Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/18/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Frau Dr. Barbara Hendricks. Bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wohnen ist ein Thema, das alle Menschen betrifft. Wohnen ist, wie wir alle wissen, ein Grundbedürfnis. Wenn Wohnen also ein Grundbedürfnis ist, bedeutet das auch, dass dieses Grundbedürfnis für alle Menschen bezahlbar sein muss. Natürlich meine ich damit nicht, dass sich jeder eine Wohnung in den Toplagen der Innenstädte leisten können muss. Ich meine damit, dass es nicht sein kann, dass Menschen mit kleineren Einkommen irgendwo außerhalb leben müssen, weit entfernt von Arbeitsort, Schulen oder sonstigen sozialen Infrastrukturen, weil sie sich nirgends sonst die Mieten leisten können. Eine Stadt muss für alle Einkommensschichten Wohnraum bereithalten. Wir wollen deshalb für mehr Wohnungsneubau in Deutschland sorgen, um die Mietsteigerung zu dämpfen. Aus dem gleichen Grund haben wir die Mietpreisbremse und das Bestellerprinzip eingeführt. Mit der Wohngeldreform erhöhen wir jetzt das Wohngeld, und wir vergrößern auch den Kreis der Berechtigten deutlich. Damit helfen wir denjenigen, die angesichts von gestiegenen Mieten und Nebenkosten auf unsere Solidarität und Unterstützung angewiesen sind. Die Wohngeldreform ist nur eine von mehreren notwendigen Maßnahmen, mit denen wir für bezahlbares Wohnen in Deutschland sorgen; auf andere hatte ich eben schon hingewiesen. Mit der Reform werden wir die Wohngeldleistung erhöhen. Dies spiegelt sich in den sogenannten Tabellenwerten wider. In dieser Steigerung haben wir auch den Anstieg der Bruttowarmmieten mitberücksichtigt. Zum anderen heben wir die Miethöchstbeträge regional gestaffelt an; denn die Mieten haben sich regional sehr unterschiedlich entwickelt. Von der Reform werden rund 870 000 Haushalte mit niedrigen Einkommen profitieren. Zum Beispiel wird ein Zweipersonenhaushalt monatlich statt bisher rund 112 Euro künftig durchschnittlich rund 186 Euro Wohngeld erhalten. Rund 325 000 Haushalte davon werden erstmals oder wiederum wohngeldberechtigt. Unter diesen sind rund 90 000 Haushalte, die nicht mehr auf Grundsicherung angewiesen sind. Zur Leistungsverbesserung beim Wohngeld sind Änderungen des Wohngeldgesetzes und der Wohngeldverordnung notwendig. Da das Wohngeld je zur Hälfte von Bund und Ländern gezahlt wird, brauchen wir natürlich auch die Zustimmung des Bundesrates. Mit dieser Zustimmung, die höchstwahrscheinlich so erfolgen wird - denn wir haben das im Vorhinein abgestimmt -, kann die Wohngeldreform zum 1. Januar 2016 in Kraft treten. Die Zeit bis dahin wird in den Ländern und auch in den örtlichen Wohngeldstellen dafür genutzt werden müssen, die IT entsprechend umzustellen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das Wohngeld ist in den letzten sechs Jahren nicht verändert worden. Im gleichen Zeitraum sind die Verbraucherpreise um durchschnittlich 8 Prozent und die Warmmieten um durchschnittlich 9 Prozent gestiegen. Wir sollten uns daher darüber im Klaren sein, dass viele Menschen auf diese Reform gewartet haben. Herzlichen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Das Wort zur ersten Frage hat die Kollegin Heidrun Bluhm.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie haben am Ende Ihrer Ausführungen zum Ausdruck gebracht, dass wir das Wohngeld seit sechs Jahren nicht angepasst haben. Ich erinnere daran, dass die letzte Änderung 2001 war. Wir stellen also fest, dass wir uns immer nur in sehr großen Abständen hier mit diesem Thema beschäftigen und diese Frage überprüfen. Aus meiner Sicht haben Sie durchaus deutlich gemacht, dass es hier Handlungsbedarf gibt. Deshalb meine erste Frage an Sie: Wie wollen Sie mit der neuen Überarbeitung der Wohngeldtabelle sicherstellen, dass die Mieterhöhungen der letzten Jahre - Sie selbst sprachen von 9 Prozent in diesem Zeitraum - tatsächlich ausgeglichen werden können? Wie erhöht sich die Zahl derer, die jetzt Anspruch auf Wohngeld haben? Die Frage, die damit in direktem Zusammenhang steht, ist: Wo ist die Bemessungsgrenze?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bemessungsgrenze ist sowohl von der Einkommenshöhe als auch von der Höhe der Miete und der Anzahl der Familienmitglieder abhängig. Deswegen kann man keine Einkommensgrenze für alle denkbaren Haushalte ansetzen. Ich hatte eben schon gesagt: Es werden rund 325 000 Haushalte erneut oder neu in die Wohngeldberechtigung hineinwachsen. Insgesamt profitieren 870 000 Haushalte. Diejenigen, die schon im Wohngeldbezug waren, bekommen im Prinzip höhere Leistungen. Rund 325 000 Haushalte kommen zu denjenigen hinzu, die in diesem Jahr aktuell zum Wohngeldbezug berechtigt sind. Die Tabellenwerte im Wohngeld werden im Schnitt insgesamt um rund 39 Prozent angehoben. Das gleicht durchaus die Steigerungen aus, die in den vergangenen fünf Jahren - ich sagte Ihnen, die Warmmieten sind in diesem Zeitraum um 9 Prozent angestiegen - stattgefunden haben. Es gibt insgesamt sechs verschiedene Mietenstufen je nach Miethöhe. In den Ballungsräumen, in denen die Mieten am stärksten gestiegen sind, wird auch ein überproportionaler Anstieg des Wohngeldes vorgesehen, sodass im Schnitt eine Erhöhung von 39 Prozent herauskommt. In den Stufen I bis III ist diese Erhöhung niedriger. Das ist aber auch in Ordnung, weil dort die Mieten nicht in dem Maße angestiegen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Prophylaktisch mache ich darauf aufmerksam, dass bei der Befragung der Bundesregierung die Frage eine Minute umfasst und die Antwort ebenfalls. Uns unterstützt das optische Signal: Wenn es rot aufleuchtet, ist die Minute in jedem Fall überzogen. Zur nächsten Frage hat der Kollege Christian Kühn das Wort. - Bitte.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. Danke, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen. - Sie haben gesagt: Das Wohngeld wird erhöht, der Kreis der Berechtigten erweitert sich. Wenn ich die Geschichte des Wohngeldes betrachte, dann stelle ich fest, dass zum Beispiel im Jahr 2009, als Schwarz-Gelb regierte, die Bundesrepublik für 860 000 Berechtigte 1,56 Milliarden Euro Wohngeld ausgab. Jetzt entnehme ich Ihren Presseäußerungen, dass Sie für das Jahr 2016 1,43 Milliarden Euro ausgeben wollen und wir 870 000 Berechtigte haben. Ich weiß nicht, wieso Sie aufgrund dieser Zahlen davon ausgehen, dass wir eine deutliche Wohngeldsteigerung haben. Wir sind unter dem Niveau von Schwarz-Gelb; denn die Mieten und Heizkosten sind in Deutschland gestiegen. Deswegen verstehe ich nicht, dass Sie sagen, dass das Wohngeld erhöht worden ist. Ich frage Sie: Sehen Sie es auch so, dass wir eigentlich unter dem Niveau von 2009 sind?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Zunächst darf ich Sie darauf hinweisen, dass das Jahr 2009 erst im Herbst eine neue Regierung gesehen hat und dass die Wohngeldreform nicht zum Ende des Jahres 2009 durchgeführt wurde, sondern in der ersten Hälfte des Jahres 2009. Deswegen ist sechs und nicht fünf Jahre lang nichts geändert worden. Darauf habe ich eben hingewiesen. In der Tat ist es so: Solange das Wohngeld nicht dynamisiert wird, wird es immer wieder dazu kommen, dass Menschen in dem Zeitraum, bis es zu einer Anpassung kommt, aus der Berechtigung herausfallen und erst dann wieder hineinkommen, wenn es eine Anpassung gibt, so wie jetzt auch. Ich darf Sie aber darauf hinweisen, dass das Ist beim Wohngeld im Jahr 2014 - ich suche die genaue Zahl heraus - insgesamt 845 Millionen Euro betrug. Das heißt, dieser Betrag ist in der Tat gesunken, weil die Zahl der Anspruchsberechtigten zurückgegangen ist. Wir heben es jetzt an und werden im Jahr 2016 1,43 Milliarden Euro zur Verfügung haben - Bund und Länder zusammen. Wir werden 870 000 anspruchsberechtige Haushalte haben, 325 000 mehr als bisher. Ja, es sind Haushalte aus der Anspruchsberechtigung herausgefallen. Darum habe ich ja auch davon gesprochen, dass es sowohl erneute als auch neue Anspruchsberechtigungen geben wird. „Erneut“ bedeutet: Haushalte, die zuletzt vor zwei oder drei Jahren einen Anspruch auf Wohngeld hatten und dann nicht mehr, können jetzt wieder einen Anspruch haben; sie kommen erneut in den Anspruch hinein. Es gibt natürlich auch Haushalte, die jetzt neu in den Anspruch hineinkommen. Bei diesem System wird es bleiben, solange das Wohngeld nicht dynamisiert wird. Jetzt kann man sich eine Dynamisierung wünschen. Ich habe aber durchaus Verständnis für die Position des Bundesfinanzministers, der - ich will mal sagen - ganz allgemein Dynamisierungen scheut wie der Teufel das Weihwasser.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Ministerin, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie jetzt die Antwortzeit verdoppelt haben?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ja. So ist der Mechanismus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es ist klar: Sie haben sehr viel zu sagen. Aber ich habe hier auch noch sehr viele Kolleginnen und Kollegen auf der Frageliste. Das heißt, Sie werden all das sicherlich loswerden. - Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Matthias Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, vielen Dank. - Meine Frage bezieht sich nicht auf das Wohngeld, aber auf die heutige Kabinettssitzung. ({0}) Die entsprechenden Fragen werden gesondert aufgerufen. Deswegen bitte ich darum, mich auf der Frageliste nach hinten zu setzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ach so. Gut. - Dann bitte ich jetzt darum, dass nur diejenigen sich melden, die tatsächlich zu dem vorgetragenen Thema Fragen haben. Alles andere rufe ich, so wie immer, im Anschluss auf. - Die nächste Frage stellt die Kollegin Frau Dr. Julia Verlinden.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich habe eine Frage zum Thema „Klimakomponente im Wohngeld“. Sie haben im Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 angekündigt, dass das Wohngeld um eine Klimakomponente erweitert werden soll. Das ist im jetzigen Entwurf leider nicht enthalten. Deswegen frage ich: Warum wird dies nicht in der jetzt im Kabinett beschlossenen Wohngeldanpassung enthalten sein, sondern erst in der übernächsten Novelle? Wann soll es zu dieser übernächsten Novelle kommen? Mit anderen Worten: Wann wird es so weit sein, dass eine Klimakomponente im Wohngeld enthalten ist, die Sie selbst angekündigt haben und die wir Grüne sehr wichtig finden?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Wir hatten in der Tat im Rahmen unseres Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 angekündigt, die Einführung einer Klimakomponente im Wohngeld durch eine Differenzierung der Miethöchstbeträge nach energetischer Gebäudequalität zu prüfen. Das ist ein Prüfauftrag, den wir uns selber erteilt haben. Wir wussten, dass wir das bei dieser Novellierung nicht umsetzen können. Ich bin sehr sicher, dass wir in dieser Legislaturperiode keine zweite Wohngeldreform haben werden. Eine Voraussage für die nächste Legislaturperiode wage ich nicht, weil ich die Verantwortlichkeiten vor den Wahlen nicht vorhersagen kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Die nächste Frage stellt der Kollege Ralph Lenkert.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie führten aus, dass die Wohngeldsteigerungen in den Stufen I bis III nicht so hoch sind. Jetzt erfolgt eine Einstufung der Städte anhand ihrer Größe. Da gibt es einige Städte, im Osten insbesondere die Stadt Jena, in denen die Mietpreissteigerungen weit über 30 Prozent liegen, die aber bei den Wohngeldsteigerungen nur in die Mietenstufe III eingeordnet sind, weil sie einfach zu klein sind. Wie wollen Sie den Mieterinnen und Mietern in diesen Regionen, die es auch in anderen Bundesländern gibt - Regionen mit einer dynamischen Entwicklung und kleineren Städten -, gerecht werden, wenn die Einstufung so bleibt, wie sie ist?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, die Einstufung erfolgt nicht anhand der Größe der Städte - das ist kein Kriterium -, sondern es wird die durchschnittliche Miethöhe der Wohngeldhaushalte zugrunde gelegt. Die Einstufung erfolgt nach feststehenden statistischen Vorgaben. Im bundesweiten Vergleich ist die Einstufung in Stufe III von insgesamt sechs Stufen eine mittlere Einstufung - III und IV sind die klassischen mittleren Einstufungen -, und in diesem Bereich werden sich die Mieten in der Stadt Jena sicherlich noch bewegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Britta Haßelmann stellt die nächste Frage.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich habe eine Frage zum Heizkostenzuschuss. Es wird immer wieder gesagt, dass die Abschaffung des Heizkostenzuschusses falsch gewesen sei. Aber warum wird der Heizkostenzuschuss nicht wieder eingeführt, obwohl allein die Bruttowarmmieten seit der letzten Wohngeldreform 2009 um insgesamt 9 Prozent gestiegen sind?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Haßelmann, Sie haben recht: Der Heizkostenzuschuss wird nicht wieder eingeführt. Aber die Entwicklung der Bruttowarmmieten geht in die Berechnung der Tabellenwerte ein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Heidrun Bluhm.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie haben in einer Ihrer Antworten die Dynamisierung des Wohngeldes angesprochen. Sie äußern Verständnis dafür, dass der Bundesfinanzminister einer Dynamisierung des Wohngeldes, also der jährlichen Anpassung, der ordentlichen Überprüfung im Ein8818 zelfall, wegen der Haushaltsklarheit nicht so sehr gewogen ist. Meine Frage ist: Sollten wir nicht vielmehr Verständnis für die Mieterinnen und Mieter haben, die von einer nicht vorgenommenen Anpassung betroffen sind? Wenn wir keine Dynamisierung der Leistungen vorsehen, dann ist die Konsequenz, dass erst 2021 oder später eine nächste Überprüfung stattfinden wird. In der Zwischenzeit wird es aber zwei oder drei Mieterhöhungen gegeben haben, die zu kompensieren sind. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Menschen dann noch genügend Geld für übrige Konsumtion haben und nicht mindestens 50 Prozent ihres Einkommens für Wohnen ausgeben müssen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Unter sozialen Gesichtspunkten ist die Dynamisierung sozialer Leistungen wünschenswert. Aber aufgrund der haushalterischen Verantwortung, die wir als Bundestagsabgeordnete zu tragen haben, habe ich Verständnis dafür, dass nicht alle Sozialleistungen dynamisiert werden können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort für die nächste Frage hat der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Frau Ministerin, für die Beantwortung der bisherigen Fragen. Ich möchte an die letzte Frage anknüpfen. In einigen Bereichen der Sozialleistungen gibt es eine Dynamisierung, zum Beispiel bei der Grundsicherung. Ein wesentliches Ziel des Wohngeldes ist es, zu vermeiden, dass Menschen wegen hoher Mietkosten in die Grundsicherung rutschen. Wenn es bei der Grundsicherung eine von der Lohn- und Preisentwicklung abhängige Dynamisierung gibt, beim Wohngeld aber nicht, dann ist absehbar, dass wir in ein paar Jahren wieder vor der gleichen Situation stehen wie jetzt, nämlich dass Wohngeld nicht vor Grundsicherungsbezug schützt. Insofern ist der Verweis darauf, dass eine Dynamisierung „wünschenswert“ sei, meines Erachtens sehr schwach. Vielmehr muss man deutlich machen, dass das ein zentrales Ziel des Wohngeldes ist. Aber dieses Ziel wird durch den Gesetzentwurf leider verfehlt. Könnten Sie dazu Stellung nehmen? Denn das zieht nicht nur Probleme für Mieterinnen und Mieter nach sich, sondern das verschiebt auch Kosten vom Bund hin zu den Kommunen. Irgendwie muss das alles bezahlt werden. Das ist auch problematisch.

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, das Hauptziel des Wohngeldes ist, es den Menschen zu ermöglichen, tragbare Mieten zu zahlen. Es ist ein wirklich erfreulicher Effekt, dass zum Beispiel durch die geplante Wohngeldnovelle in der Tat etwa 90 000 Haushalte wieder aus dem Grundsicherungsbezug herauskommen. Gleichwohl bitte ich Sie, zu bedenken, dass wir uns im Rahmen der Grundsicherung in einem Bereich befinden, in dem es um die verfassungsrechtlich gebotene Sicherstellung des Existenzminimums geht. Beim Wohngeld befinden wir uns nicht in diesem Bereich. Deswegen ist eine Differenzierung der Vorgehensweise, rechtlich gesehen jedenfalls, gut zu begründen. Dass man sich das anders wünschen kann, das will ich nicht in Abrede stellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Christian Kühn das Wort.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich habe vorhin schon einmal gefragt, wie Sie darauf kommen, dass das Wohngeld insgesamt erhöht worden ist und die Anzahl der Berechtigten zunimmt, da wir im Augenblick auf dem Niveau von 2010 - damals regierte SchwarzGelb - gelandet sind. Damals wurde deutlich mehr Geld ausgegeben, und auch die Anzahl der Berechtigten war ähnlich hoch wie die Zahl, die heute in Ihrer Pressemitteilung verkündet worden ist. Aber wenn wir nun davon ausgehen, dass Sie quasi einige Zuwüchse haben, heißt das natürlich auch, dass es einige Herabstufungen gibt, dass es also zu einer Umverteilung innerhalb des Wohngeldes kommt. Deswegen frage ich Sie: Wie viele Gemeinden und Kommunen werden in Deutschland durch die Neuberechnung der Mietenstufen herabgestuft? Anders kann ich mir nicht erklären, wie es sonst zu mehr Berechtigten und einer Ausweitung des Wohngeldes für Einzelne in manchen Regionen kommen soll.

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, Herabstufungen sind nicht die Regel. Ich muss einmal sehen, ob ich das hier in meinen Unterlagen noch finde. Jedenfalls führt das nicht dazu, dass im Einzelfall Wohngeldberechtigte, die in solchen Gemeinden leben, die herabgestuft werden, tatsächlich auf Anteile des Wohngeldes verzichten müssten, weil das Wohngeld insgesamt so erhöht wird, dass auch ein Wohngeldbezieher, der in einer Gemeinde lebt, deren Mietenstufe gesenkt wird, auf der Basis des Wohngeldes bleiben kann, das er schon hatte; er bekommt zwar keine Erhöhung, aber keinesfalls kommt es zu einer Senkung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich möchte auf die Frage der Kollegin Verlinden zum Thema Klimakomponente zurückkommen. Ich habe gerade einmal im Klimaaktionsprogramm der Bundesregierung nachgesehen. Im Kapitel 4.5.4 steht in der Tat, dass Sie die Einführung einer Klimakomponente prüfen wollen. Allerdings steht auch darin, dass diese Prüfung bis 2017 abgeschlossen werden soll, und es wird auch schon ein konkreter Emissionsminderungsbeitrag dieser Klimakomponente in diesem Zeitraum mit eingerechnet. Dies widerspricht diametral dem, was Sie uns gerade hier erklärt haben, dass nämlich dieser Prüfauftrag zwar abgearbeitet wird, es definitiv aber keine Klimakomponente in dieser Legislaturperiode mehr geben wird. Muss ich also davon ausgehen, dass das Klimaaktionsprogramm an dieser Stelle - möglicherweise an anderen dann auch - schon von vornherein mit Ankündigungen und Maßnahmen arbeitet, die Bundesregierung gar nicht umzusetzen beabsichtigt?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, Herr Kollege, davon müssen Sie nicht ausgehen; dann wären Sie auf der falschen Spur. Sie können aus den Daten, die Sie gerade selber genannt haben, schon ersehen, dass die Maßnahmen dann, wenn wir prüfen, wie wir das bis zum Jahr 2017 umsetzen wollen, sinnvollerweise zum Beispiel ab dem Jahr 2018 umgesetzt werden. Das ist nach dem, was wir wissen, die nächste Legislaturperiode.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Max Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, nachdem eher kritische Fragen von der Opposition gekommen sind, was ich auch verstehe, glaube ich, dass man doch herausstellen muss, dass es ein großer Erfolg ist, wenn über 800 000 Haushalte von der Reform profitieren. Das hat auch eine große soziale Komponente. Das Wohngeld sollte nicht statisch betrachtet werden, wie die Opposition es getan hat, zum Beispiel der Kollege Strengmann-Kuhn, der sagte, dass das Wohngeld dynamisiert werden soll. Es wachsen manche Haushalte, die möglicherweise jetzt zum Wohngeldbezug berechtigt sind, aus dem Programm wieder heraus, weil vielleicht bessere Einkommensverhältnisse gegeben sind. Umgekehrt ist der Mietmarkt auch nicht einheitlich. Es gibt Regionen, in denen die Mieten sinken, wie es bei uns im ländlichen Raum der Fall ist, während in anderen Gegenden wiederum die Mieten steigen. Deshalb ist es meines Erachtens gar nicht notwendig, das Wohngeld zu dynamisieren; es muss vielmehr immer wieder neu überprüft werden.

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege. Es ist in der Tat so: 870 000 Haushalte sind von diesem Wohngeld, wie wir es jetzt vorlegen, begünstigt, hiervon kommen 325 000 Haushalte neu oder erneut hinzu. Selbstverständlich gibt es Mietmärkte, die überhaupt nicht dynamisch sind. Davon gibt es viele. Es gibt viele Haushalte, die seit vielen Jahren keine Mieterhöhung hatten. Gleichwohl verzeichnen viele Haushalte Einkommenssteigerungen, wenn auch nicht exorbitante. Das gilt, eine durchschnittliche Einkommensentwicklung vorausgesetzt, auch für Rentnerinnen und Rentner. Die Haushalte sind unterschiedlich stark betroffen. Die Frage der Bezahlbarkeit von Wohnraum in der Bundesrepublik Deutschland ist daher außerordentlich differenziert zu betrachten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Ralph Lenkert das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Sie führten in Ihrer Antwort auf meine Frage nach der Situation in kleineren Städten mit hohen Mietpreisen vorhin aus, dass die Mieten in Jena durchschnittlich sein müssten. Sie stimmen mir sicher zu, dass die Mieten in Berlin nicht durchschnittlich sind. Die Durchschnittsmiete in Berlin betrug im Jahr 2013 8,50 Euro, in der Stadt Jena 8,60 Euro. Demzufolge möchte ich von Ihnen noch einmal wissen, was das Bundesbauministerium unternimmt, um die Situation der Mieterinnen und Mieter in solchen Kleinstädten, in denen aufgrund der Einwohnerzahl eine Herabstufung erfolgt, zu verbessern.

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, ich kann nur noch einmal darauf hinweisen, dass die Einstufung der Städte und Gemeinden nach statistischen Vorgaben erfolgt ist. Ich kann jetzt nichts zur Miethöhe in Jena sagen. Die habe ich nicht im Kopf; aber ich bin sicher, dass die durchschnittliche Miete in Berlin auch heute noch nicht 8,60 Euro beträgt, sondern bei vielleicht - der Kollege Mindrup kann mich vielleicht korrigieren, wenn ich etwas Falsches sage 6,80 Euro liegt, zumindest in dieser Größenordnung, aber nicht bei 8,60 Euro.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Christian Kühn das Wort.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, wir haben gerade über die Dynamisierung gesprochen, die nicht vonstattengeht. Die strukturelle Schwäche des Wohngelds wird also nicht behoben. Das heißt, dass viele von denen, die ab dem nächsten Jahr zum Wohngeldbezug berechtigt sind, schrittweise aus dem Wohngeldbezug fallen werden. Wie viele Personen werden nach den Berechnungen Ihres Ministeriums bis zum Ende dieser Legislaturperiode aus dem Wohngeldbezug wieder herausfallen, und wie viele Personen werden im Jahr 2017 noch Wohngeld beziehen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, ich kann das nicht in absoluten Zahlen sagen. Aber es ist in der Tat so, dass diese Beobachtung - bezogen auf die Finanzmittel - bestätigt wird. Das ist im System so angelegt. Da haben Sie recht. Wenn wir also für das Jahr 2016 von 1,43 Milliarden Euro Wohn8820 geld ausgehen, bezahlt von Bund und Ländern, so gehen wir für das Jahr 2019 von 1,2 Milliarden Euro aus, wenn nicht in der Zwischenzeit eine erneute Anpassung erfolgt. Das heißt, 230 Millionen Euro - diese Lücke würde ohne Neuanpassung entstehen - kämen einer entsprechenden Anzahl von Haushalten nicht mehr zugute. Ja, das ist die logische Folge, wenn es keine Dynamisierung gibt. Das habe ich Ihnen ja selber freimütig vorgetragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Britta Haßelmann hat das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin Hendricks, ich habe noch eine Nachfrage zu der Frage meines Kollegen Krischer: Wie wollen Sie das im Klimaplan vorgesehene Reduktionsziel einhalten? In Ihrer Antwort auf die Frage, in der es um die Einführung des Klimabonus ging, haben Sie gesagt, dass Sie einen Prüfauftrag formuliert haben. Sie haben aber bereits eine dezidierte Einsparsumme genannt, und zwar bis 2017 und nicht ab 2017. Deshalb lautet meine Frage: Mit welcher Maßnahme wollen Sie das Problem ersatzweise lösen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, Frau Kollegin, nicht die Einsparung soll bis 2017 erfolgen, sondern bis 2017 soll die Prüfung durchgeführt werden. Wir haben nach dem Klimaaktionsprogramm dann noch bis zum Jahr 2020 Zeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind jetzt gerade nicht im Dialog. Sie können sich aber gerne gleich noch einmal melden, wenn es Unklarheiten gibt. - Jetzt hat der Kollege Max Straubinger das Wort.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, der Kollege Lenkert hat mit der Durchschnittsmiete argumentiert. Das ist meines Erachtens ein falscher Ansatz. Die Höhe des Wohngeldes ist auf die individuellen Bedürfnisse des Antragstellers zurückzuführen. Deshalb kann mit einer Durchschnittsmiete nicht argumentiert werden; denn in Berlin gibt es sicherlich Wohnungsmieten von 4 Euro pro Quadratmeter und natürlich auch von 20 Euro pro Quadratmeter. Von daher ist die Argumentationskette hier meines Erachtens falsch.

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

In der Tat. Durchschnittsmieten sind dort nicht aussagekräftig; da stimme ich Ihnen zu. Ich hatte Ihnen ja schon gesagt, dass da die Komponenten Haushaltseinkommen, Anzahl der Personen, die im Haushalt leben, und Höhe der Miete zusammenkommen. Es handelt sich also nicht um eine festgesetzte Obergrenze.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Oliver Krischer hat das Wort.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich muss noch einmal auf das Thema Klimakomponente und das Kapitel 4.5.4 des Aktionsprogramms Klimaschutz zurückkommen. In diesem Kapitel mit der Überschrift „Klimafreundliches Wohnen für einkommensschwache Haushalte“ formulieren Sie das Ganze; in der Tat wird da all das beschrieben. Am Ende des Kapitels steht: Treibhausgasreduktion 0,4 Mio. t CO2-Äq. Zeitplan bis 2017 Ich kann das nur so verstehen, dass Sie in Ihrem Klimaaktionsprogramm den Eindruck erwecken, eine Maßnahme in dieser Wahlperiode umzusetzen, obwohl überhaupt nicht beabsichtigt ist, sie umzusetzen, wie Sie uns jetzt hier ja erklärt haben. Daher ist für mich eindeutig, dass das Klimaaktionsprogramm hier falsche Tatsachen vorspiegelt; denn Sie sagen uns jetzt ja etwas anderes. Ich möchte deshalb an Sie die Frage richten: An welchen anderen Stellen im Klimaaktionsprogramm müssen wir davon ausgehen, dass die Maßnahmen nicht umgesetzt werden?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Sie müssen an gar keinen Stellen davon ausgehen, weder hier noch an anderen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Christian Kühn das Wort.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe noch einmal eine Nachfrage zu den Geldsummen. Sie haben gerade ausgeführt, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode - ich habe die Zahl leider nicht mitschreiben können - ungefähr 1,2 Milliarden Euro für Wohngeld ausgeben werden. Im Jahr 2011 hat SchwarzGelb 1,5 Milliarden Euro ausgegeben, also mehr als wir am Ende dieser Legislaturperiode für Wohngeld ausgeben. Würden Sie mir daher recht geben, wenn ich sage, dass die Große Koalition am Ende dieser Legislaturperiode mit ihrer Wohngeldreform weniger Geld ausgibt als Schwarz-Gelb? ({0})

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, Herr Kollege, ich stimme Ihnen nicht zu, weil Sie allenfalls die Sollausgaben im Haushalt haben, aber nicht die Istausgaben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gehe ich recht in der Annahme, dass ich keine Meldung zu dem Thema, zu dem vorgetragen wurde, übersehen habe? - Wenn das so ist - ich habe Sie nicht vergessen, Kollege Miersch -, habe ich jetzt erst einmal die hohe Ehre, auf der Ehrentribüne unseres Parlamentes den Präsidenten des Parlaments der Mongolei, Herrn Zandaakhuu Enkhbold, und seine Delegation zu begrüßen. ({0}) Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie herzlich. Die Kollegen haben das eben schon mit ihrer spontanen Beifallsbekundung unterstrichen. Mit einigen unserer Kolleginnen und Kollegen sind Sie in den letzten Tagen zu intensiven Gesprächen zusammengetroffen. Für Ihren nunmehr zu Ende gehenden Aufenthalt bei uns wie auch für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere allerbesten Wünsche. ({1}) Das Wort zu einer Frage zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung hat der Kollege Dr. Matthias Miersch.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, in den letzten Tagen war der Presse zu entnehmen, dass sich das Kabinett auch heute mit einem großen Investitionsprogramm für Kommunen befasst hat und Entscheidungen dazu herbeiführen wollte. Können Sie uns etwas zu diesem Konzept und seinen Parametern sagen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, gerne, Herr Kollege. - Finanzschwache Kommunen können erforderliche Investitionen, zum Beispiel zur Instandhaltung, zur Sanierung oder zum Umbau der örtlichen Infrastruktur, häufig nicht finanzieren. Damit ist die Gefahr einer Verfestigung der Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen strukturstarken und strukturschwachen Kommunen und Regionen verbunden. Das Kabinett hat deswegen heute einen Gesetzentwurf beschlossen, der dieser Entwicklung durch die Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen durch den Bund begegnet. Der Bund wird 3,5 Milliarden Euro in ein Sondervermögen einbringen, mit denen in den Jahren von 2015, also ab jetzt, bis 2018 Investitionen in infolge von Strukturschwäche finanzschwachen Kommunen mit einem Fördersatz von bis zu 90 Prozent gefördert werden können. Im Wesentlichen geht es dort zum Beispiel um energetische Sanierung, um Lärmsanierung etc. Zudem wird der Bund im Jahr 2017 weitere 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um den Kommunen weitere Spielräume zu eröffnen. Außerdem wird der Bund in den Jahren 2015 und 2016 jeweils 500 Millionen Euro zur Verfügung stellen, um die Unterbringung von Asylbewerbern zu erleichtern. Das heißt also, es wurde ein Investitionsförderprogramm bzw. ein Kommunalförderprogramm in der Größenordnung von zusätzlich 5 Milliarden Euro ab diesem Jahr beschlossen. Hinzu kommt 1 Milliarde Euro zur Förderung der Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen. Das ist in der Tat sehr bemerkenswert und wird den Kommunen vor dem Hintergrund ihrer manchmal durchaus schwierigen Haushaltslage sehr entgegenkommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage zu sonstigen Inhalten der heutigen Kabinettssitzung hat der Kollege Christian Kühn.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie haben gerade ausgeführt, dass 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, um die Unterbringung von Asylbewerbern zu erleichtern. Heißt das, dass die Bundesregierung damit ein Bauprogramm aufgelegt hat? Und wie gedenkt die Bundesregierung, den Kommunen dieses Geld zukommen zu lassen? Soll das über die Städtebauförderung geschehen, oder über welchen Weg werden die Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge vor Ort konkret unterstützt?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Wir haben dazu heute einen Gesetzentwurf vorgelegt. Gemäß diesem werden wir im Zusammenhang mit dem, was ich gerade auf die Frage des Kollegen Miersch ausgeführt habe, den Kommunen dieses Geld über die Länder zur Verfügung stellen, nicht über die Städtebauförderung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hubertus Zdebel.

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich habe die Frage, ob sich das Bundeskabinett heute mit der Sicherung bzw. der Sicherheit der Atomrückstellungen befasst hat. Am Wochenende war ja in einer führenden Wochenzeitschrift zu lesen, dass die Atomrückstellungen möglicherweise nicht so sicher sind, wie bisher angenommen wurde, und dass das aus bisher nicht vorliegenden Gutachten, die einerseits Sie und andererseits das Wirtschaftsministerium in Auftrag gegeben haben, hervorgeht. Außerdem wurde berichtet, dass die Atomrückstellungen möglicherweise Teil eines Deals mit den Atomkonzernen werden könnten. Vor diesem Hintergrund stelle ich meine Frage.

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Zdebel, das Kabinett hat sich heute nicht mit dieser Frage befasst. Aber sicherlich werden sich das Kabinett und auch der Deutsche Bundestag noch in diesem Jahr mit diesen Fragen beschäftigen müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin Hendricks, ich habe eine Nachfrage zu den zweimal 500 Millionen Euro bzw. zu der 1 Milliarde Euro für die Unterbringung von Flüchtlingen. Auf welchem Weg soll dieses Geld denn, wenn nicht über die Städtebauförderung, gezielt für ein Bauprogramm verwendet werden?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Diese Mittel werden den Kommunen über die Länder zugeleitet. ({0}) - Es wird in den Ländern darauf zu achten sein - auch der Bund wird natürlich darauf achten -, dass die Finanzmittel in der Tat zielgerichtet bei den Kommunen ankommen, ja. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Ralph Lenkert hat das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie haben gerade das Investitionsförderprogramm für die Kommunen, das wir begrüßen, vorgestellt. Mich würde interessieren, wie die Aufteilung auf die einzelnen Bundesländer erfolgen wird, sowohl bei dem Investitionsprogramm für die Kommunen als auch bei dem Unterstützungsprogramm für Flüchtlinge.

