Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe
von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im
öffentlichen Dienst
Drucksachen 18/3784, 18/4053
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend ({0})
Drucksache 18/4227
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/4228
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulle Schauws, Renate Künast, Katja
Dörner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen ({2})
Drucksache 18/1878
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Drucksache 18/4227
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({4})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zweiter Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz
({5})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Fünfter Gremienbericht der Bundesregierung zum Bundesgremienbesetzungsgesetz
({6})
Drucksachen 17/4307, 17/4308 ({7}), 18/4227
Beschlussfassung
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Manuela Schwesig.
({8})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Der erste Internationale Frauentag 1911 war eine Kundgebung für das Frauenwahlrecht. In der Resolution hieß es damals - Zitat -: Millionen Frauen erheben mit allem Nachdruck Anspruch auf
soziale und politische Gleichberechtigung. - 2015 erheben wir Frauen immer noch diesen Anspruch; denn die
tatsächliche Durchsetzung der sozialen und politischen
Gleichberechtigung steht noch aus. Aber zwei Tage vor
dem Internationalen Frauentag machen wir in Deutschland einen historischen Schritt für die Gleichberechtigung der Frauen. Die Quote kommt.
({0})
So selbstverständlich wie die Frauen heute wählen
und gewählt werden können, so selbstverständlich wer8740
den zukünftig Frauen in Führungsetagen von Unternehmen und im öffentlichen Dienst mitbestimmen. So
fremd uns heute die Vorstellung ist, dass Frauen politisch nicht mitbestimmen dürfen, so fremd muss in Zukunft die Vorstellung sein, dass Frauen in Unternehmen
nicht mitbestimmen dürfen,
({1})
zum Beispiel in einem DAX-30-Unternehmen der Gesundheitswirtschaft: 178 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit, 54 000 davon in Deutschland, zwei
Drittel Frauen. Diese Frauen organisieren diesem Unternehmen Milliardenumsätze und -gewinne. Ich kenne
diese Frauen; sie arbeiten zum Beispiel im Catering, im
Putzdienst, in Krankenhäusern. Sie haben bis vor kurzem weniger als den Mindestlohn bekommen. Sie sind
teilweise ungewollt auf Teilzeit gedrückt worden.
Wer glaubt, dass sich für diese Frauen etwas ändert,
wenn es in der Führungsetage der Unternehmen keine
Frau gibt, die dort mit hinschaut? In diesem Unternehmen ist keine einzige Frau im Vorstand, keine einzige
Frau im Aufsichtsrat. Das muss sich ändern.
({2})
Frauen müssen dort, wo über Lohn und Arbeitsbedingungen entschieden wird, präsent sein. Sie müssen an
der Spitze dieser Unternehmen vertreten sein.
Das zeigt, dass dieses Gesetz nicht nur auf die Führungsetagen wirkt, sondern ganz konkret bei den Frauen
vor Ort ankommt. Es ist ein Gesetz, das für Millionen
von Frauen wirkt: für die Frauen, die in den großen Unternehmen mit der festen Quote arbeiten, aber auch für
die Frauen, die in mittleren Unternehmen arbeiten, für
die Zielvorgaben gelten.
Sehr geehrte Abgeordnete, ein Gesetz mit einer Idee,
die seit 1982 diskutiert wird, braucht auf seinem Weg
zur Verabschiedung viele Unterstützerinnen und Unterstützer. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich sagen: Das
hätte ich alles alleine geschafft. - Aber das bin ich zum
Glück nicht.
({3})
Ich hatte viele Unterstützerinnen und Unterstützer aus
Verbänden, Initiativen, aus der Wissenschaft, und es gab
politischen Druck von starken Frauen und modernen
Männern. Viele davon sind heute hier. Einer dieser modernen Männer ist unser Bundesjustizminister Heiko
Maas. Vielen Dank, lieber Heiko! Es hat Spaß gemacht,
mit dir diese Schlacht zu schlagen.
({4})
Eine starke Frau ist Andrea Nahles, die dieses Gesetz
mit gestaltet hat. Vielen Dank, liebe Andrea! Es hat Spaß
gemacht, diese Schlacht mit dir zu schlagen.
({5})
In allen Fraktionen, in den Regierungsfraktionen, die
zum großen Teil an meiner Seite gestanden haben, aber
auch in den Oppositionsfraktionen, gibt es Frauen, die
die Berliner Erklärung initiiert haben, die auch heute
Grundlage ist. Deshalb werbe ich: Unterstützen Sie dieses Gesetz im Geiste der Berliner Erklärung! Das heißt:
Über Klein-Klein hinweggehen, den Konsens suchen
und heute ein starkes Signal an die Frauen geben!
({6})
Mitstreiterinnen sitzen auch auf der Besuchertribüne.
Ich will stellvertretend Frau Schulz-Strelow von FidAR
danken, die seit 2006 an unserer Seite kämpft.
({7})
Ich freue mich, dass Sie alle gekommen sind. Das ist
heute auch Ihr Tag.
({8})
Ich möchte mich auch bei denen bedanken, die Widerstand geleistet haben. Dieser Widerstand hat gezeigt,
welche Widerstände Frauen in der Arbeitswelt aushalten
müssen: dass ihre Kompetenzen nicht honoriert werden,
dass ihre Leistung nicht anerkannt wird, dass sie oft
schlechter bezahlt werden, dass sie Nachteile haben,
wenn sie Beruf und Familie vereinbaren wollen, und
dass sie trotz guter Qualifikation nicht in den Führungsetagen ankommen. Diese Widerstände zeigen: Veränderung und Gerechtigkeit für Frauen kommen nicht
von allein. Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen.
({9})
Der Widerstand zeigt auch: Veränderung ist möglich;
der Kulturwandel kommt. - Allein die Diskussion um
dieses Gesetz hat zu Veränderungen geführt: in den Unternehmen, aber auch in Bereichen, die gar nicht vom
Gesetz betroffen sind. Zum Beispiel sagt der Deutsche
Caritasverband: 80 Prozent der Menschen, die bei uns
arbeiten, in Bereichen wie Kita oder Pflege, sind Frauen.
Aber in den Führungsetagen sind nur 20 Prozent Frauen.
Auch das muss sich ändern. - Sie sehen: Dieses Gesetz
strahlt in viele Bereiche aus, in denen Frauen mehr Anerkennung für ihre Leistung verdient haben: in die Gesellschaft, in die Wirtschaft, in den öffentlichen Bereich.
Ich freue mich, dass der Verfassungsjurist Professor
Joachim Wieland in der Anhörung dargestellt hat, dass
dieses Gesetz verfassungsfest ist. Es ist mit dem Anspruch, moderne Gleichberechtigung für Frauen und
Männer zu schaffen und auch moderne Männer zu fördern, zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie, verfassungsgemäß. Man muss sich politisch
entscheiden, welchen Weg man gehen will.
Ich habe mich entschieden: Ich möchte moderne
Gleichberechtigung, die auf Frauenförderung setzt, die
aber auch die modernen Männer mitnimmt:
({10})
die Männer, die mit ihrer Partnerin partnerschaftlich zusammenleben wollen, die Männer, die ihre Partnerin bei
der Berufstätigkeit unterstützen, die modernen Männer,
die sagen: Auch ich möchte Zeit für Familie haben; auch
ich nehme einmal Elternzeit oder arbeite Teilzeit. - Das
müssen wir unterstützen. Es gibt Gleichberechtigung für
Frauen nur, wenn wir diese modernen Männer mitnehmen und sie starkmachen, sodass die Männer von gestern weniger werden.
({11})
Sehr geehrte Damen und Herren, zum Abschluss: Es
ist ein weiter Weg bis zur tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Das Motto der Vereinten
Nationen zum Internationalen Frauentag 2015 heißt
„Make It Happen“. - Sorgt dafür, dass es passiert. - Das
werden wir tun.
Heute ist ein Tag, auf den wir stolz sein können. Wir
feiern den Internationalen Frauentag seit 1911. Dieses
Mal werden wir erstmalig einen Internationalen Frauentag feiern, an dem der Deutsche Bundestag eine Quote
beschlossen hat. Das ist ein historischer Schritt. Die
Quote kommt.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
schon ein bisschen die Woche der klitzekleinen Fortschritte.
({0})
Gestern ging es um ein Mietpreisbremschen, und heute
diskutieren wir ein Frauenquötchen.
({1})
Wissen Sie, eines ist völlig unstrittig: Die Frauenquote für die Wirtschaft ist längst überfällig.
({2})
Die jahrelangen Appelle an die Wirtschaft haben nichts
genutzt. Selbstverpflichtungen haben nicht geholfen. In
den meisten Führungsetagen gibt es nicht per Gesetz,
aber doch in der Praxis eine Männerquote von gut und
gerne 80 Prozent. Das müssen wir wirklich ändern.
({3})
Viele Frauen scheitern auf dem Weg nach oben nicht
etwa daran, dass sie schlechter ausgebildet sind oder weniger können, sondern sie scheitern an Männerbünden in
den Vorstandsetagen und an der unsichtbaren gläsernen
Decke. Auch das kann tatsächlich nur eine Quote beheben. Deswegen freuen wir uns natürlich im Prinzip, dass
die Quote für die Privatwirtschaft endlich kommt.
({4})
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei Lichte betrachtet muss man natürlich unterm Strich feststellen,
dass die feste Quote gerade einmal für 180 Frauen in
dieser Republik kommt. 180 Frauen in dieser Republik
dürfen sich jetzt über die Quote, die wir heute beschließen, freuen.
({5})
Ich finde, das ist besser als nichts, aber ich finde auch, da
wäre mehr drin gewesen.
({6})
Für die restlichen 3 500 Unternehmen, die entweder
börsennotiert oder mitbestimmungspflichtig sind, soll es
lediglich Zielgrößen geben. Dazu sagen wir: Das ist eigentlich nichts anderes als die Selbstverpflichtung im
neuen Gewand, und die ist schon einmal gescheitert.
Deswegen sagen wir als Linke ganz deutlich: Eine wirkliche Frauenquote muss für alle Unternehmen gelten.
({7})
Gerade weil wir hier tatsächlich über gerade einmal
180 Frauen reden, die von diesem Gesetz profitieren
werden, kann man sich natürlich schon fragen: Warum
eigentlich der ganze Widerstand? Warum mussten die
Frauen aus Initiativen und Verbänden sowie aus allen
Fraktionen so lange dafür kämpfen? Der ganze Widerstand, der vor allen Dingen aus Wirtschaftskreisen kam,
aber auch aus der Union mitgetragen wurde, begleitet
auch von dem einen oder anderen sexistischen Spruch,
war einfach völlig unangemessen und steht in gar keinem Verhältnis zu dem, was im Gesetzentwurf tatsächlich geregelt wird.
({8})
Jetzt schreiben wir heute für die 108 Unternehmen
eine feste Frauenquote von 30 Prozent vor. Warum so
zaghaft? Wir hätten uns schon gefreut, wenn wir hier
eine Frauenquote von 50 Prozent hätten beschließen
können. Ich stelle fest - das ist in der Tat begrüßenswert -, dass in dieser Frage die Debatte tatsächlich weitergegangen ist. Das erkennt man, wenn man - vor ein
paar Tagen habe ich das gemacht - beispielsweise die
Lokalzeitungen aufschlägt. Da ging es um den Schützenverein im niederbayerischen Obergessenbach. Der hat
sich in der Lokalpresse damit gerühmt, dass er einen
neuen Vorstand gewählt und eine Frauenquote von fast
50 Prozent eingeführt hat.
({9})
Dazu muss ich sagen: Daran hätte sich die CSU in den
letzten Jahren einmal ein Beispiel nehmen können.
Diese Praxis, die es jetzt in Niederbayern gibt, hätte auch
locker bundesweit zur Geltung kommen können.
({10})
Leider, verehrte Kollegen aus der Union, ist der Fortschritt mit Ihnen eine Schnecke. Wenn wir mit dieser
Geschwindigkeit weitermachen, müssen wir noch weitere 100 Jahre warten, bis wir endlich eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Unternehmen haben.
Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir einfach noch ein bisschen mehr Tempo machen.
({11})
Es ist uns unverständlich - das wird ja auch von Gewerkschaftsseite heftig kritisiert -, dass die 30-ProzentQuote für den gesamten Aufsichtsrat gelten soll. Das
Problem ist, dass die Quote von der Arbeitnehmerseite
häufig schon eingehalten wird, von der Kapitalseite aber
so gut wie gar nicht. Bei einer Gesamtbetrachtung kann
sich die Arbeitgeberseite also ein Stück zurücknehmen
und muss an diesem Fortschritt selber nicht teilhaben.
Deswegen sagen wir: Die Gesamtbetrachtung des Aufsichtsrates ist eine falsche Regelung. Man hätte das mit
minimalem Aufwand ändern können. Ich verstehe nicht,
warum wir das heute nicht einfach tun.
({12})
Ich finde es auch sehr bedauerlich, dass bei Nichteinhaltung der Quote eigentlich nichts folgt. Wenn die
108 Unternehmen die Quote nicht einhalten, heißt das:
Der Stuhl bleibt leer. Bei den anderen 3 500 Unternehmen folgt bei Nichteinhaltung der Quote im Grunde
nichts. Das macht die sogenannte Flexiquote endgültig
wirkungslos.
Meine Damen und Herren, trotz all dieser Einschränkungen begrüßen wir natürlich den ersten Einstieg in
eine Frauenquote in der Privatwirtschaft und können diesem Teil des Gesetzentwurfs bei einer getrennten Abstimmung auch zustimmen.
({13})
Aber leider ändern Sie ohne Not - mir erschließt sich
nicht, warum - gute Gesetze zum Schlechteren. Ja, Sie
hören richtig: Die Einführung der Frauenquote in der
Privatwirtschaft wird erkauft mit einer deutlichen Verschlechterung im öffentlichen Dienst. Das finde ich
wirklich absurd.
({14})
Eine bestehende Quote von 50 Prozent bei Bundesgremien wird nun auf 30 Prozent gesenkt. Es ist völlig klar,
dass es an der Umsetzung der Quote hapert; aber die
Quote abzusenken, anstatt zu schauen, wie wir sie durchsetzen können, ist nun wirklich der falsche Weg.
Noch umstrittener sind die Änderungen im Bundesgleichstellungsgesetz. Hier ging es um die klassische
Frauenförderung. Nach einem neumodischen Grundsatz
der Geschlechteransprache soll es nun darum gehen,
dass nicht länger Frauen gefördert werden, sondern das
jeweils unterrepräsentierte Geschlecht, also beispielsweise im Vorzimmer die Männer.
In der Anhörung ist Ihnen diese sogenannte Männerquote ordentlich um die Ohren geflogen. Ich muss sagen,
dass ich wirklich selten eine Anhörung erlebt habe, in
der ein Gesetzentwurf von den Sachverständigen, die
von den Koalitionsfraktionen benannt wurden, so eindeutig verrissen wurde. Diese Männerquote ist nichts anderes als die Verkennung der Tatsache, dass es Frauen
sind, die immer noch strukturell benachteiligt werden,
wie es die Regierung selber feststellt. Aber wir sind froh,
dass im Ausschuss mit einem Änderungsantrag auf den
letzten Metern zumindest dafür gesorgt wurde, dass die
diesbezügliche Formulierung vielleicht nicht mehr verfassungswidrig ist, was viele Sachverständige befürchtet
haben. Aber es ist noch völlig unklar, was die neue Formulierung in der Praxis bedeutet.
Ich möchte ganz ehrlich sagen: Auch wir begrüßen einen Ansatz, der Männer mitnimmt. Auch ich fände es
sehr begrüßenswert, wenn wir mehr Männer in Vorzimmern, als Grundschullehrer oder als Kindergärtner hätten. Die Frage ist nur: Wie kann man das tatsächlich regeln? Die Männer sind in diesen Berufen ja nicht
deswegen unterrepräsentiert, weil sie strukturell benachteiligt sind, sondern weil diese Berufe so schlecht bezahlt sind. Deswegen sagen wir: Sorgen Sie für eine bessere Bezahlung in diesen Berufen! Das ist der beste Weg,
damit sich endlich mehr Männer für diese Berufe bewerben.
({15})
Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich
noch sagen, was aus meiner Sicht der richtige Weg gewesen wäre: Wir als Linke fordern eine Frauenquote von
50 Prozent
({16})
ohne Wenn und Aber, die nicht nur für die Aufsichtsräte,
sondern bitte schön auch für die Vorstände gelten sollte.
({17})
Das wäre konsequent. Ich finde es bedauerlich, dass wir
uns darauf heute nicht verständigen können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Die Kollegin Nadine Schön hat für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Liebe Besucher der Debatte, die Sie heute sehr
zahlreich anwesend sind! Ich sehe auf der Tribüne auch
Kämpferinnen für mehr Frauen in Führungspositionen:
Frau Schulz-Strelow, Frau Süssmuth, Rita Pawelski, die
dieses Thema in den letzten Jahren sehr engagiert vorangebracht haben. Herzlich willkommen auch von unserer
Seite! Ich freue mich sehr, dass Sie heute hier sind.
({0})
Die Ministerin hat gesagt, dass heute ein guter Tag für
Frauen ist. Ich sage: Der Tag, an dem wir dieses Gesetz
wieder abschaffen, wird der beste Tag für Frauen sein.
({1})
Das wird der Tag sein, an dem wir keine gesetzlichen
Maßnahmen mehr brauchen, um sowohl im öffentlichen
Dienst als auch in den Unternehmen zu mehr Frauen in
Führungspositionen zu kommen. Das wird der Tag sein,
an dem wir keinen Gleichstellungsplan mehr brauchen,
um mehr Familienfreundlichkeit zu ermöglichen und die
Karrierewege von Frauen im öffentlichen Dienst besser
zu gestalten. Der Tag, an dem wir dieses Gesetz wieder
abschaffen, wird der wahre gute Tag für die Frauen in
unserem Land sein. Deshalb freue ich mich heute auf
den Tag, an dem wir dieses Gesetz wieder abschaffen,
meine Damen und Herren.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sehr schade,
dass wir überhaupt gesetzliche Regelungen brauchen,
um für mehr Frauen in Führungspositionen zu sorgen.
Klar ist: Die Zeit der freiwilligen Selbstverpflichtungen
ist vorbei. Man hat sich 2001 unter Rot-Grün zusammengesetzt und gesagt: Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen. Die Frauen sind heute gut ausgebildet
und kommen jetzt von alleine nach oben. - 14 Jahre später müssen wir feststellen, dass das leider nicht der Fall
ist. In den 200 größten Unternehmen sind 18 Prozent
Frauen in Aufsichtsräten und - noch viel erschreckender - gerade einmal 5 Prozent in Vorständen. Mir kann
wirklich niemand sagen, dass es nur eine Handvoll
Frauen in ganz Deutschland gibt, die fähig und willig
sind, in den Vorstandsetagen, in den Führungsetagen der
deutschen Unternehmen ihre Arbeit zu verrichten. 5 Prozent in den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen, das ist wirklich sehr schade. Deshalb ist es gut,
dass wir uns jetzt mit mehr Engagement zusammen mit
der Wirtschaft auf den Weg machen, diese erschreckende Zahl zu verbessern, zu höheren Prozentzahlen zu
kommen.
({3})
Im Gegensatz zu manch anderen glaube ich noch
nicht einmal, dass es böser Wille der Männer ist, Frauen
nicht nach oben zu lassen. Nein, es sind die Strukturen in
den Unternehmen, die dazu führen, dass es für Frauen
offensichtlich schwierig ist, nach oben zu kommen, obwohl wir sehr viele gut ausgebildete Frauen haben, obwohl wir sehr viele gute Ökonominnen und Juristinnen
haben, die auch in den Aufsichtsräten sitzen könnten.
Wir haben eine gläserne Decke. Deshalb ist es Zeit, dass
wir uns zusammen mit der Wirtschaft fragen: Was kann
man konkret tun, um das besser zu machen?
Deshalb führen wir heute eine Quote ein, eine Quote
mit Augenmaß, und zwar eine feste Quote für die Aufsichtsräte der großen Unternehmen, die Vorbildcharakter
haben, auch weil sie börsennotiert sind, und eine flexible
Quote für viele andere Unternehmen. Es ist eben so, dass
ein Stahlunternehmen anders zu betrachten ist als eine
Bank, weil hier einfach andere Voraussetzungen herrschen. Ich weiß, dass sich der Koalitionspartner für
die breite Mehrheit der Unternehmen eine Quote von
40 Prozent gewünscht hätte. Aber wir sagen: Man kann
hier nicht mit der Brechstrange vorgehen. Wir brauchen
konkrete Zielvorgaben. Es ist entscheidend, dass sich etwas in den Unternehmen ändert. Aber ein Stahlunternehmen ist anders zu betrachten als eine Bank. Deshalb ist
die Mischung aus Flexiquote für eine Vielzahl von Unternehmen und deren Führungsetagen und fester Quote
für die Aufsichtsräte der Unternehmen, die einen besonderen Vorbildcharakter haben, genau richtig. Deswegen
bringen wir heute ein Gesetz auf den Weg, das ausgewogen ist, die Quote mit Augenmaß einführt, für die Unternehmen in unserem Land absolut machbar ist und sie
nicht, entgegen vielen Befürchtungen, mit zu viel Bürokratie überfordern wird.
({4})
Es geht im öffentlichen Dienst darum, Strukturen aufzubrechen. Auch hier ist nicht derjenige am fleißigsten,
der am längsten im Büro sitzt. Auch hier stellen wir leider fest, dass es heute immer noch so ist, dass diejenigen
- Männer und Frauen -, die familiären Verpflichtungen
nachgehen, die ihre Kinder erziehen, die wegen der Kinder eine Zeit lang aus dem Berufsleben aussteigen, es
danach schwerer haben, bei ihrer Karriere im öffentlichen Dienst nach oben zu kommen. Deshalb sagen wir:
Was wir von den Unternehmen in Deutschland verlangen, verlangen wir auch im öffentlichen Dienst. Deswegen ändern wir das Bundesgleichstellungsgesetz und das
Bundesgremienbesetzungsgesetz mit dem Ziel, auch bei
den Unternehmen, in denen der Bund besetzt, mehr
Frauen in die Gremien zu entsenden, und mit dem Ziel,
auch in der öffentlichen Verwaltung Strukturen zu ändern.
Uns als Unionsfraktion ist wichtig, dass das Thema
Familienfreundlichkeit zukünftig eines der Leitbilder im
öffentlichen Dienst sein wird. Das stand immer schon im
Gesetz, aber sowohl Männer als auch Frauen, die wegen
der Erziehung ihrer Kinder eine Zeit lang aus dem Berufsleben aussteigen, haben es schwer. Deshalb ist ein
moderner Ansatz von Gleichstellungspolitik, dass sich
für beide Geschlechter etwas ändert, wenn sie denn Familienaufgaben wahrnehmen wollen. Deshalb haben wir
den Gesichtspunkt der Familienfreundlichkeit in das Gesetz hineinverhandelt. Ich bin meinen Kolleginnen und
Nadine Schön ({5})
Kollegen auch aus dem Innenbereich sehr dankbar, denen dies ebenfalls ein großes Anliegen war.
({6})
Frau Lay, Sie haben angesprochen, dass verschiedene
Sachverständige gesagt hätten, das Gesetz sei verfassungswidrig. Sie haben aber außer Acht gelassen, dass
wir im Ausschuss zahlreiche Änderungsanträge eingebracht haben, die die Union in den letzten Tagen ausgehandelt hat.
({7})
Sie führen dazu, dass das Gesetz verfassungsgemäß ist,
dass es wesentlich weniger bürokratisch ist als noch vor
zwei Wochen und dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren, auch im öffentlichen Dienst. Gleichmacherei
auf allen Ebenen macht gar keinen Sinn. Wir wollen,
dass sich in den Führungspositionen etwas ändert. Wir
wollen, dass die Behörden Spielraum haben, um ihre
Frauenförderung vorzunehmen. Wir wollen aber nicht
mit der Brechstange auf allen Ebenen 50 Prozent Männer und 50 Prozent Frauen durchsetzen. Das würde die
Verwaltungen überfordern.
({8})
- Ja, das führt dazu, dass man keine Zeit mehr hat, sich
auf das Wesentliche zu konzentrieren. Deshalb haben
wir diesen Punkt im Gesetz geändert. Dadurch wird das
Gesetz weniger bürokratisch. Dadurch wird das Gesetz
verfassungsgemäß. Ich bin sehr dankbar, dass wir das in
den letzten Tagen noch mit dem Koalitionspartner aushandeln konnten.
({9})
Insgesamt ist es ein gutes Gesetz, das die Strukturen
in den Unternehmen und im öffentlichen Dienst verändern wird. Es wird dazu führen, dass wir mehr Frauen in
Führungspositionen bekommen. Es wird dazu führen,
dass sich die Mentalität in den Unternehmen und im öffentlichen Dienst ändert. Deshalb ist heute ein guter Tag
für Frauen. Ich freue mich ganz besonders auf den Tag,
an dem wir diese Gesetze nicht mehr brauchen, weil wir
dann die Gleichberechtigung erreicht haben und ebenso
viele Frauen in Führungspositionen sind wie Männer.
Herzlichen Dank für die guten Beratungen! Herzlichen Dank an alle, die sich für mehr Frauen in Führungspositionen engagiert haben! Ihre Arbeit ist noch nicht
vorbei - da bin ich mir sicher. Wir werden gemeinsam
daran arbeiten, dass wir in Deutschland mehr Gleichberechtigung, mehr Frauen in Führungspositionen und ein
gutes Miteinander der Geschlechter haben; denn nur so
können wir wirtschaftlich international erfolgreich sein.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ja, das ist heute ein großer Tag. Das ist heute ein
Meilenstein in der Debatte um die Gleichberechtigung
von Frauen und Männern in Deutschland.
({0})
So viele Frauen haben dafür gekämpft, dass es endlich
gleiche Rechte gibt. Heute muss man tatsächlich einigen
ganz persönlich für die Quote danken. Ich will Ramona
Pisal vom Deutschen Juristinnenbund danken. Sie haben
hart gekämpft, und zwar schon richtig lange.
({1})
Natürlich danke ich den Frauen von FidAR. Frau
Schulz-Strelow, Sie sind erwähnt worden. Es waren auch
viele andere, die sich immer wieder auf den Weg gemacht haben und nicht nur Eulen nach Athen getragen
haben, sondern hart gekämpft und gesagt haben: Wir hören nicht auf, wir lassen euch nicht in Ruhe, und, ja, wir
nerven. - Herzlichen Dank dafür!
({2})
Das hat gezeigt: Es gibt sie, die Frauen, die in Führungspositionen am besten und gut aufgehoben sind.
Herzlichen Dank an die Frauen, die hier im Parlament
gemeinsam gekämpft haben, die Berliner Erklärung initiiert haben und parlamentarisch wie außerparlamentarisch miteinander gefightet haben. Ich will Ekin Deligöz
danken, ich will Rita Pawelski danken.
({3})
Das war ein schwerer Weg für Sie, und heute kriegen Sie
die Belohnung dafür. Ich will Dagmar Ziegler danken,
und ich will Renate Künast danken. Sie waren diejenigen, die bei der Berliner Erklärung ganz vorn standen.
({4})
Ich will danken für Mut. Ich will danken für Ausdauer. Ich will danken für Ihre Geduld, dafür, dass Sie
die Sprüche ausgehalten haben: Wollen Sie etwa eine
Quotenfrau sein?
({5})
Frauen bestehen doch durch Qualität! - Stimmt schon.
Bei Männern kommt es darauf nicht nur an;
({6})
da reichen im Zweifel auch die entsprechenden Netzwerke. Deswegen hier ein klares Bekenntnis: Ja, ich bin
eine Quotenfrau, und ich bin stolz darauf.
({7})
Die heutige Abstimmung über diesen Gesetzentwurf
ist nicht das Ende des Kampfes, sondern ein Anfang für
mehr: für mehr Chancengleichheit, aber vor allem auch
für mehr unternehmerischen Erfolg, für mehr Frauen
ganz oben und in den Ebenen darunter. Deswegen ist es
schon richtig, von einem Durchbruch zu sprechen.
({8})
Es ist nicht nur ein Durchbruch, weil sich so viele
Frauen unterschiedlicher Parteien zusammengetan haben, sondern auch, weil die gläserne Decke endlich zumindest Risse bekommt. Es ist ein Durchbruch; denn die
heutige Abstimmung zeigt, dass die Diskussionen der
letzten 30 Jahre nicht umsonst waren; auch wenn wir
nicht zufrieden sein können. Es ist schon traurig, dass
der Prozess so lange gedauert hat. Eigentlich waren wir
im Dezember 2011 schon einmal genauso weit, wie wir
es heute sind. Dann haben Sie von der Union allerdings
die Zeit genutzt, zu bremsen, zu bremsen, zu bremsen.
Frau Schwesig, wenn Sie ehrlich sind, dann werden
auch Sie sagen: Das ist eher eine Quote light, und das
nervt. - Vielleicht liegt es ja daran, dass die Union nur
ein Drittel Frauen hat, in der Großen Koalition insgesamt liegt der Anteil bei nicht einmal 32 Prozent. Ich
sage Ihnen: Das wird nur der Anfang sein. Wir werden
weiterkämpfen!
({9})
Eine Kritik kann ich Ihnen nicht ersparen. Das Theater um die Quote, das Sie in den letzten Monaten hier untereinander aufgeführt haben, ist symptomatisch für das,
was die Große Koalition macht. Die Serie heißt „Großer
Streit in der Großen Koalition“; ich habe allerdings vergessen, die wievielte Folge das gerade ist. In den letzten
zehn Tagen ging es dabei um Stromtrassen, Maut, Mindestlohn, Mietpreise, Einwanderung, Soli und Kindergeld;
({10})
das ist eine unvollständige Aufzählung. Meine Damen
und Herren, ich sage Ihnen: Ordentlich regieren tut man
so nicht!
({11})
Sie nerven die Öffentlichkeit, und Sie nerven auch das
Parlament.
Ich will zur Quote zurückkommen. Es gibt eine Sache, die nichts mit dem Streit untereinander zu tun hat,
sondern damit, dass auch noch schlampig gearbeitet
wird. „Schlecht gemacht“ war noch das Netteste, was die
Sachverständigen in der Anhörung gesagt haben. Ja,
meine Güte! Wie lange hatten Sie eigentlich Zeit? Gibt
es in den Ministerien tatsächlich niemanden, der ein solches Gesetz auf Verfassungsfestigkeit prüft?
({12})
Frau Schwesig, ich sage Ihnen: Die Frauen haben es verdient, dass Sie professionell an einem solchen Gesetzentwurf arbeiten.
Sosehr ich mich über Risse, Durchbruch und Anfang
freue, so ehrlich muss man sagen, wie klein die Maus ist,
die den großen Elefanten „Gleichstellung“ schlucken
soll. Wenn wir heute hier von der Quote sprechen, dann
sprechen wir über etwas mehr als 100 Unternehmen;
ehrlich gesagt, die Heulerei bei vielen dieser Unternehmen nervt auch.
({13})
Das heißt, die Arbeitgeberseite muss in den nächsten
Jahren immer mal 60 Frauen finden, die bereit sind, die
es können und die es wollen. Wir reden von 60 Frauen!
Das ist wirklich nur ein Anfang. Man kann nicht sagen:
Das ist ein großer Erfolg. Ich bin mir ganz sicher: Diese
60 Frauen könnten wir innerhalb eines Monats finden.
Wir müssten nicht Jahre warten.
({14})
Wenn man sich die Geschichte der Gesetzentwürfe
anschaut, dann muss man wahrlich sagen: Das war ein
schwerer Weg. Und es wurde ja alles versucht: mit gutem Zureden, mit Frauen, die deutlich besser waren, als
die männlichen Kandidaten, mit Selbstverpflichtung und
wieder mit Reden. Ehrlich gesagt: Manchmal hatte man
den Eindruck, diese Debatte hat die Dimension von aufsuchender Sozialarbeit.
({15})
Der Grund für den Widerstand gegen die Quote ist
und bleibt Machterhalt. Seit Jahren reden wir im Bundestag mit der Wirtschaft über Frauen in Führungsetagen. Aber die Appelle an Freiwilligkeit haben nichts bewegt. Es ändert sich nur etwas, wenn es einen relevanten
Anteil von Frauen in den Führungsetagen gibt. Es wird
sich nur etwas ändern, wenn es dafür eine Verpflichtung
gibt.
Ja, uns wäre ein Frauenanteil von 40 Prozent lieber
gewesen. Ja, es wäre uns sehr viel lieber gewesen, Sie
hätten die 3 500 börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen miteinbezogen; das ist heute
auch unser Angebot an Sie. Sie könnten noch dafür stimmen. Aber, ehrlich gesagt, so wie Sie aufgestellt sind, ist
das noch nicht einmal eine kleine Mutprobe.
({16})
Ich bin mir nach vielen Gesprächen mit Vertretern
von Unternehmen, bei denen ich Argumente gehört
habe, die mich echt fassungslos gemacht haben, ganz sicher: Die Quote wird auch für die Unternehmen gut sein.
Alle reden selbstverständlich von Diversity, und das hat
mit unternehmerischem Erfolg zu tun.
({17})
Ein Argument, das ich immer wieder gehört habe,
war, Frauen seien für solche Jobs zu wenig vorbereitet.
Aha. Wie ist das eigentlich bei der Bankenkrise gewesen? War da das Problem, dass die Männer, die die
Mehrheit in den Aufsichtsräten gestellt haben, zu wenig
vorbereitet waren?
Dann wird gesagt, Frauen wollten ja gar nicht. Super
Argument! Vielleicht sollte man sich mal darüber Gedanken machen, warum manche Frauen sagen, sie wollen nicht! Vielleicht haben sie keine Lust auf eine Kultur,
bei der es weniger um die Sache geht als um Konkurrenz
und Wichtigtuerei. Klar ist aber auch: Heute ist der Tag,
wo die Frauen sagen müssen: Ja, ich will, und selbstverständlich kann ich das auch.
({18})
Wir brauchen in unserer Wirtschaft das Potenzial von
Frauen für gute Führungskultur, wir brauchen das Potenzial für neue Impulse. Und: Nein, wir sind immer noch
nicht müde, wir halten noch eine ganze Menge Machosprüche aus; da können Sie sich sicher sein. Und damit
das klar ist: Frauen bilden Banden, weiterhin.
({19})
Die Kollegin Birgit Kömpel hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Bundeskanzlerin! Sehr geehrte Frau Ministerin
Schwesig! Sehr geehrter Herr Minister Maas! Und Sie
sind heute noch nicht genannt worden: Liebe Frau
Scherb vom Deutschen LandFrauenverband! Meine Damen und Herren! Der norwegische Wirtschaftsminister
Trond Giske sagte zur Einführung der gesetzlichen Frauenquote in seiner Heimat: Brechen wir diese Männerbastion nicht, schaffen wir nie die Gleichberechtigung. Und es stimmt: Die freiwilligen Selbstverpflichtungen
sind auf ganzer Linie gescheitert,
({0})
aber nicht daran, meine Damen und Herren, dass es nicht
genügend qualifizierte Frauen gibt. Die gibt es mehr als
genug: besser ausgebildet und besser qualifiziert als ihre
männlichen Mitstreiter. In unseren Führungsetagen aber
sitzen nur Männer - weil Männer immer noch Männer
fördern, weil Netzwerke immer noch männlich dominiert sind. Das bedeutet, meine Damen und Herren:
Nicht die Besten gelangen auf die Führungspositionen,
sondern nur die am besten vernetzten.
({1})
Frauen stoßen auf ihrem Weg nach oben noch immer an
die gläserne Decke. Die Quote schafft jetzt faire Wettbewerbsbedingungen.
Nun zum Bundesgleichstellungsgesetz. Warum kein
reines Frauenförderungsgesetz? Zunächst einmal möchte
ich betonen: Der SPD war die Frauenförderung schon
immer wichtig und wird es weiterhin sein. Sie ist auch in
diesem Gesetz klar verankert.
({2})
Aber wir sind - unsere Ministerin Manuela Schwesig hat
es gesagt - für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen
und Männern. Was bedeutet das? Das heißt, wir wollen
Rollendenken aufbrechen, wir wollen die sogenannten
Männer- bzw. Frauenberufe neu bewerten, und wir
möchten, dass Frauen und Männer sich Familienarbeit
partnerschaftlich teilen.
({3})
Denn bisher ist Frauenarbeit - auch gemäß unserem
Rollendenken - fast immer weniger wert. Krankenschwestern und Erzieherinnen, die wahrlich Verantwortung tragen, werden oft viel schlechter bezahlt als die
meisten männlichen Werksarbeiter. Das ist schwer zu
verstehen, und hier müssen wir ansetzen; denn dann erst
gewinnen wir männliche Erzieher und mehr Frauen für
unsere Polizei. Das, meine Damen und Herren, ist gerechte Teilhabe im Berufsleben.
({4})
Aber Gleichberechtigung fordert noch viel mehr:
Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, das muss
gleichermaßen von Frauen und Männern übernommen
werden.
({5})
Bisher leisten diese Arbeit in der Regel eben die Frauen.
Das neue Gesetz richtet die Vereinbarkeitsangebote daher ausdrücklich auch an Männer. Diese haben Vereinbarkeitsangebote in der Vergangenheit bisher meist ausgeschlagen, natürlich auch weil sie berufliche Nachteile
befürchtet haben.
Und jetzt? Jetzt haben wir ein Benachteiligungsverbot. Wer eine Vereinbarkeitslösung wählt, darf zukünftig
nicht mehr benachteiligt werden, nicht bei der Beförderung, nicht bei der Rückkehr in Vollzeit, nicht auf dem
Karriereweg. So geht Gleichstellung, meine Damen und
Herren!
({6})
Wir müssen den Mädchen und den jungen Frauen
aber auch sagen: Auf geht’s, ihr seid am Zug! Geht euren
Weg! Macht Karriere! - Ich habe eine 17-jährige Tochter
und bekomme Gänsehaut bei dem Gedanken, dass sie
von der Quote profitieren wird.
({7})
Sie wird nicht mehr gegen die gläserne Decke stoßen trotz hervorragender Leistungen.
Noch ein Beispiel. Seit über 20 Jahren arbeite ich in
einem Bereich, in dem ich mit Personalentscheidungen
zu tun habe. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen - frei
nach Maggie Thatcher -: Willst du etwas gesagt haben,
frag einen Mann. Willst du etwas getan haben, frag eine
Frau.
({8})
Frauen sorgen nachweislich für mehr Effizienz in Führungsteams. Das beschränkt sich aber nicht darauf, dass
Besprechungen und Konferenzen kürzer werden. Gemischte Führungsteams sind auch kreativer und produktiver. Endlich gibt es mal geistreiche Witze, Begeisterung und Inspiration.
({9})
Aber auch Top-down verändert sich einiges. Plötzlich
gibt es dann familienfreundliche und flexible Arbeitszeiten, Kinderbetreuung, Angebote für Teilzeit- und Telearbeit auch für Männer. Quote sorgt für ein besseres
Arbeitsklima. Quote sorgt für eine neue, bessere Unternehmenskultur.
({10})
Weil es gerade so perfekt passt, noch ein Beispiel.
Mein Büro in Berlin wird in Teilzeit geführt. Ja, Sie haben richtig gehört: Meine Büroleitung arbeitet in Teilzeit. Wir sehen also: Führungspositionen und Teilzeit
sind kein Widerspruch, auch im Deutschen Bundestag
nicht.
({11})
Wir sehen also: Die Wahrnehmung von Führungspositionen klappt auch in Teilzeit. Darum, meine Herren in der
Wirtschaft: Hören Sie auf zu jammern und zu klagen!
Die Quote wird kommen. Sie wird keinesfalls schaden,
sondern wird vielfachen Nutzen bringen. Sie ist überfällig; denn Sie, meine Herren, hatten Ihre Chance. Diese
haben Sie vertan.
({12})
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Susanna Karawanskij für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gut Ding will bekanntlich Weile haben. Viele
Monate wurde über den Gesetzentwurf diskutiert. Rekordverdächtige sechs Referentenentwürfe gingen diesem Entwurf voran. Gerade die Wirtschaft jaulte am lautesten auf. Die Widerstände von Unternehmen, aber
auch von Teilen der Union waren teilweise aberwitzig.
Wie immer wurde der Untergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland heraufbeschworen - wie immer zu Unrecht. Aus linker Sicht gibt es durchaus einige Kritikpunkte an diesem Gesetzentwurf; darauf hat meine
Kollegin Caren Lay schon deutlich hingewiesen.
Aber ich muss hier auch sagen: Gut Ding musste
nicht nur Weile haben, sondern es musste zusammen mit
Initiativen und Verbänden auch beharrlich Druck aufgebaut werden. Ich bin froh, dass es gemeinsam gelungen
ist, auch unter Beteiligung der Linken, dass es in
Deutschland zumindest ein bisschen Quote gibt, ein
bisschen „gut Ding“, woran wir alle teilhaben können
und in Zukunft teilhaben werden.
({0})
So können wir zumindest den Regelungen für den Bereich der Privatwirtschaft zustimmen; denn es ist in der
Tat ein guter Schritt, ein guter Anfang. Natürlich muss
die Tendenz sein, weiterzumachen. Dabei brauchen die
Gegner einer generellen Quotierung und sonstige Hardliner gar nicht blass zu werden und den Untergang des
männlichen Abendlandes heraufzubeschwören; denn die
Frauenquote soll gar nicht für alle Unternehmen gelten.
Es geht nicht um eine Quote im Sinne von fifty-fifty,
sondern um schüchterne 30 Prozent. Und diese Quote
soll ja nur für die Aufsichtsräte, allerdings nicht für die
Vorstände gelten. Trotzdem: Es ist ein wichtiger, ein historischer Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Vor allen Dingen ist der heutige Tag nicht nur ein guter Tag für
Frauen, sondern eigentlich auch ein guter Tag für Männer
({1})
und für die Unternehmen, die jetzt keine Ausreden mehr
haben, auf den Sachverstand und die Qualität von
Frauen in ihren Reihen zu verzichten.
Eine feste Quote von 30 Prozent soll es nur für die
Aufsichtsräte der ungefähr 100 Großunternehmen geben. Aber ich möchte an dieser Stelle schon noch einmal
fragen: Was passiert eigentlich mit den 3 500 börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Unternehmen?
Selbstverpflichtungen haben schon bei den Banken
nichts genützt. Sie nützen auch hier nicht. Bessern Sie
hier nach. Sanktionen bei Nichterfüllung der selbst gesteckten Zielvorgaben sind nicht vorgesehen. Einfach einen Bericht hinzuschludern, reicht nicht aus. Das alles
hat im Nachgang die Durchschlagskraft eines Pappschwerts. Ich möchte Sie auffordern, diese Leerstelle zu
füllen und vor allen Dingen die 30-Prozent-Quote rasch
auf alle börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen
Unternehmen auszuweiten.
({2})
Natürlich kämpft die Linke auf lange Sicht für eine
Ausweitung der Quote auf 50 Prozent in den Aufsichtsräten, aber vor allen Dingen in den noch wichtigeren
Vorständen. Grundsätzlich fordern wir das ja nicht nur
für die Privatwirtschaft, sondern auch für den öffentlichen Dienst und die gesamte Arbeitswelt.
Wir sollten sehen, dass diese Quote ein Mittel zur
Gleichstellung ist. Sie ist aber nicht deren Ziel. Wir müssen die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der
Gesellschaft beseitigen. Um es klar zu sagen: Wir müssen weiter die Weichen dafür stellen, damit Frauen - erst
recht bei gleicher Qualifikation und Eignung - in den
Führungsetagen zur Selbstverständlichkeit werden und
keine exotischen Ausnahmen sind.
({3})
Ich möchte hier noch einmal betonen, dass Frauen
nicht nur im Alltag und im gesellschaftlichen Zusammenleben, sondern auch in der Arbeitswelt gleichgestellt
werden müssen. Gerade Frauen sind von Niedriglöhnen
und von prekärer Beschäftigung betroffen. Nicht nur für
sie, aber gerade auch für sie brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn - ohne Löcher,
ohne Hintertüren und ohne Tricksereien. Es muss weiter
bei den Löhnen und bei den Arbeitsbedingungen angesetzt werden, meine Damen und Herren von der Regierungsbank. Wir Linke stehen nach wie vor für gute Arbeit und gute Löhne. Das gilt gleichermaßen für Frauen
wie für Männer.
({4})
Ich möchte mit einem Wunsch für die Zukunft schließen: Ich wünsche mir für alle Frauen, aber natürlich
auch für die Männer und für die Unternehmen, dass die
Nachfrage, ob man eine Quotenfrau sei, endlich der Vergangenheit angehört. Vielmehr muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich genauso wie bei den Männern Qualität durchsetzt - und das nicht nur, weil
übermorgen Frauentag ist.
Vielen Dank.
({5})
Der Kollege Marcus Weinberg hat für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Der siebte Redner
ist der erste Mann. Das ist, glaube ich, gut so.
