Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen; ich
begrüße Sie herzlich.
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, müssen
wir noch zwei Wahlen durchführen.
Die SPD-Fraktion schlägt vor, den Kollegen Florian
Post als Nachfolger des ausgeschiedenen Kollegen
Wolfgang Tiefensee als persönliches stellvertretendes
Mitglied in den Beirat der Bundesnetzagentur für
Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen zu wählen. Können Sie dem zustimmen? Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Post
als stellvertretendes Mitglied in diesen Beirat gewählt.
Darüber hinaus müssen wir noch eine Schriftführerwahl durchführen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor,
die Kollegin Ronja Schmitt ({0}) als Nachfolgerin für die Kollegin Nina Warken als Schriftführerin
zu wählen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Dann ist das so vereinbart und die Kollegin Ronja
Schmitt als Schriftführerin gewählt.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern.
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:
Auswirkung der Ermordung des russischen
Politikers Boris Nemzow auf die Politik Russlands
({1})
ZP 2 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
({2})
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3})
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens
Drucksache 18/4181
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE:
Beschäftigungssituation von Frauen
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Perspektiven für Klimaschutz und Energieeffizienz nach Absage der Bundesregierung an
einen Steuerbonus für eine energetische Gebäudesanierung
Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der
Beratung, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 17 - hier geht es um die
Stellungnahme gemäß Artikel 23 Grundgesetz zur Eignung des internationalen Regelungswerkes IPSAS für
die Rechnungslegung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union - soll ohne Debatte zusammen mit dem
Tagesordnungspunkt 23 aufgerufen werden.
Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der am 26. Februar 2015 ({4}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({5}) zur
Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes ({6})
Drucksache 18/3991
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? -
Das ist der Fall. Dann haben wir das so beschlossen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d
auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen
Krankenversicherung ({8})
Drucksache 18/4095
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({9})
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann
({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Private Krankenversicherung als Vollversicherung abschaffen - Hochwertige und effiziente Versorgung für alle
Drucksache 18/4099
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({11})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Wöllert, Sabine Zimmermann ({12}), Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Wohnortnahe Gesundheitsversorgung durch
bedarfsorientierte Planung sichern
Drucksache 18/4187
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({13})
Innenausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald
Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula SchulzAsche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesundheitsversorgung umfassend verbessern - Patienten und Kommunen stärken,
Strukturdefizite beheben, Qualitätsanreize
ausbauen
Drucksache 18/4153
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({14})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Parlamentarischen Staatssekretärin Widmann-Mauz.
({15})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gerade wenn eine Grippewelle unser Land in
Atem hält, spüren wir - und das oft sogar am eigenen
Leib -, wie notwendig und hilfreich eine gute und wohnortnahe medizinische Versorgung ist. Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe macht aktuell diese
Erfahrung; deshalb kann er heute nicht hier sein. Ich
wünsche ihm von dieser Stelle aus gute Besserung und
baldige Genesung.
({0})
Die Bundesregierung und die Große Koalition haben
das gemeinsame Ziel, die gute medizinische Versorgung
in diesem Land auch weiterhin sicherzustellen: gut erreichbar in der Stadt und auf dem Land, qualitativ hochwertig in der einzelnen Praxis, im Krankenhaus, beim
Haus- und beim Facharzt. Das unterstelle ich übrigens
auch der niedergelassenen Ärzteschaft in Deutschland
und, an ihrer organisierten Spitze, der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung. Insoweit bringt es die KBV in diesen Tagen auf den Punkt, wenn sie in ihren Zeitungsanzeigen schreibt:
Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Arzt und er ist
nicht mehr da.
Genau das, meine Damen und Herren, ist das Problem,
und das gehen wir mit diesem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz an. Unbestritten: Wir verfügen in unserem
Land über eine breite medizinische Versorgung auf hohem Niveau. Aber wir müssen jetzt handeln, damit das
auch in Zukunft so bleibt.
Die demografische Entwicklung, die unterschiedliche
Situation bei der Versorgung in Ballungszentren, in
strukturschwachen und in ländlichen Regionen und die
Möglichkeiten der Behandlung stellen uns vor neue Herausforderungen. Wir haben das ehrgeizige Ziel, die medizinische Versorgung in Deutschland zukunftsfest zu
machen. Nähe, meine Damen und Herren, soll dabei zu
keinem Fremdwort werden. Das setzt voraus, dass wir
genügend niedergelassene Ärzte haben und dass sie dort
praktizieren, wo sie auch gebraucht werden. Das erfordert eine passgenaue Verteilung.
In ländlichen Räumen bereitet uns vielerorts nicht erst
die Facharzt-, sondern schon die Hausarztversorgung
Sorgen. Nicht wenige ältere Hausärzte haben Mühe, eine
Praxisnachfolge zu finden. Ich sage ganz deutlich: Wir
können hier nicht zusehen und weiter abwarten, sondern
hier muss gehandelt werden, und zwar schon bevor eine
Unterversorgung eingetreten ist.
({1})
Wir wollen deshalb die Anreize für Ärztinnen und
Ärzte zur Niederlassung verstärken und weiter verbessern, indem wir zukünftig den Kassenärztlichen
Vereinigungen die Möglichkeit geben, mit vielfältigen
Maßnahmen vom Stipendium über die Weiterbildungsfinanzierung bis hin zur Niederlassungshilfe einen Beitrag
dazu zu leisten, dass Unterversorgung erst gar nicht entsteht und auch im ländlichen Raum gute, angemessene
Verhältnisse im Hinblick auf die Niederlassung geschaffen und gestärkt werden. Dazu können sie zukünftig mithilfe von zusätzlichen Mitteln der Kassen in eigener Regie in ihrer Region Strukturfonds einrichten. Außerdem
können sie Ärzten Zuschläge für ganz konkrete Leistungen bezahlen, etwa für Hausbesuche.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der niedergelassene freiberufliche Arzt ist das Rückgrat unserer ambulanten Versorgung.
({2})
Hausärzte und Fachärzte sind wichtige Lebensbegleiter
ganzer Familien, nicht selten über Generationen hinweg.
Aber eine gute Versorgung gerade im ländlichen Raum
und die sich ändernden Krankheitsbilder in einer älter
werdenden Gesellschaft verlangen, dass ambulante und
stationäre Versorgung besser miteinander verzahnt sind.
Gute Rahmenbedingungen für die Einzelpraxis müssen
auch einhergehen mit einer verbesserten Möglichkeit gemeinschaftlicher Berufsausübung, der verstärkten Förderung von Praxisnetzen und erweiterten Möglichkeiten
von medizinischen Versorgungszentren. Das ist keine
Abkehr von der niedergelassenen Praxis, keine „Medizinindustrie“ oder gar eine Absage an den freien Arztberuf. Im Gegenteil: Das entspricht in immer stärkerem
Maße den Wünschen junger Mediziner und vor allem
junger Medizinerinnen an die Berufsausübung. Das ist
für die Versorgung der Patienten oftmals sehr hilfreich,
weil Wege gespart und Befunde schneller abgeklärt werden.
({3})
Meine Damen, meine Herren, ich weiß, dass solche
Gedanken in bestimmten ärztlichen Kreisen Sorgen auslösen und bei manchem Funktionär zu reflexartigen Reaktionen führen. Aber nicht hohe Hürden zwischen den
Berufsgruppen und den Sektoren, sondern die gemeinsame Verantwortung für die Patienten sollte doch im
Mittelpunkt der Debatte stehen. Deshalb dürfen wir die
Augen auch nicht vor der Tatsache existierender Überversorgung verschließen. Es ist ja gerade die paradoxe
Situation, dass es auch die zuhauf gibt. Manche Kassenärztliche Vereinigung hat uns vorgezählt, wie viele Praxen durch das neue Gesetz angeblich dichtmachen müssten; 25 000 nennt die KBV für ganz Deutschland. Das ist
blanker Unsinn.
({4})
Denn es geht nicht um die Schließung von Arztpraxen,
sondern es geht darum, ob ein Kassenarztsitz nachbesetzt wird, wenn der bisherige Praxisinhaber zum Beispiel aus Altersgründen ausscheidet. Auch in überversorgten Gebieten wird es dann aber immer von der
konkreten Versorgungs- und Bewerberlage abhängen, ob
eine Praxis nachbesetzt wird oder nicht.
Konkret heißt das: Wenn es zum Beispiel in einem
Gebiet in der gesamten Arztgruppe der Fachinternisten
eine Überversorgung gibt, darunter nur zwei mit
Schwerpunkt Rheumabehandlung, und einer dieser beiden aus Altersgründen ausscheidet, dann muss diese Praxis für die Versorgung der Patienten natürlich nachbesetzt werden. Wenn aber zum Beispiel in einer großen
deutschen Stadt in bester Lage fußläufig acht bis zehn
Kardiologen ihre Praxis haben und einer aus Altersgründen ausscheidet, dann mag das Bild durchaus ein anderes sein. Aber darüber muss vor Ort entschieden werden,
und das, liebe Kassenärztliche Vereinigungen, liegt in
Ihrer Verantwortung; denn die Ärzte selbst legen zusammen mit den Kassen in den Zulassungsausschüssen vor
Ort fest, wann eine Praxis nachbesetzt wird und wann
nicht.
({5})
Wenn es nicht nur ein PR-Gag sein soll, dass sie „für Ihr
Leben gern“ arbeiten, dann bedeutet das auch, dass sie
zumindest dort arbeiten, wo die Patienten leben.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ähnliches gilt für
die Einrichtung der Terminservicestellen zur Vergabe
von Facharztterminen. Bereits nach geltendem Recht
sind die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet,
eine angemessene und zeitnahe fachärztliche Versorgung
zu gewährleisten. Trotzdem berichten gesetzlich versicherte Patienten leider immer wieder über teilweise
lange Wartezeiten auf einen Facharzttermin. Künftig sollen sich Versicherte darauf verlassen können, dass sie
nach Überweisung durch den Hausarzt die fachärztliche
Behandlung innerhalb von vier Wochen erhalten, sei es
beim niedergelassenen Facharzt oder schließlich in einem
Krankenhaus. Damit auch hier keine Legenden entstehen:
Die Regelung gilt nicht bei planbaren oder verschiebbaren Routineuntersuchungen oder gar bei Bagatellerkrankungen, und es bleibt bei der freien Arztwahl. Denn es
geht darum, dass jeder, der eine ärztliche Untersuchung
bzw. Behandlung wirklich braucht, diese auch schnell
bekommt. Die Terminservicestelle vermittelt einen
Facharzt in zumutbarer Entfernung, kann aber nicht den
Termin beim Wunscharzt garantieren. Doch in Fällen, in
denen eine diagnostische Abklärung oder Behandlung
dringend erforderlich ist, überwiegt meist der Wunsch,
überhaupt einen Arzt zu sehen. Unter Wahlfreiheit verstehen wir auch, dass der Patient diese Möglichkeit hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele
weitere wichtige Aspekte in diesem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, unter anderem einen Innovationsfonds,
bei dem wir viel Geld in die Hand nehmen, damit das zukunftsfähige Gesundheitswesen in unserem Land auch
weiterhin Bestand hat.
({7})
Wie in der Wirtschaft gilt auch im Gesundheitswesen:
Das Bessere ist der Feind des Guten. Wir wollen, dass
dieses Gesundheitswesen zukunftsfest bleibt. Dabei
bauen wir auf Ihre Unterstützung, und wir freuen uns auf
die parlamentarische Diskussion zu diesem wichtigen
Gesetz für die Patienten in unserem Land.
({8})
Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege
Harald Weinberg das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! 280 Seiten Versorgungsstärkungsgesetz mit sehr vielen Vorschlägen: Ich kann in
vier Minuten mit Sicherheit nicht alle würdigen. Ich
halte mich da eher an den Tagesspiegel, der vorgestern
schrieb:
Es ist auch seine
- Minister Gröhes Antwort auf zwei der drängendsten Systemprobleme: den immer bedenklicher werdenden Ärztemangel in strukturschwachen Regionen und die
Benachteiligung von gesetzlich Versicherten gegenüber Privatpatienten, die sich in überlangen Wartezeiten manifestiert.
Mit diesem Gesetzentwurf ist die Koalition also angetreten, die Zweiklassenmedizin in den Wartezimmern zu
beseitigen. Ich wäre froh, wenn ich Sie heute kritisieren
könnte, dass Sie hierbei auf halber Strecke stehen geblieben sind. Bei der Hälfte des Weges sind Sie aber längst
nicht angekommen; denn Sie beschäftigen sich in dem
Gesetzentwurf ausschließlich mit den gesetzlich Versicherten. Die Hauptursache für die Zweiklassenmedizin
ist aber die Privatversicherung. Mit der beschäftigt sich
der Gesetzentwurf aber überhaupt nicht.
({0})
Minister Gröhe, dem auch ich von hier aus noch gute
Besserung wünschen möchte, sagt selbst - sehr zur Beruhigung der privaten Versicherungswirtschaft -:
Ich gehe nicht davon aus, dass die Verbesserungen
für Kassenpatienten zu Lasten der Privatversicherten gehen.
Die Terminservicestellen sind ja eine nette Idee, aber
sie werden nicht das Problem lösen, das sie vorgeben lösen zu wollen. Solange die Ärzteschaft für dieselbe Leistung bei Privatversicherten doppelt und dreimal so viel
abrechnen kann wie bei gesetzlich Versicherten, so lange
wird es eine Zweiklassenbehandlung in der Arztpraxis
geben. Das ist klar, und das sagen auch die Ärztinnen
und Ärzte. Wer die Wartezeiten für gesetzlich Versicherte verringern will, muss die Zweiklassenmedizin beseitigen und an die private Krankenversicherung heran.
({1})
Es heißt dann, das ginge nicht, weil in der Großen
Koalition das Thema Bürgerversicherung im Koalitionsvertrag ausgeklammert werden musste. Das sehe ich anders. Wenn man es sozusagen zurückverfolgt, sieht man:
Herr Spahn hat seine Bedenken gegen die Geschäftspraktiken der PKV ja schon 2012 öffentlich zum Ausdruck gebracht und die Branche ermahnt, sich selber zu
reformieren, wozu sie allerdings nicht in der Lage ist.
Bei der SPD, den Grünen und bei der Linken gibt es in
dieser Frage zwar im Detail Unterschiede, aber ansonsten eine gemeinsame ablehnende Haltung. Die einzige
hundertprozentige Lobbyorganisation der PKV, die FDP,
ist nicht mehr im Bundestag vertreten.
({2})
Gleichzeitig nimmt die Akzeptanz und Attraktivität
der privaten Krankenversicherung in der Bevölkerung
offensichtlich ab. 2013 wanderten rund 37 000 Personen
mehr in die gesetzliche ab als umgekehrt von der gesetzlichen in die private. Immer mehr Versicherte wissen,
dass die in jungen Jahren oft geringen Beiträge in der
PKV mit hohen Beitragssteigerungen im Alter erkauft
werden. Ebenso hat es sich herumgesprochen, dass es
auch Lücken in den Leistungsversprechen der privaten
Krankenversicherung gibt und dass man im Falle von
Einkommensverlusten mit der Privatversicherung sehr
schlecht dasteht. Viele Beamte und kleine Selbstständige
sind mehr oder weniger unfreiwillig in der privaten
Krankenversicherung und verfügen über keine hohen
Einkommen. Sie drückt die Beitragsentwicklung besonders. Kurz: Es hat sich herumgesprochen, dass die Privatversicherung nicht die erste Wahl ist. Dies ist eigentlich ein günstiges Umfeld, diese Frage wieder auf die
Tagesordnung zu setzen und damit tatsächlich einen großen Schritt gegen eine Mehrklassenmedizin zu tun.
({3})
Nun kommt immer wieder das Argument, das sei verfassungsrechtlich gar nicht möglich und entsprechend
ausgestaltbar.
({4})
Da empfehle ich Ihnen: Lesen Sie unseren Antrag einmal genau! Wir gehen auf diese Bedenken durchaus ein.
Im Übrigen sind diese Bedenken hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Problematik nicht ganz nachvollziehbar, wenn Sie bei anderen Gesetzesvorhaben dieses
Risiko der Verfassungstauglichkeit ziemlich vorsätzlich
ignorieren.
({5})
Heute Mittag beraten wir beispielsweise über das Gesetz
zur Tarifeinheit, das ein sehr schönes Beispiel dafür ist.
Es gibt zwei Gutachten, die sehr starke verfassungsrechtliche Bedenken formulieren. Es gibt auch Unionsabgeordnete, die in einer anderen Eigenschaft dagegen
klagen werden. Ich erinnere auch an das Bundeswahlgesetz und die Hartz-IV-Regelsätze. Beides wurde gegen
Bedenken durchgesetzt und vom Bundesverfassungsgericht kassiert. Das geht mehrmals im Jahr so.
({6})
Ich nehme Ihnen also nicht ab, Sie würden Anträge
deshalb nicht unterstützen, weil verfassungsrechtliche
Bedenken bestehen; denn da haben Sie wenig Skrupel.
Wenn es Ihnen also nicht um Lobbyinteressen für die
private Krankenversicherung geht, dann sollten wir jetzt
die Chance nutzen, dieses international einmalige und
absurde Nebeneinander von zwei Krankenversicherungssystemen zu beenden.
({7})
Das ginge auch unterhalb oder außerhalb eines Modells
einer Bürgerversicherung. Dazu haben wir den Antrag
vorgelegt. Wir freuen uns auf die weiteren Beratungen.
({8})
Karl Lauterbach erhält nun das Wort für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst einmal darf ich auch im Namen unserer Fraktion Minister Gröhe eine gute Besserung wünschen.
({0})
Ich hoffe, dass er sich rasch erholt. Ich kann bezeugen,
dass er schon stark kränkelnd noch bis Dienstagmorgen
an diesem Gesetzentwurf gearbeitet hat. Er hat sozusagen seine letzte gesunde Sitzung mit uns verbracht. Dafür an dieser Stelle vielen Dank.
Wir werden bei diesem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz folgende Philosophie beachten: Das deutsche Gesundheitssystem hat sehr viele Stärken. Sehr vieles hat
sich bewährt. Wir wollen das Bewährte besser machen.
Wir wollen nicht die Grundsätze des Systems infrage
stellen. Von daher ist es ein System, welches ständig reformiert wird, welches wächst, welches international beachtet wird und mittlerweile ein Vorbild für die Reformen von Gesundheitssystemen in aller Welt geworden
ist. Aber wir haben in diesem System Probleme. Wir
wollen diese Probleme pragmatisch, unbürokratisch und
konkret angehen. Das ist der Grund, weshalb ich glaube,
dass dieses Gesetz seinen Namen verdient. Es ist ein
echtes GKV-Versorgungsstärkungsgesetz.
({1})
Die drei Probleme, auf die wir eingehen, sind wie
folgt zu beschreiben:
Erstens. Wir haben in Deutschland im Vergleich zur
Zahl der Fachärzte relativ wenige Hausärzte. Die Zahl
der Fachärzte steigt, die Zahl der Hausärzte sinkt etwas.
Das erste Problem ist also eine Fehlverteilung zwischen
Hausärzten und Fachärzten.
Das zweite Problem ist: Wir haben eine ausgesprochen ungleiche Arztverteilung. Die Ärzte sind oft dort
geballt zu finden, wo die Lebensqualität aus der Sicht
von Patienten und Ärzten als höher empfunden wird: in
den Großstädten, insbesondere in den wohlhabenden
Teilen der Großstädte. Wir haben eine zunehmende Unterversorgung in ländlichen Gebieten und in den Vorstädten. Wir haben eine im europäischen Vergleich besonders hohe Arztdichte - es gibt nur ein europäisches
Land, das eine noch höhere Arztdichte hat als Deutschland -, gleichzeitig aber eine Unterversorgung in ländlichen Gebieten und in den Vorstädten. Das ist das zweite
Problem, welches wir angehen.
Das dritte Problem ist: Wir haben an der Schnittstelle
zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sehr
viele Übergangsprobleme.
Diese drei Probleme wollen wir mit über 20 konkreten Maßnahmen angehen. Wegen der Kürze der Zeit
konzentriere ich mich nur auf ein paar wichtige, um das
System zu illustrieren.
Ich fange mit der Kritik von Herrn Weinberg an. Herr
Weinberg sagte, das Hauptproblem sei die große Zahl
von Privatversicherten in Deutschland, die im Alter
mehr bezahlen müssten, als erwartet worden sei. Das ist
nicht ganz falsch. Aber falsch ist, dass wir dagegen
nichts tun. Derzeit ist es so, dass viele Arztsitze in überversorgten Gebieten dort nur wegen der hohen Zahl von
Privatpatienten weiterverkauft werden; denn mit wenigen Privatpatienten kann man in einer überversorgten
Region in kürzerer Arbeitszeit zum Teil mehr Gewinn
machen als in einer Versorgerpraxis in der Vorstadt. Was
tun wir dagegen? Wir sorgen dafür, dass ein solcher
Arztsitz demnächst von den Kassenärztlichen Vereinigungen zurückgekauft werden muss, um dann in der
Vorstadt eröffnet zu werden. Das ist schon eine Lösung
dieses Problems. Es ist dann unmöglich, sich dort niederzulassen, wo es - auch weil es dort viele Privatpatienten gibt - schon zu viele Ärzte gibt. Ein solcher Arztsitz
wird dann in eine unterversorgte Region in der Vorstadt
oder auf dem Land verlagert. Das ist doch eine sinnvolle
Maßnahme, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Das ist der einzige Weg, die Ärzte unbürokratisch und
kurzfristig besser im Land zu verteilen.
({2})
Eine weitere Maßnahme ist die Einrichtung der Terminservicestellen. Jeder in Deutschland hat demnächst
die Möglichkeit, innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin zu bekommen. Es gibt eine Nummer, die man
anruft. Dort wird dann ein Termin bei einem niedergelassenen Facharzt vermittelt. Kann ein solcher Termin nicht
vermittelt werden, dann bekommt man einen Termin in
einer Klinik und kann dort in die Ambulanz gehen. Man
hat somit die Sicherheit, innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin zu bekommen. Das ist etwas, was
wir benötigen. Das ist etwas, was wir angesichts der hohen Facharztdichte, die wir in Deutschland in den Kliniken und bei den niedergelassenen Ärzten haben, darstellen können. Wir sorgen also für eine unbürokratische
Verbesserung des Zugangs der Patienten, die einen Facharzttermin benötigen, und zwar innerhalb von vier Wochen.
({3})
Eine weitere sehr wichtige Maßnahme, die wir durchführen, ist: Wir verbessern den Zugang zu unseren
Hochschulkliniken. Wir haben in Deutschland sehr leistungsfähige Hochschulkliniken. Sie versorgen einen großen Teil der ambulanten Fälle, insbesondere der komplexen, der komplizierten Fälle. Sie werden dafür aber
unterbezahlt. Sie machen mit jedem dieser Patienten im
Durchschnitt einen Verlust; das ist natürlich nicht hinzunehmen. Dieser Verlust wird durch die stationären Einnahmen kompensiert. Wir vergüten die Hochschulkliniken jetzt in einer Art und Weise, dass sie kostendeckend
arbeiten. Wir vereinfachen auch dort den Zugang. Wir
vereinfachen die Ermächtigungen dieser Kliniken. Wir
vereinfachen im Prinzip die Nutzung unserer Hochschulmedizin, und zwar bei Qualität und Quantität. Auch das
ist für viele Patienten eine deutliche Verbesserung des
Angebotes. Das, was wir hier gemacht haben, war überfällig und wird von den Patienten, aber auch von den
Ärzten gewünscht.
({4})
Wir werden die Organisation im Hinblick auf chronisch Kranke, die an Depressionen oder Rückenleiden
erkrankt sind, was zu massiven Beeinträchtigungen der
Lebensqualität und zu hohen volkswirtschaftlichen Verlusten führt, verbessern. Für sie führen wir die bewährten Chronikerprogramme, die wir schon für Zuckerkranke und für Herzkranke anbieten, ein. Auch das ist
eine unbürokratische Verbesserung der Versorgung. Wir
werden ferner die Regelungen für qualitätsorientierte Selektivverträge verbessern.
Ich komme zum Schluss. Zusammengefasst ist das
eine Reform nicht gegen Ärzte, sondern das ist eine Reform für Ärzte und für Patienten.
({5})
Wir verbessern die Möglichkeiten für Ärzte, sich dort
niederzulassen und dort zu arbeiten, wo sie unter den
heutigen Bedingungen gerne arbeiten und wo ihre Arbeitszeiten ihren Lebensvorstellungen angepasst werden
können. Außerdem verbessern wir den Zugang zu Qualität und zur Erreichbarkeit in unserem System. Insofern
ist das aus meiner Sicht ein Gesetz, das seinen Namen
verdient: eine GKV-Versorgungsstärkung.
({6})
Harald Terpe ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich schließe mich natürlich den guten
Wünschen für den Minister an, obwohl ich das nicht als
„kränkeln“ bezeichnen würde, Karl, denn „kränkeln“ ist
ein Begriff, der fast nichtmedizinisch ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass die
Koalition mit ihrem Gesetzentwurf den zentralen Herausforderungen des Gesundheitssystems der kommenden Jahre ausweicht. Es liegt ein seitenstarker Gesetzentwurf voller kleinteiliger ministerialer Routine vor.
Der Gesetzentwurf spiegelt aber auch den kleinmütigen
gesundheitspolitischen Gestaltungsanspruch der Großen
Koalition wider.
({0})
Hier und da werden kleine Verbesserungen vorgeschlagen, die zu begrüßen sind. Ich werde darauf eingehen. Hier und da werden aber auch unzulängliche Korrekturen vergangener eigener Fehler vorgenommen.
Auch darauf werde ich eingehen. Die notwendigen Reformen der Versorgungsstruktur werden insgesamt jedoch auf die lange Bank geschoben.
({1})
So fehlen dringend benötigte Regelungen zu einer breit
getragenen regionalen Verantwortung zur Stärkung der
Versorgung, insbesondere in ländlichen Räumen und in
sozial benachteiligten Stadtteilen. An dieser Stelle sei
mir eine kurze Anmerkung gegönnt. Es gibt den Sicherstellungsauftrag der KBV. Das genannte Problem ist
aber nie gelöst worden. Ich glaube, wir lösen das Problem nur, wenn wir die Verantwortung regional breiter
aufstellen.
({2})
Das Gleiche gilt für das prekäre fortgesetzte Scheitern
bei der Reform der Bedarfsplanung. Im Falle der Arztsitze zum Beispiel werden damit sogar Ihre eigenen
Ziele torpediert. Kollege Lauterbach hat schon etwas zur
Arztsitzverteilung gesagt. Es ist nun einmal so, dass die
Bedarfsplanung auf völlig veralteten Zahlen und nicht
auf der realen Krankenlast beruht. Dies führt zu Ungleichgewichten bei der Arztsitzverteilung.
Ich glaube, es ist vielleicht doch zu positiv gedacht,
dass man einfach sagt: Wir vertrauen wieder auf die gleiche KBV, die den Sicherstellungsauftrag hat, die aber
der Bedarfsplanung nicht nachgekommen ist, um diese
ungleiche Arztverteilung zu beseitigen.
Nun aber zu den sinnvollen Regelungen. Ich will ein
paar Beispiele nennen. Natürlich werden wir Grüne einer Nutzenbewertung beispielsweise von Medizinprodukten der hohen Risikoklassen zustimmen. Das ist im
Übrigen eine Sache, die in den vergangenen Jahren insbesondere von der Union immer wieder torpediert worden ist. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode
Vorschläge hierzu gemacht. Insofern freue ich mich,
dass wir das jetzt gemeinsam durchsetzen können. Natürlich ist die Förderung der Weiterbildung für Hausärzte
eine wichtige Sache. Die Aufstockung auf 7 500 Stellen
begrüßen wir ausdrücklich. Es wird Zeit, dass wir bei der
Weiterbildung der Hausärzte vorankommen.
({3})
Sie haben Ihre zentralen Projekte genannt. Sie haben
zum Beispiel auf den Innovationsfonds abgehoben. Das
ist auch nur die Korrektur eines vergangenen Fehlers.
Bis 2008 gab es in Bezug auf die Anschubfinanzierung
für die integrierte Versorgung nämlich Vergleichbares.
Sie legen jetzt einen Innovationsfonds auf, der mit weDr. Harald Terpe
sentlich geringeren Mitteln ausgestattet ist und wiederum nicht die Evaluation der ehemaligen integrierten
Versorgung berücksichtigt. Damit sorgen Sie wieder für
die gleiche Situation: Es können Anträge gestellt
werden. Aber das, was eigentlich nötig wäre, dass man
beispielsweise Modellregionen für eine populationsorientierte integrierte Versorgung schafft, auch für benachteiligte Gruppen, lassen Sie vermissen.
({4})
Nun zu der Frage, wer hier Antragsteller sein darf. Ich
denke, in Zukunft sollten Regionen und Kommunen Antragsteller sein; das ist eine Herausforderung. Aber
gerade das wird vernachlässigt. Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass Pharmaunternehmen und Medizinproduktunternehmen Anträge stellen können. Das deutet
darauf hin, dass es in Ihrem Gesetzentwurf zwar auch
um Innovationen geht, aber nicht um die Innovationen,
die man für eine vernünftige Versorgungsstruktur
braucht.
({5})
Ein paar kurze Ausführungen zum Zweitmeinungsverfahren. Sie sehen hier eine Regelung vor, die sich
vordergründig an ökonomischen Kriterien orientiert. Wir
sagen: Man muss überdenken, ob das ethisch so vertretbar ist. Bei Zweitmeinungsverfahren muss es nämlich
primär um die Frage gehen: Was ist gut für den Patienten?
({6})
Deshalb muss man das als allgemeinen Anspruch bzw.
Patientenrecht gestalten. Das macht auch Sinn im Hinblick auf die ökonomische Gestaltung der Versorgungsstruktur. Darüber können wir uns in der parlamentarischen Diskussion gerne auseinandersetzen.
Zur Versorgung von Menschen mit Behinderung. Sie
machen hier einige Vorschläge, die sinnvoll sind. Als
Beispiele nenne ich die Mitaufnahme in Hausarztverträge, die Barrierefreiheit von Krankenhäusern und Regelungen zur Zahnprophylaxe. Es fehlt hier aber ein umfassender Ansatz. Ich erinnere an das Trauerspiel in der
parlamentarischen Diskussion, als es um unseren Antrag
ging, und denke hier insbesondere an die Kollegen der
Unionsfraktion. Ich denke, wir sollten in der parlamentarischen Anhörung zu unserem Antrag versuchen, Vorschläge zu finden, die wir in dem Entwurf eines Versorgungsstrukturgesetz berücksichtigen können.
({7})
Zur Wartezeitenregelung. Es ist völlig richtig, dass
der Anlass für die Diskussion um Wartezeiten nicht die
Frage war, ob Kassenpatienten hier und da lange warten,
sondern die Tatsache, dass sie im Durchschnitt länger
warten als die Privatpatienten. Dieses Problem wird mit
der Wartezeitenregelung überhaupt nicht gelöst.
({8})
Ich glaube, auch ansonsten haben Sie zu viel Hoffnung;
denn Sie gehen den Ursachen dieser Wartezeiten nicht
auf den Grund. Hier haben wir noch einen erheblichen
Nachholbedarf.
Damit bin ich wieder bei dem, was Sie mit diesem
Versorgungsstrukturgesetz überhaupt nicht erreichen,
nämlich eine Verbesserung bzw. Reform der Bedarfsplanung.
({9})
Natürlich gibt es bei bestimmten Facharztprofessionen
Engpässe, und Sie werden mit keiner Serviceterminstelle
dagegen ankommen. Ich frage mich in Bezug auf die
Serviceterminstellen auch: Werden diejenigen, die sich
am besten artikulieren können, einen Termin zulasten
derer bekommen, die sich nicht so gut artikulieren können? Das ist eine Frage, die wir zumindest stellen müssen und die auch beantwortet werden muss.
({10})
Wir legen Ihnen zu diesem Gesetzentwurf einen eigenen Antrag vor. In diesem konzentrieren wir uns auf die
wesentlichen Punkte. Einige habe ich schon genannt: die
Reform der Bedarfsplanung - das ist sehr wichtig -, die
Organisation der sektorenübergreifenden Versorgung
und Verbesserungen bei dem von Ihnen richtigerweise
vorgeschlagenen Innovationsfonds. Das, was Sie hier
leisten, kann noch nicht alles sein. In diesem Sinne freue
ich mich auf die parlamentarische Diskussion und hoffe,
dass wir noch eine ganze Reihe Verbesserungsvorschläge unterbringen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Georg Nüßlein für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wenn
der Redner der größten Oppositionsfraktion hier nichts
anderes macht, als die alte Kampflinie zwischen privater
und gesetzlicher Krankenversicherung erneut zu ziehen,
also gar nicht zum Thema spricht,
({0})
lässt das nur einen Schluss zu: Der vorliegende Gesetzentwurf muss gut sein.
({1})
Sie haben auch etwas Richtiges gesagt, Herr
Weinberg, nämlich dass wir uns in einer bemerkenswert
guten Finanzsituation befinden. Die Finanzreserven im
Gesundheitsfonds betragen 12 Milliarden Euro und die
Reserven der Krankenkassen etwa 16 Milliarden Euro.
Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist: Sie würde
das veranlassen, die Ausgabendisziplin aufzukündigen.
Wir nutzen die Chance, über Verbesserungen der Versorgung zu diskutieren und dazu etwas auf den Tisch zu legen.
Nun hat Herr Terpe die Kleinteiligkeit in diesem Gesetzentwurf gerügt. Er hat diesen Entwurf erfreulicherweise aber auch gelobt. Natürlich wird mit diesem Gesetzentwurf an vielen Stellen eingegriffen. Der Kollege
Lauterbach hat recht, wenn er sagt: Wir haben eine ausgesprochen gute Versorgung. Wer das nicht glaubt, kann
das an der sicheren Rückführung aus dem Ausland im
Krankheitsfall ablesen. Denn wenn jemand im Ausland
krank wird, hat er nur noch einen Gedanken: Wie
komme ich zurück nach Deutschland?
({2})
- Schreien Sie doch nicht so laut! Hören Sie zu; das
wäre nicht falsch. Vielleicht lernen Sie tatsächlich noch
etwas.
({3})
- Sie ist aber wahr. - Es geht darum, dafür Sorge zu tragen, dass es auf dem Land wieder mehr Ärzte gibt und
dass Kinderärzte dahin kommen, wo die Versorgung
nicht ganz so gut ist. Dazu haben wir einen umfassenden
Katalog von Anreizen und finanzieller Unterstützung
entwickelt.
Anders als momentan in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, geht es uns um die Stärkung der
freiberuflich tätigen, niedergelassenen Ärzte. Dieses
Modell hat sich seit vielen Jahrzehnten bewährt und hat
dazu beigetragen, dass die Patienten in Deutschland freie
Arztwahl und freien Zugang zur ambulanten medizinischen Versorgung haben. Es gibt überhaupt keinen Anlass, dies aufzugeben und etwa die ambulante fachärztliche Versorgung in die Krankenhäuser zu verlagern; das
möchte ich ganz ausdrücklich sagen, damit hier nicht etwas anderes behauptet wird.
Gleichwohl müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass
die Bereitschaft der jungen Ärzte, sich niederzulassen,
zurückgeht, weil sie eine andere Vorstellung von dem
haben, was man Work-Life-Balance nennt. Da hat sich
etwas getan. Auch das berücksichtigen wir in diesem
Gesetzentwurf. Wir haben schon vorher die Errichtung
Medizinischer Versorgungszentren oder von Einrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigungen erleichtert. Jetzt
gehen wir weiter und geben auch den Kommunen die
Chance, Ärzte anzustellen. Wir sind nämlich der festen
Überzeugung, dass die Kommunalpolitiker vor Ort die
Versorgungsprobleme am besten kennen und die größte
Motivation haben, die Probleme zu lösen. Deswegen
werden wir ihnen dazu die Möglichkeit geben.
({4})
Das löst das Problem allerdings nur dann, wenn auch ein
Arzt gefunden wird, der hier mitmacht. Deshalb versuchen wir, junge Ärzte für bestimmte Bereiche, in denen
Unterversorgung besteht, zu gewinnen.
Es gibt aber - auch das muss man zugeben - einiges,
was man nicht gesetzlich regeln kann, zum Beispiel die
Einstellung gegenüber einer Arbeit auf dem Land und
die verbreitete falsche Erwartung, dass die Stadt angeblich mehr an Lebensqualität zu bieten hätte. Das kann
man nicht gesetzlich regeln. Aber wir können die Voraussetzungen für eine Arbeit auf dem Land verbessern
und dafür sorgen, dass eine ärztliche Tätigkeit im ländlichen Raum auch ökonomisch wieder interessant wird.
Wir haben das ganz zu Beginn der Legislaturperiode dadurch gemacht, dass wir die gesetzlichen Grundlagen für
die Hausarztverträge neu geregelt haben, damit der
Hausarztberuf für den potenziellen Nachwuchs wieder
attraktiv wird, und das wirkt auch tatsächlich.
({5})
Nun geht es darum, die Hausarztversorgung wohnortnah zu sichern. Der ärztliche Versorgungsbedarf lässt
sich aber nicht alleine mit Verhältniszahlen messen, sondern er hängt auch von den Bedürfnissen und der Wahrnehmung der Patienten ab.
({6})
Dabei spielen Aspekte wie die Erreichbarkeit unter anderem mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Wartezeiten
bei bestimmten Arztterminen eine entscheidende Rolle.
Die derzeit geltende Bedarfsplanung ist in Teilen zu
schematisch und berücksichtigt die regionalen Anforderungen nur unzureichend.
({7})
- Freuen Sie sich doch, wenn ich Ihnen recht gebe, Herr
Terpe. ({8})
Deswegen müssen wir uns im Fortgang unserer Politik
noch einmal damit befassen, wie wir damit umgehen.
Auch die Kritik, die wir bei der Regelung zum Aufkauf von Arztpraxen erfahren haben, hängt damit zusammen. Aber wir haben keine Mussbestimmung geschaffen, wie der Kollege Lauterbach behauptet hat,
sondern es ist eine Sollregelung. Das hängt also auch
von der Zustimmung der Ärzteschaft ab; daran wollen
wir nichts ändern.
Wir werden im parlamentarischen Verfahren noch
einmal darüber diskutieren müssen, ab wann ein Gebiet
überversorgt ist.
({9})
Das müssen wir noch einmal entsprechend debattieren,
und ich glaube, dass wir zu den richtigen Lösungen
kommen werden.
Herr Kollege Nüßlein, lassen Sie kurz vor Schluss Ihrer Rede noch eine Zwischenfrage oder -bemerkung zu?
Von wem denn?
Von Frau Klein-Schmeink.
Okay.
Bitte schön.
Danke schön. - Herr Nüßlein, Sie haben auf die Problematik der Versorgungsplanung hingewiesen. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf eine sehr deutliche Regelung vorgesehen, nämlich dass Praxissitze nicht wieder
besetzt werden können, wenn die Unterversorgungsfeststellung überschritten wird.
Sie haben die Probleme schon angeführt. Es liegen in
der Tat keine wissenschaftlichen Studien dazu vor, wie
sich die Versorgung in den Regionen abbildet. Wir haben
vielmehr einen historischen Aushandlungsstand. Das
wird beispielsweise im Bereich der Psychotherapeuten
sehr deutlich, wo man einfach die Versorgung an einem
bestimmten Stichtag als Hundertprozentversorgung definiert und das danach nicht weiterverfolgt hat.
Wie wollen Sie jetzt damit umgehen - Sie haben eine
Diskussion darüber angekündigt, um zu einer sachgerechteren Lösung zu kommen -, wenn Sie sich gar nicht
darum bemühen, ein anderes Kriterium für die Versorgungsplanung auf den Weg zu bringen? Davon ist in Ihrem Gesetzentwurf nämlich nicht die Rede; Sie haben
vielmehr eine Sollregelung geschaffen, nach der Praxissitze nicht wieder besetzt werden können. Sie haben aber
keine Regelung vorgesehen, derzufolge Sie sich um bessere Versorgungswerte bemühen, indem Sie die Krankheitslast in einer Region erfassen und die demografischen Anforderungen berücksichtigen.
Haben Sie vor, das in dem Gesetz zu regeln? Das
würde uns freuen. Es würde uns auch sehr freuen, wenn
Sie insbesondere die Frage der psychotherapeutischen
Versorgung aus diesem Kontext ausklammern würden.
Denn das, was derzeit dazu im Gesetzentwurf vorgesehen ist, ist geradezu aberwitzig.
({0})
Frau Kollegin, zum einen eröffnen wir heute das parlamentarische Verfahren. Das heißt, es wird genau diese
Diskussion geben, die Sie angesprochen haben. Zum anderen sind wir nun an dem Punkt, an dem wir regeln
können, dass nicht 110 Prozent Überversorgung als
Maßstab zugrunde gelegt werden, sondern dass wir,
wenn die Basis nicht ganz exakt ist, das meinetwegen
auf 150 Prozent ausweiten.
({0})
- Das ist nur ein Beispiel. - Wir können es auf 150 Prozent ausweiten, um einen entsprechenden Abstand zu
haben.
({1})
- Ich verstehe Sie nicht.
Ich möchte noch einmal betonen: Es handelt sich um
eine Einzelfallregelung, die genau die Aspekte berücksichtigt, die Sie gerade angesprochen haben. Wir gehen
davon aus, dass die damals angenommenen 100 Prozent
nicht mehr zutreffen, wenn beispielsweise Patienten aus
dem Nachbarlandkreis in eine Praxis kommen. Solche
Faktoren wird man selbstverständlich berücksichtigen.
Insofern meine ich, dass das Vorhaben zwar gut ausgestaltet ist, dass wir aber insbesondere dieses Problem
kurzfristig dadurch lösen können, dass wir die Überversorgung anders definieren als bisher im Gesetzentwurf.
({2})
Diese Vorschläge jedenfalls werden wir prüfen.
Was die Terminservicestellen angeht, möchte ich
deutlich unterstreichen, dass diese das Thema sind, das
die Leute draußen am meisten bewegt. Da werden wir
am Erfolg gemessen. Deshalb sollten wir alles daransetzen, dass diese tatsächlich Wirkung entfalten. Aber wir
sollten uns im parlamentarischen Verfahren noch einmal
Gedanken machen, wie man in dieses System das einbaut, was in verschiedenen Regionen inzwischen schon
funktioniert.
Ich glaube, dass wir beim Innovationsfonds mittlerweile eine gute Lösung gefunden haben. Wir werden das
so austarieren, dass wir nicht nur jährlich 300 Millionen
Euro zur Verfügung stellen, sondern dass am Schluss
auch etwas dabei herauskommt, dass die Projekte richtig
ausgewählt werden und dass ein Expertengremium eingesetzt wird, das das Notwendige tut. Wir sind auch da
auf einem guten Weg. Ich freue mich auf die Beratungen
über ein ausgesprochen gutes Gesetz, das die Versorgung in Deutschland ein ganzes Stück voranbringen
wird.
Vielen herzlichen Dank.
({3})
Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Wöllert für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, liebe
Zuschauerinnen und Zuschauer, ich denke vor allem für
Sie - so habe ich die Frau Staatssekretärin verstanden und für Ihre bessere Versorgung sollte dieses Gesetz gemacht werden. Bei Ihrer Rede, Kollege Nüßlein, habe
ich angefangen, daran zu zweifeln. Denn Sie haben fast
wörtlich gesagt: Worum es uns bei diesem Gesetz geht,
ist die Stärkung der freiberuflich niedergelassenen Ärzte. Ich glaube, Ihre Betonung lag da noch auf dem Wort
„niedergelassen“; denn das Wort „freiberuflich“ - das
sollte man noch einmal sagen; das wird immer so kritisiert - meint auch die Diagnose- und Therapiefreiheit.
Die gewähren auch angestellte Ärzte. Das sollten wir
vielleicht ganz deutlich machen.
({0})
Auch von mir noch einmal gute Wünsche an den Gesundheitsminister und gute Besserung. Für diesen Gesetzentwurf wünsche ich mir auf dem Weg zum Gesetz
noch viele Verbesserungen; sie sind einfach dringend
notwendig.
({1})
Zunächst einige Schlagzeilen der letzten Wochen. Am
18. Februar 2015 schreibt die Ärztezeitung:
Ärztemangel erreicht die Städte. Die Stadt Wolfsburg lockt mit 50 000 Euro für neue ärztliche Niederlassungen. Ein großes Hindernis: Es gibt doch
dort fast nur noch gesetzlich Versicherte.
Am 10. Februar 2015 meldet die Frankfurter Rundschau für Darmstadt-Dieburg: 35 Medizinerinnen und
Mediziner hören in diesem Jahr auf; schon jetzt fehlen
14 Hausärztinnen und Hausärzte. Der dortige Landrat
hat ein Konzept entwickelt: Alle Aufgaben - Haus- und
Fachärztemangel, defizitäre Kliniken im Wettbewerb
und die sich wandelnde Pflege im Alter - sollen miteinander verknüpft betrachtet werden. - Vorbildlich! Das
wäre ein Beispiel für die Bundesregierung.
({2})
Am 15. Februar 2015 schreibt die Zeitung Am Sonntag:
Horror-Szenario Ärztemangel.
Der durchschnittliche Hausarzt in Bayern ist …
54,3 Jahre alt und männlich. Im Raum Pocking und
Vilshofen liegt der Schnitt sogar bei ziemlich genau
59 Jahren.
Warum nenne ich diese Beispiele? Nicht aus Panikmache, sondern weil das Problem schon längst nicht
mehr nur ein ostdeutsches ist. Es hat sogar die reichen
Länder Bayern, Hessen und auch Niedersachsen erreicht.
Bei mir in Brandenburg ist dieses Thema seit neun
Jahren spruchreif. Seit dieser Zeit reden wir darüber. In
meinem Bundesland Brandenburg sind von den 46 Mittelbereichen - das ist die Planungsgröße für die Hausärzte - 13 Bereiche bereits von Unterversorgung betroffen oder bedroht. Es gibt insgesamt 30 Bereiche, die
offene Stellen für Hausärztinnen und Hausärzte haben.
In meinem Landkreis Spree-Neiße ist es noch prekärer.
Da gibt es überhaupt keinen Bereich mehr mit einer 100prozentigen Versorgung. Ähnlich sieht es bei den Fachärztinnen und Fachärzten aus. Ich nenne als Beispiel die
Augenheilkunde. Nach der regionalen Planungskennziffer ist ein Augenarzt für 20 349 Einwohner vorgesehen.
Vorgeschrieben sind sieben Fachärzte für Augenheilkunde, um eine 100-prozentige Versorgung zu gewährleisten; fünf haben wir nur. Nun wissen Sie, wo die Probleme liegen.
Der Landrat in Hessen, den ich vorhin zitierte, hat
also ein mutiges Konzept entwickelt. Das würde ich der
Bundesregierung sehr gerne noch einmal ans Herz legen.
Denn 2012 wurde zwar das Landärztegesetz verabschiedet, dies hat uns aber nicht mehr Landärzte beschert.
Deshalb brauchen wir jetzt auch kein Versorgungsstärkungsgesetz, das uns keine tatsächliche Stärkung der
Versorgung bringt. Da haben wir einfach noch viel zu
tun.
Es gibt ein paar Dinge, die auszubauen sind. Ich hoffe
sehr, dass der Fonds, den wir dann haben, tatsächlich für
Versorgungsforschung genutzt wird. Ich glaube, wir haben in unserem Antrag zur Bedarfsplanung gute Vorschläge gemacht. Es gibt genauso gute Vorschläge im
Antrag der Grünen. Sollte das alles in unsere Diskussion
einfließen und dann am Ende auch noch mit Ergebnissen
verziert werden, könnte doch noch ein gutes Versorgungsstärkungsgesetz zustande kommen.
Danke schön.
({3})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Sabine
Dittmar das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, hat zum Ziel,
die medizinische Versorgung auf hohem Niveau zu sichern. Dabei sind mir drei grundsätzliche Aspekte besonders wichtig:
Erstens. Die medizinische Versorgung in Deutschland
muss flächendeckend, bedarfsgerecht und gut erreichbar
sein. Das gestaltet sich in ländlichen Regionen immer
schwerer.
Zweitens. Die medizinische Versorgung muss qualitätsorientiert, evidenzbasiert und leitliniengerecht sein.
Die Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass Diagnostik und Therapie nur dem
gesundheitlichen Wohl dienen und nicht ökonomisch begründet sind.
Drittens. Wir müssen dem Wunsch der Patienten nach
einer vernetzten, nach einer koordinierten Behandlung
ohne Versorgungsbrüche gerecht werden. Auch das wird
angesichts des spezialisierten Behandlungsangebotes
immer schwieriger.
Deshalb ist es legitim und auch notwendig, wenn wir
uns der bedarfsgerechten Verteilung der Ärztinnen und
Ärzte annehmen. Wenn ich in meine Heimatregion
schaue, dann muss ich feststellen, dass es der Kassenärztlichen Vereinigung immer schwerer fällt, dem Ganzen gerecht zu werden; das haben uns schon Vorredner
bestätigt. Bei mir zu Hause, in Schweinfurt-Nord, gibt es
seit über einem Jahr eine dokumentierte anhaltende Unterversorgung; zehn Hausarztsitze sind nicht besetzt, stehen also zur Verfügung. Nebenan, im Planungsbereich
Schweinfurt-Süd, gibt es nicht nur eine Regelversorgung, sondern sogar eine Überversorgung. Deshalb,
denke ich, ist es notwendig, dass wir uns mit einer
gleichmäßigen Verteilung beschäftigen, dass wir uns der
Unterversorgung und der Überversorgung widmen.
Gegen die Unterversorgung haben wir in der Vergangenheit schon einiges getan. Ich nenne hier folgende
Punkte: Flexibilisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit,
Einrichtung eines Strukturfonds, Aufhebung der Residenzpflicht, Aufhebung von Budgetgrenzen. Auch durch
die Verabschiedung des vorgelegten Gesetzentwurfs
werden die Einsatzmöglichkeiten erweitert. Das geht
von einer Erweiterung des Strukturfonds bis hin zur Delegation. Wir geben den Kassenärztlichen Vereinigungen
also Werkzeuge an die Hand. Aber wir erwarten von diesen auch, dass sie diese Werkzeuge zum gezielten Abbau
von Überversorgung einsetzen. Aus diesem Grund werden wir sie in die Verantwortung nehmen.
Wir werden darauf Wert legen, dass man sich in Planungsbereichen, die zu über 110 Prozent versorgt sind,
bei einer Nachbesetzung intensiv mit der Versorgungssituation vor Ort auseinandersetzt, dass man genau
hinschaut, welchen Versorgungsauftrag eine Praxis
wahrnimmt, wie die Patientenströme aus anderen Planungsbereichen sind, welche spezielle Qualifikation
man braucht; die Staatssekretärin hat die Rheumatologen
schon angesprochen. Danach wird entschieden. Braucht
man eine Praxis aus Versorgungsgründen, dann wird sie
nachbesetzt. Braucht man eine Praxis aus Versorgungsgründen nicht, dann wird sie aufgekauft. Das ist kein
Automatismus, das ist auch keine Rasenmähermethode,
die bei einem Versorgungsgrad von 110 Prozent die ärztliche Versorgung plattmacht, sondern das ist die Übernahme von Verantwortung zur Gewährleistung eines gerechten Zugangs zur ärztlichen Versorgung.
({0})
Deshalb verstehe ich - lassen Sie mich das in aller
Deutlichkeit sagen - den kollektiven Aufschrei aus der
verfassten Ärzteschaft nicht. Ich halte ihn für nicht angebracht. Er verunsichert Patienten und Ärzte gleichermaßen.
({1})
Die Debatte um Über- und Unterversorgung hat gezeigt, dass die Bedarfsplanungsrichtlinie nicht den
tatsächlichen Versorgungsbedarf widerspiegelt. Ich
schließe mich da dem Sachverständigenrat an, der eine
empirische Studie zur Bedarfsermittlung einfordert, damit wir neben Demografie Morbidität, sozioökonomische Faktoren, Infrastruktur sowie konkrete Versorgungsleistungen berücksichtigen können.
({2})
Ich muss hier sagen, dass ich dem Bundesrat für seinen Antrag zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung
dankbar bin. Auch begrüße ich es, dass die Bundesregierung zugesagt hat, diesen zu prüfen. Die Aussagen des
Kollegen Nüßlein hier am Pult geben mir ein bisschen
Hoffnung, dass wir vielleicht auch ohne Vereinbarung
im Koalitionsvertrag bei diesem Punkt weiterkommen
werden.
({3})
Die ganze Planung bringt uns aber nichts, wenn es
uns nicht gelingt, auch die jungen Mediziner für die ambulante Tätigkeit zu begeistern. Die klassische Einzelkämpferpraxis hat an Attraktivität verloren. Die jungen
Kolleginnen und Kollegen möchten im Team arbeiten.
Sie möchten geregelte Arbeitszeiten, und sie achten auf
ihre Work-Life-Balance. Genau deshalb werden wir
nicht nur neue, innovative, sektorenübergreifende Versorgungsformen fördern, sondern auch kooperative Versorgungsformen wie MVZ, Medizinische Versorgungszentren, sowie Ärztenetze entbürokratisieren und
flexibilisieren.
Lassen Sie mich auf einen weiteren wichtigen
Schwerpunkt dieses Gesetzes eingehen, nämlich auf die
Förderung der Allgemeinmedizin. Wir gestalten sie nicht
nur verlässlicher, rechtssicherer, sondern wir entwickeln
sie weiter. Es ist schon erwähnt worden, dass wir die
Zahl der zu fördernden Stellen auf 7 500 erhöhen werden. Auch werden wir festlegen, dass die Vergütung des
Weiterbildungsassistenten einer tarifvertraglichen Vergütung im Krankenhaus zu entsprechen hat. Auch das ist
eine wichtige Maßnahme. Ich möchte hier aber in aller
Deutlichkeit sagen: Es muss uns dann auch gelingen,
diese 7 500 Stellen mit weiterbildungswilligen Medizinern zu besetzen. Das Interesse an Weiterbildung wird
bereits im Studium geweckt. Deshalb sehe ich hier dem
Start der Arbeitsgruppe „Masterplan Medizinstudium
2020“ mit einer gewissen Ungeduld entgegen.
({4})
Das Gesetz regelt noch eine ganze Menge mehr, zum
Beispiel den Zugang zur Versorgung und die Leistungsausweitung. Darauf wird meine Kollegin Hilde Mattheis
anschließend noch eingehen.
Abschließend stelle ich fest: Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, welcher der Dynamik, der Verbesserung und der Stärkung der Versorgung gerecht wird. In
der parlamentarischen Debatte wird sicherlich an der einen oder anderen Stelle noch zu diskutieren sein, wie
man manches praxistauglicher oder auch bürokratieärmer gestalten kann. Auf diese Debatte freue ich mich.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({5})
Jens Spahn erhält nun das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Versorgungsstärkungsgesetz, über dessen Entwurf wir
heute in erster Lesung beraten, fügt sich in eine Reihe
von gesetzlichen Veränderungen ein, die wir in den letzten Jahren begonnen haben, um die ärztliche bzw. die
medizinische Versorgung insgesamt im ländlichen Raum
und in anderen Gebieten - durchaus auch in bestimmten
Stadtteilen; es ist nicht nur ein Problem des ländlichen
Raums - zu verbessern und dafür zu sorgen, dass sie in
Zukunft auf hohem Niveau bleibt.