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Die Unterstützungsleistungen für Flüchtlinge erfolgen nach dem bekannten Königsteiner Schlüssel. Weil die Flüchtlinge nach diesem Schlüssel den einzelnen Ländern zugewiesen werden, bietet es sich natürlich an, genau diesen Schlüssel anzuwenden. Bei der Investitionsunterstützung für Kommunen in besonderer Finanznotlage gehen wir nach einem anderen Schlüssel vor. Dieser berücksichtigt zum Beispiel die Höhe der Kassenkredite, die Einwohnerzahlen und die Arbeitslosenzahlen. Der Schlüssel, der auf diese Weise zustande kommt, entspricht also nicht dem Königsteiner Schlüssel, sondern nimmt die besonderen Notlagen von Kommunen in einzelnen Bundesländern ins Blickfeld.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Haßelmann hat das Wort.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, ich habe noch eine Frage zu einem anderen Punkt, der im Kabinett behandelt wurde, nämlich zum Deutschen Institut für Menschenrechte. Damit haben Sie sich heute ja auch befasst. Gehen Sie aufgrund der Tatsache, dass jetzt anscheinend eine Einigung erfolgt ist, davon aus, dass der A-Status zu halten ist, obwohl die Frist für die Anerkennung des A-Status am 16. März 2015 eigentlich abgelaufen ist und das Gesetz erst jetzt kommt, und hat die Bundesregierung schon entsprechende Dinge in die Wege geleitet, um mit Dritten Gespräche darüber zu führen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, das hat die Bundesregierung getan. Heute ab 15 Uhr steht nämlich in der Tat die Re-Akkreditierung in Bezug auf die Beibehaltung des A-Status an. Insofern war es notwendig, dass die Bundesregierung heute Vormittag durch die Beschlussfassung über den Entwurf ein deutliches Signal gegeben hat. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Lenkert hat das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für das Angeben der Kriterien für das Investitionsförderprogramm. - Ich frage Sie, wie Sie zu der Meinung der Thüringer Landesregierung stehen, dass nicht nur die Arbeitslosenzahlen, die Höhe der Kassenkredite und die Einwohnerzahlen zum Bewertungskriterium gemacht werden sollten, sondern auch - das ist gerade in strukturschwachen Gegenden natürlich ein wichtiges Kriterium - die Finanz- und die Wirtschaftskraft der entsprechenden Kommunen, die in vielen Gebieten deutlich niedriger ist. Planen Sie, auch dieses Kriterium bei der Vergabe zu berücksichtigen, oder lehnen Sie dies explizit ab?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Der Entwurf der Bundesregierung sieht ein weiteres Kriterium nicht vor.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. - Herzlichen Dank, Frau Ministerin. Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksache 18/4295 Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Reihenfolge auf. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Mit welcher rechtlichen Argumentation begründet die Bundesregierung die Ablehnung der Diskussion über Forderungen auch der neuen griechischen Regierung nach Reparationszahlungen Deutschlands insbesondere mit Blick darauf, dass seit 1990 fast jede griechische Regierung betont hatte, diese Ansprüche seien auch nach der Wiedervereinigung und durch Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages, an dem Griechenland nicht beteiligt war, keineswegs abgegolten und es habe auch nie einen Verzicht auf Reparationszahlungen gegeben ({0}), und ist die Bundesregierung nicht wenigstens bereit, mit der griechischen Regierung darüber zu verhandeln, wie im Sonderfall des Zwangskredits von 476 Millionen Reichsmark, die die deutschen Besatzer der griechischen Notenbank im Jahr 1942 abpressten, eine Rückzahlung erfolgen soll ({1})? Bitte, Herr Staatssekretär.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung hat wiederholt verdeutlicht - beispielsweise zuletzt und sehr umfassend in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, Bundestagsdrucksache 18/451 vom 6. Februar 2014 -, dass der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990, der sogenannte Zwei-plus-Vier-Vertrag, die endgültige Regelung der durch den Krieg entstandenen Rechtsfragen enthält und diese nach unserer Auffassung damit gelöst sind, da der genannte Vertrag in der KSZE-Charta von Paris aus dem Jahre 1990 zustimmend - weit über den ursprünglichen Teilnehmerkreis hinaus - zur Kenntnis genommen wurde.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bedanken kann ich mich für die Antwort nicht, Herr Kampeter. All das konnte man ja auch schon in der Zeitung lesen. Deshalb meine Zusatzfrage: Soweit ich informiert bin, war der Bundesfinanzminister Schäuble an der Ausarbeitung der Verträge zur Deutschen Einheit beteiligt und war deshalb, wie ich annehme, auch über alles informiert. Ist bei der Abfassung dieses Zwei-plus-VierVertrages berücksichtigt worden, dass Reparationszahlungen, unter anderem an Griechenland, ausstehen, und war Griechenland an der Abfassung dieses Vertrages in irgendeiner Weise beteiligt oder auch nur darüber informiert? Oder war das ein einfacher Vertrag zulasten Dritter, zulasten des griechischen Volkes?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Die Intention des Zwei-plus-Vier-Vertrages, Herr Kollege Ströbele, war eine umfassende Regelung zum Abschluss des Kalten Krieges. Auf dem Treffen der KSZE-Außenminister am 1. Oktober 1990 wurden diese Sachverhalte innerhalb der KSZE zustimmend zur Kenntnis genommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, hier geht es nicht um den Kalten Krieg, sondern um einen brutal heißen Krieg, nämlich um den bis 1945. Ist Ihnen bekannt und können Sie bestätigen, dass dieser Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht „Friedensvertrag“ genannt worden ist, um berechtigte Reparationsforderungen, unter anderem von Griechenland, unmöglich zu machen? Sieht die Bundesregierung diesen Zwei-plus-Vier-Vertrag in Wahrheit als einen Friedensvertrag, so wie der damalige Außenminister HansDietrich Genscher dies in seinen Memoiren mitgeteilt hat, und ist also dieser Vertrag nur deshalb nicht „Friedensvertrag“ genannt worden, um sich der Sorge zu entledigen, Reparationszahlungen zu leisten?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Herr Kollege Ströbele, ich habe Ihnen hier die Auffassung der Bundesregierung zum Geltungsbereich des Zwei-plus-Vier-Vertrages und der Charta von Paris dargelegt. Sie unterscheidet sich von Ihrer Interpretation. Damit haben wir in dieser Frage unterschiedliche Auffassungen. Aber die Auffassung der Bundesregierung ist diejenige, die ich hier zu vertreten habe.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Haßelmann hat das Wort zu einer Nachfrage.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, muss ich also davon ausgehen, dass dies die abgestimmte Auffassung der Bundesregierung ist? Ich frage das deshalb, weil vor zwei Wochen im Auswärtigen Ausschuss noch eine andere, sehr viel differenziertere Auffassung vertreten wurde. Also noch einmal meine Frage: Gibt es innerhalb der Bundesregierung keine Diskussion über eine politisch-moralische Verpflichtung, mit Griechenland über die Zwangsanleihe und die Zwangskredite zu reden?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Haßelmann, ich habe darauf hingewiesen, dass wir in der Drucksache 18/451 auf eine Reihe von Nachfragen aus der Fraktion Die Linke umfassend und auf breiter Front geantwortet haben. In 60 Sekunden kann ich nicht all das, was in dieser differenzierten und umfassenden Rechtsdarlegung steht, wiederholen. Aber zusammenfassend sehe ich juristisch keine Grundlage, auf der wir mit anderen Staaten verhandeln können. ({0}) Andere Fragen, die Sie in einem nichtjuristischen Kontext stellen, können im politischen Bereich und durch Mehrheitsentscheidungen des Deutschen Bundestages jederzeit geklärt werden. Aber die Bundesregierung sieht keinerlei rechtliche Grundlage für Verhandlungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Ralph Lenkert das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie vertreten ja die Meinung, dass Griechenland die gewährten Kredite an Deutschland zurückzuzahlen hat. Da stelle ich die Frage, ob aus Ihrer Sicht nicht gleiches Recht für alle gilt. Mit Blick auf die Zwangsanleihe von 1942 sind aus meiner Sicht folgende Fragen berechtigt: Wie steht die Bundesrepublik dazu, dass eingegangene Kreditverpflichtungen zu erfüllen sind, also zur Einhaltung des genannten Kriteriums? Will die Bundesregierung eingegangene Kreditverpflichtungen in diesem Punkt nicht erfüllen und damit einen Präzedenzfall schaffen? Dann könnten auch andere sagen: Okay, dann erfüllen auch wir unsere Verpflichtungen nicht.

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Ich halte Ihren Vergleich zwischen dem Sachverhalt, den Sie als „Zwangsanleihe“ charakterisieren, und der Kreditvereinbarung zwischen Ländern der Euro-Zone und den griechischen Autoritäten für nicht zutreffend. Folgerichtig glaube ich, dass Gleiches unterschiedslos und Ungleiches unterschiedlich behandelt werden muss. Dies ist die Auffassung der Bundesregierung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Annalena Baerbock auf: Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu den Plänen der bundeseigenen Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, LMBV, für ein Eisenhydroxidlager im Altdöberner See ein, wonach jährlich bis zu 200 000 Kubikmeter in den See gekippt werden sollen ({0})?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Baerbock, die Entscheidung zählt zum operativen Geschäft der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, welches die Geschäftsführung dieser GmbH zu verantworten hat. Folgende Gründe spielten bei dieser Entscheidung eine Rolle: Infolge des Grundwasserwiederanstiegs in den ehemaligen Braunkohlebergbaugebieten und des Zutritts in Fließgewässern kommt es zum Eintrag von Eisenfrachten, die zu der bekannten Verockerung der Fließgewässer und zu Verschlammungen der Gewässersohlen führen. Eine Beräumung der eisenhaltigen Sedimente ist oft unerlässlich zur Verhinderung einer Verschlechterung des Gewässerzustandes. Des Weiteren fallen bei der Behandlung eisenbelasteter Wässer in technischen oder in naturräumlichen Anlagen Eisenhydroxidschlämme verschiedener Konsistenz und Reinheit an, welche einer gesicherten Verbringung bedürfen. Vor diesem Hintergrund hat die LMBV alle technischen und wirtschaftlich umsetzbaren Maßnahmen zur Entnahme, zur Behandlung, zum Transport und zur sicheren Verbringung von Eisenhydroxidschlämmen untersucht. Als eine mögliche wirtschaftliche Variante wurde neben der Verwertung oder der Entsorgung auf einer Deponie auch eine Verspülung der Eisenhydroxidschlämme in den Altdöberner See herausgearbeitet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Das ist ja nicht so ganz Ihr Themenkomplex. Das BMU hat sich das auch schon einmal vor Ort angeguckt. Gibt es denn Gutachten, die garantieren können, dass es ökologisch korrekt ist, was dort passiert? Wir kennen ja andere Tagebauseen, bei denen gerade gegensätzlich verfahren wird. Da werden Seen, in denen sich Eisenhydroxid befindet, bekalkt, damit sich das Ganze setzt und der pH-Wert nicht ansteigt. Nun kippt man in einen ökologisch intakten See dieses Eisenhydroxid ein, obwohl es die Alternative der Deponierung gibt. Warum hat man diese Alternative hier nicht gewählt?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin, die chemische Veränderung der Wasserqualität von Seen durch die Einleitung von neutralen Eisenhydroxidschlämmen ist als sehr gering einzuschätzen und liegt meist im Bereich unterhalb der Nachweisgrenze. Neutrale Wasserkörper verhindern dabei eine Rücklösung von Schlammbestandteilen. Großvolumige und tiefe Seen sind aus ökologischer Sicht daher für eine Einspülung zu bevorzugen. Die ökologische Beeinflussung durch Trübstoffe hat allenfalls eine sehr geringe Relevanz. ({0}) Die Eisenhydroxidschlammeinleitung erfolgt über eine Schlammleitung in die tiefen Bereiche des Sees. Aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrungen bei der Einspülung solcher Schlämme in Bergbaufolgeseen sind keinerlei negative Auswirkungen bekannt. Deswegen hat die Geschäftsleitung diese Option vorgeschlagen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es gab ja vor Ort eine Anhörung mit der LMBV zu diesen Plänen, in der deutlich gemacht wurde, dass es nicht jahrzehntelange Erfahrungen gibt, sondern dass es von zwei anderen Seen, wo so verfahren wurde, bisher keine nachteiligen Testergebnisse gibt. Wir wissen aber von Seen aus der Lausitz, wie zum Beispiel dem Senftenberger See, dessen Restloch aus den 70er-Jahren stammt, dass es jetzt, also mehrere Jahrzehnte danach, Probleme mit Eisenhydroxid gibt. Sie haben gerade gesagt, dass es relativ unwahrscheinlich ist, dass es negative Auswirkungen geben könnte. Deswegen noch mal die Frage: Auf welcher ökologischen Grundlage wird diese Maßnahme vorgeschlagen? Warum wählt man nicht die Alternative der Deponierung?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin, im Rahmen einer Gesamtabwägung hat sich diese Vorgehensweise als eine mögliche herausgestellt. Selbstverständlich werden stets neue Erkenntnisse zu berücksichtigen sein; aber unter den bekannten Optionen ist dies eine zulässige.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Annalena Baerbock auf: Auf Basis welcher Gutachten und Erkenntnisse wählte die LMBV den Altdöberner See als bestmöglichen Ort, und was gab den Ausschlag, sich gegen Alternativen wie Deponierung oder Verwertung zu entscheiden?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Die LMBV als die operative und zuständige Geschäftsführung hat mir hierzu Folgendes mitgeteilt: Der aus einem Tagebaurestloch entstehende Altdöberner See befindet sich im Eigentum der LMBV. Die beabsichtigte Einleitung von Eisenhydroxidschlamm kann erst nach Vorliegen der erforderlichen Genehmigungen erfolgen. Die Einleitung von Eisenhydroxidschlämmen in den Altdöberner See ist durch folgende Gutachten abgedeckt: Gutachten von Herrn Professor Luckner aus dem Juli 2013 und Gutachten aus dem August 2014 von Dr. Uhlmann. Eine anderweitige Verwertung der anfallenden Mengen ist nach dem derzeitigen Stand der Technik entweder nicht möglich oder nicht finanzierbar.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage zur Finanzierbarkeit. Das betrifft wieder die Deponierung; es gibt nämlich diese Alternative. Die Deponierung wird im Gutachten der LMBV auch als die bessere Alternative ausgewiesen, weil es zu der anderen Alternative, der Versenkung in Seen, noch keine wirklichen Erkenntnisse gibt. Ist das Argument der Finanzierung, das Sie eben angesprochen haben, ausschlaggebend dafür, dass man jetzt die Einlagerung in Seen plant? Die LMBV gibt selber an, dass die Deponierung des Eisenhydroxidschlamms 70 Euro pro Kubikmeter kosten würde. Bei welchem Betrag läge denn das Kostenlimit für eine Deponierung?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Baerbock, die LMBV hat namens der Geschäftsführung mitgeteilt, dass es sich um eine Gesamtabwägung handelt und dass sie die Einleitung unter Berücksichtigung der verschiedenen Dimensionen, die ich hier auch dargestellt habe, als Instrument der Wahl akzeptiert. Genauere Kostenabschätzungen oder Grenzwertbetrachtungen liegen mir leider nicht vor.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Angesichts der großen Problematik und der Aussage der LMBV, dass sie selber dafür keine Lösung haben, schließt sich für mich eine weitere Frage an. 2017 wird das fünfte Verwaltungsabkommen zur Sanierung der Tagebaue auslaufen. Die Probleme sind nach wie vor ungelöst. Das zeigt das Beispiel des Schlammes. Wird die Bundesregierung ein sechstes Verwaltungsabkommen auflegen, und wird sie 2015 - auch angesichts der Kosten für die Beseitigung dieser Schlämme, die wir gerade diskutieren - die Mittel für die Tagebausanierung und insbesondere für die Spree-Verockerung noch einmal erhöhen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Frau Kollegin Baerbock, zu den beiden angesprochenen Sachverhalten gibt es derzeit noch keine abschließende Festlegung innerhalb der Bundesregierung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Lemke das Wort.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie uns in diesem Zusammenhang erläutern, welche Maßnahmen die Bundesregierung zu ergreifen beabsichtigt, um die Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie umzusetzen, zu deren Einhaltung sich die Bundesregierung ja im europäischen Rahmen verpflichtet hat? Was ist diesbezüglich als Vorsichtsmaßnahme vorgesehen?

Steffen Kampeter (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001062

Ich gehe davon aus, dass im Rahmen des Genehmigungsverfahrens, das ich angesprochen habe, alle notwendigen nationalen wie internationalen für das Gebiet des Sees geltenden rechtlichen Anforderungen erfüllt werden. ({0}) Die LMBV lässt auch keinen Zweifel daran, dass sie sich selbstverständlich an das geltende Recht hält.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Finanzen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Corinna Rüffer auf: Wie ist aus Sicht der Bundesregierung sichergestellt, dass bei einer Neufassung der Arbeitsstättenverordnung in dem Sinne, dass nur noch die Räume barrierefrei gestaltet sein müssten, die von Beschäftigten mit Behinderungen genutzt werden, berufliche Einsatzmöglichkeiten, Beförderungen und Versetzungswünsche von behinderten Beschäftigten innerhalb des Unternehmens nicht eingeschränkt werden?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Rüffer, ich beantworte Ihre Frage sehr gerne. Grundlage für den Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit ist das Arbeitsschutzgesetz. Nach dessen § 4 Nummer 6 hat der Arbeitgeber bei seinen Schutzmaßnahmen spezielle Gefahren für besonders schutzbedürftige Beschäftigungsgruppen besonders zu berücksichtigen. Die Arbeitsstättenverordnung ist Bestandteil des Arbeitsschutzrechts und wurde auf der Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes erlassen. Sie dient ausschließlich dem Schutz der Beschäftigten beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten. Mit den Regelungen zur barrierefreien Gestaltung in § 3 a Absatz 2 dieser Verordnung wird Ziffer 20 des Anhangs I der EU-Arbeitsstättenrichtlinie umgesetzt, in dem es heißt - ich zitiere -: „Die Arbeitsstätten sind gegebenenfalls behindertengerecht zu gestalten.“ Mit einer Änderungsverordnung zur Arbeitsstättenverordnung wird nun konkret vorgeschlagen, dass Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, nicht nur für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie von zugehörigen Türen, Verkehrswegen, Fluchtwegen, Notausgängen, Treppen, Orientierungssystemen, Waschgelegenheiten und Toilettenräumen zu sorgen haben, sondern künftig auch - so der Verordnungsentwurf barrierefreie Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräume, Kantinen, Erste-Hilfe-Räume und Unterkünfte bereitzustellen haben, die von Beschäftigten mit Behinderungen benutzt werden. Wenn durch berufliche Veränderungen wie zum Beispiel durch Beförderung ein Beschäftigter mit Behinderung seinen räumlichen Arbeitsbereich innerhalb des Unternehmens wechselt, so ist auch der neue Arbeitsbereich vom Arbeitgeber barrierefrei einzurichten. Die Novellierung der Arbeitsstättenverordnung wird derzeit noch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank für die Beantwortung der Frage so weit. - Sie hätten natürlich die Möglichkeit, nicht beim Minimum dessen zu bleiben, was gefordert ist, sondern darüber hinauszugehen. Warum haben Sie davon abgesehen, Regelungen, die weitergehend sind, zu treffen?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Der Vorschlag, den wir unterbreiten und der nun in der Abstimmung ist, stellt weder Maximum noch Minimum dar. Vielmehr ist er sachgerecht, weil er auf jede Weise Belange behinderter Beschäftigter berücksichtigt, auch einer Versetzung oder Beförderung nicht im Wege steht. Er sieht sachgerechte Lösungen vor.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Offensichtlich sehen viele Arbeitgeber, wenn sie die Möglichkeit haben, davon ab, Menschen mit Behinderung einzustellen. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass hier Nachholbedarf besteht. Uns liegt die Stellungnahme des Sozialverbands Deutschland vor, der zu einer anderen Einschätzung als Sie kommt. Mich interessiert nun: Befinden Sie sich im Austausch mit dem Sozialverband, um zu einer Lösung zu kommen, die vielleicht noch sachgerechter ist als das, was uns bisher vorliegt?

Gabriele Lösekrug-Möller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003482

Frau Kollegin Rüffer, inwieweit man „sachgerecht“ steigern kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber ich will Ihnen sagen: Wir befinden uns sehr wohl in einem engen Austausch mit dem Sozialverband und anderen Verbänden, die zu Recht ihr Augenmerk darauf richten, möglichst viele Menschen mit Schwerbehinderung in Arbeit zu bringen. Das ist eine Aufgabenstellung, der sich auch die Bundesregierung auf vielfältige Art und Weise widmet. Wir haben dazu besondere Programme. Ich will Sie nur auf Folgendes hinweisen: In § 26 der geltenden Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung geht es um Leistungen zur behindertengerechten Einrichtung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. In Absatz 1 unter Ziffer 1 heißt es: „die behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten“ - also nicht nur des Arbeitsplatzes - „einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte“ kann bezuschusst werden. Ich denke, das ist - im Wortsinn - sachgerecht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. - Wir sind damit schon am Ende Ihres Geschäftsbereiches. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Bärbel Höhn auf: Auf welchen Betrag belief sich das an Friedrich Merz bezahlte Honorar für seinen Beitrag auf der TTIP-Dialogveranstaltung ({0}) am 4. März 2015 im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, und welche Erkenntnisse zum Thema Agrarhandel wurden an dem Abend für die weitere politische Debatte um die geplanten Abkommen gewonnen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Frau Präsidentin! Liebe Frau Höhn, Friedrich Merz hat für seinen Vortrag weder ein Honorar verlangt noch eines erhalten. Ziel der Veranstaltung war, die Teilnehmer über Ziele und Chancen des Transatlantischen Freihandelsabkommens, TTIP, grundsätzlich und mit einem besonderen Blick auf die Chancen im Bereich landwirtschaftlicher Produkte und Lebensmittel zu informieren und über die weitere Umsetzung zu diskutieren. Die Diskussion während und nach der Veranstaltung war lebhaft. Wir haben neue Erkenntnisse gewonnen und gehen von einem großen Erfolg aus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Heute Morgen hat der Chefunterhändler der USA zu TTIP, Mister Mullaney, im Wirtschaftsausschuss gesagt, es gebe bestimmte Bereiche, in denen man die Standards gar nicht gegenseitig anerkennen könne. In diesem Zusammenhang hat er auch den Chemiebereich genannt. Das heißt, das betrifft in erheblichem Maße die Landwirtschaft. Sind Sie auch dieser Auffassung, oder wie wollen Sie mit einer solchen Aussage umgehen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Frau Höhn, in dem Verhandlungsmandat der Europäischen Union sind unsere Standards als schützenswert aufgenommen. Dieses Verhandlungsmandat wurde bislang nicht geändert. Also wird es eingehalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Heute Morgen hat der Chefunterhändler gesagt, dass die USA ein Gremium für regulatorische Kooperation gar nicht wollen. Eine regulatorische Kooperation sei die Forderung der EU. Wie ist da die Haltung des Ministeriums? Können Sie die Position der USA unterstützen, die gar keine Regulatory Corporations wollen, oder tun Sie das nicht?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Wir bleiben bei unserer Position, die in Europa abgestimmt ist. Darüber hinaus gibt es bisher keine Zugeständnisse. Wir bleiben bei den Schutzstandards, die wir in Europa haben. Unabhängig davon ist es natürlich jedem Verhandlungspartner freigestellt, Forderungen zu stellen. Ob sie erfüllt werden, ist eine andere Frage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zu einer Nachfrage hat der Kollege Harald Ebner.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich versuche heute Mittag etwas, was heute Morgen erfolglos war. Im Bericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zum Agrar- und Fischereirat bezüglich der internationalen Handelsfragen war zu lesen, eine weitere Liberalisierung des Agrarhandels bleibe ohne Wirkung auf die Agrarwirtschaft in Deutschland. Meine Frage an Sie ist: Wie kommen Sie zu dieser Auffassung, und wie wollen Sie sie begründen angesichts der Tatsache, dass wir erhebliche Unterschiede haben - ich verweise nur auf das Vorsorgeprinzip und das Haftungsprinzip -, auch hinsichtlich der Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen und der Kennzeichnungsfrage? Wie kommen Sie angesichts dessen zu der Auffassung, dass eine weitere Liberalisierung ohne jede Wirkung bleibt?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Ich würde diese Aussage noch ein Stück weit relativieren. Ich sehe bei einer weiteren Liberalisierung eine positive Wirkung auf die deutsche Landwirtschaft; denn die Lebensmittel, die wir in Deutschland herstellen, sind weltweit hoch anerkannt. Ich will nur das Beispiel „Babynahrungsmittel in China“ anführen. Wir haben einen tollen Ruf. Sie bestätigen ihn quasi, indem Sie gerade im Zusammenhang mit TTIP den hohen Standard unserer Lebensmittel loben und den anderer eher als minderqualifiziert betrachten. Ich sehe da keine Probleme auf uns zukommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Ralph Lenkert das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie führten aus, dass in dem Mandat für Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zu TTIP steht, dass die Standards der EU erhalten bleiben sollen. Dem widersprechen wir nicht. Aber gleichzeitig treten Sie in den Verhandlungen dafür ein, dass die anderen Standards anerkannt werden. Das führt zwangsläufig dazu, dass niedrigere Standards, zum Beispiel die in den Vereinigten Staaten, für Unternehmen gelten, die einen Sitz in den Vereinigten Staaten haben oder daher kommen. Demzufolge hätten wir parallel zwei Rechtsnormen: die Standards aus Europa für europäische Unternehmen und die Standards aus den USA für amerikanische Unternehmen bzw. für Unternehmen mit amerikanischen Wurzeln. In diesem Zusammenhang stellt sich für mich in Bezug auf den Mais folgende Frage: Der Pollenflug ist grenzenlos, die Rechtsstandards in den USA sind anders, und die USA wollen gerade auch die Lizensierung anpassen. Dort verklagt Monsanto Unternehmen, bei denen in dem von ihnen produzierten Mais Genpartikel aus ihren geschützten Pflanzen nachgewiesen wurden. Das Gleiche könnte trotz Opt-out-Klausel in Europa passieren. Können Sie sicher ausschließen, dass zum Beispiel dann, wenn genveränderter Mais in den Niederlanden angebaut wird und - trotz Opt-out-Klausel - in Deutschland durch Pollenflug Genveränderungen in Maispflanzen nachgewiesen werden, eine Klage von Monsanto gegen die hiesigen Landwirte erfolgt?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Ich glaube, Sie haben zwei Fragen gestellt. Alle Produkte, die in Europa und in Deutschland auf den Markt kommen, müssen den Bedingungen, die dort herrschen, entsprechen. - Punkt! Darüber hinaus wird kein Verbraucher gezwungen werden, Produkte zu kaufen, die er nicht möchte. Eine Antwort auf den dritten Punkt wird sicher mit der Beantwortung einer weiteren Frage, die Herr Kollege Ebner gestellt hat, gegeben werden können. Es gibt in Europa ein klares Gentechnikkennzeichnungsrecht, das in der damaligen rot-grünen Koalition unter Ministerin Künast abgestimmt worden ist. Darin ist vorgesehen, dass alle Produkte, die einen Anteil von mehr als 0,9 Prozent gentechnisch veränderter Bestandteile haben, zu kennzeichnen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Peter Meiwald das Wort.

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich beziehe mich auf die Antwort, die Sie gerade meinem Kollegen Herrn Ebner gegeben haben. Wenn Sie die Hochwertigkeit der landwirtschaftlichen Produkte in Deutschland - bei einiger Kritik, die wir an manchen Stellen auch haben - herausstellen, dann frage ich Sie: Wie wollen Sie denn vor dem Hintergrund dessen, dass in Amerika nicht alle Produkte in dieser Qualität erzeugt werden, gewährleisten, dass die Produkte der hiesigen Landwirte überhaupt noch eine Chance auf dem gemeinsamen Markt haben - gegen auf sehr großen Flächen agierende Billigproduzenten aus den Vereinigten Staaten?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Vielen Dank, auch für das Kompliment, was die Qualität unserer Lebensmittel angeht. Ich werde die Stelle im Protokoll später dick markieren. Inhaltlich ist Ihre Frage relativ einfach zu beantworten. Die Märkte sind offen. Wir glauben, dass wir mit unseren Lebensmitteln auf vielen Märkten große Chancen haben; das bestätigen auch die Erfolge im Export. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass unsere Bevölkerung bei ihren Kaufentscheidungen zu unterscheiden weiß, was die Frage angeht, welche Qualitätsstandards jeweils angeboten werden. Die Lebensmittel müssen natürlich die Anforderungen des europäischen Rechts und des deutschen Rechts erfüllen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 6 des Kollegen Harald Ebner: Inwieweit nimmt die Bundesregierung die Studie zu deutlich erhöhten Flugweiten von Maispollen ({0}) sowie die darauf basierende Entscheidung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, eine Überprüfung der Risikobewertung für den gentechnisch veränderten Mais 1507 vorzunehmen, zum Anlass, diesen Erkenntnissen durch eine Novellierung des Gentechnikgesetzes bzw. der Gentechnik-Pflanzenerzeugungsverordnung hinsichtlich erweiterter Abstandsregelungen sowie weiterer Koexistenzmaßnahmen zum Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft Rechnung zu tragen, und wenn nicht, warum sieht die Bundesregierung hier keinen Handlungsbedarf? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Ebner, neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen bei der Bewertung von gentechnisch veränderten Organismen mit einbezogen werden. Dies gilt auch für die im Oktober 2014 veröffentlichte Studie. Die wissenschaftliche Bewertung dieser Studie hat der zuständige GVO-Ausschuss der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit in seiner bereits im Dezember 2014 vorgeschlagenen Selbstbefassung angeregt. Auf Basis der Ergebnisse dieser Bewertung durch die zuständige europäische Behörde wird die Bundesregierung über das weitere Vorgehen entscheiden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Staatssekretär. - Sie haben allerdings nicht auf die explizite Frage nach erweiterten Abstandsregelungen und weiteren Koexistenzmaßnahmen geantwortet. Ich hätte auch ganz gern noch gewusst, ob Sie denn vor dem Hintergrund der genannten Studienergebnisse Ihren Plan überdenken, bei der Umsetzung der Opt-out-Klausel die Entscheidung über Gentechnikanbauverbote ausschließlich den Ländern zu überlassen. Natürlich ist das Risiko einer unerwünschten Verunreinigung durch GVO-Pollenflug wesentlich größer, wenn es zu einem Flickenteppich von Regionen mit und ohne Gentechnikanbau kommt, als wenn es zu der von uns favorisierten bundeseinheitlichen Lösung kommt. Werden Sie daraus Konsequenzen ziehen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, ich habe Ihnen schon berichtet, dass die neue Studie von der EFSA einer Bewertung unterzogen wird. Diese Bewertung wird - damit rechnen wir - im Juni dieses Jahres vorliegen und dann Grundlage für unsere Positionierung sein. Bisher hat die EFSA ein mathematisches Modell herangezogen. Die von Ihnen angesprochene Studie hat eine Power-Function-Vorgehensweise - so wird es jedenfalls beschrieben -, bei der experimentell gewonnene Daten als Grundlage für die Entscheidung über Abstände herangezogen werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Staatssekretär, Sie haben jetzt von Juni gesprochen. Sie haben aber zur Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Gentechnikgesetzes vorgelegt. Wenn ich den Zeitplan dazu richtig im Kopf habe, dann hilft die Bewertung der EFSA im Juni nichts mehr. Deshalb frage ich Sie jetzt noch einmal, wie schon in der ersten Nachfrage: Welche Konsequenzen werden Sie für das aktuell laufende Gesetzgebungsverfahren ziehen? Werden Sie die Verschiebung der Zulassung beispielsweise der Maislinie auch zum Anlass nehmen, zu sagen: „Jetzt ist dieser Druck erst einmal raus; jetzt können wir nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch Gutachten, die noch nicht vorliegen, berücksichtigen“? Ich frage insbesondere deshalb, weil das Umweltministerium nach Aussage der Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter erst vor kurzem ein eigenes Gutachten zur rechtssicheren bundeseinheitlichen Umsetzung der Gentechnikanbauverbote in Auftrag gegeben hat. Da wäre es doch nur recht und billig, wenn Sie mit Blick auf neue Erkenntnisse so viel Zeit einräumten, dass man darauf Rücksicht nehmen kann.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, Sie vermischen da einige Tatbestände. Das eine ist die Zulassung einer Sorte, und das andere ist die Regelung der Abstände. Weder das eine Gutachten, das ich vorhin angesprochen habe, noch das vom Umweltministerium liegt vor, sodass wir hier keine Entscheidungsmöglichkeit haben. Wir haben aber ein geltendes Gentechnikgesetz, das aufgrund bisheriger wissenschaftlicher Bewertung Abstände von 50 bis 80 Metern empfiehlt. Wir haben seinerzeit 150 Meter und bei ökologischem Anbau 300 Meter ins Gesetz geschrieben. Die Frage der Zulassung und die Frage der Regelung der Abstände sind zwei verschiedene Dinge.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Bärbel Höhn das Wort.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, heute im Agrarausschuss ging es um die Anbaugenehmigung einer herbizidtoleranten Rapslinie der Firma Cibus. Da ist mit neuen gentechnischen Methoden gearbeitet worden. Im Februar hat das BVL festgestellt, der Raps sei nicht gentechnisch verändert. Nun wissen wir aber: Rapspollen fliegen mit den Bienen mindestens so weit wie Maispollen. Die Vertreterin des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat im Agrarausschuss gesagt, es habe auch eine Minderheitenmeinung gegeben. Gibt es also Stellungnahmen von anderen Bundesbehörden, die diese Rapssorte kritisch sehen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Der letzte Teil Ihrer Frage kann von mir jetzt nicht beantwortet werden. Aber wir haben schon seit einigen Jahren Rapssorten, die gegen ein bestimmtes Pflanzenschutzmittel resistent sind, die auch in Deutschland auf mehreren Tausend Hektar angebaut werden. Wir haben seit 2008 sogar eine Maissorte im Anbau, die eine gewisse Resistenz aufweist. Diese Sorten sind aber nicht gentechnikbasiert gezüchtet und fallen insofern nicht unter das Gentechnikrecht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Lemke das Wort.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, die diesem Raps zugrundeliegende Technik, die Oligonukleotid-Technik, ist ja eine neue Technik, die von der Europäischen Kommission momentan daraufhin überprüft wird, ob sie unter die Regelungen des Gentechnikgesetzes fällt. Können Sie mir beantworten, wie die Bundesregierung dazu kommt, dieser Prüfung der EU-Kommission vorzugreifen und zu erklären, es sei keine gentechnische Veränderung und demzufolge sei das Gentechnikgesetz hier nicht anzuwenden?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Frau Kollegin Lemke, Sie sagen es selber: Die Europäische Kommission prüft, ob es ein gentechnisches Verfahren ist. Bevor diese Prüfung nicht abgeschlossen ist, sehen wir keinen Grund, eine andere Definition vorzunehmen. ({0}) - Bisher war es halt keine gentechnisch veränderte Sorte. ({1}) Wie gesagt, insbesondere bei Raps ist diese Sorte in Deutschland schon weit verbreitet; sie wird auch in meiner Heimatgemarkung seit einigen Jahren angewendet, und es gibt keine Probleme.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Meiwald das Wort.

