Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/25/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Herr Bundesminister des Innern, Herr Dr. Thomas de Maizière. - Herr Minister, Sie haben das Wort.

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist geboten, dass ich mitteile, dass das Bundeskabinett heute zu Beginn der Sitzung der Opfer des Flugzeugabsturzes gedacht hat; auch um den Angehörigen zu zeigen, dass wir gemeinsam mit ihnen trauern, habe ich gestern in Absprache mit Spanien eine dreitägige Trauerbeflaggung bis einschließlich Freitag für die Bundesbehörden angeordnet. Ich bin sicher, die Länder werden das übernehmen. Es wird vermutlich auch eine Trauerfeier geben. Dann wird diese Beflaggung sicher auch noch einmal erfolgen. Ich will einen weiteren Satz sagen, da Sie das wahrscheinlich von mir erwarten und ich nicht möchte, dass dazu Nachfragen provoziert werden: Spekulationen und Mutmaßungen zu möglichen Unfallursachen sollten unterbleiben. - Das ist schon mit Rücksicht auf die Opfer und deren Angehörige meine dringende Bitte an alle Beteiligten. Auch nach aktuellem Stand gilt: Es gibt keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Ursache für den Absturz absichtlich durch Dritte herbeigeführt wurde. Selbstverständlich ist aber, dass mit Hochdruck in alle Richtungen ermittelt wird. - Ich glaube, das Parlament hat Anspruch darauf, dass der Bundesinnenminister zu Beginn seine Einschätzung mitteilt. Neben anderen Tagesordnungspunkten waren in der Tat das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Gesetzentwurf zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes ein zentrales Thema; auch das ist in diesem Hause nichts Neues. Der Bundestag hat darauf gedrungen, dass es Reformmaßnahmen gibt - viele sind in Bund und Ländern angelaufen -, aber auch gesetzgeberischen Umsetzungsbedarf gesehen. Das hat natürlich mit dem Schock des NSU-Versagens zu tun und findet jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Antwort, soweit diese gesetzgeberisch erfolgen kann. Zunächst einmal wollen wir das Bundesamt für Verfassungsschutz stärken. Das geschieht dadurch, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz eine koordinierende Rolle bekommt und wie eine Zentralstelle arbeiten kann. Da hätte sich mancher aus dem NSU-Untersuchungsausschuss, wie ich weiß, noch mehr gewünscht. Aber das ist einem Kompromiss mit den Ländern geschuldet. Wir haben umgekehrt darauf bestanden, dass dann, wenn es gewaltbereite Bewegungen oder Organisationen in einzelnen Ländern gibt, im Einzelfall im Benehmen - auch ohne Einvernehmen - das Bundesamt für Verfassungsschutz dort beobachten können muss. Ich hatte den Eindruck, das wäre ein Kompromiss gewesen. Neuerdings höre ich daran wieder Kritik. Ich glaube aber, es ist ein vernünftiger Kompromiss. Im Übrigen haben wir das Gesetz so ausgestaltet, dass es nicht zustimmungspflichtig ist. Zweitens haben wir in diesem Gesetzentwurf geregelt, dass der Umgang mit den vorhandenen Daten vernünftig erfolgt. Ich wage es kaum zu sagen: Wir schreiben jetzt in das Gesetz hinein, dass sich die Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes verpflichten, alle relevanten Informationen untereinander auszutauschen. Das wird dann Gesetzeslage. Ich bedauere, dass wir diese Formulierung in das Gesetz schreiben müssen; aber es gab dazu ja Anlass. Es gibt jetzt einen klaren Zugang zu NADIS, das ist das Informationssystem. Es gibt auch die Verknüpfung von Informationen zu Personen und Ereignissen. Auch das war mangelhaft. Daran kann es natürlich daten9104 schutzrechtliche Kritik geben. Die ist auch vorgetragen worden. Man kann aber nicht verlangen, dass die vorhandenen Informationen besser ausgetauscht werden, und gleichzeitig verlangen, dass man es nicht darf, weil es ein Datenschutzproblem ist. Das passt beides nicht zusammen. Gleichwohl haben wir den datenschutzrechtlichen Umgang genauer geregelt. Die Befugnis derer, die zugreifen können, ist zum einen begrenzt, zum anderen gibt es eine Protokollierungspflicht, wer zugreift. Auch das war ja ein Problem. Ich hoffe, dass damit auch dem Datenschutz Rechnung getragen wird. Wir haben außerdem - das ist ein sehr wichtiger Punkt - Klarheit bei den V-Leuten geschaffen. Diese V-Leute sind ja Menschen, mit denen man vielleicht nicht so gerne zusammenarbeiten möchte, aber man braucht sie, um an Informationen zu gelangen. Und sie sind in einer Szene, in der es ein szenetypisches Verhalten gibt, das wir politisch oder sogar rechtlich missbilligen. Bisher gab es zum Einsatz von V-Leuten nur spezielle Regelungen in Verwaltungsvorschriften und durch lose Absprachen. Wir schaffen dafür erstmals einen klaren gesetzlichen Rahmen und klare Grenzen. Grenzen heißt: Szenetypisches Verhalten einschließlich Straftaten ist zulässig. Erfolgt rechtswidrig eine Beteiligung an erheblichen Straftaten, soll der Einsatz unverzüglich beendet werden. Die Verletzung von Individualgütern wie Körperverletzung ist nicht zulässig. Gleichwohl haben wir vorgesehen, dass dies grundsätzlich gilt. Wenn es im Einzelfall einmal anders ist, muss darüber der Behördenleiter oder sein Vertreter entscheiden. Nehmen wir einmal den Fall eines Dschihadisten, der aus Syrien oder dem Irak zurückkommt und bei dem wir vermuten, dass er schwere Straftaten begangen hat, mit dem wir aber die Möglichkeit hätten, in die Szene hineinzusehen, um einen Anschlag zu verhindern. Wir wären ja fahrlässig, wenn wir diese Information nicht nutzen würden und diesen V-Mann nicht abschöpfen würden. In diesem Einzelfall muss der Behördenleiter oder sein Vertreter sagen, dass abweichend vom Grundsatz so verfahren wird. Das ist eine schwierige rechtsstaatliche Abwägungsentscheidung, weil wir hier Menschen, die es nicht verdienen, sozusagen in gewisser Weise straffrei stellen. Dass aber in der Abwägung so entschieden werden kann, ist nötig zur Gewinnung von Informationen, die wir für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und für den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung brauchen. Das ist eine klare Regelung. Sie ist rundum abgestimmt. Sie ist neu. Der Rechtsstaat regelt das erstmals aufgrund der Erfahrungen des NSU-Untersuchungsausschusses. Dieses Gesetz ist sorgfältig abgestimmt. Wir werden bald eine erste Lesung haben, und ich hoffe, dass wir es schnell beraten können, damit wir damit eine Konsequenz aus dem NSU-Untersuchungsausschuss ziehen können.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank, Herr Minister. - Als erste Abgeordnete hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die Linke das Wort.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Minister, es ist kein Geheimnis, dass wir beide wohl in diesem Leben nicht mehr zu einer übereinstimmenden Positionierung hinsichtlich der Existenz des Bundesamtes für Verfassungsschutz kommen. Meiner Ansicht nach wäre es konsequent gewesen, den Verfassungsschutz als Geheimdienst aufzulösen und die V-Leute-Praxis sofort zu beenden. Gleichwohl werde ich konkrete Fragen zu Ihrem Gesetzentwurf stellen. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Personen als V-Leute angeworben werden können, gegen die Vorstrafen in Höhe von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verhängt wurden. Laut Strafverfolgungsstatistik aus 2013 fielen darunter neben schweren Gewaltdelikten sogar Tötungsdelikte. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung angemessen und zur Bekämpfung und Verhinderung von Straftaten geeignet, dass der Staat mit solchen Schwerverbrechern zusammenarbeitet?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Minister.

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Frau Abgeordnete Pau, zunächst will ich sagen: Ich respektiere in vollem Umfang Ihre Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss, auch Ihre ganz persönliche, und weiß uns in vielen Fragen einig, in der Frage der Abschaffung des Bundesamtes allerdings nicht. Ich glaube, es wäre nicht sinnvoll, der Polizei Vorfeldbeobachtungsaufgaben zu übertragen. Außerdem wäre es überhaupt nicht sinnvoll, den Rechtsstaat im Hinblick auf die Beobachtung von Vorfeldarbeit extremistischer Bestrebungen blind zu machen. Das haben wir, glaube ich, aus den Erfahrungen der Weimarer Republik gelernt. Wir sind ein wehrhafter Staat, und deswegen ist das so absolut richtig. Deswegen hat das Bundesamt ja auch keine exekutiven Befugnisse, aber eine Frühwarn- und Warnfunktion. Der Vorwurf im Zusammenhang mit dem NSU war doch: Wie konnte es geschehen, dass ihr das nicht habt kommen sehen? ({0}) - Trotz der vielen V-Leute. Von mir aus, ja. - Ohne eine Verfassungsschutzbehörde würde man jedenfalls diesen Vorwurf in Zukunft immer hören. Deswegen halte ich Ihre Konsequenz nicht für gerechtfertigt. Was nun das Führen der V-Leute angeht, so gab es dort in der Tat Mängel und Missbrauch. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf räumen wir damit auf - mit klaren gesetzlichen Regelungen, die es bisher nicht gab. Das, was Sie gesagt haben, mag, was den Strafrahmen angeht, zutreffen; im Entwurf ist jedoch ausdrücklich geregelt, dass V-Leute keine Individualgüter verletzen dürfen. Dies ist zum Beispiel schon bei einer einfachen Körperverletzung oder sogar einer einfachen Sachbeschädigung der Fall. Das von Ihnen geschilderte ProBundesminister Dr. Thomas de Maizière blem, nämlich dass jemand wegen eines Tötungsdelikts vorbestraft ist, stellt sich deshalb nicht, weil bei Verurteilungen wegen Verbrechen eine Verpflichtung grundsätzlich nicht in Betracht kommt, selbst wenn eine Bewährungsstrafe verhängt wurde - mit der extremen Ausnahme, über die ich geredet habe und über die dann der Behördenleiter entscheiden muss. Sie können das auch gar nicht - - Die Zeit läuft ab. Entschuldigung! Ich habe nur eine Minute. Vielleicht sage ich es dann bei der nächsten Antwort.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das ist sicherlich noch möglich. - Als nächste Fragerin hat die Kollegin Renner von der Fraktion Die Linke das Wort.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Minister. - Ich würde gleich beim Komplex „Versagen im Zusammenhang mit dem NSU“ anschließen. Es geht ja auch darum, dass die Informationen der Spitzel in keiner Weise dazu geführt haben, die Analysefähigkeit des Amtes insbesondere hinsichtlich Erkennen von Rechtsterror und Verhinderung dieser Mordserie zu heben. Es ist vielmehr so, dass wir es hier mit kriminellen Neonazis zu tun haben, die sowohl das Bundesamt belogen haben als auch jetzt die Unverfrorenheit besitzen, als Zeugen vor dem OLG in München im NSU-Verfahren weiter zu lügen. Ich erinnere an Tino Brandt, Carsten Szczepanski, Marcel Degner. Einige brüsten sich sogar mit ihren Lügen, die sie dort Richter Götzl vortragen. Inwieweit glauben Sie denn, dass Ihr Gesetzentwurf etwas daran ändert und dazu führt, dass diese alimentierten Lügner und Verbrecher irgendetwas dazu beitragen, dass die Behörde das, was wir tatsächlich an rechtsterroristischer Gefahr haben - ich erinnere an die vielen Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, an die Anschläge auf Gebäude des Bundestages usw. -, in Zukunft adäquat erkennt? Ich glaube, Spitzel sind die Letzten, die dazu beitragen.

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Ihre Vermutung hätte dann eine gewisse Schlüssigkeit, wenn wir davon ausgingen, dass die Informationen dieser V-Leute die einzige Informationsbasis wären, die Verfassungsschutzbehörden zur Analyse eines Sachverhalts nutzen könnten. Das darf natürlich nicht sein. Natürlich muss man wissen, mit wem man es zu tun hat. Man muss wissen, wie zuverlässig oder glaubwürdig derjenige ist. Man muss wissen, ob man belogen wird oder nicht. Das gilt aber für jede Information: Man muss sie mit anderen Informationen abgleichen. So kann die Information eines solchen V-Menschen ein Baustein zur Gewinnung von Erkenntnissen zu einer Lage sein. Dazu gehören auch andere Maßnahmen. Dazu gehört, ehrlich gesagt, auch das Abhören eines Telefons. Dazu gehört eine Analyse der programmatischen Schriften, die es gibt, und vieles andere mehr. Daraus ergibt sich dann ein Lagebild. Aber ausdrücklich darauf zu verzichten, V-Leute aus einer Szene heraus nicht nutzen zu können, das hielte ich für falsch.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Hahn, Sie haben das Wort.

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, in dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass der Einsatz von V-Leuten, von V-Personen beendet werden soll, wenn sie während ihrer Tätigkeit im Dienst der Ämter erhebliche Straftaten begehen, und dass über Ausnahmen allein der Behördenleiter entscheidet. Dazu möchte ich Sie gerne fragen, warum im Gesetzestext formuliert wird, dass der Einsatz beendet werden „soll“ und nicht „muss“. Das ist der erste Punkt. In welchen Fällen sollen nach Auffassung der Bundesregierung denn Ausnahmen möglich sein? Und wer kontrolliert die Entscheidung des Behördenleiters? Es ist ja wohl nicht vorgesehen, eine Kommission zu schaffen, die den Einsatz von V-Leuten konkret überprüft und auch deren Anwerbung sowie Abschaltung kontrolliert. ({0})

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Herr Abgeordneter Hahn, ich habe eben schon ein Beispiel genannt. Richtig ist, dass es eine Sollvorschrift zu Straftaten von erheblicher Bedeutung ist. Das ist auch noch eine Teilantwort auf die Frage der Abgeordneten Pau. Und da kommt es nicht auf das Strafmaß an, sondern auf die Straftat. Warum jetzt der Behördenleiter? Dazu muss man sagen: Es ist natürlich so, dass möglicherweise ein V-MannFührer ein besonderes Interesse daran hat, die Zusammenarbeit mit jemandem fortzusetzen. Er ist vielleicht stolz auf seinen V-Mann, oder er tut vielleicht so, als hätte er von der Straftat keine Kenntnis gehabt, oder Ähnliches. Jedenfalls ist es richtig, das auf eine Ebene zu heben, wo es keine Vorbefangenheit im Umgang mit den V-Leuten gibt. Das ist nun einmal der Behördenleiter oder sein Vertreter, wenn der Behördenleiter nicht da ist. Der muss das in jedem Einzelfall entscheiden. Da muss man abwägend entscheiden: Wie schwer ist das rechtsstaatliche Bedenken, mit so jemandem zusammenzuarbeiten, in Abwägung zu der denkbaren Information, an die wir zur Abwehr einer Gefahr kommen könnten. Das ist eine verdammt schwierige Einzelfallentscheidung. Die muss im Einzelfall möglich sein. Sie soll nicht die Regel sein. Genauer kann, ehrlich gesagt, ein Gesetzgeber gar nicht definieren, als einem Behördenleiter eine solche Ermessensentscheidung zuzumuten. Dafür ist dieser auch Behördenleiter. Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste bleibt natürlich bestehen. Sie sind ja Mitglied eines solchen parlamentarischen Kontrollgremiums. Sie können jederzeit fragen: In welchen Einzelfällen ist dies erfolgt? Warum ist das erfolgt? Dann wird der Behör9106 denleiter Ihnen dazu in geheimer Sitzung Rechenschaft ablegen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Binninger, Sie haben das Wort.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, vielen Dank für die Ausführungen. Ich will an den Beginn stellen, dass wir es sehr begrüßen, dass die Bundesregierung die 47 Empfehlungen, die dieses Hohe Haus parteiübergreifend beschlossen hat, sehr zügig umsetzt. Letzte Woche hatten wir Änderungen im Bereich des Generalbundesanwaltes beraten, jetzt im Bereich des Verfassungsschutzes. Ich habe den Medien entnommen, dass die Länder dieses Gesetz kritisch sehen. Das kann ich, ehrlich gesagt, nicht ganz nachvollziehen, weil wir immer gesagt haben: Wir brauchen eine steuernde Einheit innerhalb des Verfassungsschutzverbundes. - Teilen Sie die Kritik der Länder? Wie ist sicherzustellen, dass es in der Arbeit am Ende nicht wieder einen Rückfall dahin gehend gibt, dass jede Behörde macht, was sie will, aber sich nicht austauscht?

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Herr Abgeordneter Binninger, zunächst ist es so, dass wir den Entwurf sehr eng mit den Ländern abgestimmt haben, mehr als andere Gesetzentwürfe. Er ist zwar nicht zustimmungspflichtig, aber die Sache funktioniert ja nur durch einen Geist der Zusammenarbeit. Interessanterweise - das will ich gerne mitteilen - haben die Länder in den Anhörungsverfahren darum gebeten, eine Vorschrift aufnehmen zu dürfen, die es den Ländern erlaubt, Ämter für Verfassungsschutz von Ländern zusammenzulegen. Dieser Bitte sind wir gerne nachgekommen. Bisher hatten sie diese Bitte noch nicht geäußert. Was jetzt die Kritik angeht: Sie richtet sich eigentlich nur dagegen, dass das Bundesamt bei gewaltbereiten Organisationen nicht nur im Einvernehmen, sondern auch im Benehmen mit den Ländern beobachten darf. Benehmen heißt ja immer, man bemüht sich. Ich finde, wenn wir in einem Land, das sich weigern sollte, zu beobachten, eine gefährliche Bestrebung finden, dann muss es um der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger willen möglich sein, dass das Bundesamt beobachtet. Den Streit finde ich überflüssig, und ich hoffe, dass wir die Länder noch davon überzeugen können, dass sie irren.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Ströbele, Sie haben das Wort.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Minister, der Deutsche Bundestag hat bei der Beratung des abschließenden Berichtes des NSU-Untersuchungsausschusses 47 Veränderungen im Bereich des Bundesverfassungsschutzes angemahnt. Wie viele davon haben Sie umgesetzt? Kann man wirklich sagen, dass mit dem, was Sie jetzt vorschlagen, der Einsatz von V-Leuten in Zukunft besser, unabhängiger und wirksamer kontrolliert wird? Sie schreiben ja nun zum ersten Mal in ein Gesetz, dass V-Leute Straftaten begehen können und die Staatsanwaltschaft von einer Verfolgung absehen kann. Bisher ist das zwar praktiziert worden, wie wir aus dem Fall Tino Brandt wissen: Er hatte sich zwölfmal verdächtig gemacht, aber kein einziges Strafverfahren wurde zu Ende geführt Und wie wollen Sie in Zukunft vermeiden, dass solche hochbezahlten V-Leute vom Bundesamt für Verfassungsschutz Hunderttausende von damals D-Mark bzw. jetzt Euro rechtsradikalen, rassistischen oder islamistischen Organisationen zukommen lassen, um diese aufzubauen oder zumindest einen maßgeblichen Beitrag zum Aufbau zu leisten?

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Das waren jetzt aber drei Fragen. - Zur letzten Frage will ich sagen, dass ausdrücklich geregelt ist, dass mit dem Geld keine Finanzierung dieser verfassungsfeindlichen Organisationen erfolgen darf. Falls diese erfolgen sollte, wird in der Regel entschieden, dass die Zusammenarbeit mit dem entsprechenden V-Mann zu beenden ist. Auch das ist eine Erfahrung aus dem NSU-Untersuchungsausschuss. Zur zweiten Frage. Eine solche Regelung - ich habe es schon einmal gesagt - trifft man nicht gerne; aber ich finde, eine gesetzliche, rechtsstaatliche Regelung in Bezug auf den Umgang mit V-Leuten und deren Straftaten ist besser als nur eine Verwaltungspraxis. Das müssten Sie eigentlich eher begrüßen als ablehnen. Zur ersten Frage. Wie viele Empfehlungen im Einzelnen umgesetzt wurden, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Das Bundesamt hat mit seinem neuen Präsidenten ein großes Reformprojekt mit Hunderten von Projekten aufgesetzt, von denen 200 Einzelprojekte bereits umgesetzt wurden. Man kann aber nicht immer einfach sagen: Das wird mit einer Maßnahme umgesetzt; darüber haben wir häufig diskutiert. Wenn man für eine Mentalitätsänderung sorgen will, damit man rechts nicht blind ist oder Ähnliches, und eine Mentalitätsänderung im Umgang mit Migranten und Ähnliches will, dann helfen dabei keine Maßnahmen, die man umsetzt, sondern dabei handelt es sich um einen Prozess, der dauerhaft verfolgt werden muss. Da sind wir dran.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege von Notz, Sie haben das Wort.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, wir reden über die Konsequenzen aus dem NSU-Skandal, und zwar vor dem Hintergrund, dass man Konsequenzen aus den gemachten Fehlern ziehen möchte. Meine erste Frage lautet: Teilen Sie die Einschätzung, dass es bei den Vorkommnissen und Geschehnissen um den NSU auch ein erhebliches Behördenversagen gegeben hat? Wenn Sie diese Einschätzung teilen: Könnten Sie mir konkret einen einzigen Fall im Zusammenhang mit dem NSUKomplex benennen, der aufgrund des Gesetzentwurfs, den Sie heute vorlegen, so nicht wieder passieren würde? Welcher V-Mann genau würde heute nicht wieder rekrutiert werden? Welche Informationsdefizite zwischen den Behörden würden aufgrund welcher konkreten Regelung, die wir hier besprechen, behoben? Nur wenn das geklärt ist, kann man sich gegen den Vorhalt schützen, dass die Behörde für ihr extremes Versagen noch belohnt wird, indem man ihr nämlich massiv mehr Geld gibt.

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Zu Ihrer ersten Frage zum Versagen: Ich habe bereits hier vor dem Plenum des Deutschen Bundestages gesagt, dass es um ein Staatsversagen ging und dass wir daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen möchten. Wir fragen uns: Wo wurde versagt? Erstens. Die V-Leute waren nicht ordentlich ausgewählt und geführt. Zweitens. Die Informationsgewinnung und vor allem der Informationsaustausch zwischen den Ländern und dem Bund waren nicht in Ordnung; das war Wildwuchs, es gab vor allem zu wenig Austausch. Drittens. Die Analysefähigkeit war unzureichend, weil man Personen und Ereignisse nicht verknüpft hat. Alle drei Dinge werden durch das geplante Gesetz abgestellt. ({0}) Jetzt fragen Sie - ich sage es einmal ganz allgemein -: Welcher Mord wäre nicht passiert, wenn wir ein solches Gesetz schon gehabt hätten? Da hinten sitzt meine Kollege Steinbrück. Er hat zu solchen Überlegungen schon einmal einen Reim gebildet. Mir ist dabei und heute schon gar nicht nach Witzen zumute. Ich will nur sagen: Eine solche Frage: „Was wäre, wenn?“, kann man nicht stellen. Wäre dieser oder jener V-Mann richtig geführt worden und hätte man informiert, dann wäre dieser Mord nicht geschehen - wie soll ich diese Aussage jetzt treffen und einem Angehörigen dabei in die Augen schauen? Wie soll das gehen? Wie soll ich diese Kausalkette nachweisen? So kann man nicht fragen, und ich weigere mich, in dieser Logik zu antworten. Wir tun alles, was möglich ist, damit sich so etwas nicht wiederholt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin Pau, Sie haben das Wort.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, genau da will ich anknüpfen. Natürlich können wir nicht spekulieren: Was wäre gewesen, wenn?

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So ist es.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mich interessiert aber Folgendes: Wir sind ja im gesamten NSU-Komplex darauf gestoßen, dass überall, sowohl bei der Arbeit der Landesämter für Verfassungsschutz als auch beim Bundesamt für Verfassungsschutz, der Quellenschutz immer vor Unterstützung von Fahndungsmaßnahmen oder Aufklärung von Verbrechen ging. Wäre mit Ihrem Gesetz zwingend gesichert, dass Informationen wie die des verurteilten Todschlägers Szczepanski alias „Piato“ - die sind untergetaucht; die sind auf der Suche nach Waffen, um weitere Überfälle zu begehen; die sind im Besitz eines Passes, um ins Ausland zu gehen - heute von dem Amt für Verfassungsschutz, das ebendiese Informationen hat, an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden, oder geht weiter Quellenschutz vor Aufklärung von Straftaten?

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Auch da gilt - Sie haben es ja auch selber gesagt -: Wir sollten Spekulationen über konkrete Kausalität nicht befördern. Aber ich sage einmal: Der Grundsatz, wenn er denn gegolten hat: „Am besten behalte ich meine Informationen für mich und sage niemand anderem etwas, dann habe ich ein Exklusivwissen, und das ist gut, weil ich ein selbstbewusstes Land bin“, oder so ähnlich, muss aufgegeben werden; mit dieser Mentalität muss gebrochen werden. Da ist ja schon einiges passiert: Rechtsextremismusdatei, ein gemeinsames Zentrum, in dem die Informationen ausgetauscht werden, Verabredungen - jetzt noch ohne gesetzliche Grundlage -, welche V-Leute überhaupt geführt werden sollen. Das gab es schon 2012, 2013. Jetzt schaffen wir eine gesetzliche Grundlage. Jetzt schreiben wir ins Gesetz: Sie müssen alle relevanten Informationen austauschen. - Viel mehr kann man da nicht machen. Die Mentalität muss dem vielleicht noch folgen. Ich kann nicht ausschließen, dass jemand der gesetzlichen Pflicht zur Weitergabe von Informationen, die er weiterzugeben hat, nicht nachfolgt. Das kann passieren. Fehler werden weiterhin passieren. Aber die Botschaft, die wir haben, ist doch: Ihr sollt zusammenarbeiten, wenn es um gefährliche Tendenzen geht, und nicht auf euren Informationen hocken. Ihr sollt keine Fehler vertuschen. Ihr sollt rechtsstaatlich arbeiten, und ihr sollt gemeinsam arbeiten. Das wird mit diesem Gesetz klar zum Ausdruck gebracht.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Dr. Ullrich, Sie haben das Wort.

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Der Bundestag hat in der letzten Sitzungswoche die Befugnisse des Generalbundesanwalts gestärkt und strafschärfende Merkmale ins Gesetz aufgenommen, um damit als wehrhafter Rechtsstaat auf die erschütternde Mordserie des NSU zu reagieren. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf betrifft den Teil des Verfassungsschutzes. Es ist richtig, dass damit der Verfassungsschutz die Szene gerade im rechtsradikalen Bereich weiterhin beobachten kann. Ich würde aber gerne von Ihnen, Herr Bundesminister, erfahren, ob Ihnen dieses Gesetz auch in anderen Phänomenbereichen, insbesondere beim Kampf gegen Linksextremismus und im Kampf gegen Dschihadisten und Salafisten, hilft, diese Gefahren wirksam zu bekämpfen.