({0})
Ich will jetzt nicht die Reihe der Personen, denen zu
danken ist, fortsetzen. Ich will aber sagen: Es gibt auch
einige Männer, die für die Quote gekämpft haben. Auch
ihnen sei einmal Dank ausgesprochen für die Arbeit der
letzten Wochen und Tage - wie ich glaube, auch zu
Recht.
({1})
Ich möchte anknüpfen an das, was gesagt wurde. Wir
haben immer Folgendes gesehen: Die Quote ist nicht das
Ziel. Die gleichberechtigte Teilhabe ist das Ziel. Die
Quote ist ein Hilfsmittel.
({2})
Ich sage das als jemand, der wie viele von uns Freiheit
als das grundlegende Ideal ansieht. Quoten und Quoren
bedeuten immer eine Einschränkung der Freiheit. Insofern ist das, was Nadine Schön gesagt hat, richtig. Das
Ziel muss es sein, dass wir eines Tages auf dieses Gesetz
verzichten, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der
wir die gleichberechtigte Teilhabe verwirklicht haben.
({3})
Zwei Dinge wurden gesagt, die auch durch Studien
immer wieder belegt werden: Erstens. Frauen werden,
was Führungspositionen angeht, weiterhin benachteiligt.
Zweitens wurde gesagt: Viele in Verantwortung stehende
Personen, insbesondere Männer, hatten die letzten Jahre
viele Chancen. Viele Unternehmen hatten Chancen, freiwillig dafür zu sorgen, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen.
Aber jetzt ist angesichts der weiterhin geringen Anzahl von Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und auch im öffentlichen Dienst der Zeitpunkt gekommen, an dem der Gesetzgeber den Auftrag des
Grundgesetzes umsetzt. Denn das Grundgesetz schreibt
uns in Artikel 3 vor, Gleichberechtigung sicherzustellen.
Deswegen ist es durchaus ein historischer Tag; das ist
richtig. Noch schöner wird der Tag sein, an dem wir auf
dieses Gesetz verzichten können. Noch einmal: Wir machen eigentlich nicht mehr, als das Grundgesetz zu beachten. Das Ziel ist es, eine echte und tatsächliche Chancengleichheit zu erreichen.
({4})
Ich möchte gleich noch auf einzelne Punkte des Gesetzesvorhabens eingehen. Zuvor möchte ich allerdings
noch zwei, drei Sätze zu grundsätzlichen Fragen einer
Gleichstellungspolitik und Frauenpolitik sagen. Denn es
lohnt sich immer, in der Politik zu fragen: Was ist eigentlich das Staatsverständnis, hinter dem wir stehen? Worum geht es eigentlich grundsätzlich bei der Debatte über
Gleichstellungspolitik?
Marcus Weinberg ({5})
Frauen und Männer sind nicht gleich.
({6})
Sie sind gleichberechtigt, und sie sind gleichwertig.
Gleichstellungspolitik muss nach unserer Meinung immer vom gleichen Selbstbestimmungsrecht und dem
gleichen Recht eines jeden Individuums ausgehen, nach
einem glücklichen Leben zu streben und sein Leben so
zu leben, wie er oder sie es möchte. Das Recht auf
Selbstverwirklichung ist Kerngedanke der Freiheit. Die
freiheitliche Grundordnung unserer Verfassung verpflichtet den Staat, das Recht auf Chancengleichheit zu
ermöglichen und durchzusetzen. Echte Gleichstellungspolitik ist daher eine Politik der Freiheit.
({7})
Eine der Freiheit verpflichtete Gleichstellungspolitik
kann nicht das Ziel haben, die Geschlechter unabhängig
von ihren Interessen und ihren Neigungen gleichzumachen. Eine der Freiheit verpflichtete Gleichstellungspolitik kann auch nicht das Ziel haben, ein bestimmtes
Frauen- oder Männerbild vorzuschreiben.
({8})
Vielmehr ist das Ziel: Eine der Freiheit verpflichtete
Gleichstellungspolitik konzentriert sich darauf, dort
Nachteile zu beseitigen, wo sie für ein Geschlecht gegeben sind. In alle anderen Bereiche hat sich der Staat
nicht einzumischen. Das setzen wir jetzt mit diesem Gesetz tatsächlich um. Wir sagen: Dort, wo es Benachteiligungen gibt, werden wir jetzt aktiv. Deswegen ist es
auch an der Zeit, dass dieser Gesetzentwurf jetzt verabschiedet wird.
({9})
Wir haben im parlamentarischen Verfahren lange und
sehr intensiv diskutiert. Wir haben im privatrechtlichen
Teil noch einige Veränderungen durchsetzen können, die
gut und sinnvoll waren,
({10})
weil sie einerseits dem Auftrag des Grundgesetzes entsprechen und andererseits dafür sorgen, dass wir kein
Übermaß an Bürokratie haben. Dazu werden die Kollegen gleich noch einiges sagen.
Beim öffentlich-rechtlichen Teil hatten wir als CDU/
CSU-Bundestagsfraktion allerdings erheblichen Nachbesserungsbedarf. Denn unser Ziel ist es nicht, Parität
auf allen Ebenen der Bundesverwaltung zu haben, sondern unser Ziel ist es nur, Benachteiligungen abzubauen.
Das heißt, statt Frauenförderung sah der Gesetzentwurf
auf allen Ebenen der Bundesverwaltung das Prinzip der
Geschlechterparität vor. Um eines klarzustellen: Auch
ich sage, dass wir in vielen Bereichen, zum Beispiel in
Kitas oder in Grundschulen, mehr Männer brauchen. In
anderen Bereichen brauchen wir natürlich mehr Frauen.
Aber Parität kann kein Staatsziel sein. Das Ziel des Staates ist es, Benachteiligungen im Sinne der Freiheit abzubauen, und nicht, mit einem jeweiligen Anteil von
50 Prozent Parität und Gleichheit zu schaffen. Das ist
nicht Ziel des Staates.
({11})
Das haben auch mehrere Sachverständige bei der
Anhörung deutlich herausgearbeitet; dies wurde in der
Debatte schon angedeutet. Hauptkritikpunkt der Sachverständigen war das Ziel der Geschlechterparität im
Bundesgleichstellungsgesetzentwurf. In der Praxis hätte
es bedeutet - das wurde häufig angesprochen -, dass die
Bundesverwaltung auf allen Ebenen hätten schauen
müssen, wie es mit der Parität aussieht und wie sie sie
erreicht. Das wollten wir als Union mit unserem freiheitlichen Staatsverständnis nicht. Denn unser freiheitliches
Staatsverständnis beruht darauf, dass der Staat nur dann
gesetzlich eingreifen soll und darf, wenn bestehende
Nachteile für ein Geschlecht beseitigt werden müssen.
Das Ziel der Geschlechterparität unabhängig von der
Benachteiligung, also nur um der Parität willen, ist mit
unserem Staatsverständnis nicht vereinbar. Deshalb war
es gut, dass wir im parlamentarischen Verfahren - wir
sind ja selbstbewusste Parlamentarier - das eine oder
andere noch geändert haben. Damit kommt jetzt zur Geltung, worauf es ankommt: Frauen, die strukturell benachteiligt werden, werden weiterhin gefördert. Das
muss unser Ziel sein. Im Bereich der Privatwirtschaft
wollen wir mit der festen Quote deutlich machen, dass
dieses Ziel umgesetzt werden muss.
Wir sind mit dem Gesetzentwurf in der jetzigen Fassung zufrieden. Das Gesetz ist ein notwendiger Türöffner. Es soll einen kulturellen Wandel mit sich bringen,
und zwar in allen Ebenen der Gesellschaft. Dieses Gesetz soll sich eines Tages überflüssig machen, sowohl
hinsichtlich der Verwaltung als auch hinsichtlich der Privatwirtschaft.
Ziel muss sein, dass wir über diese Themen gar nicht
mehr diskutieren müssen, weil wir etwas erreicht haben,
was unserem freiheitlichen Staatsverständnis entspricht.
Dieses Ziel ist, dass wir eine gleichberechtigte Teilhabe
von Männern und Frauen, und zwar nicht nur in Führungspositionen, erreichen und endlich eine Gesellschaft
haben, in der wir nicht mehr über Quoten und Quoren
diskutieren müssen, weil die Gleichberechtigung eine
Selbstverständlichkeit ist. Dazu ist dieses Gesetz der
vorletzte Schritt. Der letzte Schritt wird sein, dass wir
dieses Gesetz, weil es überflüssig ist, „beerdigen“ können. Das wäre ein wirklich guter Tag für die Gleichstellungspolitik in Deutschland.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Gäste!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich sage: Heute
ist ein guter Tag für die Gleichstellung in unserem Land.
({0})
Denn die gesetzliche Quote für die Aufsichtsräte wird
endlich Realität. Das ist ein großer Erfolg. Ich will sagen: Das ist wirklich großartig.
Viele von uns hier im Parlament haben jahrelang dafür gestritten. Das war allerdings nicht nur im Parlament
der Fall. Denn ohne die Unterstützung der Frauen aus
Verbänden wie dem Deutschen Juristinnenbund, FidAR,
dem Verband deutscher Unternehmerinnen, den Landfrauen und vielen anderen wären wir nicht so weit gekommen. Ich möchte stellvertretend Ramona Pisal,
Monika Schulz-Strelow, Brigitte Scherb und auch meine
Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk nennen. Ohne diese
großartigen Frauen wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen.
({1})
Wir alle haben immer wieder die gesetzliche Quote
eingefordert, weil es keinen einzigen Grund gibt, den
vielen hochqualifizierten Frauen irgendeinen Karriereweg zu verweigern, weil die jahrelange freiwillige
Selbstverpflichtung der Wirtschaft den Frauen nichts gebracht hat und weil es mittlerweile zu einem echten
Imageproblem für deutsche Unternehmen geworden ist,
dass wir bei den Aufstiegschancen und der Bezahlung
von Frauen eher Entwicklungsland sind. Für dieses
großartige Engagement und für ihren langen Atem
möchte ich allen Beteiligten herzlich danken.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, liebe Bundesregierung, es ist schade, dass Sie
Ihre Mehrheiten nicht genutzt und mehr daraus gemacht
haben. Die 30-Prozent-Quote ist gut, sie ist aber kein
wirklich großer Wurf. Wir fordern in unserem Gesetzentwurf 40 Prozent; das EU-Parlament fordert dies
ebenso. Ich sage Ihnen ehrlich: Das hätten wir sehr gerne
heute mit Ihnen hier beschlossen.
({3})
Was ich aber wirklich kritisieren muss, ist, dass Sie
diese 30 Prozent nur für Aufsichtsräte in gerade einmal
108 Unternehmen festschreiben wollen. Da springen Sie
deutlich zu kurz. Was wir brauchen, ist eine Quote für
börsennotierte oder mitbestimmungspflichtige Unternehmen. Wir brauchen eine Quote, die für 3 500 Unternehmen gilt.
({4})
Das fordern wir Grüne, und das fordert FidAR. Damit
würden wir in Sachen Gleichberechtigung wesentlich
schneller nach vorne kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch beim Bundesgremienbesetzungsgesetz ist von Ihrer Ankündigung, die
öffentlichen Unternehmen müssten mit gutem Beispiel
vorangehen, nicht viel übrig geblieben. Erst war eine
Quote von 50 Prozent vorgesehen. Jetzt ist nur noch eine
30-Prozent-Quote im Gesetz zu finden. Von einer Vorreiterrolle kann jedenfalls nicht mehr die Rede sein.
Liebe Ministerin Schwesig, lieber Minister Maas, ich
muss Ihnen auch sagen: Was die technische Umsetzung
angeht, war das abenteuerlich, was Sie hier gemacht haben.
({5})
In der Anhörung im Ausschuss letzten Montag hagelte
es kurz vor Toresschluss heftige Kritik vonseiten der
Sachverständigen. Der Tenor war: handwerklich schlecht
gemacht, praxisuntauglich und in sich widersprüchliche
Regelungen. - Mal ganz davon abgesehen, dass wir eine
Sondersitzung des Ausschusses am Mittwochnachmittag
einberufen mussten, weil noch Fehler gefunden wurden,
ist das, finde ich, starker Tobak für einen Gesetzentwurf,
für den ein Jahr lang Zeit war.
({6})
Beim Bundesgleichstellungsgesetz wurde zu Recht
insbesondere die neu eingeführte Männerquote als verfassungswidrig kritisiert. Eines ist doch klar: Dass es zu
wenige männliche Sachbearbeiter, Erzieher und Grundschullehrer gibt, liegt daran, dass sich Männer auf diese
immer noch schlecht bezahlten Jobs schlichtweg nicht
bewerben und diese Berufe als Frauenberufe gelten. Mit
einer strukturellen Benachteiligung von Männern hat das
nichts zu tun.
({7})
Das haben Sie sozusagen in letzter Minute behoben, und
das war ja wohl auch das Mindeste.
Das Ziel, das Gesetz zu verschärfen, haben Sie aber
nicht erreicht. Entscheidende Punkte wurden nicht angefasst. Es gibt keine Sanktionen, wenn das Gesetz nicht
eingehalten wird. Außerdem gibt es immer noch kein
Klagerecht für die Gleichstellungsbeauftragten. Deswegen sind diese auch dagegen Sturm gelaufen.
Daher sage ich Ihnen: Streichen Sie Artikel 2 Ihres
Gesetzentwurfs! Stimmen Sie unserem Änderungsantrag
zu! Überarbeiten Sie das Bundesgleichstellungsgesetz
auf einer soliden Grundlage!
({8})
Alles andere ist der Versuch, ein totes Pferd wiederzubeleben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden deshalb
heute getrennte Abstimmung beantragen und das Bundesgremienbesetzungsgesetz und das Bundesgleichstellungsgesetz ablehnen. Der Änderung des Aktienrechts
werden wir Grünen zustimmen, und zwar trotz der TatUlle Schauws
sache, dass unser eigener Gesetzentwurf der weiter gehende ist.
Trotz meiner Kritik will ich am Schluss eines in aller
Deutlichkeit sagen: Dass besonders Sie, Frau Schwesig,
bei allem Gegenwind aus den Reihen der Union und der
Wirtschaft so konstant und beharrlich geblieben sind,
war bemerkenswert.
({9})
Darum ist klar, dass wir als Grüne unsere Aufgabe als
Oppositionskraft auch genauso beharrlich weiterverfolgen werden wie bisher und frauenpolitisch mehr einfordern. Denn nur so, nur in diesem Zusammenspiel der
parlamentarischen Demokratie, nur so können wir am
Ende gemeinsam mehr für Frauen in diesem Land erreichen.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte ich an die Ausführungen meiner Vorrednerin anknüpfen: Wenn die Gemeinsamkeiten
groß genug sind, dann kann man auch Großes bewirken.
Das zeigt der heutige Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Es waren die Frauen der SPD, der Linkspartei, der
Grünen und auch der Union, die sich aufgemacht und
sich über die Berliner Erklärung für die Quote eingesetzt
haben.
({1})
Der Druck, den wir alle durch unsere weiblichen Fraktionsmitglieder erfahren haben, hat dazu beigetragen,
dass wir heute diesen historischen Schritt gehen können.
({2})
Deshalb gilt mein Dank insbesondere diesen Pionierinnen, die sich gegen den Widerstand insbesondere aus
der Wirtschaft aufgemacht haben. Aber auch die Arbeitnehmerseite - das muss man auch einmal sagen - hat das
Ganze sehr kritisch betrachtet. Diese Frauen haben sich
dennoch auf den Weg gemacht und gesagt: Gemeinsam
sind wir stark. Deshalb verbünden wir uns und treiben
die Kerle vor uns her. - Einige mussten mehr getrieben
werden, andere weniger. Stimmt’s, Marcus?
({3})
Sie haben dazu beigetragen, dass wir als Große Koalition jetzt diesen Gesetzentwurf vorlegen können und
diesen heute auch beschließen werden.
Ich will mich auch bei den Grünen bedanken, die angekündigt haben, Artikel 3 zuzustimmen. Natürlich kann
man immer mehr machen und immer weiter gehen. Es
ist aber wichtig, diesen wichtigen Schritt zu gehen und
zu dokumentieren, dass sich dieser gemeinsame Kampf
gelohnt hat. Deshalb bedanke ich mich für die Zustimmung außerhalb der Großen Koalition zu diesem Punkt.
Herzlichen Dank.
({4})
Es ist gerade die Frage aufgeworfen worden, ob dieses Gesetz irgendwann einmal überflüssig wird. Das ist
der Wunsch. Thomas Oppermann hat soeben gesagt,
dass wir das wohl nicht mehr erleben werden. Ich glaube
eher, dass wir irgendwann einmal darüber diskutieren
werden, ob die 30 Prozent nicht zu wenig sind.
({5})
Natürlich muss das das Ziel bleiben. Überlegen wir
aber einmal, wie lange wir die Freiwilligkeit gehabt und
gedacht haben, dass auch das irgendwann einmal klappen wird. Deshalb bezweifele ich, dass dieses Gesetz in
nächster Zeit zu einem überflüssigen Gesetz wird. Wir
werden an dieser Stelle eher eine Verschärfung vornehmen. Das werden aber die Erfahrungen zeigen, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({6})
Ich will noch etwas zum Bundesgleichstellungsgesetz
sagen, weil das auch Bestandteil der parlamentarischen
Auseinandersetzung oder zumindest der Anhörung war.
Dort ging es auch um die Frage, ob das Ganze verfassungskonform war. Der Verfassungsrechtler hat uns dies
in der Anhörung jedoch bestätigt, und ich weiß, dass die
Bundesregierung einen verfassungsgemäßen Gesetzentwurf vorgelegt hat.
Es stellte sich auch noch die Frage, warum wir im
Bundesgleichstellungsgesetz jetzt plötzlich beide Geschlechter ansprechen. Diese Frage ist natürlich berechtigt, weil nach wie vor die Frauen in der Gesellschaft, in
der Wirtschaft und in der Politik strukturell benachteiligt
sind. Deshalb ist die Frauenförderung ja auch nach wie
vor ein großes Ziel, das mit dem Bundesgleichstellungsgesetz verfolgt wird.
({7})
Aber warum Parität? Ich glaube, dass es wichtig ist,
innerhalb der Gleichstellungspläne auch Geschlechterstereotypen aufzugreifen und zu verändern. Das betrifft
nicht nur den männlichen Sekretär, sondern auch die
weibliche Polizistin. Ich glaube, es ist sinnvoll, dass sich
der öffentliche Dienst auch an die eigene Nase fasst und
fragt, warum dort zu wenige Männer Sekretäre und zu
wenige Frauen bei der Polizei sind. Deshalb ist es gut,
dass wir beide Geschlechter im Gesetz angesprochen haben.
({8})
Es wird behauptet, das alles würde sich dann verändern, wenn man die Bezahlung erhöhen würde. Wenn
man beispielsweise die Bezahlung für Erzieherinnen
oder Sekretärinnen erhöhen würde, dann würden auch
mehr Männer diesen Beruf ergreifen. Dazu will ich an
dieser Stelle deutlich sagen: Es kann nicht sein, dass
man die Tarife für die Erzieherinnen und Erzieher nur erhöht, damit mehr Männer diesen Beruf ergreifen; denn
auch wenn in diesem Job ausschließlich Frauen tätig sein
würden, würde es sich lohnen, hier für Lohngerechtigkeit zu kämpfen.
({9})
Über das Thema „Gleicher Lohn für beide Geschlechter bei gleicher Arbeit“ werden wir uns in diesem Bundestag aber beim nächsten Mal wieder intensiv auseinandersetzen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({10})
Der Kollege Dr. Stephan Harbarth hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Uns alle in diesem Haus eint das Ziel, Frauen eine
gleichberechtigte Teilhabe in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Unser Wunsch ist, dass dieses Ziel in erster
Linie nicht durch Normen und Paragrafen, sondern
durch innere Überzeugung erreicht wird, dass es die
Menschen also als selbstverständlich empfinden, dass jemand in diesem Land völlig unabhängig von seinem Geschlecht Erfolgschancen wahrnehmen kann.
({0})
Dies ist für uns eine Gerechtigkeitsfrage und auch wichtig im Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Wie ist die Ausgangslage? Der Weg bis zur vollständig gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in unserer
Gesellschaft ist lang. Es gibt aber Bereiche, in denen
schon einiges erreicht wurde. Ich nenne zum Beispiel die
Politik. Der einflussreichste, erfolgreichste und angesehenste Politiker Europas ist seit vielen Jahren eine Frau:
unsere Bundeskanzlerin.
({1})
Dass sich die Menschen wünschen, dass das noch möglichst viele Jahre so bleiben möge, ist ein Zeichen für die
gesellschaftliche Normalität, die wir hier erreicht haben.
({2})
Daneben nenne ich die öffentliche Verwaltung, die
Justiz, die Wissenschaft und die Kultur. Im Bereich der
Wirtschaft fällt das Bild gemischt aus. Man kann feststellen, dass viele Führungsebenen, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Händen von Männern waren,
heute zu einem erheblichen Teil von Frauen besetzt werden. Man muss aber auch feststellen, dass dies nicht für
die absoluten Spitzenpositionen in unserer Wirtschaft
gilt. Dort sind Frauen sehr rar gesät.
Dass es auch anders sein kann, zeigt uns ein Blick
über den Großen Teich. In Amerika stehen an der Spitze
vieler Konzerne Frauen. Ich nenne exemplarisch nur
IBM, General Motors, Pepsi, Yahoo, Hewlett-Packard
und DuPont. Wenn uns in Deutschland mehr Namen
amerikanischer Unternehmensführerinnen als deutscher
Topmanagerinnen einfallen, dann zeigt das, dass wir in
Deutschland einen Missstand haben;
({3})
einen Missstand, der übrigens nicht nur etwas mit den
Unternehmen selbst zu tun hat, sondern der seine Ursache schon im Bereich der Ausbildung hat. Wenn man
sieht, dass Frauen und Mädchen in den MINT-Berufen,
in den technischen Berufen und den Ingenieurwissenschaften noch immer unterrepräsentiert sind, braucht
man sich nicht zu wundern, wenn eines Tages in Führungspositionen bei Maschinenbauern wenig Frauen vertreten sind. Insofern ist die Gesellschaft insgesamt gefragt.
Im Jahre 2001 gab es die freiwillige Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft. Wir müssen feststellen:
Diese Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft hat
nicht wirklich funktioniert.
({4})
Sie hat möglicherweise auch deshalb nicht funktioniert,
weil dem politischen Impetus die Glaubwürdigkeit gefehlt hat. Das war die Zeit, in der wir einen Bundeskanzler hatten, der Frauen- und Familienpolitik als „Gedöns“
verspottet hat.
({5})
Wenn man das auf der einen Seite tut und auf der anderen Seite mehr Frauen in Führungspositionen fordert,
dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn dann die
Glaubwürdigkeit fehlt.
({6})
Ich möchte an dieser Stelle Angela Merkel dafür danken,
dass sie nun im zehnten Jahr Frauenpolitik und Familienpolitik in diesem Land nicht mit abwertenden Sprüchen, sondern mit innerer Hingabe begleitet.
({7})
Wir haben die Aufgabe, gemäß dem erkannten Regelungsbedarf zu handeln. Uns geht es um folgendes Ziel:
Wir wollen mehr Frauen in Führungspositionen. Wir
wollen aber keine gleichmacherische, keine pauschalierende Lösung für alle Unternehmen in Deutschland, sondern wir wollen maßgeschneiderte Lösungen. Deshalb
differenzieren wir hier zwischen verschiedenen Unternehmen.
In vielen mittelständischen Unternehmen in Deutschland ist es längst eine Selbstverständlichkeit, dass das
Kind des Eigentümers in der nächsten Generation den
Betrieb, völlig unabhängig von seinem Geschlecht, übernimmt. Den Betrieb kann also in der nächsten Generation die hochqualifizierte Tochter genauso wie der hochqualifizierte Sohn übernehmen. Für diese Betriebe
brauchen wir in Deutschland keine Quote. Deshalb ist es
wichtig, dass wir hier keine Quote haben.
({8})
Für ungefähr 3 500 Unternehmen in Deutschland führen wir eine Quote ein: für ungefähr 97 Prozent dieser
Unternehmen eine flexible Quote und für ungefähr
3 Prozent eine starre Quote. Wir sind der Überzeugung,
dass die flexible Quote richtig ist, weil die Unternehmenswirklichkeit eine ganz unterschiedliche ist. Es gibt
Branchen, etwa den Maschinenbau oder die Baubranche,
in denen der Frauenanteil sehr niedrig ist. Es gibt andere
Branchen, etwa den Dienstleistungsbereich, die Verlage
und Ähnliches, in denen der Frauenanteil sehr hoch ist.
Deshalb ist unsere Überzeugung, dass es richtig ist, hier
nicht zu sagen: Es gibt für all diese Unternehmen trotz
ihrer Verschiedenartigkeit eine einheitliche, eine pauschale Quote. Vielmehr gibt es eine selbstgesteckte, eine
passgenaue Quote für diese Unternehmen. Dies entspricht unserem Gesellschaftsverständnis, meine Damen und Herren.
({9})
Für die Aufsichtsräte von 108 Unternehmen gibt es
eine Quote von 30 Prozent. Das sind die Unternehmen,
die sowohl börsennotiert sind als auch über 2 000 Mitarbeiter haben. In diesen Unternehmen ist das Problem am
größten. Dort sind Frauen in den absoluten Toppositionen am rarsten. Deshalb ist es richtig, dass wir hier eine
Quotenregelung vorsehen.
Für uns war es in der Ausgestaltung insgesamt wichtig, dass wir hier mit Augenmaß statt mit Ideologie vorgehen. Wir wollten auch nach den Erfahrungen im
Mindestlohnbereich vermeiden, dass hier ein Bürokratiemaximierungsgesetz geschaffen wird.
({10})
Deshalb haben wir im parlamentarischen Verfahren an
vielen Stellen nachgebessert.
({11})
In der entsprechenden Sachverständigenanhörung
wurden in der Tat noch viele Mängel offengelegt. Deshalb haben wir dann ein parlamentarisches Verfahren
durchgeführt. In diesem parlamentarischen Verfahren
haben wir in guter Zusammenarbeit mit den Ministerien,
wofür ich sehr herzlich danke, in guter Zusammenarbeit
mit den Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wofür
ich sehr herzlich danke, viel erreicht.
Wir haben geregelt, dass - wie es einem modernen
Verständnis von der Zusammensetzung eines Aufsichtsrates entspricht - Arbeitnehmer- und Anteilseignervertreter nicht als zwei getrennte Bänke betrachtet werden,
sondern als ein gemeinsames Gremium zu sehen sind.
Wir haben darauf geachtet, dass die Berichtspflichten
nicht übermäßig bürokratisch ausgestaltet werden, sondern dass sich die Unternehmen einmal Ziele setzen,
über die sie dann nicht jedes Jahr, sondern erst am Ende
des selbstgesteckten Zeitraums berichten müssen. Wir
haben das Inkrafttreten der Zielvorgaben noch einmal
um drei Monate nach hinten verschoben, damit sich die
Unternehmen in den nächsten Wochen darauf einstellen
können. Wir haben an vielen Stellen darauf geachtet,
dass das Gesetz in der Praxis mit der erforderlichen Flexibilität und mit der erforderlichen Rechtssicherheit angewendet werden kann. Dafür haben wir eine Vielzahl
von Änderungen vorgenommen.
Wenn wir heute das Gesetz beschließen, dann können
wir zusammenfassend festhalten: Wir haben uns an dem
Ziel orientiert, für die Frauen in diesem Land etwas zu
bewegen. Wir haben uns an der Frage orientiert, in welchen Bereichen wir welche Lösungen brauchen. Es gilt
nämlich nicht für alle Unternehmen in Deutschland das
Gleiche. Kleine Unternehmen sind in der Regel gar nicht
betroffen, sie sollen aber nach Möglichkeit den Frauen
ebenfalls die gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen,
wie es in vielen dieser Unternehmen übrigens schon
längst der Fall ist. Des Weiteren gibt es eine Gruppe von
3 500 Unternehmen, die sich selbst Ziele stecken. Wir
werden die Unternehmen dabei beobachten. Außerdem
gibt es die Unternehmen, die eine starre Quote von
30 Prozent für Frauen im Aufsichtsrat haben. Das sind
die 108 großen Unternehmen in Deutschland.
Auf diesem Weg wollen wir in den nächsten Jahren
weiterkommen. Wir wollen, dass gleichberechtigte Teilhabe für Frauen in diesem Land eine Selbstverständlichkeit wird. Wir werden die Unternehmen auch in puncto
Vereinbarkeit von Familie und Beruf beobachten. In
Amerika ist dies längst eine Selbstverständlichkeit. In
Deutschland wollen wir die gläserne Decke für Frauen
beseitigen; es geht aber nicht an, dass gleichzeitig eine
gläserne Decke für Mütter eingezogen wird. Auch das
werden wir in den nächsten Jahren sehr genau beobachten.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat der Bundesminister Heiko Maas.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren Abgeordneten! Auch die Männer in der Regierung freuen sich über dieses Gesetz.
({0})
- Ich kann Ihnen das aus vielen Beratungen bestätigen.
({1})
Liebe Frau Göring-Eckardt, Sie haben eben darauf
hingewiesen, dass die Regierung die Opposition und die
Öffentlichkeit genervt hat, weil wir uns so lange mit diesem Gesetz befasst haben und weil wir gestritten haben.
({2})
- Aber, Frau Göring-Eckardt, in der Demokratie - das
müsste doch gerade in der Opposition bekannt sein - gehört der Streit dazu.
({3})
Wenn Sie sagen, diese Große Koalition stehe für großen
Streit, dann sage ich: Sie steht vor allem für viele gute
Ergebnisse, und heute legen wir wieder eins vor.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem
Begriff „historisch“ sollte man sparsam umgehen. Sonst
nutzt er sich schnell ab. Aber bei dem Gesetzentwurf,
über den wir heute abstimmen, kann man ihn, wie ich
finde, verwenden. Die Frauenquote für Führungskräfte
ist der größte Beitrag zur Gleichberechtigung seit der
Einführung des Frauenwahlrechtes.
({5})
Nach der politischen Macht bekommen Frauen endlich
auch einen fairen Anteil an der wirtschaftlichen Macht.
({6})
Gustav Heinemann hat einmal gesagt: Rechtspolitik
darf sich nicht darauf beschränken, den bereits erreichten Stand des Rechtsbewusstseins in Gesetze zu fassen.
Vielmehr hat sie auch die Aufgabe, das Sozialleben nach
den Leitbildern einer besseren Ordnung zu gestalten.
Das ist jetzt 50 Jahre her, und es ist heute genauso aktuell wie damals. Weil die Frauenquote dieses Land und
die Wirtschaft zum Besseren verändern wird, setzen wir
das mit diesem Gesetz um.
Meine Damen und Herren, es geht aber nicht nur um
Gleichberechtigung und Fairness, sondern auch um wirtschaftliche Vernunft. Die demografische Entwicklung ist
eine Tatsache. Wir haben die bestausgebildete Generation von Frauen, die es je gegeben hat. Wir haben mehr
Hochschulabsolventinnen als Hochschulabsolventen.
Wer dieses Potenzial ungenutzt lässt, der gefährdet nicht
nur die Gleichberechtigung, sondern letztlich auch
Wohlstand und Wachstum. Auch dazu leistet die Quote
einen Beitrag. Das wird viel zu selten gesagt.
({7})
Ja, wir brauchen auch eine gesetzliche Quote. Leider
ist das so. Manuela Schwesig und ich - ich weiß gar
nicht, wie viele Gespräche wir in diesem Prozess im sogenannten vorpolitischen Raum geführt haben.
({8})
Ich muss Ihnen sagen: Da ist mir deutlich geworden,
dass wir vielleicht gesellschaftlich noch nicht so weit
sind, wie wir das gerne hätten.
Was gab es für Argumente: Es gibt gar nicht genug
Frauen, zumindest sind sie nicht gut genug ausgebildet.
Das Gesetz über die Besetzung der Aufsichtsräte sei eine
Zumutung, denn es gebe nur so wenige Frauen. Die
müssten in so viele Aufsichtsräte gehen, und deshalb
würden wir den Frauen nichts Gutes tun. Meine Damen
und Herren, wenn man noch kein Anhänger der Frauenquote gewesen wäre, bei diesen Gesprächen wäre man
einer geworden.
({9})
Wir werden deshalb in einigen Jahren zurückblicken
und uns fragen, wieso wir uns überhaupt so lange damit
auseinandergesetzt haben und es so viel Aufregung um
dieses Gesetz gegeben hat. Es ist gut, dass eine jahrzehntelange kulturelle Auseinandersetzung mit diesem Gesetz wirklich beendet wird.
Die Kollegin Künast hat bei der Anhörung im Ausschuss gesagt, dies sei ein Vorhaben, von dem man später sagen werde, man sei stolz darauf, dabei gewesen zu
sein. Sie, Frau Künast, haben vollkommen recht. Auch
das zeigt die Dimension dieses Gesetzes.
({10})
Manchmal, nicht immer, aber manchmal gibt es Gesetze, die in ihrer Wirkung weit über ihren eigenen Regelungsgehalt hinausreichen. Die sind Gesellschaftspolitik im besten Sinne des Wortes. Dieses Gesetz heute ist
so eines. Es ist ein Meilenstein für die Gleichberechtigung, und es wird Deutschland und seine Unternehmen
moderner machen. Ich meine, darauf können wir alle
sehr stolz sein.
Vielen Dank.
({11})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Gudrun
Zollner das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein denkwürdiger Tag! Nach teils sehr emotional geführten Debatten schließen wir heute ein Kapitel, das vor
Jahren aufgeschlagen wurde, aufgeschlagen von vielen
Mitstreiterinnen wie Frau Staatsministerin Professor
Böhmer und von den vielen Frauen, die heute als Gäste
bei uns auf der Tribüne sitzen.
Wir alle kennen inzwischen die Zahlen, wir haben sie
oft genug diskutiert. Der Anteil von Frauen in Spitzenpositionen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Bundesverwaltung ist immer noch marginal. Sicherlich gab
es in den vergangenen Jahren Fortschritte. Lag der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der DAX-Konzerne vor vier
Jahren bei knapp 14 Prozent, so sind es heute gut 25 Prozent. Betrachtet man alle börsennotierten Unternehmen,
ist die Bilanz allerdings ernüchternd. Noch immer sind
weniger als 20 Prozent aller Aufsichtsräte von Frauen
besetzt. Die Selbstverpflichtung der Wirtschaft aus dem
Jahr 2001 ist gescheitert. Wäre dies anders, würden wir
heute hier nicht stehen.
Der Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz und der Gremienbericht zum Bundesgremienbesetzungsgesetz zeigen außerdem auf, dass auch in der Bundesverwaltung immer noch Handlungsbedarf besteht.
Auch hier gab es zwar in den vergangenen Jahren Fortschritte, aber leider nur in Zeitlupe. Gleichzeitig wissen
wir, dass die Zahl der hochqualifizierten Frauen noch nie
so hoch war wie heute. Ich möchte aber betonen: Jede
Frau soll den für sie richtigen Weg gehen können. Wir
müssen nur dafür sorgen, dass für Karrierewege gerechte
Chancen bestehen.
({0})
Über unseren Gesetzentwurf, mit dem wir genau das
erreichen wollen, stimmen wir heute ab. Am Ende langer
und intensiver Verhandlungen haben wir eine Balance
zwischen der Förderung von Frauen und den Interessen
der Wirtschaft gefunden. Wir konnten in den Verhandlungen der vergangenen Woche noch einige wesentliche
Punkte im Entwurf präzisieren. Klar, der eine wünscht
sich mehr, und der andere fordert weniger. Auch ich
hätte mir gewünscht und vorstellen können, für bestimmte Branchen noch Ausnahmen in Form einer Härtefallregelung aufzunehmen, was meines Erachtens sinnvoll gewesen wäre.
Schlussendlich steht aber ein Gesetz, mit dem wir zufrieden sein können, ein Gesetz, das die Familienfreundlichkeit insgesamt stärker betont und das vor allem praxistauglich und rechtssicher ist.
Insbesondere hervorheben möchte ich, dass im Bundesgleichstellungsgesetz die von vielen besonders in der
Anhörung kritisierte Geschlechteransprache geändert
wurde. In Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Es geht also nicht um eine paritätische Besetzung auf
allen Ebenen, sondern um die Herstellung echter Chancengleichheit. Frauenförderung ist kein Synonym für
Geschlechtergleichmacherei, und Unterrepräsentanz hat
nicht automatisch etwas mit Diskriminierung zu tun.
Mit der neugefassten Regelung stellen wir jetzt auf
eine strukturelle Benachteiligung ab. Es wird damit
deutlich, dass es um Frauenförderung geht und nicht um
Männerförderung.
({1})
Sichergestellt ist damit außerdem, dass das Gesetz verfassungsgemäß ist. Der CSU war es neben der Frauenförderung besonders wichtig, eine rechtssichere Regelung für privatrechtliche Unternehmen ohne ausufernden
Bürokratismus herzustellen; denn nur gemeinsam mit
der Wirtschaft wird eine gute Umsetzung gelingen.
Bei der fixen Quote haben wir klargestellt, dass nur
ein Mehrheitsbeschluss der Bank der Anteilseigner oder
der Bank der Arbeitnehmervertreter der Gesamterfüllung der Quote widersprechen kann. Für mitbestimmungspflichtige oder börsennotierte Unternehmen haben wir die Frist zur Festlegung ihrer Zielquote um drei
Monate verlängert, und zwar auf den 30. September
2015. Außerdem müssen die Unternehmen nicht jährlich, sondern erst nach Ablauf der selbst festgesetzten
Frist über die Einhaltung der Zielgrößen berichten. Es
gibt somit keine Zwischenberichte. Diese Klarstellung
reduziert den Bürokratieaufwand für die Wirtschaft erheblich.
Wir haben auch Rechtsunsicherheiten beseitigt. Bei
der Feststellung von Zielgrößen für die beiden Führungsebenen zum Beispiel haben die Unternehmen viel
Spielraum erhalten und können so passende und angemessene Lösungen finden - ein Mehrwert in Sachen Flexibilität und Rechtssicherheit.
Mit den Vorschriften zu den Europäischen Gesellschaften haben wir zudem eine zukunftsorientierte Lösung für die Konzerne geschaffen. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass eine Quote auch auf europäischer Ebene
eingeführt wird.
({2})
Außerdem haben wir festgelegt, dass bei der Evaluierung des Gesetzes nach drei Jahren die Bürokratiekosten
besonders in den Blick genommen werden müssen. Ich
bin überzeugt, dass die geforderte Transparenz und die
Veröffentlichungspflichten dazu beitragen werden, dass
im öffentlich-rechtlichen wie auch im privatrechtlichen
Bereich Anstrengungen unternommen werden, die jeweiligen Quoten zu erfüllen. Was gibt es Schlechteres
für ein Unternehmen als negative PR?
({3})
Zum Gesetzentwurf der Grünen möchte ich nur Folgendes sagen:
({4})
40 Prozent Frauenquote, wie es die Grünen in ihrem Gesetzentwurf fordern, oder sogar 50 Prozent Frauenquote,
wie oft von den Linken gewünscht, gehen über das Ziel
hinaus.
({5})
Es ist Aufgabe des Staates, zu handeln, wenn bestehende
Nachteile für ein Geschlecht beseitigt werden müssen;
aber es ist nicht Aufgabe des Staates, Parität um jeden
Preis zu erzwingen.
({6})
Es ist richtig, dass die Selbstverpflichtung der Wirtschaft
nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat.
({7})
Deshalb ist es auch richtig, dass wir jetzt eine gesetzliche Regelung beschließen. Auch unsere Partei, die bayerische CSU, hat eine Frauenquote.
Kollegin Zollner, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Künast?
Bitte schön.
Danke, Frau Zollner. - Sie haben gerade zu unserem
Gesetzentwurf gesagt, es sei nicht Aufgabe des Staates,
Parität zu erzwingen. Da würde ich von Ihnen doch
gerne wissen, wo Sie in unserem Gesetzentwurf ein solches Erzwingen von Parität sehen.
Ich kann Ihnen sagen, dass wir an dieser Stelle eines
immer genau wussten: dass für den öffentlichen Dienst
die klassische Parität gar nicht zulässig ist, dass vielmehr
zur Beseitigung von strukturellen Nachteilen Frauen bei
gleicher Qualifikation bevorzugt einzustellen sind, solange es diese Differenz gibt. Das ist kein Erzwingen
von Parität. In dem ganzen Prozess ist mir das Erzwingen von Parität nur im Gesetzentwurf der Koalition untergekommen; die entsprechende Formulierung haben
Sie nach Hinweisen bei der Anhörung auf ihre Verfassungswidrigkeit wieder gestrichen.
({0})
Parität wird auch nicht erreicht, wenn man sagt: Die
Mindestquote von 40 Prozent in den Aufsichtsräten der
Privatunternehmen gilt für jedes Geschlecht. Sie müssen
unserem Gesetzentwurf - vielleicht ist es dafür noch zu
früh - nicht folgen. Aber etwas zu behaupten, was nicht
drinsteht, gefällt mir auch nicht.
({1})
Frau Kollegin Künast, ich habe 40 Prozent nicht mit
Parität verwechselt, vielmehr habe ich die 50-ProzentParität auf die Linken bezogen. Das ging, glaube ich, aus
meinem Satz hervor.
({0})
Wir wollen eine Quote, die Frauen den Weg ebnet,
um künftig auch ohne Gesetz in Spitzenpositionen zu
kommen. Unser Ziel muss doch sein, der gläsernen
Decke adieu zu sagen, damit sich in den Topetagen eine
andere Denkweise etabliert. Aus diesem Grund halten
wir eine Quotenvorgabe von 30 Prozent für angemessen
und ausreichend.
Nun sind aber auch die Frauen gefragt, dieses Gesetz
als Türöffner aktiv zu nutzen. Es geht darum, männliche
Monokulturen in den Vorstandsetagen aufzubrechen,
und darum, die Unternehmen bzw. Firmen dahin zu bewegen, ihre Rahmenbedingungen, Strukturen und Präsenzzeiten frauen- und familienfreundlicher zu gestalten,
Karriereplanung und Familienplanung in Einklang zu
bringen.
({1})
Dies muss das Ziel für die Zukunft sein, und das geht nur
mit einem großen Mehr an Frauen und natürlich einem
großen Plus an weiblichen Blickwinkeln in den Führungsetagen. Denn eines ist klar: Das Gesetz allein wird
kein Allheilmittel sein. Es ist nur ein Baustein von vielen. Wie das fertige Bauwerk zum Schluss aussehen
wird, entscheiden die Menschen, entscheidet nicht allein
das Gesetz. Veränderungen sind das Ergebnis der Diskussionen um die Quote bzw. der intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema.
Unsere Bundesministerin Frau von der Leyen sagte
einmal: Eine Frau ist nicht besser oder schlechter, sie ist
anders. Dieses Andere etablieren wir hier und heute. Wir
liefern den Anstoß für uns, die Unternehmen, die Wirtschaft und natürlich die Frauen.
({2})
Ich möchte mit einem Zitat von Robert Lembke enden:
Der einzige Geschäftszweig, bei dem die Mehrzahl
der leitenden Positionen von Frauen besetzt ist, ist
die Ehe.
Vielleicht ab heute nicht mehr!
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Högl für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Den 6. März 2015 streichen wir uns alle ganz dick in unserem Kalender an.
({0})
Das ist ein richtig guter Tag für die Gleichstellung von
Frauen und Männern. Mit der Einführung der Frauenquote in Wirtschaft und Verwaltung schreiben wir die
Geschichte der Gleichstellung von Frauen fort und gehen einen wirklich riesengroßen Schritt weiter auf dem
Weg zur vollständigen Gleichstellung von Männern und
Frauen.
Dass wir dieses Kapitel aufschlagen können, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist vielmehr das Ergebnis eines kontinuierlichen
Kampfes für mehr Gleichberechtigung, eines unermüdlichen Engagements vieler Frauen und auch vieler Männer. Viele sind schon genannt worden. Ich schließe mich
dem Dank an. Einige sitzen auf der Tribüne. Nur dieses
Engagement von vielen einzelnen Personen hat das möglich gemacht. Dafür herzlichen Dank.
({1})
Ich erinnere sehr gerne, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, an 1918. Da wurde das
aktive und passive Wahlrecht für Frauen eingeführt.
82 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben bei den
Wahlen 1919 ihre Stimme ab, und 37 weibliche Abgeordnete zogen ins Parlament ein. Als erste Frau erhielt
Marie Juchacz hier im Reichstag im Februar 1919 das
Wort und hielt die erste Rede einer Frau in einem deutschen Parlament. Das war richtig klasse!
({2})
Es ging weiter - leider erst nach einer Durststrecke
von knapp 30 Jahren -: Elisabeth Selbert hat es ermöglicht, dass im Grundgesetz, das im Mai 1949 verabschiedet wurde, ein wirklich wegweisender Satz steht, nämlich in Artikel 3 Absatz 2:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
({3})
Damit genoss die Gleichstellung von Frauen und Männern erstmals Verfassungsrang.