Dabei müssen wir feststellen, dass Geld allein - man
könnte sagen: dann zahlt doch mehr auf dem Land - das
Problem nicht löst. Ein Hausarzt zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern kann heute in ländlichen Regionen
richtig gut verdienen. Trotzdem ist es schwierig, jemanden zu finden, der sagt: Ich will deine Arztpraxis übernehmen. - Warum? Weil es offensichtlich nicht nur darum geht, viel Geld zu verdienen, sondern auch darum,
unter welchen Bedingungen Geld verdient wird: Wie oft
habe ich am Wochenende Notdienst? Wie weit muss ich
fahren, wenn ein Hausbesuch ansteht? Sind es 30 oder
40 Kilometer? Bin ich der einzige Arzt weit und breit,
der praktisch rund um die Uhr im Einsatz ist? - Deswegen reicht es nicht, nur über Geld zu reden, sondern wir
brauchen ein Bündel von Maßnahmen. Es gibt nicht den
einen Hebel, mit dem das Problem behoben werden
kann. Genau da gehen wir mit diesem Gesetz heran.
Herr Weinberg und Herr Terpe, Sie werfen uns vor,
dass das Gesetz ein Bündel an Maßnahmen beinhaltet.
Dazu muss ich sagen: Wenn das ein Vorwurf sein soll,
dann haben Sie das Problem nicht verstanden. Es gibt
nicht die eine Lösung, sondern wir brauchen breit angelegt viele verschiedene Maßnahmen, um die Tätigkeit im
ländlichen Raum wieder attraktiv zu machen. Wenn Sie
uns das vorwerfen, haben Sie schlicht und ergreifend das
Problem nicht verstanden.
({0})
Wir gehen eine ganze Reihe von Themen an:
Die Notdienste: Wir wollen durch klarere Absprachen
eine bessere Kooperation mit den Notfallambulanzen der
Krankenhäuser und dem Apothekennotdienst erreichen.
Die Hausbesuche: Wir wollen es möglich machen,
dass nicht nur in unterversorgten Regionen, sondern in
allen Regionen entsprechend ausgebildete Pflegekräfte
zu Routinehausbesuchen geschickt werden, zum Beispiel wenn es um die Messung von Blutdruckwerten
oder das Wechseln eines Verbandes geht.
Wir machen es möglich, auch in anderen Bereichen
angestellt tätig zu sein; denn viele der jungen Ärztinnen
und Ärzte wollen nicht auch in betriebswirtschaftlicher
Hinsicht selbstständig und für die Praxis verantwortlich
sein. Deswegen erleichtern wir den Kommunen das Betreiben von Medizinischen Versorgungszentren, obwohl
- auch das will ich an dieser Stelle sagen - es für uns einen hohen Wert hat, dass es selbstständig tätige Hauswie Fachärzte gibt. Das ist ein Beleg für die Qualität
und das Engagement im Bereich der ambulanten Versorgung. Das ist ein Qualitätsmerkmal der Versorgung in
Deutschland.
({1})
Herr Weinberg, die Menschen beschäftigt dieses
Thema. Ich komme aus einem Dorf mit 3 700 Einwohnern. Dort gibt es den Arzt, den Apotheker, den Pastor,
den Kaufmann und den Lehrer, die das gesellschaftliche
Leben und die Infrastruktur im Dorf mitbestimmen.
({2})
- Sie können darüber Witze machen; aber damit zeigen
Sie nur, dass Sie das dörfliche Leben nicht kennen. Ob
man im Dorf zum Hausarzt gehen kann, ob man vor Ort
die Dinge des täglichen Lebens einkaufen kann und ob
es eine Grundschule gibt, das sind Fragen, die die Menschen beschäftigen.
({3})
Sie haben nicht ein Wort dazu gesagt. Sie haben hier
minutenlang über die Tagesordnung des heutigen Tages,
über Hartz IV und über das Verfassungsgericht geredet.
Aber zu der Versorgung im ländlichen Raum, zu dem
Thema, das die Menschen beschäftigt, haben Sie kein
Wort gesagt.
({4})
Das zeigt einmal mehr, dass Sie danebenliegen, wenn es
um die wirklichen Probleme geht.
({5})
Das gilt auch für Ihre Äußerungen zur privaten Krankenversicherung. Dabei ist wieder Ihre Vorstellung von
Gleichheit deutlich geworden.
({6})
Das ist Sozialismus: Wenn alle gleich lang warten und
gleich wenig da ist, dann ist es am besten und am gerechtesten. Das entspricht nicht unserer Vorstellung von
guter Versorgung. Wir wollen nicht, dass es überall
gleich schlecht ist.
({7})
Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir in manchen
Bereichen lange Wartezeiten für gesetzlich Versicherte
haben, weil 10 Prozent der Bevölkerung privat versichert sind! Glauben Sie ernsthaft, dass das das eigentliche Problem ist?
({8})
Das zeigt doch nur, dass Sie in ideologischen Schubladen denken.
({9})
Wir müssen am Ende schauen: Wie können wir die
Situation für gesetzlich Versicherte verbessern? Wo liegt
das Problem? In bestimmten Regionen ist das Problem,
dass es in manchen Bereichen objektiv zu wenige Fachärzte gibt. Bei uns im Münsterland fehlen zum Beispiel
Neurologen. Da hilft es nichts, wenn man die Bürgerversicherung einführt. Da hilft es, wenn man Krankenhäuser, die angestellte Neurologen haben, öffnet, sodass
diese Neurologen die Patienten behandeln können. Die
Patienten wollen einen Arzt sehen. Ihnen ist es egal, ob
er beim Krankenhaus angestellt ist oder in einer Praxis
tätig ist. Solche Instrumente müssen wir in den Blick
nehmen.
({10})
Wir gehen auch das größte Aufregerthema im deutschen Gesundheitswesen an. Es geht um die Frage: Wie
lange warte ich auf einen Facharzttermin? Natürlich
weiß ich, dass Sie einem Deutschen dazu sagen können:
Wenn du in Schweden oder in den Niederlanden leben
würdest, müsstest du deutlich länger warten; dort würdest du fünf oder sechs Monate warten. Darauf antwortet
derjenige aber: Ich vergleiche mich nicht mit den Menschen in Schweden oder in den Niederlanden, sondern
mit meinem Nachbarn; der ist Beamter und hat übermorgen einen Termin. - Und damit hat er recht.
({11})
Das Problem lösen Sie aber nicht, indem Sie den Beamten auch vier Wochen warten lassen.
({12})
Das Problem lösen Sie, indem Sie dem gesetzlich Versicherten helfen, schneller einen Termin zu bekommen.
Deswegen richten wir Terminservicestellen ein, an die
man sich wenden kann.
({13})
Hier müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen mithelfen, damit man zeitnah einen Termin in der Region bekommt. Wir sorgen außerdem für eine größere Flexibilität zwischen dem niedergelassenen und dem stationären
Bereich.
Abschließend möchte ich auf einen Punkt eingehen,
den die Kollegin Dittmar gerade angesprochen hat. Ich
glaube, in dem ganzen Bündel von Maßnahmen, die wir
in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben und in
Zukunft noch auf den Weg bringen werden, fehlt bisher
ein entscheidender Punkt. Dabei geht es um das Studium: Wer studiert mit welchem Ziel Medizin? Ich finde,
bei dem teuersten Studium, das wir auf Steuerzahlerkosten finanzieren - das ist das Medizinstudium -, können
wir fragen: Kommt am Ende das heraus, was diese Gesellschaft braucht?
({14})
Wir müssen gemeinsam mit den Wissenschaftsministern der Länder - weil wir als Bund das nicht alleine regeln können - darüber reden, ob die Abiturnote das alleinige Kriterium für das Studieren sein kann. Wir finden:
Nein, wir müssen auch schauen, ob jemand vorher beispielsweise in einem Pflegeberuf oder als Rettungssanitäter gezeigt hat, dass er sich um Menschen kümmern
möchte. Es geht um die Frage: Wie viel Praxisbezug gibt
es während des Studiums? Sieht man während des Studiums oder während der Weiterbildung etwas anderes als
die Uniklinik? Kann man aktiv erleben, dass die Arbeit
als Hausarzt oder in einer kleinen Klinik etwas Gutes, etwas Erfüllendes ist? Das Thema Studium ist also noch
ein entscheidender Punkt; da fehlt noch etwas. Deswegen ist es gut, dass wir uns mit den Ländern darauf geeinigt haben, in diesem Jahr auch darüber zu reden.
Sie sehen also: Während Sie hier große ideologische
Reden halten, gehen wir die Themen an, die die Menschen beschäftigen. Das tun wir genau mit diesem Gesetz.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,
wir machen dieses Gesetz für Patientinnen und Patienten. Wir machen es für die Menschen, die Angst haben,
im Alter nicht ordentlich versorgt zu sein, die Angst haben, die Versorgungsstrukturen nicht ordentlich in Anspruch nehmen zu können, weil sie in einem kleineren
Dorf leben und der Bus unregelmäßig oder überhaupt
nicht mehr fährt. Das ist ein wichtiger Baustein unseres
Versorgungsstärkungsgesetzes.
Wenn Sie den Koalitionsvertrag gelesen haben - ich
bin überzeugt, dass ihn alle gelesen und auswendig gelernt haben -, dann wissen Sie: Wir gehen nicht nur die
Reform des Medizinstudiums an; wir werden auch bezüglich der Krankenhausfinanzierung einiges regeln,
was wichtig ist und diese Versorgungsstrukturen sichert
und ausbaut.
({0})
All das soll dazu führen, dass wir nicht nur den Zugang zur Versorgung, sondern auch die Erreichbarkeit
der Versorgung, die weitergehende Flexibilität der Angebote und natürlich auch die Verteilung der Versorgungskapazitäten neu regeln. Die Menschen bekommen hautnah mit, dass wir all das sicherstellen; denn neben dem
Bereich „Arbeit und Beschäftigung“ ist die Zukunftsangst,
dass wir die Gesundheitsversorgung in einem Zwei- oder
Dreiklassensystem manifestieren. Das werden wir nicht
zulassen.
({1})
Wir wollen, egal wo jemand wohnt, welchen Alters er
oder sie ist und zu welcher Einkommenskategorie jemand gehört, alle Zugänge möglichst barrierefrei. Wir
gehen dieses Ziel in diesem Versorgungsstärkungsgesetz
mit wichtigen Punkten an. Ich will auf einiges eingehen,
was meine Vorrednerinnen und Vorredner schon genannt
haben, zum Beispiel die sektorenübergreifenden Dinge:
MVZ, Praxisnetze, Ausbau von Praxiskliniken, Öffnung
der Krankenhäuser für ambulante Versorgung, der Innovationsfonds, den wir als SPD entfristen wollen, weil es
wichtig ist. Innovation darf nicht zeitlich limitiert sein,
sondern es muss klar sein: Wir wollen mit diesem Versorgungskonzept die klare Botschaft setzen, dass wir mit
unserem Innovationsfonds auch die Möglichkeit der Entwicklung geben. Alles das ist ein wichtiger Anreiz.
Lassen Sie mich auf einige Punkte, die meine Kollegin Sabine Dittmar angekündigt hat, eingehen. Ja, wir
werden auch die Erstversorgung psychisch Kranker angehen. Der G-BA bekommt den Auftrag zur Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie. Wir wollen die
Zugänge zur psychotherapeutischen Behandlung für Patientinnen und Patienten vor allen Dingen bei der Erstversorgung verbessern. Ist denn das gar nichts? Das war
in der letzten Zeit immer ein Kritikpunkt. In der Großen
Koalition werden wir dieses angehen. Weitere Maßnahmen folgen.
Wir werden als Zweites flächendeckend die Möglichkeit der Delegation ärztlicher Leistung beschließen. Ja,
„Schwester AGnES“ ist ein Erfolgsmodell.
({2})
- Ja. - Wir wollen diesen Einsatz flächendeckend ermöglichen, nicht gebunden an irgendwelche Bedingungen. Das wertet auch nichtärztliche Gesundheitsberufe
auf. Das ist ein wichtiger Baustein.
Wir wollen drittens - das habe ich gerade schon gesagt - die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante
Versorgung. Dazu gehören auch der Ausbau und die
Stärkung der Hochschulambulanzen. Auch das ist ein
Punkt in unserem Gesetzentwurf.
Ich will überhaupt nicht die pflegerische Übergangsversorgung vergessen - ein wichtiger Punkt. Die pflegerische Übergangsversorgung konnten wir zwar nicht im
Koalitionsvertrag verankern, aber uns als SPD ist das ein
ganz wichtiges Anliegen. Es ist klar, dass wir da keine
Versorgungslücke akzeptieren wollen.
({3})
Das ist im Interesse der Patientinnen und Patienten.
Ein nächster Punkt. Wir wollen natürlich das Entlassmanagement der Krankenhäuser optimieren. Es kann
doch nicht sein, dass jemand, der freitags entlassen wird,
über das Wochenende, über die Tage danach nicht ordentlich versorgt ist, sondern Probleme hat, ein Rezept
einzulösen oder Heilmittel und Hilfsmittel zu organisieren. Das geht nicht; das wollen wir jetzt verbessern.
Es ist schon angesprochen worden - wir haben es
letzte Woche angekündigt -: die Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Behinderungen. Ja, es wird
einen Ausbau der Versorgungszentren nach dem Prinzip
der Versorgung von Kindern mit Behinderungen geben.
Ich finde, das ist ein wichtiger Baustein zur besseren
Versorgung von Menschen mit Behinderungen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte diese
Beispiele fortsetzen. Einer der Oppositionskollegen hat
gesagt, der Gesetzentwurf sei „kleinteilig“. Ich muss Ihnen sagen: Wenn diese Kleinteiligkeit dafür sorgt, dass
sich Menschen in diesem Land besser versorgt fühlen,
egal woher sie kommen, egal wie alt, egal welchen Geschlechts sie sind, dann haben wir viel erreicht. Sie sollten uns dabei unterstützen.
({5})
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Ich will nicht verhehlen, dass wir als SPD die Verantwortung haben, zu sagen: Ja, wir wollen, dass die Mehrausgaben, zu denen es kommt, solidarisch und paritätisch finanziert werden.
({0})
Das ist und bleibt unser Ziel.
Vielen Dank.
({1})
Karin Maag ist die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion.
Präsident Dr. Norbert Lammert
({0})
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Es wurde jetzt schon viel
Richtiges zu diesem Gesetz gesagt. Vor allem geht es
uns darum, den Versorgungsalltag der Patientinnen und
Patienten zu verbessern. Kollegin Mattheis hat exemplarisch auf das Entlassmanagement im Krankenhaus hingewiesen. Selbstverständlich soll niemand mehr freitagmittags ohne seine Medikamente nach Hause gehen. Das
werden wir ebenso in Angriff nehmen wie zum Beispiel
- das liegt mir persönlich sehr am Herzen - die Verbesserungen für pflegebedürftige Menschen sowie Menschen mit Behinderungen und eingeschränkter Alltagskompetenz. Kinder und Jugendliche werden bereits
heute in den sozialpädiatrischen Zentren behandelt. Wir
gewähren jetzt den Erwachsenen einen vernünftigen Anschluss.
({0})
Da gibt es eine Vielzahl an vernünftigen, guten Maßnahmen. Es wurde schon gesagt: Es ist ein Paket; nur die
eine zentrale Maßnahme zu ergreifen, wäre sicher zu
kurz gesprungen.
Ich will mich an dieser Stelle auf die ärztliche Versorgung konzentrieren. Wir haben eine zunehmende Behandlungsintensität in einer alternden Gesellschaft, den
medizinischen Fortschritt - das wissen Sie -, eine zunehmende Spezialisierung, aber auch eine Besinnung
der Ärztinnen und Ärzte auf die eigene Work-Life-Balance. Den Mediziner, der 16 Stunden am Tag behandelt,
den Landarzt wird es künftig nicht mehr geben. Deswegen sind wir auf den Nachwuchs angewiesen. Es wurde
vorhin schon davon gesprochen: Gute Versorgung darf
keine Frage des Wohnorts sein; wir müssen sie überall in
Deutschland gewährleisten.
({1})
Beim Versorgungsstärkungsgesetz geht es uns jetzt
vor allem auch darum, an das anzuknüpfen, was wir bereits 2012 geregelt haben, also die Rahmenbedingungen
für die Ärzte weiter zu flexibilisieren und dafür zu sorgen, dass eine flächendeckende Versorgung möglich ist.
Wenn wir die Situation der Patientinnen und Patienten
tatsächlich verbessern wollen - das ist mir ganz wichtig -,
dann brauchen wir vor allem motivierte Ärzte. Ich bin
mir sicher - das ist jetzt die Conclusio -, dass wir mit
unserem Paket die Lebenswirklichkeit der Ärzte, insbesondere der jüngeren Ärztinnen und Ärzte und der nicht
verfassten Ärzteschaft, deutlich besser widerspiegeln als
bisher.
Wir fördern zum Beispiel die Allgemeinmedizin. Die
jungen Ärztinnen und Ärzte sollen sich in der Praxis vor
Ort ein Bild machen können. Deswegen erhöhen wir
nicht nur die Zahl der geförderten Stellen von 5 000 auf
7 500 - das sind 50 Prozent mehr -, sondern wir streben
auch eine höhere Vergütung für den Praxisassistenten an.
Er muss sich also nicht überlegen: Wenn ich meine Weiterbildung im Krankenhaus mache, dann werde ich besser bezahlt und habe somit mehr Geld zur Verfügung,
um meine Miete zu zahlen. - Wir setzen auf die Praxis.
Mit dem Strukturfonds erhalten die KVen zusätzliche
Mittel, um den Ärzten die Niederlassung auf dem Land
durch eine höhere Vergütung schmackhaft zu machen.
Die Angst vor Regressen - das Thema hat uns in den
letzten Jahren heftig beschäftigt - hält sich hartnäckig,
obwohl zum Beispiel bei mir in Baden-Württemberg in
den letzten Jahren lediglich 0,2 Prozent der Ärzte in Regress genommen worden sind. Eine solche unbegründete
Angst verhindert, dass junge Menschen den Beruf des
niedergelassenen Arztes wählen. Deswegen heben wir
die bundeseinheitlichen Vorgaben für die Wirtschaftlichkeitsprüfung von ärztlich verordneten Leistungen auf
und ersetzen diese durch regionale Vereinbarungen. Das
ist ein ganz zentraler Punkt.
Wir gehen sogar noch weiter. Wir müssen auch nichtärztliche Leistungen, also delegierte Leistungen, vergüten. Das betrifft nicht nur die unterversorgten Gebiete
und nicht nur die häusliche Versorgung von Patienten.
Wir ermöglichen es, dass die Fachassistentin, der Fachassistent in der niedergelassenen Praxis Leistungen erbringen kann, die der Arzt nachher abrechnen kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einer fehlerhaften
Ressourcenallokation kann man mit Anreizen begegnen.
Wenn das nicht funktioniert, dann muss eine Regulierung erfolgen. Mit der Bedarfsplanungs-Richtlinie 2013
des G-BA wird der tatsächliche Bedarf bei der regionalen ärztlichen Versorgung zumindest deutlich besser als
zuvor abgebildet, Frau Klein-Schmeink.
({2})
Jetzt haben die KVen tatsächlich Maßnahmen gegen
die drohende Unterversorgung ergriffen; Maßnahmen
gegen Überversorgung - und das ärgert mich - spielen
bislang aber keine Rolle. Wir wollen eine Umsteuerung
- ärztliche Ressourcen weg von Gebieten, die ohnehin
überversorgt sind, hin zu Gebieten, die unterversorgt
sind -, und das braucht Zeit. Da bisher nicht die nötigen
Schritte eingeleitet wurden, sind wir als Gesetzgeber
zum Eingreifen gezwungen. Das heißt, dort, wo tatsächlich Überversorgung herrscht und - ganz wichtig - wo
Ärzte ihre Praxen aus eigenem Entschluss aufgeben wollen - wir nehmen niemandem irgendetwas weg -, soll
nicht mehr nachbesetzt werden. In diesem Zusammenhang sind uns drei Dinge wichtig. Erstens. Keine bestehende Praxis wird vom Netz genommen. Zweitens. Bei
besonderem Versorgungsbedarf wird nachbesetzt. Drittens. Das letzte Wort hat der Zulassungsausschuss, also
auch die Ärzte.
Die Kritik an den von mir genannten Maßnahmen ist
schrill. An die KBV gerichtet sage ich: Sie müssen aufpassen, dass Sie - ähnlich wie beim Thema Regress nicht noch den letzten gutwilligen jungen Arzt, der überlegt, ob er in die Niederlassung geht, abschrecken.
({3})
Es ist die ureigene Aufgabe der KVen, die Versorgung
sicherzustellen. Wenn sich nun der Vorsitzende der KBV,
gefragt nach eigenen Ideen, die er vielleicht haben
könnte,
({4})
zitieren lässt mit den Worten: „Alle sollten sich ‚eingestehen, dass nicht mehr jedes Dorf seinen Hausarzt haben wird‘“, dann ist das eine standespolitische Geisterfahrt. Das ist eine persönliche Bankrotterklärung. Damit
hat er sich als Ansprechpartner, für mich jedenfalls, völlig disqualifiziert.
({5})
Ich finde das deshalb schade, weil wir uns mit vielen
Landes-KVen und vielen Verbänden in guten Gesprächen darüber befinden, wie wir den Versorgungsbedarf
vielleicht noch sachgerechter abbilden können und wie
wir eine zeitnahe Terminvergabe gemeinsam mit den
Ärzten besser hinbekommen können. Es gibt hierzu auf
regionaler Ebene viele gute Ideen.
Frau Kollegin.
Ich bin auch schon am Ende, Herr Präsident. - Ich
freue mich auf die Anhörung. Wir haben heute vieles
von Ihnen gehört. Wir können aus dem vorliegenden Gesetzentwurf sicher ein noch runderes Werk basteln.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/4095, 18/4099, 18/4187 und
18/4153 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist offensichtlich der Fall. Dann haben wir die Über-
weisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 4 a
und 4 b:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung ({0})
Drucksachen 18/3121, 18/3250
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
({1})
Drucksache 18/4220
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm,
Caren Lay, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mietenanstieg stoppen, soziale Wohnungswirtschaft entwickeln und dauerhaft sichern
Drucksachen 18/504, 18/4219
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie zwei
Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die beiden
Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch; also können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Sören Bartol für die SPD-Fraktion.
({3})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Mietpreisbremse, die wir heute hier beschließen, ist ein zentrales Vorhaben dieser Koalition.
Wir haben sie im Koalitionsvertrag vereinbart.
({0})
Heute setzen wir den Gesetzentwurf von Heiko Maas
ohne Abstriche um.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist heute ein guter Tag für Mieterinnen und Mieter; denn bisher gibt es
bei neuen Mietverträgen keine wirksame Grenze nach
oben. Vermieter können verlangen, was der Markt hergibt: 30 bis 40 Prozent Aufschlag sind in boomenden
Städten an der Tagesordnung - und das allzu oft ohne
jegliche Verbesserung an der Wohnung.
In Zukunft verhindern wir solche exzessiven Mietsteigerungen: Die neue Miete darf in angespannten
Wohnungsmärkten nicht mehr als 10 Prozent über der
ortsüblichen Vergleichsmiete liegen; das gilt ohne Einschränkungen auch für Staffelmietverträge.
({2})
Bisher zahlen die Mieter in der Regel eine Courtage
von bis zu zwei Monatsmieten, auch dann, wenn der
Wohnungseigentümer den Makler beauftragt hat. In ZuSören Bartol
kunft gilt ausnahmslos das klare marktwirtschaftliche
Prinzip „Wer bestellt, der bezahlt“.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon jetzt gilt in
vielen Bundesländern die abgesenkte Kappungsgrenze
für bestehende Mietverträge. Die Länder wissen, wo der
Druck auf dem Wohnungsmarkt am größten ist. Deswegen bin ich sicher, dass sie die Mietpreisbremse schnell
und zielgerichtet dort umsetzen werden.
({4})
Klar ist aber auch: Wachsende Städte brauchen Neubau. Deswegen haben wir Neubauten und die erste Vermietung grundlegend modernisierter Wohnungen von
der Mietpreisbremse ausgenommen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Linken, wir wollen nicht wie Sie
den Mietwohnungsmarkt außer Kraft setzen und nur
noch einen Inflationsausgleich zulassen. Den notwendigen Neubau und einen energieeffizienten, altersgerechten Umbau der Bestände gibt es nur, wenn private Wohnungswirtschaft, öffentliche und genossenschaftliche
Wohnungsunternehmen zu Investitionen bereit sind und
Bund, Länder und Kommunen gute Rahmenbedingungen und auch Anreize für den Neubau von Mietwohnungen und sozial gebundenen Wohnungen schaffen.
({5})
Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, uns gleich wieder die Urheberschaft für die
Mietpreisbremse
({6})
streitig machen und uns erklären wollen, wie überhaupt
alles besser geht, dann sage ich Ihnen: Die SPD war es,
die die Mietpreisbremse gefordert hat,
({7})
und wir sind es, die dafür sorgen, dass sie in dieser Koalition auch umgesetzt wird.
({8})
Klar ist auch: Die Mietpreisbremse ist kein Allheilmittel gegen den Wohnungsmangel - wir haben das auch
nie behauptet -; sie ist ein kurzfristig wirksames Instrument zum Schutz der Mieterinnen und Mieter, nicht
mehr, aber auch nicht weniger. Die Mietpreisbremse ist
Teil unseres Gesamtpaketes „Gutes und bezahlbares
Wohnen“, das wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen.
Dazu gehört die Erhöhung der Mittel für die Städtebauförderung mit dem Leitprogramm „Soziale Stadt“
genauso wie die Wohngeldnovelle, die - vorbereitet von
Barbara Hendricks - in den nächsten Monaten in die parlamentarische Beratung gehen wird.
Dazu gehört aber auch das zweite Paket der Mietrechtsreform, das wir jetzt angehen. Wir wollen klarstellen, dass bei der Berechnung von Miete und Nebenkosten die tatsächliche Wohnfläche zugrunde gelegt werden
muss. Wir wollen die Belastung der Mieter durch Modernisierungskosten begrenzen. Wir wollen gemeinsam
den Mietspiegel auf eine breitere Basis stellen.
({9})
Die Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion haben während der Beratungen zur Mietpreisbremse
zu Recht darauf hingewiesen, dass qualifizierte Mietspiegel für Mieter und Vermieter die größte Transparenz
bieten.
({10})
Wir wollen deshalb dafür sorgen, dass mehr Städte als
bisher einen qualifizierten Mietspiegel erstellen, der in
Zukunft möglichst auch zum Beispiel die energetische
Qualität von Wohnungen berücksichtigt.
Unser Ziel sind sozial ausgewogene Städte, in denen
qualitativ gutes Wohnen für alle bezahlbar ist. Wenn wir
heute die Mietpreisbremse und das Bestellerprinzip beschließen, dann sind das entscheidende Schritte dahin.
Vielen Dank.
({11})
Caren Lay ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Bartol, ich muss sagen: Es hätte
heute ein guter Tag für die Mieterinnen und Mieter werden können.
({0})
Stattdessen erleben wir heute wieder einen Tag der verpassten Chancen. Das ist doch die Wahrheit.
({1})
Eine Mietpreisbremse ist eine gute Idee, die wir als
Linke natürlich unterstützen. Aber dieser Gesetzentwurf
ist nun einmal ausgehöhlt wie ein Schweizer Käse und
wird am Ende kaum eine Wirkung entfalten.
({2})
Es wimmelt in diesem Gesetzentwurf von Bedingungen
und Ausnahmen, sodass von einer wirkungsvollen Mietpreisbremse leider keine Rede mehr sein kann.
Beispielsweise ist sie begrenzt auf Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt.
({3})
Ich fürchte, dass die meisten Mieterinnen und Mieter außerhalb dieser Gebiete wohnen.
({4})
Deswegen sagen wir Linke: Die Mietpreisbremse wirkt
nur dann, wenn sie auch flächendeckend gilt.
({5})
Ich finde es schlimm genug, dass wir über die Mietpreisbremse nun schon seit mehreren Jahren diskutieren.
Aber warum räumen wir jetzt, wo die Mietpreisbremse
endlich kommt, den Ländern zumindest theoretisch so
viele Jahre für deren Umsetzung ein? Fünf Jahre lang haben die Länder prinzipiell Zeit, diesen Gesetzentwurf
umzusetzen. Das heißt übersetzt, liebe Mieterinnen und
Mieter: Freuen Sie sich nicht zu früh auf die schnelle
Wirkung dieser Mietpreisbremse! Die Koalition räumt
Ihrem Vermieter noch fünf Jahre ein, die Mieten so weit
zu erhöhen, wie es nur irgendwie geht. - Wir sagen: Es
ist doch völlig absurd und kontraproduktiv, so viel Zeit
für die Umsetzung zu lassen.
({6})
Ist die Mietpreisbremse dann endlich eingeführt, dann
soll sie nach fünf Jahren auch schon wieder außer Kraft
treten. Damit rühmt sich ja die CDU/CSU; das ist einer
der Punkte, den sie durchgesetzt hat.
({7})
Das heißt für die Mieter im Klartext: Kaum setzt die
Wirkung der Mietpreisbremse ein, wird sie auch schon
wieder abgeschafft.
({8})
Da hatten Sie ja wohl Angst vor der eigenen Courage,
genau nach dem Motto: Wir hatten vier, fünf gute Jahre
in zukünftig bester Lage.
({9})
Eine Mietpreisbremse, die ihren Namen verdient, muss
auch dauerhaft gelten.
({10})
Das Schlimmste ist, dass die Vermieter, die jetzt noch
schnell die Miete erhöhen, am Ende vom Gesetzgeber
dafür auch noch belohnt werden; denn wenn die Vormiete schon höher war, wenn das Gesetz in dem jeweiligen Bundesland endlich in Kraft tritt, dann darf sie auch
so hoch bleiben.
({11})
Das ist doch wirklich völlig absurd.
({12})
Meine Damen und Herren, einen Deckel von 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete sehen wir darüber hinaus als nicht wirkungsvoll an. Im Gegenteil:
Damit werden überdurchschnittliche Mieten auch noch
gesetzlich festgelegt. Ein wirkungsvoller Mietpreisdeckel muss anders aussehen.
({13})
Es gibt viele weitere Ausnahmen, die die Wirkung der
Mietpreisbremse deutlich minimieren. Nehmen wir beispielsweise den Vorschlag, der heute auf dem Tisch liegt,
dass die Mietpreisbremse dann nicht zur Wirkung kommen soll, wenn die Wohnung modernisiert wird. Ich
meine, Luxusmodernisierungen sind doch schon jetzt
eine der Hauptursachen dafür, dass die Mieterinnen und
Mieter aus ihren Wohnungen, aus ihren Stadtteilen vertrieben werden.
({14})
Deswegen müssen wir schnellstmöglich an die Modernisierungsumlage heran, wenn wir hier von einer wirkungsvollen Mietpreisbremse reden wollen.
({15})
Die nächste Ausnahme betrifft die Neubauten.
({16})
Die Mietpreisbremse setzt hier nicht nur einen Anreiz
für den Neubau von teuren Wohnungen, sondern führt
nach der jetzigen Berechnung im Ergebnis auch dazu,
dass die Mieten im Umfeld ansteigen werden, was sich
wiederum auf den Mietspiegel auswirkt. Das ist keine
Mietpreisbremse, sondern eine Einladung zur Luxusmodernisierung und zum Bau von neuen Lofthouses.
({17})
Das lehnen wir in dieser Konsequenz ab. Das können
wir so nicht unterstützen.
({18})
Liebe Mieterinnen und Mieter, Sie hören richtig: Die
Wahrscheinlichkeit, dass Sie von dieser Mietpreisbremse
profitieren, ist ziemlich gering. Der Deutsche Mieterbund schätzt, dass gerade einmal 2,5 Prozent aller Mieterinnen und Mieter überhaupt von dieser Mietpreisbremse profitieren würden.
({19})
Deswegen sagen wir: Mietpreisbremse ist eine irreführende Bezeichnung für diesen Gesetzentwurf; denn herausgekommen ist gerade einmal eine kleine Handbremse.
({20})
Ich komme zum Schluss. Die SPD kann einem heute
wirklich leidtun. Sie haben es ja gut gemeint, aber leider
hat Ihr Koalitionspartner alles darangesetzt, diesen Gesetzentwurf im Interesse der Vermieter und der Immobilienlobby auszuhöhlen.
({21})
Mietpreisbremschen, Frauenquötchen: Jede noch so
kleine Pflanze des sozialen Fortschritts wird von dieser
Union auf ein Bonsaiformat zurückgestutzt. Das finden
wir ganz schön schade.
({22})
Das Wort erhält nun der Kollege Jan-Marco Luczak
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Mietpreisbremse kommt. Frau Lay,
ich kann Ihnen nur sagen: Ihre Kritik daran ist völlig unangebracht. Wir haben hier ein Gesetz vorgelegt, das
Wirkung entfalten wird. Das werden die Menschen in
unserem Land auch merken.
({0})
Ich will hier noch einmal betonen: Die Union hält damit Wort. Wir haben bereits im Wahlkampf gesagt, dass
wir nicht wollen, dass Menschen - gerade junge Familien - aus ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt
werden, weil sie sich die dortigen Mieten nicht mehr
leisten können. Die Union hat deshalb ganz glasklar zu
den Koalitionsvereinbarungen gestanden. Die Mietpreisbremse hat in bestimmten Gebieten, da, wo es wirklich
Wohnungsknappheit gibt, natürlich ihre Berechtigung,
weil den Menschen damit kurzfristig geholfen werden
kann. Das war, wenn ich das sagen darf, gerade mir als
Berliner ganz besonders wichtig, da wir hier ebenfalls
eine solche Situation haben.
Aber - deswegen hat das Gesetzgebungsverfahren etwas länger gedauert - für uns als Union war immer
wichtig, dass wir nicht nur an den Symptomen herumdoktern, sondern dass wir auch die Ursachen der steigenden Mieten nachhaltig bekämpfen. In diesem Zusammenhang gilt ganz klar der Satz: Das beste Mittel gegen
steigende Mieten ist immer noch der Bau von neuen
Wohnungen.
({1})
Vor diesem Hintergrund haben wir immer ganz klar
den Satz formuliert: Diese Mietpreisbremse darf keine
Investitionsbremse werden. Deswegen war es für uns
ganz wichtig, in den Beratungen, die wir gemeinsam gehabt haben, bestimmte Punkte durchzusetzen. Wir haben
gegenüber dem Referentenentwurf sehr viele fundamentale Änderungen und, wie ich finde, auch Verbesserungen durchgesetzt. Das betrifft natürlich die Ausnahme
der Neubauten. Das ist ein ganz wichtiges Signal für
mehr Neubau. Für all diejenigen, die Geld in die Hand
nehmen wollen, die in neue Wohnungen investieren wollen, ist es ganz wichtig, dass sich das hinterher auch
wirtschaftlich trägt, dass sich der Wohnungsneubau rentiert. Insofern ist es wichtig, dass wir die Neubauten ausgenommen haben.
({2})
Das Gleiche gilt auch für die Ausnahmen bei umfassenden Modernisierungen. Es geht uns ja nicht nur darum, Neubau zu fördern, sondern es geht natürlich auch
um den Bestand. Wir leben in einer älter werdenden Gesellschaft. Die Bundesregierung hat sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist es
ganz wichtig, dass wir Anreize setzen, den Bestand energetisch zu modernisieren und altersgerecht umzubauen.
Das macht jemand aber nur, wenn sich das wirtschaftlich
trägt und er das hinterher refinanzieren kann. Es war uns
wichtig, bei der umfassenden Modernisierung auch Ausnahmen zuzulassen, weil sonst beim Bestand überhaupt
nichts mehr passiert wäre.
({3})
Für uns war es an dieser Stelle auch wichtig, die Länder ein Stück weit in die Pflicht zu nehmen, damit sie
nicht mehr ganz freihändig entscheiden können, wo die
Mietpreisbremse denn gelten soll. Deswegen haben wir
in den Gesetzentwurf objektive Kriterien hineinverhandelt, wann denn tatsächlich eine solche Wohnungsknappheit vorliegt. Ich glaube, man muss sehen, dass das
auch mit Blick auf die Rechte der Eigentümer wichtig
war. Das ist ein starker Eingriff in Artikel 14 des Grundgesetzes und in die Vertragsfreiheit. Deswegen muss
man prüfen, ob ein solcher Eingriff verfassungsrechtlich
gerechtfertigt ist. Er ist gerechtfertigt in den Gebieten, in
denen Wohnungsknappheit herrscht; aber das muss dann
eben auch verfassungsrechtlich sauber begründet werden. Insofern ist es gut, dass diese objektiven Kriterien
jetzt im Gesetzentwurf stehen.
Ein weiterer Punkt, der für uns wichtig war, ist die
klare zeitliche Befristung. Denn - noch einmal -: Die
Planungs- und Investitionssicherheit ist das entscheidende Kriterium, das wir brauchen, wenn wir privates
Kapital generieren wollen, das dann in Wohnungsneubau
und in die Modernisierung von Wohnungen fließt. Das
können wir als Staat nicht alleine leisten. Wir können gar
nicht so viele Programme auflegen, wie dafür notwendig
wären. Wir brauchen privates Kapital. Das bekommen
wir nur, wenn wir an dieser Stelle Planungs- und Investitionssicherheit haben.
Wir haben die Länder an einer weiteren Stelle in die
Pflicht genommen; damit komme ich wieder zum Thema
Neubau. Es geht nicht nur darum, dass die Länder intensiv begründen, in welchen Gebieten Wohnungsknappheit
herrscht, sondern sie müssen zukünftig auch sagen, was
sie tun wollen, um gegen die Wohnungsknappheit vorzugehen. Sie müssen einen Maßnahmenplan vorlegen. Wir
haben die Pflicht für eine qualifizierte Begründung ins
Gesetz geschrieben. Wenn sie per Rechtsverordnung die
Gebiete bestimmen, in denen die Mietpreisbremse gelten
soll, dann müssen sie auch ganz genau sagen, was sie tun
wollen, beispielsweise wie sie ihre Liegenschaftspolitik
ändern wollen, wie sie ihre bauordnungsrechtlichen Vorschriften anpassen wollen und viele Dinge mehr. Das ist
notwendig. Die Länder dürfen sich an dieser Stelle nicht
ihrer Pflicht entziehen. Sie tragen auch die Verantwortung dafür, dass mehr im Bereich des Neubaus geschieht, indem sie den rechtlichen Rahmen entsprechend
anpassen.
({4})
Ich habe jetzt viel Licht dargestellt. Bei einem solchen Gesetzentwurf gibt es natürlich auch ein paar
Punkte, bei denen man sich als Fachpolitiker noch Änderungen im Detail gewünscht hätte. Wir haben hier im
Deutschen Bundestag eine Expertenanhörung durchgeführt. Es gab viele gute Punkte,
({5})
bei denen ich sage: Darüber hätte man in der Tat nachdenken können. Ich denke zum Beispiel an die Praxistauglichkeit dieser Mietpreisbremse. Ich denke an die
Frage - der Kollege Sören Bartol hat es eben schon angesprochen -, wie wir eigentlich mit qualifizierten Mietspiegeln umgehen. Auf ihnen basiert die Bestimmung
der ortsüblichen Vergleichsmiete, und sie bilden für
beide Parteien, für Vermieter wie auch für Mieter, die
rechtssichere Grundlage. Das müssen wir uns genau anschauen. Auch der Deutsche Mieterbund sagt ja, dass
wir mehr qualifizierte Mietspiegel brauchen.
Wir müssen jetzt schauen, wie sich das in der Praxis
auswirkt, ob es da große Rechtsunsicherheiten gibt. Das
müssen wir dann bei der weiteren Diskussion beachten.
Wir werden noch über weitere Punkte im Mietrecht miteinander sprechen. Man kann dann überlegen, ob man
den Kommunen ab einer bestimmten Größenordnung die
Aufgabe gibt, solche qualifizierten Mietspiegel zu erstellen. Viele von den Punkten hätten wir damit abgeräumt.
Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen möchte,
ist das Bestellerprinzip, über das sehr intensiv debattiert
worden ist. Ich möchte ganz klar sagen: Wir haben im
Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir das Bestellerprinzip wollen, weil es ein marktwirtschaftliches Prinzip ist.
Wer bestellt, der zahlt. Für uns war immer ganz wichtig,
dass wir Umgehungen dabei ausschließen. Es war in der
Tat in den Verhandlungen schwierig, eine Regelung zu
finden, um Umgehungen auszuschließen. Der Bundesrat
hat sich dazu geäußert und viele Kritikpunkte angesprochen. Es war dann letztlich in den Verhandlungen nicht
mehr möglich, es wirklich in Gesetzesform zu gießen.
Das ist manchmal so.
Mir ist an dieser Stelle ein Punkt wichtig: Wir müssen
etwas tun, damit die schwarzen Schafe, die es unter den
Maklern gibt, aus dem Markt gedrängt werden.
({6})
Wir müssen mehr für Qualität und Verbraucherschutz
auf diesem Markt tun. Deswegen ist ein zentrales
Thema, mit dem wir uns jetzt auseinandersetzen müssen,
der Sach- und Fachkundenachweis für Makler. Dafür
sind nicht die Rechtspolitiker zuständig, sondern das
Bundeswirtschaftsministerium. Ich würde mich sehr
freuen, wenn wir bald einen Vorschlag haben, um auf
dem Gebiet der Makler mehr für den Verbraucherschutz
zu erreichen.
Über all diese Details haben wir innerhalb der Koalition intensiv diskutiert. Wir haben darum gerungen,
manchmal haben wir auch gestritten. Lieber Herr Minister, Herr Staatssekretär Kelber, meine Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, ich finde, dieses zähe Ringen,
das für beide Seiten nicht immer einfach war, hat sich
gelohnt. Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf vorliegen,
der sich nicht gegen vermietende Eigentümer richtet, der
nicht allein nur den Mieter in den Blick nimmt, sondern
unter dem Strich ausgewogen ist. Den Mietern wird mit
dieser Mietpreisbremse kurzfristig geholfen. Die Rechte
von Eigentümern werden gewahrt, und Investitionen
werden nicht abgewürgt. Insofern finde ich, dass es ein
Gesetzentwurf ist, dem wir mit großer Mehrheit und
auch mit gutem Gewissen zustimmen können.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegen Renate Künast,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war
jetzt wohl die Märchenstunde der Großen Koalition.
({0})
- Ja, ich kann wahrscheinlich sagen, was ich will, es
kommt immer ein „Oh!“, ein Aufstöhnen. Machen Sie
das ruhig. - Ich muss wirklich sagen: Was hier erzählt
wurde, entspricht nicht dem Gesetzentwurf, der vorliegt.
({1})
Herr Luczak zum Beispiel hat gestern im Ausschuss
und auch hier eigentlich nur über Investitionssicherheit
und über das Kapital geredet, um sich dann fast in den
Satz zu versteigen, das sei jetzt ein guter Tag für die
Mieterinnen und Mieter.
({2})
Sie haben außerdem erzählt, nur durch Neubau könne
das Problem gelöst werden.
({3})
- Ja, natürlich. Ich höre Ihnen immer zu,
({4})
damit ich das, was Sie sagen, hinterher bewerten kann.
Ich sage Ihnen Folgendes: Neubau ist ein wichtiger
Faktor, wenn es darum geht, für bezahlbaren Wohnraum
zu sorgen. Dieser Wohnraum ist allerdings so zu gestalten, dass Otto Normalverbraucher die Mieten nachher
bezahlen kann.
({5})
Wie Sie das gewährleisten wollen, haben Sie hier nicht
dargelegt. Wo sind denn Ihre Vorgaben und die entsprechenden Kriterien, zum Beispiel beim Verkauf der
BImA-Häuser in der Großgörschenstraße und der Katzlerstraße?
({6})
Hier hat sich der Berliner Senat erst in die Büsche geschlagen, und dann ist er zu spät aufgestanden. Wollen
Sie die BImA vielleicht noch auffordern, die Mieten zu
erhöhen, bevor verkauft wird? Nein, irgendwann müssen
Sie sagen, wie Sie das, was Sie hier erzählen, umsetzen
wollen, meine Damen und Herren.
({7})
Ich sage Ihnen: Verglichen mit einem Schweizer Käse ist
dieses Gesetz mehr Loch als Käse.
({8})
Deshalb spreche ich lieber von der sogenannten Mietpreisbremse.
Was kritisiere ich? Der gesamte Vorgang und die von
Ihnen als produktiv bezeichneten Diskussionen haben
viel zu lange gedauert. Zwar hat diese Koalition von Beginn an gesagt - man dachte, es gilt schon -, man wolle
für bezahlbare Mieten sorgen, ab sofort, demnächst oder
in 100 Tagen. Aber bis heute gilt diese Regelung noch
immer nicht.
Was ist passiert? Viele Vermieter haben die Mieten
nach bisherigem Recht sicherheitshalber schon einmal
kräftig erhöht. Zu Ihrer sogenannten Mietpreisbremse
sagen der Deutsche Mieterbund und die Mietervereine
erstens, dass Sie damit aufgrund des Zeitverlusts das Gegenteil erreicht haben, und zweitens, dass diese sogenannte Bremse kaum eine Wirkung hat; manchmal hieß
es in der Anhörung im Ausschuss sogar, sie habe gar
keine Wirkung. Auf die Veränderungsvorschläge dieser
Verbände sind Sie überhaupt nicht eingegangen. Sie haben immer nur pro Kapital argumentiert, meine Damen
und Herren. Aber unser Grundgesetz besteht nicht allein
aus Artikel 14. Zu unserem Grundgesetz gehören auch
alle anderen Artikel, zum Beispiel das Sozialstaatsprinzip. Zwischen den verschiedenen Zielen ist nicht hinreichend abgewogen worden.
({9})
Ich muss der Koalition sagen: Sie haben keine robuste
Mietpreisbremse vorgelegt. Ich denke, die Befristung
sollte, damit sie eine Wirkung entfaltet, für mindestens
zehn Jahre gelten. Sie wollen, dass die Mietpreisbremse
für Wohnungen, in denen umfassende Modernisierungsarbeiten durchgeführt werden, deren Kosten 30 Prozent
vergleichbarer Neubaukosten betragen, nicht gilt. Angesichts all der Tricks, die Vermieter bei der Modernisierung anwenden können - einschließlich des Vermischens
und des Hin- und Herschiebens von Sanierungs- und Instandsetzungskosten -,
({10})
sage ich Ihnen: Diese Regelung wird einige Mieter hart
treffen.
Erstvermietete Neubauwohnungen haben Sie grundsätzlich ausgenommen,
({11})
statt für sie eine Detailregelung zu treffen. Außerdem
haben Sie Kriterien zur Einführung von Mietpreisbremsen in den Ländern entwickelt. Ich sage Ihnen: Was die
qualifizierte Begründungspflicht angeht, sollten Sie sich
einmal fragen, wie denn Ihre qualifizierte Begründung
lautet, warum sich zum Beispiel bei der BImA nichts ändert.
({12})
Der BImA könnten Sie andere Regeln auferlegen, und
zwar solche, durch die sich der Umgang mit Stadtentwicklung und sozialen Fragen verändert. Herr Luczak,
schönen Dank, dass Sie immer wieder Briefe schreiben
und Ankündigungen machen. Aber geliefert haben Sie
an dieser Stelle noch nie.
({13})
Ich sage Ihnen: Ihre sogenannte Mietpreisbremse ist
allenfalls ein Bremschen. Sie haben nicht einmal ein Paket geschnürt, das auch Regelungen zum qualifizierten
Mietspiegel, zum sozialen Wohnungsbau und zu einem
BImA-Gesetz enthält. Außerdem würden wir es begrüßen, wenn die Modernisierungsumlage nur 9 statt
11 Prozent betragen würde; auch die IHK meint, das
würde für Investoren reichen. Sie haben noch nicht einmal die Einschränkung eingeführt, dass Modernisierungen nur dann zu dulden sind, wenn sie der Barrierefreiheit und der Energieeffizienz zugutekommen.
({14})
Meine Damen und Herren, ich habe die Freude, zwischen Herrn Luczak und Herrn Maas zu reden. Ich weiß,
beide werden dieses Gesetz gutreden; das ist ihre Strategie.
({15})
Aber aus Verbrauchersicht sage ich Ihnen: Was draufsteht, muss auch drin sein. Dieses Gesetz ist eine Mogelpackung; denn es beinhaltet keine wirkliche Bremse,
sondern allenfalls ein Bremschen. Insgesamt haben Sie
Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Darauf warten wir.
({16})
Das Wort erhält nun der Bundesminister Heiko Maas.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich habe die Debatte sehr aufmerksam verfolgt, vor allen Dingen die Beiträge der Rednerinnen der Opposition. Ich muss Ihnen ehrlich sagen,
dass ich mich dabei an meine eigene Zeit als Parlamentarier in der Opposition erinnert habe.
({0})
Das Frustrierendste in dieser Zeit war, wenn man zu Gesetzentwürfen der Regierung lediglich noch die Bemerkungen beitragen konnte, man hätte das früher machen
können, man hätte noch mehr machen können und der
Gesetzentwurf beinhalte zu viele Ausnahmen. Tief in
seinem Inneren weiß man aber, dass man es selbst nicht
viel anders gemacht hätte. Genau in dieser Situation befinden Sie sich.
({1})
Das wird auch deutlich an den Dingen, die Sie hier
kritisieren. Sie kritisieren zum Beispiel, dass die Mietpreisbremse nur in Ballungsgebieten gilt. Ja, aber nur da
braucht man sie auch.
({2})
Ich brauche keine Mietpreisbremse in Landstrichen, in
denen das Problem nicht die davongaloppierenden Mietpreise sind, sondern in denen das Problem ist, dass Vermieter keine Mieter mehr finden. Deshalb ist es richtig,
die Regelung auf die Bereiche zu begrenzen, in denen
das notwendig ist.
({3})
Sie haben zum wiederholten Mal kritisiert, dass Neubauten von der Mietpreisbremse ausgenommen sind. Es
ist schon darauf hingewiesen worden: Wenn man den
Neubau fördern will, dann muss man denjenigen, die
Geld investieren, auch die Möglichkeit geben, einen
Überschuss zu erwirtschaften.
({4})
Vielleicht hilft es ja, wenn ich Ihnen folgende Zahlen
nenne: Wir haben in Deutschland etwa 20 Millionen Bestandswohnungen. Jedes Jahr kommen etwa 200 000 neue
Wohnungen hinzu. Davon wird etwa die Hälfte vermietet.
Das heißt, die Ausnahmeregelung für Neubauten betrifft
0,5 Prozent der Wohnungen, über die wir insgesamt reden. Wir gehen davon aus, dass die Mietpreisbremse in
Deutschland für 5 Millionen Wohnungen greifen kann
und über 400 000 Mieterinnen und Mieter pro Jahr in
den Genuss der Mietpreisbremse kommen können. Ich
finde, das ist ein großer Fortschritt. Deshalb ist der heutige Tag ein verdammt guter Tag für Mieterinnen und
Mieter in Deutschland.
({5})
Das wirklich schrägste Argument, das ich immer wieder höre, ist - ganz besonders schräg ist es, wenn es von
Parlamentariern in den Raum gestellt wird -, dass man
die Mietpreisbremse ja umgehen könne. Liebe Parlamentarierinnen und Parlamentarier, wenn ich das Argument in Gänze gelten lasse, dann kann ich auch das komplette Steuerrecht oder auch das Strafrecht abschaffen;
denn geklaut wird immer.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf räumen wir den Mieterinnen und Mietern
Rechte ein, die sie durchsetzen können, wie zum Beispiel Auskunftsrechte. Es werden Ordnungsgelder verhängt, wenn gegen das Gesetz verstoßen wird. Deshalb
hilft die Mietpreisbremse nicht nur bei einem Problem,
das wir haben. Vielmehr ist das Recht, das wir schaffen,
auch durchsetzbar für die Mieterinnen und Mieter. Auch
das wird mit diesem Gesetz gewährleistet.
({6})
Meine Damen und Herren, wir reden immer über Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf, Köln und viele andere Städte. Es gibt aber auch Städte, die nicht so groß
sind, aber zu Ballungsräumen gehören, beispielsweise
Städte im Rhein-Main-Gebiet. In Regensburg zum Beispiel gibt es bei Wiedervermietung mittlerweile Mietpreissteigerungen von 33 Prozent. In Frankfurt sind es
20 Prozent, und in München sind es 25 Prozent.
Wenn wir in das Gesetz hineinschreiben, dass genau
in diesen Regionen die Mietpreisbremse anwendbar sein
wird, dann wird das dazu führen, dass junge Paare, die
Kinder bekommen und daher mehr Platz brauchen, nicht
mit einer Mietpreiserhöhung von 33 Prozent konfrontiert
werden, wenn sie eine neue Wohnung in ihrem Quartier
suchen. Die Miete für die neue und größere Wohnung
liegt nur in einem vertretbaren Rahmen höher.
Das hat positive Auswirkungen auf die Stadtentwicklung. Wir wollen nicht, dass noch mehr, als das ohnehin
schon der Fall ist, gilt, dass nur Wohlhabende in der
Stadtmitte wohnen, während diejenigen, die nicht so viel
Geld haben, und die Normalverdiener, um die es hier
auch geht, immer weiter an den Stadtrand verdrängt werden. Das ist nämlich ganz schlecht für die Stadtentwicklung. Die Mietpreisbremse trägt dazu bei, diese fehlerhafte Entwicklung zu korrigieren.
({7})
Meine Damen und Herren, die Mietpreisbremse und
das Bestellerprinzip werden den Mieterinnen und Mietern helfen. Zudem wird es möglich sein, dass diese ihre
Rechte durchsetzen können.
Zum Wohnungsbau: Wir gehen davon aus - auch darauf ist hingewiesen worden -, dass es beim Wohnungsneubau in diesem Jahr ein Plus von 3 Prozent geben
wird. Das alles sind doch positive Rahmendaten. Wenn
die Mietpreisbremse wirkt und die Mieten nicht mehr so
davongaloppieren, dann wird sich das natürlich auch auf
den Mietspiegel auswirken. Das wird im Ergebnis allen
Mieterinnen und Mietern zugutekommen - auch denjenigen, die die Mietpreisbremse für sich gar nicht in Anspruch nehmen müssten oder können.
Deshalb ist das heute wirklich ein guter Tag für die
Mieterinnen und Mieter. Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, der vor allen Dingen etwas ganz Grundsätzliches zum Kern hat: Wir wollen, dass in die Wohnungswirtschaft investiert wird, aber wir wollen auch, dass
diejenigen, die in die Wohnungswirtschaft investieren,
nicht glauben, dass sie solche Renditen wie früher auf
den Finanzmärkten erwirtschaften können. Wir sind
nämlich der Auffassung: Wohnungen sind keine Ware,
sondern das Zuhause von Menschen.
({8})
Deshalb sollten Wohnungen nicht wie Aktien an der
Börse gehandelt werden. Auch dazu trägt dieser Gesetzentwurf bei.
Schönen Dank.
({9})
Die Kollegin Halina Wawzyniak von der Fraktion Die
Linke ist die nächste Rednerin.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Ja, die Mietpreisbremse - oder das, was Sie so
nennen - ist besser als nichts. Wenn man sich aber mit
„Besser als nichts“ zufriedengibt, dann kann man eigentlich auch nach Hause gehen.