Not found (Minister:in)

Absolut. Ich begrüße diesen Gesetzentwurf. Ich habe ja vor der Herbsttagung des BKA gesagt: Ich könnte mir sogar vorstellen, dass auch im Bereich von OK manches an Zuständigkeit beim Generalbundesanwalt gestärkt werden könnte. Wir reden jetzt über die Folgen aus dem NSU-Komplex. Wir dürfen aber nicht nur nach rechts, auf den Rechtsextremismus schauen, sondern müssen genauso auch auf den Linksextremismus schauen. Wir haben ja beim NSU gesagt: Oh, jetzt haben wir da plötzlich terroristische Strukturen. - Anderswo haben wir terroristische Strukturen oder eine Affinität dazu, beispielsweise im Bereich des islamistischen Extremismus. Deswegen ist das natürlich ein besonderer Grund zur Sorge und im Moment, ehrlich gesagt, eine unserer Hauptsorgen; Sie wissen das. Deswegen muss all das dort genauso angewendet werden wie im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin Renner.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Innenminister, eine Bemerkung vorweg: Wenn man, nachdem sich der NSU selbst enttarnte, formuliert: „Oh, da haben wir Rechtsterror“, und die Augen davor verschließt, dass der schwerste terroristische Anschlag in der Bundesrepublik Deutschland aus genau diesem Bereich, dem Bereich des Rechtsterrors, kam, dann kann man in diesem Amt tun, was man will - da kann man auch die Gesetze ändern, wie man will -, und man wird es trotzdem nie schaffen, sicherzustellen, dass diese Behörde in der Lage ist, das Gefährdungspotenzial des Neonazismus adäquat zu erkennen; das ist meine feste Überzeugung. Deswegen ist diese Entwicklung vollkommen fehlgeleitet, auch mit Blick auf das notwendige NPD-Verbotsverfahren. Zu meiner Frage. Das Bundesverfassungsgericht steht vor dem Problem, dass ihm der Nachweis fehlt, dass die Spitzel in der Führungsebene der NPD - das betrifft nicht nur den Funktionskörper - abgeschaltet sind. Wäre es, wenn wir ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren wollen - das unterstelle ich der Mehrheit dieses Hauses, auch allen Vertretern aufseiten der Regierung -, nicht der richtige Weg, die V-Leute in diesem Bereich abzuschalten, um den Weg für ein Verbotsverfahren frei zu machen, an dessen Ende tatsächlich das Aus für diese Partei und nicht ein erneuter höchstrichterlicher Ritterschlag, der im Nachgang nur zu einer Stärkung der Szene führen würde, steht? Könnte zum Beispiel das, was Thüringen gerade unternimmt, nicht für uns alle zum Vorbild gereichen?

Not found (Minister:in)

Zu dem ersten Punkt - das war ja keine Frage - will ich sagen: Sie haben das, was ich gesagt habe, bestätigt. Nicht nur die Regierung und die Verfassungsschutzämter, sondern auch die gesamte Öffentlichkeit und wir alle waren schockiert, dass wir im rechtsextremen Bereich Terrorstrukturen haben, die keiner erkannt hat. Das darf uns nicht noch einmal passieren. Das lässt sich am besten durch gute Vorfeldarbeit sicherstellen, aber nicht dadurch, dass man sich blind macht, indem man die Verfassungsschutzbehörden abschafft. Jetzt zum Bundesverfassungsgericht. Mich hat, ehrlich gesagt, die Überraschung, die es jetzt gibt, ein bisschen verwundert. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits beim ersten Verfahren gesagt: Wir wollen nicht, dass V-Leute die NPD führen. Wir wollen nicht, dass sie einen inhaltlichen Einfluss haben. Deswegen müssen V-Leute in Führungspositionen abgeschaltet werden, und es muss eine gewisse zeitliche Distanz zwischen dem Beginn des Verfahrens und dem Führen von V-Leuten geben. - Das hat das Bundesverfassungsgericht klipp und klar gesagt. Im Übrigen hat mein Vorgänger die Länder ziemlich deutlich darauf hingewiesen. Jetzt fragt das Bundesverfassungsgericht: Habt ihr das gemacht? - Es dürfte eigentlich nicht besonders schwer sein, dem Bundesverfassungsgericht diese Frage zu beantworten; denn man wusste ja, dass es exakt danach fragen wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Länder diese Hausaufgabe schnellstmöglich erledigen. Die politische Aufregung um diesen Maßgabebeschluss des Bundesverfassungsgerichts verstehe ich nicht. Er lag eigentlich in der Luft. Jetzt zu Ihrer Frage. Es geht darum, dass V-Leute vom Staat nicht dahin gehend benutzt werden dürfen, dass man, obwohl man einerseits eine extremistische Organisation ablehnt, sie andererseits steuert. Aber steuern ist etwas ganz anderes, als Informationen aus der Szene zu gewinnen. Dass wir Letzteres tun, halte ich für dringend geboten.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Hahn.

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Herr Minister, es ist, denke ich, schon ein gravierender Vorgang, wenn ein Staat Menschen per Gesetz erlaubt, Straftaten zu begehen, oder sie zumindest straffrei stellt. Es muss gute und nachvollziehbare Argumente geben, mit denen man der Öffentlichkeit die Notwendigkeit hierfür begründen kann. Bisher war es aber so, dass weder die Bundesregierung noch die Inlandsgeheimdienste konkrete Fälle benennen konnten, in denen nur mithilfe von kriminell gewordenen V-Leuten erhebliche Ermittlungserfolge erzielt werden konnten; jedenfalls ist mir kein solcher Fall bekannt. Deshalb frage ich Sie - da dies ja jetzt gesetzlich beschlossen werden soll -: Können Sie Fälle nennen, in denen kriminelle V-Leute Informationen geliefert haben, die so wichtig waren, dass dadurch wesentliche Ermittlungserfolge erzielt werden konnten?

Not found (Minister:in)

Ich will unterstreichen: Eine solche Regelung trifft man nicht gerne. Man muss eine Abwägung zwischen dem Ziel der Informationsgewinnung und den rechtlichen Regelungen vornehmen. Das Zweite ist: Es geht nicht nur um die V-Leute, sondern auch um die Beamten. Es kann nämlich sein, dass, wenn ein V-Mann eine szenetypische Straftat begeht, der V-Mann-Führer gegebenenfalls gewärtigen muss, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe eingeleitet wird. Das kann man unseren Beamten, ehrlich gesagt, nicht zumuten. Einer der Anlässe für diese Gesetzgebung war, dass es auch in der Rechtswissenschaft und von Mitarbeitern des Generalbundesanwalts Andeutungen und Hinweise gegeben hat, exakt ein solches Verfahren einleiten zu können und dies gegebenenfalls auch zu tun. Wir haben gegenüber den Beamtinnen und Beamten und den anderen Mitarbeitern in Verfassungsschutzbehörden auch eine Fürsorgepflicht. Wenn wir wollen, dass sie V-Leute führen, dann können wir nicht sagen: Im Zweifel macht ihr euch allein dadurch strafbar, dass ihr das tut. - Das kann nicht richtig sein. Deswegen ist das auch ein wichtiger Gesichtspunkt. Die Frage, welche Fälle in diesem Zusammenhang genannt werden können, ist deswegen nicht zu beantworten, weil wir eine solche Regelung bisher nicht hatten. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich bitte Sie, gegebenenfalls eine neue Frage zu stellen. - Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, Sie haben hier noch einmal betont, dass V-Leute sogenannte szenetypische Straftaten begehen können, falls das erforderlich ist. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Was sind nach Ihrer Auffassung szenetypische Straftaten? Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz schlägt beispielsweise vor, auch im islamistischen Bereich V-Leute - etwa Personen, die zu ISIS ziehen einzusetzen. Was sind im Bereich von ISIS szenetypische Straftaten? Mir wird gruselig, wenn ich daran denke; das kann ich nur immer wieder betonen. Gehören zu den Straftaten, die ein Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz geradezu verzeihen kann, auch Mord, Totschlag und andere erhebliche Straftaten? In dem Gesetzentwurf gibt es ja die Bestimmung, dass die Leitung des Amtes sogar davon absehen kann, jemanden zu entlassen, auch wenn er erhebliche Straftaten begangen hat.

Not found (Minister:in)

Zur ersten Frage: Ich hatte eigentlich geglaubt, sie beantwortet zu haben. Szenetypische Straftaten schließen nicht die Verletzung von Individualgütern ein. Körperverletzung und Sachbeschädigung sind Verletzungen eines Individualgutes. Die Zusammenarbeit mit dieser V-Person ist dann im Regelfall sofort zu beenden. Hier gilt eine Sollvorschrift, über die wir geredet haben. Es gibt also die Befugnis des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und seines Stellvertreters, davon abzuweichen. Szenetypische Straftaten sind also insbesondere Propagandadelikte - gerade im rechtsextremen Bereich. Beispiele für eine szenetypische Straftat sind das Zeigen eines Hitler-Grußes und Ähnliches. Wir wollen nicht, dass das geschieht. Das ist ein Straftatbestand, und wir sind stolz darauf, dass wir diesen Straftatbestand haben. Wenn es aber in der Szene sozusagen zum Ritterschlag gehört, auch einmal einen Hitler-Gruß zu zeigen, und wenn wir dadurch Informationen darüber bekommen, welche gewalttätige Demonstration aus diesem Bereich vorbereitet wird, dann halte ich es im Einzelfall für vertretbar, diesen V-Menschen nicht abzuschalten und durch ihn diese Information zu bekommen. Das wäre ein solches Beispiel. Jetzt komme ich zu der Frage nach besonders erheblichen Straftaten. Das lässt sich nicht im Vorhinein sagen. Sie unternehmen den Versuch, den Gesetzgeber sozusagen zu zwingen, solche Abwägungsentscheidungen vorher zu treffen. Meine Antwort ist: Je schwerer die Straftat ist, umso gewichtiger muss die denkbare Information sein. Ich sage Ihnen einmal meine Meinung - einmal angenommen, ich sei Behördenleiter -: Wenn wir einen geplanten Anschlag nur durch konkrete Informationen eines V-Menschen - findet der Anschlag morgen oder heute um 18 Uhr statt? - verhindern können, dann kann eine erhebliche Straftat dieses V-Menschen gerechtfertigt sein, um an diese Informationen zu kommen und sie nutzen zu können. Das muss dann aber schon ein ganz erheblicher Vorgang sein. Ich möchte natürlich vermeiden, dass wir solche Abwägungen vorzunehmen haben. Das sind extreme Ausnahmeentscheidungen, die dann von einem Behördenleiter zu treffen sein werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich muss jetzt doch noch einmal an die Zeit erinnern; denn sie rennt uns wirklich davon. Mir liegen noch mehrere Wortmeldungen vor. - Ich gebe jetzt Frau Binder das Wort, und danach hat Herr Ostermann die Möglichkeit, seine Frage zu stellen.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Innenminister, wie wollen Sie künftig verhindern, dass Staatsanwaltschaften von den Geheimdiensten und den sogenannten Nachrichtendiensten weiterhin an der Nase herumgeführt und manipuliert werden, zum Beispiel dadurch, dass ihnen Informationen und auch Zeugen vorenthalten werden?

Not found (Minister:in)

Durch eine gute Arbeit der Verfassungsschutzbehörden und der Staatsanwaltschaften. - War das jetzt kurz genug? ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vorbildlich kurz. - Jetzt hat der Kollege Ostermann das Wort.

Dr. Tim Ostermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004367, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, der Gesetzentwurf beschäftigt sich mit der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verfassungsschutzbehörden; Sie haben darauf hingewiesen. Nun ist unlängst im Bereich einer Verfassungsschutzbehörde eine folgenschwere Entscheidung getroffen worden. Ich spiele auf die Entscheidung der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen an, in ihrem Bundesland keine V-Leute mehr einsetzen zu wollen. Ich frage Sie: Wie schätzen Sie diese Entscheidung ein? Welche Folgen wird dies haben, insbesondere für die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden?

Not found (Minister:in)

Nach dem, was ich bisher vorgetragen habe, wird es Sie nicht überraschen, dass ich diese Entscheidung für falsch halte. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, möchte ich nicht öffentlich ankündigen. Ich finde, wir sind im Kreis der Innenminister von Bund und Ländern gut beraten, eine solche Frage erst einmal intern zu besprechen. Das machen die Fachleute. Im Juni bei der Innenministerkonferenz wird Gelegenheit sein, darüber zu sprechen. Aber eins ist klar: In einem Verbund gehören Nehmen und Geben zusammen. Man kann nicht nur nehmen, aber nicht geben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Pau hat jetzt das Wort.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin, auch wenn dieser Gesetzentwurf gegen unseren Willen durch das Parlament kommt, guter Hoffnung, dass es gerade im rechtsextremen und rechtsterroristischen Bereich Massenentpflichtungen von V-Leuten geben wird. Das würde aber bedeuten, dass das Kriterium, das Sie gerade genannt haben, tatsächlich greift, dass die V-Leute, die bestimmte Straftaten begehen, also Gewalttaten und Verletzung von Individualrechten, abgeschaltet werden. Schließlich ist dies das Kerngeschäft der meisten V-Leute, was uns nicht nur bei der Untersuchung des NSU-Komplexes bekannt geworden ist. Ich habe aber eine Frage, die mit Ihrem Gesetzentwurf nichts zu tun hat. Als Konsequenz aus den Ergebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses hat die Innenministerkonferenz bereits 2013 beschlossen, eine V-Leute-Datei von Bund und Ländern anzulegen. Das hätte, selbst wenn ich dieser Idee skeptisch gegenüberstehe, wenigstens den Effekt, dass sich nicht jeder abschirmt und nicht so handelt wie bisher, nämlich sich nicht in die Karten schauen zu lassen, um zu verheimlichen, wer da alles unterwegs ist. Diese Datei gibt es bis heute nicht. Können Sie dem Hohen Haus irgendetwas dazu sagen, ob es sie noch geben wird, ob also der Beschluss noch umgesetzt wird? Wenn nein, ist die Frage, was dem bisher entgegensteht.

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete Pau, diese Frage kann ich Ihnen aus dem Stand nicht beantworten. Das würde ich gerne schriftlich nachholen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Dann hat jetzt der Kollege von Notz das Wort.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich wollte zu meiner Frage von vorhin etwas sagen. Ich habe nicht gefragt: „Welche Tat hätte verhindert werden können?“, sondern: „Welcher V-Mann würde heute auf der Grundlage dieses vorliegenden Gesetzentwurfes nicht geführt werden?“ Das ist zugegebenermaßen eine schwierige Frage, aber vor dem Hintergrund der NSU-Geschehnisse eine relevante Frage. Es geht darum, ob wir wirklich Lehren daraus gezogen haben. Deswegen frage ich noch einmal: Welchen V-Mann würden wir heute aufgrund der neuen Gesetzeslage nicht führen? Noch einmal ganz kurz zu dem, was Sie eben über Thüringen gesagt haben: Ich muss das aber nicht so verstehen, dass Sie im Verbund der Landesämter für Verfassungsschutz dem Land Thüringen sicherheitsrelevante Informationen vorenthalten würden und dieses Land über vorliegende Erkenntnisse nicht informiert würde? ({0}) - Herr Binninger, ich frage einfach: Ist es so zu verstehen, dass man sicherheitsrelevante Informationen, die man selber hat, nicht an Thüringen weitergeben würde?

Not found (Minister:in)

Zu Ihrer ersten Frage: Ich verstehe Ihren Einwand. Sicher ist es so - das sage ich auch mit Blick auf die Frage der Frau Abgeordneten Pau -, dass die Zahl der V-Leute nach Inkrafttreten des Gesetzes sinken wird. Diese Absicht wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt. Wer das im Einzelnen ist, kann ich nicht sagen; ich bleibe bei der Antwort. Übrigens dürfte ich es, selbst wenn ich es wüsste, gar nicht sagen, weil die Existenz von V-Leuten - wie Sie vermutlich selbst wissen - sicher nicht im Plenum des Deutschen Bundestages mitzuteilen ist. Zur zweiten Frage: Ich möchte den Satz einmal so stehen lassen. Wir müssen in der Innenministerkonferenz darüber beraten. In der Polizei sind wir aber ein Verbund. Wir tauschen und führen Bereitschaftspolizeien im Rahmen einer erstklassigen Zusammenarbeit. Auch bei der Zusammenarbeit zwischen Landeskriminalämtern und Bundeskriminalamt sind wir ein sehr guter Verbund. Das muss auch so sein, weil sich Verbrecher nicht nach Landesgrenzen richten. Im Verfassungsschutzverbund sind wir - trotz all der Mängel, die es gab - eigentlich auf dem Weg, ein besserer Verbund zu werden, als wir es vor dem NSU waren. Dazu gehört unter Zurückstellung von Bedenken eine wechselseitige Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Das bedingt, dass man nicht nur Informationen bekommt, sondern auch welche gibt. Mehr will ich dazu nicht sagen, bevor ich nicht mit meinem Thüringer Kollegen intern darüber gesprochen habe.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Für diesen Themenbereich liegen mir keine weiteren Fragen vor. Gibt es Fragen zu den anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Als Erster hat sich, wenn ich das richtig gesehen habe, Herr Ströbele gemeldet. Herr Ströbele, bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, war heute in der Kabinettsrunde auch eine Äußerung des Ministers Gabriel gegenüber dem geehrten und verehrten Journalisten Glenn Greenwald Gegenstand der Erörterung? Er soll geäußert haben, dass die US-Regierung der Bundesregierung - für den Fall, dass Edward Snowden nach Deutschland kommt - gedroht habe, dass sie dann Deutschland keine Informationen über geplante Anschläge und Ähnliches mehr geben werde. War das Gegenstand der heutigen Diskussion? Wenn nein, warum nicht? ({0})

Not found (Minister:in)

Zur ersten Frage: Herr Gabriel konnte heute bei der Kabinettssitzung nicht dabei sein. Auch deswegen - aber auch sonst - war der von Ihnen genannte Sachverhalt heute nicht Gegenstand der Kabinettssitzung. Und warum etwas nicht Gegenstand einer Kabinettssitzung ist, gehört sicher zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Dann hat Frau Haßelmann das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Minister kann noch einmal darüber nachdenken, bis gleich die Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung kommen. Dann stellt Herr Ströbele diese Frage bestimmt noch einmal. Meine Frage bezieht sich auf einen anderen Komplex. Es geht um die steuerliche Entlastung durch eine Erhöhung des Kinderfreibetrages und um die Erhöhung des Kindergeldes. Damit hat sich das Kabinett, nehme ich an, befasst; zumindest habe ich das der Presseberichterstattung entnommen. Die fällige Anhebung des Kinderfreibetrages - und damit auch die Erhöhung des Kindergeldes - ist verfassungsrechtlich seit 2014 geboten. Warum vollziehen Sie das erst jetzt? Und warum vollziehen Sie das nicht vollständig, wo doch die Finanzsituation so gut ist? Dann habe ich noch folgende Fragen: Haben Sie sich im Kabinett in diesem Kontext auch mit der Lebenssituation Alleinerziehender und mit dem Thema „Kinderarmut“ befasst? Warum gedenken Sie nicht, hier auch noch bestimmte Maßnahmen vorzuschlagen?

Not found (Minister:in)

Zunächst haben wir die Frage, ob eine solche Anhebung bereits 2014 geboten gewesen wäre, innerhalb der Bundesregierung erörtert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Betrag so niedrig gewesen wäre - 1 Euro und noch etwas -, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten war, eine Anhebung durchzuführen. Das hätte im Übrigen auch dazu geführt, dass uns die betroffenen Eltern eher kritisiert als gelobt hätten. Wir haben jetzt diesen verfassungsrechtlich gebotenen Nachvollzug in einer Größenordnung vorgenommen, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Ich kann, ehrlich gesagt, dem Grundgesetz die einzelnen Beträge nicht unmittelbar entnehmen. Im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gibt es mit Blick auf das Existenzminimum bestimmte Vorgaben. Noch aber treffen Bundesregierung und Bundestag im Gesetzgebungsverfahren die Entscheidung, wie hoch ein Kinderfreibetrag sein soll und um wie viel das Kindergeld erhöht wird. Ich will immerhin sagen, dass diese ganze Operation alle gesamtstaatlichen Ebenen über 3 Milliarden Euro kostet, den Bund allein 1,7 Milliarden Euro. Das ist bezogen auf die Gesamtsumme eine wirklich erhebliche Summe. Wir haben uns natürlich auch mit der Frage der Alleinerziehenden befasst. Wenn man für sie besondere Maßnahmen umsetzen würde, würde das wiederum andere verfassungsrechtliche Fragen der Gleichbehandlung aufwerfen. Wir halten jedenfalls den Gesetzentwurf, den wir heute beschlossen haben - so wir ihn in den Deutschen Bundestag einbringen; dazu gibt es sicherlich noch Beratungen in die eine oder andere Richtung -, für verfassungsrechtlich und sozialpolitisch richtig.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege von Notz, Sie haben das Wort.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, ich habe eine Nachfrage im Hinblick auf die Gesetzesänderung beim BND. Sie ändern, soweit ich es richtig verstehe, in dem Paket unter dem Begriff der Cybersicherheit die strategische Rasterfahndung des BND.

Not found (Minister:in)

Das BND-Gesetz wird - wenn die Frage beendet war ({0}) dem neuen Gesetz zum Verfassungsschutz nur insoweit angepasst, als das, was für die V-Leute und wegen Beihilfe auch für die Beamten gilt, analog für die Tätigkeit des BND im Inland, soweit der BND überhaupt zuständig ist, entsprechend angewendet wird. Eine weitere Änderung des BND-Gesetzes sehe ich nicht. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich darf an die Zeit erinnern. Wir haben die vorgesehene Zeit bereits überschritten und nutzen jetzt schon Zeit der Fragestunde. Deshalb bitte ich, das zu berücksichtigen. Ich rufe jetzt noch die weiteren Wortmeldungen auf. Herr Krischer, Sie haben als Nächster das Wort.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, es war lange angekündigt, dass heute gesetzliche Regelungen zum Thema Fracking Thema der Kabinettssitzung sein sollten. Meine Frage: Waren sie Gegenstand der Kabinettssitzung, hat es dort Beschlüsse gegeben und, wenn nein, warum nicht? Was ist die Ursache, dass diese Entscheidungen nicht gefallen sind? Wie habe ich Äußerungen der Bundesumweltministerin im Morgenmagazin im Hinblick auf die Kabinettsbefassung mit dem Thema Fracking zu interpretieren, dass die Union - so habe ich Frau Hendricks verstanden sich erst einmal intern über ihre Haltung zu dem Thema verständigen müsste? Das betrifft offensichtlich Kabinettsmitglieder; denn es ging dabei um die Kabinettsbefassung. Ich bitte Sie um Erläuterung.

Not found (Minister:in)

Das Thema Fracking stand heute nicht auf der Tagesordnung. Wenn Sie fragen, warum: weil es nicht auf der Tagesordnung stand. Wenn Sie fragen, warum es nicht auf der Tagesordnung stand: weil es noch nicht entscheidungsreif ist. Entscheidungsreif ist es dann, wenn die Ressortabstimmung zu einem erfolgreichen Ende geführt wurde. Das ist dann der Fall, wenn alle einer Meinung sind. Das ist hier noch nicht der Fall. Wie wir handeln, war auch bei Hunderten von Gesetzgebungsverfahren üblich. Deswegen sage ich Ihnen als ehemaliger Chef des Bundeskanzleramts: Man sollte sich hüten, öffentlich anzukündigen, dass an einem bestimmten Tag etwas auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung stehen wird. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als Nächster hat der Kollege Kekeritz das Wort.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland durchaus auch negative Entwicklungen trotz dieser hervorragenden Regierung. Ich möchte die rechten Tendenzen erwähnen, die immer mehr um sich greifen: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und ein absolut aggressives Potenzial. Immer mehr wird bei den Menschen auch Angst vor Flüchtlingen geschürt. Ich frage Sie: Wie ist es möglich, dass ein beamteter Staatssekretär in Zusammenarbeit mit dem Vizevorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion drei Pegida-Mitglieder in diesem Haus empfängt? Ist das mit dem Minister abgesprochen gewesen? Weiß die Regierung davon? Wie bewertet die Regierung diese Aktion?

Not found (Minister:in)

Auch ich habe das der Presse entnommen. Soweit ich weiß, waren es keine Mitglieder von Pegida, sondern Bürgerinnen und Bürger, die bei solchen Demonstrationen mitgelaufen sind. Ich stehe für ein solches Gespräch nicht zur Verfügung. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzter Fragesteller hat der Kollege Meiwald das Wort. ({0}) - Okay. - Frau Haßelmann, Sie haben das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, im Rahmen der Debatte über die PkwMaut haben Sie im Gesetz keine Widerspruchsbehörde vorgesehen. Deshalb lautet meine Frage: Haben Sie im Kabinett und bei der Gesetzgebung sozusagen billigend in Kauf genommen, dass Bürgerinnen und Bürger, die Widerspruch gegen ihren Infrastrukturbescheid einlegen möchten, das Verkehrsministerium als Widerspruchsbehörde ansehen?

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete, ich kann diese Detailfrage nur so beantworten: Das Kabinett hat alle Paragrafen dieses Gesetzentwurfs „billigend in Kauf genommen“ und beschlossen; das ist so. Der Bundestag berät nun in zweiter und dritter Lesung, was daraus wird. ({0}) - Klagen des Kollegen Dobrindt sind mir nicht bekannt. ({1}) - Er hat den Gesetzentwurf eingebracht. Normalerweise kennt ein Minister das, was er einbringt. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege von Notz, Sie haben das Wort für Ihre Frage.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich will auch etwas zur Maut fragen. Ein 21 Seiten umfassender Änderungsantrag hat uns heute Morgen um 7.54 Uhr erreicht. Das kann man so machen, hilft aber nicht. Im Innenausschuss haben wir lebhaft unter Datenschutzgesichtspunkten diskutiert - das fällt in Ihren Zuständigkeitsbereich -, wie es um Bildlöschungen und Standortdaten von 42 Millionen Pkws in Deutschland bestellt ist. Das Innenministerium hat gesagt, diejenigen, die die Maut nicht zahlen wollten, müssten ein Fahrtenbuch führen. ({0}) Jeder Autofahrer, der einen Rückerstattungsanspruch hat, müsste also ein Fahrtenbuch führen. Daher frage ich, ob das so sein kann oder, wenn das nicht der Fall ist, wie der Rückerstattungsanspruch gewährleistet sein soll, wie also nachgewiesen werden soll, dass jemand auf einer Autobahn oder einer anderen mautpflichtigen Straße nicht gefahren ist.