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Vorsitzende. - Ich beziehe mich noch einmal auf den eben geführten Dialog zu der Frage, welche Konsequenzen denn die bisher noch nicht vorliegenden Dinge, wie Sie eben dem Kollegen Ebner geantwortet haben, in Bezug auf den Zeitplan der Novellierung des Gentechnikgesetzes haben. Planen Sie, den Zeitplan bis Juni auszudehnen, bis die entsprechenden Regelungen oder die entsprechenden Erkenntnisse vorliegen, oder wollen Sie das Gesetzesverfahren vorher so durchziehen, wie es bisher geplant war?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Wir bleiben bei dem Verfahrensstand und auch bei der zeitlichen Planung, was natürlich nicht ausschließt, dass im parlamentarischen Verfahren noch Verzögerungen entstehen. Ich habe ja vorhin schon mehrfach angedeutet und auch beschrieben, dass es sich um zwei unterschiedliche Dinge handelt: zum einen um die Zulassung und zum anderen um die notwendige Abstandsregelung, die aufgrund anderer wissenschaftlicher Erkenntnisse durch eine Prüfung eventuell anders geregelt werden muss. Ich weise aber darauf hin, dass nicht nur die Verbreitungsmöglichkeit von Pollen zu bewerten ist, sondern auch, ob deren Fruchtbarkeit bei größeren Entfernungen noch gegeben ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Kühn.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, auf welcher Grundlage hat sich denn die Bundesregierung für eine Genehmigung dieser Sorten ausgesprochen?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Die Bundesregierung hat im Rahmen der Zulassung von Sorten gehandelt. Da es sich hier nach Definition nicht um gentechnisch veränderte Sorten handelt, war eine andere Vorgehensweise nicht notwendig. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir befinden uns nicht im Dialog. Das wird nicht im Protokoll landen, solange das Mikrofon nicht an ist. Tut mir leid, Kollege Kühn. ({0}) Es gibt noch eine letzte Nachfrage zur Frage 6 von der Kollegin Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Da Dialoge in diesem Frageverfahren nicht möglich sind, möchte ich an das eben Gesagte anschließen. Eines verwundert mich schon, Herr Staatssekretär: Wir haben in Deutschland und in der EU das Vorsorgeprinzip verankert. Das heißt, wenn wir im Zweifel sind, dann gelten erst einmal Vorsicht und Abwarten. Genau das scheint die Bundesregierung in diesem Fall aber nicht zu tun. Es gibt offensichtlich unterschiedliche Auffassungen darüber, ob diese Sorte unter Gentechnik fällt oder nicht. Trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen handelt die Bundesregierung nicht gemäß dem Vorsorgeprinzip; sie wartet nicht ab, was eine ohnehin gestartete Prüfung ergibt, sondern genehmigt die Zulassung. Das verstehe ich nicht. Ich bitte Sie daher um Aufklärung darüber, wie das sein kann und wie es zur Umkehrung des bisherigen Verhaltens gekommen ist.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Ich habe bereits angedeutet, dass sich diese Sorten schon einige Jahre im praktischen Anbau befinden. Insofern ist das keine neue Erkenntnis, die Sie jetzt hier aufwerfen. ({0}) - Bei den Rapssorten - das habe ich ja selber erlebt gibt es bereits eine mehrjährige Anbauerfahrung. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 7 des Kollegen Harald Ebner: Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich der Entscheidung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL, die Einsatzgenehmigung für die Insektizide Dipel ES und Karate Forst in Naturschutzgebieten in das Ermessen der Behörden der Bundesländer zu stellen, ohne die bisher zwingende Voraussetzung einer Notfallzulassung durch das BVL vorzusehen ({0}), und wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die bis zum 19. Februar 2015 gültigen Einsatzbeschränkungen für Insektizidausbringung mit Luftfahrzeugen ({1}) durch neu geschaffene Ausnahmetatbestände im Rahmen der Neuregelung aufgeweicht wurden ({2})? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Frau Präsidentin! Herr Kollege Ebner, das BVL, also das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, hat die Anwendungsbestimmungen mit einer Öffnungsklausel für die Länder versehen, die ein sachgerechtes Handeln vor Ort ermöglicht, wenn von der Grundannahme für die Voraussetzungen einer Genehmigung abweichende Bedingungen vorliegen. Es handelt sich hier ohnehin um ein Verfahren, bei dem das BVL die grundsätzliche Eignung eines zugelassenen Pflanzenschutzmittels für die Anwendung mit Luftfahrzeugen feststellt, die Zuständigkeit für die Genehmigung der Anwendung vor Ort aber den Ländern obliegt. Die Länder müssen dem BVL ausführlich berichten, wenn sie von der Öffnungsklausel Gebrauch machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, spannend wird es, wenn wir einen Schritt zurückgehen und die Ursachen dafür betrachten, warum man überhaupt der Meinung ist, diese Pflanzenschutzmittel im Wald zu benötigen. Deshalb frage ich Sie, welche Initiativen und Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen wird, um den Ausbau des ökologischen Waldumbaus zu fördern und so dank einer erhöhten ökologischen Stabilität des Waldökosystems dem Auftreten der extrem großen Baumschädlingspopulationen in Wäldern vorzubeugen.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Herr Kollege Ebner, wir haben eine Waldstrategie beschlossen, die die nachhaltige Waldwirtschaft beschreibt. Darin werden im Grunde genommen die Fragen beantwortet, die Sie gestellt haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Über die Waldstrategie haben wir schon mehrmals diskutiert. Da gibt es offenbar unterschiedliche Auffassungen. Ich bin nicht der Meinung, dass die Waldstrategie meine Fragen beantwortet; sonst hätte ich nicht fragen müssen, Herr Staatssekretär. Ich habe nach weiteren Schritten gefragt. Dann müssten wir uns die Frage nach den Pflanzenschutzmitteln an dieser Stelle nicht stellen, sondern könnten sagen, dass alles auf einem guten Wege ist. Sie haben die Kriterien angesprochen, die die Bundesumweltbehörden vorgelegt haben, beispielsweise die naturschutzfachlichen Kriterien; diese sind zu beachten. Ich frage Sie: Durch welche Maßnahmen wird der Bund sicherstellen, dass die vorgelegten Kriterien von den zuständigen Länderbehörden bei ihrer Entscheidung über die Anwendung in der Praxis uneingeschränkt umgesetzt werden?

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Ich habe schon berichtet, dass das BVL, also das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, erst einmal die Zulassung erteilt und dass die Anwendung dann von den Ländern genehmigt oder gegebenenfalls auch versagt wird. Ich nehme an, dass die Länder eine Einschätzung der Notwendigkeit eines Einsatzes durchaus vornehmen. Im Übrigen ist das BVL die Zulassungsbehörde. Sie wird die Einschätzung der von Ihnen angesprochenen Institute anhören. Sie muss sie nicht in der Entscheidungsfindung berücksichtigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Lemke hat das Wort zu einer Nachfrage.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich habe noch eine Nachfrage zum BVL. Es hat am 5. Februar 2015 - also nicht jahrelang zurückliegend, sondern das ist eine ganz aktuelle Entscheidung - den sogenannten RTDS-Raps als nicht als Gentechnik im Sinne des Gentechnikgesetzes eingestuft. Das heißt, wir reden über eine brandaktuelle und zeitnahe Einstufung, die erfolgt ist, obwohl, wie ich ausgeführt hatte, die Europäische Kommission im Moment prüft, ob diese spezielle Technik unter Gentechnikrecht fällt oder nicht. Können Sie mir noch einmal erklären, warum Sie hier vorgeprescht sind? Es geht nicht um das Weiterbestehen von zugelassenen Dingen, sondern um eine aktuelle Entscheidung, obwohl die EU-Kommission sich diesbezüglich in einem Prüfverfahren befindet. Nach meiner Auffassung versuchen Sie, da Fakten zu schaffen und die Prüfung der EU-Kommission zu unterlaufen; es geht nicht darum, althergebrachte Sorten weiterlaufen zu lassen.

Peter Bleser (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000198

Meine Aussage bezog sich nicht auf den aktuellen Fall, ({0}) sondern auf eine schon vor Jahren zugelassene Rapssorte mit dem Namen Clearfield. Noch einmal: Die geltende Rechtslage lässt die von mir getroffene Aussage zu. Eine andere Einstufung ist nicht erfolgt. Entsprechend ist hier zu handeln. Man kann hier auch nicht aufgrund einer nichtexistenten Rechtslage eine Genehmigung versagen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende der Geschäftsbereiches. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks zur Verfügung. Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Steffi Lemke auf: Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung aus Anlass des Rücktritts des Bürgermeisters in Tröglitz zur Stärkung der Zivilgesellschaft, und wie kann nach Auffassung der Bundesregierung das bereits vorhandene Angebot der vom Bund geförderten Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus verstetigt und ausgebaut werden? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Vielen Dank. - Ich möchte die Frage meiner Kollegin Frau Lemke wie folgt beantworten: Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert seit 2007 das zivile Engagement im Burgenlandkreis, zu dem auch der Ort Tröglitz gehört. Seit Anfang des Jahres erhält der Landkreis aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ Mittel in Höhe von 55 000 Euro, um den vormaligen „Lokalen Aktionsplan“ als „Partnerschaft für Demokratie“ weiterzuentwickeln. Der Landkreis selber sieht als Themenschwerpunkte die Demokratiestärkung im ländlichen Raum und die Arbeit gegen rechtsextreme Orientierungen und Handlungen. Des Weiteren fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit 400 000 Euro in diesem Jahr das Landes-Demokratiezentrum in SachsenAnhalt, welches unter anderem zur Aufgabe hat, eine nachhaltige Beratungs-, Informations- und Vernetzungsstruktur auf Landesebene zu etablieren. Über das Landes-Demokratiezentrum werden auch die Mobilen Beratungsteams finanziert. Das zuständige regionale Beratungsteam von Miteinander e. V. hat seit Beginn des Jahres die Ereignisse in Tröglitz beobachtet und auch Kontakt zu kommunalen Akteuren gehalten. Von daher ist es sehr bedauerlich, dass es zum Rücktritt des Bürgermeisters, Herrn Nierth, kam. Aus verschiedenen Bundesländern wird uns vermehrt berichtet, dass die mobilen Beratungsteams wegen Protestkundgebungen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen verstärkt um Rat gebeten werden. Die Bundesregierung fördert also bereits seit längerem das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus im Burgenlandkreis und ist gerade dabei, dieses Engagement im Rahmen des im Januar neu gestarteten Bundesprogramms „Demokratie leben!“ mit seiner fünfjährigen Laufzeit auch in Sachsen-Anhalt zu verstetigen und auszubauen. Auf der Bundesebene plant zudem das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement mit Unterstützung meines Ministeriums ein Treffen mit ehrenamtlichen Bürgermeistern, um neue Herausforderungen bei der Demokratiestärkung in kleinen Kommunen zu besprechen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Staatssekretärin, vor allem auch dafür, dass Sie hier das Engagement von Miteinander e. V. und von anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen noch einmal ausdrücklich würdigen und auch - ich interpretiere Ihre Aussage zumindest so - eine Verstetigung der Mittel für diese zivilgesellschaftlichen Organisationen in Aussicht stellen bzw. versprechen. Das ist nicht immer so gewesen. Sie kennen die Situation, dass man sich dort häufig von Jahr zu Jahr gehangelt hat. Von daher nehme ich diese Ausführungen, wie gesagt, wirklich mit Dankbarkeit zur Kenntnis. Ich wollte mit meiner Frage eigentlich primär einen Diskurs anstoßen; denn es hat mich gestört, dass nach dem Rücktritt von Herrn Nierth primär darüber diskutiert worden ist, was wir am Versammlungsrecht ändern können und müssen. Ich finde es richtig, diese Debatte zu führen, und habe auch das Schreiben von Bundestagspräsident Lammert und die Ausführungen von Herrn Gauck heute zur Kenntnis genommen. Ich glaube nur, dass dem Problem nicht dadurch Abhilfe geschaffen wird, dass die Demonstration in Zukunft 100 Meter vom Haus des Bürgermeisters entfernt verläuft. Vielmehr müsste die Kernreaktion auf den Rücktritt von Herrn Nierth im Burgenlandkreis, in Tröglitz, eigentlich sein, das zivilgesellschaftliche Engagement und auch die öffentliche Debatte darüber zu befördern. Das war eigentlich der Anlass meiner Frage. Denn Herr Maas, der Innenminister Sachsen-Anhalts und viele andere haben sich, wie gesagt, zum Demonstrationsrecht geäußert, obwohl die Debatte um das Zurückdrängen von rassistischen Einstellungen aus meiner Sicht viel wichtiger, entscheidender und notwendiger ist. Von daher sollten Sie meine Äußerungen nicht als Nachfrage verstehen, sondern als Bitte und Ermunterung, sich stärker mit diesen Punkten in den Diskurs einzubringen, damit das Thema nicht hinten runterfällt und sich nach dem Schreiben von Herrn Lammert nicht nur der Innenausschuss mit Tröglitz beschäftigt, sondern auch die anderen Ausschüsse. - Danke, Frau Präsidentin. Ich habe dafür keine zweite Nachfrage. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut. - Konnten Sie eine Frage identifizieren, auf die Sie antworten möchten?

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Ja, das kann ich, Frau Präsidentin.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Sehr geehrte Kollegin, ich bedanke mich ganz herzlich für Ihr Statement, das mit einer Aufforderung verbunden ist. Auch wir halten es - genau in dem Sinne, wie Sie es formuliert haben - für wichtig, nicht ausschließlich über das Versammlungsrecht zu diskutieren. Damit verbindet sich sicherlich auch eine wichtige Frage, der nachgegangen werden muss; aber es ist eben ganz besonders wichtig, das zivile Engagement zu stärken. Genau so haben wir das Programm „Demokratie leben!“ im Ministerium aufgestellt und die Bundes- und Landesinitiativen sowie die mobilen Beratungsnetzwerke wie Miteinander e. V., die ich eben genannt habe, gestärkt. Genau das sind die Antworten, die wir geben, um das zivile Engagement zu stärken, um Menschen zu ermutigen, zu stärken und dazu zu ertüchtigen, im Sinne unserer Demokratie unterwegs zu sein und sich im Kampf gegen rechtsextremistische Anfeindungen zu Wort zu melden. - Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Da die Frage 9 der Kollegin Scharfenberg schriftlich beantwortet werden soll, sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereiches. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach zur Verfügung. Die Frage 10 der Kollegin Scharfenberg soll schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Corinna Rüffer auf: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung angesichts der Berichterstattung über die Probleme in der bedarfsgerechten Versorgung von älteren, erkrankten oder behinderten Menschen mit Windeln ({0}), im Sinne der Betroffenen tätig zu werden und zu verhindern, dass diese sich im Einzelfall an das Bundesversicherungsamt wenden oder geeignete Produkte selbst finanzieren müssen? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Frau Kollegin Rüffer, ich danke Ihnen für die Frage, weil sie mir die Möglichkeit gibt, in meiner Antwort deutlich zu machen, in welcher Rechtslage wir uns befinden. Deswegen beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung haben gemäß § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen sind oder durch Rechtsverordnung ausgeschlossen sind. Im Bereich der Versorgung mit aufsaugenden Inkontinenzhilfen werden zwischen den Kassen und den Leistungserbringern überwiegend Versorgungspauschalen vereinbart. Diese sind eine im Rahmen der gesetzlichen Regelungen zulässige und in der Praxis auch bei anderen Hilfsmitteln übliche vertragliche Gestaltungsmöglichkeit. Die Höhen der Versorgungspauschalen beruhen auf einer Mischkalkulation, da sie sowohl Versorgungsfälle mit leichter Inkontinenz als auch solche mit mittlerer und schwerer Inkontinenz erfassen. Bei dieser Vertragsart trägt der Leistungserbringer ein hohes Maß an Verantwortung für Art, Umfang und Qualität der von der Monatspauschale umfassten Leistungen. Daher sind detaillierte vertragliche Regelungen und eine Überprüfung, ob diese eingehalten werden, besonders wichtig. Nach dem Kenntnisstand des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen wird diesem Grundsatz in den Verträgen grundsätzlich ausreichend Rechnung getragen. In diesen Verträgen wird der Leistungserbringer zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Versorgung verpflichtet. Art und Umfang der Versorgung haben sich indikationsbezogen und nach dem jeweiligen Bedarf des Versicherten im Einzelfall zu richten, bzw. die Versorgung muss in Qualität und Quantität dem konkreten Bedarf des Anspruchsberechtigten gerecht werden. Es ist Aufgabe der Krankenkasse, zu überprüfen, ob die von den Leistungserbringern erbrachten Leistungen den vertraglichen Anforderungen auch entsprechen. Versicherte, die den Eindruck haben, dass sie oder ihre Angehörigen unzureichend versorgt werden, sollten sich mit ihrer Krankenkasse in Verbindung setzen. Sollte deren Reaktion den Versicherten nicht zufriedenstellen, besteht darüber hinaus die Möglichkeit, sich an die jeweilige Aufsichtsbehörde zu wenden. Dies ist für die bundesunmittelbaren gesetzlichen Krankenkassen das Bundesversicherungsamt. Bundesunmittelbar sind die Krankenkassen, deren Zuständigkeit sich über mehr als drei Bundesländer erstreckt. Krankenkassen, deren Zuständigkeit sich nicht über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, unterliegen regelmäßig der Landesaufsicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Beantwortung der Frage. - Ich möchte darauf hinweisen - ich habe mich in meiner Frage auf einen Artikel bezogen, der vor kurzem im Spiegel veröffentlicht wurde -, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern dass es sehr viele Menschen gibt - in der Bundesrepublik sind es 1,5 Millionen Menschen -, die auf entsprechende Rezepte angewiesen sind. Ich bin nicht nur die behindertenpolitische Sprecherin meiner Fraktion, sondern auch im Petitionsausschuss tätig, und ich kann Ihnen sagen, dass diese Beschwerden keine Einzelfälle sind, sondern massiv auftreten; das ist in dem von mir genannten Artikel, den ich Ihnen zur Lektüre empfehle, sehr schön zusammengefasst. Wie die Krankenkassen mit den Pauschalen umgehen, das ist sehr unterschiedlich. Aber es kommt häufig vor, dass Betroffene über 100 Euro pro Monat aus eigener Tasche zuschießen müssen. Die Kassen sind auf der einen Seite zwar zur Sparsamkeit, auf der anderen Seite aber auch zur Qualitätssicherung verpflichtet. Ich stelle Ihnen daher die Frage: Sind Sie der Meinung, dass diesem Anspruch Genüge getan wird bzw. dass die Beschwerdemöglichkeiten, die Sie geschildert haben, ausreichend sind, um das Problem, das perspektivisch zunehmen wird, in den Griff zu bekommen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ich bin der Meinung, dass die geltenden rechtlichen Regelungen zur Hilfsmittelversorgung grundsätzlich geeignet sind, eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung mit Inkontinenzhilfen sicherzustellen. Allerdings - und da gebe ich Ihnen recht - muss den Einzelbedarfen der Versicherten Rechnung getragen werden. Deswegen ist es richtig und, wie ich denke, auch nachvollziehbar, dass dann das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde eingeschaltet wird und das Ganze überprüft. Nach meiner Kenntnis liegen dem Bundesversicherungsamt fünf Beschwerden vor, sodass es sich jetzt damit beschäftigen und klären kann, ob dem Anspruch der Versicherten nachgekommen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke noch einmal. Das ist auch die Empfehlung, die Herr Laumann gegeben hat. - Ich für meinen Teil bin mit der Beantwortung dieser Frage noch nicht zufrieden. Es ist richtig, dass die Zuständigkeit für bundesunmittelbare Kassen beim Bundesversicherungsamt und für landesunmittelbare Kassen wie AOK bei den Landesbehörden liegt. Sie sprechen von fünf Beschwerden. Dies halte ich für ziemlich tief gestapelt; denn der Petitionsausschuss hat schon mehr entsprechende Petitionen vorliegen. Das ist also merkwürdig. Im Jahresbericht des Bundesversicherungsamtes sind diese Probleme bei der Qualität der Hilfsmittelversorgung nicht einmal aufgeführt. Wenn man im Internet stichprobenartig recherchiert, dann findet man, was die Landesbehörden angeht, auch keine Ansprechmöglichkeiten. Ich muss einfach sagen, dass der Patient im Einzelfall ziemlich aufgeschmissen ist, wenn er sich mit seiner Beschwerde irgendwohin wenden möchte, um eine Lösung zu finden. Sehen Sie das auch so, können Sie das nachvollziehen, und was gedenken Sie zu tun? Oder haben Sie aus Ihrer Sicht einfach keine Handlungsspielräume?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Zunächst einmal habe ich von fünf Eingaben beim Bundesversicherungsamt gesprochen. Das hat nichts damit zu tun, wie viele Petitionen eingegangen sind; das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Ich kann nur darüber berichten, wie viele Eingaben dem Bundesversicherungsamt vorliegen. Die Aufgabe der Qualitätskontrolle obliegt auch den Krankenkassen. Ich sehe die Krankenkassen daher schon in der Verantwortung, dieser Qualitätskontrolle nachzukommen. Dadurch, dass das Ganze öffentlich wird - ich halte es für richtig, dass Versicherte, die in einer solchen Situation sind, diese Beschwerden auch öffentlich machen -, haben wir jetzt die Möglichkeit, herauszufinden, ob eine einzelne Krankenkasse Probleme hat, es bei anderen Kassen anders ist oder ob es ein generelles Problem ist. Dann müsste darüber nachgedacht werden, mit welchen Möglichkeiten, zum Beispiel auch mithilfe der Vertragspartner der Bundesmantelverträge, Veränderungen möglich und wie es zum Beispiel bei der Versorgung mit Hörgeräten war.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Wunderlich hat das Wort zu einer Nachfrage.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ich sehe es ähnlich wie meine Kollegin Rüffer; ich denke auch, Sie haben die Frage nicht hinreichend beantwortet. Es ist danach gefragt worden, welche Möglichkeiten die Bundesregierung sieht, um eben gerade zu verhindern, dass sich Betroffene an das Bundesversicherungsamt wenden müssen. Sie haben hier die Situation dargestellt; Sie haben geschildert, wie die Pauschalen zustande kommen, dass sie auf einer Mischkalkulation beruhen und dass für den Einzelfall die Betroffenen die Möglichkeit haben, sich bei bundesunmittelbaren Kassen an das Bundesversicherungsamt und ansonsten an die zuständigen Landesbehörden zu wenden. Die Frage ist aber, welche Möglichkeiten die Bundesregierung sieht, diese Situation zu verhindern.

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Herr Kollege Wunderlich, ich habe sehr deutlich gemacht, dass wir bei der gesetzlichen Regelung, die es im Moment gibt, davon ausgehen, dass sie grundsätzlich geeignet ist, den Anforderungen im Bereich der Hilfsmittel zu entsprechen. Erster Ansprechpartner - das habe ich auch gesagt - sind die Krankenkassen und erst im zweiten Schritt das Bundesversicherungsamt. Es ist legitim, dass der Bundesgesetzgeber auf die geltende Rechtslage verweist, wenn er den Eindruck hat, dass sie ausreichend ist. Dies ist zurzeit der Fall. Es gab einen Artikel im Spiegel. Wir verfolgen jetzt, welche Informationen das Bundesversicherungsamt bekommt und ob es weiteren Handlungsbedarf gibt. Im Moment - ich sage es noch einmal; das habe ich sehr deutlich gemacht - gehen wir davon aus, dass die derzeitige gesetzliche Grundlage ausreichend ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches. Herzlichen Dank. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle zur Verfügung. Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Gastel sollen schriftlich beantwortet werden wie auch die Fragen 14 und 15 des Kollegen Stephan Kühn. Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Herbert Behrens auf: Wird die Bundesregierung die im Gesetzentwurf zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen ({0}) prognostizierte Haushaltswirkung „ohne Erfüllungsaufwand“, welche auf der „Prognose der Einnahmen aus dem Verkauf von Vignetten an Halter von im Ausland zugelassenen Fahrzeugen im Rahmen der Einführung einer Infrastrukturabgabe“ basiert, im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsprozesses vor allem vor dem Hintergrund abweichender Schätzungen ({1}) umfassend plausibilisieren und validieren lassen ({2}), und wenn ja, wann soll die eingehende Überprüfung der Haushaltswirkung abgeschlossen werden? Bitte, Herr Staatssekretär.

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die vom Kollegen Behrens geforderte Plausibilisierung der Einnahmeprognose hat bereits stattgefunden, und zwar durch die „Wissenschaftliche Überprüfung der BMVI-Prognose der Mauteinnahmen durch ausländische Pkw“ von Herrn Universitätsprofessor Dr. Wolfgang H. Schulz und anderen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Nachfrage bezieht sich auf die Anhörung heute Morgen. Wir haben heute Morgen Herrn Schulz mit am Tisch gehabt, aber eben auch andere, die insbesondere die Methodik von Herrn Schulz infrage gestellt haben und zu anderen Ergebnissen gekommen sind. Nach Auffassung dieser Sachverständigen werden nicht bis zu 700 Millionen Euro allein durch ausländische Mautzahler eingenommen. Deren Schätzungen für die Einnahmen liegen zwischen 170 Millionen Euro und 240 Millionen Euro. Das sind exorbitante Abweichungen. Deshalb frage ich noch einmal: Ist nach dem Vortrag, den wir heute Morgen gehört und diskutiert haben, nicht jetzt eine Situation entstanden, in der es sinnvoll ist, sich noch einmal den Stresstest von Herrn Professor Schulz vorzunehmen und ihn hinsichtlich seiner Plausibilität kritisch zu hinterfragen?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Herr Kollege Behrens, es gab nicht nur heute Morgen eine öffentliche Anhörung im Verkehrsausschuss. Am Montag fand bereits eine öffentliche Anhörung im Finanzausschuss zu diesem Themenkreis statt. Beide Anhörungen ergaben, dass es unterschiedliche Auffassungen unterschiedlicher Experten gibt. Das ist nicht verwunderlich. Die Bundesregierung sieht sich in keiner Weise veranlasst, ihre Auffassung zu revidieren, sondern sie sieht sich durch diese Anhörungen bestätigt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Behrens.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie sehen sich also nicht veranlasst, nochmals zu überprüfen, weil Sie das aus Ihrer Sicht ausreichend gemacht haben. Fakt ist aber, dass erheblich andere Zahlen vorgelegt wurden und die angewandten Methoden erhebliche Abweichungen bei den Ergebnissen zur Folge hatten. Auch das veranlasst das Ministerium nicht, noch einmal zu überlegen, ob die Faktenlage nicht doch ein bisschen dünn ist, wenn man sich nur auf den Gutachter Schulz konzentriert?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Noch einmal, Herr Kollege Behrens: Andere Studien, zum Beispiel die Studie von Herrn Ratzenberger, legen zum Beispiel hinsichtlich der Fahrtzwecke bestimmte Annahmen zugrunde. Wir legen unseren Untersuchungen andere Annahmen zugrunde. Die Untersuchungen von Herrn Ratzenberger und anderen machen wir uns nicht zu eigen. Auch die neuesten Äußerungen von Schmid Mobility Solutions machen wir uns nicht zu eigen, da sie nach unserer Auffassung Rechenfehler enthalten. Insofern sehen wir uns nicht veranlasst, unsere Annahmen infrage zu stellen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Behrens auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Kritik an der Pkw-Maut seitens der Europäischen Kommission ({0}), die Pkw-Mautpläne der Bundesregierung würden gegen das europäische Diskriminierungsverbot verstoßen, und welchen Einfluss hätte nach Ansicht der Bundesregierung die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens auf ein Ausschreibungsverfahren bezüglich der vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur favorisierten Übertragung der Berechnung, Erhebung und Verwaltung der Infrastrukturabgabe an einen privaten Dritten ({1})? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Der erwähnte Artikel ist der Bundesregierung bekannt. Die darin erwähnten Bewertungen, dass die Gesetzentwürfe zur Einführung einer Infrastrukturabgabe und für ein Zweites Verkehrssteueränderungsgesetz nicht EU-rechtskonform seien, decken sich jedoch nicht mit der Rechtsauffassung der Bundesregierung. Vor diesem Hintergrund stellt sich aus der Sicht der Bundesregierung die Frage der Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens nicht.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Behrens.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Barthle, ich meine, Sie waren dabei, als der Europarechtler Professor Mayer sein Statement zu der Frage der Europarechtskonformität abgab. Er hat gesagt, dieser Gesetzentwurf sei im Kern nicht europarechtskonform. Hat diese eindeutige Aussage eines renommierten Professors nicht auch bei Ihnen Nachdenken ausgelöst und die Frage aufgeworfen, ob mit dem einen Gutachter, den Sie herangezogen haben, wirklich die volle Breite der juristischen Meinungen erfasst wird?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Herr Kollege Behrens, Sie waren dabei, als ein anderer anerkannter Rechtsprofessor uns in unserer Auffassung vollumfänglich bestätigt hat. Deshalb wiederhole ich meine Aussage: Wir sehen uns durch die Ergebnisse der beiden öffentlichen Anhörungen in dieser Woche in unserer Rechtsauffassung bestätigt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Behrens.

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Muss ich dann aus diesen Antworten, die Sie mir jetzt geben, schließen, dass es eigentlich egal ist, ob wir weitere Anhörungen mit Experten durchführen oder nicht, weil Sie auf jeden Fall Ihre Rechtsauffassung durch eigene Experten bestätigt sehen?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Dass es zu einem bestimmten Sachverhalt unterschiedliche juristische Auffassungen gibt, ist nichts Neues und nicht verwunderlich. Wir sehen aber unsere Auffassungen in den Expertenmeinungen, die auch zu hören waren, bestätigt. Deshalb sehen wir uns nicht veranlasst, unsere Auffassung zu ändern.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich bedanke mich. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf. Die Beantwortung der Fragen wird der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold übernehmen. Ich rufe zunächst die Frage 18 der Abgeordneten Steffi Lemke auf: Wie bewertet die Bundesregierung die beschriebene Erleichterung des Insektizideinsatzes in Naturschutzgebieten hinsichtlich der Aussagen des Gemeinsamen Informationspapiers von Bundesamt für Naturschutz ({0}) und Umweltbundesamt ({1}) zu Pflanzenschutz im Wald ({2}), wonach der großflächige Einsatz sowohl von Dipel ES als auch von Karate Forst eine erhebliche Gefährdung für Nichtzielorganismen darstellt, da das Risiko einer deutlichen Reduktion bis hin zur lokalen Ausrottung von Populationen ökologisch sensibler Arten besteht sowie eine ökologische Gefährdung durch die genannten Wirkstoffe auch Wochen nach der Anwendung existiert, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung der genannten Bundesumweltbehörden, dass die Auswirkungen der genannten Insektizide in Naturschutzgebieten auf gefährdete bzw. geschützte Arten auch bei Einhaltung der Anwendungsbestimmungen „unvertretbar hoch ausfallen“ können? Herr Pronold.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Die Anwendung der in Ihrer Frage angesprochenen Pflanzenschutzmittel in Naturschutzgebieten bleibt nach wie vor grundsätzlich verboten. Den vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erteilten Bestimmungen zufolge dürfen Genehmigungen von den zuständigen Landesbehörden nur im Ausnahmefall und nur nach naturschutzfachlicher Prüfung durch die zuständigen Naturschutzbehörden erteilt werden. Das genannte Informationspapier vom Bundesamt für Naturschutz und vom Umweltbundesamt dient der fachlichen Unterstützung dieser Prüfung. Eine Anwendung darf auch nur dann genehmigt werden, wenn sie im Sinne der Zweckbestimmung des Naturschutzgebietes unbedingt erforderlich ist, also dem Naturschutz dient. Die Bundesländer müssen die Ausnahmegenehmigung an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit berichten, wie wir bereits vorhin in der Beantwortung durch meinen Kollegen gehört haben, sodass der Umfang der Nutzung der Ausnahmemöglichkeiten transparent bleibt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, vielen Dank. - Ich habe die Ausführungen von BfN und UBA ein bisschen als Alarmruf, als Warnruf verstanden, dass es dort die Sorge gibt, dass der Einsatz dieser Insektizide in Naturschutzgebieten in der kommenden Saison deutlich erhöht sein könnte. Wie ist Ihre Einschätzung, Ihre Prognose diesbezüglich?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Es ist so, dass sich eine Zuständigkeitsverlagerung ergeben hat. Bisher mussten diese Genehmigungen, die in Notfallsituationen möglich waren, durch das zuständige Amt auf Bundesebene erfolgen. Jetzt ist die Zuständigkeit auf die Länder verlagert worden. Wie ich dargestellt habe, müssen dabei die naturschutzfachlichen Bewertungen der Naturschutzbehörden mitberücksichtigt werden. Natürlich gibt es in solchen Fällen, vor allem angesichts des Einsatzes dieser Mittel in der Vergangenheit, immer Debatten und Sorgen. Deswegen ist diese erhöhte Transparenz durch eine Berichtspflicht gegenüber den Bundesbehörden unheimlich wichtig. Auch das von Ihnen angesprochene Papier macht ja die hohen Anforderungen, die für solche Genehmigungen durch Landesbehörden gelten müssen, deutlich.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Sie haben es jetzt geschafft, drei Minuten lang nicht auf meine Frage einzugehen. Diese bezog sich darauf, ob Sie erwarten, dass es jetzt einen erhöhten Einsatz dieser Insektizide geben wird. Ich vermute, auch Sie haben im letzten Jahr die extrem emotional aufgeladenen und kontroversen Debatten über die Frage des Einsatzes verfolgt. Ich deute Ihre Nichtantwort auf die Frage, ob der Einsatz von den Landesbehörden in Zukunft häufiger erlaubt werden wird, jetzt einmal als eine Zustimmung zu der Vermutung, dass das so sein wird. Deshalb versuche ich, noch einmal nachzufragen. Es ist ja öffentlich bekannt, dass es diesbezüglich einen Dissens zwischen Landwirtschaftsbehörden, Forstbehörden und den Umwelt- und Naturschutzbehörden gibt. BfN und UBA sind ja nicht irgendwelche sorgenäußernden Umweltschützer, die Sie vielleicht nicht allzu sehr ernst nehmen würden, sondern es sind die obersten Bundesbehörden, die für diese Thematik zuständig sind. Dort wird diese Sorge geäußert. Der Staatssekretär aus dem Landwirtschaftsministerium hat hier aber vor einer Viertelstunde geantwortet: Das wird genauso weitergehen; die Landesbehörden machen das schon alles. Da Sie die Praxis der Landesbehörden und die Konflikte vor Ort kennen, frage ich Sie noch einmal, ob das Bundesumweltministerium Maßnahmen einleitet, um dafür Sorge zu tragen, dass in Zukunft nicht mehr als bisher gesprüht wird.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Die Zuständigkeit dafür liegt, wie vorhin ausgeführt worden ist, beim BVL. Sie ist jetzt an die entsprechenden Landesbehörden delegiert worden. Dabei müssen aber hohe Anforderungen gelten, die mit der bisherigen Ausnahmegenehmigungsmöglichkeit auf Bundesebene, den sogenannten Notfallzulassungen, vergleichbar sind. Ich tue mich mit Prognosen immer schwer, weil sie, wie Karl Valentin einmal festgestellt hat, auf die Zukunft gerichtet sind. Ich will aber der Einschätzung des Landwirtschaftsministeriums, dass es, auch aufseiten der Landesbehörden, weiterhin zu einer sehr restriktiven Anwendung kommen wird, nicht widersprechen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ebner, möchten Sie eine weitere Frage stellen?