({0})
Hier ist noch Luft nach oben. Das Problem ist: Die
Union hat sich den Titel „Bremserin“ an dieser Stelle
redlich verdient.
({1})
Das ist kein Ruhmesblatt.
Was besser gewesen wäre, steht in unserem Änderungsantrag. Ich will hier nur einmal einen Punkt herausgreifen: Sie haben § 5 Wirtschaftsstrafgesetzbuch einfach nicht geändert. Unangemessen hohe Entgelte, die
strafbar sind, sollten normalerweise alle Entgelte sein,
die über der Mietpreisbremse liegen, und nicht nur darüber hinausgehende Aufschläge um einige Prozent. Das
ist ein Umgehungstatbestand. Hier hätten Sie tätig werden können.
({2})
Ich will Ihnen hier im Detail einmal ein paar Vorschläge für das zweite Paket machen. Wir alle gemeinsam müssen nämlich dafür sorgen, dass es nicht zu einer
Verdrängung von Mieterinnen und Mietern kommt.
Ich fange einmal mit einem ganz einfachen Punkt an,
nämlich mit dem Mindestlohn. Hier geht auch noch viel
mehr. Der Mindestlohn muss bei den Leuten ankommen.
Sorgen Sie also dafür, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber keine Tricks mehr für die Umgehung des Mindestlohns anwenden können.
({3})
Der zweite Punkt, bei dem wir aktiv werden müssen:
Die Kosten der Unterkunft für Transferleistungsempfangende, zum Beispiel Hartz-IV-Empfangende, müssen
der Realität angepasst werden. Ich weiß, das ist Ländersache, aber wir alle sind in Ländern aktiv. Lassen Sie uns
doch dafür sorgen, dass die Kosten der Unterkunft für
Hartz-IV-Empfangende tatsächlich der Realität entsprechen und nicht permanent Umzüge stattfinden müssen.
({4})
Frau Künast hat es angesprochen: Der Verkauf bundeseigener Immobilien durch die BImA zum Höchstgebot muss endlich aufhören. Hier müssen den Worten
endlich auch Taten folgen.
({5})
Die ortsübliche Vergleichsmiete wird derzeit anhand
der Mieten der vergangenen vier Jahre gebildet. Ich
glaube, die SPD hat einmal neun Jahre gefordert. Das
wäre ein Anfang. Wir sind bereit, mit Ihnen darüber zu
reden. An diesen Punkt müssen wir ran. Darüber müssen
wir jetzt reden.
({6})
Wir müssen aber auch über Eigenbedarfskündigungen
und Kündigungen wegen Hinderung der angemessenen
wirtschaftlichen Verwertung reden. Es ist aus meiner
Sicht zwingend erforderlich, dass eine Kündigung wegen beabsichtigter wirtschaftlicher Verwertung ausgeschlossen wird, wenn diese für die Mieterinnen und Mieter eine unzumutbare soziale Härte bedeuten würde.
({7})
Wir haben derzeit nämlich das Problem, dass mit einer
Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung gedroht
wird und damit die Mieterinnen und Mieter zur Zahlung
höherer Mietpreise erpresst werden. Hier müssen wir
ran.
({8})
Wir müssen auch an die konkreten Anforderungen an
eine Eigenbedarfskündigung ran. Diese müssen genauer
formuliert werden. Der BGH hat kürzlich entschieden,
dass eine Eigenbedarfskündigung für die Tochter eines
Wohnungseigentümers, die ein berufsbegleitendes Studium in Mannheim aufnehmen will, rechtmäßig ist, obwohl der Arbeitsplatz in Frankfurt am Main ist und der
Mieter noch keine zwei Jahre in der Wohnung wohnt.
({9})
Das ist doch alles absurdes Zeug!
Der Kündigungsschutz nach Umwandlung in Eigentumswohnungen muss bundesgesetzlich angepasst werden. Hier gibt es nach dem BGB eine Frist von drei Jahren. In einigen Ländern ist das mehr. Ich glaube, auch
hier müssen wir ran, weil Artikel 14 Grundgesetz auch
noch einen Absatz 2 hat, in dem steht:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
({10})
Auch an die fristlose Kündigung wegen Zahlungsrückstand müssen wir ran. Der BGH hat gerade entschieden - das ist wirklich absurd -, dass eine fristlose Kündigung auch dann möglich ist, wenn ein Mieter, der auf
Sozialleistung angewiesen ist, die Miete nicht bezahlen
kann, weil diese Leistung zu spät kommt, obwohl er sie
rechtzeitig beantragt hat. Auch da kann fristlos gekündigt werden. Das ist absurd. Da müssen wir gesetzliche
Vorkehrungen treffen.
({11})
Letzter Punkt. Den in der letzten Legislatur geschaffenen Unsinn der Räumung im einstweiligen Verfahren
nach § 940 a ZPO, wenn also ein Mieter eine Sicherheitsleistung nicht hinterlegen kann, müssen wir bitte
schnellstmöglich wieder abschaffen.
({12})
Ich glaube, das sind total konstruktive Vorschläge für
eine weitere Debatte zum Mietrecht. Sie können einmal
darüber nachdenken. Vielleicht nehmen Sie von der
Union dann den Fuß von der Bremse und benutzen stattdessen das Gaspedal.
({13})
Die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker ist die
nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Liebes Präsidium! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bringen heute endlich
die Mietpreisbremse unter Dach und Fach, ein Projekt,
das von beiden Seiten der Großen Koalition in den jeweiligen Wahlprogrammen angekündigt wurde, das im
Koalitionsvertrag stand und das wir jetzt umsetzen, um
damit dieses Versprechen zu erfüllen.
({0})
Die Mietpreisbremse soll galoppierende Mieten, wie
wir sie in einigen Regionen, vor allem in den Großstädten und Ballungsräumen, vorfinden, stoppen, und das
kann sie auch. Entweder haben wir das Problem, dass
Mieten um 30 Prozent steigen, oder wir haben es nicht.
Aber da, wo das bisher der Fall ist, geben wir das Mittel
an die Hand, diese Erhöhung der Mieten auf 10 Prozent
über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu begrenzen.
({1})
Der Befund - das ist hier schon ausgeführt worden ist, dass wir eine sehr unterschiedliche, differenzierte Situation in Deutschland haben - auch in meinem Wahlkreis ist das so -: von den ländlichen Regionen bis hin
zu den Ballungszentren. In attraktiven Ballungszentren,
in die viele Menschen ziehen, wo Hochschulen gegründet werden und Studenten eine Wohnung suchen, wo ein
bisher normales Viertel plötzlich zum Szeneviertel wird,
gibt es die Entwicklung, dass Mieten exzessiv erhöht
werden, ohne dass der Eigentümer diese Erhöhung
rechtfertigen kann. Das stellt dann diejenigen, die aus
beruflichen oder aus privaten Gründen eine neue Wohnung suchen, vor Probleme.
Genau da setzt die Mietpreisbremse wirkungsvoll an:
Für die Dauer von fünf Jahren kann bei neuen Mietverträgen durch eine Verordnung des Landes die neue Miete
auf eine Höhe von 10 Prozent über der ortsüblichen VerElisabeth Winkelmeier-Becker
gleichsmiete begrenzt werden. Das ist deshalb gut, weil
die Wohnung kein Renditeobjekt ist, sondern weil sie
der Lebensmittelpunkt der Menschen ist, der Ausgangspunkt für ihre Kontakte, für ihre Freundschaften, für ihr
soziales Umfeld. Die Wohnung ist ganz einfach ein Zuhause; das dürfen wir bei der ganzen Diskussion ums
Mietrecht nicht vergessen.
Die Länder müssen nun tätig werden und Rechtsverordnungen in Kraft setzen. Dabei sind sie nicht völlig
frei. Das ergibt sich aus der Verfassung; denn die Mietpreisbremse ist ein Eingriff in das Eigentum. Deshalb ist
die Umsetzung an gewisse Hürden gebunden. Wir haben
dafür gesorgt, dass diese Hürden unter bestimmten Voraussetzungen genommen werden können. Aber das
muss begründet und genauer untersucht werden.
Wir wissen auch, dass die Mietpreisbremse nur die
Symptome kuriert. Letztendlich kann man weder Schulden abwählen, noch durch eine Mietpreisbremse den
Marktmechanismus aushebeln. Deshalb kann sie nur
eine begrenzte Wirkung haben; das ist uns bewusst. Aber
sie wird diese begrenzte Wirkung entfalten. Gleichzeitig
darf sie die Ursachen nicht verschlimmern. Es ist bereits
ausgeführt worden: Das, was den Mietern letztendlich
wirklich hilft, ist ein breiteres Angebot an Wohnungen.
Dann haben sie die Möglichkeit, zu wählen, und dann
sind sie angesichts einer angedrohten Mieterhöhung seitens des Vermieters nicht erpressbar.
Deshalb war es so wichtig, dass wir die Mietpreisbremse nicht als Investitionsbremse ausgestaltet haben.
Das haben wir durch die Aufnahme einer Ausnahmeregelung für Neubauten und durch die Aufnahme einer
weitgehenden Ausnahmeregelung bei umfassenden Renovierungen geschafft. An diesen Stellen haben wir die
ursprünglichen Vorschläge aus dem Justizministerium
entscheidend verbessert.
({2})
Auch an anderer Stellen haben wir Verbesserungen
erzielt, unter anderem bei dem schon angesprochenen
§ 5 Wirtschaftsstrafgesetz, den der Justizminister aus
dem Gesetzbuch streichen wollte. Unserer Meinung
nach war es nicht Sinn der Sache, eine begrenzte Mietpreisbremse einzuführen und gleichzeitig den allgemein
und unabhängig von weiteren Vorgaben geltenden § 5
Wirtschaftsstrafgesetz zu streichen. Das war einer der
Punkte, die wir von Anfang an vertreten haben, und das
hat sich im Gesetzentwurf entsprechend niedergeschlagen.
Es ist jetzt Sache der Länder - am besten zusammen
mit den Kommunen -, zu überlegen, wie sie die im Gesetzentwurf vorgesehenen fünf Jahre nutzen können, um
die Situation für die Mieter zu verbessern. Dabei geht es
um Maßnahmen wie die Erleichterung von Stellplatzanforderungen, die Erhöhung der Wohnungsbauförderung,
die verstärkte Ausweisung von Bauland und teilweise
auch die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, damit
eventuell auch weiter außerhalb liegende Wohngebiete
an Attraktivität gewinnen und dadurch die Ballungsräume entlastet werden.
Der Gesetzentwurf ist aber wie jedes Gesetzesvorhaben in einer Großen Koalition ein Kompromiss. Uns tut
es leid, dass die Mietpreisbremse nicht genutzt wurde,
um Mietspiegel verbindlich vorzuschreiben. Gerade auf
angespannten Wohnungsmärkten wäre das ein großer
Vorteil. Denn wir stellen jetzt in jedem Fall eines neuen
Mietvertrages Mieter und Vermieter vor die Frage, wie
hoch die ortsübliche Vergleichsmiete ist, auf die maximal 10 Prozent aufgeschlagen werden dürfen. Das kann
extrem streitanfällig sein, und es treibt die Menschen in
teure Gerichtsprozesse. Ich habe selber als Richterin
Mietprozesse geführt und weiß von daher, wie schwierig
es ist, dabei zu einer verlässlichen Vergleichsgrundlage
zu kommen.
Deshalb hätte es uns am Herzen gelegen, zu verbindlichen Mietspiegeln zu kommen. Wir wären auch zu den
notwendigen Übergangsfristen bereit gewesen. Hier ist
eine Chance vertan worden. Trotzdem appelliere ich an
die Kommunen, sich dort, wo es möglich ist, um aktuelle
Mietspiegel zu bemühen.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
noch einige weitere Vorhaben im Mietrecht im Koalitionsvertrag vereinbart. Insofern ist mein nachdrücklicher Appell, dass wir das im Blick behalten und die
Investitionsanreize erhalten. Wer eigenes Geld in den
Wohnungsneubau oder die Sanierung des alten Bestandes investieren soll, der hat ein legitimes Interesse daran,
dass dieses Geld irgendwann eine Rendite abwirft. Es
gibt noch genügend andere Möglichkeiten, sein Geld zu
investieren. Es gibt dabei eine Korrelation: Bei hohen
Renditen nimmt man ein höheres Risiko in Kauf; bei
niedrigen Renditen nimmt man ungern ein Risiko in
Kauf. Wenn das dann auch noch mit einem hohen Aufwand verbunden ist, ist das nicht gut. Eine besonders ungünstige Kombination ist, wenn ein hoher Aufwand und
ein hohes Risiko auf eine niedrige Rendite treffen. Deswegen müssen wir darauf achten, dass genau das beim
Wohnungsmarkt nicht der Fall ist.
({4})
Wenn wir die weiteren Vorhaben im Koalitionsvertrag
angehen, dann müssen wir das vermeiden. Ich denke
zum Beispiel an die Amortisationsgrenze bei der energetischen Sanierung. Wir fordern die Menschen auf, in diesen Bereich zu investieren, aber verdienen sollen sie
nicht daran. Ich weiß nicht, ob das funktioniert. Damit
sollten wir uns vielleicht noch einmal befassen.
({5})
Ich komme noch kurz zum Bestellerprinzip. Wir sorgen damit für mehr Fairness in dem Dreipersonenverhältnis von Vermieter, Mieter und Makler. Wir alle kennen die Situation - wer sie nicht selbst erlebt hat, kennt
sie vielleicht aus der Werbung -: Eine Wohnung wird als
Ringeltäubchen angeboten. 20 bis 30 Interessenten stehen Schlange, aber derjenige, der das große Los gezogen
hat, kriegt die Wohnung nur dann, wenn er mit dem
Makler, den er vorher noch nie gesehen hat, einen Vertrag abschließt. Das wollen wir ändern, und das schaffen
wir auch mit der Neuregelung des Bestellerprinzips.
Ein bisschen schade ist, dass das auch dann gilt, wenn
die Lage nicht so eindeutig ist, und dort kann es eine
hemmende Wirkung haben. Wir hätten die berechtigten
und einstimmigen Hinweise des Bundesrates dazu aufgreifen und uns um eine kreative Lösung bemühen sollen. Leider gab es in diesem Punkt auch beim Koalitionspartner wenig Bewegung.
Stichwort „kreativ“: ein kurzer Blick auf die Uhr,
bitte.
Deshalb schließen wir mit der Mietpreisbremse heute
ein Projekt ab, das das soziale Mietrecht stärkt, ohne
Investitionsbremse zu sein. Wir schaffen damit den Rahmen. Die Länder müssen das jetzt mit Augenmaß und
Vernunft umsetzen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Als ich diesen Referentenentwurf vor über einem
Jahr zu Gesicht bekommen habe, hätte ich mir niemals
vorstellen können, dass er so lange im Verfahren steckt,
so lange blockiert wird. Es sind mehr als 500 Tage vergangen, seit Angela Merkel die Mietpreisbremse versprochen hat. Diese Mietpreisbremse hätte nach dem
Koalitionsvertrag ein Sofortprogramm in den ersten 100
Tagen sein sollen. Ich finde, diese Mietpreisbremse ist
das langsamste Sofortprogramm, das dieser Bundestag
seit langer Zeit gesehen hat. Die Große Koalition bewegt
sich in der Wohnungspolitik im Schneckentempo.
({0})
Sie bringen heute ein Gesetz auf den Weg, aber es
kommt viel zu spät. Die Mieten sind in den letzten
500 Tagen - das haben wir Grüne in einer Studie nachgewiesen - rasant gestiegen, und gleichzeitig haben Sie
die Mietpreisbremse im Deutschen Bundestag verzögert
und blockiert. Das ist ein Skandal. Am Ende zahlen für
diese absurde Geschichte die Mieterinnen und Mieter in
Deutschland, egal ob in Berlin, Tübingen oder München,
die Zeche.
Aber es geht noch viel weiter; denn es wird dauern,
bis die Mietpreisbremse vor Ort wirklich Wirkung entfaltet. Sie haben sehr viele Hürden in dieses Gesetz eingebaut. Ich glaube, dass jetzt die Länder und die Kommunen Ihre Hausaufgaben machen sollen. Das ist
irgendwie absurd. Ich glaube, dass mindestens ein bis
zwei Jahre benötigt werden, um dieses Gesetz, diese
Mietpreisbremse vor Ort umzusetzen.
({1})
Ich sage Ihnen: Eine Mietpreisbremse, die nur im Gesetzblatt steht, wirkt vor Ort noch nicht. Sie von der
Union haben viel dafür getan, dass diese Mietpreisbremse nicht schnell umgesetzt werden kann.
({2})
Die Mietpreisbremse kommt zu spät, sie ist aber auch
verdammt schlecht gemacht. Sie enthält Hürden, und
- das ist schon beschrieben worden - sie ist löchrig wie
ein Sieb. Ich möchte ein paar Löcher benennen, die diese
Mietpreisbremse hat, also Möglichkeiten, die es erlauben, dass die Mitpreisbremse umgangen wird.
Erstens. Herr Maas, Sie haben von einem guten Tag
für die Mieterinnen und Mieter und von einem Schritt in
Richtung mehr Mieterfreundlichkeit gesprochen. Die
Rügepflicht ist dem Mietrecht bis jetzt fremd. Das wissen auch Sie als Justizminister. Ich kann nicht verstehen,
dass Sie diese Rechtskonstruktion in das Mietrecht hineinschreiben. Das ist mieterinnen- und mieterfeindlich.
Das ist nichts anderes als eine Strategie zur Umgehung
der Mietpreisbremse.
({3})
Zweitens. Die umfassende Modernisierung, die Sie
als Ausnahme im Gesetz stehen haben, ist am Ende
nichts anderes als ein Anreiz für hochpreisige Modernisierung. Hochpreisige Modernisierung heißt Luxusmodernisierung, ist also eine Strategie zur Umgehung der
Mietpreisbremse. Ich finde, dass Berlin, Frankfurt, Stuttgart oder München nicht mehr Luxuswohnungen brauchen, sondern mehr bezahlbaren Wohnraum.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, wir
Grüne kennen uns mit Blockieren aus. Wir haben Sympathie für Blockaden, zum Beispiel in Dresden gegen
Nazis. Aber dass Sie die Mietpreisbremse und soziales
Mietrecht nun über viele Tage hier im parlamentarischen
Verfahren blockiert haben, halten wir für falsch. Da kann
ich Ihnen nur sagen: Hören Sie damit auf, und beenden
Sie endlich Ihren Sitzstreik in Sachen soziales Mietrecht.
({5})
Ich kann Ihnen sagen, wozu dieser Sitzstreik führen
wird. Er wird dazu führen, dass Sie Wahlergebnisse von
16 Prozent wie in Hamburg bekommen. Das zeigt ganz
klar: Sie haben keine Antworten auf die Probleme der
Christian Kühn ({6})
Menschen in den Großstädten und Ballungsräumen.
Deswegen haben Sie dort zu Recht eine Klatsche bekommen. Sie verstehen die Großstädte nicht, aber auch
die Großstädte verstehen Sie nicht mehr - und das zu
Recht.
({7})
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nach
der Mietpreisbremse ist vor der Mietrechtsreform; das
haben Sie hier ja auch ausgeführt. Sie haben angekündigt, jetzt noch eine große Mietrechtsreform durchzuführen. Wann soll der Mietspiegel denn reformiert werden?
Wann soll das „Heraussanieren“ von Menschen aus ihren Wohnungen beendet werden? Wenn Sie dafür genauso lange wie für die Mietpreisbremse brauchen, werden wir diese Reform in dieser Legislaturperiode nicht
mehr erleben; denn dann ist Wahlkampf, und dann geht
politisch eben nichts mehr. Ich habe den Eindruck: Bei
Ihnen in der Großen Koalition, da geht schon eine Weile
nichts mehr.
Danke.
({8})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dennis Rohde, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Allen Unkenrufen zum Trotz: Heute ist ein
guter Tag für die Mieterinnen und Mieter in diesem
Land.
({0})
Nach Schätzungen des Justizministeriums werden die
Mieter in diesem Land durch das Bestellerprinzip und
durch die Mietpreisbremse jährlich um 850 Millionen
Euro entlastet. Ich finde, das kann man nicht kleinreden.
Das ist ein Erfolg der Großen Koalition.
({1})
Ich sage auch ganz selbstbewusst: Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs heute ist auch ein Erfolg der
SPD. Das gilt gerade, wenn man weiß, welche Forderungen auf uns eingeprasselt sind.
({2})
Da sollten pauschal alle Städte ohne Mietspiegel von der
Mietpreisbremse ausgenommen werden. Da sollte der
Anwendungsbereich nicht nur örtlich beschränkt werden; vielmehr sollten innerhalb der örtlichen Beschränkung auch noch sachliche Beschränkungen, zum Beispiel auf kleine Ein- und Zweizimmerwohnungen,
vorgenommen werden. Da sollten umfassende Modernisierungen dauerhaft ausgenommen werden. Da sollte das
Bestellerprinzip derart aufgeweicht werden, dass der
Umgehung Tür und Tor geöffnet worden wäre. Ich sage:
Es ist gut, dass das alles es nicht in den Gesetzentwurf
geschafft hat.
({3})
Denn wir brauchen dieses Gesetz. Es ist nicht unser
Anspruch an eine moderne Wohnungspolitik, denjenigen, die in Innenstädten wohnen und sich das Wohnen
dort nicht mehr leisten können, zu sagen: Wenn du es dir
nicht leisten kannst, dann zieh doch aufs Land, dann zieh
doch an den Stadtrand. - Das kann doch nicht unser Anspruch sein. Natürlich wissen wir: Es gibt kein gesetzliches Recht darauf, in der Innenstadt zu leben.
({4})
Aber ich sage: Innenstädte dürfen nicht zu Luxuswohngebieten für die finanzielle Elite in diesem Land werden.
Unsere Städte leben davon, dass sie bunt sind.
({5})
Unsere Städte leben von ihrer Vielfältigkeit. Unsere
Städte leben davon, dass verschiedenste Menschen Tür
an Tür wohnen. Diese Vielfalt sicherzustellen, das ist
und das bleibt ein gesellschaftlicher Mehrwert, und das
ist und das bleibt eine politische Herausforderung.
({6})
Uns ist vollkommen bewusst, dass wir dafür auch in
den Markt werden eingreifen müssen. Ich möchte all
denjenigen zurufen, die in den letzten Tagen, Wochen
und Monaten immer wieder mit der Eigentumsfreiheit
argumentiert haben, die immer wieder Artikel 14 Grundgesetz hochgehalten haben. Lesen Sie doch auch einmal
Absatz 2 dieses Artikels.
({7})
Da steht - ich zitiere -:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Meine Damen und Herren, wir leben in einer sozialen
Marktwirtschaft und nicht, wie der eine oder andere es
gerne hätte, in einer radikalen Marktwirtschaft.
({8})
Daher kündige ich an: Wir werden uns auch in Zukunft
das Recht herausnehmen, ordnungspolitische Eingriffe
vorzunehmen im Sinne der Mehrheit der Menschen in
unserem Land.
Auch ein Wort in Richtung Opposition. Sie haben uns
in Ihren Redebeiträgen zaghaft kritisiert.
({9})
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle sagen: Vorsicht an der
Bahnsteigkante! Heute können Sie uns kritisieren; aber
morgen müssen Sie zeigen, wie ernst es Ihnen wirklich
mit dem Schutz der Mieterinnen und Mieter ist.
({10})
Ich sage Ihnen: Wir werden ganz genau darauf achten,
was Sie dort mit der Mietpreisbremse machen, wo Sie
regieren.
({11})
Wir werden zum Beispiel ganz genau darauf achten, was
Schwarz-Grün in Hessen mit der Mietpreisbremse
macht. Achten Sie lieber darauf, dass Ihre Kritik von
heute Morgen nicht zum Bumerang wird.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein guter
Tag für die Mieterinnen und Mieter in Deutschland. Ab
morgen beginnt die Arbeit am zweiten Mietpaket; es
wurde angekündigt. Ab morgen arbeiten wir an der Umsetzung des zweiten Paketes im Sinne des Koalitionsvertrages. Ab morgen arbeiten wir an einem zweiten guten
Tag für die Mieterinnen und Mieter in diesem Land.
Vielen Dank.
({13})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Das, worüber wir heute abstimmen, ist
ein gutes Ergebnis für die Mieterinnen und Mieter in
Deutschland;
({0})
denn mit der Mietpreisbremse dämpfen wir stark steigende Mieten in angespannten Wohnungsmärkten und
Universitätsstädten.
Wir haben die Mietpreisbremse klug ausgestaltet. Sie
ist keine Investitionsbremse - Neubauten sind ausgenommen -, und sie greift gezielt dort, wo sie wirklich
gebraucht wird. Mit diesem Gesamtpaket setzen wir als
CDU/CSU unser Wahlversprechen um. Wir wollen die
Mietpreisbremse; denn Menschen sollen in ihren angestammten Wohnvierteln wohnen bleiben können und
nicht verdrängt werden - egal ob sie auf dem Dorf in
Franken oder im Münchener Stadtteil Schwabing leben
wollen. Außerdem wollen wir, dass Studierende in den
Universitätsstädten bezahlbaren Wohnraum finden.
Die Wohnungsmärkte in Deutschland funktionieren in
weiten Teilen, in manchen aber eben auch nicht. Gerade
in Groß- und Universitätsstädten sind die Wohnungsmärkte angespannt. Die Studierendenzahlen steigen an.
Teilweise werden Höchstwerte verzeichnet. Des Weiteren nimmt die Anzahl der Singlehaushalte zu. Fast
40 Prozent aller Haushalte sind derzeit Singlehaushalte.
Durch diese und andere Entwicklungen ist das
Gleichgewicht der Wohnungsmärkte aus den Fugen geraten. Ich möchte Ihnen ein Beispiel erzählen: Eine Studentin aus Bamberg hat mir vor kurzem erzählt, dass sie
für eine 24-Quadratmeter-Wohnung knapp 400 Euro bezahlt. Das kann nicht sein! Wir bremsen mit dem heutigen Beschluss den weiteren Anstieg der Mieten für die
Zukunft aus. Und das ist gut so, meine Damen und Herren!
({1})
Die Mietpreisbremse greift aber gezielt genau dort
räumlich und zeitlich begrenzt, wo sie notwendig ist.
Würde es so kommen, wie es die Fraktion Die Linke
will, würden keine neuen Wohnungen mehr gebaut.
({2})
Was will die Linke? Eine flächendeckende und unbefristete Mietpreisbremse in ganz Deutschland? Mieterhöhungen nur noch in Höhe des Inflationsausgleichs? Wer würde da noch investieren, wenn das so käme?
({3})
Dann würde die Ursache des Problems - der mangelnde
Wohnraum - nicht behoben. Das wäre dann großer Käse,
verehrte Frau Lay und Frau Künast!
({4})
Das beste Mittel gegen steigende Mieten ist doch,
ausreichend Wohnraum zu schaffen. Ein größeres Angebot dämpft letztendlich automatisch die steigenden Mietpreise. Wir alle kennen das volkswirtschaftliche Prinzip
gut, nach dem Angebot und Nachfrage den Preis regeln.
Bei der Linken und bei dem, was Frau Künast vorhin gesagt hat, wäre ich mir da allerdings nicht so sicher,
meine Damen und Herren.
({5})
Damit neuer Wohnraum geschaffen wird, müssen
auch wir aufseiten der Politik die richtigen Anreize bzw.
die richtigen Rahmenbedingungen setzen.
({6})
Mit diesem Gesetz sorgen wir dafür, dass auch die Ursachen angegangen werden. Deshalb ist es richtig, dass die
Neubauten ausgenommen sind. Damit bleibt der Anreiz
erhalten, neue Wohnungen zu bauen. Das haben wir in
den Verhandlungen erfolgreich durchgesetzt, und darauf
sind wir auch stolz.
({7})
Es ist auch richtig, verehrter Herr Kühn, dass umfassend modernisierte Wohnungen bei Erstvermietungen
ausgenommen sind. Ich möchte nicht verschweigen,
dass ich mir die komplette Ausnahme auch bei weiteren
Vermietungen gewünscht hätte, und zwar auch aus Klimaschutzgründen. Wir brauchen einen Anreiz für die
Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen, auch
von energetischen Sanierungen. Wir als Klimapolitiker
wissen, dass im Gebäudebereich ein erhebliches Einsparpotenzial vorhanden ist. Das müssen wir nutzen, um
unsere Klimaziele zu erreichen. Deswegen ist es auch
richtig, dass die umfassend modernisierten Wohnungen
von der Mietpreisbremse ausgenommen sind, meine Damen und Herren.
({8})
Die genaue Ausgestaltung, ab wann und wo die Mietpreisbremse wirklich greift, obliegt jetzt nicht dem
Bund, sondern den Ländern. Das ist auch richtig so;
denn dort muss jetzt vor Ort gezielt etwas passieren. Die
Länder müssen zunächst die Gebiete bestimmen, in denen die Mietpreisbremse greifen soll. Sie können einzelne Städte und Gemeinden oder auch nur bestimmte
Stadtteile zu „angespannten Wohnungsmärkten“ erklären. Es ist auch wichtig und richtig, dass die Länder für
diese Gebiete jetzt konkrete Maßnahmenpläne vorlegen,
wie sie den Wohnungsmangel gezielt bekämpfen und erreichen wollen, dass dort auch wieder Wohnungen gebaut werden. Durch die Mietpreisbremse allein entstehen nämlich keine neuen Wohnungen. Wir müssen auch
die Ursachen und nicht nur die Symptome bekämpfen.
({9})
- So, wie das ausgestaltet wurde, verzögert das die Mietpreisbremse nicht. Das ist richtig ausgestaltet worden,
und die Länder werden das in diesem Sinne umsetzen.
Auch die soziale Wohnraumförderung kann helfen,
vor Ort mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Daher
appelliere ich heute erneut an alle Länder, die halbe Milliarde Euro, mit der der Bund sie jährlich unterstützt,
endlich konsequent und zielgerichtet für den sozialen
Wohnungsbau zu verwenden. Dass das gelingen kann,
zeigt Bayern. In Berlin ist das unter Rot-Rot nicht gelungen, Frau Lay.
({10})
Die Mietpreisbremse ist nur ein Bestandteil unserer
Wohnungsbaupolitik. Wir wollen in ganz Deutschland
bezahlbaren Wohnraum schaffen. Wir übernehmen Verantwortung für die gesamte Wohnungspolitik. Im Rahmen des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen
diskutieren Vertreter von Bund, Ländern, Kommunen
und anderen gesellschaftlich relevanten Akteuren, wie
wir das gemeinsame Ziel, die wohnungspolitischen
Herausforderungen zu meistern, erreichen können. Im
Rahmen dieses Bündnisses untersucht die Bausenkungskommission auch, wie kostentreibende Vorschriften im
Bauwesen verringert werden können, welche Vereinfachungsmöglichkeiten bestehen.
Mit diesem Gesamtpaket, mit dem Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen und der Mietpreisbremse,
sind wir auf dem richtigen Weg. Wir unternehmen heute
einen wichtigen Schritt, indem wir die Mietpreisbremse
in der uns vorliegenden Form verabschieden.
Vielen Dank.
({11})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Metin Hakverdi, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist ein guter Tag für Millionen Mieterinnen und Mieter in Deutschland. Menschen in Ballungsgebieten wie Hamburg, München, Berlin, aber
auch Düsseldorf und Frankfurt können heute aufatmen:
Die Mietpreisbremse kommt, und sie kommt ohne Abstriche. Sie kommt mit dem Bestellerprinzip bei der
Maklercourtage. Sie kommt, wie die SPD sie im Koalitionsvertrag durchgesetzt hat.
Für uns Sozialdemokraten gehört die Mietpreisbremse neben dem Mindestlohn zu den wichtigsten ordnungspolitischen Interventionen, die wir durch unsere
Regierungsbeteiligung erreicht haben. In den beiden
wichtigen Lebensbereichen Wohnen und Arbeit darf die
Entwicklung der Lebensverhältnisse nicht marktradikalen Anschauungen überlassen werden.
({0})
Der Anstieg der Mietpreise hat Ursachen. Menschen
ziehen wieder vermehrt in die Ballungsgebiete. Das hat
damit zu tun, dass die Ballungsgebiete oft über eine bessere Infrastruktur verfügen als die ländlichen Räume.
Ältere Menschen ziehen in die Städte, weil sie dort eine
bessere medizinische Versorgung vorfinden. Familien
bleiben eher in den Städten, weil sie dort eine gute Versorgung mit Hort, Kindertagesstätten und Schulen vor8608
finden. Auf diese Entwicklung haben sowohl die Politik
als auch der freie Markt nicht reagiert. Dies ist ein Fall
von Marktversagen. Es wurden nicht genug Wohnungen
angeboten; denn es wurden nicht genug Wohnungen gebaut. Die Mietpreise stiegen an. Die Menschen in Hamburg, zum Beispiel die Menschen in meinem Wahlkreis,
in Bergedorf, Harburg und Wilhelmsburg, beobachten
diese Entwicklung mit Sorge. Sie fragen sich, ob sie
auch in Zukunft noch in ihrem Quartier leben können.
Sie fragen sich, ob sie auch im Alter die Miete in ihrem
Quartier bezahlen können. Deshalb ist die Mietpreisbremse eine richtige und wichtige ordnungspolitische
Maßnahme.
Machen wir uns aber nichts vor: Allein mit der Mietpreisbremse werden wir das Problem nicht gelöst bekommen. Es bedarf eines umfassenderen Ansatzes.
({1})
Neben der Mietpreisbremse wird es auch darauf ankommen, bezahlbaren Wohnraum neu zu schaffen. Dafür
muss aber aktiv Wohnungsbau betrieben werden. Hamburg hat mit unserem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz
vorgemacht, wie man das Ruder herumreißen kann.
({2})
Jedes Jahr wurde der Neubau von über 6 000 Wohneinheiten genehmigt. Das ist eine wichtige wohnungsbaupolitische Maßnahme, und allmählich greift diese auch.
Der Anstieg der Mieten in Hamburg flacht langsam ab.
Die Politik muss helfen, bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen. Auch in Zukunft gilt für uns Sozialdemokraten, dass Wohnen und Arbeiten wichtig sind: Erstens.
Von Arbeit muss man leben können. Zweitens. Wohnraum muss bezahlbar sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Yvonne Magwas, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte den Vorrednern aus meiner Fraktion danken, die bereits das Wesentliche herausgearbeitet
haben. Heute setzen wir wieder eines unserer Vorhaben
aus dem Koalitionsvertrag um. Ich begrüße es sehr, dass
es uns gelungen ist, einen stimmigen und ausgewogenen
Gesetzentwurf vorzulegen.
({0})
Wie man weiß, gab es anfangs einige Unklarheiten
über die Reichweite der Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Ich sehe daher mit Zufriedenheit, dass wir als CDU/
CSU-Bundestagsfraktion die Lösungsfindung mit unserem Eckpunktepapier bereits in einem frühen Stadium
unterstützen und umsetzen konnten.
({1})
Der heute zu beschließende Gesetzentwurf vereint daher auch zwei wesentliche wohnungspolitische Grundsätze. Zum einen geht es darum, die Bezahlbarkeit des
Wohnens zu sichern und eine Antwort zu geben auf
überzogene Mieten in angespannten Wohnungsmärkten.
Zum anderen wissen wir aber auch, dass das wirksamste
Mittel gegen hohe Mieten der Wohnungsneubau ist. In
Anbetracht dessen und auch vor dem Hintergrund des
Artikels 14 Grundgesetz ist es richtig, eine zeitliche Befristung vorzunehmen, aber auch eine definierte räumliche Begrenzung.
({2})
Ebenso ist es richtig, die Mietpreisbremse an konkrete
Maßnahmen zur Behebung der Wohnungsnot zu koppeln; denn die Lösung des Kernproblems heißt: bauen,
bauen, bauen.
({3})
Die Mietpreisbremse verschafft uns nun die notwendige Zeit, um den partiellen Wohnungsmangel zielführend anzugehen. Hierfür soll das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen ein zentraler Baustein sein. Die
Zeit drängt. Somit ist es wichtig, dass wir den Zeitplan
einhalten und die Ergebnisse des Bündnisses einfordern.
Meine Damen und Herren, meine Heimat, das Vogtland, gehört zu den Gebieten, in denen die Mietpreisbremse keine große Bedeutung hat. Dennoch verknüpfen
auch die Menschen dort Hoffnungen mit dem Bündnis
für bezahlbares Wohnen und Bauen. Das Stichwort hier
heißt „demografischer Wandel“; denn die Bevölkerung
schrumpft, und die Menschen werden immer älter. Beides hat Auswirkungen auf die Lebensqualität im ländlichen Raum. Notwendig sind hier Gesundschrumpfungsprozesse von kleinen Städten und Gemeinden, ohne
natürlich die Attraktivität außer Acht zu lassen. Und es
werden zunehmend Wohnräume benötigt, die barrierefrei und energieeffizient sind. Jetzt schon müssen wir
uns darauf einstellen, dass der Bedarf diesbezüglich
massiv ansteigen wird. Wir halten auch deshalb an der
vereinbarten steuerlichen Förderung fest und freuen uns
über die Aussagen der KfW, die Zuschüsse für die energetische Sanierung und den altersgerechten Umbau zu
erhöhen.
Meine Damen und Herren, bezahlbares Wohnen wird
auch durch sozialen Wohnungsbau sichergestellt. Leider
werden die Mittel, die der Bund dafür an die Länder
gibt, nicht von allen Ländern dazu genutzt. Das Negativbeispiel Brandenburg habe ich bereits in der letzten Debatte angeführt. Ich plädiere dafür, dass sich die Länder
verbindlich verpflichten, die Bundesmittel fortan zweckgebunden für den sozialen Wohnungsbau zu verwenden
({4})
und vor allem aussagekräftig darüber zu informieren.
Wie gesagt, die Länder sind nun gefordert, die Mietpreisbremse umzusetzen und den Wohnungsneubau anzuschieben. Das scheinen aber nicht alle zu wollen. Die
linke Infrastrukturministerin aus Thüringen hat bereits in
der Thüringer Allgemeinen Zeitung vom 26. Februar angekündigt, nicht an eine schnelle Einführung einer Mietpreisbremse zu denken, sondern lieber abzuwarten.
({5})
Dabei sieht der Thüringer Mieterbund gerade in den Ballungsräumen Erfurt, Weimar und Jena großen Bedarf.
Thüringen scheint also wieder einmal eine Chance zu
verpassen.
Abschließend bleibt zu hoffen, dass Thüringen eine
Ausnahme bleibt. Wir werden die Mietpreisbremse
heute beschließen und setzen damit auf bezahlbares
Wohnen und vor allem auf Bauen, Bauen, Bauen.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Mietrechtsnovellierungsgesetzes. Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4220, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/3121 und
18/3250 anzunehmen. Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen: ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke und zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die beiden
Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
werden wir in namentlicher Abstimmung behandeln.
Danach müssen wir die Sitzung unterbrechen, um das
Ergebnis der Abstimmungen über die Änderungsanträge
auszuzählen.
Anschließend kommen wir zur dritten Lesung. Zum
Schluss werden wir über einen Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. - Das sind
also die Abstimmungen, vor denen wir jetzt stehen.
Bevor wir zu den namentlichen Abstimmungen kommen, stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4223 ab. Wer für den
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4223 stimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSUFraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Nun stimmen wir über zwei Änderungsanträge der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab, zu denen namentliche Abstimmung verlangt wurde.
Abstimmung über den Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4224. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze an den Abstimmungsurnen einzunehmen. - Sind
jetzt alle Urnen ordnungsgemäß besetzt? - Das ist der
Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den
Änderungsantrag auf Drucksache 18/4224.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4225. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, wieder die Plätze an den Urnen einzunehmen. - Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache
18/4225.
Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine
Stimme jetzt bei der zweiten namentlichen Abstimmung
noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen.
Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten
Renate Künast, Christian Kühn, Luise Amtsberg sowie
weiterer Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der
Bundesregierung zur Dämpfung des Mietanstiegs auf
angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des
Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung - Mietrechtsnovellierungsgesetz -, Drucksachen 18/3121,
18/3250, 18/4220 und 18/4224: abgegebene Stimmen
587. Mit Ja haben gestimmt 113, mit Nein haben gestimmt 474, kein Kollege und keine Kollegin haben sich
enthalten. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 587;
davon
ja: 113
nein: 474
Ja
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Vizepräsident Peter Hintze
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({0})
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({1})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({2})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck ({3})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({4})
Christian Kühn ({5})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({6})
Veronika Bellmann
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({7})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({8})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({9})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({10})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Vizepräsident Peter Hintze
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({11})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({15})
Dr. Wolfgang Schäuble
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({16})
Gabriele Schmidt ({17})
Ronja Schmitt ({18})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({19})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({20})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({21})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({22})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({23})
Sven Volmering
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({24})
Peter Weiß ({25})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Peter Wichtel
Heinz Wiese ({26})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({27})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({28})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Petra Hinz ({29})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({31})
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({32})
Aydan Özoğuz
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({33})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Vizepräsident Peter Hintze
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({34})
Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({35})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Ulla Schmidt ({36})
Matthias Schmidt ({37})
Dagmar Schmidt ({38})
Carsten Schneider ({39})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({40})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({41})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Wir kommen nun zu dem von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelten Ergebnis der zweiten
namentlichen Abstimmung, Drucksachen 18/3121,
18/3250, 18/4220 und 18/4225, ebenfalls das Mietrechtsnovellierungsgesetz betreffend: abgegebene Stimmen 583. Mit Ja haben gestimmt 114, mit Nein haben
gestimmt 469, Enthaltungen keine. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 582;
davon
ja: 113
nein: 469
Ja
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({42})
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({43})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
({44})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck ({45})
Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({46})
Christian Kühn ({47})
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({48})
Veronika Bellmann
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Ingrid Fischbach
Vizepräsident Peter Hintze
Dirk Fischer ({49})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Hans-Peter Friedrich
({50})
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({51})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({52})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({53})
Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
({54})
Stefan Müller ({55})
Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({56})
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer ({57})
Dr. Wolfgang Schäuble
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({58})
Gabriele Schmidt ({59})
Ronja Schmitt ({60})
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({61})
Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder
({62})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({63})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({64})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({65})
Sven Volmering
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({66})
Peter Weiß ({67})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Peter Wichtel
Heinz Wiese ({68})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Bärbel Bas
Vizepräsident Peter Hintze
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({69})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Ulrich Hampel
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({70})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Petra Hinz ({71})
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({72})
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({73})
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({74})
Aydan Özoğuz
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post ({75})
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({76})
Susann Rüthrich
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({77})
Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Ulla Schmidt ({78})
Matthias Schmidt ({79})
Dagmar Schmidt ({80})
Carsten Schneider ({81})
Ursula Schulte
Swen Schulz ({82})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Dr. Carsten Sieling
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({83})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Ich darf darauf hinweisen, dass vier Erklärungen zur
Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor-
liegen.1)
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3121 und
18/3250 zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Ge-
setzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke mit Ge-
genstimme eines Abgeordneten aus der CDU/CSU-Frak-
tion in zweiter Beratung so angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit den Stimmen
1) Anlage 4
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen sowie einer Gegenstimme aus der CDU/CSUFraktion angenommen worden.
({84})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4226. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mietenanstieg stoppen, soziale Wohnungswirtschaft entwickeln und dauerhaft sichern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner BeVizepräsident Peter Hintze
schlussempfehlung auf Drucksache 18/4219, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/504 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Jutta Krellmann, Susanna Karawanskij,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Mindestlohn sichern - Umgehungen verhindern
Drucksache 18/4183
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({85})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Abgeordneten Klaus Ernst, Fraktion
Die Linke.
({86})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Dass sich gerade einige von der CDU vom
Acker machen, ist symptomatisch für dieses Thema. Ich
habe den Eindruck: Das gilt auch für das, was Sie selbst
im Parlament beschlossen haben. Es war ein unheimliches Gewürge, bis dieser Mindestlohn zustande kam. Es
hat fast ein Jahrzehnt gedauert, ein Jahrzehnt, in dem Sie
für die niedrigsten Löhne in dieser Republik mitverantwortlich waren. Jetzt haben Sie ein Gesetz gemacht. Ich
sage Ihnen: Getraut habe ich Ihnen bei diesem Thema
nie. Aber was wir jetzt erleben, ist schon ein seltener
Vorgang. Sie haben all dem zugestimmt, was jetzt Gesetz ist, sabotieren aber nun den Mindestlohn und demontieren die Ministerin, die dafür verantwortlich ist.
Das ist ein unglaublicher Vorgang.
({0})
Mit Ihnen als Koalitionspartner braucht man wirklich
keine Feinde mehr. Sie behaupten, das sei ein bürokratisches Monster, weil Arbeitszeiten erfasst werden müssen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen:
Weil Arbeitszeiten erfasst werden, handelt es sich hierbei um ein bürokratisches Monster. Wie soll denn eine
Abrechnung auf Stundenlohnbasis überhaupt sinnvoll
stattfinden, wenn die Arbeitszeit nicht erfasst wird? Wie
soll das gehen? Wenn die Aufzeichnungspflicht im Zusammenhang mit Arbeitszeiten nicht eingehalten wird,
ist ein Mindestlohn nicht kontrollierbar. Offensichtlich
ist das Ihr Interesse. Das soll natürlich nur bei Löhnen
gelten.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie fahren mit dem Auto
zur Tankstelle, aber es wird nicht erfasst, wie viele Liter
Sie in den Tank hineinschütten. Jeder wird sagen: Das ist
blanker Unsinn. - Zu meinen bayerischen Freunden:
Wenn Sie im Biergarten ein paar Maß Bier trinken, aber
die Kellnerin nicht erfasst, wie viel Bier Sie getrunken
haben, ist eine Abrechnung nicht möglich.
({1})
Ich habe den Eindruck: Ihre Kampagne gegen den Mindestlohn haben Sie nach fünf Maß Bier gemacht, so ein
Unfug ist das.
({2})
Zum Thema Bürokratiemonster: Die Deutsche Zollund Finanzgewerkschaft - ich weiß nicht, ob Sie wissen,
wer das ist; das sind die, die kontrollieren sollen, was
wir hier an Gesetzen machen - sagt: Ausnahmeregelungen erzeugen die Bürokratie. - Ich möchte gleich noch
aus dem Magazin dieser Gewerkschaft zitieren. Ihr Vorsitzender Dewes hatte bei der Anhörung zum Mindestlohn im Jahre 2014 gesagt, je mehr Ausnahmen das Mindestlohngesetz vorsehe, desto aufwendiger werde die
Kontrolle. Wenn Sie jetzt bürokratischen Unfug kritisieren, dann müssten Sie Ihre Ausnahmeregelungen kritisieren. Sie sind für die schwierige Kontrolle bei diesem
Thema verantwortlich.
({3})
Für die Kontrolleure sind die Ausnahmeregelungen
nicht nachvollziehbar. Ich möchte aus dem Magazin des
BDZ zitieren:
Für den BDZ war und ist es dabei nicht nachvollziehbar, warum für mobile Tätigkeiten ohne sachliche Begründung Ausnahmetatbestände geschaffen
wurden. Besonders in den für Schwarzarbeit anfälligen Branchen wie dem Transport- oder Taxigewerbe ist es für wirksame Kontrollen entscheidend,
Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit
festzuhalten.
So weit die Kontrolleure.
Wenn Sie diese Dokumentationspflichten aufweichen
wollen, dann stellen Sie sich vor diejenigen, die an diesem Gesetz nicht interessiert sind und sich auch nicht um
die Einhaltung dieses Gesetzes kümmern. Sie stellen
sich vor diejenigen, die in dieser Frage ein höchstes Maß
an krimineller Energie haben.
({4})
Im Übrigen wissen Sie selber, dass eine Reihe dessen,
was Sie kritisieren, schon lange gilt. Arbeitszeiten müssen in vielen Bereichen schon immer erfasst werden.
Wie wollen Sie überhaupt Überstunden erfassen, wenn
Sie nicht wissen, was die Regelarbeitszeit ist? Wie wollen Sie das machen? Das ist vollkommener Unsinn.
Der zweite Akt der Sabotage ist das, was Sie mit dem
Personal machen. Die Zuständigen sagen: Wir brauchen
2 500 zusätzliche Personalstellen. - Sie machen in dieser
Frage viel zu wenig. Wir wissen, dass in diesem Bereich
viel Personal fehlt. Am deutlichsten wird Ihre Haltung
am Beispiel des sehr geschätzten Michael Fuchs; er ist
leider heute nicht da. Es tut mir wirklich leid, dass er
jetzt nicht mitkriegt, wie ich zitiere, was er selber gesagt
hat. Wissen Sie, was Herr Fuchs gesagt hat? Ich habe es
kaum glauben können. Er hat gesagt:
Überall fehlen Polizisten. Aber wir stellen jetzt
1 600 Zöllner ein, um den Unternehmen … auf die
Finger zu schauen. Das versteht doch kein Mensch!
Was glauben Sie eigentlich, was die in der Finanzkontrolle Schwarzarbeit Tätigen über so etwas denken? Das
ist ihre Arbeit. Sie haben doch den Eindruck, dass die
Politik überhaupt nicht daran interessiert ist, dass kontrolliert wird, wenn solche Aussagen von einem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion kommen. Er sollte sich schämen und sich bei den Damen und
Herren für den Unsinn, den er erzählt hat, entschuldigen.
({5})
Es geht hier nicht um ein Bürokratiemonster, sondern
es geht um die Existenzgrundlage von Menschen, die
von diesem Lohn leben müssen. Notwendig sind nicht
weniger Kontrollen, sondern mehr Überprüfung und weniger Ausnahmeregelungen, so wie wir es in unserem
Antrag fordern.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({6})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Professor Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hoffnung des letzten Sommers, dass wir uns parlamentarisch
zum letzten Mal mit dem Mindestlohn beschäftigen
müssen, hat offensichtlich getrogen.
({0})
Zumindest kann man den Antrag der Linken jetzt zum
Anlass nehmen, auf das eine oder andere hinzuweisen,
das in der Debatte der letzten Wochen und Monate eine
Rolle gespielt hat. Ich will das in zehn Punkten tun.
Erster Punkt. Der Mindestlohn gilt seit dem 1. Januar
2015. Das ist auch gut so. Wir hören gleichzeitig, dass
sich der positive Trend auf dem Arbeitsmarkt weiter
fortsetzt.
({1})
Das hatten einige Ökonomen anders vorhergesagt und
von bis zu 1,2 Millionen mehr Arbeitslosen gesprochen.
Ich weiß nicht, ob das schlechte Ökonomie oder nur besonderes Pech beim Nachdenken war.
({2})
Aber es fällt schon auf: Das kommt immer aus der gleichen Ecke.
Zweiter Punkt. Es hat in den letzten Wochen einige
Debatten über die Verordnung der Ministerin gegeben.
Das eine oder andere kann man an dieser Stelle vielleicht
richtigstellen. Der Mindestlohn ist ja mit überwältigend
großer Mehrheit hier im Deutschen Bundestag angenommen worden.
({3})
Die Verordnung der Ministerin schränkt den Geltungsbereich des Mindestlohns ein, sie weitet ihn nicht aus;
({4})
ich finde, das kann man an dieser Stelle richtigstellen.
Man kann die Verordnung streichen. Aber dann würde
sich die Überprüfung als problematisch erweisen, weil
sehr viel mehr Arbeitsverhältnisse von einer Überprüfung betroffen wären. Wir wollen aber die Problembereiche in den Fokus nehmen. Das leistet zunächst einmal
die Verordnung der Ministerin.
Dritter Punkt. Man hört, das Mindestlohngesetz sei
ein Bürokratiemonster.
({5})
Richtig ist: Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit müssen erfasst werden. Das ist pragmatisch,
schnell und unproblematisch.
({6})
Monster, meine Damen und Herren, sehen anders aus.
({7})
Oder - um es deutlich zu sagen -: Um ein solches Monster zu erlegen, braucht man keinen Wolf Biermann. Es
reicht schon der kleine Bruder des heiligen Georg.
({8})
Ich glaube, durch die permanente Verwendung von Superlativen verdirbt man sich die Preise.
({9})
Vierter Punkt. Ich höre, es ist die Summe der Vorschriften, die die Wirtschaft belastet. Das mag sein. Der
Chef der Arbeitsagentur Weise hat darauf hingewiesen
- ich zitiere -:
Bürokratisch heißt auch rechtsstaatlich. …
({10})
Es ist für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sehr wichtig, dass man klare Regeln hat.
Ich glaube, im Wettbewerb ist ein zusätzliches Stück Berechenbarkeit entstanden. Das finde ich in Ordnung.
Fünfter Punkt. Wir wissen um die Befindlichkeit von
kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie sind
auch durch die dauernden Mahnungen des DGB, dass
bis zu 500 000 Euro Bußgeld verhängt werden können,
aufgeschreckt worden. Das ist bei groben Verstößen
durchaus gerechtfertigt. Aber man muss auch deutlich
sagen: Die Unternehmen sind weder zu doof noch zu kriminell.
({11})
Ich glaube, viele sind durch unterschiedliche, zum Teil
dubiose Auskünfte von berufener oder unberufener Seite
eher verunsichert. Deswegen ist es gut, dass sich der Zoll
zunächst einmal auch als Unterstützer dieser Unternehmen versteht, dass er diese Unternehmen berät und wir
nicht sofort mit der Keule der Strafe vorgehen, wenn
noch Rechtsunsicherheit herrscht. Ich glaube, das ist
auch im Sinne dieses Gesetzes.
({12})
Sechster Punkt. Wir haben immer gesagt, der Mindestlohn soll praxistauglich sein. Er soll auch zielscharf
sein. Ich begrüße ausdrücklich die Initiative des Parlamentskreises Mittelstand - wir haben sie übernommen -,
dass man durchaus noch einmal darüber nachdenken
sollte, ob man die Dokumentation der täglichen Arbeitszeiten - das ist der einzige Punkt, in dem ich Ihnen wirklich recht gebe, Herr Kollege Ernst; er ist natürlich wichtig - nicht anders leisten kann, und zwar entweder
dadurch, dass sie vertraglich festgelegt sind und man lediglich Abweichungen notiert, wie es heute schon üblich
ist, oder dadurch, dass es Einsatzpläne gibt, aus denen
ganz genau hervorgeht, wie die Arbeitszeit gestaltet ist.
Ich glaube, für die Kontrollzwecke des Zolls reicht das
völlig aus. Daher sollte es auch für unsere Zwecke im
Hinblick auf den Mindestlohn genügen.
({13})
Siebter Punkt. An der einen oder anderen Stelle gibt
es sicherlich Abgrenzungsprobleme. Wir haben im Ausschussbericht festgehalten: Wir wollen, dass der Mindestlohn für Sport und Ehrenamt nicht gilt, nämlich dort,
wo nicht der Gelderwerb im Mittelpunkt steht, sondern
das Ehrenamt. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Ministerin an dieser Stelle mit dem Deutschen Fußballbund
und dem Deutschen Olympischen Sportbund zu einer
Regelung gekommen ist. Ich glaube, wir müssen an der
einen oder anderen Stelle noch einmal überlegen, wie
wir eine trennscharfe Abgrenzung zum Ehrenamt hinbekommen können. Denn eines wollen wir ja nicht: Wir
wollen mit dem Mindestlohn nicht das Ehrenamt kaputtmachen. Ich glaube, das liegt in niemandes Interesse.