Not found (Minister:in)

Ich war bei der gestrigen Sitzung des Innenausschusses nicht zugegen. Der Parlamentarische Staatssekretär Schröder, der hier auf der Regierungsbank sitzt und an dieser Sitzung teilgenommen hat, ruft mir zu, dass das Führen eines Fahrtenbuches eine Möglichkeit darstellt. Wenn jemand sein Geld zurückbekommen will, muss er nun einmal irgendwie nachweisen, dass er die Autobahn nicht genutzt hat. Wie er das macht, ist seine Sache. Das Führen eines Fahrtenbuchs ist dabei eine gute Möglichkeit, einen solchen Nachweis zu erbringen. Wer nicht zahlen will, muss nachweisen, dass er nicht zahlen muss. So ist das nun einmal im Leben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, in diesem Zusammenhang komme ich noch einmal auf das Widerspruchsverfahren zurück. In einem Rechtsstaat ist es ein hohes Gut, gegen staatliche Bescheide Widerspruch einlegen zu können. Vorhin hieß es, man könne Widerspruch bei einem beauftragten Dritten einlegen. Das ist eigentlich nicht möglich, weil man dann sofort den Verwaltungsgerichtsweg einschlagen muss. Deshalb muss eigentlich das Verkehrsministerium die Widerspruchsbehörde sein. Wie ist vor diesem Hintergrund das geplante Vorgehen zu bewerten? Es besteht zwar die Möglichkeit, einen Nachweis durch ein Fahrtenbuch zu führen. Aber Widerspruch gegen einen solchen Bescheid müsste man auf jeden Fall beim Verkehrsministerium einlegen können, oder?

Not found (Minister:in)

Frau Präsidentin, das ist die Regierungsbefragung. Ich bin gerne bereit, zu allen Themen, mit denen sich das Kabinett befasst hat, Stellung zu nehmen. Ich glaube, ich habe die entsprechende Bereitschaft gezeigt. Ob wir aber eine Generaldebatte über alle Themen, über die diskutiert wird, machen sollten und ob ich dann der richtige Ansprechpartner bin, weiß ich nicht. Wahr ist, dass der eigentliche Akteur bei der Verabschiedung des infragestehenden Gesetzentwurfs nicht die Bundesregierung, sondern der Deutsche Bundestag ist. Daher müssten Sie das doch viel kundiger vortragen können als ich. ({0}) - Darüber wird noch im Ausschuss beraten werden. Dabei wird Ihnen das zuständige Ministerium sicherlich alle Ihre Fragen beantworten. ({1}) Ich kann Ihre Fragen betreffend die Details des Widerspruchsverfahrens im Gesetzentwurf, der sich zur Beratung im Deutschen Bundestag befindet, ehrlich gesagt nicht zufriedenstellend beantworten.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Fragestellerin hat die Kollegin Künast das Wort.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, es ist natürlich schwer, zu fragen, wenn man die Tagesordnung nicht erhält, aber nur zur Ta9114 gungsordnung fragen soll. Das erinnert mich an angewandtes Spaltungsirresein. Ich frage weiter zur Maut. Was sind die Überlegungen und Erwägungen der Bundesregierung hinsichtlich der Notifizierung dieser Mautregeln oder der Infrastrukturabgabe, wie immer Sie das nennen mögen? Normalerweise besteht die gute fachliche Arbeit, bevor Gesetzentwürfe in zweiter und dritter Lesung hier behandelt werden, darin, herauszufinden, ob die EU-Kommission dieses Gesetz notifizieren würde. Ich frage Sie, warum das beim Thema Maut nicht gemacht wurde. Ich will Ihnen auch sagen, wie ich dazu komme. Im Rechtsausschuss hat heute Vormittag der Staatssekretär des BMJV gesagt, es gebe in seinem Ministerium rechtliche Bedenken bezüglich der Höhe der Abgabe und anderer Fragen. Die Vertreterin des Bundesministeriums für Verkehr hat gesagt: Wir haben uns der EU-Kommission angenähert, aber es bleibt jetzt abzuwarten, wie diese auf die aktuelle Vorlage reagiert. - Ein SPD-Abgeordneter hat mit leichtem Seufzen gesagt: Je schneller das Gesetz verabschiedet wird, desto schneller kommen wir zu einer EuGH-Überprüfung. Ich frage Sie: Ist das ein normales Verfahren, oder wäre es nicht richtiger gewesen, wegen einer Notifizierung eine Endversion auch mit der EU-Kommission abzustimmen? Das können Sie nicht uns als Parlament aufhalsen, weil die Kommunikation mit der Europäischen Kommission nicht zu unserer Aufgabe gehört. Das ist Aufgabe der Exekutive.

Not found (Minister:in)

Zunächst einmal möchte ich Folgendes zu Ihrem Einwurf sagen: Ich bin gut vorbereitet, das vorzutragen, was zu meinem Geschäftsbereich gehört und im Kabinett behandelt wurde. Ich bin ziemlich gut auf das vorbereitet, was im Kabinett behandelt wurde, auch wenn es nicht meinen Geschäftsbereich betrifft. Ich bin nicht so gut vorbereitet auf alle denkbaren Themen, die irgendwie politisch diskutiert werden. Auf dieser Basis will ich trotzdem versuchen, Ihnen zu antworten. ({0}) Das Bundesverkehrsministerium hat unendlich viele Gespräche mit der EU-Kommission darüber geführt, wie man die Maut ausgestaltet, damit sie europatauglich ist. Auch wenn jetzt irgendein Mitarbeiter irgendeines Hauses Bedenken äußert, was ich nicht beurteilen kann, so kann ich sagen, dass im Kabinett alle Kabinettsmitglieder dieser Fassung so zugestimmt haben: der Innenminister, der Justizminister und alle anderen. Stellen Sie sich einmal vor, die Bundesregierung würde Ihnen einen Gesetzentwurf vorlegen und verlangen, daran dürfe kein Jota geändert werden, weil der Gesetzentwurf exakt so mit der EU-Kommission vorbesprochen worden sei. Was würden Sie dann sagen? Das kann wohl nicht richtig sein.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich möchte jetzt gerne diesen Teil der Befragung der Bundesregierung beenden. Wir haben die vereinbarte Debattenzeit schon um 23 Minuten überzogen. Wir haben noch den Punkt „Sonstige Fragen an die Bundesregierung“. Auch dazu liegt mir eine Wortmeldung vor. Die möchte ich jetzt aufrufen. Herr Movassat.

Niema Movassat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004114, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Ich möchte auf einen Aspekt zurückkommen, den mein Kollege Kekeritz bereits angesprochen hatte, nämlich das Treffen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Pegida-Vertretern. Sie haben hier gerade gesagt, das seien irgendwelche Menschen, die bei Pegida mitliefen. Ausweislich der Artikel bei Spiegel Online, n-tv und Tagesspiegel handelt es sich um Vertreter von Pegida. Mich würde ganz konkret interessieren, warum trotz klarer Aussagen auch der Bundeskanzlerin ein offizieller Vertreter der Bundesregierung - ein Staatssekretär ist ein offizieller Vertreter der Bundesregierung - sich in dieser offiziellen Funktion, im Übrigen sogar hier im Parlament, morgen mit Vertretern von Pegida trifft. Ist das eine Haltung, die die Bundesregierung unterstützt? Falls Sie das nicht unterstützen: Warum verhindern Sie das nicht? ({0})

Not found (Minister:in)