Wir wissen aber, dass eine Verfassungsnorm nicht automatisch Alltagsrealität ist. Deswegen haben wir in den
mehr als 60 Jahren seit Bestehen des Grundgesetzes wesentliche Schritte unternommen. Ich erinnere noch einmal daran, dass erst vor wenigen Jahrzehnten - man
kann es sich kaum vorstellen - das erste Gleichberechtigungsgesetz es Frauen ermöglichte, ohne Zustimmung
des Ehemannes arbeiten zu gehen.
({4})
1977 wurde mit der Reform des Ehe- und Familienrechts
das Leitbild der Hausfrauenehe abgeschafft, und erst
1980 wurde die vollständige Gleichbehandlung von
Frauen und Männern am Arbeitsplatz beschlossen.
Kollegin Högl, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Vogler?
Selbstverständlich.
Vielen Dank, liebe Kollegin. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, mich für die Einladung zu bedanken, die Sie
und die Kollegin Carola Reimann an uns alle geschickt
haben. Sie wollen diesen großen Erfolg, wie Sie das nennen, im Fraktionssaal der SPD mit Quotentorte und Sekt
feiern. Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich diese Einladung ablehnen muss. Ich finde, dass dieses Gesetz eher
Anlass wäre für Zwieback und Selters.
({0})
Deswegen bedanke ich mich für die Einladung, lehne sie
aber ab.
Liebe Frau Vogler, wie humorlos ist das denn, bitte?
({0})
Ich bin sprachlos. Wir haben eine so große Einigkeit,
auch hier im Parlament, trotz allem Streit im Detail.
({1})
- Nein, wir besorgen keinen Zwieback. - Wir schneiden
um 12 Uhr die Torte an, und wir feiern, liebe Frau
Vogler.
({2})
Zurück zu unseren Schritten in Sachen Gleichstellung. Ich möchte daran erinnern, dass wir 1994 - das ist
noch nicht so lange her; viele hier im Raum haben dafür
gekämpft - nach der deutschen Einheit etwas ins Grund8758
gesetz geschrieben haben, was der Grund dafür ist, dass
wir heute hier die Quote beschließen. Da steckt so viel
Engagement drin; deswegen zitiere ich es:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Das ist für uns als Gesetzgeber ein Auftrag, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({3})
Diesen Auftrag erfüllen wir, indem wir heute die
Quote beschließen. Natürlich wäre es viel schöner - ich
möchte das ausdrücklich sagen; einige haben das schon
erwähnt -, wenn wir die Quote nicht brauchten. Es wäre
viel schöner, wenn wir im Jahr 2015 sagen könnten: Wir
haben alle Führungspositionen in Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft, Politik, in allen Bereichen der Gesellschaft, paritätisch mit Frauen und Männern besetzt.
({4})
Das wäre großartig. Aber so lange das nicht so ist, brauchen wir die Quote. Die Verwirklichung der vollständigen Gleichberechtigung bleibt weiterhin unser Ziel.
({5})
Ein kleiner Ausblick; denn es geht weiter mit unserem Engagement: Am Sonntag ist der Internationale
Frauentag. Tausende Frauen und auch Männer werden
unter dem diesjährigen Motto „Heute für morgen ein
Zeichen setzen“ auf die Straße gehen und sich für mehr
Gleichberechtigung in Deutschland, in Europa, in allen
Teilen der Welt engagieren. Wir dürfen uns richtig
freuen, dass die Quote vor dem Internationalen Frauentag heute hier beschlossen wird und wir das am Sonntag
ordentlich feiern können. Wir sollten uns aber nicht zu
lange darauf ausruhen, dass wir das geschafft haben. Wir
haben noch etwas vor. Unser Engagement in Sachen
Gleichstellung ist noch lange nicht abgeschlossen. Wir
wollen als Nächstes die Entgeltgleichheit hier gemeinsam beraten und beschließen, und wir wollen die Aufwertung typischer Frauenberufe hier im Deutschen Bundestag beschließen.
({6})
Ich erhoffe mir bei diesen beiden Themen - das sage
ich heute so deutlich - hier im Bundestag viel Unterstützung und vor allem große Einigkeit; denn eines ist klar:
In Sachen Gleichstellung muss es weitergehen. Wir wollen die vollständige Gleichstellung von Frauen in allen
Lebensbereichen, und wir wollen vor allen Dingen, dass
die fast 100-jährige Geschichte der Gleichstellung von
Frauen und Männern keine unendliche Geschichte wird.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der
Tribüne und an den Fernsehgeräten! Es geht schon mit
dem Beginn meiner Rede los: In meinem Konzept stand
„Sehr geehrter Herr Präsident“, das habe ich jetzt handschriftlich in „Sehr geehrte Frau Präsidentin“ geändert.
({0})
Ich darf mich dem Dank an all die engagierten
Frauen, die zu dieser Frauenquote beigetragen haben
und schon mehrfach erwähnt wurden, ausdrücklich anschließen. Neben Frau Ministerin Schwesig war es insbesondere unsere vom Kollegen Harbarth bereits gelobte
Bundeskanzlerin. Ohne Bundeskanzlerin Merkel hätte es
diese Quote in dieser Form nicht gegeben. Herzlichen
Dank an die Kanzlerin, dass sie sie so engagiert auf den
Weg gebracht hat.
({1})
Ich darf Ihnen bestätigen, weil ich etwas Unruhe bei
meinem Koalitionspartner vernehme: Frau Kanzlerin ist
jetzt fast zehn Jahre Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Diese zehn Jahre waren gute Jahre für
Deutschland.
({2})
Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir hiermit ein gutes
Best-Practice-Beispiel haben, zu welchen Leistungen
Frauen in Führungspositionen fähig sind.
Direkt vor mir sitzt meine Landesgruppenchefin, Frau
Gerda Hasselfeldt. Sie führt unsere Landesgruppe absolut tough und souverän.
({3})
Liebe Gerda, herzlichen Dank.
({4})
- Lieber Fraktionsvorsitzender, meistens folgen wir ihr.
Meine Damen und Herren, nach Artikel 3 Absatz 2
unseres Grundgesetzes - die Kollegin Högl hat bereits
darauf hingewiesen - sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung von Nachteilen hin. - Das war
die Ausgangslage. Auf dieser Verfassungsnorm basierend haben wir den heute zu verabschiedenden GesetzPaul Lehrieder
entwurf erstellt. Und genau das, meine sehr geehrten Damen und Herren, tun wir mit dem hier vorliegenden
Gesetzentwurf zur gleichberechtigten Teilhabe von
Frauen und Männern in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst.
Ja, wir sind bereits in der Vergangenheit dem Verfassungsauftrag zur Gleichberechtigung von Frauen und
Männern nachgekommen und haben schon früher auf
eine Beseitigung von Nachteilen hingewirkt. Fakt ist
aber auch, dass der in den vergangenen Jahren gestiegene Anteil von Frauen in der Arbeitswelt zum großen
Teil auch auf die von politischer Seite initiierten Gesetze
und Maßnahmen sowie Initiativen von Politik und Wirtschaft zurückzuführen ist. Wir sind auf einem guten
Weg, die Erwerbs- und Karrierechancen von Frauen zu
verbessern, müssen diesen aber auch sukzessive und
konsequent fortsetzen.
Mit dem Zweiten Gleichberechtigungsgesetz von
1994, also vor 21 Jahren, haben wir erstmals die Förderung von Frauen in der Bundesverwaltung in gesetzliche
Regelungen gegossen und zudem das Frauenfördergesetz, welches 2001 durch das Bundesgleichstellungsgesetz modernisiert wurde, und das Bundesgremienbesetzungsgesetz auf den Weg gebracht. Im Jahr 2001 hat die
Bundesregierung dann mit den Spitzen der Wirtschaft
die Vereinbarung getroffen, den Frauenanteil in Führungspositionen in der Wirtschaft signifikant zu erhöhen.
2011 unterzeichneten die DAX-30-Unternehmen auf Initiative der Politik schließlich eine Selbstverpflichtung
zur Förderung von Frauen in Führungspositionen. Wir
haben zudem - das ist ganz wichtig, und darauf wurde
von manchen Vorrednern hingewiesen - mit dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, dem Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege, dem sogenannten
Kinderförderungsgesetz, aber auch zahlreichen Unternehmensprogrammen und Initiativen die Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf geschaffen.
Gerade erst zum 1. Januar 2015 sind mit dem ElterngeldPlus, dem Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von
Familie, Pflege und Beruf und dem Gesetz zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung
zahlreiche weitere familienpolitische Maßnahmen in
Kraft getreten, die sowohl die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf weiter verbessern als auch den Unternehmen
neue Chancen und Perspektiven bieten.
({5})
Die Familienpolitik der unionsgeführten Bundesregierung zeichnet sich dadurch aus, dass sie es den Familien und insbesondere den Frauen mit unseren familienpolitischen Maßnahmen ermöglichen will, familiäre
Aufgaben zu übernehmen und gleichzeitig ihre beruflichen Ziele weiterverfolgen zu können. Frau Kollegin
Kömpel - ich kenne Sie als nette Kollegin im Ausschuss -,
Sie haben vorhin ausgeführt: Der erhöhte Frauenanteil in
den Aufsichtsräten wird zu kürzeren Konferenzen und
Gremiensitzungen führen. - Wir werden einmal
schauen, ob es stimmt. Zwei Minuten später habe ich gemerkt, dass Sie die erste Rednerin waren, die ihre Redezeit erheblich überschritten hat. Wir sollten uns vom
Geschlechterkampf verabschieden. Wir können lange reden, Sie können auch lange reden. Wir gucken einmal,
wie die Verbesserung der Gremiensitzungen ausschauen
wird.
Meine Damen und Herren, all diese Maßnahmen haben ohne Zweifel zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen, einer besseren Vereinbarkeit von Familie
und Beruf, einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen
und einem zunehmenden Anteil von Frauen in Führungspositionen beigetragen. Aber es ist auch unsere
Aufgabe, die Umsetzung des eingangs angesprochenen
verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderauftrags den
sich stetig ändernden Rahmenbedingungen anzupassen
und an den jeweiligen Herausforderungen unserer Zeit
auszurichten. Dazu gehört, dass wir unsere bisherigen
Maßnahmen überprüfen. Hier müssen wir feststellen,
dass die bisherigen Initiativen zwar einen großen Beitrag
zur Verbesserung der Karrierechancen von Frauen geleistet haben, jedoch eine Erhöhung des Frauenanteils an
Führungspositionen bislang nicht in dem signifikanten
Ausmaß erreicht werden konnte, wie wir uns dies gewünscht hätten. Aufgrund der Tatsache, dass die Frauen
in unserem Land so hochqualifiziert und gut ausgebildet
sind wie nie zuvor, jedoch in den Führungsetagen der
Unternehmen und der Bundesverwaltung nicht in gleichem Maße repräsentiert sind, ist nunmehr eine gesetzliche Regelung notwendig geworden.
Trotz stetig steigender Frauenerwerbsbeteiligung und
zunehmender Qualifikation von Frauen liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 200 umsatzstärksten
Unternehmen derzeit bei lediglich 15 Prozent. In den
30 DAX-Unternehmen ist nur etwa jeder fünfte Aufsichtsratsposten mit einer Frau besetzt. Im öffentlichen
Dienst liegt der Anteil der Frauen auf der ersten Führungsebene bei nur etwa 38 Prozent und der Frauenanteil
an Führungspositionen in den obersten Bundesbehörden
bei lediglich 27 Prozent. In Gremien, die der Bund vollständig oder teilweise besetzt, beläuft sich der Anteil
von Frauen auf lediglich 25 Prozent.
Frauen nehmen aber mit fast 50 Prozent nicht nur
gleichberechtigt am Arbeitsleben teil, sondern machen
auch häufiger Abitur als Männer, beginnen häufiger ein
Studium und schließen dies auch häufiger und erfolgreicher ab. Jeder zweite Absolvent des Studiums der Betriebswirtschaftslehre ist weiblich, und die Top-Staatsexamina des Studiums der Rechtswissenschaften stammen
ebenso von Frauen. Ich hoffe, es gelingt uns - gestern gab
es dazu Medienberichte -, auch den Eltern das Bewusstsein zu vermitteln, dass man nicht nur den Söhnen ein
Studium eines MINT-Fachs, ein naturwissenschaftliches
Studium zutrauen kann, sondern auch den Töchtern, dass
man also die Förderung der Männer in gleicher Weise
auf die Frauen übertragen kann. Ich glaube, das würde
unserer Wirtschaft und unserer Industrie sehr guttun.
Nicht nur aufgrund des demografischen Wandels können
und dürfen wir auf diese enormen Potenziale künftig
nicht mehr verzichten. Die Zahlen zeigen, dass das bestehende Ungleichgewicht bei der Besetzung von Führungspositionen nicht mit Qualifikationsunterschieden
zu rechtfertigen ist.
Meine Damen und Herren, es wurde von den Vorrednern sehr viel Sinnstiftendes dazu gesagt. Wir hatten am
23. Februar eine über dreieinhalbstündige Anhörung des
Familienausschusses und des Rechtsausschusses. Ich
darf mich bei den Kollegen des Rechtsausschusses für
die konstruktive Arbeit an dem Gesetzentwurf bedanken. Ich darf mich bei der Ministerin und der Bundeskanzlerin bedanken. Frau Bundeskanzlerin, ich habe Sie
vorhin in Abwesenheit gelobt.
({6})
Ohne Sie gäbe es dieses tolle Gesetz nicht.
({7})
Sie haben es mit verfochten. Sie sind eine der Mütter des
Gleichstellungsgesetzes. Herzlichen Dank!
Frau Kömpel, ich habe es geschafft: Ich habe meine
Redezeit um keine einzige Sekunde überschritten.
Herzlichen Dank.
({8})
Die Kollegin Christina Jantz hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen, Frau
Bundeskanzlerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frauenquote
ist ein Meilenstein für unser Land ({0})
historisch! Das Gesetzespaket stärkt die Frauen in der
Wirtschaft und im öffentlichen Dienst. Es ist ein tatsächlicher Quantensprung hin zu einer echten Gleichberechtigung.
Es war ein beschwerlicher Weg - sicherlich ist der
Weg weiterhin beschwerlich -, Artikel 3 Absatz 2 des
Grundgesetzes umzusetzen. Darin heißt es: „Männer und
Frauen sind gleichberechtigt.“
({1})
Dieser Satz wurde 1949 von den Müttern und Vätern unseres Grundgesetzes geschrieben, auf dessen Grundlage
wir heute unseren sozialen Rechtsstaat und unsere Demokratie aufbauen. Die Gleichberechtigung war und ist
ein wichtiger Teil davon. 1994 wurde dieser Satz folgendermaßen ergänzt - Eva Högl hat es angesprochen -:
Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und
wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Bereits seit 1994 befähigt das Grundgesetz also den
Staat und fordert ihn zur Beseitigung von Nachteilen
auf.
Der daraus abgeleiteten Verantwortung werden wir
heute als Parlament gerecht. Heute, am 6. März, nimmt
das Parlament diesen Auftrag an und macht einen wichtigen Schritt, um die Benachteiligung von Frauen in der
Wirtschaft zu beseitigen. Mein Dank gilt - stellvertretend für Sie alle, die darum gekämpft haben - unserer
Ministerin Manuela Schwesig und unserem Minister
Heiko Maas, die gemeinsam mit ihren Häusern das Gesetzespaket vorlegen, das wir heute beschließen werden.
({2})
Ich füge hinzu: Es war eine Kraftanstrengung, diesen
Gesetzentwurf endlich auf den Weg zu bringen.
Die Benachteiligung von Frauen bei Führungsaufgaben in der deutschen Wirtschaft ist real und weit verbreitet. Ein Beispiel: 2013 lag der Anteil von Frauen in
Aufsichtsratspositionen bei nur 15,3 Prozent. Auch die
Entwicklung dieser Zahlen war über Jahre hinweg
besorgniserregend. Der Anteil von Frauen in Aufsichtsratspositionen verbesserte sich von 2012 auf 2013 um lediglich 0,2 Prozentpunkte. Diese Entwicklung ist zu
langsam und wird mit der Umsetzung des Gesetzes endlich ein Ende finden.
Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf
führen wir - wie meine Vorredner schon erläutert haben - eine Geschlechterquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte in Unternehmen ein, die börsennotiert und voll
mitbestimmungspflichtig sind. Dies betrifft über 100 Unternehmen. Zusätzlich werden 3 500 größere Unternehmen verpflichtet, Zielgrößen zur Erhöhung des
Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und Führungsebenen festzulegen. Ich bin mir sicher: Wenn wir
das Gesetz nach drei Jahren überprüfen, dann werden
wir feststellen, dass nicht nur Frauen in Führungspositionen davon profitieren. Die gläserne Beförderungsdecke
wird brüchig gemacht. Die Unternehmen und damit unsere Wirtschaft insgesamt werden davon profitieren.
({3})
Die Leistungen der Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen werden es den Frauen in der gesamten Wirtschaft ermöglichen, für bessere Berufschancen und gleiche Bezahlung zu streiten. Auch an diesem Effekt des
Gesetzes zur Quote sollten wir zum Weltfrauentag am
Sonntag erinnern.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
({0})
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf für die
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an
Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öf-
fentlichen Dienst.
Mir liegen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung von den Kolleginnen Vogler, Sitte, Schröder
und Deligöz und dem Kollegen Bareiß vor. Wir nehmen
sie entsprechend unseren Regeln zu Protokoll.1)
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4227, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3784 und 18/4053
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den
Änderungsantrag auf Drucksache 18/4240? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
abgelehnt.
Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben beantragt, über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung getrennt abzustimmen, und zwar zum einen über Artikel 1 und Artikel 2 und zum anderen über
den Gesetzentwurf im Übrigen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Artikel 1 und Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Ich bitte nun diejenigen, die Artikel 1
und Artikel 2 des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Artikel 1 und Artikel 2 sind mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir stimmen jetzt über die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die übrigen Teile
des Gesetzentwurfs sind einstimmig angenommen.
({1})
Ich stelle fest: Alle Teile des Gesetzentwurfs sind damit
in zweiter Beratung angenommen.
1) Anlagen 2 und 3
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ich
gebe den Mitgliedern der Bundesregierung gern die
Möglichkeit, als Abgeordnete von ihrem Platz in den
Reihen der Fraktionen mit abzustimmen, wenn sie das
wollen. ({2})
Wer stimmt gegen diesen Gesetzentwurf? - Wer enthält
sich? ({3})
Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt davonströmen wollen, wir sind noch nicht fertig mit diesem
Tagesordnungspunkt, wir haben noch mehrere Abstimmungen vor uns.
({5})
Wir sind jetzt beim Tagesordnungspunkt 19 b. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen zur geschlechtergerechten Besetzung von
Aufsichtsräten, Gremien und Führungsebenen - Führungskräftegesetz. Der Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4227, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/1878 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({6})
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 19 c. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 18/4227 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter den
Vizepräsidentin Petra Pau
Buchstaben c und d seiner Beschlussempfehlung, die
Berichte der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz auf Drucksache 17/4307 und zum Bundesgremienbesetzungsgesetz auf Drucksache 17/4308 ({7})
zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich?
({8})
- Wir können hier vorne im Moment noch keine Mehrheitsverhältnisse feststellen, da wir kein einhelliges Abstimmungsverhalten in den einzelnen Fraktionen hatten. - Wir stimmen über die Kenntnisnahme der gerade
genannten Drucksachen ab.
({9})
Ich habe festgestellt, dass die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und die Fraktion Die Linke diese zur Kenntnis
nehmen wollen.
({10})
In den Koalitionsfraktionen war das leider nicht feststellbar.
Ich wiederhole also die Abstimmung. Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung?
({11})
- Also für die Kenntnisnahme laut Beschlussempfehlung? Das meine ich ja; Entschuldigung, aber ich habe
vorhin auch nach der Kenntnisnahme gefragt. - Wer
stimmt gegen die Kenntnisnahme? - Wer enthält sich? Dann haben wir auch das gemeinsam geschafft. Die Beschlussempfehlung, die genannten Unterrichtungen zur
Kenntnis zu nehmen, ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald
Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sofortmaßnahmen für die Agrarwende - Für
eine bäuerlich-ökologische Landwirtschaft
und gutes Essen
Drucksache 18/4191
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({12})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Während sich das Haus umorganisiert, übergebe ich
die Leitung der Sitzung an die Kollegin Bulmahn, die
dann zu gegebener Zeit die Aussprache eröffnen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache ist
eröffnet, da die meisten Kolleginnen und Kollegen ihre
Plätze eingenommen haben.
Als erster Redner erhält Dr. Hofreiter von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. - Herr Kollege.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit zehn Jahren ist das Landwirtschafts- und
Ernährungsministerium in der Hand der CSU. Herrn
Minister Schmidt - er ist bei dieser Debatte noch nicht
anwesend - muss ich fragen: Was haben die Ministerinnen und Minister der CSU in diesen zehn Jahren erreicht?
Wenn man sich die Bilanz anschaut, dann stellt man
fest, dass diese einfach grauenhaft ist.
({0})
Die Zahl der Bauernhöfe hat in dieser Zeit um 30 Prozent abgenommen; bei den Schweinehaltern mussten sogar 70 Prozent aufgeben. Es werden in den Ställen tonnenweise Reserveantibiotika verwendet. Die Hälfte der
Grundwassermessstellen schlägt inzwischen Alarm wegen Nitratbelastung. Monsanto rollen Sie vonseiten der
Großen Koalition den roten Teppich aus, um Gentechnik
in Deutschland endgültig zu etablieren. Den Tierschutz
überlassen Sie einfach weiterhin der Industrie. Die CSU
hatte in den letzten Jahren dieses Ministerium zu verantworten. Die CSU verantwortet also, dass viele Menschen, viele Familien unseren Lebensmitteln inzwischen
nicht mehr trauen. Die CSU ist dafür verantwortlich,
dass viele Menschen Angst vor multiresistenten Keimen
haben. Und die CSU ist auch dafür verantwortlich, dass
viele anständige Landwirte inzwischen Sorge haben,
dass sie ihren Betrieb nicht mehr weiterführen können,
dass viele anständige Landwirte aufgeben mussten.
({1})
Es ist deshalb schlichtweg höchste Zeit für eine Agrarwende in Deutschland.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, auch die Kollegen von SPD und CDU, Sie hätten
doch die Mittel dazu in der Hand. Sie könnten doch die
Fördermittel gerechter verteilen. Sie könnten doch die
Fördermittel an Umwelt- und Tierschutz koppeln. Stattdessen haben Sie dafür gesorgt, dass die Fördermittel
weiter ungerecht verteilt werden. 5 Prozent der Betriebe
erhalten 45 Prozent der Steuermittel. Das ist doch nicht
gottgegeben. Das könnte man doch verändern, wenn
man wollen würde.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Sie könnten doch die Flächenbindung der Landwirtschaft wiederherstellen; Seehofer hat diese damals
unter der ersten Großen Koalition abgeschafft. Dann hätten wir eine Möglichkeit, diese Riesenställe in den Griff
zu bekommen. Warum tun Sie das nicht? Warum koppeln Sie nicht die Tierhaltung wieder an die Fläche? Das
würde bedeuten, dass man eine bestimmte Flächengröße
nachweisen muss, wenn man eine bestimmte Anzahl an
Tieren hält. Seehofer hat das abgeschafft. Warum führen
Sie das nicht einfach wieder ein?
({4})
Es besteht doch die Möglichkeit, ein neues Tierschutzgesetz einzuführen, das diesen Namen verdient,
ein Tierschutzgesetz, das Qualzucht wirklich verbietet,
ein Tierschutzgesetz, das das Töten von Küken und
Maßnahmen wie das Schnabelkürzen bei Hühnern verbietet. Das wäre doch mal was. Stattdessen haben Sie irgend so eine intransparente Tierwohl-Initiative gestartet.
Sie schieben damit die Probleme weiterhin auf die lange
Bank.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von
der CSU und der SPD - die CDU ist ja für Gentechnik;
aber CSU und SPD sind angeblich gegen Gentechnik -,
warum hören Sie nicht einfach auf die große Mehrheit
der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und verbannen Gentechnik aus Deutschland?
({6})
Stattdessen überlegen Sie sich eine vollkommen durchlöcherte Regelung. Machen Sie doch was ganz Einfaches: Sorgen Sie per Gesetz dafür, dass das nationale
Anbauverbot für gentechnisch veränderte Pflanzen, das
die EU uns ermöglicht - wir hätten das gerne EU-weit
verboten -, auch umgesetzt wird. Sie haben eine 80-Prozent-Mehrheit. Beschließen Sie es doch einfach.
({7})
Eine weitere Möglichkeit, die wir Ihnen vorschlagen:
Sie könnten dem Beispiel von Dänemark und den Niederlanden folgen. Dänemark und den Niederlanden ist es
gelungen, den Antibiotikaverbrauch in den Ställen zum
Teil um bis zu zwei Drittel zu senken. Warum folgen Sie
nicht dem Beispiel von Dänemark und den Niederlanden
und senken den Verbrauch von Antibiotika in den Ställen
oder wenigstens den Verbrauch von Reserveantibiotika?
Das ist besonders wichtig, wenn man Menschen, die von
multiresistenten Keimen befallen sind, wenigstens noch
eine Chance geben will. Warum verbieten Sie nicht wenigstens den massenhaften Einsatz von Reserveantibiotika in den Ställen? Sie könnten es. Warum tun Sie es
nicht?
({8})
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wenn man sich
die Bedingungen anschaut, unter denen viele Menschen
in den Schlachthöfen arbeiten, dann muss man sagen:
Das sind sklavereiähnliche Bedingungen. Es ist unseres
Landes doch vollkommen unwürdig, wie diese Menschen behandelt werden.
({9})
Wenn Sie darüber stöhnen oder lästern, schauen Sie sich
die Bedingungen an, unter denen diese Menschen arbeiten.
Herr Kollege Hofreiter, lassen Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Priesmeier zu?
Ja, klar, wenn er Lust dazu hat.
Herr Kollege Hofreiter, wenn Sie das dänische Beispiel loben, wie erklären Sie dann die Tatsache, dass in
Dänemark in den letzten zwei Jahren das Vorkommen
von MRSA-Keimen in den Proben der Lebensmittelüberwachung drastisch zugenommen hat?
In Dänemark hat das Vorkommen deshalb zugenommen, weil dort inzwischen vernünftig kontrolliert wird.
Ein Teil der Antibiotikastrategie in Dänemark ist nämlich auch, für entsprechende Kontrollen zu sorgen und
nicht nur das Ausmaß des Einsatzes von Antibiotika zu
senken.
({0})
Wir könnten ein weiteres Beispiel nehmen: Es ist inzwischen in den skandinavischen Ländern gelungen, wie
zum Beispiel in Norwegen, die Schweinebestände komplett von resistenten Keimen zu befreien. Nehmen Sie
sich daran ein Beispiel. Es gibt gute Beispiele. Kommen
Sie nicht immer mit irgendwelchen Ausreden.
({1})
Nur weil woanders vernünftig gearbeitet wird, glauben
Sie, nichts machen zu müssen.
({2})
Herr Kollege Priesmeier, es tut mir leid, dass ich Sie
vorhin nicht gesehen habe. Ich habe wahrscheinlich zu
sehr auf die Kollegen der CDU/CSU geachtet, die, ehrlich gesagt, bei diesem Thema dominanter sind.
({3})
Aber vielleicht auch eine Frage an die Kollegen von
der SPD: Warum sorgen Sie nicht dafür - die Möglichkeit dazu hätten Sie -, dass jedes Kind, egal welches
Einkommen die Eltern haben, ein vernünftiges Schulessen, ein vernünftiges Kitaessen bekommt? Warum küm8764
mern Sie sich als Sozialdemokraten nicht stärker darum?
Sie hätten die Möglichkeit dazu.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, liebe Bundesregierung, Sie haben die Mittel in
der Hand, um entsprechend etwas zu tun. Warum tun Sie
es nicht? Es geht dabei nicht um wenig. Es geht um
Klima- und Verbraucherschutz, es geht um Tierschutz,
und es geht um Artenreichtum, ja, und es geht um eine
Branche mit mehr als 1 Million Arbeitskräfte. Deshalb:
Sorgen Sie dafür, dass wir zu einer vernünftigen Agrarwende kommen, sorgen Sie endlich dafür, dass die Landwirte nicht mehr gezwungen sind, unter unwürdigen Bedingungen zu arbeiten.
Wir Grüne wollen, dass diese 1 Million Jobs erhalten
bleiben. Wir wollen, dass diese Menschen faire Möglichkeiten und die Landwirte gute Chancen haben. Wir
wollen faire Arbeitsbedingungen statt Ausbeutung. Wir
wollen keine Steuergelder mehr für die Großunternehmen; vielmehr sollten die Steuergelder an die kleinen
und mittelständischen Unternehmen gerecht verteilt werden. Wir wollen Investitionen in den Tierschutz und in
die Umwelt. Wir wollen die Lebensmittelstandards verbessern und wollen nicht, dass sie bei TTIP und CETA
verhökert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition - der Herr Minister ist ja nicht da -, sorgen Sie
dafür, dass es endlich zu einer Agrarwende kommt! Sorgen Sie endlich dafür, dass Sie Verantwortung übernehmen, und steuern Sie bei Ihrer Agrarpolitik um!
Vielen Dank.
({5})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ingrid
Pahlmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich kann nur sagen:
Und täglich grüßt das Murmeltier. Heute nun wieder mal
die Forderung nach der Agrarwende: weg von der marktwirtschaftlichen Landwirtschaft,
({0})
hin zu kleinstrukturierten Betrieben; das Ganze verbunden mit der Forderung, dass bäuerliche Betriebe wieder
besser von der Landwirtschaft leben können sollen. Ich
sehe nicht, wie Sie das mit Ihren Forderungen, mit Ihrer
Schwarz-Weiß-Malerei erreichen wollen.
({1})
Die Trends des Betriebsgrößenwachstums und der
wachsenden Tiereinheiten je Betrieb sind auch zu Zeiten
grüner Regierungsverantwortung von 2001 bis 2005
nicht gestoppt worden, ja nicht einmal verlangsamt worden. Denn Landwirtschaft - das müssen auch Sie endlich
einsehen - hat auch etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun.
Wir Bauern leben nun einmal nicht in einer isolierten
Märchenwelt, auch wir müssen auskömmliche Einkommen erwirtschaften können.
({2})
Mit der Umsetzung der EU-Agrarreform erreichen
wir durch Zuschläge von 50 Euro für die ersten 30 Hektar und weiteren 30 Euro für die folgenden 16 Hektar bereits eine Besserstellung für kleine und mittlere Betriebe
bis 95 Hektar. Auch für Junglandwirte ist ein Programm
aufgelegt worden, durch das es Zuschläge von 44 Euro
pro Hektar für die ersten 90 Hektar gibt.
Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, was das
Überleben der kleineren Betriebe, die Sie ja so vehement
fordern und von denen wir Gott sei Dank auch noch
einige haben, erschwert. Das sind auch die ständigen
neuen Anforderungen, die an die Betriebe gestellt werden. Denn eines ist klar: Zusätzliche Auflagen, Nachforderungen an Stallumbauten, Stalleinrichtungen, überbordende Bürokratie etc. können die größeren Betriebe viel
leichter stemmen als die kleinen.
({3})
Deshalb dürfen wir nicht in einen blinden Aktionismus verfallen, wenn wir Prozesse ändern wollen, sondern wir sollten Änderungen nur problembezogen, wissenschaftlich fundiert und praxistauglich durchführen.
({4})
Da hilft dann eben kein blinder Aktionismus. Da reicht
es auch nicht, die simple Formel aufzustellen: Tierwohl
ist gleich kleine Einheit. Vielen Tieren - das müssen Sie
zur Kenntnis nehmen - geht es heute in größeren Einheiten deutlich besser als früher in kleinen, dunklen Ställen
mit schlechten Luftverhältnissen.
({5})
Dabei haben die Landwirte auch immer bewiesen, dass
sie durchaus bereit sind, praktikable und sinnvolle Wege
mitzugehen.
Die Düngenovelle befindet sich zurzeit in Überarbeitung. Wir treten für eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes ein. Ja, wir sind das Land, das bereits eine
Antibiotikadatenbank besitzt, in der jede Gabe dokumentiert wird. Wir haben das Baugesetzbuch verändert.
Dadurch haben Kommunen bessere Steuerungsmöglichkeiten bei Stallneubauten. Vieles befindet sich also auf
dem Weg. Es wird für einige Betriebe nicht leicht sein,
das umzusetzen. Zusätzlicher, verfrühter und unnötiger
Aktionismus hilft jetzt keinem weiter.
({6})
Dazu möchte ich Ihnen gern ein Beispiel aus meiner
niedersächsischen Heimat aufzeigen, wo ein grüner
Landwirtschaftsminister, der als Höfesterben-Minister
bekannt ist
({7})
- so viel zu der Forderung nach mehr landwirtschaftlichen Betrieben -,
({8})
das große Problem des Schwanzbeißens bei Schweinen
mal so eben mit dem Einsatz von 28 Millionen Euro in
den Jahren 2016 bis 2020 in den Griff bekommen will.
Ich rede von der sogenannten Ringelschwanz-Prämie.
Jeder niedersächsische Bauer, der sein Tier mit komplettem Schwänzchen, unkupiert von seinem Halter und unangeknabbert von seinen Artgenossen zum Schlachthof
bringt, soll 16, 17 oder 18 Euro extra bekommen.
({9})
Das Problem ist nur, dass diese 28 Millionen Euro bei
den in Niedersachsen anfallenden Schlachtungen, wenn
jedes erzeugte Mastschwein prämiert würde, gerade einmal für einen Monat reichen würden. Das ist keine
Nachhaltigkeit. Das nenne ich Aktionismus, Augenwischerei und Geldverbrennen.
({10})
Diese 28 Millionen Euro hätte man sinnvoller einsetzen
können.
Solche unausgegorenen Pläne gibt es leider reichlich.
Ende Februar fand in meiner Heimatstadt der niedersächsische Junglandwirtetag statt. Ich bin unserem Bundesminister im Nachhinein sehr dankbar, dass er sich die
Zeit genommen hat, den landwirtschaftlichen Nachwuchs aufzubauen, indem er ihm Zukunftsängste nahm
und Perspektiven für den ländlichen Berufsstand aufzeigte. Diese jungen Menschen - die übrigens mit zu der
bestausgebildeten Berufsgruppe zählen - verzweifeln inzwischen manchmal an den ständig wachsenden Anforderungen der Politik und fragen sich, warum sie überhaupt noch an diesem Beruf festhalten sollen, bei dem
sie unter Generalverdacht gestellt und als Umweltsünder
und Tierquäler diskreditiert werden.
({11})
Zurück zum Thema Schwanzbeißen. Das Schwanzbeißen in Schweinebeständen bekommt man eben leider
nicht durch das Verbot des Schwänzekupierens in den
Griff. Es gibt Betriebe, in denen es bei drei oder vier
Durchgängen super gut läuft. Dann aber geht das Verbeißen ohne erkennbare Gründe - gleiches Futter, gleicher
Ferkellieferant, gleiches Stallklima, ausreichend Spielzeug - los. Das ist übrigens kein alleiniges Problem der
Intensivtierhaltung. Von diesem Phänomen wird bei allen Haltungsformen berichtet.
Da hilft reiner Aktionismus nicht. Vielmehr muss erst
einmal die Forschung weiter betrieben werden. Denn
glauben Sie mir: Jeder Landwirt wäre froh, wenn er
diese lästige Arbeit nicht machen müsste. Verbissene
Schwänze sind für Schweine schmerzhaft, führen zu
Krankheiten und Entzündungen und damit zu unnötigem
Medikamenteneinsatz. Wem ist damit geholfen?
({12})
Sie fordern den Stopp des angeblich ausufernden Antibiotikaeinsatzes. In Niedersachsen ist Ihr grüner Landwirtschaftsminister, ein Jahr nachdem die Bundesregierung die Änderung des Arzneimittelgesetzes mit einem
Antibiotika-Minimierungskonzept auf den Weg gebracht
und die Kontrollbefugnisse der Länderbehörden erheblich erweitert hat, noch immer nicht in der Lage, sein angekündigtes Antibiotikamonitoring umzusetzen. Also
bitte: Erforderlich ist die Abkehr von einer Ideologie hin
zu einer Versachlichung.
({13})
Zum Thema „gesunde Ernährung“. Nirgends auf der
Welt gibt es sicherere Lebensmittel als in Deutschland.
Lebensmittel auf höchstem Niveau sind hier zu bezahlbaren Konditionen zu erhalten. Was noch viel besser ist:
Deutsche Verbraucher haben die Wahl. Sie können die
Lebensmittel kaufen, die ihrer Lebensweise und ihren
Ansprüchen und auch ihrem Geldbeutel entsprechen.
Wir sind dabei, die Kennzeichnung weiter zu verbessern,
um die Entscheidung der Verbraucher zu erleichtern. Wir
fordern Wahrheit statt Klarheit.
({14})
- Wahrheit und Klarheit, Entschuldigung.
({15})
Wir wollen die Verbraucher nicht für dumm verkaufen. Die simple Ampelvariante unterfordert die Verbraucher; die sind nämlich schon viel weiter, als Sie denken.
Die Ampelvariante reicht nicht aus. Allergieauslösende
Stoffe müssen heute deklariert sein. Der Verbraucher
will zunehmend mehr über verarbeitete Lebensmittel
wissen. Das fordern Sie, und da bin ich auch bei Ihnen.
Ich bin auch bei Ihnen, wenn Sie fordern, dass das Wissen über Ernährung besser in die Breite der Gesellschaft
getragen wird.
({16})
In diesem Bereich gibt es bereits viele gute Ansätze. Ich
verweise auf die Initiative „IN FORM“, Deutschlands
Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung;
„SchmExperten“ und „Fit im Alter“ sind nur zwei weitere Beispiele.
An dieser Stelle sind aber natürlich auch die Länder
gefragt. Auch die grünen Bundesländer dürfen wir nicht
aus der Verantwortung entlassen. Tun Sie mir also folgenden Gefallen: Packen Sie Ihren Antrag beiseite, und
gehen Sie mit uns die von unserem Minister eingeschlagenen Wege, gern auch mit kritischen Anregungen, aber
bitte ohne ideologische grüne Brille, Diffamierungen
und Pauschalverurteilungen.
Ich danke Ihnen.
({17})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Dr. Kirsten
Tackmann von der Linken das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Ich habe monatlich eine Sprechstunde auf
den Marktplätzen zwischen Perleberg und Neuruppin.
Da hört man ziemlich gut, was die Leute so bewegt. Es
gibt kaum ein Thema, auf das man öfter angesprochen
wird als die Landwirtschaft. Die Kritik richtet sich aber
nicht gegen die Landwirtschaft an sich, sondern gegen
Megaställe, gegen zu viel Chemie auf dem Acker - weswegen es zu wenige Bienen gibt -, gegen Agrogentechnik oder gegen den Missbrauch von Antibiotika.
Ich finde, dass die Bürgerinnen und Bürger ein sehr
feines Gefühl für die Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft haben. Ich finde, dass man diese Kritik auch
ernst nehmen muss.
({0})
Gleichzeitig sage ich als Linke: Ich möchte den Landwirtschaftsbetrieben die Hand reichen; denn wir brauchen sie als Verbündete, wenn wir diese Situation verändern wollen. Hoffnung habe ich vor allen Dingen bei den
Betrieben, bei denen, die das Sagen haben, die auch vor
Ort wohnen; denn diese sichern Arbeit und Einkommen
in der Nachbarschaft. Sie helfen auch einmal beim Dorffest oder beim Winterdienst; das ist selbstverständlich.
Mit ihnen kann man und soll man auch diskutieren, wie
die Probleme gelöst werden können. Ich finde, Landwirtschaft und Dorf müssen wieder enger zusammenrücken.
({1})
Ob das klappt, ist nach meiner Erfahrung eben nicht
eine Frage der Größe des Betriebs. Positive Beispiele erlebe ich sowohl bei Familienbetrieben als auch bei klug
geführten GmbHs, aber vor allen Dingen auch bei Genossenschaften. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum man diese gute Erfahrung aus Ostdeutschland in
Westdeutschland so sehr ignoriert. Aber das ist eine andere Geschichte.
Das Gegenmodell zu dieser regional verankerten
Landwirtschaft sind Agrarholdings wie jene, die auch im
Umfeld meines Dorfes im Nordwesten Brandenburgs die
Flächen bewirtschaftet. Laut Internet betreibt sie auf
22 000 Hektar reinen Ackerbau an 40 Standorten - wenn
ich auf der Karte richtig gezählt habe -, fast ausschließlich in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Der Hauptsitz
liegt aber in Niedersachsen. „Land Grabbing“ findet also
nicht nur in Afrika statt, sondern auch vor unserer Haustür. Mit Landwirtschaft im Interesse unserer Region hat
das wenig zu tun. Dafür lässt sich mit diesem Geschäftsmodell aber offensichtlich kurzfristig sehr viel Geld verdienen. Deshalb kauft das vagabundierende Kapital nun
Äcker, Wiesen oder ganze Betriebe.
Auch die bundeseigene BVVG verkauft in politischem Auftrag die ehemalig volkseigenen Flächen der
DDR an Meistbietende, und zwar europaweit, mit der
Folge, dass die Bodenkauf- und Pachtpreise in vielen
Regionen unterdessen so hoch sind, dass sie mit landwirtschaftlicher Arbeit nicht mehr zu bezahlen sind.
Das Ergebnis sind kapitalgesteuerte, regional entkoppelte Agrarunternehmen. Das ist eine ferngesteuerte
Landwirtschaft, die wir nicht wollen.
({2})
In Gefahr ist damit aber auch ein ganz wichtiger politischer Konsens seit dem Zweiten Weltkrieg, nämlich die
Sicherung einer breiten Streuung des Bodeneigentums.
Die Linke weist seit langem auf diese Fehlentwicklung
hin, häufig leider vergeblich, aber jetzt tut sich Gott sei
Dank etwas.
Unter anderem liegen jetzt die Vorschläge des Bundesverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaften
auf dem Tisch. Ein Vorschlag ist zum Beispiel, dass Veräußerungen von Gesellschaftsanteilen landwirtschaftlicher Unternehmen genehmigt werden müssen. Ich finde,
es ist höchste Zeit zum Handeln, damit nachhaltig wirtschaftende Betriebe eine Chance haben.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, so kurz vor dem
8. März habe ich mir noch mal angeschaut, wie viele
landwirtschaftliche Betriebe von Frauen geleitet werden.
Eine Übersicht für die EU-Mitgliedstaaten liegt leider
nur für die Jahre 1999 und 2000 vor. Damals bildete
Deutschland mit 8 Prozent gemeinsam mit Dänemark
und den Niederlanden das absolute Schlusslicht. Ich
finde das wirklich peinlich. An der Spitze standen übrigens Österreich mit 31 Prozent und Griechenland mit
24 Prozent Frauenanteil.
Nicht dass Sie denken, dass es 2013 besser ausgesehen hat. Im Jahr 2013 waren sogar nur noch 6,4 Prozent
der Betriebsleiter in der Landwirtschaft weiblich. Ich
finde, Mädels, hier muss sich dringend etwas ändern.
Dann ändert sich auch noch schneller etwas in der Landwirtschaft.
Vielen Dank.
({4})
Als nächster Redner hat Dr. Wilhelm Priesmeier von
der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hofreiter, ich hätte bei Ihrer Rede ein bisschen mehr
Wissenschaftlichkeit erwartet. Als Diplombiologe wären
Sie dazu sicherlich in der Lage.
({0})
Vielleicht halten Sie demnächst eine Rede über „Urban
Farming“ in München. Dazu sind Sie mit Sicherheit qualifiziert.
Die Welt ist nicht ganz so einfach, wie wir uns das
vorstellen. Die Agrarwende datiert ja schon vom Jahr
2001 und war letztendlich die Konsequenz aus den Erkenntnissen der BSE-Krise und aus der damaligen Systemkrise. Daraus haben wir Sozialdemokraten und auch
die Grünen Konsequenzen ziehen müssen. Die Konsequenzen sieht man ja schon; denn die Landwirtschaft hat
sich in den vergangenen 14 Jahren bewegt. Die Landwirtschaft ist dialogbereit geworden. Die Landwirtschaft
stellt sich natürlich den Herausforderungen. Es nützt
also nichts, wenn man Ängste schürt oder Hunderttausende von Landwirten an einen Pranger stellt, an den sie
nicht gehören.
({1})
Es ist untauglich, zu versuchen, Menschen, die zur
Landwirtschaft unter Umständen keine unmittelbare Beziehung haben, für seine politischen Ziele und Zwecke
zu instrumentalisieren und in der gesamten Gesellschaft
Ängste zu erzeugen. Damit kommen wir weiß Gott nicht
weiter.