Achter Punkt. Wir wollen bei alldem natürlich Acht
geben, dass der Mindestlohn und die zugrundeliegende
Intention nicht unterlaufen werden. Wir wollen einen robusten Mindestlohn. Wir wollen auch einen Mindestlohn, der den wirtschaftlichen Gepflogenheiten und der
wirtschaftlichen Realität Rechnung trägt.
Deswegen hat es mich, ehrlich gesagt, schon ein bisschen erstaunt, dass der Vorsitzende der Mindestlohnkommission gesagt hat: Den Mindestlohn legen wir
nachlaufend zu Tarifentwicklungen fest. - Das haben
wir ausdrücklich so nicht gewollt. Ich denke, darauf
muss man Herrn Voscherau in aller Deutlichkeit hinweisen.
({14})
Neunter Punkt. Heribert Prantl hat gesagt, der Mindestlohn zähle zu den größten sozialpolitischen Errungenschaften in der Nachkriegszeit. Eine so große Münze
würde ich vielleicht nicht nehmen.
({15})
- Ich finde es schön, dass Sie sich damit schon zufrieden
geben.
({16})
Ich könnte einige größere sozialpolitische Errungenschaften nennen, die alle von der Union initiiert wurden.
Aber gut.
Der Mindestlohn ist ein lernendes System. Wir haben
nie gesagt, dass all das, was wir jetzt in das Gesetz
hineingeschrieben haben, in Stein gemeißelt ist, oder
dass die Verordnung in Stein gemeißelt ist und die Regelungen somit für alle Ewigkeiten gelten.
({17})
Deswegen ist es gut, dass wir uns das eine oder andere
nach Ostern noch einmal genauer anschauen und auf die
Praxistauglichkeit hin untersuchen.
Damit komme ich zum zehnten Punkt. Wenn wir sagen, dass wir das auf die Praxistauglichkeit hin untersuchen wollen, ist damit der Grund angegeben, lieber Kollege Ernst, warum wir Ihren Antrag ablehnen wollen und
werden. Ihr Antrag entwirft nämlich ein Bild von einem
rigiden, starren und wenig praktikablen Mindestlohn. Ich
bin froh, dass diese Koalition das nicht so gemacht hat,
sich stattdessen an den Lebensumständen orientiert und
die Prinzipien nicht über die Lebenswirklichkeit stellt.
Herzlichen Dank.
({18})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Zimmer, das war jetzt eine Rede an Ihre eigene
Fraktion.
({0})
In den letzten Wochen habe ich nicht den Eindruck gewonnen, dass Ihre Kollegen, die vor den Mikrofonen
auftreten, mit Argumenten zu überzeugen sind. Dabei
geht es in dieser Auseinandersetzung doch gar nicht um
die Frage, ob man bei einem Projekt dieser Größenordnung vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch
nachbessern muss. Nur, ich kann Ihnen sagen: Ihr Arbeitgeberflügel hat die Rolle des ehrlichen Sachwalters
bei dieser Aufgabe vollkommen verspielt.
({1})
Wer sich mit Schlag Neujahr, noch bevor das Silvesterfeuerwerk verdampft ist, hinstellt und schon sagt, die
Aufzeichnungspflicht sei ein bürokratisches Monster
und müsse weg, der ist nicht seriös.
Dann frage ich im Übrigen auch: Wie kommt das eigentlich? Sie haben das doch selbst beschlossen. Das
Regelwerk zu diesem Mindestlohn ist Ihr Regelwerk,
und zwar inklusive der Dokumentationspflicht.
Ich will Ihnen mal was sagen: Das, was Sie hier aufführen, ist wirklich ein durchsichtiges Schmierentheater.
Hier im Parlament reden die weichgespülten Sozialpolitiker, und vor den Mikrofonen treten die Falken auf und
vertreten ihre Position. Warum spricht heute nicht Herr
Linnemann? Herr Linnemann, melden Sie sich zu Wort!
({2})
Wo ist Herr von Stetten? Wo ist Herr Fuchs? Kämpfen Sie doch einmal mit offenem Visier, und lesen nicht
nebenbei den Pressespiegel, während hier die Auseinandersetzung läuft!
({3})
Ihnen geht es um etwas ganz anderes: Sie instrumentalisieren die Dokumentationspflicht, um den Mindestlohn auszuhebeln. Sie gehen vor nach dem Motto: Wenn
wir schon einen Stundenlohn von 8,50 Euro akzeptieren
mussten, dann werden wir bestimmen, wie lange eine
Stunde dauert. - Nur, dann ist das kein Mindestlohn
mehr. So geht das gar nicht.
({4})
Der Versuch, die Minijobs komplett aus der Dokumentationspflicht herauszunehmen, führt tatsächlich
dazu, dass Sie die Minijobs zur mindestlohnfreien Zone
machen. Das ist genau der Bereich, von dem wir genau
wissen, dass dort ganz schön „gechincht“ wird und Arbeitnehmerrechte nicht durchgesetzt werden.
({5})
Wenn Sie die Minijobs von der Dokumentationspflicht
ausnehmen, dann können Sie den Mindestlohn in diesem
Bereich gleich einkassieren.
Ich will es hier ganz deutlich sagen: Ich will gar nicht
alle Arbeitgeber unter Generalverdacht stellen,
({6})
aber Sie müssen schon einmal zugeben, dass die Fantasie der Arbeitgeber in Sachen Umgehung des Mindestlohns wirklich kaum Grenzen findet.
Es ist schon so weit gekommen, dass Mitarbeiter in
der Fleischindustrie Messergeld zahlen müssen, dass
Mitarbeiterinnen in Sonnenstudios so viele Gutscheine
als Lohnersatzleistung bekommen, dass das auf keine
Kuhhaut mehr geht, und dass die Zeitvorgaben sehr unrealistisch sind. Dadurch wird der Mindestlohn ausgehebelt. Herr Linnemann, wieso sprechen Sie nicht einmal
mit diesen Arbeitgebern und kümmern sich darum?
({7})
Im Übrigen überzeugen die Argumente, die Sie vortragen, offensichtlich nicht einmal Ihre eigenen Leute,
und ich spreche jetzt übrigens nicht von Herrn Zimmer,
sondern von den Arbeitsministerinnen und Arbeitsministern der Länder - auch der Union und auch in Bayern.
Die haben in ihren Forderungen nämlich ein weit umfänglicheres Kontrollvorhaben vorgesehen. Sie wollen
eine Dokumentationspflicht für alle Tätigkeiten und von
allen Arbeitgebern und gehen deutlich weiter als das Gesetz und das Regelungsinstrument der Bundesregierung.
Ich schlage vor: Sprechen Sie einfach mal mit Ihren eigenen Experten. Oder fürchten Sie, dass Ihre ideologischen Vorurteile dem nicht standhalten?
({8})
Noch mal: Ein Gesetz in dieser Größenordnung
braucht Korrekturen. Aber bevor wir für Korrekturen
sorgen, brauchen wir eine seriöse Analyse. Das, was Sie
wollen, ist die Durchlöcherung des Mindestlohns: Die
Aufzeichnungspflicht soll weg. Die Kontrollen sollen
weg. Die Generalunternehmerhaftung soll weg. Ich sage
Ihnen: Wenn Sie so weitermachen, kassieren Sie den
Mindestlohn in der Praxis ein.
Der Mindestlohn ist nur dann ein wirklicher sozialpolitischer Fortschritt, wenn er bei allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommt. Dafür braucht
es Regeln und Kontrollen. Ansonsten haben nämlich
auch die ehrlichen Unternehmen das Nachsehen, und das
könnte eigentlich auch der Arbeitgeberflügel der Union
nicht wollen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Katja Mast, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Kollegin Pothmer, ich kann Ihnen
eines versichern: Weichgespült sind die Sozialpolitiker
der Union nicht. Es waren nämlich harte Verhandlungen
um den Mindestlohn.
({0})
Das will ich für meine Kolleginnen und Kollegen zurückweisen.
Heribert Prantl hat gesagt:
Der Mindestlohn gehört zu den größten sozialpolitischen Errungenschaften der Nachkriegszeit.
({1})
Er hat von einer „Großtat“ gesprochen, und ich finde, er
hat recht.
({2})
Das Mindestlohngesetz ist heute seit 64 Tagen gültig.
Um es in Monaten und Tagen zu sagen: Es ist seit zwei
Monaten und fünf Tagen in Kraft. Aus meiner Sicht ist
es noch etwas früh, um Bilanz zu ziehen. Die Bilanz eines Gesetzes nach so kurzer Zeit zu ziehen, ist ungefähr
so, als ob man heiratet und sich am Tag nach der Hochzeit überlegt, ob man sich wieder scheiden lässt.
({3})
In der Regel überlegt man vorher und nicht hinterher, ob
man heiratet,
({4})
und man stellt die Frage nach dem Sinn meistens auch
erst im verflixten siebten Jahr und nicht nach zwei Monaten und fünf Tagen. Ich glaube deshalb, es ist wichtig,
dass wir uns in der öffentlichen Debatte noch einmal anschauen: Was ist Aufregung, und was ist sachlicher Inhalt?
Ich finde es richtig, dass wir über die Mindestlohngesetzgebung diskutieren, weil ich und die SPD-Fraktion
ein fundamentales Interesse daran haben, dass der Mindestlohn für fast 4 Millionen Beschäftigte gilt und bei ihnen auch ankommt. Wenn der Mindestlohn nicht wirkt
und bei den Menschen nicht ankommt, dann ist er nichts
wert. Wir machen keine Gesetze, um Gesetze zu machen, sondern wir machen Gesetze, damit die Bürgerinnen und Bürger davon profitieren.
({5})
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat diese Woche
eine Studie veröffentlicht. In einer repräsentativen Umfrage wurde die Frage gestellt: Haben Sie Erfahrungen
damit gemacht, dass Arbeitgeber beim Mindestlohn
tricksen wollen? Fast jeder Fünfte hat gesagt: Ja, diese
Erfahrung habe ich gemacht. - Das zeigt: Wir müssen
hier darüber diskutieren, was da los ist. Deshalb ist es
gut, dass wir heute diskutieren können.
Wir hören von Umgehungsstrategien von Arbeitgebern, zum Beispiel indem das Trinkgeld beim Bedienen
einbehalten und auf den Lohn angerechnet wird, indem
Metzgern und Fleischern Messergeld auf den Mindestlohn angerechnet wird, indem bei Zeitungsausträgern die
vereinbarten Arbeitszeiten nicht ausreichen, die Zeitungen auszutragen, indem Bereitschaftszeiten nicht auf die
Arbeitszeiten angerechnet werden, indem Lkw-Fahrern
gesagt wird: „Solange du fährst, arbeitest du. Aber wenn
du deinen Lkw be- und entlädst, arbeitest du nicht“ und
noch viele weitere Dinge. Alles, was ich gerade aufgezählt habe, ist Missbrauch. Das ist alles nicht in Ordnung. Letztendlich ist das Betrug bzw. Beihilfe zum Betrug, wenn man dabei mitmacht. Dafür braucht es keine
rechtlichen und sachlichen Klarstellungen. Es ist mir
wichtig, das an dieser Stelle zu sagen.
({6})
Wer nicht genau weiß, ob ein gegebener Sachverhalt
richtig oder falsch ist, dem oder der empfehle ich die
Homepage des Zolls. Nach der Eingabe von „Zoll“ und
„Mindestlohn“ in irgendeine Suchmaschine im Internet
kommt man sehr schnell auf die Seite des Zolls mit der
Überschrift: „Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz“ mit einer sehr guten Ausführung darüber, was auf
Arbeitszeiten legal angerechnet werden kann und was
nicht. Diese Debatte dient auch dazu, sachliche Argumente von Aufregung zu trennen. Insofern ist es gut,
wenn wir solche Themen einbringen.
Jedem Bürger, der mit Tricksereien beim Mindestlohn
in Berührung kommt - das sagt ja jeder Fünfte -, empfehle ich: Rufen Sie bei der Mindestlohn-Hotline des
Bundesarbeitsministeriums an. Dort können Sie auch anonym Punkte ansprechen; denn oft ist es ja so, dass die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Angst um ihr Beschäftigungsverhältnis haben. Auch anonymen Hinweisen wird dort nachgegangen. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund hat eine Hotline zum Mindestlohn mit
300 bis 400 Anrufen pro Tag. Das zeigt: Es gibt einen
großen Beratungsbedarf.
Ich habe gesagt: Wir müssen Aufregung von sachlichen Inhalten trennen. Angesichts der intensiven Diskussion darüber, ob man Arbeitszeiten dokumentieren
muss oder nicht, ist es mir wichtig, zu sagen: Natürlich
werden Arbeitszeiten dokumentiert. Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen das übrigens jeden Tag. Die müssen also nichts zusätzlich machen, sondern haben das auch vorher schon gemacht. Aber für all
diejenigen, die das noch nicht tun, habe ich einen Stundenzettel mitgebracht. Das ist der Stundenzettel des Arbeitsministeriums, der auf der Homepage „www.dermindestlohn-gilt“ eingestellt ist.
({7})
Er ist ganz einfach auszufüllen. Wenn Sie ihn nicht finden, können Sie auch ein weißes Blatt Papier nehmen.
Darauf müssen Sie nur Datum, Beginn und Ende und
Dauer der Arbeitszeit eintragen. Dafür braucht man
30 Sekunden pro Tag. Das ist auf jeden Fall die Zeit, die
meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen. Das
ist kein bürokratisches Monster, und das ist kein überbordender bürokratischer Aufwand.
({8})
Damit wird nicht nur dafür gesorgt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Lohn bekommen, für
den sie arbeiten, sondern damit wird vor allen Dingen
auch dafür gesorgt, dass am Ende ehrliche Arbeitgeber
nicht die Dummen sind.
({9})
Wir haben mit dem Mindestlohngesetz auch den Dumpingwettbewerb beendet. Wir schützen die Arbeitgeber
übrigens auch davor, dass Mitarbeiter nach einem Jahr
oder auch nach zwei oder drei Jahren sagen: Du hast mir
gar keinen Lohn bezahlt. - Bei einer Dokumentation der
Arbeitszeit lässt sich alles belegen. Das ist mir ein wichtiger Punkt.
Durch die Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes wurde noch mehr herausgefunden. Dadurch
wurde auch herausgefunden, dass die Zustimmung zum
Mindestlohn in der Bevölkerung nach wie vor bei
86 Prozent liegt. Das Gesetz genießt also eine hohe Akzeptanz. Wer für den Mindestlohn ist, sagt auch: Für
mich ist es in Ordnung, dass die Einführung des Mindestlohns mit Teuerungen verbunden ist und dass an der
einen oder anderen Stelle die Preise steigen. - Sie hat
auch herausgefunden, dass 77 Prozent der Bevölkerung
es gut finden, dass für viele Beschäftigte, die Vollzeit arbeiten, endlich Schluss ist mit der Aufstockung ihres
Einkommens.
Frau Kollegin, „Schluss“ ist das Stichwort. Die Redezeit ist schon ziemlich dramatisch überzogen.
Ich sage noch einen Satz; dann bin ich fertig, Herr
Präsident. - Ich bin dem Deutschen Gewerkschaftsbund
dafür dankbar.
Der DGB ist aber für die Zeitüberziehung nicht verantwortlich. Das muss ich kurz klarstellen.
({0})
Das stimmt, Herr Präsident. - Ich danke Ihnen für die
Debatte, die wir heute führen. Diese Debatte werden wir
auch in Zukunft führen. Vergessen Sie nicht: Der Mindestlohn gilt, und er soll für alle 4 Millionen Beschäftigte gelten.
({0})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade einmal acht Wochen - ich habe es nicht so genau
nachgerechnet wie die Kollegin Mast - ist der Mindestlohn in Kraft, und schon liegt uns ein Antrag von Ihnen,
Kollegen der Fraktion Die Linke, vor, der allen Arbeitgebern in unserem Land per se unterstellt, Lücken zu suchen, um den Mindestlohn zu umgehen. Sie stellen damit jeden Arbeitgeber unter Generalverdacht. Gegen
solche Äußerungen verwahre ich mich auch im Namen
unserer vielen familiengeführten Unternehmen und
Handwerksbetriebe aufs Schärfste.
({0})
Das Mindestlohngesetz verstehe ich wie jedes Gesetz,
das hier verabschiedet wird, als lernendes System, bei
welchem man dort, wo die Praxis es erfordert, nachbessert.
({1})
Wenn das Mindestlohngesetz mit seinen Dokumentationspflichten in der Praxis nachweislich Hemmnisse
schafft, dann sind wir Fachpolitiker gefordert, Abhilfe
zu schaffen.
({2})
Nichts anderes ist im Bereich Sport/Ehrenamt geschehen. Deshalb empfinde ich den in Ihrem Antrag gemachten Vorwurf von Verwerfungen im Ehrenamt als unverschämt und als wirklichkeitsfremde Unterstellung. Sie
diskreditieren damit jeden, der freiwillig bereit ist, sich
unentgeltlich für unsere Gesellschaft einzubringen und
damit etwas für unsere Gesellschaft zu leisten.
({3})
Sie unterstellen diesen Menschen, eine ehrenamtliche
Tätigkeit aufzunehmen - so ist es doch in Ihrem Antrag
formuliert -, bloß damit der Arbeitgeber seinen Reibach
machen kann und sich den Mindestlohn spart. Was ist
das für eine abstruse Aussage? Dies ist einfach empörend. Die vielen Ehrenamtlichen in unserem Land, ob im
Sport oder im kulturellen Bereich und auch in den vielen
sozialen Hilfsorganisationen, wissen jetzt, wie Sie, die
Fraktion Die Linke, über das Ehrenamt und über ehrenamtliches Engagement denken.
({4})
Allein die Begriffe „Missbrauch“ und „Ehrenamt“ in
einem Atemzug zu nennen, ist ein Schlag in das Gesicht
der vielen ehrenamtlich Tätigen, die zum Zusammenhalt
in unserer Gesellschaft beitragen. Ich finde, so eine Aussage gehört sich nicht.
({5})
Zu Ihrer Aussage „Bürokratie-Debatte ist Sabotage
am Mindestlohn“, Herr Ernst - auch wenn Sie das nicht
gerne hören -: Wir in der CDU/CSU werden im Interesse der Betroffenen diese Debatte führen. Das gehört
zu unserem demokratischen Verständnis.
({6})
Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst zulassen, oder mögen Sie weitersprechen?
Ich möchte gerne weitersprechen.
({0})
- Hören Sie sich doch erst einmal an, was ich zu sagen
habe!
({1})
Ich habe Ihnen ja auch zugehört.
Mein Fraktionsvorsitzender sagt immer treffend: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.
({2})
Die Wirklichkeit sieht so aus: Ich habe keinen einzigen Brief und keine einzige E-Mail von Unternehmern
aus dem Mittelstand aus meinem Wahlkreis bekommen,
die Beschwerden über die Zahlung des Mindestlohnes
enthielten, sondern es ging immer um die damit verbundenen Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten.
Man ist bemüht, dem nachzukommen und die Pflichten
zu erfüllen. Denn Mittelständler kennen keine Probleme;
sie sprechen immer von Herausforderungen.
({3})
Aber es ist doch wohl auch unsere Aufgabe, auf die
Verhältnismäßigkeit zu achten, und darauf, dass wir
nicht zu viel Bürokratie aufbauen. Was in den Schreiben
und in den Anfragen auch immer wieder deutlich wurde:
Es besteht noch Rechtsunsicherheit bei den Arbeitgebern
oder auch bei Auftraggebern. Hierauf müssen wir eingehen. Es ist unsere Aufgabe, Antworten auf immer wiederkehrende Fragen zur Anwendung des Gesetzes zu geben.
Die Kollegin Mast hat es gesagt: Es gibt auf der Internetseite des BMAS eine Rubrik zu Fragen und Antworten zum Mindestlohn. Diese Seite wird ständig aktualisiert. Sie ist in einer verständlichen Sprache gehalten,
und sie wird in Anspruch genommen. Dies alles macht
doch deutlich, dass diese Fragen wahrlich nichts damit
zu tun haben, dass der Mindestlohn nicht gezahlt werden
soll. Deshalb sind auch Ihre immer wiederkehrende Aussage über Verwerfungen und Ihre Einstellung, Unternehmer unter Generalverdacht zu stellen, nicht haltbar.
({4})
Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, in
dem Recht und Gesetz gelten. Einzelne schwarze Schafe
in gewissen Branchen sind in der Vergangenheit identifiziert worden und werden auch in der Zukunft identifiziert. Was, glauben Sie, hat die Finanzkontrolle
Schwarzarbeit beim Zoll in den letzten Jahren getan? Es
ist so wie bei jedem Gesetz: Wenn es Verstöße gibt, hat
man die Möglichkeit in unserem Rechtsstaat, diese zu
melden; diese werden geahndet, entweder mit Auflagen
oder mit Strafen. Die Mindestlohnhotline hat die Kollegin Mast schon angesprochen. Auch beim Zoll gibt es
eine solche Auskunftsstelle. Diese Stellen werden in Anspruch genommen.
Wenn es Lücken geben sollte, dann müssen wir
schauen, dass wir diese identifizieren und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit schließen. Deshalb ist
unser Weg in dieser Diskussion, eine Bestandsaufnahme
aller Probleme bei den Mindestlohnregelungen zu erstellen, diese zu bewerten und festzuhalten, an welchen Stellen es möglicherweise noch Nachbesserungsbedarf gibt.
Hier werden selbstverständlich auch die gewonnenen Erkenntnisse der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll
einfließen. Wir haben jetzt März, es ist der erste Prüfmonat. Ein bisschen Zeit braucht man schon, bis man sieht,
wie das Gesetz wirkt.
({5})
Ich finde, es ist unsere Aufgabe als gewählte Volksvertreter, die Anliegen der Bürger aus den Bereichen des
Lebens aufzunehmen, die mit dem Mindestlohngesetz zu
tun haben. So erledigen wir in unserer Fraktion als gewählte Volksvertreter konstruktiv politische Arbeit, nicht
mit Generalverdächtigungen. Deshalb lehnen wir Ihren
Antrag heute ab.
({6})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Klaus Ernst das Wort.
Danke für die Möglichkeit einer Kurzintervention. Erstens. Ich möchte Folgendes klar zurückweisen: Wir
stellen niemanden unter Generalverdacht, im Gegenteil.
({0})
Mit dieser Argumentation müssten Sie auch sämtliche
Alkoholkontrollen von Autofahrern verbieten, weil Sie
auch diese unter Generalverdacht stellen, wenn es Kontrollen gibt.
({1})
Sie würden im Übrigen auch alle Steuerzahler unter den
Generalverdacht der Steuerhinterziehung stellen, weil
wir Kontrolleure haben - Gott sei Dank; allerdings viel
zu wenige -, die die Steuerzahlungen auf Richtigkeit
überprüfen. Ich würde mir überlegen, ob das das richtige
Argument ist.
({2})
Zweitens. Wie bewerten Sie denn die Aussagen derer,
die die Kontrollen durchführen müssen? Ich will Sie mit
zwei dieser Aussagen konfrontieren:
Die Dokumentationspflicht von Arbeitszeiten ist
die Grundlage für wirksame Kontrollen, da pauschale Arbeitszeitangaben weder effektiv kontrolliert noch nachgewiesen werden können.
Das ist keine Aussage der Linken, sondern derer, die
kontrollieren. Wie bewerten Sie diese Aussage? Haben
die recht, haben die unrecht?
Eine weitere Aussage, die ich Sie zu bewerten bitte,
auch von Mitgliedern der Zollgewerkschaft, die zuständig für die Kontrollen sind:
Mit derart geringen Personalzuwächsen lässt sich
eine effektive Kontrolle des Mindestlohns nur zu
Lasten von anderen Aufgaben erledigen.
Das ist der Zustand. Das ist das, was wir bemängeln.
Drittens. Ich möchte Ihnen einen eindeutigen Hinweis
geben. Wir haben diese Debatte nicht begonnen. Die
kam aus den Reihen des Bundesverbands der Deutschen
Industrie, die kam aus dem Unternehmerlager Ihrer Partei. Nicht wir sind auf die Idee gekommen, einen Tag
nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eine solche Debatte
vom Zaun zu brechen; das waren nicht wir, das waren
andere.
Ich möchte Sie bitten, in Ihrer Partei dafür zu sorgen,
dass dieser Unfug und diese Sabotage des Gesetzes unterbleiben. Dann können wir uns solche Debatten sparen.
({3})
Dann erteile ich als nächster Rednerin das Wort der
Abgeordneten Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich hätte niemals geglaubt, dass ich in die Situation komme, als Linke das Gesetz zum Mindestlohn
verteidigen zu müssen.
({0})
Klar ist: Der Mindestlohn ist eingeführt. Basta! Man hat
den Eindruck, dass das so manchem Vertreter der Wirtschaft und des Handwerks, aber insbesondere auch manchem Abgeordneten von CDU/CSU erst jetzt so richtig
klar wird. Der Mindestlohn ist ein Meilenstein. Obwohl
er zu niedrig ist, ist er eine echte Verbesserung für viele
Menschen in diesem Land.
({1})
Eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Koalitionsfraktionen, müsste jetzt Party sein. Sie müssten die Stimmung nach vorne bringen. Sie müssten sagen: Klasse, was wir da gemacht haben. - Und, was ist?
Nichts ist passiert. Ständig hört man vonseiten der Bundesregierung nur Jammern und Klagen. Jeden Tag wird
eine neue Sau durchs Dorf getrieben, aber, Frau
Voßbeck-Kayser, nicht von uns. Nicht wir sind die Miesepeter, sondern Sie sind die Miesepeter in diesem Zusammenhang.
({2})
Daran sind Sie selbst schuld. Die Koalitionsfraktionen haben es sich von Anfang an richtig schwer gemacht. Bei den Koalitionsgesprächen hat die SPD das Ja
zur CDU von der Einführung des Mindestlohns abhängig gemacht. Okay! Dafür musste sie die gesetzliche Tarifeinheit mittragen und sich dazu bekennen. Dass der
wichtige Mindestlohn für ein so faules Tauschgeschäft
herhalten musste, ist mir unbegreiflich. Leider hat die
SPD dann zugelassen, dass der Mindestlohn nicht für
alle gilt. Die Zahl der Menschen, die vom Mindestlohn
profitieren, wurde Stück für Stück kleiner. Jugendliche
unter 18 - raus, Praktikanten - raus, Langzeitarbeitslose - raus, von anfangs 5 Millionen Menschen, die davon profitieren sollten, sind jetzt noch 3,7 Millionen
Menschen übrig geblieben. Das darf nicht so bleiben.
Das war ein echter Fehler.
({3})
Die Debatte über die festgelegte Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit setzt dem Ganzen noch die
Krone auf. Arbeitgeberverbände, die teilweise niemanden im Mindestlohn beschäftigt haben und bei denen das
überhaupt kein Problem ist, weil sie das schon über
Jahre hinweg gemacht haben, schreien jetzt Zeter und
Mordio und reden die Sache schlecht. Wieder ist es die
CDU, die dieses Gezeter aufgreift und Änderungen am
Mindestlohngesetz einfordert. Keine zehn Wochen ist es
her, dass dieses Gesetz in Kraft getreten ist. Das ist kein
ideologischer Reflex mehr; das hat Methode.
({4})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, seien
Sie einmal ehrlich: Man bekommt den Eindruck, Sie
wollten den Mindestlohn eigentlich gar nicht. Meine Damen und Herren von der SPD, es bringt Ihnen keinen
Prozentpunkt in den Umfragen mehr, wenn Sie bei einer
so wichtigen Sache wie dem Mindestlohn einknicken.
Den Menschen draußen nutzt ein schlecht gemachter
Mindestlohn nichts. Die Beschäftigten brauchen ein Gesetz, das Rechtssicherheit schafft und sie bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche unterstützt. Der Mindestlohn ist
viel zu wichtig, um immer wieder als Verhandlungsmasse herzuhalten.
Die guten Vorschläge der Linken sind: eine klare Definition, was zum Mindestlohn gehört und was nicht
- das ist superwichtig -; Mindestlohn ist Stundenlohn
ohne Zuschläge; keine Verrechnung von Urlaubs- und
Weihnachtsgeld, keine Verrechnung von Sachleistungen,
Provisionen, Boni oder Ähnlichem;
({5})
klare Definition von ehrenamtlicher Tätigkeit; denn auch
das könnte ein Einfallstor sein.
Das hat sich die Linke zur Aufgabe gemacht, und daran werden wir weiterarbeiten - und wenn wir noch
zehnmal hierüber reden müssen.
Vielen Dank.
({6})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Markus Paschke, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
„Mindestlohn sichern - Umgehungen verhindern“ - das
ist ein guter Titel, kann ich nur sagen. Genau dieses Ziel
verfolgen wir als Sozialdemokraten.
({0})
- Natürlich auch große Teile der CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Mich ärgert, ehrlich gesagt, was wir in den letzten
Wochen erlebt haben. Die Lobbyisten sind, was die Umgehung des Mindestlohnes anbelangt, äußerst aktiv. Das
Gesetz ist heute auf den Tag genau 64 Tage in Kraft.
Vom ersten Tag an wurden Änderungen und Ausnahmen
gefordert - ohne verlässliche Erfahrungswerte, ohne
fundierte Prüfung und ohne die Absicht, sich überhaupt
ernsthaft auf den Mindestlohn einzulassen.
Wenn es Fragen oder Unklarheiten gibt, werden wir
diese klären; das gehört zu einem großen Gesetzespaket.
Dafür haben wir immer ein offenes Ohr. In diesem Zusammenhang muss ich Andrea Nahles und ihrem Ministerium ein ganz besonderes Lob aussprechen, die sich
wirklich um jeden Einzelfall kümmern.
({2})
Wir werden aber nicht denjenigen die Tür öffnen, die
den Mindestlohn aushebeln wollen.
({3})
Manchmal ist es hilfreich, die Realität zur Kenntnis zu
nehmen. Es geht hier nicht um einen Generalverdacht,
sondern darum, die schwarzen Schafe auszusortieren,
die nicht nur ihre Beschäftigten bescheißen, sondern
auch ihren Konkurrenten schaden.
({4})
- Manchmal muss man auch ein deutliches Wort finden.
({5})
Jeder verantwortungsvolle Arbeitgeber hat bereits vor
Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Arbeitsstunden seiner Mitarbeiter aufgezeichnet, um den Lohn
abzurechnen oder ein Arbeitszeitkonto zu führen. Viele
waren nach dem Arbeitszeitgesetz schon lange dazu verpflichtet. Warum war das in der Vergangenheit kein Problem? Warum aber ist es mit Einführung des Mindestlohnes von 8,50 Euro plötzlich nicht mehr leistbar? Oder
haben diejenigen, die heute am lautesten rufen, sich bisher nicht an die Gesetze gehalten?
({6})
Haben Sie in letzter Zeit einmal einen Handwerker im
Haus gehabt? Schauen Sie einmal auf die Rechnung. Da
wird fast minutengenau abgerechnet. Wie gesagt, jeder
ordentliche Arbeitgeber zeichnete schon bisher auf. Für
die ändert sich da nicht viel. Um es einmal ganz klar zu
sagen: Die tägliche Aufzeichnung in den neun Branchen
nach dem Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetz sowie bei
den Minijobbern über Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit geht schneller als das Auspacken eines Butterbrotes in der Mittagspause, meine Damen und Herren.
({7})
Ich kann das aus eigener Erfahrung beurteilen. Auch
ich beschäftige eine Mitarbeiterin auf 450-Euro-Basis,
allerdings zu einem deutlich höheren Stundenlohn. Sie
schickt mir nach jeder Arbeitswoche ihren Stundenzettel. Der wird gegengezeichnet - und gut ist es. Wer das
als Bürokratie bezeichnet, will in Wirklichkeit verhindern, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre
Rechte auf wenigstens 8,50 Euro pro Stunde geltend machen können. Ich sage ganz klar: Derjenige, der das tut,
macht sich mit denen gemein, die das Gesetz umgehen
und ihre Beschäftigten betrügen wollen.
({8})
Die Fantasie bei diesen Umgehungsversuchen kennt
wahrlich keine Grenzen. Nehmen wir das Beispiel Einzelhandel. In einigen Geschäften werden nur die Zeiten
bezahlt, in denen der Laden geöffnet ist. Das heißt, dass
die vorbereitenden Arbeiten wie Kasse vorbereiten oder
Präsentationsständer vor die Tür stellen, aber auch die
nachbereitenden Arbeiten wie Abrechnen, Aufräumen
etc. nicht bezahlt werden. Ich frage Sie: Ist das keine Arbeit? Warum sollen diese Arbeiten unbezahlt erledigt
werden?
Viele Minijobber erhielten in der Vergangenheit weder bezahlten Urlaub noch Lohnfortzahlung im Krankenfall. Beides ist gesetzlich seit Jahrzehnten vorgeschrieben.
Mich wundert es nicht, dass jetzt die Arbeitgeber aufschreien, die das bisher nicht gezahlt haben. Sie haben
berechtigterweise Angst vor Entdeckung, und das finde
ich gut so.
({9})
Weitere Umgehungsversuche stelle ich bei der Anrechnung von Lohnersatzleistungen fest. Ich habe in den
letzten Wochen mit Erstaunen registriert, was nach Ansicht mancher Arbeitgeber zum Lohn eines Angestellten
hinzugerechnet werden darf, um die magische Grenze
von 8,50 Euro zu erreichen. Da werden Leih- oder Abnutzungsgebühren für Arbeitsgeräte, die das Unternehmen zu stellen hat, erhoben. Es gibt Essens-, Getränkeoder Saunagutscheine, oder das Trinkgeld soll auf den
Stundenlohn angerechnet werden. Dazu will ich Folgendes ganz klar sagen: Wenn ich in einer Gaststätte Trinkgeld gebe, dann bekommen das von mir die Beschäftigten für die gute Arbeit, die sie geleistet haben, und nicht
der Arbeitgeber.
({10})
Es ist nicht zulässig, das Trinkgeld anzurechnen. Das ist
ganz klar.
Zusammenfassend möchte ich ein paar Dinge klarstellen.
Herr Kollege, „anrechnen“ ist ein gutes Stichwort.
Wenn Sie bitte einen kurzen Blick auf die Uhr im Rednerpult werfen würden. Heute schaut aufgrund der Begeisterung für die Sache keiner so richtig auf diese Uhr.
({0})
Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen. Deswegen wäre
es schön, wenn Sie nur noch einen Schlussgedanken formulieren würden.
Ich komme sofort zum Ende. - Ich möchte zusammenfassend klarstellen: Popcorn ist keine Entlohnung
für Arbeitsleistung - damit das klar ist -, und Arbeitnehmer arbeiten auch nicht ehrenamtlich im Unternehmen.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie können sicher sein:
Die SPD wird nicht zulassen, dass das Gesetz für mehr
Gerechtigkeit zu einem zahnlosen Papiertiger wird.
({1})
Vielen Dank.
({2})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Langsam verstehe ich, warum insbesondere die CSU die Dokumentationspflichten immer so
heftig kritisiert. Inzwischen ist die Diskussion ja auch
auf der Münchner Wiesn angekommen. Die Wirte beklagen sich heftig und warnen: Jetzt wird das Bier teurer.
({0})
Ihnen wird das Bierchen doch wohl nicht so wichtig
sein, dass Sie darüber die gerechten Löhne vergessen. Aber ernsthaft: Wer sich dagegen wehrt, dass Arbeitszeiten dokumentiert werden, begünstigt Missbrauch und
niedrige Löhne.
({1})
Es reicht nicht, dass der Mindestlohn auf dem Papier
steht. Er muss auch richtig umgesetzt werden, und dafür
brauchen wir eine durchsetzungsstarke Finanzkontrolle
Schwarzarbeit, die über mehr Personal verfügt. Die
1 600 neuen Stellen müssen definitiv her, und zwar
schnell. Besser wären sogar noch ein paar Stellen mehr.
Notwendig sind natürlich auch die Dokumentationspflichten. Ich war vorletzte Woche zusammen mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit unterwegs; ich würde das
jedem Abgeordneten der CDU/CSU empfehlen. Ein Beispiel: Auf einer Baustelle wurden die Stundenzettel kontrolliert. Dabei sind relativ lange Pausenzeiten aufgefallen. Parallel wurden die Beschäftigten befragt, und die
haben andere Pausenzeiten angegeben. Das ist ein Indiz
dafür, dass zu wenig Stunden bezahlt werden. Die FKS
wird jetzt weiter recherchieren, beispielsweise wann
Material oder Beton angeliefert wurde. Diese Zeiten vergleichen sie dann wiederum mit den Stundenzetteln. Das
ist akribische Arbeit. Diese Kontrolle ist aber nur möglich, wenn die Arbeitszeiten dokumentiert werden. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis!
({2})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle
Diskussion über den Mindestlohn wird wirklich nicht
ehrlich geführt:
Erstens. Die Dokumentation der Arbeitszeiten ist
wahrlich kein Hexenwerk. In den meisten Betrieben ist
es üblich, dass die Arbeitszeit erfasst wird. Außerdem
haben die Arbeitgeber doch selbst ein Interesse daran.
Die Stechuhr wurde ja nicht vom Gesetzgeber erfunden.
Zweitens. Es geht auch gar nicht um die Dokumentation, sondern schlichtweg um das Arbeitszeitgesetz.
Wenn Beschäftigte mehr als die erlaubten zehn Stunden
pro Tag arbeiten, dann wird das durch die Zeiterfassung
jetzt sichtbar. Das Problem mit der Arbeitszeit haben
doch auch die Arbeits- und Sozialminister der Länder
erkannt; meine Kollegin Pothmer hat das schon angesprochen. Die Minister wollen - ich zitiere - „die Arbeitgeber wieder zur generellen Aufzeichnung der Arbeitszeiten … verpflichten“. Das ist der Beschluss, und
der war einstimmig. Bayern war mit dabei.
({3})
Gleichzeitig kritisiert die Union hier im Bundestag die
Dokumentationspflichten als Bürokratiemonster. Das
geht gar nicht. Hören Sie endlich auf, zu quengeln und
zu streiten! Sie haben den gesetzlichen Mindestlohn verabschiedet. Jetzt stehen Sie gefälligst zu Ihrem Wort.
Vielen Dank.
({4})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Albert Stegemann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Als
der Antrag der Linken zur Umsetzung des Mindestlohngesetzes gestern bei mir eintraf, habe ich mir, ehrlich gesagt, die Augen gerieben. Ich habe mir die banale Frage
gestellt: Was wollen Sie eigentlich? Noch nicht einmal
zwei Monate in Kraft, wird schon seitens der Linken
versucht, die erreichten Kompromisse im Mindestlohngesetz infrage zu stellen.
({0})
Dabei haben die Mindestlohnkommission und der Zoll
mit seiner Abteilung Finanzkontrolle Schwarzarbeit erst
in der letzten Woche ihre Arbeit aufgenommen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es die CDU war, die sich seit
Jahren auf zig Kreis-, Landes- und Bundesparteitagen
für eine Lohnuntergrenze eingesetzt hat,
({1})
und zwar eine, die nicht vom Parlament, sondern von
den Tarifparteien festgelegt wird. Deshalb können Sie
die Bemerkungen in Ihrem Antrag, mit denen Sie unterstellen, die CDU habe den Mindestlohn nicht verwunden, ruhigen Gewissens streichen. Schließlich sind wir
in der Regierungsverantwortung, und deshalb haben wir
zusammen mit den Kollegen der SPD-Fraktion dieses
Gesetz beschlossen und setzen es jetzt auch nach und
nach um.
({2})
Aber machen wir uns nichts vor: Es wird an der einen
oder anderen Stelle Anlaufschwierigkeiten beim Mindestlohngesetz geben. Schließlich ist der Mindestlohn
eines der Projekte der Koalitionsfraktionen und eine der
größten sozialen Errungenschaften in dieser Legislaturperiode. Dass es bezüglich der Dokumentationspflichten
zu Befürchtungen seitens der Wirtschaft kommt, sollte
einen genauso wenig verwundern wie die Befürchtung,
dass der Mindestlohn nicht korrekt ausbezahlt wird.
Schließlich ist der Mindestlohn sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer in einem neuen Gesetz
festgelegt,
({3})
das die Bezahlung - es geht schließlich um das liebe
Geld - regelt und deshalb mit so viel Aufmerksamkeit
verfolgt wird.
Nun aber bereits von Missbrauch und Umgehungstatbeständen, die landauf, landab grassieren, zu sprechen,
halte ich doch sehr stark für politisch interpretiert. Ich
kann nicht ausschließen, dass es einzelne Arbeitgeber
gibt, die versuchen, den Mindestlohn zu umgehen. Aber
warten wir doch erst einmal die Ergebnisse der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ab.
({4})
Dennoch wehre ich mich zutiefst dagegen, welches Bild
in Ihrem Antrag von Unternehmern in unserem Land
versucht wird zu zeichnen, nach dem Motto: Jeder versucht nur, zu tricksen. - Sicherlich: Ohne Kontrolle, kein
Gesetz. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass das
Gesetz umso besser wird, je totaler man kontrolliert.
Nicht ohne Grund hat sich über Jahrzehnte das Prinzip der Vertrauensarbeitszeit in Deutschland bewährt.
({5})
Deswegen bin ich zutiefst davon überzeugt - und ich
weiß es auch aus eigener Erfahrung -, dass das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in
Deutschland in der ganz überwiegenden Zahl sehr gut
funktioniert. Mit solchen Anträgen und Forderungen
nach immer strengeren Kontrollen nun einen Keil in
diese gewachsenen Strukturen treiben zu wollen, halte
ich für höchst destruktiv und kontraproduktiv. Sie setzen
damit ein fatales Zeichen der Politik an diejenigen Menschen in unserem Land, die es erst mit ihrem persönlichen Risiko und ihrem ganzen Einsatz ermöglichen, dass
Menschen Arbeit haben und unser Land über den Wohlstand und den sozialen Frieden verfügt, den wir heute
haben.
({6})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen von der Linken,
wissen Sie, was Robert Bosch gesagt hat? Er sagte:
Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe,
sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle.
({7})
Mit diesem Antrag zeigen Sie erneut Ihr mangelndes
Verständnis vom Zusammenspiel von Wirtschaft und
Gesellschaft.
({8})
Welch ein Menschenbild, welch ein Weltbild Sie haben!
Die Wirtschaft ist kein zerstörerisches Element unserer
Gemeinschaft, welches bekämpft werden muss.
({9})
Eine wettbewerbsfähige Wirtschaft ist Grundvoraussetzung für eine Gesellschaft, in der die Menschen nicht
nur Arbeit, sondern auch eine Aufgabe, einen Sinn haben. Nur so sind ein selbstbestimmtes Leben und sozialer Ausgleich möglich. Nur mit Auflagen, Verboten und
Einschränkungen, wie sie in Ihrem Wahlprogramm zur
letzten Bundestagswahl zu lesen waren, werden wir im
internationalen Wettbewerb nicht bestehen können. Das
ist eine Tatsache. Sie müssen auch einsehen, dass das
Ideal des ehrbaren Kaufmannes für die meisten Unternehmer in unserem Land auch im 21. Jahrhundert noch
Bestand hat.
({10})
Da können Sie noch so oft schreiben, dass die Marktwirtschaft ein auf Profitmaximierung ausgerichtetes System ist.
({11})
Zugleich geht mit Ihrem Antrag ein falsches Verständnis der Arbeit des Zolls einher. Die zusätzlichen
1 600 Beschäftigten stellen die ordentliche Abführung
der Sozialabgaben sicher und schützen Arbeitnehmer sowie die Wirtschaft vor unfairem Wettbewerb. Allerdings
- das möchte ich ausdrücklich betonen - haben diese
Überprüfungen einen stark präventiven Charakter. Es
geht hierbei nicht um die totale Kontrolle, sondern ganz
bewusst um Risikoanalyse mit abschreckender Wirkung.
In vielen Gesprächen mit den Verantwortlichen der Zollverwaltung habe ich hiervon einen sehr guten Eindruck
bekommen. Die Beamten kennen darüber hinaus ihre
Pappenheimer. In Ihrem Antrag fordern Sie nun, dreimal
so viele Kontrolleure einzustellen, wie es die Bundesregierung tun wird. Das Motto „Kontrolle gut, alles gut!“
wird ganz sicher nicht in den Hafen der arbeitsmarktpolitischen Glückseligkeit führen.
({12})
Für die Koalitionsfraktionen ist eines ganz klar: Jeder
Arbeitnehmer, der Anspruch auf den Mindestlohn hat,
soll ihn auch bekommen. Im Bereich des Sportes oder
des Ehrenamtes werden wir noch einmal schauen, wie
sich die Situation in der Praxis gestaltet und ob wir hier
überhaupt von Arbeit sprechen können. Ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften, wie Sie es fordern, wäre
dagegen wohl eher ein Konjunkturprogramm für Arbeitsrechtler als ein konstruktiver Beitrag zu unserer Tariflandschaft.
({13})
Wir werden in den kommenden Wochen mit kühlem
Kopf schauen, was funktioniert und wo es hakt. Das
möchte ich auch Ihnen, sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der Linken, empfehlen. Auch wenn es
nicht Ihrer parlamentarischen Aufgabe entspricht, empfehle ich Ihnen, mit etwas Geduld und einem gesunden
Vertrauen in die Koalitionsfraktionen abzuwarten. Sie
werden sehen: Am Ende wird alles gut.
Vielen Dank.
({14})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Kerstin Griese, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schön, dass wir heute über das gute Thema Mindestlohn
diskutieren können. Auch diese Debatte zeigt: Der Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte; er wirkt. Etwa
3,7 Millionen Menschen haben jetzt schon etwas davon.
2017 werden es etwa 5 Millionen Menschen sein, die
von dieser größten Sozial- und Arbeitsrechtsreform in
Deutschland profitieren. Sie ist gut gestartet, und sie
wirkt positiv.
({0})
Allen Unkenrufen zum Trotz: Der Mindestlohn kostet
keine Arbeitsplätze. Im Gegenteil: Er kurbelt die Wirtschaft und den privaten Konsum an. Wer hat da nicht alles vorher geunkt und vor Millionen Jobverlusten gewarnt!
({1})
Wir erinnern uns an die Worte von Herrn Sinn vom ifoInstitut. Und wie sieht es heute aus? Die Bundesagentur
für Arbeit meldet, dass 600 000 mehr Menschen in Beschäftigung sind als im Vorjahr. Es kommt zu Einsparungen von etwa 1 Milliarde Euro, weil durch den Mindestlohn weniger Menschen aufstocken müssen. Der Focus
meldet: „Mindestlohn verhilft Einzelhändlern zu großem
Umsatzplus.“
Der Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte
({2})
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer insbesondere in den nichttarifgebundenen Bereichen, die jetzt
endlich eine untere Haltelinie beim Lohn haben, aber
auch für die fairen und ehrlichen Arbeitgeber, die anständig zahlen, und zwar für jede Stunde mindestens
8,50 Euro und nicht für anderthalb oder zwei Stunden.
({3})
Die große Mehrheit der Arbeitgeber weiß das zu schätzen. Sie sind auf qualifiziertes und zuverlässiges Personal angewiesen. Deshalb sage ich es noch einmal: Der
Mindestlohn nützt den Arbeitnehmern und den fairen
Arbeitgebern; denn die Dumpinglohnkonkurrenz wird
bestraft. Auch das ist die Erfolgsgeschichte Mindestlohn.
({4})
Ich kann Ihnen allen, auch den Antragstellern, versichern: Wir werden alles tun, damit der Mindestlohn
seine volle Wirkung entfalten kann. Wir werden keine
Umgehung und keine Schlupflöcher zulassen. Wir sind
allerdings der Ansicht, dass es nicht nötig ist, dafür das
Gesetz zu ändern, so wie Sie es fordern. Sowohl die Kritik, die in dem vorliegenden Antrag geäußert wird, als
auch einige Vorwürfe - wir haben über das „Bürokratiemonster Stundenzettel“ gesprochen -, die im Raum stehen, sind haltlos. Der Mindestlohn ist gerade erst in
Kraft getreten und - nahezu alle Rednerinnen und Redner haben das gesagt - die Kontrollen können erst ab
März ernsthaft durchgeführt werden. Deshalb verwundern mich Interventionen, man müsse das Gesetz jetzt
ändern. Das ist nicht sinnvoll.
({5})
Was jedoch sinnvoll und nötig ist, ist, auf alle aufkommenden Fragen einzugehen. Darum kümmern wir
uns auch. Ich halte das für ein ganz normales Verfahren.
Das Ministerium hat einen intensiven Dialog mit allen
Branchen, die Probleme mit dem Mindestlohn hatten,
gestartet, und dieser Branchendialog wird fortgesetzt.
Wir, sowohl die Regierung als auch die Abgeordneten,
befinden uns in einem ständigen Dialog mit den Vertretern der jeweiligen Branchen.
Das Mindestlohngesetz wurde im Übrigen - das habe
ich selten so erlebt - sehr intensiv von allen Beteiligten
begleitet. Es ist ein richtig guter Prozess der gemeinsamen Entwicklung gewesen. Durch diesen Prozess wurde
gewährleistet, dass wir den Mindestlohn gut, praktikabel
und erfolgreich umsetzen können.
({6})
Ich bin Ministerin Andrea Nahles dankbar, dass sie
insbesondere die Fragen rund um Ehrenamt und Sport
geklärt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten
kurz aus dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und
Soziales, Bundestagsdrucksache 18/2010 ({7}), Seite 15,
zitieren:
Die Koalitionsfraktionen seien mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales darin einig,
dass ehrenamtliche Übungsleiter und andere ehrenamtlich tätige Mitarbeiter in Sportvereinen nicht
unter dieses Gesetz fielen. Von einer „ehrenamtlichen Tätigkeit“ im Sinne des § 22 Absatz 3 MiLoG
sei immer dann auszugehen, wenn sie nicht von der
Erwartung einer adäquaten finanziellen Gegenleistung, sondern von dem Willen geprägt sei, sich für
das Gemeinwohl einzusetzen.
Sie sehen: Das steht schon klar im Gesetz. Es muss in
Bezug auf diese Bereiche also nicht geändert werden.
Wir haben schon eine gute Regelung.
({8})
Der Mindestlohn schafft ein Stück Ordnung auf einem Arbeitsmarkt, der in den letzten Jahren zunehmend
durch prekäre Arbeitsverhältnisse und an manchen Stellen auch durch die Ausnutzung von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern geprägt war. Es ist nötig, über all diese
Aspekte zu diskutieren. Aber nicht alle sich jetzt ergebenden Probleme haben ihre Ursache im Mindestlohngesetz. Im Gegenteil: Unverhältnismäßige Arbeitszeiten,
bei denen mehr Arbeit in weniger Zeit erfüllt werden
musste, gab es schon vorher. Nun treten sie zutage, und
es ist gut, dass wir dagegen vorgehen können.
Es ist auch dem Mindestlohngesetz zu verdanken,
dass wir jetzt eine gesellschaftliche Debatte über den
Wert der Arbeit führen können. Jetzt wird genau hinge8628
guckt. Jetzt wird deutlich, wer sich bisher schon nicht an
die Regeln gehalten hat, die wir für einen funktionierenden, gerechten und guten Arbeitsmarkt in der sozialen
Marktwirtschaft vereinbart haben. Es wird auch deutlich,
dass zu guter Arbeit ein anständiger Lohn gehört. Das
muss dokumentiert werden, damit deutlich wird: Der
Mindestlohn wirkt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mindestlohn hat
viele Mütter und Väter; das wurde in der Debatte deutlich. Ich darf anmerken, dass die SPD den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn schon vor vielen Jahren beschlossen hat. Ich darf noch einmal betonen, dass
wir den Gewerkschaften sehr dankbar sind, dass sie sich
so früh für den Mindestlohn eingesetzt haben
({9})
und dass wir ihn gemeinsam hier erkämpfen konnten.
Hier im Deutschen Bundestag haben CDU/CSU, SPD
und Grüne dem Mindestlohngesetz zugestimmt, Sie,
Herr Ernst, leider nicht. Sie haben sich als Opposition
kraftvoll enthalten.
({10})
Aber jetzt, da der Mindestlohn eine Erfolgsgeschichte
ist, machen sie alle mit.
Vielen Dank.
({11})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir stehen zum Mindestlohn. Der Mindestlohn
braucht Kontrolle. Wir lehnen Missbrauch und eine entsprechende Umgehung des Mindestlohns ab. Allerdings
ist auch klar: Alle damit zusammenhängenden Maßnahmen müssen in der Umsetzung praktikabel sein. Deswegen halte ich nichts davon, dass wir ein ideologisch verzerrtes Unternehmerbild prägen, so wie das die Linke in
ihrem Antrag macht. Herr Ernst, Sie schreiben in Ihrem
Antrag - Zitat -:
Die Behauptung einer vermeintlich überbordenden
Bürokratie hat einzig den Zweck, den Mindestlohn
zu unterlaufen.
({0})
Das Bild von Unternehmern, das Sie hier zeichnen,
ist, dass ein Unternehmer im Ergebnis darauf aus sei,
seine Arbeitnehmer möglichst schlecht zu bezahlen.
({1})
- Genau das heißt es, Herr Ernst. Das ist eine Unterstellung,
({2})
die ich für die Unternehmerschaft auf das Schärfste zurückweise.
({3})
Sie diffamieren damit all diejenigen Unternehmer, die
ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bereits vor
dem Mindestlohngesetz anständige Löhne gezahlt haben. Sie diffamieren mit der Behauptung, die Sie hier
aufstellen, auch diejenigen, die sich an das jetzt geltende
Recht halten. Ich glaube, es wäre an der Zeit, dass Sie
dieser Klassenkampfrhetorik endlich einmal ein Ende
machen. Unternehmer eignen sich nicht als Feindbild sie sorgen dafür, dass es uns gut geht. Deswegen sollten
wir das Unternehmertum nicht bekämpfen, sondern
dankbar sein - dankbar sein! -, dass wir unseren Mittelstand haben; das ist das Entscheidende.
({4})
Wir haben uns im Gesetzgebungsverfahren darauf
verständigt, dem berechtigten Anliegen der Arbeitgeber,
dass der durch den gesetzlichen Mindestlohn entstehende administrative Aufwand begrenzt wird, zu entsprechen. Deswegen haben wir eine Vielzahl von
Rechtsverordnungsmöglichkeiten geschaffen. Die des
BMF werden derzeit, wenn ich das richtig sehe, nicht
kritisiert, sondern es geht ausschließlich um die Verordnung, die Ministerin Nahles auf den Weg gebracht hat.
Sie ist bei der Grenze, bis zu welcher Einkommenshöhe
eine Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit gelten
soll, bei 4 500 Euro gestartet. Jetzt soll diese Grenze bei
2 958 Euro liegen. Doch auch dieser Schwellenwert entspricht nicht der Lebenswirklichkeit.
({5})
Er entspricht auch nicht dem, was beispielweise der Zoll,
der hier so oft zitiert wurde, in den Blick nimmt. Wenn
der Zoll selber seinen Fokus vor allem auf Beschäftigungsverhältnisse mit einem Einkommen zwischen
1 000 und 2 000 Euro richtet, dann zeigt dies, dass diese
Verordnung hier nicht der Lebenswirklichkeit entspricht
und entsprechend angepasst werden muss.