Ich habe schon gesagt, dass der Ausdruck „Vertreter von Pegida“ nicht so ganz trennscharf ist. Das ist ein Verein von sieben Mitgliedern. Mit denen würde ich mich schon gar nicht treffen. Von den sieben ist auch keiner dabei. Daher ist das ein etwas unklarer Begriff. Ich kann nur wiederholen: Ich stehe für ein solches Gespräch nicht zur Verfügung. Damit habe ich Ihnen, glaube ich, meine Meinung dazu gesagt. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksachen 18/4370, 18/4420 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nummer 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Es handelt sich um eine Frage auf Drucksache 18/4420 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Harald Ebner auf: Welche Sofortmaßnahmen plant die Bundesregierung, um die Bevölkerung vor den wahrscheinlichen schwerwiegenden Gesundheitsgefahren durch den auch in Deutschland häufig eingesetzten ({0}) und frei verkäuflichen Unkrautvernichtungsmittel-Wirkstoff Glyphosat ({1}) zu schützen, der am Freitag von der International Agency for Research on Cancer, IARC, der Weltgesundheitsorganisation WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft wurde, und wie wird die Bundesregierung angesichts des Widerspruchs in der Risikoeinschätzung durch das IARC einerseits und durch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung andererseits, das Glyphosat erst kürzlich als unbedenklich klassifiziert hat, als EU-Berichterstatterin für die im Jahr 2015 anstehende EU-Zulassungserneuerung für Glyphosat weiter verfahren? Die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Dr. Flachsbarth antwortet für die Bundesregierung. - Sie haben das Wort.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Ebner, die Bewertung des gesundheitlichen Risikos, das vom Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff Glyphosat ausgeht, erfolgt im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften durch das Bundesinstitut für Risikobewertung. Wie Sie wissen, nimmt die Bundesregierung auf die Bewertung durch die zuständige Bundesoberbehörde keinen Einfluss. Ich will Sie aber darauf hinweisen, dass hinsichtlich möglicher krebserregender Eigenschaften die Auffassung des BfR bestätigt wird von den Einschätzungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, also der EFSA, der Europäischen Chemikalienagentur, also der ECHA, dem Joint Meeting on Pesticide Residues, JMPR, der Weltgesundheitsorganisation, WHO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, sowie den nationalen Zulassungsbehörden zum Beispiel in Australien, in den USA und in Brasilien. Zurzeit ist noch nicht klar, warum ein Gremium der WHO, nämlich die aktuell zitierte Internationale Agentur für Krebsforschung, zu einer Auffassung gelangt ist, die vollkommen konträr ist zu der vom bereits genannten JMPR. Das BfR hat unverzüglich eine erneute Prüfung aller vorliegenden epidemiologischen Studien - das sind 30 an der Zahl einschließlich der drei Studien, die gemäß einer ersten Verlautbarung der IARC geprüft wurden eingeleitet. Darüber hinaus werden alle vorliegenden Erkenntnisse zu tumorbildenden Eigenschaften nochmals überprüft. Mit den Ergebnissen wird der Abgleich mit Informationen der IARC durchgeführt. Hierzu werden zusätzliche Informationen von den zuständigen Stellen der WHO angefordert. Die ausführliche abschließende Begründung der IARC für die vorgenommene Einstufung als „wahrscheinlich krebserregend“ liegt bislang noch nicht vor. Die für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständige Bundesoberbehörde, nämlich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, hat sich gemeinsam mit dem BMEL im Rahmen der Koordinierung der Sitzung des Codex Committee on Pesticide Residues im April 2015 unverzüglich mit der EFSA, der EU-Kommission und den zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten in Verbindung gesetzt. Ziel ist es, zu erörtern, wie die WHO zu der unterschiedlichen Einschätzung zweier ihrer Institutionen zum Wirkstoff Glyphosat steht. Die Frage soll in der oben genannten CCPR-Sitzung an die WHO, konkret an das JMPR, herangetragen werden. Sollte jedoch die noch ausstehende finale IARC-Monografie mit der ausführlichen Begründung der Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserzeugend“ Hinweise auf der Basis neuer Informationen, die im Zuge der aktuellen Neubewertung von Glyphosat in der EU nicht berücksichtigt werden konnten, liefern, ist die Anpassung der Bewertung einzufordern. Dann wird das BfR diese unverzüglich vornehmen. In der Folge müssten dann weitere Handlungsoptionen geprüft werden. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass das BfR auf diese neuen Informationen unverzüglich reagiert hat, unter anderem mit der Einstellung von umfangreichen Informationen auf seiner Homepage, die ich Ihrer Lektüre sehr gern empfehle.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Auch für die Fragestunde - darauf möchte ich hinweisen - gelten Regeln für die Dauer der Frage und für die Dauer der Beantwortung. Ich habe einfach die Bitte, doch gelegentlich einen Blick auf die Uhr zu werfen; da ist das sehr gut erkennbar. Herr Ebner, Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. Danke, Frau Staatssekretärin. - Es ist schön, dass jetzt auch die Bundesregierung ins Nachdenken kommt. Ich möchte aber dazusagen: Das BfR hat einige Tage leider gar nicht reagiert; so war es zumindest der Presse zu entnehmen. Das BfR stand für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung. Ich möchte jetzt aber darauf abzielen: Die IARC stellt fest, dass Glyphosat und seine Formulierungen Schäden an der DNA und an Chromosomen von Säugetieren sowie von menschlichen und tierischen Zellen verursachen, Schäden, die unter anderem zu Lymphdrüsenkrebs führen können. Glyphosat wird mittlerweile fast überall gefunden, auch in der Muttermilch und im Urin. Auf eine Kleine Anfrage von uns hat die Bundesregierung 2013 geantwortet, dass von 26 Langzeitstudien gerade mal eine einzige nicht aus den Labors der Hersteller kommt und dass alle anderen bislang aus Gründen der Vertraulichkeit nicht veröffentlicht wurden. Deshalb frage ich Sie: Was hat die Bundesregierung seither getan, um die offenbar verbreitete und andauernde sogenannte Hintergrundbelastung mit Glyphosat bei Menschen zu überwachen, deren gesundheitliche Auswirkungen unabhängig von der Industrie zu überprüfen und für die Zukunft den öffentlichen Zugang zu solchen Studienergebnissen zu ermöglichen?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege Ebner, Glyphosat wird derzeit auf europäischer Ebene routinemäßig neu bewertet. Informationen zum Verfahren finden Sie auf der Internetseite des Bundesamtes für Verbraucherschutz. Deutschland ist in diesem Routineverfahren berichterstattender Mitgliedstaat. Im Rahmen dieser Überprüfung, die das BfR vorgenommen hat, gab es mehr als 1 000 neue Veröffentlichungen zum Wirkstoff Glyphosat. Es wurden alle Studien überprüft, die in den letzten Jahren zu Diskussionen in der Öffentlichkeit und in den Medien geführt haben. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass sich das BfR tatsächlich ein sehr umfassendes Bild bezüglich der Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit gemacht hat. Ich darf noch einmal auf die Veröffentlichung des BfR bezüglich der IARC-Studie und darauf hinweisen, dass der statistische Zusammenhang, der von dieser Organisation zwischen einer Glyphosatexposition und einem erhöhten Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome hergestellt wurde, in anderen Studien - in großen Kohortenstudien und in 30 weiteren epidemiologischen Studien - nicht nachvollzogen wird. Das BfR kennt die drei Studien, die die IARC herangezogen hat, meint jedoch in einer ersten Abwägung, dass diese nicht einschlägig seien. Es überprüft sie aber noch einmal.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ebner.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Das war zwar nicht die Antwort auf meine Frage, aber ganz offenbar stand das so auf dem Sprechzettel. Diese Antwort widerspricht, finde ich, auch Ihrer ersten Antwort. Denn Sie sagten, das BfR hat jetzt vor, auch die bislang nicht berücksichtigten Studien noch zu bedenken. Glyphosat ist derzeit für die Anwendung im Haus und im Kleingartenbereich weiterhin zugelassen; es kann also in jedem Baumarkt ohne Sachkenntnis erworben werden. Ihr Haus hat im letzten Jahr selbst eingeräumt, dass es in diesem Bereich zu missbräuchlicher Anwendung auf befestigten Flächen kommt, verbunden mit dem hohen Risiko der Abschwemmung in Kanalisation und Oberflächengewässer. In Nordrhein-Westfalen - das hat sich herausgestellt - ist in jedem zweiten untersuchten Gewässer Glyphosat nachweisbar. Ich möchte Sie fragen: Welche Auswirkungen hat die Einstufung von Glyphosat in die Kategorie 2 A - wohlgemerkt: Es ist nicht 2 B, wie Monsanto uns das gerne glauben machen möchte -, also in die gleiche Kategorie wie Acrylamid, Nitrosamine, Blei und UV-Strahlen? Wie sollen die Umwelt und vor allem die Gesundheit der unerfahrenen privaten Anwenderinnen und Anwender - einschließlich der ihrer Kinder und Nachbarn - anders geschützt werden, als durch ein klares Verbot, dieses Mittel für Haus und Kleingarten zu erwerben?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege Ebner, ich möchte ausdrücklich anmerken, dass es unseres Wissens keine Studien gibt, die das BfR nicht in seine Untersuchungen einbezogen hat. Das BfR hatte diese Untersuchungen, die von der besagten WHO-Behörde geprüft worden sind, selbstverständlich auch in seine Überprüfungen einbezogen. Es wird diese Studien aber jetzt, nach diesen Ergebnissen der Kollegen aus den Vereinigten Staaten, noch einmal prüfen und schauen, ob möglicherweise eine Neubewertung stattfinden muss. Deshalb sind wir nach wie vor der Meinung, dass Glyphosat im Rahmen der geltenden Vorschriften - auch der Sicherheitsvorschriften aus der EU - Anwendung finden kann. Bezüglich der Sikkation hatte das BMEL allerdings im letzten Jahr - dazu hatte ich auch im Ausschuss berichtet - Einschränkungen vorgenommen. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt hat Frau Binder die Möglichkeit zur Frage. Frau Binder, Sie haben das Wort.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Flachsbarth, ich möchte an dieser Stelle anknüpfen: Im Sinne eines vorsorgenden Verbraucherschutzes wäre doch bei einem solchen Verdacht und mit Blick auf die wahrscheinliche Existenz krebserregender Wirkstoffe in diesen Produkten zumindest insofern eine Vorsorge zu treffen, als man sie aus dem Verkehr zieht. Denkt die Bundesregierung über einen Verkaufsstopp von Glyphosat nach? Ich würde gern noch Folgendes fragen: Trifft es zu, wie jetzt in der taz zu lesen war, dass es in der Bundesrepublik 92 zugelassene Pflanzenschutzmittel mit dem Herbizidwirkstoff Glyphosat gibt? Da wüsste ich gerne: Wie viele davon dürfen in der Landwirtschaft und wie viele davon dürfen auch auf öffentlichen Wegen und in privaten Gärten eingesetzt werden? Glyphosat ist nämlich tatsächlich im Urin der Städter nachzuweisen. Es fließt also durch ihre Körper.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Binder, ich möchte wiederholen, dass die Ergebnisse der Untersuchungen der IARC im Widerspruch zu Ergebnissen von Untersuchungen stehen, die das JMPR, eine weitere Unterorganisation der WHO bzw. der FAO, erzielt hat. Sie stehen ebenfalls im Widerspruch zu Ergebnissen der EFSA, der Europäischen Chemikalienagentur und anderer nationaler Zulassungsbehörden wie zum Beispiel derer in Australien, in den USA und Brasilien. Die Tatsachen werden noch einmal wissenschaftlich abgeglichen, die konträren Ergebnisse werden tatsächlich verifiziert und die zugrundeliegenden Studien werden noch einmal angesehen. Es besteht zurzeit aber kein akuter Handlungsbedarf eines Verbotes. Zur Frage der 92 Substanzen bzw. der verschiedenen Mischungen, die angeboten werden, möchte ich Ihnen bitte schriftlich antworten.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Künast, Sie haben das Wort.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, meine Frage bezieht sich auf etwas Zukünftiges, nämlich auf die neue Maislinie GA 21 und das Vorsorgeprinzip. GA 21 ist eine Maislinie von Syngenta, die eine tolle Eigenschaft hat, nämlich dass sie aufgrund einer gentechnischen Veränderung die Behandlung mit Glyphosat schadlos übersteht, während alles um sie herum abstirbt. Diese Maislinie steht kurz vor der Zulassung für den Anbau in der EU. Es gibt verschiedene Mitgliedstaaten, die sagen, dass sie den Anbau von glyphosattoleranten Pflanzen kritisieren, da dieser mit einer wirklich massiven Steigerung von Herbizideinsätzen einhergehen wird. Der Anbau ist in mehrfacher Hinsicht schädlich. Meine Frage ist: Wie wird sich die Bundesregierung jetzt verhalten? Sie haben viermal gesagt, Sie würden das ernsthaft prüfen. Nach dem Vorsorgeprinzip - in der EU ist das das „Precautionary Principle“ - sind Sie, wenn es einen tatsachengestützten Verdacht gibt - ich beziehe mich auf Aussagen der WHO -, verpflichtet, zugunsten der Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher, auch mit Blick auf die steigenden Krebsraten - ich glaube, jeder von uns erlebt das zumindest in seiner Nähe -, zu entscheiden und zu sagen, dass Sie das Verfahren aufhalten wollen, bis es eine EU-weite Bewertung dieser WHO-Entscheidung gibt, die besagt: Es ist krebserregend. - Alles andere würde sich auf die Gesundheit von uns allen auswirken. Meine Frage ist: Werden Sie sich aus Gründen des vorsorgenden Verbraucherschutzes in die Gruppe der Länder begeben, die Nein zur Zulassung sagen, oder werden Sie hilfsweise mit anderen Mitgliedstaaten eine Initiative für ein Aufhalten des Verfahrens starten, bis man klüger ist? Wenn Sie diese Initiative schon gestartet haben, wüsste ich gern, mit welchen Mitgliedstaaten Sie dazu im Gespräch stehen.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin, ich darf wiederholen, dass die Ergebnisse der IARC im Moment allein dastehen gegenüber Ergebnissen, die WHO, FAO und andere Unterorganisationen erzielt haben. Dazu gehören zum Beispiel Ergebnisse von Untersuchungen der EFSA, der Europäischen Chemikalienbehörde oder von nationalstaatlichen Bewertungsbehörden. Deshalb wird dieser Einzelbefund sehr ernst genommen und wird noch einmal auf seine Validität überprüft. Deshalb ist jetzt aber kein sofortiges Handeln angesagt. Bezüglich der Zulassung von genveränderten Maislinien: Für die von Ihnen genannte Maislinie tritt das Gleiche in Aktion wie bei allen gentechnisch veränderten Organismen. Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck an der Umsetzung der Opt-out-Möglichkeit, die von europäischer Seite gegeben wird, und ist dabei, diese Möglichkeit in nationales Recht umzusetzen. ({0}) - Frau Kollegin Künast, ich habe Ihnen gesagt, dass das Ergebnis, das von der IARC erzielt worden ist, ein Einzelbefund ist und dass dieser sehr sorgfältig geprüft wird, dass die zugrundeliegenden Studien noch einmal angeschaut werden. Im Moment ergibt sich kein akuter Handlungsbedarf. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich habe jetzt noch drei weitere Wortmeldungen zu dem gleichen Komplex vorliegen. - Frau Kotting-Uhl, Sie haben das Wort.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin Flachsbarth, ich möchte gerne einen Blick nach Dänemark werfen. Dort hat ein Schweinezüchter wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass er in seinem Bestand erhebliche Gesundheitsprobleme bei den Muttersauen und ungewöhnlich häufig schwerwiegende Missbildungen bei den Ferkeln beobachten musste, solange er gentechnisch verändertes Soja verfütterte. Er bezieht glyphosattolerantes Gensoja, das aufgrund der häufigen Spritzungen meist erheblich mit Glyphosat belastet ist. Die dänischen Behörden haben daraufhin eigene Fütterungsversuche bei den Schweinen eingeleitet. In Deutschland wurde daraufhin die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit mit der Ausarbeitung eines Versuchsdesigns für solche Versuche beauftragt. Die deutsche Tiermedizinerin Professor Monika Krüger fand in den Organen der missgebildeten Ferkel eine erhöhte Konzentration an Glyphosat. Jetzt meine Doppelfrage dazu: Steht die Bundesregierung zu dieser Thematik im Austausch mit den dänischen Behörden? Was ist aus den Plänen geworden, selbst Fütterungsversuche mit Schweinen durchzuführen, die einerseits den Menschen biologisch ähnlicher sind als Mäuse und Ratten und andererseits im realen landwirtschaftlichen Alltag über die Fütterung regelmäßig einer solchen Exposition ausgesetzt sind?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Kotting-Uhl, bezüglich der von Ihnen angesprochenen Studie kann ich keine detaillierten Auskünfte geben, kann sie Ihnen aber gerne nachliefern. Ich kann Ihnen aber sagen: Im Rahmen des Bewertungsverfahrens, das das BfR für Deutschland als berichterstattende Nation gegenüber der EFSA und der EU-Kommission durchgeführt hat, sind alle verfügbaren Untersuchungen eingeflossen. Dann hat die EFSA einen Bewertungsbericht veröffentlicht. Sie hat bis Januar 2012 ein Konsultationsverfahren durchgeführt. Im Rahmen dieses Konsultationsverfahrens konnten jeder Mann und jede Frau, jede Institution, die sich zu dieser Problematik äußern wollte, entsprechende Eingaben machen. Daraufhin sind über 700 Dokumente von den Firmen nachgefordert worden, die Glyphosat - in Anführungsstrichen - verteidigen wollten. Die Prüfung hat stattgefunden. Dazu hat die Bundesrepublik Deutschland noch bei der EU-Kommission eine Verlängerung der Frist eingefordert. Von daher kann ich nicht sehen, dass nicht alle Befunde, die es in Bezug auf Glyphosat gibt, in die Bewertung eingeflossen sein sollten. ({0}) - Ich will Ihnen dazu gerne im Detail schriftlich Auskunft geben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Kekeritz hat das Wort.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank. - Ich denke, dass der Skandal zwei Faktoren hat. Der erste Skandal besteht darin, dass Studien zugelassen worden sind, die von den Erzeugern, von Monsanto, Syngenta usw., in Auftrag gegeben worden sind. Der zweite Skandal besteht darin, dass Sie offensichtliche Tatsachen schlicht ignorieren und nicht in politisches Handeln ummünzen. Ich bin Entwicklungspolitiker und beschäftige mich zum Beispiel sehr viel mit Lateinamerika oder Sri Lanka. Dort gibt es Hunderte von Studien. Es gibt auch zig Dokumentationen dazu. Heute zu sagen, dass die Ergebnisse, die hier Zweifel aufkommen lassen, nicht da sind, ignoriert die Realitäten. Ich stelle die Frage: Wie werden die Studien eigentlich überprüft? Wie geht man da ran? Wird das öffentlich gemacht? Sind die Studien öffentlich? Ich habe überhaupt kein Vertrauen mehr in eine Überprüfung dieser Studien. Ich kann die Studien nehmen und nachprüfen, ob sie in sich logisch sind. Das heißt aber, dass die Fakten, die Datenerhebung, nicht überprüft werden. Das müsste getan werden. Es kann aber Jahre dauern, bis das geschieht. Deswegen ist auch davon auszugehen, dass diese Überprüfung nicht zu dem Ergebnis führt, das die Realität eigentlich verlangt. Man spricht davon, dass die Nierenerkrankungen in Sri Lanka massiv auf den Einsatz von Glyphosat zurückzuführen sind. In Lateinamerika gibt es Fehlgeburten, Fehlbildungen bei Neugeborenen, Krebserkrankungen, Hauterkrankungen, Nierenversagen. All das ist dokumentiert. Aber Sie stellen sich hier hin und sagen: Es gibt keinen Handlungsanlass. - Das ist etwas, was die Bevölkerung nicht versteht und was auch ich nicht verstehe.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege, ich will Ihnen gerne noch einmal über das Zustandekommen des Bewertungsberichtes Auskunft geben, der am 19. Dezember 2013 an die EFSA übergeben worden ist. Das BVL, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, ist in Deutschland für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständig und koordinierte letztendlich die Sammlung all der Expertise, die in diesen Bericht eingebracht wurde. Dabei war das BVL selbst für die Bewertung der physikalischen und chemischen Eigenschaften verantwortlich. Es kamen dann aber weitere Teilberichte: vom BfR - darüber hatten wir mehrfach gesprochen -, vom Julius-Kühn-Institut hinsichtlich der Wirksamkeit, des Nutzens und der Bienenverträglichkeit, vom Umweltbundesamt hinsichtlich der Auswirkungen auf den Naturhaushalt. Weiterhin war die Slowakei Koberichterstatter. Beiträge kamen auch von Umweltverbänden und anderen Stellen oder Einrichtungen wie zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen oder Hochschulen. Darüber hinaus hatte in diesem Neubewertungsverfahren, wie ich schon gesagt habe, grundsätzlich jede Person die Möglichkeit, Informationen vorzulegen, die zur Bewertung beitragen können. Deshalb möchte ich es zurückweisen, dass nur selektiv Gutachten in diese Bewertung eingeflossen sind.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kühn, Sie haben das Wort.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, wir befassen uns hier mit einer sehr relevanten Frage. In vielen Brötchen ist Glyphosat nachweisbar gewesen. Man kann es im Baumarkt kaufen. Wir finden es in unserer Umwelt überall. Sie tun nun so, als ob die Bewertung der WHO sozusagen vom Himmel gefallen wäre und völlig singulär dastünde. Jetzt ist es aber so, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Anwendung von Glyphosat in der Landwirtschaft im Mai 2014 mit gewissen Beschränkungen belegt hat. Für diese Beschränkungen muss es ja einen Christian Kühn ({0}) Grund gegeben haben. Ich würde jetzt gern von Ihnen wissen, welchen Grund das gehabt hat. Aus meiner Sicht war natürlich schon zu dieser Zeit deutlich geworden, dass es sich hier um einen Stoff handelt, der krebserregend sein kann, der die Gesundheit von Menschen massiv schädigt. Ich denke, dass unter anderem deswegen die Beschränkung vorgenommen worden ist. Es wurde die Beschränkung vorgenommen, dass dieser Stoff kurz vor der Ernte nicht mehr ausgebracht werden darf, damit er sich nicht mehr in Lebensmitteln findet. Ich hätte gerne von Ihnen eine Antwort auf die Frage, warum diese Beschränkung vorgenommen worden ist, wenn dieser Stoff so ungefährlich ist, wie es die ganzen anderen Gutachten, die Sie hier angeführt haben, am Ende aussagen.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege, Glyphosat ist ohne Zweifel ein wirkkräftiges Herbizid, dessen Anwendung auf den unmittelbar notwendigen Bereich beschränkt werden sollte. Deshalb ist die Anwendung im Rahmen der Sikkation, wie ich eben schon ausgeführt habe, begrenzt worden. Der Bericht des BVL, von dem wir hier sprechen, sieht keine unmittelbare gesundheitsschädigende Wirkung. Was er aber besagt, ist, dass durch die Anwendung des Glyphosats die biologische Vielfalt, die Biodiversität, zurückgeht, also auf den Kulturflächen auch diejenigen Pflanzen abgetötet werden, die Insekten wie Schmetterlingen und Wildbienen Nahrung bieten. Von daher ist der Einsatz nur im unmittelbar notwendigen Umfang zulässig.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Da Sie, Frau Staatssekretärin, vorhin die Frage meiner Kollegin Künast nicht beantwortet haben, möchte ich Ihnen jetzt noch einmal die Gelegenheit geben, sie zu beantworten. Frau Künast hat Sie gefragt, ob Deutschland zustimmen wird. Das ist ja eine ganz einfache Frage.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Die Abstimmungen im Kabinett, liebe Frau Haßelmann, sind noch nicht abgeschlossen. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich versuche, das mal in einer Minute zusammenzufassen: Seit 1998 ist es Deutschland und seit spätestens 1999 ist es der EU bekannt, welche Folgen Glyphosat auf Menschen und auf Tiere haben kann. 2010 hat ein Konsortium von Wissenschaftlern eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass es Auswirkungen auf die DNA, auf die Plazenta und auf die Embryonalstruktur hat, dass es Alzheimer, Krebs usw. usf. fördert. Was macht die Politik? Nichts. Jetzt heißt es immerhin: Wir beschäftigen uns mal damit. Das BfR, das Bundesinstitut für Risikobewertung, sagt: Das sehen wir als nicht so schlimm an, wir gucken jetzt erst einmal, was dafür- und was dagegenspricht. Die Wirkstoffgenehmigung läuft Ende des Jahres aus. Da drängt sich mir der Verdacht auf, dass hier jetzt mit einer Hinhaltetaktik so lange gezögert wird, dass diese Studien nicht belegt werden, damit man am Jahresende, wenn es um die Verlängerung geht, zustimmen kann. Im Übrigen möchte ich jetzt ganz klipp und klar eine Antwort der Regierung hören: Wie steht die Regierung zu der Genehmigung von Mais, der herbizidresistent ist, damit er mit solchem Dreck gedüngt werden kann?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege, mir ist nicht bekannt, dass Glyphosat als Dünger eingesetzt wird; vielmehr wird es als Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Ich hatte Ihnen eben gesagt, dass bezüglich der Zulassung noch die Abstimmungen im Kabinett laufen. Ich will Ihnen darüber hinaus ganz klar sagen, dass das BfR eine unabhängige Behörde ist und politischen Weisungen nicht Folge leisten muss, sondern absolut unabhängig arbeitet und Politik berät. Die Frage, über die wir hier sprechen, nämlich über die weitere Zulassung von Glyphosat, ist deshalb keine politische Frage, sondern eine nach naturwissenschaftlichen Kriterien zu entscheidende Frage. ({0}) - Herzlichen Dank, Frau Kollegin Künast, für den Zwischenruf, auf den ich wahrscheinlich gar nicht antworten darf oder muss; ich weiß es nicht. Ich will Ihnen nur sagen, dass gerade die Frage der gesundheitlichen Auswirkungen in umfangreichen Studien überprüft wird, zum Beispiel vom BfR.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit schließe ich den Bereich der dringlichen Fragen. - Ich rufe jetzt die Fragen auf Drucksache 18/4370 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Hier beantwortet der Staatssekretär Christian Lange die Fragen. Zunächst rufe ich die Frage 1 der Kollegin Künast auf: Wie erklärt die Bundesregierung den Unterschied zwischen den Aussagen auf Bundestagsdrucksache 17/10495 einerseits ({0}) und auf Bundestagsdruck9120 Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn sache 18/4238 andererseits - wonach es „einer Prüfung des zuständigen Ressorts zu gegebener Zeit ({1}), ob eine Präsentation in Form einer Ausstellung im jeweiligen Einzelfall tatsächlich geeignet und sinnvoll erscheint“, vergleiche Antwort zu Frage 18 -, und ist die Bundesregierung nicht mehr der Auffassung, dass eine Dauerausstellung zu den personellen Kontinuitäten in den Bundesministerien zwischen der NS-Zeit und der Zeit nach 1945 eine gute gesellschaftliche Debatte befördern könnte?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin! In ihrer Antwort auf die Frage 18 aus der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur NS-Aufarbeitung in den Bundesressorts hat die Bundesregierung erneut zum Ausdruck gebracht, dass die Ergebnisse der NS-Aufarbeitungsarbeiten der Bundesressorts auch durch Ausstellungen der Öffentlichkeit sinnvoll und angemessen vermittelt und allgemein zugänglich gemacht werden können. Dabei ist jedes Ressort aufgerufen, eine diesbezügliche Entscheidung hinsichtlich der Ergebnisse seiner Aufarbeitungsarbeit zu treffen. Was in der Frage angesprochene Durchführungen einer möglichen Ausstellung zum Rosenburg-Projekt betrifft, so ist der konkrete Entscheidungsprozess im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz noch nicht abgeschlossen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hatte damals gefragt, ob es überhaupt noch die Idee gibt, eine Dauerausstellung zu machen. Ich frage danach, weil das Konzept von Public History - das war damals Frage 14 - in Wahrheit ein Konzept ist, das das damalige BMJ selbst erfunden und mitentwickelt hat. Man sagte damals nämlich: Geschichtsaufarbeitung und das Lernen daraus müssen und dürfen nicht zwingend nur zwischen zwei Buchdeckeln passieren, sondern sollten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Ich frage Sie dies deshalb, weil Sie dieses Projekt im Ministerium damals quasi selbst entwickelt haben und weil bei Umfragen - zum Beispiel neulich unter Jurastudierenden des ersten und zweiten Semesters in Erlangen - ein Drittel der Befragten gesagt hat, sie seien für eine Wiedereinführung der Todesstrafe, deren Einführung nach unserem Grundgesetz gar nicht vorgesehen ist. Wenn man all dies sieht, dann habe ich die Sorge, dass wir viel zu wenig Aufarbeitung betreiben und viel zu wenig den öffentlichen Diskurs führen. Deshalb frage ich ganz klar: Setzt sich das BMJV dafür ein, dass es nur für seinen Bereich oder insgesamt - es gibt auch in anderen Ministerien Lücken - eine Ausstellung gibt, die tatsächlich Public History praktizieren kann, dass es also eine öffentliche Auseinandersetzung an verschiedenen Orten geben wird?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Ich will zunächst sagen, dass das Rosenburg-Projekt unseres Hauses eine sehr große und positive öffentliche Resonanz ausgelöst hat, sowohl bei Veranstaltungen, die der Herr Bundesminister durchgeführt hat, als auch bei einer Veranstaltung, die ich zum Beispiel beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe durchgeführt habe. Darüber hinaus nehmen Sie Bezug auf die Ausstellung des alten BMJ - sie hieß Im Namen des deutschen Volkes - Justiz und Nationalsozialismus -, die übrigens Bundesjustizminister Engelhard initiiert hatte. Da wir noch keine Entscheidung über unser konkretes Vorgehen getroffen haben, kann ich die Frage nach der Konzeption der Ausstellung - Wanderausstellung? in welcher Form? nur hypothetisch beantworten. Die Ausstellung des früheren Bundesjustizministeriums ist, wie Sie sagten, vom Ministerium selbst thematisch vorbereitet worden und befasst sich vor allem mit der Justiz im nationalsozialistischen Unrechtssystem. Nunmehr würde eine mögliche Ausstellung zum Rosenburg-Projekt auf den Ergebnissen der Arbeit der unabhängigen Wissenschaftskommission beim BMJV aufbauen, die sich mit der Aufarbeitung des Umgangs des damaligen Bundesjustizministeriums mit der NS-Vergangenheit befasst und insbesondere die Tätigkeit in den 1950er- und 1960er-Jahren im Blick hat. Auf der Grundlage der vorhandenen Akten soll ein quellengeschütztes Gesamtbild erstellt werden. Das ist noch nicht abschließend erfolgt. Wenn uns das Material vorliegt, werden wir darüber entsprechend entscheiden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie hatten mir damals in der Anfrage geantwortet, dass es Unterstützungsleistungen für Professor Raphael Gross vom Leo-Baeck-Institut und für das Jüdische Museum in Frankfurt gegeben hat. Ich würde gerne wissen: Wie geht es hier eigentlich weiter? Was waren das für Unterstützungsleistungen? Werden Sie zum Beispiel im nächsten Bundeshaushalt - Sie sagen, das Haus denkt noch darüber nach - einen ganz konkreten Finanzierungsantrag für eine wie auch immer geartete Dauerausstellung stellen, oder sehen Sie das in fernerer Zukunft?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen dazu nichts Konkretes sagen kann. Nehmen Sie aber bitte mit, dass wir eine Öffentlichkeitsarbeit planen. Wie sie genau aussehen wird, wie der Terminplan sein wird, wie sie finanziell unterlegt sein wird, das kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt naturgemäß noch nicht sagen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele auf: Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung eine Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform geregelt werden, nachdem der Europäische Gerichtshof am 8. April 2014 die Speicherung der Daten jeglicher Berufsgeheimnisträger sowie solcher Personen ausschloss, „bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren StrafVizepräsidentin Edelgard Bulmahn taten stehen könnte“ ({0}), und soll technisch, organisatorisch und regulativ sichergestellt werden, dass solche Daten von Berufsgeheimnisträgern sicher erkannt, von anderen Personen unterschieden, ausgesondert und nicht gespeichert werden? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Ströbele, ich möchte Ihre Frage wie folgt beantworten: Eine gesetzliche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung müsste die Vorgaben beachten, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zu den bisherigen Regelungen auf nationaler und europäischer Ebene ergeben. Dazu gehören der Schutz der Berufsgeheimnisträger und weitere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer solchen Regelung, die sich, in den Worten des EuGH, auf das - ich zitiere - „absolut Notwendige“ beschränken müssten. In welcher Weise dies umgesetzt werden kann, ist zurzeit Gegenstand von Gesprächen, die noch nicht abgeschlossen sind.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Staatssekretär. Nachdem heute im Rechtsausschuss jegliche Diskussion zu diesem Thema, das die Öffentlichkeit durchaus beschäftigt, verweigert worden ist, durch einen Beschluss der Großen Koalition ohne ein inhaltliches Wort vom Tisch gewischt wurde, sind wir darauf angewiesen, Sie hier zu fragen. Deshalb habe ich Ihnen diese konkrete Frage gestellt. Sie haben sie aber nicht beantwortet. Welche Möglichkeiten sehen Sie denn überhaupt, dass die Berufsgeheimnisträger - ich schätze, es sind 2 Millionen: Geistliche, Ärzte, Psychiater, Rechtsanwälte, Abgeordnete - nicht aufgenommen werden? Werden dann von allen diesen möglicherweise Millionen Personen Kennnummern oder Kennzeichen in die Dateien aufgenommen, damit sie aussortiert werden, oder wie stellen Sie sich das vor?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Herr Kollege Ströbele, zunächst lege ich Wert darauf, darauf hinzuweisen, dass Ihre Frage, die Sie hier in der Fragestunde gestellt haben, dem Ausschuss heute Morgen bekannt war. Es wurde ausdrücklich darauf verwiesen, dass eine Diskussion darüber in der Fragestunde stattfindet. Wir, jedenfalls was die Bundesregierung angeht, weichen also keinesfalls aus. Ich antworte Ihnen wie folgt: Es ist richtig, dass der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil beanstandet hatte, dass die Richtlinie - Zitat - „keinerlei Ausnahme“ bezüglich der Personen enthalte, die - erneutes Zitat „nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen“. Hier wird man eine Lösung finden müssen. Das Thema ist nicht nur rechtlich, sondern auch technisch komplex. Das alles ist Gegenstand der Gespräche, die wir führen. Daher kann ich nur auf das bereits Gesagte verweisen. Ich will hinzufügen: Die Gespräche verlaufen äußerst konstruktiv und vertrauensvoll.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke erst einmal, Herr Staatssekretär. Die Frage ist leider immer noch nicht beantwortet. Aber vielleicht kann ich jetzt in diesem Zusammenhang konkret eine Frage an den Minister richten. In Deutschland beschäftigt sich nicht nur die Fachpresse, sondern auch die Öffentlichkeit mit der Frage, was denn den Bundesjustizminister bewogen haben könnte, von seiner vorher mehrfach immer wieder sehr betont vorgetragenen Auffassung abzuweichen, nämlich dass er, bevor Europa eine Regelung vorschlägt, überhaupt nicht daran denkt, die Vorratsdatenspeicherung zu erwägen oder gar einen entsprechenden Gesetzentwurf in Auftrag zu geben. Was hat ihn denn nun bewogen, seine Auffassung zu ändern? Kann der Minister vielleicht etwas dazu sagen? Er ist vielleicht authentischer als sein Staatssekretär. Was hat Sie veranlasst, Ihre Auffassung zu ändern? War das alleine der Ukas oder die Anweisung des Parteivorsitzenden und Ministerkollegen Gabriel, oder gab es auch sachliche Gründe, warum Sie die Entscheidung darüber nun gerade für Ende Juni ankündigen, wenn Ihr Parteikonvent stattfinden soll? Da wollen Sie etwas dazu vorlegen. Geht es da um eine Befriedung der Partei, oder geht es um ein wichtiges gesetzgeberisches Vorhaben?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Zunächst, Herr Kollege Ströbele, haben Sie drei Unterstellungen in Ihre Frage eingebaut. Die erste war, ich hätte hier einen Zeitplan vorgestellt, der Minister hätte einen Zeitplan vorgestellt. Davon kann keine Rede sein. Einen solchen Zeitplan gibt es nicht. Die zweite Unterstellung war, dass es eine Anweisung von wem auch immer gibt. Auch dies muss ich zurückweisen. Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat darauf hingewiesen, dass der Justizminister und der Innenminister im Gespräch sind. Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen April sprechen wir innerhalb der Bundesregierung und übrigens auch mit unseren europäischen Partnern darüber. Ich sagte bereits, dass die Gespräche mit dem Innenministerium sachlich und konstruktiv verlaufen. Wasserstandsmeldungen, nach denen Sie hier immer wieder fragen, kann ich Ihnen allerdings nicht geben. Die Lage, die wir seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs haben, ist mit vielen Unsicherheiten verbunden. Genau aus diesem Grund führen wir seit dem Urteil Gespräche, natürlich insbesondere mit den Kollegen aus dem Bundesinnenministerium, wie mit den Vorgaben des Urteils umzugehen ist. Wie ich schon sagte: Einen Kompromiss zu fin9122 den, wird nicht einfach sein, und dies wird auch nicht von heute auf morgen zu machen sein. Ihre dritte Unterstellung war, wir hätten damit auf die Anschläge in Paris und Kopenhagen, die wir alle sehr bedauern, reagiert. Lassen Sie mich dazu sagen: Absolute Sicherheit - weder vor terroristischen Anschlägen noch vor sonstigen Gefahren, die irgendwo lauern - können wir nun einmal leider nicht gewährleisten. Das haben wir immer klar und deutlich gesagt. Wer etwas anderes behauptet, sagt, glaube ich, nicht die Wahrheit. Deshalb will ich noch einmal die Äußerungen von Bundesminister Maas in Erinnerung rufen, die er nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vor einem Jahr getätigt hat. Er sagte am 8. April unter anderem: Wir werden das Urteil jetzt sorgfältig auswerten. Dann werden wir mit unserem Koalitionspartner neu über das Thema Vorratsdatenspeicherung reden müssen. Wir werden das weitere Verfahren und die Konsequenzen ergebnisoffen besprechen. Ich bin mir sicher, wir werden eine sachliche und konstruktive Debatte führen und am Ende eine tragfähige Lösung finden. Herr Kollege Ströbele, genau das machen wir jetzt, und genau so verfahren wir.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Nachfrage. Vizekanzler Sigmar Gabriel hat sich ja neulich öffentlich dahin gehend eingelassen, das vom EuGH und vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, also der erste Anlauf, sei von der schwarz-gelben Bundesregierung beschlossen worden. Nach meiner Erinnerung irrt er da. Ich habe das Gefühl - ich glaube, das sieht meine Fraktion auch so; das entspricht auch den Tatsachen -, dass das erste Gesetz, das vom Bundesverfassungsgericht und vom EuGH kassiert worden ist und für nicht verfassungsgemäß gehalten wurde, von der ersten schwarz-roten Koalition in der Regierungszeit davor, nämlich von 2005 bis 2009, beschlossen worden war. Sehen Sie das auch so? Können Sie mir das bestätigen? Könnten wir allgemein sagen, dass der Vizekanzler hier in seiner Einschätzung irrt?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Kollegin, mir steht es nicht zu, den Bundeswirtschaftsminister zu kommentieren. Ich habe auch nicht vor, dies zu tun. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Wunderlich, Sie haben eine Frage?

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte an den Kollegen Ströbele anschließen. Der EuGH hat ja festgestellt, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig ist, auch was die EU-Verfassung angeht ({0}) - doch, das ist so ({1}) - ja, Europa -, wenn kein Zusammenhang mit schweren Straftaten besteht. Frau Winkelmeier-Becker hat hier in der Debatte zwar von Urheberrechtsverletzungen und von Enkelbetrügereien im Internet gesprochen. Aber das sind ja keine schweren Straftaten; ich gehe davon aus, dass wir alle - bis auf Frau Winkelmeier-Becker - da einer Meinung sind. Demzufolge kann es also keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung geben, weswegen Minister Maas davon wohl auch Abstand genommen hat. Es bleibt dabei: Woher kommt dieser Umschwung, jetzt doch ein möglicherweise verfassungskonformes Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung vorlegen zu wollen? Woher kommt dieser Sinneswandel im Justizministerium?

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Herr Kollege, lassen Sie mich zunächst einmal sagen, wie sich der Europäische Gerichtshof geäußert hat. Er hat hinsichtlich der Richtlinie moniert, dass sie keine klaren, präzisen Regeln zur Tragweite und zum Eingriff in die Artikel 7 und 8 der Charta - das ist, im Unterschied zum Bundesverfassungsgericht, der wichtige Maßstab - enthalte, also im Hinblick auf Eingriffe in das Recht auf Privatleben und das Recht auf Datenschutz. Außerdem hat er festgestellt, Eingriffe seien geeignet, das Gefühl einer ständigen Überwachung zu erzeugen, da die Vorratsdatenspeicherung ohne vorherige Information der Betroffenen vorgenommen werde. Er hat auch auf die Sicherheit und den Schutz der von den Telekommunikationsanbietern und den Netzbetreibern gespeicherten Daten Bezug genommen und das Fehlen ausreichender Garantien zum Schutz vor Missbrauch der Daten festgestellt. Das alles sind Vorgaben, über die wir reden müssen und über die wir auch reden, wenn wir über die Einführung der Vorratsdatenspeicherung diskutieren. Bereits heute kann aber festgehalten werden - insofern antworte ich Ihnen direkt -: Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung aller möglichen Daten wird es künftig sicher nicht mehr geben können. Wir sollten nicht das Risiko eingehen - da sind wir uns sicher alle einig -, dass eine neue Regelung wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird. Insofern gilt: Wir prüfen mit Hochdruck. Es ist aber wichtig, hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit walten zu lassen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Die Frage 3 des Kollegen Hans-Christian Ströbele wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 4 der Kollegin Veronika Bellmann wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Sabine Zimmermann, die mündlich beantwortet wird, auf: Wie hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren die Zahl und der Anteil der Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit entwickelt, die an Weiterbildungen teilgenommen haben - bitte jeweils Jahresdaten -, und in welchen zentralen Bereichen erfolgt die Weiterbildung? Für die Bundesregierung antwortet die Staatssekretärin Anette Kramme. - Sie haben das Wort.

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Herzlichen Dank. - Meine Antwort fällt kurz aus: Das entsprechende Zahlenmaterial steht uns nicht zur Verfügung.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Zimmermann?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist natürlich eine sehr kurze Antwort. Wenn Ihnen zur Qualifizierung in einer Bundesbehörde keine Zahlen vorliegen, ist das aus meiner Sicht schon bedenklich. Dann werden Sie meine anderen Fragen ja auch nicht beantworten können, zum Beispiel die Frage, ob, wenn jemand für die Weiterbildung freigestellt wird, zumindest gewährleistet ist, dass es eine Vertretung gibt.

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Frau Zimmermann, Sie haben sehr detaillierte Fragen gestellt. Wie gesagt, wir haben schlichtweg kein Zahlenmaterial dazu. Wir kommen ja gleich zur Frage 6, die auch Sie gestellt haben; dazu kann ich etwas sagen. Logischerweise kann ich zur Vertretungssituation insoweit auch nicht Stellung nehmen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Zimmermann?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann können meine Fragen ja nicht beantwortet werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Soll ich gleich zu Frage 6 übergehen?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, das werden wir dann wohl tun müssen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Dann rufe ich die Frage 6 der Kollegin Sabine Zimmermann auf: Wie haben sich in den zurückliegenden zehn Jahren die Ausgaben für die Weiterbildung der Beschäftigten der BA entwickelt - bitte Jahresdaten zu den Gesamtausgaben und den durchschnittlichen Ausgaben je Mitarbeiter ausweisen -, und wie gestaltete sich die durchschnittliche Dauer der Weiterbildungsmaßnahmen ({0})? Frau Staatssekretärin.

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Herzlichen Dank. - Zahlenmaterial liegt ab dem Jahr 2010 vor. Im Jahr 2010 sind 21 Millionen Euro für die Weiterbildung ausgegeben worden, im Jahr 2011 18 Millionen Euro, im Jahr 2012 12 Millionen Euro, im Jahr 2013 13 Millionen Euro und im Jahr 2014 18 Millionen Euro. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Ausgaben für haupt- und nebenamtliche Trainer, die als Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit in die Fortbildung eingebunden sind, nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen haben Sie weitere Detailfragen gestellt. Auch dazu liegt uns kein Zahlenmaterial vor.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Zimmermann.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich muss schon sagen: Anhand der Zahlen, die Sie jetzt hier genannt haben, kann man erst einmal feststellen, dass die Mittel für die Qualifizierung rückläufig sind. Sie sagen, Sie haben im Jahre 2012 12 Millionen Euro dafür ausgegeben. Um hierzu eine Nachfrage zu stellen: Sie müssen doch wenigstens sagen können, für wie viele Köpfe das Geld ausgegeben worden ist.