({2})
Man sollte konkrete Optionen dafür entwickeln - Ihre
Länderminister tun das ja auch relativ konstruktiv -, im
Hinblick auf all die Probleme, die unzweifelhaft vorhanden sind, im Dialog voranzukommen. Man kann das alles nicht differenziert betrachten, wenn man, wie Sie in
Ihrem Antrag, in einem Satz von „gefährlichen Keimen“, „tierquälerischen Missständen“, „Riesenställen“,
„Monokulturen“, „Artensterben“, „Klimakrise“, „Landraub“, „Umweltzerstörung“ und „verseuchtem Grundwasser“, von Dumping und der Zerstörung bäuerlicher
Strukturen spricht. Das ist wirklich viel zu einfach.
({3})
Hier stimmt Ihre Analyse nicht zur Gänze. Vielmehr
muss man im Einzelnen schauen, wo die Ursachen liegen.
90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind
Familienbetriebe. Wir haben keine sich entwickelnde
großräumige, großflächige Agrarindustrie. Es gibt Entwicklungen, die wir nicht gutheißen können. Die SPD
will keine KTG Agrar, die SPD will keine Straathoffs,
und die SPD will auch nicht Haßleben.
({4})
Daher darf man aber auch nicht das Bild der Landwirtschaft diskreditieren.
({5})
Ich glaube, das ist der falsche Weg. Wir wollen eine bäuerliche, nachhaltige Landwirtschaft, die von Unternehmern geprägt ist, die Verantwortung tragen und Verantwortung in dieser Gesellschaft übernehmen.
({6})
Wir haben heute Unternehmen, die wettbewerbsfähig
sind und Arbeitsplätze schaffen. Ihre Wertschöpfung im
ländlichen Raum und auch in der gesamten Gesellschaft
ist erheblich.
Wir haben die Agrarwende gemeinsam vorangetrieben. Als Folge der Agrarwende und verschiedener anderer Beschlüsse haben wir auch ganz wichtige Entscheidungen in Brüssel getroffen. Renate Künast war dafür
verantwortlich, dass wir das alte Prämiensystem mit der
Kopplung an Produkte abgeschafft und Flächenprämien
eingeführt haben.
({7})
Das hat die deutsche Landwirtschaft in besonderer
Weise wettbewerbsfähig gemacht.
Wir haben den Außenschutz reduziert und mit den
Beschlüssen von damals dafür gesorgt, dass es heute
nicht mehr notwendig ist, mit Exporterstattungen auf
den Weltmärkten Dumping zu betreiben. Das ist auch ein
Erfolg von Rot-Grün.
({8})
Davon kann man sich nicht distanzieren.
Wenn man sich mit der Landwirtschaftspolitik auseinandersetzt, dann wird klar: Die Landwirtschaftspolitik
ist heute Gesellschaftspolitik. Die Agrarpolitik und die
Landwirte sind mitten in der Gesellschaft angekommen.
Ich glaube, es ist ungerecht, den Landwirten den Dialog
zu verweigern und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Für
mich ist die Akzeptanz des landwirtschaftlichen Sektors,
des Agrarsektors, der Kern und die Voraussetzung für
die weiteren Perspektiven, die die Landwirtschaft in unserem Lande haben muss.
({9})
Darüber hinaus brauchen wir nicht nur eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft, sondern auch den Außenhandel und den Import. Mit dem Import sichern wir auch
in anderen Ländern Arbeitsplätze. Wir importieren im
Bereich der Landwirtschaft im Wert von 71,6 Milliarden
Euro und exportieren im Wert von 64,2 Milliarden Euro.
Ich finde, auch das hat nichts mit Dumping zu tun, sondern zeigt, dass unsere Landwirtschaft Chancen hat.
({10})
Wir als SPD sind natürlich nicht blind. Ich glaube,
dass die Subventionen, die wir zahlen, nicht dauerhaft
Bestand haben können. Subventionen, die falsch orientiert sind, sind aber nicht dafür verantwortlich, dass
70 Prozent der Betriebe keinen Hofnachfolger finden.
Dafür sind Strukturveränderungen verantwortlich, die es
immer schon gab und denen wir uns auch politisch so
schnell nicht entziehen können. Auch in den anderen europäischen Ländern gibt es die gleiche Entwicklung
beim betrieblichen Wachstum, und auch dort sinkt die
Anzahl der Betriebe. So falsch kann unsere Agrarpolitik,
betrachtet man den gesamten Kontext Europa, also nicht
gewesen sein - auch nicht die von Rot-Grün.
({11})
Welche Auswirkungen Standards haben, die wir alle
umsetzen wollen, wird auch deutlich, wenn man sich die
Entwicklung anschaut. Wir haben die Käfighaltung Gott
sei Dank verboten. In der Folge sind alle kleineren Betriebe, die weniger als 5 000 bis 10 000 Hühner in ihren
Käfigen hatten, aus der Haltung von Legehennen ausgestiegen. An ihrer Stelle haben andere Unternehmen investiert, sodass wir heute wieder einen Versorgungsgrad
von 75 Prozent haben. Das macht deutlich: Jede Maßnahme, die wir beschließen, und jeder höhere Standard,
den wir in Teilen zu Recht umsetzen, führen automatisch
dazu - und das gilt auch für die Maßnahmen, die Sie fordern -, dass dieser Strukturwandel vorangetrieben wird.
({12})
Mit Blick auf die Zukunft hat die deutsche Landwirtschaft, die deutsche Agrarwirtschaft innerhalb Europas
und auch innerhalb dieser Welt eine besondere Aufgabe:
Wir können Modell für eine nachhaltige Landwirtschaft,
für eine vielgestaltige Landwirtschaft sein. Wir erhalten
auf diese Art und Weise unsere Kulturlandschaft und tragen wesentlich dazu bei, dass die Verhältnisse in den
ländlichen Räumen stabil bleiben. Dafür, finde ich, lohnt
es sich, Politik zu machen, und dafür macht die SPD Agrarpolitik.
Vielen Dank.
({13})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Hans-Georg
von der Marwitz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Beim
Durchlesen des heutigen Antrags von den Grünen ging
mir ein Zitat von Christian Morgenstern durch den Kopf:
({0})
Die Hälfte allen Unglücks - vom gröbsten bis zum
feinsten - geht auf Unwissenheit oder Denkfehler
zurück, gewollte oder ungewollte …
({1})
Dabei könnte ich es bewenden lassen, wäre da nicht der
von den Grünen gewollte Denkfehler - das haben wir bei
der ersten Rede sehr deutlich gehört -, den Sie wie eine
Monstranz, wie eine alleinige Wahrheit vor sich hertragen.
„Sofortmaßnahmen für die Agrarwende - Für eine
bäuerlich-ökologische Landwirtschaft und gutes Essen“,
so lautet der Titel Ihres Antrags.
({2})
Als Landwirt, auch ökologisch arbeitend, fühle ich mich
bei Ihrem Rundumschlag im wahrsten Sinne des Wortes
vor den Kopf gestoßen.
({3})
Als ob die deutsche Landwirtschaft und die Lebensmittelverarbeiter ein Haufen unverbesserlicher Ganoven
wären, denen das Handwerk gelegt werden müsste, vermengen Sie alle negativ besetzten Begriffe wie Massentierhaltung, Artenschwund, verseuchtes Grundwasser,
Aufheizen der Atmosphäre, Klimawandel,
({4})
Welthunger, Ausbeutung von Arbeitskräften, Preisdumping, Antibiotikaresistenz, Tierqual und nicht zuletzt
Zerstörung der Natur in einem Schierlingsbecher und
vergiften damit den landwirtschaftlichen Berufsstand.
({5})
Justus von Liebig hat wohl recht, wenn er sagt:
Wir neigen viel zu sehr dazu, Dingen, die das Ergebnis vieler Ursachen sind, einer einzigen zuzuschreiben.
Das tun Sie.
Mit Ihrem heutigen Antrag haben Sie bei mir manche
Sympathie für das eine oder andere Ihrer Themen verspielt; denn es geht Ihnen nicht um eine sachliche Auseinandersetzung mit Problemen, die es natürlich auch in
der deutschen Landwirtschaft gibt, sondern allein um die
Lufthoheit über ein Problem und die Besetzung eines
Themas, das ihnen bei zukünftigen Wahlen Stimmen
verschaffen soll.
({6})
Darum geht es Ihnen und nur darum, nicht etwa um konkrete Veränderungen in einem landwirtschaftlichen Problemfeld; denn ein fachlicher Diskurs über mögliche
Verbesserungen in der deutschen Landwirtschaft muss
im Dialog und darf nicht mit einer pauschalen Vorverurteilung geführt werden.
({7})
- Lies doch bitte einmal den gesamten ersten Teil eures
Antrags.
Um die Funktion der modernen Landwirtschaft in der
heutigen Wirtschaftsordnung zu verstehen, hilft, wie so
oft, ein Blick in die Geschichte. Mit dem Landwirtschaftsgesetz von 1955 wurde die Stützungsbedürftigkeit des Agrarsektors herausgestellt. Allerdings müssen
Förderungen zielgenau sein und sich in einem gewissen
Rahmen bewegen. Vor allem dürfen die Kräfte des Wettbewerbs nicht ausgehebelt werden.
Sie wissen, dass auch ich einer Kappung der Direktzahlungen positiv gegenüberstand. Auch heute noch bin
ich der Meinung, dass wir darüber diskutieren müssen.
Aber haben wir nicht mit dem Umverteilungsprämiengesetz vor einem Jahr in den letzten GAP-Verhandlungen
einen Kompromiss erreicht, dem auch Sie hier im Bundestag zugestimmt haben?
({8})
Jetzt verlangen Sie eine Umverteilung von 30 Prozent
der Mittel aus der ersten Säule für die ersten 46 Hektar.
({9})
Das würde bedeuten, dass über 1,4 Milliarden Euro an
Förderungen für alle Betriebe per annum umgeschichtet
werden müssten. Ich denke, dass das eher zu Mitnahmeeffekten und zu weiteren Konzentrationen führen würde
als zu einer produktiven und vor allem auch gerechten
Landbewirtschaftung. Außerdem dürfte es zu einer
Pachtpreisexplosion kommen, die nur den Landeigentümern zugutekommt.
Auch Ihre nächsten Punkte können aus meiner Sicht
so nicht stehen bleiben. Sie fordern eine pauschale Obergrenze für die Anzahl der gehaltenen Tiere. Es sollten
Ihrer Ansicht nach nicht mehr als zwei Großvieheinheiten pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche je Betrieb
gehalten werden, um Massentierhaltung zu vermeiden.
Natürlich - darin sind wir uns in mancher Hinsicht einig - kann es kein ungebremstes Wachstum geben, vor
allem nicht in masttierstarken Regionen. Um die Entwicklungen effektiver steuern zu können, haben wir uns
bereits Anfang 2013 die Novelle zum Baugesetzbuch
vorgenommen.
Angenommen, wir würden die von Ihnen geforderten
2 GV pro Hektar umsetzen, würde das nach dem GVSchlüssel für Hähnchen 66 000 Mastplätze für einen
46-Hektar-Betrieb bedeuten. Kann sich der Verbraucher
eine 66 000 Plätze umfassende Mastanlage überhaupt
vorstellen? Ist diese Größenordnung etwa keine Massentierhaltung? Was ist Massentierhaltung?
({10})
Auch ökologisch produzierende Landwirte, die Hühner,
Schweine oder Rinder mästen, sind letztlich Massentierhalter. Legen wir doch bitte diesen Kampfbegriff beiseite und fragen lieber: Kann man Tiere so halten, dass
sie sich offensichtlich wohlfühlen?
({11})
Wir sind in dieser Frage gar nicht weit voneinander entfernt, Harald.
({12})
Wie muss der Stall zum Wohlfühlen beschaffen sein?
Wie muss ich Stallklima und Platzangebot optimieren,
um den Einsatz von Antibiotika so gering wie möglich
oder vielleicht sogar überflüssig zu machen?
Sie haben vorhin gefragt, warum zum Teil in größeren
Anlagen immer weniger Antibiotika eingesetzt werden.
Das kommt daher - damit verrate ich kein Geheimnis -,
dass der Bau dieser Stallanlagen inzwischen optimiert
worden ist. Wenn wir diese Optimierung vornehmen,
dann haben wir für den Tierschutz, den Verbraucher und
für die Menschen insgesamt sehr viel erreicht.
({13})
Nicht allein die Bestandsgröße, sondern auch die
Tierzahl in einer Region muss diskutiert werden,
({14})
aber nicht nur aufgrund des Tierwohls, sondern auch mit
Blick auf die regionalen Voraussetzungen, die Agrarstrukturen und den volkswirtschaftlichen Sinn.
Apropos Tierwohl: Herr Hofreiter, ich habe vorhin
sehr wohl vernommen, dass Sie auch das kritisch begleiten.
({15})
Die in diesem Jahr gestartete Initiative Tierwohl ist ein
Bündnis aus Verbänden und Unternehmen der Landwirtschaft, der Fleischwirtschaft und des Einzelhandels. Es
ist das erste Mal, dass die private Wirtschaft branchenübergreifend und freiwillig für eine Verbesserung des
Tierwohls eintritt. Meiner Auffassung nach ist die Initiative ein guter Ansatz, um den Spagat zwischen Tierschutz, Verbraucher- und Erzeugerinteressen zu schaffen.
({16})
Wir sind auf einem guten Weg und arbeiten konsequent
daran, Missstände zu beheben und das Ansehen der Tierhalter in der Öffentlichkeit weiter zu verbessern.
In einem Punkt sind wir uns allerdings einig; darüber
brauchen wir uns nicht die Köpfe heißzureden. Lieber
Minister Schmidt, letzte Woche haben wir alle fraktionsübergreifend gefordert, dass die Umsetzung der Opt-outRegelung rechtssicher gestaltet werden muss. Eine erfolgreiche Klage eines Gentechnikkonzerns oder auch
zum Beispiel eine Nichtnutzung der Opt-out-Option
durch ein Bundesland wäre aus meiner Sicht ein SuperGAU.
({17})
Der mühsam gefundene Kompromiss zur Grünen Gentechnik wäre zunichtegemacht und die Glaubwürdigkeit
der Politik massiv geschädigt. Insofern denke ich, dass
eine bundesgesetzliche Regelung weniger Angriffsfläche bieten würde als eine länderorientierte.
({18})
Nun komme ich zum Schluss. Liebe Grünen, verabschiedet euch vom Schüren von Zukunftsängsten, von
gesetzlicher Regelungswut und der Bevormundung des
Bürgers!
({19})
Ich habe das Gefühl, ihr habt aus eurem letzten Wahlkampfdesaster keine wirklichen Konsequenzen gezogen.
({20})
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Gestatten Sie mir nach
dem heute Erlebten noch eine Bemerkung in eigener Sache: Wer sich allzu grün macht, sagte Goethe, den fressen am Ende die Ziegen.
({0})
Herzlichen Dank.
({1})
Als nächster Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Niema Movassat von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Jeden Tag hungern 800 Millionen Menschen auf der
Welt. Die deutsche und europäische Agrarpolitik ist dafür mitverantwortlich. Immer mehr produzieren, das ist
das Credo. Die EU unterstützt das. 45 Prozent des gesamten EU-Haushalts fließen in die Landwirtschaft. Das
sind von 2014 bis 2020 386,5 Milliarden Euro. Das nützt
vor allem den großen Agrokonzernen. Das schadet nicht
nur vielen Bauern bei uns, sondern zerstört auch die
Existenz von Millionen Kleinbauern in den Entwicklungsländern, schafft dort Armut und Hunger. Um den
Hunger in der Welt zu bekämpfen, brauchen wir endlich
eine Agrarwende.
({0})
Bis heute überschwemmen europäische Lebensmittel
viele Märkte in Afrika. So wird bei uns deutlich mehr
Hähnchenfleisch produziert, als wir essen. Ein großer
Teil der Geflügelreste wird nach Afrika verschifft. In
Ghana wird Geflügel dann für 90 Cent pro Kilogramm
verkauft, ein Dumpingpreis, der nur dank der besagten
EU-Gelder möglich ist. Das Fleisch wird subventioniert
und so künstlich verbilligt. Der Kilopreis des Geflügels einer ghanaischen Hähnchenzüchterin liegt bei 1,80 Euro.
Sie kann mit dem Spottpreis aus Europa nicht mithalten;
sie muss ihren Betrieb aufgeben, sie verarmt, sie hungert.
({1})
Die deutsche Fleischindustrie hingegen macht Profit.
Die europäischen Geflügelexporte nach Afrika haben
sich seit 2009 verdreifacht, die deutschen gar versiebenfacht. Dasselbe gilt für Milch und Schweinefleisch. Die
Bauern in Europa und Afrika sind Opfer Ihrer Politik,
werte Bundesregierung, weil Sie Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft über alles stellen. Damit muss
endlich Schluss sein.
({2})
Die Ursache, warum die Billiglebensmittel auf afrikanische Märkte kommen, sind Freihandelsvereinbarungen. Diese sehen vor, dass Entwicklungsländer ihre
Märkte nicht schützen dürfen. Sie müssen Zölle senken.
Sie können nicht, wie es in Europa gelaufen ist, erst einmal ihre eigene Landwirtschaft aufbauen, bevor sie sich
dem internationalen Wettbewerb stellen. Seit Januar gelten neue Freihandelsvereinbarungen, die EPAs. Diese
zwingen zu noch mehr Marktöffnung. Viele afrikanische
Länder haben sich lange dagegen gewehrt. Sie wissen,
dass die Existenz ihrer Bauern auf dem Spiel steht. Die
EU-Kommission hat aber die EPAs mit massivstem
Druck durchgesetzt. Die Kleinbauern in Afrika haben
nun noch weniger Chancen, sich gegen die übermächtige
europäische Agroindustrie zu behaupten. Sie, die Bundesregierung, müssen sich dafür einsetzen, dass diese
Freihandelsvereinbarungen ausgesetzt werden.
({3})
Die europäische Agrarindustrie exportiert aber nicht
nur Nahrungsmittel. Mithilfe der Bundesregierung arbeitet sie intensiv daran, das europäische Modell einer
industriellen Landwirtschaft in den globalen Süden zu
exportieren, oft in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften, PPPs. Bei einem dieser PPPs fördert das deutsche Entwicklungsministerium unter dem Label der
Hungerbekämpfung in Zusammenarbeit mit Konzernen
wie Bayer und Syngenta die Kartoffelchips- und Pommesproduktion in Nigeria und Kenia. Damit bekämpfen
Sie nicht den Hunger der Menschen, sondern stillen vor
allem den Hunger der beteiligten Konzerne nach Gewinnen und neuen Märkten.
({4})
In Afrika leben bis zu 80 Prozent der Bevölkerung
von der Landwirtschaft. Eine Industrialisierung der
Landwirtschaft nach europäischem Vorbild bedeutet für
viele von ihnen den Verlust ihrer Arbeit. Sie können
auch nicht in andere Jobs ausweichen. Es fehlt an alternativen Einkommensmöglichkeiten. Es gibt oft keinen
funktionierenden Arbeitsmarkt, beispielsweise im Industriesektor. Die Folge: Hunger und Armut. Deswegen ist
es falsch, das europäische Landwirtschaftsmodell zu exportieren.
({5})
Im Weltagrarbericht wurde 2008 festgestellt, dass die
Kleinbauern, die in den Entwicklungsländern 80 Prozent
der Lebensmittel produzieren, der Schlüssel im Kampf
gegen den Hunger sind. Liebe Bundesregierung, nehmen
Sie das endlich ernst! Unterstützen Sie Kleinbauern statt
Agrokonzerne!
({6})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin spricht Rita
Hagl-Kehl von der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wie mein Kollege Wilhelm Priesmeier gerade
erläutert hat, besteht die Basis einer zukunftsfähigen
Agrarpolitik nach unserer Auffassung aus lebendigen
ländlichen Räumen und einer nachhaltigen Landbewirtschaftung. Ziel der SPD-Bundestagsfraktion ist es, eine
Landwirtschaft zu fördern, die flächendeckend wirtschaftet, multifunktional ausgerichtet ist und ressourcenschonend produziert. In diesem Sinne fördern wir das
nachhaltigste Produktionssystem, nämlich den ökologischen Landbau. Deswegen finde ich es sehr schade, dass
im Antrag der Grünen auf diesen Punkt nicht konkret
eingegangen wird. Viele Themen, die im Antrag angesprochen worden sind, hängen sehr eng mit dem ökologischen Landbau zusammen. Genau aus diesem Grund
halte ich es für sinnvoll, die Förderung des ökologischen
Landbaus nicht nur im Rahmen der heutigen Debatte,
sondern allgemein für die Zukunft der deutschen Landwirtschaft in den Vordergrund zu stellen.
({0})
Die ökologische Landwirtschaft ist ein Produktionssystem, welches qualitativ hochwertige und gesunde
Lebensmittel herstellt. Darüber hinaus erbringt der Ökolandbau eine Vielzahl gesellschaftlich erwünschter Leistungen. Er erhält und schont die natürlichen Ressourcen
im besonderen Maße und hat vielfältige positive Auswirkungen auf den Boden-, Gewässer- und Tierschutz sowie
auf die Artenvielfalt. Diese nachhaltige Form der Landwirtschaft verzichtet auf leichtlösliche mineralische
Stickstoffdüngemittel, chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und gentechnisch veränderte Organismen.
Damit vermeidet er Verunreinigungen von Grund- und
Oberflächenwasser mit zu viel Nitrat und Phosphaten.
An dieser Stelle landen wir wieder bei der laufenden Novellierung der Düngeverordnung und der Umsetzung der
EU-Nitratrichtlinie, zu der ich hier bereits des Öfteren
gesprochen habe.
Im Hinblick auf diese Argumente sollte uns daran gelegen sein, die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland zu stärken. Nur so kann die Agrarwende in der Tat realisiert werden. Immer mehr
Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden sich für
gesunde und ökologisch erzeugte regionale Lebensmittel, wodurch sich der Biolebensmittelmarkt dynamisch
entwickelt und ständig wächst. Es wurde zum SPD-Anliegen, die Tätigkeit der heimischen Biobauern zu fördern, damit diese ebenfalls vom Wachstum profitieren
können. Die Nachfrage ist da; aber auch ein passendes
Angebot soll vorhanden sein. Unser politisches Ziel ist,
dass immer mehr Betriebe mit unterschiedlicher Größe,
Produktionsausrichtung und Beschäftigungsstruktur auf
eine ökologische Produktionsweise umstellen - und
nicht nur kleine Betriebe, wie im Antrag gefordert wird.
({1})
Eine Ausweitung der Ökoanbaufläche käme Landwirten,
Verbrauchern, landwirtschaftlichen Nutztieren und der
Umwelt gleichermaßen zugute.
Damit das alles möglich wird, müssen noch einige
Schritte unternommen werden. Als Erstes bedarf es eines verlässlichen und eindeutigen europäischen Rechtsrahmens.
({2})
Bereits im September letzten Jahres haben wir auf unsere Initiative hin zusammen mit dem Koalitionspartner
einen Antrag zur Novellierung der EU-Öko-Verordnung
erarbeitet, dem fraktionsübergreifend zugestimmt wurde.
Dieser Antrag unterstützt die Bundesregierung bei den
Verhandlungen mit der Kommission zur Weiterentwicklung des europäischen Rechtsrahmens.
Als Zweites bedarf es eines abgestimmten Maßnahmenbündels zur Förderung des ökologischen Landbaus
auf europäischer, aber natürlich auch auf nationaler
Ebene. Damit diese Maßnahmen umgesetzt werden,
muss eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung stehen. Bislang gibt es in Deutschland keine einheitliche
und auf Dauer angelegte Strategie zur Förderung der
ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft. Wenn
wir das 20-Prozent-Ziel erreichen wollen, das Minister
Schmidt in seinem „Zukunftsplan Öko“ angekündigt hat,
müssen wir diese Fördermaßnahmen strategisch besser
koordinieren. Daher fordern wir für den Haushalt 2016
mehr Geld für das Bundesprogramm „Ökologischer
Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft“.
({3})
Damit die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland zu einem Erfolg wird, halte ich es
für notwendig, dass alle an diesem Produktionssystem
Beteiligten kooperieren. Wir als Gesetzgeber legen den
Rechtsrahmen fest, bezogen auf die Interessen der Verbände, der Landwirtschaft und der Verbraucher. Die anderen Teilnehmer in diesem System haben aber auch
eine sehr wichtige Rolle. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen darauf achten, was sie essen und auf
welche Art und Weise es produziert wurde. Der Preis eines Produkts entspricht meistens der Qualität, und die
Qualität entspricht meistens einer gerechten Landwirtschaft. Auch die Produzenten sollten darauf achten, dass
sie mit dem Boden und den Ressourcen schonend umgehen. Die Nachhaltigkeit ist wichtig, damit auch in Zukunft regionale und gesunde Lebensmittel zur Verfügung
stehen. Wir alle müssen dabei auf unsere Rolle achten
und diese auch wahrnehmen.
Danke schön.
({4})
Als nächster Redner spricht Friedrich Ostendorff von
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Hans-Georg von der Marwitz, hättest du doch
nur bei den Zitaten von Morgenstern etwas weiter gegoogelt. Da heißt es, wie du weißt:
Die Zaghaftigkeit - wo Gutes gewollt wird - ist zu
nichts nütze. Sie ist nur die Quelle immer weiterer
Schwäche und damit immer weiterer Mißerfolge.
Das gilt für dich ganz besonders.
({0})
Toll, dass sich der Fraktionsvorsitzende der Grünen,
Anton Hofreiter, für die Lage der Bäuerinnen und Bauern mehr interessiert als der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion. Aber was sollte Volker Kauder hier auch sagen? Dass die angebliche Bauernpartei CDU in den vergangenen Jahren keinen einzigen Antrag, keine einzige
Initiative vorgelegt hat, um dem massiven Höfesterben
etwas entgegenzusetzen? Dass die angebliche Bauernpartei CDU das Höfesterben lieber Strukturwandel nennt
und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU,
diesen Strukturwandel gar nicht so schlecht finden?
({1})
Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland
lieber in ein EU-Vertragsverletzungsverfahren laufen
lassen, als endlich eine vernünftige Düngeverordnung
zum Grundwasserschutz gegen die Beharrungskräfte im
Bauernverband durchzusetzen?
({2})
Dass Sie seit der Aigner'schen Kuhschwanz-Prämie keinen Finger mehr für die Milchbauern krumm gemacht
und den Bäuerinnen und Bauern zum Ende der Milchquote am 1. April nicht mehr als marktradikale Plattitüden anzubieten haben? Beispielhaft zitiere ich den CDUKollegen Kees de Vries: Wer für 32 Cent nicht melken
kann, sollte Beamter werden. - Herr Minister Schmidt
empfiehlt den Milchbauern - ich zitiere -:
Hilfreich wird es sein, die Produktion am Markt zu
orientieren.
Schönen Dank, Herr Minister; das tun wir Bauern bereits
seit vielen Jahren und Jahrzehnten. Das haben Bäuerinnen und Bauern immer getan. Unsere Höfe machen aber
trotzdem reihenweise zu.
Meine Damen und Herren, Herr Minister, hilfreich
wäre es, wenn Sie endlich zur Kenntnis nehmen würden,
dass in den letzten zehn Jahren fast die Hälfte der Milchviehbetriebe und zwei Drittel der Schweinehalter aufgegeben haben und dass wir auf dem besten Wege sind, die
bäuerliche Landwirtschaft insgesamt zu verlieren. Hilfreich, Herr Minister, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, wäre es aber auch, wenn Sie die Instrumente
der Gemeinsamen Agrarpolitik zur Stärkung bäuerlicher
Betriebe endlich nutzen würden.
({3})
Hilfreich wäre es, wenn Sie endlich zur Kenntnis nehmen würden, dass Grundwasserbelastung, Antibiotikamissbrauch und Massentierhaltung Realitäten sind, die
man nicht einfach leugnen oder wegpöbeln kann. Insbesondere dir, Hans-Georg von der Marwitz, sei das gesagt!
({4})
Wollen Sie sich denn beim Thema Antibiotika auch noch
von McDonald's überholen lassen? Ich will das nicht,
wir Grünen wollen das nicht. Wir wollen, dass wir gemeinsam hier im Hause das Heft des Handelns in der
Hand behalten und dieses Problem lösen.
({5})
Hilfreich wäre es aber auch, wenn Sie bei TTIP endlich
zur Kenntnis nehmen würden, dass die Interessen der
Agrarindustrie in der Regel das Gegenteil der Interessen
von Bauern und Bäuerinnen sind.
Hilfreich für eine zukünftige Debatte wäre es aber
auch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU, wenn Sie aufhören würden, die Bäuerinnen und
Bauern in Unmengen von Watte einzupacken und sie
einzulullen, anstatt den konstruktiven Dialog mit der Gesellschaft zu suchen. Ihr ewiges Mantra, das wir gleich
wieder rauf und runter hören werden - „Wir stehen vor
und hinter euch, rechts und links von euch sowie über
und unter euch“ -, löst kein einziges Problem, Frau
Mortler, und ist auch nicht zukunftsfähig.
({6})
Haben Sie doch endlich den Mut, die Wagenburg, in der
Sie sich befinden, einzureißen! Gehen Sie auf die Gesellschaft zu! Dann kommen wir weiter.
({7})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Rita
Stockhofe von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Besucher! Der Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen stellt sich mir als populistischer
Rundumschlag gegen die zurzeit bestehende Landwirtschaft dar. Jeder Punkt dieses Antrags ist ideologisch besetzt, ohne sich inhaltlich in der Tiefe damit auseinanderzusetzen.
({0})
Einige Themen sind übrigens bereits abgearbeitet, andere sind in der Bearbeitung. Wenn eine Partei aber
sonst keine Themen mehr hat, weil die anderen Parteien
- beispielsweise die Union - sie bereits abgearbeitet haben, muss sie sich mit aller Kraft hierauf stürzen und gucken, wie sie da ihre Themen unterbringt, ob es passt
oder nicht.
({1})
Das führt zwangsweise zu unsachlichen und ideologischen Darstellungen, die nicht wirklich nützlich sind.
Ich empfinde es als Frechheit, die Leistung der praktizierenden Landwirte so negativ darzustellen.
({2})
Wir kommen in der Diskussion über die Lebensmittelherstellung nicht weiter, wenn die Grünen ständig das
Bild des Bauern aus den Bilderbüchern der Kinder als
Realität darstellen. Das Wort „Landwirtschaft“ beinhaltet den Begriff „Wirtschaft“. Das heißt, es gibt Familien,
die von der Bewirtschaftung ihrer Betriebe leben.
({3})
Viele Menschen wissen und schätzen das. Jeder neunte
Arbeitsplatz steht in Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Wenn wir die Ernährungswirtschaft hinzunehmen, die zwangsläufig dazugehört, sind wir bei jedem
vierten Arbeitsplatz. Das wird in Ihrem Antrag völlig
ignoriert.
({4})
Die Weiterentwicklung der Landwirtschaft wird überhaupt nicht angesprochen. Häufig werden in den Diskussionen die Zustände von früher in den Vordergrund gestellt. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir aber zugeben,
dass früher, als angeblich alles gut war, annähernd jeder
Hausbesitzer einen kleinen Stall nebenan hatte, in dem
er ein paar Schweine gehalten hat.
({5})
Diese Ställe hatten im Regelfall eine niedrige Decke,
waren dunkel, und dort hat es auch nicht wirklich gut gerochen. Bei der heutigen Haltung stehen die Schweine
nicht mehr in ihren eigenen Exkrementen. Tageslicht ist
vorgeschrieben, gekoppelt an Lux-Vorgaben, die eingehalten werden müssen. Den Schweinen steht Beschäftigungsmaterial zur Verfügung. Die Fütterung wird bedarfsgerecht und in hoher Qualität durchgeführt, und
Lüftungsanlagen sind zwingend vorgeschrieben. Angeschimmeltes Brot, welker Salat und andere Küchenabfälle werden längst nicht mehr verwendet. Früher soll
das alles gut gewesen sein. Heute haben wir das gegen
eine hochwertige, angepasste Fütterung ausgetauscht.
Diese Verbesserungen in der Tierhaltung sind unter anderem durch technische Weiterentwicklungen erreicht
worden.
({6})
An dieser Stelle soll auch gesagt werden, dass die technischen Errungenschaften ebenso wie in anderen Wirtschaftsbereichen anerkannt und geschätzt und nicht
schlechtgeredet werden sollten.
Bei der Milchvieh- und Rinderhaltung haben sich die
Ställe dahin gehend verändert, dass es nun anstelle der
einzeln angebundenen Kühe - das war angeblich so
gut - Laufställe gibt mit Funktionsbereichen, die von
den Kühen aufgesucht werden können je nach Bedürfnis, ob sie fressen, liegen oder laufen wollen. Dass die
Kühe nicht mehr von Hand gemolken werden, ist ebenfalls ein Gewinn, nicht nur für den Bauern als Melker,
sondern auch für die Kuh, die somit gleichmäßig und
nach sensorischen Messungen fast individuell angepasst
gemolken wird.
Diese Ausführungen könnte ich auf alle Bereiche ausdehnen. Allerdings möchte ich noch auf andere Punkte
eingehen. Einer dieser Punkte ist die Forderung in dem
vorliegenden Antrag nach mehr ökologischer Landwirtschaft. Ich bin der Meinung, dass wir den Menschen, die
solche Produkte konsumieren möchten, konsequent biologisch hergestellte Lebensmittel anbieten sollten, um
uns von den Bioprodukten aus Ländern, die nicht so
konsequent handeln, abzuheben.
({7})
Die Produktion sollte sich an der Nachfrage orientieren,
also dem Markt angepasst sein und nicht künstlich hochgehalten werden. Wenn wir lesen, dass die Nachfrage
nach Bioprodukten kometenhaft angestiegen ist, müssen
wir überlegen, woran das liegt. Kann das daran liegen,
dass einige Produkte, die biologisch hergestellt worden
sind, in den Discountern zu den gleichen Preisen angeboten werden wie konventionell hergestellte Produkte?
Kann es sein, dass deswegen die Nachfrage steigt? Ich
bin der Meinung: Wenn wir Bioprodukte anbieten, dann
muss der komplette Kreislauf der Herstellung biologisch
sein. Das heißt, das Ferkel, das aus konventionell arbeitenden Betrieben stammt - darauf zeigen die Grünen immer mit dem Finger -, darf nicht durch Biomast auf einmal zu einem Bioschwein werden und somit auch zum
Bioschnitzel. Wenn, dann komplett und konsequent biologisch.
({8})
Wenn das nichtbehandelte Stroh aus Biobetrieben einen starken Pilzbesatz aufweist, besteht die Möglichkeit,
dieses Stroh auf den Äckern zu belassen. Das Stroh, das
in den biologischen Betrieben dann zur Einstreu herhalten muss, kommt aus konventionellen Betrieben, aus denen es zugekauft wurde.
({9})
- Ich kann Ihnen praktische Beispiele nennen.
({10})
- Das kann ich wohl. Unterstellen Sie mir das nicht. Ich
werde es nachreichen.
({11})
Wenn wir die ökologische Produktion unterstützen
wollen, dann müssen die Menschen, die für diese Produkte deutlich mehr Geld ausgeben, davon ausgehen
können, dass der komplette Kreislauf ökologisch, biologisch ist. Ansonsten haben wir hier eine Mogelpackung,
die die Akzeptanz dieser Produkte schmälert. Der Verbraucher will durch höhere Zahlungen bestimmte Wirtschaftsweisen unterstützen und vorantreiben, und das
sollten wir ihm ermöglichen. Vielleicht können wir so
auch die heimische Landwirtschaft stärken. Zum Beispiel könnten wir die Biofrühkartoffeln aus Israel und
Ägypten, die meines Erachtens schon deshalb nicht als
bio bezeichnet werden dürfen, weil sie eine große Distanz zurückgelegt haben, etwas kritischer hinterfragen.
({12})
Mich ärgert besonders, dass die Grünen das sensible
Thema Ernährung ständig ausnutzen, um ihre Ideologien
zu verbreiten. Oft finden sie bei diesen Machenschaften
auch noch die Unterstützung von Medien, die entweder
schlecht recherchieren oder damit leben können, dass sie
mit Halbwahrheiten ihre Auflagen oder Einschaltquoten
steigern.
({13})
Die Unterteilung „bio - gut“ und „konventionell - böse“
ist auch sehr unsachlich. Wie ist aber sonst die Berichterstattung zu erklären, dass über 20 Jahre lang im Zusammenhang mit BSE das gleiche Bild von der toten Kuh,
die am Kran über dem Container hängt, veröffentlicht
wird, und in Deutschland niemand erkrankt, geschweige
denn gestorben ist? Über die Ehec-Sprossen - 53 Tote,
noch heute sind Leute an der Dialyse - wird überhaupt
nicht mehr gesprochen. Wir gehen davon aus, dass es
nichts damit zu tun hat, dass es Biosprossen waren.
Grundsätzlich dürfen wir uns über eine reiche Auswahl an hochwertigen, leckeren Lebensmitteln erfreuen.
Wir können uns aussuchen, wo wir sie kaufen: im Discounter, im Supermarkt oder beim Bauern, der seine
Produkte selber vermarktet. Diejenigen, die gut und
gerne kochen, können diese Produkte dann zu leckeren
Menüs oder Snacks verarbeiten. Aber selbst hier haben
wir die Möglichkeit, einen Teil oder alle Verarbeitungsprozesse anderen zu überlassen und somit Teilfertigoder Fertigprodukte zu erwerben. Das alles können wir
selber entscheiden und selber wählen, immer mit dem
guten Gefühl: Auf unsere Bauern, die Erzeuger dieser
Lebensmittel, und auf die Verarbeiter können wir uns
verlassen. Die hohen Qualitätsstandards sind erfüllt.
({14})
Zusammenfassend halte ich also fest, dass wir unsere
Bauern und Landwirte dabei unterstützen sollten, weiterhin so hochwertige und leckere Produkte herzustellen,
wie wir sie jeden Tag auf unseren Tischen haben, und
nicht zwei Klassen von Landwirten schaffen sollten, von
denen eine Klasse dann diffamiert wird.
Ich hoffe, mit dieser Darstellung erreicht zu haben,
dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr gleich anstehendes Mittagessen noch einmal mehr genießen und
zu schätzen wissen.
({15})
Frau Stockhofe, lassen Sie zum Schluss noch eine
Zwischenfrage zu? Ich lasse sie jetzt zu, bitte aber um
eine zügige Antwort.
Ich habe sie erwartet, deswegen gerne.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie meine Zwischenfrage am Ende zulassen. - Sie haben in Ihrer ganzen Rede von Ideologie gesprochen und schwarz-weiß
gemalt, statt auf unseren Antrag und auf das GrundproHarald Ebner
blem, das wir am Anfang skizziert haben, einzugehen.
Es ist das Problem des andauernden - „Höfesterben“
will ich es gar nicht erst nennen, „Strukturwandel“ schon
gar nicht - Strukturbruchs, der uns allen wehtut. Er tut
der Landwirtschaft weh. Ich hätte gerne eine Antwort
darauf gehört. Welche Antwort haben Sie darauf? Statt
permanent die Ideologienummer zu ziehen, möchte ich
eine Antwort auf die Frage des Strukturwandels. Was tun
Sie da politisch? In welche Richtung geht Ihr Weg?
Wenn Sie zu Beginn meiner Rede genau zugehört hätten, dann hätten Sie gehört, dass ich auf Ihren Antrag
eine Antwort gegeben habe, nämlich dass Sie inhaltlich
keinen Punkt differenziert betrachtet haben, sondern einen Rundumschlag gemacht haben. Die Forderungen,
die Sie ständig an die Landwirtschaft stellen, sind immer
mit Dokumentationspflichten verbunden, weil Sie immer auch das Misstrauen gegenüber den Landwirten voranstellen und alles aufgeschrieben werden muss, statt die
gute fachliche Praxis, die in der Ausbildung vermittelt
worden ist, einfach anzuerkennen und denen zuzugestehen, die es gelernt haben. Es muss nicht irgendeiner von
außen kommen, der weiß, wie es besser geht, und aufschreibt, was er gerne hätte. Dies führt zum Höfesterben
und nicht das, was Sie hier genannt haben.
({0})
So erhalten wir den „Strukturwandel“, wie Sie es bezeichnen. Dies ist ein ganz fürchterlicher Begriff, wie
viele andere Begriffe, die Sie benutzen, wie „Agrogentechnik“, „Agroindustrie“ und Ähnliches. Wir haben
eine Grüne Gentechnik, das alles kann man auch positiv
besetzen. Aber Sie schüren lieber Ängste und sehen zu,
dass die Verbraucher gar nicht mehr wissen, wo sie stehen, und verunsichern sie. Das ist der Fehler, den Sie
machen.
({1})
Als nächster Redner in der Debatte hat Johann
Saathoff von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ihr Antrag zur Agrarwende, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, besteht eigentlich aus
mehreren, nämlich aus acht Anträgen, zu denen es sich
jeweils lohnt, eine eigene Debatte zu führen. Diese Debatte haben wir zum Teil schon geführt, andere stehen
uns mit Sicherheit in dieser Legislaturperiode noch bevor. Bei einer derartigen Themenfülle macht es Sinn,
sich in der Kürze der Zeit unemotionalisiert auf einige
Teile des Antrags zu fokussieren.
Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen: Bei diesem Ziel des Antrages, liebe Kolleginnen und Kollegen
der CDU/CSU, sind wir uns alle schon einmal einig;
denn genau diese Parole haben wir, die SPD, als langfristiges Ziel unserer Agrarpolitik ausgegeben.
({0})
Wir verfolgen eine Strategie, die langfristig den Erhalt
öffentlicher Gelder an die Erbringung öffentlicher Leistungen koppelt.
({1})
Ich hätte gerne gesehen, dass der Paradigmenwechsel
schon bei der Umgewichtung der EU-Agrarförderung
von der ersten in die zweite Säule deutlicher wird.
({2})
Allerdings bedeutet ein Paradigmenwechsel auch, dass
man ihn nicht von einem Tag auf den anderen durchführen kann, sondern dicke Bretter zu bohren hat. Wir wollen diesen Paradigmenwechsel - wir wollen diese Bretter bohren -, aber er muss so gestaltet werden, dass sich
die Landwirtschaft darauf einstellen kann. Das dürfen
die Landwirte von einer verantwortungsvollen Agrarpolitik erwarten.
({3})
Auch die Gentechnikfreiheit ist Teil Ihres Antrags.
Wir haben dazu letzte Woche eine Debatte hier im Bundestag gehabt. Ich möchte heute noch einmal deutlich
machen, dass wir alles unternehmen wollen, um zu einer
bundeseinheitlichen Opt-out-Lösung zu kommen, liebe
Kolleginnen und Kollegen. In diesem Sinne hat es auch
das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 entschieden.
Deshalb kann es für uns keinen anderen Weg als eine
bundeseinheitliche Lösung geben.
({4})
Natürlich wollen wir auch, dass Deutschland bei jedem
Anbauzulassungsantrag davon Gebrauch macht. Die Beschränkung auf ein Bundesland macht faktisch einfach
keinen Sinn,
({5})
da gentechnisch veränderte Organismen nicht an der
Grenze zu einem Bundesland haltmachen.
Dabei sind wir längst nicht das einzige Land mit dieser Einstellung. So wie Deutschland bei der Novelle der
EU-Öko-Verordnung angeblich anfangs - meine Kollegin Rita Hagl-Kehl hat das beschrieben - eine Solitärstellung eingenommen hat und sich mittlerweile die
meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union der
Position des Bundestages angeschlossen haben, so sehen
wir auch bei der Gentechnikfreiheit gute Chancen, dass
die meisten Mitgliedstaaten den deutschen Weg mitgehen werden.
Die Gentechnikfreiheit ist für uns, wie für Sie, auch
bei den Futtermitteln ein Thema.
({6})
Wir schauen dabei aber nicht nur auf die Kennzeichnung. Ein zentraler Ansprechpartner ist für uns der Handel. Dort ist festzustellen, dass das gentechnisch veränderte Soja mit Entwicklungen im Zusammenhang steht,
die die deutschen Verbraucher nicht gutheißen. Eine
Tendenz des Handels beispielsweise zum Angebot von
Hähnchen, die ohne Gentechnik gefüttert wurden, zeichnet sich deutlich ab. Der Dialog ist für uns also neben
den gesetzlichen Regelungen ein ganz wichtiges Instrument.
Wir sollten uns vor Augen führen, was passiert, wenn
man unkritisch an die Gentechnik herangeht. In den
USA gibt es bereits über 20 glyphosatresistente Kräuter.
Das ist nur der Beginn einer Schraube, die sich immer
weiter dreht und sich nicht mehr zurückdrehen lässt.
Durch den Einsatz von Gentechnik verändert sich das
Bewirtschaftungssystem in der Landwirtschaft langfristig dahin gehend, dass eine gute landwirtschaftliche
Fachpraxis nicht mehr nötig ist. Dadurch erleidet man
einen nicht verantwortbaren Verlust an nachhaltiger
Wirtschaftsweise.
