeit und Werkverträge hier nicht das Ausmaß haben, wie wir ursprünglich angenommen haben. Akzeptieren Sie in diesem Zusammenhang, dass das der Teil unseres Antrages ist, der am wenigsten wichtig ist? ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich akzeptiere das, selbstverständlich. Aber das ist natürlich die erste Forderung, die Sie stellen; gestatten Sie mir, dass ich dann auch auf diese Forderung eingehe. Im Grundsatz ist die Forderung, Werkverträge und Leiharbeit vernünftig zu regulieren, natürlich richtig. Dass es im Bereich der Sozial- und Erziehungsberufe nun gerade nicht so ist, das nehme ich gerne zur Kenntnis. Ich möchte fortfahren: Die Höchstüberlassungsdauer wird 18 Monate betragen. Leiharbeitnehmer sollen künftig auch nicht mehr als Streikbrecher eingesetzt werden können. Bei den Schwellenwerten des Betriebsverfassungsgesetzes sollen sie aber mitgezählt werden. Auf diese Weise werden wir ihre Rechte deutlich stärken. Im Bereich der Leiharbeit - nicht bei den Sozial- und Erziehungsberufen - hat es am Ende der vergangenen Legislaturperiode schon einen tariflichen Mindestlohn gegeben. Dies führte in der Vergangenheit zu einem immer stärkeren Ausweichen auf die Rechtskonstruktion Werkvertragsarbeitnehmer. Diese Konstruktion wird jetzt verschärft genutzt, um den Mindestlohn zu umgehen. Die Beschäftigten bleiben unterbezahlt und ohne soziale Absicherung zurück. Unternehmen gelingt es viel zu häufig, die Arbeitsumstände so zu gestalten, dass der Missbrauch nur schwer feststellbar ist. Die Kriterien zur Unterscheidung zwischen Leiharbeit und Werkverträgen sind kompliziert. Für manche Unternehmen scheint das attraktiv: Lohneinsparungen winken, und das Risiko der Aufdeckung ist gering. Die Folgen davon tragen vor allem die Beschäftigten: Ihnen werden ihr Lohn und ihre Rechte vorenthalten. Aber auch hier steuern wir gegen. Im Kampf gegen den Missbrauch von Werkverträgen werden wir die Mitwirkungs- und Informationsrechte der Betriebsräte ausweiten. Wir werden die Kontrolle von Scheinselbstständigkeit genauer regeln und bessere Prüfmöglichkeiten schaffen. Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung wird künftig sanktioniert. Außerdem wollen wir den gesetzlichen Arbeitsschutz für Werkvertragsarbeitnehmer sicherstellen. Meine Damen und Herren, noch in diesem Jahr werden wir das in Angriff nehmen. Diese Gesetze werden ein Meilenstein in der Stärkung der Arbeitnehmerrechte sein. Ich danke Ihnen. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4418 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union Drucksache 18/4047 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0}) Drucksache 18/4409 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, jetzt die Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Uwe Feiler, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Uwe Feiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf den Besuchertribünen! Der Eigenmittelbeschluss, über den wir heute abschließend beraten und dem wir heute zustimmen sollten, bestimmt die Finanzierungsquellen der EU und legt die Verteilung der finanziellen Lasten für den mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 auf die einzelnen Mitgliedstaaten fest. Die EU verfügt anders als die Mitgliedstaaten nicht über eigene Steuereinnahmen und ist daher auf die Mittelzuweisungen ihrer 28 Mitglieder angewiesen. Die Eigenmittel sind Einnahmen, die zur Finanzierung des Gesamthaushaltes der EU bestimmt sind und ihr von Rechts wegen zustehen. Eine darüber hinausgehende Finanzierung, beispielsweise durch Anleihen oder gar eine Verschuldung, ist nicht vorgesehen. So ist es zwischen den Mitgliedstaaten vertraglich vereinbart. Der EU stehen drei Kategorien von Eigenmitteln zur Verfügung, die ich nachfolgend als „Säulen“ bezeichnen möchte. Die erste Säule mit circa 15 Prozent Anteil bilden die traditionellen Eigenmittel. Darunter verstehen wir die Zölle und Agrarabgaben. Diese Quelle bleibt in ihrer Struktur unverändert bestehen. Lediglich die Erhebungspauschale, die die Mitgliedstaaten für ihren Verwaltungsaufwand einbehalten können, verringert sich von 25 auf 20 Prozent. Die zweite Säule in einer Höhe von circa 11 Prozent besteht aus einem Anteil an den Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten. Die Berechnung erfolgt nach einem selbst für einen Finanzwissenschaftler komplizierten und wenig transparenten Verfahren. Deutschland, die Niederlande und Schweden als große Nettozahler erhalten hier einen Rabatt. Dieser beträgt für Deutschland rund 1 Milliarde Euro jährlich. Die dritte Säule mit einem Anteil von circa 74 Prozent richtet sich nach dem Bruttonationaleinkommen der Mitgliedstaaten. Auch hier gibt es nach einem komplizierten Berechnungsverfahren Ausgleichsmechanismen für die Niederlande und Schweden und neu hinzugekommen auch für Dänemark und Österreich. Der Rabatt für das Vereinigte Königreich, der sogenannte Britenrabatt, bleibt unverändert bestehen. Auch bei den Eigenmittelobergrenzen ergeben sich keine Veränderungen, sodass, in der Summe betrachtet, das bisherige Eigenmittelsystem - mit kleinen Modifizierungen - weiter Anwendung findet. Deutschland wird im Jahr 2015 rund 32,3 Milliarden Euro und für die gesamte Finanzperiode 2014 bis 2020 rund 234 Milliarden Euro an den EU-Haushalt abführen. Meine Damen und Herren, diese Zahlungen werden ausschließlich aus dem Bundeshaushalt bestritten. Bundesländer und Kommunen beteiligen sich hieran nicht, obwohl sie gleichermaßen vom Mittelrückfluss, der circa 50 Prozent der geleisteten Zahlungen beträgt, für von der EU geförderte Projekte profitieren. Das ist so gewollt; das ist auch gut so und hat sich in der Vergangenheit, wie vielerorts in Deutschland zu sehen ist, bewährt. ({0}) Bei den immer lauter werdenden Rufen der Bundesländer nach mehr finanzieller Unterstützung seitens des Bundes sei dieser Hinweis jedoch gestattet, da unsere Länderkollegen diese Art der mittelbaren Finanzierung gerne unter den Tisch fallen lassen. Das Eigenmittelsystem ist geprägt durch den Grundsatz der Einstimmigkeit. Das hat auf der einen Seite eine Vielzahl von Kompromissen in Form von Ausgleichsmechanismen und Rabatten zur Folge. Auf der anderen Seite steht aber ein von allen Mitgliedstaaten getragener Vorschlag, eine von allen getragene Lösung. Seit Bestehen des Eigenmittelsystems gibt es Diskussionen über die Reformbedürftigkeit des Verfahrens. Aus diesen Diskussionen heraus hat sich das System aber stetig weiterentwickelt. So lässt sich für die Periode 2014 bis 2020 positiv anmerken, dass auf der Ausgabenseite eine stärkere Ausrichtung an der Europa-2020Strategie erfolgte. Letztlich hat sich das System auch in Zeiten von Krisen bewährt. Ich verweise hier auf die vergangene Periode 2007 bis 2013, in der wir eine Finanz- und Wirtschaftskrise zu bewältigen hatten. ({1}) Dennoch wird seitens der europäischen Institutionen und vieler Experten ein weiterer Reformbedarf gesehen. Die nunmehr eingesetzte hochrangige Gruppe „Eigenmittel“ soll geeignete Reformvorschläge erarbeiten und entsprechend zur Diskussion stellen. Meine Damen und Herren, die Frage nach der Reformbedürftigkeit des Systems lässt sich durchaus bejahen. Aber wie reformfähig ist es tatsächlich? Reformen und Änderungen jeder Art sind auch hier nur nach dem Prinzip der Einstimmigkeit möglich. Für mich lassen sich derartige Vorschläge nur in kleinen Schritten verwirklichen. Wenn ich am Ufer eines Sees stehe und an das gegenüberliegende Ufer möchte, mir aber das nötige Werkzeug für den Bau einer Brücke oder eines Floßes fehlt, muss ich den See umwandern. Der Weg ist zwar länger, ich benötige mehr Schritte, erreiche dennoch mein Ziel. Ähnlich verhält es sich in meinen Augen mit der Reformfähigkeit des Eigenmittelsystems. Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber - für mich gibt es hierzu keine Alternative -: Es kann keine Reform der Einnahmeseite ohne eine Reform der Ausgabenseite geben. ({2}) Dabei gilt es, die Juste-retour-Denkweise - also, was bekomme ich von meinen eingezahlten Mitteln wieder zurück - zu verlassen ({3}) und den Fokus auf eine Politik zu richten, die die gesamteuropäischen Interessen vertritt. Beispiele können hier eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik oder eine noch stärkere gemeinsame Sicherheitspolitik bis hin zur Aufstellung einer europäischen Armee sein. Diese Liste lässt sich beliebig weiterführen. Meine Damen und Herren, bei allen Reformen muss aber der europäische Mehrwert auf der Ausgabenseite deutlich im Vordergrund stehen. ({4}) Haben wir letztlich dieses Mehr an Mehrwert, können wir auch über ein Mehr an Finanzautonomie bis hin zur Einführung einer EU-Steuer nachdenken und diskutieren. Aber auch für eine EU-Steuer sehe ich nur das Prinzip der kleinen Schritte als erfolgversprechend an. Wünschenswert wäre sicherlich eine einheitliche Unternehmensteuer ({5}) mit einheitlichen Steuersätzen und einer einheitlichen Bemessungsgrundlage. Das würde Steuerdumping in den Mitgliedstaaten sicherlich verhindern. Aber für viele unserer Mitgliedstaaten wäre dieser Schritt zu groß. Ich würde als ersten Schritt vielmehr eine Reform des Mehrwertsteuereigenmittelsystems ins Auge fassen. Mehr Transparenz, eine einfachere Berechnungsme9242 thode und ein höherer Anteil zulasten der Mittel aus dem Bruttonationaleinkommen könnten hier eine Diskussionsgrundlage sein. ({6}) Meine Damen und Herren, die große Herausforderung besteht aber darin, einerseits dem europäischen Gedanken gerecht zu werden, das Eigenmittelsystem optimal zu reformieren, und andererseits dafür zu sorgen, dass die Interessen der deutschen Steuerzahler, denen gegenüber wir verantwortlich sind, bei der gerechten Lastenverteilung angemessen berücksichtigt werden. ({7}) Meine Fraktion begrüßt die vorliegende Beschlussempfehlung und wird dem Gesetzentwurf zustimmen. Das Eigenmittelsystem hat sich bewährt. Es ist effektiv und stabil. Es geht vorwiegend um die Verteilung der finanziellen Lasten zwischen 28 Mitgliedstaaten. Es ist deswegen nicht einfach, das ganze System von heute auf morgen zu verändern. Eine Veränderung kann deswegen nur in kleinen Schritten vorangetrieben werden. Ich freue mich auf die Debatten dazu und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Der Kollege Dr. Diether Dehm spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke will mehr Eigenmittel für Europa, weil ein friedliches, soziales und ökologisches Europa mehr braucht. Hier ist als Königsweg - der Kollege Feiler hat das hier eben angedeutet - eine eigene EUKörperschaftsteuer in der Diskussion. Damit könnte Europa immerhin dem Wettlauf um immer niedrigere Steuern für das Großkapital einen Riegel vorschieben. Einzelne Mitgliedstaaten, nicht nur Luxemburg, haben Steuerdumping viel zu lange als ihr Geschäftsmodell propagieren dürfen. Allein: Eine eigene EU-Steuer scheitert am unausgegorenen Konstrukt der EU, deren vertragliche Grundlage die Linke auch darum grundsätzlich kritisiert und dagegen auch geklagt hat. ({0}) Ich zitiere aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Die demokratische Grundregel der wahlrechtlichen Erfolgschancengleichheit ({1}) gilt nur innerhalb eines Volkes, nicht in einem supranationalen Vertretungsorgan, das … eine Vertretung der miteinander vertraglich verbundenen Völker bleibt. Noch einmal deutlich: Eigene Steuereinnahmen der EU scheitern so lange, wie in Ihrem EU-Konstrukt und seinen Verträgen eine demokratisch-parlamentarische Kontrolle von Steuererhebung und Mittelverwendung nicht vorgesehen ist. ({2}) Ja, wir brauchen mehr Mittel für Europa, wenn wir prosperierende europäische Wirtschaftsräume schaffen wollen, die miteinander fairen Handel treiben, inklusive Griechenland, ({3}) die ökologische Nachhaltigkeit fortschreiben wollen, inklusive Frankreich, ({4}) die Finanzkapital gerecht besteuern wollen, inklusive England, und die entsprechende Lohnerhöhungen durchsetzen wollen, inklusive Deutschland. ({5}) Das könnte eine echte Offensive für Zukunftsinvestitionen geben, aber nicht Junckers Schaufensterplan, für den aus dem aktuellen MFR auch noch erhebliche Gelder abgegriffen werden sollen. Wir brauchen wirtschaftlich schlaue und sozial gerechte Investitionen der öffentlichen Hände statt einer Subventionierung der Renditen von Finanzhaien durch die Steuerzahler über Public-private-Partnership, wie das im Juncker-Plan vorgesehen ist. Wir brauchen auch nicht die kleinkrämerische Nettosaldenlogik; Kollege Feiler hat das nur zart und höflich angedeutet. Ich füge einmal hinzu: Sagen Sie das auch Herrn Schäuble und seinen „Friends of Better Spending“, was diese Nettosaldenlogik bedeutet, nämlich: Was hole ich kurzfristig mehr aus der EU heraus, als ich hineingeben muss? Es geht in Wahrheit um europäische Solidarität, die auch uns Deutschen nachhaltiges Wirtschaften ermöglicht. ({6}) Immerhin hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnet, dass in Deutschland seit 1999 eine addierte Investitionslücke von rund 1 Billion Euro aufgelaufen ist. Wir wollen mehr für den MFR, damit Beschäftigung und Kleinunternehmen eine neue Perspektive eröffnet werden kann; denn aus dem MFR fließen über 90 Prozent der Gelder in die Länder zurück, nicht in die Taschen der Verwalter von Hedgefonds, von Bankern und anderen Großspekulanten. Wenn wir wirklich den realistischen und lebensnotwendigen europäischen Traum einer wirtschaftlichen und sozialen Kohäsion, einer Angleichung von Spanien über Griechenland bis Frankreich und Schweden erreichen wollen, dann ist die national-egomanische Nettosaldenlogik ebenso fatal, wie es die Bankenrettung der letzten Jahre war. ({7}) So aber versorgt der MFR 2014 bis 2020 die EU nicht mit den vor allem im Kampf gegen die Krise nötigen Mitteln. Hinzu kommt noch, dass laut Kommission seit 2007 die Investitionen EU-weit um 15 Prozent gesunken sind. Zumindest an den leidigen Britenrabatt und die „Rabatte der Rabatte“ könnten Sie jederzeit ohne verfassungsrechtliche Bedenken ran. Meine Fraktion wird den Gesetzentwurf ablehnen, weil er für Deutschland zu kurz gedacht und für Europa zu wenig ist. Danke schön. ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Uwe Feiler hat bei diesem spannenden Thema, „Eigenmittelsystem der Europäischen Union“, vieles zu Recht erläutert. Dabei führt das Wort „Eigenmittel“ eigentlich in die Irre. Es suggeriert, dass die EU wirklich eigene Mittel besitzt. Das ist ja nun nicht der Fall. Tatsächlich kommen 85 Prozent der Einnahmen der EU von den Mitgliedstaaten. Lediglich 15 Prozent der Einnahmen werden aus Zöllen und Agrarabgaben bestritten. Deswegen hat in diesem Zusammenhang der Sachverständige Henrik Enderlein betont - zu Recht, meine ich -, dass diese Eigenmittelstruktur, die duale Legitimationsstruktur, die Governance der EU, nicht widerspiegelt. Eigentlich müssten wir eine hälftige Aufteilung haben: eine echte steuerliche Quelle für die eine Hälfte und für die andere Hälfte Beiträge der Mitgliedstaaten. ({0}) Wir, die Bundesrepublik Deutschland, tragen in den Jahren 2014 bis 2020 jährlich mit über 30 Milliarden Euro zum Haushalt der Europäischen Union und damit auch zur ausreichenden Ausstattung der verschiedenen Politikbereiche bei - ich glaube, das muss man hier noch einmal ganz deutlich erwähnen -, ansteigend von über 31 Milliarden Euro im Jahre 2014 auf 35,77 Milliarden Euro in 2020. Das heißt, wir schreiben das bestehende System fort, weil man sich anders nicht hat verständigen können. Es ist bekannt, dass die Leistungen der Mitgliedstaaten in einem nicht sehr transparenten Verfahren aus dem Mehrwertsteueraufkommen und dem Bruttonationaleinkommen bestimmt werden, abzüglich möglicher Rabatte und Rabatten von Rabatten. Die Kritik, dass dieses Verfahren intransparent ist und sich nicht an den Aufgaben der Europäischen Union orientiert, ist damit nicht ganz von der Hand zu weisen. ({1}) Der vorliegende Eigenmittelbeschluss, der Teil der sehr schwierigen Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen ist, löst diese Probleme nicht, jedenfalls nicht vollständig. Aber, Herr Kollege Dehm, er ermöglicht es der Europäischen Union, in einer ihrer größten Krisen weiterhin handlungsfähig zu sein. Das hätten Sie zumindest konzedieren können. Wir stehen in einer Krise in Europa, und deswegen sollten wir die nächsten Jahre nutzen, um über weitere Schritte im Eigenmittelsystem und der EU nachzudenken. Diese europäische Doppelkrise - Finanz- und Wirtschaftskrise einerseits und Russland-Ukraine-Krise andererseits und ihre sozialen Auswirkungen, insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit - haben Europa verändert und machen weiteren Handlungsbedarf deutlich. Zudem fordern uns - das haben wir vorhin an einem Beispiel erlebt - rechte und linke Populisten und Nationalisten heraus. Das gefährdet die Zukunft Europas in meinen Augen. Die Zukunft Europas ist aber eine Schicksalsfrage für uns, gerade in Anbetracht der Krisen und geopolitischen Veränderungen. Deswegen müssen wir uns entscheiden: weitere Renationalisierung oder eine verstärkte europäische Integration. In der Renationalisierung liegt keine gute Zukunft für die europäische, westlich orientierte Wertegemeinschaft. ({2}) Diese Erkenntnis muss aber auch praktische Konsequenzen haben. Ich füge hinzu: auch bei den Eigenmitteln. Diese Konsequenz müssen wir im weiteren Prozess - ich verweise auf die Expertenkommission um Mario Monti, die bis zum nächsten Jahr Vorschläge vorlegen soll - auch wirklich aufbringen. Mittlerweile müssen ja alle in Europa den Schuss gehört haben und wissen, was auf dem Spiel steht. Dem muss man sich dann auch in einer solchen Frage wie der der Ausgestaltung der Eigenmittel stellen, weil die Struktur der Eigenmittel hinter dieser Entwicklung zurückbleibt. Das ist nicht verwunderlich wegen der unterschiedlichen Interessenlagen der 28 Mitgliedstaaten; schließlich braucht man Einstimmigkeit. Wir könnten versuchen, wie es der Kollege Feiler dargestellt hat, das Ganze in kleinen Schritten zu verändern. Das würde in meinen Augen aber bedeuten, zu viele Kompromisse eingehen zu müssen, die das System wahrscheinlich weiter verkomplizieren. Das ist die Erfahrung der Vergangenheit. Dann ist zu überlegen, ob nicht durch eine Körperschaftsteuer oder eine andere Steuerquelle die Abhängigkeit des EU-Haushaltes von Mitteln der Mitgliedstaaten reduziert werden kann. Es scheint sogar Konsens zu sein - jedenfalls bei denen, die sich damit beschäftigen -, dass man das versuchen sollte. Oder - das wäre das Beste, liebe Kolleginnen und Kollegen - wir nutzen am besten die aktuellen Krisen, die Druck erzeugen, und streben eine Verständigung über die weiteren Schritte der europäischen Integration - insbesondere für die Währungsunion - an. Denn nur dann, wenn wir darüber Klarheit herstellen können, welche Aufgaben die EU zukünftig übernehmen soll, können wir auch das hierfür notwendige Eigenmittelsystem bestimmen. Ich glaube, wir sollten einer solchen Logik folgen, zumindest den Mut haben, etwas mutiger zu werden und das zu versuchen - und nicht von vornherein in der nächsten Zeit nur eine Politik der kleinen Schritte machen. ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Rabatt auf den Britenrabatt und die „Nacht der langen Messer“ - es gibt so vieles im europäischen Haushaltswesen in Sachen Eigenmittel, was man eigentlich niemandem erklären kann. Wie soll man eigentlich jemandem erklären, dass der Rabatt, den Deutschland auf den Rabatt des Vereinigten Königreichs bekommt, eigentlich von den Menschen in Griechenland bezahlt wird? Doch es ist so ähnlich, wie es die Vorredner gesagt haben. Die notwendigen Veränderungen werden auch durch ein System des „Juste retour“ verhindert. Dabei lässt jeder seinen Computer ausrechnen, was am Ende der Entscheidung für ihn in der Nettozahler- oder Nettoempfängerposition herauskommt. Mit der Einstimmigkeit ist natürlich auch die Situation gegeben, dass man die Schritte, die man gehen müsste, nicht gehen kann. Es gab dazu interessante Versuche. Beim letzten großen Gipfel wurde versucht, die Zettel zu verbieten, mit denen die Computer gefragt werden, wie viel Geld am Ende herauskommt. Wir müssen uns aber wirklich - da möchte ich den Kollegen Poß unterstützen - Folgendes vor Augen halten: Viele „Nächte der langen Messer“ - so werden diese großen Gipfel genannt, auf denen am Ende die Höhe der Beträge ausgemacht wird - werden wir uns nicht mehr leisten können, weil sie an die Legitimität der Europäischen Union gehen und das Vertrauen der Menschen untergraben, dass wir gute Kompromisse machen können. Wir haben das Eigenmittelsystem aufgebaut, um die Europäische Union von nationalen Interessen unabhängiger machen zu können. Das zweite Problem, das wir auch vor Augen haben müssen, besteht darin, dass wir aber durch den tatsächlichen Erfolg der EU - dabei geht es um die Abschaffung der Zollgrenzen im Inneren als auch um die Schaffung von weltweiten Abkommen, die zur Zollfreiheit führen - letztlich - nach dem Motto von Greenpeace, die es immer haben wollten - erreicht haben, dass die EU das abschafft, was sie selber finanziert. So wird es nicht funktionieren. Deswegen ist eine Reform des Eigenmittelsystems wirklich notwendig. ({0}) Die Kommission und das Europäische Parlament haben das schon vor Verabschiedung des letzten mehrjährigen Finanzrahmens eingefordert. Man muss sagen, dass auch die deutsche Bundesregierung nicht bereit war, dazu beizutragen, wirklich zu einer Reform zu kommen. Deswegen ist es entscheidend, dass jetzt die Arbeit der Monti-Gruppe als Ausgangspunkt genommen wird, um auch mit dem „Juste-retour-Denken“ der deutschen Bundesregierung endlich Schluss zu machen und diesen Pfad zu verlassen, wie Herr Feiler gerade richtig gesagt hat. ({1}) Ich freue mich, Diether, dass du mehr Geld für Europa forderst. Ich dachte immer, es gibt kein richtiges Leben im falschen; aber offenkundig bist du noch nicht ganz verloren. Immerhin willst du für das neoliberale böse Monsterprojekt EU mehr Geld haben. ({2}) Da sind wir uns schon mal einig. Dafür möchte ich herzlich danken. Das ist eine gute Sache. Ich möchte - weil an einer Stelle dann doch die Begrenztheit deiner Fraktion zum Ausdruck kam -, um über nationale Grenzen hinwegzudenken, die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung richtigstellen. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich nicht gesagt, man könne keine Steuerkompetenz für Europa einführen, weil Europa nicht demokratisch sei. Es hat lediglich gesagt, dass die Gesamtverantwortung mit ausreichenden politischen Freiräumen für Einnahmen und Ausgaben noch im Bundestag liegt. Das heißt, innerhalb dieses Rahmens kann man durchaus mehr für Eigenmittel und echte EU-Steuern tun, wofür wir uns einsetzen. ({3}) Es ist eine wirklich gute Idee, über eine Mehrwertsteuerreform und über die Finanztransaktionsteuer zu reden. Am Ende eine EU-Unternehmensteuer - vielleicht über den Weg einer gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage - zu erreichen, ist eine gute Idee. Das wollen auch wir angehen. Wir Grünen glauben, dass man versuchen muss, das Projekt der europäischen Einigung jetzt entschlossen voranzutreiben, weil es Besonderheiten gibt, die man sich bei dem trockenen Thema EU-Haushalt kaum anzusprechen traut. Der EU-Haushalt ist nämlich eine verdammt gute Idee, die gleichzeitig auch noch verdammt erfolgreich ist. Er schafft es, Kohäsion und Konvergenz zu erzielen. Das heißt, der EU-Haushalt ist das Instrument, mit dem wir dafür sorgen, dass ärmere Regionen zu mehr Wohlstand kommen, ohne dabei auf Kosten anderer zu leben. Das ist gelebte Solidarität, die wir über den EU-Haushalt organisieren. ({4}) Deswegen ist Europa sein Geld wert. Wir Grünen sehen das. Wir sehen, dass 70 Prozent dessen, was im EU-Haushalt ausgegeben wird, in Investitionen geht. Wir sehen, dass viele Länder - gerade Länder in schweren Wirtschaftskrisen, ob Portugal oder Ungarn - ohne den EU-Haushalt gar nicht mehr investieren könnten. Wir sehen, dass der Haushalt der Europäischen Union das richtige Instrument ist, um in der Krise antiManuel Sarrazin zyklisch gegen Armut und Verwahrlosung angehen zu können. Deswegen meinen wir, dass es richtig ist, dass Europa Eigenmittel bekommt, und wir befürworten, dass heute im Bundestag eigenes Geld für Europa beschlossen werden soll. Aber wir finden, dass das Eigenmittelsystem anspruchsvoller werden muss und dass Europa mehr Eigenmittel braucht. Deswegen enthalten wir uns in der Abstimmung, weil uns der vorliegende Gesetzentwurf nicht weit genug geht. Vielen Dank. ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Alexander Radwan, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute den Eigenmittelbeschluss, der im Rahmen der mehrjährigen Finanzplanung gefasst wurde. Schon dem letzten Beschluss, der im November 2013 für die Jahre 2014 bis 2020 gefasst wurde, ging eine heftige Diskussion voraus. Wie üblich waren Kommission und Parlament in ihren Vorgaben durchaus großzügiger als das, was am Schluss herausgekommen ist. Angesichts des Ergebnisses war ich gerade mit Blick auf den deutschen Haushalt und unsere Politik hier froh, dass zu dem Zeitpunkt Großbritannien und Deutschland hart sein konnten und sagen können: Wir sparen in Deutschland, und da geht es nicht an, dass man in Europa nicht spart. - Das ist durchaus ein Vorteil des jetzigen Systems. Wenn wir über die weitere Entwicklung dieses Systems reden, müssen wir genau darauf achten, was am Schluss herauskommt. Die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister haben dafür gesorgt, dass die deutsche Sparphilosophie ein Stück weit auch in Europa gewahrt bleibt, und das war richtig so. ({0}) Es wurde schon mehrfach gesagt: Die Einnahmenund Ausgabenseite sind maßgeblich. Es gibt Kritikpunkte wie eine mangelnde Transparenz und ein sogenanntes Demokratiedefizit, den Vorwurf, dass die einzelnen Mitgliedstaaten wichtiger sind als die europäischen Institutionen und dass das Ganze zu komplex ist. Ich kenne die Diskussion schon sehr lange. Ich war selber zehn Jahre im Europäischen Parlament und habe sie von dort aus verfolgen dürfen. Es gab etwa den Wunsch nach einer eigenen Steuererhebungskompetenz oder die Forderung nach einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für den Mehrwertsteuersatz. Das sind tiefgreifende Diskussionen. Bei einigen Beiträgen wundert es mich, dass man der Meinung ist: Wenn man das System ändert, dann wird auf einmal aus dem ach so neoliberalen und kapitalistischen Europa ein soziales. ({1}) Die Kausalität, dass eine Systemänderung gleichzeitig zu einer Politikänderung führt, finde ich bemerkenswert. Es kam schon Kritik an bestimmten Politiken zur Sprache. Wir diskutieren die Frage - Sie hatten das angesprochen, Herr Kollege Poß -, inwieweit eine Vertiefung stattfinden soll und welche Kompetenzen abgegeben werden sollen. Das sollte und kann man diskutieren. Aber wenn die Kompetenzen einmal weg sind, dann sind sie weg. Mit den entsprechenden Ergebnissen hat man dann zu leben, auch wenn es irgendwann im Rat und im Parlament andere Mehrheiten gibt. ({2}) - Genau. Auch Deutschland ist ein demokratischer Staat. Sie können gerne der Meinung sein, dass wir in Deutschland die Kompetenzen im Bereich der Steuererhebung verlagern sollten, statt sie selber zu behalten. Sie können durchaus dieser Meinung sein. Ich bin der Meinung, für die Steuerpolitik sollten erst einmal die Nationalstaaten Verantwortung tragen. Auch das bewegt sich im Rahmen der Demokratie und ist nicht antidemokratisch. ({3}) Automatisch zu sagen, das sei antidemokratisch, halte ich für abenteuerlich. ({4}) Wir sollten also genau darüber nachdenken, in welchen Bereichen wir eine Vertiefung der EU und eine Verlagerung der Kompetenzen wollen. Dabei müssen wir genau schauen, wie die aktuelle Situation ist. Was ist realistisch? Zurzeit gilt die Einstimmigkeit auf europäischer Ebene in Steuerfragen und Eigenmittelfragen. Wir wissen, dass es in absehbarer Zeit ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union geben wird. ({5}) Wir können natürlich gerne eine solche Diskussion momentan mit Großbritannien führen. Jeder, Herr Kollege Sarrazin, der sich mit Europa auseinandersetzt, weiß, wie diese Diskussion in Großbritannien geführt wird. ({6}) - Die ist im Mai dieses Jahres. Bis Mai dieses Jahres werden Sie dieses Thema nicht gelöst haben, selbst Sie nicht. Das müssten selbst die zugestehen. Wir müssen also genau schauen, welche Themen wir vorantreiben. Ich kann mir durchaus ein abgestuftes Vorgehen dabei vorstellen, eine gemeinsame Bemessungs9246 grundlage in bestimmten Bereichen zu finden. So könnte man die Festlegung der Steuersätze in nationaler Verantwortung belassen, aber sich bei der Frage, wie Gewinne ermittelt werden, darauf einigen, dass Gewinne oder Verluste nicht mehr durch Verschiebungen von einem Staat in den anderen generiert werden können. Ich plädiere also für ein abgestuftes Vorgehen. ({7}) Man könnte darüber nachdenken, auch bei der Finanztransaktionsteuer abgestuft vorzugehen, wobei ich hier schon anmerken möchte, auch wenn ich den Prozess der vertieften Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten unterstütze: Wir haben zum ersten Mal ein neues System der Gesetzesfindung auf europäischer Ebene, das bisher keine Anwendung gefunden hat. Wenn dieses System erfolgreich sein sollte, wofür wir alle werben und wofür wir kämpfen, kann das auch in anderen Bereichen der Zusammenarbeit dazu führen, dass sich Staaten zusammentun und entsprechend vorangehen. Wir müssen die politischen Situationen in den Mitgliedstaaten und die Haltung der Bevölkerungen beachten. Darum ist bei dem Thema der Integration und Vertiefung sehr wohl darauf zu achten, welche Diskussion wir lostreten und welche Staaten wir mitnehmen. Ich plädiere dafür, dass wir das Thema der Eigenmittel und der Finanzierung Europas behutsam angehen und dass wir realistisch vorgehen. Was mich an Diskussionen, die auf nationaler Ebene geführt wurden, oft gestört hat, ist, dass man gesagt hat: „Wir werden das Problem jetzt europäisch angehen, und wir werden es europäisch lösen“ - das ist auch in diesem Hohen Hause verkündet worden -, ohne dass es eine Aussicht gegeben hätte, auf europäischer Ebene einen Konsens zu finden. Dann waren die Enttäuschungen über Europa groß, und Europa wurde die Schuld gegeben. Die Leute fügen Europa einen Schaden zu, sie erheben Forderungen, von denen sie schon während der Debatte wissen, dass sie keinerlei Aussicht auf Realisierung haben. Besten Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Christian Petry. ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Europa braucht Visionen. Europa braucht keine technokratische Diskussion, Europa braucht Visionen auf dem Weg in ein soziales Europa, in ein Europa des Miteinanders, in ein Europa des Austausches. Dafür braucht Europa natürlich ausreichend Geld. Wir reden heute über den Beschluss des Rates der EU über die Eigenmittel vom Mai 2014 und über den Planungszeitraum von 2014 bis 2020. Die EU-Eigenmittel speisen sich aus Zoll- und Mehrwertsteuereinnahmen sowie anteilig aus den Bruttonationaleinkommen der Mitgliedstaaten. Dazu gibt es eine sehr komplizierte Berechnung. Ein Blick in das Gesetz ist wirklich sehr interessant. Die Formeln, die dort aufgeführt sind, sind nachvollziehbar, aber wirklich nicht einfach. Ich sage das als jemand, der einmal Mathematik studiert hat. Ich kenne das aus Lehrbüchern. So kompliziert müsste es eigentlich nicht sein. Deutschland hat 31 Milliarden Euro für 2014 und nach den Berechnungen des BMF 35 Milliarden Euro im Jahr 2020 zu zahlen. Wichtig ist auch, dass die Überschrift über dem EUHaushalt nun „Intelligentes und integratives Wachstum“ lautet und die Mittel für die Schwerpunkte früherer Jahre - ich nenne zum Beispiel die Agrarförderung, den Ausgleich und die Austerität - etwas zurückgehen, es hin zu mehr Investitionen und zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa geht. Die Eigenmittelausstattung - das ist schon ein paarmal genannt worden - ist für viele Regionen in Europa natürlich segensreich, was die Förderung der Projekte angeht. Sie muss grundsätzlich diskutiert werden; das ist hier schon genannt worden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig, dass das System zu kompliziert ist, dass das Einstimmigkeitsprinzip etwas hinderlich sein kann und dass quasi eine Unabhängigkeit der Finanzierung nicht gewährleistet ist. Vorschläge werden schon lange diskutiert. Bereits 2005 hat der Europäische Rat eine Evaluierung dieses Systems beschlossen. Die sogenannte Monti-Gruppe hat ihre Arbeit aufgenommen, einen Zwischenbericht vorgelegt und bekannte Schwachstellen des Eigenmittelsystems angesprochen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass wir hierüber auch in unseren parlamentarischen Gremien sehr ausführlich diskutieren. Das ist wichtig; denn Europa braucht Visionen. Wir brauchen einen stärkeren Konsens der Staats- und Regierungschefs - dies wird immer schwieriger -, und wir brauchen positive Signale für Europa, auch aus dem Parlament heraus. Ich will einmal ein Beispiel dafür nennen, was kein positives Signal wird. Die morgige Debatte um die Maut wird mit Sicherheit kein positives Signal für Europa werden. Viele Sozialdemokraten werden zustimmen, obwohl sie eigentlich nicht viel davon halten. ({0}) Ich wünsche mir, dass es im Parlament viel mehr positive Diskussionen über Europa gibt. Eine Vision ist die Erweiterung Europas. Eine Vision ist, dass wir Europa größer machen. Es gibt weiße Flecken im mittleren Balkan. Die Staaten dort müssen den Weg nach Europa finden. Da müssen wir helfen und unterstützen. Ich nenne Moldau und Georgien. Es gibt dort beitrittswillige Länder. Die Türkei ist weiterhin ein Thema, auch wenn der Beitritt heute - vermeintlich noch in weiter Ferne liegt. Diese Visionen brauchen wir. Dafür braucht Europa eine ausreichende und vor allem unabhängigere Ausstattung mit finanziellen Mitteln. Kollege Dehm hat es gesagt: Natürlich muss man auch über das Miteinander und die Konstruktion Europas reChristian Petry den dürfen und das weiterentwickeln dürfen. Das Ziel der Vereinigten Staaten von Europa, eine echte Sozialunion, eine Europäische Union, die die Menschen mitnimmt, das ist der Anspruch, den wir an uns selber haben müssen. Es geht um ein friedenschaffendes Europa, eine Konstruktion, die wir hier aufbauen und mit unterstützen können. In diesem Sinne sind die positiven Visionen in Europa zu sehen. Zum Gesetzentwurf. Ich persönlich würde mich natürlich sehr freuen, wenn wir bereits beim nächsten Finanzrahmen eine unabhängige Finanzierungsquelle hätten, eigene Steuern der EU zum Beispiel, und die Anpassung der Steuersysteme. Herr Kollege Radwan, ich habe es nicht so verstanden, dass wir unsere Steuerhoheit abschaffen wollen; die soll es weiterhin geben. Es geht darum, dass wir eine zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit, eine neue Steuerhoheit bei der EU kreieren wollen, die allgemein akzeptiert ist. Das sollte man nicht vermengen und nicht gegeneinander ausspielen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vision eines sozialen Europas soll uns treiben. Die Eigenmittelausstattung werden wir beschließen. Bis 2020 ist das in trockenen Tüchern. Wir sollten uns sehr rasch daranmachen, das System zu modernisieren und letztlich für ein modernes, soziales und friedliches Europa zu sichern. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf! ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Das war der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt. Damit schließe ich diese Debatte. Wir kommen zur zweiten Beratung und Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4409, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4047 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen - Kooperative Holzvermarktung ermöglichen Drucksachen 18/2876, 18/3578 Über die Beschlussempfehlung werden wir nachher namentlich abstimmen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass derzeit schon eine Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Kordula Kovac, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Kordula Kovac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004604, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Wir reden heute über den Antrag zur Sicherstellung der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und somit auch über die grüne Lunge unserer Republik: den deutschen Wald. Auch bei mir zu Hause in Wolfach prägt der Schwarzwald mit seinen tief eingekerbten Tälern, Felsen, Bächen und großen, zusammenhängenden Waldgebieten die Region ohnegleichen, und das in mehrfacher Hinsicht: nicht nur wegen der biologischen Vielfalt, sondern auch wegen der Unmenge an Leistungen, die der Wald für uns erbringt. Er ist für uns ein Erholungsraum, aber eben auch ein Rohstofflieferant. Zurzeit werden die Waldflächen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich bewirtschaftet und der Verkauf von Holz ganz unterschiedlich organisiert. Diese unterschiedliche Handhabe in den Ländern hat sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt und bewährt und trägt den unterschiedlichen regionalen Besonderheiten Rechnung. Kein Landeswaldgesetz ist dabei wie das andere. Während Bayern den Holzverkauf nicht als hoheitliche Aufgabe begreift, sondern ihn vollständig privatwirtschaftlich organisiert, ist das Vorgehen in BadenWürttemberg ein vollkommen anderes. Hier herrscht, historisch gewachsen, eine enge Kooperation zwischen dem Land und der privaten Holzwirtschaft vor. Diese Form der Bewirtschaftung bringt für alle Beteiligten Vorteile und trägt maßgeblich dazu bei, den Wald nachhaltig als Ökosystem zu schützen. So unterstützen in Baden-Württemberg die Forstämter die privaten Waldbesitzer dabei, nachhaltig zu forsten. Gerade für viele kleinere Waldbesitzer ist diese Unterstützung Gold wert, ({0}) weil sie eine derartig professionelle Bewirtschaftung ihrer Waldparzellen nicht selbstständig leisten könnten. Die Zusammenarbeit zwischen dem Land und den Privaten kommt letztendlich jedermann zugute. Aber dennoch muss klargestellt werden, dass auch im Bereich der Holzvermarktung staatlicher Dirigismus niemals der freien Marktwirtschaft vorgehen kann. Als CDUAbgeordnete sage ich an dieser Stelle deutlich, dass die Union die Partei der sozialen Marktwirtschaft ist und bleibt. ({1}) Genau aus diesem Grund dürfen wir auch nicht einfach über die Bedenken, die das Bundeskartellamt unlängst gegen das Modell des Holzverkaufs in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern geäußert hat, hinweggehen. Natürlich ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwischen dem Land und einzelnen privaten Waldbesitzern eine stärkere Position auf dem Holzmarkt. Natürlich ist es so, dass das Markieren der hiebreifen Bäume durch eine zentrale Stelle bereits das Angebot deutlich einschränkt. Und natürlich ist es auch so, dass dabei für den Kunden in Bezug auf die Auswahl der Händler nur eine kleinere Auswahl zur Verfügung steht. Die Frage ist aber doch, ob diese Einschränkung schlecht ist. Für mich als Konservative ist es ein Glaubenssatz, dass nichts verändert werden muss, was sich über Jahre hinweg bewährt hat. Und genau damit dringen wir zum eigentlichen Kern dessen vor, was wir heute hier diskutieren. Ein Wettbewerb in der Forstwirtschaft soll, ja muss, möglich sein, aber nicht um jeden Preis. ({2}) Es geht vielmehr darum, wie bestehende Strukturen so angepasst werden können, dass sowohl Bewährtes erhalten bleibt, aber auch Raum für neue Ansätze geschaffen werden kann. Damit, liebe Freunde von den Grünen, kommen wir zu Ihrem Antrag, in dem viel Kluges steht, ({3}) zum Beispiel, dass Wälder bedeutende großflächige Ökosysteme sind, die durch geeignete Bewirtschaftungsmaßnahmen in all ihren Funktionen zu erhalten, weiterzuentwickeln und zu schützen sind, oder dass Wälder eine besondere Bedeutung für das Klima, für die Speicherung von Wasser sowie für die Erhaltung der Artenvielfalt haben, ({4}) und eben auch, dass die staatliche Unterstützung der Waldbewirtschaftung, wie sie zum Beispiel in meinem Heimatbundesland Baden-Württemberg praktiziert wird, in besonderem Maße den vielfältigen Ansprüchen an den Wald als Erholungsstätte für die Bevölkerung gerecht wird. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf, dass wir als Union Ihnen jede dieser Aussagen unterschreiben würden; ({5}) und auch die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, nämlich historisch gewachsene Regelungen im Kern zu erhalten und gegen den Angriff des Bundeskartellamtes zu verteidigen, sind richtig. Allerdings kommen Sie mit Ihrer Forderung zu spät. Die Große Koalition und hier insbesondere Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, der ein kluger Mann ist, haben das Problem schon vor langer Zeit erkannt. ({6}) Es ist schon längst so, dass wir dabei sind, Vorschläge auf den Weg zu bringen, wie das Bundeswaldgesetz dahin gehend geändert werden kann, dass die länderspezifischen Regelungen weiterhin bestehen bleiben können. ({7}) Im Kern wird in nächster Zeit ganz konkret darüber geredet werden können, inwiefern gerade solche forstwirtschaftlichen Dienstleistungen, die der eigentlichen Forstvermarktung vorgelagert sind, wie der Waldbau, wie die Markierung, wie die Holzernte oder wie die Bereitstellung des Rohholzes, aus dem Kartellrecht ausgeklammert werden können. Dadurch, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden die hergebrachten landestypischen Strukturen gewahrt. Wir brauchen deshalb an dieser Stelle als Union und als Koalition keine Nachhilfe von der Opposition, schon gar nicht zu sozialer Marktwirtschaft und Wettbewerb. Aus genau diesem Grund lehnen wir Ihren Antrag heute ab. Da Ihnen, liebe Freunde von den Grünen, so viel an dem Thema liegt, freuen wir uns, wenn Sie beim nächsten Mal für unsere Änderungsvorschläge stimmen. Danke schön. ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Im Grunde geht es heute um die Frage: Wollen wir sicherstellen, dass sich private Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer oder Kommunen bei der Betreuung ihres Waldes zwischen staatlichen und privaten Forstdienstleistern entscheiden können? Genau das hat das Kartellamt infrage gestellt, weil es wettbewerbsrechtliche Bedenken hat, wenn sich der staatliche Forst dort einmischt. Dieses Damoklesschwert schwebt aber schon seit Ende 2013 über den Köpfen der Beschäftigten. Ich finde, wir müssen hier jetzt Klarheit schaffen. ({0}) Für uns Linke steht völlig außer Frage, dass ein staatliches Angebot zur forstlichen Betreuung im Privat- und Kommunalwald wichtig ist. Ich habe die Debatte eigentlich bisher so verstanden, dass wir uns an dieser Stelle auch vollkommen einig sind. Gerade für die vielen Klein- und Kleinstwaldbesitzer oder für die Kommunen ist ein staatliches Unterstützungsangebot eine wichtige Alternative, vielleicht anders als bei den großen Waldbesitzern, die häufig selbst eigene Forstleute einstellen können. Als Linke wollen wir, dass genau wie bei Äckern und Wiesen auch das Eigentum am Wald in der Gesellschaft breit gestreut und dort auch verankert bleibt. ({1}) Wenn wir trotzdem eine optimale forstliche Betreuung und nachhaltige Nutzung des Waldes sichern wollen, dann brauchen wir eben professionelle Unterstützung. Ich sage: Bei staatlichen Forstleuten kann man davon ausgehen, dass die wirtschaftlichen Eigeninteressen dem Gemeinwohlinteresse deutlich nachgeordnet sind, ({2}) auch wenn sie zugegebenermaßen von den öffentlichen Haushalten der Länder nicht völlig unabhängig sind. Aber forstliches Handeln kann in dem Fall ja auch demokratisch kontrolliert werden. Die Agrarminister aller Bundesländer haben bei einer Konferenz in Potsdam im vergangenen Jahr dazu gesagt: Dadurch sind sie Ansprech- und Servicepartner für Waldbesitzer, Behörden, Bürgerinnen und Bürger. Sie genießen hohe Akzeptanz in der Bevölkerung sowie bei den maßgeblichen Verbänden der Waldbesitzer und der Holzindustrie. Diese Verbindung zwischen der Gemeinwohlverpflichtung einerseits und dem Vertrauen andererseits ist deshalb wichtig, weil es im Wald eben um mehr geht als um Holzernte. Der Bund Deutscher Forstleute, also die Gewerkschaft der Forstleute, sagt das unter der Überschrift „Der Wald ist keine Schraubenfabrik!“ so: Die Pflege und Bewirtschaftung des Waldes sind Teil der Daseinsvorsorge. Sie garantieren die Gemeinwohlleistungen zum Schutz des Klimas und der Umwelt, der Erholung und Gesundheit, der Bildung und vieles mehr. Der Wald ist mehr als Holzproduktion. ({3}) Besser kann man aus meiner Sicht die Fürsorgefunktion des Staates für den Wald nicht beschreiben. Eigentlich wundert man sich, wenn überhaupt infrage gestellt wird, dass die staatliche Betreuung von Privatund Kommunalwald möglich sein soll. Aber die Sägeund Holzindustrie hat das im Jahr 2001 kritisiert. Genau das war die Aufforderung an das Kartellamt, aktiv zu werden. Ehrlich gesagt wundere ich mich auch deshalb ein wenig darüber, weil in vielen anderen Branchen das Kartellamt viel mehr gefordert ist, um Marktdominanz einzuschränken, zum Beispiel bei den Supermarktketten. ({4}) Noch mehr wundern mich die Zweifel des Kartellamtes, weil es hier eben nicht um die Holzvermarktung und damit um Wettbewerb geht. Bei der forstlichen Betreuung geht es vielmehr um die vielen Schritte, die im Laufe des Lebens eines Waldes vor der Holzernte stattfinden müssen, also um Tätigkeiten, die dem Wettbewerbsrecht gar nicht unterliegen. Es geht zum Beispiel um die Holzauszeichnung, dass also ein staatlicher Förster feststellt, welche Bäume gefällt werden können, und dass trotzdem der Wald nachhaltig genutzt werden kann. Es geht zum Beispiel darum, einen Nadelwald, bei dem alle Bäume gleichaltrig sind, zu einem Mischwald umzubauen, damit die ökologische Funktion des Waldes gesichert wird. Deshalb ist aus meiner Sicht vor allem die fachliche Qualität der forstlichen Betreuung von Bedeutung dafür, für welchen Dienstleister ich mich entscheide. Das muss aus meiner Sicht auch gesichert bleiben. ({5}) Wenn eine Klarstellung im Bundeswaldgesetz notwendig ist, um die Bedenken des Kartellamtes auszuräumen, dann sollten wir dieses Problem endlich lösen, nicht nur weil wir endlich Rechtssicherheit brauchen, sondern vor allen Dingen weil die Beschäftigten in den Forstämtern, Forstverwaltungen und auch die Waldbesitzer Klarheit brauchen. Der Antrag der Grünen geht genau in diese Richtung, und deswegen werden wir ihm zustimmen. Ich sage aber auch: Beim Bundeswaldgesetz gibt es noch ganz andere Baustellen. Ich nenne als Beispiel die Festschreibung von sozialökologischen Mindestkriterien für die Waldbewirtschaftung. Wir haben dies immer gefordert; die SPD und die Grünen auch - ich weiß. Wenn es jetzt wirklich noch Debattenbedarf gibt, muss man das möglicherweise von der Lösung des Kartellamtsproblems trennen, damit man das zügig klären kann. Eine noch bessere Lösung wäre aber, dass es Bewegung bei den Mindeststandards gibt und sie endlich im Bundeswaldgesetz festgeschrieben werden. Wir werden diese Entwicklung jedenfalls weiter beobachten und voranbringen. Wir bleiben Ihnen auf den Fersen. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Crone, SPD-Fraktion. ({0})

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Forstwirtschaft in Deutschland ist ein ganz wichtiger Wirtschaftsfaktor. Allein in Baden-Württemberg werden die Umsätze laut landeseigener Clusterstudie aus 2010 auf 500 Millionen Euro beziffert. Zusammengenommen erwirtschafteten die Betriebe des Clusters Forst und Holz im Jahr 2008 im Ländle einen Umsatz von über 31 Milliarden Euro. Das ist eine ganze Menge. Ich hoffe sehr, dass wir hier einer Meinung sind, nämlich dass für diesen bedeutenden Wirtschaftszweig die marktwirtschaftlichen Grundsätze Anwendung finden müssen. Ich benenne diesen Fakt so explizit, weil Außenstehende bei der Debatte den Eindruck gewinnen konnten, der Forstwirtschaft, vor allem der staatlichen, gehe es ausschließlich um das Erreichen von Gemeinwohlzielen. Die sind auch dabei, klar. Aber auch der Staatsbetrieb im Forst handelt unternehmerisch. Wer Holz verkauft, ist Marktteilnehmer und kann erst einmal keine Sonderrechte für sich in Anspruch nehmen - Punkt. Nebenbei, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich hätte mir niemals gedacht, dass ich einmal Nachhilfe im Fach „Der Wettbewerb als Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft“ geben werde. Aber wir wachsen ja alle mit unseren Aufgaben. ({0}) Was finden wir also vor in der deutschen Forstwirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen? Grundsätzlich können die forstliche Beratung sowie die Vorbereitung und Durchführung von Holzeinschlägen, auch das oft beschworene Auszeichnen von Bäumen zum Einschlag von privaten Förstern, Forstingenieuren und Forstunternehmen vorgenommen werden - oder von staatlichen. In der Praxis zeigt sich aber in einigen Bundesländern, dass private Unternehmen es schwerer haben am Markt. Warum haben sie es schwerer? Hier können wir wirklich mal die Dinge beim Namen nennen, anstatt immer so kryptisch zu reden, als wüssten wir alle nicht, warum. Private Unternehmen haben es schwerer, weil die Landesforstbetriebe beihilferechtlich zumindest fragwürdige Preise unter den tatsächlichen Kosten verlangen. Die Preise sind durch den Steuerzahler indirekt subventioniert. Ich habe den Präsidenten der Forstkammer Baden-Württemberg, den CDU-Bürgermeister Roland Burger, sehr wohl gehört, als er bei der Mitgliederversammlung in Baden-Baden ins gleiche Horn blies: Künftig müssten die staatlichen Gebühren für die Dienstleistungen kostendeckend sein. Die bislang gewährte indirekte Förderung werde in eine direkte Förderung umgewandelt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das Bild zeichnen wollen, das Wirtschaftskraft, Gemeinwohl und Forderungen nach einem neuen Paragrafen im Bundeswaldgesetz umfasst, dann, finde ich, sollte das Bild auch möglichst vollständig sein. ({1}) In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in einigen Bundesländern etwas aufgebaut, was die eine Seite als „Einheitsforstamt“ bezeichnet, die andere als „Monstranz desselben“ geißelt. Dieses Rundumwohlfühlpaket - so wurde es oftmals genannt - für alle Waldbesitzer, egal ob Staats-, Kommunal- oder Privatwald, beginnt bei den Pflanzungen und endet bei der Vermarktung und dem Verkauf des Holzes. Diese gängige Praxis rief bereits 2002 - das ist eben schon gesagt worden - das Bundeskartellamt nach einer Beschwerde der Sägeindustrie auf den Plan. Damals schon im Blickfeld: Baden-Württemberg. Am Ende der Untersuchungen der 1. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes steht ein beachtliches Monopol. Andere nennen es Syndikat, wieder andere Vertriebskartell. Fakt ist: 60 Prozent des Rundholzaufkommens vertreibt der Landesbetrieb ForstBW. Das ist nicht nur Holz aus dem Staatswald, sondern auch Holz aus Kommunal- und Privatwäldern. ForstBW verhandelt für alle Waldbesitzer die Preise und bestimmt Kunden und Verkaufskonditionen. Das ist nicht nur ein Verstoß gegen das deutsche Kartellrecht, sondern ist auch potenziell geeignet, den innerstaatlichen Wettbewerb in der EU zu behindern. Das ist laut dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verboten. Früher lag die Schwelle für eine den Markt beherrschende Stellung bei 30 Prozent, heute bei 40 Prozent. In Baden-Württemberg sind es aber 60 Prozent. ({2}) Und was, lieber Harald Ebner, steht noch mal im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen von 2013 auf Seite 65? Sie fordern darin eine Stärkung des Bundeskartellamtes „bei der Regulierung von … monopolistischen Märkten“. ({3}) Sehr geehrte Damen und Herren, die Verhandlungen des Landes Baden-Württemberg in dem Kartellverfahren sind gescheitert. Das ist schade, denn Ende 2014 standen alle Zeichen auf Einvernehmen. Betreuungsangebote durch das Land für kleine private Waldbesitzer wären vom Kartellamt gebilligt worden. Da deren Holzmenge im Regelfall deutlich unter 100 Hektar liegt, hatte das Kartellamt eine entsprechende Schwelle pro Waldbesitzer vorgesehen. Ich will diesen Fakt noch einmal erklären, liebe Kollegen und Kolleginnen: Mit der 100-HektarSchwelle würdigt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen den Arbeitsgemeinschaftsgedanken, ohne den die forstwirtschaftliche Leistung nicht möglich wäre. Heißt: Eine gedeihliche Kooperation zwischen Land und Waldbesitzern unterhalb dieser Schwelle wäre möglich gewesen. Ehrlich gesagt: Ich hätte es besser gefunden, wenn Forstminister Bonde weiter mit dem Bundeskartellamt nach einer vernünftigen Lösung gesucht hätte. Das Land wird jetzt voraussichtlich die Untersagungsentscheidung abwarten, um diese dann gerichtlich überprüfen zu lassen. Ländersache also? Oder doch nicht? Hoffnungsvoll blicken jetzt alle Beteiligten des Landes auf unser Landwirtschaftsressort im Bund. Auch die SPD-Bundestagsfraktion steht einer Änderung des Bundeswaldgesetzes nicht ablehnend gegenüber, ({4}) wenn sie denn ordentlich gemacht ist, also aus verfassungsrechtlicher Sicht okay ist, und wenn die fachlichen Probleme in den Ländern gelöst würden. Das ist die Prämisse der SPD an Gesetze: gute Gesetze und nicht Symbolpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) In insgesamt fünf Bundesländern sind die Strukturen bedenklich; folglich sind sie es in elf anderen Bundesländern nicht. Die Frage, die wir uns als Bundespolitiker stellen müssen, ist doch die: Warum sollte der Bund in die föderalen Strukturen ordnungsrechtlich eingreifen, wenn kartellrechtlich unbedenkliche Lösungen vor der Haustür liegen? Das Verfahren ruft zu Recht Kritiker und Mahner einer Gesetzesänderung auf den Plan. Was oftmals nicht gesehen oder besser nicht gesagt wird: Auch die Forstpartie hat keine einheitliche Position. Liebe Kolleginnen und Kollegen, selten wurde das Für und Wider präziser, klüger und vielschichtiger erwogen als beim Kolloquium in Freiburg. Ein bisschen mehr Verliebtheit in die Mühen des Details würde ich mir auch für unsere Debatte hier im Hohen Hause wünschen. ({6}) Wir sind doch nicht der verlängerte Arm von Landesministern, lieber Harald Ebner. Wir tragen hier doch nicht Landespolitik aus, sondern suchen Gesetzesbegründungen für Geeignetheit und Erforderlichkeit der geplanten Kartellrechtsausnahme. ({7}) Nebenbei: Die Beantragung, über die Beschlussempfehlung eine namentliche Abstimmung durchzuführen, finde ich ziemlich kleinlich. ({8}) Als Abgeordnete sage ich: Das BMEL ist immer noch am Zug, an einer tragfähigen Formulierung für eine kartellrechtliche Lösung im Bundeswaldgesetz zu arbeiten. Hier wünsche ich mir von unserem Hause ein bisschen weniger sachdienlich-juristische Hinweise von außerhalb und ein Mehr an vertraulicher und konstruktiver Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft. Da ist bislang einfach zu wenig gelaufen. ({9}) Sehr geehrte Damen und Herren, bestimmt vermissen Sie in meiner Rede bereits die berühmten drei Worte: gute fachliche Praxis. Das Bundesumweltministerium fordert deren Verankerung im Bundeswaldgesetz. Ich finde, für diese Forderung hat das BMUB gute Gründe, zum Beispiel, wenn eine Liberalisierung befürchtet wird. Es hilft übrigens auch ein Blick in das SPD-Regierungsprogramm von 2013. Bei Bündnis 90/Die Grünen finden Sie es auf Seite 157, Harald Ebner, zur Erinnerung. Warum Sie jetzt davon nichts mehr wissen wollen, müssen Sie mir mal in einer ruhigen Minute erklären. Vielleicht finden wir ja die Zeit. Ich darf auch daran erinnern, dass wir 2008 in der Großen Koalition kurz vor der Einigung auf gemeinsame Kriterien zur guten fachlichen Praxis standen. ({10}) Was ist eigentlich so schlimm an ökologischen Mindeststandards im Wald, dass wir es nicht einmal schaffen, uns darauf zu verständigen, darüber zu sprechen, zu erörtern, wo Schnittmengen liegen könnten, wie ein Kriterienkatalog aussehen könnte, der dann für alle gilt? Denn dem, der sagt, das könne doch jedes Bundesland in den Gesetzen selbst regeln, da brauche es keine Ordnungspolitik von Berlin aus, dem sage ich: Ja! Das gilt dann aber auch für die kartellrechtskonformen forstlichen Strukturen. Ansonsten ist es föderal konfus. ({11}) Es gilt das von unserer Seite Gesagte in der vorliegenden Beschlussempfehlung: Die SPD-Bundestagsfraktion ist bei einer Änderung des Bundeswaldgesetzes an Bord, wenn uns die Regierung einen guten, fachlich und grundrechtlich haltbaren Entwurf vorlegt. Ich danke Ihnen. ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Harald Ebner von Bündnis 90/Die Grünen.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Waldwirtschaft blickt zu Recht stolz auf eine 300-jährige Tradition der Nachhaltigkeit zurück. Das ist ein Fundament, auf dem wir angesichts der Herausforderungen von Klimawandel und Artensterben aufbauen könnten - könnten, wenn das Kartellamt nicht wäre, das den Wald als reine Rohstoffquelle für Rundholz betrachtet. Wälder sind aber - das hat die Kollegin Tackmann schon gesagt - nicht nur Holzlieferanten, sondern haben viele Gemeinwohlfunktionen bei Klimaschutz, Luftreinhaltung, Wasserhaushalt, Artenvielfalt, Naherholung usw. ({0}) Darum ist es heute und auch in Zukunft existenziell, dass Wälder nicht allein nach Renditekriterien und maximaler Holzausbeute bewirtschaftet werden. Die staatlichen Forstverwaltungen haben die verschiedenen Waldfunktionen in ihrem Arbeitsauftrag. In vielen Bundesländern übernehmen sie für private Waldbesitzer kleiner Waldflächen und für waldbesitzende Kommunen Auswahl und Auszeichnung von Bäumen und bestimmen so ganz wesentlich das Erscheinungsbild unserer Wälder. Das hat sich seit Jahrzehnten für die Waldbesitzer, für das Gemeinwesen, für die Steuerzahler und für die Natur bewährt. Auch die Sägeunternehmen betonen im Übrigen, wie praktisch die Bündelung der Holzmengen durch die Landesforstbetriebe sei, dadurch hätten sie eine verlässliche Rohstoffversorgung und keinen zersplitterten Einkauf. Dennoch fordert das Bundeskartellamt nun faktisch die Zerschlagung dieser bewährten und breit akzeptierten Strukturen. Warum? Der Bundeskartellamtspräsident hat es auf den Punkt gebracht: Er hält es nicht für hinnehmbar, dass aus Gründen der Preisgestaltung Holzvorräte ungenutzt in den Wäldern stehen bleiben und nicht dem Markt zugeführt werden. ({1}) Das zeigt: Es geht hier gar nicht um die Frage, wer Holz vermarktet, sondern nur um die maximale Steigerung der Holzmenge. Alles andere soll diesem Kriterium untergeordnet werden. Das Kartellamt sieht hier im wahrsten Sinne des Wortes den Wald vor lauter Bäumen nicht. ({2}) Mit Nachhaltigkeit hat das gar nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Das ist ein Generalangriff auf die Tradition von Carlowitz, meine Damen und Herren. ({3}) Die traurige Folge dieses Irrwegs ist ein Kartellverfahren gegen die Forstverwaltung Baden-Württemberg. Auch andere Bundesländer sind aufgrund ähnlicher Strukturen bereits im Visier. Jetzt drohen jahrelange Rechtsstreitigkeiten, Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe usw. Auch die Sägeindustrie, die das alles veranlasst hat, fragt sich inzwischen, wie sie die Geister, die sie da rief, wieder loswird. Wichtiger Dreh- und Angelpunkt ist jetzt: Was zählt zur Holzvermarktung? Etwa schon die Entscheidung darüber, welcher Baum oder welche Baumart im Wald stehen bleibt? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Holzvermarktung fängt am Wegrand an und nicht vorher. Um das ein für alle Mal klarzustellen, und zwar so, dass es auch das Bundeskartellamt kapiert, muss das Bundeswaldgesetz, Herr Bleser, zügig geändert werden. Genau darum geht es in unserem Antrag, um nicht mehr und um nicht weniger. Über diese Forderungen herrscht angeblich fraktionsübergreifend Konsens. Heute habe ich zum ersten Mal von der Kollegin Crone erhebliche Bedenken gehört. Diese habe ich bislang im Ausschuss nicht hören können. Die Forstwirtschaft, die Gewerkschaften, die Landräte, die Kommunen, die Umweltverbände - sie alle fordern eine schnelle Gesetzesänderung. Auch die Agrarministerkonferenz hat hierzu einen klaren Beschluss gefasst. Warum passiert hier nichts? ({4}) Viele von Ihnen haben den Betroffenen schnelle Hilfe versprochen. Doch Sie bleiben sie bis heute schuldig. Der Gesetzentwurf aus dem BMEL ist seit Monaten im Nirwana verschwunden; er taucht nicht einmal mehr in der Vorhabenplanung der Bundesregierung auf. Die Zeit drängt. Um zu verhindern, dass funktionierende Strukturen zu Bruch gehen, muss jetzt gehandelt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Ein abgestimmter Gesetzentwurf muss endlich auf den Tisch. Diffuse Bedenken oder weitergehende Forderungen, was sonst noch alles wünschenswert wäre - da stimme ich Petra Crone zu; da gibt es noch vieles -, muss man aber in einem zweiten Teil machen. Das müssen wir jetzt zugunsten einer schnellen Lösung zurückstellen. Wenn Sie jetzt sagen, liebe Frau Kovac, unser Antrag sei unnötig, Sie seien schon dran, dann muss ich Sie fragen: Wo ist denn Ihr Gesetz? Warum geht nichts voran? Von der Absicht, ein Gesetz zu machen, kann sich der Wald nichts kaufen. Seit Mitte Oktober letzten Jahres liegt unser Antrag vor. Sie haben keine inhaltliche Begründung für Ihre Ablehnung im Ausschuss geliefert. Was hätte eigentlich gegen einen gemeinsamen Antrag gesprochen? Sie haben sich nicht geregt. Heute ist die Nagelprobe dafür, wie sehr es Ihnen um die Sache geht. Bislang war Schweigen im Walde. Heute können Sie beweisen, dass Ihnen die Zukunftsfähigkeit unserer Wälder und der bewährten Forststrukturen wirklich am Herzen liegt. Deshalb fordern wir Sie auf: Sorgen Sie endlich für die notwendige Gesetzesänderung! Beenden Sie die unerträgliche Lage der vom Kartellverfahren bedrohten Länder und der Forstwirtschaft! Machen Sie einen Knopf dran, und stimmen Sie unserem Antrag zu, damit der deutsche Wald eine Zukunft hat! Danke schön. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Alois Rainer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Rainer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Schon 1713 legte Carl von Carlowitz den Grundstein für die nachhaltige Waldwirtschaft. Heute, über 300 Jahre später, ist dieses Prinzip in der Forstwirtschaft und in der Forstpolitik fest verankert. In seinem Werk Sylvicultura oeconomica - auf Deutsch: nachhaltige Forstwirtschaft - ging es um eine kontinuierliche, beständige und nachhaltige Nutzung des Waldes. Heute, über 300 Jahre später, ist mit 11,4 Millionen Hektar Wald ein Drittel der Fläche Deutschlands bewaldet. Mit der dritten Bundeswaldinventur bekamen wir darüber hinaus die Informationen, dass in Deutschland mehr Holz nachwächst, als wir nutzen. Zudem haben wir mehr davon als jedes andere Land in der Europäischen Union. Der gute Zustand des Waldes ist das Ergebnis einer vernünftigen Struktur- und Waldpolitik. Daher ist es richtig, dass die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder in Deutschland weiterhin so bestehen bleibt, wie sie derzeit in den Waldgesetzen des Bundes und der Länder festgeschrieben ist. Darum müssen wir nicht ständig Dinge verändern, die in der Sache bereits seit Jahren hervorragend funktionieren. Wir haben Regulatoren und Mechanismen, die sich bewährt haben und gut sind. Ich sehe derzeit keinen Anlass, in irgendeiner Weise an den gesetzlichen Stellschrauben zu drehen. ({0}) Es ist auch nicht notwendig, die Waldbesitzer mit noch mehr Auflagen und Vorschriften einzuschränken; da ich selbst Waldbesitzer bin, weiß ich, was das bedeutet. Wir werden daran festhalten, die Waldstrategie 2020 voranzutreiben und dabei verstärkt auf die Schutzziele der Biodiversitätsstrategie zu setzen, so wie wir es im Koalitionsvertrag festgehalten haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich muss Holz, das gerodet wird, auch vermarktet werden können. Hierzu möchte ich gern den Beschluss der Agrarminister der Länder vom 5. September 2014 in Erinnerung rufen. Darin stellen sie fest - ich zitiere -: … dass sich die historisch gewachsenen, länderspezifischen Strukturen in der Unterstützung von Forstbetrieben unterschiedlicher Waldbesitzarten bewährt haben. Sie halten mit ihren Einrichtungen insbesondere bei kleinteiliger Besitzartenzersplitterung regional angepasste Lösungsansätze für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung bereit. In einem weiteren Punkt bitten die Agrarminister der Länder - insbesondere die der von SPD und Grünen regierten Länder - den Bund, dafür Sorge zu tragen, dass die bewährten länderspezifischen Strukturen der Unterstützung des nichtstaatlichen Waldbesitzes erhalten bleiben, und darüber hinaus, dass die Landesforstverwaltungen dies im Sinne einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Waldbewirtschaftung in den Bundesländern weiter fortsetzen können, und notfalls die dafür nötigen gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir längst getan, oder es ist in Arbeit. Unabhängig davon, dass wir in Bayern bereits seit Jahrzehnten eine vernünftige und gut funktionierende Selbstvermarktung haben, möchte ich betonen, dass Bayern auch bei der aktuellen kartellrechtlichen Fragestellung eigentlich außen vor ist. Denn die Organisationsstruktur im Freistaat wird vom Kartellamt als vorbildlich angesehen. ({1}) Daher besteht aus unserer Sicht hier kein Handlungsbedarf. Darüber hinaus findet die geplante Novellierung des Bundeswaldgesetzes eine breite Unterstützung und große Zustimmung bei allen Beteiligten, da sie genau die Felder anspricht, die Sie in Ihrem Antrag auch nennen. Demzufolge ist der heute vorliegende Antrag zwar nicht grundsätzlich falsch, ({2}) aber absolut überflüssig, lieber Herr Kollege, ({3}) da wir bereits, wie erwähnt, seit dem letzten Jahr über konkrete Formulierungsvorschläge verfügen, ({4}) die sich derzeit in der Ressortabstimmung befinden. Ich kann Ihrem Antrag auch keine neuen Informationen entnehmen, die nicht längst bekannt sind und bereits umfassend diskutiert werden. Der Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist daher in Gänze abzulehnen. Danke schön. ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es macht sich eine allgemeine Unruhe breit wie immer vor namentlichen Abstimmungen; aber der Kollege Alois Gerig würde sich jetzt über Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit freuen. ({0}) Darf ich Sie darum bitten?

Alois Gerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004040, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich nicht nur über die ungeteilte Aufmerksamkeit, ich freue mich auch, dass wir dank des grünen Antrags das schöne Thema Wald kurz vor Ostern noch debattieren und behandeln dürfen und auch aufgrund der - ebenfalls von den Grünen beantragten - namentlichen Abstimmung hier solch eine große Präsenz haben. ({0}) Aber, liebe Freunde von Bündnis 90/Die Grünen: Es hilft nichts. ({1}) Wir werden diesen Antrag ablehnen. Er ist inhaltlich, ich möchte sagen, tadellos. ({2}) Bereits bei der Einbringung im November 2014 haben wir sehr wohl die Hand gereicht und gesagt: Die Bundesregierung ist unterwegs, ({3}) es gibt Arbeit im Hintergrund, es gibt Gesetzentwürfe. Deshalb biete ich noch mal an: Zieht doch diesen Antrag zurück, ({4}) und lasst uns im Sinne der Bedeutung des deutschen Waldes gemeinsame Sache machen! ({5}) Dann würden wir auch der Agrarministerkonferenz gerecht werden und vielen, vielen Waldbesitzern draußen in der Praxis. Ich gebe ja zu: Ich hätte mir die Ressortabstimmung auch etwas beschleunigter vorgestellt. ({6}) Eigentlich haben wir hier ein kleines Artikelgesetz, mit dem wir das Bundeswaldgesetz gemeinsam mit dem Bundesjagdgesetz behandeln und novellieren wollen; aber wir tun uns schwer in der Ressortabstimmung. Da die Kollegin Crone das BMEL benannt hat, füge ich hinzu: Wir haben mit unserem Ministerium die Federführung, und ich sehe nicht ein, dass an einem kleinen Artikelgesetz nachher alle mitberaten, dann Ministerien irgendwelche Auflagen da einbringen wollen, die diesem Gesetz nicht gerecht werden. Dem Wald - das wurde heute gesagt - geht es relativ gut. Relativ heißt: Es gibt Kalamitäten mit Ungeziefer, mit Frost oder eben auch mit Wind und Schnee. Aber wir müssen schauen, dass wir im Sinne der ökonomischen und ökologischen Bedeutung des Waldes, die immens hoch ist, unsere kleinen Waldbauern schützen. Der Wald - ein Drittel Deutschlands ist damit bewachsen - ist die grüne Lunge, CO2-Senke, er ist Erholungsraum für die Menschen. Holz ist Rohstoff und auch ein wiederentdeckter sehr wichtiger Baustoff und Energielieferant. Der bundesweite Cluster Forst und Holz macht 170 Milliarden Euro Umsatz und bietet 1,2 Millionen Beschäftigten einen Arbeitsplatz; damit ist er ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor. Ich habe eigentlich kein Verständnis dafür, dass das Bundeskartellamt, das juristisch recht haben mag, mit dem Kartellrechtsverfahren gegen Baden-Württemberg - das angekündigtermaßen auf andere Bundesländer ausgeweitet wird - genau wieder die Falschen trifft, nämlich unsere Kleinwaldbesitzer, die wegen der bescheidenen Holzpreise in den vergangenen Jahrzehnten häufig keinerlei Gewinne machen konnten. Sie alle laufen nach dem Beschluss des Kartellamts Gefahr, nicht mehr im bisherigen Maße betreut zu werden. ({7}) Das Schlimmste, was unseren Waldbesitzern passieren könnte, wäre - das sage ich vor dem Hintergrund, dass Baden-Württemberg die Vereinbarung zurückgezogen hat, ob nun zu Recht oder zu Unrecht -, dass ein Bundesland gegen das Kartellamt klagen würde. Das würde für Unsicherheit an der rechtlichen Front auf mehrere Jahre sorgen. Das wäre absolut falsch. Die bewährten Forststrukturen sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gewachsen. In BadenWürttemberg zum Beispiel sind die Forstverwaltungen überwiegend beim Land und bei den Kommunen angesiedelt. Diese Strukturen würden durch die Umsetzung des Vorschlags des Kartellamts zerschlagen, mit der Folge, dass akute Probleme bei den Kommunen als Arbeitgeber einerseits und bei den Waldbesitzern andererseits auftreten würden. Ich betone vor diesem Hintergrund noch einmal: Wichtig ist die vorgesehene, mit den bundesweit agierenden Forstverbänden abgestimmte Gesetzesänderung; das war eine recht schwierige Geburt. Einerseits werden dadurch bewährte Strukturen gesichert. Andererseits wird dadurch Raum für neue Entwicklungen in der freien Marktwirtschaft geschaffen. Ich schlage abschließend vor: Lassen Sie uns möglichst alle gemeinsam - wir liegen nur minimal auseinander - dafür Sorge tragen, dass der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in die Ressortabstimmung eingebrachte Entwurf eines Waldgesetzes übernommen wird ({8}) und dass keine Spielchen - welcher Art auch immer mit diesem relativ kleinen Gesetz gespielt werden. ({9}) Wir können uns dann glücklich schätzen und unseren Wald und unsere Waldbesitzer in eine gute Zukunft führen. Der deutsche Wald und die deutschen Waldbesitzer haben unsere volle Aufmerksamkeit verdient. ({10}) In den letzten 15 Sekunden meiner Redezeit möchte ich Sie bitten, Ihren Antrag zurückzuziehen. ({11}) Dann sind wir auf einer großen gemeinsamen Linie. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Damit ist die Aussprache beendet. Da ich davon ausgehe, dass die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen Ihrer Bitte, Herr Gerig, nicht folgt, kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti- tel „Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen - Kooperative Holzvermarktung ermöglichen“. Der Aus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3578, den Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2876 abzulehnen. Wir stimmen auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses namentlich ab. Zu dieser Abstimmung liegen uns bisher 49 Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts- ordnung vor.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen be- setzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim- mung. Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich sehe keine Kolleginnen und Kollegen mehr, die nicht abgestimmt haben. Dann beende ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme ({0}) Drucksachen 18/3786, 18/3992 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) Drucksache 18/4451 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre kei- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Alexander Radwan, CDU/CSU-Fraktion. 1) Anlagen 3 bis 5 2) Seite 9258 D ({2})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Wir beraten heute die Einlagensicherung. Dabei handelt es sich um die letzte Säule der Bankenunion. Lassen Sie mich in Erinnerung rufen: Mit der Regulierung der Kapitalmärkte auf europäischer Ebene ging es los. Wir haben dann die Aufsicht eingeführt, die jetzt bei der Europäischen Zentralbank liegt, welche ihre Aufgabe angegangen ist. Diese Aufsicht - das möchte ich schon betonen - ist ein großer Fortschritt, weil wir die Banken und die Produkte jetzt grenzüberschreitend beaufsichtigen können. Die Europäische Zentralbank übt auf der einen Seite eine unmittelbare Aufsicht aus. Auf der anderen Seite werden mittelbar auch die Regionalbanken und die kleinen Banken beaufsichtigt. Von daher ist es mir schon wichtig, dass wir als Bundestag genau hinschauen, wie diese Aufsicht in der Praxis funktioniert. Wir wollten immer, dass unsere Regionalbanken mit Blick auf die Aufsicht nicht überfordert werden, die hier durch die BaFin wahrgenommen wird. ({0}) Wir haben dann auf europäischer Ebene die Abwicklung geregelt und dann national umgesetzt. Ich möchte nur anmerken: Der erste Fall ist jetzt in Österreich eingetreten. Wir haben festgestellt, dass Garantien durch den Staat Österreich, aber auch durch das Land Kärnten wohl nicht so sicher sind, wie wir uns das erhofft hatten. Ich wünsche mir, die Europäische Kommission, die immer sehr kritisch auf die verschiedenen Bereiche schaut, möge sich den Fall der HGAA in Österreich genau vor Augen führen, um zu sehen, was da passiert ist. ({1}) Heute beschließen wir die Einlagensicherung. Anders als bei der Abwicklung haben wir hier keinen europäischen, sondern einen nationalen Fonds, was ich für richtig halte: Die nationalen Banken haften für ihren Bereich, aber nicht darüber hinaus. Es geht um 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen. Es geht hier erst einmal um Verbraucherschutz. Die Erstattung bis zu einer Summe von 100 000 Euro wird zukünftig ohne Antrag gewährleistet. Damit soll auch verhindert werden, dass es künftig wieder zu langen Schlangen vor den Banken kommt - wir alle haben noch die Bilder im Kopf -, wie wir sie früher beim BankenRun erleben mussten und wie wir sie kürzlich bei der Finanzkrise in Großbritannien gesehen haben. Die Bürger sollen wissen, dass ihre Einlagen sicher sind, zumindest bis zu einem Volumen von 100 000 Euro. Wir verkürzen die Auszahlungsfrist auf sieben Tage. Das heißt, innerhalb von sieben Tagen muss ausgezahlt werden - ohne Antrag. Und wir werden - das finde ich ganz besonders wichtig - die Summe von 500 000 Euro beim Eingang bestimmter Zahlungen garantieren, zum Beispiel aufgrund von Abfindungen oder nach Immobiliengeschäften, weil dann ein größerer Betrag auf dem Konto ist. Das ist in diesem Bereich ein großer Fortschritt. Der zweite Punkt, der uns von der CDU/CSU-Fraktion wichtig ist, ist, dass das Dreisäulensystem erhalten bleibt und sich in die Struktur einfügen kann. Da hatten wir bis zum Schluss Diskussionen über die Frage: Wie ist es mit den privaten Einrichtungen? Da können wir uns sicherlich eine Weiterentwicklung vorstellen, wenn folgender Grundsatz eingehalten wird: Es handelt sich um öffentliche Gelder, und mit diesen öffentlichen Geldern muss man entsprechend vorsichtig umgehen. Ein anderer Punkt ist, dass auch Sparkassen und Genossenschaftsbanken bei entsprechenden Anpassungen - wir alle bekommen die Diskussionen über die Anpassungen mit - im europäischen Rahmen einem entsprechenden Verbundsystem der Einlagensicherung angehören können, aber unter Berücksichtigung ihrer nationalen Strukturen. Das, meine Damen und Herren, ist gelebte Subsidiarität: Wir machen europäische Vorgaben, berücksichtigen dabei aber die nationalen Besonderheiten. Ich bin sehr dankbar, dass uns das gelungen ist. ({2}) Im Zusammenhang mit dem Verbundsystem ist es wichtig, dass auch die Risikoverteilung und risikoadäquate Bemessungen der Beiträge berücksichtigt werden. Ein Punkt, den wir von der Unionsfraktion diskutiert haben - ich habe das aber auch aus den Beiträgen der Kollegen aus den anderen Fraktionen herausgehört -, ist die Frage, wie wir zukünftig mit europäischen Vorgaben der EBA im Rahmen von Level 2 und Level 3 umgehen. Die Situation ist so, dass in Richtlinien und Verordnungen Kompetenzen auf Expertengruppen wie die von EBA und ESMA verlagert werden, und diese konkretisieren dann solche Maßnahmen. Wir haben auf europäischer Ebene ein parlamentarisches Kontrollsystem: Das Europäische Parlament kann ein Veto einlegen, wenn die Kommission einen entsprechenden Vorschlag macht. Aber auch wir als Bundestag, wir als Abgeordnete des deutschen Volkes müssen und sollen darauf achten, dass die Gesetze, die wir beschließen, in unserem Sinne dann auch angewendet werden. ({3}) Wenn Probleme bei der Umsetzung auftreten, wendet man sich nämlich an den jeweiligen Abgeordneten und fragt: Was für Gesetze habt ihr gemacht, und wie geht die Verwaltung damit um? - Nach meinem Kenntnisstand haben wir hier zum ersten Mal einen Versuch gemacht. Ich bin aber nach wie vor für schärfere Regeln. Frau Präsidentin, Sie mahnen mich gerade. Mir stehen neun Minuten Redezeit zur Verfügung; jetzt wollen Sie mir nur fünf Minuten geben. Aber vielleicht war meine Information falsch.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Sie haben neun Minuten Redezeit. Wenn dies nicht ersichtlich war, dann tut es mir leid. Sie bekommen jetzt also noch vier Minuten Redezeit.