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, haben die Bundesbehörden denn Möglichkeiten, auf die Entscheidungen der Landesbehörden Einfluss zu nehmen, sollten die genannten naturschutzfachlichen Kriterien nicht im erforderlichen Maße beachtet werden? Wenn ja, welche haben sie? Wenn nein, warum haben sie diese Möglichkeiten nicht, und wäre das nicht höchst bedenkenswert?

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Ich habe vorhin dargestellt, dass es eine Berichtspflicht gibt und dass es darüber hinaus eine Verlagerung hin zu den fachlich zuständigen Behörden in den Ländern gegeben hat. Im Rahmen der Berichtspflicht werden wir erkennen, ob es zu einem vermehrten Einsatz kommt. Wenn hier Handlungsbedarf besteht, wird man sich das - das gilt auch für den Gesetzgeber - noch einmal anschauen müssen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ebner, haben Sie noch eine Frage?

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn ich darf, gerne. - Ich bin jetzt etwas verwirrt. Ich hatte ja gefragt: Haben die Bundesbehörden die Möglichkeit, auf eine Entscheidung, bei der die naturschutzfachlichen Kriterien nicht beachtet wurden, direkt Einfluss zu nehmen? Wenn diese Kriterien nicht beachtet werden, hat das für den Naturhaushalt erhebliche Konsequenzen. Dann muss man doch nachjustieren können, und das nicht erst in zwei Jahren, wenn der Bericht vorliegt.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Noch einmal: Auch die Landesfachbehörden sind an die naturschutzrechtlichen Vorgaben gebunden. Wir gehen davon aus, dass die zuständigen Länderfachbehörden ebenso wie die Fachbehörden des Bundes - hier gilt das Gebot der Unabhängigkeit, und in die fachlichen Entscheidungen der Fachbehörden wird vonseiten der Bundesregierung nicht eingegriffen - den gesetzlichen Grundlagen und Normierungen entsprechend entscheiden werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Fragen 19 und 20 der Abgeordneten Heike Hänsel werden schriftlich beantwortet. Dann kommen wir zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Wir kommen zur Frage 21 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl: Auf wessen Veranlassung hin wurde der kanzleramtsinterne Vermerk „Einstweilige Stilllegung nach § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG“ in seinen zwei Fassungen vom Frühjahr 2011 erstellt ({0}), und welche Erinnerung an eine etwaige Nutzung des Vermerks in der Hausleitung jenseits des damaligen Abteilungsleiters 3 haben die damals an dem Vorgang beteiligten Personen, die heute noch im Bundeskanzleramt tätig sind, wie beispielsweise der Gruppenleiter 32 und das Referat 321 ({1})? Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin Kotting-Uhl, der Umgang mit dem in der mündlichen Frage genannten Schriftstück war bereits Gegenstand einer schriftlichen Frage von Ihnen, die von der Bundesregierung kürzlich beantwortet wurde; Sie weisen in Ihrer Frage selbst darauf hin. Daher bleibt mir jetzt eigentlich nur, zu sagen: Über die Information hinaus, die Sie vonseiten der Bundesregierung in der Antwort auf die schriftliche Frage 1 auf Bundestagsdrucksache 18/4246 erhalten haben, liegen dem Bundeskanzleramt nach meinem Kenntnisstand keine weiteren Erkenntnisse zum Sachverhalt vor.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Frau Staatsministerin, ein bisschen anders war meine neue Frage schon formuliert. Weil ich auf meine vorherige Frage keine befriedigende Antwort bekommen habe, habe ich sie bewusst anders formuliert und gefragt, auf wessen Veranlassung hin dieser kanzleramtsinterne Vermerk denn gefertigt wurde. Weil in diesem Vermerk kurz nach dem Ereignis von Fukushima festgehalten wurde, dass das BMU und die Länder die Anordnung aufgrund eines Gefahrenverdachts begründen würden - es ging um das Moratorium, also um die vorübergehende Stilllegung der Atomkraftwerke -, und weil das Ganze derzeit eine ziemlich öffentlich geführte Debatte ist, erscheint es mir etwas unglaubwürdig und unwahrscheinlich - erlauben Sie mir, dies zu sagen -, dass sich mit diesem Vermerk intern niemand befasst. Daneben erscheint es mir auch unwahrscheinlich, dass dieser Vermerk damals zwischen dem Unterabteilungsleiter und dem Abteilungsleiter hin- und hergereicht wurde, aber niemand Weiteres davon Kenntnis genommen und darauf reagiert haben soll. Deshalb lautet meine Frage jetzt: Auf wessen Veranlassung und für wen wurde dieser Vermerk geschrieben?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Staatsministerin.

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen gerne noch einmal das sagen, was Sie im Grunde ja schon wissen: Aus den Akten des Bundeskanzleramtes ergibt sich, dass ein Schriftstück mit der Überschrift „Einstweilige Stilllegung nach § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG“ am Mittwoch, den 16. März 2011, per E-Mail von dem zuständigen Gruppenleiter 32 an den Abteilungsleiter 3 weitergeleitet wurde. Nach Prüfung innerhalb des Bundeskanzleramtes liegen zum weiteren Umgang damit, der Aufschluss über eine Befassung der Hausleitung - das ist ja das, was Sie fragen im Sinne der Feststellung geben könnte, keine Informationen vor. Ein Rücklauf o. Ä. findet sich in den Akten nicht. Dasselbe gilt für eine aktualisierte Fassung, die undatiert ist, aber offenbar einige Wochen später erstellt wurde. Diese Antwort ist weiterhin gültig.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Sie entschuldigen bitte, dass ich sage, dass mich das etwas an den Begriff des Mauerns erinnert. Der zweite Teil meiner Frage bezog sich nicht auf Akten, sondern ausdrücklich auf die Erinnerung der Menschen, die sich mit diesem Vermerk damals befasst haben, also zum Beispiel auf den Gruppenleiter 32 und die Menschen im Referat 321. All diese Menschen sind noch da; das kann man dem Organisationsplan entnehmen. Es kann ja nicht sein, dass sich auch diese Menschen nicht mehr an diesen Vermerk erinnern - weder daran, wer ihn veranlasst hat, noch daran, für wen er geschrieben wurde. Auch das will ich noch hinzufügen: Die Aktualisierung wurde offensichtlich nach Gesprächen mit den Energieversorgern vorgenommen; denn es wird sich in der aktualisierten Variante auf eine Kritik der Energieversorger bezogen. Wer hat also die Gespräche mit den Energieversorgern geführt? Nach all dem frage ich im zweiten Teil meiner Frage. Welche Erinnerung an eine etwaige Nutzung des Vermerks in der Hausleitung haben die Personen, die sich nachweislich mit dem Vermerk befasst haben, weil sie ihn geschrieben haben? Das muss man eigentlich beantworten können. Wenn man das nicht tut, dann will man das nicht.

Not found (Gast)

Wie Sie wissen, war ich damals noch nicht im Bundeskanzleramt. ({0}) Deswegen schaue ich natürlich auf die Aktenlage. Es liegen im Bundeskanzleramt keine weiteren Erkenntnisse dazu vor. Nach Aktenlage wurde das Schriftstück an den damaligen Abteilungsleiter 3 geleitet; das habe ich schon gesagt. Ob es von ihm oder von jemand anderem erbeten wurde, konnte nicht ermittelt werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht die Staatssekretärin Iris Gleicke zur Verfügung. Ich rufe die Frage 22 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl auf: Hat die Bundesregierung im Jahr 2015 und im Jahr 2014 im Zuge von Gesprächen mit den vier großen Energieversorgungsunternehmen, die vorrangig nichtnukleare oder zumindest nichtnuklearspezifische energiepolitische Fragen wie Versorgungssicherheit, Netzstabilität oder Kapazitätsmechanismen betreffen, auch über den weiteren Umgang mit deren Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung von Atomkraftwerken und Atommüll gesprochen, und, falls ja, wann genau ({0})? Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Danke, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Kollegin Kotting-Uhl, die Bundesregierung pflegt aufgabenbedingt Kontakte zu einer Vielzahl von Unternehmen, ohne diese systematisch zu erfassen. Eine lückenlose Aufstellung von sämtlichen Kommunikationsvorgängen einschließlich der tatsächlichen Gesprächsinhalte kann daher grundsätzlich nicht übermittelt werden. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund die erbetene Abfrage durchgeführt. Zu Gesprächen mit Vertretern der vier großen Energieversorgungsunternehmen verweist die Bundesregierung auf ihre Antwort auf die Kleine Anfrage betreffend „Kontakte der Bundesregierung zur Energiewirtschaft im Rahmen der Marktliberalisierung der Ökostromförderung“, Bundestagsdrucksache 18/2078. Über die Kleine Anfrage hinaus wurden nach den vorliegenden Unterlagen die unten stehenden Gespräche mit Vertretern der vier großen Energieversorgungsunternehmen im Jahr 2015 und im Jahr 2014 geführt. Für sämtliche Termine ist nicht auszuschließen, dass neben anderen Themen auch die Rückstellungen für Stilllegung und Rückbau von Kernkraftwerken und die Entsorgung radioaktiver Abfälle angesprochen wurden. Nun die Auflistung:

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

13. Oktober 2014: Gespräch mit einem Vertreter der RWE AG. Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben, Peter Altmaier: 27. März 2014: Gespräch mit einem Vertreter der Eon SE; 1. Dezember 2014: Gespräch mit Vertretern der RWE AG; 5. Dezember 2014: Gespräch mit Vertretern der Eon SE; 3. Februar 2015: Gespräch mit einem Vertreter der EnBW AG; 17. Februar 2015: Gespräch mit einem Vertreter der RWE AG; 16. März 2015: Gespräch mit einem Vertreter der Eon SE. Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Werner Gatzer: 19. Dezember 2014: Gespräch mit Vertretern der RWE AG. Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Frau Dr. Barbara Hendricks, gemeinsam mit Staatssekretär Jochen Flasbarth: 5. Dezember 2014: Gespräch mit Vertretern von Eon SE. Die Thematik der Atomrückstellungen wurde als aktueller Punkt am Rande angesprochen. Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, hat nachfolgend genannte Gespräche geführt, die vorrangig nichtnukleare oder zumindest nichtnuklearspezifische energiepolitische Fragen wie Versorgungssicherheit, Netzstabilität oder Kapazitätsmechanismen betrafen. Dabei ist teils auch in allgemeiner Form und am Rande über den weiteren Umgang mit den Rückstellungen für Stilllegung und Rückbau von Kernkraftwerken und die Entsorgung radioaktiver Abfälle gesprochen worden: 13. Februar 2014: Gespräche mit Vertretern der Eon SE; 18. Februar 2014: Gespräch mit einem Vertreter der RWE AG; 14. März 2014: Gespräch unter anderem mit Vertretern der RWE AG, der Vattenfall GmbH und der EnBW AG; 11. November 2014: Gespräch mit Vertretern der Vattenfall GmbH; 24. November 2014: Gespräch unter anderem mit Vertretern von Eon, RWE, EnBW und Vattenfall. - Sie bekommen das natürlich, wie üblich, schriftlich.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich habe eben im Interesse der Klarheit des Sachverhaltes zugelassen, dass die Redezeit deutlich überschritten wurde.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Aber es ging um das Fragerecht des Parlaments. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Deshalb sage ich ja: Ich habe das zugelassen, weil ich denke, es dient der Sache. Ich bitte trotzdem darum, für die Zukunft zu versuchen, die Redezeit einzuhalten. Frau Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, für die Großzügigkeit. - Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Vorhalt, die Fragen in Zukunft anders zu verfassen, richtig ist; denn falls die Frage richtig gelesen und beantwortet wurde, heißt das, dass bei all diesen Gesprächen, die Sie in Ihrer langen Liste aufgeführt haben, auch über die Rückstellungen gesprochen wurde. Das war schließlich meine Frage.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich habe eingangs gesagt, unter welchen Voraussetzungen wir die Abfrage gemacht haben, liebe Frau Kollegin Kotting-Uhl, ({0}) und habe ganz klar gesagt, dass nicht auszuschließen ist, dass auch dieses Thema am Rande angesprochen wurde.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut. - Dann beziehe ich mich in meiner ersten Nachfrage auf den Koalitionsvertrag.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Entschuldigung, Frau Präsidentin, Sie geben mir das Wort.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich gebe Ihnen das Wort für Ihre zweite Nachfrage.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gut, dann eben meine zweite Nachfrage. - Ich habe schon zweimal schriftlich die Antwort bekommen: Entsprechend dem Koalitionsvertrag beabsichtigt die Bundesregierung, mit den Kernkraftwerke betreibenden Energieversorgungsunternehmen Gespräche über die Umsetzung ihrer rechtlichen Verpflichtung zur Tragung der Kosten für … den Rückbau der Kernkraftwerke und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle zu führen. Eine konkrete Planung für derartige Gespräche liegt derzeit nicht vor. Das heißt also: Konkret liegt die Planung nicht vor. Aber es gibt nach dem Koalitionsvertrag ganz klar die Absicht, diese Gespräche zu führen, und zwar nicht irgendwie nebenbei oder vielleicht zufällig, sondern ganz konkret. Beim zweiten Mal bekam ich noch den Hinweis darauf, dass man die Expertenanhörung von Anfang März noch auswerten und einfließen lassen wolle. Das ist sicherlich schon passiert. Insofern die Frage für die nächste Zukunft: Wann sind diese konkreten Gespräche genau zu dem Punkt „Rückstellungen“ geplant, und in welche Richtung geht die Auswertung der Anhörung im Wirtschaftsausschuss?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Über die Ihnen gerade vorgelesenen schriftlichen Antworten der Bundesregierung zu den Planungen dieser Gespräche hinaus liegen keine weiteren Planungen vor.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frage 23 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird schriftlich beantwortet. Damit rufe ich jetzt die Frage 24 der Abgeordneten Dr. Verlinden auf: Welche Initiativen hat die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass ein zentraler Bestandteil des NAPE der Bundesregierung die Top-Runner-Strategie ist, diesbezüglich seit Beschluss des NAPE sowohl national als auch bei der Europäischen Union gestartet, um die im NAPE angenommenen Effizienzpotenziale dieses Instruments zu heben? Frau Staatssekretärin.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Liebe Kollegin Dr. Verlinden, unter dem Dach der nationalen Top-Runner-Initiative bündelt die Bundesregierung verschiedene Maßnahmen, um die EU-ordnungsrechtlichen Aktivitäten für produktbezogene Energieeffizienz im Rahmen der Ökodesign- und der Energieverbrauchskennzeichnungs-Richtlinie national zu unterstützen und konzeptionell weiterzuentwickeln. Ziel der Initiative ist es, die Kompetenz und Motivation für Stromeffizienz, produktbezogene Energieeffizienz und rationelle Energienutzung bei den entscheidenden gesellschaftlichen Effizienzakteuren, also Geräteherstellern, Handel und Verbrauchern, zu stärken und energieeffiziente Produkte, Top-Runner, schnell und nachhaltig in den Markt zu bringen. Die Bundesregierung setzt sich zudem in den Diskussions- und Abstimmungsprozessen auf europäischer Ebene für eine ambitionierte Umsetzung und Weiterentwicklung der Instrumente Ökodesign und Energieverbrauchskennzeichnung, also Labelling, ein. Im Rahmen der nationalen Top-Runner-Initiative sollen neue Ansätze zur Förderung des intelligenten und systemorientierten Einsatzes von energieeffizienten ProParl. Staatssekretärin Iris Gleicke dukten entwickelt und integriert werden. Ansätze hierfür sind etwa die Entwicklung einer Onlinedatenbank zur verbesserten Information von Verbraucherinnen und Verbrauchern und Handel, ein Forum für StakeholderDialoge mit den verschiedenen Effizienzakteuren zu aktuellen und konzeptionellen Fragestellungen oder eine „Open Innovation Plattform“ zur Entwicklung neuer Produktideen. Derzeit werden die einzelnen Elemente mit den betroffenen Akteuren diskutiert und ausgestaltet. Das Detailmanagement der Initiative wird in den nächsten Monaten ausgeschrieben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Dr. Verlinden.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich habe jetzt leider nicht allzu viel Neues im Vergleich zu dem gehört, was schon im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz steht. Deswegen war meine Frage, wie es jetzt konkret weitergeht. Mich interessiert vor allem, inwiefern die Bundesregierung Verschärfungen plant. Wie möchte die Bundesregierung die Ökodesign-Richtlinie weiterentwickeln? Wie möchten Sie dafür sorgen, dass noch mehr Energie eingespart wird? Welche ganz konkreten Änderungen haben Sie bei der Ökodesign-Richtlinie vor? Und vor allen Dingen: Welche Strategie verfolgen Sie, um die anderen EU-Mitgliedstaaten von Ihren Vorstellungen zu überzeugen? Es ist schließlich wichtig, dass man in Brüssel dafür wirbt. Wollen Sie zum Beispiel bei den Lampen die geplante sechste Verordnungsstufe wie im ursprünglichen Zeitplan vorgesehen umsetzen? Welche anderen Ideen gibt es, mit denen Sie bei der ÖkodesignRichtlinie vorangehen können, um gerade in Brüssel zu zeigen, dass es Ihnen ernst ist mit dem Thema?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Wir setzen uns gerade bei der Ökodesign-Richtlinie - Sie wissen, das ist im Prinzip die Mindestanforderung, die gestellt wird - für ambitionierte Ziele ein, sodass die Projektgruppenebene regelmäßig angepasst wird. Sie wissen, dass im Herbst zum Beispiel neue Standards gesetzt werden, was Heizanlagen und auch Warmwasseraufbereitung angeht. ({0}) - Das sind aber wichtige Dinge. Das ist eine Daueraufgabe. Sie sprechen nur die Ökodesign-Richtlinie an. Deshalb will ich Ihnen sagen: Für uns ist es wichtig, dass wir mit den Herstellern, also mit denjenigen, die solche Produkte entwickeln, im Gespräch bleiben, damit wir diese ambitionierten Ziele, also den neuesten Stand der Technik, in diesen Design-Richtlinien implementieren können und immer mit im Auge behalten, damit es auch zielführend ist. Vielleicht ganz kurz zur Energieverbrauchskennzeichnung. Dabei geht es uns natürlich auch darum, dass die Aussagefähigkeit dieser Label angepasst wird und wirklich gegeben ist.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Dr. Verlinden.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Gleicke, ich muss gestehen, ich habe nicht herausgehört, wie Sie die Ökodesign-Richtlinie substanziell verbessern wollen. Sie haben gesagt, dass Sie zur Ökodesign-Richtlinie stehen, dass die weiteren Produktgruppen überarbeitet werden müssen usw. Aber das ist ein Prozess, der bereits in Brüssel in Gang gesetzt wurde, auf den sich alle Mitgliedstaaten geeinigt haben und den wir von Ihnen erwarten. Worin liegt das substanziell Neue, mit dem wir zusätzlich Energie einsparen können, wie es im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz angekündigt wurde und das über das hinausgehen soll, das ohnehin im Impact Assessment der Europäischen Union vorgesehen ist? Das habe ich bei Ihren Ausführungen nicht herausgehört. Im Gegenteil: Auf meine explizite Nachfrage, was die Lampen angeht, haben Sie eher drum herumgeredet. Ein Beispiel könnte sein, dass man absolute Obergrenzen für den Verbrauch einzelner Produkte anspricht. Das sind alles Punkte, die in der Debatte sind. Dazu würde ich gerne etwas ganz Konkretes von Ihnen hören.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Das kann ich gut verstehen. Allerdings sind wir zwar sehr findig und auch pfiffig, aber wir erfinden nicht die Geräte, und wir sind nicht die Akteure in all den Produktgruppen. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass wir durch das nationale Top-Runner-Programm mit den Akteuren wie den Herstellern und Verbrauchern im Gespräch sind, damit wir wissen, was bei ihnen stattfindet, und das auch auf die europäische Ebene tragen können. Ich verstehe Sie gut. Es geht uns oft ähnlich, wenn auf europäischer Ebene etwas sehr langwierig ist, aber wir sind bei diesen Prozessen darauf angewiesen, dass ein europäischer Richtlinienvorschlag erstellt wird. Wir jedenfalls drängen in den Gesprächen darauf, dass wir ordentliche Standards bekommen, und zwar in beiden Richtlinien.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kühn, Sie haben das Wort.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, meine Nachfrage zielt auf Folgendes: Die nationale TopRunner-Initiative soll Einspareffekte bringen, die im Nationalen Aktionsplan enthalten und beschrieben sind. Sie haben drei Maßnahmen aufgeführt: Neben der Daten8842 Christian Kühn ({0}) bank und dem Dialog soll eine zusätzliche Plattform entstehen. Wann rechnen Sie mit CO2-Einspareffekten daraus, und wie hoch sind sie voraussichtlich bis 2020?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Die im Nationalen Aktionsplan geschätzten Einspareffekte - wie Sie wissen, sind entsprechende Mittel zugewiesen worden - sind auf wissenschaftlicher Basis errechnet worden. Wir haben das aber nicht sozusagen in Jahresscheiben scharfgestellt. Denn Sie wissen genauso gut wie ich, dass es beispielsweise bei neuen Geräten, die auf den Markt kommen, auch darauf ankommt, dass sie bei den Verbrauchern auf Akzeptanz stoßen, damit sie diese Geräte kaufen. Insofern kann ich jetzt keine Zahlen und Schätzungen darstellen, und schon gar nicht jahresscheibenscharf. Ich glaube, dass eine Datenbank, wie wir sie auch sozusagen als Blaupause für die Europäische Union entwickeln wollen, ein ganz entscheidender Faktor ist, damit Verbraucherinnen und Verbraucher in den Suchmaschinen nicht nur abfragen können, wo der billigste Kühlschrank zu finden ist, sondern auch der effizienteste. Darum muss es gehen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben bereits ein ausgeprägtes Bewusstsein, was die Energieeffizienz angeht, und wir wollen ihnen Möglichkeiten eröffnen, auf entsprechende Produktinformationen zurückzugreifen. Das wird auch zur Minderung der CO2-Emissionen beitragen und Energieverbräuche senken.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Ich rufe jetzt die Frage 25 der Abgeordneten Dr. Verlinden auf: Hat die Bundesregierung inzwischen weitere Maßnahmen identifiziert und bzw. oder entschieden, wie sie die Einsparlücke schließen will, die nach wie vor besteht, um das Ziel, 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs bis zum Jahr 2020 einzusparen, zu erreichen, selbst wenn der NAPE komplett umgesetzt werden sollte? Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Liebe Kollegin Frau Dr. Verlinden, mit dem Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz, NAPE, wird ein maßgeblicher Beitrag zur Erreichung des Ziels, den Primärenergieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent zu senken, erbracht. Der NAPE umfasst die Maßnahmen, die auf der Seite der Energienachfrage, das heißt beim Energieverbrauch, wirken. Dies ist der Schwerpunkt der Energieeffizienzpolitik, und dies sind oftmals auch die besonders kosteneffizienten Maßnahmen. Darüber hinaus enthalten die energie- und klimapolitischen Beschlüsse vom Dezember 2014 unter anderem für den Verkehrsbereich und den Stromsektor weitere Maßnahmen, die ebenfalls zu einer Verringerung des Primärenergieverbrauchs beitragen werden. Darüber hinaus sind die im NAPE zitierten Prognosen konservativ gerechnet. So lag die im vergangenen Jahr erreichte tatsächliche Reduktion des Primärenergiebedarfs über dem in den einschlägigen Szenarien prognostizierten Wert. Daher sind wir zuversichtlich, das Ziel zu erreichen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Dr. Verlinden.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist interessant, dass Sie das letzte Jahr ansprechen. Die Zahlen werden von einigen Wissenschaftlern so interpretiert, dass es vor allem an dem sehr milden Winter lag.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Er hat mit Sicherheit dazu beigetragen.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Genau. Insofern wäre ich vorsichtig und würde nicht sagen, dass wir auf jeden Fall auf dem richtigen Weg sind, im Gegenteil. Sie haben zu Recht gesagt, dass der Nationale Aktionsplan Energieeffizienz nur einen Teil der Einsparungen abdeckt und dass Sie weitere Maßnahmen planen. Sie haben auch gesagt, in welchen Sektoren diese Maßnahmen ergriffen werden sollen. Genau darauf bezog sich meine Frage. Welche Maßnahmen genau wollen Sie in den entsprechenden Sektoren umsetzen? Wann wird die Bundesregierung hierzu Beschlüsse fassen und Gesetzentwürfe in den Bundestag einbringen? Über welche Maßnahmen werden wir noch vor der Sommerpause beraten? All das ist interessant, um abzuschätzen, ob Sie Ihr eigenes Energieeinsparziel bis zum Jahr 2020 überhaupt erreichen können.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Unabhängig davon, dass das Senken des Energieverbrauchs und die Minderung des CO2-Ausstoßes Dauerthemen sind, will ich deutlich sagen, dass wir uns im Strombereich mitten in einer Debatte über ein Weißbuch befinden. Die Konsultationen darüber, wie das Strommarktdesign im Erzeugerbereich zukünftig aussehen soll, haben wir gerade abgeschlossen. Eng damit verknüpft ist die Frage nach der zukünftigen Ausgestaltung der KraftWärme-Kopplung, KWK. Es geht darum, dass die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung zum zukünftigen Strommarktdesign passt. Deshalb wollen wir beide Entscheidungen miteinander verzahnen. Wenn die Grundsatzentscheidung gefallen ist, werden wir sehr rasch das KWK-Fördergesetz anpassen; darüber werden wir dann hier debattieren. Um das nationale Klimaschutzziel bis 2020 zu erreichen, müssen alle Sektoren einen zusätzlichen Minderungsbeitrag erbringen. Weitere 22 Millionen Tonnen CO2 werden unter besonderer Berücksichtigung des Stromsektors und des europäischen Zertifikatehandels erbracht. Dazu werden wir im Sommer einen Regelungsvorschlag vorlegen. Wir haben heute im Ausschuss schon darüber debattiert, dass Bundesminister Gabriel am Zertifikatehandel auf europäischer Ebene sehr ambitioniert mitwirkt. Wir werden also wahrscheinlich zu einer rechtzeitigen Lösung kommen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Dr. Verlinden.

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie können sich sicherlich vorstellen, dass ich mit Ihren Antworten noch immer nicht ganz zufrieden bin. Ich möchte genauer wissen, was Sie dort planen. Vielleicht können Sie darauf eingehen, wann wir damit rechnen können, dass wir hier im Plenum über die KWK-Novelle beraten werden. Es ist sehr wichtig, die Kraft-WärmeKopplung voranzubringen. Es ist allerhöchste Zeit, den Betreibern von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen Planungssicherheit zu geben, damit sie wissen, was auf sie zukommt. Meine andere Frage lautet: Plant die Bundesregierung, im Bereich der Bürgerenergiewende Maßnahmen zugunsten der Energieeffizienz durchzuführen, zum Beispiel Bürgerenergieeffizienz-Contracting und Bürgerenergieeffizienzgenossenschaften zu unterstützen? Welche Instrumente sieht die Bundesregierung dafür vor? Vielleicht können Sie auch darauf eingehen, wie viele Energieeffizienznetzwerke sich bislang gegründet haben; auch das ist ein Punkt Ihres Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz. Sie wollen, dass sich innerhalb der nächsten Jahre 500 Netzwerke gründen und bei diesem Thema entsprechend aufstellen. Mich interessiert, wie viele Gründungen es schon gibt.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Das muss ich schriftlich nachreichen; ich weiß jetzt nicht, wie viele sich schon gegründet haben. Wie Sie wissen, legen wir bei den Ausgaben auf Contracting und entsprechende Maßnahmen Wert; das haben wir immer wieder deutlich gemacht. Im Laufe der nächsten Zeit wird es Diskussionen zum Beispiel darüber geben, welche Effekte im Verkehrsbereich dadurch entstehen, dass die Lkw-Maut auf Bundesstraßen ausgeweitet wurde, was dazu führt, dass Ausweichverkehre nicht mehr stattfinden. Auch das kann natürlich einen Beitrag leisten. Das wird sich aber erst nach einer gewissen Zeit quantifizieren lassen. Ich will solche Maßnahmen nur mit ansprechen, weil wir in unserer Lebensumwelt an vielen Stellen die Möglichkeit haben, Energie einzusparen, ja, Energieeffizienz zu leben, will ich einmal sagen. Was die Vorlage des KWK-Gesetzes angeht: Ich habe gerade gesagt: Wir sind dabei, die öffentlichen Anhörungen zum Strommarktdesign auszuwerten. Wir verknüpfen aber KWK und Strommarktdesign, weil beides zusammenpassen muss; sonst haben diejenigen, die damit umgehen sollen, keine ordentliche Handhabbarkeit. Ich kann Ihnen im Moment das genaue Datum für eine Vorlage nicht nennen. ({0}) - Liebe Frau Dr. Verlinden, wir arbeiten mit Hochdruck daran.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Eine Nachfrage noch des Kollegen Lenkert.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Energieeffizienz gibt es ja in vielen Bereichen. Über 20 Terawattstunden bzw. etwa 6 Prozent des in Deutschland erzeugten Stromes gehen allein durch den Transport, also durch das Hin- und Herschieben des Stromes zwischen Nord und Süd oder Ost und West, verloren. Dies alles wird nicht bezahlt von den Stromhändlern - sie brauchen für die Transportverluste nicht aufzukommen -, es wird nicht von der Großindustrie und auch nicht von den Erzeugern des Stromes gedeckt; vielmehr müssen für diese Verluste die normalen Stromkunden über die Netzentgelte, also mit der Stromrechnung, bezahlen. Wir reden hier über eine Gesamtsumme, die im letzten Jahr etwa 134 Millionen Euro betrug. Ich frage Sie: Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um zum einen die Energieverluste durch das Hin- und Herschieben des Stromes zu reduzieren, sprich: diese Verluste zu beseitigen, und um gleichzeitig eine der Ursachen dieser ineffizienten Wirtschaftsweise zu bekämpfen, dass man im Prinzip sowohl die Erzeuger als auch die Großkunden und die Händler an den Transportkosten beteiligt, damit dadurch der Transportbedarf sinkt und unter anderem Materialeffizienz entsteht, sodass wir nicht so viele neue Stromtrassen brauchen?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Lenkert, ich kann die Ihrer Frage zugrundegelegten Zahlen weder bestätigen noch dementieren; da bin ich im Moment ein bisschen überfragt, ob das so stimmt, was Sie jetzt in den Raum gestellt haben. ({0}) Was die einzelnen Maßnahmen angeht, kann ich demzufolge natürlich auch nicht adäquat antworten. Vielleicht schreiben Sie mir ein Brieflein dazu; dann kann ich das ein bisschen ausführlicher tun. Eins werden wir allerdings nicht schaffen: Wir werden die physikalischen Gesetze nicht außer Kraft setzen können, nicht einmal mit Bundestagsbeschluss. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Eine weitere Nachfrage des Kollegen Kühn.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, die Frage 25 bezog sich ja darauf, dass der NAPE komplett umgesetzt wird. Nun wissen wir, dass die steuerliche Förderung, die im NAPE ebenfalls vorgesehen und dort mit erheblichen Einsparpotenzialen benannt ist, nicht kommen wird. Wie planen Sie, diesen Ausfall zu kompensieren, falls es eben nicht zu einer steuerlichen Förderung kommt, wovon mittlerweile auch Minister Gabriel ausgeht, wie öffentlich zu hören war?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Wir prüfen derzeit Alternativen. Wir werden die 165 Millionen Euro, die der Bundesanteil einer steuerlichen Förderung ausgemacht hat, investiven Maßnahmen zugutekommen lassen, um die Energieeffizienz weiter voranzutreiben. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wir kommen zur nächsten Frage, zur Frage 26 des Abgeordneten Christian Kühn: Inwiefern stellt die Bundesregierung einem Programm zur energetischen Quartierssanierung, wie vom Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, angekündigt, 3 Milliarden Euro zur Verfügung ({0}), und welche Haushaltstitel soll das umfassen? Frau Staatssekretärin, bitte.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Kollege Kühn, Sie beziehen sich auf einen Artikel, zu finden unter www.deutsche-handwerks-zeitung.de. Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Bundesminister Sigmar Gabriel hat auf der Internationalen Handwerksmesse in München gesagt, dass 3 Milliarden Euro für Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung bereitgestellt werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kühn.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ich stelle diese Zusatzfrage, weil Sie meine Frage wie soeben geschehen beantwortet haben: Wie setzen sich diese 3 Milliarden Euro im Bundeshaushalt denn zusammen?