({7})
In unserem Koalitionsantrag „Gesunde Ernährung
stärken - Lebensmittel wertschätzen“ ist eine ganze
Reihe von Forderungen enthalten, die Sie in Ihrem Antrag zum Thema gute Ernährung aufgreifen. Zum Beispiel setzen wir uns dafür ein, dass die gesundheitlichen
Risikofaktoren einer unausgewogenen Ernährung im
Präventionsgesetz und in einer nationalen Präventionsstrategie angemessen berücksichtigt werden. Des Weiteren sollen die Schulvernetzungsstellen weiterhin finanziell und darüber hinaus von der DGE fachlich bei der
Verbesserung der Qualität der Verpflegung unterstützt
werden. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner wollen wir in Zusammenarbeit mit den Bundesländern ein
Leitbild gesunder, nachhaltig erzeugter und vielfältiger
Kita- und Schulverpflegung erarbeiten,
({8})
Kindern und Jugendlichen über Schulgärten, Bauernhofpatenschaften und Ähnliches den Ursprung des Essens
vermitteln und die Ernährungsaufklärung in den Lehrplänen der deutschen Schulen verankern.
({9})
All das wurde in unserem Antrag, den wir am 15. Januar
dieses Jahres beraten haben, bereits so von uns formuliert. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, dass wir Sie mit im Boot haben.
Sie sprechen in Ihrem Antrag auch die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft und der Ernährungsindustrie an. Die Niedersächsische Landesregierung bringt
dazu genau heute einen Antrag in den Bundesrat ein, der
zum Ziel hat, dass Werkvertragsbeschäftigte ihre Rechte
besser vertreten können.
({10})
Das Bundesarbeitsministerium erarbeitet gerade einen
Gesetzentwurf, um den Missbrauch bei Werkverträgen
zu verhindern.
Wie anfangs schon erwähnt, enthält der vorliegende
Antrag also einen ganzen Strauß von Maßnahmen der
Agrarpolitik der Zukunft. Stück für Stück - oder „een
nah’t anner“, wie man in meiner ostfriesischen Heimat
sagen würde - wollen wir uns mit den jeweiligen Themen befassen. Ich freue mich auf einen konstruktiven
Dialog mit Ihnen.
Herzlichen Dank.
({11})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat die Kollegin
Marlene Mortler von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines
muss klar sein: Wir, die Union, distanzieren uns klar von
schwarzen Schafen in der Land- und Ernährungswirtschaft, egal ob groß, ob klein, ob bio oder konventionell.
({0})
Wir distanzieren uns aber auch ganz klar von den pauschalen Vorwürfen im vorliegenden Antrag und heute
auch im Plenum, von dieser unsäglichen Inszenierung
gegen unsere Bauern und Bäuerinnen.
({1})
Offensichtlich sind Sie immer noch auf der verzweifelten Suche nach Themen und sind bei der Landwirtschaft
gelandet. Aber wir lassen es nicht zu, dass unsere Bäuerinnen und Bauern in Deutschland am Ende die Leidtragenden Ihrer Themensuche werden.
({2})
Landwirtschaft heute hat das Recht, zeitgemäß zu
produzieren und zu wirtschaften und den technischen
Fortschritt offensiv anzugehen, ob im Stall, auf dem
Acker oder im Büro. Sie hat auch das Recht, ihre Familien zu ernähren. Gleichzeitig hat sie die Pflicht, gesellschaftliche Ansprüche zu erfüllen. Noch nie waren die
Lebensmittel in unserem Land so sicher, so vielfältig, so
gut und gleichzeitig so preiswert. Das ist eine tolle Errungenschaft.
({3})
Sie schrauben die gesellschaftlichen Ansprüche allerdings immer höher und höher. Das Wort „Bio“ haben wir
heute von Ihnen nicht gehört, aber jahrzehntelang war
das Ihr Zauberwort. Seien wir ehrlich: Viele Biobetriebe
von heute unterscheiden sich weder in Größe noch in
Struktur von konventionellen Betrieben.
({4})
Das kritisiere ich nicht, das ist die Realität.
Wenn ich die Fachmesse Biofach bei mir um die Ecke
in Nürnberg besuche, dann stelle ich fest: Big Business!
Unsere Biobauern von gestern und von heute sind bestenfalls schmückendes Beiwerk. Ich zitiere eine Leserbriefschreiberin:
Wer sich noch vom eigenen Gemüsebeet und von
Eiern von Nachbars Hühnern ernährt, dürfte das aktuelle Bioangebot schwer verstehen und hier nur
wenige natürliche Bezüge finden. Mit diesem Vorverständnis entdeckte man in den Hallen der Biofach zu circa 90 Prozent Produkte, die man zum gesunden Essen überhaupt nicht braucht. So hoch
ungefähr war der Anteil der Fertigwaren, von deren
fremdländischen, mit hohem Transportaufwand
verbundenen Zutaten man hier vielleicht zum ersten
Mal hörte. Man beginnt zu begreifen, warum es
deutsche Biobauern schwer haben, wenn der neue
vegetarische oder vegane Trend auf Zutaten wie
Quinoa und Hanf beruht. Immerhin war ein Stand
mit Fleischersatzspeisen aus Lupinensamen dabei
und weckt Hoffnung, dass uralte robuste heimische
Anbaupflanzen auf unsere Äcker zurückkehren, sofern die politischen Vorgaben überhaupt mitspielen.
Bio ist Luxus geworden, ein Alibi der Wohlstandsgesellschaft. Angesichts der Kosten dieser diffizilen
Produkte versteht man auch, warum Krankenhäuser
oder Kindergärten solche Nahrung nicht auftischen
können.
({5})
Ich frage Sie: Können Ihre Luxusantworten wirklich
die richtigen auf die Fragen dieser Welt sein? Ist es angesichts des weltweiten Hungers, den Sie in Ihrem Antrag
ansprechen, sinnvoll, einen ideologischen Kampf gegen
Industrie und Handel zu führen? Ich sage Ihnen eines:
Eine stabile Lebensmittelversorgung braucht produktive
lokale Landwirte, eine Landwirtschaft vor Ort.
({6})
Sowohl unser Ministerium, das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, als auch das Ministerium
des Entwicklungshilfeministers sind hier aktiv. Minister
Müller zum Beispiel nimmt aktuell 1,4 Milliarden Euro
in die Hand, um 13 innovative Zentren in Entwicklungsländern zu installieren und Landwirtschaft vor Ort zu
fördern.
({7})
Zurück zu unserem Ministerium. „Öffentliche Gelder für
öffentliche Leistungen“, das war die Überschrift der Agrarreform, und das wird auch die Überschrift unserer
Politik und unseres Selbstverständnisses in Sachen Agrarpolitik bleiben. Das wird unser Leitbild bleiben.
({8})
Zu den Antibiotika. Das Antibiotika-Minimierungskonzept, die AMG-Novelle, all das sind Dinge, die wir
längst auf den Weg gebracht haben.
({9})
Nebenbei gesagt: Auch ein Tier hat das Recht auf Behandlung, wenn es Behandlung braucht.
({10})
Wir sind uns mit Bundesminister Gröhe einig, dass es
nur eine Gesundheit gibt. Deshalb ist das Screening - da
bin ich mit Ihnen einig; das sieht auch Minister Gröhe
so - ein Gebot der Stunde, um Antibiotikaresistenzen
vorzubeugen.
Zum Thema „gute Ernährung“. Fragen Sie doch einmal in den Bundesländern, in denen Sie mitregieren,
nach, ob diese ihre Hausaufgaben gemacht haben! Ich
weiß aus Bayern: Schulmilchprogramm - voll ausgeschöpft, Schulobstprogramm - voll ausgeschöpft. Letzte
Woche hat Bayern sogar eine Plattform installiert - zusammen mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband - für regionale Produkte.
Aber noch einmal zurück zum Thema Schulversorgung: Wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen, dann setzen Sie sich für Schulgärten statt für Hanfgärten ein!
({11})
Ich komme zum Schluss. So wie es die eine Welt gibt
- für uns, für mich -, so gibt es nur die eine Landwirtschaft. Egal ob Bio- oder konventionelle Landwirtschaft:
Wir haben die Herausforderung - im Sinne bäuerlicher
Familienbetriebe -, mit weniger Ressourcen mehr Menschen noch besser, noch effizienter und nachhaltiger zu
versorgen. Das ist die Herausforderung der Zukunft. In
diesem Zusammenhang biete ich Ihnen die Zusammenarbeit gerne an.
Danke.
({12})
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Damit
schließe ich die Debatte.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4191 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung
Drucksachen 18/4097, 18/4199
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze
einzunehmen, damit wir dann mit der Debatte beginnen
können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner erhält der Bundesminister
Dr. Thomas de Maizière für die Bundesregierung das
Wort. - Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bringe hiermit einen Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung
ein. Dieses Gesetz enthält zwei klare Botschaften: Bleiberecht für gut integrierte und rechtstreue Ausländer einerseits und Aufenthaltsbeendigung für diejenigen, die
nicht schutzbedürftig sind, andererseits. Beide Botschaften gehören zusammen.
({0})
Ich beginne mit dem Bleiberecht. Es betrifft Menschen, die sich hier auch ohne offiziellen Aufenthaltsstatus während ihrer Duldungsphase gut integriert haben.
Dieser Gesetzentwurf soll die Rechtsstellung dieser
Menschen ganz erheblich verbessern. Wir schaffen erstmals ein Bleiberecht für nachhaltig integrierte geduldete
Menschen, das nicht mehr von deren Alter oder einem
Stichtag abhängt.
({1})
Wer viele Jahre hier lebt, wer hier wesentliche Integrationsleistungen erbringt, wer unsere Sprache spricht, wer
seinen Lebensunterhalt überwiegend selbst sichert und
- natürlich - wer keine großen Straftaten begangen hat,
der soll nun auch eine dauerhafte Bleibeperspektive in
Deutschland erhalten.
({2})
Von dieser Regelung können mehrere Zehntausend bisher nur geduldete Menschen profitieren. Mit diesem Gesetz senden wir ihnen ein klares Signal: Ihr dürft jetzt
bleiben. Macht mit! Verdient euer eigenes Geld! Ihr gehört zu uns. - Das ist ein gutes und wichtiges Signal.
({3})
Zum Zweiten schaffen wir mit dem Gesetzentwurf
von Anfang an eine verbindliche Bleibeperspektive für
Opfer von Menschenhandel. Wer bereit ist, mit unseren
Strafverfolgungsbehörden gegen die Täternetzwerke vorzugehen, kann in Deutschland bleiben, auch nach einem
Strafverfahren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung eines der widerlichsten Verbrechen. Ohne die
Opfer, die eingeschüchtert werden, denen die Zuhälter
die Ausweispapiere wegnehmen, kommen wir nicht an
die Täter heran. Gerade den Frauen, die Opfer von
Zwangsprostitution waren, senden wir jetzt das klare Signal: Ihr dürft bleiben. Auch ihr gehört zu uns. Wir helfen euch. Ihr habt eine Perspektive in Deutschland.
({4})
Drittens enthält der Gesetzentwurf substanzielle Verbesserungen im Recht des Familiennachzugs. Ausländer,
die in bestimmten Fällen bis jetzt vom Familiennachzug
ausgeschlossen waren, können künftig gemeinsam mit
ihren Familien hier leben. Das betrifft Opfer von Menschenhandel. Es betrifft auch sehr viele Menschen, die
hier einen sogenannten subsidiären Schutz genießen,
Menschen, um es einfacher zu formulieren, die zwar
nicht politisch verfolgt werden, die aber aus anderen
schwerwiegenden Gründen, zum Beispiel wegen drohender Folter, nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Für diese Menschen verbessern wir jetzt den Familiennachzug. Auch das ist eine zentrale Verbesserung.
({5})
Viertens. Wir stärken mit dem Gesetzentwurf auch die
Zuwanderung von Fachkräften, gerade in Engpassberufen; das hat jetzt nichts mit Asyl zu tun, ist aber auch
ein Element dieses Gesetzentwurfs. Künftig wird es
möglich sein, notwendige Anpassungsqualifizierungen
in Deutschland durchzuführen, damit der Abschluss anerkannt und eine Beschäftigung aufgenommen werden
kann.
Das, meine Damen und Herren, ist die eine Seite der
Medaille. Die andere Seite ist, dass wir sicherstellen
wollen, dass diejenigen Menschen, denen letztendlich
unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht in
Deutschland zusteht, unser Land auch tatsächlich wieder
verlassen.
({6})
Ein zentrales Anliegen aller staatlichen Stellen muss es
sein, das erhebliche Vollzugsdefizit in der Aufenthaltsbeendigung abzubauen.
({7})
Es kann nicht sein, dass, wer im Asylverfahren trickst
und täuscht, dafür später mit einem Bleiberecht belohnt
wird.
({8})
Genau hier setzt der zweite Teil unseres Gesetzentwurfs an. Drei Aspekte möchte ich hervorheben.
Erstens. Eines der wesentlichen Vollzugshemmnisse
- die mangelnde Möglichkeit zur Identitätsklärung - gehen wir mit diesem Gesetzentwurf an. Meine Damen
und Herren, liebe Kollegen - das sage ich insbesondere
den Kolleginnen und Kollegen von der Linken und den
Grünen -, es ist nicht zu viel verlangt, dass ein Mensch,
der in Deutschland Schutz haben will, korrekt sagt, wie
er heißt und aus welchem Land er kommt.
({9})
Es ist nicht zu viel verlangt, ein Ausweispapier aufzuheben und nicht im entscheidenden Moment wegzuschmeißen. Wenn der Antragsteller seine Identität oder Staatsangehörigkeit verschleiert, dürfen die Behörden künftig
deshalb seine Datenträger auslesen, um festzustellen,
wer er eigentlich ist und woher er kommt. Eine Kapitulation der staatlichen Stellen vor den Menschen, die täuschen und die Behörden über ihre Identität und Herkunft
belügen, dürfen wir nicht länger hinnehmen.
({10})
Und weiter: Das bisherige System von Ausweisungen, die durchgeführt werden müssen - die sogenannten
Ist-Ausweisungen, wenn man so will -, die durchgeführt
werden sollen - die Soll-Ausweisungen - oder die
durchgeführt werden können - die Kann-Ausweisungen -, ist nur noch auf dem Papier klar. Unser Ausweisungsrecht ist durch europäisches Recht und durch die
Rechtsprechung so durchlöchert, dass es praktisch kaum
mehr handhabbar ist; das sagen alle Praktiker. Wenn da
Herr Mayer und Herr Veit nicken, dann ist das für mich
die gute Botschaft, dass der Sachverhalt so richtig beschrieben ist. Das ändern wir nun mit diesem Gesetz.
Zum zweiten Aspekt, auf den ich hinweisen möchte
- ich weiß, dass Frau Jelpke gleich darauf abheben
wird -: Damit Abschiebungen künftig tatsächlich wieder
wirksam durchgeführt werden können, stellen wir den
Behörden mit einem neuen, kurzen Ausreisegewahrsam
ein taugliches Vollzugsmittel zur Verfügung. Mit Blick
auf diejenigen, die nicht freiwillig ausreisen wollen und
die gezeigt haben, dass sie nicht an den notwendigen
Verfahren mitwirken, weil sie über ihre Identität täuschen, ist ein Gewahrsam von wenigen Tagen nur zur
Durchsetzung der Abschiebung absolut angemessen.
({11})
Hier wird es darauf ankommen, dass die Länder diese
neue Option bei der Durchsetzung der Ausreisepflichten
dann auch tatsächlich nutzen.
Drittens setzen wir mit diesem Gesetzentwurf europarechtliche Verpflichtungen um. Dazu nehmen wir eine
Bestimmung der Fluchtgefahr in das Gesetz auf. Das ist
ja, wie man hört, hochumstritten. Ich wiederhole: Dies
ist europarechtlich geboten und eine Umsetzung von
Europarecht. Bisher haben wir keine Definition von
„Fluchtgefahr“ im Gesetz, und das ist rechtsstaatlich ein
Problem. Die in dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Definition entspricht inhaltlich genau dem, was Rechtsprechung und Verwaltung schon heute als Indiz für eine
Fluchtgefahr betrachten, nicht mehr und nicht weniger.
Jede Polemik dagegen - die wir gleich hören werden ist blanker Unsinn.
({12})
Meine Damen und Herren, beide Seiten des Gesetzentwurfs - Bleiberechte und Aufenthaltsbeendigung bedingen sich gegenseitig. Verbesserungen für Schutzbedürftige sind für einen klugen Umgang mit dem
Asylrecht ebenso wichtig wie konsequente Aufenthaltsbeendigung und notfalls Abschiebung von nicht Schutzbedürftigen. Langfristig - aber auch kurzfristig - brauchen wir beides: um der Sache willen, aber auch, um die
Akzeptanz für legale Zuwanderung und für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland zu erhalten und
zu stärken. Gegen eine große Mehrheit der Bevölkerung
lässt sich Flüchtlingspolitik nicht machen. Deswegen
müssen wir um diese Mehrheit in der Bevölkerung nachhaltig werben und für sie eintreten. Diese Mehrheit ist
da. Sie ist aber immer gefährdet. Nur wenn wir klarmachen: „Wir schützen die wirklich Schutzbedürftigen, und
diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind und tricksen
und täuschen, werden mit Schutzbedürftigen nicht gleichbehandelt“, dann gewinnen wir die Herzen und die Köpfe
der Mehrheit unserer Bevölkerung. Darauf kommt es an.
Deswegen bitte ich um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf.
({13})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke
von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister, es ist keine faire Art der Debatte, schon im
Vorhinein alles als Unsinn zu bezeichnen, was die Opposition hier an Kritik vorbringt.
({0})
Das Gesetzespaket, das Sie heute hier vorgelegt haben, enthält mit Abstand die schärfsten Einschnitte in
das Aufenthaltsrecht seit 1993.
({1})
Schon damals wurde das Grundrecht auf Asyl weitgehend aufgehoben. Jetzt wird es noch einmal massiv beschnitten. Die Bundesregierung legt hier ein regelrechtes
Inhaftierungsprogramm für Asylsuchende auf,
({2})
nach dem Motto „Wer Asyl beantragt, wird eingesperrt,
abgeschoben und darf nie wiederkommen“. Die Linke
hält dieses Gesetzespaket für ein ganz fatales Signal. Es
ist ein Verrat am Asylrecht und im Übrigen ein schändlicher Kotau gegenüber der rassistischen Hetze von Pe8780
gida und jenen Neofaschisten, die zunehmend Asylunterkünfte angreifen.
({3})
Meine Damen und Herren, die Koalition will die Abschiebehaft derart massiv ausbauen, dass sie praktisch
jeden Flüchtling treffen kann. Als Grund genügt zum
Beispiel, dass vom Asylsuchenden ein Schleuser bezahlt
worden ist. Aber ohne diese Schleuser können die
Flüchtlinge häufig gar nicht den gefährlichen Weg über
das Mittelmeer nehmen. Wenn in der EU keine legalen
Wege geschaffen werden, wie Flüchtlinge auch hier nach
Deutschland kommen können, und das sogar eine Auflage der EU ist, dann darf man sich nicht wundern und
hier nicht solche repressiven Maßnahmen einführen.
Ein weiterer Grund für die Abschiebehaft soll nun
sein, wenn die Flüchtlinge keinen Pass besitzen - der
Minister hat es schon erwähnt - oder wenn sie über
einen anderen EU-Staat nach Deutschland kamen. Das
betraf im vergangenen Jahr 35 000 von insgesamt
173 000 Asylsuchenden. Merken Sie denn gar nicht, wie
zynisch es ist und wie Sie hier reagieren? Über welche
Länder sollen die Flüchtlinge denn einreisen, wenn nicht
über EU-Staaten? Vom Himmel können die Flüchtlinge
nicht fallen. Man kann doch diese Menschen, die froh
sind, Gewalt und Krieg entkommen zu sein, nicht einfach einsperren, nur weil sie einen falschen Fluchtweg
genommen haben.
({4})
Was soll denn mit diesen Flüchtlingen geschehen? Sie
werden in völlig überfüllte Flüchtlingslager in Bulgarien, Ungarn und anderen Staaten gebracht. Wir alle hier
wissen, dass eine menschenwürdige Versorgung dort
nicht stattfindet, geschweige denn rechtliche Voraussetzungen für die Flüchtlinge vorhanden sind. Flüchtlinge
sind Menschen in Not und keine Kriminellen. Sie verdienen unsere Hilfe und nicht einen solch schäbigen
Umgang, wie ihn die Koalition hier plant.
({5})
Aber es gibt noch mehr Verschärfungen. Abgelehnte
Asylsuchende sollen künftig mit einem Einreise- und
Aufenthaltsverbot belegt werden, sogar dann, wenn sie
freiwillig ausgereist sind. Das hätte beispielsweise im
vergangenen Jahr 12 000 Menschen getroffen. Treffen
wird diese Verschärfung vor allen Dingen Roma aus den
Balkanstaaten. Ihnen wird damit jede legale Möglichkeit
der Einwanderung versperrt, und sie können nicht einmal mehr Verwandte in der EU besuchen. Ich frage Sie:
Mit welcher Berechtigung werden Schutzsuchende derart bestraft? Flüchtlinge verhalten sich wie Flüchtlinge.
Sie haben nur ein Recht in Anspruch genommen, das immer noch im Grundgesetz steht. Sie stellen einen Antrag,
dieser wird abgelehnt, sie reisen wieder aus. Sie dafür
mit einem Einreiseverbot zu belegen, das im Übrigen für
die gesamte EU gilt, ist nichts anderes als eine absolut
willkürliche Verzerrung unseres Rechtssystems. Das
wird die Linke nicht mitmachen.
({6})
Zum Schluss möchte ich noch auf das Bleiberecht zu
sprechen kommen. In der Tat: ein kleiner Fortschritt.
Insgesamt gibt es zurzeit 113 000 Menschen in Deutschland, deren Aufenthalt nur geduldet ist. Davon lebt etwa
ein Drittel länger als fünf Jahre in Deutschland. Aber
Ihre Regelung, Herr Minister, besagt jetzt, dass diese
Menschen als Alleinstehende seit mindestens acht Jahren oder als Familien seit mindestens sechs Jahren in
Deutschland leben müssen und auf jeden Fall eine eigenständige Sicherung ihres Lebensunterhalts leisten müssen. Das können gerade einmal 11 Prozent. Zuvor haben
Sie diese Menschen mit Arbeitsverboten belegt.
({7})
- Doch. Sie konnten jedenfalls nicht einfach arbeiten gehen. - Integrationsmaßnahmen gab es für sie auch nicht.
Jetzt sollen sie plötzlich solche Leistungen erbringen,
um hierbleiben zu können.
Wie gesagt, nur 11 Prozent haben überhaupt eine Beschäftigung. Das heißt, sehr wenige werden wirklich
diese Bleiberechtsregelung in Anspruch nehmen. Wir sagen hier ganz klar: Alle anderen leben doch im Grunde
genommen in der ständigen Angst, abgeschoben zu werden, obwohl beispielsweise ihre Kinder hier aufgewachsen sind und sie oft sehr gut integriert sind.
Um es zusammenfassend zu sagen: Das neue Bleiberecht greift viel zu kurz. Die verschärfte Abschiebepolitik ist zynisch und inhuman. Das wird die Linke nicht
mittragen.
({8})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Rüdiger Veit
von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Ulla
Jelpke, bei aller persönlichen Wertschätzung kann ich
dem Zerrbild, das hier von dir von dem Gesetzentwurf
entworfen worden ist, nun wirklich nicht folgen. Ich
werde versuchen, das im Einzelnen zu widerlegen.
({0})
Ich habe eine ähnliche Debatte im Jahr 2007 mit den
Worten Aristide Briands eingeleitet: Ein guter Kompromiss sei immer dann gegeben, wenn alle Beteiligten über
das Ergebnis gleichermaßen unzufrieden seien. - Das
war damals richtig. Da ging es um das Richtlinienumsetzungsgesetz. Auch ich war nicht zufrieden. Heute sind
wir, wie ich finde, ein großes Stück weiter, und zwar aufgrund der Umsetzung einer Koalitionsvereinbarung, die
in einigen Punkten über das hinausgeht, was mancher für
möglich gehalten hätte. Das betrifft zum Beispiel auch
die Fragen von Arbeitsverboten und Residenzpflicht.
Hier hat diese Koalition in den zurückliegenden Monaten bereits wichtige Verbesserungen vorgenommen.
Wir haben in diesen Wochen immer wieder über die
Frage der Einwanderung geredet. Wir wollen Menschen,
die noch nicht bei uns leben, gewinnen, zu uns zu kommen. Im Rahmen der Debatte über das Bleiberecht reden
wir über das Schicksal derjenigen, die schon hier sind,
was sachlich und logisch gesehen eigentlich vorrangig
ist. Deswegen bin ich froh, dass wir uns mit diesem Gesetz dieser Personengruppe zuwenden können.
({1})
Damit eines klar ist - da will ich einmal in die Vergangenheit zurückblenden -: Wir Sozialdemokraten
wollten, als wir das Zuwanderungsgesetz entworfen und
dann in den Jahren 2003 und 2004 in den Gremien behandelt haben, die Duldung gänzlich abschaffen. Wir
wollten nur noch zwei Aufenthaltstitel haben: den befristeten und den unbefristeten. Wir wollten dazu übergehen, zu sagen: Wenn jemand nicht ausreisen kann oder
nicht abgeschoben werden kann, dann muss er nach spätestens 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. § 25 Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes würde ich
gerne unverändert lassen. Herr Minister, darüber und
über die Streichung des Verweises auf § 11 des Aufenthaltsgesetzes werden wir hoffentlich noch reden. Das ist
dann aber eine Fachdebatte, die wir an anderer Stelle
führen müssen.
Wir wollten die Duldung eigentlich grundsätzlich abschaffen. Das ging damals mit der Union aber nicht. Die
Union musste zu rot-grünen Zeiten als Partner in Anspruch und ernst genommen werden, weil es damals im
Bundesrat keine Mehrheit für diese Vorschriften gegeben hat; daran will ich einmal erinnern. Insofern versuchen wir seit über zehn Jahren, dieses Problem zu lösen.
Schon im Zusammenhang mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz wollten wir dann bereits im Jahre 2007 eine
sehr viel weiter gehende Bleiberechts- und Altfallregelung schaffen.
Bei der Gelegenheit - wenn man so lange dabei ist,
bleibt es nicht aus, dass man sich erinnert - ist mir wieder eingefallen, wie es damals war. Das möchte ich
gerne einmal in Form einer Anekdote zum Besten geben.
Damals, als wir über das Richtlinienumsetzungsgesetz
und eine Bleiberechtsregelung gesprochen haben, hat Ihr
Amtsvorgänger, der damalige Innenminister Wolfgang
Schäuble, gemeinsam mit Franz Müntefering, der damals Arbeitsminister war, eine sehr weitgehende Bleiberechtsregelung und Altfallregelung entworfen und vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde aber im Ergebnis
der politischen Realität nur ungefähr vier Tage alt, weil
er dann in einer Länderinnenministerkonferenz - das
war am 17. November 2006 in Nürnberg - von Innenministern der Union zerrupft worden ist. Es gab damals
erheblichen Ärger von den auf der Seite der Union Beteiligten. Davon ist im Augenblick keiner im Raum. Ich
kann mich aber noch gut an die Berichte dieser Innenministerkonferenz erinnern.
Die herbste Kritik war übrigens diejenige des vormaligen niedersächsischen Innenministers Schünemann,
der damals zu Herrn Schäuble gesagt hat, er - der Herr
Schäuble - habe keine Ahnung von der Praxis. Das war
schon eine ziemliche Unverschämtheit, weil Wolfgang
Schäuble zuvor schon einmal Innenminister war, und
zwar zu einer Zeit, als jedenfalls Herr Schünemann noch
lange nicht Innenminister, sondern vielleicht bestenfalls
dem Grundschulalter entwachsen war.
Da wir hier große Volksparteien repräsentieren, vertreten nicht alle die gleiche Meinung. Ich erinnere mich
noch - diesen Teil der Anekdote gebe ich auch noch zum
Besten -, dass wir auf einer Klausurtagung der SPDFraktion in Brüssel im Plenarsaal des Europäischen Parlaments über die richtige Umsetzung der Bleiberechtsregelung gesprochen haben. Damals hat ein anderer Ihrer Amtsvorgänger, Otto Schily, uns davor gewarnt, eine
Bleiberechtsregelung gesetzlich festzuschreiben, die
mehr als höchstens 20 000 oder 30 000 Menschen begünstigt. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal in die Verlegenheit kommen würde, einen gemeinsamen Vorschlag von Franz Müntefering und Wolfgang
Schäuble gegen Otto Schily verteidigen zu müssen. Es
kam dann übrigens nicht mehr dazu. Der Flieger ging,
und deswegen kam meine Wortmeldung nicht mehr zum
Tragen. - So viel zur Geschichte.
Heute sind wir Gott sei Dank, wie ich finde, mit einer
derartigen Bleiberechtsregelung sehr viel weiter. Dem
Nichtfachpublikum sei einmal gesagt, worum es hier
geht. Menschen, die in Deutschland nicht abgeschoben
werden können oder nicht ausreisen können, die aber
nicht den Status eines Flüchtlings oder Asylberechtigten
zuerkannt bekommen, halten sich mit sogenannten Duldungen in Deutschland auf. Das ist nichts anderes als der
Abschiebeverzicht vonseiten des Staates. Das ist aber
kein Titel. Man sollte meinen, dass die Duldungen nicht
länger als ein paar Monate dauern. Das ist mitnichten so.
Die Statistik weist aus, dass es 11 000 Menschen gibt,
die mit Duldungen schon mehr als 15 Jahre in der Bundesrepublik leben. Immerhin 31 000 Menschen leben bereits seit über sechs Jahren hier. Für die Betroffenen und
ihre Familien heißt das, dass ihnen in der Regel alle drei
Monate gesagt wird, ob sie abgeschoben werden und
ausreisen müssen oder ob sie hier bleiben dürfen.
In der Zwischenzeit durften sie nach altem Recht
nicht einmal arbeiten und so sich und ihre Familien versorgen. Den Teufelskreis, nicht arbeiten zu dürfen, weil
man keine Aufenthaltserlaubnis hat, aber keine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, weil man keine Arbeit hat, haben wir schon bei der letzten Änderung des Bleiberechts
- damals § 104 a - durchbrochen. Das setzen wir jetzt
konsequent fort. Dafür bin ich im Interesse der betroffenen Menschen und insbesondere im Interesse der in
Deutschland geborenen und/oder aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen außerordentlich froh und dankbar.
({2})
Deswegen ist das ein gutes und hoffentlich auch bald zu
Ende kommendes Gesetzgebungsvorhaben, hinter dem
ich auch persönlich stehe.
Herr Minister - auf kritische Punkte komme ich noch
zu sprechen, damit keine Verwirrung eintritt -, Sie haben
zu Recht erwähnt, dass wir mit diesem Gesetz erfreulicherweise den Status der Opfer von Menschenhandel
verbessern werden. Sie haben - hierzu gab es insbesondere Kritik aus dem NGO-Bereich - darauf hingewiesen,
dass der Familiennachzug bei subsidiär Geschützten neu
geregelt wird. Sie haben noch einen Punkt vergessen, der
mir aber auch wichtig ist und den ich vielleicht ergänzen
darf. Wir haben jetzt eine gesetzliche Grundlage dafür,
sogenannte Resettlement-Flüchtlinge in Deutschland
aufzunehmen und ihnen ebenfalls die Möglichkeit des
Familiennachzugs einzuräumen. Denjenigen, die nicht
Bescheid wissen, möchte ich erklären, dass es sich beispielsweise bei den Flüchtlingen, die aus Syrien kommen, um Resettlement-Flüchtlinge handelt. Diese haben
nach der Flucht aus ihrer Heimat in Nachbarstaaten oder
anderswo vorläufig Zuflucht gefunden. Wir haben sie
dann aus humanitären Gründen - im Falle Syriens vorbildlich, aber auf europäischer Ebene immer noch zu
wenige - aufgenommen, um ihnen hier auf Dauer eine
Perspektive zu geben.
Es gibt aber auch eine kritische Bewertung. Ein bisschen Kompromiss heißt aus unserer Sicht auch, ein bisschen nachzugeben. Richtig ist: Das Ausweisungsrecht
insgesamt musste dringend geändert werden. Da ich
daran, ob wir das in jedem einzelnen Punkt perfekt
hinbekommen haben, meine Zweifel habe, melde ich
Gesprächsbedarf an. Das betrifft insbesondere die Haftgründe. Insoweit hat Ulla Jelpke zu Recht darauf hingewiesen, dass es als Flüchtling technisch kaum anders
machbar ist, nach Deutschland zu kommen, als sich eines Schleusers zu bedienen. Das muss man deswegen
nicht gutheißen. Das tue ich auch nicht. Das tut niemand
von uns. Das ist aber ein aus den geografischen Gegebenheiten resultierendes Faktum, das wir nicht negieren
können.
({3})
Automatisch kann man deswegen also nicht auf Fluchtgefahr schließen.
Damit sind wir bei der Fluchtgefahr angekommen.
Bei der Abschiebehaft von sogenannten Dublin-Flüchtlingen verlangt die Richtlinie eine erhebliche Fluchtgefahr als Voraussetzung. Das haben wir in diesem Gesetzentwurf so noch nicht übernommen. Insofern ist es
durchaus notwendig, an dieser Stelle nachzubessern.
Schöner wäre übrigens auch gewesen - wenn ich
auch diesen kritischen Punkt ansprechen darf -, wenn
wir an den ursprünglich vorgesehenen 27 Lebensjahren
als zeitliche Grenze für einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis festgehalten hätten. Jetzt sind wir wieder auf
21 Lebensjahre zurückgegangen. Auch darüber wird
man noch reden können.
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, bei
dem wir hoffentlich parteiübergreifend zu einer Lösung
kommen werden. Es handelt sich dabei um die Rechtsstellung derjenigen jungen Leute, die sich in einer Berufsausbildung oder in einem Studium befinden. Nehmen wir als günstigen Fall an: Es ist einem Flüchtling
gelungen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Wenn er
nur eine Duldung hat, ist das nicht immer ganz so einfach. Dieser Flüchtling muss damit leben, eventuell abgeschoben zu werden, noch bevor er seine Ausbildung
abgeschlossen hat. Es gibt zu Recht eine Initiative der
Ministerpräsidenten und des Bundesrates, die darauf abzielt, den betreffenden jungen Leuten bis zum Erreichen
ihres Ausbildungsabschlusses eine gesicherte Aufenthaltsperspektive zu bieten. Ich persönlich bin der Meinung, dass eine Duldung allein dafür nicht ausreichend
ist. Ich will versuchen, kurz zu begründen, warum. Wenn
ein Handwerksmeister vor der Frage steht, ob er einen
jungen Mann oder eine junge Frau mit einer Duldung als
Auszubildenden einstellt, dann muss er davon ausgehen,
dass der Auszubildende nach Abschluss der Ausbildung
- so sie denn erfolgreich war, was hoffentlich in der Regel der Fall ist - gehen muss und nicht bei ihm im Betrieb bleiben kann. Das macht keinen Sinn und führt zu
Verwerfungen. Obwohl ein solcher Handwerksmeister
die Verantwortung und die Last bzw. die Kosten der
Ausbildung trägt, ist er anschließend nicht in der Lage,
den betreffenden Auszubildenden zu übernehmen.
Es ist wünschenswert und richtig - das könnte uns in
diesem Gesetzgebungsvorhaben noch gelingen -, eine
Regelung zu finden, die besagt: Wer hier berechtigterweise bzw. erlaubterweise eine Ausbildung absolviert,
der erhält zu diesem Zweck eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis. Das ist ein ganz konkreter Wunsch vor
unseren jetzt beginnenden Koalitionsgesprächen zu diesem Gesetzentwurf. Nach der Anhörung werden wir beginnen, darüber zu beraten. Ich wünsche mir, dass wir
auch in diesem Punkt zu einer Einigung kommen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Luise
Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Um das gleich vorwegzunehmen: Dieser Gesetzentwurf
ist Schatten, aber auch Licht. Der Kürze halber fange ich
mit dem Licht an. Wir freuen uns, dass sich die Bundesregierung endlich dazu durchgerungen hat, die Rechtsgrundlage für das Resettlement-Programm - das wurde
noch nicht erwähnt - zu schaffen.
Gut ist auch der Vorschlag, eine stichtags- und altersunabhängige Bleiberechtsregelung ins Leben zu rufen.
({0})
Damit sollen langjährig hier lebende Menschen mit dem
Status der Duldung - wie wir gehört haben, leben diese
zum Teil seit 10, 16 oder sogar seit 20 Jahren hier - endlich eine Perspektive zum Bleiben bekommen. Dieses
Ziel verfolgen wir alle hier schon lange, und es ist gut,
dass jetzt entsprechende Regelungen auf den Weg gebracht werden.
({1})
Wie gut ein solches Gesetz und wie ehrlich solch
grundlegende Bekenntnisse sind, entscheidet aber nicht
die Prosa, sondern die Praxis. Damit sind wir beim
Schatten, der über Ihrem Gesetzentwurf liegt. Die Bundesregierung hat die prekäre Situation von langjährig in
Duldung lebenden Menschen zwar erkannt, unterläuft in
unseren Augen mit kleineren diskriminierenden Regelungen im eigenen Gesetzentwurf aber das Ziel, dass
diese Menschen auch bleiben können. Das wird durch
§ 11 Absatz 6 des Gesetzentwurfs deutlich. Dieser zielt
nämlich auf die typische Duldungssituation ab. Wer zum
Beispiel nicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist
ausgereist ist, obwohl die Pflicht dazu bestand, kann
vom Bleiberecht ausgeschlossen werden. Dieses „Kann“
ist ganz entscheidend. Der Gesetzgeber ermöglicht es
den Behörden damit, das Bleiberecht zu gewähren oder
eben auch nicht - je nach Ermessen. Allein der Umstand,
dass diese Anwendungspraxis von Behörde zu Behörde
und von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich
sein kann, gibt Anlass zu einer Neuregelung bzw. Präzisierung dieses Paragrafen.
({2})
Die Schutzsuchenden können es sich nämlich nicht aussuchen, an welchen Ort sie kommen und welche Behörde sie betreut.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, junge Menschen,
die hier mit einer Duldung leben und das hiesige Bildungssystem durchlaufen - das wurde eben angesprochen -, haben genauso wie alle anderen Menschen sehr
viele Potenziale. Diese sollten wir nutzen, und wir sollten ihnen die Chance geben, sie zu entfalten; denn davon
profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch unsere gesamte Gesellschaft und insbesondere unser Arbeitsmarkt. Genau diesen jungen Menschen bleiben Sie mit
Ihrem Gesetzentwurf leider eine Antwort schuldig. Für
die Dauer der Ausbildung brauchen sie in unseren Augen eine Aufenthaltserlaubnis, und diese muss bei erfolgreichem Abschluss auch verlängert werden können.
({3})
Das ist kein Populismus, Herr Minister; denn die Industrie- und Handelskammern und auch die Handwerkskammern liegen uns seit Ewigkeiten in den Ohren.
Schleswig-Holstein konnte im letzten Jahr 1 000 Ausbildungsplätze nicht besetzen. Man sieht: Es liegen Puzzleteile auf dem Tisch, die zusammenpassen, aber man geht
nicht den entscheidenden Schritt, das Puzzle zu vervollständigen.
Die Betriebe fordern Sicherheit. Sie wollen, dass die
jungen Menschen, die eine Ausbildung machen, vor der
Abschiebung geschützt werden. Das unterstreiche ich
ausdrücklich, und das gilt auch für den Gedanken meines Kollegen Rüdiger Veit, den er am Ende seiner Rede
geäußert hat. Es wäre nicht nur pragmatisch gesund und
wirtschaftlich gedacht, sondern für diese Menschen auch
eine große Chance auf eine verlässliche Perspektive, diesen Schritt zu gehen, und das wollen Sie mit diesem Gesetz erreichen. Auch hier gibt es also noch Nachbesserungsbedarf.
({4})
Nachdem wir eben beim Schatten waren, muss ich
jetzt natürlich auch noch auf die Dunkelheit, die Finsternis dieses Gesetzentwurfs eingehen, die es durchaus
gibt. Ich will sehr deutlich sagen: Haft ist das schärfste
Schwert, das unser Staat in die Hand nehmen kann. Es
ist das höchste Strafmaß in unserem Rechtsstaat, das mit
Bedacht eingesetzt werden muss; denn es greift in fundamentale Grundrechte ein. Anders als bei der Strafhaft hat
ein Abschiebehäftling keine Straftat begangen.
Ihre Pläne, Herr Minister, die Haft auf all die Menschen auszuweiten, die über einen anderen EU-Staat
eingereist sind, ist wirklich - so positiv und wohlmeinend man diesem Gesetzentwurf auch gegenüberstehen
möchte - eine nur schwer zu schluckende Kröte. Bislang
verlangt das Gesetz den begründeten Verdacht, dass sich
der oder die Betroffene einer Abschiebung entziehen
will. Auch das ist schon sehr subjektiv formuliert. Dieser
„begründete Verdacht“ spielt jetzt gar keine Rolle mehr;
denn seit neuestem findet das Innenministerium, dass
eine Fluchtgefahr schon allein dann gegeben ist, wenn
eine Person über einen anderen EU-Staat nach Deutschland gekommen ist. Das ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es kaum andere legale Wege nach Deutschland
gibt; meine Kollegin Ulla Jelpke hat das schon angesprochen. Da niemand, der aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea flieht, über Deutschland einfach vom Himmel fällt,
ist dieser Ansatz wirklich mehr als zynisch.
({5})
Darüber einmal nachzudenken, Herr Minister, ist nicht
zu viel verlangt und auch kein Populismus. Wir stehen
im Übrigen mit dieser Kritik nicht alleine. Kirchen,
Wohlfahrtsverbände und NGOs sehen das genauso. Darüber hinaus ist das nicht mit Artikel 28 der Dublin-IIIVerordnung vereinbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion vertritt die Auffassung, dass wir mehr darüber reden sollten,
welche Alternativen es zur Abschiebehaft gibt. Zumindest aber sollte die Abschiebehaft immer Ultima Ratio
bleiben. So wird das in den Ländern auch gehandhabt.
Viele inhaftieren de facto gar nicht mehr. Diese werden
sich angesichts dieser Pläne bei Ihnen bedanken; denn
die Kosten für die Vorhaltung von Abschiebehaftplätzen
verbleiben bei den Ländern.
Zum Schluss ein Punkt, der auch noch wichtig ist: der
Spracherwerb beim Ehegattennachzug. Wir haben im
Petitionsausschuss - ich weiß nicht, ob gerade Kollegen
aus diesem Ausschuss da sind - eigentlich jede Woche
damit zu tun, dass Familienmitglieder voneinander getrennt sind, Ehepartner für Jahre auseinandergerissen
werden, weil der Sprachennachweis nicht erbracht werden konnte. Das alles geschieht, obwohl die Bundesre8784
gierung die Familie besonders schützen will. Das passt
nicht zusammen. Auch hier brauchen wir eine Überarbeitung dieses Gesetzentwurfs.
({6})
Es gibt noch viele Themen, die dabei eine Rolle spielen und die wir noch ansprechen könnten. Der Gesetzentwurf in der jetzigen Form könnte die Überschrift tragen: mehr Haft, mehr Restriktionen und weniger Schutz
für Schutzsuchende. - Ich glaube, das können wir besser.
Herzlichen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Als nächste und letzte Rednerin in
dieser Debatte erhält Andrea Lindholz von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die weltweiten Krisen machen sich
auch in diesem Jahr in Deutschland nach wie vor bemerkbar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
erwartet erneut einen massiven Anstieg der Asylbewerberzahlen von zuletzt 203 000 auf 300 000 Asylanträge
in diesem Jahr.
Die Strategie der Großen Koalition zur Stabilisierung
unseres Asylsystems hat zwei zentrale Ziele: Erstens.
Die Schutzberechtigten sollen besser integriert werden.
Zweitens. Unberechtigte Asylanträge sollen schneller
abgeschlossen werden. Bereits im letzten Jahr haben wir
zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Wir haben im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zahl der Stellen um rund 30 Prozent aufgestockt. Wir haben drei
Westbalkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt,
um unbegründete Anträge schneller abschließen zu können. Wir haben in diesem Jahr Länder und Kommunen
um 556 Millionen Euro bei der Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen entlastet. Im Jahr 2016 wird
das novellierte Asylbewerberleistungsgesetz zu noch
mehr Entlastungen führen.
({0})
Gleichzeitig haben wir die Strukturen zur Integration
von Flüchtlingen verbessert. Der Arbeitsmarktzugang
wurde erleichtert, und die Residenzpflicht und die Vorrangprüfung wurden eingeschränkt. Wer bei uns Schutz
bekommt, der soll sich zügig integrieren und Arbeit finden können.