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das muss Ihnen nicht leidtun.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Sie haben jetzt noch vier Minuten Redezeit. Wenn Sie etwas kürzer reden, ist es auch nicht schlimm. ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Haben Sie eine Ahnung! - Lassen Sie mich noch einmal zur EBA kommen. Unsere Beschlussempfehlung enthält einen Passus, in dem wir klarmachen: Wir möchten, dass die entsprechenden Vorgaben der EBA die Risikoadäquanz bei den Gebühren berücksichtigen. Sollte dies nicht der Fall sein - wir wissen ja nicht, wie entsprechende Beschlüsse durch die Aufseher in Europa erfolgen -, dann erwarten wir von der BaFin, diese nicht anzuwenden; dieses Wahlrecht hat sie. Wenn sie sie anwenden will, dann erwarten wir, dass dies vorher vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages begründet wird. Das ist ein erster Versuch. Aber ich denke, da die Kapitalmarktregulierung wie andere Regulierungen auch sehr stark nach dem Komitologie-Verfahren abläuft, angefangen auf der internationalen Ebene wie Basel II oder IFRS über die europäische Ebene bis hin zur nationalen Ebene, müssen wir alles daransetzen, hier nach Möglichkeit noch strengere Vorgaben zu machen, um der Verwaltung dabei zu helfen, sich am Willen des Gesetzgebers zu orientieren. Wir haben die Diskussion um die Rolle des Rechnungshofes gehabt. Wir hatten Konsens, dass der Rechnungshof entsprechend seinen engen Vorgaben tätig werden kann. Was die steuerliche Behandlung angeht, waren wir uns einig, dass wir keine Übertragung wollen, weil wir nicht möchten, dass das Kapital zurückgeführt wird. Wenn eine entsprechende Vorgabe aus Brüssel kommen sollte, sollte die Beitragsentrichtung von Banken und Wertpapierunternehmen so sein, dass Wettbewerbsgleichheit besteht. Meine Damen und Herren, uns ist gemeinsam ein guter Schritt gelungen. Im Vergleich zu Diskussionen, die wir im Finanzausschuss über andere Bereiche, zum Beispiel Griechenland, führen, war die Atmosphäre unter den Fraktionen recht harmonisch. Unterschiedliche Auffassungen gab es nur in Details. Ich bedanke mich beim Bundesfinanzministerium für die gute, konstruktive Unterstützung. Ich plädiere natürlich für Zustimmung zu diesem Gesetz. Besten Dank. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Ich bedanke mich für die vorbildliche Einhaltung der Redezeit. Nächster Redner ist jetzt der Kollege Dr. Axel Troost, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die allermeisten von uns gilt: Wer Geld aufbewahren will und wer Zahlungen abwickeln will, hat ein Bankkonto, weil das in der Regel doch besser ist als das Kopfkissen und der schwarze Koffer. Die geldwirtschaftlichen Infrastrukturen müssen insofern erhalten bleiben und sicher sein. Das Einlagensicherungsgesetz bringt uns hier auf europäischer Ebene sicherlich einen Schritt weiter und ist insofern Bestandteil einer besseren Finanzmarktregulierung. Es zwingt nun alle dazu, sich an diese EU-Richtlinie zu halten. Dabei muss in Deutschland relativ wenig geändert werden, weil unsere Einlagensicherungssysteme den angestrebten Vorstellungen schon sehr nahekommen. Ich will aber sagen, dass wir schon noch die eine oder andere Frage haben. Trotzdem bleibt es dabei: Das Gesetz geht in die richtige Richtung. Es ist sicherlich kein großer Wurf; wir werden uns bei der Abstimmung enthalten. Wie gesagt, wir glauben aber, dass es in die richtige Richtung geht. Ich will allerdings noch drei Punkte hervorheben: Erstens. Schon mein Vorredner hat es ausgeführt: Zukünftig sind Einlagen bis zu 100 000 Euro gesichert. Zudem ist festgelegt worden, dass in bestimmten Fällen - Auszahlung einer Rente, Auszahlung einer Lebensversicherung, Einnahmen aus dem Verkauf eines Hauses und in anderen Fällen - bis zu 500 000 Euro gesichert sind. Das ist sicherlich auch vernünftig. Sicherlich ist es auch so, dass bei Pleiten kleiner Banken all diese Maßnahmen reichen werden. Wenn wirklich große, systemrelevante Banken in Schieflage geraten, wird das im Zweifelsfall nicht reichen. Allerdings kommt dann auch nicht sofort die Einlagensicherung zum Tragen, sondern es gibt dazwischen noch die Abwicklungsmechanismen; denn gerade für diese Banken sind auch andere Mechanismen geschaffen worden. Trotzdem wird es natürlich dabei bleiben, dass in solchen Fällen die Politik und möglicherweise am Ende auch die Steuerzahler weiter benötigt werden. Zweitens. Für Pleiten einzelner kleinerer Institute haben wir, wie schon gesagt, in Deutschland ein bewährtes dreigliedriges System. Insbesondere bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken ist es so, dass auch jetzt schon nicht nur 100 000 Euro gesichert sind, sondern es wird das gesamte Institut, das vor der Insolvenz steht, entsprechend gerettet. Der Kollege Radwan hat darauf hingewiesen, dass es Schwierigkeiten oder erst einmal Unklarheiten gab, ob man das deutsche System mit der Dreigliedrigkeit eins zu eins übertragen kann. Das ist weitestgehend gelungen. Ich fand das, was er eben hier ausgeführt hat, wirklich bemerkenswert und interessant. Denn letztendlich heißt es: Es gelingt nicht immer, Richtlinien so auszugestalten, dass sie den nationalen Spezialitäten im Einzelnen gerecht werden. Wenn die Europäische Bankenaufsicht - das ist die Langfassung für die Kurzfassung EBA; ich würde draußen wieder beschimpft werden, wenn ich nur „EBA“ sagen würde - für die Bundesrepublik nicht passende Umsetzungsrichtlinien festlegen würde, insbesondere was Sparkassen und Genossenschaftsbanken angeht, sodass zwischen diesen kleinen Instituten und den Zentralinstituten hinsichtlich der Beiträge ein Ungleichgewicht bestünde, könnten wir sagen: Wir sorgen dafür, dass die BaFin hier aushilft. Oder zur Not helfen wir als Bundestag aus. - Das wäre sicherlich vernünftig. Drittens. Für die meisten Bürgerinnen und Bürger steht im Augenblick gar nicht das Problem von Bankenpleiten im Mittelpunkt. Vielmehr geht es ihnen um die niedrigen Zinsen, mit denen sie so gut wie nicht leben können. Das ist als solches nicht zu dramatisieren. Man muss immer wieder hervorheben, dass in Zeiten ohne Wachstum und Inflation auch 0,05 Prozent Zinsen nicht automatisch einen realen Verlust darstellen. ({0}) Vor zwei, drei Jahren hatten wir noch 2,5 Prozent Zinsen, aber 3 Prozent Inflationsrate. Da war die Situation schlechter. Darüber hat niemand geschimpft. Trotzdem ist das natürlich ein Anzeichen, dass wir in Europa nach wie vor in einer tiefen Wirtschaftskrise stecken. Wir stecken in einer Wachstumskrise und haben eine hohe Arbeitslosigkeit. Außerdem besteht Deflationsgefahr. Deswegen ist und bleibt es so - das will ich auch an dieser Stelle sagen -, dass wir einen Politikwechsel brauchen. Wir müssen raus aus dem Kaputtsparen. Gerade aus Deutschland heraus müssen wir Impulse mit mehr öffentlichen Investitionen setzen, um eben auch Wachstum zu generieren und damit insgesamt die Euro-Zone aus diesen stagnativen Tendenzen herauszubringen. Danke schön. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Finanzkrise ist zurück in Deutschland“ - so war zumindest in der FAZ vor einigen Tagen zu lesen. „Die deutschen Privatbanken übernehmen die Düsseldorfer Hypothekenbank mit ihrem Einlagensicherungsfond“ so konnte man weiterlesen. Was war der Hintergrund? Der Düsseldorfer Hypothekenbank drohte die Insolvenz, und der bisherige Eigner Lone Star - ich sage in Klammern: wir haben früher „Heuschrecke“ dazu gesagt ({0}) war nicht bereit, sich finanziell weiter zu engagieren. Die Bank ist nicht systemrelevant. Die Bilanzsumme beträgt nur 11 Milliarden Euro - das ist für Bankenverhältnisse nicht viel -, aber sie ist wichtig für den deutschen Pfandbriefmarkt, der immerhin ein Volumen von 500 Milliarden Euro hat. Nun wird diese Bank bereits zum zweiten Mal von einem Einlagensicherungsfonds übernommen. Das erste Mal geschah das in der Finanzkrise 2008. Damit sind wir ganz aktuell bei unserem Thema, das wir heute diskutieren, nämlich der Einlagensicherung, und bei dem Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden wollen. Die Geschichte des Bankwesens war immer eng mit Krisen und dem Verlust von Kundengeldern verbunden. Ich erinnere nur an die Herstatt-Bank 1974 oder an die Bank Northern Rock in Großbritannien im Krisenjahr 2008. In Deutschland wurden lange Schlangen von Kunden vor Banken durch die Garantie von Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück verhindert. Sie garantierten die Sicherheit der Einlagen. All diese Ereignisse zeigen, wie bedeutsam der vorliegende Gesetzentwurf zur Einlagensicherung ist. Man muss sich vor Augen führen, dass es in Deutschland immerhin um die gewaltige Summe von fast 3 Billionen Euro und um die Stabilität des gesamten Finanzsystems geht. Mit dem Gesetzentwurf wird neben Aufsicht und Abwicklung die dritte Säule der europäischen Bankenunion etabliert. Damit erreichen wir eine neue Qualität der Zusammenarbeit in Europa und eine neue Stufe der Finanzmarktstabilität. ({1}) Wir wissen zwar, dass es eine hundertprozentige Sicherheit vor neuen Krisen nicht gibt. Aber die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung der Krise, wie wir sie erlebt haben, ist sehr viel geringer geworden. Anders als bei der Schaffung einer gemeinsamen Aufsicht und eines Abwicklungsregimes auf europäischer Ebene wollten wir bei der Einlagensicherung keine Vergemeinschaftung der Risiken. Der deutsche Sparer sollte nicht für die Einlagen eines Bankkunden anderswo in Europa haften, falls seine Bank insolvent wird. Wir wollten aber den Flickenteppich europäischer Entschädigungsregelungen vereinheitlichen und mit gemeinsamen Regeln neues Vertrauen schaffen und dabei die besondere Struktur des deutschen Finanzwesens erhalten. Es galt, unser traditionelles Drei-Säulen-System aus privaten Banken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit den jeweiligen gesetzlichen, institutssichernden und freiwilligen Einlagensicherungseinrichtungen in das neue europaweite System zu integrieren. Das ist zu 100 Prozent gelungen. ({2}) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir eine europäische Richtlinie um. Deshalb gilt unser Dank auch dem Europaparlament, das sich in dieser Frage sehr erfolgreich engagiert hat. ({3}) Alle Einlagensicherungssysteme eines Mitgliedstaates müssen jetzt verpflichtend innerhalb von zehn Jahren ein Mindestvermögen von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen ihrer Kreditinstitute ansparen. Damit werden europaweit für den Fall der Insolvenz einer Bank mindestens 100 000 Euro pro Anleger garantiert, in besonderen Fällen auch bis zu 500 000 Euro. Das ist allerdings nur die Basisabsicherung. Die Institutssicherungssysteme und die Einlagensicherung der privaten Banken leisten darüber hinaus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesetzesberatung war sehr konstruktiv. Dafür möchte ich mich beim Koalitionspartner, aber auch bei der Opposition bedanken. Wichtig war uns eine angemessene und risikogerechte Verteilung der Beitragslasten. Der Kollege Radwan hat es eben schon angesprochen. Die EBA ist hier in der Verantwortung, entsprechende Vorgaben zu machen. Wir werden darauf achten, dass sie auch wirklich risikoangemessen sind, das heißt, dass Institute mit hohem Risiko auch entsprechend höhere Beiträge leisten müssen. Denn wir haben ein sehr ausdifferenziertes und kleinteiliges Bankensystem, das wir erhalten wollen. ({4}) Wir haben neben einigen anderen Sachen auch die Prüfungsrechte des Bundesrechnungshofs erweitert. Er darf nun die wirtschaftliche Anlage und Verwaltung der verfügbaren Finanzmittel der Einlagensicherungssysteme sowie die ordnungsgemäße und wirtschaftliche Durchführung des Entschädigungsverfahrens überprüfen, und ich denke, das ist auch gut so. Ich freue mich über die breite Unterstützung dieses Gesetzentwurfs. Die Grünen haben angekündigt, dass sie zustimmen werden. Mit diesem Gesetz wird die Bankenunion in Europa Realität. Die Finanzmärkte werden stabiler, und die Sparerinnen und Sparer werden besser geschützt. Vielen Dank. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich verlese das Protokoll über das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zum Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Bärbel Höhn und weiterer Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen - Kooperative Holzvermarktung ermöglichen“, Drucksachen 18/2876 und 18/3578: abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben gestimmt 448, mit Nein haben gestimmt 115. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Vizepräsident Peter Hintze Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 563; davon ja: 448 nein: 115 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E. Fischer ({0}) Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Eberhard Gienger Cemile Giousouf Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Oliver Grundmann Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({1}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({2}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Katharina Landgraf Ulrich Lange Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({3}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Dr. Gerd Müller ({4}) Stefan Müller ({5}) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Kerstin Radomski Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({6}) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Ronja Schmitt ({7}) Patrick Schnieder Nadine Schön ({8}) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({9}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Armin Schuster ({10}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl ({11}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({12}) Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({13}) Vizepräsident Peter Hintze Peter Weiß ({14}) Sabine Weiss ({15}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({16}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding ({17}) Burkhard Blienert Willi Brase Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({18}) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Petra Hinz ({19}) Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Christine Lambrecht Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({20}) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({21}) Markus Paschke Detlev Pilger Sabine Poschmann Florian Post Achim Post ({22}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({23}) Bernd Rützel Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({24}) Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({25}) Matthias Schmidt ({26}) Dagmar Schmidt ({27}) Carsten Schneider ({28}) Ursula Schulte Swen Schulz ({29}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({30}) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein CDU/CSU Josef Göppel DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({31}) Thomas Nord Harald Petzold ({32}) Richard Pitterle Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Azize Tank Frank Tempel Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({33}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Marieluise Beck ({34}) Ekin Deligöz Vizepräsident Peter Hintze Katharina Dröge Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Oliver Krischer Stephan Kühn ({35}) Christian Kühn ({36}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Manuel Sarrazin Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Als Nächstem erteile ich dem Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({37})

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist in meiner Fraktion nicht üblich, dass wir vor dem Reden klatschen. ({0}) Danke schön. - Wir wollen erst einmal wissen, was gesagt wird. Aber ich danke schon einmal. ({1}) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir uns in dieser insgesamt eher von Harmonie geprägten Debatte die abendliche Zeit mit ein bisschen Humor versüßen. Tatsache ist - der Kollege hat es schon gesagt -, dass wir dem Gesetzentwurf zustimmen werden; denn auch wir meinen, dass eine harmonisierte Einlagensicherung ein unverzichtbarer Teil der europäischen Bankenunion ist. Neben der gemeinsamen Aufsicht und dem gemeinsamen Restrukturierungsmechanismus ist eine stabile Einlagensicherung eine wichtige dritte Säule. Das haben wir von Anfang an mit unterstützt. Wenn man sich im Rückblick die drei Säulen anschaut, fällt schon auf, dass die Bundesregierung bei allen drei Säulen erst einmal gezögert und gebremst hat und zum Jagen getragen werden musste. Dass jetzt trotzdem etwas Sinnvolles herausgekommen ist, ist deswegen eher der Überwindung dieser Bremsaktionen geschuldet. Bei dem Thema der Einlagensicherung haben Sie sogar mit einer Subsidiaritätsrüge versucht, das ganze Projekt zu Fall zu bringen. Zum Glück ist das nicht gelungen, zum Glück haben Sie sich nicht durchgesetzt; denn die Harmonisierung der Einlagensicherungssysteme ist ein wichtiger Schritt. ({2}) Es ist schon gesagt worden, warum das wichtig ist. Es braucht Vertrauen der Einleger, dass sie auch im Falle der Schieflage einer Bank über ihre Einlagen verfügen können. Sonst würde der Bank Run drohen, eine Destabilisierung der Situation. Das kann in Krisensituationen dazu führen, dass im Zweifelsfall der Steuerzahler einstehen muss. Die Garantieerklärung der Bundeskanzlerin und des Finanzministers Steinbrück im Herbst 2008 hat genau das impliziert. Es ist wichtig, dass es zu einer solchen Situation nicht kommt, dass es also kein Überspringen der Risiken von Banken auf Staaten gibt. Zur Aufrechterhaltung des Vertrauens brauchen wir eine Harmonisierung, damit es in Europa in Krisenzeiten nicht zu einem problematischen Wettlauf um die sichersten Systeme kommt. Wir als Grüne begrüßen jetzt den Aufbau von Einlagensicherungsfonds durch Beiträge der Institute und dass es gelungen ist, die Regelung so auszugestalten, dass auch die kleinen Banken in Deutschland, also Genossenschaftsbanken und Sparkassen, damit leben können. ({3}) Auch die Höhe der Vorsorge von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen ist vertretbar, auch wenn wir eine etwas höhere Abdeckung für richtig gehalten hätten. Wir finden es auch richtig - das betrifft die Umsetzung hier in Deutschland -, dass der Bundesrechnungshof eine Prüfungsmöglichkeit erhält. Obwohl wir zustimmen, möchte ich zwei Punkte in Bezug auf die Verhandlungsposition der Bundesregierung und die Umsetzung kritisieren. Der erste Punkt ist die gegenseitige Kreditvergabe. Die Situation in Europa würde stabiler, wenn sich die Einlagensicherungssysteme gegenseitig Kredite geben könnten. Natürlich muss man da über Fragen der Haftung und der Kontrolle reden, damit es nicht zu falschen Anreizen kommt. Aber statt dieses Problem anzugehen, hat sich die Bundesregierung von Anfang an in ihrer ablehnenden Haltung eingemauert. Das finden wir falsch. Wir hätten die Möglichkeit gehabt, über eine Vernetzung der Einlagensicherungssysteme das Gesamtsystem in Europa im Interesse der Kundinnen und Kunden noch stabiler zu machen. Hier blieb eine gute europäische Chance leider ungenutzt. ({4}) Der zweite Punkt. Auch dazu eine kritische Anmerkung. Die Richtlinie schreibt vor, dass mindestens 70 Prozent der Finanzmittel des Einlagensicherungsfonds tatsächlich einbezahlt werden müssen. Bis zu 30 Prozent der Finanzmittel können auch durch Zahlungsverpflichtungen abgedeckt werden. In der Umsetzung schöpft die Koalition diesen Spielraum vollständig aus, und das ist aus mehreren Gründen problematisch: Erstens - das ist offensichtlich - sind Zahlungsverpflichtungen weniger liquide, bieten weniger Sicherheit und sind nicht im gleichen Maß verfügbar wie Barmittel. Zweitens - das ist unter Stabilitätsgesichtspunkten viel wichtiger - wirken solche Zahlungsverpflichtungen, wenn sie in Krisensituationen abgerufen werden, prozyklisch. Das kann Krisen verschärfen. Drittens - da wird es jetzt etwas technisch - verschärft das das Problem der Belastung der Vermögenswerte in den Banken, das Problem der sogenannten Asset Encumbrance. Einfach ausgedrückt: Wenn immer mehr Vermögenswerte schon für bestimmte Zwecke reserviert werden, dann kann in Krisenzeiten nicht mehr darauf zurückgegriffen werden. Auch das wirkt krisenverschärfend. Deswegen halten wir es für falsch, die Möglichkeiten zur Abdeckung der Finanzmittel durch Zahlungsverpflichtungen vollständig auszuschöpfen. Hier stellt die Bundesregierung die Wettbewerbssorgen der Institute über die Interessen der Finanzmarktstabilität. Ich will zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft werfen. Es ist so - das finde ich gut -, dass die Kommission zugesagt hat, die Umsetzung der Richtlinie 2019 zu evaluieren und noch einmal Vorschläge zur Weiterentwicklung vorzulegen. Ich hoffe, dass das dann wirklich genutzt wird, um noch bestehende Schwächen zu korrigieren. Ich hoffe, dass dann eine deutsche Bundesregierung sich konstruktiver und europafreundlicher in die Diskussion zur Weiterentwicklung der Einlagensicherung einbringt, als es auf dem Weg zum heute zu verabschiedenden Gesetz der Fall war. Danke schön. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Matthias Hauer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Matthias Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute beraten wir abschließend über den dritten und damit letzten Baustein der europäischen Bankenunion: die Umsetzung der Richtlinie zur Einlagensicherung. Schon im November letzten Jahres ist der Einheitliche Europäische Bankenaufsichtsmechanismus in Kraft getreten, die erste Säule der Bankenunion. Die Großbanken in der Euro-Zone werden seitdem zentral durch die EZB beaufsichtigt, unterstützt durch die nationalen Aufsichtsbehörden. Die Aufsicht über die europäischen Großbanken ist damit erheblich gestärkt worden. Die zweite Säule der Bankenunion bildet seit Januar der geltende einheitliche Bankenabwicklungsmechanismus. Es gibt nun klare und europäisch einheitliche Regeln für die Abwicklung und Sanierung von notleidenden Banken. Es haften nun vorrangig die Eigentümer und Gläubiger der Banken und dann die von den Banken gefüllten Abwicklungsfonds. Mit der Umsetzung der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme, der dritten Säule der Bankenunion, gehen wir heute einen Schritt weiter. Wir schützen die Sparer noch besser vor dem Verlust ihrer Ersparnisse. Die Banken müssen die Systeme zur Einlagensicherung finanziell besser ausstatten, und das Erstattungsverfahren wird unbürokratischer, kundenfreundlicher und transparenter. ({0}) Durch die Richtlinie werden nun die Einlagensicherungssysteme EU-weit harmonisiert, und es wird ein einheitliches Schutzniveau für alle Sparer in der EU geschaffen. Gut ausgestattete und funktionierende Einlagensicherungssysteme sind ein wesentlicher Faktor, um das Vertrauen in das Bankensystem zu stärken. Auch in der jüngeren Vergangenheit konnten wir in europäischen Ländern einen guten Eindruck davon gewinnen, was passiert, wenn Vertrauen in die finanzielle Leistungsfähigkeit von Banken abhandenkommt. Die Einlagensicherung vermeidet im Krisenfall einen massiven Abzug von Spareinlagen und trägt somit dazu bei, dass sich eine Krise nicht weiter verschärft. In Deutschland haben wir schon lange ein sehr gutes System der Einlagensicherung. Die Entschädigungseinrichtungen der privaten und öffentlichen Banken, die institutsbezogenen Sicherungssysteme der regionalen Sparkassen- und Giroverbände und die Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken haben sich in der Vergangenheit bewährt. Diese etablierten und historisch gewachsenen Strukturen bleiben erhalten. Dafür haben sich CDU und CSU auch in der Vergangenheit stets eingesetzt. ({1}) - Die SPD auch. Bei der Anhörung zu dem Gesetzentwurf waren sich die Sachverständigen einig: Die Umsetzung ist gelungen. Auch die Drei-Säulen-Struktur der deutschen Bankenlandschaft wird berücksichtigt. Für die institutssichernden Systeme des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes ist nun noch die endgültige Ausgestaltung der Beitragsbemessung ein wichtiges Thema. Eine angemessene und risikogerechte Verteilung der Beitragslasten innerhalb der Systeme muss sichergestellt werden. Auch künftig haftet die deutsche Einlagensicherung ausschließlich für Einlagen in Deutschland. Bei Banken aus anderen EU-Staaten mit deutscher Niederlassung greift die Einlagensicherung des Herkunftsstaates, bei Banken mit Sitz im EU-Ausland jeweils das nationale Einlagensicherungssystem vor Ort. Eine Vergemeinschaftung der Haftung abzulehnen, das ist und bleibt eine richtige Entscheidung. Mit der CDU und der CSU wird es auch künftig kein europäisches System der Einlagensicherung geben, das eine Vergemeinschaftung der Haftung vorsieht. - An dieser Stelle hätte der Zwischenruf „Die SPD sieht das genauso!“ kommen können. ({2}) Alle EU-Länder sind durch die Richtlinie verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Banken nationale Einlagensicherungssysteme innerhalb einer Frist von zehn Jahren mit einem Mindestvermögen ausstatten. Wir erhalten damit EU-weit gleiche Standards und transparente Regeln, aber eben ohne, dass ein EU-Mitgliedstaat bei der Einlagensicherung für einen anderen Staat einstehen muss. Der Schutz von Sparguthaben in Deutschland hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die Höhe der geschützten Einlagen ist nach und nach erhöht worden, zunächst von 20 000 auf 50 000 Euro, nunmehr auf 100 000 Euro. Auch die frühere Selbstbeteiligung der Sparer von 10 Prozent ist 2009 komplett entfallen. Schon heute ist also von der Einlagensicherung geschützt, wer auf seinem Konto ein Guthaben von bis zu 100 000 Euro hat. Mit dem vorliegenden Gesetz behalten wir diese Sicherungsgrenze bei. Für einige Bereiche heben wir die Sicherungsgrenze sogar deutlich an, nämlich auf 500 000 Euro. Wer seine Eigentumswohnung oder sein Haus verkauft, wer aus einem Sozialplan als Arbeitnehmer eine Zahlung bekommt oder eine Versicherungsleistung nach einem schweren Unfall, der ist künftig stärker geschützt. Für derartige Ereignisse, bei denen üblicherweise ein großer Betrag auf einmal auf ein Konto geleistet wird, ist der Schutz bisher nämlich noch nicht ausreichend. Das ändern wir heute. In solchen Sondersituationen profitieren die Sparer künftig sechs Monate lang mit einem Betrag bis zu 500 000 Euro von der Einlagensicherung und haben somit genug Zeit, das Geld nach reiflicher Überlegung neu diversifiziert anzulegen. Uns ist wichtig, dass Sparer im Schadensfall künftig schnell und unbürokratisch an ihr Geld kommen. Sie erhalten die Entschädigung nunmehr schon nach 7 Arbeitstagen statt bisher nach 20 Tagen und müssen dafür auch keinen Antrag mehr stellen. Diese schnellere Auszahlung greift bereits ab Mai 2016. Nach der EURichtlinie hätten wir uns dafür bis zu zehn Jahre Zeit lassen können. Es ist gut, dass die Bundesregierung für eine zügige und unbürokratische Umsetzung gesorgt hat. Im Rahmen der Anhörung gab es viel Lob, nicht nur für die Richtlinie, sondern auch für das Gesetz: sowohl für die höhere Sicherungsgrenze von 500 000 Euro als auch für die rasche Auszahlungsfrist von sieben Arbeitstagen. Da darf die Opposition ruhig zugeben: Die Bundesregierung hat gute Arbeit geleistet. ({3}) Das ist mir in Ihren Reden ein bisschen zu kurz gekommen. ({4}) Die Transparenz wird durch das Gesetz erhöht. Die Kreditinstitute werden nun verpflichtet, ihre Kunden besser über die Einlagensicherung und insbesondere über das Entschädigungsverfahren aufzuklären. Zusätzlich bekommt der Bundesrechnungshof ein gesetzliches Prüfungsrecht gegenüber allen Einlagensicherungssystemen; das haben meine Vorredner schon vertieft, das will ich nicht noch einmal wiederholen. Abschließend bleibt festzustellen: Die Umsetzung ist ein wichtiger Schritt, die Sparer besser zu schützen und gleichzeitig die Banken in Finanzkrisen stabiler zu machen. Unser gutes und funktionierendes System der Einlagensicherung in Deutschland wird durch das Gesetz noch weiter verbessert. Die Sparer in Deutschland können sich darauf verlassen, dass ihre Einlagen geschützt sind. Künftig können sie davon ausgehen, dass sie im Krisenfall schnell und unbürokratisch entschädigt werden. Vielen Dank. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Christian Petry, SPDFraktion. ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 2015 wird das Jahr des Verbraucherschutzes. In vielen Bereichen stärken wir die Rechte der Verbraucher und schützen ihre Anlagen und Güter. In vielen Bereichen werden das wirtschaftliche und das finanzpolitische Handeln transparenter. Die Regulierungsmechanismen und Aufsichtsbehörden werden gestärkt. Die Reaktionen und Schlüsse aus der Finanzmarktkrise werden zügig gezogen, und durch die Einlagensicherung - es ist hier ja mehrfach genannt worden wird neben dem Aufsichts- und Abwicklungsregime die dritte Säule der Bankenunion verwirklicht. Ich denke, es ist ein guter Tag - auch, um zu dieser Stunde darauf hinzuweisen -, weil damit ein starker Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher, eine starke Reglementierung und Transparenz im Markt geschaffen werden. ({0}) Alle Staaten müssen Einlagensicherungsfonds aufbauen. Das heißt also, es wird auch für europäische Ver9264 hältnisse sicherer. Die Wertgrenzen sind genannt worden. In der Frage, ob sich europäische Sicherungssysteme gegenseitig unterstützen sollten oder nicht, bin ich nicht so absolut festgelegt, dass ich sage: Nein, das kann es auf keinen Fall geben; wir wollen nicht die Sicherungssysteme von Kroatien oder Slowenien absichern. ({1}) - Griechenland ist ein gutes Beispiel, Herr Brinkhaus. Auch das kann man immer als Beispiel bringen. ({2}) Man muss sehen, ob es im Zuge der Evaluation 2019 fachlich und faktisch gesehen Sinn macht, nochmals darüber zu diskutieren. Das ist nicht Bestandteil der heutigen Debatte. Man sollte aber, denke ich, diese Frage nicht völlig aus den Augen verlieren. Der Fonds garantiert: Im Entschädigungsfall sind die Einlagen bis 100 000 Euro und Vermögen in besonderen Lebenslagen bis 500 000 Euro sechs Monate abgesichert; das ist hier bereits genannt worden. Dies sind die unteren Grenzen; denn die Institutssicherungen leisten durchaus mehr. Ich glaube, das ist ein guter Tag, ein gutes Zeichen für die Verbraucherinnen und Verbraucher, dass ihre Einlagen sicher sind. ({3}) Anleger sollen ihr Geld ohne Antrag innerhalb von sieben Tagen zurückerhalten. Wir sind hier Vorreiter in Europa. Wir hätten natürlich auch gerne eine längere Übergangsfrist gehabt. Wir wollen aber, dass es unbürokratisch und schnell geht und dass bereits ab Sommer 2016 die Gelder innerhalb dieser Sieben-Tages-Frist zurückerstattet werden. Eine entsprechende Informationspflicht wird natürlich auch eingeführt. Wir können stolz darauf sein, dass in den Verhandlungen erreicht worden ist, dass auch die etablierten institutsbezogenen Sicherungssysteme der Sparkassen, der Volksbanken und der Raiffeisen- und Genossenschaftsbanken zukünftig als gesetzliche Sicherungssysteme anerkannt werden. Darüber hinaus ist es gut, dass das Signal ausgesandt wurde, dass beim Übergang eines institutsbezogenen Systems in ein gesetzliches Sicherungssystem keine steuerliche Mehrbelastung für Banken ausgelöst werden soll. Dies ist ein positives Signal; denn es wäre ja nicht unbedingt nachvollziehbar, wenn das, was abgesichert werden soll, auch noch zusätzlich besteuert wird. Ich glaube, hier ist im Finanzministerium gute Arbeit geleistet worden. ({4}) Hinsichtlich der risikoorientierten Beiträge, die die Banken in das Einlagesystem einzahlen müssen, soll es zu keiner Mehrbelastung der institutsbezogenen Systeme kommen. Der Wert von 0,8 Prozent ist genannt worden. Herr Dr. Schick, das ist okay. Da kann man auch über andere Beträge reden; aber als Startschuss ist das prima. 70 Prozent der Mittel müssen eingezahlt werden. Ich halte das für eine ausreichend hohe Quote. Aber auch das muss man irgendwann einmal überprüfen: War es wirklich so, oder war es nicht so? Wenn irgendwann einmal ein entsprechender Fall eingetreten ist, dann wird es zum Schwur kommen. Im Zuge der Richtlinienumsetzung wird es also keine Ungleichbehandlung der Banken in den bisherigen Sicherungssystemen geben. Auch die Begrenzung der Prüfungsrechte des Rechnungshofes auf die beliehenen hoheitlichen Teile ist damit sichergestellt. Das macht auch Sinn. Ein weiter gehendes Prüfungsrecht wäre auch nicht nachvollziehbar gewesen. Die Angleichung der nationalen Systeme in Europa ist ein wichtiges Signal für die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Anpassung der Sicherheitssysteme flankiert natürlich auch viele Projekte, die wir auf nationaler und europäischer Ebene im Sinne der Anleger und des Verbraucherschutzes umsetzen. Ich nenne hier nur einmal das Kleinanlegerschutzgesetz. Wir rücken damit den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Vordergrund europäischer und nationaler Finanzmarktpolitik. 2015 ist das Jahr des Verbraucherschutzes. Glück auf! ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset- zung der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parla- ments und des Rates über Einlagensicherungssysteme. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 18/4451, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3786 und 18/3992 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzent- wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Vizepräsident Peter Hintze Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU Drucksache 18/4215 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Subventionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen Drucksache 18/4316 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({2}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Abgeordnete Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke, das Wort. ({3})

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Oktober vergangenen Jahres hat die alte EU-Kommission kurz vor Ablauf ihrer Amtszeit mit Zustimmung des deutschen EU-Kommissars Oettinger einen unsäglichen Beschluss gefasst. Sie hat den Weg dafür frei gemacht, dass die britische Regierung den Neubau eines Atomreaktors in Hinkley Point sowie den dort erzeugten Atomstrom für 35 Jahre mit dem Geld der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen subventionieren darf. Bürgschaften von über 20 Milliarden Euro will die britische Regierung für den Bau übernehmen. Ein skandalöser Beschluss, der nicht nur die britischen Steuerzahler und Steuerzahlerinnen teuer zu stehen kommen wird. ({0}) Diese Beihilfebewilligung öffnet auch die Tür für andere Regierungen, die den unverantwortlichen Weg in die Atomenergie gehen wollen. Polen, Tschechien und andere Länder stehen bereits in den Startlöchern. Ohne staatliche Mittel würde es keine weiteren Atomkraftwerke geben - das wissen Sie alle -, weil sie beim Bau und Betrieb und mit Blick auf die Endlagerung viel zu teuer sind. Dieser Beschluss der EU-Kommission ist ein Schlag gegen die Energiewende durch erneuerbare Energien. ({1}) Deshalb stellen wir als Fraktion Die Linke heute diesen Antrag. Wir wollen erreichen, dass die Bundesregierung mit allen rechtlichen und politisch möglichen Maßnahmen und notfalls auch mit Klagen, wie Österreich und Luxemburg sie angekündigt haben, dafür sorgt, dass dieser Beschluss der EU-Kommission dahin kommt, wohin er gehört, nämlich in den Mülleimer. ({2}) Der Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Gabriel ist darin offenbar mit uns einer Meinung, genauso wie es die Grünen schon die ganze Zeit sind. Anfang März hatte er sich gegen Subventionen für neue Atomkraftwerke in Europa ausgesprochen. Auf gar keinen Fall dürften öffentliche Gelder für die Atomenergie eingesetzt werden, sagte er Anfang März. Gestern haben wir in der Fragestunde erfahren, dass das mit der Klarheit der SPD und insbesondere der Bundesregierung noch nicht so weit her ist. Staatssekretärin Zypries, die heute anwesend ist, hat auf eine Nachfrage der Kollegin Britta Haßelmann nicht beantworten können, ob es bezüglich dieser Angelegenheit tatsächlich zu einer Klarheit in der Regierung gekommen ist. Ich bin sehr gespannt, ob heute in dieser Parlamentsdebatte mehr Klarheit geschaffen wird. Denn eigentlich wäre nach den Äußerungen des SPD-Vorsitzenden davon auszugehen, dass die SPD heute Zustimmung zu unserem Antrag signalisiert. ({3}) Ich bin sehr gespannt auf die Ausführungen der SPDFraktion zu dieser Frage. Der Kommissionsbeschluss basiert auf dem europäischen Atomfördervertrag Euratom. Dieser Vertrag hat zum Ziel - ich zitiere -, … die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen, welche die Energieerzeugung erweitert, die Technik modernisiert und auf zahlreichen anderen Gebieten zum Wohlstand ihrer Völker beiträgt … Nicht nur angesichts der Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima ist das ein Hohn. Der Euratom-Vertrag dient nur der Atomlobby, die ihre wirtschaftlichen Interessen auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler durchboxen will. Das Schlupfloch Euratom muss endlich geschlossen werden, der Euratom-Vertrag muss aufgelöst werden. ({4}) Die Linke meint: Ein neues nukleares Zeitalter in Europa muss verhindert werden. Atomausstieg in Deutschland und Atomsubventionierung in Europa passen nicht zusammen. Noch kann sich die Große Koalition auch in Europa für einen tatsächlichen Atomausstieg starkmachen. Das bedeutet aber, gegen die Entscheidung der EU-Kommission und gegen die Beihilfegenehmigung für Hinkley Point C vorzugehen. Dazu fordern wir Sie heute mit unserem Antrag auf. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Barbara Lanzinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben je einen Antrag zu einem - das gebe ich zu - nicht sehr einfachen Thema gestellt: zur Subventionierung von Atomkraftwerken in anderen Mitgliedstaaten der EU. Wir haben in Deutschland die Energiewende beschlossen, und darauf sind wir stolz. Dennoch muss uns eines klar sein: Dies ist eine nationale Entscheidung. Auch wenn ich persönlich die Subventionierung aus moralischen Gründen, aber auch aus ökologischen Gründen nicht für die beste Lösung halte, so müssen wir uns dennoch an der Sachlage orientieren und an Gesetze halten. Ihre Anträge möchte ich daher aus juristischer und politischer Sicht betrachten. Wir müssen uns aus juristischer Sicht nach den Grundsätzen der EU richten, die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union stehen. Hier ist in Artikel 3 festgelegt, dass sich die Mitgliedstaaten zu einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichten. Dazu gehört natürlich auch, dass der Wettbewerb nicht durch staatliche Begünstigungen beeinträchtigt oder verzerrt werden darf. Darum haben die Mitgliedstaaten die EU-Kommission beauftragt, grundsätzlich darauf zu achten, dass die erforderlichen Wettbewerbsregeln eingehalten werden, damit der Binnenmarkt marktwirtschaftlich funktioniert. Dieser Grundsatz spiegelt sich auch in den energiepolitischen Grundsätzen der EU wider. Artikel 194 AEUV besagt, dass die EU vor allem das Funktionieren des Energiemarktes sicherstellen und die Energieversorgungssicherheit gewährleisten will. In Artikel 194 Absatz 2 ist jedoch ein weiterer, wesentlicher Grundsatz geregelt: Im Rahmen dieser Regelungen kann jeder Mitgliedstaat frei über seinen nationalen Energiemix entscheiden. Dazu gehört auch die Frage, inwieweit einzelne Mitgliedstaaten Kernkraftwerke durch nationale Maßnahmen unterstützen. Wenn Großbritannien für sich entscheidet, dass die Kernkraft ein wesentliches Element seiner Energieversorgung sein soll, dann können wir dies moralisch und ökologisch verurteilen. Die Grundsätze besagen aber auch, dass es nicht in den Aufgabenbereich der EUKommission fällt, sich diesbezüglich einzumischen. ({0}) Die EU-Kommission ist als Wächterin der Verträge nur befähigt, zu prüfen, ob öffentliche Zuwendungen im Einklang mit dem EU-Beihilferecht stehen und der Wettbewerb im Binnenmarkt trotz dieser Zuwendungen aufrechterhalten werden kann. Wir haben also juristisch keine Möglichkeit, die Entscheidung Großbritanniens über seinen Energiemix zu beeinflussen. ({1}) Auch wenn die Bundesregierung einen europäischen Förderrahmen oder sogar eine europäische Finanzierung für Kernkraftwerke ablehnt, geht es bei dem vorliegenden Sachverhalt nicht um eine politische Entscheidung, sondern erst einmal um die Klärung einer Beihilferechtsfrage.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Abgeordnete, der Abgeordnete Lenkert möchte eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie ihm gewähren, oder wollen Sie weitersprechen?