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ich schicke Ihnen die entsprechende Liste gerne zu. Da geht es zum Beispiel um das aufgestockte CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das mit 2 Milliarden Euro zu Buche schlägt. Es geht um die Einführung von Ausschreibungsmodellen. Es geht um das Thema Contracting, das wir eben behandelt haben. Es geht um weitere Maßnahmen, die sich aus dem NAPE ergeben. Es gibt also eine ganze Menge an Fördermöglichkeiten. Aber für das Thema „energetische Sanierung“ stehen, wie gesagt, 3 Milliarden Euro zur Verfügung.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Noch eine Nachfrage dazu. Sie haben gerade Maßnahmen im NAPE benannt.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Ja, ich habe es gemerkt.

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Maßnahmen im NAPE haben mit dem aktuellen Haushalt nichts zu tun. Herr Gabriel hat gesagt, wie die Deutsche Handwerks Zeitung berichtet, er verstehe gar nicht die Aufregung darüber, dass der Steuerbonus nicht kommt - sehr viele Menschen in Deutschland sind aber wirklich enttäuscht -; er sehe auch keinen Stopp bei der energetischen Gebäudesanierung, weil 3 Milliarden Euro zur Verfügung stünden; das sei das größte Programm, das es je gegeben habe. Ich frage nun noch einmal nach. Ich kenne den Haushalt auch. Ich sehe das nicht. Sie haben gerade noch einmal Maßnahmen im NAPE angeführt. Wie setzt sich die zusätzliche 1 Milliarde Euro für die energetische Gebäudesanierung, also über die 2 Milliarden Euro hinaus, die es für die KfW-Programme gibt, zusammen? Ich sehe das nicht. Darauf hätte ich gern Antworten von Ihnen.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Sie fragten allerdings - das will ich nur noch einmal klar sagen - nach der Quartierssanierung. Da liegt die Zuständigkeit beim BMUB. Dafür stehen 50 Millionen Euro zur Verfügung. In der Deutschen Handwerks Zeitung wird Herr Gabriel ganz korrekt zitiert: Gründe, dies zu dramatisieren, sieht Gabriel indes nicht. Auch über Zuschussprogramme könne die energetische Gebäudesanierung vorangebracht werden. „Einen Stopp der energetischen Gebäudesanierung gibt es nicht“, so Gabriel. Drei Milliarden Euro stünden dafür zur Verfügung. ({0}) Das größte Programm, das es dafür je gegeben hatte. Ich zitiere das nur deshalb noch einmal, damit wir es auch korrekt im Protokoll haben. Ich schicke Ihnen aber gern die Liste der einzelnen Maßnahmen zu, aus denen sich das 3-Milliarden-Programm zusammensetzt. ({1}) - Gern.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Oliver Krischer werden schriftlich beantwortet. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Frau Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer übernimmt die Beantwortung. Ich rufe die Frage 29 der Abgeordneten Katja Keul auf: Inwiefern steht die Bundesregierung mit der algerischen Regierung oder anderen algerischen oder internationalen Stellen in Kontakt, um die vom World Food Programme befürchtete Krise der Nahrungsmittelversorgung in den Lagern der Westsahara-Flüchtlinge ({0}) zu verhindern, und welche konkreten Maßnahmen plant sie auf nationaler, EU- und UN-Ebene zur Verhinderung dieser Krise zu unternehmen bzw. zu initiieren? Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Frau Kollegin, der Bundesregierung ist die humanitäre Notlage in den Flüchtlingslagern für die Sahrauis in Algerien bekannt. Sie hat gegenüber dem Welternährungsprogramm angeregt, eine mögliche Umschichtung zugunsten von humanitären Hilfsmaßnahmen für Westsahara-Flüchtlinge in Algerien zu prüfen. Die humanitären Bedarfe in einer humanitären Krise werden in den meisten Fällen anhand sogenannter Hilfsaufrufe der Vereinten Nationen und der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung bestimmt. Da viele Spender dazu tendieren, ihre Budgets auf sichtbare Krisen zu verwenden, können die humanitären Bedarfe in „vergessenen Krisen“ häufig nicht ausreichend gedeckt werden. Die Bundesregierung thematisiert die Problematik unterfinanzierter Hilfsaufrufe regelmäßig in den jährlich stattfindenden Planungsgesprächen mit internationalen humanitären Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Keul.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Ich war im letzten Monat mit der Delegation der Parlamentariergruppe in Algerien. Wir haben dort die Gelegenheit gehabt, mit Vertreterinnen und Vertretern der Welthungerhilfe zu sprechen. Sie haben uns sehr glaubhaft versichert, dass aufgrund der weltweit steigenden Zahl von Flüchtlingskatastrophen die Möglichkeiten der Umschichtung ausgeschöpft sind und dass selbst bei Einsatz aller erdenklichen Mittel spätestens im Juli die Lager leer sind. - Das war der Wortlaut der Leiterin, mit der wir dort gesprochen haben. Wir alle wissen, dass die Flüchtlinge in diesen Lagern, überwiegend Frauen und Kinder, wirklich zu 100 Prozent von der Auswärtsversorgung abhängig sind. Denkt die Bundesregierung darüber nach, was getan werden kann? Vor allen Dingen: Welche Ideen hat sie dazu, was man denn bis Juli machen könnte, wenn die Umschichtungen ausgeschöpft sind und um die 100 000 Flüchtlinge ohne Nahrungsmittelversorgung in der Wüste sitzen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, die Situation treibt uns ebenfalls sehr um. Wir sind damit konfrontiert, dass sich der Bedarf an humanitären Maßnahmen weltweit seit 2012 verdoppelt hat. Krisenregionen sind neu hinzugekommen. Deshalb habe ich eben ganz bewusst von Krisen gesprochen, die aktuell im Blick sind, und solchen, die eher aus dem Blick geraten sind. Ich bin sehr froh, dass Sie sich dieser Frage so annehmen. Das war auch Gegenstand von Gesprächen, die ich in meinem Haus geführt habe. Ich kann Ihnen versichern: Wir sind in dieser Frage hochsensibilisiert.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende der Fragestunde. - Einige der eingereichten Fragen werden schriftlich beantwortet, sodass wir diesen Tagesordnungspunkt hiermit abschließen können. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf: Vereinbarte Debatte anlässlich der ersten freien Volkskammerwahl in der ehemaligen DDR am 18. März Ich freue mich, dass ich zu dieser vereinbarten Debatte zahlreiche damalige Mitglieder der Volkskammer auf unserer Tribüne hier im Deutschen Bundestag begrüßen kann, ({0}) und ich möchte stellvertretend für die vielen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen die damalige Präsidentin der Volkskammer, Frau Bergmann-Pohl, und den Ministerpräsidenten Lothar de Maizière hier bei uns begrüßen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, im vergangenen November haben wir an den Fall der Mauer vor 25 Jahren erinnert; im Oktober dieses Jahres werden wir zum 25. Mal den Tag der Deutschen Einheit feiern. Zwischen diesen beiden markanten historischen Daten steht ein weiteres bedeutendes Ereignis, das es verdient, in ähnlich lebhafter Erinnerung behalten zu werden, nämlich die erste freie Volkskammerwahl in der DDR vom 18. März 1990, die heute vor 25 Jahren stattgefunden hat. Präsident Dr. Norbert Lammert Für den friedlichen, demokratischen, aber keineswegs selbstverständlichen Weg vom 9. November 1989 zum 3. Oktober 1990 hat die Volkskammer einen herausragenden Beitrag geleistet - in einer ungewöhnlich kurzen Zeit, unter außerordentlich bescheidenen Arbeitsbedingungen. Dafür verdienen alle diejenigen, die an dieser Arbeit damals unmittelbar beteiligt waren, unseren ganz besonderen Respekt. ({2}) An der ersten freien Wahl zu einer Volkskammer der DDR haben damals 93,4 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. ({3}) - Ja, das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, die höchste Wahlbeteiligung, die es bei freien Wahlen in der deutschen Geschichte auf Bundes- bzw. Reichsebene jemals gegeben hat, und sie zeigt, wie sehr die Menschen in der DDR dies damals auch als außerordentliches Ereignis empfunden haben, und es wäre allzu schön, wenn das Bewusstsein der Errungenschaft, in freien Wahlen selbst darüber befinden zu können, wie die eigenen Angelegenheiten geregelt werden sollen, in dieser Gesellschaft lebendig bliebe. ({4}) Wir hatten, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der damaligen Volkskammer, ja gestern und heute in einer Veranstaltung im Deutschen Historischen Museum die Gelegenheit, den Ablauf und die Bedeutung dieser Ereignisse im historischen Kontext zu würdigen, und ich will gerne zu Beginn unserer Debatte noch einmal bekräftigen, dass die damals frei gewählte Volkskammer der DDR sich mit ihrem Beitrag zu einem historisch ebenso beispiellosen wie beispielhaften Veränderungsprozess in Deutschland und Europa einen herausragenden Platz in der deutschen Parlamentsgeschichte gesichert hat; und auch das verdient es, heute festgehalten zu werden. ({5}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch; also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({6})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Vor allen Dingen: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus der letzten frei gewählten Volkskammer! Verehrte Gäste! Herr Ministerpräsident! Liebe Frau Dr. Bergmann-Pohl! Ja, die Wahl am 18. März 1990 war eine echte freie Wahl. Wir hatten es mit keinem Block der Nationalen Front zu tun, sondern hatten die Wahl aus 24 Listen bzw. Parteien, die sich um 400 Mandate beworben hatten. Zwölf Listen haben dann gezogen, wie wir sagen. Wir waren 409 Volkskammerabgeordnete, und ich war dabei. Als ich an so einem Frühlingstag wie heute, am 18. März 1990, in meinem kleinen Ort zur Wahl ging, war etwas ungewöhnlich: Die Presse stand vor dem Wahllokal. Das gab es vorher nicht. ({0}) Der Tag war voller Fröhlichkeit und voller Hoffnung. Wer drei Wochen Wahlkampf - mehr waren es nicht gemacht hatte, der wusste, dass die Allianz für Deutschland große Chancen hatte, die Mehrheit zu bekommen. Wer mit den Leuten geredet hat, der wusste, was sie denken. Viele haben es anders eingeschätzt; manchmal haben wir uns von diesen Einschätzungen beflügeln lassen. Jedenfalls war es für mich dann trotzdem eine Überraschung, dass ich Volkskammerabgeordnete wurde. Wir hatten kein Handy; wir hatten kein Fax. Wir hatten in meinem Bautzen auch kein ZDF oder ARD. Wir hatten zwar die Aktuelle Kamera, aber dass ich gewählt wurde, habe ich erst am darauffolgenden Montag erfahren. Ich darf hier feststellen: Diese Volkskammer war ein wahres Arbeitsparlament. Sie war nicht zum Repräsentieren gewählt worden. Wir repräsentierten zwar unsere Bevölkerung, die uns gewählt hat, aber wir waren von Anfang an ein großes Arbeitsparlament. Als wir die erste Fraktionssitzung hatten - das war am 27. März 1990; ich war mit meinem alten Wartburg hier nach Berlin gekommen - und wir uns im ehemaligen Haus des Zentralkomitees der SED - heute ist es das Auswärtige Amt - zur Fraktionssitzung versammelten, da kannte ich - das kann man gar nicht glauben - niemanden. Vom Sehen kannte ich meinen Nachbarn und Kollegen aus Kamenz, den Herrn Tillich, den Sie sicherlich alle kennen. Er ist heute Ministerpräsident im Freistaat Sachsen. Aber ansonsten waren wir gar nicht so vernetzt und konnten es auch gar nicht sein. Wir waren gewählt und hatten die Aufgabe - die hatten alle -, eine Fraktion zu bilden. In der ersten Fraktionssitzung wurde ein Fraktionsvorsitzender gewählt: Das war unser späterer Ministerpräsident, den ich natürlich aus dem Fernsehen und vom Parteitag kannte. Aber es war klar: Er wird Ministerpräsident, und wir brauchen einen neuen Fraktionsvorsitzenden. Günther Krause ist es dann geworden. Als es dann darum ging, eine Präsidentin oder einen Präsidenten zu nominieren, weil wir die stärkste Fraktion waren, wurde Frau Dr. Bergmann-Pohl mit der Begründung vorgeschlagen: Sie hat schon große Kongresse geleitet - wer hatte das schon von uns? -, und sie ist anerkannte Ärztin. - Da sie hinter mir saß, konnte ich sie kurz anschauen und dachte mir: Ja, sie ist sympathisch. Die wähle ich. ({1}) Das waren die Konstellationen. Ich will noch einmal feststellen: Diese Volkskammerwahl war historisch. Alle waren sich einig, bis auf die Linke, die damalige PDS bzw. SED-PDS, die das nicht wollte. Herr Gysi hat immer wieder versucht, irgendwo in den Anträgen einen Halbsatz hineinzumogeln, um die Souveränität der DDR im Nachhinein zu legitimieren. Wir haben das aber gemerkt. ({2}) Alle Fraktionen wussten im Grunde genommen: Die Volkskammer ist angetreten, um sich aufzulösen. Das Ziel war die deutsche Einheit. Der Weg dahin war mit vielen Fragezeichen versehen. Damals habe ich begonnen, ein Notizbuch zu führen. Es ist zufällig grün, ({3}) weil ich aus Sachsen komme. Ich habe darin praktisch alles aufgeschrieben, was mir die Leute so erzählt haben und wie sie denken. Da gibt es ein Zitat von einem Herrn, das mich sehr nachdenklich gestimmt hat. Er hat ungefähr gesagt: Bei meiner ersten Wahl habe ich rechts gewählt; das führte ins Verderben. Bei meiner zweiten Wahl habe ich links gewählt; das war auch Beschiss. Jetzt wähle ich Mitte, und das ist die Allianz für Deutschland. Sie können sicher sein, sie bekommt die Mehrheit. ({4}) Mit diesem Votum - ja, muss man sagen - waren wir sehr gestärkt. Trotzdem weiß jeder von uns, dass wir versucht haben, miteinander zu reden. Wir haben die Große Koalition gebildet, eine große Allianz für die deutsche Einheit. Wir haben versucht, viele Wünsche und Vorstellungen unter einen Hut zu bekommen. Wir haben gemerkt, wie schwer es ist, mit Geschäftsordnungen umzugehen. Ich erinnere mich mit Staunen an die kleine Festrunde, die am 17. Juni 1990, zu diesem historischen Tag, stattfand - da haben wir aus der Verfassung alle Symbole der DDR und alles, was damit zu tun hatte, gestrichen -, und daran, wie ein Kollege von der DSU aufstand und sagte: Sofortiger Beitritt. - Wir haben gesagt: Ja, den wollen wir auch, aber nicht sofort. Es muss geordnet sein. Wir haben noch keine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Wir sind mit dem Einigungsvertrag noch nicht fertig. - Wie man mit einem solch simplen Antrag umgeht - dazu brauchten wir fünf Auszeiten. Stellen Sie sich vor: An diesem historischen Tag hatten wir Besuch aus Bonn: Helmut Kohl, Rita Süssmuth, die Präsidentin des Bundestages, und weitere waren da. Und die Volkskammer verließ immer wieder halbstündlich diesen Raum und tagte in Nebenräumen. Ich erinnere mich an große Vorhänge im Palast der Republik. Es waren wahrscheinlich irgendwelche Probebühnen. Es war nicht ganz sicher, wer da eigentlich noch mithört; denn wir waren immer noch ein Stück weit geprägt von den Erfahrungen, dass „Horch und Guck“ überall war. Trotzdem haben wir da unsere Strategie entwickelt. Gewöhnungsbedürftig! Eine andere Sache - ich will das einfach einmal aus dem Erleben erzählen -: Heute tagen wir im Deutschen Bundestag von 9 Uhr bis manchmal halb zwölf in der Nacht. - Wir haben damals eine Mittagspause eingehalten. Wissen Sie, wie erhebend es für uns Volksvertreter war, in diesem Palast der Republik, in dem Salon, in dem die SED-Herrschaften ihre Speisen einnahmen, eine halbe Stunde Pause machen zu dürfen? Auch das war wichtig und richtig. Dort haben wir uns beim Mittagstisch überfraktionell das eine oder andere gesagt und Netzwerke gegründet. Wichtig ist für uns, dass wir sagen können: Wir haben mit aller Kraft versucht, diesen bedeutenden Auftrag zu erfüllen. Wir hatten zunächst kein Büro. Mein erstes Büro bekam ich irgendwann Ende April. Wir haben aus Koffern gelebt. Wir hatten kein Bett. Man hat uns die Mannschaftsunterkunft der Stasi in der Ruschestraße zugewiesen. Wir hatten auch keine Infrastruktur. Ich kann mich an junge Kollegen erinnern. Sie hatten, wie wir alle, ihre Arbeit aufgegeben, da wir jeden Tag und jede Woche in Berlin tagten, und bekamen kein Geld. Das erste Geld gab es im Mai. All das haben die Familien der Abgeordneten mitgetragen. Deshalb ist es wichtig, dass wir allen von Herzen danken, die ihre ganz persönliche Situation nicht in den Vordergrund gestellt haben, sondern sich um das Gemeinwohl bemüht - ich als Christin, andere aus anderen Motiven - und sich in diese Entwicklung eingebracht haben, ohne danach zu fragen: Was habe ich denn eigentlich davon? Deshalb allen ein herzliches Dankeschön. ({5}) Zum Schluss - ich bin gleich am Ende meiner Rede will ich Ihnen meinen letzten Eintrag, den ich in jenem Jahr in dieses grüne Büchlein schrieb, vorlesen - wir hatten über Geld gesprochen -: Der Staatshaushalt muss ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen verringert werden. Die Arroganz der Behörden muss gemäßigt und kontrolliert werden. Die Zahlungen an ausländische Regierungen müssen reduziert werden, wenn der Staat nicht bankrottgehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben. Dieses Zitat war das letzte, das ich mir in der Volkskammerzeit aufgeschrieben habe; aber es stammt von Cicero - 55 Jahre vor Christus - und gilt heute noch. Das sollte uns das Vermächtnis wert sein. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich habe gerade gesehen, Frau Kollegin Michalk, dass der Zettel, der neben dem Eintrag lag, den Sie vorgele8848 Präsident Dr. Norbert Lammert sen haben, die schöne Parole enthält: Gebt dem Chaos eine Chance! ({0}) Das wird wohl nicht die Parole der Allianz für Deutschland gewesen sein. Jedenfalls vermute ich das. Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion. ({1})

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße besonders herzlich Sie, liebe Ehrengäste, liebe Mitglieder der Volkskammer, die am 18. März 1990 gewählt worden ist - bei einer Wahlbeteiligung von 93,4 Prozent. Es waren geheime, demokratische und vor allen Dingen freiwillige Wahlen. Das war für viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger ein unglaubliches Erlebnis. Es waren Wahlen, die gut zwei Monate nach vorne verlegt worden sind, weil man sich die Situation ohne ein gewähltes, legitimiertes Parlament gar nicht mehr vorstellen konnte, weil die Situation gar nicht mehr handelbar gewesen wäre. Das heißt, es war ein Wahlkampf von nur wenigen Wochen. Man kann sagen: Das war demokratischer Ausnahmezustand im besten Sinne. Darauf folgten gut 200 Tage deutsche echt demokratische Republik. Ich finde, darauf können wir alle miteinander stolz sein. Es war der Eintritt in eine neue Welt der Freiheit und der Demokratie. Ich selbst war damals zehn Jahre alt. Ich habe an die Wahlen selber keine Erinnerung, sehr wohl aber an die Stimmung, die damals im Land geherrscht hat. Mir persönlich wird immer in Erinnerung bleiben: Die Demokratie ist etwas Wunderbares, eigentlich fast ein Wunder, und dieses Wunder ist nicht vom Himmel gefallen, sondern erkämpft worden. Dementsprechend ist sie wenig alltäglich und sehr zerbrechlich. ({0}) Demokratie ist harte Arbeit. Jedes Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen der Volkskammer, die damals für diese 200 Tage gewählt worden ist, zeugt davon. Ich möchte Sie an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich begrüßen. Es ist für uns alle eine große Ehre, dass Sie alle heute gekommen sind. Ich wage es gar nicht, mit dem Aufzählen von Namen anzufangen. Insofern: Seien Sie alle ganz herzlich in unserer Mitte begrüßt! ({1}) Es gab damals ganz unterschiedliche Motive für die Wahlentscheidung. Viele Menschen wollten in der Tat die schnelle deutsche Einheit, wollten eine massive Abkehr vom System der DDR. Es war aber für viele eben auch ein magischer Moment, die Geschicke des eigenen Landes in die eigenen Hände zu nehmen und das Land, in dem man aufgewachsen, groß geworden ist, zu reformieren. Der 1983 ausgebürgerte Roland Jahn sitzt auch auf der Tribüne. Er war am Tag der Volkskammerwahl gar nicht wahlberechtigt. Vor wenigen Tagen hat er formuliert: Es war ein Tag der Genugtuung, denn es ging von dieser Wahl auch international das Signal aus: Diktatur ist überwindbar. Wahlgewinner - das ist erwähnt worden - war die Allianz für Deutschland. Sie hat mit dem Slogan „Nie wieder Sozialismus“ und einer sehr zügigen deutschen Einheit geworben. In der Tat galt schon damals: Umfragen sind keine Wahlen. Für viele Parteien, inklusive der SPD, war der Wahlausgang - nicht die Wahl selber eine Enttäuschung. Auch viele Akteure der friedlichen Revolution waren vom Wahlausgang enttäuscht. Reform der DDR - das war es, wofür sie auf die Straße gegangen waren. Das konnte schon in diesen frühen Tagen des Jahres 1990 nicht mit der Idee der rasanten, möglichst schnellen deutschen Einheit mithalten. Die Volkskammerwahl von 1990 war aber nicht nur aufgrund der unvorstellbar hohen Wahlbeteiligung und der Umstände etwas Besonderes. Norbert Lammert hat die Volkskammer einmal als eines der fleißigsten Parlamente der Geschichte bezeichnet. Mit dabei waren auch sehr viele parlamentarische Neulinge. Viele von ihnen sitzen auf der Tribüne. Sie hatten als mutige Revolutionäre eine Diktatur zu Fall gebracht, pragmatisch an runden Tischen dafür gesorgt, dass das Land überhaupt irgendwie am Laufen gehalten wurde - dass der Müll abgeholt worden ist, und andere solche banalen, aber wichtigen Dinge -, und sind dann in die Volkskammer gewählt worden. Auch dort hatten sie große Aufgaben vor sich: das Parlament überhaupt erst zum Laufen, zum Funktionieren zu bringen, und zwar ganz ohne historische Schablone - Kollegin Michalk hat das gerade in eindrücklichen Worten geschildert -, historische Weichen zu stellen für das ganze Land und für die Zukunft der Menschen und sich selbst direkt wieder abzuschaffen. Das ist eine einzigartige Geschichte, und wir ziehen vor den Kolleginnen und Kollegen dieser Volkskammer unseren Hut. ({2}) Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Das war auch Anfang 1990 spürbar: Dieser jungen Demokratie wohnte ein Zauber inne. Und danach? Unsere Beauftragte für die neuen Länder, Iris Gleicke, hat das in der Debatte zum 25. Jahrestag des Mauerfalls sehr einfühlsam und differenziert ausgedrückt: Sie hat auf die Gewinner der Einheit hingewiesen, aber auch auf die Verlierer, die sich auch heute oftmals nicht verstanden und gehört fühlen. Es gibt nur eine Miniminimini-Minderheit, die die DDR zurückhaben möchte, aber eben sehr viele, die ambivalente, also sehr gute, aber gleichzeitig auch negative, Gefühle zur Einheit und - ganz eng damit verknüpft - zur Demokratie haben, und wir tun gut daran, uns damit auseinanderzusetzen. Die Aufbruchstimmung ist längst verflogen, die Demokratie ist längst erwachsen geworden, aber auch als erwachsene Demokratie ist sie geprägt von dieser Geschichte und auch von der Vorgeschichte. Wenn ich an die Demokratie Ostdeutschlands denke, dann denke ich an viel Licht und auch an viel Schatten. Ich würde mir wünschen, dass wir auch über das Licht sprechen. Die Zustimmung zur Demokratie steigt in Ost und West, und Ostdeutschland holt auf. Die Zustimmung zur Demokratie ist von erschreckenden 47 Prozent im Jahr 2003 auf immerhin 74 Prozent im Jahr 2013 gestiegen - unter jungen Menschen gibt es eigentlich kaum noch einen Unterschied zwischen Ost und West; Deutschland ist dort im besten Sinne zusammengewachsen -, aber gleichzeitig haben wir eine erschreckend niedrige Wahlbeteiligung, zum Beispiel bei den letzten Landtagswahlen nur um die 50 Prozent. Gerade die Jungen gehen erschreckend selten zur Wahl. Man muss leider konstatieren, dass sich Ost und West an dieser Stelle im Negativen einander annähern. Das Gefühl, etwas mit Wahlen verändern zu können, scheint - im scharfen Kontrast zu 1990 - für viele verloren gegangen zu sein. Auch das Phänomen Pegida hat uns aufmerken lassen. Da schleudern uns, also „denen da oben“, die Demonstranten in Dresden schweigend ihre ganze Verachtung entgegen. Es ist symptomatisch, dass sie den Ruf „Wir sind das Volk!“ nutzen. Das ist einerseits eine Anknüpfung an die Tradition der friedlichen Revolution und auch ein bisschen der Versuch, diese Kraft aufzunehmen, andererseits ist das aus meiner Sicht eine massive Anmaßung. Laut Forsa waren nur 3 Prozent der Dresdener bisher bei einer Pegida-Demonstration, 89 Prozent lehnen eine Teilnahme strikt ab, und drei Viertel der Dresdener antworten auf die Frage, was das größte Problem der Stadt sei: Pegida. - Ich sage diesen Demonstranten: Ihr habt das Recht, zu demonstrieren und eure Meinung zu sagen - dafür sind in der Tat im Jahr 1989 Hunderttausende auf die Straße gegangen -, aber anders, als ihr das zum Ausdruck bringt, habt ihr keinen Anspruch auf Applaus. Im Gegenteil: Viele Argumente, gerade die, die sich gegen die Schwächsten der Gesellschaft, etwa Flüchtlinge, richten, haben massiven Widerspruch verdient, und ich freue mich, dass sie ihn auch erhalten. ({3}) Demokratie ist eben kein „Wünsch dir was“, sondern harte Arbeit, Auseinandersetzung, Miteinander-Reden, Geduldsprobe und manchmal Zumutung. Ich möchte mich zum Abschluss gerade bei denjenigen, für die das 1990 nur ein kurzer Ausflug in die große Politik war, die eigentlich Ingenieure, Ärzte oder was auch immer waren, herzlich dafür bedanken, dass sie den Sprung ins kalte Wasser der Demokratie gewagt haben. Sie sind ein großes Vorbild für uns alle, und ich würde mir wünschen, dass sich ganz viele junge Menschen in unserem Land an ihnen ein Vorbild nehmen. Demokratie ist harte Arbeit, aber sie lohnt auch. Das sieht man, wenn man heutzutage eine beliebige Stadt in Ostdeutschland besucht und mit den Menschen dort spricht. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Gründung der DDR in ihrem 41. Lebensjahr fanden die ersten freien und demokratischen Wahlen am 18. März 1990 statt. ({0}) Die DDR-Bürgerinnen und -Bürger waren ungeheuer bewegt, gespannt, aufgeregt, politisch hochmotiviert und sensibilisiert. Es ist schon mehrfach auf die Wahlbeteiligung von über 90 Prozent hingewiesen worden. Das ist heute kaum vorstellbar, und wir sollten uns einmal Gedanken machen, wie wir es schaffen, sie zu erhöhen. ({1}) Viele wollten damals schnell die D-Mark, schnell die deutsche Einheit, schnell eine funktionierende und demokratische Ordnung. Die Allianz für Deutschland, nicht etwa die SPD, siegte aus verschiedenen Gründen. Viele dachten, es werde nichts, wenn in Bonn die Union und in Ostberlin die SPD regierte; gleiche oder ähnliche Regierungskoalitionen versprachen größere Erfolge. Außerdem wurden ja die Wahlkämpfer auch von Helmut Kohl, Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher geführt, während wir natürlich keinen Westimport zur Unterstützung bekamen. Aber macht ja nichts. ({2}) - Ich hatte darauf gehofft. - Helmut Kohl hat -