Genau deswegen hat sich der Koalitionsausschuss in
der letzten Woche darauf verständigt, beim Mindestlohngesetz bis Ostern eine Bestandsaufnahme vorzunehmen
und vor allem Probleme aus der Praxis entsprechend zu
sammeln und diese dann gemeinsam zu bewerten. Wir
nehmen diesen Auftrag des Koalitionsausschusses sehr
ernst. An uns werden viele Dinge herangetragen, viele
Unsicherheiten, viele Fragestellungen, zum Teil auch
Unverständnis über das, was da geregelt ist. Klar ist: Wir
müssen hier vor allem für Rechtssicherheit sorgen - da
ist mir das Mindestlohngesetz sicherlich nicht sakrosankt -, weil Fragestellungen aufkommen, warum denn
Minijobs der Dokumentationspflicht unterliegen.
({6})
Rechte und Pflichten sind bei Minijobs genau wie bei jedem anderen Arbeitsverhältnis, ohne dass für Letztere
derzeit flächendeckende Aufzeichnungspflichten gelten
würden.
({7})
Deswegen wird dem mit sehr viel Unverständnis begegnet.
Es geht auch um eine saubere Abgrenzung zwischen
Ehrenamt und gewerblicher Beschäftigung. Mich treibt
um, dass in dem Antrag der Linken wieder sofort der
Missbrauch thematisiert wird, anstatt dass man sich zunächst einmal überlegt: Wie können wir das gesellschaftliche Engagement in der Breite und in der Vielfalt,
die wir haben, unterstützen und stärken?
({8})
Hier brauchen wir sicherlich entsprechende Ansätze.
Dazu dient auch die Abgrenzung zwischen Ehrenamt
und Mindestlohn.
({9})
Hier hat die Ministerin einen guten Aufschlag gemacht,
gerade was das Thema „Vertragsamateure im Fußball“
angeht. Ich denke, dieses Argumentationsmuster ist jetzt
insgesamt auszuweiten auf den gesamten Bereich des
Ehrenamts. Wir müssen auch prüfen, inwieweit wir hier
gesetzliche Regelungen tatsächlich brauchen.
({10})
Dass wir hier nicht gegeneinander agieren, sondern
miteinander, zeigt beispielsweise die Pflegearbeitsbedingungenverordnung, wo wir vonseiten der Bundesregierung eine differenzierte Behandlung haben, was die Vergütung von Vollarbeitszeit und Bereitschaftsdienst
angeht. Darauf sollten wir aufsetzen. Lassen Sie uns für
gute Ergebnisse sorgen!
Herzlichen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-
mit schließe ich die Debatte.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4183 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tarifeinheit ({0})
Drucksache 18/4062
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Tarifautonomie stärken - Streikrecht verteidigen
Drucksache 18/4184
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin erhält
die Bundesministerin Andrea Nahles für die Bundesregierung das Wort. - Frau Bundesministerin, bitte.
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Mit dem hier vorliegenden Entwurf eines
Gesetzes zur Tarifeinheit vervollständigen wir unsere
Bemühungen, die Tarifautonomie in unserem Land zu
stärken. Das Haus der Sozialpartnerschaft steht damit
auf einem guten Fundament: Mit der Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen, mit der
verbesserten Möglichkeit, Tarifverträge allgemeinverbindlich zu erklären, und mit dem Mindestlohn, den wir
für die Zukunft in der Mindestlohn-Kommission wieder
in die Hände der Sozialpartner gelegt haben, gibt es bereits drei Bausteine. Der vierte Baustein, die Tarifeinheit, folgt nun.
({0})
Die Tarifeinheit hat in Deutschland als fester Bestandteil der Tarifautonomie eine sehr lange Tradition.
Viele Jahrzehnte galt in der Bundesrepublik Deutschland
der klare Grundsatz: „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“.
Erst vor wenigen Jahren, nämlich im Jahre 2010, hat das
Bundesarbeitsgericht seine ständige Rechtsprechung
dazu geändert. Es waren damals, 2010, Arbeitgeber und
Gewerkschaften gemeinsam, die uns als Politik aufgefordert haben, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln und
damit die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern, und sie haben diese Aufforderung 2013 während
der Koalitionsverhandlungen wiederum gemeinsam erneuert. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, der auch
nach intensiver Anhörung und Beteiligung der Sozialpartner entstanden ist, kommen wir dieser wiederholten
und dringlichen Aufforderung nach.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mancher hat nun
Sorge, es würden Rechte der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften beschnitten. Mancher hofft auch - heimlich
oder öffentlich -, es würden Streiks kleiner Gewerkschaften verboten, weil sie den Bahn- oder Flugverkehr
stören oder die Gesundheitsversorgung treffen. Fakt ist:
All das tut dieses Gesetz nicht.
({1})
Es geht vielmehr darum, das Funktionieren der im
Grundgesetz verankerten und unsere Wirtschafts- wie
Gesellschaftsordnung prägenden Tarifautonomie zu ermöglichen. Nach dem Grundgesetz sind die Sozialpartner zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen berufen. Mit dieser Aufgabe geht auch eine große
Verantwortung einher. Ich erwarte, dass die Sozialpartner diese auch annehmen. Streikrecht und Koalitionsfreiheit tasten wir nicht an. Das sind Grundrechte, für die
lange gekämpft wurde. Ich stehe zu diesen Rechten. Mit
diesem Gesetz werden wir daran nicht rütteln.
({2})
Aber das Koalitionsrecht ist nicht allein ein Freiheitsrecht. Es so eng zu führen, entspricht nicht unserer Verfassungsordnung: Den Koalitionen kommt die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu, innerhalb ihres
Bereichs das Arbeitsleben sinnvoll zu ordnen und zu befrieden, so hat es das Bundesverfassungsgericht festgehalten.
({3})
Die Tarifautonomie darf in ihrer zentralen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktion nicht bedroht oder
beeinträchtigt werden. Es ist Aufgabe des Staates, einen
Rahmen zu schaffen, der das Funktionieren der Tarifautonomie sichert. Daher brauchen wir auch eine Regelung
zur Tarifeinheit.
Wir sind überzeugt: Unser Vorschlag ist verfassungsgemäß. Klar ist: Bei juristischen Fragen gibt es immer
auch andere, abweichende Meinungen, und es gibt keine
absolute Sicherheit.
({4})
Das weiß jeder hier, auch ich. Aber unser Gesetzentwurf
ist so solide erarbeitet und sehr, sehr sorgfältig geprüft,
auch mit den Verfassungsressorts zusammen, sodass
nach allem Ermessen den Maßgaben unserer Verfassung
voll Genüge getan wird.
({5})
Denn wir setzen bei den verfassungsgemäßen Rechten
und Pflichten an. Es ist und bleibt grundsätzlich in der
Verantwortung der Tarifvertragsparteien, durch eigene,
autonome Entscheidungen Tarifkollisionen zu vermeiden. Nur nachrangig, als Ultima Ratio, wirkt das Gesetz.
Was ist nun unter solch einer Tarifkollision zu verstehen? Sie entsteht, wenn verschiedene Gewerkschaften
für dieselbe Beschäftigtengruppe eines Betriebes unterschiedliche Regelungen mit der Arbeitgeberseite vereinbaren. Auch dann allerdings greift nicht automatisch das
Gesetz, sondern es gibt eine ganze Fülle von Möglichkeiten, dieses Problem auf der Ebene zu lösen, auf der es
auftritt: Die Gewerkschaften können untereinander Zuständigkeiten abstimmen und so dafür sorgen, dass ihre
Tarifverträge nicht kollidieren. Oder sie können übereinkommen, dass der Tarifvertrag einer Gewerkschaft durch
den einer anderen Gewerkschaft ergänzt werden kann,
etwa durch zusätzliche Regelungen für eine bestimmte
Arbeitnehmergruppe. Die Gewerkschaften können sich
auch abstimmen, ihre Forderungen in einer sogenannten
Tarifgemeinschaft gemeinsam aufzustellen. Das ist sehr
häufig im öffentlichen Dienst der Fall. Sie können auch
inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen. Schließlich gibt
es immer auch die Möglichkeit, Konflikte untereinander
zu lösen, etwa innerhalb eines gemeinsamen Dachverbandes.
All diese Formen sind bekannt, weil es ja bis 2010 die
Tarifeinheit gab. Unterm Strich bedeutet das mehr Kooperation;
({6})
denn all diese Möglichkeiten gehen vor. Unser Gesetzentwurf entfaltet eben nur im äußersten Fall seine Wirkung. Dafür haben wir ein klares Kriterium geschaffen:
({7})
Im Fall einer Tarifkollision gilt der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat.
({8})
Welcher Tarifvertrag gilt, entscheiden also die Beschäftigten selbst. Die gemeinsame Leistung aller soll wichtiger sein als eine bestimmte Machtposition im Betriebsablauf, die sich bisher für die Durchsetzung von
Einzelinteressen nutzen lässt.
({9})
Ich höre jetzt schrille Töne: Von der Vernichtung kleiner Gewerkschaften ist die Rede. Ich sage da ganz klar:
So wie es vor 2010 und zwischen 2010 und 2015 kleine
Gewerkschaften gegeben hat, wird es sie auch in Zukunft geben; und das ist auch gut so.
({10})
Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft sind konstitutiv für unser Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialstaatsmodell. Wir sorgen für einen Rahmen, in dem sie
wirken und sich entfalten können. Am Ende können aber
für eine funktionierende Sozialpartnerschaft nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst sorgen, gerade indem sie
sich in Verbänden und Gewerkschaften engagieren. Verantwortung für das Ganze übernehmen, den Zusammenhalt stärken und mit am künftigen Erfolg unseres Landes
und unserer Wirtschaft bauen: Darum geht es. Das wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf fördern.
Vielen Dank.
({11})
Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Klaus Ernst
von der Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau
Nahles, Sie legen hier ein Gesetz vor, das eigentlich keiner mehr will. Ich habe den Eindruck, Ihnen wäre es am
liebsten, Sie müssten es nicht mehr wollen.
({0})
- Im Übrigen auch die IG Metall nicht mehr. Schauen
Sie sich einmal die Basis an und nicht nur die Aussage
von zwei Personen.
Überflüssig wie ein Kropf: Warum?
({1})
Ich kann es Ihnen sagen: überflüssig, weil die bundesrepublikanischen Arbeitnehmer sowieso so gut wie kaum
streiken. Ich sage immer gern: Es gibt nur noch zwei
Länder, die noch seltener streiken als wir: die Schweiz
und der Vatikanstaat. Wir haben kein Problem mit zu
vielen Streiks.
({2})
Es besteht damit im Übrigen auch keine Notwendigkeit,
sie einzuschränken.
Darauf sind Sie kaum eingegangen, Frau Nahles.
Streik ist ein Grundrecht, das durch Artikel 9 des Grundgesetzes garantiert wird; ich will jetzt nicht daraus zitieren. Sie machen die Aussage, Sie greifen nicht in dieses
Grundrecht ein. Das ist nun wirklich - ich kann es nicht
anders sagen - eine totale Augenwischerei. Auch das
wissen Sie selber. Natürlich greifen Sie in das Streikrecht ein, nämlich dann, wenn zwei Tarifverträge in einem Betrieb zur Anwendung kommen - übrigens nicht
bei derselben Personengruppe, weil Tarifverträge nach
dem Tarifvertragsgesetz ja immer nur für die Mitglieder
der tarifvertragschließenden Partei gelten und nicht für
andere.
Jetzt sagen Sie: Es gilt nur noch der Tarifvertrag der
Gewerkschaft, die die größere ist. - Dann soll die andere
Gewerkschaft nicht davon betroffen sein? Natürlich ist
das ein Eingriff in das Streikrecht; denn die andere Gewerkschaft kann keinen Streik mehr führen. Ein Streik
wäre sinnlos, weil der Tarifvertrag nicht mehr gelten
würde. Eine größere Einschränkung des Streikrechts
kann es eigentlich nicht geben, da könnten Sie nur noch
die Gewerkschaften verbieten, Frau Nahles.
({3})
Das ist die Wahrheit. Das sagen nicht nur wir, sondern
auch andere.
Ich will es einmal in ein Bild kleiden. Sie sind bei einem Formel-1-Rennen. Sie sagen keinem Fahrer, egal ob
er klein oder groß ist, dass er nicht mehr mitfahren darf.
Aber wenn ein kleiner Fahrer dann die Ziellinie erreicht,
wird seine Leistung nicht gewertet, weil in einem anderen Auto jemand sitzt, der größer ist. Macht es da noch
Sinn, dass er bei dem Autorennen mitfährt?
({4})
Nein, es macht keinen Sinn mehr. Genauso wenig macht
es für eine Gewerkschaft Sinn, zu streiken, wenn sie
weiß, dass das Ziel dieses Streiks, der Tarifvertrag,
schlichtweg nicht mehr gilt.
Im Übrigen, Frau Nahles - auch das wissen Sie; ich
werfe Ihnen vor, dass Sie es bewusst nicht erzählen -,
wissen Sie genau, dass ein Streik vor jedem Gericht für
unzulässig erklärt werden kann, wenn er nicht der Erzielung eines Tarifvertrags gilt. Das ist die Rechtsprechung.
Jetzt planen Sie hier eine Regelung, die dazu führt, dass
eine kleine Gewerkschaft nicht mehr streiken kann bzw.
jeder Streik für illegal erklärt werden kann, weil ein
Streik bei einer kleinen Gewerkschaften ja nicht mehr
der Erzielung eines Tarifvertrags dient. Sie greifen in das
Streikrecht ein. Ich sage Ihnen, Frau Nahles: Sie machen
das Streikrecht für die kleinen Gewerkschaften kaputt
und damit auch die kleinen Gewerkschaften. Das ist die
Wahrheit.
({5})
Das sehen nicht nur wir so. Sie haben inzwischen immer weniger Freunde. Professor Däubler, ein Arbeitsrechtler, kommt zu dem Ergebnis - ich zitiere -:
Der faktische Entzug des Rechts, Tarifverträge abzuschließen und dafür einen Arbeitskampf zu führen, stellt einen denkbar weitreichenden Eingriff
dar, der nur noch durch ein Gewerkschaftsverbot
übertroffen werden könnte.
So weit Herr Professor Däubler. - Zu demselben Ergebnis kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages.
Frau Nahles, schauen wir einmal zu Ihrem Koalitionspartner. Herr Professor Dr. Zimmer, ich muss wirklich
sagen, ich habe einen Heidenrespekt vor Ihnen und Ihrer
Klarheit. Sie haben gesagt, es könne nicht Aufgabe des
Deutschen Bundestages sein, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken nicht zur Kenntnis zu nehmen oder
wissentlich ein verfassungsrechtlich defizitäres Gesetz
aus politischen Gründen zu verabschieden. Da haben Sie
recht. Da haben Sie unsere volle Zustimmung, Herr
Zimmer.
({6})
Ebenfalls liegt mir ein Schreiben des Marburger
Bunds und der Vereinigung Cockpit vor. Der Vorsitzende des Marburger Bunds, Rudolf Henke, ist ebenfalls
Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er kann
dieses Gesetz wohl auch nicht befürworten, weil er der
Auffassung ist, dass es Unsinn ist. Ähnlich sieht es Herr
Matthäus Strebl. Mir liegt ein Brief vor, den er als Vorsitzender einer Gewerkschaft an die Abgeordneten geschrieben hat. In dem Brief steht, dass er das Gesetz ablehnt. Frau Nahles, Sie haben keine Freunde mehr in
dieser Frage.
Ich möchte mit einem Hinweis schließen, den uns der
von mir sehr geschätzte Herr Augstein auf Spiegel Online gegeben hat. Er hat geschrieben: Wem das Streikrecht nicht passt, der soll überlegen, möglicherweise
nach China zu ziehen. - Das ist das Problem, das wir
hier haben. Dort sind Streiks verboten, jedenfalls sind sie
nicht zulässig. In einer Demokratie müssen sie erlaubt
sein und gehören gestärkt und nicht geschliffen.
({7})
Als nächster Redner hat Karl Schiewerling von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Um es sofort vorwegzusagen: Im Gesetzentwurf steht nichts zur Streikregelung.
Ich komme gleich darauf zurück.
({0})
Es geht bei diesem Gesetz um Tarifeinheit, aber auch
um Tariffreiheit. Da, wo es um Freiheit geht, geht es
auch immer um Verantwortung. Die Bundesrepublik
Deutschland ist ein wirtschaftlich starkes Land: exzellente Produkte, hohe Innovationskraft, Weltmarktführer
in vielen Bereichen, hohe Beschäftigungsrate, höchster
Stand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung
seit 1990, niedrige Arbeitslosigkeit. Das hat viele Ursachen. Eine Ursache ist eine verantwortungsvolle, funktionierende Sozialpartnerschaft.
({1})
Meine Damen und Herren, die Grundlage dieser Sozialpartnerschaft ist in der Verfassung, in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes, gesichert. Dort findet sich für
Betriebe, Branchen und Berufsgruppen die Freiheit, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zu gründen.
Diese Sozialpartnerschaft hat sich vor allem in Notzeiten
bewährt. Das gilt in den schweren Anfängen in den 50erund 60er-Jahren, das gilt in der jüngsten Zeit, in der Finanz- und Wirtschaftskrise. Diese Sozialpartnerschaft
wird von vielen beschworen und gelobt.
1954 reichte der einfache Satz: „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ des damaligen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichtes, Nipperdey, aus, um die Tarifeinheit zu regeln. Er hat 56 Jahre gegolten. Die diesbezüglichen
Gerichtsprozesse, die danach geführt wurden, sind an einer Hand abzuzählen, auch wenn dieser Grundsatz in der
Rechtswissenschaft offensichtlich immer wieder umstritten war. Die Konsequenzen sind ein großer Betriebsfrieden, die weltweit niedrigste Zahl von Streiks und
demzufolge wirtschaftliche Stärke und Wohlstand.
({2})
Meine Damen und Herren, diese Rechtsprechung hat
das Bundesarbeitsgericht 2010 aufgegeben. Vor diesem
Hintergrund wurde befürchtet, dass, wenn das Prinzip
der Tarifeinheit durch die Rechtsprechung aufgegeben
wird, wir in bestimmten Betrieben neue Entwicklungen
bekommen könnten und einige wenige ihre Interessen
gegen den Willen der Mehrheit, der großen Mehrheit,
durchsetzen könnten. Deswegen haben der Arbeitgeberverband und der DGB, also die Sozialpartner, die Regierung damals aufgefordert, gesetzliche Grundlagen zu
schaffen, und Vorschläge erarbeitet, wie die Tarifeinheit
gestaltet werden kann.
({3})
Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Tarifeinheit nach dem tarifbezogenen Mehrheitsprinzip gesetzlich zu regeln und den Verfahrensregeln der Verfassung - Artikel 9 Absatz 3 - Rechnung zu tragen. Die
Bundesregierung hat auf dieser Grundlage nun dem Parlament einen Gesetzentwurf zugeleitet. Wir beraten ihn
heute in erster Lesung.
Wir erleben eine heftige Diskussion über die Verfassungskonformität dieses Gesetzentwurfes. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit:
Wenn uns die Bundesregierung als Verfassungsorgan,
getragen von den Verfassungsabteilungen des Innen-,
des Justiz- und des Arbeitsministeriums einschließlich
des Bundeskanzleramtes, einen Gesetzentwurf auf den
Tisch legt, dann unterstelle ich zunächst einmal - bei allen Gegenpositionen, die aus der Wissenschaft kommen
oder andere vortragen mögen -, dass er verfassungskonKarl Schiewerling
form ist. Ich hege daran vor diesem Hintergrund keinen
Zweifel.
({4})
Ich darf daran erinnern, dass dieser Gesetzentwurf vorher bereits im Bundesrat war und auch dort kein Bundesland Bedenken dagegen erhoben hat.
({5})
Auch der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan.
Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf
bringt den eindeutigen Willen des Gesetzgebers zum
Ausdruck, dass es in einem Betrieb um Konsens geht.
Dieser Gesetzentwurf hat nicht die Regelung von Differenzen in den Mittelpunkt gestellt, sondern die Frage,
welche Regelungsmechanismen beim Tätigwerden von
Gewerkschaften in einem Betrieb oder für eine Berufsgruppe - wobei es immer klug ist, die Dinge vernünftig
voneinander zu trennen - gewährleisten können, dass
Konflikte vermieden werden. Dafür kann man zum Beispiel sorgen, indem akzeptiert wird, dass eine Gewerkschaft nur für eine bestimmte Berufsgruppe zuständig ist
oder indem man sich vorher gemeinsam verständigt und
vorher gemeinsam verhandelt. Es gibt im Gesetzentwurf
zahlreiche Hinweise, wie das geregelt werden kann.
({6})
Ich sage Ihnen allerdings: Vielleicht muss man diesen
politischen Willen des Gesetzgebers im Gesetz noch einmal verstärken, um deutlich zu machen, dass am Ende
der Tage, wenn es denn heißt, dass sich die Gewerkschaft durchsetzen soll, die die größere Mitgliederzahl
hat, in Kenntnis dessen, dass sie die größere Mitgliederzahl hat, nicht von Anfang an den vom Gesetzgeber gewollten Willen zum Konsens unterläuft und sagt: Am
Ende der Tage haben wir eh die Mehrheit. Also brauchen
wir keine ernsthaften Gespräche zu führen.
({7})
Ich glaube, es ist notwendig, noch einmal zu überlegen, wie dieser politische Wille des Gesetzgebers, dass
es um Konsens im Betrieb geht, gesetzlich oder an welcher Stelle auch immer noch einmal formuliert und deutlich gemacht wird, damit es zu fairen Bedingungen bei
den Auseinandersetzungen auch innerhalb des Betriebes
kommt.
({8})
Meine Damen und Herren, das Mehrheitsprinzip, wie
es jetzt im Gesetz steht, bezieht sich auf den Betrieb. Es
nimmt Bezug auf die Frage, was nach Betriebsverfassungsgesetz ein Betrieb ist. In Deutschland gibt es keine
klare Definition, was ein Betrieb ist. Deswegen hat man
darauf Bezug genommen, weil es auch um die Solidargemeinschaft in diesem Betrieb geht und weil dafür Tarifverträge gelten.
Ich kann nur heftig dafür werben, dass alles getan
wird, um die Auseinandersetzungen, die wir in manchen
Betrieben haben, zu vermeiden und zu fairen Verhandlungen untereinander zu kommen.
Ich will allerdings an dieser Stelle auch sehr deutlich
sagen: Die Streiks, die Auseinandersetzungen in Deutschland, die sich aufgrund von Tarifkonflikten in einem Betrieb in der Vergangenheit abgespielt haben, halten sich
sehr in Grenzen.
({9})
Die kleine Gewerkschaft, die einmal versucht hat, den
ganzen Frankfurter Flughafen lahmzulegen, ist von den
übrigen Belegschaften heftig abgestraft worden.
({10})
Ich glaube, dass keine kleine Gewerkschaft, nur weil sie
unterlegen ist, gegen den Willen der Übrigen in der Belegschaft einen Kampf führen kann. Sie wird diesen
Kampf nicht nur im Lichte der Kollegialität, sondern
auch der Öffentlichkeit ganz sicher nicht bestehen.
({11})
Ich glaube, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf als Gesetzgeber einen Weg aufgezeigt haben, wie
wir uns unter fairen Bedingungen Tarifeinheit vorstellen
und wie das vor Ort weitergeführt werden kann. Die Malaise liegt nicht beim Gesetzgeber. Sie liegt darin, dass
das, was 56 Jahre lang gegolten hat, jetzt auf einmal
in der Rechtsprechung aufgegeben wurde. Das, was
56 Jahre lang der Bundesrepublik gutgetan hat, nämlich
die Tarifeinheit de facto zu haben, müssen wir in einer
Form wieder erreichen, damit die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes gesichert bleibt. Das ist das, was
eigentlich hinter diesem Gesetz steht.
Hinter diesem Gesetz steht nicht, kleinen Gewerkschaften den Streik zu verbieten. Ich rate auch dringend
dazu, die im Gesetz stehende Formulierung, dass ein
Streik dann verhältnismäßig ist, wenn die kleinere Gewerkschaft der größeren unterliegt, noch einmal dahin
gehend zu überdenken, dass dies nicht die einzige Begründung ist. Wenn eine große Gewerkschaft, die mehr
Mitglieder als eine andere Gewerkschaft hat, sich nicht
ernsthaft mit der kleineren Gewerkschaft um den Betriebsfrieden und um Tarifeinheit im Vorstadium der
Konsensbildung kümmert, dann kann am Ende der Tage
der kleineren Gewerkschaft der Streik nicht verboten
werden, weil Bedingung ist, dass man vorher alles unternommen hat, um miteinander zu einem Konsens zu
kommen. Das setzt den ernsten Verhandlungswillen aller
Beteiligten voraus.
({12})
Meine Damen und Herren, ich glaube, der vorliegende Gesetzentwurf ist eine gute Grundlage, die Dinge
weiter zu diskutieren. Wir werden das miteinander tun.
Wir werden nach einer Lösung suchen, sofern noch weitere Schritte notwendig sind. Ich bin sicher, dass wir gemeinsam das Ziel verfolgen, für Betriebsfrieden zu sorgen, um wirtschaftliche Prosperität und Wohlstand für
alle zu sichern.
Herzlichen Dank.
({13})
Vielen Dank. - Jetzt hat Michael Schlecht von der
Fraktion Die Linke das Wort für eine Kurzintervention.
Herr Schiewerling, Sie und auch die Ministerin haben
den Eindruck erweckt, dass dieser Gesetzentwurf von
den Gewerkschaften gefordert und unterstützt wird.
({0})
Hier muss man Einspruch erheben, weil das so nicht
stimmt.
({1})
Die Gewerkschaft, die am stärksten von dieser Regelung
betroffen ist, weil sie am ehesten kleine Konkurrenzen
hat, ist die Gewerkschaft Verdi. Die Gewerkschaft Verdi
hat zwar im Jahre 2010 gemeinsam mit der BDA und
dem DGB die erste Initiative begründet - das ist richtig -,
aber danach hat es gerade bei Verdi eine sehr intensive
Diskussion darüber gegeben. Nach kurzer Zeit kam es zu
einer Positionsverschiebung. Verdi erklärte, sie sei gegen
eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit, und die Initiative mit der BDA und dem DGB von 2010 sei für sie
hinfällig. Die Geschäftsgrundlage sei für sie entfallen.
Es hat dort also eine sehr intensive Diskussion gegeben gerade vor dem Hintergrund der mittelbar drohenden
Einschränkung des Tarifrechtes.
Sie eiern hier jetzt formaljuristisch herum und erklären, das alle gebe es nicht. Natürlich ist aber jedem Kollegen und jeder Kollegin bei Verdi vollkommen klar
- sehr viele haben das in den letzten Jahren diskutiert -,
dass dieser Gesetzentwurf in genau diese Richtung zielt.
Es kann aus gewerkschaftlicher Sicht - aus Sicht von
Verdi - nicht angehen, dass der Gesetzgeber mittelbar in
das Streikrecht eingreift, sondern das Streikrecht muss
verteidigt werden. Wir brauchen eher eine Initiative dafür, dass das Streikrecht ausgeweitet wird, dass zum Beispiel die Möglichkeit geschaffen wird, dass es einen Generalstreik in Deutschland gibt. Das wäre eine dringend
notwendige Klarstellung, aber das ist hier ja nicht das
Thema.
({2})
Das musste Ihnen aber zumindest entgegengehalten werden.
Danke schön.
({3})
Herr Schiewerling.
Herr Kollege Schlecht, mir sei wenigstens ein kurzer
Hinweis gestattet. Das erste Papier, das vorgelegt wurde,
nachdem die Tarifeinheit 2010 vom Bundesarbeitsgericht nicht mehr als Bestandteil der Rechtsprechung
angesehen wurde, kam gemeinsam von der BDA und
dem DGB.
({0})
Das war also ein gemeinsames Papier. Danach forderten
sie eine entsprechende gesetzliche Grundlage, die möglichst schnell geschaffen werden sollte. Daraufhin hat es
längere Diskussionen gegeben.
Ich gestehe zu, dass auch nach meiner Kenntnis offensichtlich nicht alle Mitgliedsgewerkschaften innerhalb des DGB positiv dazu stehen. Aber der DGB als
Dachverband und auch zahlreiche Einzelgewerkschaften
stehen dazu. Ich muss das zumindest einmal zur Kenntnis nehmen.
Wenn wir von Sozialpartnern reden, dann reden wir
vom DGB als Dachverband für Einzelgewerkschaften
und von der BDA als Dachverband für die Arbeitgeber.
Diese haben die Tarifeinheit bisher offensichtlich gemeinsam als Sozialpartner gefordert und den vorliegenden Gesetzentwurf ausdrücklich begrüßt. Das kann ich
zur Kenntnis nehmen.
Daran, dass Ihnen das nicht passt, zweifle ich keine
Sekunde, zumindest deshalb nicht, weil Sie durch die
Tarifeinheit vom bundesdeutschen Generalstreik noch
weiter entfernt wären. Ich kann Ihnen aber sagen, dass
wir uns daran gehalten haben. Sollten sie sich eines anderen besinnen, weil sie sich als Tarifpartner in einer
schwierigen Situation befinden, dann werden wir uns
diesem Erkenntnisgewinn ganz sicher nicht verschließen.
({1})
Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Beate MüllerGemmeke von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Heute geht es um die Koalitionsfreiheit. Jedermann und
jeder Beruf - so steht es in unserer Verfassung - hat das
Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren und Tarifverträge zu verhandeln. Dazu gehört auch das Streikrecht. Jetzt soll genau dieses Grundrecht per SPD-Gesetz
eingeschränkt werden. Das machen wir Grüne nicht
mit;
({0})
denn dafür gibt es keinen wirklich nachvollziehbaren
Grund, und vor allem ist die gesetzliche Tarifeinheit ein
Eingriff in die Koalitionsfreiheit und ein Angriff auf das
Streikrecht. Deshalb lehnen wir das Gesetz strikt ab.
({1})
Der Gesetzentwurf wirft viele Fragen auf. Diese Fragen habe ich zusammengefasst und sie der Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage gestellt. Die Antworten
liegen jetzt vor. Ich kann nur sagen: Die Antworten sind
unsäglich. In der Regel wird nur aus dem Gesetzentwurf
zitiert, oder es wird überhaupt nicht geantwortet. Gehaltvolle und juristische Begründungen, Erläuterungen oder
Beispiele fehlen. Für das Bundesverfassungsgericht jedenfalls werden solche Antworten nicht reichen. Das
wird Karlsruhe nicht durchgehen lassen. Warum das
Ministerium dafür eine Fristverlängerung benötigte und
insgesamt sechs Wochen gebraucht hat, kann ich absolut
nicht nachvollziehen. Überzeugende Antworten sehen
anders aus.
({2})
In ihrer Antwort schreibt die Bundesregierung beispielsweise - wieder ohne Begründung -, das Tarifeinheitsgesetz sei lediglich eine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit. Mit dieser Auffassung steht sie ziemlich
alleine da. Es wurde schon gesagt: Namhafte Rechtsexperten wie Di Fabio, Dieterich, Gerhart Baum, Däubler,
der Deutsche Anwaltverein und insbesondere der Wissenschaftliche Dienst, alle interpretieren den Gesetzentwurf als Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Die Bundesregierung hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken,
fast alle anderen aber schon. Das ist ignorant. So leichtfertig sollte man mit der Koalitionsfreiheit nicht umgehen; denn sie gehört immerhin zu den Grundprinzipien
unserer Demokratie.
({3})
Auch beim Streikrecht bleibt die Bundesregierung mit
ihren Antworten äußerst sparsam. Das zeigt: Bundesarbeitsministerin Nahles drückt sich beim Streikrecht und
schiebt die Verantwortung zu den Gerichten. So sieht das
übrigens auch der Deutsche Anwaltverein. Ich zitiere
aus der Stellungnahme:
Will der Gesetzgeber verbindlich etwas zur Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen sagen, sollte
er … Kraft und Mut haben, so etwas im Gesetzestext zu regeln.
Recht hat er. Ich ergänze: Hände weg vom Streikrecht!
({4})
Die gesetzliche Tarifeinheit stärkt auch nicht die Solidarität. Im Gegenteil: Sie verschärft die Konkurrenz
zwischen den Gewerkschaften. Natürlich werden die
kleinen Gewerkschaften dafür kämpfen, größer und
mächtiger zu werden. Immerhin bekommt der Gewinner
am Ende alles, vor allem einen gültigen Tarifvertrag.
Auch das ignoriert die Bundesregierung. Wenn sich etwa
der Marburger Bund für die Pflegekräfte öffnete, wäre
das laut Ministerium kein Problem. Aber genau so entsteht doch Konkurrenz. Genau so entsteht der Kampf um
die Mitglieder, zum Beispiel in jedem Krankenhaus.
Diese Konkurrenz entsteht auch, wenn Flächentarifverträge aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in manchen
Betrieben verdrängt werden. Durch die Tarifeinheit entsteht nicht Solidarität, sondern Häuserkampf. Frau
Ministerin, Sie wissen anscheinend nicht, was Sie tun.
({5})
Ich habe in der Kleinen Anfrage natürlich ein paar
Daten abgefragt: die Zahl der kollidierenden Tarifverträge und auch, wie viele davon durch Kooperationen
aufgelöst wurden, die Streikhäufigkeit oder neue Berufsgewerkschaften. Die Antworten waren: keine Informationen, keine Angaben, keine Erkenntnisse. - Die Bundesregierung plant also ein verfassungswidriges Gesetz
und weiß nicht einmal, warum.
({6})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wissen
alle: Die Tarifpolitik der Gewerkschaften lebt von Solidarität. Tarifpluralität erfordert deshalb Kooperationen
zwischen den Gewerkschaften. Solidarität lässt sich aber
nicht verordnen und schon gar nicht gesetzlich erzwingen. Das ist im Übrigen auch nicht Aufgabe der Politik,
sondern Aufgabe der Gewerkschaften.
Wir Grüne stehen bei diesem Thema weder auf der
Seite der DGB-Gewerkschaften noch auf der Seite der
Berufsgewerkschaften, sondern ausschließlich auf der
Seite der Verfassung. Genau das erwarten wir von Ihnen
von den Regierungsfraktionen. Stoppen Sie also dieses
verfassungswidrige Gesetz. Noch haben Sie dafür Zeit.
Vielen Dank.
({7})
Als nächster Redner spricht Bernd Rützel von der
SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Frau Müller-Gemmeke, ich glaube, jeder in diesem Hause wie auch in den Länderparlamenten, Stadträten und Gemeinderäten steht immer auf der Seite der
Verfassung.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Losung „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ ist fast so alt wie
die Gewerkschaften selber. Dies ist seit jeher eine elementare Forderung der Arbeitnehmerseite gewesen. Es
geht darum, für gleiche Arbeit im Betrieb gleiche Bezahlung und auch gleiche Bedingungen zu gewährleisten.
Es geht um die Solidarität der Beschäftigten untereinander. Worum es jetzt geht und wofür wir Politiker sorgen
müssen, ist, die Zuständigkeiten zu klären. Für mich ist
entscheidend, dass dies nicht auf Kosten der Arbeitnehmervertretungen geschieht.
Lieber Klaus Ernst, Ihr Vortrag war, wie so oft, emotional, und Sie haben wie mancher andere gesagt: Es
wird ins Streikrecht eingegriffen.
({1})
Das trifft nicht zu.
({2})
Es wird nicht ins Streikrecht eingegriffen.
({3})
Sie haben kurz darauf gesagt, dass es in der Verantwortung der Arbeitsgerichte liegt, die Verhältnismäßigkeit eines Streiks zu beurteilen. Das war und ist der Fall,
und das wird auch in Zukunft so bleiben.
({4})
Als Jugendvertreter habe ich seinerzeit die Interessen
der Auszubildenden im Betrieb vertreten. Später wurde
ich freigestellter Betriebsrat. Deshalb weiß ich um die
Bedeutung der Tarifautonomie und darum, was wir ihr
zu verdanken haben. Was den vorliegenden Gesetzentwurf angeht, hat Bundesministerin Andrea Nahles diesen Weg sehr schön und deutlich skizziert.
Herr Kollege Rützel, lassen Sie eine Zwischenfrage
zu?
Ja.
Herr Ernst.
({0})
Lieber Bernd Rützel, die Frage, ob in das Streikrecht
eingegriffen wird, ist die Kernfrage bei dem Gesetzentwurf.
({0})
Würdest du mir zustimmen, dass dann, wenn eine Gewerkschaft nicht mehr durch Streik einen Tarifvertrag
erreichen kann, ein Eingriff in das Streikrecht gegeben
ist, auch wenn nicht ausdrücklich von einem Verbot des
Streikrechts die Rede ist?
Würdest du mir zustimmen, dass die derzeitige Rechtsprechung, nach der ein Streik nur dann zulässig ist,
wenn er der Erzielung eines Tarifvertrags dient, dann
nicht mehr möglich wäre aufgrund der Tatsache, dass
eine kleinere Gewerkschaft keinen Tarifvertrag mehr
erreichen kann, weil der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft gilt?
Würdest du mir zustimmen, dass dieser Umstand
dazu führt, dass diese kleinere Gewerkschaft faktisch
nicht mehr streiken kann und wird? Sie wird nicht mehr
streiken, weil sich die einzelnen Mitglieder sicherlich
fragen werden, warum sie streiken sollen, wenn das, was
sie erreichen wollen, ohnehin nicht dabei herauskommen
wird und vor allem auch nicht mehr herauskommen
kann. Denn ein solcher Streik würde selbstverständlich
von jedem Arbeitsgericht untersagt, weil er nicht den
rechtlichen Rahmenbedingungen der Republik entspricht, und es könnten auch Schadensersatzklagen der
Arbeitgeber drohen, die dazu führen, dass diese Gewerkschaft sozusagen gekillt wird.
Würdest du mir zustimmen, dass das in dem Gesetzentwurf so geregelt ist, wie ich es gerade dargelegt habe?
Da wurde mit vielen Konjunktiven beschrieben, was
alles passieren würde und könnte. Ich möchte den Weg
des Gesetzes aufzeigen, den auch Andrea Nahles klargestellt hat. Wenn es letztlich zu einer Tarifkollision
kommt, wenn sich also zwei Gewerkschaften auf einer
Wiese tummeln, sich um die gleiche Arbeitnehmergruppe kümmern und unterschiedliche Tarifverträge abschließen wollen, muss es möglich sein, festzustellen,
wessen Tarifvertrag gilt. Sonst bleibt es nicht beim Streit
zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber, was die Sozialpartnerschaft in Deutschland jahrzehntelang stark geBernd Rützel
macht hat, sondern dann kommt es verstärkt zum Streit
zwischen einzelnen Gewerkschaften.
({0})
Aber bis es so weit kommt, sind in diesem Gesetz ganz
viele Sachen vorgeschaltet. Ich kann Tarifgemeinschaften bilden,
({1})
ich kann mich zusammenschließen, ich kann einen Tarifvertrag abschließen, und der Nächste kann Teile ergänzen. Ich kann meine Zuständigkeiten abstimmen und sagen: Du bist für das zuständig, ich für jenes. - Die
kleinere Gewerkschaft kann den Tarifvertrag auch nachzeichnen. Es gibt also ganz viele Möglichkeiten für die
kleineren Gewerkschaften, zu ihrem Tarifvertrag zu
kommen. Das haben wir bis heute in Deutschland über
Jahrzehnte praktiziert.
Die Frage, ob jetzt eine kleine Gewerkschaft streiken
darf, wird auch von diesem Gesetz, wenn es denn verabschiedet wird, nicht entschieden. Die Gewerkschaft kann
natürlich streiken, wenn sie sich für zuständig hält und
glaubt, die Mehrheit zu haben. Dann muss natürlich festgestellt werden, ob sie wirklich die Mehrheit der Mitglieder hat. Wir haben jetzt auch bei der Bahn gesehen,
wie die Diskussion ist.
({2})
Der Weg, den wir mit diesem Gesetz hin zur Tarifpluralität gehen, ist richtig. Das ist auch ein ganz wichtiger
Befriedungsfaktor. Das Gesetz hat also eine Befriedungsfunktion. Es festigt gleichzeitig den Anspruch auf
Tarifautonomie, weil es zahlreiche Möglichkeiten
schafft, wie zwei Gewerkschaften eine Tarifkollision im
Betrieb aus eigener Kraft aufheben können. Ich finde es
richtig, wenn die Gewerkschaften interne Verteilungsfragen zunächst einmal untereinander lösen, bevor sie mit
gemeinsamen Forderungen und einer gemeinsamen Strategie in die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber gehen.
({3})
Das ist nicht nur meine Einschätzung; ich bin froh, dass
das auch die Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und ihres Vorsitzenden Reiner Hoffmann
ist, der immer wieder betont, wie wichtig die Geschlossenheit der Arbeitnehmervertretung ist. Deswegen ist
auch die Behauptung, die vorhin in der Zwischenfrage
geäußert wurde, die Gewerkschaften stünden nicht zu
dem Gesetz, falsch. Der Deutsche Gewerkschaftsbund
hat sich klar dazu positioniert. Auch ich weiß, dass es
die eine oder andere Gewerkschaft gibt, die das nicht so
gut findet.
Tarifautonomie und eine gute Sozialpartnerschaft sind
wichtige Eck- und Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Sie haben wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg
Deutschlands beigetragen. Es ist gut und richtig, dass
man sich streitet, dass man kämpft, sich die Köpfe einschlägt,
({4})
- das ist in Tarifverhandlungen so -, aber dann muss
man das Ganze befrieden. Man muss zu einem guten
Konsens kommen, damit wieder Frieden herrscht und
die Betriebe ihre Geschäfte machen können.
({5})
Konkurrierende Gewerkschaften schwächen das solidarische Miteinander und zersplittern Arbeitnehmervertretungen. Gewerkschaften sind dann erfolgreich, wenn der
Stärkere auch für den Schwächeren kämpft. Wenn man
genau hinschaut, dann sieht man auch, dass der vermeintlich Stärkere, der vielleicht jetzt die dicken Ellenbogen hat, nicht ohne den vermeintlich Schwächeren
durchkommt und ohne ihn nichts erreichen kann. Solidarität ist auch ein Gedanke dieses Gesetzes.
Danke.
({6})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja Keul das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist schon wirklich kurios: Da entscheidet
das Bundesarbeitsgericht im Juli 2010, dass der Zwang
zur Tarifeinheit mit Artikel 9 des Grundgesetzes nicht
vereinbar ist. Und was machen Sie von der Bundesregierung? Sie legen uns einen Gesetzentwurf vor, in dem genau das steht, was das Grundgesetz nicht zulässt.
({0})
Gleichzeitig behaupten Sie, Koalitionsfreiheit und
Streikrecht nicht zu beschneiden. Aber genau das
machen Sie, Frau Ministerin, mit Ihrer verordneten Tarifeinheit.
Das Bundesarbeitsgericht hat schlüssig argumentiert.
Die kollektive Koalitionsfreiheit dürfe nicht dadurch
entwertet werden, dass man einen geschlossenen Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft seiner Wirkung beraube. Das Bundesarbeitsgericht hat recht.
({1})
Nur die große Koalition, diesmal aus Arbeitgeberverbänden und großen Gewerkschaften, will das nicht
wahrhaben und ihre Interessen auf dem Rücken der kleinen Gewerkschaften durchsetzen.
Artikel 9 Grundgesetz gewährleistet das Vereinigungsrecht der Berufe vorbehaltlos und ohne Bezug auf
Mehrheitsberufe oder Ähnliches. Und jetzt kommen Sie
und wollen uns erklären, die Minderheitsgewerkschaften
hätten ja Anhörungsrechte, und außerdem erlaubten Sie
ihnen ein Nachzeichnungsrecht, das es ermöglicht, an
dem Tarifabschluss der Mehrheitsgewerkschaft zu partizipieren, wenn ihr bereits abgeschlossener Tarifvertrag
durch den neuen § 4 a Tarifvertragsgesetz - leider, leider - verdrängt worden sei. Da werden die Arbeitnehmer
bestimmt sehr dankbar sein, dass sie sich nun dem - für
sie möglicherweise nachteiligen - Tarif der anderen Gewerkschaft unterordnen dürfen. Das ändert aber nichts
daran, dass Sie der Minderheitsgewerkschaft ihre Existenzberechtigung absprechen.
({2})
Wer wird denn so irre sein und Beiträge an eine Gewerkschaft zahlen, die gar nicht wirksam verhandeln kann?
Die Arbeitnehmer werden so quasi gezwungen, die Gewerkschaft zu wechseln, wenn sie noch in irgendeiner
Weise Einfluss auf ihre Interessenvertretung haben wollen. Wenn das kein Eingriff in die individuelle Koalitionsfreiheit sein soll, was dann?
({3})
Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für einen
solchen Eingriff ist weit und breit nicht zu sehen. Es
droht weder eine Vervielfachung der Arbeitskämpfe
noch der Funktionsverlust der Friedenspflicht. Auch der
Betriebsfrieden wird nicht gefördert. Im Gegenteil: Die
Gewerkschaften müssen nun wesentlich härter Mitglieder anderer Gewerkschaften abwerben, um zu überleben,
nach dem Motto „The winner takes it all“.
Eine Gewerkschaft, die aufgrund des neuen § 4 a Tarifvertragsgesetz keinen wirksamen Tarifvertrag aushandeln kann, wird zur Durchsetzung von Verhandlungen
auch keinen Streik führen können, da der ja nicht geeignet ist, das gewünschte Ziel zu erreichen. Eine solche
Gewerkschaft ist ihres Wesenskerns beraubt; sie ist nicht
mehr geeignet, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen
zu wahren und zu fördern, und ist damit keine Vereinigung mehr im Sinne des Grundgesetzes. Sie kann vielleicht noch Doppelkopfturniere oder gesellige Betriebsfeste organisieren;
({4})
das ist aber nicht das, was unser Grundgesetz mit „Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ gemeint hat.
({5})
Erfolgreiche Tarifverhandlungen kann nur derjenige
führen, dessen Tarif hinterher auch Anwendung findet.
Da Sie hier nicht zur Vernunft kommen, bleibt wieder
einmal nur das Verfassungsgericht.
Noch ein letztes Wort. Frau Nahles, die Tarifeinheit,
wie das Bundesarbeitsgericht sie vor 2010 gehandhabt
hat, war eine andere als die, die Sie verordnen. Damals
galt nämlich der Spezialitätsgrundsatz, und jetzt gilt der
Mehrheitsgrundsatz. Deswegen ist Ihr Vorgehen erst
recht verfassungswidrig.
({6})
Als nächster Redner hat der Kollege Wilfried Oellers
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 2010 nahm das Bundesarbeitsgericht Abstand von seiner bis dato geltenden Rechtsprechung zur
Tarifeinheit. Galten für einen Betrieb mehrere Tarifverträge, so wurde die Tarifkollision nach dem Grundsatz
der Spezialität gelöst. Die Regel lautete: Ein Betrieb ein Tarifvertrag. Dies gilt seit 2010 nun nicht mehr. Weder das Gesetz noch die Rechtsprechung lösen derzeit
die Situation von Tarifkollisionen. Dies soll nun durch
das Tarifeinheitsgesetz geschehen.
Hierbei sind zwei wesentliche Grundsätze zu berücksichtigen und zu beachten: zum einen das Grundrecht
der Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 des
Grundgesetzes und zum anderen das hohe Gut des Betriebsfriedens. Beide Grundsätze sind es, die Deutschland zu Wohlstand und wirtschaftlichem Erfolg verholfen haben.
Der Gesetzentwurf sieht vor, Tarifkollisionen nach
dem Grundsatz des betrieblichen Mehrheitsprinzips zu
lösen. Dabei liegt eine Kollision nur dann vor, wenn sich
die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge
verschiedener Gewerkschaften überschneiden. Das
heißt, dass Vereinbarungen der betroffenen Gewerkschaften einer Lösung der Kollision nach dem Mehrheitsprinzip immer vorgehen. So können Gewerkschaften zum Beispiel ihre Zuständigkeiten untereinander
abstimmen und ihre Tarifverträge im Rahmen einer gewillkürten Tarifpluralität regeln und abklären.
({0})
Gewerkschaften können in Tarifgemeinschaften Tarifverträge aushandeln oder inhaltsgleiche Tarifverträge
abschließen, ohne in einer Tarifgemeinschaft verbunden
zu sein. Sie können auch den Tarifvertrag einer anderen
Gewerkschaft im Rahmen eines Anschlusstarifvertrags
nachzeichnen, oder sie können verbandsinterne Konfliktlösungsverfahren nutzen.
Herr Oellers, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Müller-Gemmeke zu?
Ja, gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich die Frage stellen
darf. - Es geht die ganze Zeit darum, was das Gesetz
überhaupt bewirkt bzw. warum das Gesetz gemacht
wird. Als Grund werden die vielen Kollisionen von
Tarifverträgen genannt. Sie haben eben all die Möglichkeiten aufgezählt, die Gewerkschaften haben, sich zu einigen. Das ist Realität; dafür braucht man kein Gesetz.
Ich möchte nachfragen: Wie viele Tarifkollisionen
gibt es eigentlich, die dazu führten, dass das Gesetz gemacht wird? Vorhin habe ich gesagt, dass ich dazu auf
die Kleine Anfrage keine Antwort bekommen habe. Ich
kenne genau zwei Kollisionen. Die Piloten haben keine
Kollision; denn sie haben keine Konkurrenz. Bei den
Ärzten gibt es eine Tarifkollision. Da gibt es aber momentan keine Probleme, sondern da werden einfach die
unterschiedlichen Tarifverträge angewandt. Wenn das
Tarifeinheitsgesetz kommt, werden dort die Probleme
erst richtig anfangen. Momentan gibt es jedoch eine
echte Kollision, und zwar bei der Bahn. Früher haben
sich EVG und GDL besprochen und einen Rahmenvertrag abgeschlossen. Dieser wurde dann aufgelöst. Ich
glaube, wenn es das Gesetz nicht geben würde, hätten
wir auch in diesem Bereich weniger Probleme.
Meine Frage lautet: Wie viele tatsächliche Kollisionen kennen Sie? Warum wird das Gesetz gemacht? Kann
es sein, dass das Gesetz nur wegen der Bahn gemacht
wird?
({0})
Das Gesetz wird sicherlich nicht nur wegen der Bahn
gemacht. Der aktuelle Streik ist auch ein Zuständigkeitsstreit, auf den ich gleich eingehen werde. Der Gesetzgeber hat aber vor allem dann vorsorglich zu handeln,
wenn - wie dargelegt - die Tarifpartner eine entsprechende Bitte an den Gesetzgeber herantragen. Es sind
die Gewerkschaften unter dem Dach des DGB genannt
worden, die damit nicht einverstanden sind. Insgesamt
aber liegt es an den Tarifpartnern, ob ein solcher Tarifvertrag gewünscht wird.
({0})
Es gilt sicherlich, bestimmte Fälle vorsorglich zu regeln.
({1})
- Wenn Sie das so sehen, müssen Sie das so zur Kenntnis nehmen.
Ich will aber fortfahren. Von Herrn Ernst wurde eingeworfen, dass es all die Möglichkeiten, die ich aufgezählt habe, schon gibt. Ich will betonen, dass gerade
diese Möglichkeiten den Gewerkschaften weiterhin zur
Verfügung stehen. Nur in einem Konfliktfall, der nicht
gelöst werden kann, greift erst einmal subsidiär die Kollisionsregel der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip.
Diese Regelung führt dazu, dass die Solidarität der Belegschaft untereinander gestärkt wird.
({2})
Schlüsselpositionen im Betriebsablauf, die ein höheres
Druckpotenzial im Hinblick auf den Arbeitgeber darstellen, können somit nicht lediglich zum eigenen Vorteil
und damit zulasten der anderen Kolleginnen und Kollegen genutzt werden. Dies dient dem Schutz der Schwächeren, verhindert innerbetriebliche Verteilungskämpfe
und dient dem hohen Gut des Betriebsfriedens.
Das Arbeitskampfrecht wird entgegen anderer Auffassung hier im Haus durch diese Regelung nicht geändert. Die Entscheidung, ob ein Arbeitskampf rechtmäßig
ist oder nicht, liegt nach wie vor bei den Arbeitsgerichten, die die Verhältnismäßigkeit und damit auch die
Rechtmäßigkeit eines Streiks in jedem Einzelfall zu prüfen haben. Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung sind sämtliche Umstände zu berücksichtigen, neben
dem Grundsatz der Tarifeinheit Strukturen des Arbeitgebers sowie die Reichweite von Tarifverträgen. Nur in
den seltensten Fällen haben die Arbeitsgerichte in der
Vergangenheit einen Streik für unverhältnismäßig erklärt. Selbst beim Streik der Vorfeldbeschäftigten am
Frankfurter Flughafen im Jahr 2012 sah das Arbeitsgericht weniger Probleme bei der Verhältnismäßigkeit.
Vielmehr lag hier ein Verstoß gegen die Friedenspflicht
vor, da noch ein gültiger Tarifvertrag bestand.
({3})
Für verhältnismäßig hielt das Arbeitsgericht Berlin im
Jahr 2013 gar einen Streik von angestellten Lehrern an
einem Tag, an dem Abiturprüfungen für einen Leistungskurs stattfanden. An diesen Beispielen sieht man
deutlich, welche Maßstäbe die Rechtsprechung bei der
Verhältnismäßigkeit setzt.
Über die Frage der Verfassungsmäßigkeit wird intensiv diskutiert. Die Verfassungsressorts sowie die Juristen
des Kanzleramts und des Arbeitsministeriums haben den
Gesetzentwurf für verfassungsgemäß gehalten; er ist
verabschiedet worden. Ebenfalls - auch das sei erwähnt - hat der Bundesrat in seiner ersten Lesung keine
Einwendungen gegen den Gesetzentwurf erhoben. Es sei
deutlich betont, dass alle in diesem Hause vertretenen
Parteien auch im Bundesrat vertreten sind.
Herr Oellers, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage
- eine Frage, einen Satz - vom Kollegen Ernst zu?
Gerne.
Ich mache es wirklich ganz kurz. - Sie stellen den Betriebsfrieden mit dem Koalitionsrecht gleich; das Koalitionsrecht ist in Artikel 9 des Grundgesetzes geregelt.
Wo finden wir im Grundgesetz den Betriebsfrieden?
({0})
Herr Ernst, das war nur eine Frage, ein Satz. Vielen
Dank. - Diese Frage haben wir schon im Rahmen der
letzten Diskussion über dieses Thema in diesem Hause
beantwortet. Sicherlich ist die Koalitionsfreiheit in der
Verfassung geregelt. Das hohe Gut des Betriebsfriedens
hat sich aus der Tarifpolitik an sich herausgebildet und
ist hier sicherlich auch zu berücksichtigen.
({0})
- Ich habe Ihre Frage gerade beantwortet.
({1})
Sicherlich gibt es in der derzeitigen Diskussion auch
kritische Stimmen zu dem Gesetzentwurf. In der Literatur gibt es aber auch befürwortende Stimmen zu diesem
Gesetzentwurf. Diese Diskussion zeigt vor allen Dingen,
dass Juristen bei derartigen Fragen nicht immer einer
Meinung sind. Der Gesetzentwurf stellt eine Ausgestaltung der Tarifautonomie dar und keinen Eingriff in dieselbige. Die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der
Tarifautonomie ist das legitime Ziel dieses Gesetzes.