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde jetzt gern weiterreden. Das würde die Redezeit nur unnötig verlängern. - Nach der Einreichung des Antrags auf Beihilfe von Großbritannien hat die Kommission sachgerecht - wie in Artikel 108 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU vorgeschrieben - geprüft, ob es sich im Rahmen der bestehenden Regelungen um eine ungerechtfertigte Beihilfe handelt. Im Verlauf der eingehenden Prüfungen hatte sich Großbritannien dazu bereit erklärt, wesentliche Änderungen an den Projektfinanzierungsbedingungen vorzunehmen. Dadurch änderte sich die Sachlage, und die Kommission ist der Auffassung, dass die staatliche Unterstützung weiterhin in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht und dass eine unangemessene Wettbewerbsverzerrung im Binnenmarkt vermieden wird. Die Bundesregierung hat den Beihilfebeschluss der EU-Kommission zu Hinkley Point faktisch und rechtlich analysiert und darauf basierend festgestellt, dass der Beschlusstext keine beihilferechtlichen Aussagen enthält, die nach Ansicht der Bundesregierung so offensichtlich rechtsfehlerhaft sind, dass eine Nichtigkeitsklage hinreichend erfolgversprechend wäre. Aus diesen Gründen halte ich fest: Es war keine politische Entscheidung, sondern die Anwendung von europäischem Recht. Die EU-Kommission trifft in diesem Bereich keine Entscheidung für oder gegen die Atomkraft, sondern sie prüft rein wettbewerbsrechtliche Fragen. Diese Prinzipien gelten übrigens auch für Förderregelungen für erneuerbare Energien. An dieser Stelle komme ich zur politischen Antwort auf Ihren Antrag: Die Fraktion Die Linke schreibt, dass durch die Beihilfegewährung der EU-Kommission die klima- und verbraucherfreundlichen erneuerbaren Energien eine massive Benachteiligung erfahren und ausgebremst werden. Hierzu möchte ich Sie auf eine Studie hinweisen, die erstmalig darstellt, in welcher Höhe öffentliche Subventionen 2012 EU-weit gewährt wurden: in Höhe von rund 140 Milliarden Euro. Am meisten profitiert davon haben laut dieser Studie die erneuerbaren Energien mit über 40 Milliarden Euro. ({0}) Laut der Studie erhält Deutschland mit 25 Milliarden Euro sogar die höchsten Energiehilfen in der Europäischen Union: 14,7 Milliarden Euro für Solarenergie und 10,1 Milliarden Euro nur für Onshorewindenergie. Hingegen werden fossile Energieträger nur halb so viel gefördert. Kernenergie macht mit 7 Milliarden Euro bei von der EU genehmigten Subventionen in allen 28 Mitgliedstaaten zusammen genau 5 Prozent aus. Man kann nun darüber diskutieren, ob es notwendig ist, diese überhaupt zu subventionieren. Das ist sicherlich diskussionswürdig. Ich stimme der Fraktion der Grünen zu, dass wir eine risikobehaftete Energieform, wie es die Nuklearenergie ist, nicht fördern sollten. Deshalb haben wir in Deutschland die Energiewende und den Atomausstieg beschlossen. Das ist gut und richtig so. Dennoch müssen wir deutlich sagen: Es ist unser nationales Projekt und keines, welches von allen 28 Mitgliedstaaten genauso mitgetragen wird. Es ist zweifellos wünschenswert, dass benachbarte Länder und auch die EU insgesamt eine besser koordinierte Energiepolitik verfolgen und hierzu auch gezielter auf erneuerbare Energien achten sollten. Dennoch obliegt es uns nicht, andere Mitgliedstaaten zu maßregeln. Mindestens genauso wünschenswert ist es auch, endlich mehr Wettbewerb in unsere stark subventionierte - ich sage dies bewusst - und regulierte Energiewirtschaft zu bringen. Wir wollen Wettbewerb statt Subventionen. ({1}) So interpretiere ich auch Ihre heutigen Anträge. Sie sprechen hiermit endlich ein Thema an, das wir auch in Deutschland haben: Das EEG ist Subvention pur, ({2}) von Rot-Grün vor über 14 Jahren als Anschubfinanzierung für die schwach ausgeprägten erneuerbaren Energien richtigerweise eingeführt. Ich denke aber, diese ist zunehmend zu überdenken. ({3}) Genau wegen dieses Instruments schaut die EU-Kommission auch bei uns sehr genau hin, inwieweit unser energiewirtschaftlicher Wettbewerb verzerrt wird. Denn der ursprüngliche Gedanke, einen Ausbau durch massive Beihilfen zu fördern oder fördern zu müssen, ist schon länger nicht mehr in diesem Ausmaß gegeben. ({4}) Wer im Glashaus sitzt, sollte - damit möchte ich schließen - nicht mit Steinen werfen. Deshalb müssen wir in Bezug auf staatliche Subventionen selbst sehr stark aufpassen. Wir sollten niemanden kritisieren, wenn wir nicht ganz sicher sind, dass wir selbst keinen Anlass zur Kritik geben. Wir können Anregungen geben und ein Beispiel für andere Länder sein, aber wir können sie zu nichts zwingen. Wir haben mit unserem Projekt Energiewende genug eigene Herausforderungen - ich spreche bewusst nicht von Problemen -, die angegangen werden müssen. Wir sollten uns - damit meine ich ganz explizit auch die Opposition - auf die aktuell in Deutschland zu bewältigenden Herausforderungen konzentrieren. In meiner Rede letzte Woche habe ich es bereits so formuliert, und ich möchte es Ihnen auch heute zum Abschluss mit auf den Weg geben: Ich würde mich freuen, wenn Sie ihre ganze Kraft, die Sie jetzt in Anträge stecken, verwenden, um uns bei all unseren Vorhaben zu den wirklich wichtigen Themen in der Energiepolitik zu unterstützen. ({5}) Danke schön fürs Zuhören. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen die Debatte natürlich im Kontext der EU-Energieunion führen. Ein wesentlicher Bestandteil dieser vorgelegten Strategie ist ja die Nutzung der Atomenergie. Der zuständige Kommissar hat schon angekündigt, dass er noch in diesem Jahr einen - ich zitiere - „illustrativen Ausbauplan“ für AKWs in Europa vorlegen will. Das heißt, schon heute ist klar, dass die Bewilligung dieser höchst umstrittenen Beihilfen für das AKW-Projekt in Großbritannien der Wegweiser für weitere Atomprojekte in anderen Mitgliedstaaten sein wird, wenn dieser energie- und wettbewerbspolitische Irrsinn nicht noch gestoppt wird. Die Beihilfebewilligung ist der Einstieg in eine europäische Subventionspolitik für Atomenergie. Schauen wir uns die Subvention noch einmal kurz an. Der Contract for Difference legt fest: 12,8 Cent pro Kilowattstunde inklusive Inflationsausgleich. Die Financial Times hat übrigens inzwischen errechnet, dass das heißt, dass diese Umlage bis zu den 2050er-Jahren auf 35 Cent pro Kilowattstunde ansteigen wird, also dann, wenn die erneuerbaren Energien längst unschlagbar billig geworden sind. Dazu kommen eine Kreditbürgschaft der britischen Regierung und eine großzügige Bewertung späterer Rückbaukosten. Dazu kommt, dass es keine Ausschreibung gab. Es kommt auch noch eine Garantie für den Fall eines politisch begründeten sogenannten Shutdown dazu. Das heißt, auch ein Atomausstieg muss - das wird schon festgelegt - entschädigt werden. Das mag zukünftige Regierungen in Großbritannien durchaus von einem Atomausstiegsbeschluss abhalten. Der Erzeugermarkt wird durch Subventionen von Atomstrom geschädigt. Denn anders als beim EEG, das degressiv angelegt ist und dazu da war, eine neue Technologie in den Markt einzuführen, geht es hier um eine Technologie die sechs Jahrzehnte alt ist und offensichtlich immer noch nicht oder nicht mehr in der Lage ist, sich selbst finanziell zu tragen. ({0}) Welches Bild gibt Deutschland ab? Das energiepolitische Gesicht Deutschlands in der EU: Man stimmt zu; die Bundesregierung nimmt hin, keine Klage, keine öffentliche Äußerung, die das entschieden mit dem Ausdruck höchster Empörung - so würde ich das erwarten - zurückweist. - Das heißt, Sie drücken sich. Das Ausstiegsland Deutschland drückt sich. Die Frage ist: Warum? Vielleicht glauben Sie, dass Sie zu Dankbarkeit verpflichtet sind, weil die EU-Kommission bei den übersteigerten Ausnahmen für die Industrie bei der EEGUmlage die Füße stillgehalten hat. Vielleicht denken Sie, dass Sie als Gegenleistung jetzt besser hier die Füße stillhalten. ({1}) Oder Sie drücken sich, weil, wie Sie selbst sagen, eine Klage nicht hinreichend erfolgreich wäre. Da kann ich nur sagen: So what? Lohnt das den Kampf nicht? Aber es stellt sich auch die Frage, ob Sie mit dieser Begründung recht haben. Das Wirtschaftsministerium kommt zu der Einsicht, die Erfolgsaussichten einer Klage seien nach vorliegenden Erkenntnissen eher gering, da die Tatbestandsmerkmale einer Beihilfe gemäß Artikel 107 AEUV von der Europäischen Kommission geprüft wurden. Darauf haben ja auch Sie, Frau Lanzinger, Bezug genommen. Schauen wir uns den Artikel einmal genau an. Bezug genommen hat die Kommission auf Artikel 107 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU. In Absatz 3 b steht wörtlich: Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats. Ja, hallo! Hier liegt kein gemeinschaftliches Interesse vor. Ein AKW-Bau in der EU liegt nicht im Interesse Österreichs, er liegt nicht im Interesse Luxemburgs, und er sollte nicht im Interesse Deutschlands liegen. Es liegt auch keine Marktstörung vor. Sie wird durch diese Subventionierung ja erst herbeigeführt. ({2}) Das Fazit lautet: Beihilfen sollen Marktversagen korrigieren und nicht produzieren. Deutschland sollte für einen europäischen Atomausstieg arbeiten und nicht mit Schweigen und Stillhalten den Einstieg in eine EU-Subventionspolitik für die Atomkraft unterstützen. Unser Antrag gibt Ihnen dazu die Chance. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Nina Scheer, SPDFraktion. ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich teile natürlich die Ansicht, die hier, auch vom Antragsteller, schon vertreten wurde: Es kann nicht sein, dass wir in der heutigen Zeit weiter in die Atomenergie investieren und sie subventionieren. Das ist eigentlich ein mitgliedstaatliches Armutszeugnis; das muss ich gleich vorweg sagen. ({0}) Investitionen in Atomenergie sind unverantwortlich. Wir wissen um die Risiken; das brauche ich hier nicht weiter auszuführen. Man muss auch in Rechnung stellen, dass die erneuerbaren Energien schon heute kostengünstiger sind, wenn man alle Kosten, die hineinzurechnen sind, mit hineinrechnet. Insofern ist es ganz wichtig, an dieser Stelle festzuhalten: Es darf nicht passieren, dass wir Unionsmittel bereitstellen, um daraus Subventionen für die Gewinnung von Atomenergie zu stricken. Mittel der Europäischen Union zur Subventionierung der Atomenergie darf es nicht geben. ({1}) Insofern ist es ganz wichtig, schon an dieser Stelle festzuhalten, dass man solchen Staaten, die in der Europäischen Union derzeit fordern, einen weiteren, neuen Rechtsrahmen zu schaffen, um Atomenergie aus der EU heraus subventionieren zu können - dazu gehören Polen, Großbritannien und Frankreich; es sind acht Staaten -, eine klare Absage erteilen muss. Natürlich schwebt diesen Staaten vor, dass man so etwas im Rahmen der Energieunion, über die derzeit diskutiert wird und die geschaffen werden soll, implementieren könnte. Das darf nicht sein. Ich finde es richtig, lobenswert, aber auch selbstverständlich - das muss ich an dieser Stelle sagen -, dass sich unser Bundeswirtschaftsminister hierzu schon ganz klar geäußert und gesagt hat: Das darf es nicht geben. EU-Gelder stehen hierfür nicht zur Verfügung. ({2}) - Er hat sich klar geäußert, und ich nehme ihn da beim Wort. Ich habe auch überhaupt keinen Anlass, an seinen Äußerungen zu zweifeln. Wir müssen im Blick haben, dass der Antrag, über den wir heute reden, auf eine andere Ebene bzw. auf eine andere Maßnahme zielt. Er zielt auf die Beihilfeentscheidung der Europäischen Kommission. Die Kommission hat darüber zu entscheiden, wie Maßnahmen von Mitgliedstaaten, die Fördermaßnahmen bzw. fördernde Regelungen enthalten, einzustufen sind. Hier ist die Maßnahme Großbritanniens zur Förderung von Hinkley Point C - das ist ein gigantisches Atomausbauprojekt angesprochen. Ich möchte festhalten: Es ist ökonomisch blind, unverantwortlich und eine gigantische Geldvernichtung. Maßgeblich für die Bewertung der Kommissionsentscheidung ist, ob sie rechtsfehlerhaft ist. Ich denke, man kann wahrscheinlich - viele Juristen, viele Meinungen verschiedene Positionen dazu vertreten. Aber ich erachte es als problematisch, wenn man die Fehlerhaftigkeit an einer mitgliedstaatlichen Entscheidung festmacht und wenn - Frau Lanzinger hat das schon dargestellt - im Kern angegriffen wird, dass sich ein Staat für eine bestimmte Form der Energiegewinnung entschieden hat. ({3}) So misslich es ist, dass es in diesem Fall die Entscheidung für die Atomenergie ist: Es bleibt dabei, dass das eine mitgliedstaatliche Entscheidung ist. Ich möchte gerne an Sie alle, auch an die Grünen, appellieren, zu Ende zu denken, wohin es führt, wenn man diese Entscheidungshoheit angreift. Wenn man die Hoheit der Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix selbst zu entscheiden, angreift, dann kann es eben auch passieren, dass der Förderrahmen im Hinblick auf den Ausbau erneuerbarer Energien, den wir haben und der weltweit Ausstrahlungswirkung hat, und das Erneuerbare-Energien-Gesetz angegriffen werden. Man hält sich dann nicht mehr konsistent an die Kriterien und auch die Argumentation, die wir hier selbst nutzen, um, auch vorbildhaft, die Nutzung der erneuerbaren Energien weiter auszubauen. ({4}) Insofern möchte ich an dieser Stelle Frau Lanzinger, die ich ja gerade lobend erwähnt habe mit diesem Argument, auch kritisieren. Ich finde, dass es unlogisch ist, einerseits darauf zu verweisen, dass wir die mitgliedstaatliche Gestaltungshoheit haben, aber an anderer Stelle, im nächsten Satz dann zu sagen: Wir müssen das aber jetzt hinterfragen. - Das finde ich eben gerade nicht. Wir haben hier wirklich - das habe ich ja schon erwähnt - ein vorbildhaftes Instrument mit weltweiter Ausstrahlung. Der Systemwettbewerb hat hier eine entscheidende Rolle. Man sollte so etwas nicht untergraben, man sollte es wertschätzen. Insofern halte ich es für problematisch, zu versuchen, die Nutzung der Atomenergie in Europa zu beenden, indem man die Entscheidung der Kommission auf dem Weg der Klage angreift. Es muss natürlich unsere Aufgabe bleiben, die Nutzung der Atomenergie in der EU zu beenden. Deswegen müssen wir uns an dieser Stelle weitere Maßnahmen überlegen, damit es nicht neue Förderrahmen gibt. Wir brauchen auch einen Ausstieg aus der europäischen Denke, dass Atomenergie eine klimafreundliche Technologie sei. Damit aufzuräumen, muss eine Aufgabe bleiben. Ich erachte aber diese Maßnahme nicht als den richtigen Weg, um dieses Feld aufzubrechen, und hoffe, dass wir es in der Europäischen Union schaffen, all die Altlasten, die wir auch regelungstechnisch haben - den Euratom-Vertrag; die Fördermaßnahmen, die wir für dieses Kernfusionsprojekt immer noch ständig mitfinanzieren -, zu überarbeiten, dass wir dort mit europäischer Stimme einer weiteren Nutzung der Atomenergie eine klare Absage erteilen; das wünsche ich mir. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zdebel von der Fraktion Die Linke?

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Bitte.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Scheer, dass Sie die Frage zugelassen haben. Ich habe eigentlich zwei, weil Sie sich dazu noch nicht geäußert haben. Die eine ist: Wie bewerten Sie denn vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen die Entscheidung der Länder Österreich und Luxemburg, gegen die Entscheidung der EU-Kommission vorzugehen? Die andere ist: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Zustimmung des deutschen EU-Kommissars? Ich halte es, teilweise zumindest, für weltfremd, davon auszugehen, dass das nicht möglicherweise mit der Bundesregierung abgestimmt ist.