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es ist auch nicht erinnerlich, dass er angefordert gewesen wäre, Herr Gysi. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es hat sich keiner gemeldet, Herr Bundestagspräsident. Wie dem auch sei. - Helmut Kohl hat bewusst oder unbewusst eine DDR-Mentalität bedient. Er sagte nicht: Ihr müsst euch jetzt selbst helfen, sondern er sagte: Ich mache das für euch. Auch das hat zum Erfolg der Allianz beigetragen. Der Wahlkampf war übrigens sehr spannend; die meisten Plakate waren beschmiert und zerstört. Ich selbst erlebte nur tiefe Zuneigung oder tiefe Ablehnung und stellte fest, beides ist sehr anstrengend. Die Prognosen für die PDS lagen bei 4 bis 8 Prozent. Wir erhielten dann 16,4 Prozent und durften mit dem Ergebnis durchaus zufrieden sein. Bündnis 90 schnitt eher schlecht ab, die Parteien aus der Bürgerbewegung waren bitter enttäuscht. Ich besuchte sie noch am gleichen Abend; sie waren traurig und auch wütend. Sie fühlten sich als Befreier, die ihre Schuldigkeit getan hätten und nun nicht mehr gebraucht würden. Ich sagte ihnen, die Leute wollten Befreiung, empfänden sie aber irgendwie als ihre Richterinnen und Richter. Die wählt man nicht so gern. Die Zeit in der Volkskammer war auch spannend. Die Abgeordneten wurden immer als Laienspieler bezeichnet. Das stimmt insofern, als es keine Berufspolitikerinnen und Berufspolitiker waren. Aber die Situation war herausfordernd. Alle Abgeordneten kamen aus DDRStrukturen und mussten über die Art und Weise des Endes beraten und entscheiden. Es gab lebendige Debatten, abgelehnte Anträge, Änderungen von Anträgen. Es war richtig etwas los, während hier doch gelegentlich auch Langeweile herrscht, wenn ich das einmal sagen darf. Lothar de Maizière gab eine viel beachtete und erstaunlich gute Regierungserklärung ab. Aber Schritt für Schritt bekamen fast alle Fraktionen Vormünder: die CDU für die Ost-CDU und die anderen Parteien der Allianz, die SPD für die SPD, die FDP für die Liberalen, die Grünen für das Bündnis 90. Nur wir fanden keinen Vormund in der Bundesrepublik. Aber Sie brauchen nicht zu weinen: Deshalb wurden wir zunächst etwas komisch, aber auch eigenständig und irgendwie liebenswert. ({0}) Aber es ging um zwei Grundfragen: Beitritt gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes oder Vereinigung gemäß Artikel 146 des Grundgesetzes, der für den Fall der Herstellung der deutschen Einheit eine neue Verfassung durch Volksentscheid verlangte, die das Grundgesetz abgelöst hätte? Letzteres wollte die Bundesregierung nicht, und auch die SPD stimmte der Änderung des Artikels 146 zu, sodass dort jetzt kein Zeitpunkt und kein Anlass für eine neue Verfassung mehr geregelt sind. Es setzte sich der Weg über den Artikel 23 durch. Dies hatte gravierende politische und juristische Folgen. Ich habe es immer so beschrieben, dass ein armer Neffe zu seiner reichen Tante zieht. Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder beziehen sie gemeinsam eine neue Wohnung, dann hat auch der arme Neffe den einen oder anderen Vorschlag zu unterbreiten, oder aber er zieht in ihre Wohnung ein, dann hat er nichts zu verändern, sondern sich nur ein- und unterzuordnen. ({1}) Man entschied sich halt für den Weg, dass wir einziehen müssen. Ein weiterer spannender Streit fand in der Wirtschaftspolitik statt: Die Treuhand entscheidet, wer wann wie gefördert wird, oder - das war der andere Vorschlag man ersetzt allen Unternehmen in der damaligen DDR per 1. Juli ein Jahr lang 100 Prozent der Lohnkosten, dann 90 Prozent, dann 80 Prozent, dann 70 Prozent, bis 0 Prozent runter, also eine degressive Lohnsubvention. Dann hätten alle Unternehmen die Chance bekommen, ihre Produkte umzustellen, Reklame zu machen, bekannt zu werden etc. Aber man entschied sich für die Treuhandanstalt. Drei Geschichten aus der Volkskammer muss ich Ihnen erzählen: Erstens. Sie werden es nicht glauben, aber es war so: Die FDP kam gerne mit ihren Anträgen zu mir. Ich hatte immer eine gegensätzliche Ansicht, aber sie verlangten von mir, dass ich ihnen das juristisch aufarbeitete. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, warum, aber ich habe es getan. ({2}) Auch das ist heute undenkbar. Zweitens. Nach dem Beschluss der Volkskammer zum Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik Deutschland gab ich eine kurze Erklärung ab. Der erste Satz begann wie folgt: „Sie haben soeben nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik …“ Weiter kam ich nicht. ({3}) Meine Rede wurde durch nicht enden wollende Ovationen der Abgeordneten der CDU unterbrochen. ({4}) Jetzt kommt das Nächste. Vor etwa einem Jahr ist hier bei einer Veranstaltung ein Video eingespielt worden. Da wurde dieser Satz gezeigt. Wieder bekam ich Beifall von der Union - eben auch. Das ist aber der einzige Fall, bei dem ich Beifall von der Union bekomme - immerhin. ({5}) Drittens. Als es dann um den Beitritt ging, beschloss die Volkskammer folgenden Text - ich zitiere ihn wörtlich -: Die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik beschließt gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. - Daraufhin sagte ich zum damaligen Vizepräsidenten der Volkskammer, dem späteren Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, dem inzwischen leider verstorbenen Reinhard Höppner von der SPD, und zwar unmittelbar danach, dass die Volkskammer nur ihren eigenen Beitritt beschlossen hätte, was für die DDR gerade noch hinnehmbar sei. Der Text hätte natürlich lauten müssen, dass die Volkskammer den Beitritt der DDR beschließt. Daraufhin beging Reinhard Höppner in gewisser Hinsicht eine kleine, von ihm später eingestandene Urkundenfälschung, indem er nach dem Wort „Beitritt“ handschriftlich „der Deutschen Demokratischen Republik“ einfügte, ({6}) sodass die Volkskammerpräsidentin, Frau BergmannPohl, einen Text als beschlossen verlas, der so aber gar nicht beschlossen war. Ich hätte es am nächsten Tag als Bonmot nutzen können. Es wäre eine neue Tagung der Volkskammer einberufen worden. Ganz erstaunlich bei meinen Wesen: Ich habe darauf verzichtet. ({7}) Mit anderen Worten: Der Beitritt und damit die Einheit sind formalrechtlich nicht wirklich von der Volkskammer beschlossen worden, aber immerhin, meinen Beitrag zur deutschen Einheit haben Sie bisher völlig unzureichend gewürdigt, wenn ich das einmal sagen darf. ({8}) Was mich wirklich stört, ist etwas anderes: Die Bundesregierung hatte kein Interesse am Osten und hat nichts übernommen. Ich sage einmal, worüber man hätte nachdenken können: über das flächendeckende Netz an Kindertagesstätten, ({9}) über die Nachmittagsbetreuung an Schulen, über die Polikliniken, über die Berufsausbildung mit Abitur, über eine hervorragende belletristische Literatur und über hervorragende Sachbücher, über bezahlbare und herausragende Oper- und Theaterinszenierungen, über monatliche Poesiealben mit hervorragenden Gedichten für 90 Pfennige, über eine Romanzeitung mit allen klassischen Romanen, auch monatlich erscheinend, für 80 Pfennige, damit jede und jeder Zugang zu Kultur und Literatur hat. ({10}) Andererseits - warten Sie es ab -: Die Zensur, die politische Ausgrenzung, die Freiheitsbeschränkungen, die Nichtexistenz demokratischer Strukturen, das fehlende Reiserecht, all das musste überwunden werden. Das heißt, das meiste musste überwunden werden, aber einiges hätte übernommen werden können. Ich nenne Ihnen zwei Folgen, die das gehabt hätte: Die erste Folge wäre gewesen, dass die Ostdeutschen mehr Selbstbewusstsein gehabt hätten, weil sie gesagt hätten: Es gab viel Mist, aber einige Dinge waren so gut, dass sie von der Bundesrepublik übernommen worden sind. Die zweite Folge wäre gewesen, dass die Menschen in den alten Bundesländern mit dem Tag der Deutschen Einheit verbunden hätten, dass durch das Hinzukommen des Ostens sich in einigen Punkten ihre Lebensqualität erhöht hat. Dieses Erlebnis haben Sie keiner Westdeutschen und keinem Westdeutschen gegönnt. ({11}) Ich komme als Letztes auf den Bundestag zu sprechen. Ich habe nicht genug Zeit, viel darüber zu sagen. Nur so viel: Die Atmosphäre hier, also noch in Bonn, war zunächst schlimm, so schlimm, dass ein kritischer, bescheidener, charakterlich höchst angenehmer Abgeordneter wie Professor Gerhard Riege sich das Leben nahm. Viele Ostdeutsche genießen inzwischen die Freiheit und die Demokratie. Sie wollen aber mehr Frieden, mehr soziale Gerechtigkeit, Erwerbsarbeit und ökologische Nachhaltigkeit. Sie haben sich bewährt, haben sich Respekt erarbeitet, sind inzwischen in der Gesellschaft anerkannt. Sie wissen, woher der Bundespräsident kommt. Sie wissen, woher die Bundeskanzlerin kommt. ({12}) Sie ahnen vielleicht auch, woher der Oppositionsführer kommt. Mehr will ich dazu nicht sagen. ({13}) Interessant ist, dass es noch fünf Mitglieder des Bundestages gibt, die Mitglieder der ersten demokratisch gewählten und letzten Volkskammer der DDR waren. Da ist kein Abgeordneter der SPD dabei, ({14}) da ist kein Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen dabei, sondern nur von der CDU und den Linken. ({15}) Es handelt sich um Katharina Landgraf und Maria Michalk und bei uns um Kerstin Kassner, Roland Claus und um mich. Ich weiß nicht, aber irgendetwas Besonderes müssen die fünf doch an sich haben, oder? Danke schön. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin GöringEckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ehrlich gesagt, ich habe immer bedauert, dass ich nicht bei dieser ersten frei gewählten Volkskammer dabei gewesen bin. Wenn es aber die war, Herr Gysi, von der Sie gerade gesprochen haben, bedaure ich das nicht mehr. Aber wir alle wissen: So war es nicht. Es war keine Spaßveranstaltung, es war eine verdammt ernste, verdammt anstrengende Angelegenheit. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Freunde und Freundinnen auf der Tribüne, Sie sind die Helden eines Parlaments gewesen, das sich selbst abgeschafft hat. Ihnen gebührt bis heute der Dank dafür. ({0}) Man muss sich schon noch einmal die Zeit in Erinnerung rufen: Am 7. März 1989 haben einige Bürgerinnen und Bürger der DDR ihre Angst vor Repressalien eines unfreien Systems überwunden und dokumentierten öffentlich die Fälschung der damaligen Kommunalwahl. An diesem Tag hätte wohl niemand in der DDR auch nur eine Flasche Club-Cola - das ist übrigens die kleine böse Schwester der Vita Cola, die wir später alle toll fanden, weil sie fast wie Pepsi schmeckte - darauf verwettet, dass nur 315 Tage später die begonnene friedliche Revolution ein erfolgreiches Ende finden würde. 40 Jahre Unfreiheit wurden am 18. März 1990 mit den ersten freien Wahlen beendet, Unfreiheit, die man im Lebensalltag immerzu zu spüren bekam, Unfreiheit, die man bei der Lebensplanung, bei der Berufswahl, bei der Reisefreiheit zu spüren bekam. Über all das haben wir hier am 9. November intensiv und ausführlich diskutiert. Es war ganz bestimmt die eigentliche Leistung der Bürgerinnen und Bürger der DDR, dass wir irgendwann gemeinsam die Angst vor Repressalien, vor großen und vor kleinen, die Angst davor, eingesperrt zu werden, überwunden haben. Das war der Beginn der inneren Freiheit. Erst waren es tatsächlich nur wenige, aber es wurden immer mehr. Mit der Dokumentation der Wahlfälschung wurde eben auch für das DDR-Regime unübersehbar: So geht es nicht weiter. Man traf sich zu Friedensgebeten, man traf sich zu Gesprächskreisen, manche reisten im Sommer 1989 über Ungarn, über Tschechien aus, erst zu Hunderten, dann zu Hunderttausenden. Die DDR-Bürger ließen die Mauer einstürzen und erzwangen freie Wahlen. ({1}) Um diese freien Wahlen geht es. Es geht darum, frei wählen zu können und zu dürfen. Es geht dabei nicht um die Selbstgerechtigkeit, Herr Gysi, mit der Sie hier geredet haben. ({2}) Ich glaube ganz sicher, dass die große Veränderung darin bestand. Natürlich kann man gute Errungenschaften in der DDR benennen. Aber auch der Kindergarten, aber auch die Schule, all das, was Sie aufgezählt haben, war davon gekennzeichnet, dass es in einer Diktatur stattgefunden hat. Dass Sie das immer weglassen, Herr Gysi, finde ich, ist eines Demokraten nicht würdig, schon gar nicht in diesem Haus. ({3}) Mit friedlichen Mitteln haben sich die Bürgerinnen und Bürger ihre Freiheit erkämpft, übrigens anders als fast 150 Jahre zuvor. Am 18. März 1848 gingen die Menschen in Berlin auf die Barrikaden, wurde in Preußen, in Österreich, in Baden, in Bayern, in Sachsen und in Schleswig gewaltsam für bürgerliche Freiheiten, für Demokratie, für die nationale Einheit Deutschlands gekämpft. Wir wissen: Diese Revolution wurde niedergeschlagen. Aber ihre Ideale prägten die deutsche Geschichte, und zwar nachhaltig. Was 1848 scheiterte, gelang eben 1990: Freie Bürgerinnen und Bürger wählten ein freies Parlament. Vielleicht war das die wichtigste Erkenntnis dieser Wochen: dass Freiheit errungen werden muss, aber auch, dass sie erfolgreich errungen werden kann, und zwar jeden Tag wieder. Wie verteidigen wir aber diese Freiheit jeden Tag aufs Neue? Für viele Bürgerinnen und Bürger ist die freie Wahl augenscheinlich so banal geworden, dass bei manchen mehr als die Hälfte zu Hause bleibt. Der Präsident hat darauf hingewiesen: Am 18. März 1990 waren es 93,4 Prozent, die hingingen, bei der letzten Bundestagswahl - immerhin - 71,5 Prozent, bei der letzten Europawahl nur 47,9 Prozent. Gewiss, zur Freiheit gehört auch, nicht zur Wahl gegen zu müssen. Wir wollen nie wieder einen Wahlzwang wie in der DDR. Aber eine lebendige Demokratie bedarf eben einer ständigen und aktiven Erneuerung. ({4}) Dafür muss klar sein, was der Unterschied ist. Der Unterschied darf nicht die Entscheidung zwischen Wählen und Nichtwählen sein. Es gibt immer eine Alternative. Vielleicht braucht es manchmal sogar Mut, sie auszusprechen. Aber das Einlullen führt doch irgendwann zu Desinteresse. Es führt irgendwann zu dem Eindruck, dass die da oben angeblich nicht mehr wissen, was die da unten denken. Irgendwann führt es auch zu rechten Parolen. ({5}) Ja, der Runde Tisch und die frei gewählte Volkskammer waren nicht nur fleißig, sondern sie standen auch für Konsens. Das war richtig; denn damals ging es um die Systemfrage. Heute geht es darum, wie wir die Welt jeden Tag ein bisschen besser machen können. Dazu gehört Debatte, und dazu gehört auch Streit. Der Bundestag muss die politische Mitte dieser Auseinandersetzung sein, meine Damen und Herren, und eben nicht die Talkshow. ({6}) Ehrlich, ich finde es immer noch bitter, dass Sie die Vorschläge des Präsidenten dazu einfach mit einem Handstreich vom Tisch gewischt haben. ({7}) Sie schützen Regierungsmitglieder vor Fragen, die sie ohnehin gestellt bekommen, und opfern dafür ein weiteres Stück lebendiger Demokratie und mehr freie Entscheidungen. Sorry, dass die Wahllokale ein bisschen länger aufgemacht werden, ist jedenfalls nicht die Lösung für dieses Problem. ({8}) Meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen ist Markus Nierth, der ehrenamtliche Bürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt, zurückgetreten, weil er vom brauen Mob bedroht wurde. Freiheit - das sehen wir auch daran - muss bis heute verteidigt werden, nicht nur gegenüber Diktatoren, die sich rühmen, dass sie ihren Gästen die Hand brechen könnten, sondern auch gegenüber allen, die unsere Werte und unsere Freiheit infrage stellen: Nazis, Islamisten oder Menschen, die für sich in Anspruch nehmen, „das Volk“ zu sein, aber mit ihren Forderungen Flüchtlinge und Minderheiten ausgrenzen. Manchmal vergessen wir das. Aber das heutige Jubiläum erinnert uns wohl daran. Heute vor 25 Jahren haben Menschen zum ersten Mal eine freie Wahlentscheidung getroffen. Auch wenn sie für mich und meine Freunde mitnichten wie gewünscht ausgegangen ist: Diese Erfahrung gehört zur Demokratie. Ich jedenfalls weiß, dass man für Demokratie und Freiheit kämpfen muss. Ich kenne das Gefühl, wie es ist, wenn man am Ende gewinnt - und das ist unbeschreiblich. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wohl die Einzige unter den Rednern, die nicht in der DDR aufgewachsen ist und damals, in der Zeit der Wende, schon in politischer Verantwortung im Deutschen Bundestag war. Gerade deshalb ist es mir ein besonderes Anliegen, all jenen, die damals in der Volkskammer Verantwortung getragen und in den paar Monaten intensivster Arbeit und politischer Entscheidungen ihre Arbeit gemacht haben und damit die Weichen für die - richtige - Einheit in Freiheit in unserem Vaterland gestellt haben, dafür meinen Respekt und meine Dankbarkeit auszusprechen. ({0}) Genau heute vor 25 Jahren konnten die Menschen in der ehemaligen DDR ihre Abgeordneten zum ersten Mal frei wählen. Zum ersten Mal war das Kreuz auf dem Wahlzettel auch etwas wert, und damit die 40-jährige SED-Herrschaft Geschichte. Das war in Deutschland wirklich eine historische Zeitenwende. Warum aber ist dieser 18. März 1990 im Bewusstsein der Menschen nicht so stark verankert wie zum Beispiel der 9. November 1989, der Tag des Mauerfalls? Dafür gibt es Gründe. Die Mauer teilte eine Stadt, sie teilte ein Land, und sie war das Symbol für den Kalten Krieg. Sie war ein Schandmal der Geschichte und stand für Leid, für Trennung und auch für Tod. Als sie endlich fiel, war das eine Befreiung nicht nur für die Menschen und für unser Land, sondern auch für ganz Europa und die Welt. ({1}) Die Volkskammer der ehemaligen DDR war dagegen jahrzehntelang nie mehr als ein entmachtetes Scheinparlament. Deshalb können wir die große Bedeutung dieses 18. März 1990 nicht isoliert nur für den 18. März sehen, sondern wir müssen sie immer im Zusammenhang mit der friedlichen Revolution im Ganzen sehen. 40 Jahre gab es in der DDR keine freien Wahlen, kein freies Mandat, keine unabhängigen Kandidaten. Jede dieser sogenannten Wahlen reihte sich in eine lange Liste von dreisten Wahlfälschungen ein; darauf wurde vorhin hingewiesen. So war dies auch bei den Kommunalwahlen im Mai 1989. Nur wenige haben damals die Wahlfälschungen öffentlich gemacht. Aus den wenigen wurden aber immer mehr. Es wurden Hunderte, es wurde Tausende, es wurden Hunderttausende. So war es letztlich das mutige Engagement einzelner Weniger, die so freie Wahlen für alle ermöglicht haben. Die ersten echten Wahlen in der DDR waren deshalb keine Laune der Geschichte, sondern eine Errungenschaft, die sich die Menschen in der DDR buchstäblich selbst errungen haben - auf den Straßen in Dresden, in Leipzig und in vielen anderen Städten. Das war die erste Leistung, die dazu führte, worauf wir heute so stolz und wofür wir heute so dankbar sind. Heute erscheint uns der Lauf der Dinge in diesen Wendejahren so selbstverständlich, manchen auch als alternativlos, so, als hätte es gar keine Diskussionen über den Weg zur Einheit gegeben. Zur historischen Wahrheit gehört aber, es gab auch andere Vorschläge. Die einen wollten warten und eine Vereinigung erst nach einer Übergangszeit, die anderen wollten einen Staatenbund, und über die rechtlichen Fragen ist gestritten worden. Es waren - auch das gehört zur historischen Wahrheit - die Allianz für Deutschland, der Zusammenschluss der CDU-Ost, der DSU und des Demokratischen Aufbruchs, im Osten und die Union im Westen, die sich am klarsten für eine rasche Wiedervereinigung ausgesprochen haben. Das dürfen wir nicht vergessen. ({2}) Der Wahlausgang war nicht vorherzusehen. Das Ergebnis war: Fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler hatte sich für die Allianz für Deutschland entschieden. Es war klar: Die Menschen in der DDR wollten nicht die DDR reformieren, sie wollten sie überwinden. Sie wollten Freiheit statt Sozialismus. Sie wollten soziale Marktwirtschaft statt sozialistischer Mangelwirtschaft. Sie wollten Menschen- und Bürgerrechte statt Ideologie und Klassenkampf. Sie wollten die Einheit, und zwar nicht irgendwann, sondern so schnell wie möglich. So waren die Wahlen am 18. März 1990 nicht nur ein beispielloser Akt der Selbstbefreiung, sondern sie waren auch ein Plebiszit für die Wiedervereinigung, und zwar für die schnelle Wiedervereinigung in Freiheit. ({3}) Der erste frei gewählte Ministerpräsident Lothar de Maizière hat in seiner Regierungserklärung im April 1990 die Losung für diesen Weg ausgegeben - ich zitiere -: Nach Jahrzehnten der Unfreiheit und der Diktatur wollen wir Freiheit und Demokratie unter der Herrschaft des Rechts gestalten. Die gerade gewählten Abgeordneten mussten dafür politisches Neuland betreten. Es wurde vorhin eindrucksvoll geschildert: Es gab in der Tat keine Erfahrungen. Es gab keine Rezepte. Es gab keine demokratischen Strukturen. Der überwiegende Teil der Abgeordneten war zum ersten Mal überhaupt in einem Parlament. Viele mussten auch privat große Opfer bringen. Gerade deshalb ist die dort erbrachte Leistung umso bemerkenswerter. Diese Volkskammer hat in wenigen Monaten mehr als 150 Gesetze verabschiedet und drei große Staatsverträge geschlossen. Die alten und stolzen Länder wurden wieder eingeführt und die Einheit auf den Weg gebracht. In diesem halben Jahr sind letztlich die rechtlichen Voraussetzungen für die Einheit in Freiheit geschaffen worden; eine unglaubliche Leistung, ja ein Vermächtnis für die Demokratie in unserem Land schlechthin. ({4}) Diese erste frei gewählte Volkskammer wurde so eher zur politischen Herzkammer, wenn man so will, der sich friedlich vollziehenden Revolution. Ich möchte all jenen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich danken, die damals Verantwortung getragen haben, mit der Präsidentin der Volkskammer Sabine Bergmann-Pohl und dem Ministerpräsidenten Lothar de Maizière an der Spitze. Ohne Ihre Leidenschaft für das Land, ohne die Leidenschaft für die Demokratie wäre die Wiedervereinigung so nicht möglich gewesen. ({5}) Sie wäre auch nicht möglich gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne die enge Zusammenarbeit und die Weichenstellung durch die Bundesregierung und den damaligen Bundestag und Bundesrat. Es war ein Zusammenwirken, das alle miteinander gefordert hat, das aber alle miteinander in großer Verantwortung unter immensem Arbeits- und Zeitdruck bewerkstelligt haben. Deshalb gilt es auch an diesem Tag daran zu erinnern. Bundeskanzler Helmut Kohl ergriff die Initiative, die große Wunde unseres Vaterlandes zu heilen. Er wird zu Recht als „Kanzler der Einheit“ bezeichnet. Theo Waigel gestaltete den Vertrag über die Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion und Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag. Damit waren die Weichen dafür gelegt, dass die deutsche Einheit zu einer Einheit auf Augenhöhe wurde. Ein Blick auf unser Vaterland insgesamt, im Osten und im Westen, ein Blick auf die Zusammenarbeit in diesem Parlament zeigt, diese 25 Jahre waren nicht umsonst, sondern sie waren erfolgreich: für die Menschen in unserem Land. ({6}) Mich ganz persönlich erfüllt an diesem 18. März, 25 Jahre nach der ersten freien Wahl im Osten unseres Landes, ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und des Respekts, vor allem auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die ich als damalige Bundesministerin in den Wahlkämpfen und danach bei der Gestaltung der deutschen Einheit in den neuen Ländern gemacht habe, ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und des Respekts gegenüber den Menschen, die mit ihrem Mut und mit ihrer Hartnäckigkeit für die Freiheit gekämpft haben, aber auch gegenüber all jenen, die in den Monaten des Übergangs mit Fleiß, mit Engagement, mit Weitsicht die Weichen für die Einheit gestellt haben. Das war letztlich die Grundlage dafür, dass wir heute gemeinsam nicht nur diesen Tag begehen können, sondern dass wir uns gemeinsam über das, was in den 25 Jahren geleistet wurde, auch freuen können. Dieser 18. März 1990, liebe Kolleginnen und Kollegen, war ein guter, ein sehr guter Tag für Deutschland. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Philipp Lengsfeld für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal über die politische Einordnung der ersten und einzigen freien Volkskammerwahl der DDR reden; denn um die Ereignisse rund um den friedlichen Umsturz in der DDR ranken sich auch eine Anzahl von Mythen, an denen schon damals gestrickt wurde, die aber auch 25 Jahre danach von dem einen oder anderen wiederholt werden. Zuerst: Mit der freien Volkskammerwahl - und das klang bei Katrin Göring-Eckardt schon an - wurde die friedliche Revolution in der DDR vollendet. Es gab von Anfang an, also seit Sommer, dann Herbst 1989, zwei zentrale Forderungen gegen das SED-System: die Forderung nach Reise- und Ausreisefreiheit und die Forderung nach freien Wahlen. Dies waren die zentralen Forderungen der Demonstranten und nichts anderes. Die erste Forderung erfüllte sich am 9. November 1989, und die zweite Forderung erfüllte sich mit dem 18. März 1990. Wie bedeutsam diese Wahl für die Menschen in der DDR war - das wurde auch schon angedeutet -, zeigen die Kennzahlen, die ich gerne wiederhole: 93,4 Prozent Wahlbeteiligung, davon 99,5 Prozent gültige Stimmen, maximal 0,1 Prozent Stimmen für unernste Wahlvorschläge - die gab es auch - wie zum Beispiel die Deutsche Biertrinker Union oder Ähnliches. Ich sage Ihnen: Ich hätte auch sehr gerne mit abgestimmt. Ich war aktiv dabei in dieser Zeit. Aber ich bin leider erst drei Tage später volljährig geworden. Ich durfte am 18. März 1990 noch nicht wählen. Dann kam der Abend, und das ist auch ein Mythos: Das Ergebnis der Volkskammerwahl war eigentlich überhaupt keine Überraschung - jedenfalls nicht für Leute, die eine ehrliche Analyse der Lage vorgenommen hatten. Jeder, der einen nüchternen Blick auf die Situation geworfen hatte, musste einen klaren Wahlsieg der Allianz für Deutschland vorhersagen; denn es ging nicht mehr um das Ob der Vereinigung, sondern nur noch um das Wann und Wie. Selbst die PDS hatte sich schon opportunistisch auf den Weg in eine deutsche Föderation gemacht. Vor diesem Hintergrund war die klare Linie der Allianz für Deutschland das mit Abstand beste Angebot an die Wählerinnen und Wähler in der DDR. ({0}) Trotzdem war es so, dass die medial-politische Öffentlichkeit in Westdeutschland ein völlig anderes Wahlergebnis vorhergesagt hatte. ({1}) Aber waren es nicht auch die gleichen Leute, die den Zusammenbruch des SED-Systems und den Fall der Mauer auch nicht vorhergesagt hatten? ({2}) Der 18. März 1990 war in Westdeutschland auch das Ende vieler Illusionen vom DDR-System, ({3}) und das muss leider auch gesagt werden: Der Abend des 18. März 1990 markiert auch den Anfang eines offenen Ossi-Bashings durch Teile der westdeutschen Eliten, basierend auf der Enttäuschung, dass die Ostler anders gewählt hatten und sich anders verhielten als gewünscht. Erinnert sei nur an die vielleicht spontane und später von ihm auch bereute Aktion des frisch zur SPD gewechselten Otto Schily, der am Abend des 18. März das schlechte Abschneiden der SPD mit dem Zücken einer Banane kommentierte. Das war die Realität. Dabei war es eigentlich ganz einfach: Die SPD hat am 18. März so schlecht abgeschnitten, weil sie das schlechtere Konzept für den Weg zur deutschen Einheit hatte - das war der Grund ({4}) und weil die DDR-Bürger spürten, dass das Verhältnis zur PDS ein Problem wird. 1990 gab es glasklare Absagen an eine Zusammenarbeit mit der frisch geretteten SED. Aber es gab Zweifel, und die waren mehr als berechtigt. Denn nur vier Jahre später haben sich diese Zweifel leider aufs Bitterste bewahrheitet. Das sogenannte Magdeburger Modell, die Inthronisierung von Rot-Grün in Sachsen-Anhalt durch Duldung der PDS, war meines Erachtens der Kardinalfehler der SPD in Ostdeutschland. Denn dies hat der PDS eine Legitimität verliehen, die sie als direkte SEDNachfolgepartei nicht hätte bekommen dürfen. ({5}) Nur als historische Anmerkung: Auch das zu gute Abschneiden der PDS 1990 war nüchtern betrachtet keine Überraschung. Die PDS hat 1990 mit 1,9 Millionen Stimmen weniger Stimmen bekommen, als die SED ein Jahr zuvor Mitglieder hatte, und dies trotz geschickter Strategie und Werbung, trotz eines Medienstars als Spitzenkandidat und trotz einer Manpower, die viel größer und viel besser ausgebildet war als bei jeder anderen Partei. Sie brauchten überhaupt keine Unterstützung aus dem Westen, Herr Gysi, und das wissen Sie ganz genau. ({6}) Zum guten Schluss noch eine Bemerkung zum Abschneiden der Bürgerrechtler. Auch hier hilft ein nüchterner Blick. Aus verschiedenen Gründen hatten diese mutigen Menschen nicht den wirklichen Willen zur Macht und wollten im Land in der Umbruchzeit nicht die volle Verantwortung übernehmen. Dies hätten sie im Dezember 1989 gekonnt. Aber die SED wurde nicht aufgelöst, sondern man gab den alten Eliten mit der ModrowRegierung die Möglichkeit, sich einige Pfründe zu sichern. Insofern ist das Abschneiden von Bündnis 90 und der Grünen Partei der DDR nicht verwunderlich, sondern folgerichtig, und war mit zusammen knapp 5 Prozent auch gar nicht so schlecht. Das sage ich nicht nur, weil meine Mutter, die damalige Spitzenkandidatin der Grünen, auf der Tribüne sitzt. Trotzdem - auch das gehört zur Wahrheit dazu - haben die Bürgerrechtler mit der Sicherung der MfS-Akten und der schonungslosen Aufarbeitung der DDR-Diktatur, für die die gesetzlichen Grundlagen in der Volkskammer gelegt wurden, einen unschätzbaren Beitrag zur deutschen Einheit geleistet. ({7}) Dafür gebühren ihnen unser Dank und unser Respekt. Dieses Erbe halten diese Koalition und eine übergroße Mehrheit in diesem Haus bis in die Reihen der Linksfraktion hinein in Ehren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Iris Gleicke erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! - Ich beziehe in diese Anrede die Abgeordnetenkollegen der letzten und der einzigen frei gewählten Volkskammer ein. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Volkskammerwahl vom 18. März 1990 war ein Ereignis von historischer Tragweite, nicht nur, weil sie die erste und zugleich einzige freie, gleiche und geheime Volkskammerwahl war, die in der DDR je stattgefunden hat. Alle vorherigen Volkskammerwahlen waren eine lächerliche Farce. Dazu ist im Mai des vergangenen Jahres alles und sehr viel Richtiges gesagt worden. 1990 gab es eine Wahlbeteiligung, von der wir heute nur noch träumen können. Damals sind über 93 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gegangen. Über 93 Prozent: Eine so hohe Wahlbeteiligung hat es bei Bundestagswahlen in der alten Bundesrepublik nie gegeben. 1972, nach dem berühmten Willy-Brandt-Wahlkampf, erreichte man 91,1 Prozent. Nur zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl haben wir gerade einmal 71,5 Prozent erreicht. Mich macht das sehr nachdenklich, auch im Hinblick darauf, welche großen Hoffnungen wir Ostdeutschen damals mit der ersten und einzigen freien Volkskammerwahl verbunden haben. Die Demokratie war uns unglaublich wichtig. Schließlich hatten wir sie mit einer friedlichen Revolution erstritten und die Mauer niedergerissen, die damals die Deutschen von Deutschen trennte. Wie man eine Diktatur abschüttelt, wie man Mauern überwindet, das hatten wir gelernt; das wussten wir im März 1990. Von der ganz praktischen Arbeit in einem Parlament, von parlamentarischen Verfahren und von der knochenharten Auseinandersetzung mit den Details einer Gesetzgebung wussten die meisten von denen, die 1990 in die Volkskammer gewählt wurden, nicht allzu viel. Umso größer muss heute unser Respekt vor diesen Frauen und Männern sein, die zum Teil Tag und Nacht geschuftet haben, um sich einzuarbeiten, um ihre Ideen zu verwirklichen, um den großen Ansprüchen gerecht zu werden, die mit ihrer Wahl verbunden waren. ({0}) Auch darin sind sie uns ein Vorbild. Es wurde damals sehr schnell klar, dass das wichtigste Ziel des Parlaments eigentlich darin bestand, sich selbst abzuschaffen, so paradox das auch klingen mag. Denn nur fünf Monate später war es so weit. Da erklärte die Volkskammer den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes zum 3. Oktober 1990. Die innerste und tiefste Bedeutung dieser historischen Entscheidung vom 23. August 1990 liegt für mich darin, dass das eine Entscheidung in Freiheit war. Für mich ist deshalb der 23. August 1990 der eigentliche Tag der deutschen Einheit. Die Ostdeutschen sind nicht erst durch die staatliche Wiedervereinigung zu freien Bürgern geworden. Man hat uns diese Freiheit nicht geschenkt oder gnädig zugestanden. Wir haben sie uns selbst erkämpft. ({1}) Das - vielleicht vor allem das - ist es, worauf wir Ostdeutsche stolz sein dürfen und worauf wir eigentlich über alle Parteigrenzen hinweg stolz sein müssen. Wir haben in Ostdeutschland in den letzten 25 Jahren unglaublich viel erreicht, trotz einiger Fehler im Einigungsvertrag, trotz Treuhand, trotz Deindustrialisierung, trotz Massenarbeitslosigkeit, trotz Abwanderung. Es ist noch längst nicht alles gut, aber vieles ist in den zurückliegenden 25 Jahren gut geworden. Bei der Wirtschaftskraft, bei den Löhnen, beim Steueraufkommen, überall hinkt der Osten dem Westen hinterher. Aber es gibt eine gute Perspektive, immer unter der Voraussetzung, dass man den Osten nach den Einheitsfeiern nicht im Regen stehen lässt. Es geht aber nicht immer nur ums Geld, auch wenn man manchmal fast den Eindruck gewinnen könnte. Wir haben bei der Aufarbeitung der Vergangenheit viel erreicht. Aber auch hier ist noch nichts beendet und vorbei. Wir müssen weiter über die Opfer der Diktatur reden. Wir müssen vor allem mit diesen Opfern reden, mit den Opfern von staatlicher Willkür, von Stasi und Zwangsarbeit. Das Geschrei der Feinde kann man vielleicht vergessen. Den Verrat der Freunde, der Nachbarn, der Kollegen, der Lehrer, ja selbst den der eigenen Eltern, einen solchen Verrat vergisst man nie. Es ist nämlich auch da wirklich noch längst nicht alles gut. Es sind noch längst nicht alle Wunden verheilt. Bei manchen, bei viel zu vielen, weiß ich, dass sie niemals verheilen werden. Das sind Wunden, die eitern und schwären und immer wieder aufbrechen. Das liegt auch daran, dass viele nach 25 Jahren endlich zur Normalität und zur Tagesordnung übergehen möchten. Da sage ich laut und deutlich: Nein. ({2}) Ich höre sie doch, diese subtilen und versteckten Botschaften. Diese Botschaften lassen sich im Grunde doch so zusammenfassen: Das alles tut uns wirklich leid, aber wir können und wir wollen das Reden über das Leid nicht mehr ertragen, jedenfalls nicht außerhalb der würde- und weihevollen Feierstunden. - Das kann und das darf nicht sein. Das darf diese Gesellschaft, das darf dieses gesamtdeutsche Parlament nicht zulassen. Auch das gehört zum Erbe der Volkskammer, dass wir nicht aufhören dürfen, uns zu erinnern. ({3}) Ich habe vor kurzem die Studie „Deutschland 2014“ vorgestellt, die klare Belege dafür liefert, wie sehr Ost und West seit der Wiedervereinigung ganz im Sinne Willy Brandts schon zusammengewachsen sind. Aber diese Studie stellt leider auch fest, dass das Vertrauen in Politiker und Parteien in beiden Teilen Deutschlands gleich schlecht ist. Das ist schon eine ziemliche Klatsche für uns Volksvertreter. Die Ostdeutschen sind da durchweg noch skeptischer, kritischer und distanzierter als die Westdeutschen. Die Politik hat im Osten nur 25 Jahre nach der Volkskammerwahl ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Das sollte uns alle sehr nachdenklich machen. ({4}) Das würde ich mir jedenfalls wünschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, die frei gewählten Abgeordneten der Volkskammer haben eine Entscheidung in Freiheit getroffen, für freie Bürgerinnen und Bürger, die in ihrer ganz großen Mehrheit schon in den Zeiten der Diktatur versucht haben, ein anständiges Leben zu führen. Das gilt es endlich anzuerkennen. Herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieser Debatte erhält die Kollegin Monika Lazar für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Auch für mich war der 18. März vor 25 Jahren ein besonderer Tag, der genauso bei wunderschönem Frühlingswetter stattfand. Es war auch meine erste demokratische Wahl in der DDR. Aber wir dürfen natürlich nicht vergessen: Wir haben uns das auch selber hart erarbeitet. ({0}) Ich etwa war in Leipzig aktiv bei den Montagsdemonstrationen. Ein Jahr vorher hätte sich niemand vorstellen können, welch rasante Entwicklung dieses Land genommen hat. Deshalb habe ich diesen Tag in guter Erinnerung behalten. Ich war damals 22 Jahre jung und habe meinen bescheidenen Beitrag im Wahllokal geleistet. Ich war mit im Wahlvorstand und wurde auch gleich zur Vorsitzenden gewählt. Wir hatten ja alle keine Ahnung, wie das alles so läuft; aber es hat trotzdem gut geklappt. Der Wahltag selber war natürlich voll guter Stimmung. Die Leute strömten ins Wahllokal, was heute leider nicht mehr ganz so ist. Wir fieberten der Auszählung entgegen; denn diesmal wollten wir beweisen, dass wir richtig auszählen können. Ehrlich gesagt, umso deprimierender war für Leute wie mich das Ergebnis. ({1}) Selbstverständlich konnte sich die CDU freuen: Die Allianz für Deutschland hatte überwältigend gewonnen. Aber alle, die damals dabei waren, haben noch die gigantische Materialschlacht im Hinterkopf, die im Wahlkampf geschlagen wurde. ({2}) Mit dem bisschen, mit dem die Westgrünen uns unterstützt haben, konnte nicht aufgewertet werden, was alles an CDU-Prominenz und -Material den DDR-Bürgern vorgesetzt wurde. ({3}) Die DDR-Bürger haben das natürlich gern angenommen. Man soll nicht über Ergebnisse schimpfen, wenn man schon frei wählen kann. So war das nun einmal. Aber für mich war das die erste kleine Klatsche. Man strengt sich an, sorgt dafür, dass sich ein Land ändert, und dann spielt man wieder keine Rolle. Aber das ist in der Demokratie so: Opposition und Regierung gehören dazu. Das Schöne war natürlich, dass wir eine so wunderbar hohe Wahlbeteiligung hatten. Umso unverständlicher ist es, dass die Wahlbeteiligung in Ostdeutschland seitdem so stark abgenommen hat. Angesichts dessen, dass wir 1989 für freie Wahlen auf die Straße gegangen sind, ist es auch für mich persönlich schwer erträglich, wenn man gerade jetzt an Infoständen steht und die Leute sagen: Ach nein, Wahlen, das ist jetzt doch nichts mehr für mich. - Alle, die hier sitzen, und alle, die für politische Ämter kandidieren, wir alle müssen uns an die eigene Nase fassen und überlegen: Wie können wir unsere Demokratie attraktiver machen? Die Vorschläge, die bis jetzt im Raum stehen, haben mich da noch nicht wirklich überzeugt. ({4}) Das ist eine gemeinsame Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Wir sehen es im internationalen Maßstab: Demokratie ist nicht automatisch ein Dauerzustand; sie muss jeden Tag hart errungen werden. Ich glaube, wir alle sollten uns darüber einig sein, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, die Vorzüge zu benennen, sodass die Wählerinnen und Wähler nicht nur häufiger, sondern auch überzeugter zur Wahl gehen und für die Demokratie eintreten. Ich glaube, auch das ist eine Lehre aus dieser ersten freien Wahl in der DDR. Vielen Dank. ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. Damit sind wir am Ende dieser Debatte angekommen. Ich darf mich bei allen bedanken, auch für die Erinnerungen, die uns allen immer guttun. Ich bedanke mich, dass Sie alle da waren, und denke, dass wir uns in der einen oder anderen Formation heute noch wiedersehen. Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die noch wichtige Gespräche zu führen haben, bitte ich jetzt, diese außerhalb des Plenarsaals zu führen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pläne der Bundesregierung für einen nationalen Alleingang bei der Vorratsdatenspeicherung Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe SPD, ({0}) wie sehr müssen Umfragewerte eigentlich schmerzen, dass Sie glauben, diese Schmerzen mit Vorratsdatenspeicherung lindern zu können? ({1}) 80 Millionen Menschen in Deutschland sollen unter Generalverdacht gestellt werden. ({2}) Jedes einzelne SPD-Mitglied, Sie und ich und alle anderen, wir alle sind dann gleich verdächtig, ohne Anlass einer Straftat, ohne die Chance, die Überwachungsmaschine irgendwie zu kontrollieren, meine Damen und Herren. Am Ende werden Sie die Daten von Menschen speichern, die weder Terroristen sind noch jemals welche werden, ({3}) von Menschen, die noch nicht einmal je welche getroffen haben. Der Anruf beim Psychologen, der Anruf beim Enkelkind mit Schulstress, ({4}) der Anruf beim Insolvenzberater, das alles wird künftig gespeichert. ({5}) Aber - ich finde, da sollten Sie wirklich zuhören - geschultes Personal, um die 280 Gefährder, die aus Syrien zurückgekehrt sind, zu überwachen, haben Sie nicht, und dieses Ungleichgewicht prangern wir an. ({6}) Mal ehrlich: Was soll jetzt an der Vorratsdatenspeicherung plötzlich gut sein, die gestern noch schlecht war? Die furchtbaren Terroranschläge von Paris und Kopenhagen können nicht der Grund sein; denn Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung, Dänemark auch. Die Täter waren beide Male polizeibekannt. ({7}) Ihre Antwort auf Fehler in der Überwachung ist „mehr Überwachung“, und das ist absurd. ({8}) Fakt ist, meine Damen und Herren: Man findet die Nadel im Heuhaufen doch nicht besser, wenn man den Heuhaufen vergrößert. ({9}) Doch genau das verkündet jetzt der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister seinen leicht verschreckten Genossen via Deutschlandfunk am Wochenende. Ihre Generalsekretärin hatte gerade noch gesagt: Es ist völlig unklar, inwiefern eine Vorratsdatenspeicherung nach dem Urteil des EuGH überhaupt noch möglich ist. ({10}) Und sie hat gesagt: Keine Schnellschüsse. Am Montag erklärte sie dann: Ja, ein Vorschlag wird „relativ zügig, vermutlich noch in der ersten Jahreshälfte“ vorgelegt. - Wieder steht Ihre Generalsekretärin komplett düpiert da. Der Bundesjustizminister lässt sein Einknicken noch dementieren, nachdem er schon längst über den Preis verhandelt hat. Heiko Maas, Sie sind doch schon vor Wochen bei den Law-and-Order-Fans der Union unter die Decke gekrochen. ({11}) Dank Ihrem Parteivorsitzenden weiß das jetzt auch noch jeder. Liebe SPD, die Wahrheit ist doch: Sie haben eine Weile ein kleines bisschen Bürgerrechtspartei gespielt. Jetzt hat der Parteivorsitzende Sie als solche komplett abgemeldet. ({12}) Man könnte auch sagen: Wir sind jetzt quasi bei Maut 2; denn jetzt müssten Sie ja ein Gesetz vorlegen, das europarechtskonform und noch dazu verfassungskonform ist. Erinnern Sie sich noch? Die Vorratsdatenspeicherung ist sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Europäischen Gerichtshof gestoppt worden, und jetzt können Sie sich nicht einmal mehr auf eine EU-Richtlinie berufen. Eine Klage gegen Ihre VorratsdatenspeiKatrin Göring-Eckardt cherung wird genauso schnell sein wie Ihr Gesetz; das jedenfalls ist sicher. Deshalb ist es auch so unnötig und so ärgerlich. ({13}) Ich sage Ihnen eines: Die Freiheit, die wir alle gemeinsam am Brandenburger Tor beschworen haben, verteidigt man bestimmt nicht, indem man die Freiheit der Bürger überwacht, sondern, indem man für sie kämpft. Darum geht es doch. ({14}) Sonst haben doch die gewonnen, die uns Angst machen wollen. Herr Gabriel, je nach Umfrage sind es knapp über die Hälfte bis zu zwei Drittel der Deutschen, die die Vorratsdatenspeicherung ablehnen. Übrigens ist unter sozialdemokratischen Wählerinnen und Wählern die Ablehnung fast mit am höchsten. Das Drittel, das die Datenspeicherung will, wird am Ende bestimmt nicht SPD wählen, weil Sie an einem Wochenende umgekippt sind. Bis zwölf Monate nach der Bundestagswahl hatte man ja das Gefühl, dass die SPD inhaltlich die treibende Kraft der Koalition wäre: Sie haben den Mindestlohn durchbekommen, Sie haben mit der Rente mit 63 sich kräftig eins eingeschenkt. ({15}) Bis Ende letzten Jahres hatte man nach allgemeiner Auffassung den Eindruck, die SPD sei der inhaltlich stärkere Part in der Koalition. ({16}) Das hat Sie in den Umfragen auf 25 Prozent gebracht. Manche von Ihnen fanden das ungerecht; vielleicht ist es das auch. ({17}) Jetzt räumen Sie das letzte bisschen Unterschied weg. Dass Sie nicht mehr glauben, den Kanzler stellen zu können, haben wir vernommen. Ich sage Ihnen nach diesem ganzen Drama: Sie können es auch nicht. ({18})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Man muss den Grünen ausdrücklich dankbar sein, dass sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben, ({0}) damit wir mit ein paar Falschinformationen aufräumen können ({1}) und ein paar Informationen zum Thema Vorratsdatenspeicherung geben können. Schon der Titel „Pläne der Bundesregierung für einen nationalen Alleingang bei der Vorratsdatenspeicherung“ ist mehr Irreführung als Aufklärung, weil es, wenn über 20 EU-Staaten Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung haben, schon sehr sportlich ist, von einem nationalen Alleingang zu sprechen, um nicht zu sagen, eine falsche Information ist, und das ist die erste, die wir hier beseitigen. ({2}) Warum, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind wir für die Vorratsdatenspeicherung und halten wir dieses Instrument für die Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten für notwendig? Nicht weil wir Obsessionen haben, ({3}) sondern, weil wir das, was uns alle Sicherheitsbehörden, alle Polizistinnen und Polizisten, alle Ermittler sagen und raten, ernst nehmen. Wir in der Union nehmen ernst, was uns die Polizei und die Ermittlungsbehörden raten. ({4}) Im Übrigen kenne ich auch keinen SPD-Innenminister, der gegen die Vorratsdatenspeicherung ist. Alle SPDInnenminister - die amtierenden, der ehemalige SPDBundesinnenminister -, alle, die etwas von der Sache verstehen, sind für die Vorratsdatenspeicherung, und das ist richtig, weil uns das die Experten auch so raten. ({5}) Wie ist denn die Lage heute, was die Verbindungsdaten angeht? Ein Wildwuchs. Das eine Telekommunikationsunternehmen speichert die Daten, das andere Telekommunikationsunternehmen speichert die Daten nicht. Bei dem einen Kunden werden die Daten gespeichert, bei dem anderen Kunden werden die Daten nicht gespeichert. Thomas Strobl ({6}) Es wäre doch einmal ein Beitrag, diese Daten „safe“ zu machen: Für alle Telekommunikationsunternehmen, ({7}) für alle Kunden gelten die gleichen Regeln. ({8}) Die Daten werden für einen bestimmten Zeitraum gespeichert. Wir regeln auch, wo die Daten gespeichert werden - es ist ein Unterschied, ob der Server in Deutschland steht oder auf den Cayman-Inseln oder in Indonesien -, und das sollten wir einheitlich regeln. Die Daten werden einheitlich bei allen Unternehmen für eine gewisse Zeit gespeichert, und dann werden sie auch bei allen Unternehmen zum gleichen Zeitpunkt endgültig gelöscht. ({9}) Wir wollen Datensicherheit in diesem Bereich gewährleisten. Deswegen werden wir auch in diesem Bereich zu einer Regelung kommen. ({10}) Ganz im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Linken: Wenn uns die Fachleute im Edathy-Untersuchungsausschuss sagen, dass diejenigen, die Kinderpornografie nutzen, ganz genau wissen, zu welchem Telekommunikationsanbieter sie gehen müssen, damit ihre Daten nicht gespeichert werden, und wir nichts dagegen unternehmen, dann schützen wir die Falschen. Deswegen werden wir das auch beenden. ({11}) Ein weiterer Punkt ist: Was passiert dann mit diesen Daten? Ich möchte Ihnen ehrlich sagen, Frau GöringEckardt: Von einer Totalüberwachung zu sprechen, ({12}) ist wirklich perfide; damit spielt man mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger. Um was geht es denn hier? ({13}) - Jetzt bleiben Sie doch mal ganz ruhig, und hören Sie einen Moment zu! ({14}) Es geht darum, dass Dauer, Zeit, Rufnummer und IPAdressen gespeichert werden. Es geht nicht darum, dass Inhalte gespeichert werden. Nicht einmal bei den Grünen regt sich jemand darüber auf, dass zur Aufklärung schwerer und schwerster Straftaten Telefongespräche nach einem Richtervorbehalt abgehört werden dürfen. ({15}) Das geschieht in der Bundesrepublik Deutschland selbstverständlich. Hier geht es aber um deutlich weniger. Es geht nicht um die Inhalte der Gespräche, sondern lediglich um die Verbindungsdaten: Wer hat wann mit wem kommuniziert? - Wenn Sie sagen, dass es auf der einen Seite in Ordnung ist, dass man Gespräche abhört, aber auf der anderen Seite sagen, ({16}) wir dürften nicht auf Verbindungsdaten zugreifen, dann fehlt dem jede Logik. ({17}) Ehrlich gesagt, Frau Göring-Eckardt, auf Paris zu rekurrieren und zu sagen, dass die Vorratsdatenspeicherung den Anschlag, die schrecklichen Morde nicht verhindert hat, ist, mit Verlaub gesagt, perfide. ({18}) Niemand hat behauptet, dass die Vorratsdatenspeicherung ein Allheilmittel ist. ({19}) Gerade Paris ist ein gutes Beispiel dafür, dass durch die Vorratsdatenspeicherung Dinge aufgeklärt werden konnten, dass das terroristische Umfeld aufgeklärt werden konnte, dass Netzwerke aufgeklärt werden konnten und dass dadurch möglicherweise weitere Anschläge verhindert werden konnten. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung hilfreich ist. ({20}) Eine letzte Bemerkung: Es sind doch nicht unsere Polizistinnen und Polizisten, es sind doch nicht unsere Sicherheitsbehörden in Deutschland, die die Freiheit bedrohen, sondern es sind die Terroristen, die organisierte Kriminalität, die Kinderpornografie. ({21}) Thomas Strobl ({22}) Das bedroht uns. Wir sollten denjenigen, die unsere Freiheit schützen, auch die Instrumente an die Hand geben, dass sie ihre Arbeit machen können. Herzlichen Dank. ({23})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Petra Pau überwiegend das Wort. ({0}) - Dürfen wir uns darauf verständigen, dass jetzt die Kollegin Pau das Wort hat, Ihr Einverständnis vorausgesetzt? - Danke schön. Bitte schön, Frau Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ist sie also wieder, die Vorratsdatenspeicherung, dank CDU/CSU und, wie man hört und liest, auch dank der SPD. Nicht, dass ich oder die Linke sie vermisst hätte, im Gegenteil. Wir hatten 2006 gegen die Vorratsdatenspeicherung gestimmt, und ich hatte Ihnen damals schon prophezeit: Sollte Ihr Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Kraft treten, so werden wir uns in Karlsruhe wiedersehen. Und so kam es dann auch: Wir - und mit uns Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger - bekamen recht. Das Bundesverfassungsgericht erklärte Ihre Vorratsdatenspeicherung für null und nichtig, weil sie schlichtweg grundgesetzwidrig war. ({0}) Dann wurde versucht, bei der prophylaktischen Speicherung aller Telekommunikationsdaten über EU-Bande zu spielen. Aber das Nein des Europäischen Gerichtshofes war ebenso klar wie vordem das Nein der Bundesverfassungsrichter. Nun wollen es CDU/CSU und SPD also erneut versuchen. In der Alltagssprache nennt man so etwas „Wiederholungstäter“. Geradezu symbolisch kommt hinzu: Wir schreiben heute den 18. März. Ich komme gerade vom Brandenburger Tor, wo der Revolution von 1848 gedacht wurde, übrigens parteiübergreifend, von der Union bis zur Linken. ({1}) Damals ging es um Bürgerrechte und Demokratie. Die geplante Vorratsdatenspeicherung indes schwächt Bürgerrechte und Demokratie. Und deshalb: Man kann nicht sonntags das Grundgesetz loben und es werktags attackieren. Das macht auf Dauer einfach unglaubwürdig. ({2}) Auch an der Begründung für die Vorratsdatenspeicherung hat sich nichts geändert. Es gehe um Kriminalitätsund Terrorbekämpfung, heißt es. Auch hier wiederhole ich Ihnen gern, was ich schon 2007 gesagt hatte: Die Hauptattacken gegen Bürger- und Freiheitsrechte hierzulande kommen nicht von … Extremisten. Sie kommen von Spezialisten, die auf das Grundgesetz geschworen haben. ({3}) Wo das hinführen kann, wurde uns dank Edward Snowden gerade erst anhand der totalen NSA-Datengier vorgeführt. Die ungebrochene Praxis der NSA ist übrigens der größte Angriff auf Bürgerrechte und Demokratie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. ({4}) Dagegen gäbe es tatsächlich genügend zu tun. ({5}) Wenn die schwarz-rote Bundesregierung meint, mehr zur Verteidigung westlicher Werte unternehmen zu müssen: Engagieren Sie sich, dass in der EU endlich ein Datenschutzrecht gilt, das dem 21. Jahrhundert angemessen ist. Dabei hätten Sie die Linke auf Ihrer Seite, bei der Vorratsdatenspeicherung definitiv nicht. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Lars Klingbeil, SPD-Fraktion. ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Freunde von den Grünen, ich freue mich, dass wir hier im Hohen Hause so leidenschaftlich über Grundrechte diskutieren. Ich halte das für wichtig. Ich will mich dem Dank des Kollegen Strobl an die grüne Fraktion anschließen, dass sie diese Aktuelle Stunde beantragt hat. Ich finde, wir Parlamentarier tragen eine große Verantwortung, wenn es darum geht, über Freiheit und Sicherheit zu diskutieren und dabei die richtige Balance zu finden. Eine der wichtigsten Aufgaben, die wir in diesem Haus haben, ist, uns diesen Fragen zu stellen: Was darf der Staat? Was darf er mit den Daten der Bürger machen? Wie stark darf er eingreifen? Ich finde es gut und richtig, dass wir das heute diskutieren. Es wird sicherlich nicht die letzte Diskussion bleiben, die wir hier im Haus zu diesem wichtigen Komplex führen. ({0}) Frau Göring-Eckardt, ich will Ihnen aber sagen: Ich habe keine Angst vor dieser Diskussion. Wenn ich höre, was Sie hier als „Streit“ beschrieben haben, ({1}) dann muss ich sagen: Nein, es ist eine politische Diskussion, die wir zu führen haben. ({2}) Davor haben wir Sozialdemokraten keine Angst. ({3}) Gehen Sie davon aus: Wir werden diese Diskussion auch in der Koalition verantwortungsvoll führen. Es ist kein Geheimnis, dass es in der Koalition eine ganze Bandbreite von unterschiedlichen Positionen gibt. Ich glaube, das ist einer der Gründe, weswegen wir das heute hier in der Aktuellen Stunde diskutieren. Da gibt es auf der einen Seite Herrn Strobl, auf der anderen Seite vielleicht Lars Klingbeil. ({4}) Aber gehen Sie davon aus: Wir werden diese Diskussion, die keine leichte ist, in der Großen Koalition verantwortungsvoll führen. Wir werden diese Debatte in dem Bewusstsein führen, dass es einen Paradigmenwechsel gegeben hat. Dieser Paradigmenwechsel wurde mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs eingeleitet, ({5}) mit dem die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für obsolet erklärt wurde. Ich bin Heiko Maas ausdrücklich dankbar dafür, dass er damals besonnen reagiert hat, dass er erklärt hat: Es kommt nicht zu nationalen Schnellschüssen, sondern wir schauen uns an, was auf der europäischen Ebene passiert. ({6}) Wir werten das Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus und werden dann besonnen und konstruktiv in die nationale Debatte einsteigen. - Genau das tun wir jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Der Paradigmenwechsel ist da ({8}) - hören Sie doch bitte einmal zu -, weil wir uns erstmalig in einer anderen Situation befinden. Über Jahre hinweg mussten die Gegner der Vorratsdatenspeicherung erklären, warum sie dagegen sind. Jetzt müssen die Befürworter sagen, warum sie dafür sind. ({9}) Mit der europäischen Richtlinie gibt es keine Gründe mehr. Mit den Strafzahlungen gibt es keine Gründe mehr. Wir als Parlament können jetzt entscheiden, was wir wollen. Die Diskussion darüber werden wir in den nächsten Wochen und Monaten führen, und ich freue mich auf diese Diskussion, weil es eine Diskussion der Argumente sein wird und nicht mehr eine der europäischen Regeln und der Zwänge, in denen wir uns bewegen. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehen, ob es gelingt, die Begriffe „anlasslos“, „flächendeckend“ und „grundrechtskonform“ zusammenzubringen. Ich prognostiziere: Das kommt einer Quadratur des Kreises gleich. ({10}) Das ist eine schwierige Aufgabe, die vor uns liegt. Aber wir wollen diese Diskussion führen, und ich rate auch den Grünen, sich einer Diskussion über eine effiziente Strafverfolgung, über eine effiziente Strafaufklärung nicht zu verweigern. ({11}) Wir müssen diese Diskussion in turbulenten Zeiten wie diesen führen. Ich würde mir wünschen - auch das will ich anmerken -, dass wir ebenso leidenschaftlich und emotional, wie wir über die Frage der Vorratsdatenspeicherung diskutieren, auch darüber diskutieren, ob wir die Strafermittlungsbehörden personell und technisch nicht besser ausstatten müssten. ({12}) Wir werden über die sehr unterschiedlichen Vorschläge, die im Raum stehen, debattieren. ({13}) - Ich spreche doch gerade für die Koalition. - Es wird darüber zu diskutieren sein, ob wir die Anlässe definieren, ob wir die Speicherdauer verkürzen, ob wir Unterschiede bei den Datenarten machen und ob wir Berufsgruppen aus der Vorratsdatenspeicherung herausnehmen, wenn sie denn kommt. Ich will zum Ende nur noch eines sagen: Egal welche Position nachher auf dem Tisch liegt, egal wie das Parlament entscheidet, wir als Parlamentarier müssen am Ende zwei Fragen beantworten. Die eine Frage ist, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Die zweite Frage ist, ob die hohen Hürden, die uns vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof vorgegeben wurden, eingehalten werden oder ob wir nicht Gefahr laufen, mit Anlauf und mit erhöhter Geschwindigkeit wieder gegen die Wand eines Gerichtsurteils zu laufen. Davor kann ich nur warnen. ({14}) Eine solche Situation sollten wir verhindern. ({15}) Ich freue mich auf die konstruktive Diskussion, die wir in den nächsten Monaten mit vielen guten Argumenten führen werden. Vielen Dank. ({16})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt die Kollegin Elisabeth Winkelmann-Becker das Wort. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebes Präsidium! Liebe Kollegen! Liebe Zuhörer! „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Vorratsdatenspeicherung brauchen … “ ({0}) Das ist ein Zitat des SPD-Innenministers von BadenWürttemberg, Reinhold Gall. Vorratsdatenspeicherung ist hilfreich in den späteren Ermittlungen, da haben wir uns als Innenminister klar positioniert. - Das sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger im Morgenmagazin im Januar. ({1}) Dietmar Pistorius hält sie für ein wichtiges Instrument. ({2}) - Boris, Entschuldigung. - Der SPD-Innenminister von Rheinland-Pfalz, aktueller Vorsitzender der Innenministerkonferenz, will ebenfalls prüfen, wie die Vorratsdatenspeicherung in Zukunft geregelt werden kann. Er hat gesagt: Wir brauchen Waffengleichheit. - Sigmar Gabriel steht mit seiner Aussage, dass wir Vorratsdatenspeicherung brauchen, also keineswegs allein da in der SPD, sondern er wird gerade von denen unterstützt, die Ahnung haben, ({3}) von denen, die wissen, wie die Sicherheitslage in Deutschland ist ({4}) und woran es scheitert, dass Ermittlungen erfolgreich geführt werden können und dass Straftaten verhindert werden. ({5}) Ich nehme gerne den Faden von Thomas Strobl auf, der gesagt hat, wir müssten einige Irrtümer ausräumen. Ein Irrtum, den ich hier gerne ausräumen möchte, ist, dass das Bundesverfassungsgericht jegliche Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt hat. Das ist schlichtweg falsch. ({6}) Lesen Sie bitte schön einmal die Entscheidung. ({7}) Das Verfassungsgericht hat uns sehr detaillierte Vorgaben gemacht. Das hätte es sich sparen können, wenn die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich verfassungswidrig wäre. ({8}) Wir wollen eine Regelung, die genau all diese Vorgaben einhält; das ist möglich. ({9}) Dann haben wir immer noch eine sehr effiziente Hilfe für unsere Ermittlungsbehörden bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität. Um noch einmal klarzustellen, worum es geht: Wir reden nur von Verbindungsdaten, also von dem, was früher auf der Rechnung stand, die man von der Telekom bekommen hat. Wir reden - das muss man allerdings auch ehrlicherweise sagen - zusätzlich von IP-Adressen, und wir reden von den Ortungsdaten, von den Funkzellendaten von Handys; das kommt hinzu. ({10}) Wir reden aber eindeutig nicht von Inhalten, wie sie zum Beispiel auf Facebook gespeichert werden. Wir reden nicht von Inhalten der gesamten Kommunikation, sondern nur von diesen technischen Daten. Wie belastend ist denn nun der Eingriff für die Bürger, wenn wir wirklich all die Vorgaben einhalten und ins Gesetz schreiben, wenn wir sicherstellen, dass nur unter engen Voraussetzungen auf die Daten zugegriffen werden kann, wenn in aller Regel der Normalfall ist, dass sie völlig unbeachtet, ungelesen nach einer definierten Frist gelöscht werden, die wir in der Tat festsetzen sollen? Dann gibt es keine Überwachung, sondern es passiert schlichtweg gar nichts mit diesen Daten. Wir müssen sie allerdings - das hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem moniert - auch noch sicherer machen. An dieser Stelle haben wir an der falschen Ecke gespart; bei der Datensicherheit müssen wir sicherlich nachbessern. Aber wenn das alles eingehalten wird, dann weiß ich nicht, wo das ganz große Problem liegt. Mir hat eine junge Frau erzählt, dass sie aufgrund einer Funkzellenabfrage als mögliche Zeugin vernommen worden ist. Sie hat aber nichts dazu beitragen können, den Fall aufzuklären. ({11}) Aber vielleicht haben andere es getan, die ebenfalls in dieser Funkzelle waren, vielleicht hat eine brauchbare Spur zum Täter geführt. Jedenfalls hat das bei dieser jungen Frau offenbar keine Traumatisierung ausgelöst. Das hat auch mit Generalverdacht überhaupt nichts zu tun. ({12}) Wir müssen all den Leuten, die immer sagen, mit Kinderpornografie oder Terroranschlägen hätten sie persönlich nichts zu tun, klarmachen, dass auch ihnen die Internetkriminalität viel näher ist, als sie vielleicht denken. Es gibt zunehmend Delikte, die auch bei den Normalbürgern erheblichen Schaden anrichten und für die es keinen Ermittlungsansatz gibt, wenn wir nicht auf IPAdressen und Kommunikationsdaten zurückgreifen können. Ein Studienkollege von mir, der jetzt Landrat in Nordrhein-Westfalen ist, hat mir gerade in dieser Woche noch Beispiele genannt. Ein Fall war, dass eine Geschädigte eine Abmahnung wegen angeblicher Urheberrechtsverstöße bekam. Es ging um behauptete Redtube-Porno-Streaming-Kosten. Die IP-Adresse konnte nicht nachvollzogen werden, es gab erheblichen Schaden und keinen Ermittlungsansatz, weil man eben überhaupt nicht nachvollziehen konnte, von wem das kam, was da so viel Schaden angerichtet hatte. In einem anderen Fall wurden mit Daten des Geschädigten Dienste bestellt, unter anderem bei Sky. Auch hier gab es keinerlei Ermittlungsansätze, weil man eben nicht nachvollziehen konnte, wer das gemacht hat. ({13}) Auch bei dem Enkeltrick, bei dem Banden meist ältere Menschen per Telefon auffordern, ihnen Geld zu geben oder zu überweisen, gibt es keine Möglichkeit, an die Täter heranzukommen. ({14}) Um auf die schwere Kriminalität zurückzukommen: Ich war Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss. Damals hätte uns so etwas wirklich weitergeholfen; es wäre zielführend gewesen, zu wissen, mit wem die Täter in den Monaten vor ihrem Selbstmord telefonierten und Kontakt hatten. Das hätte uns sofort geholfen, uns ein besseres Bild zu machen, wie weit ihr Netzwerk reichte. Die Diskussion über Kinderpornografie habe ich auch noch in sehr guter Erinnerung. Wir haben da wirklich den strafrechtlichen Schutz erhöht. Aber man muss die Täter auch erst haben. Wenn man sie gar nicht ermitteln kann, dann nützt es nichts, dass die Strafe zwei oder drei Jahre gewesen wäre. ({15}) Sie bleiben unbehelligt, und wer an dieser Stelle den Kampf gegen Kinderpornografie ernst nimmt, muss auch da für die Vorratsdatenspeicherung sein. Ich bin sehr dankbar für den konstruktiven Ansatz des Kollegen Lars Klingbeil. Es ist in der Tat eine Abwägung; aber den schmalen Grat, den die Urteile aus Karlsruhe und aus Brüssel uns lassen, den sollten wir gemeinsam gehen und eine entsprechende verfassungsfeste Regelung erarbeiten. Vielen Dank. ({16})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Das war im Übrigen die Kollegin Winkelmeier-Becker und nicht Winkelmann-Becker, wie ich fälschlicherweise gesagt habe. Ich bitte um Entschuldigung; aber dafür war ich bei der Redezeit großzügig. ({0}) Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Tempel, Fraktion Die Linke. ({1})