Dies wird vor allen Dingen dadurch deutlich, dass die
Regelung der Tarifeinheit subsidiär greift und den Gewerkschaften alle Lösungen ermöglicht, die ich bereits
ausgeführt habe. Darüber hinaus steht den Minderheitsgewerkschaften im Falle einer Kollisionslösung durch
den Grundsatz der Tarifeinheit ein Anhörungs- und ein
Nachzeichnungsrecht zu.
Mit diesem Gesetzentwurf werden Zuständigkeitsfragen geregelt und damit Kollisionssituationen geklärt.
({2})
Dies dient insbesondere der Solidarität innerhalb der Belegschaft und der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit
der Tarifautonomie. Auseinandersetzungen über Zuständigkeitsfragen sind vor allem für die Bürgerinnen und
Bürger nicht nachvollziehbar. Deswegen wollen die
Menschen, dass diese Fragen beantwortet werden. Vor
2010 hat das mit der damaligen Rechtsprechung funktioniert,
({3})
wenn auch gewiss unter anderen Voraussetzungen. Doch
eines bleibt in jeder Konstellation gleich: Die beste Lösung bei einer Streitfrage bzw. einer Kollision ist, sich zu
einigen, auch wenn der Weg dorthin schwer sein kann.
Hierzu leistet das Gesetz seinen Beitrag.
Vielen Dank.
({4})
Als nächste Rednerin hat Jutta Krellmann von der
Fraktion Die Linke das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Zur Verfassungswidrigkeit hat Professor
Däubler im Auftrag unserer Fraktion ein Gutachten erstellt; mein Kollege Klaus Ernst hat das eben bereits erwähnt. Wie Professor Däubler warnt eine große Zahl von
Arbeitsrechtlern und anderen Juristen ausdrücklich vor
diesem Gesetz. Aber diese Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang echt beratungsresistent.
({0})
Dass Sie politisch nicht auf uns hören, kann ich ja verstehen. Geschenkt! Dass Sie aber eine ganze Menge anderer Juristen und Arbeitsrechtler ignorieren, kann ich
im Grunde nicht verstehen.
({1})
An dieser Stelle herrscht kollektive Ignoranz.
({2})
Zukünftig wird Gewerkschaftsarbeit, insbesondere
die der kleineren Gewerkschaften, erschwert. Deswegen
laufen diese Gewerkschaften gerade Sturm, teilweise vor
Ihren Parteizentralen, wie ich mitbekommen habe. An
der Basis der Industriegewerkschaften wurde dieses Gesetz nie wirklich diskutiert: weder in Tarifkommissionen
noch in Bezirken noch auf einer Betriebsversammlung
vor Ort mit den Beschäftigten.
({3})
Die Leute, die ich in den Betrieben treffe, wollen sich
und anderen das Streikrecht nicht nehmen lassen.
({4})
Ich kann das wirklich nicht verstehen, Frau Nahles.
Sie sind doch angetreten, um die Tarifautonomie zu stärken und um den Betriebsfrieden wiederherzustellen. Mit
diesem Gesetzentwurf erreichen Sie genau das Gegenteil, und zwar zum Nachteil der Beschäftigten.
({5})
Die Tarifautonomie muss ohne einen Eingriff in das
Streikrecht gestärkt werden. Das ist beispielsweise durch
die Ausweitung betrieblicher Mitbestimmung möglich.
Im Gesetzentwurf steht davon nichts.
({6})
Neben einem Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte bei
Leiharbeit und Werkverträgen ist ein erweitertes Mitbestimmungsrecht bei wirtschaftlichen Angelegenheiten,
zum Beispiel beim Outsourcing, absolut notwendig.
({7})
Das wäre einmal ein Lösungsansatz, der nach vorne gerichtet ist und die Beschäftigten beteiligt, statt sie auszuschließen.
Eine weitere Möglichkeit setzt direkt bei den Arbeitgebern an. Sie sollten sich in ihren Verbänden organisieren. Aber dann muss es auch so weit gehen, dass gesetzlich dafür gesorgt wird, dass geltende Tarifverträge
angewandt werden. Ich meine, bei einer echten Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen ist noch ganz viel Luft nach oben. Da
müsste noch viel gemacht werden. Schluss mit OT-Mitgliedschaften!
({8})
Ziel von Tarifverträgen ist es seit jeher, Konkurrenz auf
der Basis von Löhnen auszuschließen. Dazu brauchen
wir ein Streikrecht. Das gerät immer mehr aus dem
Blick. Im Grunde ist es die Aufgabe des Gesetzgebers,
die politischen Rahmenbedingungen zu stärken, damit
die Beschäftigten selbst - gemeinsam mit ihren Gewerkschaften - die Tarifeinheit durchsetzen.
Frau Nahles, das sind zwei wirksame Vorschläge zur
Stärkung der Tarifautonomie. Meine Liste ist noch lang.
Was auf dieser Liste an keiner Stelle steht, ist ein Gesetz
zur Herstellung der Tarifeinheit. Ihr Gesetz schwächt
langfristig alle Gewerkschaften. Davon bin ich felsenfest
überzeugt. Gerade deswegen sind Arbeitgeber so dahinterher, dass es zu einem solchen Gesetzentwurf kommt.
Ich kann die SPD nur warnen: Lassen Sie die Finger
weg! Hände weg vom Streikrecht!
({9})
Kommen Sie endlich zur Vernunft, und stoppen Sie dieses Gesetz, damit es gar nicht erst so weit kommt, dass
wir darüber abstimmen müssen!
Vielen Dank.
({10})
Als nächster Redner hat Ralf Kapschack von der
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer! Liebe Zuhörer! „Ein Arbeitnehmer ist
auf die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft angewiesen,
wenn er im sozialen Bereich angemessen und schlagkräftig repräsentiert sein will.“ Das stammt nicht aus
dem Grundsatzprogramm der SPD oder einer Broschüre
des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sondern aus einer
Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs von 1984.
Daran wird deutlich, welch hohen Stellenwert Gewerkschaften in unserem Land haben. Deshalb genießen sie
auch einen besonderen Schutz.
({0})
Gewerkschaften haben aber auch eine besondere Verantwortung. Es ist für mich selbstverständlich, dass Gewerkschaften für höhere Löhne, für kürzere Arbeitszeiten, für bessere Arbeitsbedingungen streiken können
- ich bin ja schließlich auch seit meinem ersten Arbeitstag Gewerkschaftsmitglied -; das steht für mich völlig
außer Frage. Aber es geht nicht, dass eine Spartengewerkschaft - wie in den vergangenen Wochen und Monaten versucht, ihren Einflussbereich in Konkurrenz zu anderen Gewerkschaften auf Kosten Hunderttausender unbeteiligter Fahrgäste auszuweiten - koste es, was es wolle.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Auseinandersetzung bei der Bahn ist wahrlich keine Katastrophe; aber
sie ist aus meiner Sicht ein Hinweis darauf, dass da einiges im Argen liegt.
({2})
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Spielregeln für Tarifauseinandersetzungen präzisiert.
({3})
Ich bin mir sicher, dass gerade bei diesem sensiblen
Thema die Bundesregierung die Verfassungsmäßigkeit
ihres Gesetzentwurfs sehr sorgfältig geprüft hat. Ich
glaube auch nicht, dass es verfassungswidrig ist, wenn
wir verhindern wollen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben gegeneinander in Wettbewerb treten, dass sie im Kampf um bessere Arbeitszeiten
oder bessere Löhne gegeneinander ausgespielt werden.
({4})
Das ist die Grundbotschaft dieses Gesetzes: „Ein Betrieb ein Tarifvertrag“. Konkurrierende Tarifverträge werden
nach dem Mehrheitsprinzip behandelt. So ist sicherge8642
stellt, dass zwei Personen für die gleiche Arbeit nicht unterschiedlich entlohnt werden, nur weil sie unterschiedlichen Gewerkschaften angehören.
({5})
Es wird auch in Zukunft problemlos möglich sein, dass
Gewerkschaften ihre jeweilige Zuständigkeit abstimmen
oder gemeinsam in einer Tarifgemeinschaft einen Tarifvertrag verhandeln.
Mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit ist in
dieser Debatte schon viel gearbeitet worden; damit ist
man schnell bei der Hand. Es gibt für diese Position auch
prominente Zeugen. Aber es gibt genauso prominente
Zeugen dafür, dass der vorliegende Entwurf natürlich
mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ich nenne zum Beispiel den ehemaligen Präsidenten des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs Michael Bertrams. Er
argumentiert, das Mehrheitsprinzip sei ein überragendes
Prinzip unserer Verfassung, das es dem Gesetzgeber erlaube, diesem Prinzip auch im Tarifrecht Geltung zu verschaffen, gerade auch was die oft angesprochene Auswirkung auf das Streikrecht angeht. Also wäre ich
vorsichtig, pauschal mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit zu arbeiten.
Der Marburger Bund hat angekündigt, dass er gegen
das Gesetz, sollte es verabschiedet werden - so sieht es
aus -, beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichen
wird. Das ist sein gutes Recht - völlig klar! Das Verfassungsgericht stellt im Zweifel verbindlich fest, ob Gesetze mit der Verfassung vereinbar sind oder nicht, aber
niemand sonst - weder Sie noch der Marburger Bund
noch ich. Dafür haben wir ein geregeltes Verfahren beim
Bundesverfassungsgericht. Ich bin da guter Dinge.
({6})
- Ja. Ich stelle das Nachdenken ja auch nicht ein; das
mache ich doch gar nicht.
({7})
Ich bin trotzdem guter Dinge, weil ich fest davon überzeugt bin, dass das Ministerium zusammen mit den Verfassungsressorts sehr sorgfältig gearbeitet hat.
Zum Schluss ein kurzer Hinweis zu dem Satz - das ist
immer angesprochen worden -, das neue Gesetz würde
die Gewerkschaften schwächen: Das sieht zumindest die
Mehrheit der deutschen Gewerkschaften ganz anders.
({8})
- Wie das manchmal so ist im Leben, Klaus: Ich bin für
dieses Gesetz, meine Gewerkschaft Verdi ist dagegen.
Du bist in der IG Metall, bist gegen dieses Gesetz, aber
deine Gewerkschaft ist dafür.
({9})
Manchmal ist das Leben bunt und kompliziert.
({10})
Auch der DGB hat den Gesetzentwurf begrüßt und einige konstruktive Änderungsvorschläge gemacht, über
die im Laufe der Beratungen sicherlich noch zu reden
sein wird.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Der Abgeordnete Henke hat das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich würde, weil jetzt so viel
von der Verfassungsproblematik die Rede war, gerne den
Blick auf das lenken, was Frau Ministerin Nahles in der
Debatte eingangs hervorgehoben hat, nämlich dass es
sich bei der Koalitionsfreiheit um ein Grundrecht handelt. Sie hat dann dazugesagt: Es ist nicht nur ein Freiheitsrecht. - Ich würde sagen: Kein Recht ist nur ein
Freiheitsrecht, sondern jedes Recht muss immer in Verantwortung - das heißt auch: in Verantwortung vor anderen - ausgeübt werden. Aber es ist eben auch ein Freiheitsrecht.
Ich will den Wortlaut von Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz noch einmal in Erinnerung rufen:
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen
zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf
gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.
({0})
Auch in Artikel 19 Absatz 2 Grundgesetz heißt es:
In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
({1})
Die Frage ist jetzt, ob ein Beruf, der im Betrieb natürlich immer eine Minderheit darstellt, nicht genau den
Wesensgehalt der Zusage aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz einbüßt, wenn man sagt: Wir machen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit von der Bedingung des Vorliegens einer betrieblichen Mehrheit abhängig.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Tatsache, dass
das ein Grundrecht ist, hebt die Koalitionsfreiheit und
damit das Regelungsrecht der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf das gleiche Niveau wie die Freiheit der
Meinung, der Kunst und der Wissenschaft, wie die Glaubens- und Gewissensfreiheit, wie die Versammlungsfreiheit, wie das Recht der Freizügigkeit, wie die Berufsfreiheit und wie das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis.
Wenn man die Koalitionsfreiheit zur Disposition einer
Mehrheit stellt, dann wird dieses Recht im Kern so verRudolf Henke
letzt, dass sich der Bundestag zurückhalten sollte, dies
zu tun.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Herr Kollege Kapschack.
Das war die Rede des Chefs des Marburger Bundes.
({0})
Das ist ja auch völlig in Ordnung.
({1})
- Darf ich zu Ende reden?
Ich darf die Kollegen um Ruhe bitten. Der Kollege
Kapschack hat jetzt das Wort als Reaktion auf die Intervention vom Kollegen Henke.
({0})
So. - Ich bin bei Verdi, Sie sind beim Marburger
Bund; alles ist in Ordnung.
({0})
- Doch, ich bleibe dabei.
Ich kann nur das wiederholen, was ich eben gesagt
habe: Ich bin der Meinung, dass wir die Koalitionsfreiheit nicht antasten. Wir regeln die tarifliche Auseinandersetzung neu, aber wir greifen nicht in Grundrechte
ein; da sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich vermute,
dass diese Frage letztendlich vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden wird.
Das, was Sie zitiert haben, ist völlig in Ordnung. Ich
muss ja nicht das Grundgesetz interpretieren oder Ihr Zitat werten. Wir als Koalition handeln. Auch Sie sind Teil
dieser Koalition, und aus Ihrer Fraktion gab es den besonders starken Wunsch, Regelungen in dieser Art und
Weise vorzunehmen. Es wäre vielleicht sinnvoll, in die
eigene Fraktion zu wirken.
({1})
Was Ihre Kritik angeht: Ich habe meine Position dargelegt. Ich halte den vorliegenden Gesetzentwurf für
verfassungsgemäß. Ob das so ist, darüber wird, wie gesagt, möglicherweise das Verfassungsgericht entscheiden. Dafür gibt es Regeln.
({2})
Wir fahren in der Debatte fort. Als nächster Redner
hat Stephan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie sind ein
hohes Gut, konstitutiv für die soziale Marktwirtschaft,
unverzichtbar für die Wirtschaftsordnung in Deutschland.
Kollege Henke hat eben das Grundgesetz zitiert. Ich
kann nur sagen: Es ist immer gut, im Grundgesetz nachzulesen. Die entscheidende Frage ist: Wird der Wesensgehalt des Grundrechtes, das Sie eben zitiert haben, angetastet? Wir haben es hier mit einem auslegungs- und
ausgestaltungsfähigen Sachverhalt zu tun. Genau darum
geht es bei den Fragestellungen, die wir klären müssen.
Wir wollen den Tarifpluralismus entsprechend mit
Leitplanken versehen, und zwar indem wir die Tarifeinheit im Betrieb wiederherstellen. Das ist das, was vor
2010 entsprechend galt, allerdings modifiziert in der
Form, dass das Mehrheitsprinzip gelten wird. Wir sind
uns, glaube ich, darin einig, dass das ein sehr komplexes,
durchaus anspruchsvolles Unterfangen ist, weil hier eine
Vielfalt von Rechtsfragen berührt ist, insbesondere auch
verfassungsrechtlicher Art. Deswegen gilt es, hier drei
Dinge zu beachten:
Zum Ersten: Der Grundsatz der Tarifeinheit gilt nur
subsidiär. Das heißt, die Kollision von Tarifverträgen,
die von konkurrierenden Gewerkschaften gemacht werden können, ist vermeidbar. Das erhöht letztlich den Einigungsdruck im Vorfeld des Streiks. Genau das ist ein
Ziel dessen, was wir uns vornehmen.
Zum Zweiten: Es gilt dann das betriebsbezogene
Mehrheitsprinzip, es gilt der Tarifvertrag, der in der Belegschaft die größte Akzeptanz hat - und das nach dem
Prinzip der Mehrheit. Der Vorsitzende der Gewerkschaft
IG Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, hat
erklärt - ich zitiere aus einer Nachricht von heute -:
Wir wollen das Mehrheitsprinzip als Grundlage der
Entscheidung, welcher Tarifvertrag die Arbeitsund Entlohnungsbedingungen in einem Betrieb regelt. Das ist Demokratie pur.
({0})
Das zeigt: Das Mehrheitsprinzip ist eine Maßeinheit,
die im Grundgesetz und vielen anderen Dingen auch ent8644
sprechend angelegt ist. Wir machen das Ganze betriebsbezogen; genau darauf hat das BAG in ständiger Rechtsprechung in dem Zeitraum bis 2010 Wert gelegt. Das ist
auch die schonendere Regelung gegenüber allen anderen
Überlegungen, beispielsweise wenn es um die Unternehmensbezogenheit geht. Das eröffnet gerade kleineren
Gewerkschaften die Möglichkeit, in entsprechenden Betrieben häufiger die Mehrheit zu stellen.
Zum Dritten: Es gibt keinen Eingriff in das Streikrecht, das Arbeitskampfrecht wird nicht geändert. Gerade das Arbeitskampfrecht ist ja Mittel zur Sicherung
der Tarifautonomie. Hier wollen wir das Prinzip der Einzelfallbetrachtung entsprechend weiterhin gelten lassen.
({1})
Wir wissen, die Bundesregierung hat hier die Sozialpartner im Vorfeld sehr eng eingebunden; das haben wir
auch im Koalitionsvertrag so verabredet gehabt. Die
BDA unterstützt das Vorhaben. Beim DGB haben wir
kein einheitliches Bild mehr. Es kommt natürlich Kritik
vonseiten der Sparten- und Berufsgewerkschaften. Wen
soll es wundern? Klar, es geht um die Existenz, es geht
um den Einfluss. Allerdings nehmen wir ihnen nicht die
Tariffähigkeit.
Richtig ist: Es gibt - vielfach vorgetragen - verfassungsrechtliche Bedenken. Diese Einwände waren allerdings vorhersehbar. Deswegen haben sich ja auch die
beiden Verfassungsressorts Bundesinnenministerium
und Bundesjustizministerium zusammengetan mit dem
BMAS und geprüft, ob die vorgesehenen gesetzlichen
Regelungen in Einklang mit Artikel 9 Absatz 3 des
Grundgesetzes stehen. Am Ende haben sie diese Frage
mit Ja beantwortet. Der Vorsitzende der Gewerkschaft
IG Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, hat
auch zu diesem Thema heute etwas gesagt - ich zitiere
aus der gleichen Nachricht -:
Nur Nein zu sagen, besorgt zu sein und das Lied der
Klientelgewerkschaften zu pfeifen, das ist absolut
zu wenig.
({2})
Recht hat er.
({3})
Am Ende müssen wir natürlich auch den Befund zur
Kenntnis nehmen, zu dem das BMAS gemeinsam mit
den Verfassungsressorts gekommen ist: kein Eingriff,
der verfassungswidrig wäre. Diesen Befund muss man
natürlich nicht teilen, aber auf jeden Fall entsprechend
zur Kenntnis nehmen. Wir haben hier durchaus grundrechtsschonende Lösungen gefunden. Das Thema der
Verfassungsgemäßheit wird sicherlich auch die weiteren
Beratungen maßgeblich prägen und tragen.
Dabei wird für mich auch klar sein: Dieses Gesetz hat
vor allem einen Präemptivcharakter, ist vorbeugend. Es
geht vor allem darum, zu verhindern, dass einige wenige, die eine Schlüsselposition haben, einen Vorteil daraus ziehen und sich diese Schlüsselposition entsprechend prämieren lassen. Wir sollten darauf achten, dass
wir nicht erst warten, bis das Haus, bis der Betrieb lichterloh brennt, sondern tatsächlich frühzeitig die Feuerwehr rufen. Genau das tun wir mit diesem Gesetz. Ich
freue mich auf die Beratungen.
Herzlichen Dank.
({4})
Vielen Dank.
({0})
- Bevor wir in der Debatte fortfahren, möchte ich die
Kolleginnen und Kollegen bitten, sich zu setzen. Wir
werden noch mehrere Abstimmungen haben, bevor wir
überhaupt zur Wahl des Mitglieds des Vertrauensgremiums kommen. Da es also noch etwas dauert, setzen Sie
sich bitte.
Ich habe auch noch die Bitte an Sie, dass Sie die Gespräche miteinander beenden bzw. auf jeden Fall den
Lärmpegel senken. So etwas ist den Rednerinnen und
Rednern gegenüber einfach unkollegial.
({1})
Herr Weiß, Sie haben das Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was kommt mit diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung wirklich auf uns zu?
({0})
Erstens. In Deutschland gibt es große Gewerkschaften, und es gibt kleine Gewerkschaften. Auch in Zukunft
wird es in Deutschland große Gewerkschaften und
kleine Gewerkschaften geben; denn jeder von uns, jede
Bürgerin und jeder Bürger, darf der Organisation beitreten, der er beitreten will. Das gilt übrigens auch für jeden
Arbeitgeber. Jeder Arbeitgeber darf der Arbeitgeberorganisation beitreten, der er beitreten will. Daran ändert
dieses Gesetz nichts. Es bestätigt die Koalitionsfreiheit,
die in Deutschland herrscht und grundgesetzlich geschützt ist.
({1})
Zweitens. Es wird hier in dieser Debatte in Sachen
Streikrecht ein Popanz aufgebaut. Nein, dieses Gesetz
enthält keine neuen Regelungen zum Streikrecht. Es
kann auch in Zukunft gestreikt werden. Das Einzige ist
- dabei bleibt es -: Ich kann vor ein Arbeitsgericht ziehen und die Verhältnismäßigkeit eines Streiks überprüfen lassen. Das war in der Vergangenheit so und wird
auch in Zukunft so sein. Daran ändert unser Gesetzentwurf nichts.
Peter Weiß ({2})
({3})
Drittens. Es findet eine heftige Debatte über die Verfassungsmäßigkeit statt. Kluge Juristinnen und Juristen
äußern sich dazu. Ich bin schon ein bisschen erstaunt darüber, wie viele Kolleginnen und Kollegen hier selber
gerne Bundesverfassungsrichter spielen möchten. Um
die Debatte etwas zu erweitern, will ich vortragen, was
der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, heute in einem bemerkenswerten Beitrag in der Welt gesagt hat: Gesetzliche Regelungen - wie wir sie planen -, die der Vermeidung von
Tarifkollisionen dienen, sind keine Regelungen, die in
das Koalitionsrecht eingreifen, sondern solche, die vielmehr die Tarifautonomie sichern. Er sagt wörtlich:
Solche Regelungen zur Tarifeinheit stellen daher
eine Ausgestaltung des Tarifvertragssystems und
keinen Eingriff in die Koalitionsfreiheit im verfassungsrechtlichen Sinne dar.
Bemerkenswert, was doch ein ehemaliger Präsident des
Verfassungsgerichts uns da sagt: Jawohl, genau so kann
man es machen. - Klar, es gibt auch Gegenmeinungen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es war das Verfassungsgericht selbst, das in einer Entscheidung Folgendes formuliert hat: Es ist eben Aufgabe der Koalitionen, dass sie das Arbeitsleben sinnvoll gestalten, dass sie
das Arbeitsleben befrieden. - Gestalten und Befrieden
sind also Aufträge, die uns das Verfassungsgericht ausdrücklich gegeben hat. Dann kann es nicht falsch sein,
dass wir als Koalition einen solchen Gesetzentwurf vorlegen.
({4})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was wird in der
Realität denn passieren? Werden tatsächlich kleinere Gewerkschaften unterdrückt werden? Es geht ja nicht um
Groß und Klein im Ganzen, sondern es geht um die
Frage: Wie sieht es konkret in einem Betrieb aus, in dem
zwei Gewerkschaften um die gleiche Beschäftigtengruppe - auch das noch! - konkurrieren?
Der große Bahnkonzern besteht aus über 300 einzelnen Betrieben. Nur in etwa 60 Betrieben überhaupt gibt
es eine solche Kollision, in den anderen überhaupt nicht.
Wenn man ungefähr abschätzt, wenn man abzählt, dann
kommt man darauf, dass in etwa 40 dieser 60 Betriebe
die große Gewerkschaft EVG eine Mehrheit haben
würde, aber in 20 Betrieben die kleinere Gewerkschaft
GDL.
({5})
Oder nehmen wir die großen Krankenhäuser in unserem Land. In vielen Krankenhäusern wird, wie man nach
dem Abzählen feststellen würde, wahrscheinlich Verdi
die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter organisiert
haben.
({6})
Aber angesichts des hohen Organisationsgrades der angestellten Ärztinnen und Ärzte beim Marburger Bund
wird es auch Krankenhäuser geben, in denen, wie man
nach dem Abzählen feststellen würde, der Marburger
Bund die Mehrheit hat. Das heißt, die Behauptung, kleinere Gewerkschaften würden gänzlich verschwinden,
stimmt gar nicht. Große wie kleine Gewerkschaften werden sich sehr wohl überlegen, ob sie es auf das Abzählen
ankommen lassen.
({7})
Es gibt bewährte Methoden, Tarifkollisionen aufzulösen. Eine, die sich zwischen Verdi und dem Deutschen
Beamtenbund im öffentlichen Dienst bewährt hat, ist,
eine Tarifgemeinschaft zu bilden und gemeinsam zu verhandeln. Es gibt die Methode, in getrennten Räumen und
an getrennten Orten parallel Tarifverträge zu verhandeln
mit dem Ziel, zu einem gleichen Abschluss zu kommen.
Es gibt die ebenfalls bewährte Methode, dass man sich
die Aufgaben teilt und sagt: Die eine Gewerkschaft ist
für die eine Beschäftigtengruppe im Betrieb zuständig
und schließt einen Tarifvertrag, die andere Gewerkschaft
ist für die andere Beschäftigtengruppe zuständig. - Genau das sind doch Methoden, die in der Vergangenheit
dazu geführt haben, dass bei uns Arbeitnehmerinteressen
stärker und besser durchgesetzt wurden als anderswo.
({8})
In Wahrheit geht es darum, mit dem Gesetzentwurf
das zu stärken, was uns in Deutschland stark gemacht
hat: gelebte und funktionierende Sozialpartnerschaft, gelebte und funktionierende Tarifautonomie. Das war es,
was den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
Deutschland gute Löhne und den Unternehmen in unserem Land großen wirtschaftlichen Erfolg gebracht hat.
Wir wollen Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie stärken. Das ist der eigentliche Inhalt dieses Gesetzes.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
den Drucksachen 18/4062 und 18/4184 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 g und
17 sowie Zusatzpunkt 2 auf. Hierbei handelt es sich um
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 23 a auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
vom 11. April 2014 über die Beteiligung der
Republik Kroatien am Europäischen Wirtschaftsraum
Drucksache 18/4052
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0})
Drucksache 18/4221
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4221,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4052 anzunehmen.
Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 23 b bis
23 g. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 23 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 151 zu Petitionen
Drucksache 18/4101
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält
sich jemand? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese
Sammelübersicht einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 23 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 152 zu Petitionen
Drucksache 18/4102
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 23 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 153 zu Petitionen
Drucksache 18/4103
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Sammelübersicht ebenfalls
einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 23 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 154 zu Petitionen
Drucksache 18/4104
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 23 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 155 zu Petitionen
Drucksache 18/4105
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Sammelübersicht angenommen worden mit den Stimmen der Koalition und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke.
Tagesordnungspunkt 23 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 156 zu Petitionen
Drucksache 18/4106
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Sammelübersicht angenommen worden mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({7})
zu dem Bericht der Kommission an den Rat
und das Europäische Parlament
Die angestrebte Umsetzung harmonisierter
Rechnungsführungsgrundsätze für den öffentlichen Sektor in den Mitgliedstaaten
Die Eignung der IPSAS für die Mitgliedstaaten
KOM({8})114 endg.; Ratsdok. 7677/13
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des
Grundgesetzes
Drucksachen 18/3618 Nr. C.1, 18/4182, 18/4198
Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/4182 und 18/4198, in
Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung nach ArVizepräsidentin Edelgard Bulmahn
tikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden.
Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({9})
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens
Drucksache 18/4181
Mir liegt eine Wortmeldung für eine Erklärung nach
§ 31 der Geschäftsordnung vor. Das Wort hat zunächst
der Kollege van Aken.
({10})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte ganz kurz begründen, warum wir gegen Ihren
Antrag stimmen werden. Sie wollen gleich die Immunität der Abgeordneten Nicole Gohlke von den Linken
aufheben, weil sie auf einer Demonstration in München
eine Fahne der kurdischen PKK hochgehalten haben
soll. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich verstehe das
überhaupt nicht.
({0})
Seit einem Dreivierteljahr wird in allen Fraktionen,
auch bei Ihnen in der CDU/CSU-Fraktion, darüber diskutiert, dass wir das Verhältnis zur PKK neu klären sollten, weil die PKK im Moment einen so wichtigen Beitrag im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ leistet und
weil - auch das wissen Sie - die PKK seit Jahren in der
Türkei einen Waffenstillstand ausgerufen und befolgt
hat. Sogar die türkische Regierung verhandelt im Moment über eine Friedenslösung mit dem PKK-Führer
Abdullah Öcalan. Deswegen finde ich diesen Antrag
ziemlich absurd.
({1})
Um einmal klarzumachen, worum es geht - ich habe
lange gesucht und bin dann im Verfassungsschutzbericht
fündig geworden -: Das ist die Fahne, um die es geht,
die Fahne der verbotenen PKK.
({2})
Das ist die Fahne, unter der im August letzten Jahres
mehrere Zehntausend Jesidinnen und Jesiden freigekämpft worden sind.
({3})
Das ist die Fahne, unter der Kobane befreit worden ist.
Herr van Aken, bitte unterlassen Sie das.
Ich würde gerne meine Rede zu Ende führen.
({0})
Das ist die Fahne, unter der Kobane befreit worden
ist. Sie selbst von der CDU/CSU und der SPD haben dafür gestimmt, die Peschmerga mit Waffen zu beliefern.
Es waren die Amerikaner, die den Kampf unter dieser
Fahne in Kobane mit Luftschlägen unterstützt haben. In
dieser Situation wollen Sie hier Menschen strafrechtlich
verfolgen, weil sie so eine Fahne zeigen? Ich kann das
überhaupt nicht nachvollziehen.
({1})
Herr Kauder, Sie regen sich hier gerade so auf. Nach
dieser Logik müsste heute auch Ihre Immunität aufgehoben werden. Denn Sie haben im letzten Jahr Waffenlieferungen an die PKK in die Diskussion gebracht.
({2})
Nach dieser Logik müssten auch Sie mit einem Strafverfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung belegt werden.
({3})
Ich will das nicht.
({4})
Sie wollen das bestimmt auch nicht. Aber wenn Sie das
nicht wollen, dann dürfen Sie heute auch nicht die Immunität der Abgeordneten Nicole Gohlke aufheben.
({5})
Um eines noch zum Schluss klarzumachen: Es geht
hier nicht um Sonderrechte für Abgeordnete.
({6})
Denn Volker Kauder und Nicole Gohlke sind nicht allein.
({7})
Es gibt viele Hunderttausend Menschen hier in Deutschland, die ständig bedroht sind, kriminalisiert zu werden,
weil sie sich offen und öffentlich zur PKK bekennen
wollen. Ich finde, sie sollen das tun dürfen. Deswegen
werde ich diesen Antrag ablehnen.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte.
({8})
Herr van Aken, ich erteile Ihnen hiermit offiziell einen Ordnungsruf. Es ist nicht zulässig, dass Sie hier
Symbole verbotener Organisationen zeigen.
({0})
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Herr Kauder, Sie haben das Wort.
({1})
Was wir hier gerade erlebt haben, ist ein unglaublicher, zumindest ein unkollegialer Vorgang, den es im
Deutschen Bundestag so noch nicht gegeben hat, seit ich
dem Bundestag angehöre.
({0})
Sie wissen ganz genau, dass nicht der Immunitätsausschuss und auch nicht der Deutsche Bundestag darüber
entscheiden, ob sich eine Kollegin oder ein Kollege in irgendeiner Form strafbar gemacht hat.
({1})
Wir haben in diesem Rechtsstaat Gott sei Dank eine
klare Trennung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative.
({2})
Aber Sie - ich weiß nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht
({3})
und über was in Ihrer Gruppe alles diskutiert wird - wollen Judikative und Legislative offenbar vermischen
({4})
und selbst entscheiden, ob eine Staatsanwaltschaft ein
Ermittlungsverfahren gegen jemanden einleitet oder
nicht.
({5})
Wir entscheiden nur auf Antrag einer Staatsanwaltschaft, die ein Ermittlungsverfahren durchführen will, ob
wir die Genehmigung dazu erteilen oder nicht. Sie haben
hier etwas ganz anderes getan. Es war zumindest ein
sehr unkollegialer Vorgang, dass Sie in diesem Zusammenhang mich genannt haben. Gegen mich ist kein Ermittlungsverfahren angestrengt.
({6})
So etwas habe ich noch nicht erlebt. Da kann ich nur sagen: Es ist ganz übel von Ihnen, eine solche persönliche
Attacke zu reiten!
({7})
Jetzt wünscht der Fraktionsvorsitzende der Linken
das Wort. - Herr Gysi, bitte.
({0})
Lieber Herr Kauder, ich habe Ihnen zugehört. Sie haben das Verhalten als unkollegial bezeichnet. Ich sehe
das umgekehrte Verhalten als unkollegial an; ich will das
auch begründen.
({0})
Sie haben in Bezug auf die Trennung von Legislative,
Exekutive und Judikatur völlig recht; da stimme ich Ihnen vollinhaltlich zu. Aber das Immunitätsrecht ist ja aus
einem bestimmten Grund in die Verfassung aufgenommen worden. Das Wichtige, wenn die Immunität nicht
aufgehoben werden würde, wäre ein Signal an die Gesellschaft, dass wir damit Schluss machen wollen, auch
im Hinblick auf die anderen Bürgerinnen und Bürger.
Das ist kein Privileg, sondern ein wichtiges Signal.
({1})
Jetzt hat Herr Wadephul das Wort. - Herr Wadephul,
kommen Sie doch nach vorne.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die beiden Wortmeldungen aus den Reihen der
Linksfraktion veranlassen mich, in dieser Debatte als
Vorsitzender des zuständigen Ausschusses und möglicherweise auch namens der Mehrheit des Ausschusses
ganz kurz das Wort zu ergreifen.
Wir können in einer innenpolitischen Debatte oder,
Herr Kollege van Aken, auch in einer außenpolitischen
Debatte gerne kontrovers über die Frage „Wie gehen wir
mit den Kurden um?“ diskutieren.
({0})
Dieser Ausschuss wahrt aber das Immunitätsrecht, das
grundgesetzlich gewährt wird für die Mitglieder dieses
Hohen Hauses. Ich glaube, es diskreditiert dieses Grundrecht und es diskreditiert die Arbeit dieses Ausschusses
und damit auch die Arbeit des Hohen Hauses, wenn es
auf diese Art und Weise von Ihnen politisiert wird, wie
wir es gerade eben von Ihnen erlebt haben.
({1})
Das Immunitätsrecht des Bundestages, welches sich
auf das Grundgesetz stützt - Herr Kollege Gysi, von Jurist zu Jurist -, gewährleistet nach einhelliger Kommentierung und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Funktionsfähigkeit des Bundestages aus
bitterer historischer Erfahrung der Weimarer Zeit. Es soll
aber gerade nicht - und das ist das, was Sie hier von uns
verlangt haben - den Abgeordneten von der individuellen Strafverfolgung befreien und somit gegenüber dem
normalen Bürger, auf den Sie in diesem Hause häufig
großen Wert legen, in irgendeiner Weise privilegieren.
({2})
Wir sind nicht besser gestellt als die Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes, sondern wir sind vor dem Gesetz
alle gleich.
({3})
Jetzt erhält die Kollegin Haßelmann das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Das
Immunitätsrecht eignet sich in keiner Weise für einen
politischen Schlagabtausch, um das einmal in aller Deutlichkeit zu sagen.
({0})
Ich finde es bedauerlich, dass heute zum wiederholten
Mal eine Immunitätsentscheidung dazu benutzt wird,
eine politische Auseinandersetzung und Debatte zu einem sehr politischen und sehr notwendig zu diskutierenden Thema auf diese Weise zu platzieren, Herr van
Aken.
({1})
Ich habe damit ein Problem, und zwar nicht in der Sache, um das ganz deutlich zu sagen.
Wir haben am vergangenen Freitag über das politische Thema PKK-Verbot diskutiert. Man kann sehr wohl
über die Frage diskutieren, ob es richtig ist, dass das
PKK-Verbot bei uns gilt. Darüber kann man streiten.
Man kann das auch neu bewerten. Man kann das abwägen und die Frage stellen: Wie nehmen wir die Organisation der PKK und ihre Tätigkeit im Inland wahr? Wie
nehmen wir das im Ausland wahr? Das haben wir letzten
Freitag in einer politischen Debatte getan.
Zum wiederholten Mal ist es aber so, dass Sie die
politische Auseinandersetzung mit einer immunitätsrechtlichen Entscheidung vermischen und das coram publico gerne diskutiert hätten. Ich halte das für falsch.
Trotzdem will ich an dieser Stelle noch einige Sätze
zum Abstimmungsverhalten meiner Fraktion sagen. Wir
werden uns heute der Stimme enthalten.
({2})
- Bleiben Sie ganz ruhig. Die Kollegen Ihrer Fraktion,
die Mitglied im Immunitätsausschuss sind, haben meine
Argumente dafür sehr deutlich gehört. Leider können
Sie sich kein ausführliches Bild darüber machen, weil
der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages
aus guten Gründen nicht mit 631 Abgeordneten tagt,
sondern ein vertrauliches, nichtöffentlich tagendes Gremium ist. Deshalb sage ich heute auch etwas dazu.
Ich kann die Argumentation des Ausschussvorsitzenden zum Immunitätsrecht nur unterstreichen, und ich
teile sie. Unsere Fraktion wird sich heute auch nicht deshalb enthalten, weil wir die Frage eines politischen
PKK-Verbotes hier grundsätzlich diskutieren. Wir werden auch nicht über das Strafmaß urteilen; denn ich bitte
Sie: Wo sind wir denn hier? Das steht uns im Deutschen
Bundestag, im Parlament, überhaupt nicht zu.
Der einzige Grund, der mich veranlasst hatte, mich im
Immunitätsausschuss anders als die Kollegen zu verhalten, war, dass die Kollegin noch Verfahrensfragen hatte,
denen ich stattgegeben hätte. Das ist der einzige Grund.
Es geht hier also nicht um eine politische Bewertung des
PKK-Verbotes und deren Aktualität, und es geht auch
nicht um eine Bewertung der Bemessung des Strafmaßes.
Wir bringen durch unsere Enthaltung einzig und allein das Argument „Ich habe noch Fragen zum Verfahren“ zum Ausdruck - nicht mehr und nicht weniger.
({3})
Damit kommen wir jetzt zur Abstimmung über den
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Straf-
verfahrens.
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/4181, die Genehmigung zur
Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt zwei
Wahlen nacheinander durchzuführen, für die Sie Ihren
blauen und Ihren gelben Wahlausweis benötigen. Die
Wahlausweise können Sie, soweit noch nicht geschehen,
Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Bitte
achten Sie darauf, dass die Wahlausweise auch Ihren Na-
men tragen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremi-
ums gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundeshaus-
haltsordnung
Drucksache 18/4166
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt auf Drucksa-
che 18/4166 den Abgeordneten Eckhardt Rehberg vor.
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich um Ihre Auf-
merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren:
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Laut Gesetz ist gewählt, wer die Stimmen der Mehr-
heit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das
heißt, wer mindestens 316 Stimmen erhält. Diese Wahl
erfolgt mit Stimmkarte und Wahlausweis in der Farbe
Blau. Die Stimmkarten werden im Plenarsaal verteilt.
Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, dann besteht
jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Plenarassisten-
ten zu erhalten. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem
Kreuz bei „ja“, „nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig
sind demzufolge Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr
als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.
Das alles gilt im Übrigen auch später für die weitere
Wahl.
Diese Wahl findet offen statt. Sie können Ihre Stimm-
karte also an Ihrem Platz ankreuzen. Das haben Sie
größtenteils schon getan. Bevor Sie die Stimmkarte in
eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den
Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen
Ihren blauen Wahlausweis. Der Nachweis der Teilnahme
an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlaus-
weises erbracht werden.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen be-
setzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Wahl.
Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich jetzt die Wahl. Ich möchte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer bitten, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums ge-
mäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha-
nismusgesetzes
Drucksache 18/4167
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt auf Druck-
sache 18/4167 den Abgeordneten Volkmar Klein vor.
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich erneut um Ihre
Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfah-
ren.
Diese Wahl ist geheim, meine sehr geehrten Kollegin-
nen und Kollegen. Zur Wahl sind die Stimmen der Mehr-
heit der Mitglieder des Bundestages, das heißt mindes-
tens 316 Stimmen, erforderlich.
Sie benötigen jetzt Ihren gelben Wahlausweis sowie
einen Stimmzettel mit Wahlumschlag. Den gelben
Stimmzettel mit Umschlag erhalten Sie an den Ausgabe-
tischen neben den Wahlkabinen. Da die Wahl geheim ist,
dürfen Sie Ihren Stimmzettel nur in einer der Wahlkabi-
nen ankreuzen und müssen ihn dort in den Wahlum-
schlag legen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer
sind verpflichtet, jeden zurückzuweisen, der seinen
Stimmzettel außerhalb der Wahlkabine angekreuzt oder
in den Umschlag gelegt hat. Die Wahl kann in diesem
Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden.
1) Ergebnis Seite 8658 D
Die Regelungen zur Gültigkeit der Stimmzettel sind
Ihnen bekannt. Bevor Sie den Stimmzettel in eine der
aufgestellten Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte
Ihren gelben Wahlausweis einem der Schriftführer an
der Wahlurne.
Ich möchte jetzt die Schriftführerinnen und Schrift-
führer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. -
Das ist, soweit ich sehe, der Fall. Damit eröffne ich auch
diese Wahl.
Haben alle Mitglieder des Hauses - auch die Schrift-
führerinnen und Schriftführer - ihre Stimmzettel ab-
gegeben? Gibt es hier noch jemanden, der an der Wahl
teilnehmen möchte, dies auch kann, bisher seinen
Stimmzettel aber nicht abgegeben hat? - Ich sehe, das ist
nicht der Fall. Alle haben ihre Stimmzettel abgegeben.
Dann schließe ich hiermit die Wahl und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Beschäftigungssituation von Frauen
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
das Wort die Kollegin Sabine Zimmermann von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Den Internationalen Frauentag am Sonntag
werden viele Frauen nicht feiern können. Sie werden in
Läden stehen und hinter den Kassen sitzen; denn der
8. März ist vielerorts ein verkaufsoffener Sonntag.
({0})
Von Feierlichkeit bleibt da wenig übrig - genauso wie
beim Blick auf den Arbeitsmarkt für Frauen. Auch wenn
die Bundesregierung sich wieder für die Entwicklung am
Arbeitsmarkt bejubeln wird, gibt es für viele Frauen keinen Grund zur Freude.
Ja, Sie haben recht: Immer mehr Frauen sind erwerbstätig und gut ausgebildet; und das ist gut so.
({1})
Sie arbeiten aber viel zu oft zu niedrigen Löhnen, in un-
freiwilliger Teilzeit, befristet und in Minijobs. Ich sage
Ihnen: Es ist eine Frechheit, dass Frauen für die gleiche
Arbeit immer noch so viel weniger Geld bekommen als
die Männer.
2) Ergebnis Seite 8658 D
Sabine Zimmermann ({2})
({3})
Ganze 22 Prozent werden ihnen vorenthalten. Das kann
doch wirklich nicht wahr sein!
Der Skandal geht aber weiter: 31 Prozent der Frauen
arbeiten für Niedriglöhne. Weshalb müssen Frauen häufiger als Männer ihren Lohn ergänzend mit Hartz IV aufstocken, obwohl sie die Minderheit der Beschäftigten
ausmachen? Über 700 000 Frauen müssen sich zusätzlich Geld vom Amt holen, weil sie von ihrem Lohn nicht
leben können.
Was hat das noch mit dem Gleichheitsgebot des
Grundgesetzes zu tun, wenn Frauen trotz Arbeit so viel
häufiger von Armut bedroht sind? 9 Prozent waren es in
2013. Das heißt, jede elfte Frau ist trotz Arbeit arm. Das,
meine Damen und Herren, ist ein Armutszeugnis. Hier
wird Altersarmut ganz bewusst von der Regierung vorprogrammiert. Und das ist eine Sauerei!
({4})
Viele Frauen sind wegen zu niedriger Verdienste arm.
Zusätzlich steigt die Armutsgefährdung stark mit der zunehmenden Teilzeitbeschäftigung.
Hören Sie gut zu, meine Damen und Herren, das sind
die Fakten. Ich weiß, diese Fakten gefallen gerade Ihnen
von der CDU/CSU nicht, denn sie passen nicht in Ihr
Bild von einer schönen Arbeitswelt: Zwischen 2001 und
2014 ist die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen um
925 000 auf 7,5 Millionen zurückgegangen. Gleichzeitig
stieg die Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen um
2,5 Millionen auf 6,3 Millionen. Hinzu kommen noch
3,4 Millionen Frauen, die ausschließlich einen Minijob
haben.
Ich weiß, gerade die Kollegen von CDU und CSU
werden mir gleich erklären, dass die meisten Frauen freiwillig auf Vollzeit verzichten. Das ist blanker Unsinn.
Wie soll denn eine alleinerziehende Mutter angesichts
schlechter Kinderbetreuungsmöglichkeiten regelmäßig
in den Abendstunden oder am Wochenende in der Kranken- oder Altenpflege arbeiten? Wenn in frauentypischen Berufen mit einem hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigung wie zum Beispiel im Einzelhandel, in der
Gastronomie oder aber auch in der Pflege kaum Chancen
auf eine Vollzeitbeschäftigung bestehen, wird angesichts
der Realitäten der Wunsch nicht mehr ausgesprochen.
Für viel zu viele Frauen ist es ein täglicher Kampf,
mit ihrem Lohn über die Runden zu kommen. Keine
Bundesregierung hat bislang wirklich etwas dafür getan,
dass Frauen bessere Chancen auf existenzsichernde Beschäftigung bekommen. Die Linke sagt: Das ist beschämend.
({5})
Die Probleme werden von Ihnen kleingeredet und relativiert. Es wird beschwichtigt, und als Krönung wird
auch noch behauptet, die Frauen seien selbst schuld, weil
sie sich bei der Berufswahl für einen typischen Frauenberuf entschieden haben. Dieser Schwachsinn muss endlich ein Ende haben.
({6})
Meine Damen hier in diesem Hause, es ist an der Zeit,
dass wir fraktionsübergreifend gegen die Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt vorgehen. Wir brauchen endlich eine verbindliche Entgeltgleichheit in den
Unternehmen.
Frau Ministerin Schwesig, die heute leider nicht anwesend sein kann, kann ich nur sagen: Nehmen Sie alle
Arbeitgeber in die Pflicht. Appelle und bloße Informationspflichten reichen nicht aus. Gesetzliche Verpflichtungen müssen her.
({7})
Wir brauchen bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Minijobs müssen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführt werden. 45 Jahre Minijob ergeben
einen Rentenanspruch von höchstens 198 Euro. Das
kann doch nicht wirklich ihr Ernst sein.
({8})
Wundert es wirklich irgendjemanden in diesem Hause,
dass die Renten von Frauen fast 60 Prozent unter denen
der Männer liegen?
Zum Schluss will ich der Großen Koalition sagen:
Die Zeit der Versprechungen und der Ausflüchte ist vorbei. Mir hat gestern eine Kollegin aus Zwickau gesagt:
Es muss etwas passieren, es reicht uns jetzt.
Danke.
({9})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin
Dr. Astrid Freudenstein.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir brauchen gar nicht
drum herumzureden: Wenn Frauen für genau die gleiche
Arbeit, für eine gleichwertige Arbeit weniger Geld bekommen als Männer, dann ist das ungerecht, und wenn
Frauen in unserem Land überproportional häufig von
Armut und Altersarmut betroffen sind, kann uns das
nicht in Ruhe lassen.
Frauen verdienen im Schnitt 22 Prozent weniger als
Männer. Dieses sogenannte Gender Pay Gap lässt sich
allerdings aufteilen: 15 Prozent Unterschied lassen sich
erklären - ich werde Ihnen das tatsächlich wieder erklären -, 7 Prozent lassen sich aber tatsächlich durch nichts
so recht erklären. Diese 7 Prozent sind die eigentliche
Ungerechtigkeit. Das ist Diskriminierung von Frauen,
die schlicht und ergreifend schon jetzt verboten ist.
({0})
Ich will jetzt aber auch über diese 15 Prozent sprechen, die Sie vielleicht als Skandal betrachten, ich aber
nicht. Punkt eins: Frauen kriegen Kinder. Punkt zwei:
Frauen wählen nach wie vor Berufe, die nicht besonders
gut bezahlt sind,
({1})
und sie erreichen seltener gut bezahlte Führungspositionen. Punkt drei: Viele Frauen arbeiten Teilzeit, und es
werden immer mehr.
({2})
Zu allen drei Punkten will ich etwas sagen.
Erstens: zur Teilzeit. Wenn wir uns die Zahlen des
Statistischen Bundesamtes anschauen, stellen wir fest:
Inzwischen sind drei von vier Frauen erwerbstätig. Das
ist so viel wie nie zuvor. Das ist eine ausgesprochen gute
Nachricht.
({3})
In Bayern ist im Übrigen die Erwerbsquote von
Frauen in Westdeutschland am höchsten und mit am
höchsten in Deutschland. Die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen geht aber gleichzeitig zurück. Von den
Frauen, die erwerbstätig sind, arbeitet inzwischen nicht
einmal mehr jede zweite Vollzeit. Trotzdem sind es in
der Gesamtheit so viele wie nie zuvor.
Warum, meinen Sie, ist das so? Es gibt Frauen, die
einfach keine Vollzeitstelle bekommen, obwohl sie eine
wollen. Dies ist gerade im Osten der Fall. Dies sind allerdings nur 14 Prozent. Die allermeisten erwerbstätigen
Frauen arbeiten Teilzeit, weil sie Teilzeit arbeiten wollen. Warum wollen sie Teilzeit arbeiten?
Das führt mich zum zweiten Punkt: Frauen bekommen Kinder. Es gibt viele Frauen, die sich allein um die
Kinder kümmern müssen. Es gibt aber auch sehr viele
Frauen, die sich ausgesprochen gerne um ihre Kinder
kümmern.
({4})
Sie wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen. Sie wollen
daheim sein, wenn das Kind aus der Schule kommt.
({5})
Sie wollen daheim sein, wenn die ersten Zähne wachsen.
Sie wollen daheim sein, wenn die Zähne wieder herausfallen.
({6})
Ich kann das gut verstehen. Manche wollen auch dann
noch daheim sein, wenn das Kind den ersten Liebeskummer hat. Ich kann das verstehen. Für all das braucht man
Zeit. Diese Zeit nehmen sich Frauen. Sie wollen sehr
häufig eine Teilzeitstelle. Sie nehmen sie, wenn sie Anspruch darauf haben oder wenn sie es sich leisten können.
Drittens. Frauen sind viel häufiger als Männer in
Branchen beschäftigt, in denen schlecht bezahlt wird.
Sie erreichen dort auch seltener gut bezahlte Führungspositionen. An der Berufswahl von Frauen können wir
nur in sehr begrenztem Maße etwas ändern. Wir können
aufklären und Frauen und Mädchen auf Berufe hinweisen, die bisher als typisch männlich erachtet wurden.
Aber Fakt ist auch: Frauen gehen trotz all unserer Appelle und aller Aufklärung lieber ins Büro als in die Autofabrik, auch wenn sie wissen, dass in der Metall- und
Elektroindustrie ganz ordentlich bezahlt werden würde.
Frauen studieren trotz unserer Appelle lieber Medienwissenschaften als Maschinenbau, obwohl sie wissen,
dass sie als Pressesprecherin oder Journalistin nicht reich
werden.
Ich halte es auch nicht für eine weibliche Schwäche,
wenn Frauen bei der Berufswahl nicht in erster Linie an
das Geld denken.
({7})
Tatsache ist auch, dass wenige Frauen in Führungspositionen sind. Aber eine Führungsposition verlangt eben
auch vollen Einsatz: am Abend und auch am Wochenende. Es werden Umzüge und Dienstreisen verlangt.
({8})
Damit wären wir wieder beim Punkt Familie angekommen. Viele Frauen wollen das nicht. Sie wollen sich
nicht ganz für den Beruf opfern. Sie fühlen sich dann am
glücklichsten, wenn sie Familie und Beruf unter einen
Hut bringen können.
({9})
Deshalb sollten wir uns in dieser Debatte zu Recht
fragen, was wir mit dem Appell „Mehr Frauen in mehr
Arbeit“ meinen. Wollen wir damit den Fachkräftemangel
bekämpfen? Das wäre legitim. Wollen wir unsere Sozialsysteme stabilisieren? Das fände ich auch legitim. Oder
meinen Sie vielleicht tatsächlich, dass Frauen nur durch
Erwerbsarbeit emanzipiert sein können? Dem würde ich
widersprechen.
({10})
Wenn sich Frauen für einen Beruf entscheiden, wenn
sie Kinder bekommen, wenn sie beruflich kürzertreten,
dann tun sie das in aller Regel, ohne sich um Fachkräftemangel, Stabilisierung von Sozialsystemen und emanzipatorische Ideologien zu kümmern. Ich finde das auch in
Ordnung. Sie tun es aus freiem Willen. Wir müssen
respektieren, dass Frauen heute ihr Leben so leben, wie
sie es leben wollen.
Herzlichen Dank.
({11})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Ulle Schauws.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Sonntag ist
der Internationale Frauentag. Es ist ein Anlass, einen
Blick darauf zu werfen, was sich in Sachen Gleichstellung getan hat und was sich hoffentlich noch verbessern
wird.
Frau Kollegin, zu den „emanzipatorischen Ideologien“: Hier muss sich zwingend noch einiges verbessern,
vor allen Dingen auf der rechten Seite des Hauses.
({0})
Dass sich Frauen und Männer gerne um Kinder kümmern, steht außer Frage. Aber darum geht es hier nicht.
Es zeigt, dass Sie diese Debatte immer noch nicht verstanden haben.
({1})
Auf dem Arbeitsmarkt sieht es ja tatsächlich erst einmal nicht schlecht aus: 18 Millionen Frauen sind erwerbstätig; ihr Erwerbsanteil ist nach den Zahlen des
DIW auf 46 Prozent, auf einen neuen Höchststand, geklettert. Aber heißt das tatsächlich, dass die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen, die Möglichkeit zur eigenständigen Existenzsicherung, gestiegen ist? Nein, das
heißt es eben nicht; da trügt der Schein. Zwar stimmt,
dass die Zahl der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, ebenfalls gestiegen ist, von 2,5 Millionen im Jahr 2001 auf
6,3 Millionen im Jahr 2014; das ist eindeutig zu begrüßen. Aber es ist alarmierend - darum geht es hier -, dass
trotz der höheren Zahl der beschäftigten Frauen der Anteil des von ihnen geleisteten Arbeitsvolumens seit 1991
nur um gut 4 Prozentpunkte gestiegen ist. Das heißt,
dass zwar mehr Frauen arbeiten, aber weniger Stunden.
Hieran, meine Damen und Herren, zeigt sich eines ganz
klar: Es besteht weiterhin eine Unwucht im System, und
zwar zuungunsten von Frauen.