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Um das Letzte aufzugreifen: Von einer Abstimmung mit der Bundesregierung weiß ich schlichtweg nichts. Ich kann auch nicht spekulativ hier irgendwas in die Welt setzen; das führt auch nicht zur Klärung des Sachverhalts. Zu der Frage, ob es denn richtig ist oder wie man bewertet, wie Österreich vorgeht: Ich kann das Ansinnen sehr gut teilen, dass man gerne verhindern möchte, ({0}) dass im europäischen Raum weiterhin in die Förderung der Atomenergie investiert wird. Nur, wenn man genau auf die Maßnahme und auf den Weg schaut und vom Ende her betrachtet, was man damit angreift, halte ich es mit Blick auf unsere Fördermechanismen, die wir für die Erneuerbaren haben, für gefährlich, so einen Weg zu gehen. ({1}) - Es tut mir leid, wenn Sie das nicht teilen; aber das ist meine Überzeugung. ({2}) - Sie können weiterschimpfen; ich bin jetzt auch schon am Ende meiner Rede. Vielen Dank. ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir sind damit am Ende der Aussprache. Tagesordnungspunkt 11 a. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4215 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 11 b. Die Vorlage auf Drucksache 18/4316 soll ebenfalls an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die Federführung ist jedoch strittig: Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. ({0}) - Bitte? ({1}) - Bündnis 90/Die Grünen stimmt dem Präsidium zu; das begrüßen wir. Wir stimmen jetzt über beide Überweisungsvor- schläge ab. Zuerst lasse ich über den Überweisungsvor- schlag von Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/ Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/ Die Grünen mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ab. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Diesem Überwei- sungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen zugestimmt. Der Überweisungs- vorschlag ist somit angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Stefan Kaufmann, Albert Rupprecht, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Hubertus Heil ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Europas Wettbewerbs- und Zukunftsfähig- keit durch Forschung und Innovation stärken Drucksache 18/4423 b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Strategie der Bundesregierung zum Europäischen Forschungsraum Leitlinien und nationale Roadmap Drucksache 18/2260 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als Erstem erteile ich das Wort für die Bundesregierung Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Thomas Rachel. ({4})

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die politische Integration Europas ist das größte und erfolgreichste grenzüberschreitende Friedensprojekt der Neuzeit. ({0}) Gerade in der aktuellen Weltlage mit ihren vielen Konflikten und Kriegen gilt es, diese nur scheinbare Selbstverständlichkeit zu betonen. Ich glaube, dass deshalb unsere Debatte sehr wichtig ist. Sie kommt zum richtigen Zeitpunkt. In Europa erarbeiten wir etwa 19 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Noch hat Europa etwa 30 Prozent Anteil an der weltweiten Wissensproduktion. Aber der Rest der Welt schläft nicht. Die weltweiten F-und-EAusgaben sind von 2000 bis 2011 um 77 Prozent gestiegen, während der weltweite Anteil Europas im gleichen Zeitraum von 27 auf 23 Prozent gefallen ist. Wir können uns nicht mit Mittelmaß zufriedengeben. Europa muss handlungsfähig sein, und gerade Deutschland muss hochinnovativ bleiben. ({1}) Dies erfordert erhebliche Investitionen in Forschung und Entwicklung. Die Bundesregierung hat hier Maßstäbe gesetzt. Innerhalb dieser Legislaturperiode werden zusätzlich 3 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Die Ausgaben des Bundes für Forschung und Entwicklung haben sich seit 2005 um 60 Prozent auf rund 14,4 Milliarden Euro erhöht. ({2}) Noch nie wurde so viel Geld für Forschung und Entwicklung seitens des Bundes ausgegeben. Der Staat und die Unternehmen erreichen Hand in Hand fast das 3-Prozent-Ziel. ({3}) Wir brauchen aber auch einen Forschungsraum, der die Menschen zusammenbringt. Grenzüberschreitende Projektförderung, gemeinsame Nutzung von Forschungsinfrastrukturen, die Mobilität in einem Wirtschaftsraum mit 500 Millionen Menschen sind nur einige Stichworte. Wir brauchen eine Willkommenskultur, die die Besten aus der Welt in Sachen Forschung und Wissenschaft anspricht und zu uns holt. Die Bundesregierung hat eine eigene Strategie zum Europäischen Forschungsraum im vergangenen Jahr verabschiedet. Wir waren übrigens das erste und sind bisher auch das einzige Mitgliedsland, das eine solche Strategie vorgelegt hat. Ich glaube, andere Staaten werden uns folgen. Das neue Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ ist gestartet, um auch den Europäischen Forschungsraum zu gestalten. Neu ist dabei die Synthese aus Forschungs- und Innovationselementen. Die Verwertung der Forschungsergebnisse rückt stärker in den Vordergrund. Wir können nach einem Jahr feststellen: Deutschland ist in „Horizont 2020“ gut gestartet. Wir liegen auf Platz eins in Europa, sowohl bei den Projektbeteiligungen als auch bei den Zuwendungen. ({4}) Rund 3 300 deutsche Institutionen haben Anträge eingereicht und über 900 davon haben erfolgreich Projekte eingeworben. Die Erfolgsquote liegt bei 27 Prozent. Deutsche Akteure haben bereits 1,5 Milliarden Euro an Drittmitteln aus Europa eingeworben, und das, obwohl der Wettbewerb sehr viel intensiver geworden ist als noch im 7. Forschungsrahmenprogramm. Der Anteil der Unternehmen an den deutschen Beteiligungen beträgt rund 36 Prozent. Das ist gut und wichtig, weil wir den Innovationsschub natürlich auch in die Unternehmen in Deutschland hineinbringen wollen. Jeder fünfte „ERC Starting Grant“ in der Grundlagenund Spitzenforschung ging 2014 an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in deutschen Einrichtungen. Damit ist Deutschland in Bezug auf den Standort erstmalig auf Platz eins - mit deutlichem Abstand vor dem Vereinigten Königreich. ({5}) Um den Begriff von Herrn Rupprecht aufzunehmen: Gleichzeitig reicht der Weltmeister seine Hand. Im Bereich „Teaming“ unterstützen wir den Aufbau von Exzellenzzentren in den leistungsschwächeren EU-Regionen. In 14 von 31 ausgewählten europäischen Konsortien sind deutsche Einrichtungen am Exzellenzaufbau in den ost- und südeuropäischen Mitgliedstaaten beteiligt. ({6}) Wir bringen unser Know-how ein, um Europa insgesamt nach vorne zu bringen. ({7}) Diese gute Zwischenbilanz bereits nach einem Jahr ist für uns ein ermutigendes Zeichen und gleichzeitig Ansporn; denn Europa braucht unbedingt Wachstum. Das wird klar, wenn wir uns die Situation in verschiedenen Ländern anschauen. Dafür müssen wir auch private Investitionen mobilisieren. Deswegen unterstützen wir als Bundesregierung auch die Einrichtung des Europäischen Fonds für Strategische Investitionen. ({8}) Wie Sie wissen, sollen auch Gelder aus „Horizont 2020“ zur Finanzierung herangezogen werden. Wir nehmen die kritischen Hinweise aus der Wissenschaft hierzu sehr ernst. Wir sind davon überzeugt, dass der EFSI wichtige Impulse für die europäische Wettbewerbsfähigkeit setzen kann; denn Bildung, Forschung und Innovation gehören zu den strategischen Investitionsbereichen des EFSI. Diese Chancen sollten wir gemeinsam nutzen. Ich hoffe sehr, dass bei der konkreten Beratung des Haushalts durch das Europäische Parlament vor allem den Anliegen im Bereich Forschung und Innovation Rechnung getragen wird und dass dieser Bereich bei der schlussendlichen Haushaltsaufstellung gestärkt wird; denn dadurch stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit von Europa. Herzlichen Dank. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, wenn ich Sie so höre, dann habe ich den Eindruck: Die europäische Zusammenarbeit in der Forschung gestaltet sich für Sie so, wie Sie den Binnenmarkt verstehen: Forschung muss wertvoll sein und den Regeln der Profite unterworfen werden. Was das heißt, sehen wir: Die Starken gewinnen, die Schwachen sterben. Diese Unterwerfung der Forschung unter die Wirtschaftlichkeitskriterien lehnt die Linke ab. ({0}) In Europa soll die Wissens- und Innovationsentwicklung als reiner Wettbewerb verstanden werden. Zukünftig müssen die Forscherinnen und Forscher dann noch mehr als bisher um Förderungen kämpfen, statt unabhängig zu forschen und gemeinsam die Probleme der Gesellschaft zu lösen. Förderkriterien, Exzellenzinitiativen und der Zwang zur Vermarktung von Ideen verschärfen Spaltung und Konkurrenz innerhalb der EU. Wie sollen die finanzschwachen Länder Europas ihren Eigenanteil aufbringen, um EU-Mittel aus Förderprogrammen zu erhalten? Wie sollen diese Länder die besten Köpfe an ihren Forschungseinrichtungen halten, wenn sie wie Griechenland gezwungen werden, Gehälter massiv zu senken? Und wie soll sich dann eine innovative Wirtschaft entwickeln? ({1}) Man muss dafür bei Ihnen nicht einmal zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen: Deutschlands Vorreiterrolle in Europa soll ausgebaut werden. Die Strategie der Regierung priorisiert effektivere nationale - sprich: deutsche - Forschungssysteme. Auch im Forschungsbereich opfern Sie die Idee eines einigen, fortschrittlichen Europas den kurzfristigen Wettbewerbsvorteilen Deutschlands. Heute gewinnt Deutschland vom neuen „keep the brains“, dem Nehmen der besten Köpfe. ({2}) In Griechenland, wo Universitäten geschlossen werden müssen, wandern die besten Forscherinnen und Forscher ab. Spanien verliert die besten Köpfe, weil andere Länder besser zahlen können. ({3}) Die Koalition und die deutschen Konzerne jubeln über solche Abwanderungen und ignorieren die Nebenwirkungen. An deutschen Forschungseinrichtungen wächst der Konkurrenzdruck zwischen den Beschäftigten. Eine Folge ist der Befristungs- und Teilzeitwahn an unseren Hochschulen. Weniger als 10 Prozent der wissenschaftlichen Beschäftigten sind unbefristet und in Vollzeit beschäftigt. Das ist unerträglich. ({4}) Statt sich um Nachwuchs zu kümmern, schöpfen die deutsche Industrie und die deutschen Forschungseinrichtungen aus dem EU-Pool und sparen bei Gehältern und Ausbildung. Was passiert, wenn in einigen Jahren die ärmeren EU-Staaten wie Griechenland, Spanien und Portugal ausgeblutet sind, wenn der Pool leer ist, wenn der Nachwuchs fehlt? Im Interesse Deutschlands und der europäischen Integration fordert die Linke: erstens bessere Arbeitsbedingungen an Forschungseinrichtungen, und zwar über ein Wissenschaftszeitvertragsgesetz in Deutschland; zweitens eine bessere Grundfinanzierung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, ({5}) damit Forscher nicht um Exzellenzmittel streiten, sondern gemeinsam an exzellenter Forschung arbeiten; ({6}) drittens, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass finanzschwache EU-Staaten EU-Forschungsmittel ohne Eigenanteil erhalten; viertens, ein Ende der Politik „keep the brains“ und mehr Nachwuchsförderung in Deutschland und in der EU. Mit unseren Forderungen sind europaweit bessere Forschungsbedingungen erreichbar. Wir Linke kämpfen für eine zukunftsweisende Forschungslandschaft, die ein soziales, ökologisches und gebildetes Europa unterstützt. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten René Röspel, SPD-Fraktion. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir nach dieser Rede eine Vorbemerkung: Lieber Kollege Lenkert, ich habe mich, wie wahrscheinlich viele andere, entschieden, in die Politik zu gehen und mich politisch zu engagieren, egal ob es um eine Verbesserung beim Straßenverkehr oder um etwas anderes ging, weil ich gestalten wollte, weil ich etwas verändern wollte. Wer ein Feuer anmachen will, damit es anderen Leuten warm wird, der muss ein Feuerzeug in die Hand nehmen, und der macht sich auch manchmal die Finger dreckig, wenn Asche darauf fällt. ({0}) Aber dieses ewige Genörgel und diese ewige Besserwisserei, dass alles anders gemacht werden muss, ohne dass man selbst etwas dazu beiträgt, das - so muss ich sagen geht mir spätabends manchmal auf den Geist. ({1}) Der Antrag, den wir als Koalition hier vorlegen - der Staatssekretär hat dazu einiges gesagt -, macht deutlich, dass die neuen Mitgliedstaaten, die natürlich noch nicht so stark wie die Bundesrepublik Deutschland, wie Frankreich, Großbritannien und andere sind, mit den europäischen Programmen eine Chance bekommen, exzellente Wissenschaftler hervorzubringen. Darum geht es. ({2}) Ich finde, dieser Antrag zeigt ein Stück weit unser Handeln, und das ist auch gut so. Weil der Staatssekretär unsere Ideen zur Unterstützung eines Europäischen Forschungsraums, in dem wir gemeinsam forschen, damit das Klima besser wird, damit wir neue Technologien entwickeln, die der Gesellschaft dienen, schon hervorragend ausgeführt hat - darauf brauche ich mich nicht zu konzentrieren -, beschränke ich mich auf den anderen Teil, der in unserem Antrag auch eine Rolle spielt, nämlich den europäischen Strukturfonds, der von Jean-Claude Juncker und der Kommission geplant ist und auf den Weg gebracht wird. Wir begrüßen ausdrücklich die Initiative, mit einem kleinen Teil öffentlichen Geldes große private Investitionen für Infrastruktur, Forschung und Innovationen auf den Weg zu bringen. ({3}) Das ist ein guter Ansatz. Wir in Deutschland haben mit einem ähnlichen Ansatz hervorragende Erfahrungen gemacht. Ich bin davon überzeugt, dass diese Maßnahmen noch dazu beitragen, dass Deutschland im europäischen Vergleich sehr gut dasteht. Die letzte Große Koalition - einige der Älteren werden sich erinnern ({4}) hat nämlich in der Finanzkrise einige wichtige Pakete auf den Weg gebracht. Das betraf nicht nur die Verlängerung des Bezuges des Kurzarbeitergeldes - am Rande bemerkt: das spielt heute nicht eine solche Rolle -, sondern wir haben auch Konjunkturpakete geschnürt, mit denen wir nachhaltige Investitionen, gerade in den Kommunen, generiert haben. Da ging es um die energetische Sanierung von Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen, damit Energie gespart werden kann. Das hat Bewegung in den Arbeitsmarkt und in die Situation insgesamt gebracht. So ähnlich verhält es sich mit diesem Europäischen Fonds für Strategische Investitionen. Beide Projekte sind vergleichbar. Deswegen ist das gut. Aber all das hat nur geklappt, weil die Voraussetzungen in Deutschland besonders gut waren und sind. Warum sind wir erfolgreich? Weil andere Länder unsere Produkte offenbar gerne kaufen. Warum kaufen sie sie? Weil sie offenbar eine hohe Qualität haben, weil sie technisch interessant sind, weil sie innovativ sind und weil Made in Germany immer noch ein Begriff für Material ist, das eigentlich relativ lange hält. Wie sind wir in der Lage, solch gute Produkte zu produzieren? Das ist in erster Linie unsere Arbeitnehmerschaft, den vielen Menschen, die diese Produkte erzeugen, zu verdanken. Warum haben wir in Deutschland gute Arbeitnehmer? Das hat im Wesentlichen zwei Gründe, wobei der eine eine Besonderheit in Deutschland ist: Wir haben ein duales Berufsausbildungssystem, das ganz hervorragend in der Lage ist, im Berufsleben stehende junge Menschen auszubilden, zur Gesellin oder zum Gesellen, zur Meisterin oder zur Technikerin. Das ist etwas, was uns von vielen anderen Ländern unterscheidet. Diese Menschen sind in der Lage, Produkte gut herzustellen und zu entwickeln. Das ist der eine Bereich. ({5}) Über den anderen Bereich können wir heute zwar nicht ausführlich reden, aber er ist unerhört wichtig: Wir haben in Deutschland glänzend ausgebildete Forscherinnen und Forscher, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das haben wir einem System zu verdanken, das ebenfalls sehr differenziert ist, einem System, das einerseits Grundlagenforschung in Deutschland und andererseits angewandte Forschung finanziert. Was ist der Unterschied zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung? Grundlagenforschung ist, wenn Sie Ihrer Oma zu erklären versuchen, was das ist, sie das nicht versteht und am Ende fragt: Wofür ist das gut? Angewandte Forschung kann man der Oma erklären, indem man ihr sagt: Damit machen wir die LED schöner und wärmer. ({6}) Oder: Wir sparen Energie, und du bekommst einen neuen Kühlschrank. - Das ist etwas, was die Industrie macht, woran die Industrie ein Interesse hat, weil sie von immer weiter verbesserten Produkten profitiert. Was die Industrie nicht fördert, das ist die Grundlagenforschung, das ist das, was die Max-Planck-Institute machen, das ist das, was die Helmholtz-Gemeinschaft und andere Forschungsgemeinschaften machen, das ist das, was vor allen Dingen an den Hochschulen und Universitäten gemacht wird. Dort geht es darum, einfach nur um der Sache und des Erkenntnisgewinnes willen zu forschen. Das bezahlt keine Wirtschaft, kein Privatunternehmen, sondern das finanziert der Staat. Das ist eine unglaublich wichtige Aufgabe der öffentlichen Hand. Darauf können wir nicht verzichten. ({7}) An dieser Stelle kriege ich wieder den Dreh zum Europäischen Fonds für Strategische Investitionen. Er wiederum wird aus einigen Programmen auf europäischer Ebene finanziert, unter anderem aus dem Programm „Horizont 2020“, dem großen Forschungsrahmenprogramm auf europäischer Ebene. 2,7 Milliarden Euro werden aus diesem Topf genommen, um diesen Infrastrukturbereich zu finanzieren. Dagegen haben wir grundsätzlich nichts, weil es viele Bereiche gibt, die profitieren. Es wird aus dem Bereich der Nanotechnologie Geld genommen, um Infrastrukturen und Innovationen zu finanzieren. Es wird aus dem Bereich der Lasertechnologie und dem Bereich des ressourceneffizienten Wirtschaftens Geld genommen. Das alles wird möglicherweise zurückkommen. Wenn man aus dem Bereich Grundlagenforschung Geld herausnimmt und Industrieunternehmen unterstützt, die in diesem Bereich arbeiten, und zusätzliche Innovationen ermöglicht und Investitionen getätigt werden, kommt dieses Geld irgendwann zurück. Ein wichtiger Punkt in diesem Antrag ist - da beziehen wir Stellung -, dass die Europäische Kommission plant, drei Stellen Geld zu entziehen, bei denen wir es für falsch halten. Dort geht es nämlich um Bereiche der Grundlagenforschung, die niemand anderes finanziert. Die dort entzogenen Gelder kommen auch nicht über Infrastrukturverbesserungen oder Investitionen zurück. Zwei dieser Bereiche sind der Europäische Forschungsrat und das Marie-Curie-Programm, mit dem man die Mobilität bzw. den Austausch von Wissenschaftlern finanziert. Aus diesem Programm darf kein Geld herausgenommen werden, weil es ganz wichtig ist, dass junge Wissenschaftler in Europa mobil sind, andere Labore, andere Situationen kennenlernen. ({8}) Durch den Europäischen Forschungsrat wird exzellente Grundlagenforschung gefördert. Das Geld, das aus diesem Bereich herausgenommen wird, kommt nicht auf einem anderen Weg zurück. Unser Antrag enthält zwei wesentliche Punkte: Erstens. Wir sagen, wir wollen einen Europäischen Forschungsraum, in dem alle Länder und alle Menschen, übrigens unabhängig von ihrer Herkunft, die Möglichkeit haben, Wissenschaft zu betreiben. Zweitens. Wir appellieren ausdrücklich an die EUKommission, aus keinem der drei Bereiche, in denen es um Grundlagenforschung geht, Geld zu nehmen, sondern Alternativen zu suchen; dann nämlich schaffen wir es, einen gemeinsamen Forschungsraum in Europa zu entwickeln. Vielen Dank. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuversicht und Zukunft in Europa entstehen gerade dann, wenn Zusammenarbeit und Zusammenhalt tagtäglich gelebt werden. Das gilt ganz besonders in der Wissenschaft. Forschung ist Zukunftsmotor und Innovationstreiber für unsere wissensbasierten Volkswirtschaften auf dem ganzen Kontinent. Deshalb ist ein vertiefter und lebendiger Europäischer Forschungsraum von ganz zentraler Bedeutung für europäisches Bewusstsein und Weltoffenheit, für mehr Forschergeist und eine höhere Mobilität kreativer Köpfe, für künftigen Wohlstand und Zukunftsfähigkeit. Deutschland muss sich in Europa für eine nachhaltigere Forschungspolitik einsetzen. Der EU-Haushaltskontrollausschuss hat in dieser Woche unter anderem dem Kernfusionsreaktor ITER die Haushaltsentlastung für 2013 verweigert. Das bestätigt uns Grüne. Seit Jahren kritisieren wir Missmanagement, Kostenexplosion und Kostenrisiken bei ITER. Trotzdem will die EU zwischen 2014 und 2020 2,9 Milliarden Euro in das Projekt stecken, Gelder, die an anderer Stelle für innovative Forschung auf dem Gebiet erneuerbarer Energien und Energieeffizienz einfach fehlen. Wir müssen endlich grundlegend umsteuern. Europa braucht kräftigere Investitionen in Forschung, auf europäischer Ebene genauso wie in den einzelnen Mitgliedstaaten. Davon sind wir noch weit entfernt. Deutschland hat das Ziel 3 Prozent des BIPs für Forschung und Entwicklung noch längst nicht erreicht - das sollte schon vor einem halben Jahrzehnt der Fall sein - und hätte sich schon längst das 3,5-Prozent-Ziel setzen müssen. Unser Land muss endlich zur Spitzengruppe der Innovationsländer aufschließen. ({0}) Gleichzeitig muss die Bundesregierung im gemeinsamen Haus Europa dafür sorgen, dass manche osteuropäischen Länder und Griechenland mehr Spielraum für Investitionen in Forschung und Entwicklung haben. Die einseitige Sparpolitik, die Griechenland auferlegt wurde, hat nicht nur zu einer schärferen sozialen Spaltung geführt, sondern auch zu massiven Kürzungen bei öffentlichen Bildungs- und Hochschulinvestitionen. ({1}) Das kann so nicht weitergehen. Da wird dringend eine Kehrtwende benötigt. ({2}) Wenn Sie, liebe Koalition, vom Europäischen Forschungsraum reden und das ernst meinen, müssen Sie endlich Ihrer Verantwortung gegenüber den finanzärmeren und auch forschungsärmeren Ländern gerecht werKai Gehring den. Die Bundesregierung hat lange eine europäische Investitionsoffensive blockiert und dadurch auch öffentliche Investitionen in Ländern mit einer Wirtschaftskrise weiter gedrosselt. Jetzt endlich soll Junckers Investitionsplan kommen - aber mit einem ganz krassen Webfehler. Denn Juncker will dem wichtigen EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ im Gegenzug 2,7 Milliarden Euro entziehen. Das macht keinen Sinn, das ist falsch. Dazu sagen wir ganz klar Nein. Diese Mittel sollen nicht entzogen werden. Sie schwiemeln, was das angeht, in Ihrem Antrag viel zu sehr rum. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie bei der Grundlagenforschung eine 15-fache Hebelwirkung erzielen. Das ist ein koalitionärer Formelkompromiss. ({3}) Für den Europäischen Forschungsraum bringt das aber zu wenig. Keine Kürzungen bei „Horizon 2020“ - das wäre eine klare Botschaft dieses Hauses. ({4}) Ich sage Ihnen auch: Der Europäische Forschungsraum muss sich durch Ideenreichtum und Vielfalt auszeichnen. Eine einseitige Marktorientierung wird diesem Ziel nicht gerecht. Forschung ist mehr als die Jagd nur nach marktfähigen Produkten und Patenten. Es geht auch um die Lösung großer Herausforderungen. Auch geht es um soziale und ökologische Innovationen. Gerade von der Union würde ich mir wünschen, dass sie darauf stärker Wert legt. In Ihrem Koalitionsantrag findet sich viel Technokratisches, aber leider nichts Visionäres. ({5}) Der Europäische Forschungsraum braucht eine anständige Finanzausstattung. Deshalb hoffe ich sehr darauf, dass sowohl das EU-Parlament als auch Kommission und Rat hier noch zur Vernunft kommen, was die Finanzausstattung von „Horizon 2020“ angeht. ({6}) Sorgen Sie mit dafür, dass es nicht zu Kürzungen kommt. Die Förderung des EU-Forschungsraums darf kein finanzpolitischer Steinbruch sein, sondern muss für alle Mitgliedstaaten Zukunftsvorsorge bieten. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Stefan Kaufmann. ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Kai Gehring, Politik braucht Visionen, aber Politik braucht auch harte Arbeit. Und Europa ist eben oftmals auch harte Arbeit. Deshalb auch dieser Antrag der Koalitionsfraktionen, den ich Ihnen heute am Schluss dieser Debatte in aller Kürze vorstellen möchte. Er kam nach wochenlanger Arbeit der Büros und auch nach einigen kniffligen Verhandlungen zustande. An dieser Stelle sage ich Dank an den Kollegen René Röspel. ({0}) Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen im weltweiten Wettbewerb ist für uns eine Stärkung der Forschung auch auf europäischer Ebene essenziell. Wir müssen bei der Forschung in Europa noch mehr PS auf die Straße bringen. Die anderen Länder werden nämlich nicht auf uns warten: China, Türkei, Israel und auch Russland. Wir alle erleben dies überall dort, wo wir als Parlamentarier unterwegs sind. Thomas Rachel hat schon einige Zahlen dazu geliefert. Durch Forschung und Innovation erzielte Wissensund Technologievorsprünge sind der Schlüssel für die langfristige Sicherung und Stärkung von Europas Wettbewerbsfähigkeit. Dafür bedarf es auf europäischer Ebene erstens eines gemeinsamen Forschungsraums - darüber haben wir heute diskutiert -, der die Forschung in Europa durch grenzüberschreitende Kooperationen und eine engere Verzahnung insgesamt stärkt, und zwar ohne harmonisierende gesetzliche Maßnahmen. Beispielhaft - auch das wurde bereits erwähnt - gehören für mich insbesondere die sehr erfolgreichen Teaming- und Twinning-Maßnahmen dazu, um die sich in Deutschland zum Beispiel insbesondere die MaxPlanck-Gesellschaft verdient macht und die die neuen EU-Mitgliedstaaten beim Aufbau ihrer Forschungskapazitäten unterstützen. Damit haben wir eine echte Winwin-Situation für die beteiligten Mitgliedstaaten und somit ein ganz hervorragendes Exempel für den Mehrwert europäischer Zusammenarbeit. ({1}) Zweitens bedarf es dafür der konsequenten Umsetzung der geplanten europäischen Roadmap zum Europäischen Forschungsraum, und zwar komplementär zu den nationalen Strategien. Dadurch kann die Leistungsfähigkeit des Europäischen Forschungsraums weiter gestärkt werden. Ich nenne nur die Stichpunkte „Forschungsinfrastrukturen“, „Mobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern“ sowie die „weitere Stärkung der Internationalität“. Auch dazu hat unser Staatssekretär einiges gesagt. Ein weiteres, aktuelleres Thema ist der bereits erwähnte EFSI, der Europäische Fonds für Strategische Investitionen. Wir haben uns wegen offensichtlich spürbarer Auswirkungen gerade auf den EU-Forschungsetat sehr frühzeitig in der AG und im Ausschuss mit dem EFSI beschäftigt - allerdings, da müssen wir ehrlich sein, meine Damen und Herren, ist in Brüssel die Messe zum EFSI schon weitgehend gelesen -; deshalb kommt dieser Antrag heute zu einem frühen Zeitpunkt. Noch einmal Danke schön, dass wir ihn in einem Kraftakt so schnell durch das parlamentarische Verfahren gebracht haben! ({2}) Nun zum Inhalt. Wir, die Union, begrüßen die Initiative der EU-Kommission zur Steigerung der Investitionstätigkeit innerhalb der EU dem Grundsatz nach. Wir müssen aber bei der weiteren Ausarbeitung der gesetzlichen Grundlage für den EFSI bis zum Sommer in Brüssel aus unserer Sicht auf folgende Punkte besonders achten - einige wurden schon angesprochen -: Die anteilige Finanzierung des EFSI aus „Horizon 2020“ sollte sich zumindest im Ergebnis nicht nachteilig auf die Gesamtfinanzierung von Forschung in Europa auswirken. Da bin ich auch bei dir, lieber Kai Gehring. ({3}) Hinsichtlich der genauen Ausgestaltung müssen wir sehr genau darauf achten, dass bei der Auswahl der EFSI-Projekte insbesondere auch forschungs- und innovationsbasierte Projekte berücksichtigt werden. Denn genau darum geht es bei dieser Investitionsoffensive: um innovationsbasiertes Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb müssen diese Kriterien in dem Paket eine Rolle spielen. ({4}) Außerdem sollten wir dafür Sorge tragen, dass die Förderung der Grundlagenforschung stark bleibt. Deutschland lag 2014 bei den Starting Grants des Europäischen Forschungsrates erstmals auf Platz eins - Thomas Rachel hat es schon gesagt -, und zwar mit 70 von 328 Grants. Auch bei den Projektbeteiligungen und Zuwendungen liegt Deutschland auf Platz eins. Im ersten Jahr von „Horizon 2020“ sind bereits 1,5 Milliarden Euro an Drittmitteln aus Europa nach Deutschland geflossen. Das ist ein Wort. Thomas Rachel hat auch hierzu schon das Notwendige gesagt. Auch deshalb sollten die Mittel nur insoweit den Programmlinien entnommen werden, wie sie auch zur Garantie für konkrete Investitionsvorhaben benötigt werden - also ein sogenanntes Frontloading. In diesen Zusammenhang gehört auch, dass nochmals über den Rückfluss nicht verbrauchter Garantiesummen in „Horizon 2020“ diskutiert wird. Ich bin, offen gesagt, nicht glücklich darüber, dass dieser Punkt in letzter Minute aus dem Antrag herausfallen musste. Letzter Punkt. Wir wollen, dass nicht nur privatrechtliche Institutionen, sondern auch unsere öffentlich-rechtlich verfassten Forschungseinrichtungen und Hochschulen beim EFSI Anträge stellen können. ({5}) Zusammenfassend gesagt geht es darum, mit der Investitionsoffensive auf der einen Seite und dem weltgrößten Forschungsprogramm „Horizon 2020“ sowie der Weiterentwicklung eines gemeinsamen Europäischen Forschungsraums auf der anderen Seite Europa auch und gerade durch Forschung und Innovation zukunftsfest zu machen. Ich bin überzeugt davon, dass unser Antrag einen konstruktiven Beitrag zur Stärkung der europäischen Forschung leisten wird. Damit senden wir auch ein starkes Signal des Deutschen Bundestages nach Brüssel, gerade während der Verhandlungen zum EFSI. Deshalb darf ich Sie heute Abend herzlich um Ihre Zustimmung bitten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Tagesordnungspunkt 12 a. Wir kommen zur Abstim- mung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/4423 mit dem Titel „Europas Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit durch Forschung und Innovation stärken“. Wer stimmt für die- sen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Tagesordnungspunkt 12 b. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 18/2260 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Neue Dynamik für nukleare Abrüstung - Der Humanitären Initiative beitreten Drucksachen 18/3409, 18/4217 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE In UN-Generalversammlung der Uranwaffen-Resolution zustimmen Vizepräsident Peter Hintze - zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN VN-Resolution zu Uranmunition zustimmen Drucksachen 18/3407, 18/3410, 18/4218 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Brunner, SPDFraktion, das Wort.