Um das Asylsystem nachhaltig zu stabilisieren, müssen wir aber die große Zahl der unberechtigten Asylanträge spürbar reduzieren. Allein im Januar dieses Jahres
wurden 11 700 Asylanträge aus den Balkanstaaten registriert, obwohl die Ablehnungsquote in diesen Fällen bei
fast 100 Prozent liegt. Die Zahl der Asylanträge von syrischen Flüchtlingen war im selben Zeitraum nicht einmal halb so hoch.
Die Zahl der offensichtlich unberechtigten Asylanträge muss zügiger zurückgeführt werden, um Nachahmer davon abzuhalten, Geld an kriminelle Schleuser zu
verschwenden. Gerade in den Balkanstaaten müssen wir
noch besser über unser Asyl- und Migrationssystem aufklären; denn manch einer könnte auf ganz legalem Weg
als Arbeitskraft zu uns kommen, statt einen aussichtslosen Asylantrag zu stellen.
Seit Jahren wird nur ein Bruchteil der ausreisepflichtigen Ausländer tatsächlich abgeschoben. Ende 2014 waren 113 221 Geduldete hier in Deutschland registriert.
Abgeschoben wurden im letzten Jahr lediglich 10 800 Personen.
Ja, für die Abschiebung sind die Länder zuständig,
aber der Bund hat die Verfahrensregeln zu verantworten.
An diesem Punkt setzt der vorliegende Gesetzentwurf an
und sieht umfangreiche Verbesserungen im Asylsystem
vor. Ausländer, die schon lange in Deutschland geduldet
sind und sich erfolgreich integriert haben, sollen ein alters- und stichtagsunabhängiges Bleiberecht bekommen. Als gut integriert gilt jemand, der seit acht Jahren
hier lebt, über Sprachkenntnisse verfügt und seinen Lebensunterhalt überwiegend selbst sichern kann. Gut integrierte Jugendliche unter 21 sollen bei ähnlichen Voraussetzungen bereits nach vier Jahren ein dauerhaftes
Bleiberecht erhalten können.
Mit § 17 a Aufenthaltsgesetz schaffen wir einen
neuen Aufenthaltstitel in Deutschland, der es ermöglicht,
die ausländische Berufsqualifikation bei uns durch Fortbildungsmaßnahmen vollständig anerkennen zu lassen.
Damit verbessert der Bundesinnenminister ganz gezielt
das Ausländerrecht und erleichtert die Zuwanderung von
Fachkräften.
({1})
Gleichzeitig soll die bisherige dreistufige Kann-, Sollund Mussregelung im Ausweisungsrecht grundlegend
reformiert werden. Das ist richtig. Die Gerichte haben
bei den meisten Klagen ohnehin reine Ermessensentscheidungen getroffen. Wir reagieren damit auf den
Wandel in der Rechtsprechung. Die Gerichte werden in
Zukunft - das wird die Verfahren erheblich beschleunigen - die Entscheidung der Behörde entweder bestätigen
oder ersetzen. Es wird also nicht an die Behörde zurückverwiesen. Auch damit werden wir schneller Rechtssicherheit für die Asylbewerber schaffen, ob sie bleiben
können, weil sie einen entsprechenden Anspruch haben,
oder ob sie ausgewiesen werden müssen.
Wir werden klare Ausweisungs- und Bleibeinteressen
formulieren und gewichten. Auch das ist richtig. Ein
Bleibeinteresse wiegt zum Beispiel besonders schwer
bei Minderjährigen und bei Ausländern, die in Deutschland geboren wurden oder hier eigene Kinder haben. Das
Ausweisungsinteresse wiegt zum Beispiel besonders
schwer, wenn ein Ausländer zu Hass oder Gewalt aufAndrea Lindholz
ruft, den Terror unterstützt oder zu längeren Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Auch das ist richtig.
Wir werden für die Abschiebehaft klare Kriterien definieren, wann von einer Fluchtgefahr ausgegangen werden kann. Damit machen wir nichts anderes, Frau Kollegin Jelpke, als die Dublin-III-Verordnung und den
Beschluss des BGH vom Juni 2014 umzusetzen. Der
BGH hat nämlich festgestellt, dass die Verankerung im
nationalen Recht fehlt. Wir sind daher gehalten, entsprechende Regelungen zu formulieren.
Wann geht man von einer Fluchtgefahr aus? Es gibt
zunächst einmal Indizien. Wenn sich zum Beispiel jemand dem Zugriff der Behörden entziehen will, über
seine Identität täuscht oder die Mitwirkung verweigert,
dann sind das erst einmal Indizien für eine Fluchtgefahr,
die aber wohl begründet ist. Denn derjenige, der bei uns
bleiben möchte, hat an entsprechenden Verfahren mitzuwirken; er hat sich zu beteiligen. Auch das ist bei der
Ausweisung von Interesse. Auch hier muss der Rechtsstaat reagieren können, wenn das von dem Asylbewerber
nicht erfüllt wird.
Im Übrigen bleibt es bei der Einzelfallprüfung. Damit
wird Willkür ausgeschlossen; die Haft muss verhältnismäßig sein. Ich denke, hier sorgt der Rechtsstaat für ausreichende Sicherheit.
({2})
Lieber Kollege Rüdiger Veit, wir haben gestern
Abend über den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen debattiert. In der Debatte wurde gesagt,
dass jemand, der als Geduldeter eine Ausbildung in
Deutschland macht, zum Beispiel in einem Handwerksbetrieb, die ganze Zeit damit rechnen muss, dass er abgeschoben wird. Nein, das stimmt nicht. § 60 a Absatz 2
Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besagt, dass es aus persönlichen Gründen möglich ist, für die gesamte Dauer
der Ausbildung bei uns eine Duldung zu erhalten. Es ist
also bereits möglich.
({3})
- Ja. Ich verwahre mich aber dagegen, dass immer wieder gesagt wird, die Handwerksbetriebe bzw. Ausbildungsbetriebe könnten keine jungen Asylbewerber einstellen.
({4})
Natürlich ist das nach unserem Gesetz bereits möglich.
Das muss nur noch von den Ländern entsprechend verankert werden.
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Amtsberg zu?
Ja, wenn ich gerade noch meinen Satz zu Ende bringen darf.
Selbstverständlich.
Aus § 39 Aufenthaltsgesetz geht hervor, dass man
nach einer entsprechenden Ausbildung als Fachkraft
oder mit der Bluecard eine Arbeitserlaubnis erhalten
kann. Insofern bleibt allenfalls die Frage zu beantworten,
ob wir es noch deutlicher klarstellen müssen. Darin
stimme ich vielleicht mit Ihnen überein. Aber es trifft
schlicht nicht zu, dass unser Gesetz das nicht schon regelt.
Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Das Problem bei den Auszubildenden
und jungen Flüchtlingen, die einen unsicheren Status haben, ist für die Ausbildungsbetriebe nicht der rein rechtliche Aspekt, sondern die Tatsache, dass sie ausgewiesen
werden können, während sie in der Ausbildung sind.
Nein. Das ist schlicht falsch. Schauen Sie in das Gesetz!
Das ist de facto so. - Die Unsicherheit, die sich daraus ergibt, veranlasst viele Betriebe, lieber auszuweichen und den Menschen keine Chance zu geben. Da
Klarheit zu schaffen, wäre doch eigentlich ein gutes Anliegen.
({0})
Frau Kollegin Amtsberg, es ist nur leider sachlich
falsch. Schauen Sie in das Gesetz!
({0})
Dort steht ausdrücklich, dass aus persönlichen Gründen
- dazu gehört die Ausbildung - die Abschiebung ausgesetzt und eine Duldung bis zum Abschluss der Ausbildung ausgesprochen werden kann. Es tut mir leid. Es ist
einfach falsch, wenn Sie etwas anderes behaupten.
Schauen Sie einfach einmal in das Gesetz! Dann könnte
man sich manchen Wortbeitrag ersparen.
({1})
- Realität ist, wenn die Gesetze, die wir hier machen,
auch überall angewendet werden.
({2})
Aber nur neue Gesetze zu machen, ersetzt keine Realität.
Wir stimmen daher dem Gesetzentwurf zu. Wir begrüßen ihn ausdrücklich. Wir hoffen, dass auch das ein weiterer Schritt ist, um unser Asylrecht effektiver zu machen, auch im Sinne der Betroffenen.
Vielen Dank.
({3})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf den Drucksachen 18/4097 und 18/4199 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Ich
sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs
Drucksache 18/4186
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonenfernverkehr
Drucksache 18/3746
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({2})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Federführung strittig
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({3}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nachtund Autoreisezügen stoppen - Nachhaltige
Reisekultur in Europa fördern
Drucksachen 18/2494, 18/4080
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sabine Leidig, Fraktion Die Linke.
({4})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Werte
Gäste! Wir reden heute über drei Anträge meiner Fraktion. Mit diesen Anträgen kämpft die Linke für ein besseres Fernreiseangebot auf der Schiene.
({0})
Fakt ist, dass seit Jahren Fernzüge gestrichen werden,
zuletzt - das ist eigentlich der Anlass dieser neuen Initiative, die wir ergriffen haben - einige wichtige europäische Nachtzugverbindungen. Der Bundestag könnte diesen Trend umkehren. Deshalb haben wir den Antrag
„Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen - Nachhaltige Reisekultur in Europa
fördern“ eingebracht.
Sie alle haben sicher mitbekommen, dass es eine tolle
Kampagne gibt: Nachtzug bleibt. - Da haben sich Reisende und Beschäftigte mit Bahninitiativen zusammengeschlossen und haben für dieses Thema, übrigens
grenzüberschreitend, eine ganze Menge Aufmerksamkeit bewirkt. Nachher, um 14.30 Uhr, könnten Sie sich
an einer kleinen Kundgebung beteiligen, die hier vor
dem Reichstag stattfindet.
({1})
Heute Nachmittag wird auf der Internationalen Tourismus-Börse ein Journalistenpreis für die Reportage des
Deutschlandfunks mit dem Titel „Der letzte Nachtzug
nach Paris“ verliehen. Das ist eine tolle Dokumentation
darüber, warum das Reisen im Nachtzug praktisch, umweltfreundlich und preiswert ist oder es sein kann. Alle,
die das noch nie ausprobiert haben, wie übrigens auch
der zuständige Bahnvorstand, Herr Homburg, könnten
sich diese Radiosendung anhören und sich wenigstens
einen Eindruck davon verschaffen. Es ist mit diesen
Nachtzugreisen eine Reisekultur verbunden, die sich
einfach wohltuend von dem hektischen Flugverkehr unterscheidet und außerdem klima- und umweltfreundlich
ist.
Aus der Expertenanhörung, die wir zu diesem Thema
im Verkehrsausschuss gemacht haben - Sie erinnern
sich -, gibt es ein paar wichtige Erkenntnisse.
Erstens. Nachtreisezüge sind zeitgemäß und zukunftsfähig, wenn der Wille dazu da ist und wenn in moderne
Züge investiert werden kann.
Zweitens. Die Nachfrage nach diesem Angebot ist
keineswegs desaströs, sondern kann - das wurde auch
von Herrn Homburg von der Deutschen Bahn bestätigt als stabil bezeichnet werden. Die Zahl der Reisenden mit
Reservierung über Nacht ist in den letzten zehn Jahren
um 4 Prozent gestiegen - immerhin -, und die Zahl der
Reisenden, die in den Pendlerwagen mitfahren, frühmorgens oder spätnachts, ist sogar um 54 Prozent gestiegen.
Dass die Bahn mit diesem Angebot keinen Gewinn
einfährt, liegt vor allen Dingen an den hohen Trassengebühren und an anderen Kosten, über die politisch entschieden wird. Allerdings ist das reale Defizit mit
5,4 Millionen Euro halb so groß wie zunächst behauptet.
Deshalb haben wir guten Grund, Sie aufzufordern, den
Kahlschlag im Nachtreisezugangebot zu stoppen und dafür zu sorgen, dass zumindest Berlin-Paris und Berlin-Kopenhagen wieder in den Nachtzugfahrplan kommen, so lange, bis ein vernünftiges, tragfähiges Konzept
auf die Schiene gebracht ist.
({2})
Ein solches Konzept könnte bis zur Fußballeuropameisterschaft 2020 durchaus zustande gebracht werden.
Daran beteiligen sich 13 europäische Länder, und es
wäre doch verrückt, wenn man den Fußballfans nur den
Billigflieger anbieten könnte und nicht die nachhaltige
Alternative Nachtzug.
Mit ein wenig gutem Willen können die politischen
Rahmenbedingungen so geändert werden, dass die Bahn
nicht weiter benachteiligt wird, beispielsweise gegenüber dem klimaschädlichen Flugverkehr. Deshalb beantragen wir in einem zweiten Antrag, dass die Mehrwertsteuer für Bahntickets abgesenkt wird und im Gegenzug
Schluss gemacht wird mit der Subvention von Flugtickets.
({3})
Heute zahlt man für jedes Fernzugticket volle 19 Prozent
Mehrwertsteuer;
({4})
auf Flugtickets zahlt man 0 Prozent Mehrwertsteuer. Das
ist ungerecht. Das ist klimaschädlich und muss geändert
werden.
({5})
In der Diskussion um die Nachtzüge hat der Kollege
Dirk Fischer von der CDU, der hier sitzt, darauf aufmerksam gemacht, dass die ganze Misere gar nicht zustande gekommen wäre, wenn die damalige rot-grüne
Regierung dem Unionsantrag zugestimmt hätte, ein
Schienenpersonenfernverkehrsgesetz zu verabschieden,
in dem festgelegt wird, welche Angebote auf der
Schiene im Fernverkehr die Bahn zu erbringen hat, an
den Bedürfnissen der Bevölkerung und natürlich auch an
Klimazielen ausgerichtet.
Tatsächlich hat die CDU/CSU 2001 beantragt, dass
die Bundesregierung ein solches Gesetz vorlegt. Dem
hat die PDS-Fraktion damals übrigens zugestimmt; eine
interessante historische Konstellation. Inzwischen ist die
Notwendigkeit für ein solches Gesetz noch viel größer
geworden. Deshalb haben wir den damaligen Antrag
heute wortgleich eingebracht. Es ist höchste Eisenbahn,
dass der Bund endlich seinem grundgesetzlichen Auftrag
nachkommt und dass wir als Abgeordnete ein destruktives Parteiengezänk vermeiden und einfach das beschließen, was notwendig ist.
({6})
Weil ich weiß, dass Sie es niemals übers Herz bringen
werden, einem Antrag der Linken zuzustimmen, auch
wenn er noch so richtig ist, bitte ich Sie, Kollege Fischer,
in diesem Falle zum Wiederholungstäter zu werden. Sie
könnten ihren damaligen Antrag einfach noch einmal
einbringen. Ich bin sicher: Wir hätten nicht nur eine
Mehrheit aus CDU/CSU und Linken; vielmehr würden
auch die Kollegen der Grünen und der SPD zustimmen.
Denn in der Zwischenzeit ist ja vieles passiert: Über
100 Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern haben ihren
Anschluss an den Fernverkehr verloren. Da hält kein
ICE mehr und kein IC und natürlich auch kein Interregio, weil diese Zugart völlig zerstört worden ist. Das
bedeutet aber für die Bewohnerinnen und Bewohner in
Chemnitz, in Zwickau, in Potsdam, in Landau und in
vielen anderen Städten, dass sie öfter umsteigen müssen,
dass die Chance größer ist, dass sie einen Anschluss verpassen, dass sie viele Wartezeiten haben. Es bedeutet,
dass die Attraktivität der Bahn schlechter wird und dass
die Attraktivität dieser Städte schlechter wird.
Frau Kollegin Leidig, ehe Sie jetzt noch durch ganz
Deutschland reisen, darf ich Sie an die Zeit erinnern.
Ich finde, da kann der Bund nicht zuschauen. Sie als
Bundestagsabgeordnete haben die Möglichkeit, Herrn
Grube sozusagen in den Arm zu fallen und dafür zu sorgen, dass wir eine vernünftige, zielgerichtete Entwicklung des Schienenfernverkehrs haben. Ich kann Sie nur
auffordern, die Möglichkeiten zu nutzen.
Vielen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Dirk
Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es liegen uns drei Anträge der Fraktion Die Linke
vor. Nach dem einen Antrag soll die Mehrwertsteuer im
Schienenpersonenfernverkehr von 19 Prozent auf 7 Prozent abgesenkt werden. Daneben sollen Flugtickets im
internationalen Verkehr mit 19 Prozent Umsatzsteuer belastet werden. Außerdem soll eine Gegenfinanzierung
über die Luftverkehrsteuer vorgenommen werden. Das
heißt, die Verrechnung von Einnahmen aus dem Emissionshandel soll gestrichen werden; die Deckelung auf
1 Milliarde Euro Einnahmen soll gestrichen werden; zur
Deckung der Einnahmeverluste sollen die Steuersätze
entsprechend angehoben werden.
Aus Sicht meiner Fraktion ist der Luftverkehrsstandort durch die Luftverkehrsteuer im internationalen Wettbewerb schon sehr stark belastet. Wir sind entschieden
gegen jede weitere Zusatzbelastung, die die Probleme
für unsere Flughäfen und unsere Airlines noch verschärft.
({0})
Dirk Fischer ({1})
Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab und werden uns
auch in der Ausschussberatung dazu entsprechend einlassen.
Dann gibt es einen Antrag zur Gewährleistung des
Schienenpersonenfernverkehrs. Das heißt, deutlich gesagt: Aus einem eigenwirtschaftlichen Fernverkehr soll
- so wie beim Schienenpersonennahverkehr - ein bezuschusster Verkehr gemacht werden. Wir haben gerade
gestern das Regionalisierungsgesetz beraten, wo zwischen Bund und Ländern noch über eine Spannweite
zwischen 7,4 Milliarden Euro bis 8,5 Milliarden Euro
verhandelt wird. Nun soll die Finanzierung des nicht
mehr eigenwirtschaftlichen, sondern bezuschussten
Fernverkehrs über Verkehrsdurchführungsverträge sichergestellt werden. Das ist eine klare Abweichung von
den Beschlüssen der Bahnreform. Da wird ein sehr großes finanzielles Fass aufgemacht. Die Linke verspricht
allen alles, koste es, was es wolle. Sie ist ohne jede haushaltspolitische Verantwortung. Die Staatsverschuldung
ist ihr völlig egal.
({2})
Dazu sagen wir ganz deutlich: Nicht mit uns!
({3})
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Kollegin Leidig?
Gerne, ja.
Bitte schön, Frau Kollegin Leidig.
Kollege Fischer, es stimmt natürlich, was Sie sagen:
Es geht darum - vergleichbar dem, was die Länder beim
Nahverkehr machen -, praktisch die notwendige Zugleistung zu bestellen. Das soll auf Bundesebene auch für
die Fernzüge gemacht werden.
Sie selbst haben diesen Antrag 2001 genau so eingebracht, also mit genau demselben Bestellerprinzip. Ich
möchte Sie erstens gerne fragen, was sich aus Ihrer Sicht
in der Zwischenzeit so entscheidend verändert hat. Denn
die Begründung war damals genau dieselbe, dass nämlich die Fernverkehrsanbindungen von der Bahn gekappt
werden und es deshalb notwendig ist, dass der Bund
diese Aufgabe übernimmt.
Die zweite Frage bezieht sich auf die Größenordnung.
Ich erinnere mich, dass wir 2009 eine Anhörung zur
Fernverkehrsanbindung von Oberzentren hatten. Da
wurde uns dargelegt, dass man mit 100 Millionen Euro
im Jahr - das ist nun wirklich weit von den vielen Milliarden entfernt, über die wir im Verkehrsbereich immer
reden - alle Oberzentren in der Bundesrepublik Deutschland an den Schienenfernverkehr anbinden könnte. Halten Sie diese Zahl für unverhältnismäßig?
Zum Ersten: Meine Fraktion hat niemals einen Antrag
eingebracht, aus einem eigenwirtschaftlichen Schienenpersonenfernverkehr einen bezuschussten Verkehr zu
machen. Es steht aber eine Gewährleistung darin. Wenn
man das entscheidende Jahr der Bahnreform nimmt,
ging es damals um 180 Millionen Zugkilometer im Fernverkehr. Dieses war für uns immer eine Zielmarke, an
der sich auch die Unternehmenspolitik zu orientieren
hat. Damals hat die im Amt befindliche rot-grüne Bundesregierung eine Gewährleistung von Zugkilometern
über Jahre strikt zurückgewiesen und gesagt: Es geht nur
darum, dass die Infrastruktur vorgehalten wird, auf der
dann der Schienenpersonenverkehr erfolgen kann.
Zweitens. Ich halte es für völlig illusionär, zu glauben, man könne einen Schienenpersonenfernverkehr mit
einem Zuschuss von 100 Millionen Euro finanzieren. Ich
halte das für eine absolute Illusion. Ich glaube, man
sollte sich an solchen Zahlen überhaupt nicht orientieren. Dabei geht es um erhebliche Milliardenbeträge und
nichts anderes. Im Unterschied zum Schienenpersonennahverkehr würden wir dadurch auch die Tickets für den
internationalen Verkehr in erheblichem Maße aus dem
Bundeshaushalt subventionieren. Ich glaube, das kann
vernünftigerweise nicht unser Ziel sein.
({0})
Der dritte Antrag, den Sie gestellt haben, trägt den Titel „Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und
Autoreisezügen stoppen - Nachhaltige Reisekultur in
Europa fördern“. Wir haben dazu ein Hearing durchgeführt. Wir haben dabei erfahren - darauf haben wir auch
in den Beratungen deutlich hingewiesen -, dass der Vorstand der DB AG in eigener Verantwortung zu handeln
hat.
Wenn Sie sich etwas stärker mit dem Aktiengesetz befassen würden, wüssten Sie, dass in § 76 Absatz 1 steht:
Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die
Gesellschaft zu leiten.
Wenn Sie ein bisschen weiterblättern, kommen Sie zu
§ 93 Absatz 1, in dem es heißt:
Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden.
§ 93 Absatz 1 Satz 2 bedeutet im Umkehrschluss,
dass eine Pflichtverletzung eines Vorstandsmitglieds
vorliegen würde, wenn das Vorstandsmitglied bei einer
unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise
nicht annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener
Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Sie
können auch mit Anträgen im Deutschen Bundestag das
Aktiengesetz nicht aushebeln und den Vorstand zu
Handlungen veranlassen bzw. zwingen, die nach dem
Aktiengesetz eine Pflichtverletzung darstellen. Das können wir als Deutscher Bundestag unter gar keinen Umständen machen. Wir haben eine Aktiengesellschaft. Wir
haben ein geltendes Gesetz, und danach ist vorzugehen.
({1})
Dirk Fischer ({2})
Das heißt in der Konsequenz: Wenn in einem Geschäftsfeld seit Jahren Verluste eingefahren werden,
wenn das rollende Material am Ende der technischen
Nutzungsdauer ist, das heißt, größere Neuinvestitionen
erforderlich sind, ist der Vorstand aufgefordert, zu handeln.
Der Vorstand hat uns mitgeteilt, dass man an einem
neuen Konzept arbeite; man habe einige Linien aufrechterhalten; man wolle im Jahr 2017 endgültig entscheiden.
Insoweit ist Ihr Antrag nach den Erklärungen der
DB AG sogar überflüssig. Man hat eine Zwischenlösung
gefunden: Pkws auf den Lkw und die Passagiere in den
Zug. Dies soll Ende 2017 evaluiert werden. Man kann
sich denken, dass ein Verkehrspolitiker nicht jubelt,
wenn eine Rückverlagerung von der Schiene auf die
Straße stattfindet.
Das veränderte Verbraucherverhalten muss zur Kenntnis genommen werden. Gegenüber früher haben wir viel
mehr High-Speed-Fernverkehre mit deutlich verkürzten
Reisezeiten. Wir haben heute sehr ausgeprägte Mietwagen- und Carsharing-Systeme, sodass es für viele nicht
mehr sinnvoll ist, den eigenen Pkw über Hunderte von
Kilometern zu transportieren, um am Zielort ein Fahrzeug zur Verfügung zu haben. Seit eh und je handelt es
sich hierbei um ein Saisongeschäft. In der Urlaubs- bzw.
Reisezeit gibt es eine sehr viel größere Nachfrage als zu
den anderen Zeiten. Für uns kommen öffentliche Zuschüsse in diesem Bereich überhaupt nicht infrage.
Frau Kollegin Leidig, wir haben eine AG, aber wir haben auch das Bestellerprinzip. Würden Sie mit Ihrem
heißen Herzen eine Sabine Leidig GmbH & Co. KG
gründen, könnten Sie über diese solche Leistungen bestellen und bezahlen. Sie könnten als Komplementärin
oder Kommanditistin sogar eine Haftungsbeschränkung
vorsehen. Ich würde der DB AG allerdings dringend raten, von der Sabine Leidig GmbH & Co. KG Vorkasse
zu verlangen und nicht hinterher zu kassieren.
In diesem Sinne müssen wir auch diesen Antrag ablehnen.
({3})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Matthias Gastel,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
- Die Redezeit war zu Ende, Frau Kollegin Leidig. Dann
kann man keine Frage mehr stellen.
({1})
- Die ist nicht angemeldet.
({2})
- Die müsste Frau Karawanskij anmelden. - Ausnahmsweise.
({3})
- Die müssen die Geschäftsordnung noch lernen.
Ich sehe mich zu dieser Kurzintervention veranlasst,
weil der Kollege Fischer mich hier quasi der Unwahrheit
geziehen hat.
Ich habe hier Ihren Antrag, den Antrag, der von der
CDU/CSU-Fraktion eingebracht wurde, Drucksache
14/5451, und ich zitiere daraus nur zwei Punkte:
Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit bei Verkehrsangeboten des Schienenpersonenfernverkehrs auf dem Schienennetz der Eisenbahnen des Bundes Rechnung getragen wird …
An anderer Stelle des Forderungsteils fordern Sie:
… die Finanzierung der Verkehrsdurchführungsverträge wird im Bundeshaushalt sichergestellt.
({0})
Sie haben dies damals beantragt. Dass Sie jetzt so tun,
als wenn es völlig aus der Luft gegriffen wäre, das kann
ich einfach nur zurückweisen.
({1})
Herr Kollege Fischer, wollen Sie erwidern?
({0})
- Gut. - Dann hat jetzt der Kollege Gastel, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Vor einem Jahr standen wir hier und haben über die Bilanz von 20 Jahren Bahnreform diskutiert. Damals war es mir ein besonders großes Anliegen,
dass wir diese Bilanz ehrlich ziehen, insbesondere im
Hinblick auf die Situation des Schienenfernverkehrs.
Leider wurde sie hier von der Mehrheit eher geschönt
dargestellt, und dementsprechend ist seither auch nichts
zur Stärkung des Fernverkehrs auf der Schiene und
nichts zur Stärkung des Systems Schiene insgesamt geschehen. Ganz im Gegenteil: Die Schiene wurde im
Wettbewerb mit dem Auto, mit dem Fernbus, mit dem
Flugzeug und mit dem Lkw einseitig weiter belastet.
Hinzu gekommen sind die Belastung bei der EEGUmlage - 70 bis 80 Millionen Euro zusätzlich -, die
Senkung der Lkw-Maut. Das macht umgerechnet eine
Wettbewerbsungerechtigkeit von etwa 200 Millionen
Euro aus. Außerdem hat sich nichts geändert beim Wettbewerb zwischen der Schiene und anderen Verkehrsmitteln. Die Bus-Maut fehlt nach wie vor. Der Zug zahlt für
jeden Kilometer Trasse, die er benutzt, aber der Fernbus
bezahlt nichts für die Straßennutzung.
Wir unterstützen den Antrag der Linken bezüglich der
Mehrwertsteuer von der Stoßrichtung her. Der Flugverkehr zahlt teilweise keine Mehrwertsteuer, aber bei der
Schiene muss man 19 Prozent Mehrwertsteuer auf das
Ticket bezahlen.
Beim Lärmschutz - er ist uns sehr wichtig, um die
Akzeptanz der Schiene auch im Güterverkehr zu erhöhen - ist es so, dass die Bahnen selber dafür bezahlen
müssen, während der Straßenverkehr für den Lärmschutz nichts bezahlen muss; das ist steuerfinanziert.
Wenn man weiter schaut, wie es im System Schiene
aussieht, dann muss man leider feststellen: Die Politik
lässt die Länder und die Kommunen im Stich bei der Finanzierung des Nah- und Regionalverkehrs. Es gibt
keine Klarheit darüber, wie es mit dem auslaufenden
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz weitergeht. Wer
wird künftig die Investitionskosten schultern und unterstützen? Es gibt keine vernünftige Regelung bei den Regionalisierungsmitteln. Die Große Koalition bleibt mit
ihrem Gesetzentwurf sogar hinter den Empfehlungen ihres eigenen Gutachters zurück. Damit ist die Große Koalition drauf und dran, den einzigen unstrittigen Erfolg
der Bahnreform, nämlich die Regionalisierung, regelrecht gegen die Wand zu fahren, weil sie nicht für die Sicherheit bei der Bestellung des Nah- und Regionalverkehrs sorgt, die so dringend notwendig wäre.
({0})
Dann schauen wir einmal, welche Anforderungen die
Politik, auch der Eigentümer der Deutschen Bahn, an
den Konzern stellt. Er möchte, dass die Schulden - inzwischen 17 Milliarden Euro - abgebaut werden, dass
mehr in den Erhalt der Infrastruktur investiert wird, dass
vorhandene Lücken in der Infrastruktur geschlossen
werden, dass die Dividende höher ausfällt als bisher. Der
Konzern wird genötigt, ein unsinniges Projekt wie Stuttgart 21 zu bauen und die Mehrkosten - zuletzt 2 Milliarden Euro - selber zu stemmen.
All diese Anforderungen, die der Eigentümer an diesen Konzern stellt, gehen nie und nimmer zusammen.
Die Deutsche Bahn steht von allen Seiten unter Druck.
Einerseits besteht die ungerechte Wettbewerbssituation
mit Blick auf andere Verkehrsträger; andererseits müsste
die DB und/oder der Eigentümer, der Bund, mehr in den
Erhalt der Infrastruktur investieren. Dringend notwendig
ist auch neues rollendes Material. Man muss sich einmal
anschauen, mit welchen Mängeln die Züge jeden Morgen auf das Gleis gesetzt werden: mit nichtfunktionierenden Behinderten-WCs, mit defekten Türen, ohne
Speisewagen, mit zu wenigen Wagen, sodass Reservierungen der Fahrgäste nicht gewährleistet sind. Wir brauchen dringend neue Züge. Wie sollen sie finanziert werden? Sie sind aber als Reserve notwendig. Sie sind auch
notwendig, weil die Fahrgäste entsprechende Anforderungen haben, die das bestehende Wagenmaterial nicht
erfüllt. Steckdosen, WLAN, Barrierefreiheit, funktionierende Gastronomie - all das sind die Anforderungen des
Fahrgastes von heute.
({1})
Was passiert stattdessen? Das Nachtzugangebot wird
ausgedünnt, obwohl die Nachfrage - das gibt inzwischen
auch der DB-Konzern zu - sehr hoch ist. Wir fordern,
dass jetzt schleunigst ein Konzept für die Zukunftsfähigkeit des Nachtzuges vorgelegt wird. Wir fordern, dass
die DB Investitionen in neue Nachtzüge tätigt. Ohne
neues Wagenmaterial hat der Nachtzug nämlich keine
Chance. Wir als Grüne werden hier nicht nachlassen und
Druck machen, bis wir das Konzept für die Zukunft des
Nachtzuges tatsächlich auf den Tisch bekommen.
({2})
Das Hauptproblem ist jedoch die mangelnde Wertschätzung seitens eines großen Teils dieses Parlamentes und der Bundesregierung gegenüber dem System
Schiene. Das drückt sich in der Summe der Beträge aus,
die in die Schiene investiert werden. Pro Kopf und Jahr
werden in Deutschland 54 Euro investiert, in der
Schweiz aber beispielsweise 366 Euro. Das macht deutlich, wie gering die Wertschätzung ist. Die Schweizer
sind stolz auf ihre Bahn. Wir wollen, dass auch wir
Deutschen stolz auf unsere Bahn sein können,
({3})
auf eine Bahn, die pünktlich, zuverlässig und umweltgerecht Menschen und Güter transportiert. Mit der Politik,
die Sie betreiben, ist das aber leider nicht möglich.
({4})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort Kirsten Lühmann.
({0})
Was wir in den nächsten ein bis zwei Jahren erarbeiten wollen, ist ein Satz von Rahmenbedingungen, sowohl unternehmensintern wie extern, die in
der Lage sind, eine Basis dafür zu schaffen, dass
man Nachtzugverkehre dauerhaft betreiben kann.
Das, sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen,
liebe Kolleginnen, hat uns der Bahnvorstand Ulrich
Homburg in der Anhörung des Verkehrsausschusses zu
dem Thema gesagt. Das ist für Kunden und Kundinnen
und auch für die vielen Beschäftigten in diesem Bereich
ein wichtiges Signal. Das begrüßen wir.
Die Bahn erarbeitet Lösungen. Und welches Bild malen die Anträge, die wir hier heute beraten? Die Bundesregierung soll der Bahn ein Moratorium vorgeben. Die
Bundesregierung soll ein Konzept in Auftrag geben. Die
Bundesregierung soll den Fernverkehr subventionieren. - Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir der
Bahn so in den Fernverkehr reinreden, ist das eine
180-Grad-Wende zu allem, was wir damals bei der
Bahnreform verabschiedet haben, und das wollen wir so
nicht.
({0})
Warum wollen wir das nicht? Weil das Konzept aufgeht. Der Nahverkehr - das ist hier mehrfach gesagt
worden - ist eine Erfolgsgeschichte. Mit dem Geld des
Bundes organisieren die Länder, dass mehr Menschen
pünktlicher mit der Bahn fahren können. Das Netz wird
nicht nur über Nutzerentgelte finanziert, sondern auch
mit Steuermitteln subventioniert, da es sich um Daseinsvorsorge handelt. Im letzten Jahr haben wir die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II abgeschlossen. Sie ist gegenüber der ersten verbessert. In ihr wird
eine bürokratiearme Steuerung über Qualitätsmerkmale
festgeschrieben. Der eigenwirtschaftliche Güterverkehr
mit über 300 privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen
- es gibt dort echten Wettbewerb - ist ein Erfolgsmodell.
Die Nutzungszahlen steigen so sehr, dass es sogar zu
Netzengpässen kommt.
Frau Kollegin Lühmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leidig?
Ja, bitte.
Bitte schön.
({0})
Ich höre, Sie stöhnen; aber ich finde, es geht hier auch
um etwas Wichtiges. - Ich würde gerne Ihnen, Frau
Lühmann, eine Frage stellen. Sie haben gerade davon
gesprochen, dass bei der Bahnreform klar geregelt
wurde, dass der Bund mit der Bahn nichts zu tun hat und
der Bund hier nicht reinreden soll. Ich möchte Ihnen
jetzt den Grundgesetzartikel vorlesen, der damals mit
der Bahnreform zusammen beschlossen und ins Grundgesetz eingefügt wurde. Artikel 87 e Absatz 4 Grundgesetz lautet:
Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen,
beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese
nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen,
Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch
Bundesgesetz geregelt.
({0})
Wie würden Sie das interpretieren?
Ich interpretiere das so - wir haben ja gesagt: der
Nahverkehr ist Daseinsvorsorge, und darum finanzieren
wir ihn aus Steuern -, dass wir uns in dem Moment Gedanken machen müssen, wenn klar ist, dass den vorhandenen Bedürfnissen im Fernverkehr eigenwirtschaftlich
nicht mehr entsprochen werden kann. Der eigenwirtschaftliche Fernverkehr - das hätte ich im nächsten Satz
meiner Rede gesagt - ist kein Selbstläufer. Darum warten wir alle gespannt darauf, was kommt.
Die Deutsche Bahn hat für den 18. März ein Fernverkehrskonzept angekündigt, und ich möchte erst einmal
abwarten, wie dieses Fernverkehrskonzept aussieht.
Wenn durch das Fernverkehrskonzept ein bedarfsgerechter Fernverkehr auf Deutschlands Schienen gewährleistet ist, dann sehe ich keinen Grund dafür, dass sich der
Bund in irgendeiner Art und Weise einmischt. Das
Grundgesetz schreibt das auch nicht vor.
In der Anhörung wurden uns schon Einzelheiten eines
Konzepts für Nacht- und Autozüge dargelegt. Klar ist:
Nachtzüge sind gut nachgefragt, aber aufgrund des alten
Materials und des veränderten Komfortverhaltens der
Kundschaft ist niemand bereit, kostendeckende Preise zu
zahlen. Die anderen europäischen Staaten haben Nachtzugverkehre bereits eingestellt, und auch die staatlich
bezuschussten Strecken, zum Beispiel die DB-Nachtzugverbindung nach Kopenhagen, fallen zunehmend dem
Rotstift zum Opfer. Die Deutsche Bahn konnte die defizitäre Strecke nach Dänemark ohne Subventionen nicht
länger aufrechterhalten. Gleiches gilt - wenn auch aus
anderen Gründen - für zwei weitere Linien. Aber - und
das ist uns wichtig, liebe Kollegen und Kolleginnen Herr Homburg hat uns zugesagt, dass die restlichen
zwölf Nachtzugverbindungen aufrechterhalten werden;
zumindest bis das angesprochene Konzept vorgelegt ist.
Das ist eine gute Nachricht.
Der Bahnvorstand hat in der Anhörung neben dem
unternehmensinternen Bereich auch den externen Bereich angesprochen; bei letzterem ist die Politik gefragt.
Hier sind wir mit der Bahn im Gespräch, in Ruhe und
mit der nötigen Sorgfalt. Eine Novelle zum Eisenbahnregulierungsgesetz, die Regelungen zum Kostenfaktor
Trassenpreise - die anfallenden Kosten sind erheblich beinhaltet, wird demnächst vorgelegt.
Bei den Autoreisezügen stehen wir allerdings vor einer anderen Situation; denn die Verbindungen sind bereits eingestellt. Die alten Wagen mussten aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden, und für neues Material,
das nur vier Monate in der Saison eingesetzt werden
kann und somit acht Monate lang auf dem Abstellgleis
steht, fehlt der DB einfach das Geld. Aus meiner Sicht
ist das verständlich.
Herr Homburg hat uns ein Modell vorgestellt, das erfolgreich erprobt wurde: Der Pkw wird auf einem Lkw
zum Zielort gebracht, und die Kunden fahren mit der
Bahn. Zugegeben, das ist nicht die ökologischste Lösung. Aber für die Bedürfnisse der Kunden und Kundinnen könnte das eine Lösung sein, zum Beispiel: für das
ältere Ehepaar, das mir geschrieben hat, sie möchten,
dass ihnen ihr vertrautes Fahrzeug am Urlaubsort zur
Verfügung steht, aber sie würden die lange Autofahrt
scheuen, oder für die Familie mit kleinen Kindern, die
relativ entspannt mit dem Zug fahren möchte, während
das Auto mit dem Gepäck pünktlich an den Urlaubsort
gebracht wird.
Ob sich dieses Angebot durchsetzen wird, ist noch
nicht sicher. Daher wird die Bundesregierung weiterhin
in engem Kontakt mit der Bahn bleiben, um zu bedarfsgerechten Lösungen zu kommen, und zwar ohne ideologische Scheuklappen. Das ist der Unterschied zwischen
verantwortungsvoller Regierungsarbeit und Schaufensteranträgen, denen wir nicht zustimmen werden.
Herzlichen Dank.
({0})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Fritz
Güntzler, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich werde mich lediglich dem Antrag der Linken zur Mehrwertsteuerreduktion im Schienenpersonenfernverkehr aus Sicht eines Finanzpolitikers zuwenden.
Dem Antrag der Linken liegt die Annahme zugrunde,
es gebe erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen
Bahn- und Flugverkehr.
({0})
Als Begründung hierfür führen Sie die unterschiedliche
Besteuerung der beiden Verkehrsträger an.
({1})
Da stellt sich die Frage: Stehen Bahn- und Flugverkehr
wirklich in erheblicher Weise in einem Wettbewerb zueinander? Meines Erachtens, meine Damen und Herren,
wird in dem Antrag übersehen, dass die deutschen Fluggesellschaften nicht in erster Linie im Wettbewerb zur
Deutschen Bahn stehen - die Konkurrenten deutscher
Fluggesellschaften sind die internationalen Fluggesellschaften vom Bosporus oder vom Persischen Golf, und
es kann nicht unsere Aufgabe sein, neue Wettbewerbsnachteile für die deutsche Luftverkehrswirtschaft zu
schaffen.
({2})
Die Bahn ist nicht Wettbewerber der Fluggesellschaften, sondern häufig ein wichtiger Kooperationspartner;
exemplarisch nenne ich das Projekt „Rail&Fly“ oder
„Zug zum Flug“. Wenn Sie mir das nicht glauben - das
entnehme ich Ihren Reaktionen -, können Zahlen Ihnen
vielleicht ein wenig helfen, zu einer anderen Überzeugung zu kommen: Der Schienenverkehr findet zu
99 Prozent national statt, der Luftverkehr dagegen nur zu
20 Prozent. Passagiere, die in Deutschland ein Flugzeug
besteigen, legen im Durchschnitt 2 200 Kilometer zurück, Bahnreisende dagegen durchschnittlich nur
280 Kilometer. Wir sprechen hier also von völlig verschiedenen Verkehrsträgern. Die Zahl - das ist auch
ganz interessant - der nationalen Flugreisenden stagniert
derzeit, während die Zahl der nationalen Bahnfahrten in
den Jahren von 2006 bis 2013 um 10 Prozent gestiegen
ist, was ja grundsätzlich eine positive Sache ist. Sie sehen also, meine Damen und Herren von der Linken, die
Grundannahme Ihres Antrags ist schon falsch.
({3})
Sie von den Linken lassen auch völlig außer Acht,
dass das Finanzierungssystem, das dem Flugverkehr zugrunde liegt, völlig anders ist als das im Bahnverkehr:
Der Luftverkehr kommt für seine Infrastrukturkosten
- über Luftsicherheitsgebühren, Flugsicherungskosten
oder Flughafenentgelte - grundsätzlich vollständig selber auf.
({4})
Beim Schienenverkehr sieht das anders aus: Die dort anfallenden Entgelte reichen nicht ansatzweise aus, um die
Kosten für Bau und Erhalt der Infrastruktur zu decken.
Allein im Jahr 2011 sind, beispielhaft, dafür fast 4 Milliarden Euro ausgegeben worden. Sie vergleichen also in
Ihrem Antrag - gleich in der Prämisse - Äpfel mit Birnen.
({5})
Dies vorausgeschickt möchte ich kurz auf die Forderungen der Linken im Einzelnen eingehen:
Sie wollen erstens, dass wir die Bundesregierung
dazu auffordern, den Mehrwertsteuersatz für Tickets im
Bahnfernverkehr analog zum Nahverkehr von 19 Prozent auf 7 Prozent zu reduzieren, und das bereits ab dem
1. Juli dieses Jahres. Als Finanzpolitiker möchte ich Sie
darauf aufmerksam machen, dass es dafür eine Gesetzesänderung braucht, weil es im Umsatzsteuerrecht keine
Verordnungsermächtigung in entsprechender Weise gibt.
Wir müssten also ein Gesetzgebungsverfahren einleiten.
Auch übersehen Sie meines Erachtens, dass im Mehrwertsteuerrecht das sogenannte Neutralitätsprinzip gilt
und die anderen Verkehrsträger bei der Personenbeförderung - wie zum Beispiel die Fernbusse, die schon genannt worden sind - somit ebenfalls die geforderte Privilegierung genießen müssten. Nach Berechnungen des
Bundesfinanzministeriums würde das summa summarum zu Steuermindereinnahmen von über 1 Milliarde
Euro, eher 1,4 Milliarden Euro, führen.
Zweitens fordern Sie, auf alle von Deutschland ausgehenden und nach Deutschland eingehenden grenzüberschreitenden Flüge den vollen Mehrwertsteuersatz von
19 Prozent zu erheben. Man hat in dieser Diskussion
teilweise das Gefühl, dass überhaupt keine MehrwertFritz Güntzler
steuer für Flüge gezahlt wird. Deswegen möchte ich nur
nebenbei erwähnen: Für Inlandsflüge gilt dieser Satz von
19 Prozent. Sie begründen Ihren Antrag unter anderem
auch mit den erwarteten Mehreinnahmen von 3,5 Milliarden Euro; Sie haben diese Zahl dem Bericht des Umweltbundesamtes entnommen. Ich möchte Sie darauf
hinweisen, dass selbst in diesem Bericht festgestellt
wird, dass diese Summe voraussetzen würde, dass die
gesamte Strecke besteuert wird. Wir dürfen aber aufgrund von rechtlichen Gegebenheiten - ob Chicagoer
Abkommen oder EU-Richtlinien - nur den Teil besteuern, der in Deutschland liegt. Und Sie haben völlig vergessen, dass die Geschäftsreisenden logischerweise auch
noch einen Vorsteuerabzug geltend machen können, sodass man realistischerweise auf eine Höhe von circa
80 Millionen Euro käme, wie es die Bundesregierung Ihnen in einer entsprechenden Bundestagsdrucksache
schon dargestellt hat.