({2})
Frauen arbeiten Teilzeit, aber nicht immer weil sie
sich das so ausgesucht haben, sondern weil sie sonst Familie und Beruf nicht vereinbaren können. Sie sind immer noch diejenigen, die das Mehr an Familienarbeit
leisten. Sie bezahlen dafür mit beruflichen und finanziellen Nachteilen bis hin zur Altersarmut. Auf der anderen
Seite wollen inzwischen eben auch Männer beruflich
kürzertreten und sich um die Familie kümmern; aber es
gibt für die Männer kaum Möglichkeiten, das zu tun.
Das Modell einer partnerschaftlichen Aufteilung leben
in der Tat nur sehr wenige Paare.
Wir Grüne wünschen uns eine Gesellschaft, in der wir
allen Eltern ermöglichen, sich um ihre Kinder zu kümmern und gleichzeitig ihrem Beruf nachzugehen, ohne
existenzielle Nachteile - also echte Wahlfreiheit und
Selbstbestimmung.
({3})
Hier würde Frauen genauso wie Männern ein Recht auf
Rückkehr in Vollzeit entscheidend helfen.
({4})
Dann müssten die Männer nicht mehr befürchten, in der
Teilzeitfalle hängen zu bleiben, die Frauen ebenso wenig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Teilzeit hat eben
auch Nebenwirkungen. Kurzfristig ermöglicht sie vielleicht eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie;
langfristig allerdings können wir sehen, dass damit die
Lohnschere auseinandergeht. Denn Teilzeit heißt: langfristig schlechtere Bezahlung, fast keine Aufstiegschancen und wenig Rente. Die Statistiken zeigen auch: Teilzeit wird schnell zur Sackgasse für Frauen, insbesondere
bei den üblichen Modellen wie halben Stellen oder Minijobs. Eigenständige Existenzsicherung ist für Frauen so
jedenfalls nicht möglich, insbesondere nicht für alleinerziehende. Deshalb sage ich: Es braucht mehr vollzeitnahe Teilzeit, orientiert an plus/minus 30 Stunden. Das
wäre für Frauen und Männer attraktiv und eine echte Option.
({5})
Zum Problem der Teilzeit kommt noch eines hinzu die Kollegin hat es gerade schon genannt -, nämlich das
Problem der schlechteren Bezahlung. Das Gender Pay
Gap von 22 Prozent ist für Frauen in Deutschland immer
noch Realität, und das ist und bleibt schlicht ein Skandal.
({6})
Der Unterschied ist insbesondere deshalb so groß,
weil die sogenannten Frauenberufe besonders schlecht
bezahlt werden. Wer jetzt argumentiert, dass Frauen in
den falschen Branchen wie dem Gesundheits- oder dem
Sozialwesen arbeiten, dem sage ich: Gerade die Beschäftigung in diesen Branchen ist wichtig. Sie sollte angemessener bezahlt werden,
({7})
und das nicht zuletzt, damit die sogenannten Frauenberufe für Männer attraktiver werden. Dann brauchen wir
auch nicht über eine Männerquote zu reden.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das DIW rechnet in
Zukunft mit einer steigenden Erwerbsbeteiligung von
Frauen; das ist gut. Es ist auch gut, das als Frauenpolitikerin zu hören. Aber wir müssen dafür sorgen, dass
Frauen von ihrer Arbeit leben können, eine ausreichende
Rente im Alter erhalten. Von der Bundesregierung erwarte ich deswegen Vorschläge für andere Arbeitszeitmodelle ({9})
flexibler, familienfreundlicher und vollzeitnah. Kümmern Sie sich endlich um den Abbau der Erwerbshindernisse wie des Ehegattensplittings! Kümmern Sie sich um
einen ambitionierten Ausbau der Kinderbetreuung und
eine stärkere Unterstützung der Alleinerziehenden! Wir
erwarten von Ihnen Lösungen und kein elendes Gezerre
um eine Kindergelderhöhung um 6 oder 10 Euro.
({10})
Uns Grünen kommt es auf die Rahmenbedingungen an,
darauf, dass Wahlfreiheit und Selbstbestimmung hinsichtlich der Lebens- und Arbeitsform für alle, für
Frauen wie Männer, eine Selbstverständlichkeit werden.
Vielen Dank.
({11})
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Elke Ferner.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die
Arbeitsmarktzahlen sind der beste Indikator dafür, wie
es um die Gleichstellung von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft bestellt ist. Die Zahlen sind, ehrlich
gesagt, ernüchternd. Ich finde nicht - das möchte ich
ausdrücklich sagen -, dass das irgendwie alleine Sache
der Frauen ist, weil sie so viel Teilzeit arbeiten wollen;
denn die Situation hat strukturelle Ursachen, und an
diese Ursachen müssen wir ran.
({0})
Mittlerweile liegt der Teilzeitanteil bei den erwerbstätigen Frauen bei über 50 Prozent, das heißt, mehr als die
Hälfte aller erwerbstätigen Frauen hat meist kein eigenständiges, existenzsicherndes Einkommen. Häufig sind
sie auf das Zusatzeinkommen des Partners angewiesen.
Das hat zur Folge, dass Lohnersatzleistungen in der Regel nicht existenzsichernd sind, und das hat vor allen
Dingen zur Folge, dass im Alter die eigene Rente nicht
zum Leben ausreicht. Das darf man nicht einfach so
hinnehmen. Wir müssen diese Spaltung auf dem Arbeitsmarkt überwinden. Wir müssen den Wunsch der Beschäftigten und die Wirklichkeit zusammenführen.
({1})
Es ist mitnichten so, Frau Kollegin Freudenstein, dass
Frauen, die in Teilzeit arbeiten, genau die Arbeitszeit haben, die sie wollen. Aus den Zeitstudien und aus anderen
Untersuchungen wissen wir, dass die teilzeitbeschäftigten Frauen ihre Arbeitszeit eigentlich Richtung vollzeitnahe Erwerbstätigkeit aufstocken wollen, also 30 Stunden plus ein bisschen und nicht 20 Stunden und ein
bisschen weniger.
Wir wissen, dass auch die jungen Väter ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. 60 Prozent der jungen Paare
möchten gerne partnerschaftlich für die Familie, für Kinder und für pflegebedürftige Angehörige, da sein.
Gleichzeitig möchten sie nicht darauf verzichten, ihrem
Job nachzugehen und Karriere zu machen. Aber dieser
Wunsch geht mit der Wirklichkeit nicht zusammen. Deshalb ist es ein bisschen billig, zu sagen: Die Frauen wollen das. Ich sage: Nein, die meisten Frauen wollen das
eben nicht!
({2})
Wir brauchen Verbesserungen in diesem Bereich.
Deshalb haben wir bereits in dieser Wahlperiode Verbesserungen eingeleitet. Mit dem Elterngeld Plus haben wir
das Elterngeld um Partnerschaftlichkeitskomponenten
erweitert. Wir haben bei der Familienpflegezeit und bei
der Pflegezeit deutliche Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Familie und Pflege getroffen.
Was jetzt noch fehlt, das sind weitere Schritte hin zu
einer echten Familienarbeitszeit.
({3})
Als Manuela Schwesig diesen Vorschlag letztes Jahr in
die Debatte eingebracht hat, ist er in Teilen belächelt
worden, aber mittlerweile sind Arbeitgeberverbände,
Gewerkschaften usw. an ihrer Seite. Wir als SPD-Fraktion werden weiter für eine Familienarbeitszeit kämpfen,
die es Männern wie Frauen ermöglicht, ihre Arbeitszeit
aufgrund familiärer Verpflichtungen zu reduzieren und
gleichzeitig ihrem Job nachgehen zu können und keine
Karriereeinbußen und keine finanziellen Einbußen hinnehmen zu müssen, nur weil man - oder besser gesagt:
„frau“ - Teilzeit arbeitet.
({4})
Damit bin ich beim zweiten Thema, nämlich beim
Thema „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige
Arbeit“. Nein, es ist nicht so, dass die Frauen einfach nur
die falschen Berufe wählen. Wenn es so viele Frauen
gibt, die als Journalistinnen arbeiten: Warum gibt es
dann so wenig Chefredakteurinnen bei den Rundfunkanstalten, bei den Zeitungen, bei den Wochenzeitungen?
Warum werden Journalistinnen schlechter bezahlt als
Journalisten?
({5})
Warum wird das Heben von Steinen eigentlich besser
bewertet als das Heben von Menschen in Pflegeeinrichtungen?
({6})
Warum wird derjenige, der unsere Waschmaschine repariert, besser bezahlt als diejenige, die unsere Kinder erzieht?
({7})
Das sind die Diskussionen, die wir führen müssen, wenn
es um das Thema „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ geht.
Ich will ausdrücklich widersprechen - auch wenn das
Statistische Bundesamt der Auffassung ist, dass aus dem
bereinigten Gender Pay Gap bestimmte Komponenten
herausgerechnet werden müssen -: Es ist für meine Begriffe nicht statthaft, dass Teilzeitbeschäftigung herausgerechnet wird.
({8})
Wir wissen, dass Teilzeitbeschäftigte bei gleicher Arbeit
schlechter bezahlt werden. Das ist schon heute nach dem
Teilzeit- und Befristungsgesetz nicht erlaubt, aber es
passiert trotzdem.
Eben bei der Debatte über das Thema Mindestlohn
haben wir gehört, dass von Arbeitgebern teilweise versucht wird, bestehende Regelungen, die sie jahrelang
nicht eingehalten haben, auch in Zukunft nicht einhalten
zu müssen. Es darf nicht alleine auf den Schultern der
einzelnen Beschäftigten lasten, dafür zu sorgen, dass er
oder sie zu seinem oder ihrem Recht kommt. Dafür brauchen wir ein Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit, und das
werden wir in dieser Wahlperiode auch angehen - das
steht im Koalitionsvertrag -; denn es geht darum, dass
gleiche Arbeit bzw. gleichwertige Arbeit auch gleich bezahlt wird, dass es mehr Lohngerechtigkeit gibt. Ich
würde mir wünschen, dass wir hier es alle noch erleben
werden, dass der Equal Pay Day auf den 1. Januar fällt;
dann nämlich werden Frauen und Männer für die gleiche
Arbeit auch das gleiche Geld bekommen.
Schönen Dank.
({9})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Ursula
Groden-Kranich.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Eben habe ich mich kurz gefragt, ob die Überschrift eine andere ist als „Aktuelle
Stunde zur Beschäftigungssituation von Frauen“. Ich
denke, dem Thema Equal Pay werden wir uns in aller
Ausführlichkeit noch in den nächsten Wochen nähern.
({0})
Der Hintergrund dieser Aktuellen Stunde und zahlreicher Gesetze und Initiativen der letzten Jahre ist der
Wunsch, mehr Frauen in Beschäftigungsverhältnisse zu
bringen, und zwar möglichst in qualitativ hochwertige
Beschäftigung, keine Minijobs, und möglichst oft in
Vollzeitbeschäftigung. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Entwicklung genau in diese
Richtung voranschreitet. Ich selbst kann diese Anstrengungen nur begrüßen und unterstütze sie in mehrfacher
Hinsicht: als Frau, die seit mehr als 30 Jahren berufstätig
ist und immer großen Wert darauf gelegt hat, finanziell
auf eigenen Beinen stehen zu können; als Mutter einer
Tochter, die später ihren Wunschberuf erlernen und auch
ausüben können soll; als CDU-Politikerin, die immer
auch die Wirtschaft im Blick hat und das nicht nur unter
dem Stichwort Fachkräftemangel; und als Berichterstatterin meiner AG für das Thema Entgeltgleichheit. Wir
müssen über die Zahlen heute nicht noch einmal diskutieren; ich glaube, Frau Dr. Freudenstein hat sehr klar
zum Ausdruck gebracht, wie dieser Gap entsteht und wie
er sich differenziert.
Wenn mehr Frauen in größerem Umfang und vor allem zu höheren Gehältern arbeiten, ist das ein Gewinn
für alle. „Arbeiten für gleichen Lohn“ ist nicht mehr allein die Diskussion - für Frauen, die ihre Familien ernähren möchten, die in der Wirtschaft klar ihre Position
zum Ausdruck bringen wollen, aber sehr wohl. Wenn sie
fair bezahlt werden, ist das ein Gewinn für die Gesellschaft insgesamt. Um diese positive Entwicklung weiter
voranzutreiben, müssen aber, neben anderen, zwei wichtige Voraussetzungen erfüllt sein:
Erstens müssen wir alle noch stärker daran arbeiten,
dass alle jungen Frauen einen Schulabschluss machen
und eine Ausbildung oder ein Studium beenden, damit
ihnen überhaupt die Wege in die Berufswelt und die finanzielle Eigenständigkeit offenstehen.
({1})
Zweitens muss jungen Frauen klar sein, und zwar bevor sie Familien- und Erziehungsauszeiten planen, was
diese Auszeiten für sie finanziell und karrieretechnisch
bedeuten - nicht nur während der Elternzeit, sondern
insbesondere danach -, damit sie eben nicht in die Falle
von Altersarmut tappen. Die finanziellen Nachteile aus
bewusst geplanten Familienauszeiten verschärfen sich
im schlechtesten Fall noch, wenn das dem eigenen
Wunsch entsprechende Familienmodell scheitert; auch
darauf muss man hinweisen. Die Wichtigkeit einer eigenständigen finanziellen Absicherung durch Erwerbstätigkeit kann also nicht oft und nicht nachdrücklich genug
betont werden. Überall, von Kindesbeinen an, in der Familie und in der Schule, müssen wir unsere Töchter auf
diesem Weg fördern und ermutigen.
({2})
Wenn sich - wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt
sind - dennoch Frauen freiwillig für eine Teilzeitbeschäftigung oder längere Berufspausen entscheiden,
müssen wir dies als Politiker und als Gesellschaft akzeptieren. Ich selbst akzeptiere das gerne. Die Wahlfreiheit
der Einzelnen muss auch beim Berufs- und Familienleben weiterhin gewährleistet sein. Ich selbst bin nicht nur
vollzeitberufstätige Mutter, sondern auch Arbeitgeberin
von zwei Müttern: Beide Frauen arbeiten in Teilzeit.
Beide haben einen Hochschulabschluss, hatten schon
vor der Mutterschaft Berufserfahrung und wollten auch
danach unbedingt am Ball bleiben. Beide wollen dies
aber im Moment nicht in Vollzeit tun - obwohl ich sie
immer wieder dazu ermutige -, in ein paar Jahren wahrscheinlich schon. Ich finde es grundfalsch und, ehrlich
gesagt, auch anmaßend, diesen und vielen anderen
Frauen pauschal ein Leben in der Teilzeitfalle zu unterstellen.
({3})
Auch Teilzeitmodelle wurden von Frauen erkämpft
und juristisch durchgefochten.
({4})
Ich verweise nur auf die Lex Peschel. Selbstverständlich
müssen wir auch weiterhin alles dafür tun, um Frauen
den Weg in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
zu ebnen und den Wiedereinstieg nach den Pausen zu erleichtern. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
bleibt hier Dreh- und Angelpunkt der Diskussion.
Die Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen kann
auf Dauer aber nur dann gelingen, wenn die Familienarbeitszeit in den Familien anders verteilt wird. Dies ist
nicht nur Sache von Frauen, sondern eine Aufgabe, die
nur gemeinsam von Frauen und Männern bewältigt werden kann.
Danke schön.
({5})
Vielen Dank. - Die Kollegin Cornelia Möhring
spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vorab, Frau Groden-Kranich: Auf die Idee, dass die Bezahlung nichts mit der Beschäftigungssituation von
Frauen zu tun hat, kann man doch eigentlich nur dann
kommen, wenn man denkt, dass Frauen nur für Luft und
Liebe arbeiten wollen. Diese Verbindung ist, wie ich
finde, eindeutig.
Das Thema, das wir heute in der Aktuellen Stunde behandeln, ist so aktuell, wie es leider auch ein Dauerbrenner ist. Schon die ersten Forderungen zum Frauentag zu
Beginn des 20. Jahrhunderts waren in diese Richtung
formuliert.
Wir haben gehört: Der Anteil von Frauen mit Vollzeiterwerbstätigkeit ist gesunken, der mit Teilzeitarbeit ist
gestiegen. Diese Frauen hängen - das ist das Problem in der Teilzeitfalle fest, und damit steigt auch erheblich
deren Armutsrisiko. Aber das bedeutet nicht, dass
Frauen weniger arbeiten. Frauen stemmen eben einen
Großteil genau jener Tätigkeiten, die unsere Gesellschaft
erhalten. Das Problem ist: Sie werden dafür entweder
nicht oder nur schlecht entlohnt, nicht mit Geld, aber
auch nicht mit Zeit für sich selbst. Die Folge ist eine
Doppel- und Dreifachbelastung. Das bedeutet dann
schlicht: Überforderung, Krankheit und Armut. Eigentlich ist es an der Zeit für einen Aufschrei. Aber ich befürchte, dass selbst dafür die Mehrheit genau dieser
Frauen viel zu kaputt ist und ihr dafür die Zeit fehlt.
Der Teilzeittrend von Frauen ist nicht unbedingt freiwillig und wird in der Regel auch nicht aus Liebe gewählt. 2 Millionen Frauen geben an, wegen der Kinderbetreuung in Teilzeit zu gehen, weitere 2 Millionen
wegen sonstiger familiärer Verpflichtungen. Die Arbeit
im Haushalt, die Pflege von Familienangehörigen, die
Erziehung von Kindern wird noch immer hauptsächlich
von Frauen übernommen. Bei Männern haben diesen
Antrieb übrigens nur schlappe 4 Prozent. Bei Männern
ist der meistgenannte Grund, um in Teilzeit zu gehen, die
Teilnahme an Aus- und Weiterbildungen. Tja, ich frage
Sie: Wer macht denn den Haushalt, wenn sich die Männer fortbilden? Wer kümmert sich um die Kinder, wenn
sie dann Karriere machen? Und wer ist angeschmiert,
wenn die Beziehung zerbricht? Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, ist eben keine Frage, die nur in Beziehungen auszuhandeln wäre; hier geht es um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und sie gehört viel stärker in
den Blick dieses Parlaments und viel stärker in den Blick
der Bundesregierung.
({0})
Außerdem ändern sich die Lebensmodelle, auch wenn
das einige von Ihnen nicht wahrhaben wollen. Es gibt
immer mehr Frauen, die lieber alleinerziehend leben und
kein Interesse an einer Ehe oder an einer Vater-MutterKind-Beziehung haben. Sie wollen etwas anderes, als es
das konservative Familienmodell der Regierung hergibt.
({1})
Viele der Frauen in Teilzeit sind alleinerziehend.
Wenn diese dann auch noch auf Hartz IV angewiesen
sind, wird der Teufelskreis verstärkt. Risikomerkmale
für Armut rechnen sich hoch. Frauen sind davon besonders betroffen und - was noch viel schlimmer ist - immer stärker betroffen. Bei Männern stieg die Armutsquote seit 2006 um 8 Prozent, bei Frauen um satte 12,5
Prozent. Immer weniger Frauen davon sind erwerbslos,
aber immer mehr sind im Niedriglohnsektor und in prekären Beschäftigungsverhältnissen beschäftigt, sind also
arm trotz Arbeit. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist beschämend.
({2})
Alleinerziehende, ob in Teilzeit oder Vollzeit, arbeiten
nicht gesund, sondern sie arbeiten sich krank. Und damit
sind wir wieder am Anfang: Stress, Überforderung, Armut. Kurzum: Frauen geraten in die Abwärtsspirale,
nein, Frauen werden in die Abwärtsspirale gedrängt.
Doch was macht die Bundesregierung angesichts dieser
bestürzenden Fakten? Ich finde, viel zu wenig oder auch
das Falsche.
Ein Mindestlohn mit Löchern, ein Festhalten an Minijobs, die Armut gleich mitliefern und in biografische
Sackgassen führen, die unsägliche Bedarfsgemeinschaft
bei Hartz IV und unwürdige Sanktionen erschweren den
Frauen und Kindern täglich das Leben. Für Alleinerziehende gibt es nur unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten und keine ausreichende Steuerentlastung.
Stattdessen möchte Minister Schäuble jetzt das Kindergeld um lachhafte 6 Euro erhöhen. Ich finde, das kann
man schon als echte Provokation bezeichnen, erst recht
deshalb, weil diese Erhöhung bei denen, die sie eigentlich bräuchten, gar nicht ankommt.
({3})
Die Schwerpunktsetzung geht doch in eine klare
Richtung: Da wird mehr Geld für neue Panzer bereitgestellt, anstatt Investitionen in Beschäftigung und Familie
zu stärken. Diese Koalition ist nicht in der Lage, eine
Politik für Frauen im Interesse der Allgemeinheit zu machen. Liebe SPD, vielleicht merken Sie irgendwann
wirklich, auf was Sie sich da eingelassen haben. Gegen
dieses konservative Frauen- und Familienbild der CDU/
CSU ist doch wirklich kein Kraut gewachsen.
({4})
Wenn wir in einem Jahr rund um den Internationalen
Frauentag wieder über die Situation von Frauen reden,
dann glaube ich zwar nicht, dass mehr als warme Worte
von der Bundesregierung kommen - dafür sind Sie sich
viel zu uneinig -, aber ich kann Ihnen versichern: Die
Linke wird diese Themen immer wieder auf die Tagesordnung setzen, damit wir irgendwann den Frauentag
auch wirklich einmal feiern können.
Vielen Dank.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese,
SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vielen Dank, Frau Kollegin Zimmermann, für
die Initiative der Linksfraktion, dieses wichtige Thema
passend zum Internationalen Frauentag am Sonntag auf
die Tagesordnung zu setzen. Erwerbsarbeit von Frauen
ist ein zentrales Thema für die Gleichberechtigung; denn
sie bedeutet ja immer auch Selbstständigkeit und eine eigenständige Alterssicherung. Sie haben eine Kleine Anfrage gestellt und eine Antwort mit vielen Zahlen bekommen. Wenn wir die Beschäftigungssituation von
Frauen betrachten, sehen wir viel Licht, aber wir sehen
auch einige Schatten. Wir sehen erfreuliche Entwicklungen wie die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen
allgemein. Wir sehen aber auch - das muss man deutlich
sagen - einen wirklich deprimierenden Stillstand beim
Gender Pay Gap. Seit 2006 hat sich nichts geändert. Der
Lohnunterschied liegt immer noch bei 22 Prozent, und
wir sehen - das wird hier sicherlich unterschiedlich bewertet - eine starke Zunahme der Teilzeitbeschäftigung
bei Frauen, die uns natürlich wegen ihrer Wirkung auf
die sozialen Sicherungssysteme nicht zufrieden machen
kann.
Die wichtigsten Zahlen aus der Antwort auf Ihre Anfrage sind sicherlich diese: Aktuell sind 46 Prozent aller
Beschäftigten in Deutschland Frauen. Sie profitieren
vom allgemeinen Beschäftigungszuwachs überdurchschnittlich. Ihr Anteil an der Zahl der Beschäftigten hat
sich seit dem Jahr 2000 um fast 14 Prozent erhöht; das
ist die gute Nachricht. Frauen sind also vor allem in
Westdeutschland deutlich häufiger als noch vor 15 oder
20 Jahren erwerbstätig, aber - jetzt kommt das Aber sie arbeiten in großer Zahl in Teilzeitarbeitsverhältnissen. Das ist dann auch immer eine Teilzeitfalle. Ich will
sagen, warum; denn dazu gehören immer die üblichen
Nachteile, die diese Beschäftigungsform mit sich bringt:
weniger Gehalt, weniger Aufstiegschancen, seltener
hochqualifizierte Arbeit. Eine aktuelle Studie des DIW
hat festgestellt, dass 2014 doppelt so viele Frauen wie
1991 in Teilzeit gearbeitet haben, nämlich 11 Millionen.
Natürlich beinhaltet Teilzeitarbeit ein weites Spektrum von Beschäftigung. Da gibt es die Lehrerin, die 18
statt 24 Stunden unterrichtet, aber auch die Minijobberin, die im Supermarkt Regale einräumt. Deshalb müssen wir differenziert betrachten, was Teilzeit heißt. Für
manche Frauen ist die freiwillige Reduzierung ihrer Arbeitszeit ein Zugewinn an Lebensqualität, für andere ist
sie aber ein schlecht bezahlter, prekärer Teilzeitjob und
oft das Einzige, was sie bekommen konnten. Deshalb
meine ich: Für viele Frauen - auch für Männer; auf die
komme ich noch - ist Teilzeitarbeit sicherlich in der Familienphase wichtig, um Kinderbetreuung und Arbeit
unter einen Hut zu bringen. Aber wir erleben auch immer wieder, dass sich für Frauen nach Jahren der familienbedingten Teilzeitarbeit zeigt, dass der Wunsch auf
Rückkehr in Vollzeit vom Arbeitgeber nicht erfüllt wird
und sie dann eben in dieser Teilzeitfalle stecken. Deshalb wollen wir da etwas tun. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das Rückkehrrecht von zeitlich befristeter Teilzeit zur früheren Arbeitszeit, zur Vollzeit,
umzusetzen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, um aus
dieser Teilzeitfalle herauszukommen.
({0})
Das wird für viele Frauen eine deutliche Verbesserung sein; denn es bedeutet, dass sie Sicherheit und Flexibilität genau da haben, wo sie nötig sind. Keine Frau
muss dann mehr dauerhaft und gegen ihren Wunsch in
Teilzeit bleiben, wenn sie wieder voll arbeiten will, und
keine Frau muss aus Angst, nicht wieder voll arbeiten zu
können, auf Teilzeitarbeit verzichten und sich so großen
Stress machen.
({1})
Nicht zuletzt bedeutet dieses Rückkehrrecht von Teilzeit
auf Vollzeit auch einen echten Schutz vor Altersarmut.
Denn ein Erwerbsleben in Teilzeit führt zu einer geringeren Rente. Das wollen wir verhindern.
({2})
Nicht nur aktuelle Studien, sondern, ich denke, auch
unser aller Lebenserfahrung zeigen, dass junge Menschen eine andere Work-Life-Balance, wie es immer so
schön heißt, anstreben, also dass Frauen und Männer
gleichermaßen Beruf und Familie vereinbaren wollen.
Darum geht es. Wir als Politik müssen diese Wünsche
ernst nehmen. Mit der Idee zu einer neuen Familienarbeitszeit, in der Männer und Frauen zwischen verschiedenen Arbeitszeitmodellen wählen können, können wir
den Wünschen von jungen Frauen und Männern entgegenkommen. Die Wahl zwischen 25, 30, 32 oder 40
Stunden ist sehr viel realitätsgerechter als nur die Wahl
- hier öffnet sich sozusagen eine Schere - zwischen
Vollzeit und Teilzeit, also einer halben Stelle, meistens
in einem niedriger qualifizierten Job. Mit einer Art kleiner Vollzeit von 30, 32 oder 35 Stunden kommt man außerdem auf ein viel besseres Einkommen, was auch für
die eigenständige Alterssicherung wichtig ist. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - meine Kollegin Ferner hat es schon angekündigt - arbeiten an einem
Modell für eine Familienarbeitszeit. Wir wollen die
Wünsche und Bedürfnisse junger Menschen besser erfüllen.
({3})
Dazu gehört auch der weitere Ausbau der Kinderbetreuung. Ich will noch einmal deutlich sagen: Deutschland hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern
sehr spät und zögerlich auf die veränderten Wünsche der
Generation vor uns und der jetzigen Generation reagiert.
Aber in den letzten 15 Jahren haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Weichen in die richtige
Richtung gestellt. Der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz hat vielen Frauen besonders in Westdeutschland einen schnelleren Wiedereinstieg in den Beruf ermöglicht. Der Ausbau von der Krippe bis zur
Ganztagsschule hat dem Ganzen einen riesigen Schub
gegeben. Das ist ein guter Schritt, um Beruf und Familie
besser zu vereinbaren. Es ist auch ein wichtiger Schritt
zu mehr Gleichberechtigung und zu besseren Bildungschancen für alle Kinder.
Ich will heute nicht vergessen, auch zu sagen: Der
Mindestlohn hat geholfen, dass viele Frauen jetzt mehr
verdienen.
({4})
Denn noch immer arbeiten überproportional viele
Frauen in den schlechter bezahlten Minijobs. Diese werden jetzt anständig kontrolliert und unterliegen wie alle
Jobs dem Mindestlohn. Diese Frauen profitieren in besonderem Maße vom Mindestlohn. Uns liegen Zahlen
vor, dass Frauen bisher doppelt so häufig wie Männer in
Jobs waren, in denen weniger als 8,50 Euro pro Stunde
gezahlt wurden. Das hat sich dank des Mindestlohns seit
Januar geändert. Das ist ein großer Erfolg.
({5})
Wir wollen gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit. Wir wollen eine ausgewogenere Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern.
Liebe Kollegin Griese, der letzte Satz wäre ein guter
Schlusssatz gewesen.
Sie sind mit der Zeitaufzeichnung hier wirklich bürokratisch.
({0})
Das passt, da ich gerade beim Thema Mindestlohn war. Ich komme Ihrem Vorschlag gerne nach, Herr Präsident.
Wir wollen Frauen nicht bevormunden, sondern ihnen
ermöglichen, frei und selbstbestimmt über ihr Leben und
ihre Arbeitszeit zu entscheiden. Dafür muss die Politik
die Rahmenbedingungen schaffen.
Vielen Dank.
({1})
Bevor gleich der Kollege Dr. Strengmann-Kuhn das
Wort erhält, darf ich die Wahlergebnisse bekannt geben.
Zunächst das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Mitglieds
des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Absatz 2 der
Bundeshaushaltsordnung: abgegebene Stimmen 589,
gültige Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 527, mit
Nein 45, Enthaltungen 17. Der Abgeordnete Eckhardt
Rehberg hat 527 Stimmen erhalten. Die erforderliche
Mehrheit wurde damit erreicht.1)
({0})
Dann das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des
Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie-
rungsmechanismusgesetzes: abgegebene Stimmen eben-
falls 589, gültige Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt
519, mit Nein 35, Enthaltungen 35. Der Abgeordnete
Volkmar Klein hat damit 519 Stimmen erhalten und da-
mit auch die erforderliche Mehrheit erreicht.2)
1) Anlage 2
2) Anlage 3
Vizepräsident Johannes Singhammer
({1})
Wir fahren jetzt in der Aktuellen Stunde fort. Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Wolfgang StrengmannKuhn für Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr im März diskutieren wir hier aus Anlass des
Frauentages und aus Anlass des Equal Pay Day, der leider immer noch im März und nicht früher stattfindet,
über Gleichstellungspolitik. Aber wenn man sich die
wirklichen Probleme ansieht, stellt man leider fest: Es
hat sich über die Jahre und Jahrzehnte nicht viel verändert; wir reden jedes Jahr über die gleichen Probleme.
Das muss uns alle nachdenklich machen, da müssen wir
uns alle an die eigene Nase fassen, und das müssen wir
ändern.
({0})
Es ist wichtig, einmal genau zu erklären: Was ist eigentlich das Problem? Das Problem ist nicht, dass viele
Frauen Teilzeit arbeiten, auch nicht die Teilzeitarbeit an
sich. Es ist schon gesagt worden: Viele Frauen wollen
Teilzeit arbeiten. Aber in der Regel wollen sie mehr arbeiten, also nicht kurze, sondern lange Teilzeit; das gilt
insbesondere für Mütter. Frau Freudenstein, auch Männer würden gerne Teilzeit arbeiten.
({1})
Das tun sie in der Regel aber nicht. Es hat auch Gründe,
warum das so ist.
Ich sehe drei Probleme:
Das erste Problem sind die Minijobs, die zu einer
Minijobfalle geworden sind. Diese Falle müssen wir
endlich beseitigen.
({2})
Das zweite Problem ist die fehlende soziale Absicherung bei Teilzeittätigkeit. Der Mindestlohn ist eingeführt
worden; das ist sicherlich ein wichtiger Schritt zur
Gleichstellung zwischen Männern und Frauen. Aber bei
Teilzeit reicht auch ein Mindestlohn in der Regel nicht
aus, um die Existenz zu sichern. Da müssen wir mit weiteren Maßnahmen insbesondere für Alleinerziehende dafür sorgen, dass sie, wenn sie erwerbstätig und in einer
langen Phase der Erwerbsteilzeit sind, ein existenzsicherndes Einkommen erzielen.
({3})
Da reichen in der Tat die 6 Euro Kindergelderhöhung bei
weitem nicht aus. Das geht an dem Problem eher vorbei.
Auch Altersarmut ist ein Thema, das diese Große Koalition überhaupt nicht anpackt. Es gab den Vorschlag einer Lebensleistungsrente, den schon Frau von der Leyen
immer vor sich hergetragen hat; er ist wieder in der Versenkung verschwunden. Wir schlagen schon seit ewiger
Zeit eine echte Garantierente vor, die Frauen - auch diejenigen, die länger in Teilzeit gearbeitet haben - vor Altersarmut schützt. Das ist eine weitere wichtige Baustelle.
({4})
Aber wir müssen vor allen Dingen an die Ursachen
herangehen. Die Ursachen liegen darin, dass Teilzeitarbeit eine Frauendomäne ist, dass also überwiegend
Frauen Teilzeit arbeiten und nicht etwa Männer und
Frauen gleichermaßen teilzeiterwerbstätig sind. Eine
echte Gleichstellung ist erst dann erreicht, wenn die Teilzeitquote von Männern genauso hoch ist wie die Teilzeitquote von Frauen.
Dass dem so ist, hat strukturelle Gründe, die im Steuersystem und im Sozialversicherungssystem liegen. Da
müssen wir ran. Wir müssen auch an das Ehegattensplitting ran. Nach wie vor ist unser Ziel als Grüne, dass wir
das Ehegattensplitting abschaffen, weil es massive Anreize zu geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung setzt.
Wir wollen weg von der Subventionierung und hin zu
echter Wahlfreiheit.
({5})
Es gibt weitere Regelungen: Die kostenlose Mitversicherung in der Krankenversicherung ist für viele Frauen
eine echte Hürde, wenn es darum geht, in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Auch diese Hürde müssen wir endlich beseitigen.
({6})
Im Rahmen der Bürgerversicherung, wie wir sie vorschlagen, wollen wir die beitragsfreie Mitversicherung
durch ein Beitragssplitting ersetzen.
({7})
Dann wäre diese Hürde weg. Dadurch würde man auch
an dieser Stelle eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen,
insbesondere für Frauen.
({8})
Beim dritten Punkt bin ich wieder bei den Minijobs.
Wenn man sich die Evaluierung der familienpolitischen
Leistungen, aber auch den Gleichstellungsbericht der
Bundesregierung ansieht - ich glaube, beides sollte sich
die Große Koalition einmal zu Herzen nehmen -, stellt
man fest: Da stehen viele wichtige Sachen drin. Ein zentraler Punkt: Die Minijobs müssen wir so ausgestalten,
dass sie wieder voll sozialversicherungspflichtig werden. Denn sie sind tatsächlich eine Falle, in der Millionen von Frauen hängen bleiben, die dann von Armut, Altersarmut und Diskriminierung bedroht sind.
Die wesentliche Ursache dafür, dass Frauen so wenig
verdienen, ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung,
insbesondere bei der Kindererziehung. Es ist nämlich
nicht biologisch bedingt, dass sich Frauen um Kinder
kümmern; vielmehr können Männer Kinder, abgesehen
von der Stillzeit und den ersten Lebenswochen, im Prinzip genauso gut betreuen wie Frauen. Das muss das zentrale Ziel sein: Gleichstellung sowohl bei der Familienerziehung als auch auf dem Arbeitsmarkt. Nur das schafft
wirkliche Gerechtigkeit und wirkliche Freiheit.
Vielen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Lezius für
die CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Kleine Anfrage der Linkenfraktion, die wir hier besprechen, beginnt mit dem Hinweis auf den 105. Frauentag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, dieses
Datum liegt Ihnen besonders am Herzen, war es doch
eine sehr starke Frau, Clara Zetkin, die als Erste Agitation für die Einführung des Frauenwahlrechts betrieb.
Dies ist lange verwirklicht. Heute geben Sie uns damit als Regierungskoalition die Gelegenheit, Ihnen auszuführen, was wir als Große Koalition für die Gleichstellung von Frauen und Männern geleistet haben und
leisten. Das nehmen wir wie jedes Jahr gerne an.
Das Thema Frauenerwerbstätigkeit ist von besonderer
Bedeutung. So ist nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung weiblich, nämlich 41 Millionen zu 39 Millionen.
Auch aus demografischen Gründen können wir es uns
gar nicht erlauben, die Frauen dieses Landes zu vernachlässigen. Hinzu kommt, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung haben.
Daraus ergibt sich die Frage, wie die Versorgung im
Alter aussieht - das wurde heute schon angesprochen und wie wir zum Beispiel dem Problem der Altersarmut
begegnen, von der häufig genug Frauen betroffen sind.
Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt unterstützen wir es,
wenn mehr Frauen erwerbstätig sind und gleichwertig
bezahlt werden. Erwerbsarbeit ist die beste Möglichkeit
für Frauen, selbst etwas gegen Armut zu unternehmen
und für das Alter vorzusorgen.
In meinem Wahlkreis war ich letzte Woche zu Gast
bei einer jugendpolitischen Diskussion. Es ging dort
auch um dieses Thema. Es ist bekannt, dass sich Mädchen gerne für klassische sogenannte Mädchenberufe
wie Friseurin, Einzelhandelskauffrau oder Erzieherin
entscheiden. Das sind ohne Frage wichtige und ehrenvolle Berufe. Aber: Ich fragte die jungen Frauen, weshalb sie sich aus einem Katalog von immerhin 350 Ausbildungsberufen auf einen kleinen Kreis von circa
20 Berufen beschränkten. Daraufhin herrschte betretenes
Schweigen.
An diesem Punkt müssen wir ansetzen. Hier können
wir viel tun. Die Bundesregierung will mit Initiativen
wie der „Perspektive MINT“, integrierten Projekten wie
dem Wettbewerb „Jugend forscht“ und dem „Bundeswettbewerb Informatik“ junge Leute, insbesondere aber
Mädchen für die Berufe interessieren, die diese noch
nicht im Blick haben, die aber wesentlich besser bezahlt
werden.
Gerade für Frauen ist die Welt aber vielfältiger. Sie
sind nicht nur Arbeitnehmerinnen, sondern auch Mütter,
Töchter und Ehefrauen. Die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt ist deswegen nicht zwangsläufig erfolgreich,
wenn möglichst viele von ihnen Vollzeit arbeiten.
Wir vergessen in der wichtigen Debatte um die
Gleichstellung von Mann und Frau häufig, dass vieles,
was als Missstand kritisiert wird, für die Betroffenen
nicht automatisch auch ein Missstand ist.
({0})
Jeder Mensch hat die verfassungsrechtlich geschützte
Freiheit, sich seinen Beruf auszusuchen. Er oder sie hat
aber auch die Freiheit, die Arbeitszeit frei zu wählen.
Viele - sowohl Frauen als auch Männer - können oder
wollen aus den verschiedensten Gründen nicht mehr als
Teilzeit arbeiten. Das müssen wir akzeptieren. Das habe
ich selbst in meinem Unternehmen mit über 20 weiblichen Arbeitnehmern erlebt, die aus verschiedensten
Gründen in Teilzeit arbeiten wollten.
Politik soll nicht per Gesetz für Gleichmacherei sorgen.
({1})
Unsere Verpflichtung ist, dort einzugreifen, wo die
Wahlfreiheit gefährdet ist.
Aus diesem Grund unterstützen wir Familien mit dem
Betreuungsgeld. Aus diesem Grund hat diese Bundesregierung zahlreiche Gesetzesvorhaben umgesetzt, um
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten.
({2})
Diese reichen vom Familienpflegezeitgesetz bis hin zum
Elterngeld Plus und - wir haben es schon angesprochen dem Mindestlohn. Auch das im Moment diskutierte Gesetz zur Frauenquote in Führungspositionen soll Chancengleichheit schaffen, wo es diese nicht gibt. Das ist der
Weg in die richtige Richtung.
Die Mütterrente schließlich hilft insbesondere Frauen,
die Kinder erzogen haben und deswegen eben nicht berufstätig waren. Wir erkennen damit Lebensleistungen
und individuelle Entscheidungen an.
({3})
Das Beste, was wir für Frauen und Mädchen im Hinblick auf die Berufstätigkeit tun können, ist eine gute
Vorbereitung auf die Berufswelt. Hierfür sorgen sowohl
ein Wertewandel in den Elternhäusern als auch eine gute
und vielseitig orientierte Bildung und Ausbildung und
die Stärkung der Frauen darin, für ihre Rechte einzustehen. Das ist mir, das ist der Union wichtig.
Danke schön.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Michelle
Müntefering für die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage mal, wie es
ist:
({0})
Frauen wissen alles, und Frauen können alles,
({1})
alles, was man für Berufe braucht. Sie müssen aber auch
dürfen. Dafür braucht es eben auch das Recht, das Recht
auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, und Berufe, in denen besonders viele Frauen arbeiten, brauchen auch die
gleiche Wertschätzung.
({2})
In den Jahren meiner praktischen Ausbildung im Kindergarten habe ich mir oft gewünscht, dass die Kindergärtnerinnen mal so auf die Straße gehen, wie die Chemie- und Metallfacharbeiter das ab und zu tun,
({3})
um deutlich zu machen, was für uns selbstverständlich
ist: Es sind die Frauen in den sozialen Berufen, die sich
um alte Menschen in den Senioreneinrichtungen und um
Kinder in den Kitas und in den Grundschulen kümmern.
Es gibt mittlerweile Gegenden in Deutschland, in denen
es sich Kindergärtnerinnen gar nicht mehr leisten können, da zu wohnen, wo sie arbeiten.
({4})
Sie nehmen deshalb weite Anfahrtswege in Kauf.
Altenpflegeschülerinnen und -schüler müssen ihre
Ausbildung teilweise selbst finanzieren. Ein anderes
Beispiel sind demgegenüber die Lehrlinge in der Metallund Elektroindustrie, die in NRW 867 Euro im ersten
Lehrjahr verdienen. So steht es im Tarifarchiv der HansBöckler-Stiftung. Und auch die Aufstiegschancen sind
im Seniorenheim und im metallverarbeitenden Gewerbe
- kurz gesagt - sehr unterschiedlich.
({5})
IHKen, Gewerkschaften, Eltern und Migrantenverbände sind hier gefragt, und die gesamte Gesellschaft ist
gefragt, das nicht länger hinzunehmen.
({6})
Das ist auch angesichts dessen wichtig, was wir schon
heute wissen: Wir werden zukünftig viel mehr Altenpflegerinnen und Altenpfleger brauchen.
Wen wollen wir für diese Berufe eigentlich noch begeistern? Es ist Zeit, diesen Frauen und Männern auch
einmal Danke zu sagen.
({7})
Ich sage das auch als Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet. Die Chancen einer Region steigen, wenn sie junge
Frauen fördert und ihnen eine Chance gibt; denn dort gehen die Frauen hin. Wo die Frauen hingehen, da sind die
Männer auch nicht weit,
({8})
und das biologische kleine Einmaleins besagt: Da gibt es
auch Kinder und wieder Arbeit.
Mein Opa war noch stolz darauf, dass er sagen
konnte: „Meine Frau muss nicht arbeiten“, weil er genug
verdient hat. So war das bei vielen - auch bei den Bergarbeitern im Ruhrgebiet. Meine Oma aber erzählte zeitlebens gern aus der Zeit, als sie noch im Schuhgeschäft
gearbeitet hat, bevor der Krieg begonnen wurde und die
jüdischen Besitzer dieses Schuhgeschäfts in Gladbeck
fliehen mussten. Meine Oma hatte danach noch viel Arbeit, aber nie wieder ein Beschäftigungsverhältnis.
Seit ich mich politisch engagiere, hat sich vieles verändert. 1998 war es die rot-grüne Koalition, die die Familienpolitik in Deutschland entscheidend verändert hat.
({9})
Ich erinnere an Christine Bergmann, an Edelgard
Bulmahn, an Renate Schmidt und an den Ausbau der
Ganztagsgrundschulen, den ich als Kommunalpolitikerin im Rat meiner Heimatstadt miterleben und mitgestalten durfte.
Aber es gibt in unserem Denken immer noch einen alten Webfehler, und der besagt: Papa ernährt die Familie,
Mama verdient was hinzu: Taschengeld für Taschengeld
extra und Urlaub, wenn es denn reicht. Fast die Hälfte aller Partnerschaften mit Kindern entscheidet sich für dieses Modell der Zuverdiener: Die Frau arbeitet in Teilzeit,
der Mann in Vollzeit. Nur bei einem Viertel sind die Arbeitszeiten paritätisch verteilt.
Gleiche Chancen sind immer noch nicht gegeben. Da,
wo die Frauen immer noch weniger verdienen - übrigens
auch in vergleichbarer Beschäftigung -,
({10})
entstehen keine Gerechtigkeit und eben auch keine gleichen Ansprüche - etwa bei der Rente.
Deswegen ist Manuela Schwesig auf dem richtigen Weg
und handelt klug, wenn sie von Zukunftsmodellen der
Familienarbeitszeit spricht.
({11})
Es geht darum, von diesem einseitigen Modell der Aufgabenverteilung bei Männern und Frauen wegzukommen.
Meine Heimat ist genauso wie das ganze Land von
Zuwanderung geprägt; das haben wir mittlerweile gelernt. Das prägt auch die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Auch hier ist die Berufstätigkeit der Frauen
bzw. der Migrantinnen entscheidend. Sie haben all die
Probleme der Frauen am Arbeitsmarkt, aber davon noch
mehr. Nur knapp über die Hälfte ist überhaupt erwerbstätig. Bei den Müttern ohne Migrationshintergrund sind
es immerhin über 70 Prozent, wenn auch oft in Teilzeit.
Aber deswegen ist es wichtig, dass wir die Migrantinnen
mit Programmen vor Ort begleiten, so wie Manuela
Schwesig das aktuell mit dem Programm „Stark im Beruf - Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“
macht.
({12})
Noch ein Hinweis. Mir ist in Vorbereitung auf den
heutigen Tag aufgefallen: Ein genauerer Blick auf die
Zuwanderungsgruppen zeigt, dass es hier Unterschiede
gibt. Laut Mikrozensus 2012 ist das überraschende Ergebnis: Nur 23 Prozent der Türkinnen und lediglich
20 Prozent der Frauen vom afrikanischen Kontinent sind
erwerbstätig. Das ist umso dramatischer, weil mittlerweile fast jedes dritte Kind in Deutschland in einer Familie lebt, in der mindestens ein Elternteil selbst eingewandert ist oder eine ausländische Staatsbürgerschaft
besitzt. Wir sprechen hier von 4 Millionen Kindern.
Frau Kollegin, darf ich auch Sie darauf hinweisen,
dass wir eine Redezeit für alle vereinbart haben?
Sie dürfen mich darauf hinweisen, Herr Präsident. Ich komme zum Schluss. Ich sage es einmal so:
„Damlaya damlaya göl olur“. Da wir viele Türkinnen in
diesem Land haben, müssen wir auch sie berücksichtigen. Das, was ich gesagt habe, heißt auf Deutsch: Viele
Tropfen machen einen See. Oder: Steter Tropfen höhlt
den Stein. Herr Präsident, wir Sozialdemokratinnen machen das so, schon immer, und das machen wir auch immer weiter.
Glück auf!
({0})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Sylvia
Pantel.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es ist erklärtes Ziel dieser Regierung, Frauen zu fördern und die strukturellen Nachteile
zu bekämpfen, denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch
immer ausgesetzt sind. Frauen zu fördern, heißt in erster
Linie, Chancengleichheit zu schaffen. Die vielen Maßnahmen, die wir seit Beginn dieser Legislaturperiode
umgesetzt haben, helfen den Frauen dabei.
Unsere politischen Initiativen decken ein breites
Spektrum ab: von der Mütterrente und dem Betreuungsgeld über den Ausbau von Kitaplätzen bis hin zum Elterngeld Plus, von der Frauenquote über die Mädchenförderung in Ingenieur- und Naturwissenschaften bis hin
zu Förderprogrammen aller Art. Bildung ist der Schlüssel zur wirklichen Freiheit. Wenn wir schon über die Beschäftigungssituation der Frauen sprechen, dann dürfen
wir nicht nur auf die absoluten Zahlen von entgeltlicher
Erwerbstätigkeit schauen.
Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
Linke haben für heute diese Aktuelle Stunde beantragt.
Als Familienpolitikerin freut es mich immer, wenn wir
hier im Hohen Haus über Frauenpolitik sprechen.
({0})
Aber bei dieser Aktuellen Stunde muss man sich jedoch
erst einmal fragen, was Sie von der Linken überhaupt
mit dem Begriff „Beschäftigungssituation von Frauen“
meinen. Wenn die Linke danach fragt, meint sie vermutlich die Zahl der Frauen, die in Vollzeit in einem sozialversicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis stehen,
vielleicht sogar die Zahl der Beamtinnen. Bei der Zahl
der Unternehmerinnen dagegen bin ich mir schon nicht
mehr so sicher.
({1})
Wie steht es um die Frauen, die sich bewusst dafür
entschieden haben, ihre Kinder zu Hause zu betreuen
oder einen Angehörigen zu pflegen? Sie gehen nämlich
ebenso einer Beschäftigung nach, auch wenn sie so in
kaum einer Statistik auftauchen und keine normalen Gehälter für ihre Arbeit gezahlt bekommen.
({2})
Leider ist das größte Hindernis für Frauen noch immer
die teilweise Unvereinbarkeit von Beruf, Karriere und
Familie. Frauen schaffen einen Mehrwert. Sie leisten etwas für ihre Familien und unsere Gesellschaft. Das tun
sie in ganz unterschiedlichen Berufen und auch Berufungen.
Am Anfang jeder Debatte um die beruflichen Perspektiven von Frauen steht für mich die Wahlfreiheit.
Jede Frau in unserem Land muss die Chance haben, sich
beruflich und familiär so zu verwirklichen, wie es ihren
Fähigkeiten und ihrem persönlichen Lebensglück entspricht.
({3})
Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist
in erster Linie ein Mittel, um Frauen Wahlmöglichkeiten
zu eröffnen, wovon im Ergebnis Männer und Frauen
profitieren. Diese Wahlmöglichkeit kann in einem mehrfachen Wechsel zwischen Vollerwerbstätigkeit und häuslicher Tätigkeit bestehen. Das können aber auch genauso
ganz unterschiedliche Teilzeitmodelle sein. Die Wahl zu
haben, heißt eben auch, sich bewusst dafür zu entscheiden, etwas nicht zu tun.
Der wichtigste Punkt, wenn es um die Situation der
Frauen in der Arbeitswelt geht, ist aber die Anerkennung, und zwar gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung. Frauen, die sich entscheiden, ihre Kinder in
Vollzeit zu betreuen oder einen Familienangehörigen zu
Hause zu pflegen, müssen endlich mehr gesellschaftliche Wertschätzung erfahren.
({4})
Wenn ein junger Mann in einem Café hier in Berlin
erzählt, er kümmere sich in Vollzeit um seine beiden
kleinen Kinder, dann sagen die Menschen um ihn herum
voller Bewunderung, was er für ein moderner Mann ist.
Wenn aber eine Frau in der gleichen Situation sagt, sie
kümmere sich in Vollzeit um ihre Kinder, dann wird sie
als rückständig bezeichnet. Was läuft da eigentlich, bitte,
falsch?
Frauen die Wahl zu geben, heißt im Gegenzug auch,
ihre Entscheidung zu respektieren.
({5})
Deshalb gebührt der Entscheidung für die Familie immer
genauso Respekt und Anerkennung. Wenn eine Frau
wieder ins Berufsleben einsteigen will, muss sie Zugang
zum Arbeitsmarkt finden können, und ihre zusätzlichen
Erfahrungen müssen als wertvolle Qualifikationen gewertet und anerkannt werden.
({6})
Dabei geht es nicht nur um gesellschaftliche Anerkennung, sondern es geht zum Beispiel auch um Rentenansprüche, wie wir sie durch die Mütterrente gesichert
haben. Wir reden also nicht nur, sondern wir tun auch etwas.
({7})
Drei Viertel der Jugendlichen sind nach der letzten
Shell-Studie davon überzeugt, dass sie eine Familie
brauchen, um glücklich zu sein. Von über 1 000 von
forsa im Jahr 2013 befragten Vätern gab fast die Hälfte
an, sie würden gerne weniger arbeiten und mehr Zeit mit
ihren Familien verbringen.
({8})
Die Familien in den Mittelpunkt zu stellen, bedeutet für
uns, Frauen endlich die volle gesellschaftliche und vor
allem auch finanzielle Anerkennung zuzugestehen, die
sie verdient haben.
Vielen Dank.
({9})
Abschließender Redner in dieser Aktuellen Stunde ist
der Kollege Uwe Lagosky von der CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 1977 erkannte die Generalversammlung der
Vereinten Nationen den 8. März als Internationalen
Frauentag an. Seine Wurzeln reichen bis an den Anfang
des letzten Jahrhunderts. Zu den Erfolgen in Deutschland zählt das 1918 beschlossene Wahlrecht für Frauen,
das bei den Wahlen 1919 umgesetzt wurde. Darauf geht
auch die heutige politische Beteiligung der Frauen zurück.
Zurück ins Hier und Jetzt: Kommendes Wochenende
gibt es einen weiteren Internationalen Frauentag. Er ist
immer noch notwendig, da wir weiterhin weltweit keine
Gleichberechtigung von Frauen und Männern haben. In
Deutschland haben wir definitiv schon viel erreicht. Allerdings geht da noch mehr.
Mit Blick auf die Beschäftigungssituation von Frauen
fällt auf, dass sie, wie schon gesagt wurde, im Jahresvergleich 22 Prozent weniger verdienen als Männer - darauf gehe ich noch ein -, ein Rentenniveau von 60 Prozent ihrer männlichen Kollegen haben und 24,6 Prozent
der Aufsichtsräte der DAX-Unternehmen stellen. Das
werden wir morgen ändern.
Ein Teil der Entgeltunterschiede ist laut Statistischem
Bundesamt damit erklärbar, dass deutlich mehr Männer
in besser bezahlten Industriebereichen sowie in Führungspositionen arbeiten und seltener Babypausen einlegen oder teilzeitbeschäftigt sind. Wünschenswert ist
also, dass Betriebe Frauen darin unterstützen, Unterschiede in der Erwerbsbiografie auszugleichen, etwa
durch gezielte Fördermaßnahmen, die die in den Babypausen und Erziehungszeiten erworbene soziale Kompetenz berücksichtigen. Das gilt natürlich gleichermaßen
für Männer, wenn sie die Erziehung der Kinder übernehmen. Gerade vor dem Hintergrund eines regionalen und
branchenspezifischen Fachkräftemangels erscheint es
mir ohnehin im unternehmerischen Interesse, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern.
({0})
Um Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst zu ermöglichen, erarbeitete die Bundesregierung ein Gesetz. Morgen werden wir dieses Gesetz
verabschieden, durch das unter anderem ab 2016 mindestens 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten börsennotierter und voll mitbestimmungspflichtiger Unternehmen
sitzen werden.
Für ebenso wichtig wie vernünftig halte ich die Bemühungen, Frauen gezielt zu beraten, auch Berufe in den
sogenannten Männerdomänen zu ergreifen. Allerdings
bleibt es bei der Freiheit, seinen Beruf auszuwählen.