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- Bitte nicht. ({0}) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Vorratsdatenspeicherung ist ein Dauerthema in der Innen- und Rechtspolitik. Um Missverständnisse auszuschließen: Wenn Polizeibeamte fordern, alle Mittel zur Verfügung zu haben, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig sind, halte ich diese Forderung grundsätzlich erst einmal für legitim. Wenn Polizeigewerkschaften sich zum Sprachrohr dieser Forderung machen, halte ich das grundsätzlich erst einmal für legitim. Aber unser Rechtsstaat kennt das System der Gewaltenteilung, und dieses System hat sich sehr bewährt; darüber sind wir uns sicher alle einig. Die Exekutive, insbesondere die Polizei, muss zur Erfüllung ihrer Aufgaben in die Grundrechte der Bürger eingreifen. Wenn der Staat in die Grundrechte seiner Bürger eingreifen muss, dann muss das - das hat Verfassungsrang - verhältnismäßig sein, also geeignet, erforderlich und angemessen. Dieser Eingriff muss also nicht nur geeignet sein, Herr Strobl, sondern es gibt ein paar Kriterien mehr. Dabei geht es nicht um ein Bauchgefühl, sondern um klare, überprüfbare Kriterien. Ich möchte ein Bild benutzen, damit man das auch verstehen kann, wenn man nicht Innen- oder Rechtspolitiker ist: Wenn ich ein Gartenhaus bauen möchte, kann ich tolle Werkzeuge benutzen, die es heute zu kaufen gibt. Trotzdem würde ich sehr genau darauf achten, dass das Verhältnis zwischen Nutzen, Aufwand und Preis irgendwie noch stimmt. Wenn dieses Gartenhaus die Sicherheitsarchitektur unseres Landes symbolisiert, dann heißt das, dass wir darauf achten müssen, dass die erforderlichen Mittel in einem angemessenen Rahmen bleiben. Eingriffe in die Bürger- und Freiheitsrechte sind ein sehr hoher Preis. Deswegen muss man dreimal überlegen, ob man darauf zurückgreifen möchte oder nicht. ({1}) Darauf zu achten, ist nun einmal Aufgabe des Parlaments. Diese Aufgabe kann das Parlament nicht nach Belieben ausführen, sondern es muss sich dabei im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Im Zweifel - das haben wir insbesondere bei dieser Thematik schon erlebt überprüft das das Bundesverfassungsgericht. Dem Bundesverfassungsgericht sollte man hier mit etwas mehr Respekt begegnen. ({2}) Seit Jahren fordern die Innenminister - das überrascht nicht - immer wieder die Vorratsdatenspeicherung. Damit haben sie eine sehr schöne Dauerdebatte, die auch ganz schnell von anderen Themen der Innenpolitik ablenkt. Dass die Gewerkschaft der Polizei gegenwärtig wieder täglich vor dem Kanzleramt auftaucht, hat nichts mit der Vorratsdatenspeicherung zu tun, sondern mit immensen Defiziten bei der Ausrüstung, der Ausstattung und beim Stellenpool der Polizei. Deswegen sind sie dort. Sie sagen, dass es an diesen Stellen Bedarf gibt. Sie fordern keine Vorratsdatenspeicherung. ({3}) Wenn es um diese anderen Themen geht, sind die Innenminister zurückhaltender, dann sprechen sie seltener von der Sicherheit des Landes. Hier wird mit Taschenspielertricks gearbeitet. Der Investitionsstau wird ignoriert, und die Zahlen werden einfach schöngerechnet. Es gibt keinerlei Aktivitäten in diesem Bereich. Die Gewerkschaft steht alleine. Ich habe die Gewerkschaftsvertreter gestern bei ihrer Demonstration aufgesucht. Außer mir war kein Abgeordneter des Bundestages dort, obwohl alle Fraktionen angeschrieben worden sind. Man kann sich ruhig einmal anhören, was Polizeibeamte zur Erfüllung ihrer Aufgaben tatsächlich brauchen. ({4}) Der Gesetzentwurf, um den es hier geht, muss nicht vom Innenministerium vorgelegt werden, sondern vom Justizministerium. Das Justizministerium, das etwas Verfassungskonformes vorlegen muss, führt einen Schattenboxkampf. Man muss sich schon einmal überlegen, warum es seit Jahren nicht gelungen ist, etwas vorzulegen, das geeignet und verfassungskonform ist. Vielleicht liegt das ganz einfach daran, dass die Kriterien nicht zusammenzuführen sind. Das Schattenboxen wird jetzt intensiver und unsauberer. Man setzt Laienboxer ein. Herr Gabriel möchte jetzt nicht mehr um die Kanzlerschaft boxen, sondern kämpft jetzt ebenfalls für die Vorratsdatenspeicherung. Diesen Kampf wird er übrigens ebenfalls verlieren, es sei denn, er lässt sich noch etwas ganz Besonderes einfallen oder hat noch etwas in der Hinterhand, was er uns bisher verheimlicht hat. Mit „unsauber“ meine ich natürlich auch, dass wir hier eine Angstdebatte führen. Ich lese täglich die Ausführungen von diversen Leuten über eine immer gefährlicher werdende Welt, eine Welt, in der das Allheilmittel der Vorratsdatenspeicherung unbedingt notwendig ist. ({5}) Uns werden der Reihe nach Delikte genannt, bei denen die Vorratsdatenspeicherung angeblich unbedingt notwendig sei, bei der man ohne die Vorratsdatenspeicherung gar nicht mehr weiterkomme. Allerdings ist selbst das BKA diesen Nachweis bis zum heutigen Tag schuldig geblieben. Dieser Nachweis wurde nicht erbracht. Herr Strobl, ein Hinweis für Sie: Beim Vorliegen einer schweren Straftat, bei der eine Telefonüberwachung stattfindet, haben wir eben kein anlassloses Vorgehen, sondern einen konkreten Anfangsverdacht. ({6}) Das ist ein völlig anderes Rechtskriterium. ({7}) Deswegen müssen wir auch andere Maßstäbe anlegen, wenn wir überlegen, welche Mittel wir hier zur Verfügung stellen. Bei einer anlasslosen Speicherung fallen 300 bis 500 Datensätze pro Tag an, die gespeichert werden sollen. Einmal ganz nebenbei: Die organisierte Kriminalität und auch Terroristen zum Beispiel werden sicherlich keine registrierten, namentlich identifizierbaren Handys benutzen, sondern sich sehr schnell auf die Vorratsdatenspeicherung einstellen. ({8}) Der normale Bürger, der natürlich gar nicht auf die Idee kommt, dass seine Daten missbraucht werden können, wird sich aber nicht darauf einstellen. ({9}) In der Vergangenheit haben wir häufig gesehen, dass Daten missbraucht werden. Wie viele Datenskandale hatten wir denn in der letzten Zeit? ({10}) NSA wurde schon genannt, aber es gibt in vielen Bereichen Datenskandale, gerade bei privaten Unternehmen, wo die Daten auf privaten Servern gespeichert sind und wo sie eben nicht sicher waren. ({11}) - Ja, die werden schon gespeichert, aber gerade hier brauchen wir mehr Datenschutz.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Tempel, denken Sie an die Zeit.