Außerdem wäre die Erhebung dieser Steuer mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden, weil bei
jedem Flug neu ermittelt werden müsste, wie viele Kilometer tatsächlich - und das für unterschiedliche Flugrouten; denn sie können sich ja durch Windverhältnisse ändern - über deutschem Hoheitsgebiet zurückgelegt
worden sind. Sie wollen also auch damit wieder Wettbewerbsnachteile für die Luftverkehrswirtschaft in
Deutschland schaffen. Da machen wir nicht mit.
({6})
Drittens fordern Sie - der Kollege Fischer hat es angesprochen -, zum Ausgleich die Luftverkehrsteuer zu
novellieren. Meines Erachtens würde es dadurch - das
haben wir schon bei der Einführung der Luftverkehrsabgabe gesehen - zu einer weiteren Verlagerung des Flugverkehrs weg von deutschen Flughäfen und deutschen
Airlines hin zu den internationalen Wettbewerbern und
Flughäfen im Ausland kommen. Wer beispielsweise das
Glück hat - wie ich höre -, in Baden-Württemberg zu
wohnen - ich bin ja nun Niedersachse -, wird einen größeren Anreiz haben, statt von Stuttgart von Zürich aus zu
fliegen. Wer bisher via Frankfurt geflogen ist, wird eher
Amsterdam oder Istanbul als Drehkreuz wählen. Das
würde unserer international orientierten Wirtschaft nur
schaden, und das Ziel - die Senkung der CO2-Emissionen - wird es letztendlich auch nicht erreichen helfen,
weil die Flüge ja doch stattfinden, sie starten nur woanders.
Meine Damen und Herren, wir lehnen deshalb diesen
Antrag ab. Er verkennt, dass Bahn- und Flugverkehr völlig unterschiedliche Finanzierungssysteme zugrunde liegen. Er zieht daher auch die falschen Schlussfolgerungen und verkennt die negativen Auswirkungen auf die
Luftverkehrswirtschaft, die durch steuerliche Insellösungen herbeigeführt werden würden.
Den Vorwurf der mangelnden Wertschätzung der
Bahn weise ich zurück. Ich gehe gleich zum Bahnhof.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Andreas Schwarz.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
Güntzler, wir werden uns dann gleich am Hauptbahnhof
Berlin sehen, wie wir das schon öfter am Freitag erlebt
haben.
Was für ein schönes Thema, mit dem wir diese Sitzungswoche beenden dürfen.
({0})
Denn - Sie haben es gerade mitbekommen - auch ich
bin bekennender Bahnfahrer. Wenn ich nach Berlin
komme, dann stets mit der Bahn von Bamberg nach Berlin in gut vier Stunden; mit dem Flugzeug wäre ich, von
Haustür zu Haustür gerechnet, auch nicht schneller.
Die Bahnfahrt hat natürlich auch Vorteile; das haben
wir heute hier gehört. Bahnfahren ist leiser, komfortabler, vielfältiger und auch deutlich umweltfreundlicher.
Der Energieverbrauch ist vergleichsweise niedrig, und
zumindest für die Personenzüge gilt, dass auch der
Emissionsschutz gegeben ist; beim Güterverkehr ist das
leider noch nicht ganz gelungen.
Aber die Bahn ist nicht nur umweltfreundlich und
komfortabel, sondern auch ein wunderbarer Ort, um in
Ruhe zu arbeiten, Akten zu wälzen und sich intensiv mit
Anträgen der Linken zu befassen. Wenn die Bürgerinnen
und Bürger Ihren Antrag lesen würden, dann würden sicherlich viele auf den ersten Blick sagen: Jawohl, das
machen wir; tolle Idee! Das klingt doch alles prima.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, als
Finanzpolitiker - diese Brille muss ich jetzt hier aufsetzen - schaue ich Ihren Antrag natürlich etwas anders an,
und leider muss ich Ihnen einen gewaltigen Schluck
Wasser in das schöne Glas Wein gießen.
Ganz zu Beginn möchte ich etwas zur Begründung
Ihres Antrages sagen, bezogen auf etwas, wovon wir alle
in diesem Hohen Haus wegkommen sollten. Je nach
politischer Großwetterlage und je nachdem, wie es in die
Argumentation passt, bedienen wir uns bei verschiedensten Debatten internationaler Steuersätze: Mal ziehen wir
sie zum Vergleich heran, eine Debatte später kritisieren
wir die Unterschiedlichkeit in Europa. Unterm Strich
kann man eins festhalten: Es schafft weder Vertrauen,
noch ist es sonderlich glaubwürdig, was hier zum Teil
gemacht wird.
Wenn Sie die deutschen Mehrwertsteuersätze mit denen von Großbritannien, Irland oder Luxemburg vergleichen wollen und jene auch noch als vorbildlich darstel8794
len, dann sollten Sie offen und ehrlich auch benennen,
welche Konsequenzen solche Mehrwertsteuersätze für
die Einnahmesituation im Bund, in den Ländern und vor
allen Dingen in den Kommunen hätten. Diese partizipieren nämlich alle an den Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Sie als Linke sind ja in einigen Ländern in Regierungsverantwortung, und auch in vielen Kommunen
gestalten Sie mit. Mein Rat: In der Argumentation mit
Mehrwertsteuersätzen sollte man allerhöchste Vorsicht
walten lassen. Fragen Sie einmal die Kolleginnen und
Kollegen von der FDP!
({2})
Was spricht eigentlich gegen Ihre Forderung, ab dem
1. Juli 2015 einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für
den Schienenfernverkehr einzuführen? Einige Anmerkungen hierzu: Ein verringerter Mehrwertsteuersatz suggeriert nach außen erst einmal sinkende Fahrpreise. Sie
spielen mit dieser Fata Morgana in Ihrer Antragsbegründung. Ich sage Ihnen aber, dass das nicht funktioniert.
Dadurch mag zwar die Rentabilität geringfügig steigen;
davon wird aber bei den Bahnfahrerinnen und Bahnfahrern in unserem Land nichts ankommen.
({3})
Dieses Argument war schon beim Geschenk der FDP
an die Mövenpicks dieser Welt falsch und wird hier und
heute nicht richtiger. Wie schwer es ist, solche Fehlentscheidungen rückgängig zu machen, wissen natürlich
auch Sie. In der Realität erzeugen Sie keine Entlastung
im Geldbeutel der Menschen dieses Landes, sondern lediglich eine Entlastung der Konzernbilanz der Deutschen Bahn. Steuerrabatte werden von Unternehmen einbehalten und nicht an die Kunden weitergegeben.
Ich empfehle dazu einen ernsthaften Blick in die gutgemeinte Petition 8201 aus der letzten Legislaturperiode
zum gleichen Thema. In der Antwort des Petitionsausschusses wird ganz klar aufgezeigt, dass die Welt eben
nicht so einfach ist, wie es sich hier einige offenbar vorstellen. Denn auch das EU-Recht macht einen isolierten
Mehrwertsteuerrabatt für den Schienenverkehr faktisch
unmöglich. Sie würden nämlich gegen die Diskriminierungsfreiheit verstoßen. Würden wir diesem Antrag also
hier zustimmen, müssten wir den Mehrwertsteuersatz
folglich auch für alle anderen Verkehrsträger absenken,
also auch für Fernbusse und Taxis, aber auch für den
Flugverkehr im Inland. Damit wäre Ihr Antrag ja letztendlich ad absurdum geführt.
In der Begründung des Petitionsausschusses heißt es
daher: Die isolierte Absenkung des Umsatzsteuersatzes
nur für den Schienenverkehr ist unzulässig. - Ihr Antrag
würde außerdem einen Ausfall von circa 1,1 Milliarden
Euro an Steuergeldern bedeuten. Weder eine positive
umweltpolitische noch eine positive verkehrspolitische
Lenkung wären gegeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, wir
lehnen Ihren Antrag demnach aus mindestens drei Gründen ab: Erstens. Ihr Antrag verbessert nur Konzernbilanzen. Zweitens. Ihr Antrag bedeutet keine Verbesserung
für die Menschen und deren Geldbeutel. Drittens. Ihr
Antrag brächte eher Schaden als Nutzen für Natur und
Umwelt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Vielen Dank. - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Michael Donth, CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn eines vorwegnehmen: Ich halte Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, für einen Schaufensterantrag, der vor
allem unternehmerisches Denken und strukturelle Weitsicht vermissen lässt. Er ist außerdem überholt. Nicht jeder Antrag, Frau Leidig, der zur Jahrhundertwende noch
richtig war, muss auch heute noch, 14 Jahre später, richtig sein.
({0})
Sie beschwören in Ihrem Antrag ein Szenario herauf,
als würden das gesamte Bahnnetz und der komplette
Reiseverkehr plötzlich zum Erliegen kommen. Sie
schreiben, dass das Eisenbahnsystem als solches infrage
gestellt wird. Das ist, mit Verlaub, schlichtweg Blödsinn.
Es wird aufgrund eines derzeit defizitären Nachtzugverkehrs eine Umgestaltung dieses Segmentes mit Schwerpunktsetzung geben müssen. Daran arbeitet die Deutsche Bahn AG bereits. Eine völlige Abschaffung soll
und kann es nicht geben. Auch der Autozug wird nicht
komplett abgeschafft. Derzeit läuft das Pilotprojekt der
DB namens „Auto + Zug“, das wohl, wie man hört, bei
den Reisenden gut ankommt.
Die Nachfrage bestimmt das Angebot; das ist Realität
in der Marktwirtschaft. Die Deutsche Bahn AG ist, wie
es ihr Name schon sagt, eine Aktiengesellschaft und kein
gemeinnütziger Verein und erst recht keine Staatsbahn
mehr. Diese AG hat die Aufgabe, den Fernverkehr eigenwirtschaftlich zu betreiben. Der Bund gewährleistet
dies. Die DB allein trägt dabei die unternehmerische
Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit ihres Dienstleistungsangebotes. Ich zitiere:
Vor diesem Hintergrund hat die DB Fernverkehr
AG entschieden, … verlustbringende Verbindungen
aufzugeben. Der Großteil der Verbindungen bleibt
jedoch bestehen und wird weiterentwickelt.
So hieß es in der Stellungnahme vonseiten der DB AG in
der Anhörung des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur.
Auch in einem Gespräch zwischen der Kollegin
Daniela Ludwig, dem Kollegen Matthias Lietz und mir
hat uns Herr Grube von der DB AG gestern nochmals
versichert, dass es sich definitiv nicht um einen Totalausstieg aus diesem Segment handeln wird. Natürlich ist
es bedauerlich, wenn ein Status quo nicht mehr gehalten
werden kann und wenn liebgewonnene Angebote entsprechend reduziert werden müssen. Aber stagnierende
Einnahmen und Verluste in zweistelliger Millionenhöhe
in diesen Sektoren sprechen eben eine deutliche Sprache.
Sie führen in Ihrem Antrag die goldenen Zeiten von
1852 an, in denen es romantische Nachtzugverkehre gab,
oder die Zeiten vor 60 Jahren, als die ersten Autoreisezüge verkehrten. Aber wir leben nun einmal im Hier und
Heute, und wir müssen uns den Herausforderungen der
heutigen Zeit und den Anforderungen an unsere Zukunftsfähigkeit stellen.
Nehmen Sie deshalb zur Kenntnis, dass sich das Reiseverhalten der Menschen in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert hat. Nehmen Sie auch zur Kenntnis,
dass sich auch die Bahnwelt und die Kostenstruktur in
ganz Europa ebenfalls verändert haben. Die Bahn wäre
schlecht beraten, wenn sie darauf nicht reagieren würde,
wenn sie Geld verbrennen würde, das sie anderweitig
erwirtschaften muss. Wir leben heute nicht mehr in einem
Zeitalter, in dem Nacht- oder Autoreisezüge zu den
Hauptverkehrsmitteln gehören. Die Formen der Mobilität
haben sich grundlegend gewandelt und sind vielfältiger
geworden. Heute gibt es Hochgeschwindigkeitsverbindungen, Flugverbindungen, Fernbusse, Mitfahrzentralen, eigene Pkws in größerer Anzahl und vieles mehr,
womit die Urlauber unterwegs sind.
Im europäischen Verkehr geht es auch um die Gesamtkosten einer Linie. Wenn beim Bahnverkehr von
Berlin nach Paris in Frankreich 70 Prozent höhere Kosten anfallen, wenn steigenden Betriebskosten stagnierende Einnahmen gegenüberstehen, wenn überalterte
Schlafwagenwaggons verlustbringend repariert werden
müssen oder wenn neu zu beschaffende Waggons abschreibungsbedingt zu höheren Kosten führen würden,
dann müssen wir uns alle miteinander dieser Realität
stellen. Das können wir nicht kleinreden. Auch die saisonale Häufung der Nachfrage bedingt geradezu, dass die
Wirtschaftlichkeit schwieriger ist als bei anderen Angeboten.
Es ist weder im Interesse des Wettbewerbs noch im
Interesse der Kunden, dass der Fahrkartenkäufer zum
Beispiel für die Verbindung Reutlingen-Berlin den
Wunsch mancher Nostalgiker nach Nachtzugverbindungen von München nach Paris subventioniert. Auch die
Fernbusnachtverbindungen haben sich in kürzester Zeit
als flexible und günstige Alternative zum Nachtzug entwickelt. Sie bilden mittlerweile ein viel dichteres Netz
bei günstigeren Preisen. Sie sind damit für den preissensiblen Reisenden offensichtlich attraktiver.
Das deutsche Schienennetz ist dasjenige in Europa,
das am stärksten dem Wettbewerb geöffnet ist. Da wundert es mich schon, dass kein Mitbewerber aus dem Inoder Ausland hier tätig wird, wo doch das Anbieten von
Nacht- und Autoreisezugverbindungen so attraktiv sein
soll, wie Sie argumentieren. Aber grundsätzlich stimme
ich Ihnen sogar in einem Punkt zu: Die DB AG wird den
Markt kritisch prüfen, bewerten und, falls notwendig,
selbstverständlich Entscheidungen korrigieren. Aber dafür brauchen wir Ihren Antrag nicht.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 22 a. Interfraktionell wird die Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 18/4186 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Abstimmung über Tagesordnungspunkt 22 b. Die
Vorlage auf Drucksache 18/3746 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Strittig ist jedoch die Federführung. Die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim
Finanzausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt.
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit
den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 c. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen
stoppen - Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/4080, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/2494 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen?
- Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen
die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Perspektiven für Klimaschutz und Energieeffizienz nach Absage der Bundesregierung
an einen Steuerbonus für eine energetische
Gebäudesanierung
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei 70 Prozent unseres Gebäudebestandes besteht Bedarf an energetischer Sanierung. Wenn wir es nicht in allernächster Zeit schaffen, jährlich 2 bis 3 Prozent dieser
Sanierungen abzuarbeiten, dann können wir alle Klimaschutzziele und auch die Energiewende im Wärmebereich vergessen. Das ist die Herausforderung, der wir
uns stellen müssen.
({0})
Die energetische Gebäudesanierung ist wirklich mehr
als nur das Dämmen mit Styropor. Sie nutzt nicht nur
dem Klimaschutz, sondern schafft auch Zehntausende
Arbeitsplätze in Handwerk und Bauindustrie. Sie verbessert außerdem die Substanz von Wohngebäuden, wovon die Mieter und die Gebäudeeigentümer etwas haben,
und reduziert die Multi-Milliarden-Euro-Rechnungen
von Herrn Putin und anderen Despoten, die wir jedes
Jahr begleichen müssen. Deshalb und vor allen Dingen
auch wegen des Klimaschutzes müssen wir uns um dieses Thema kümmern. Es muss ganz oben auf der Agenda
stehen.
({1})
Gut ist, dass es in Deutschland seit langem einen
Konsens darüber gibt, dass die Potenziale der energetischen Gebäudesanierung nur zu erschließen sind, wenn
wir die notwendigen staatlichen Anreize geben. Ich
muss Ihnen offen sagen: Ich habe die Große Koalition
gelobt - und ich bin nicht bekannt dafür, dass ich sie oft
lobe -, als sie im Rahmen der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz, dem NAPE, gesagt
hat: Ja, wir nähern uns dem Thema „Steuerbonus für
energetische Gebäudesanierung“ noch einmal. Wir versuchen, ihn einzuführen, weil alle Studien, die uns vorliegen, belegen, dass er ein wirklicher Anreiz sein
könnte.
Die Hochglanzbroschüre im Wirtschaftsministerium
war noch nicht gedruckt, als plötzlich verkündet wurde
- da sind wir alle vom Stuhl gefallen -: Nein, die CSU
macht da nicht mit. Herr Seehofer will das nicht. - Wo
sind wir denn, meine Damen und Herren, angesichts eines politischen Konsenses?
({2})
Ich frage mich schon - Herr Gabriel, es ist gut, dass
Sie hier sind -, ob man mit der Großen Koalition Mitleid
haben muss. Denn all das, was in diesem Land sinnvoll
ist, wird von der CSU blockiert. Überall dort, wo es einen Konsens gibt, steht Herr Seehofer auf der Bremse.
Das, was irre und verrückt ist, kommt von der CSU und
wird durchgedrückt. Es ist eine Schande, dass die Große
Koalition eine solche Politik mit sich machen lässt.
({3})
Völlig absurd ist die Begründung, die nun hinterhergeliefert wird: Es wird gesagt, die Kürzung des Handwerkerbonus, den man von der Steuer absetzen kann,
von 1 200 Euro auf 900 Euro zur Gegenfinanzierung sei
nicht verantwortbar. Meine Damen und Herren, es werden nicht weniger Handwerkerrechnungen gestellt und
bei der Steuer eingereicht, wenn die Höhe des Handwerkerbonus reduziert wird. Das ist kein Argument dafür,
ein Thema wie die energetische Gebäudesanierung zu
versenken.
({4})
Die CSU treibt es sogar noch absurder. Im Bundesrat
wurde ein Antrag des Landes Bayern eingebracht, den
ich nur so verstehen kann, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, diesen Steuerbonus aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Meine Damen und Herren, die
anderen 15 Länder werden mit dieser Finanzierungsform
kein Problem haben. Wir haben auch kein Problem damit. Aber wer, verdammt noch mal, regiert denn hier in
Deutschland? Wer ist denn Teil der Großen Koalition?
Liebe CSU, beantragen Sie das nicht im Bundesrat, sondern setzen Sie das hier in der Großen Koalition durch!
({5})
Ich sage Ihnen: Die Politik von Herrn Seehofer im
Bundesrat - etwas zu beantragen, was er dann selbst im
Koalitionsausschuss der Großen Koalition verhindert ist Bananenrepublik im Lederhosenformat. Das kann
einfach nicht sein.
({6})
Ich sage Ihnen auch: Damit ist nicht nur die Einführung
eines Steuerbonus gescheitert; denn er ist das zentrale
Element von Klimaschutz und Energiewende dieser
Bundesregierung.
Wenn das nicht mit dem Handwerkerbonus gegenfinanziert werden soll, meine Damen und Herren, dann
können wir gerne über andere Vorschläge reden. Ich
hätte die Mövenpick-Steuer anzubieten. Die können wir
gerne zur Gegenfinanzierung einsetzen. Lassen Sie das
an dieser Stelle aber bitte nicht scheitern. Wenn Sie das
nicht wollen, dann machen Sie bitte andere Vorschläge.
({7})
Zum Schluss möchte ich sagen: Hunderttausende
Hausbesitzer, Handwerker, die Bau- und die Heizungsindustrie warten auf diesen Steuerbonus. Die Ankündigung des Steuerbonus durch die Große Koalition hat zu
Attentismus geführt, sodass Investitionen verschoben
worden sind. Jeder Förder-Euro, den wir in diesem Bereich investieren, löst Investitionen von 7 bis 8 Euro aus.
Das ist ein unabhängiges und gutes Konjunkturprogramm.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
das richte ich jetzt an alle, an CDU, CSU und SPD:
Wenn Sie das trotz des politischen Konsens nicht hinbekommen, dann haben Sie in diesem Land als Koalition
Ihre Existenzberechtigung verloren.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege
Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Krischer, das war ein ganz gezielter Versuch, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Das wissen Sie ganz genau.
({0})
Wir, die Große Koalition, die Fraktion der CDU/CSU,
stehen zur steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung, und zwar ohne Wenn und Aber.
({1})
Es gibt ein altes, lang und vielfach debattiertes, verhandeltes Angebot an die Länder. Die Länder sind aber
natürlich bauernschlau. Sie wollen eine doppelte Kompensation. Die Länder sagen: Wir machen das über den
Handwerkerbonus. Dann kommt bei uns schon einmal
ein fettes Plus an, wenn wir diesen so reduzieren, wie
Sie es beschrieben haben. Hinzu kommt die Kompensation durch den Steuerbonus mit seiner konjunkturellen
Wirkung. Dann haben wir noch einmal ein Plus gemacht. - Das hat der Kollege Krischer auch gerade beschrieben.
({2})
Meine Damen und Herren, das kann so nicht sein.
({3})
Anstatt hier so einen Auftritt hinzulegen, hätten Sie
besser einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in
den Länderregierungen gesprochen.
({4})
Diesen hätten Sie sagen sollen, dass man nicht nur Sonntagsreden halten und sagen kann, wie wichtig der Klimaschutz ist. Man kann doch nicht die Welt retten wollen,
aber keinen Cent dafür in der Tasche haben. Das geht
doch nicht, Herr Krischer.
({5})
Die große Frage ist doch, wofür die Länder stehen.
Sie sagen zwar, dass sie dem Klimaschutz erste Priorität
einräumen, stellen aber keine Haushaltsmittel hierfür bereit. Das geht so nicht. Die Länder müssen jetzt endlich
auf dieses Angebot eingehen und mitmachen.
({6})
Wir laden Sie ein. Sie machen stattdessen am Freitagnachmittag diese Haltet-den-Dieb-Debatte und tun so,
als ob es am bayerischen Ministerpräsidenten liegen
würde, dass es an dieser Stelle nicht weitergeht.
({7})
Natürlich muss Ministerpräsident Seehofer ein bisschen weiterdenken als der eine oder andere Lobbyist, der
nur seine Branche im Kopf hat. Das haben wir anhand
der Kritik erlebt.
({8})
Erstens. Der Handwerkerbonus ist seinerzeit gezielt
zur Vermeidung von Schwarzarbeit eingeführt und auch
auf dieser Grundlage berechnet worden. Aufgrund der
Berechnung kann man da nicht einfach Abstriche machen.
({9})
Zweitens muss er daran denken, dass vom Handwerkerbonus eine Menge Gewerbe profitiert. Sie jedoch
wollen das auf einige wenige Gewerbe konzentrieren.
Drittens - auch das muss man deutlich formulieren -:
Vom Handwerkerbonus profitieren nicht nur die Vermieter, sondern auch die Mieter. Die Mieter würden Sie jetzt
davon ausnehmen. Für diese machen Sie jetzt eine Steuererhöhung. Das ist eine ganz neue Masche von Ihnen.
Ich nehme das zumindest einmal zur Kenntnis und
nehme an, dass auch die Bürgerinnen und Bürger zur
Kenntnis nehmen werden, was Sie da tun.
({10})
Ich glaube, dass wir diese Verhandlungen weiter fortsetzen müssen. Die Förderung nur über KfW-Zuschüsse
halte ich persönlich, ganz offen gesagt, für zu wenig. Ich
stehe zur steuerlichen Förderung des Ganzen.
({11})
Ich appelliere nochmals sehr deutlich an die Länder,
sich einen Ruck zu geben und sich klarzumachen, dass
über diesen Hebel letztendlich auch Geld bei ihnen ankommen wird. Bereits bei einem Förderhebel von 1 : 6
würde sich die 1 Milliarde Euro rechnen. Die Wissenschaftler prognostizieren einen Hebel von 1 : 12. Also
könnten damit auch die Länder ein steuerliches Geschäft
machen. Ich verstehe nicht, warum es denen so schwerfällt, an dieser Stelle einzuschlagen.
Ich möchte auch noch einmal deutlich sagen: Wenn
wir das machen - egal ob über die KfW oder über die
steuerliche Förderung -, dann müssen wir uns noch einmal Gedanken über die genaue Ausgestaltung machen.
Ich glaube schon, dass es wichtig ist, an dieser Stelle
Prioritäten zu setzen - Stichwort „Heizungssanierung“,
Stichwort „Fenster“. Der Idee, ganz Deutschland in Styropor zu packen, stehe ich aber ganz offen kritisch gegenüber.
({12})
Ich würde mir wünschen, dass die Grünen, die hier
normalerweise auch entsprechend skeptisch sind, etwas
dazu sagen,
({13})
dass sie das entsprechend formulieren und Position zu
den inhaltlichen Fragen beziehen.
({14})
Ansonsten bitte ich Sie dringend: Lobbyieren Sie bei
den Ländern! Machen Sie hier keine Showveranstaltung!
Behaupten Sie nicht, die anderen seien schuld! Diejenigen, die in den Ländern regieren
({15})
- ich meine insbesondere die Regierungen, an denen die
Grünen beteiligt sind -, sind verantwortlich dafür, auch
einmal die Tasche aufzumachen und etwas für den Klimaschutz zu tun, statt nur flache Reden zu halten.
({16})
Vielen Dank. - Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die
Linke, hat jetzt das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bürgerinnen und Bürger geben heute für das Heizen
und für Warmwasser 10 Milliarden Euro im Jahr mehr
aus als noch vor zehn Jahren. 40 Prozent des Energiebedarfs in Deutschland entfällt auf den Gebäudebestand.
Trotzdem sind die Gebäude weiterhin nicht auf der
Höhe der Zeit. Über die Hälfte aller Fassaden und mehr
als ein Drittel aller Dächer älterer Gebäude haben keine
Dämmung. Mehr als jede zweite Heizungsanlage wurde
vor 1997 eingebaut. - Das hat in dieser Woche die Deutsche Energie-Agentur gesagt.
Auch die Koalition scheint nicht ganz auf der Höhe
der Zeit zu sein.
({0})
Ich sage Ihnen: Dieses Hickhack in der Regierung muss
aufhören. Das versteht kein Mensch da draußen. Fragen
Sie doch einmal die Leute! Sie wollen nämlich Taten
und Erfolge sehen. Es tut sich aber nichts.
({1})
Es gibt wirklich keinen schlechteren Moment als
jetzt, den Steuerbonus für die energetische Gebäudesanierung auszubremsen. Bei den Bestandssanierungen beklagt die Dämmstoffbranche nach einem Minus von
4 Prozent im Vorjahr einen weiteren Umsatzrückgang
um fast 9 Prozent. Das hat allerdings auch etwas mit billigem Heizöl und Risiken bei den Dämmstoffen zu tun.
Der Heizungsmarkt stottert ebenfalls. 2014 verkaufte
die Branche 4 Prozent weniger als 2013, und der Anteil
der erneuerbaren Energien im Wärmebereich stagniert
derweil bei 9,9 Prozent.
Das alles sind Alarmsignale, die wir nicht einfach
ignorieren dürfen. Wir brauchen eine Sanierungsquote
von mindestens 2 Prozent; das wurde schon gesagt. Seit
Jahren liegen wir aber unter diesem Wert. Jetzt streiten
Sie, und währenddessen wird die Erderwärmung sicher
keine Pause einlegen, sondern natürlich weitergehen.
An dieser Stelle möchte ich einmal klar sagen, warum
der Ärger bei uns Linken so groß ist: Die Bundeskanzlerin persönlich hat der Öffentlichkeit den Steuerbonus
versprochen,
({2})
und zwar Ende letzten Jahres, am 11. Dezember 2014,
nach ihrem Treffen mit den Länderchefs. Wenige Tage
davor war die steuerliche Förderung auch in den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz und das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 aufgenommen worden.
Ich erinnere mich noch, dass Ministerpräsident
Haseloff aus Sachsen-Anhalt gleich nach der Spitzenrunde den Durchbruch ausgerufen hat. Endlich, nach
Jahren der Verhandlungen, sei man so weit - Zitat -,
„dass dieses Gesetz im nächsten Jahr … auf den Weg gebracht wird“. 40 Petajoule Energieeinsparung sollte der
Steuerbonus bis 2020 bringen. Das wäre ja schon einmal
nicht schlecht.
Nur 100 Tage hat es dann aber gedauert, bis eine der
wichtigsten Säulen des Klimaplans weggebrochen ist.
Ich finde, das geht überhaupt nicht; das können wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({3})
Mit dem Umweltausschuss war ich auf der UN-Klimakonferenz in Lima; einige waren dabei. In Gesprächen haben Kollegen aus Dänemark nicht nur über die
Massivbauweise der deutschen Häuslebauer geschmunzelt und uns darauf hingewiesen, wir würden unökologisch und teuer für die Ewigkeit bauen: viel Stein statt
Holz. Vor allem aber haben sie darüber berichtet, wie
man Gebäudeeffizienz richtig machen kann. Am selben
Tag hat übrigens Umweltministerin Hendricks vor der
Weltgemeinschaft erklärt, dass Deutschland in Sachen
Klimaschutz Wort hält. - Haha!
Ich finde es schädlich, was die Große Koalition hier
für ein Bild abgibt. Ich frage mich: Was ist da los? Lassen sich SPD und CDU von Bayern an der Nase herumführen? Oder wollte Herr Oppermann Herrn Seehofer
nur auflaufen lassen? Hat dessen Festhalten am Handwerkerbonus zur Absage an das ganze CO2-Gebäudesanierungsprogramm geführt? Das sagt jedenfalls die
Staatskanzlei in München. Wie auch immer: Die Öffentlichkeit tappt im Dunkeln. Ich finde, das geht überhaupt
nicht. Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, was da los ist.
Auf der internationalen Ebene wird es ganz schwierig. Wenn die Energiewende im Gebäudebereich in
Deutschland scheitert, ob an Regionalpolitikern oder an
Koalitionsgezänk: Wie sollen wir da vom Rest der Welt
glaubhaft einfordern, sich der globalen Energiewende
anzuschließen, meine Damen und Herren?
Wir sagen: Steuerliche Förderung ist ein geeignetes
Instrument. Auch der Handwerkerbonus macht für viele
Sinn. Ich bin der Meinung, dass auch Eigentümer mit einem geringen Einkommen vom Handwerkerbonus profitieren sollten. Das kommt für Sie leider nicht infrage.
Diese Förderung können nur Eigentümer ab einem bestimmten Einkommen in Anspruch nehmen. Aber auch
andere haben ein Recht darauf.
Herr Krischer hat gesagt: Wir können Putin dadurch
bekämpfen, indem wir weniger Öl und Gas kaufen. Dazu kann ich nur sagen: Führen Sie doch einmal im
Gebäudebereich Krieg, und sanieren Sie. Nehmen Sie
die Gelder aus der Rüstungskasse. Das wäre wirklich
sinnvoll.
({4})
Dann hätten wir genügend Geld, sowohl zur Finanzierung des Handwerkerbonus als auch für die anderen
Dinge. Da muss man gucken, wie man das Geld verteilt.
Sie alle miteinander wollen das offensichtlich nicht. Das
ist einfach schädlich.
({5})
Vielen Dank. - Für die Bundesregierung spricht jetzt
der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Hier ist der Streit angesprochen worden. Ich
denke, wir müssen Lösungen präsentieren. Eine Lösung
heißt, dass wir etwas für die Umwelt tun. Ich glaube, es
liegt im Interesse des ganzen Hauses, dass wir alle uns in
Deutschland in der Frage der CO2-Gebäudesanierung
anstrengen. Ich denke, das, was in der jüngsten Vergangenheit erreicht worden ist, ist handwerklich eine gute
Leistung. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Menschen das CO2-Gebäudesanierungsprogramm annehmen.
Nun gibt es zurzeit die Diskussion darüber, ob wir uns
in der Frage der steuerlichen Förderung einigen. Momentan hakt es da noch ein wenig. Das ist bedauerlich,
sage ich an dieser Stelle. Ich höre aus den Reihen der
Koalition das Signal, dass man eine Einigung will. Ich
sage hier: Das Bundeswirtschaftsministerium ist dafür
absolut offen. Wir sind gerne bereit, diesen Prozess zügig anzugehen und umzusetzen.
Aber ich will an dieser Stelle auch in aller Deutlichkeit sagen: Die staatliche Förderung der energetischen
Gebäudesanierung ist damit nicht vom Tisch. Die Gebäudesanierung stellt einen wichtigen Baustein im Rahmen der Energiewende dar.
({0})
Das ist und bleibt unser Weg zu einer sicheren, sauberen
und bezahlbaren Energieversorgung.
Wir sind dabei - auch das will ich an dieser Stelle sagen -, die Steigerung der Energieeffizienz in Deutschland entschlossen anzupacken.
({1})
Das lässt sich auch daran erkennen, dass wir zu keinem
Zeitpunkt mehr Mittel für die CO2-Gebäudesanierung
zur Verfügung gestellt haben als momentan.
({2})
Dass das einige in der Berichterstattung über die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung
gerne unterschlagen, will ich an dieser Stelle nur anmerken.
({3})
Was bleibt, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ist das laufende KfW-Programm. Dieses Programm ist
von der aktuellen Diskussion völlig unberührt.Wir haben
bislang 2 Milliarden Euro jährlich für das KfW-Programm zur Verfügung gestellt.
({4})
Hinzu käme die steuerliche Förderung, über die wir gerade gesprochen haben. Es wäre sehr lobenswert, wenn
wir sie bekämen.
Aber - das ist der nächste Punkt - wir sind dabei, das
aktuelle Programm der KfW, ob Zinsverbilligung oder
Zuschuss, zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. Zu
Jahresbeginn haben wir die Zinsen nochmals gesenkt
und die Tilgungszuschüsse erhöht. Antragstellung und
Zusagen haben wir gemeinsam mit der KfW deutlich
vereinfacht bzw. beschleunigt.
Im Sommer wird das Programm erweitert. Künftig
werden auch die Sanierung und der Neubau von sogenannten Nichtwohngebäuden - also Hotels, Bürogebäude, Schulen, Kitas, Schwimmbäder, Museen oder
auch Werkhallen - gefördert.
Zwar nehmen derzeit viele Menschen aufgrund der
niedrigen Zinsen vielleicht lieber ein Darlehen bei ihrer
Hausbank auf statt bei der Förderbank,
({5})
aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Antragszahlen
im Zuschussteil des energetischen Gebäudesanierungsprogramms entwickeln sich überaus positiv, meine Damen und Herren. Die Januarzahlen liegen rund 20 Prozent
über den Vergleichswerten des Vorjahres, und bereits die
waren gut.
({6})
Insofern ist die energetische Gebäudesanierung nicht
nur für die Energiewende wichtig, sondern - ich sage
das auch in Richtung derjenigen, die sich um das Handwerk kümmern - sie beschert dem gesamten Handwerk
viele neue Aufträge. Von meinen Vorrednern wurde das
Stichwort „Konjunkturprogramm“ genannt. Es ist richtig: Jeder Euro Förderung entfaltet im Grunde das
Zwölffache an Investitionen durch Private.
({7})
Wir haben in diesem Bereich ein enormes Investitionsprogramm von schätzungsweise 70 Milliarden bis
80 Milliarden Euro zusätzlich angestoßen. Auch das
sollte man nicht verschweigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Unternehmen und privaten Haushalten werden wir auf diese Art
und Weise bis 2020 gut 18 Milliarden Euro Energiekosten einsparen. Das ist vielleicht dem einen oder anderen verborgen geblieben; deshalb will ich es noch einmal
betonen.
({8})
- Ich weiß nicht, warum Sie immer dazwischenrufen
müssen. Melden Sie sich doch zu Wort.
Durch NAPE wird der Primärenergiebedarf im Gebäudebereich um 80 Prozent gesenkt. Das ist unser Ziel.
Insofern glaube ich, dass wir auch bei der direkten Reduzierung des Primärenergieverbrauchs gute Erfolge haben
werden.
Das sind unsere Zielsetzungen, die wir auch schon in
den Ausschüssen debattiert haben. Die Energieeffizienzstrategie ist das richtige Stichwort. Ich will an dieser
Stelle hinzufügen: Falls die steuerliche Förderung nicht
zustande kommt, gilt es, aktuell über eine Alternative
nachzudenken. Ich glaube, dass wir eine Alternative haben. Wir führen nämlich zurzeit intensive Gespräche darüber, neben dem Marktanreizprogramm für erneuerbare
Energien auch ein Marktanreizprogramm für Energieeffizienz aufzulegen. Bei diesem Thema geht es um Zuschüsse, zum Beispiel um alte Ölheizungen zu ersetzen.
Was die Frage der Dämmung angeht, reicht es nicht aus,
über Styropor zu reden. Dämmung, Belüftung und Entlüftung sind aktuelle Themen, zu denen wir Lösungen
finden können, zumal wir in Deutschland auch technisch
in der Lage sind, dazu etwas anzubieten.
Das Thema Brennstoffzellen bei kleinen Wohneinheiten oder kleinen Gewerbebetrieben ist in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht zu unterschätzen. Und - das ist
das Entscheidende - wir müssen aufklären, erklären und
werben. Das sind, glaube ich, ebenfalls wichtige Stichpunkte in diesem Zusammenhang. Insofern haben wir,
glaube ich, gute Ansätze und gute Instrumente. Ich freue
mich auf die weitere Entwicklung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Vielen Dank. - Jetzt hat der Kollege Liebing, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist völlig unstrittig: Die energetische Gebäudesanierung kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass
wir die CO2-Emissionen reduzieren. Die steuerliche Förderung ist für uns dabei ein wichtiger Aspekt.
({0})
Es kommt nicht von ungefähr, dass wir als damalige
Koalition unter Führung der Union bereits im Jahr 2011
einen Gesetzentwurf in die Beratungen eingebracht haben, der genau dies vorsah. Aber wir kommen auch nicht
an der Tatsache vorbei, dass das, was wir damals auf den
Weg gebracht haben, als wir uns um einen politischen
Konsens in der Sache bemüht haben, den Sie, Herr Kollege Krischer, gerade beschrieben haben, über Jahre hinweg im Bundesrat gescheitert ist. Das ist nicht an uns
gescheitert, sondern das ist an denjenigen Landesregierungen gescheitert, an denen die Grünen beteiligt gewesen sind. Das gehört zur gesamten Geschichte dazu.
({1})
Deswegen sage ich ausdrücklich: Uns als Union
braucht niemand zu überzeugen. Wir brauchen keine Belehrungen bei dem Thema, wie wichtig die energetische
Gebäudesanierung ist und wie wichtig auch die steuerliche Förderung ist.
({2})
- Lieber Herr Krischer, ganz ruhig, keine Aufregung.
Sie haben vorhin schon gesprochen, und das war nicht
überzeugend; Ihre Zwischenrufe sind genauso wenig
überzeugend.
({3})
Deswegen ist es schlichtweg bitter, dass es über vier
Jahre hinweg eben nicht gelungen ist, einen Konsens zu
erreichen, den Sie hier beschreiben.
({4})
Es wäre schön, wenn wir ihn erreicht hätten. Er ist
2011 nicht erreicht worden und 2012 nicht. Ich war an
den Koalitionsverhandlungen 2013 beteiligt, als wir innerhalb der Großen Koalition wiederum einen Anlauf
gemacht haben. Dort ist es am Widerstand der Vertreter
von Landesregierungen gescheitert, dieses Thema im
Koalitionsvertrag zu verankern. Wir hätten das gerne gemacht.
({5})
Dann gab es die Geschichte Ende vergangenen Jahres. Ich versuche zu beschreiben, wie sich das Ganze
entwickelt hat. Dass Sie das nicht gerne hören mögen,
Herr Kollege Krischer, glaube ich Ihnen sehr gerne.
Trotzdem müssen Sie sich das vorhalten lassen.
({6})
Ende vergangenen Jahres gab es dann den Vorschlag
der Gegenfinanzierung über den Handwerkerbonus. Ich
finde es schon interessant, wie Sie, Herr Kollege
Krischer, über den Handwerkerbonus hier gesprochen
haben. Wir als Union sind überzeugt davon, dass die
steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen ein
wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung des Handwerks
und vor allem im Kampf gegen Schwarzarbeit ist.
({7})
Das ist und bleibt nach wie vor das wichtigste Argument
für die steuerliche Abzugsfähigkeit von Handwerkerleistungen.
({8})
- Lieber Herr Krischer, ganz ruhig. - Das war keine Geschichte, die wir aus Überzeugung gemacht haben, als in
der Runde verabredet wurde, den Handwerkerbonus abzuschmelzen. Das war vielmehr eine absolute Notlösung, um eine Blockadehaltung aufzubrechen.
Nun kommen wir zu dem, was Herr Seehofer und die
CSU anschließend gemacht haben. Ich bin als bekennendes Nordlicht sicherlich jemand, der nicht alles sofort
unterschreibt, was Herr Seehofer vertritt, auch nicht in
der Energiepolitik. Da gibt es manches, worüber man
sich kritisch unterhalten kann.
({9})
Aber an dieser Stelle möchte ich für Herrn Seehofer ausdrücklich Verständnis äußern;
({10})
denn es kann nicht angehen, dass etwas, das allen Beteiligten dient, dem Bund genauso wie den Ländern - Sie
haben selber beschrieben, dass die steuerliche Förderung
der energetischen Gebäudesanierung wie ein Konjunkturprogramm wirkt und damit auch bei den Ländern zu
zusätzlichen Steuereinnahmen führt -, über Jahre hinweg von den Ländern blockiert wird.
Was Sie machen, ist Politik nach dem Fielmann-Prinzip: schön etwas fordern, tolle Leistung, aber nichts zugezahlt. Aber das geht nicht, das lassen wir Ihnen auch
nicht durchgehen.
({11})
Wenn Sie Herrn Seehofer kritisieren, dann sage ich
Ihnen von den Grünen: Sie haben alle Möglichkeiten, zu
zeigen, dass Sie es besser machen. Sie tragen in vielen
Landesregierungen Mitverantwortung. Ich fordere Sie
auf, über Ihre grüne Beteiligung an den Landesregierungen darauf hinzuwirken, dass die steuerliche Abzugsfähigkeit, die steuerliche Förderung der CO2-Gebäudesanierung unter Beteiligung der Bundesländer kommt.
({12})
- Das kann ich Ihnen nennen: mein eigenes Heimatland,
Schleswig-Holstein. Die Landesregierung unter grüner
Beteiligung mit einer grünen Finanzministerin verweigert die Zustimmung.
({13})
Wenn Sie mir die Zustimmung Ihrer grünen Finanzministerin liefern, dann haben wir die Möglichkeit, das
Gesetz im Bundesrat zu beschließen. Tun Sie es. Sie
können liefern. Sie sollen nicht nur schreien, Sie sollen
nicht nur kritisieren, Sie können mit der Zustimmung der
Grünen in den Landesregierungen liefern, damit die steu8802
erliche Förderung der CO2-Gebäudesanierung kommt. Damit wäre der Sache gedient.
Wir als Bund werden über die KfW-Förderung in begrenztem Umfang handeln, so wie wir eben können.
({14})
Es ist gut, dass diese Förderung ausgebaut wird. Aber
noch viel wichtiger wäre es, wenn die Blockadehaltung
der Bundesländer im Bundesrat endlich aufhört. Dazu
können auch Sie einen Beitrag leisten; dann haben Sie
etwas geleistet.
Vielen Dank.
({15})
Vielen Dank. - Für die Linke erhält jetzt der Kollege
Ralph Lenkert das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Als Techniker sehe ich die Gründe für
diese Debatte so: Die Koalition wollte etwas für den Klimaschutz erreichen und einigte sich auf eine 10-prozentige Förderung der energetischen Sanierung. Um die
eventuellen Steuerausfälle zu kompensieren, sollte der
Handwerkerbonus auf kleine Rechnungen wegfallen.
Weil Bayern diesen Bonus komplett erhalten will, ist die
Förderung der energetischen Sanierung jetzt für die SPD
laut Oppermann vom Tisch.
Horst Seehofer hat eigentlich recht: Das Streichen des
Handwerkerbonus für die energetische Gebäudesanierung wäre kontraproduktiv.
({0})
Aber Herr Oppermann hat eigentlich auch recht; denn es
würde Steuerausfälle geben. Die Grünen haben auch
recht; denn mit diesem Theater, mit diesem Eiertanz
wird Energieeinsparung einfach nur noch lächerlich gemacht.
Da investiert ein Hausbesitzer in Bayern 10 000 Euro
in eine neue Heizung und bekommt im darauffolgenden
Jahr 100 Euro erstattet und im Jahr darauf noch einmal
100 Euro, und nach zehn Jahren hat er 1 000 Euro zurückbekommen. In der Zwischenzeit müsste er jährlich
den Heizungsmonteur rufen, der die Heizung wartet. Der
Monteur kostet über 100 Euro jährlich. Das macht in
zehn Jahren mehr als 1 000 Euro, die er jetzt nach Herrn
Oppermann nicht mehr von der Steuer erstattet bekommt. Daher ist das Ganze bestenfalls ein Nullsummenspiel.