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Ich kann Ihnen nur sagen: Wir können Ihre Fragen nicht beantworten. - Ich kann Ihnen aber noch einmal sagen: Es ist nicht zutreffend, dass die Fortbildungsmittel nur rückläufig sind, sondern zwischen dem Jahr 2013 und dem Jahr 2014 sind sie beispielsweise um 5 Millionen Euro gestiegen. Vielleicht ist auch dieser Hinweis hilfreich: Immer wenn große Reformen anstehen und Gesetze geändert werden, ist der Fortbildungsbedarf zumindest vorübergehend natürlich höher.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Möchten Sie noch eine weitere Nachfrage stellen, Frau Zimmermann?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielleicht können Sie einmal einen Bezug zum Reformbedarf herstellen. Sie sagen, dass es zwischen 2013 und 2014 eine Steigerung gab. Das ist natürlich schon verwunderlich, da es in den anderen Jahren eine rückläu9124 Sabine Zimmermann ({0}) fige Entwicklung gegeben hat. Vielleicht können Sie darauf eingehen, warum es hier eine Steigerung gab und warum die Mittel in den anderen Jahren rückläufig gewesen sind.

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Das kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht beantworten. Möglicherweise ergibt hier eine Rückfrage bei der Bundesagentur für Arbeit Näheres. Das wollen wir gerne tun. Sie fragen nach konkreten Gesetzesreformen und danach, wann diese vorgenommen worden sind. Verzeihen Sie mir bitte, dass ich an dieser Stelle sicherlich keine exakten Jahreszahlen wiedergeben kann. Davon abgesehen: Meines Wissens sind Sie auch seit einigen Jahren Parlamentarierin. Sie müssten das also in gleicher Weise wissen wie meine Person. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich bitte, die Fragen wirklich sachlich zu beantworten und nicht zu kommentieren. ({0}) Das Angebot, dass Sie sich bemühen, die Zahlen von der Bundesagentur für Arbeit zu erhalten, wird von Frau Zimmermann sicherlich gerne angenommen. Das ist mit Sicherheit im Sinne der Fragestellerin. Jetzt hat Frau Haßelmann das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, erst einmal sage ich Ihnen: Das steht Ihnen gar nicht zu. Sorry! Wir stellen Ihnen als Parlamentarierinnen und Parlamentarier Fragen, Sie können sie nicht beantworten und sagen dann auch noch, wir hätten als Parlamentarierinnen und Parlamentarier in den letzten Jahren ja mal ein paar Fragen stellen können. Wo sind wir denn hier!? Ich bitte Sie! Sie haben hier eine Auskunftspflicht gegenüber dem Parlament. Nun aber zu meiner sachlichen Frage: Wir reden hier über Weiterbildungsmaßnahmen und über Jobcenter. Sind Ihnen eigentlich der Wallraff-Bericht und die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern - Stichworte: Anstrengung, Belastung, Fluktuation, Fortbildung - bekannt? Das alles muss ja ganz deutlich in dem Kontext gesehen werden, den Frau Zimmermann in ihren Fragen anzusprechen versucht hat. Sie sagen, Sie beschäftigen sich damit eigentlich nicht. Das ist eine furchtbare Analyse; denn das Arbeitsministerium müsste sich mit der eklatanten Situation, die in dem Wallraff-Bericht und in der Darstellung der Wirklichkeit in den Jobcentern beschrieben wird, doch längst von sich aus aktiv beschäftigen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Staatssekretärin.

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Allein im Ausschuss haben wir heute zwei Stunden über dieses Thema diskutiert und uns natürlich auch intensiv mit der Arbeitsbelastung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Jobcentern befasst. Zunächst einmal ist hier Folgendes anzumerken: Im Bereich Aktivierung gibt es gesetzlich festgelegte Betreuungsschlüssel. Diese Betreuungsschlüssel werden in der gesamten Bundesrepublik auch weitgehend eingehalten. Der Betreuungsschlüssel für die unter 25-Jährigen liegt bundesweit beispielsweise bei 1 : 70. Der Betreuungsschlüssel für die über 25-Jährigen liegt bei 1 : 147. Für den Bereich der Leistungsbearbeitung lag der Bearbeitungsschlüssel zeitweilig bei 1 : 130. Dort hat es dann Veränderungen gegeben, und mittlerweile ist der Schlüssel bei 1 : 111 angelangt. Insgesamt ist es so, dass der Anteil der befristeten Stellen - ein Thema, über das das Parlament seit vielen Jahren diskutiert - stark rückläufig ist. Bundesweit sind noch circa 8,9 Prozent aller Stellen befristet. Das differiert ein klein wenig danach, in welcher Region man ist. In Bayern gibt es fast keine Befristungen mehr. Das ist in Bundesländern anders, in denen sich die Kommunen aus der Arbeitsvermittlung zurückziehen und die Bundesagentur für Arbeit nachpersonalisieren muss. Noch etwas, was in diesem Zusammenhang interessant ist: Seit 2007 gibt es im Bereich der Jobcenter 26 000 zusätzliche Stellen. Es ist so, dass der Bund-Länder-Ausschuss darüber hinaus ein Gutachten zur Personalbemessung bei den Jobcentern in Auftrag gegeben hat. Erste Ergebnisse liegen vor: Ein Ergebnis dieser Studie ist, dass keinesfalls von einer durchgängigen Überbelastung im Bereich der Jobcenter gesprochen werden kann. Allerdings gibt es auch Defizite im zugrundeliegenden Zahlenmaterial, weshalb in dieser Studie vorgeschlagen wird, dass man bei den Jobcentern eine Clustereinteilung vornimmt und sich dann die Strukturen genauer anschaut. Diesem Vorschlag stehen wir positiv gegenüber. Noch ein Hinweis. Wir führen intensiv und ständig Gespräche, sowohl mit den Mitarbeitern der Jobcenter als auch mit den Geschäftsführungen. Allein ich habe sicherlich im letzten Jahr mit Vertretern von 50 oder 60 Jobcentern gesprochen. Wir haben selbstverständlich an der Hauptversammlung der Personalräte teilgenommen. Es gibt auch Gesprächskontakte zur Arbeitsgemeinschaft der Jobcenter-Personalräte.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Staatssekretärin, ich muss Sie auf die Redezeit hinweisen. Sie ist schon deutlich überschritten.

Anette Kramme (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003162

Ich denke, an dieser Stelle ist hinreichend belegt, dass wir die Sorgen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr ernst nehmen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf. Frau Staatssekretärin Dr. Flachsbarth steht zur Beantwortung der Fragen bereit. Die Frage 7 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zur Frage 8 des Abgeordneten Kekeritz: Wie hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, BMEL, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, in die Formulierung des „Konzepts Welternährung“, herausgegeben vom Referat 622 des BMEL im Januar 2015, eingebunden, und inwiefern ist das BMZ über eigenständige Aktivitäten des BMEL in Entwicklungsländern informiert? Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Das BMEL-Konzept „Welternährung“ beschreibt die Ziele, Instrumente und Aktivitäten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft im Bereich der Welternährung. Inhaltlich bewegt sich das Konzept im Rahmen gemeinsamer Positionen der Bundesregierung. Entsprechend allgemeiner Praxis werden andere Ressorts nicht unmittelbar in die Formulierung ressortspezifischer Konzepte eingebunden. Das BMEL und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung arbeiten aber eng und vertrauensvoll zusammen, nicht nur die beiden Bundesminister Christian Schmidt und Dr. Gerd Müller, sondern auch die Mitarbeiter beider Häuser. Deshalb ist das BMZ über die Aktivitäten des BMEL in Entwicklungsländern selbstverständlich informiert.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kekeritz.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann könnte man sagen: Es ist ja alles in Ordnung. Aber so ganz scheint mir das doch nicht zu sein. Ist Ihnen einmal aufgefallen, dass die Konzepte des Entwicklungsministeriums den Konzepten des Landwirtschaftsministeriums diametral entgegengesetzt sind? Es werden ganz andere Schwerpunkte gesetzt, die sich gegenseitig ausschließen. Das BMZ versucht, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, und das Landwirtschaftsministerium fördert die Großagrarindustrie und setzt auf den Export von Lebensmitteln. Der Export aber reduziert das Angebot an Waren und Lebensmitteln im Inland. Das ist eben der große Widerspruch. Wie erklären Sie mir das?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege, Sie haben die Antwort schon selbst mit Ihrer Frage gegeben. Es gibt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen; das ist richtig. Das Landwirtschaftsministerium versteht sich selbst als Ministerium, das eben auch wirtschaftliche Aspekte mit betrachtet. Wir versuchen in der Zusammenarbeit mit einigen Ländern, unter anderem mit Ländern in Afrika, die wirtschaftlichen Aspekte der Landwirtschaft zu entwickeln, übrigens selbstverständlich immer in enger Zusammenarbeit mit den Gastländern.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kekeritz.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe nicht die Antwort gegeben, sondern ich habe Ihnen gesagt, dass das sich widersprechende Konzepte sind. Das muss man mir erklären: Wie kann das Landwirtschaftsministerium sagen: „Wir versuchen, möglichst viel zu exportieren“, während dort die Lebensmittel fehlen? Das ist der Widerspruch. Außerdem halte ich es für sehr fraglich, dass das Landwirtschaftsministerium großagrarindustrielle Verhältnisse in Entwicklungsländern fördern muss. Mit welcher Legitimation nehmen Sie deutsche Steuergelder, um zum Beispiel die deutsche Agrarindustrie dabei zu fördern, dass sie Maschinen, Saatgut und Düngemittel in Entwicklungsländer exportiert?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege Kekeritz, ich will noch einmal konkretisieren: Die Zusammenarbeit mit der sambischen Regierung betrifft ein Projekt, das mit der Demonstration und Versuchen nachhaltiger Anbauverfahren, der Fortbildung landwirtschaftlicher Fachkräfte und der Erprobung standortangepasster Produktionsverfahren zu tun hat. Das alles findet auf Flächen von staatlichen sambischen Partnerbetrieben statt, die auch die Räumlichkeiten für Schulungen zur Verfügung stellen. Es sind also tatsächlich unterschiedliche Schwerpunktsetzungen von BMZ und BMEL. Die Ministerien stimmen sich aber ab, um gegenüber dem Gastland ein stimmiges Konzept darlegen zu können. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass sich eine selbsttragende Wirtschaft in dem betreffenden Land entwickeln kann.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die Frage 9 des Abgeordneten Krischer wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Vizepräsident Peter Hintze Parlamentarische Staatssekretärin Rita SchwarzelührSutter bereit. Ich rufe Frage 10 des Abgeordneten Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, auf: Wie viele Bundeshaushaltsmittel will die Bundesregierung in den Jahren 2016 und 2017 für das Wohngeld in den Bundeshaushalt einstellen, und mit wie vielen Wohngeldempfängerhaushalten rechnet die Bundesregierung in diesen Jahren? Frau Staatssekretärin, bitte.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Danke, Herr Präsident. - Lieber Kollege Kühn, das Wohngeld wird zur Hälfte von Bund und Ländern gezahlt. ({0}) - Herr Kühn, ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich jetzt Ihre Frage beantworte. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Es ist mithilfe des Kollegen Grund gelungen, diese Kommunikation herzustellen.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Für den Bundesanteil sind in den Eckwerten für den Haushalt 2016 und den Finanzplan bis 2019 715 Millionen Euro für das Jahr 2016 und 665 Millionen Euro für das Jahr 2017 vorgesehen. Die Bundesregierung rechnet mit 866 000 Wohngeldempfängerhaushalten im Jahr 2016 und 811 000 Wohngeldempfängerhaushalten im Jahr 2017.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Kollege Kühn? - Bitte.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Staatssekretärin. - Ich habe lange auf die Antwort gewartet; denn diese Frage habe ich schon einmal in einer Fragestunde gestellt. Deswegen danke für die ausführliche Antwort und auch für die Zahlen. Ich wiederhole jetzt die Frage, die ich schon einmal gestellt habe: Landen wir am Ende dieser Legislaturperiode beim Wohngeld auf dem Niveau, auf dem Schwarz-Gelb schon einmal war?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Sie haben danach schon einmal in der Befragung der Bundesregierung letzten Mittwoch gefragt. Auf jeden Fall gibt es jetzt mehr Wohngeldempfänger als bisher. Rund 320 000 Personen erhalten durch die Reform erstmals oder wieder einen Wohngeldanspruch. Darunter sind 90 000 sogenannte Wechslerhaushalte, die zuvor Leistungen der Grundsicherung erhalten haben. In den Haushalten, die durch die Wohngeldreform erstmals Wohngeld beziehen können, leben 110 000 Kinder, die zukünftig einen Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen erhalten. Von der Reform profitieren insbesondere 27 000 Haushalte von Alleinerziehenden, da sie erstmals einen Wohngeldanspruch erhalten. Sie haben in Ihrer Frage letzten Mittwoch einen Zusammenhang zur Indexierung und zur Mietensteigerung hergestellt. Die Ministerin hat Ihnen dazu eine Antwort gegeben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Es gibt noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Kühn?

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe noch eine Zusatzfrage. Sie haben gesagt, dass ungefähr 50 000 Bezieherinnen und Bezieher von Wohngeld bis 2017 wieder aus dem Wohngeldbezug herausfallen werden. Können Sie mir die Größenordnung der Kosten sagen, die dann auf die Kommunen zukommen werden? Denn diese Personen werden natürlich zu einem Großteil KdU-Gelder erhalten.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Das kann ich Ihnen aus dem Stegreif jetzt so nicht sagen. Man kann auch nicht prophezeien, wie das tatsächlich sein wird. Unter anderem hängt das auch davon ab, wie sich Arbeitsmarkt und Wohnungsmarkt entwickeln werden. Ich habe Ihnen aber gerade solide gerechnete Zahlen vorgestellt. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Es gibt eine weitere Frage, diesmal der Kollegin Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter, können Sie uns vielleicht noch einmal kurz darlegen, was Sie veranlasst hat, den Heizkostenzuschuss im Rahmen der Wohngeldnovelle nicht wieder einzuführen? Denn es ist klar, dass die steigenden Energiekosten ziemlich viele betreffen. Es gab auch Ankündigungen dazu, das zu machen. Es ist allerdings im Rahmen der Novelle nicht mehr vorgesehen. Was hat Sie dazu veranlasst?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Wir haben stattdessen die Berechnung an der Bruttowarmmiete orientiert, sodass der Effekt ungefähr der gleiche ist. Sie haben die Diskussion mitverfolgt. Für die Wohngeldempfänger ist das eine Verbesserung, weil wir uns an der Bruttowarmmiete orientieren und die Erhöhung des Wohngeldes entsprechend erfolgt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Dann kommen wir zur Frage 11 ebenfalls des Abgeordneten Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen: Welche Städte und Gemeinden werden durch die Neuberechnung der Mietstufen herabgestuft? Frau Staatssekretärin.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Bei der Regierungsbefragung am 18. März 2015 wurde Frau Bundesministerin Dr. Hendricks unter anderem nach den Gemeinden gefragt, bei denen die neue Mietenstufe gegenüber der aktuellen Mietenstufe herabgestuft werden soll. Dabei nannte Frau Bundesministerin Dr. Hendricks versehentlich eine einstellige Anzahl der Gemeinden. Dieses Versehen bedauern wir sehr. Diese Größenordnung entspricht nämlich der Anzahl der Gemeinden, die um mehr als eine Mietenstufe herabgestuft werden. Insgesamt führt die Mietenniveauberechnung auf der Grundlage der aktuellen Wohngeldstatistik mit Stichtag 31. Dezember 2012 dazu, dass 279 Gemeinden, die 2006 und/oder 2012 mehr als 10 000 Einwohner hatten, herabgestuft werden. Wichtig ist dabei, die neuen Mietenstufen nicht isoliert zu betrachten. Die Mietenstufe bestimmt die Höhe der zuschussfähigen Miete. Die isolierten Wirkungen der Herabstufungen auf die Wohngeldhaushalte werden durch Änderungen - das ist die gleichzeitige Erhöhung der Miethöchstbeträge und der Tabellenwerte - aufgefangen, sodass alle Empfängerhaushalte von der Wohngeldreform profitieren werden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Kollege Kühn?

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erst einmal danke, dass Sie diesen Fehler korrigiert haben. Herzlichen Dank dafür! Dass man das hier im Plenum tut, dazu gehört auch etwas. - Meine Frage bezieht sich auf Ihren letzten Satz. Sie sagten, dass kein Wohngeldempfänger in Deutschland weniger Wohngeld als in der letzten Legislaturperiode bekommt, weil auch die Herabstufung in einzelnen Städten durch den Anstieg des Wohngeldes insgesamt kompensiert wird.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Das erfolgt einmal durch die Tabellenwerte und andererseits natürlich auch durch die Miethöchstbeträge. Insofern profitieren alle davon.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe dazu eine zweite Nachfrage. Sie haben - meine Kollegin Britta Haßelmann hat vorhin darauf hingewiesen - den Heizkostenzuschuss in die Stufen integriert.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Genau.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist bei der Bruttowarmmiete berücksichtigt. - Ich komme jetzt auf meine erste Frage zurück. Dabei ging es um Empfängerhaushalte und Geld. Insofern sind wir auf dem Niveau von Schwarz-Gelb, zu deren Zeit der Heizkostenzuschuss bereits abgeschafft wurde. Ich verstehe das nicht ganz; mir erschließt sich nicht, wie man dann insgesamt darauf kommt, dass nun für jeden Einzelnen mehr da ist. ({0})

Rita Schwarzelühr-Sutter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003847

Ich habe gerade noch einmal versucht, Ihnen zu erklären, dass es natürlich durch die Tabellenwerte, die Miethöchstwerte und die Orientierung an der Bruttowarmmiete einen Ausgleich gibt. Dadurch ergibt sich jetzt doch noch einmal ein deutlicher Anstieg für all die Personen, die ich genannt habe, Personen, die jetzt wieder Wohngeld bekommen oder dieses erstmals beziehen werden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Movassat werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, auf: Wie stellt das BMZ sicher, dass die Aktivitäten des BMEL keine Inkohärenzen zu seinen eigenen entwicklungspolitischen Vorhaben aufweisen, und in welcher Weise kommt das Bundeskanzleramt dabei seiner Rolle nach, die Arbeit der verschiedenen Ministerien zu koordinieren? Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Silberhorn bereit. - Herr Staatssekretär, bitte.

Thomas Silberhorn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003636

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung pflegen eine enge Zusam9128 menarbeit. Das Landwirtschaftsministerium informiert uns über seine eigenen entwicklungspolitischen Vorhaben. Wir stimmen das bei uns hausintern ab. Es gibt dabei in aller Regel keinerlei Unstimmigkeiten. Von daher ist auch eine Befassung des Bundeskanzleramtes nicht erforderlich. Wir bemühen uns im Übrigen um Kohärenz auch dort, wo wir unsere Projekte umsetzen, beispielsweise indem wir die deutschen Botschaften im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit stärken, damit wir in unseren Partnerländern kohärent auftreten. Alle Ressorts, die öffentliche Mittel der Entwicklungszusammenarbeit einsetzen, sind gehalten, sich vor Ort eng mit den Botschaften abzustimmen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn Sie es nicht angesprochen hätten, wäre ich nicht auf die Idee gekommen. Ich habe gerade Äthiopien, Malawi und Sambia besucht, und ich habe genau die Rückmeldung von den Botschaften bekommen, dass es landwirtschaftliche Projekte im sogenannten Entwicklungsbereich gibt. Meines Erachtens ist das kein Entwicklungsbereich, sondern ein Exportförderungsbereich. Aber man wusste in den Botschaften zum Teil überhaupt nicht, dass das Landwirtschaftsministerium dort solche Aktivitäten hat. So klar können die Absprachen also nicht sein, und so klar verhält es sich auch nicht mit der Einbindung der Botschaften vor Ort.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Staatssekretär.

Thomas Silberhorn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003636

Herr Kollege Kekeritz, ich kann nicht bewerten, welche Erfahrungen Sie bei einem bestimmten Besuch und bei bestimmten Gesprächen gemacht haben, bei denen ich nicht zugegen war. Wir wissen allerdings, dass die enge Abstimmung und Koordinierung eine ständige Aufgabe ist. Gerade in Äthiopien - das Land haben Sie angesprochen - praktizieren wir das, etwa in einem landwirtschaftlichen Beratungszentrum in Kulumsa. Dort geht es keineswegs um Exportförderung; es geht vielmehr darum, wie es die Kollegin Flachsbarth vorhin schon ausgeführt hat, dass wir in einem solchen Land zu einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung beitragen und dass die Wertschöpfung, die in diesem Land generiert werden kann, auch der breiten Bevölkerung zugutekommt. Gerade in Äthiopien spielt die Landwirtschaft eine zentrale Rolle, weil schätzungsweise 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung im Landwirtschaftssektor tätig sind.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Weitere Fragen gibt es nicht. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Frage 15 des Abgeordneten Andrej Hunko wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zu Frage 16 der Abgeordneten Britta Haßelmann: Auf welche Weise hat die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel von den Plänen der AVE Gesellschaft für Fernsehproduktion erfahren, einen Film über ihr Leben auf der Grundlage eines Drehbuches des Spiegel-Autors Dirk Kurbjuweit im Wahljahr 2017 in die Kinos zu bringen, und wie hat die Bundeskanzlerin auf dieses Vorhaben reagiert? Zur Beantwortung steht der Staatsminister Dr. Helge Braun bereit. - Herr Staatsminister, bitte.

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Vielen Dank. - Frau Kollegin, Die Bundeskanzlerin hat von dem geplanten Film aus Medienberichten vom 17. und 18. März 2015 erfahren, und sie hat diese zur Kenntnis genommen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie dazu eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? Bitte schön.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Vielen Dank auch Ihnen, Herr Braun. Meine Nachfrage ist: Haben Sie innerhalb des Bundeskanzleramtes diskutiert, welche Abgrenzungsschwierigkeiten es bei dieser Filmplanung bezüglich der Frage einer indirekten Wahlkampfhilfe für die Bundeskanzlerin gibt, wenn der Film gerade im Wahljahr fertig werden soll? Haben Sie eine solche Problematik schon einmal erörtert, oder finden Sie es einfach nur toll, dass es diesen Film geben soll, und freuen sich alle gemeinsam darüber?

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Eine solche positive Bewertung, wie Sie sie unterstellen, hat es nicht gegeben, sondern ich stelle fest, dass wir nicht beabsichtigen, als Bundesregierung dieses Filmprojekt in irgendeiner Weise organisatorisch oder inhaltlich zu unterstützen. ({0}) - Auch nicht durch die Hauptdarstellerin.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Kollege Kühn, Sie haben sich zurückhaltend, aber sichtbar zu einer Zusatzfrage gemeldet.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident, dass Sie noch eine Zusatzfrage zulassen. - Ich habe ebenfalls eine Nachfrage zu dem Film über die Kanzlerin. Es ist sehr heikel, wenn Christian Kühn ({0}) ein solcher Film im Wahljahr 2017 herauskommt. Es wäre ein Skandal, einen solchen Film, der in einem Wahljahr erscheinen und in dem es auch um Spitzenkandidaten gehen soll, mit öffentlichen Geldern zu fördern. Wie gedenkt die Bundesregierung dafür zu sorgen, dass es dafür keine öffentlichen Gelder der Filmförderung gibt?

Not found (Gast)

Soweit es im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung liegt - das habe ich ja schon gesagt -: Wir beabsichtigen nicht, diesen Film zu unterstützen. Das gilt sowohl in materieller als auch in finanzieller Hinsicht.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries bereit. Die Frage 17 der Abgeordneten Bärbel Höhn, die Frage 18 des Abgeordneten Oliver Krischer und die Frage 19 der Abgeordneten Sevim Dağdelen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl auf: Welchen Standpunkt hat Deutschland in der Ratsarbeitsgruppe für Atomfragen am 11. März 2015 beim ersten Tagesordnungspunkt „Energy Union Package - Nuclear Aspects Presentation by the Comission“ gegenüber der Europäischen Kommission und den anderen Mitgliedstaaten vertreten, und wie hat sie sich konkret zu den einzelnen Stellungnahmen von Großbritannien zu TOP 1 verhalten ({0})? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat sich in der von Ihnen genannten Sitzung der Ratsarbeitsgruppe für Atomfragen nicht inhaltlich geäußert. Insofern kann ich Ihnen dazu keine weitere Auskunft geben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Wie man vernimmt, haben sich relativ viele Staaten dort geäußert: Großbritannien, Frankreich und die meisten osteuropäischen Staaten haben sich sehr positiv zum Ausbau der Atomkraft - wie es dort immer heißt: der Kernenergie - geäußert. Österreich dagegen hat sich so eingelassen, dass man die Energieunion nicht nutzen sollte, um die Kernenergie zu fördern. Mich verwundert, dass sich Deutschland als Ausstiegsland gar nicht geäußert hat. Würden Sie mir dafür eine Begründung geben?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Es handelte sich um ein ressortabgestimmtes Vorgehen. Bundesminister Gabriel hatte zuvor, am 5. März, die Gelegenheit genutzt, sich deutlich dagegen auszusprechen, dass die Kernenergie finanziell gefördert wird. Diesbezüglich gab es eine klare Stellungnahme von ihm. Deswegen waren entsprechende Äußerungen in der Ratsarbeitsgruppe nicht mehr nötig. Das politische Statement Deutschlands war bereits abgegeben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kotting-Uhl?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nicht wirklich, vielleicht eine abschließende Bemerkung. - Mir erschließt sich nicht, warum man sich auf der Sitzung der Ratsarbeitsgruppe - dort geht es schließlich darum, dass man sich berät - nicht mehr geäußert hat, weil man zuvor Stellung genommen hat. Vermutlich können Sie mir daraufhin nur das wiederholen, was Sie schon gesagt haben.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Manchmal ist es sinnvoll, wenn nicht jeder immer wieder dasselbe erzählt. Die Position Deutschlands war klar. Wenn 28 Staaten beraten und jeder immer dasselbe erzählt, dann ist das - das kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen - auch nicht gerade immer zweckentsprechend.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Dazu gibt es Wortmeldungen von Frau Kollegin Haßelmann und vom Kollegen Kekeritz. - Frau Kollegin Haßelmann, bitte.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Zypries, hat in diesem Kontext und in den Beratungen eigentlich die Beihilfe für Hinkley Point C eine Rolle gespielt? Dazu wurde ja eine Entscheidung getroffen. Darüber haben wir im Plenum mehrfach gesprochen. Wir haben diverse Male gehört, dass die Bundesregierung noch keine abschließende Auffassung zu der Frage hat, ob wir uns der Nichtigkeitsklage gegen diese Beihilfeentscheidung, die maßgeblich Herr Oettinger forciert hat, auf europäischer Ebene anschließen. Meine Frage lautet: Haben Sie das in diesem Zusammenhang diskutiert, und hat die Bundesregierung endlich eine abschließende Auffassung? Wir müssen ja langsam mal entscheiden, ob wir uns der Nichtigkeitsklage anschließen.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Dazu kann ich Ihnen leider gar nichts sagen, Frau Abgeordnete. Die Antwort bekommen Sie schriftlich.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Nachfrage des Abgeordneten Kekeritz zum gleichen Sachverhalt hat sich offenbar erledigt. Wir kommen zur Frage 21 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen: Welche Positionen wurden in den in der Antwort der Bundesregierung auf meine mündliche Frage 22, Plenarprotokoll 18/93, Seite 8839, genannten Gesprächen der Bundesregierung mit Vertretern der Atomkraftwerke, AKW, betreibenden Energieversorgungsunternehmen, EVU, hinsichtlich des weiteren Umgangs mit deren Rückstellungen für den AKWRückbau und die Atommüllentsorgung jeweils auf beiden Seiten vertreten ({0}), und welche - insbesondere inhaltlichen - Konsequenzen wird die Bundesregierung aus dem zu diesem Thema vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bei der Kanzlei Becker, Büttner, Held und Professor Dr. Wolfgang Irrek beauftragten Gutachten ziehen ({1})? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Abgeordnete, im Plenarprotokoll vom 18. März ist bei der Beantwortung der mündlichen Frage aufgelistet worden, mit wem Gespräche stattgefunden haben. Diese Gespräche werden naturgemäß nicht schriftlich dokumentiert. Wir machen keine Aufzeichnungen über diese Art von Gesprächen, schon gar nicht systematisch. Deswegen können wir Ihnen Positionen, die im Einzelnen in diesen Gesprächen vertreten wurden, nicht nennen. Ich kann Ihnen aber gerne sagen, dass natürlich die grundsätzliche Position der Bundesregierung bekannt ist: Wir sind der Auffassung, dass die Energieversorgungsunternehmen gesetzlich zum Rückbau der Atomkraftwerke und zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle verpflichtet sind und dass aus unserer Sicht zwingend sicherzustellen ist, dass diese gesetzlichen Vorschriften auch dauerhaft eingehalten werden. Deswegen kann es bei diesen Gesprächen, die da geführt worden sind, nur um das Zumausdruckbringen dieser Position gegangen sein. Die Vertreter der Energieversorgungsunternehmen haben diese Position der Bundesregierung auch nicht infrage gestellt. Im Koalitionsvertrag ist darüber hinaus vereinbart, mit den Kernkraftwerke betreibenden Energieversorgungsunternehmen Gespräche über die Realisierung ihrer rechtlichen Verpflichtung zur Tragung der Kosten für den Rückbau der Kraftwerke und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle zu führen. Um diese Gespräche vorzubereiten, hat das Ministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das Gutachten wurde in der vergangenen Woche auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums veröffentlicht. Auf der Basis der Erkenntnisse des Gutachtens wird das Haus jetzt zur Vorbereitung weiterer Gespräche mit den Energieversorgungsunternehmen wie folgt vorgehen: Zunächst einmal gibt es eine Bewertung der Entwicklung der Kernenergierückstellungen. Dann werden wir die folgenden Aspekte prüfen: zum einen die Gewährleistung der Haftung der Energieversorgungsunternehmen auch bei möglichen gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen, zum anderen die Etablierung interner und/oder externer Fonds zur Sicherstellung der Erfüllung der Verpflichtung aus diesen Kernenergierückstellungen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Vielen Dank, Herr Präsident. - Eine Vorlage über die weiteren Prüfungsschritte, die jetzt vorgenommen werden sollen, hat der Wirtschafts- und Energieminister an die Kollegen der Koalitionsfraktionen geschickt. Ich habe dazu Nachfragen. Wer soll den Stresstest, der bewerten soll, wie werthaltig die Konzernrückstellungen für AKW-Rückbau und Atommüllentsorgung tatsächlich sind, durchführen, falls das schon feststeht, und vor allem: Bis ungefähr wann soll dieser Test abgeschlossen sein?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Das muss ich Ihnen schriftlich beantworten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie noch eine Frage?