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich sage ganz klar: Atomwaffen braucht kein Mensch. Sie schaffen weder Vertrauen noch Sicherheit. ({0}) - Schön, dass die Linken klatschen. - Frank-Walter Steinmeier hat es auf den Punkt gebracht: Global Zero ist mehr als eine Vision; das ist eine Notwendigkeit. Eine Welt frei von Atomwaffen darf verdammt noch einmal keine wolkenhafte Utopie bleiben; sie ist Verpflichtung für uns und für alle Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrags. Gerade deswegen muss die kommende Überprüfungskonferenz in New York gelingen. Ein Scheitern hätte schwerwiegende Folgen, nicht nur für den nuklearen Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozess selbst; es geht auch um die Glaubwürdigkeit der Atommächte. Wissen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren: Wir haben zwar ein Netz von vertrauensbildenden, stabilisierenden Abrüstungsverträgen; das ist jedoch ein Netz, dessen Maschen immer weiter und durchlässiger werden. Manchmal möchte ich gar meinen, dass dieses Netz sogar in Vergessenheit geraten ist. Daher gilt an dieser Stelle besonderer Dank Frank-Walter Steinmeier für seinen unermüdlichen Einsatz; denn er und das Auswärtige Amt unterstützen die Bemühungen des Finnen Jaakko Laajava, doch noch die Konferenz über eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Mittleren Osten zustande zu bringen. Gerade jetzt, bei all den Krisen, wäre es nämlich verantwortungslos, Sicherheit allein zu sehen und dabei Abrüstung und Rüstungskontrolle zu vernachlässigen. ({1}) Um allerdings neue Dynamik in die Sache zu bringen, bedürfte es einer Fülle von Maßnahmen. Würde ich jedoch den gesamten Handlungsbedarf und alle Probleme aufzählen, könnte manch einer vielleicht vor Angst blass werden. Daher heute nur einige Punkte, Hinweise und Anmerkungen, welche mir persönlich wichtig erscheinen. Erstens. Wir brauchen eine Erweiterung der Rüstungskontrolle für Kleinwaffen. ({2}) Sie ist ein wesentliches Element von Krisenprävention und Terrorbekämpfung. Kleinwaffen und leichte Waffen verursachen mehr Opfer als jede andere Waffenart. Man schätzt, dass durch die rund 875 Millionen Stück im Umlauf jedes Jahr eine halbe Million Menschen getötet werden. Ehrlich gesagt: Ich empfand es letztes Jahr, als Kleinwaffen deutscher Hersteller in Südamerika ohne Exportgenehmigung auftauchten, als Schande. ({3}) Wie kann es sein, dass vertragliche Zusagen zur Endverbleibskontrolle unterlaufen werden, sodass nicht mehr genutzte Waffen relativ leicht von den USA nach Kolumbien gelangen? Ja, mit dem ATT-Vertrag wurde Transparenz geschaffen, und die Exportkontrollen wurden verbessert. Aber es braucht auch ein weiterführendes Gesamtkonzept der vielen Einzelmaßnahmen. Ja, es macht mich persönlich wütend, wenn ich in der deutschen Rüstungsindustrie immer nur Jammern höre, weil bei Exportgenehmigungen durch Sigmar Gabriel endlich hingeschaut wird. ({4}) Zweitens. Wann, wenn nicht jetzt, brauchen wir eine reibungslose Umsetzung der Vertrags über den Offenen Himmel von 1992? Open Skies ermöglicht ungehinderte Beobachtungsflüge in den Hoheitsgebieten der Vertragsstaaten. Dies erfolgt, dies funktioniert, dies ist ein Erfolgsprojekt. Open Skies ist der einzige multilaterale Vertrag, der wirklich funktioniert. Er ist die Plattform, um auch und gerade mit Russland weiter kommunizieren zu können. Er kann aber auch die Brücke sein, die zu beschreiten wir Russland anbieten wollen. Deshalb, meine Damen und Herren, sind wir mehr als optimistisch, dass wir bald, so wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wieder mit einem eigenen, einem modernen Flugzeug dabei sind, wenn es darum geht, Open Skies zu unterstützen. ({5}) Daran mit Vorrang zu arbeiten, das ist unsere Aufgabe, und das ist gut so. Drittens: die verbale Aufrüstung. Ich war in der Vergangenheit nie Teil einer sich an Schienengleise ankettenden Friedensbewegung; das Engagement der Menschen in Ehren. Ich glaube auch nicht, dass sich die Lehren und die Rhetorik des Kalten Krieges im Guten und im Schlechten auf heutige Situationen anwenden lassen. Wir haben es mit einer Vielzahl von Krisen zu tun, und dies unter ganz anderen Vorzeichen. Für mich heißt „Abrüstung“ übersetzt nicht banal „weniger Militär“. Die Formel muss vielmehr heißen: Das Richtige wollen, und dies richtig tun. - Das heißt: infrage stellen, Rüstungsexporte von Fall zu Fall prüfen. Das heißt: ehrlich und beharrlich die Chancen suchen, diese Welt sicherer zu machen. Zusammen mit der Rüstungskontrolle heißt das: Vertrauen schaffen. Was mich in letzter Zeit besonders beunruhigt, hat vielleicht nicht unmittelbar mit Abrüstungspolitik oder Rüstungskontrolle zu tun. Es ist die verbale Aufrüstung, die viel Vertrauen im Keim zerstört. Feindbilder in der Gesellschaft werden geschürt. Empörungen gegen einzelne Menschen wachsen. Verschwörungstheorien gegen die Politik werden beliebt. Da ist Russland, das ohne erkennbare Not Dänemark einen Atomschlag androht - Dänemark, ein Land, das neben Island für mich und sicherlich für alle eines der friedliebendsten Länder dieser Welt ist. Da ist Russland, das den Konflikt sucht, um von eigenen Problemen abzulenken. Es konstruiert Bedrohungen, beschäftigt ganze Behörden in Moskau und Sankt Petersburg, die das öffentliche Bild des Landes schönreden und den vermeintlichen Feind scharfzeichnen. Aber da ist zum anderen auch das US-Repräsentantenhaus, das Waffenlieferungen in die Ukraine fordert. Sie sagen, sie wollten Frieden schaffen. Ich sage: Wenn sie das tun, kommt Putin und schafft noch mehr von seinem Frieden. - Aber da ist auch unser enger Freund Frankreich, der seine Atomwaffen weiterhin öffentlich als geeignete Abschreckungswaffe preist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um internationale Verantwortung. Dieses verbale Wettrüsten muss ein Ende haben. Frank-Walter Steinmeier macht diesen Dialog vor: beharrlich in der Sache, auf Augenhöhe und vor allen Dingen mit viel Geduld. Wir werden damit nicht Putin auf den Boden zurückholen - der ist in seiner eigenen Welt -; aber wir und unsere Bündnispartner müssen in unserem eigenen Interesse den sachlichen Dialog suchen. Eigentlich bräuchten wir alle eine Zeit der Ruhe, der Besinnung, eine Zeit des Denkens, weniger des Redens; denn wenn wir es nicht schaffen, die Rhetorik herunterzufahren, wächst die Gefahr, dass aus diesen wilden Visionen eine neue Realität wird. Daher fordere ich: Aus, Schluss und vorbei mit verbaler Aufrüstung! Mehr Dialog, mehr internationale Verantwortung, mehr Pflichtbewusstsein gegenüber Verträgen und mehr Gelassenheit in öffentlichen Debatten! Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und vielen Dank, dass ich kurz überziehen durfte, Herr Präsident. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Inge Höger, Fraktion Die Linke. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben zurzeit den Wechsel von der Außenpolitik der Zurückhaltung von Guido Westerwelle hin zu einer Politik der Übernahme von mehr Verantwortung. Damit einher geht eine massive Aufrüstung der NATO und der Bundeswehr. Was die Große Koalition seit 2013 als Abrüstungspolitik verkauft, verdient diesen Namen leider nicht. Nehmen wir zum Beispiel den Verbleib der USAtomwaffen in Deutschland. Darüber haben Sie in Ihrer Rede kein Wort verloren. Herr Westerwelle hat zwar auch nichts für diesen so dringend notwendigen Abzug getan; aber er hat immerhin die Forderung formuliert. Davon sind wir heute meilenweit entfernt. Stattdessen modernisieren die USA ihr Nukleararsenal in RheinlandPfalz, und die Bundesregierung hat offensichtlich nichts dagegen. ({0}) Die neuen modernen Atombomben sollen dann leichter und zielgenauer eingesetzt werden. Was für ein Hohn! Die Linke bleibt dabei: Die Atomwaffen müssen sofort abgezogen werden. Auch die Bereitstellung von Bundeswehrflugzeugen als Trägersysteme und die Ausbildung deutscher Soldatinnen und Soldaten für den atomaren Ernstfall muss endlich ein Ende haben. ({1}) Ein weniger bekanntes Beispiel für die abrüstungsfeindliche Politik von Schwarz-Rot ist das Abstimmungsverhalten der Bundesrepublik auf UN-Ebene zum Thema Uranmunition. ({2}) Regelmäßig bringen Indonesien und andere Staaten Resolutionen in der UN-Generalversammlung ein, die den Einsatz von Waffen mit abgereichertem Uran problematisieren. In der Vergangenheit hatte die Bundesregierung diesen Resolutionen immer zugestimmt; im vergangenen Jahr hat sie sich leider nur enthalten. Das ist angesichts der vielen Zivilistinnen und Zivilisten, die durch die Einwirkung von abgereichertem Uran erkrankt oder verstorben sind, absolut beschämend. Ich appelliere an die Bundesregierung: Geben Sie sich einen Ruck, und setzen Sie sich gegen den Einsatz von Uranwaffen ein! ({3}) Aber zurück zur weitaus zerstörerischsten und unmenschlichsten Waffe, der Atombombe. Uns liegt heute ein Antrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, der Humanitären Initiative beizutreten. Deren Ziel ist es, die Strategie der nuklearen Abschreckung als das zu bezeichnen, was sie ist: ein Spiel mit dem Leben von Millionen unschuldiger Zivilistinnen und Zivilisten. Jeder Einsatz von Atombomben hätte katastrophale Folgen für das Überleben unseres Planeten. Kein Staat und keine internationale Organisation wären in der Lage, humanitäre Hilfe zu leisten. In diesem Zusammenhang macht es mir große Sorgen, wenn der US-Kongress im Rahmen der Ukraine-Krise mit der Kündigung des Vertrages droht, der den Einsatz nuklearer Mittelstreckenraketen verbietet. Die Bundesregierung sollte entgegen ihrer bisherigen Gewohnheit deeskalierend auf diesen Konflikt wirken. Jeder Drohung, Atomwaffen einzusetzen, muss unmissverständlich widersprochen werden. ({4}) In einigen Wochen wird die Überprüfungskonferenz zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag in New York stattfinden. Noch nie war dieser Atomwaffensperrvertrag so sehr in Gefahr wie momentan. Grund dafür ist unter anderem die Stagnation bei der Umsetzung der 2010 beschlossenen Konferenz für eine Zone ohne Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten. ({5}) Viele Staaten der Region fühlen sich nicht mehr sicher, und sie haben recht: Was hilft ein Atomwaffensperrvertrag, an den sich nicht alle Staaten halten? Es ist gut, dass es bei den Atomverhandlungen mit dem Iran Fortschritte gibt. Ähnliche Fortschritte sind aber auch mit der inoffiziellen Atommacht Israel notwendig. Entweder dürfen alle Atomwaffen haben oder keiner. ({6}) Ich bin dafür, dass kein Staat Atombomben besitzen darf. ({7}) Die Linke setzt sich für eine Welt ohne Atomwaffen und ohne Atomkraftwerke ein. Wenn Sie das auch wollen, dann müssen Sie dem Antrag zustimmen. ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Höger, dann wollen wir einmal Ihren Versuch der parlamentarischen Volksverdummung eindämmen. Sie haben nämlich dem Parlament und der Öffentlichkeit verschwiegen, worum es in Wahrheit bei der UN-Resolution geht. Bei der UN-Resolution geht es um Untersuchungen zur Schädlichkeit des Einsatzes von Uranmunition. Sie verschweigen - und dadurch wird Ihre Absicht der Täuschung sehr offensichtlich -, dass beispielsweise die Bundesrepublik in der Bundeswehr seit rund vier Jahrzehnten gar keine Uranmunition mehr einsetzt und damit vorbildlich vorangeht. Sie verschweigen der Öffentlichkeit auch - und zwar nicht zum ersten Mal, sondern auch schon in der Debatte am 4. Dezember 2014; ich habe das eben nachgelesen -, dass sich die Bundesrepublik Deutschland deswegen enthalten hat, weil sie sich mit ihrer Forderung, auch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in die Untersuchung der Schädlichkeit einzubeziehen, nicht durchsetzen konnte. Man hat sich innerhalb der UN bedauerlicherweise und unverständlicherweise dafür entschieden, einen Teil des Wissensspektrums einfach auszublenden. Deswegen haben wir gesagt: Wir enthalten uns. Wir wollen eine seriöse Untersuchung gewährleistet wissen. - Das war nicht gegeben. Aber weil wir in Deutschland nach wie vor überwiegend von der Schädlichkeit der Uranmunition überzeugt sind und um das Verhalten der letzten Jahrzehnte nicht zu konterkarieren, haben wir uns enthalten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Abgeordneter, die Frau Abgeordnete Höger fragt, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das war eben schon so schwer erträglich, dass ich diese Zwischenfrage nicht zulassen möchte. Das verbessert auch, ehrlich gesagt, ihre Position nicht. ({0}) Meine Damen und Herren, insofern kommen wir heute zu einer Ablehnung der Anträge von Linken und Grünen, die sich mit dem Komplex Uranmunition auseinandergesetzt haben. Zum Thema der atomaren Abrüstung. Der Kollege Brunner hat hier einige ganz allgemeine Überlegungen in den Raum gestellt, verschiedene Regierungsmitglieder gelobt und ein Zitat an den Anfang seiner Rede gestellt. Ich möchte seinem Beispiel folgen und mich einmal auf Papst Franziskus beziehen, der Folgendes gesagt hat: Atomwaffen haben das Potenzial, uns und die Zivilisation zu zerstören. Sie sind ein globales Problem, das alle Nationen betrifft und Auswirkungen auf die zukünftigen Generationen sowie unseren Heimatplaneten hat. - Meine Damen und Herren, ich sage: Dahinter können wir uns alle versammeln. Ich halte, Koalitionsfreund Brunner, Ihre Behauptung „Atomwaffen braucht kein Mensch“ so nicht eins zu eins für richtig. Wir müssen den Blick auf die heutige Zeit richten. Ich finde es bemerkenswert, dass da offensichtlich auch die Kollegin Höger einen ganz dicken Balken in ihrem Auge hat. Wir befinden uns in einer Zeit, in der man - das bekomme ich in vielen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern mit - Angst vor kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa hat. Weswegen ist das so? Russland hat einen Nachbarstaat überfallen, ausgeraubt, Teile des Gebietes der souveränen Ukraine besetzt. Das geht an uns allen nicht spurlos vorbei. Russland hat damit wichtigen Grundvoraussetzungen für Abrüstung, nämlich Verlässlichkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit, einen Bärendienst erwiesen. Es hat einen atomaren Abrüstungsvertrag gebrochen. Das Budapester Memorandum von 1994 - im Übrigen haben wir das vor fast genau einem Jahr hier auch diskutiert - ist leider nicht mehr das Papier wert, auf dem es geschrieben steht. Wir sehen diese Entwicklung nicht nur im Bereich der atomaren Abrüstung, sondern auch bei der konventionellen Abrüstung. Russland entzieht sich einer weiteren Teilnahme am KSE-Abkommen, also an der Überwachung der konventionellen Waffenpotenziale. Das ist meines Erachtens ein ganz schwerer Anschlag auf Vertrauen und Glaubwürdigkeit sowie auf gute Nachbarschaft in Europa. Carsten Müller ({1}) Es hat in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Verletzungen des Luftraums der baltischen Staaten gegeben. Nun würden Sie sagen: Na gut, es sind eben auch die bösen NATO-Staaten. - Aber wie erklären Sie dann beispielsweise Luftraumverletzungen in Finnland? Ich halte es - das hat der Kollege Brunner richtigerweise angesprochen - für nicht angängig, dass ein russischer Botschafter dem Staat Dänemark mit dem Einsatz von Atomraketen gegen dänische Kriegsschiffe droht. Das spricht für sich. So kann man Abrüstung leider nicht fundiert ansehen. Wir wollen uns deswegen nach wie vor im sicheren Schoß der nuklearen Teilhabe der NATO aufgehoben wissen. Die CDU/CSU - das will ich auch sagen - tritt für Abrüstung ein, für konventionelle und nukleare, und zwar insbesondere dann, wenn Abrüstung die Welt sicherer macht, und nicht, wenn einseitige Abrüstung die Welt unsicherer macht und Despoten sich dadurch zu Übergriffen ermutigt fühlen. Deswegen können wir den Anträgen von Linken und Grünen nicht zustimmen. Vielen Dank. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Jürgen Trittin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir waren in diesem Haus schon einmal weiter. Vor fünf Jahren haben CDU/CSU, SPD, die damals noch existierende FDP, die sich heute gefallen lassen muss, von Frau Höger gelobt zu werden, ({0}) und die Grünen einen Antrag für eine Welt frei von Atomwaffen verabschiedet. Damals war es möglich, einen parteiübergreifenden Konsens in dieser Frage zu erzielen. ({1}) Nun stellen wir fest: Das ist vorbei; den Konsens für die atomwaffenfreie Welt gibt es nicht mehr. Sie haben sich - Herr Müller hat das gerade gezeigt - von diesem Konsens verabschiedet. Was das Handeln angeht - nicht Ihre Rede, Herr Brunner -, gilt das auch für die SPD. Wir wollen an diesem Konsens festhalten, auch in schwierigen Zeiten. Damals war es einfach, zu diesem Konsens zu stehen. Es war der Zeitpunkt, wo Barack Obama einen Neustart der US-russischen Beziehungen wollte - übrigens das Gegenteil der von Putin behaupteten Einkreisungspolitik. Es gab eine neue Vereinbarung zur Begrenzung strategischer Waffen. Aber diese ist unter die Räder gekommen, weil wir auf der Basis des Bruchs international gültiger Abrüstungsabkommen - das ist das Budapester Memorandum gewesen - in Europa in eine neue Situation geschlittert sind. Die Frage ist doch nur: Reagieren wir wie sie und vergelten Gleiches mit Gleichem? Bewegen wir uns also in der Spirale der gegenseitigen Aufrüstung? Oder zerstören wir die Erzählung, das Narrativ, von Putin? Was hindert uns zum Beispiel daran, nach erfolgten Verhandlungen mit dem Iran zu sagen: „Wir brauchen keinen Raketenabwehrschirm“? ({2}) Was hindert uns daran, zu sagen: „Sie mögen mit absurden Äußerungen gegenüber Dänemark das Klima in Europa versauen, lieber Herr Putin, aber wir verabschieden uns von der Lüge der Sicherheit durch Abschreckung“? Das wäre doch eine vernünftige Reaktion, zumal wir alle wissen, dass zur Bewältigung moderner Gefahren, der Kriege und Krisen, Atomwaffen überhaupt nicht beitragen können. Die meisten Kriege sind asymmetrisch: zerfallende Staaten und Terrornetzwerke, Ungleichheit, Korruption, Klimawandel, Dürre. Gegen all das hilft kein einziger nuklearer Sprengkopf. Ein einziger würde ausreichen, die Region von Norditalien bis Tschechien und Österreich komplett zu verwüsten. Es hilft also nicht, daran festzuhalten. Interessanterweise teilt auch die Bundesregierung die Einschätzung von den fatalen ökologischen und humanitären Folgen vom Einsatz von Atomwaffen; sie hat an der Konferenz in Wien teilgenommen. Dennoch lagern bis heute in der Vulkaneifel 20 einsatzfähige Bomben. Jeden Morgen steigen deutsche Piloten auf und üben, diese Atombomben abzuwerfen. Als die SPD noch in der Opposition war, wollte sie die abziehen. Jetzt hat die Große Koalition, die Bundesregierung, nicht einmal mehr den Mut, die Erklärung der Humanitären Initiative zu unterschreiben, wonach der Einsatz von Atomwaffen - ich zitiere - „under any circumstances“, also unter allen möglichen Umständen, auszuschließen ist. 155 Staaten haben das unterschrieben. Aber Sie behaupten, das sei mit der NATO-Mitgliedschaft nicht vereinbar. Tatsache ist: Norwegen, Dänemark und Island, alles NATOMitglieder, haben diese Erklärung unterschrieben. Was hindert Sie, Herr Roth, was hindert die Bundesregierung daran, diese Erklärung zu unterschreiben? Ich finde, das kann nur politische Feigheit sein. ({3}) Hier sollen die Atomwaffen nicht nur nicht abgezogen, sondern sogar modernisiert werden. Das ist absurd; das ist feige. Ich zitiere: Das Ziel von Global Zero ist keine Spielwiese für Utopisten; denn diese Waffen sind heute militärisch obsolet. - So Frank-Walter Steinmeier. Herr Steinmeier hat recht; aber dann handeln Sie auch danach. Machen Sie den Weg frei für ein atomwaffenfreies Deutschland! Sorgen Sie für den Abzug der nuklearen Teilhabe! Sorgen Sie dafür, dass diese Waffen nicht modernisiert werden! ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Bitte kommt etwas spät; aber es wäre gut, wenn die Redner bei der Äußerung ihrer wichtigen Gedanken zwischendurch auch auf die Uhr schauen würden und nicht nur auf das Redemanuskript. Wir haben das jetzt akzeptiert. Aber prinzipiell diente dies der allgemeinen Fairness. Die meisten nehmen sich den Höhepunkt für den Schluss vor und verlegen den Schluss an das Ende der Redezeit, genauer gesagt: dahinter. Dann sind wir bei der Gewissensfrage, ob wir den schönen Gedankengang unterbrechen. Wir haben ihn jetzt fließen lassen; aber es wäre trotzdem fair, beim nächsten Mal die Redezeit einzuhalten. Als letzter Rednerin in dieser Aussprache gebe ich das Wort der Abgeordneten Julia Obermeier, CDU/CSUFraktion. ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit den 1970er-Jahren verzichtet die Bundeswehr auf den Einsatz von Uranmunition, auch wenn der Einsatz von Munition aus abgereichertem Uran völkerrechtlich nach wie vor zulässig ist. Was die gesundheitlichen Folgen betrifft, haben die Bundeswehr und die Gesellschaft für Strahlenforschung deutsche Soldatinnen und Soldaten nach ihrem Einsatz im Kosovo untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ihre Gesundheit durch den Einsatz dieser Munition nicht gefährdet war und sie zu keinem Zeitpunkt erhöhten Strahlenbelastungen ausgesetzt waren. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Studien der NATO, der IAEO, der Weltgesundheitsorganisation, der UNO und auch der Europäischen Kommission. Es konnten zwar Spuren von abgereichertem Uran in der Umwelt nachgewiesen werden. Allerdings lag die Belastung weit unter den Grenzwerten der IAEO. In den vorliegenden Anträgen fordern Sie, dass Deutschland für eine UN-Resolution stimmt, die darauf abzielt, die Auswirkungen der Uranmunition weiter zu untersuchen. Allerdings werden die Ergebnisse der eben genannten Studien in dieser Resolution nur teilweise oder gar nicht berücksichtigt. Die Resolution ist also nicht auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Das war der Grund, warum sich Deutschland zusammen mit 20 anderen Nationen bei der Abstimmung im Sicherheitsrat enthalten hat. An den Ursachen dieser Enthaltung hat sich nichts geändert. Deshalb werden wir heute die beiden Anträge der Grünen und der Linken ablehnen. Vor viel größeren Herausforderungen stehen wir bei unseren Abrüstungsbemühungen angesichts des aggressiven Verhaltens Russlands. Seit Beginn der UkraineKrise wird der Ton Russlands gegenüber dem Westen immer schärfer. Vor wenigen Tagen war in einer dänischen Zeitung eine Drohung des russischen Botschafters zu lesen. Demzufolge - ich zitiere - „werden dänische Kriegsschiffe zu Zielen russischer Atomraketen“. Russlands atomare Drohungen richten sich aber nicht nur gegen Dänemark, sondern auch gegen unsere Nachbarn und weitere NATO-Staaten. Moskau will nun wieder Iskander-Raketen in Kaliningrad stationieren. Diese Raketen können Atomsprengköpfe tragen und haben eine Reichweite von knapp 500 Kilometern. Damit können sie Warschau, Vilnius, aber auch Frankfurt an der Oder erreichen. Mit diesen Einschüchterungsversuchen baut Russland eine nukleare Drohkulisse auf. Die Abschreckung als Teil des Strategischen Konzepts der NATO lebt dadurch traurigerweise wieder auf. Mit Blick auf dieses aggressive Verhalten Russlands und auch auf die aktuelle geopolitische Lage wäre es deshalb fatal, nun alle US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa abzuziehen, wie Sie das in Ihrem Antrag fordern. Ebenso wenig darf sich Deutschland aus der operativen nuklearen Teilhabe zurückziehen. Das wäre der falsche Schritt zum falschen Zeitpunkt. ({0}) Das Verhalten der russischen Regierung führt uns vor Augen: Wir sind leider weit entfernt von einer Welt ohne Atomwaffen. Russland bricht internationale Verträge wie das Budapester Memorandum. Freiwillig hat die Ukraine 1994 auf ihre Atomwaffen verzichtet. Im Gegenzug war der Ukraine die Unversehrtheit ihrer Landesgrenzen zugesichert worden. Ihre Kollegin Marieluise Beck hat heute in diesem Haus Russland zu Recht als „gekränktes Imperium“ beschrieben, dessen Verhalten nicht vorhersehbar ist. Deshalb ist es umso problematischer, dass Russland internationale Bemühungen zur nuklearen Abrüstung weiter ablehnt. Der Kreml hat im Dezember 2014 einen wichtigen Pfeiler der amerikanisch-russischen Nuklearkooperation aufgekündigt. Dieses Abkommen sollte verhindern, dass Nuklearwaffen in falsche Hände geraten. Zudem lehnt die Führung in Moskau Angebote der USA nach wie vor ab, ein New-START-Abkommen zu verhandeln. Sehr geehrte Damen und Herren, grundsätzlich würden wir uns in diesem Hause sicherlich alle eine atomwaffenfreie Welt wünschen. Dieses Ziel können wir aber nicht über eine Einbahnstraße erreichen. Länder mit und ohne Atomwaffen müssen diesen Weg gemeinsam beschreiten, sonst landen wir in einer gefährlichen Sackgasse. Deshalb werden wir auch diesen Antrag ablehnen. Vielen Dank. ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende der Aussprache angekommen. Wir kommen jetzt zu einer Reihe von Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 13 a. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Neue Dynamik für nukleare Abrüstung - Der Humanitären Initiative beitreten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4217, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3409 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? 9282 Vizepräsidentin Ulla Schmidt Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 13 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 18/4218. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3407 mit dem Titel „In UN-Generalversammlung der Uranwaffen-Resolution zustimmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3410 mit dem Titel „VN-Resolution zu Uranmunition zustimmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes Drucksache 18/3923 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) Drucksache 18/4454 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4457 Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär für die Bundesregierung. ({2})

Dorothee Mantel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003586