Horst hat recht:
({1})
Durch das Kürzen beim Handwerkerbonus bewirkt das
Sanierungsprogramm nur Mitnahmeeffekte bei Hausbesitzern, die sowieso die Heizung erneuern wollten. Herr
Oppermann hat aber auch recht: Für diese 10 Prozent
Förderung wird niemand zusätzlich seine Heizung sanieren. Der Mitnahmeeffekt führt dann zu Steuerausfällen.
Die schwarze Null geht flöten, und deshalb wollte ja die
Koalition für alle Bürger den Handwerkerbonus streichen - bei den niedrigen Rechnungen.
Aber uns Linken liegt es fern, nur zu kritisieren.
({2})
Deshalb lassen Sie uns eine echte Förderung beschließen, basierend auf folgenden Punkten:
Eine 25-prozentige Förderung der energetischen Sanierung, aber nur dann, wenn auch die Dämmung optimiert und die Heizung darauf abgestimmt wird. Denn
was bringt es, die Heizung zu erneuern, bevor die Dämmung optimiert ist? Dann ist die Heizung, wenn später
gedämmt wird, falsch dimensioniert.
Häuser sind Wärmespeicher; da könnten wir doch extra Wärmespeicher und Tauchsieder spendieren, für
kleine Stromkraftwerke, die in Kraft-Wärme-Kopplung
mit der Abwärme Wohnungen heizen, damit bei viel
Wind und Sonne die Wärme mit Strom erzeugt wird.
Wenn dem Wind die Puste ausgeht und die Sonne fehlt,
dann könnten diese Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerke ordentlich Strom liefern.
Liebe CSUler, wenn wir diese Kraftwerke geschickt
nutzen, könnten wir uns die eine oder andere 500-kVGleichstromtrasse durch Thüringen und auch durch Bayern sparen.
({3})
Um Herrn Oppermann zu beruhigen: Es werden keine
Steuermittel fehlen, wenn Sie das Privileg der Zinsabschlagsteuer streichen, auf Deutsch: wenn Kapitaleinnahmen aus Dividenden statt pauschal mit 25 Prozent
mit dem persönlichen Steuersatz belastet werden. Das
trifft übrigens - ganz SPD - einmal die Reichen.
Liebe Grüne, mit so einem Konzept würde neben der
Symbolik auch wirklich etwas für das Klima erreicht
werden. Da zerbreche ich mir den Kopf über Wünsche
und Sorgen von Union, SPD und Grünen. Wo bleibt die
Linke?
Wir fordern, dass eine energetische Sanierung von
Mietshäusern nur dann gefördert wird, wenn sie warmmietenneutral erfolgt. Damit stoppen wir gleichzeitig
das miese Vorgehen einiger Hausbesitzer, die über das
Abwälzen der Kosten der energetischen Sanierung Mieterinnen und Mieter aus ihren Wohnungen vertreiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht hätten
diese Vorschläge realistische Chancen zur Umsetzung,
wären sie nicht von mir, einem Linken aus Thüringen,
sondern von Seehofer, einem Bayern aus München, vorgestellt worden.
({4})
Die SPD hätte ihr Gebäudesanierungsprogramm, die
Union ihre schwarze Null, die Grünen ihren Klimaschutz und die Linke die soziale Gerechtigkeit.
({5})
Mieterinnen und Mieter hätten stabile Mieten und die
Bauwirtschaft mehr Aufträge. Es könnte so einfach sein!
({6})
Vielen Dank. - Dr. Nina Scheer, SPD-Fraktion, hat
jetzt das Wort.
({0})
Sehr verehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Es ist viel zu der betreffenden Thematik
gesagt worden. Ich möchte gleich voranstellen, dass uns
natürlich allen klar sein muss, dass die enormen Investitionen, die im Komplex „Energetische Sanierung - Wärmewende“ geleistet werden können, fiskalisch gesehen
die Fördermaßnahmen um ein Vielfaches übersteigen.
Das ist klar, man muss es immer voranstellen.
Ich finde folgenden Ablauf - das möchte ich hier
ganz deutlich kritisieren - durchaus problematisch: Man
bewegt sich auf einem bestimmten Einigungspfad. Zuerst verständigt man sich auf die steuerliche Förderung
als ein Instrument des NAPE. Im nächsten Schritt soll
gegenfinanziert werden. Dabei lässt man sich dafür loben, dass man eine Einigung erzielt hat. Im letzten
Schritt aber wird das Instrumentarium verweigert.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich das als ein nicht nur
auf diesen Bereich bezogenes grundsätzliches Problem
erachte. An dieser Stelle frage ich mich, ob damit auch
die Ernsthaftigkeit der Aussage der CDU/CSU anzuzweifeln ist, tatsächlich in der energetischen Sanierung
vorankommen zu wollen. Anwesende sind durchaus ausgenommen, Sie brauchen sich jetzt nicht persönlich angesprochen zu fühlen. Wir müssen das aber hier im
Hause, wenn wir es in der Aktuellen Stunde diskutieren,
durchaus auch dort aufhängen, wo es entschieden wird,
bzw. an die adressieren, von denen es entschieden wird.
({0})
Meine Sorge ist, dass wir einen Investitionsstau bekommen. Den haben wir bestimmt schon in den letzten
Monaten durch die Ankündigung ausgelöst, dass ein
Element die steuerliche Förderung sein wird. Dadurch
haben sich wahrscheinlich einige Haushalte zurückgehalten, Investitionsmaßnahmen zu ergreifen. Sie haben
auf dieses Instrument gewartet, das jetzt möglicherweise
nicht kommt. Ich hoffe darauf, dass es da noch ein Einlenken geben wird. Klar muss aber auch sein, dass wir
mit den gerade von Uwe Beckmeyer angekündigten
Maßnahmen bzw. Alternativen parallel denken müssen.
Auf keinen Fall können wir riskieren, dass sich ein Investitionsattentismus Bahn bricht bzw. dass wir stehenbleiben.
Das hat aber auch innerhalb der Koalition - darauf
will ich zurückkommen - durchaus eine bestimmte Dimension, die dazu führt, dass man sich fragen muss: Wie
wird miteinander umgegangen? Da ist Ihre Situation anders als unsere. Wir sind eine SPD, Sie sind CDU und
CSU. Es kann, wie gesagt, nicht sein, dass auf der einen
Seite des Koalitionspartners ein Vorschlag als Gegenfinanzierung identifiziert bzw. artikuliert wird, während
auf der anderen Seite des angesprochenen Koalitionspartners gesagt wird: So aber nicht.
({1})
Da muss es eine deutliche Kehrtwende geben. Ich sage
jetzt nicht, dass ich schwarzsehe. Aber ich sehe die Zukunft nicht so rosig, wenn wir nicht versuchen, auf diesem Weg Schritt für Schritt - und das Energiepaket hat
viele Schritte - voranzugehen, und wenn wir uns nicht
um Umsetzung bemühen.
Ich möchte dann aber auch noch an das anknüpfen,
was Uwe Beckmeyer zu den Alternativen gesagt hat. Bei
der ganzen Debatte um die Steuerfinanzierbarkeit bzw.
die steuerliche Förderung muss auch immer klar sein,
dass es sich hierbei nur um einen Teil eines großen Bereichs handelt. Sie hätte einige angesprochen, bei weitem nicht alle. Sie hätte nur diejenigen angesprochen, die
von einem solchen steuerlichen Instrument profitieren
können. Es gibt aber noch viele andere Instrumente. Uns
darf jetzt aber auch nicht passieren, dass wir den Blick
von diesen anderen Möglichkeiten abwenden.
Ich möchte an uns alle adressieren, dass wir noch
mehr im Bereich der Qualifizierung tun müssen. Energieberatung ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir wissen
auch, dass in der Vergangenheit Mittel teilweise nicht
abgerufen wurden. Dort einen Schwerpunkt zu setzen,
wird jetzt vielleicht auch noch einmal eines neuen Impulses - auch weiterer Qualifizierungsmaßnahmen - bedürfen. Denn ich entdecke auch, dass wir bei Energieeffizienzmaßnahmen sehr verkürzt auf Gebäudesanierung
- dort speziell auf die Fassaden - blicken. Es ist auch angeklungen, welche Probleme damit - dabei geht es auch
um die Schadstoffe - verbunden sind. Dabei können wir
nicht stehen bleiben.
Es muss um eine Wärmewende gehen. Innovationen
im Bereich der erneuerbaren Energien, die Einführung
neuer technologischer Systeme und die dabei zu generierenden Effizienzgewinne müssen zusammen gedacht
werden. Ich glaube, wir können unsere Ziele nur dann
erreichen, wenn wir diese Bereiche gemeinsam denken.
Aber wir müssen, wie gesagt, Schritt für Schritt vorgehen. Es kann nicht sein, dass einzelne Schritte an einem
Teil unseres Koalitionspartners scheitern. Das kann so
nicht bleiben.
Vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Als Nächste hat Lisa Paus das Wort,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
Grünen haben diese Aktuelle Stunde angemeldet, weil
wir hinsichtlich der steuerlichen Förderung der energetischen Sanierung endlich aus der Endlosschleife herauswollen.
({0})
Ich selbst bin seit 2011 damit befasst.
Wie läuft diese Endlosschleife ab?
Der erste Punkt ist die Feststellung - das wurde schon
gesagt -, dass der Klimaschutz ganz wichtig ist. Man
sagt: Ja, da müssen wir etwas tun.
Als zweiter Punkt folgt die Feststellung: Ja, die Ziele
sind nur zu erfüllen, wenn auch im Gebäudebereich etwas getan wird; die Sanierungsquote muss mindestens
verdoppelt werden.
Der dritte Punkt ist das Bekenntnis zur Förderung im
Gebäudebereich. Man sagt: Ja, gerade im Gebäudebereich gibt es eine Win-win-Situation. Da gibt es eigentlich keine Verlierer. Alle Bereiche gewinnen: Klimaschutz, Beschäftigung und Handwerk.
Vierter Punkt: Keine Einigung bei der Finanzierung.
Dann beginnt die Schleife von vorne. Es gibt wieder
ein Auf und Ab. Man durchläuft erneut die Punkte eins,
zwei und drei, und am vierten Punkt, bei der Finanzierung, gibt es wieder keine Einigung.
Jetzt ist man erneut in diese Schleife eingestiegen, allerdings mit einer Änderung: Im Jahr 2015 müsste sich
die Sanierungsquote nicht mehr nur verdoppeln, sondern
verdreifachen, weil in den letzten vier Jahren nichts, aber
auch gar nichts passiert ist. Im Gegenteil: Die Debatte
war nicht folgenlos; Frau Scheer hat es gerade gesagt.
Natürlich hat diese Debatte zu Attentismus geführt. Aber auch das ist nicht neu. Das sage nicht nur ich, sondern das sagen auch viele andere.
Das Ganze ist großes Kabarett. Ich nenne drei Personen, die darin mitspielen: Dieses Mal ging es los mit der
Ankündigung von Frau Merkel, die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung sei eines der
besten Mittel zum Klimaschutz. Dann sagte der Bundeswirtschaftsminister: Ja, wir sehen im Rahmen des Energieeffizienzprogramms die steuerliche Förderung von
energetischen Sanierungsmaßnahmen vor; denn sie gehören zu den wichtigen Maßnahmen. Doch dann kam
die abwehrende Reaktion aus Bayern. Der Staatssekretär
im Umweltministerium, Herr Flasbarth, antwortete am
27. Februar 2015, es sei besser, diese Förderung vorerst
ganz abzublasen, damit nötige Investitionen nicht aufgeschoben würden. Es sei völlig ausgeschlossen, so eine
Debatte über Monate hinzuziehen. Genauso äußerte sich
der Pressesprecher des BMWi:
Wir können uns keine endlose Hängepartie leisten.
Der Pressesprecher ergänzte aber:
Das heißt nicht, dass die staatliche Finanzierung der
energetischen Sanierung tot ist.
Die Schleife beginnt also von neuem.
Das letzte Mal ist das Vorhaben daran gescheitert,
dass die Bundesregierung sich nicht dazu durchringen
konnte, ein KfW-Programm mit 300 bis 400 Millionen
Euro zusätzlich für die Kommunen aufzulegen. Das
wäre absolut sinnvoll gewesen. Davon hätten alle profitiert. Dabei hätten alle gewonnen. Doch daran ist das
Vorhaben beim letzten Mal gescheitert.
Dieses Mal scheitert das Vorhaben an Bayern. Wir erkennen an der Reaktion aus Bayern, wie man sich dort
den Bund-Länder-Finanzausgleich vorstellt.
({1})
- Die CSU aus Bayern. ({2})
Die CSU hat über die Win-win-Situation nachgedacht
und festgestellt, dass es besser ist, wenn man mehr gewinnt als die anderen. Das scheint das Lebensmotto der
CSU in Bayern und von Herrn Seehofer zu sein. Die
CSU hat festgestellt, dass von dem Handwerkerbonus
- für den Bund sind das Steuermindereinnahmen - Bayern ganz besonders profitiert. Bayern muss weniger einzahlen in den Bund-Länder-Finanzausgleich, aber die
Wirtschaft in Bayern profitiert überproportional davon.
Daher sagt die CSU: „Der Handwerkerbonus muss unbedingt bleiben“, obwohl die Abschmelzung des Handwerkerbonus ein Vorschlag der Handwerkskammer war. Das
haben sich nicht Herr Gabriel, die Grünen oder sonst jemand ausgedacht, sondern in der Debatte über die Bekämpfung der Schwarzarbeit wurde gemeinsam festgestellt, dass der Handwerkerbonus nicht das leistet, was
gewünscht war, und es deswegen sinnvoll ist, ihn einzuschränken. Das war ein konkreter Vorschlag der Handwerkskammer, der aufgegriffen worden ist.
Die CSU in Bayern will das als Einzige nicht akzeptieren. Die CSU sagt: Wir haben netto mehr davon, wenn
der Handwerkerbonus erhalten bleibt, weil wir dann weniger in den Bund-Länder-Finanzausgleich einzahlen
müssen. Dann setzt sie noch eins drauf - sie kann ja
nicht genug kriegen - und sagt: Trotzdem muss die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung
ohne Gegenfinanzierung kommen, weil - das ist auch
klar - Bayern davon am meisten hat.
Die Situation ist: Wir gewinnen alle. Aber die Stadtstaaten zum Beispiel haben weniger Eigennutzer, weniger Einzelgebäude. Deswegen ist es logisch, dass nicht
nur Berlin, sondern auch Hamburg und Bremen feststellen, dass sie zwar ebenfalls etwas für den Klimaschutz
und die Gebäudesanierung tun wollen, die konkrete steuerliche Förderung aber nicht das ist, was ihnen - wie
auch den anderen Städten und Ballungsräumen - den
großen Impuls bringt. Deswegen brauchen wir ein gemeinsames Programm und keine isolierte Politik, wie sie
die CSU in Deutschland vorhat, meine Damen und Herren.
({3})
Ich appelliere noch einmal: Sie müssen sich nicht
gleich die grünen Forderungen zu eigen machen. Wir sagen, dass mindestens 6 Milliarden Euro nötig sind. Aber
1 Milliarde Euro zusätzlich sollte doch durchaus drin
sein: Wo ist irgendein Engagement für das Thema Klimaschutz? Es ist bisher nicht zu erkennen. Wo ist das
Engagement der SPD in dieser Frage? Ich habe an den
entsprechenden Tischen gesessen, wo monatelang über
300 Millionen Euro verhandelt wurde. Da ging nichts.
Durch einen Federstrich aus Lust und Laune eines Länderchefs gingen 300 Millionen Euro trotzdem als Mindereinnahmen an die Länder, weil der Eingangssteuertarif nicht so schön war.
Frau Kollegin Paus.
Dieses Theater können wir nicht mehr sehen. Das
kann die Republik nicht mehr sehen. Die Leute laufen
aus diesem Theater hinaus. Deswegen kommen Sie endlich zum Punkt, und machen Sie einen Schritt hin zur
steuerlichen Förderung mit entsprechender Gegenfinanzierung. Eine Chance geben wir Ihnen noch.
({0})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Olav Gutting das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Ich habe hier an dieser Stelle vor einigen Wochen ziemlich auf die Länder geschimpft. Es
ging um den Solidaritätszuschlag und darum, dass die
Länder wie immer nur unser Bestes wollen, nämlich unser Geld. Es ging darum, dass die Länder den Hals nicht
voll kriegen, und es geht darum, dass sie nicht bereit
sind, ihren Beitrag zur Finanzierung dieses wichtigen
Projektes zu leisten.
({0})
Mit der Haltung „Mir gäbet nix“ wird dieses Thema
blockiert, und zwar nicht durch die CSU - wie immer
wieder der Anschein erweckt wird -, sondern durch die
rot-grün regierten Länder.
({1})
Die wertvollste Kilowattstunde Energie ist die, die
erst gar nicht verbraucht wird. Die Senkung des Energieverbrauchs bei Gebäuden ist ein ganz wichtiger Baustein
bei unserer Energiewende, die wir 2011 beschlossen haben. Das wussten wir auch schon 2011. Deswegen haben
wir in diesem Haus 2011 mit der christlich-liberalen Koalition ein Gesetz beschlossen, das die steuerliche Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen vorsieht.
Dieses Gesetz wird seit 2011, also seit vier Jahren, immer wieder vom rot-grün dominierten Bundesrat blockiert, bis heute.
({2})
Das ist ganz besonders schade, weil die Argumente
der Länder damals wie heute nicht stichhaltig sind. Auch
damals ging es um Geld. Die Länder wollen zwar auch
die Energiewende, aber sie sind nicht bereit, den auf sie
entfallenden Finanzierungsanteil zu leisten. Der Selbstfinanzierungseffekt dieser Maßnahmen wird immer wieder vergessen.
Die Förderung der energetischen Sanierung - wir haben es schon einige Male gehört - löst ein Vielfaches der
eingesetzten Summe an Investitionen aus. Allein der Anteil der Umsatzsteuer bei den Ländern aus den ausgelösten Investitionen würde die befürchteten Steuermindereinnahmen mehr als ausgleichen.
Die KfW hat bereits Förderprogramme aufgelegt. Von
der KfW wissen wir, dass die Fördermittel das 12- bis
16-Fache an Investitionen auslösen. Mehr Investitionen
bedeuten logischerweise mehr Steuereinnahmen.
Jetzt haben wir 2015. Durch diese Blockade seit vier
Jahren, Frau Paus, haben wir wertvolle Zeit verschenkt.
Aber schauen wir nach vorne. Schwamm drüber!
Mit der Beteiligung der SPD an der Regierung haben
wir die Situation, dass die meisten Länder durchaus bereit sind, die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung aufzugreifen.
({3})
Nur kosten darf es natürlich nichts bzw. nur den Bund
darf es etwas kosten. Der Bund allein soll die Zeche bezahlen, oder - noch besser - die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler werden an anderer Stelle zusätzlich belastet. Da wundert es mich dann schon, dass hier der Vorschlag auf dem Tisch liegt, die Gegenfinanzierung über
eine Kürzung beim Handwerkerbonus nach § 35 a EStG
vorzunehmen. Die Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen im privaten Bereich, meine Damen und Herren,
ist das Steuersparmodell des kleinen Mannes.
({4})
Es ist trotz aller Kritik ein Erfolgsmodell; es hilft bei der
Bekämpfung von Schwarzarbeit.
({5})
Jetzt wissen wir, dass eine energetische Sanierung im
privaten Bereich schon mal ein paar Zehntausend Euro
kosten kann; das ist bekannt. Das kann sich nicht jeder
leisten. Die Forderung, zwar diejenigen, die es sich leisten können, zu Recht zu entlasten, aber gleichzeitig den
kleinen Mann über die Kürzung des Handwerkerbonus
zu belasten, kann nicht wirklich der Ernst der linken
Seite hier in diesem Hause sein.
({6})
Mit uns jedenfalls wird das nicht passieren. Wir werden
nicht die Reichen entlasten und dafür die kleinen Leute
belasten. Das geht mit der CDU jedenfalls nicht.
({7})
Die Energiewende und die Erreichung der Klimaschutzziele dulden keinen weiteren Aufschub. Die Länder müssen jetzt schleunigst ihre Blockade aufgeben. Sie
schaden mit dieser Blockade der Energiewende. Sie
schaden dem Handwerk; denn bereits heute ist ein Attentismus zu spüren: Die Leute warten auf eine Regelung
und investieren so lange nicht. Sie schaden den Kommunen; denn mit der steuerlichen Förderung der energetischen Sanierung darf natürlich auch das Handwerk vor
Ort eine spürbare Auftragsbelebung erwarten,
({8})
mit allen Konsequenzen: mehr Gewerbesteuereinnahmen, mehr Arbeitsplätze usw. Letztendlich schaden die
Länder vor allem sich selbst. Denn durch die steuerliche
Förderung gäbe es, wie gerade aufgezeigt, Anreize für
zusätzliche Investitionen; es wäre sogar mit Steuermehreinnahmen zu rechnen.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Insofern fordere ich die Bundesregierung, aber auch
gerade Sie, die Vertreter von Parteien, die in den Ländern Regierungsverantwortung tragen, auf, mit den Ländern zu sprechen, damit sie ihren Anteil an der Finanzierung dieser wichtigen Maßnahme erbringen.
({0})
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Als Nächstes spricht Johann Saathoff,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Gutting, herzlichen Dank für
Ihre Sicht auf die Dinge und die rot-grüne Verantwortung in dieser Sache. Es sind jedenfalls aus meiner Sicht
vom Deich - das muss ich ganz klar sagen - nicht die
Länder, die diese Regelung gerade verhindern,
({0})
sondern es ist ein Land, und es ist ein Ministerpräsident.
Ich werde dazu noch ein bisschen mehr sagen. Deswegen entschuldige ich mich schon mal vorab bei allen
Bayern.
Vom letzten Koalitionsausschuss ging ein - ich
möchte es mal diplomatisch formulieren - unglückliches
Signal aus, ein ungutes Signal im Hinblick auf die deutschen Klimaschutzambitionen, aber auch ein Signal, das
dem deutschen Handwerk eher schadet als nützt. Frau
Bundeskanzlerin Merkel hat im vergangenen Jahr beim
Petersberger Klimadialog gesagt, beim Klimaschutz sei
eine Kehrtwende nötig. Ich für meinen Teil habe das Gefühl, irgendjemand hat da etwas falsch verstanden.
Gefühlt hat Herr Seehofer das Thema „energetische
Gebäudesanierung“ schon abgeräumt, bevor Bund und
Länder überhaupt ernsthaft über die Finanzierung sprechen konnten. Der Kabinettsbeschluss vom Dezember
war ja nicht viel mehr als eine Absichtserklärung. Es
wäre doch überhaupt kein Problem gewesen, mit den
Ländern in einem Vermittlungsverfahren andere Lösungen für die Gegenfinanzierung zu finden als das Abschmelzen des Handwerkerbonus. Aber in einer Überreaktion - aus meiner Sicht - hat Herr Seehofer gleich
die Notbremse gezogen, sozusagen auf freier Strecke.
Und als er das erkannt hat, war dann auf einmal wieder
alles anders: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas
Oppermann hatte plötzlich angeblich Herrn Seehofer
falsch verstanden. Bayern wird die kurz- oder mittelfristigen Steuerausfälle im Bereich der Gebäudesanierung
einfach tragen und auf die Mehreinnahmen warten - so
sieht es ein Antrag vor, der gerade in dieser Woche in
den Bundesrat eingebracht wurde.
Die Situation der anderen Bundesländer wird dabei
aber nicht berücksichtigt. Wenn es der bayerische Ministerpräsident ernst meint, dann wäre jetzt der beste Zeitpunkt für einen konstruktiven Vorschlag zur Gegenfinanzierung, auf den andere Bundesländer dringend
angewiesen sind.
({1})
Denn der zeitliche Verzug bei den Mehreinnahmen vor
drei Jahren war doch mehrheitlich dafür verantwortlich,
dass sich die Länder nicht zur steuerlichen Absetzbarkeit
von Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierung
durchringen konnten.
Einige mögen es schön finden, dass Bayern wieder
seinen Willen bekommen hat - nein, Entschuldigung,
der dortige Ministerpräsident -,
({2})
aber die Energiewende ist ein deutschlandweites Projekt,
bei dem alle an einem Strang ziehen und sich an gemeinsame Absprachen halten müssen.
({3})
Solidarität heißt, auch an die anderen zu denken. Bayern scheint sich bei der Energiewende darauf zu verlassen, dass der Rest von Deutschland für den Zickzackkurs
der bayerischen Landesregierung mitbezahlt; ich sage
nur: Zwei minus x.
({4})
„Ut anner Lü Leer is gaud Reemen schnieden“, sagt der
Ostfriese, wenn Verträge zulasten Dritter gemacht werden, und das ist hier der Fall. Kreative Alternativvorschläge zur Gegenfinanzierung der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung haben wir mehr als genug.
({5})
Nachdem das jetzt raus ist, sollten wir gemeinsam den
Blick nach vorne richten.
({6})
Jetzt muss die Frage im Mittelpunkt stehen, wie wir weiter vorgehen wollen, welches Signal an die Bevölkerung
von der heutigen Debatte ausgehen soll. Das Signal an
die Menschen in unserem Sinne soll sein: Lassen Sie
sich nicht weiter verunsichern, sondern sanieren Sie weiter! - Dieses Signal hat auch Minister Sigmar Gabriel
ausgesandt.
Ich möchte zunächst hervorheben, dass der Bundeswirtschaftsminister äußerst pragmatisch mit der Sache
umgeht: die Aufstockung der Mittel für die KfW-Programme, mehr Geld für die Kommunen, die Weiterentwicklung des Marktanreizprogrammes für den Wärmemarkt. Von der Bundesregierung und speziell aus dem
BMWi kommt da unheimlich viel.
Es scheint mir, dass wir heute klar betonen müssen,
dass nur die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung derzeit, sagen wir, in einer schwierigen
Phase steckt, nicht jedoch die Förderung der energetischen Gebäudesanierung insgesamt.
({7})
Im Gegenteil: Im Rahmen des NAPE wurde der Anteil
der Förderung noch einmal um 200 Millionen Euro aufgestockt.
Im kommunalen Sektor müssen wir darauf achten,
dass die Gemeinderäte und Kreistage mit der finanziellen Förderung nicht alleingelassen werden. Aus eigener
Erfahrung als Bürgermeister kann ich sagen, dass ein
Schwerpunkt künftig auch in der Beratung der Kommunen zur energetischen Gebäudesanierung liegen sollte,
damit gutgemeinte Entscheidungen für das Klima von
heute sich morgen nicht bitter rächen, was die Entsorgung oder die Brandlasten der öffentlichen Gebäude angeht.
Eines ist doch allen klar: KfW-Programme kosten
nicht nur Steuergeld, sie sorgen auch für mehr Beschäftigung, mehr Steuereinnahmen und weniger Sozialkosten.
Egal ob Investitionsschutz oder günstiges Darlehen oder
Tilgungszuschuss: Das Geld ist gut angelegt.
Was wir jetzt gar nicht brauchen können, ist eine
Phase des Stillstands. Deshalb noch mein Appell: Sanieren Sie weiter - für unser Klima, für unsere Arbeitsplätze und für Ihre Kinder!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Vielen Dank. - Als Nächstes hat der Kollege
Hansjörg Durz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Alle hier im Haus vertretenen Fraktionen - das wird immer wieder deutlich - sind sich einig: Die steuerliche
Förderung der energetischen Gebäudesanierung muss
kommen, vor allem aus zwei Gründen: Erstens brauchen
wir sie dringend, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen - übrigens auch die Länder brauchen sie, um ihre
Klimaschutzziele zu erreichen -, und zweitens ist die
steuerliche Abschreibung ein hervorragendes Konjunkturprogramm für das Handwerk und damit auch aus
volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu begrüßen. Experten gehen von einem enormen Förderhebel aus. Es
sind verschiedene Zahlen genannt worden. Der niedrigste Faktor war der Faktor 8, das heißt: Aus 1 Euro
Förderung des Staates durch steuerliche Abschreibung
erfolgen 8 Euro an Investitionen. Dies bringt Wachstum
und Beschäftigung und wiederum mehr Steuereinnahmen.
Nun wurde nach dem letzten Treffen des Koalitionsausschusses berichtet, dass die Einigung über die steuerliche Förderung an Bayern gescheitert sei. Es ist ein
Leichtes - das ist hier schon mehrfach angeklungen -,
den Schwarzen Peter nach München zu schieben.
({0})
Aber schauen wir uns doch einmal die Fakten an. Tatsache ist: Die CSU steht zur steuerlichen Abschreibung
und versucht seit Jahren, sie einzuführen. Bereits 2008
hat der Freistaat Bayern einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht.
({1})
2011 haben CDU/CSU und FDP im Deutschen Bundestag einen Antrag, der dasselbe Ziel zum Inhalt hatte, verabschiedet, der dann über eineinhalb Jahre im Bundesrat
blockiert wurde und im Vermittlungsausschuss Anfang
2013 endgültig gescheitert ist. Im Mai 2013 ist Bayern
gemeinsam mit Sachsen einem Gesetzesantrag des Landes Hessen beigetreten, der ebenfalls das Ziel der steuerlichen Förderung verwirklichen wollte, und schließlich
hat die Bayerische Staatsregierung im Dezember 2014
erneut eine eigene Entschließung in die Länderkammer
eingebracht, wieder mit demselben Ziel, wieder bis auf
Weiteres vertagt. Da gab es mehrere Chancen, aus der
sogenannten Endlosschleife, wie das vorhin genannt
wurde, herauszukommen. Diese Chancen wurden nicht
genutzt.
({2})
Zur Klarstellung: Der aktuelle Antrag wurde bisher
nicht abgelehnt, er ist vertagt; es besteht also immer
noch die Chance auf Einigung. Und warum gab es bisher
keine Einigung?
({3})
Die Antwort lautet: wegen der Gegenfinanzierung. Wir
wollen dafür nicht den Handwerkerbonus opfern.
Im Übrigen - das kann man auch der Presse entnehmen -: Die Gegenfinanzierung über den Handwerkerbonus ist kein Vorschlag, der aus dem Handwerk kam.
({4})
Wir wollen auch nicht für die steuerliche Abschreibung den Handwerkerbonus drangeben; denn beides hat
miteinander nichts zu tun. Wir wollen nicht das eine gegen das andere ausspielen,
({5})
und dafür gibt es gute Gründe:
Erstens. Von der energetischen Gebäudesanierung
profitieren Eigenheimbesitzer und einige Handwerkergruppen. Vom Handwerkerbonus profitieren alle Steuerzahler und werden alle Handwerkerleistungen gefördert.
Ist also die Gegenfinanzierung über den Handwerkerbonus richtig?
({6})
Zweitens. Wir treten dafür ein, dass es keine steuerliche Mehrbelastung geben darf. Eine Einschränkung des
Handwerkerbonus wirkt aber - die Zahlen belegen dies wie eine Steuererhöhung. Sie verwehren also nicht nur
einer größeren Zahl von Bürgern eine steuerliche Begünstigung, sondern durch eine Einschränkung des
Handwerkerbonus nimmt der Staat nach Berechnungen
des BMWi und des BMF wohl sogar mehr ein, als er
durch die staatliche Abschreibung an Begünstigungen
weiterreicht. Ist das also die richtige Gegenfinanzierung?
Drittens. Die geplante steuerliche Abschreibung auf
energetische Gebäudesanierung ist auf fünf Jahre angelegt und wirkt ab Inanspruchnahme zehn Jahre, ist also
zeitlich befristet. Der Handwerkerbonus würde dagegen
sofort und unbefristet, also wohl dauerhaft eingeschränkt
werden. Ist das die richtige Gegenfinanzierung?
Vor allem aber - viertens -: Der Handwerkerbonus
wurde eingeführt, um Schwarzarbeit zu bekämpfen, und
hat sich bewährt, er hat erfolgreich dazu beigetragen, die
Schwarzarbeit in Deutschland einzudämmen.
({7})
Eine Verrechnung beider Instrumente geht also fehl, da
beide völlig unterschiedliche, aber jedes für sich höchst
sinnvolle Ziele verfolgen. Noch einmal: Ist das die richtige Gegenfinanzierung?
Grundsätzlich stellt sich die Frage: Braucht es denn
überhaupt eine Gegenfinanzierung?
({8}) - Ingbert Liebing
({9}): Sehr gute Frage!)
Von allen Seiten wird betont, welch konjunkturelle Effekte die steuerliche Förderung hat: Sie löst enorme Investitionen aus, führt zu Wachstum und wieder zu Steuermehreinnahmen.
({10})
Es rechnet sich also für Bund und Länder - wenn auch
zeitversetzt - auch ohne Einschränkung des Handwerkerbonus. Also: Braucht es denn wirklich eine Gegenfinanzierung?
Der Antrag liegt im Bundesrat immer noch auf dem
Tisch, und gerade für die Länder, die entsprechend verschuldet sind, wäre das ein hervorragendes Programm,
um private Investitionen auszulösen. Die steuerliche Abschreibung auf energetische Gebäudesanierung ist nicht
gescheitert; aber alle Beteiligten müssen schnellstens an
einen Tisch und eine sachgerechte Lösung finden.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt
Klaus Mindrup das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn man die Debatte hier so verfolgt, hat
man den Eindruck, dass es nur einen Königsweg zum
Klimaschutz gibt, nämlich Steuerboni. Dem möchte ich
an dieser Stelle energisch widersprechen. Steuerliche
Entlastungen sind wichtig für einige Zielgruppen, aber
nicht für alle. Ich bin selbst seit über zwölf Jahren Aufsichtsrat einer Graswurzelgenossenschaft im Prenzlauer
Berg. Wir haben unsere 450 Wohnungen saniert und dabei durch intelligentes Vorgehen 70 Prozent des CO2Ausstoßes eingespart. Wir hatten zweimal die Chance,
steuerliche Sonderabschreibungen zu nutzen, die es
heute schon gibt, erstens weil unsere Genossenschaft im
Sanierungsgebiet liegt und zweitens weil unsere Bestände denkmalgeschützt sind. Beide steuerlichen Möglichkeiten haben wir nicht genutzt, weil es für uns keinen
Sinn machte: Wir können keine Gewinne mit Verlusten
verrechnen. Es gibt viele Hauseigentümer, die das nicht
können, seien es Genossenschaften, kommunale Gesellschaften oder auch Einzeleigentümer. Diese müssen mit
dem letzten Cent rechnen; und für sie ist es viel wichtiger, dass es Zuschüsse wie die Tilgungszuschüsse von
der KfW gibt, die jetzt geplant sind. Auch wichtig sind
Darlehen mit einer langen Laufzeit und mit einer sehr
hohen Verlässlichkeit.
Wir als SPD wollen auf dem Weg zum Klimaschutz
alle mitnehmen: Rentnerinnen und Rentner mit einem
kleinen Haus darf man genauso wenig überfordern wie
Mieterinnen und Mieter. Wohnen muss bezahlbar bleiben.
({0})
Man kann die Sanierungsrate durchaus auch unter den
heutigen Rahmenbedingungen steigern. Das zeigt das
Beispiel der InnovationCity Bottrop, die nach ihren eigenen Zahlen bei 8 Prozent ist. Da geht es um Beratung
und darum, dass man die Maßnahmen zielgerichtet zuschneidet und auch auf Wirtschaftlichkeit achtet. Ich
sehe es als relativ großes Problem, dass bei der energetischen Gebäudesanierung die Wirtschaftlichkeit oftmals
nicht betrachtet wird. Es werden Maßnahmen, die nicht
unbedingt sinnvoll sind, durchgeführt, weil die Kosten
dafür auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt werden
können, weil also ein Dritter zahlt. An dieser Stelle ist es
wichtig, genau hinzuschauen und vor allen Dingen die
Beratungskompetenzen zu stärken.
Denn ohne Akzeptanz wird die Energiewende nicht
gelingen. Diese Akzeptanz wird von unten gewonnen: in
der Nachbarschaft, im Dorf, im Quartier. Deswegen ist
es auch richtig, dass die Bundesregierung verstärkt
Quartierslösungen unterstützen will, wie sie bei meiner
Genossenschaft schon vor 14 Jahren realisiert wurden.
Wir haben unsere Mieterinnen und Mieter, unsere Nutzer
intensiv beraten; denn ein richtiges Nutzerverhalten ist
das Wichtigste bei der Energiewende. Energieberater
sind mindestens so wichtig wie Steuerberater. Eine sinnvolle Dämmung, Optimierung der Heizungen, Einsatz
von Solarenergie und Kraft-Wärme-Kopplung sind hier
die wichtigsten Stichworte. Auch genossenschaftliche
Lösungen bieten sich an, weil sie nämlich langfristig
wirtschaftlich sind und die Menschen vor Ort mitnehmen.
Wir müssen dabei die oft getrennten Bereiche Strom,
Wärme und Transport miteinander verknüpfen, statt alles isoliert zu sehen. Das Internet ist dabei sehr wichtig.
Industrie 4.0 muss auch im Quartier stattfinden.
({1})
Wichtig ist auch, dass die Bundesregierung jetzt
schnell die gesetzlichen Grundlagen für die Vermarktung
von Grünstrom schafft - wir haben als Bundestag dafür
eine Verordnungsermächtigung in das EEG aufgenommen -: Das ist Umweltschutz vor Ort, das ist Wertschöpfung vor Ort, und das macht Sinn, vor allen Dingen
dann, wenn man vor Ort auch die Stadtwerke einbindet,
wie das in Nürnberg der Fall ist.
Allerdings ist die Energiewende ein Gemeinschaftswerk. Sie kann nur dann gelingen, wenn die 16 Bundesländer und der Bund gemeinsam in eine Richtung gehen.
Wenn das jetzt der erste Fall gewesen wäre, in dem ein
Bundesland etwas aus der Reihe tritt, dann könnte man
vielleicht darüber hinwegsehen. Aber das war ja schon
mehrfach der Fall. Wir hatten die Debatte um die Atomenergie, die aus einem bestimmten Bundesland kam,
dann wurde der Ausbau der Windenergie in einem bestimmten Bundesland eingeschränkt, dann gab es die
Debatte um die Stromtrassen, und nun gibt es das Reingrätschen bei der steuerlichen Gebäudesanierung. Hat
das Methode?
({2})
Dabei ist es so - das kann man an der Windenergie sehen -, dass es in diesem Bundesland, dessen Namen ich
jetzt nicht nenne, durchaus eine hohe Akzeptanz für die
Energiewende gibt. In Bayern sind im letzten Jahr 20-mal
so viele Windräder gebaut worden wie in Baden-Württemberg. Es sollten sich die Grünen einmal genau anschauen, woran das liegt.
({3})
Insofern gibt es noch Hoffnung. Ich würde mich
freuen, wenn wir hier alle wieder an einem Strang ziehen
würden, gemeinsam in Richtung energetischer Gebäudesanierung. Wenn Blockaden aufgehoben werden, wenn
die Energie, die diese Debatten kosten, in eine andere
Richtung gelenkt wird, dann kommen wir alle voran,
und dann wird die Energiewende auch gelingen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende und eine gute sitzungsfreie Woche. Auf Wiedersehen!
({4})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Jan Metzler.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Verlauf der
Debatte hat gezeigt, dass - da sind wir uns alle, denke
ich, einig - Energieeffizienz ein wichtiger Bestandteil
der Energiewende ist. Was wir nicht verbrauchen, das
müssen wir auch nicht erzeugen, ganz einfach. Unbestritten ist also, dass Energieeffizienz der Schlüssel zu
einer nachhaltigen Energiepolitik ist. Ohne Einsparungen wird die Energiewende nicht zu schaffen sein; da
sind wir uns alle einig, und das wurde jetzt auch mehrfach betont.
Deutschland hat in den letzten Jahren viel auf den
Weg gebracht. Wir sind Vorreiter, sowohl im europäischen als auch im internationalen Vergleich. Vor allem
energetische Gebäudesanierungen bzw. energetisches
Bauen sind hier wichtige Hebel, die einen entscheidenden Beitrag leisten. In diesem Bereich gehört Deutschland laut der Internationalen Energie-Agentur zur internationalen Spitzengruppe. Seit 2006 hat das CO2Gebäudesanierungsprogramm Investitionen von über
187 Milliarden Euro in diesem Bereich angestoßen; auch
das muss man hier einmal betonen. Mehr als 3,8 Millionen Wohnungen wurden saniert oder besonders energieeffizient neu gebaut. Auch mehr als 2 000 kommunale
oder soziale Einrichtungen haben davon profitiert.
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Ich denke, das ist eine Bilanz, auf die wir ein Stück weit
stolz sein können.
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Dabei haben sich Förderprogramme in Form von Zuschüssen oder Krediten grundsätzlich bewährt, doch
könnten die Antragsverfahren schlanker und verständlicher gestaltet sein; auch das möchte ich betonen und
nicht vergessen. Aber mit diesen Programmen erreichen
wir eben nicht jeden; auch das ist mehrfach betont worden. Deshalb ist die Anzahl der geförderten Immobilien
rückläufig. Man bedenke: Über 80 Prozent des Gebäudebestandes in Deutschland sind in privater Hand. Die
energetische Sanierung eines Einfamilienhauses kostet
im Schnitt 60 000 bis 75 000 Euro. Förderungen durch
Zuschüsse oder Kredite sind also lange nicht für alle
Zielgruppen interessant. Ich denke, diesbezüglich besteht ein allgemeiner Konsens; auch das ist heute schon
mehrfach betont worden.
Welchen Schluss ziehen wir also daraus? Wenn wir
mehr erreichen wollen, brauchen wir ein breiteres Angebot, also Anreize, die schneller wirken. Eine steuerliche
Förderung ist ganz sicher eines der interessantesten Instrumente; das möchte ich bilanzieren. Gerade für die
privaten Haus- und Wohnungseigentümer ist die steuerliche Förderung eine weitere Option. Steuerentlastungen
sind generell wirksam. Sie sind eine echte Alternative
für Menschen, die keinen Kredit aufnehmen wollen oder
vor komplizierten Antragsverfahren zurückscheuen. Außerdem können durch steuerliche Entlastungen auch
Einzelmaßnahmen, wie zum Beispiel eine neue Heizungsanlage, gefördert werden.
Das Thema ist nicht ganz neu. Die steuerliche Förderung wurde schon im Rahmen des Gesetzespakets zur
Energiewende im Jahr 2011 von uns auf den Weg gebracht, scheiterte aber damals im Bundesrat. Der Kollege Durz hat die Chronologie dieses Vorhabens dargelegt. Ich möchte hier betonen, dass es also schon einmal
gehakt hat. Insofern müssen wir uns bewegen, weil es im
Bundesrat schon einmal eine entsprechende Blockadehaltung gab. Um trotzdem weiterzukommen, hatte die
Bundesregierung damals ein Zuschussprogramm in Höhe
von 300 Millionen Euro jährlich für die Jahre 2013 bis
2020 aufgelegt.
Von Bauaufträgen für energetische Sanierungen profitieren vor allem örtliche Handwerksbetriebe. Gerade
diese Klein- und Kleinstunternehmen sind im ländlichen
Raum wichtige Arbeitgeber. Sie genießen - das konnte
man auch heute wieder bilanzieren und feststellen - unser aller Wohlwollen und unser aller Unterstützung.
Allein im Jahr 2013 wurden durch energetische Sanierungen rund 440 000 Arbeitsplätze gesichert bzw. geschaffen. Die steuerliche Förderung der energetischen
Gebäudesanierung ist also ein entscheidendes Puzzlestück für das Gelingen der Energiewende. Das war 2011
so, und das ist auch im Jahr 2015 so. Dieser Verantwortung stellen wir uns. Da lässt sich die Union auch nicht
auseinanderdividieren, was ja hier von dem einen oder
anderen behauptet bzw. versucht wurde. Dazu stehen
wir. Das haben wir 2011 getan, und das tun wir auch im
Jahr 2015.
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Wir alle sind uns einig, dass das steuerliche Fördermodell eine sinnvolle Sache ist. Die Rahmenbedingungen wurden schon im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz konkret beschrieben und im Dezember 2014 im
Kabinett beschlossen. Nun müssen sich also Bund und
Länder in zwei Fragen einig werden. Erstens: Wie wird
die steuerliche Förderung im Detail ausgestaltet? Zweitens, ob und wie sie gegenfinanziert wird. Ich appelliere
an alle, sich konstruktiv zu beteiligen; denn die Energiewende ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
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Wir werden unseren Beitrag leisten.
Da ich der letzte Redner bin, ist es mir eine Freude,
Ihnen allen ein schönes Wochenende zu wünschen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. - Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind gleichzeitig am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 18. März 2015, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Auch ich wünsche Ihnen ein nicht zu arbeitsreiches
Wochenende.