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, danke, ich sehe das. - Hier sollten wir mehr Datenschutz einführen und entsprechende Regelungen finden, statt die Mindestspeicherfristen verlängern zu wollen. Daten, die gelöscht werden sollen, noch länger zu speichern, das ist ein völlig falscher Ansatz. Dieses Schattenboxen muss beendet werden. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die Polizei richtig ausstatten, dass sie die Ermittler bekommt, die notwendig sind, um bekannte Fakten zu verarbeiten. Dann werden wir uns alle gemeinsam an einem Tisch wiederfinden. Insofern ist die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung nach wie vor völlig unsinnig. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nur für die Zukunft, Herr Kollege Tempel: Es reicht nicht, wenn Sie das Signal sehen, sondern Sie müssen dann auch reagieren. - Jetzt hat die Kollegin Kampmann, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Christina Kampmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Grüne, liebe Frau Göring-Eckardt, Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die gute Arbeit der SPD in der Großen Koalition auch nur ansatzweise durch unsere sehr konstruktive Diskussion zur Vorratsdatenspeicherung geschmälert wird. ({0}) Ich kann nicht verhehlen, dass auch ich gehofft hatte, dass mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes die Vorratsdatenspeicherung für immer begraben ist. ({1}) Aber spätestens seit den Schüssen in Paris, seit diesem feigen Attentat auf die Meinungs- und Pressefreiheit war uns allen wohl klar: Die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung ist neu eröffnet. Es ist keine leichte Debatte, nicht in der SPD, aber auch nicht in der Gesellschaft; denn wenn eine Bedrohung durch Terrorismus faktisch vorhanden ist, wenn Menschen Angst davor haben, Opfer eines Anschlags zu werden, dann hat Politik die klare Verantwortung, alles dafür zu tun, um die Menschen in diesem Land zu schützen. ({2}) Die Instrumente, die wir dafür in die Hand nehmen, müssen aber auch dazu geeignet sein, dieses Ziel von mehr Sicherheit zu erreichen. ({3}) Ob die Vorratsdatenspeicherung diesen Nachweis erbringen kann, ist bis heute zweifelhaft. Diesem zweifelhaften Nutzen steht auf der anderen Seite ein Eingriff in verfassungsmäßig garantierte Rechte gegenüber, der gleichzeitig auch ein Risiko für unser demokratisches System darstellt. ({4}) Denn Demokratie braucht einen Raum, in dem Meinungsfreiheit unabhängig von der latenten Möglichkeit staatlicher Kontrolle bestehen kann. Demokratie muss Kommunikation frei von staatlicher Überwachung möglich machen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Das muss unsere Richtschnur für alles politische Handeln sein. ({5}) - Das wird es, Herr von Notz, seien Sie sich sicher. Mein Anspruch an die weitere Debatte zur Vorratsdatenspeicherung ist zum einen, dass wir uns nach dem Anschlag auf die Freiheitsrechte, den wir alle beklagt haben, bewusst sind, dass wir diese Werte nicht verteidigen, indem wir sie gleichzeitig einschränken. ({6}) Ich wünsche mir aber auch, dass wir diese Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung nicht so führen, als hätte es ein Urteil des höchsten europäischen Gerichts nicht gegeben. ({7}) Der EuGH hat die Hürden für einen erneuten Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung unglaublich hoch gelegt. Man muss sich wirklich klarmachen: Nach diesem Urteil kann es eine anlasslose Speicherung von Daten auf VorChristina Kampmann rat nur noch sehr schwer geben, sodass ich mir eine grundrechtskonforme Ausgestaltung, die den Namen Vorratsdatenspeicherung auch verdient, nur sehr schwer vorstellen kann. ({8}) Allerdings gab es auch schon andere Sachen, die meine Vorstellungskraft überstiegen haben und trotzdem eingetreten sind. ({9}) Zum Beispiel konnte ich mir am Anfang der Legislatur nicht vorstellen, dass wir zusammen mit der Union einen Mindestlohn und eine Frauenquote beschließen würden. ({10}) Das ist eingetreten, und darüber bin ich unglaublich froh. ({11}) Als ich noch klein war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es jemals einen anderen Kanzler als Helmut Kohl geben kann - bis Gerhard Schröder kam und ich merkte: Es geht auch noch besser. ({12}) All diese Dinge sind eingetreten, obwohl sie meine Vorstellungskraft deutlich überstiegen haben. Seien wir also gespannt, wie es mit der Vorratsdatenspeicherung weitergeht. Fest steht in jedem Fall - das sage ich auch in Richtung Union -: Eine nationale Gesetzgebung, die hinter dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zurückbleibt, darf es in Deutschland nicht geben. ({13}) Trotz all dieser problematischen Aspekte gibt es einen Punkt, der mich dennoch positiv in die Zukunft blicken lässt. Das ist die Tatsache, dass ich die Debatte in den Händen eines Justizministers weiß, der in den vergangenen Monaten mehr als deutlich gemacht hat, dass Bürgerrechte für ihn nichts sind, was man leichtfertig aufs Spiel setzt, dass Bürgerrechte nicht nur Orientierung, sondern auch Grundlage politischen Handelns sein müssen. Heiko Maas hat in den letzten Monaten deutlich gemacht, dass wir als SPD ein klares bürgerrechtliches Profil haben, ({14}) das wir in Zukunft weiter stärken und für das wir auch weiter kämpfen werden. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte um Freiheit und Sicherheit in einer Welt, die zunehmend von Brutalität, Grausamkeit und Terrorismus geprägt ist, ist sicher nicht einfach. Es gibt keine leichten politischen Antworten auf globale Bedrohungen, die unser gesamtes Wertesystem infrage stellen. Was es aber gibt, sind Rechte, die jedem Einzelnen von uns zustehen, weil sie das garantieren, was uns als Menschen ausmacht. Freiheit ist ein großes Wort. Das, was Freiheitsrechte umfasst, gilt es zu bewahren; denn es ist Teil der Würde jedes Einzelnen von uns. ({16}) Ich glaube daran und vertraue darauf, dass sich diejenigen, die nun in der Verantwortung sind, sicherheitspolitische Antworten auf internationale Bedrohungen zu formulieren, dieser Grundlage unserer Verfassung und unserer Demokratie bewusst sind und verantwortungsvoll damit umgehen werden. Danke schön. ({17})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin ist Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kreativität sind offensichtlich keine Grenzen gesetzt, ({0}) dem Rechtsstaat allerdings schon, und das ist gut so. ({1}) Nachdem der EuGH klargestellt hat, dass eine anlasslose Datenspeicherung grundrechtswidrig ist, ({2}) überlegen die Kreativen in der Koalition, man könne ja mal eine anlassbezogene Vorratsdatenspeicherung prüfen. Das ist dann fast schon lustig; denn auf Vorrat speichert, wer ohne Anlass speichert. ({3}) Eine Speicherung mit Anlass erfolgt eben nicht auf Vorrat und ist auch jetzt schon im Rahmen der bestehenden Gesetze möglich. ({4}) Allerdings scheinen führende Sozialdemokraten nicht zu wissen, was ein Anlass ist, und denken jetzt laut darüber nach, welche akzeptablen Anlässe denn so infrage kommen könnten. Da lesen wir etwas von Großereignissen mit Gefahrenpotenzial oder regional auffälligen Gefährdungslagen. All das sind aber doch keine Anlässe, die Eingriffe in die Grundrechte eines unbeteiligten Bürgers rechtfertigen! ({5}) - Zu Paris komme ich noch. Der Anlass, den der EuGH und das Verfassungsgericht meinen, ist immer ein individueller, auf die Person bezogener Anlass, also zumindest ein Anfangsverdacht, der die Aufnahme von Ermittlungen rechtfertigt, nicht mehr und nicht weniger. ({6}) Dann bekommen Sie auch einen richterlichen Beschluss. Mit dem können Sie die Daten nicht nur speichern, sondern auch für die Ermittlungen nutzen. Also insgesamt kann einem der Justizminister wirklich leidtun. Was seine Parteikollegen da von ihm erwarten, ist schlicht nicht möglich und die Quadratur des Kreises - von der Union einmal ganz abgesehen. ({7}) - Wenn man Ihnen zuhört, Herr Strobl, dann fragt man sich, wie wir die letzten Jahre ohne Vorratsdatenspeicherung überhaupt überleben konnten. Danach steht Deutschland ja kurz vor dem Abgrund. ({8}) Aber zurück zur SPD. Die Vorschläge der Parteiführung lassen an deren Rechtsverständnis zweifeln. ({9}) Der Parteivorsitzende schlägt vor, die Nutzung der gespeicherten Daten von einer richterlichen Genehmigung abhängig zu machen. Ja, was für eine revolutionäre Idee! ({10}) Das ist aber leider eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. Es gilt nämlich schon viel mehr: Nicht erst für die Nutzung, sondern schon für die Speicherung der Daten braucht man eine richterliche Genehmigung. Herr Strobl, das ist im EuGH-Urteil unmissverständlich klargestellt. ({11}) Auch die Generalsekretärin der SPD will uns jetzt mit der Notwendigkeit des Richtervorbehaltes beruhigen. Fakt ist aber: Es gibt keinen Richtervorbehalt auf Vorrat. Ein richterlicher Beschluss ist niemals für eine unbestimmte Zahl von Personen vorstellbar, gegen die nicht einmal ein Tatverdacht behauptet wird. ({12}) Wir lesen aber noch mehr Erstaunliches in diesen Tagen: Die SPD prüfe Ausnahmen für Anwälte, Ärzte und Priester. Auch hier muss ich leider sagen: Den Geheimnisschutz brauchen Sie für diese Gruppen nicht neu zu erfinden. Der steht im Gesetz und gilt selbst dort, wo es einen Anlasse gäbe, nämlich auch für den einer Straftat verdächtigten Mandanten - und zwar gerade für den. ({13}) Wie wollen Sie eigentlich die IP-Adressen der 160 000 Anwältinnen und Anwälte ermitteln, um sie dann aus dem technischen Speichervorgang herauszufiltern? Das ist auch interessant! ({14}) Am Ende ist diese ganze Kreativität der Unbelehrbaren leider auch noch völlig sinnlos. Man kennt schon jetzt mehr potenzielle Gefährder, als man überhaupt sinnvoll überwachen kann. So war es auch bei den Attentätern von Paris. Man hat deren Überwachung aus Ressourcengründen eingestellt, bevor sie zur Tat schritten. Das zeigt uns doch deutlich, wo wir ansetzen müssen: beim Personal und von mir aus auch beim Geld, ({15}) aber nicht bei der unbegrenzten Vermehrung von Daten. ({16}) Auch bei der Kinderpornografie nützt uns die Speicherung auf Vorrat nur wenig. Wenn die Ermittler einen Vorgang live im Netz entdecken, können sie wegen Gefahr im Verzug unmittelbar telefonisch einen gerichtlichen Beschluss gegenüber dem Telekommunikationsanbieter erwirken und den Nutzer der IP-Nummer identifizieren. Geht es um archivierte Vorgänge, hilft auch eine kurze Speicherfrist nicht weiter. ({17}) Das Fazit lautet also: Die Vorratsdatenspeicherung löst keine Probleme und stellt dafür unnötig rechtsstaatliche Grundsätze infrage. ({18}) Wir leben offensichtlich in einer Zeit gefühlter Unsicherheit. ({19}) Aber schauen wir uns doch einmal um in der Realität: In Deutschland geht die Gewaltkriminalität zurück. Mir fällt kaum ein anderes Land auf dieser Welt ein, in dem ich mich so sicher bewegen kann wie hier, ({20}) obwohl wir keine Vorratsdaten speichern. Tausende von Menschen wollen gerne unbedingt genau hierher, um sich endlich einmal sicher zu fühlen; und ich kann sie gut verstehen. Und bei allem Respekt für meine amerikanischen Freunde: Auf deutschen Straßen fühle ich mich nicht nur freier, sondern auch erheblich sicherer als auf amerikanischen Straßen, obwohl die Menge der dort gespeicherten Daten wohl kaum noch zu toppen ist. Machen wir uns doch nichts vor: Ein funktionierender Rechtsstaat ist allemal besser als eine falsche Illusion von Sicherheit. Vielen Dank. ({21})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Dr. Volker Ullrich das Wort. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere Freiheit ist ein zerbrechliches Gut, welches durch organisierte Kriminalität, Terroristen und Extremisten bedroht wird. Der wehrhafte Rechtsstaat hat verantwortungsvoll und besonnen Antworten auf diese Bedrohungen zu geben. ({0}) Im Grundsatz gilt: Unsere Freiheit bleibt nur bestehen, wenn sie geschützt und verteidigt wird. Daher schließen sich Freiheit und Sicherheit nicht gegenseitig aus, sondern sie bedingen sich. ({1}) Wer Freiheit und Sicherheit gegeneinander ausspielt, dem ist im Ergebnis weder an dem einen noch an dem anderen gelegen. ({2}) Wer im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung von einer Massenüberwachung spricht, der schürt durch diese unwahre Behauptung gezielt Ängste - in einer Situation, in der Besonnenheit und Mäßigung angebracht wären. ({3}) Die Vorratsdatenspeicherung als Instrument der Aufklärung und Prävention wird von vielen Fachleuten und Experten im Bereich der inneren Sicherheit aus guten Gründen empfohlen. Diese Empfehlung ist übrigens nicht von der Parteizugehörigkeit, sondern vom Grad der Verantwortung abhängig. Im Regelfall gilt: Wer mehr Verantwortung für die innere Sicherheit in diesem Land trägt, erkennt umso deutlicher die Notwendigkeit von Mindestspeicherfristen von Verbindungsdaten. ({4}) Das erklärt plausibel, weshalb gerade die verantwortungsbewussten Innenminister, auch die der SPD, diesbezüglich eine klare Haltung besitzen. ({5}) Gewiss, Mindestspeicherfristen von Verbindungsdaten sind kein Allheilmittel. Damit dürften sich nicht alle schweren Straftaten verhindern und aufklären lassen. Aber dieses Ziel wird durch gar keine Ermittlungsmethode erreicht. Die Speicherung von Verbindungsdaten ist zur Entdeckung von kriminellen Netzwerken schlichtweg notwendig und dient der Aufklärung von schwersten Straftaten. ({6}) Es kann doch niemandem erklärt werden, weswegen sich relevante Teile des alltäglichen Lebens ganz selbstverständlich in der digitalen Sphäre vollziehen, der Staat aber bei der Aufklärung von schwersten Straftaten selbst in sehr engen Grenzen und nach richterlichem Beschluss nicht einmal auf Verbindungsdaten zurückgreifen kann, die zur Rechnungsstellung ohnehin gespeichert werden. Das versteht niemand. ({7}) Die Debatte ist auch ein willkommener Anlass, um mit der Legende einer grundsätzlichen Verfassungswidrigkeit der Vorratsdatenspeicherung aufzuräumen. Weder das Bundesverfassungsgericht noch der Europäische Gerichtshof haben die Vorratsdatenspeicherung für gänzlich unzulässig erklärt. ({8}) Das Bundesverfassungsgericht hat einen möglichen Rahmen für eine zukünftige Regelung aufgezeigt. Und eine verantwortungsvolle Politik wird sich daran messen lassen, ob sie diesen Rahmen einhält und ein verfassungsgemäßes Gesetz vorlegt. Wir werden das tun. ({9}) Wir werden auch nicht auf einen neuen Richtlinienvorschlag der Europäischen Union warten. ({10}) Für manche ist Warten eine taugliche Alternative. Wenn es aber um die innere Sicherheit und einen wehrhaften Rechtsstaat geht, dann gilt - das spreche ich deutlich aus -: Warten ist der falsche Weg. Wir haben die rechtlichen Möglichkeiten und wir haben die Pflicht, jetzt durch eine Regelung Flagge zu zeigen. Wir werden nicht sehenden Auges zulassen, dass die notwendigen Maßnahmen auf die lange Bank geschoben werden. ({11}) Abschließend sei angemerkt: Die Speicherung von Verbindungsdaten muss natürlich durch eine bedarfsgerechte Erhöhung der Stellen bei Polizei, BKA und Verfassungsschutz ergänzt werden. ({12}) Der Bund wird nächstes Jahr die Mittel im Haushalt für Sicherheitsbehörden deutlich aufstocken. Das ist das richtige und notwendige Signal. ({13}) Meine Damen und Herren, wir stehen zu einem wehrhaften, starken und grundrechtsorientierten Rechtsstaat, der den Menschen dient, weil er ihre Freiheit schützt. Wir werden es uns nicht nehmen lassen, das Gebotene und Notwendige für die Sicherheit der Menschen zu unternehmen. Vielen Dank. ({14})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Christian Flisek das Wort. ({0})

Christian Flisek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004274, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage nach der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und Europa ist eine seit vielen Jahren hoch emotional geführte Debatte, so auch heute. Das hat Gründe, gute Gründe. Bereits die ersten gesetzgeberischen Umsetzungsversuche waren von äußerst kontroversen Diskussionen geprägt. Man muss ja aus heutiger Sicht von Umsetzungsversuchen sprechen; denn sowohl der deutsche Ansatz als auch die europäische Richtlinie wurden von den jeweils höchsten Gerichten - man kann es nicht anders sagen - in der Luft zerrissen. ({0}) Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat bei seiner Entscheidung im Jahre 2010 klare Worte gefunden. Es hat in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung von „Grundrechtseingriffen“ gesprochen, die mit einer „Streubreite“ verbunden sind, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt. ({1}) Dass das höchste deutsche Verfassungsgericht hier den Begriff „Streubreite“ verwendet, zeigt eines deutlich: dass den ursprünglichen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung etwas nicht Kontrollierbares, etwas Willkürliches anhaftete. Und willkürliche, nicht kontrollierbare staatliche Maßnahmen sind nach unserem Grundrechtsverständnis unverhältnismäßig und daher auch nicht mit den Grundsätzen unseres Grundgesetzes vereinbar. ({2}) Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass eine uneingeschränkte, anlasslose und flächendeckende Speicherung von Daten verfassungswidrig ist. Auch wenn sich unser Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof vielleicht nicht immer in allen Fragen einig sind, so sind sie es zumindest bei der Vorratsdatenspeicherung. Der EuGH hat in seiner Entscheidung aus dem letzten Jahr kritisiert, dass die Vorratsdaten-Richtlinie der EU auch Personen erfasst, bei denen keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. Gleichwohl haben beide Gerichte - das ist heute auch schon deutlich geworden - nicht von einem generellen Verbot jeglicher Vorratsdatenspeicherung gesprochen. ({3}) Es verbleibt also ein sehr enger Möglichkeitsraum, ein Raum, der durch sehr restriktive verfassungsrechtliche und europarechtliche Vorgaben abgesteckt ist. ({4}) Insofern verwundert es mich auch nicht, dass nunmehr die Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung - ich hoffe, Sie hören heraus, dass ich nicht zu den eifrigsten Befürwortern gehöre ({5}) in Konsequenz dazu aufrufen, diesen Möglichkeitsraum auch auszuloten. Ich sage, das kann man machen. Aber jeder, der das will, muss sich auch darüber im Klaren sein, welche unverhandelbaren Kriterien aufgrund der klaren rechtlichen Vorgaben hierbei zu erfüllen sind. ({6}) Da geht es um kurze Speicherfristen und um eine Differenzierung je nach Art der erhobenen Daten. Da geht es um eine klare Zweckbestimmung, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker, also um einen bestimmten Katalog schwerster Straftaten. Lassen Sie mich auch das sagen: Dazu gehören Urheberrechtsverletzungen, so wichtig deren Ahndung auch ist, nicht. ({7}) Da geht es um einen umfassenden Schutz von Berufsgeheimnisträgern, und da geht es auch um die Lösung des Problems - das wurde heute schon angesprochen -, dass bereits das erste Speichern der Daten, also die Anlage des großen Heuhaufens, wenn Sie so wollen, den eigentlichen Grundrechtseingriff darstellt. Wir dürfen nicht so tun, als würden die obersten Gerichte dieses Landes das anlasslose Sammeln solcher Daten auf Vorrat ohne Restriktionen erlauben und quasi erst den Griff in den Heuhaufen als Eingriff bewerten. Das ist eine falsche Auslegung der Urteile. Wenn das aber so ist, dann stellen die genannten Restriktionen in ihrer Umsetzung erhebliche Probleme dar. Wie soll ein Berufsgeheimnisträgerschutz bereits beim anlasslosen Sammeln der Daten gewährleistet sein? Wie ist ein wirksamer Richtervorbehalt umzusetzen, der nicht nur die Abfrage von Daten durch Behörden aus Anlass eines Einzelfalles erlaubt, sondern bereits das Ob der Speicherung selbst regeln muss? Vielleicht sind dies alles keine unlösbaren Probleme. Aber man wird im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung am Ende die Frage stellen müssen: Wenn schon die alte, große Vorratsdatenspeicherung den Beweis schuldig geblieben ist, dass sie zur Verbrechensbekämpfung beigetragen hat, dann stellt sich diese Frage erst recht für eine Vorratsdatenspeicherung light. Wenn am Ende die Geeignetheit eines solchen Gesetzes infrage steht, dann sollte man in der Tat einen kurzen Moment innehalten und sich die Frage nach der richtigen Antwort auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes stellen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eines sagen: Die Welt hat sich seit 2006 und 2007 erheblich verändert. Im NSA-Untersuchungsausschuss arbeiten wir den gesamten Komplex der Enthüllungen von Edward Snowden aktuell auf, und wir werden bis zum Ende der Legislaturperiode brauchen. Doch eines wird man heute schon sagen können, nämlich dass sich bei der NSA mit aller Wahrscheinlichkeit die größte Vorratsdatenspeicherung befunden hat, die die Welt je gesehen hat. Und das hat Konsequenzen - zumindest die, dass die Bürger in diesem Land sehr genau beobachten, was von staatlicher Seite, aber auch vonseiten der IT-Unternehmen mit ihren persönlichen Daten passiert. Und das tun sie völlig zu Recht. Die Koalition hat vereinbart, dass namentlich der Bundesinnenminister und der Bundesjustizminister den sehr engen Möglichkeitsraum nun ausloten sollen. Das ist kein leichtes Unterfangen. Wir als Parlamentarier werden diesen Prozess intensiv begleiten. Herzlichen Dank. ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächster Redner ist Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir am Ende der Debatte, noch den einen oder anderen Gesichtspunkt, der formuliert wurde, herauszugreifen. Zunächst einmal glaube ich, dass trotz aller Emotionen und Zwischenrufe eine große Gemeinsamkeit über alle Fraktionen hinweg erkennbar war. Ich glaube, die Gemeinsamkeit ist, dass wir alle internationalen Terrorismus und schwere Kriminalität wie zum Beispiel Kinderpornografie effektiv bekämpfen wollen. Wenn das das Ziel ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann kann, meine ich, in einem Rechtsstaat sehr wohl darüber nachgedacht werden, ob dazu die Speicherung von Verbindungsdaten benötigt wird. Bei dieser Frage gibt es zwei Ebenen. Da ist zunächst die Frage des Ob, also die Frage: Darf der Staat überhaupt eine Speicherung der Daten vorschreiben? Dass es darüber heute noch, nach zwei höchstrichterlichen Entscheidungen, ernsthafte Diskussionen gibt, wundert mich. Erstens können ja diverse Beispiele aus der Praxis den tatsächlichen und praktischen Nutzen aufzeigen. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Mitte 2006 hatte die bayerische Polizei begonnen, gegen einen Pädophilenring zu ermitteln. Es kam im Folgenden zu circa 1 000 Festnahmen und zur Sicherstellung von circa 1 000 PCs, 1 800 Videos und 45 000 Datenträgern. Allein ein Film mit hartem kinderpornografischem Material wurde 48 000-mal heruntergeladen. Es war klar - das ließ sich ermitteln -, dass 7 500 Nutzer aus Deutschland kamen. Es konnten aber in Deutschland nur 987 Nutzer ausfindig gemacht werden. Das sind gerade einmal 13 Prozent. Die Zahl hätte sich auch nicht allein dadurch verändert, dass mehr Ermittler zur Verfügung gestanden hätten. Zweitens ist bei der Frage des Ob für mich die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wichtig. Denn er äußert sich - Herr von Notz, Sie haben es vorhin angezweifelt - an zwei Stellen relativ dezidiert zur Frage des Ob. Er sagt nämlich zum einen, dass die Vorratsdatenspeicherung eben nicht den Wesensgehalt von Grund8872 rechten antastet. Das bedeutet, dass grundsätzlich eine verfassungskonforme Regelung möglich ist. ({0}) Zum anderen vertritt er die Auffassung, dass die Vorratsdatenspeicherung eine Zielsetzung darstellt, die dem Gemeinwohl dient, nämlich der Bekämpfung schwerer Kriminalität und der Herstellung der öffentlichen Sicherheit. ({1}) Wer, meine Damen, meine Herren, auf dieser Ebene tatsächlich die rechtliche Zulässigkeit bestreitet, der muss sich die Frage gefallen lassen, ob er ernsthaft schwere Kriminalität, internationalen Terrorismus und Kinderpornografie bekämpfen will. ({2}) Denn wer sich dauerhaft die Augen und Ohren zuhält - und da bleibe ich bei meinem Satz -, der darf sich nicht wundern, wenn er nichts sieht und nichts hört. ({3}) Nun, meine Damen, meine Herren, kommen wir zur zweiten Ebene, der Ebene des Wie. Das ist - es ist vorhin angeklungen - durchaus komplexer, weil uns der EuGH schon Hausaufgaben ins Heft geschrieben hat, Kollege Flisek hat es angesprochen. ({4}) Aber ich glaube nicht, dass es dabei um Hexerei geht, und ich glaube auch nicht, dass es die Quadratur des Kreises ist. Ich will kurz die Gelegenheit nutzen, die fünf wesentlichen Gesichtspunkte aufzuzeigen, die der EuGH als Parameter aufgestellt hat. Er fordert zunächst eine Differenzierung bezüglich des Personenkreises, der Kommunikationsmittel und der Verkehrsdaten. Er fordert dann, dass das Gesetz objektive Kriterien benennen muss, in welchem Verfahren nationale Behörden auf die Daten zugreifen können. Da steht selbstverständlich der Richtervorbehalt im Raum. Außerdem ist erforderlich, eine Differenzierung hinsichtlich der Dauer der Speicherung vorzunehmen. Ein grobes Raster, also etwa „zwischen 6 und 24 Monaten“, genügt nicht, sondern es bedarf bezogen auf die Straftat einer verhältnismäßigen Zeitspanne. Des Weiteren - das, denke ich, ist unser aller Interesse geschuldet - muss das Gesetz eine Grundlage dafür schaffen, dass es zu keinem Missbrauch der gespeicherten Daten beim Anbieter kommt. ({5}) Schließlich - das ist der fünfte Gesichtspunkt - ist sicherzustellen, dass die Daten im Gebiet der Europäischen Union gespeichert werden und damit die europäischen Standards für Datensicherheit und Datenschutz gelten. Meine Damen, meine Herren, Sie sehen: Wir haben uns sehr dezidiert damit auseinandergesetzt, was unsere Hausaufgaben sind. ({6}) Ich bin zuversichtlich, dass wir genau diese Hausaufgaben erfüllen können. Darauf freue ich mich. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist Dr. Tim Ostermann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Tim Ostermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004367, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede sagen: Diejenigen Redner, die sich in der Debatte vehement gegen die Vorratsdatenspeicherung gewandt haben, ({0}) gehen offenbar von einer Grundannahme aus, die wir nicht teilen können. Diese Redner sehen den Staat als potenziellen Gefährder, als ein Subjekt, vor dem man die Bürger schützen muss, ein Subjekt, das die Bürger ausspäht. Ich sage deutlich: Dieses Verständnis steht unserem Verständnis diametral entgegen. ({1}) Denn nicht der Staat ist derjenige, vor dem die Bürger Angst haben müssen. Nein, es sind die Terroristen, die Waffenhändler, die Drogenkartelle und die Kinderpornoringe dieser Welt. Hiervor müssen wir unsere Bürger schützen. ({2}) Es ist der Staat, der die Pflicht hat, zum Schutz und an der Seite der Bürger alle Mittel zu ergreifen, die sinnvoll und mit unseren rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar sind. ({3}) Zu diesen Mitteln gehört auch die Vorratsdatenspeicherung. ({4}) Niemand behauptet, dass es sich dabei um ein Allheilmittel handelt. Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht die eierlegende Wollmilchsau. ({5}) Ich kenne keinen, der behauptet, dass sie es wäre. Aber die Vorratsdatenspeicherung ist in viel zu vielen Fällen das einzige Instrument, das einen Ermittlungserfolg verspricht. ({6}) Dazu ein Beispiel aus der Praxis. Gelegentlich gelingt es Ermittlungsbehörden auf der ganzen Welt, Kinderpornoringe auszuheben. ({7}) Wir reden hier von sichergestelltem Material, für das Kinder auf bestialische, kaum vorstellbare Weise gequält worden sind. Die ermittelten Internetverbindungsdaten stellen die Behörden dann anderen Staaten zur Verfügung. Die meisten anderen Länder können mit diesen Daten bis zu 90 Prozent der Verdächtigen überführen. ({8}) In Deutschland sind es regelmäßig nur 10 bis 20 Prozent. In einem aktuellen Fall konnte von 400 Verdächtigen nur eine Zahl von knapp 80 Personen tatsächlich ermittelt werden. ({9}) 320 Tatverdächtige konnten nicht behelligt werden, ({10}) in der Hauptsache deshalb nicht, weil es in Deutschland derzeit keine Vorratsdatenspeicherung gibt. Das ist nicht hinzunehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen! ({11}) Und nein, die Vorratsdatenspeicherung bringt keine Generalüberwachung unschuldiger Bürger mit sich. Der Zugriff erfolgt nur im Einzelfall - bei einem konkreten Verdacht - und nach richterlicher Anordnung. Ich habe den Eindruck, dass viele Gegner eine sehr selektive Wahrnehmung haben. Die Banken beispielsweise müssen sämtliche Kontostammdaten speichern. Der Staat darf hierauf Zugriff nehmen. Daran stört sich kaum einer der Gegner. Das hat schon etwas mit Doppelmoral zu tun. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung nicht per se für verfassungswidrig erklärt. Dies gilt allein für die konkrete damalige Regelung. Die Auffassung des Gerichts kann man wie folgt zusammenfassen: Zulässig und sinnvoll, aber nicht so. - Das gilt im Übrigen auch für die Entscheidung des EuGH. Dankenswerterweise hat das Gericht gleich auch konkrete Leitplanken für eine verfassungskonforme Umsetzung mitgeliefert. Damit steht für uns fest: Bei Einhaltung dieser Vorgaben kann die Vorratsdatenspeicherung so geregelt werden, dass sie vor dem Verfassungsgericht Bestand hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für das in dieser Debatte angesprochene Verhältnis von Sicherheit und Freiheit gilt auch heute noch ein Ausspruch von Wilhelm von Humboldt. Er hat bereits im 19. Jahrhundert gesagt: Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Früchte derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit. Vielen Dank. ({13})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön. - Mit diesem Redebeitrag ist nicht nur die Aktuelle Stunde beendet, sondern wir sind auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 19. März 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.