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich habe noch eine Frage. - Vergibt das BMWi den Auftrag dafür ohne oder mit Abstimmung mit anderen Ressorts, insbesondere dem Kanzleramt und dem BMUB?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Falls ein solcher Auftrag vergeben wird - die Frage muss ich Ihnen, wie gesagt, schriftlich beantworten -, ist es sehr wahrscheinlich oder hundertprozentig sicher, dass wir das in Abstimmung mit anderen Ressorts machen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatzfrage dazu haben zunächst der Abgeordnete Kekeritz und danach der Abgeordnete Christian Kühn.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister Gabriel hat die Etablierung von internen oder externen Fonds angekündigt. Meine Frage geht in folgende Richtung: Ist da so etwas Ähnliches wie eine Bad Bank geplant? Kann diese Regierung mir sicher garantieren, dass der Steuerzahler und die Steuerzahlerin nicht in Haftung genommen werden und die EVUs nicht über den direkten oder indirekten Weg von irgendwelchen Fonds entlastet werden?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Abgeordneter, ich hatte gerade ausgeführt, dass wir aufgrund dieses Gutachtens jetzt erst überhaupt prüfen, ob es solche Fonds geben soll und, wenn ja, wie sie gegebenenfalls ausgestaltet sein könnten. Ich kann deshalb auf Ihre Frage jetzt noch keine Antwort geben. ({0}) - Das kann ich im Moment nicht.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Kollege Christian Kühn hat die letzte Frage zu diesem Komplex.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Prüfungen oder Prüfaufträge sind wir ja von dieser Bundesregierung gewohnt. NAPE zum Beispiel ist voller Prüfaufträge. Es ist aber immer wichtig, ab wann man zu politischem Handeln kommt. Das ist ja meist nach der Prüfung. Für uns wäre wirklich spannend, zu wissen, wann Sie denn die Prüfungen zu dieser Fondslösung abgeschlossen haben werden. Bis wann erwarten Sie Ergebnisse?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Das kann ich Ihnen nicht abschließend sagen. Wir werden dieses Gutachten jetzt auswerten. Wir werden das auch mit anderen Häusern diskutieren. Wie lange das genau dauert, auch mit Blick auf die kommende Osterpause, kann ich Ihnen nicht abschließend sagen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Jetzt hat sich noch Frau Haßelmann gemeldet. - Bitte.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, mich irritiert jetzt ein bisschen, dass Sie sagen, Sie könnten für die Bundesregierung noch nicht klar sagen, dass es auf jeden Fall verursachergerecht wird. Wir reden hier darüber, dass vier große Energiekonzerne Rückstellungen in Höhe von 36 Milliarden Euro gemacht haben. Wir reden gleichzeitig darüber, dass diese Rückstellungen für die Entsorgung und die einigermaßen sichere Endlagerung - wenn man davon überhaupt sprechen kann - nicht ausreichen. Jetzt versucht man, das Ganze irgendwie zu retten, indem man wenigstens diese Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt, damit das Geld unabhängig davon, was aus den Konzernen wird, gesichert wird. Eigentlich müsste doch das Verhandlungsprinzip der Bundesregierung ganz klar sein und darin bestehen, dass vonseiten der Atomkonzerne ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden und dass das Verursacherprinzip gilt; denn sonst hieße das doch, dass die großen Energiekonzerne jahrelang Riesengewinne gescheffelt haben, aber dass für die Verluste und die Endlagerung am Ende wir alle, die Bürgerinnen und Bürger, zahlen - nach dem Motto: Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert. Das kann doch nicht sein. Dazu muss es doch eine klare Haltung der Bundesregierung geben.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Abgeordnete, vielen Dank für diese Nachfrage. Das gibt mir Gelegenheit, ein offenbar bestehendes Missverständnis aufzuklären. Die Frage von Ihrem Kollegen war quasi ad ultimo, also sozusagen für immer, gestellt. „Für immer“ kann ich hier gar nichts sagen. Aber im Grundsatz ist das, was Sie sagen, natürlich völlig richtig: Es gibt Rückstellungen. Es gibt eine gesetzliche Verpflichtung der Betreiber - das habe ich eingangs auch zitiert -, dafür zu sorgen, dass die Entsorgung entsprechend funktioniert. Ob das jetzt eingestellte Geld dafür reichen wird, wissen wir nicht. Selbstverständlich besteht die Verpflichtung der Betreiber von Kernenergieanlagen auch darüber hinaus. Das ist mit den jetzt bestehenden Rückstellungen ja nicht abgegolten, so wie Sie gerade formuliert haben. ({0}) - Die Gesetzeslage ist eindeutig. Entsprechend dieser Gesetzeslage werden wir jetzt weiter prüfen, wie wir mit den Rückstellungen zu verfahren haben, was darüber hinaus noch erforderlich ist und wie es dann wird.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht Staatsminister Michael Roth bereit. Frage 22: Mit welchem Ziel sollen Gespräche mit der syrischen Führung, wie sie der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. FrankWalter Steinmeier, nun nicht mehr ausschließt ({0}), geführt werden, und gibt es konkrete Vorstellungen, in welchem Format solche Gespräche stattfinden sollen? Fragesteller ist der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. Herr Staatsminister, bitte.

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Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Herr Kollege Gehrcke, sollten Sie mit Ihrer Frage eine Neuausrichtung unserer Syrien-Politik insinuieren, muss ich Ihnen deutlich widersprechen. Das ist nicht der Fall. Unser Bundesaußenminister hat mehrfach deutlich gemacht, dass wir den furchtbaren Bürgerkrieg in Syrien militärisch nicht werden lösen können. Insofern sind umfassende politische und diplomatische Anstrengun9132 gen gefordert. Selbstverständlich spielen dabei Verhandlungen die herausragende Rolle. Es gibt bereits jetzt durch Staffan de Mistura, den Syrien-Gesandten der Vereinten Nationen, direkte politische Gespräche mit dem Assad-Regime in Damaskus. Im Übrigen hat der Gesandte auch ein eigenes Büro in Damaskus. Syrien selbst ist durch einen ständigen Vertreter bei den Vereinten Nationen in New York präsent. Um diese politischen Gespräche geht es. Auf diese politischen Gespräche, die bereits mit dem Assad-Regime geführt werden, hat der Bundesaußenminister hingewiesen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, ich habe lange darüber nachgedacht, ob mir eine Frage einfällt, mit der ich die Bundesregierung gleichzeitig loben kann. Sie ist mir eingefallen. Seien Sie doch so forsch, und nehmen Sie das Lob auch an. Die Erklärung des US-Außenministers Kerry, dass man, wenn man muss, auch mit Assad verhandeln wird, und die dementsprechende Erklärung des Bundesaußenministers unseres Landes sind, wie ich finde, ein effektiver Fortschritt. Ich habe darüber mit Vertretern des Nationalen Koordinierungsrates hier in Berlin gesprochen. Auch die sagen nicht mehr: Erst muss Assad weg, und dann wird verhandelt. - Kann ich unterstellen, dass auf dieser Linie auch die Bundesregierung für Verhandlungen mit dem Assad-Regime eintritt?

Not found (Gast)

Diese Frage verwundert mich jetzt ein wenig, lieber Herr Kollege Gehrcke; denn die Haltung der Bundesregierung ist nicht neu. Bereits im Genfer Kommuniqué vom Juni 2012 sind politische Verhandlungen selbstverständlich auch mit dem Assad-Regime vorgesehen. Anders kann ich mir solche politischen Gespräche auch nicht vorstellen. Die zentrale Rolle dabei nehmen die Vereinten Nationen und insbesondere der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Syrien, Staffan de Mistura, wahr.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich streite mit Ihnen nicht um das Erstgeburtsrecht. Wir haben hier immer vorgeschlagen, dass verhandelt wird, dass Assad - ob er in Person oder seine Vertreter -, die Golfstaaten, Ägypten, selbstverständlich die USA, Russland und andere mit an den Tisch müssen, und das alles unter dem Dach der Vereinten Nationen. Es gibt mindestens 200 000 Tote in Syrien, es gibt Millionen von Flüchtlingen. Diese Situation ist nur über Verhandlungen lösbar. Der Vorschlag von de Mistura, jetzt lokale Waffenstillstände durchzusetzen, ist ein wichtiger Schritt; das unterscheidet ihn etwas von seinem Vorgänger. Kann man es so formulieren: „Die Bundesregierung wird ihre Kraft dafür einsetzen, dass Genf 3 stattfinden und auf dieser Grundlage verhandelt wird“?

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Herr Präsident! Lieber Kollege Gehrcke, wir unterstützen uneingeschränkt die Implementierung des Genfer Kommuniqués. Wir unterstützen nach Kräften die Vereinten Nationen und den Sonderbeauftragten. Wir sind in einer Reihe von Gesprächen involviert. Wir wünschen uns nichts sehnlicher, als dass dieser furchtbare Bürgerkrieg des Diktators gegen sein eigenes Volk beendet wird, dass hoffentlich irgendwann einmal Millionen von Flüchtlingen wieder in ihre Heimat zurückkehren können und das Morden endlich ein Ende hat.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zu diesem Gesamtkomplex gehört auch die Frage 23 des Kollegen Gehrcke: Beabsichtigt die Bundesregierung, die diplomatischen Beziehungen zur Syrischen Arabischen Republik wieder zu normalisieren? Herr Staatsminister, bitte.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Gehrcke, diese Frage kann ich ganz kurz beantworten: Nein, für eine diplomatische Aufwertung des Assad-Regimes sieht die Bundesregierung derzeit keinerlei Veranlassung. Ich füge hinzu: Syrien ist in Berlin durch eine Botschaft vertreten, die von einer Geschäftsträgerin geleitet wird. Diese Botschaft nimmt in erster Linie konsularische Angelegenheiten wahr. Die deutsche Botschaft in Damaskus ist seit 2012 geschlossen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Kollege?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Eine kurze Replik, damit meine Kollegin noch fragen kann, Herr Präsident: Das ist ein typisch falsches Verhalten. Sie sollten alle Kanäle nutzen, die sich ergeben, um Gespräche zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien zu führen. - Das können wir so stehen lassen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das war auch keine richtige Zusatzfrage. Alle, die gelauscht haben, werden das bestätigen können. Schönen Dank, Herr Staatsminister Roth. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder bereit. Die Frage 24 der Abgeordneten Sevim Dağdelen wird schriftlich beantwortet. Vizepräsident Peter Hintze Wir kommen zur Frage 25 der Abgeordneten Martina Renner: Wie viele Quellenmeldungen des VM 2100/„Hagel“ des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz aus welchen Jahren liegen im Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, vor? Herr Staatssekretär, bitte.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Frau Abgeordnete, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden 69 Deckblattmeldungen - so der technische Ausdruck für Quellenmeldungen - aus den Jahren 1997 bis 2001 identifiziert, in denen als Ursprung der ehemalige VM 2100 der Thüringer Landesbehörde für Verfassungsschutz genannt wurde. Die Zusammenstellung der Deckblattmeldungen wurde anlässlich eines entsprechenden Amtshilfeersuchens des Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages zu „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ vom Oktober 2013 vorgenommen. Nach Vorgaben der Thüringer Landesbehörde für Verfassungsschutz zum Auftrag des V-Mannes und zur Dauer seiner Tätigkeit wurden dabei diejenigen Aktenbestände im Bundesamt für Verfassungsschutz durchsucht, die thematisch und zeitlich unmittelbar einschlägig waren. Die Akten zum Thüringer Heimatschutz und zu Blood & Honour gehörten dazu. Weitere nicht unmittelbar einschlägige Akten waren nicht Gegenstand der Suche. Ich kann vor diesem Hintergrund nicht ausschließen, dass im einschlägigen Gesamtaktenbestand des Bundesamtes für Verfassungsschutz noch weitere einzelne Deckblattmeldungen des ehemaligen VM 2100 vorhanden sind. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Frau Kollegin?

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, meine Fragen würde ich gerne nach Beantwortung der nächsten Frage gemeinsam stellen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

In Ordnung. Sie können Ihre Zusatzfragen danach zusammen stellen. Ich rufe damit die Frage 26 der Abgeordneten Martina Renner auf: Wie viele der im BfV vorliegenden Quellenmeldungen des VM 2100/„Hagel“ des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz wurden jeweils dem 2. Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages zum Nationalsozialistischen Untergrund und dem Oberlandesgericht München im Verfahren gegen Beate Zschäpe vorgelegt? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat keine der genannten Deckblattmeldungen an das Oberlandesgericht München übermittelt. Auch hat es keine Zusammenstellung sämtlicher Deckblattmeldungen des VM 2100 für den 2. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages sowie für den Thüringer Untersuchungsausschuss gegeben. Mindestens eine Deckblattmeldung des VM 2100 war Teil der dem Untersuchungsausschuss vorgelegten Akten zum Thüringer Heimatschutz. Ob weitere Deckblattmeldungen übermittelt wurden, war in der Kürze der für die Beantwortung einer mündlichen Frage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ihre Zusatzfragen, Frau Renner.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, ich habe vier Zusatzfragen: Erstens. Warum wurde dem OLG München keine Übersendung der Akten zugesagt, obwohl die in Rede stehende Person, Marcel Degner, Zeuge vor dem OLG München ist, eine erste Aussage getätigt hat und diese Deckblattmeldungen für das Münchener Gericht natürlich beweiserheblich sind? Zweitens. Warum wurden diese Unterlagen dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages in der letzten Legislatur nicht zur Verfügung gestellt vor dem Hintergrund, dass es sich bei dieser Quelle um einen Funktionär von Blood & Honour mit einem Kennverhältnis zu den beiden Haupttätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt handelt und es durch die gemeinsamen Veranstaltungen in Thüringen und darüber hinaus - Konzerte, gemeinsame Fahrten zu Demonstrationen, aber auch gemeinsam begangene Straftaten - in Rede steht, dass die Quelle zu dem, wie man es nennt, Kerntrio des NSU durchaus Auskunft gegeben hat? Drittens. Warum wurden dem Thüringer Untersuchungsausschuss auf einen entsprechenden Beweisantrag die Akten des V-Mannes 2100 nicht zur Verfügung gestellt?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Zunächst einmal bleibt offen, inwieweit das OLG München nach der Zeugenaussage jetzt noch weitere Beweisbeschlüsse fasst; davon ist aber auszugehen. In diesem Fall werden sämtliche Akten, die unter den Beweisbeschluss fallen, selbstverständlich geliefert. ({0}) Aber bisher gibt es solche Beweisbeschlüsse eben nicht. Daran ist das Bundesamt für Verfassungsschutz nun einmal gebunden. Das Gleiche gilt für den Ermittlungsbeauftragten des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages. Dieser hat sich den Themenbereich Blood & Honour ge9134 nau angeguckt und dann auch Einzelstücke angefordert. In dem Zusammenhang waren aber keine Deckblattmeldungen vorhanden, obwohl er sich den Bestand genau angeschaut hat. Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat themenbezogen den Komplex „Thüringer Heimatschutz“ abgefragt. Dazu ist auch entsprechend geliefert worden. Zu Ihrer Anfrage zu dem anderen V-Mann: Da fehlen mir die Kenntnisse. Das würde ich nachliefern.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Frage haben Sie noch.

Martina Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004385, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es war kein anderer V-Mann. Wir reden die ganze Zeit über Marcel Degner, V-Mann „Hagel“, Deckname 2100. Die Frage, warum der Thüringer Untersuchungsausschuss die Akten nicht bekommen hat, würde ich gerne noch beantwortet bekommen. Vor dem Hintergrund, dass die Treffberichte dieses V-Mannes im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz aus bisher unersichtlichen Gründen vernichtet wurden, habe ich noch eine vierte Frage: Inwieweit sehen Sie das Aufklärungsversprechen der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem NSU gewährleistet, wenn wir jetzt hören, dass die Unterlagen zu einer zentralen Quelle in den entsprechenden Strukturen, in denen das Kerntrio entstanden ist, weder dem PUA des Deutschen Bundestages noch dem PUA in Thüringen noch dem OLG zur Verfügung gestellt wurden?