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als wir in der Woche die unterschiedlichen Redezeiten und Redner festgelegt haben, hat unser verkehrspolitischer Sprecher Ulrich Lange darauf hingewiesen, dass die Lkw-Maut weiblich sei und die Pkw-Maut männlich. Deswegen freue ich mich sehr, die Debatte heute gemeinsam mit Daniela Ludwig besprechen zu dürfen. Auch für die Kollegin Ferner war der Grund, hierzubleiben, dass dies aus frauenpolitischer Sicht berücksichtigt werden kann. ({0}) - Eben, Frau Wilms spricht auch. Das Thema ist auf jedem Fall hervorragend abgedeckt. Spaß beiseite, zurück zum Thema. Wir haben hier in den letzten Wochen sehr oft über verschiedene Verkehrsinfrastrukturfinanzierungen gesprochen, und diese haben in den parlamentarischen Beratungen insgesamt einen sehr breiten Raum eingenommen. Deswegen möchte ich mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen im Verkehrsausschuss für die wirklich guten und sachlichen Beratungen und für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ganz besonders möchte ich mich auch bei den beiden Regierungsfraktionen für die vielen Berichterstattergespräche in vielen Bereichen, aber ganz besonders für die konstruktive Zusammenarbeit zum Thema Lkw-Maut bedanken. Wir werden in dieser Woche eine weitere finanzpolitische Diskussion über die Einführung der Infrastrukturabgabe haben; darüber werden wir separat beraten. Jetzt geht es erst einmal darum, uns anzusehen, wie sich die Finanzierung in den nächsten Wochen und Monaten durch die Ausweitung und die Vertiefung der Lkw-Maut durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes entwickelt. Wir haben erst vor wenigen Wochen die erste Lesung gehabt. Da hatte ich bereits die Möglichkeit, den Gesetzentwurf, die Ziele und den Inhalt ausführlich vorzustellen. Ich möchte das nicht alles wiederholen, sondern nur eine kurze Zusammenfassung geben, worum es uns in dem Gesetz geht. Was wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden, ist für uns ein ganz wichtiger Baustein; es handelt sich um ein ganz breites Maßnahmenpaket. Wir haben in unserem Haus bei der Finanzierung der Infrastruktur die Notwendigkeit, zusätzliche Haushaltsmittel zu bekommen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir eine gute Infrastruktur brauchen. Wir haben, zum Beispiel durch dieses Gesetz, 5 Milliarden Euro zusätzlich. Auch morgen werden wir ein Gesetz verabschieden, das zusätzlich Geld in die Kassen spülen wird. ({1}) Wir werden jetzt mit dem Gesetz zur Lkw-Maut in einem ersten Schritt die Mautpflicht zum 1. Juli 2015 auf weitere 1 100 Kilometer vierstreifige Bundesstraßen ausdehnen. Wenn man sich anschaut, wie viel das tatsächlich bedeutet, sieht man, dass es ein Zuwachs des mautpflichtigen Streckennetzes von rund 8 Prozent ist, sprich: von 14 000 Kilometern auf 15 100 Kilometer. Welche Einnahmeerwartung haben wir da? Wir erwarten im Zeitraum von 2015 bis 2017 zunächst einmal Einnahmen von insgesamt 200 Millionen Euro. Es gibt einen zweiten Schritt. Der zweite Schritt soll zum 1. Oktober 2015 erfolgen. Dann wird die Mautpflichtgrenze von derzeit 12 Tonnen auf 7,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht abgesenkt. Hier erwarten wir im Zeitraum von 2015 bis 2017 zusätzliche Einnahmen von insgesamt 675 Millionen Euro. Das sind für uns keine Peanuts, sondern jeder einzelne Euro, jede einzelne Million sind sehr, sehr viel Geld für den Haushalt. Jeder kann sich einmal überlegen, was das bedeutet. Uns liegen ja Briefe von fast allen Abgeordneten vor, in denen Wünsche angemeldet werden. ({2}) - Nein, von Ihnen nicht, Frau Wilms. Ich weiß, dass Sie dem Minister direkt schreiben. ({3}) Wir gehen also davon aus, dass insgesamt 170 000 Lkws aus dem In- und Ausland zusätzlich Maut bezahlen werden, allerdings mit deutlich geringeren mautpflichtigen Fahrleistungen als derzeit im schweren Straßengüterverkehr. Wir hatten - das gehört in den parlamentarischen Beratungen dazu - selbstverständlich eine Diskussion über die Erweiterung der Achsklasseneinteilung von bisher zwei Achsklassen auf zukünftig vier Achsklassen. Wir hatten auch eine Expertenanhörung zu diesem Thema am 16. März 2015. Bei der Anhörung gab es noch einmal viele interessante Aspekte. Aber ich möchte an dieser Stelle ganz deutlich sagen, dass die Bundesregierung die Befürchtung nicht teilt, dass mit der neuen Achsklasseneinteilung Fehlanreize zur Nutzung von Fahrzeugen mit weniger Achsen gesetzt werden, also dass es durch diese neue Achsklasseneinteilung zu Verschiebungen von fünfachsigen zu vierachsigen Fahrzeugkombinationen kommen wird. Vielmehr halten wir diese vier Achsklassen für geboten, weil mit vier Achsklassen die verursachungsgerechte Anlastung der Wegekosten besser gewährleistet werden kann. An der Kostenstruktur im Güterkraftverkehr haben die Mautkosten einen Anteil von 10 bis 15 Prozent. Die Personal- und die Kraftstoffkosten haben mit über 50 Prozent einen weitaus gewichtigeren Anteil an den Gesamtkosten. Wir wollen selbstverständlich eine praxisnahe Lösung; das ist klar. Deswegen sage ich auch: Wir hatten viele Diskussionen. Wir haben uns auf Kompromisse geeinigt, aber wir werden als Bundesregierung - das ist uns wichtig - ganz genau beobachten, ob es durch die Mautänderung zu Änderungen an den Fahrzeugflotten kommt. Wir würden die entsprechenden Ergebnisse selbstverständlich in das nächste Wegekostengutachten einfließen lassen, um eventuelle Fehlanreize - sollte es diese geben; davon gehen wir im Moment nicht aus - zu minimieren. Alles zusammengefasst, kann ich sagen: Ich glaube, wir haben heute mit den unterschiedlichen Modellen einen weiteren wichtigen Schritt gemacht, um unsere Infrastruktur in Deutschland zukunftsfest zu machen und in den nächsten Jahren aufzurüsten. Deswegen noch einmal vielen herzlichen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit. Ich hoffe, dass diese morgen genauso stattfindet. Vielen Dank. ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Thomas Lutze das Wort. ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, das mit morgen - weiß ich nicht. ({0}) Da müssen wir alle noch eine Nacht drüber schlafen; aber ich habe meine Bedenken, dass das funktioniert. Kommen wir zu der Sache, um die es heute geht, nämlich die Lkw-Maut. Hier begrüßen wir es grundsätzlich, dass in Zukunft mehr Fahrzeuge, mehr Verkehrsmittel von der Maut betroffen sein werden, also Maut bezahlen müssen. Das ist richtig. Wir brauchen eine Abgabe, die wirklich streng nach dem Kriterium des Verursacherprinzips aufgestellt ist. Wie gesagt, da bewegen wir uns im Moment in die richtige Richtung. ({1}) Die Gesetzesvorlage beinhaltet allerdings mehrere Punkte - das ist auch vonseiten der Koalitionsabgeordneten immer wieder betont worden -, die nach wie vor noch nicht so ausgereift sind, dass man sagen kann: Wir machen hier ein Gesetz, das die nächsten zehn Jahre Bestand hat. - Ich glaube, auch dieses Gesetz werden wir in dieser Wahlperiode noch das eine oder andere Mal zur Vorlage bekommen. Das ist bei diesem Thema auch kein Beinbruch; da können wir über alles reden. Es ist uns bewusst, dass in diesem Gesetzentwurf eine ganze Reihe von Ausnahmen vorhanden ist. Bei der einen oder anderen Ausnahme bin ich auch dabei. Wenn man zum Beispiel sagt, dass Schausteller- und Zirkusbetriebe von der Maut befreit sein sollen, dann hat das sicherlich gute Gründe. Wenn es allerdings weiter heißt, dass Reisebusse - hiermit meine ich vor allem die Fernlinienbusse - von dieser Maut befreit sein sollen, dann mache ich mehr als ein großes Fragezeichen daran. Worum geht es eigentlich? Ich denke, dass wir die Verkehrsmittel, über die wir in der Verkehrspolitik insgesamt reden, miteinander vergleichen müssen. Da ist es für mich nicht nachvollziehbar, warum zum Beispiel ein Zug- bzw. Bahnreisender für jeden Kilometer, den er fährt, eine Streckengebühr bezahlen muss, dass auch für jeden Halt, den der Zug an einer Station oder einem Bahnhof macht, eine Gebühr fällig wird und dass Fernlinienbusse im Gegensatz dazu die Infrastruktur - sprich: die Autobahnen und Bundesstraßen - vollkommen kostenfrei benutzen dürfen. Das halten wir von der Linken für zumindest diskussionswürdig. ({2}) Es gibt natürlich Bedenken. Die Fernlinienbusse wurden auch deshalb eingeführt, weil man gesagt hat: Man kann damit eine günstige, eine billige Alternative zur teuren Bahn schaffen. - Die Frage ist nur: Was würde denn in der Realität passieren, wenn man, wie wir vorschlagen, eine Fernbusmaut einführen würde? Eine Fahrkarte von Berlin nach Saarbrücken zum Beispiel würde ungefähr 1 Euro bis 1,50 Euro teurer werden. Bei Fahrpreisen auf dieser Strecke von 25 Euro bis 50 Euro ist das sicherlich ein absolut überschaubarer Betrag. ({3}) Bei allem Respekt: Bei diesen Summen bricht nicht sofort der komplette Fernbusmarkt zusammen. Das glaube ich beim besten Willen nicht. ({4}) Wir als Linksfraktion haben einen Änderungsantrag eingebracht. Wenn Sie ihm zustimmen, dann leisten Sie einen Beitrag zu mehr Wettbewerbsgerechtigkeit zwischen den Verkehrsträgern und Verkehrsmitteln. Es kann, wie gesagt, für meine Begriffe nicht sein, dass man für einen Zug, der zum Beispiel von Frankfurt nach Hamburg fährt, zahlen muss, während ein Fernbus, der in aller Regel parallel zur Eisenbahn fährt, die Infrastruktur kostenfrei benutzen darf. Wenn wir eine Fernbusmaut hätten, würde sie dem Finanzminister rund 90 Millionen Euro pro Jahr einbringen. Dies ist sicherlich keine Riesensumme, aber verglichen mit dem, worum es in der Diskussion morgen gehen wird, auch kein schlechter Betrag. ({5}) Ja, Fernbusse sind eine beliebte, da billige Alternative zur Bahn und zum Flugzeug. Aber neben dem Wettbewerbsvorteil, den die Fernbusse bezüglich der Maut haben, gibt es weitere Schattenseiten: Die Fahrerinnen und Fahrer werden im Gegensatz zu Lokführern oder Flugzeugpiloten unterirdisch bezahlt. Bis 2019 können diese Busse nach wie vor völlig frei von Plätzen für Rollstuhlfahrer durch die Gegend fahren. Ich mache ein ganz großes Fragezeichen, ob das Gesetz, nach dem auch Fernbusse behindertengerecht sein müssen, 2019 umgesetzt wird. Zurück zur Maut. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag einfach zu! Sagen Sie Ja dazu! Dann würden wir im Gegenzug auch Ja zu Ihrem Gesetzentwurf sagen. ({6}) - Es ist ganz einfach. Das ist ein kleiner Änderungsantrag. - Sie brauchen ihm nur zuzustimmen. Ansonsten werden Sie von der Linken für Ihren Gesetzentwurf eine wohlwollende, aber kämpferische Enthaltung bekommen. Herzlichen Dank. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Sebastian Hartmann, SPD-Fraktion. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme einmal an, Herr Kollege, dass sich das Angebot auf das heutige Mautgesetz bezogen hat und nicht auf das morgige. ({0}) Okay, gut. Wir konzentrieren uns jetzt heute auf heute; morgen ist ja auch noch ein Tag. Tatsächlich ist das verkehrspolitisch eine bewegende Woche, wenn wir an den Ausschuss denken und an das, was in Europa passiert ist; das ist für uns Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitiker und alle hier im Hause auch nicht einfach. Aber heute Abend sprechen wir über die Lkw-Maut, und ich möchte mich bei den Ausführungen auch wirklich auf das Gesetz und unsere Perspektive, die wir in dieses Gesetz hineinbringen, konzentrieren. Tatsächlich - Sie haben es ausgeführt, Frau Staatssekretärin -: Es geht um die Vertiefung und die Verbreiterung der Bemautung unserer Straßen. Das ist im Koalitionsvertrag ausgeführt, wir haben es vereinbart. Auf der anderen Seite gleichen wir auch Mindereinnahmen aus, die daher kommen, dass wir den europäischen Rechtsrahmen ausschöpfen müssen. Da geht es auch um Kapitalkosten und Zinskosten. Wir müssen in einer Wegekostenrechnung auch die Kosten entsprechend nachweisen. Wir gehen heute Abend einen Schritt, um insgesamt die Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur mit 380 Millionen Euro - das ist nicht wenig Geld - an jährlichen Mehreinnahmen zu verstärken. Mehr Einnahmen bedeutet: eine bessere und leistungsfähigere Infrastruktur. Wir gehen einen weiteren Schritt weg von der Haushaltsfinanzierung hin zu einer stärkeren Nutzerfinanzierung, folgen damit einem europäischen Trend. Aber lassen Sie uns doch einen Ausblick wagen. Wir gehen als Große Koalition weit über das hinaus, was wir heute Abend beschließen. Wir haben deutlich gemacht, wie die Perspektive des zukünftigen Mautsystems ausseSebastian Hartmann hen soll. Wir werden uns verabschieden müssen von bestimmten Systematiken, die wir bislang zur Grundlage der Bemautung gemacht haben. Das simple Zählen von Achsen wird nicht mehr ausreichen, um Gewichte ausreichend abzubilden. Man muss sich vor Augen führen, dass die Achsklasse der Vierachser im Moment Gespanne von 7,5 Tonnen bis zu 38 Tonnen unfasst; da fehlt nicht mehr viel zu Fünfachsern mit bis zu 40 Tonnen. ({1}) Die Staatssekretärin ist auf die Anhörung eingegangen. Wir nehmen die Hinweise des Gewerbes ernst. Wir nehmen die Hinweise der Speditionen ernst. Wir danken auch für die wichtigen Hinweise, die wir von den Sachverständigen erhalten haben, auch durch die Stellungnahmen. Es ist wichtig, dass wir anerkennen, dass es eine Achsklassenproblematik gibt, und dass wir Ergebnisse aus der bisherigen Bemautung und ihrer Kontrolle in die zukünftige Fortentwicklung des Systems einfließen lassen und dieses System erweitern und ihm eine Perspektive geben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Die Härten, dass wir nach der bisherigen Systematik das Gewicht anhand der Achsen nicht eindeutig abbilden können, erkennen wir an. Wir zeigen mit unserem Entschließungsantrag auf, dass wir uns bei der Anlastung der Infrastrukturkosten zukünftig viel deutlicher am tatsächlich auf die Straße gebrachten Gewicht orientieren wollen; denn wir müssen den tatsächlichen Verschleiß, den Verbrauch unserer Infrastruktur abbilden und genau das bemauten. Weil wir das in der bisherigen Systematik nicht so einfach können - wir können nicht eine Vollbremsung einlegen und das System von jetzt auf gleich umschalten -, ist es wichtig, dass wir dem Gewerbe ausreichend früh die Perspektiven aufzeigen. Damit erreichen wir zwei Dinge: Einerseits vermeiden wir eine kurzfristige Umstellung des Fuhrparks, wie sie drohte, wenn jetzt ein falscher Anreiz geschaffen würde, beispielsweise von fünf auf vier Achsen umzustellen; denn es wird sich nicht lohnen, den Fuhrpark für eine Übergangszeit umzustellen. Andererseits zeigen wir auf, dass wir uns näher am Gewicht orientieren wollen. Eine zweite Erkenntnis konnten wir ebenso aus der Anhörung der Sachverständigen entnehmen. Wir blicken auf eine erfolgreiche Bemautung unserer Bundesfernstraßen, der Bundesautobahnen und der Bundesstraßen zurück. Für die Freunde der Statistik: Wenn zu 1 200 Kilometern Bundesstraße, die bemautet werden, weitere 1 100 Kilometer Bundesstraße hinzukommen, was wir heute beschließen, dann zeigt das die Perspektive auf: dass wir demnächst alle Bundesstraßen einbeziehen müssen. Das ist ein Vielfaches der jetzt angestrebten Verdopplung der bemauteten Kilometer Bundesstraßen. Das ist ein Ziel, das wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, und wir zeigen auch den Weg auf: dass wir zur Mitte des nächsten Jahres mit einem eigenen Gesetzentwurf klarmachen werden, wie es mit der Bemautung unserer Straßen weitergeht. Der verbindliche Zeitplan wird erweitert. ({3}) Und nicht nur das: Wir haben in der Sachverständigenanhörung auch die Erfahrung gesammelt, dass die Trennung in Mautkontrolldienst und Straßenkontrolldienst eine willkürliche Trennung ist, die aber aus haushalterischen Gründen notwendig ist. Wir wollen den Personaleinsatz zukünftig flexibilisieren, wenn das Geld im Mautkreislauf rechtssicher angelastet werden kann. Das eröffnet nicht nur eine effizientere Kontrolle unserer Straßen, sondern eröffnet auch den Kolleginnen und Kollegen im BAG - das ist für sie sehr wichtig - ganz neue Perspektiven. Wir nehmen die Hinweise des Präsidenten des BAG, für die ich mich ausdrücklich bedanken möchte, sehr ernst und sagen ihm zu, dass wir diesen Weg weitergehen wollen. ({4}) Ein weiterer Gedanke ist: Wenn wir das System erweitern, dann wollen wir das auch durch die Verknüpfung des einen Verkehrsträgers mit den digitalisierten Möglichkeiten der Zukunft tun. Wenn wir über intelligente Netze sprechen, dann müssen wir die Daten, die wir durch das Lkw-Mautsystem gewinnen, nutzbar machen, und zwar anonym, nicht einer Person zuordbar, nicht für andere Zwecke, sondern gemäß dem Gedanken, dass wir mit intelligenten Netzen das System insgesamt effizienter machen. ({5}) Frau Kollegin Dr. Wilms, wir schätzen den Austausch immer. Aber bedenken Sie: Wenn wir die Netze intelligent machen und auf die Daten der Telematik zugreifen, dann lassen sich Staukosten und unnötige Umweltbelastungen vermeiden sowie die Fahrzeuge sicherer machen. Auch diese Perspektive zeigen wir auf. Wir machen die Daten dabei entsprechend den Vorgaben des härtesten europäischen Datenschutzes verfügbar. Frau Kollegin Dr. Wilms, machen Sie doch einfach mit! Erkennen Sie doch an, dass wir als Große Koalition sagen: ({6}) Ja, wir können bei der dritten Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes nicht alle Wege auf einmal gehen. Aber im Gegensatz zu Ihnen zeigen wir sehr deutlich einen Weg auf, wie es gehen kann und wohin wir wollen. ({7}) Das lädt doch zur Zustimmung ein, liebe Frau Kollegin. ({8}) Angesichts meiner Redezeit, die abläuft, fasse ich zusammen: Wir stellen das System um. Wir verlagern die Bemautung weg von den reinen Achszahlen hin zu der tatsächlichen Belastung unserer Infrastruktur durch Gewicht. Ein letzter Gedanke. Wir unterstützen die Bundesregierung auf ihrem Weg in Europa. Sie will dafür sorgen, dass der europäische Rechtsrahmen weiterentwickelt und die entsprechende Richtlinie angepasst wird. Zukünftig werden die externen Kosten der tatsächlichen Belastungen durch Luftschadstoffe und Lärm im Rahmen eines entsprechenden Katasters den Infrastrukturkosten hinzugefügt, um eine faire Bemautung aller Verkehrsträger organisieren zu können. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Als Nächste hat die Kollegin Dr. Valerie Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf den Tribünen! Frau Staatssekretärin Bär, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein hübscher Versuch, reicht aber bei weitem nicht aus, um die Infrastrukturprobleme in diesem Land zu lösen. Mithilfe dieses Gesetzes werden Sie zwar etwa 380 Millionen Euro einnehmen, wie Kollege Hartmann eben deutlich ausgeführt hat. Aber durch die Senkung der Lkw-Maut aufgrund des katastrophalen Wegekostengutachtens, das in Gang gesetzt wurde, hatten Sie bereits Einnahmeverluste in Höhe von 460 Millionen Euro zu verzeichnen. Betreiben wir nun einmal einfache Mathematik wie in der Grundschule: 380 Millionen minus 460 Millionen ergibt nach meiner Rechnung - das entspricht Adam Riese noch immer ein Minus von 80 Millionen. Ist das der Weg nach vorne, den man beschreiten will, um mehr Einnahmen zu erzielen? Fehlstelle, Sie haben nichts! Niente! ({0}) So lösen Sie die Infrastrukturprobleme garantiert nicht. Bleiben Sie auf dem Teppich! Verkaufen Sie dieses Gesetz nicht als Chance auf riesengroße Einnahmesteigerungen! Wie Sie wissen, wird es mit uns nur eine verursachergerechte Maut geben. Das beinhaltet eine Ausweitung auf alle Bundesstraßen und eine Maut für Lkws ab 3,5 Tonnen. Also auch die sogenannten Sprinter müssen einbezogen werden. ({1}) Eine Pkw-Maut à la CSU - darüber werden wir morgen noch sehr intensiv reden; ich schätze, dass dann auch Ihr Minister persönlich anwesend sein wird - schließen wir kategorisch aus, weil sie nicht verursachergerecht ist. Ein Lkw zerstört die Straßen bis zu 60 000-mal mehr als ein Pkw. Das muss sich auch in den Mautgebühren widerspiegeln. ({2}) Ich komme jetzt zu diesem Gesetzentwurf. ({3}) Wir werden ihn heute unterstützen, weil Sie damit einen kleinen Schritt in die richtige Richtung gehen und versuchen, die Einnahmeverluste aus dem letzten Jahr etwas auszugleichen. Werte Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland gibt es aber 32 000 Kilometer Bundesstraßen und nicht nur 1 100 Kilometer. Das sollten Sie schon ernst nehmen. Sehen Sie darum zu, dass Sie so schnell wie möglich alle Bundesstraßen in die Mautberechnung aufnehmen. Dann erhalten Sie nämlich 2,3 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich, und damit könnte dieses Ruinenministerium endlich auch einmal etwas Vernünftiges anfangen, nämlich einen Teil des Dilemmas der bröckelnden Republik beseitigen. ({4}) Wir mussten den stetigen Verfall der Straßen in den letzten Monaten leidvoll erleben: an der Leverkusener Rheinbrücke und an der Rader Hochbrücke. Das wird sich im ganzen Land weiter fortsetzen, wenn wir nicht gegensteuern. Ich komme jetzt zu der tollen Anhörung, die der Kollege Hartmann hier angesprochen hat. In dieser Anhörung haben wir sehr deutlich gehört, dass es den Sachverständigen um eine gerechte Maut geht. Das wollen wir auch. Wir wollen eine Maut, die die schweren Brummer stärker belastet, weil sie die größten Schäden an unseren Straßen anrichten. Hier müssen wir hin. Wir dürfen uns nicht nur die Achslast anschauen, sondern wir müssen auch das Gesamtgewicht im Blick haben. Kollege Hartmann hat das eben ja auch deutlich dargestellt. Dies muss möglichst schnell in Gang kommen; denn bei uns in Schleswig-Holstein fahren die Hunderttonner über die Rader Hochbrücke und machen diese Brücke kaputt. Warum sollte es sinnvoll sein, neue Achsklassen einzuführen? Es werden dann Fahrzeuge mit weniger Achsen eingesetzt, auf deren Achsen jeweils mehr Gewicht lastet. Das, was Sie derzeit veranstalten, ist also grober Unfug. ({5}) Ich appelliere daher an Sie: Beobachten Sie die Entwicklung ganz genau, und passen Sie die Achsklassen schnellstens verursachergerecht an! Arbeiten Sie daran, dass wir das Verkehrssystem endlich ausreichend erhalten können! Dafür brauchen wir dringend die Lkw-Maut für alle außerörtlichen Straßen und für alle Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen Gesamtgewicht, also auch für die Fernbusse. Da sind wir mit dabei. ({6}) Beenden Sie das Klein-Klein, und übernehmen Sie endlich Verantwortung für den gesamten Verkehrsbereich! Wenn Sie das vielleicht, werte Kollegin, dem Minister heute Abend noch mitteilen könnten, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar. Danke. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Daniela Ludwig, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Woche ist die Woche des Systemwechsels. Mit der morgigen Debatte zur Pkw-Maut und mit der heutigen Erweiterung und Vertiefung der Lkw-Maut bekennen wir uns als Große Koalition ganz klar zum Verursacherprinzip und zur Nutzerfinanzierung. Das ist sicherlich eine gute Nachricht an diesem Abend. Der Erhalt und der Ausbau insbesondere der Verkehrsinfrastruktur werden uns natürlich auch künftig weiter beschäftigen. Liebe Frau Dr. Wilms, es ist völlig richtig, dass wir an der einen oder anderen Stelle dringenden Nachholbedarf haben. Ich will jetzt nicht wieder die Vergangenheit bemühen, in der auch Sie ab und an einmal Verantwortung in der Regierung trugen, aber ich kann mich an kaum einen Verkehrsminister erinnern, dem es gelungen ist, einen Verkehrshaushalt im Umfang von 14 Milliarden Euro aufzulegen, wie es Alexander Dobrindt in den nächsten Jahren gelingen wird. ({0}) Das ist ein sensationelles Ergebnis, und dafür brauchte es halt erst die CSU und die CDU. ({1}) Auch die Lkw-Maut ist trotz einiger Wehwehchen zum Zeitpunkt ihrer Einführung sicherlich eine Erfolgsgeschichte geworden. Das hängt nicht nur mit den zusätzlichen Einnahmen zusammen, sondern auch damit, dass ihre geschickte Ausgestaltung gerade in den ersten Jahren in der Branche Anreize für Investitionen in die Flotte gesetzt hat, sodass es zu einer deutlichen Schadstoffreduzierung gekommen ist. Insofern ist es wichtig und richtig, diese Erfolgsgeschichte mit diesem Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen, nun auch fortzuschreiben. Es ist völlig richtig gesagt worden: 1 100 Kilometer vierstreifig ausgebaute Bundesstraßen mehr, nicht mehr nur Zwölftonner, sondern Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen. ({2}) Natürlich wird es auch - liebe Frau Dr. Wilms, Sie haben unseren Koalitionsvertrag, wie ich Sie kenne, sicherlich gut gelesen - die Ausweitung auf alle Bundesstraßen geben. ({3}) Dazu haben wir uns frühzeitig bekannt. Das ist Wille dieser Großen Koalition. Seien Sie sich sicher: Wir setzen dieses Ziel genauso konsequent um wie morgen die Pkw-Maut. Wir haben aber auch, lieber Kollege Hartmann - Sie haben die Kniffe, wie ich finde, schon perfekt genannt -, die Schwächen erkannt, die sich gerade in den letzten Monaten gezeigt haben. Das war letztlich auch der Grund für unseren Entschließungsantrag, für den ich hier stark werben möchte. ({4}) Damit wird der Finger in die Wunde gelegt, und damit werden die Knackpunkte angegangen. ({5}) Wir wollen, dass die Datengrundlage für das nächste Wegekostengutachten deutlich überarbeitet und deutlich verbessert werden; denn es ist genauso, wie Sie sagen: Die tatsächliche Belastung der Infrastruktur durch die Fahrzeuge muss ausschlaggebend sein. Das muss am Ende des Tages unser Ziel sein und kein Umweg über diverse Berechnungsmethoden. Ich glaube, da sind wir wesentlich näher beieinander, als das der eine oder andere Redebeitrag vermuten lassen würde. Wir müssen uns auch auf europäischer Ebene für Verbesserungen einsetzen - auch das finden Sie in unserem sehr gelungenen Entschließungsantrag -, ({6}) nämlich für die mögliche Anlastung externer Kosten. Auch muss die Methodik für die Wegekostenrechnung so weiterentwickelt werden, dass ein noch höherer Kostendeckungsgrad erreicht wird sowie deutlich mehr Stabilität im Hinblick auf die anlastbaren Wegekosten. Wir brauchen nicht nur Rechtssicherheit, sondern wir brauchen auch Finanzsicherheit. In diesem Sinne glaube ich, dass wir heute einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung tun, aber dass wir damit nicht am Ende sind, sondern dass im Gegenteil noch sehr viel Arbeit vor uns liegt. Darüber, dass wir die Lkw-Maut noch ökologischer und noch verursacherge9288 rechter ausgestalten müssen, sind wir uns alle einig. Deswegen ist der nächste richtige Schritt die Ausweitung auf alle Bundesstraßen dieser Republik. Wichtig für uns: Wir gehen es an. Morgen packen wir die Pkw-Maut. In diesem Sinne: Vielen herzlichen Dank. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4454, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/3923 anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4462 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in der dritten Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/4463. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich brauche jetzt nur noch für kurze Zeit Ihre ganze Aufmerksamkeit. Ich verspreche Ihnen auch, dass ich Sie dann, wenn das hier jetzt zügig geht, entlasse. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Hunger bekämpfen, Recht auf Nahrung stär- ken Drucksachen 18/1482, 18/3613 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.1) Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3613, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1482 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes Drucksache 18/2231 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1}) Drucksache 18/4355 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4355, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/2231 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption Drucksache 18/4350 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2}) Innenausschuss 1) Anlage 6 2) Anlage 7 Vizepräsidentin Ulla Schmidt Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4350 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes ({3}) Drucksache 18/4349 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({4}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie 1) Anlage 8 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) Ich sehe keinen Widerspruch. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4349 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe, Sie sind alle damit einverstanden. Dann ist die Überweisung beschlossen. Wie versprochen, sind wir jetzt am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27. März 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.