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Ich kann Ihre Nachfrage nicht nachvollziehen. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie noch einen anderen V-Mann nennen; denn dem Thüringer Untersuchungsausschuss sind 69 Deckblattmeldungen übermittelt worden. Alles das, was im Bestand gesichtet werden konnte, ist übermittelt worden. Insofern kann ich nicht nachvollziehen, dass wir irgendetwas nicht übermittelt hätten. Es ist so, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz aufgrund der Zentralstellenfunktion die Sachakten vorliegen, aber nicht die Personenakten. Deshalb ist es erforderlich, sämtliche Sachakten durchzusehen, wenn Sie die Akten einer bestimmten V-Person bekommen möchten. Das ist natürlich ein erheblicher Aufwand; man muss überlegen, dass 1 000 Aktenbände zu durchsuchen sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz tut selbstverständlich alles, um den Beweisanträgen Rechnung zu tragen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Frage 27 des Abgeordneten Andrej Hunko, Frage 28 des Abgeordneten Volker Beck sowie die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten Dr. André Hahn werden schriftlich beantwortet. Wir sind damit am Ende unserer Fragestunde. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG durch Ausgliederung Erste Rednerin in der Aktuellen Stunde ist die Abgeordnete Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Leistung muss sich wieder lohnen“, ein netter Slogan. Aber wenn ich auf die Deutsche Post AG schaue, frage ich mich: Für wen muss sich Leistung wieder lohnen? Für diejenigen, die mit ihrer Hände harter Arbeit den Erfolg erwirtschaften? Sicher nicht; denn 26 000 Euro verdienen Postzustellerinnen und Postzusteller im Schnitt im Jahr. Für das Management, für Anteilseigner und Aktionäre? Sicher ja; denn 3,5 Millionen Euro verdient zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende der Post AG. Aber wieso eigentlich? Was haben die konkret geleistet? ({0}) Steuert das Management der Post AG die Lkw? Liefern die Anteilseigner die Pakete aus? Oder sind es die Aktionäre, die die Briefe von Haustür zu Haustür tragen? Diejenigen, die mit ihrem Einsatz und ihrer Arbeit den Erfolg der Post AG im letzten Jahr erst möglich gemacht haben, können nicht sagen, dass sich ihre Leistung lohnt, ganz im Gegenteil. Fast 3 Milliarden Euro Gewinn hat die Post 2014 erwirtschaftet. Damit liegt sie in der Spitzengruppe der DAX-Unternehmen. Finanzielle Not ist es also nicht, die die Post zu Restrukturierungsmaßnahmen zwingt. Bis 2020 will die Post den Gewinn auf 5 Milliarden Euro steigern. Das würde wiederum bedeuten, dass in jedem der kommenden Jahre der Gewinn um 8 Prozent steigen müsste. Ich wiederhole: um 8 Prozent. Das wird sie sicher nicht mit einer Portoerhöhung von 2 Cent hinbekommen. Das kann und wird nur funktionieren, wenn die Post ihre Personalkosten senkt. Aus Sicht des Konzerns steht der gültige Tarifvertrag dabei natürlich im Wege. In der Vergangenheit hat sich der Konzern einer besonders üblen Form des Einsatzes von befristeten Arbeitsverträgen bedient. Sie erinnern sich vielleicht an die Postzustellerin, die über 17 Jahre hinweg auf Grundlage von 88 Zeitverträgen bei der Post angestellt war. ({1}) - Das war ein Skandal, ganz genau. ({2}) Und das ist kein Einzelfall, wie mir die Kolleginnen und Kollegen vom Betriebsrat bestätigten. Den 26 000 befristet Beschäftigten, die Ende 2014 im Zustelldienst waren, setzt man nun die Pistole auf die Sabine Zimmermann ({3}) Brust. Neue entfristete Verträge gibt es nur noch in den 49 neu gegründeten Tochterfirmen. Nicht ganz überraschend werden die Beschäftigten dort nicht mehr nach dem bei der Post üblichen Tarifvertrag bezahlt, sondern nach dem der Speditions- und Logistikbranche. Natürlich sieht dieser deutlich schlechtere Bedingungen vor. Nach Berechnungen der Gewerkschaft Verdi können die Beschäftigten bis zu 3 500 Euro weniger in ihrem Geldbeutel haben. Das meine Damen und Herren, ist wirklich ein Skandal. ({4}) „Leistung muss sich wieder lohnen“? Für Postbedienstete wohl eher nicht. Das, meine Damen und Herren der CDU/CSU, ist Ihr sogenanntes Jobwunder. Dabei wurden die Arbeitsbedingungen der Zustellerinnen und Zusteller in den letzten Jahren immer härter: Immer längere Zustellrunden bei gleicher Arbeitszeit wurden den Postzustellerinnen und -zustellern aufgebrummt. Noch mehr lassen sie sich einfach nicht auspressen, und zur Steigerung der Gewinne ist da natürlich nichts mehr zu holen. Darum folgen jetzt Tarifflucht und Lohndrückerei. Solche perfiden Praktiken, meine Damen und Herren, sind unerträglich. ({5}) Es ist auch zynisch, wenn der Personalvorstand behauptet, die Beschäftigten hätten ja die freie Wahl, diese Verträge anzunehmen, wenn als Alternative nach dem Auslaufen der alten Verträge Hartz IV droht. Mit befristeter Beschäftigung und Hartz IV werden die Beschäftigten diszipliniert und das Lohnniveau nach unten gezogen. So funktioniert die Agenda 2010. Was das mit dem Bund zu tun hat, werden Sie vielleicht fragen. Mit 21 Prozent ist der Bund immer noch größter Einzelaktionär und damit voll in der Verantwortung. In den vergangenen zehn Jahren wurden insgesamt mehr als 8 Milliarden Euro als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet. Damit hat der Bund 1,7 Milliarden Euro bekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, will sich die Sozialdemokratie jetzt auch noch Profitmaximierung auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf die Fahnen schreiben? Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, ist es das, was Sie unter sozialer Marktwirtschaft verstehen: die Aktienkurse steigen und die Löhne fallen? Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Das Grundgesetz gilt auch für den Anteilseigner Bund. Machen Sie endlich Ihren Einfluss bei der Deutschen Post AG geltend! Danke schön. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Tobias Zech, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Tobias Zech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004450, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte bei diesem sehr wichtigen Thema mit ein paar Fakten beginnen. Erstens. Die Deutsche Post beschäftigt im Briefbereich 100 000 Arbeitnehmer in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen. Zusätzlich werden jedes Jahr durchschnittlich 12 000 bis 15 000 Arbeitnehmer befristet beschäftigt; davon werden jährlich 2 000 bis 3 000 übernommen. Zweitens. Nun wird die DHL Delivery GmbH gegründet. ({0}) - Sie ist schon gegründet. Da haben Sie recht, Frau Kollegin. - Bis 2020 werden 10 000 unbefristete Stellen geschaffen, ({1}) bis 2025 wohl 20 000. Ein Großteil der Beschäftigten wird aus den jetzt befristeten Arbeitsverhältnissen übernommen; aber ein Teil, circa ein Drittel, soll über den freien Arbeitsmarkt eingestellt werden. ({2}) Deshalb muss man, um bei der Wahrheit zu bleiben, erst einmal feststellen: Es wird Beschäftigung aufgebaut, und zwar tarifgebundene Beschäftigung. ({3}) Drittens. Die neuen 20 000 Beschäftigten erhalten Tarife nach den von Verdi ausgehandelten und unterschriebenen regionalen Speditions- und Logistiktarifverträgen. Bisherige befristete Arbeitnehmer erhalten darüber hinaus eine Zulage, die ihnen das bisherige Grundeinkommen sichert. Viertens. Die Arbeitsplätze sind deutschlandweit die bestbezahlten Arbeitsplätze im Brief- und Paketmarkt. Während andere mit dem Mindestlohn kämpfen, zahlt die Delivery GmbH im Schnitt immer noch über 12 Euro pro Stunde. Die bisher befristet beschäftigten Arbeitnehmer fallen eben nicht in ein Loch, sondern in unbefristete Arbeitsverhältnisse. ({4}) Fünftens. Laut Stiftung Warentest ist die DHL Group das Unternehmen mit den besten Arbeitsbedingungen in der Zustellbranche, am deutschen Paketmarkt. Das waren jetzt die fünf Wahrheiten, die unwidersprochen sind - ob es Ihnen passt oder nicht. ({5}) Medial wird das Thema jedoch nur von einer Seite beleuchtet. Es wird gesagt, dass den Mitarbeitern der Deutschen Post nur eine Wahl bleibt - wir haben es von der Vorrednerin gehört -: Entweder sie bleiben in befristeten Beschäftigungsverhältnissen, oder sie wechseln. Damit kommt etwas zu kurz, worum es hier geht: Die Konkurrenz ist auf diesem Gebiet relativ groß, vor allem im Bereich der Paketzustellung. Die DHL muss sich dem stellen. Insoweit handelt es sich um eine alltägliche wirtschaftliche Umstrukturierung; unternehmerisches Denken und Handeln liegen dem zugrunde. ({6}) Das ist auch notwendig, um im Wettbewerb bestehen zu können. Denn nicht nur für DHL, sondern auch für die Mitarbeiter ist unternehmerischer Erfolg im Hinblick auf nachhaltige Beschäftigung notwendig. Die Frage, die Sie aufgeworfen haben, bleibt daher, inwiefern wir als Gesetzgeber gefragt sind. Wir können Rahmenbedingungen für ein faires Arbeitsverhältnis und insbesondere einen Ausgleich zwischen unternehmerischer Flexibilität und sicheren Arbeitsplätzen schaffen. Das haben wir aber schon getan; denn wir haben die Richtlinie von 1999 über befristete Arbeitsverträge über das Ziel hinaus umgesetzt. Gefordert waren drei Alternativen: die Festlegung von Sachgründen, die eine Verlängerung von Befristungen rechtfertigen, die Festlegung zeitlicher Höchstgrenzen für die zulässige Gesamtdauer von Befristungen oder die Festlegung der zulässigen Anzahl von Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge. Der Gesetzgeber hat dies in § 14 des Teilzeitbefristungsgesetzes nicht nur umgesetzt, sondern auch ausreichend Regelungen geschaffen, um Arbeitnehmer zu schützen. Dabei hat sich Deutschland - übrigens unter einer rotgrünen Bundesregierung - für die befristete sachgrundlose Beschäftigung und die mehrfache Befristung mit Sachgrund entschieden, und das aus gutem Grund; ({7}) denn die Flexibilität war ein Grund dafür, dass wir in den letzten Jahren während der europäischen Rezession sehr gut überlebt haben. ({8}) Nicht zuletzt hat auch die Rechtsprechung diesen richtigen und funktionierenden Weg immer wieder bestätigt. Dabei dürfen wir aber eines nicht vergessen: Neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen wir den Unternehmen auch ein Mindestmaß an Flexibilität und unternehmerischer Freiheit lassen. Kommt es hier zu Missbrauch - dies hat das BAG immer wieder unter Beweis gestellt -, gibt es ausreichend Möglichkeiten, den Rechtsweg zu beschreiten. Ich warne hier also eindringlich davor, diese Thematik abstrahiert von den Umständen am Markt zu betrachten. Ein Schnellschuss kann ungewollt Gegenteiliges bewirken, insbesondere wenn es darum geht, befristet beschäftigten Mitarbeitern einen unbefristeten Arbeitsvertrag anbieten zu können. Diesen Schritt sollten wir daher - natürlich mit einem kritischen Blick - weiter verfolgen. Für das Buhei, das heute um diese Entscheidung der Post gemacht wird, habe ich allerdings kein Verständnis. Aus meiner Sicht bleiben die Mitarbeiter in tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen; das ist eine gute Nachricht. Herzlichen Dank. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Post steht gut da, sie macht satte Gewinne. Von einer Krise und von Existenznöten kann also keine Rede sein. Und doch wird jetzt umstrukturiert, von langer Hand geplant und mithilfe von externen Beratern. Ein gesundes Unternehmen wird zerlegt, und zwar zulasten der Beschäftigten. Die Aktionäre aber bekommen mehr Geld. Was da gerade bei der Post passiert, ist unanständig; anders kann ich das nicht bezeichnen. ({0}) Seit Jahren machen die Gewerkschaften Zugeständnisse. Bereits 2001 gab es ein neues Entgeltsystem; das war eine Zäsur. Danach wurde sogar eine zusätzliche Gruppe 0 eingeführt; das Eingangsgehalt wurde also noch einmal abgesenkt. Der alte Posttarifvertrag ist schon lange Vergangenheit, und doch gründet die Post jetzt diese 49 Regionalgesellschaften. Die Paketzustellung mit 14 000 Stellen wird ausgelagert. Dort gilt jetzt nicht mehr der Posttarifvertrag. Dies gehört jetzt zur Logistikbranche. ({1}) In manchen Fällen bedeutet dies bis zu 30 Prozent weniger Lohn. ({2}) Das ist ein klarer Fall von Tarifflucht, Herr Kollege, und zwar von einem guten in einen schlechteren Tarifvertrag. Das ist nicht akzeptabel. Wertschätzung von Beschäftigten sieht anders aus. ({3}) Die Post senkt aber nicht nur die Löhne; es gibt auch die Flucht aus der Mitbestimmung. In allen 49 Regionalgesellschaften müssen jetzt neue Betriebsräte aufgebaut werden. Neue Beschäftigte ohne jegliche Erfahrungen müssen an diese wichtige Aufgabe herangeführt werden. Ohne Freistellung müssen sie geschult werden. Sie müssen sich einarbeiten, und das kostet viel Engagement, Kraft und Zeit. Auch mit Blick auf die Mitbestimmung ist das Verhalten der Post nicht akzeptabel. ({4}) Der Skandal geht noch weiter. Die Post hat mittlerweile Tausende von Beschäftigten nur noch befristet angestellt. Wenn ihr Arbeitsvertrag ausläuft, haben sie jetzt die Wahl: Sie können, so die Unternehmensleitung, freiwillig in die neuen Regionalgesellschaften wechseln. Im Klartext heißt das: entweder einen Job für weniger Geld annehmen oder arbeitslos sein. Diese Menschen haben keine echte Wahl. Das kann ich nur als zynisch bezeichnen. ({5}) Das Vorgehen der Post ist ein Beispiel dafür, dass Anstand verloren geht, und auch dafür, dass die Tariflandschaft zunehmend zerfällt. Aber die Post ist natürlich kein Einzelfall. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung, die letzte Woche veröffentlicht wurde, hat deutlich gezeigt, dass die Lohnungleichheit in Deutschland immer weiter zunimmt. Laut Bertelsmann Stiftung ist der Grund dafür, dass sich immer mehr Arbeitgeber aus der Tarifbindung verabschieden und so den Konsens der Sozialpartnerschaft aufkündigen. ({6}) Das drückt insbesondere die niedrigen Löhne, wie das Beispiel Post gerade eindrücklich zeigt. Das spaltet die Gesellschaft. Wenn viele immer weniger Geld bekommen und die Menschen mit hohen Einkommen immer mehr bekommen, dann ist das nicht gerecht. ({7}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, ich hoffe, dass Sie aus den Vorgängen bei der Post Konsequenzen ziehen. Lassen Sie mich ein paar Punkte ansprechen. Erstens. Ich komme nicht darum herum, das Thema „gesetzliche Tarifeinheit“ anzusprechen. Die Ministerin behauptet ja, die Spartengewerkschaften legten die Axt an die Wurzeln der Tarifautonomie; die Arbeitgeber sagen das Gleiche. Nein, nicht die Tarifpluralität - die Post hat ja zwei Gewerkschaften -, sondern Arbeitgeber wie die Post zersplittern die Tariflandschaft. ({8}) Lassen Sie das also mit der verfassungswidrigen gesetzlichen Tarifeinheit, und überlegen Sie sich lieber echte Maßnahmen gegen Tarifflucht zum Schutz der Beschäftigten. ({9}) Zweitens. Tun Sie endlich etwas gegen die unsäglichen jahrelangen Kettenverträge, und schaffen Sie endlich die sachgrundlose Befristung ab! Drittens. Die Bundesregierung muss bei der Post schon gewaltig auf den Tisch hauen. Immerhin ist der Bund mit knapp 25 Prozent an der Post beteiligt. Sie muss diese unanständige Geschäftspolitik stoppen, sonst wird die Post von dieser Unternehmensleitung noch ganz zerschlagen. Hier geht es um Solidarität und gesellschaftliche Verantwortung. ({10}) Wenn die Bundesregierung hier tatenlos bleibt, dann verliert Politik an Glaubwürdigkeit. Zum Schluss: Jetzt gibt es bei der Post garantiert einen heftigen Streik, und zwar zu Recht. Ich wünsche den Streikenden und den Gewerkschaften schon heute viel Kraft und einen langen Atem. Vielen Dank. ({11})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Bernd Rützel, SPD-Fraktion. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte das heutige Thema von drei Seiten betrachten. Zum einen ist da der Mensch, der im Internet Produkte bestellt. Rücksendungen kosten nichts, und so wird ein Paar Schuhe gleich in zwei, drei Größen bestellt. Dann aber wundert man sich, dass doch jemand die Zeche bezahlen muss. Ich will mich da nicht ausnehmen. Auch ich habe schon solche Bestellungen getätigt. Die Mehrheit macht das; so ist eben die Zeit. Aber wenn man glaubt, dass dies wirklich kostenlos ist, dann irrt man sich. Wir alle wissen um das Lohndumping im Bereich der Deutschen Post, bei Amazon und bei verschiedenen anderen Arbeitgebern. Darauf komme ich noch zu sprechen. ({0}) - Wer die Post privatisiert hat? Das ist 20 Jahre her. Ich war nicht dabei. ({1}) Zweitens möchte ich an dieser Stelle betonen, dass ich Verständnis für DHL, für die Deutsche Post habe. Der Druck ist enorm. Sie müssen sich in einem knallharten Wettbewerb durchsetzen. Sie müssen ein Geschäft machen, die Marge ist klein, und es gilt viel zu investieren; das darf man bei der Betrachtung dieses Themas nicht außen vor lassen. Es gibt hohe Anforderungen in Bezug auf Logistik und Qualität. Wir wissen, dass der Druck sehr groß ist. Man muss nur die Paketzusteller beobachten, wie sie auf der Straße von Kunde zu Kunde hetzen. Damit komme ich zum dritten Punkt meiner Rede, nämlich zur Arbeitssituation der Beschäftigten. 180 000 Beschäftigte, habe ich gelesen, hat die Post, 26 000 davon sind befristet, und zwar - das haben wir gehört - nicht nur kurz befristet, sondern schon sehr lange. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz wurde bis auf den letzten Millimeter ausgenutzt. Tobias Zech, wir wollten die sachgrundlose Befristung abschaffen. Wir wollten die Sachgründe reduzieren. ({2}) Denn wir haben gesehen, dass etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Wir konnten uns in den Koalitionsverhandlungen aber nicht darauf committen. Das gehört, glaube ich, dazu. Ich begrüße es, dass die Post jetzt erkannt hat, dass diese Befristungen ein Fehler gewesen sind, dass die Beschäftigungsverhältnisse entfristet werden sollen. Aber wer jetzt glaubt, alles sei gut, der irrt. Denn diese Entfristung kann nur in dieser neu gegründeten Delivery GmbH stattfinden, eine Post in der Post sozusagen. Dort sollen dann nicht die Posttarifverträge gelten, sondern die regionalen Tarifverträge der Speditions- und Logistikbranche. Natürlich hat Verdi diese abgeschlossen - das ist ja in Ordnung -, aber nicht für diesen Bereich. In diesem sollen sie jetzt angewendet werden. Dadurch erhalten Beschäftigte bis zu 13 000 Euro im Jahr weniger. ({3}) - Bis zu, habe ich gesagt. - Man darf das nicht jetzt sehen, sondern man muss schauen, wie sich das entwickelt und wie es in fünf und in zehn Jahren aussieht. Wenn ein Postbeschäftigter jetzt zwischen 36 000 und 43 000 Euro Jahresgehalt hat, so kommt sein Kollege, der dann auch schon lange beschäftigt ist, auf 25 000 bis 30 000 Euro im Jahr. Ich habe mich, wie viele Kolleginnen und Kollegen auch, schon vor Wochen in meinem Wahlkreis mit Gewerkschaftsvertretern getroffen. Ich habe gestern noch einmal mit der Spitze von Verdi telefoniert. Die hätten sogar Verständnis für solche Maßnahmen, wenn es der Post schlecht ginge, wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden. Aber tatsächlich ist die Dividendenausschüttung im letzten Jahr um 14 Prozent und in diesem Jahr um 6 Prozent gestiegen. In der Börsen-Zeitung habe ich letzte Woche gelesen, dass der Vorstandsvorsitzende der Post im letzten Jahr 9,6 Millionen Euro, ich sage: erhalten hat. Kollegin, Sie haben etwas von 13 Millionen Euro verdienen gesagt. ({4}) Irgendwie ist das alles exorbitant. Ich will hier nicht über die Höhe des Gehaltes diskutieren - das liegt mir fern -, aber ich frage mich schon, ob man die Löhne der Mitarbeiter als zu hoch einstuft und das Unternehmen Post sich solche GmbHs ausdenkt, um diese Löhne zu drücken. ({5}) Zum Schluss will ich sagen, dass der Bund mit 21,3 Prozent natürlich in der Verantwortung steht, aber dass es, wie die Tagesordnung auch zeigt, trotz der Bundesbeteiligung operatives Geschäft ist und sich der Bund da nicht einmischt. Dann hätte man vor 20 Jahren, Kollege, die Bahn und die Post nicht privatisieren dürfen. ({6}) Ich glaube, Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften machen einen sehr guten Job. Das sollte die Post auch die nächsten 500 Jahre weiterhin tun. Danke. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Albert Stegemann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In den vergangenen Wochen erschienen immer wieder Beiträge in den Medien, ob nun bei Stern TV oder in den Zeitungen, die von aktuellen Stellenverlagerungen bei der Post berichteten. Die Nachricht von der Schaffung der Servicegesellschaft, der DHL Delivery GmbH, löste bei so manchem Zeitgenossen reflexartige Reaktionen wie „Mehr Arbeit für weniger Geld“ aus. Passende persönliche Schicksale waren ebenfalls schnell gefunden und rundeten dieses Bild ab. In den Augen der Kritiker ist dies ein weiteres Beispiel für mangelndes Verantwortungsbewusstsein von Unternehmen in unserem Land. In diesem Zusammenhang reichen die Vorwürfe von einer Auslagerung in prekäre Beschäftigungsverhältnisse über die Schaffung einer Zweiklassenbeschäftigung bis zur Aushöhlung der Tarifverträge. Wir haben das alles schon gehört. Kurz gesagt: Bei der Post würden die gleichen Zustände wie damals bei Schlecker, der Fleischindustrie oder den Gebäudereinigern herrschen. ({0}) Vor diesem Hintergrund möchte ich den Kollegen von der Linken danken, dass sie dieses Thema in einer Aktuellen Stunde aufgegriffen haben. ({1}) Doch während bei Ihnen die Alarmglocken schellen und Sie alle rhetorischen Register ziehen, muss ich Ihnen sagen: Fehlalarm. Denn ich bin der Überzeugung, dass in dem hier herangezogenen Fall die Schlagzeilen zu kurz greifen und teilweise politisch motiviert sind. Deshalb freue ich mich außerordentlich, hier jetzt einen Beitrag zur Versachlichung leisten zu dürfen. ({2}) Die Logistikbranche in der Bundesrepublik ist ein Bereich, der wie kaum ein anderer von hoher Dynamik gekennzeichnet ist. ({3}) Wir sehen hier einen enormen Wachstumsmarkt. Zugleich stehen die Dienstleister wie DHL, Hermes, DPD und UPS, um nur einige Beispiele zu nennen, in starker Konkurrenz zueinander. Dieser Wettbewerb wird ganz maßgeblich über den Preis ausgetragen. Das kommt nicht zuletzt auch den Kunden zugute. ({4}) Die Post bzw. deren Logistikdienstleister DHL hat das Wachstumspotenzial des Marktes erkannt. Der Konzern hat nun Schritte eingeleitet, um langfristig und erfolgreich auf dem Markt bestehen zu können. Damit nimmt der Konzern die Verantwortung für seine Mitarbeiter wahr, da eine wettbewerbsfähige Unternehmensstruktur letztlich auch immer im Interesse der Mitarbeiter ist. ({5}) Den Vorwurf, das alles sei eine Art des plumpen Lohndumpings, lasse ich an dieser Stelle nicht gelten. ({6}) So fand diese Umstrukturierung doch im Korsett von Rechtsstaat und Tarifautonomie statt und nicht in einer Wildwestmanier, wie wir sie in der Vergangenheit teilweise haben erleben müssen. ({7}) Wir sehen an dieser Stelle also kein Outsourcing oder gar Tarifflucht. Was aktuell passiert, ist lediglich der Wechsel eines kleinen Teils der Belegschaft in einen anderen Tarifvertrag. An dieser Stelle sei angemerkt, dass wir in den Regionalgesellschaften von einem Durchschnittslohn von 12,79 Euro pro Stunde sprechen. ({8}) Im Übrigen werden bei den 49 Gesellschaften in den kommenden Jahren etwa 20 000 Stellen geschaffen. Noch einmal: Die hier geltenden Verträge sind nicht irgendwelche Schmuddelverträge. Nein, diese sind ordentlich tarifiert und auch unbefristet. Die Entscheidung, tarifliche Gestaltungsspielräume zu nutzen, fußt in diesem Fall also nicht etwa auf dem Wunsch, jenseits der bestehenden Regelungen die schnelle Mark zu machen. Nein, ein gutes Unternehmertum muss sich auch immer wieder auf aktuelle Entwicklungen einstellen und darauf reagieren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Sozialpartner solche Herausforderungen gemeinsam und erfolgreich bewältigen können. Ich für meinen Teil kann nicht erkennen, dass sich die Deutsche Post nun von diesem Grundsatz verabschiedet hat. Eine funktionierende Sozialpartnerschaft bedeutet aber nicht, dass der Wunsch nach einer guten Tariflandschaft immer auch mit dem Wunsch nach dem höchsten Tarifabschluss einhergehen muss. Dieser letzte Satz ist kein Ausdruck falsch verstandener Unternehmerfreundlichkeit, sondern ein Ausdruck des Respekts vor der Unabhängigkeit der Tarifpartner. Herzlichen Dank. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vertragsbruch nach dem Motto „Friss oder stirb“ ist im Moment das Geschäftsmodell der Deutschen Post AG. Mit der Ankündigung der Geschäftsleitung, die Paketzustellung in eine neu gegründete Tochterfirma auszugliedern, hat die Deutsche Post ganz klar gegen den Tarifvertrag zum Schutz vor Fremdvergabe der Zustellung verstoßen. ({0}) Um diesen Tarifvertrag zu erhalten, mussten die Beschäftigten im Jahr 2000 auf arbeitsfreie Tage, Überstundenzuschläge und Kurzpausen verzichten. Sie erhielten dafür Schutz vor Ausgliederung und damit die Sicherheit der Beschäftigung. Eine Hand wäscht die andere. ({1}) Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis zum Ende dieses Jahres; er endet nicht vorher. Er wäre vorzeitig kündbar, wenn die Post AG in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation wäre. ({2}) Das ist nachweislich nicht der Fall. Der aktuelle Gewinn der Post AG beträgt 3 000 Millionen Euro - nur um einmal deutlich zu machen, was 3 Milliarden Euro sind. Bei einem so schweren Verstoß gegen Vertragsrechte müsste eigentlich die Staatsanwaltschaft aktiv werden. ({3}) Das ist noch nicht alles. Der Betriebsrat und damit auch die Belegschaft müssen nach dem Betriebsverfassungsgesetz rechtzeitig und umfassend über Betriebsänderungen informiert werden, damit sie die Chance erhalten, damit umzugehen und an dieser Stelle eigene Ideen zu entwickeln. Am 5. Dezember 2014 fanden in ganz Deutschland Betriebsversammlungen statt. Damals wusste außer der Geschäftsleitung der Deutschen Post AG noch niemand, was danach passiert. Dass die Post das erst im Januar entschieden hat, kann man wirklich nur jemandem erzählen, der sich die Hose mit der Kneifzange zumacht. ({4}) Schwerpunkte auf den Betriebsversammlungen im Dezember waren die massenhaften Befristungen der Arbeitsverhältnisse und die Forderung nach Entfristung dieser Beschäftigten. Die Gewerkschaft Verdi hat dort zur Entfristungspolitik bei der Deutschen Post AG eine ganz tolle Erklärung auf den Weg gebracht. Ziel war die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen und der Kettenbefristungen. Ich habe den Kolleginnen und Kollegen im Dezember zu ihrer solidarischen Aktion gratuliert und eine Kleine Anfrage auf den Weg gebracht, um zu ergründen, was bei der Post im Moment eigentlich passiert. Bei der Deutschen Post AG sind mittlerweile 26 000 Beschäftigte von sachgrundlosen Befristungen und Kettenbefristungen betroffen - so viele wie noch nie. ({5}) Genau diese Beschäftigten sollen jetzt in die neue Lohndumpingfirma DHL wechseln. Ihre Verträge bei der Deutschen Post AG sind ja nur befristet. Damit werden sie vor die Wahl gestellt: entweder weniger Geld oder Arbeitsamt. Friss oder stirb! Dass dies von der Deutschen Post AG als Jubelmeldung verkauft wird, nach dem Motto: „Wir schaffen neue Arbeitsplätze“, ist im Grunde eine Unverschämtheit. ({6}) Von der Deutschen Post AG weg, rein in die schlechter zahlende DHL Delivery GmbH: Die Gewerkschaft Verdi hat das einzig Richtige gemacht. Sie fordert als Antwort die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden für alle Beschäftigten bei vollem Lohnausgleich. ({7}) Der aufgekündigte Vertrag muss jetzt wieder zu einer neuen Vereinbarung werden, mit der Beschäftigungssicherung besteht, und dazu gehört auch eine Arbeitszeitverkürzung. Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre Unternehmensbeteiligung von 21 Prozent dazu zu nutzen, Einfluss auf die arbeitnehmerfeindliche Politik der Deutschen Post AG zu nehmen. ({8}) Außerdem fordert die Linke die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen und der Kettenbefristungen. ({9}) Den Beschäftigten und der Gewerkschaft Verdi wünsche ich viel Erfolg im Kampf um Arbeitszeitverkürzung mit Beschäftigungssicherung. Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. Vielen Dank. ({10})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Waltraud Wolff, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten Wochen sehr viel über die Tarifeinheit gesprochen. Sehr oft ist betont worden, dass die Tarifeinheit ein hohes Gut ist, und sehr oft ist auch darauf hingewiesen worden, dass sie für Frieden in den Betrieben sorgt. Eigentlich wird damit immer die Kritik an den kleinen Gewerkschaften gerechtfertigt. Die Tarifeinheit ist ein hohes Gut; das steht außer Frage. Die Debatte heute zeigt uns aber auch, dass große Löcher in der Tarifeinheit nicht durch die Spartengewerkschaften gerissen werden. Viele Löcher in der Tarifeinheit entstehen doch durch die Austritte von Arbeitgebern aus den Arbeitgeberverbänden, ({0}) und sie werden auch durch sogenannte OT-Mitgliedschaften gerissen. Den Begriff „OT-Mitgliedschaften“ muss ich einmal kurz erklären: Unternehmer sind Mitglied im Arbeitgeberverband - ohne Tarifbindung. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: ohne Tarifbindung. Diese Löcher resultieren auch daraus, dass Unternehmen Arbeitsplätze in tarifungebundene Töchter oder in Werkverträge ausgliedern. Es sind also nicht die Gewerkschaften, sondern es sind die Arbeitgeber, die unsere Tariflandschaft zum Flickenteppich gemacht haben. ({1}) Waltraud Wolff ({2}) Was ist die Folge? Die Folge ist doch, dass Löhne und Arbeitsbedingungen zu Wettbewerbsfaktoren werden. Durch unsere Straßen fahren Zusteller und Zustellerinnen mit den unterschiedlichsten Verträgen: von denen mit dem Haustarif der Deutschen Post AG bis hin zu pseudoselbstständigen Einzelunternehmern. Wir alle haben erlebt, wie schnell hier die Abwärtsspirale in Gang kommt. Der Anteil von Beschäftigten im Niedriglohnbereich nimmt zu; das ist ablesbar. Bei den geringfügig Beschäftigten ist es genauso: Auch hier nimmt der Anteil zu. ({3}) - Nein, ich bin Sozialdemokratin aus Leidenschaft. ({4}) Wir sprechen heute über die Arbeitsbedingungen bei der Post. Ich sage als Sozialdemokratin hier ganz klar: Ich freue mich nicht darüber, dass die Post Töchter gründet, in denen statt des Haustarifes der Logistiktarif gilt. ({5}) Aber eins ist doch auch klar: Die Post befindet sich nicht im luftleeren Raum. Deshalb müssen wir uns doch die gesamte Branche anschauen. ({6}) 2012 lag der Durchschnittslohn im gewerblichen Bereich in der Briefzustellung bei der Post bei 16,01 Euro pro Stunde, bei der Konkurrenz bei 9,46 Euro. ({7}) Deutlicher geht es nicht mehr. Der Flickenteppich in der Tariflandschaft führt zu einem Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten. Das wollen wir für die Zukunft nicht mehr haben. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich ist aber nicht nur die Tarifeinheit ein hohes Gut, auch die Tarifautonomie ist mir wichtig. Wir alle hier im Raum wissen, dass Tarifauseinandersetzungen Sache der Tarifpartner sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich sage jetzt völlig ohne Häme: In dieser Woche gab es im öffentlichen Dienst den Streik der Lehrer mit Schwerpunkt in Sachsen-Anhalt, in Sachsen und in Thüringen. Ich beziehe mich einmal auf Thüringen, wo Sie mit an der Regierung sind. ({9}) - Da sind die Linken aber leider nicht an der Regierung. Darum beziehe ich mich auf Thüringen, wo Sie selber mitregieren. ({10}) Ich gehe davon aus, dass die Landesregierung die Tarifautonomie wahrt. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die Linke in Thüringen weiß, dass sie bei aller Sympathie für die Gewerkschaften dort Arbeitgeber ist. Ich habe in den Medien nicht einen einzigen Satz darüber gefunden, dass sich die thüringische Landesregierung außerhalb der Tarifverhandlungen in die Auseinandersetzungen einmischen würde. Richtig macht sie das. Tarifautonomie ist wichtig. Das heißt aber nicht, meine Damen und Herren, dass Politik nur Zuschauer ist. Wir haben Verantwortung bewiesen. Wir als SPD werden weiterhin eine aktive Rolle einnehmen. Wir als Koalition haben den Mindestlohn beschlossen. Er ist in Kraft getreten. Der nächste Schritt wird die Neuregelung von Leiharbeit und Werkverträgen sein. ({11}) Auch diesem Missbrauch werden wir einen Riegel vorschieben. Wir arbeiten für faire Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Das, was da politisch möglich ist, packen wir an. Herzlichen Dank. ({12})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Katharina Dröge, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie haben beantragt, dass wir heute über den Tarifkonflikt bei der Deutschen Post diskutieren. Ich finde, das sollten wir auch tun. Bei Ihren Wortbeiträgen ist mir aufgefallen, dass Sie, ehrlich gesagt, schon einen recht verkürzten Blick auf die gesamte Debatte haben. Die Kollegin Wolff hat dazu etwas gesagt. Unsere Aufgabe als Politik ist zunächst, die gesamte Branche in den Blick zu nehmen, bevor wir uns mit einem einzelnen Unternehmen beschäftigen. ({0}) Wenn man sich die Branche der Paketzustellerinnen und Paketzusteller anschaut, sieht man: Es gibt eine Reihe von Gesichtspunkten, über die wir diskutieren sollten, etwa über die Arbeitsbedingungen der in diesem Markt operierenden Unternehmen und über die Probleme, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort haben. ({1}) - Nein, das können wir nicht getrennt voneinander diskutieren. Das hängt nämlich zusammen. - Ich finde nicht, dass man über die Politik eines einzelnen Unternehmens diskutieren kann, ohne sich anzuschauen, in was für einem Marktumfeld es sich bewegt und was für Konditionen die konkurrierenden Unternehmen bieten. Denn unsere Aufgabe als Politik ist zunächst, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass es faire Arbeitsbedingungen und auch fairen Wettbewerb gibt. ({2}) Daran müssen wir arbeiten. Deswegen müssen wir uns Unternehmen anschauen, die beispielsweise mit Subunternehmern zusammenarbeiten und damit Tarifverträge umgehen. Wir müssen uns Unternehmen anschauen, die sogar versuchen, trickreich Mindestlöhne zu umgehen. Wir müssen uns Unternehmen anschauen, in denen Tarifverträge gar nicht gelten. Außerdem müssen wir uns die Vielzahl an befristeten Beschäftigungsverhältnissen anschauen. Ich finde, das ist die erste Aufgabe, die wir als Politik haben, wenn wir uns mit solchen Fragen beschäftigen. Hier müssen wir klare Aussagen machen. Hier müssen wir auch handeln. Hier müssen wir auch für faire Arbeitsbedingungen sorgen. Wir müssen gegen die sinkende Tarifbindung kämpfen. Wir müssen für die Abschaffung sachgrundloser Befristung kämpfen. Wir müssen uns in dieser Branche auch mit dem Problem der Scheinselbstständigkeit beschäftigen. Das sind alles Dinge, die wir als Erstes angehen müssen. ({3}) Im zweiten Schritt müssen wir über den Fall des Einzelunternehmens Deutsche Post sprechen. Das liegt an der etwas seltsamen Konstruktion staatlicher Minderheitsbeteiligung. Hier müssen sich die Bundesregierung und damit auch Sie als Koalitionsfraktionen schon die Fragen gefallen lassen: Welche Ziele verfolgt der Staat eigentlich mit einer Minderheitsbeteiligung, die er an einem Unternehmen hält? Geht es hier einzig und allein um den schönen Geldstrom, der durch die Dividendenzahlungen in den Bundeshaushalt fließt, oder verfolgt man mit einer Minderheitsbeteiligung auch andere Ziele? Man könnte beispielsweise den Anspruch formulieren, dass eine staatliche Beteiligung an einem Unternehmen auch dazu dienen soll, dass ein Unternehmen eine Vorbildfunktion auf dem Markt hat, etwa hinsichtlich sozialer und ökologischer Ziele. ({4}) Wenn man sich unter diesem Aspekt anschaut, was die Deutsche Post AG jetzt gerade tut, dann muss man sich angesichts dieser Firmenstrukturierung schon Fragen stellen. Wir haben es schon gehört: Die Deutsche Post hat sehr positive Gewinnerwartungen. Sie hat im letzten Jahr ein Rekordergebnis erzielt. Sie verspricht uns bis zum Jahre 2020 jährliche Wachstumsraten von 3 Prozent, und sie hat in diesem Jahr schon wieder die Dividende für die Anteilseigner um 6 Prozent erhöht. Das sind gute Nachrichten für den Bundeshaushalt, gute Nachrichten für Herrn Schäuble, nur eben nicht gleichzeitig gute Nachrichten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Konzernen, die sich teilweise auf Gehaltskürzungen von minus 20 Prozent einstellen müssen. Das ist für die Beschäftigten, die jetzt schon in dem Konzern sind, sehr unangenehm. Eigentlich geht es hier doch nicht um die Ausgliederung der Arbeitsplätze befristet Beschäftigter; vielmehr geht es um die neu Eingestellten, die nach dem neuen Tarifvertrag bezahlt werden dürfen. Während die jetzt befristet Beschäftigten noch die Differenz zu ihrem jetzigen Lohn bekommen, soll das in Zukunft nicht mehr so sein. Es geht darum, dass man über den geplanten Weg die Löhne bei Neueinstellungen recht elegant drücken kann. Das muss man vor dem Hintergrund von wachsenden Märkten und Rekordgewinnen bewerten, die auf die Löhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht durchschlagen. Daher stellt sich schon die Frage: Entspricht das unserer Vorstellung von einem vorbildlichen Unternehmen, das eine staatliche Beteiligung rechtfertigt? ({5}) Diese Frage möchte ich Ihnen jetzt stellen; schließlich ist der Bund als größter Minderheitsanteilseigner durch einen Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der Deutschen Post AG vertreten. Folgende Frage können vielleicht die Rednerinnen und Redner, die nach mir sprechen, noch beantworten: Was haben Sie denn im Aufsichtsrat gemacht? Haben Sie dort über Renditeerwartungen gesprochen, darüber, was von der Rendite in den nächsten Jahren in den Bundeshaushalt fließen soll? Oder haben Sie vielleicht auch über Ziele wie gute Beschäftigungsverhältnisse oder eine ökologische Umstrukturierung des Konzerns geredet? Wenn Sie nur über Geld gesprochen haben, dann kann ich Ihnen sagen: Verkaufen Sie die Post lieber! Gewinnmaximierung ist nicht die Aufgabe eines Konzerns mit staatlicher Beteiligung. ({6}) Wenn Sie nur über Geld gesprochen haben, dann sollten Sie den ganzen Konzern lieber loswerden. Wenn Sie mit der Beteiligung an diesem Konzern andere Zielsetzungen verfolgen, dann müssen Sie uns erklären, wie Sie das gemacht haben. Ich danke Ihnen. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Axel Knoerig, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Bundestagsabgeordnete stehen wir in der Pflicht, staatliche Unternehmen in ihrer Entwicklung kritisch zu begleiten. Das betrifft sehr wohl auch die Deutsche Post DHL Group, die sich weiterhin zu 21 Prozent in staatlichem Besitz befindet. Dabei liegt es sicherlich auch nahe, den Sinn und Zweck von 49 neuen Tochterunternehmen zu hinterfragen. Doch das, was die Linke hier zur Beschäftigungssituation bei DHL ausgeführt hat, ist meines Erachtens völlig realitätsfern; ({0}) denn sie ignoriert nämlich eines: den zunehmenden Wettbewerb auf dem hart umkämpften Paketmarkt. Die Deutsche Post DHL Group gehört in Deutschland mit einem Jahresumsatz von 56 Milliarden Euro und über 200 000 Mitarbeitern immer noch zu den Leuchtturmunternehmungen. Insbesondere im ländlichen Raum ist diese Firma ein ganz bedeutender Arbeitgeber. Dabei sind fast 90 Prozent dieser Arbeitsverhältnisse unbefristet. Man weiß sehr wohl, dass dieser Anteil in der Branche sonst wesentlich geringer ausfällt. ({1}) Seit Jahresanfang wird die Paketzustellung nun von regionalen Tochterfirmen übernommen. Als Träger fungiert die DHL Delivery GmbH. Diese will nun 20 000 unbefristete Arbeitsplätze schaffen. Das ist weitaus mehr, als die Mitbewerber Hermes, UPS, GLS und DPD jeweils in ihrer gesamten Belegschaft beschäftigen. ({2}) In den letzten zwei Monaten hat DHL Delivery bereits 5 000 Mitarbeiter neu eingestellt. ({3}) Dabei ist herauszustellen: Alle Mitarbeiter, die aus dem Mutterkonzern kommen und bislang nur befristete Stellen hatten, erhalten nun einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Sicher ist - das ist unstrittig -: Der Eingangslohn wird bei DHL Delivery niedriger ausfallen. Hier zahlt man nur 12,49 Euro, während es bei DHL 13,72 Euro gibt. Außerdem - auch das gehört zur Wahrheit - gibt es bei DHL Delivery weder Weihnachtsgeld noch eine Jahresprämie. ({4}) Es greift, denke ich, nicht zu kurz, wenn man erwähnt, dass es mittlerweile üblich ist, dass solche Tarifvereinbarungen in der Logistikbranche getroffen werden. Vor allem muss man sich aber auch fragen: Was nützen einem Paketzusteller die finanziellen Vorteile, solange seine Stelle nur befristet ist, wenn sich Zeitverträge aneinanderreihen und keine dauerhafte Zukunft im Job zu erkennen ist? ({5}) In diesem Zusammenhang ist es positiv zu bewerten, dass die Regionalgesellschaften dem Arbeitgeberverband Spedition und Logistik beigetreten sind. Ebenso wurden sie von Verdi anerkannt. Auch wir als Politik, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, erkennen an, dass Sicherheit für die Arbeitnehmer, selbst bei Geldeinbußen, den größeren Mehrwert darstellt. ({6}) Genauso müssen wir aber auch die Marktveränderungen berücksichtigen. Der Paketmarkt ist heute geprägt von hohen Umsätzen, niedrigen Gewinnen, und das bei einem erheblichen Investitionsbedarf. Die Gründung der Tochterfirmen ist insbesondere auch eine Folge des stark wachsenden Onlinehandels. Seit 2005 hat sich der Umsatz in Deutschland fast verdreifacht: von 15,5 Milliarden Euro auf etwa 43,6 Milliarden Euro in 2015. Gestatten Sie mir einen ganzheitlichen Blick auf die Privatisierung staatlicher Unternehmungen. Da meine ich gar nicht einmal als erste Adresse nur die Post. Gerade mit dem Outsourcing von Personal wurden in Teilen Bedingungen geschaffen, die wenig arbeitnehmertauglich sind, sofern alte Beschäftigungsverhältnisse in neue übergegangen sind, und das bei geringerem Lohn. Das war aber bei der Post nicht der Fall. Hier sind die Arbeitnehmer weiterhin über ihre bestehenden Verträge geschützt. Auch die neuen Mitarbeiter erhalten mehr Sicherheit über entfristete Stellen. Insofern kann hier nicht, wie es die Linke formuliert hat, von Tarifflucht die Rede sein. Das ist übertrieben. Wir als Union unterstützen eine markt- und wettbewerbsorientierte Personalpolitik, die sowohl die Zukunft eines Unternehmens als auch die der Mitarbeiter sichert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Hans-Joachim Schabedoth, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Joachim Schabedoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004394, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht haben Sie auch schon einmal als Besucher im Stadion oder bei einem Konzert die Erfahrung gemacht, dass plötzlich alle vor Ihnen aufspringen, um besser sehen zu können. Was bleibt einem da übrig? Man erhebt sich auch. Oft reicht das aber nicht. Denn die vor einem stehen auch schon auf den Zehenspitzen. Dabei ist es doch offensichtlich: Weil es alle tun, sieht keiner besser, aber alle stehen schlechter. Wäre es da nicht besser, alle würden sich wieder auf das Sitzen verständigen? ({0}) In einer ähnlichen Situation befindet sich jetzt die Post AG. Da gibt es Konkurrenten, die stehen schon längst auf den Zehenspitzen, um mit dem gelben Riesen mithalten zu können. Die Post, heute die Post AG, wurde einst aus guten Gründen „gelber Riese“ genannt. Das war kein Spott. Gelber Riese: Da schwang Respekt mit, weil er die besten Standards verkörperte. Doch für die Post von heute scheinen die Aktionäre schon lange wichtiger geworden zu sein als ihre Beschäftigten und ihre Kunden. Wir, die Kunden, fragen uns schon lange: Gelber Riese, warum machst du dich so klein? Warum vertraust du nicht auf deine Stärke - gute Bezahlung und hervorragenden Kundenservice -, statt jetzt auf Billigtöchter ausweichen zu wollen? Ich hatte meine letzte 55-Cent-Briefmarke noch nicht verbraucht, da stieg das Briefporto schon auf 58, 60 und jetzt sogar 62 Cent. Das ist vielleicht noch okay, habe ich wie viele andere gedacht, wenn es den Frauen und Männern nutzt, die uns die Post bei jedem Sauwetter zustellen. Doch schon lange hat sich die Gleichung „Guter Arbeitgeber, gute Bezahlung, gute Leistungen“ zum Schlechteren verschoben. Das müssen wir leider festhalten. Das genaue Hingucken bestätigt: Die Post arbeitet schon seit Jahren bei den Zustellern inflationär, wie ich meine, mit Zeitverträgen. Die vielen befristet, aber noch nach Haustarif bezahlten Arbeitenden sehen sich jetzt zu den Billigtöchtern der Post gedrängt, wenn sie nicht arbeitslos werden wollen. Das kann nicht die Lösung sein. ({1}) Es muss einen besseren Weg geben, die unfairen Wettbewerbsbedingungen im Bereich der Paketzustellung zu verändern. Solche Wege lassen sich aber nur über Verhandlungen mit der zuständigen Gewerkschaft Verdi finden und nicht gegen sie und die Beschäftigten. Die vielen praktischen Erfahrungen mit Tarifflucht in allen anderen Branchen beweisen: Die Spirale nach unten lässt sich nicht stoppen, wenn der Wettbewerbsdruck einfach auf die Beschäftigten verlagert wird. ({2}) Im Übrigen haben auch die Kunden nichts davon; denn es geht bei diesem Wettbewerb nicht um bessere Qualität, sondern um die Minderung der Arbeitskosten. Dabei gibt es nur Verlierer. Der intendierte Kostenvorteil bei der Post AG wird schon bald wieder ausgeglichen, weil die anderen Wettbewerber nachziehen werden. Denken Sie an mein Eingangsbeispiel! Zum Glück haben wir die äußerste Schamgrenze für den Lohnsenkungswettbewerb inzwischen durch den gesetzlichen Mindestlohn gezogen. ({3}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedeutet das wirklich, dass wir zuschauen, wenn alle, die es können, ihre Entlohnung auf den gesetzlichen Mindestlohn herunterdrücken? Das ist doch nicht in unserem Sinne. ({4}) Der gelbe Riese, die heutige Post AG, ist nie nur irgendein Dienstleister unter vielen anderen. Er steht in der Tradition eines Betriebes der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die jahrzehntelang bewährte Mitbestimmungskultur unterscheidet die Post immer noch von einem Unternehmen wie Amazon. ({5}) Das macht die Post AG unter lauter Zwergen zum standardsetzenden Riesen, im Guten, aber leider auch im Schlechten. Deshalb fordere ich bei allem Respekt vor der Autonomie der Post AG den Anteilseigner Bund auf, dem Teilausstieg aus der Haustarifbindung bei der Paketzustellung zu widersprechen und die Mitbestimmungskultur bei der Post AG nicht zu belasten, sondern für Konfliktlösungen zu nutzen. Bei der Post AG soll es auch zukünftig keine Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse geben. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege, das waren wunderschöne Schlussgedanken, zumal Sie Ihr Zeitkontingent ausgeschöpft haben.

Dr. Hans Joachim Schabedoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004394, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb frage ich den Postvorstand und die Aufsichtsräte: Gelber Riese, warum willst du dich so verzwergen? Nutz die Chance, mit Verdi eine bessere Lösung zu finden! Die Zukunft - auch bei der Postzustellung - gehört den Besseren und nicht den Billigeren. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Uwe Lagosky, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Uwe Lagosky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ansturm auf neue Post-Zustellunternehmen“ titelte die FAZ am 5. Februar 2015 über die neuen DHLDelivery-Gesellschaften. Weiter heißt es in dem Artikel: Die Aussicht auf einen dauerhaften Arbeitsplatz zieht viele bisher befristet beschäftigte Postboten in die umstrittenen neuen Zustellgesellschaften. In der heutigen Stellungnahme der Deutschen Post AG steht hierzu: Bereits zwei Monate nach Gründung der Gesellschaften sind bereits 5 000 unbefristete Arbeitsverträge geschlossen worden, ca. 1 500 Kräfte wurden vom externen Arbeitsmarkt eingestellt. In den deutschlandweit gegründeten DHL-DeliveryGesellschaften sollen bis 2020 10 000 neue Arbeitsplätze, bis 2025 20 000 neue Arbeitsplätze entstehen. Die Deutsche Post wird 750 Millionen Euro in das Paketnetz investieren. ({0}) - Ich komme gleich auf die Gewerkschaften zu sprechen, liebe Kollegin. Den ehemals befristet bei der Post angestellten Arbeitnehmern sichert die Post das bisherige Monatsgehalt zu. Darüber hinaus gibt es für alle unter anderem Zusatzverdienstmöglichkeiten. Zur Gründung der 49 DHLDelivery-Gesellschaften führten insbesondere der Wettbewerbsdruck - das ist hier mehrfach zum Ausdruck gekommen - und das Preisniveau bei den Mitwettbewerbern. In den neu gegründeten Gesellschaften sieht die Deutsche Post eine Antwort auf die Marktsituation und kommt damit ihrer unternehmerischen Verantwortung nach. Die Deutsche Post orientiert sich in den neuen Gesellschaften am Tarifvertrag der Speditions- und Logistikbranche. Demgegenüber steht aber die Aussicht auf eine Dauerbeschäftigung, die offensichtlich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überzeugt. ({1}) Aus Sicht der Gewerkschaft und unter den Aspekten der Mitbestimmung stellt sich die Situation so dar: Über einen längeren Zeitraum wurden im Unternehmen befristete Verträge abgeschlossen, die nunmehr dazu genutzt werden, die Beschäftigten in neu gegründete Gesellschaften einzusetzen. Wenn einem eine Festanstellung angeboten wird, dann überlegt man sich, in die neuen Gesellschaften zu wechseln. Beschäftigte, die unter dem Druck einer Befristung stehen, gehen natürlich auf das Angebot ein, ein Gehalt wie zuvor zu verdienen, allerdings ohne übertarifliche Zulage und Leistungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Leistungsentgelt. Das sind laut Verdi 3 500 Euro im Jahr weniger. Darüber hinaus kommt ein anderer Tarifvertrag, der erwähnte Vertrag der Speditions- und Logistikbranche, zur Anwendung. Dieser liegt unter dem Niveau des bisherigen Tarifvertrags. Ein weiterer Anstoß der Kritik ist die scheinbare Nichteinhaltung eines Vertrages, der die Fremdvergabe der Zustellung ausschließt. Das wiederum wird von der Deutschen Post bestritten. Ich kann durchaus verstehen, dass die Gewerkschaft, die in vergangenen Tarifverhandlungen zugunsten eines solchen Vertrags auf materielle Dinge verzichtet hat, unzufrieden ist. Gleichermaßen ist aber auch einzubeziehen, dass sich die Deutsche Post vertraglich auf Paketmengen stützt, die ausschließlich in ihrem Hoheitsgebiet aufkommen und nicht von der DHL-Vertriebsgesellschaft eingebracht werden. Das alles müssen die Vertragspartner klären; das ist nicht unsere Aufgabe. Darüber hinaus werden Strukturen der betrieblichen und der Unternehmensmitbestimmung verändert. Ich nehme die Deutsche Post daher beim Wort, wenn sie in ihrer heutigen Stellungnahme schreibt, dass sie „die Arbeit der Betriebsräte und Gewerkschaften nach Kräften unterstützen und diesen bei der Wahl und Bildung von Betriebsräten bestmöglich zur Seite stehen“ will. Wir erleben wieder einmal den Umbau eines Unternehmens als Reaktion auf den Wettbewerb. Es ist wichtig für die Beschäftigten, die in der neuen Unternehmensstruktur arbeiten, gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Den Schlüssel dafür halten die Vorstände, die Betriebsräte und die Gewerkschaften in der Hand. Vielen Dank. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist der Abgeordnete Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Sie alle recht herzlich hier im Deutschen Bundestag begrüßen. Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ganz besonders begrüße ich die vielen jungen Menschen auf der Tribüne; denn es freut mich ganz besonders, dass wir so viel Nachwuchs hier oben haben, der sich für Politik interessiert. Sehr schön. ({0}) Was mich nicht so erfreut, ist: Wir haben heute einen Antrag der Linken, ({1}) aber ich sehe leider nur einen, zwei, drei, vier, fünf Linke. Ich hätte bei einem eigenen Antrag gerne mehr gesehen. Aber das Leben ist nun einmal so. Damit muss ich leben. ({2}) Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Dies gilt auch an dieser Stelle für die Kollegen der Linksfraktion. Die von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde ist geprägt von Kampfbegriffen ({3}) wie Tarifflucht und Zweiklassenbeschäftigung. Die Kollegin hat vorhin von Lohndrückerei gesprochen. ({4}) Das stellt einen ehrlichen Willen zur Aufarbeitung der Problematik bzw. wahrheitsgemäßen Darstellung der Wirklichkeit meines Erachtens infrage. Das soll genutzt werden, um besonders die SPD zu kritisieren und um einen Machtkampf bei Verdi hier im Bundestag auszutragen. Das ist nicht schön, aber auch damit müssen wir leben. Pacta sunt servanda. Ich denke, wir sind uns alle einig: Verträge müssen eingehalten werden. Ich will aber auch für Verständnis für die vielen Mitarbeiter bei der Deutschen Post AG werben, die betroffen sind und deren Arbeitsverhältnis umgewandelt wird. Dieses ist zwar unbefristet, die Mitarbeiter aber werden geringer entlohnt. Wie ist die Situation? Erstens. Es wird 10 000 neue unbefristete Stellen bei der DHL Paket geben. ({5}) Zweitens. Bis 2025 sollen sogar 20 000 Beschäftigte unbefristet eingestellt werden. ({6}) Das allein ist schon einmal eine sehr gute Nachricht vom Grundsatz her. Drittens. Die Mitarbeiter bleiben alle unter dem Dach der DHL Delivery GmbH. Die Entlohnung in diesen Gesellschaften erfolgt - hören Sie bitte einmal zu - nach dem von Verdi ausgehandelten Tarifvertrag für den Speditions- und Logistikbereich. Die neuen Mitarbeiter in den Regionalgesellschaften werden nach den regionalen Tarifen der Speditions- und Logistikbranche bezahlt. Unter diesen Tarifverträgen steht die Unterschrift von Verdi, sodass man hier von einer Tarifflucht wirklich nicht sprechen kann. ({7}) Für die Mitarbeiter der Deutschen Post mit unbefristeten Verträgen - das ist das absolute Gros der Mitarbeiter - ändert sich gar nichts. Der bestehende Tarifvertrag für die Deutsche Post AG gilt natürlich weiterhin. Niemand kann also behaupten, dass die Deutsche Post Tarifverträge brechen will. Ehrlicherweise muss man doch Folgendes zugestehen: Die Deutsche Post steht in deutlichem Wettbewerbsnachteil im hart umkämpften deutschen Paketmarkt, weil die Löhne bei ihr im Vergleich höher sind als bei den Mitbewerbern. Da müssen wir etwas tun. ({8}) Fakt ist: Für die neuen Mitarbeiter gilt ein höheres Niveau als das der regionalen Tarifverträge der Speditionsund Logistikbranche. Das gilt auch für die Bezahlung: Der Lohn liegt deutlich über dem Mindestlohnbetrag, den selbst die Linkspartei fordert. Der Durchschnittslohn soll bei 12,79 Euro liegen. Das sind etwas über 2 200 Euro im Monat. Alle neuen Verträge werden für Vollzeit und unbefristet sein. Es soll leistungsorientierte Prämien und attraktive Zuverdienstmöglichkeiten geben. ({9}) Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn von Sped-Log beträgt 12,44 Euro. So viel zum Vorwurf der Zweiklassenbeschäftigung! Der Vorstand der Post AG hat zugesichert, dass den Mitarbeitern, die zurzeit einen befristeten Arbeitsvertrag haben, eine Entfristung zusteht und dass mindestens das derzeitige Monatsgrundgehalt gezahlt wird. Sie sehen: An dieser Stelle hält die Post den mit Verdi ausgehandelten Tarifvertrag ein ({10}) und zahlt sogar noch etwas darüber hinaus und mehr als andere Anbieter in der Branche. Zusammengefasst kann man folgende Rechnung aufmachen: ({11}) Grundsätzlich werden die Arbeitnehmer etwas weniger haben - das weiß ich -, aber sie kriegen einen unbefristeten Arbeitsvertrag. ({12}) Entweder entstehen neue 20 000 unbefristete Arbeitsplätze ({13}) bei der Deutschen Post DHL zu den genannten Konditionen, ({14}) oder sie entstehen bei einem der zahlreichen Wettbewerber, meine Damen und Herren, zu deutlich schlechteren Konditionen, oft in Unternehmen, in denen Verdi deutlich geringer vertreten ist. Jetzt ist Verdi als Tarifverhandlungspartner gefragt, weiterhin positive Tarifverträge für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Post und der Sped-Log-Branche auszuhandeln, und nicht der Deutsche Bundestag. Vielen Dank. ({15})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. März 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.