Man kann nicht zu einem bestimmten Beruf gezwungen
werden. Frauen sind nun einmal in erster Linie auf soziale Berufe fixiert. Im Moment zumindest ist das so in
unserer Gesellschaft.
({1})
Solange wir die sozialen Berufe im Hinblick auf die
Bezahlung nicht aufwerten - da bin ich durchaus bei Ihnen -, wird sich an dieser Differenz in der Bezahlung
nichts ändern.
({2})
In weiser Voraussicht hat das Statistische Bundesamt
noch weitere Anstrengungen im Hinblick auf solche Argumente unternommen. Es stellt ausschließlich vergleichbare Qualifikationen und Stellen gegenüber. Dabei
entsteht folgendes Bild: Es ist ein Lohnunterschied von
7 Prozent vorhanden, nicht von 22 Prozent. Das ergibt
sich, wenn man gleiche Stellen und Qualifikationen vergleicht. Genau an dieser Stelle setzen die Koalitionsfraktionen an. Wir leisten unseren Beitrag, um das Prinzip
„Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ zu
stärken. Unternehmen ab 500 Beschäftigte sollen in ihren Lageberichten nach dem Handelsgesetzbuch auf die
Frauenförderung und die Entgeltgleichheit eingehen.
Zugleich ist geplant, Arbeitnehmern darauf aufbauend
einen Auskunftsanspruch zu geben, wenn sie sich bei der
Bezahlung gegenüber ihren Kollegen benachteiligt fühlen.
Jenseits dieses Gesetzesvorhabens sind die Unternehmen und die öffentlichen Arbeitgeber in Zusammenarbeit mit den Betriebs- und Personalräten aufgefordert,
die Entgeltungleichheit in den Betrieben zu beseitigen.
Stichwort „Betriebsräte“: Laut „Trendreport Betriebsrätewahlen 2014“ der Hans-Böckler-Stiftung beträgt der
Frauenanteil in den Betriebsräten 27,5 Prozent. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Gerade hier bieten sich
beste Möglichkeiten für den Kampf um Gleichberechtigung.
Herzlichen Dank.
({3})
Damit schließe ich die Aktuelle Stunde.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bildung für nachhaltige Entwicklung - Mit
dem Weltaktionsprogramm in die Zukunft
Drucksache 18/4188
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Weil ich keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie alle
damit einverstanden sind.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin zu diesem
Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Sybille Benning,
CDU/CSU, der ich hiermit das Wort erteile.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ hat uns vorangebracht. In der Bonner Erklärung, dem Abschlussdokument, heißt es sogar: „erheblich vorangebracht“. Die beteiligten Bildungsexperten
unterstreichen, dass im Dekadezeitraum, 2005 bis 2014,
das gesellschaftliche Bewusstsein für die Bedeutung von
Nachhaltigkeit national und international deutliche Fortschritte gemacht hat. Das ist ein Erfolg.
({0})
National zeigt sich der Erfolg zum Beispiel im ehrenamtlichen Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger,
in unzähligen Projekten, von denen mehr als 1 900 ausgezeichnet worden sind. Zugleich wurden 48 UN-Dekade-Maßnahmen prämiert. Am Schiller-Gymnasium
meiner Heimatstadt Münster gibt es ein gutes Beispiel:
Der Verein The Global Experience wurde für seine Maßnahme „International Reporters“ ausgezeichnet. Dazu
kann ich viel erzählen, aber das später. - Anders als Projekte müssen Maßnahmen nämlich einen strukturellen
Beitrag zur Verankerung der Bildung für nachhaltige
Entwicklung im Bildungswesen leisten. Um genau diese
Verstetigung geht es uns schließlich: Die hervorragende
Arbeit der entstandenen Ansätze während der UN-Dekade soll eine festere Verankerung in allen Bereichen unseres vielschichtigen Bildungssystems finden.
Ziel ist es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein
Leben auf Kosten der nächsten Generation keine Option
ist. Wir wollen wirtschaftlichen Fortschritt im Sinne einer Green Economy, einer nachhaltigen Wirtschaft.
({1})
Finanz- und Ernährungskrisen, Klimawandel, Ressourcenknappheit, Umweltverschmutzung, Krankheiten und
Epidemien führen uns täglich vor Augen, dass Menschen jeden Alters auf der ganzen Welt Wissen und
Kompetenzen brauchen, um diese Herausforderungen zu
meistern. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist eine
Voraussetzung, notwendige Antworten auf die drängenden Zeitfragen zu finden, getreu unserer Überzeugung,
Menschen zu eigenverantwortlichem Handeln zu befähigen und zu ermutigen.
({2})
Dies beginnt im Kopf. Es beginnt mit der Fähigkeit, kritisch und selbstkritisch zu denken. Früher sagte man: Iss
deinen Teller leer; anderswo müssen die Kinder hunSybille Benning
gern. - Das ist zu kurz gesprungen. Heute wissen wir:
Im Sinne eines klugen Umgangs mit Ressourcen kommt
es darauf an, den Teller von vornherein erst gar nicht so
voll zu machen.
„Wir wollen ,Bildung zur Nachhaltigen Entwicklung‘
in allen Bildungsbereichen stärker verankern.“ - Das haben wir in unseren Koalitionsvertrag geschrieben. In
diese Aufgaben sind alle mit einbezogen: Gesellschaft,
Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft; denn das
kann und soll nicht von staatlicher Seite aufoktroyiert
werden. Und doch ist entscheidend, dass die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangeht und deutlich
macht, dass Nachhaltigkeit das Leitprinzip unserer Politik ist.
Seit 2002 haben wir in Deutschland eine nationale
Nachhaltigkeitsstrategie. Regelmäßig berichtet die Bundesregierung von Fortschritten. In ihrem letzten Fortschrittsbericht 2012 bekennt sie sich zur Bildung für
nachhaltige Entwicklung im Sinne eines wichtigen Instruments zur Stärkung und Befähigung der Zivilgesellschaft. Wir hoffen, dass in der nächsten Fortschreibung
der Nachhaltigkeitsstrategie, 2016, der Bildung für nachhaltige Entwicklung mehr Gewicht gegeben wird.
Meine Damen und Herren, liebe Zuhörer, seit der
letzten Legislaturperiode werden alle Gesetzesvorschläge der Bundesregierung verpflichtend auf ihre
nachhaltige Wirkung hin überprüft, eine Aufgabe, die
meine Kollegen und ich im Parlamentarischen Beirat für
nachhaltige Entwicklung so gewissenhaft, wie es diesem
Gremium möglich ist, wahrnehmen.
({3})
Wozu das gut ist? Es ist ein Mittel, um gegen kurzfristiges Denken und Handeln anzukämpfen und die Folgen
unseres Handelns über den Horizont der Wahlperiode hinaus in den Blick zu nehmen. Die Nachhaltigkeitsprüfung ist damit letztendlich eine Prioritätenabwägung.
Liebe Zuhörer, auf das Ende der Dekade folgt jetzt
das UNESCO-Weltaktionsprogramm, das sich auf die
nächsten fünf Jahre erstreckt. Die bislang gewachsenen
Netzwerke werden sich bewähren. Sie bilden nun das
Fundament für die Umsetzung des Weltaktionsprogramms. Dessen Schwerpunkte sind: die weitere Forschung zur Verankerung der Bildung für nachhaltige
Entwicklung, die Förderung lokaler Bildungsnetzwerke
und der Ausbau der Bildung für nachhaltige Entwicklung an Hochschulen. Federführend für die Begleitung
und Umsetzung des Weltaktionsprogramms ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Im BMBF wird in diesem Jahr auch das neue Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklungen“ - kurz FONA genannt - in seiner dritten Neuauflage veröffentlicht. In diesem Programm stellt das
BMBF jährlich 400 Millionen Euro bereit.
({4})
Genau wie bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung
blickt man auch bei der Forschung für nachhaltige Entwicklung auf zehn Jahre Erfahrung zurück. Die Schnittstellen liegen auf der Hand. Durch Bildung auf der einen
Seite und Forschung auf der anderen Seite soll die Entwicklung zu einer nachhaltigeren Welt befördert werden.
Die aus der Forschung gewonnenen Erkenntnisse - zum
Beispiel über Ursachen des Klimawandels - fließen in
die Bildung für nachhaltige Entwicklung ein. Sie ist die
notwendige Grundlage, um den Wandel in den Köpfen
und schließlich im eigenen Verhalten zu erzielen. Im
kommenden Rahmenprogramm FONA 3 sollen darum
die Bereiche Bildung für Nachhaltigkeit und Forschung
für Nachhaltigkeit explizit verknüpft werden. Die bislang erzielten Ergebnisse werden zusammengeführt, inhaltliche Bezüge werden gezielter genutzt, und Akteure
werden miteinander in Beziehung gesetzt. Auf diese
Weise werden möglichst viele Synergien erzeugt.
Wenn wir bei unserem Ziel der Förderung von Nachhaltigkeit weiter an einem Strang ziehen, dann wird das wissen gerade wir in Deutschland - eine Wende
möglich sein.
({5})
Übrigens: Heute ist Donnerstag. Das war keine Sonntagsrede!
Vielen Dank.
({6})
Danke schön. - Für die Fraktion Die Linke spricht
jetzt die Kollegin Dr. Rosemarie Hein.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ja, das ist ein wichtiges Thema; da sind
wir uns einig. Die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ ist zu Ende gegangen. Ein Weltaktionsprogramm wurde beschlossen. Es wurde eine Bonner Erklärung verabschiedet, bei der ich übrigens jeden Satz
unterschreiben könnte. All das ist schick. Aber schauen
wir uns Ihren Antrag an.
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass Nachhaltigkeit drei Dimensionen hat: eine ökologische, eine soziale
und eine ökonomische. Doch nur im Zusammenhang aller drei Dimensionen entsteht überhaupt Nachhaltigkeit.
Nun hat Frau Benning eben erklärt, dass es jetzt darauf
ankomme, das Ganze zu verstetigen. Das ist richtig; das
wird auch in der Bonner Erklärung gefordert. Wir würden das auch unterstützen, nur finden wir es in dem Antrag nicht. Es wäre schön gewesen, wenn Sie einmal gesagt hätten, wie denn eine solche Verstetigung aussehen
könnte. Im Antrag finde ich dazu keine Idee. Vielmehr
scheint es so, als ob Sie damit fortfahren wollen, mit vielen Projekten zu punkten. Wir brauchen aber nicht
Masse, sondern Dauerhaftigkeit und Systematik.
({0})
Ich will mit drei Beispielen versuchen zu beschreiben,
was wir erwartet hätten, was aber leider im Antrag nicht
zu finden ist.
Erstes Beispiel. Noch im Bericht von 2013 wurde
eine bessere Verankerung des Themas in den Bildungsplänen der Schulen gefordert. Bei Ihnen fehlt dieses
Thema nahezu vollständig. Na klar, die Zuständigkeit!
Wir hätten aber mindestens die Kultusministerkonferenz
auffordern müssen, die eigenen Beschlüsse zur Bildung
für nachhaltige Entwicklung zu überprüfen und zu erneuern. Die stammen nämlich ebenso wie der Orientierungsrahmen zu globaler Entwicklung aus dem Jahr
2007.
Bildung muss sich verändern; da sind wir uns sicherlich einig. Es ist sinnvoll, bei komplexen Themen der
Nachhaltigkeit auch komplex zu arbeiten. Ich gebe ein
Beispiel dafür. Ein Ziel könnte sein, dass Kinder und Jugendliche verstehen, dass die billigen T-Shirts vom
Wühltisch im Kaufhaus und bei Discountern oft unter
dramatisch schlechten Arbeitsbedingungen hergestellt
wurden oder dass die heute noch in den südlichen Ländern massenhaft produzierten Bananen mit einer erheblichen Naturzerstörung einhergehen, dass wir hier in Europa eine Verantwortung dafür haben, was im Süden
oder im Osten geschieht. Diese Themen könnte man
zeitgleich und abgestimmt in Fächern wie Geografie,
Geschichte, Mathematik, Chemie, Sozialkunde und
Deutsch behandeln. Das könnte zu nachhaltigen Lerneffekten führen. Zur ökonomischen Bildung, die wir
immer wieder einfordern, gehört dann aber bitte auch,
aufzuzeigen, wer an den Klamotten bzw. den Billigprodukten wie viel verdient. Das könnte nachhaltig sein.
({1})
Zweites Beispiel. Wer entscheidet eigentlich, welche
Projekte für nachhaltige Entwicklung wertvoll sind? Sie
wollen eine Nachhaltigkeitsprüfung. Der SparkassenSchulservice wurde von der Deutschen UNESCO-Kommission als offizielle Maßnahme in den Nationalen Aktionsplan für nachhaltige Entwicklung aufgenommen.
So geadelt wird er leicht den Weg in die Schulen finden,
ganz an den für die Zulassung von Lehr- und Lernmitteln zuständigen Kultusministerien vorbei. Das machen
zahlreiche Unternehmen so. Bei der Suche nach solchen
Beispielen bin ich auf diesen Schulservice gestoßen, der
unter anderem monatliche Foliensätze bietet: zwölf Themen in einem Jahr, zwei zum Thema Nachhaltigkeit, in
den anderen geht es um die Sicht der Wirtschaft auf Themen wie Gerechtigkeit oder Mindestlohn. Da sollten Sie
einmal hinschauen; Ihnen wird nicht gefallen, was dort
steht. Didaktisch gut aufbereitet sind die Arbeitsblätter
zum Thema Mobilität; wegen der Inhalte sträubten sich
mir allerdings die Nackenhaare. Kundenwerbung wird
nebenbei betrieben. So erfährt man unter dem Mäntelchen der finanziellen Bildung etwas über Onlinebanking
und natürlich auch, wie man Depots anlegt. Ich halte dieses Verfahren, das viele Unternehmen betreiben, vor allem die großen, für überhaupt nicht nachhaltig. Das ist
nicht das, was wir anstreben sollten, aber es wurde geadelt von der UNESO-Kommission.
Letztes Beispiel. In der Bonner Erklärung wird das
Mitspracherecht von Jugendlichen in diesem ganzen
Prozess gefordert, und zwar bis in die höchsten Gremien
hinein, gegebenenfalls mit einem eigenen Budget. Ich
finde das hervorragend. In Ihrem Antrag fehlt das leider,
und das ist schade. Ich finde, wenn wir über die jüngere
Generation reden, dann müssen wir sie auch einbeziehen.
({2})
Es ist schade, dass Sie das alles mit Ihrem Antrag
nicht leisten. Das gute Anliegen, die Bildung für nachhaltige Entwicklung voranzubringen, wird so leider
nicht umgesetzt. Vielmehr droht es unter der Formulierung BNE, die ich in Ihrem Antrag gefunden habe, zu einer Floskel zu verkommen, was ich bedenklich finde.
Die Bildung für nachhaltige Entwicklung würde dadurch
sehr schnell inhaltsleer, und das dürfen wir nicht zulassen.
Weil wir diese Kritik an Ihrem Antrag haben, werden
wir ihn zwar nicht ablehnen, uns aber der Stimme enthalten.
Vielen Dank.
({3})
Als Nächstes spricht die Kollegin Saskia Esken für
die SPD.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Seit uns der
Bericht des Club of Rome in den 70er-Jahren zu den
Grenzen des Wachstums die Augen geöffnet hat und die
Brundtland-Kommission der UN in den 80ern den Beginn einer internationalen Politik für Umwelt und Entwicklung definierte, hat der Begriff der Nachhaltigkeit
eine ziemliche Konjunktur, aber auch eine stetige Weiterentwicklung erfahren.
In den Anfängen wurde Nachhaltigkeit hauptsächlich
ökologisch definiert, im Sinne von Umweltschutz und
Ressourcenschonung. Heute denken wir den Begriff der
Nachhaltigkeit viel weiter, zum Beispiel im Sinne einer
sozialen oder gesellschaftlichen Nachhaltigkeit. Dabei
geht es um Entwicklungen wie den demografischen
Wandel oder den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft. Die nachhaltige Entwicklung als Grundprinzip
unseres Handelns, auch unseres politischen Handelns, ist
aber leider ein sehr flüchtiger Gedanke, flüchtig wie alles, was sich so sehr auf die Zukunft bezieht. Der richtige Weg, einen so flüchtigen Gedanken in den Köpfen
heutiger und künftiger Generationen nachhaltig zu verankern, ist natürlich Bildung, Bildung für nachhaltige
Entwicklung.
Wegen der internationalen Zielsetzung, durch Bildung weltweit für eine nachhaltige Entwicklung zu sorgen, haben die Vereinten Nationen im Jahr 2005 eine
Weltdekade ausgerufen. Diese Dekade ist im Jahr 2014
zu Ende gegangen. Wir wollen mit unserem fraktionsübergreifenden Antrag die Bundesregierung in der Zielsetzung bestärken, das Konzept der nachhaltigen Entwicklung in allen Bildungsbereichen in Deutschland
weiter zu verankern und die internationalen Bemühungen darum weiterhin zu unterstützen.
({0})
In aller Welt sind in dieser Dekade Strukturen und
Partnerschaften gewachsen. Die Initiative für Nachhaltigkeit in der Hochschulbildung beispielsweise, die von
über 250 Hochschulen aus aller Welt getragen wird,
wurde im Jahr 2012 bei der Konferenz von Rio verabschiedet. Ziel der Initiative ist es, weitere Hochschulen
zu freiwilligen Zusagen zu einer nachhaltigen Ausrichtung von Management, Lehre und Forschung zu motivieren, sodass wir diesbezüglich Wachstum erwarten
dürfen.
In Deutschland hat die Dekade bisher vor allem im
Bereich der vorschulischen und der schulischen Bildung
Früchte getragen. Eine große Vielfalt lokaler und überregionaler Projekte und Initiativen wurde umgesetzt, und
insgesamt 2 000 herausragende Projekte wurden von der
Deutschen UNESCO-Kommission ausgezeichnet. Es ist
jetzt notwendig, dass wir diese großartige Arbeit verstärken und verstetigen, um damit auch nachhaltig zu wirken. Deshalb treten wir im Rahmen dieses Antrags mit
der Forderung an die Bundesregierung heran, die Mittel
für diese wichtige Zielsetzung zu erhöhen. Erste Signale
aus dem Bundesministerium zeigen, dass man hier am
gleichen Strang zieht.
({1})
Die Erfolge des allgemeinbildenden Schulsystems in
der Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens sollten
jetzt auch im beruflichen Bildungswesen und an den
Hochschulen in Deutschland ermöglicht werden. Gerade
im Zusammenspiel zwischen beruflicher Schulbildung
und praktischer Erfahrung im dualen System können
Kompetenzen für nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften gefördert werden, um so ökonomische, soziale und
ökologische Verantwortung in bestmöglichen Einklang
zu bringen. Schülerinnen und Schüler werden vertraut
mit der Idee eines nachhaltigen Leitgedankens und erhalten in der beruflichen Bildung wichtige theoretische
und praktische Handlungs- und Gestaltungskompetenzen. Wir empfehlen deshalb, den Förderschwerpunkt
„Berufliche Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“
der UN-Dekade, der bisher als Modellversuch nur punktuelle Wirkung entfalten konnte, auf alle Bereiche der
beruflichen Bildung auszuweiten.
({2})
Im Jahr 2010 haben die Deutsche UNESCO-Kommission und die Hochschulrektorenkonferenz außerdem
eine Empfehlung für „Hochschulen für nachhaltige Entwicklung“ ausgesprochen. Hier geht es auch um nachhaltiges Management, um Lernen und Forschen, aber
auch um die Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens
in den Studienordnungen. An den Hochschulen soll
Nachhaltigkeit ebenfalls zu einem selbstverständlichen
Teilaspekt der Wissenschaft werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Bildungspolitikerin ist es mir wichtig, Sie noch einmal auf
den Gedanken der nachhaltigen Bildung aufmerksam zu
machen. Immer noch wird bei der Bildung zu sehr an die
Vermittlung eines Wissenskanons gedacht und zu wenig
an die Menschwerdung sowie an die Ermöglichung von
souveräner gesellschaftlicher Teilhabe. Auch angesichts
einer Wissensgesellschaft im Wandel ist es notwendig,
dass junge Menschen zukunftsfähige Kompetenzen entwickeln und dazu befähigt und motiviert werden, ein Leben lang weiter zu lernen.
({3})
Nachhaltige Bildung bedeutet aber auch, die Zahl der
Schulabgänger ohne Abschluss und die der Ausbildungs- und Studienabbrüche so weit wie möglich zu reduzieren. Junge Menschen benötigen im Vorfeld der
Ausbildungs- oder Studienwahl Information und Orientierung, die die Eltern wegen des Wandels bei Ausbildungsberufen und Studienfächern oft nicht leisten können.
({4})
Insbesondere Erststudierende, für deren Familien akademische Bildungsgänge Neuland sind, aber auch die vielen immer jüngeren Studienanfänger benötigen vor und
auch während des Studiums eine gute Begleitung und
Betreuung, damit bei auftretenden Schwierigkeiten nicht
gleich die Flinte ins Korn geworfen wird. Mit der notwendigen Unterstützung kann das Misserfolgserleben
und können die Umwege eines Ausbildungs- oder Studienabbruchs vermieden werden und kommen die jungen Menschen erfolgreich zu ihrem gewünschten Abschluss.
Planst Du für ein Jahr, so säe Korn,
planst Du für ein Jahrzehnt, so pflanze Bäume,
planst Du für ein Leben, so bilde Menschen.
So machte schon im 4. Jahrhundert vor Beginn unserer
Zeitrechnung der chinesische Philosoph Kuan Chung
Tzu deutlich: Bildung und Nachhaltigkeit gehören untrennbar zusammen.
Mit Bildung für nachhaltige Entwicklung nehmen wir
uns vor, für die Dauer eines ganzen Lebens und darüber
hinaus zu planen. Wer Verantwortung für die Zukunft
übernehmen will, muss Nachhaltigkeit zur obersten Maxime machen. Bildung für Nachhaltigkeit ist der Weg
dazu.
({5})
Ich freue mich, dass wir hierzu einen interfraktionellen
Antrag erarbeitet haben, der fast über alle Fraktionen
Zustimmung findet.
({6})
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate WalterRosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!
Gehen Sie zur Abwechslung in Gedanken in Ihre Wohnzimmer zu Hause und stellen Sie sich vor, Sie haben ein
besonders schönes und wertvolles Geschenk bekommen.
Wo würden Sie es hinstellen? Sicher nicht in die Abstellkammer, sondern in einen Ihrer Lieblingsräume, wo Sie
es sehen können, wo es Ihnen besonders gut gefällt. Einen solchen Platz braucht auch das schöne Stück „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, auch wenn es einen
etwas sperrigen Namen hat, weshalb ich es fortan BNE
nennen werde.
({0})
- Sie müssen aber auch immer scherzen.
({1})
Das geht aber nicht von meiner Zeit ab, wenn Sie hier so
lustig sind. - Auf jeden Fall muss BNE raus aus den Abstellkammern und rein in die gute Stube. Sie braucht einen Platz mitten in unserer Gesellschaft. Nachhaltigkeit
berührt nämlich alle Bereiche des Alltags. Umwelt,
Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen sich gegenseitig. Es hängt also alles mit allem zusammen. Dieser Gedanke gefällt mir an diesem Konzept besonders gut.
({2})
BNE beschreibt einen Weg, um die Welt im Gleichgewicht zu halten. Sie hilft Kindern und Jugendlichen,
Kompetenzen zu entwickeln und ihre Zukunft nachhaltig
gestalten zu lernen. So gesehen ist es ein ganz wunderbares Konzept. Vor allem geht es uns alle an, auch wenn
das vielleicht - wenn ich mich hier umschaue - noch
nicht alle erkannt haben.
({3})
Deshalb freue ich mich sehr, dass wir einen interfraktionellen Antrag hinbekommen haben, auch wenn die
Linke jetzt nicht daran beteiligt ist.
({4})
Lassen Sie mich zunächst die Entwicklung darstellen.
Wir haben schon gehört, dass die Vereinten Nationen in
den vergangenen zehn Jahren versucht haben, das
Thema weltweit zu verankern. 2014 ist das Programm
ausgelaufen. Es gab zahlreiche Aktionen und Projekte
- fast 2 000 ausgezeichnete Projekte -, zahlreiche Kommunen, die sich engagiert haben, und - das finde ich
sehr wichtig - viel zivilgesellschaftliches Engagement.
Viele Menschen waren ehrenamtlich im Einsatz. Vor ihnen ziehen wir wirklich unseren Hut; denn sie haben das
Ganze getragen.
({5})
Aber leider ist der Begriff nach wie vor nur einer
Fachöffentlichkeit bekannt. Es gibt ganz viele Lehrer
und Lehrerinnen, die nicht einmal diesen Begriff kennen. Das sollte nach zehn Jahren eigentlich nicht mehr
so sein. Dagegen wollen wir angehen.
({6})
BNE ist noch lange kein Selbstläufer. Genau darüber
machen wir uns Sorgen. Wir sorgen uns darum, wie es
weitergeht. Im November 2014 wurde das Weltaktionsprogramm der Vereinten Nationen ausgerufen. Es soll
fünf Jahre lang darum gehen, BNE in allen Ländern der
Welt bekannt zu machen. Wie gesagt, das Thema soll
raus aus dem Kämmerchen.
In unserem Antrag fordern wir nun verschiedene, wie
ich finde, sehr konkrete Maßnahmen, um BNE endlich
systematisch zu implementieren und flächendeckend zu
verankern. Ich finde, das ist gar nicht so ein Wischiwaschi, wie Sie behaupten.
({7})
Ich nenne nur einige Punkte, die mir sehr am Herzen liegen. Wir wollen, dass die Bundesressorts BNE in ihren
Strategien verankern. Wir wollen dazu eine interministerielle Arbeitsgruppe einrichten. Das finde ich schon einmal sehr wichtig. Wir wollen, dass die Bundesregierung
weiterhin regelmäßig Bericht darüber erstattet, was im
Rahmen des Weltaktionsprogramms erreicht wurde, sodass wir Einfluss nehmen können. Wir möchten gerne,
dass die Bundesregierung mit den Ländern auf allen
Ebenen für eine systematische Verankerung sorgt und
der Gedanke der BNE in alle Bildungseinrichtungen getragen wird, von der Kita bis zur Uni. Das schreiben wir
sehr wohl.
({8})
BNE muss endlich in alle Köpfe. Deshalb muss die
Bundesregierung mehr Anstrengungen als bisher unternehmen; auch das fordern wir. Wir sind uns in den Fraktionen einig, dass wir das Eisen schmieden müssen, solange es heiß ist und bevor die Akteure vor Ort, die
Lehrkräfte, die Ehrenamtlichen das Interesse, die EnerBeate Walter-Rosenheimer
gie und auch die Lust verlieren. Wir haben von Professor
de Haan im Beirat gehört, dass sehr viel Unsicherheit darüber besteht, wie es weitergehen kann. Deswegen
möchten wir da Klarheit und klare Strukturen.
({9})
Unser gemeinsamer Antrag, unsere Einigkeit über
Fraktionsgrenzen hinweg, gibt mir die Hoffnung, dass
wir nun größere Brötchen backen und in fünf Jahren auf
einem ganz anderen Level sind als jetzt. Denn, liebe
Kolleginnen und Kollegen, es gilt, was schon Albert
Camus gesagt hat: „Wer etwas will, findet Wege, wer
nicht, findet Gründe.“
({10})
Als Nächste spricht die Kollegin Kerstin Radomski
für die CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Begriff „Nachhaltigkeit“ erfreut sich
schier unbegrenzter Beliebtheit. Das 21. Jahrhundert
könnte man als das Jahrhundert der Nachhaltigkeit bezeichnen - so oft wird dieser Begriff in den unterschiedlichsten Zusammenhängen bedient und manchmal auch
strapaziert. Dabei hat nachhaltiges Handeln seine Wurzeln in allen Kulturen; es ist sozusagen eine grundlegende Überlebensstrategie für uns Menschen. Es ist das
Bewusstsein einer Generation, nicht nur die eigenen Bedürfnisse verfolgen zu können, sondern auch auf die Bedürfnisse nachfolgender Generationen Rücksicht nehmen zu müssen. Nachhaltige Entwicklung zu fördern,
bedeutet, die Chancen auf ein Leben in Wohlstand und
Würde für alle Menschen zu ermöglichen.
({0})
Heute wirkt nachhaltige Entwicklung in die verschiedensten Bereiche hinein: Ressourcennutzung, Demografie, Städtebau, Gesundheitswesen, Konsum und Klima.
Uns allen fallen bestimmt noch mehr Dinge ein. Nachhaltiges Denken ist für jeden Menschen wichtig; denn es
geht um unsere Zukunft.
Wir haben im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung das Thema „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ ganz oben auf die Agenda gesetzt, da das
Lernen für Nachhaltigkeit die Lebensweise aller Generationen bestimmt. Bildung für nachhaltige Entwicklung
soll die Menschen dazu bewegen, verantwortungsvolle
und generationengerechte Lösungen in ihrem Umfeld zu
finden.
({1})
Das Konzept ist interdisziplinär und bildungsbereichsübergreifend angelegt. Das heißt: Von der Kita bis zur
Erwachsenenbildung stehen uns Möglichkeiten offen,
Bildung für eine nachhaltige Entwicklung zu vertiefen.
In den letzten Jahren haben wir viel erreicht. Deutschland nahm an der Weltdekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ der Vereinten Nationen von 2005 bis 2014
teil. In diesem Zeitraum konnten wir Bildung für eine
nachhaltige Entwicklung national weiter verankern. Das
Konzept wurde in Lehr- und Bildungsplänen immer häufiger berücksichtigt. So wurden rund 2 000 Dekadeprojekte und 21 Kommunen zu diesem Thema ausgezeichnet.
Ich möchte Ihnen als Erstes ein von der UN-Dekade
ausgezeichnetes Beispiel aus meiner Heimatstadt Krefeld nennen. Der Kern ist eine nachhaltige Berufsbildung in der Ernährungsbranche. Die Schülerinnen und
Schüler im Gastronomiebereich lernen, regionale Lebensmittel und saisonale Produkte in das Getränke- und
Speiseangebot zu integrieren. Ein paar Kilometer weiter
haben Schüler und Lehrer am Pascal-Gymnasium in
Grevenbroich eine Internet-AG zum Thema Nachhaltigkeit eingerichtet. Das Projekt verfolgt das Ziel, die Anregungen der UN-Dekade im Unterricht zu implementieren. Zur praktischen Vertiefung wurde zeitgleich ein
kleines Waldgrundstück angelegt und wurden Neubauten auf dem Schulgelände energieeffizient geplant. Diese
Beispiele zeigen - ich kann nicht alle nennen, in NRW
sind es über 300 ausgezeichnete Beispiele - die Ideen
und Möglichkeiten, die darin stecken.
({2})
Sie zeigen, dass es wichtig ist, eine Verbindung zwischen dem eigenen Handeln und globaler Gerechtigkeit
herzustellen.
({3})
Angesichts des Auslaufens der UN-Dekade im vergangenen Jahr ist es von enormer Bedeutung, die Errungenschaften und Erkenntnisse langfristig zu nutzen. Wir
möchten eine weiterführende flächendeckende nationale
Konsolidierung dieses Nachhaltigkeitsgedankens erreichen. Unser Ziel ist es, allen Menschen eine qualitative
Bildung zugänglich zu machen, unabhängig von ihrem
sozioökonomischen Hintergrund oder ihrem Geschlecht.
Dazu zählt die Bildung zur nachhaltigen Entwicklung
und deren Bedeutung für unsere Zukunft. Kinder wie Erwachsene erfahren, wie sie durch ihr eigenes Handeln
andere Menschen motivieren können, Gleiches zu tun,
und wie der Erhalt der Schöpfung durch nachhaltiges
Handeln unterstützt wird.
({4})
Es gilt, die Akteure aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft
und Zivilbevölkerung in die Prozesse des Nachfolgeprogramms einzubinden und ihr Engagement weiter zu fördern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erachte es als
wichtig, dass wir kontinuierlich zeigen, dass unsere Le8670
bensbedingungen für nachfolgende Generationen zu erhalten sind. Nachhaltigkeit geht uns alle an, und wir alle
können dazu beitragen.
({5})
Als Mutter und langjährige Lehrerin liegt es mir besonders am Herzen, Bildungskonzepte weiter auszubauen,
die nachhaltig und generationengerecht in die Zukunft
weisen. Den Nachhaltigkeitsgedanken in der jungen Generation zu verankern, ist an sich schon nachhaltiges
Handeln. Schon der altgriechische Philosoph Diogenes
stellte fest:
Die Grundlage eines jeden Staates ist die Ausbildung seiner Jugend.
In diesem Sinne betone ich noch einmal: Die Welt
von morgen können und müssen wir heute gestalten.
Vielen Dank.
({6})
Vielen Dank. - Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Carsten Träger.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 2015 wird ein entscheidendes Jahr für das
Megathema Nachhaltigkeit. Es herrscht Hochbetrieb an
vielen Baustellen der Nachhaltigkeit, viele Akteure arbeiten auf vielen verschiedenen Ebenen mit vielen
Schwerpunkten.
Hier in Deutschland ist ein ganz wesentlicher
Schwerpunkt die Weiterentwicklung der nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie. Wir werden die Indikatoren anpassen und sie weiterentwickeln. Wir wollen unsere
ehrgeizigen Ziele beim Umweltschutz, beim sozialen
Zusammenleben und bei der wirtschaftlichen Entwicklung erreichen.
Auf internationaler Ebene werfen gleich zwei große
UN-Konferenzen ihre Schatten voraus; sie werden entscheidend sein für die nachhaltige Entwicklung unseres
Planeten. Jedem von uns ist bewusst, welche Bedeutung
die Konferenz von Paris für die Bewahrung unseres Klimas haben wird.
({0})
Leider wesentlich weniger bekannt ist die UN-Konferenz, die im September in New York stattfinden wird.
Dort wird es um die Festschreibung der Sustainable
Development Goals gehen. Minister Müller hat davon
gesprochen, dass dort der „Weltzukunftsvertrag“ verhandelt werden wird. Ich finde diese Formulierung absolut
treffend;
({1})
denn es geht dort um Nachhaltigkeitsziele für alle Staaten - sowohl für Industrieländer als auch für Schwellenländer als auch für sich entwickelnde Staaten - und,
ganz wichtig, auch um deren Durchsetzung.
({2})
Die Bedeutung dieser Konferenz ist nicht hoch genug
einzuschätzen, trotzdem weiß kaum jemand davon.
Da sind wir mitten im Thema: Wenn wir das Leben
auf unserem Planeten wirklich nachhaltig - im besten
Sinne des Wortes „nachhaltig“ - verändern wollen zu einer Lebensweise, die auch noch unseren Kindern eine
lebenswerte Umwelt hinterlässt, dann dürfen wir uns
nicht darauf beschränken, rechtliche Rahmenbedingungen zu setzen für dieses oder jenes Problem. Die sind natürlich auch wichtig; das wird aber nicht reichen. Wir
müssen die Köpfe und die Herzen der Menschen erreichen, wir müssen jeden Einzelnen überzeugen. Das geht
nur mit nachhaltiger Bildung.
({3})
Wir wissen das - zumindest alle, die hier an dieser Debatte teilnehmen -, und die Verhandelnden von New
York wissen das auch; denn das vierte von den 17 Zielen
im Vertragsentwurf heißt:
Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen
Lernens für alle fördern.
({4})
Wie nötig die Stärkung der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung ist, wurde mir diese Woche im Umweltausschuss am Beispiel der Nationalen Strategie zur
biologischen Vielfalt bewusst. Der Indikatorenbericht,
den wir besprochen haben, beschreibt die Fortschritte
hin zu mehr biologischer Vielfalt in Deutschland. Unter
anderem misst er das gesellschaftliche Bewusstsein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade einmal
25 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland haben ein ausreichendes Wissen zur biologischen
Vielfalt und sind auch bereit, ihr Verhalten entsprechend
anzupassen.
({5})
Da gibt es minimale Verbesserungen im Vergleich zu
früheren Jahren; aber von dem Zielwert, dem wir uns
alle hier verpflichtet haben, sind wir weit entfernt, und
das, obwohl der Zeitraum von 2011 bis 2020 zur UNDekade der biologischen Vielfalt ausgerufen wurde. Wir
brauchen hier dringend eine Verbesserung beim Indikator „gesellschaftliches Bewusstsein“.
({6})
Da sind mehr und bessere Bildung gefragt und auch eine
bessere, zielgruppengerechtere Ansprache. Wir brauchen
Bildung für nachhaltige Entwicklung in Kindergärten, in
Kitas, in Schulen, in der beruflichen Bildung und an den
Hochschulen.
({7})
Da wird vor Ort schon hervorragende Arbeit geleistet.
Ich habe in meinem Wahlkreis neulich eine Kita besucht,
die den Kleinen kindgerecht nachhaltiges Leben nahebringen will: bei der Ernährung, beim Spielzeug oder
dem Umgang mit der Natur. Natürlich gibt es ganz viele
weitere positive Beispiele. Aber können wir es uns
leisten, dass solch vorbildliche Arbeit vom Engagement
einzelner Erzieherinnen bzw. Einrichtungen abhängt?
Ich glaube, nicht. Wir müssen die Bildung für Nachhaltigkeit weiter stärken. Die Idee der Nachhaltigkeit muss
rein in die Herzen der Menschen. Es reicht nicht, dass
Nachhaltigkeit ein Thema hier bei uns im Parlament ist.
Sie muss auch ein Thema in den Wohnzimmern sein.
({8})
Der Weg dorthin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
führt über die Klassenzimmer; hier kann die Politik mitgestalten. Also: Das Thema Nachhaltigkeit muss in die
Lehrpläne aufgenommen werden. Mathematik, Physik
und Geschichte sind wichtig - ganz klar -; aber die Zukunft unseres Planeten ist es eben auch.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank. - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dr. Claudia LückingMichel, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Im September haben wir auf
die Dekade für Bildung für nachhaltige Entwicklung zurückgeblickt. Heute schauen wir mit unserem Antrag für
das Weltaktionsprogramm nach vorne in die Zukunft.
Viel haben wir schon in dieser Debatte gehört, von mir
an dieser Stelle vielleicht noch fünf Gedanken.
Erstens. Bevor wir uns in der Vielfalt der Themen und
Aufgaben verlieren, die alle unter das Thema nachhaltige Entwicklung fallen: Es geht um Bildung, die Menschen zu einem gesellschaftlichen Wandel befähigt. Der
Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale
Umweltveränderungen formuliert es so: Für ein zukunftsfähiges gesellschaftliches Entwicklungsmodell
brauchen wir einen Wandel vom fossilen ökonomischen
System zu einer nachhaltigen Gesellschaft. - Diese
„Große Transformation“, wie er es nennt, von einem
System ins andere kann nur erreicht werden, wenn es
uns gelingt, einen wissensbasierten gesellschaftlichen
Suchprozess zu initiieren, einen Prozess, der ergebnisoffen sein muss, aber unbedingt auf eine breite Beteiligung
aufsetzen muss.
({0})
Wir können gesellschaftlichen Wandel nicht politisch
verordnen, wir brauchen dazu aufgeklärte Bürgerinnen
und Bürger, die diesen Wandel mittragen können und
wollen. Bildung für nachhaltige Entwicklung schafft dafür die notwendigen Voraussetzungen.
Zweitens. Wir sind gerade mitten auf dem Weg von
den Millenniumszielen zu den nachhaltigen Entwicklungszielen der Post-2015-Agenda. Dabei wird deutlich:
Die planetarischen Grenzen werden schon heute an vielen Stellen vollkommen überdehnt. Die ökologische
Frage ist heute vor allen Dingen zu einer Gerechtigkeitsfrage geworden. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist
deshalb zu Recht im Entwurf der Vereinten Nationen für
die Post-2015-Agenda als ein Unterziel vereinbart worden.
Drittens. Im Rahmen des ganzen Post-2015-Prozesses
wird immer wieder eingefordert, dass dessen Ziele nicht
nur für die Entwicklungs- und Schwellenländer gelten,
sondern gerade auch für die Industrieländer. Da ist es nur
folgerichtig, noch einmal zu betonen: Auch Bildung für
nachhaltige Entwicklung ist dann eben nicht nur ein
Thema für den Süden, sondern gerade und besonders für
uns im Norden.
({1})
Für uns Industrieländer heißt das: Wir müssen unsere
Ressourcen effizienter einsetzen. Wir müssen unseren
ökologischen Fußabdruck reduzieren. Es bedarf technischer, technologischer und ökonomischer Innovationen.
Es bedarf aber auch kultureller und sozialer Innovationen, um den Wandel unserer Gesellschaften zu erreichen.
Viertens. Transformation ist damit eine gesamtgesellschaftliche Lern- und Bildungsaufgabe; von dieser Herausforderung haben wir heute schon an vielen Stellen
gehört. Ich möchte betonen: Wir müssen uns besonders
an die „Agenten des Wandels“ richten. Ich meine damit
die Erzieherinnen und Erzieher, die Lehrerinnen und
Lehrer. Wir müssen natürlich die Jugend stärker einbinden und die Hochschulen, wo wir dieses Thema stärker
verankern wollen.
Fünftens. Bildung für nachhaltige Entwicklung sollte
niemals nur in den formalen Bildungsprozessen verankert sein und nur das kognitive Lernen erfassen, wichtig
ist, dass Nachhaltigkeit auch gelebt wird. Zukunftsfähiges Wirtschaften darf dann nicht nur auf dem Lehrplan,
im Curriculum stehen, sondern muss auch erfahrbar werden, zum Beispiel durch die ökologischen und sozialen
Standards der eigenen Beschaffungspolitik einer Schule
oder Institution.
Damit komme ich auch zum Schluss. Es ist gut, dass
wir Parlamentarier heute mit diesem Antrag den Start
des Weltaktionsprogramms bekräftigen. Es wird aber
auch Zeit, dass die Bundesregierung das Weltaktionsprogramm konkret auf die Schiene setzt. Bei allen struktu8672
rellen Veränderungen, die offensichtlich geplant sind
- die UNESCO wird ja nicht mehr federführend sein -,
muss das Ziel doch dasselbe bleiben: Es geht darum, das
Bewusstsein zu schaffen, dass wir alle Bürgerinnen und
Bürger einer Welt sind, dass der Wandel unserer Lebensund Wirtschaftsweise auch in unserem Interesse liegt
und dass wir es sind, die diesen Wandel gestalten müssen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem
Antrag und sage vielen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/4188 mit dem Titel „Bildung
für nachhaltige Entwicklung - Mit dem Weltaktionsprogramm in die Zukunft“. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Arbeitsförderung neu ausrichten - Nachhaltige Integration und Teilhabe statt Ausgrenzung
Drucksache 18/3918
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Zahl der Beschäftigten wächst, die Zahl der offenen Stellen steigt, und die Arbeitslosen gehen leer aus. Selbst im
Krisenjahr 2009 haben 160 000 Arbeitslose mehr einen
Job gefunden als jetzt, im Wachstumsjahr 2014. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit hat sich fast vollständig
von der Entwicklung des Arbeitsmarktes abgekoppelt.
Darin kann man nichts anderes erkennen als das Versagen der Arbeitsmarktpolitik. Es wäre nämlich die Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik, das zu ändern.
({0})
Daraus müssen wir endlich Schlüsse ziehen. Ich sage
Ihnen: Die Strategie „Hauptsache, Arbeit“ und die Strategie der schnellen Vermittlung in Arbeit sind gescheitert, und zwar qualitativ und quantitativ. Wir haben trotz
dieser Strategien nur eine Vermittlungsquote von mageren 13 Prozent. Von diesen 13 Prozent werden noch
30 Prozent in Leiharbeit vermittelt, und die, die vermittelt werden, stehen ziemlich schnell wieder vor den Türen der Jobcenter. Der Drehtüreffekt ist wirklich nicht zu
übersehen.
({1})
Das hat natürlich auch Gründe: Der deutsche Arbeitsmarkt ist ein Fachkräftemarkt. Aber fast die Hälfte aller
Arbeitslosen haben entweder gar keine Ausbildung oder
eine veraltete Ausbildung. Deswegen können sie nicht
einfach in den Arbeitsmarkt vermittelt werden. Trotz
dieser Tatsache - sie haben keine Qualifikation - gilt für
sie der Vermittlungsvorrang. Das müssen wir dringend
ändern.
({2})
Dafür brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der
Arbeitsförderung. Wir müssen weg vom Vermittlungsvorrang hin zu einer individuellen und passgenauen
Qualifizierung und Förderung.
({3})
Jetzt stellt sich die Frage: Was ist eigentlich passiert,
seitdem Frau Nahles Arbeitsministerin ist?
({4})
- Nicht nur der Anteil der Regierungsmitglieder auf der
Bank ist zurückgegangen, sondern auch die Aktivierungsquote. Die Teilnehmerzahl ist nicht nur auf der Regierungsbank, sondern auch bei der Arbeitsförderung
zurückgegangen.
({5})
Es gibt nicht mehr, sondern es gibt immer weniger
Förderung. Ja, ich finde es gut, dass Frau Nahles, wenn
auch nicht heute, angesprochen hat, dass die Langzeitarbeitslosen von der konjunkturellen Entwicklung nicht
profitieren. Aber das hilft den Arbeitslosen nicht. Den
Worten müssen auch Taten folgen.
({6})
Eines kann ich Ihnen sagen: Das Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, das Frau Nahles
im November vorgestellt hat, wird diesen Anforderungen wirklich nicht gerecht. Das Programm-Hopping
bleibt. Früher gab es 33 000 Bürgerarbeiterinnen und
Bürgerarbeiter, jetzt sollen es 33 000 Arbeitslose im
ESF-Programm werden. Jede Ministerin hat ihr Profilierungsprogramm, aber für die Arbeitslosen kommt kein
einziger zusätzlicher Arbeitsplatz dabei heraus.
({7})
Das Programm „Chancen eröffnen - soziale Teilhabe
sichern“ ist wirklich von gestern: kein Passiv-AktivTransfer, die Kriterien Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse kommen wieder zur
Geltung. Damit schaffen Sie Arbeitsplätze ohne Sinn
und Verstand.
({8})
Damit bauen Sie Scheinarbeitswelten auf, die sicher
nicht dazu führen werden, dass Sie die Arbeitslosen näher an den Arbeitsmarkt heranführen. Sie fallen hinter
alle Erkenntnisse zurück, die wir in den letzten Jahren
gewonnen haben.
Deswegen legen wir Ihnen heute mit unserem Antrag
einen Vorschlag vor, der diese Erfahrungen und Erkenntnisse aufnimmt und die Arbeitsförderung vollständig
neu ausrichtet: weg von der schnellen Vermittlung, hin
zu einer punktgenauen Qualifizierung, weg von dem
Programm-Hopping, hin zu einer verlässlichen Arbeitsförderung und für die Abgehängten, für die besonders
schwer Vermittelbaren einen verlässlichen sozialen Arbeitsmarkt mit Passiv-Aktiv-Transfer.
({9})
Ja, es stimmt: Dafür brauchen wir Geld. Wir können
uns jetzt entscheiden, ob wir in die Arbeitslosen investieren oder ob wir sie ein Leben lang alimentieren. Letzteres ist erstens volkswirtschaftlich deutlich teurer und
zweitens ein Drama für die Betroffenen.
({10})
Jetzt sagen Sie mir bitte nicht: Dafür haben wir kein
Geld. Das ist ausschließlich eine Frage der Prioritätensetzung. Diese Regierung, diese Arbeitsministerin hat
leider andere Prioritäten gesetzt: für die Rentnerinnen
und Rentner ein Programm von 160 Milliarden Euro,
aber nichts für die Arbeitslosen.
({11})
Ich habe wirklich die Befürchtung, dies ist eine Ministerin für die Arbeitsplatzbesitzer und Arbeitsplatzbesitzerinnen. Die Arbeitslosen gehen bei ihr leer aus. Schade
eigentlich.
({12})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, eines kann man so nicht stehen lassen, nämlich
dass die Arbeitslosen bei dieser Regierung leer ausgehen. Das ist eine Unterstellung, die ich schärfstens zurückweisen muss.
({0})
Vor ungefähr drei Jahren trat die letzte Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente in Kraft. Das war eine
Reform, um die wir im Jahre 2011 sehr intensiv gerungen haben, mit dem Ziel, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente passgenau zu schärfen und die Übergänge in
die reguläre Erwerbsarbeit zu stärken. Das ist bei den arbeitsmarktnahen Langzeitarbeitslosen auch gelungen.
Doch müssen wir feststellen: Die Reform war bei Menschen mit schweren Vermittlungshemmnissen weniger
durchschlagend. Insofern, Frau Pothmer, will ich Ihnen
da durchaus recht geben. Hier können wir nicht zufrieden sein. Daher müssen wir ein besonderes Augenmerk
auf diejenigen legen, die nur mit massiver Unterstützung
Teilhabe und Integration am Arbeitsmarkt finden können.
Ich will aus meiner Sicht vor allen Dingen sechs
Punkte hervorheben und die strittige Frage des PassivAktiv-Transfers außen vor lassen, weil das auch aus finanzpolitischen Erwägungen, glaube ich, eine schwierige Sache ist. Es sind, wie gesagt, sechs Punkte, die mir
bei der Neuorientierung der Langzeitarbeitslosenhilfe
besonders wichtig sind:
Der erste Punkt betrifft die sozialpädagogische Betreuung. Die Heranführung gerade der langzeitarbeitslosen Menschen mit mehrfachen und schweren Vermittlungshemmnissen braucht Unterstützung in Form von
Begleitung und Anleitung. Das gilt natürlich in erster Linie für die betroffenen Menschen selbst. Aber wir geben
damit auch den Betrieben eine gewisse Sicherheit, damit
diese im Konfliktfall professionelle Unterstützung haben.
({1})
Ich halte es daher für richtig, die sozialpädagogische Begleitung bei der Förderung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen gesetzlich zu verankern.
Ein zweiter Punkt betrifft die Möglichkeit der längerfristigen Förderung. Im Zug der letzten Instrumentenreform haben wir die Fördermaßnahmen zeitlich befristet,
auf maximal 24 Monate in fünf Jahren. Diese Befristung
hat sich aus meiner Sicht nicht bewährt. Wir hören aus
der Praxis, dass viele Geförderte durch diese Regelung
ein paar Monate zu früh aus der Förderung genommen
werden und schließlich wieder in die Langzeitarbeitslosigkeit fallen. Daher sollten wir den zeitlichen Rahmen
der Fördermaßnahmen praxistauglicher ausgestalten. Ich
meine, wir sollten den Jobcentern die Möglichkeit ge8674
ben, nach einem Prinzip des Aufstiegs und Ausstiegs
nach zwei Jahren die Fördervoraussetzungen und die Erforderlichkeit einer Förderung jährlich zu überprüfen
und bei Bedarf auch zu verlängern.
({2})
Ein dritter Punkt betrifft die Einsatzfelder von Maßnahmen. Fördermaßnahmen sollen auch in geschützten
Bereichen möglich sein. Aber sie sollen keine Beschäftigungstherapien sein, sondern so marktnah wie möglich
stattfinden, um das Vermittlungshemmnis Arbeitsmarktferne - das ist tatsächlich auch ein Vermittlungshemmnis aufbrechen zu können.
Ein vierter Punkt betrifft die Arbeitsgelegenheiten.
Gerade sie stehen häufig im Verdacht, lediglich Beschäftigungstherapien zu sein, die keinen Integrationseffekt
mit sich bringen. An dieser Stelle sollten wir noch einmal über die Aufhebung der Kriterien Wettbewerbsneutralität und Zusätzlichkeit diskutieren.
({3})
Statt die Kriterien sollten wir die lokalen Akteure vor
Ort stärken. Sie sollten in den örtlichen Beiräten der Jobcenter entlang der Erfordernisse der Zielgruppen und der
lokalen Erfordernisse Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramme entsprechend abstimmen.
({4})
Das können und sollten wir als Bundesgesetzgeber den
lokalen Akteuren nicht abnehmen.
Der fünfte Punkt betrifft eine praktikablere Ausgestaltung der freien Förderung; diesen Punkt haben ja auch
die Grünen in ihrem Antrag. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass wir die freie Förderung durch eine
Lockerung des Aufstockungs- und Umgehungsverbotes
gangbarer machen.
Der sechste Punkt betrifft ein soziales Vergaberecht.
Bei der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen darf
nicht nur der Preis entscheidend sein, sondern wir müssen auch das Kriterium Qualität stärken, indem wir beispielsweise die Erfahrung und Eignung der Anbieter als
Ausschreibekriterien stärker gewichten bzw. gewichten
können.
({5})
Meine Damen und Herren, wenn wir über die Förderung langzeitarbeitsloser Menschen reden, dann geht es
nicht um die Integration in Arbeit um der Arbeit willen.
Arbeit ist für uns kein Selbstzweck, sondern unserem
christlich-sozialen Menschenbild entsprechend verbinden wir mit Arbeit Identität und Anerkennung, aber auch
soziale Kontakte und Teilhabe; vieles davon finde ich
auch in Ihrem Antrag wieder. Gute Arbeit wirkt sich positiv auf das gesundheitliche und soziale Befinden der
Menschen aus. Sie führt zu einer Verbesserung der persönlichen Situation und des Wohlbefindens. Darum geht
es uns bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in
den Arbeitsmarkt. Diese Werte sollten wir auch in den
Diskussionen über die Finanzierung von Arbeitsmarktpolitik im Blick behalten.
Danke schön.
({6})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine
Zimmermann, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Erst einmal ein Dankeschön an die Kolleginnen und Kollegen der Grünen, dass sie diesen Antrag
heute vorgelegt haben und uns allen in diesem Hause die
Möglichkeit geben, noch einmal über das Thema Arbeitsmarkt zu reden. Es ist erschreckend, wie sich die
Bundesregierung weigert, die realen Fakten auf dem Arbeitsmarkt zur Kenntnis zu nehmen. Jeden Monat klopfen Sie sich stolz auf die Schulter, wie toll doch der Arbeitsmarkt bei uns in Deutschland funktioniert.
Es ist aber, ehrlich gesagt, nur die halbe Wahrheit, wenn
Sie im Februar eine Arbeitslosigkeit von 3 Millionen Menschen verkünden. Rechnen wir die 1-Euro-Jobber, die Erwerbslosen in Weiterbildung, die Erwerbslosen über 58
Jahren und die arbeitsunfähigen erkrankten Erwerbslosen hinzu, sind wir schon bei 3,8 Millionen. Rechnen wir
dann auch noch die sogenannte stille Reserve hinzu, also
vor allem diejenigen, die resigniert haben und sich gar
nicht mehr bei der Arbeitsagentur melden, sind wir sogar
schon bei 4 Millionen Menschen.
4 Millionen erwerbslose Menschen hier in Deutschland: Ich weiß nicht, an Ihrer Stelle würde ich nachts gar
nicht mehr schlafen können, wenn ich Monat für Monat
immer die falschen Zahlen verkünden würde.
({0})
- Hören Sie mir zu. Dann kann ich Ihnen das weiter erklären, lieber Kollege.
Frau Nahles sagt Monat für Monat ebenfalls nicht,
dass der bejubelte Beschäftigungsaufbau an Langzeiterwerbslosen, Älteren und Menschen mit Behinderung
vorbeigeht. Sie sagt natürlich auch nicht, dass viele der
neuen Jobs mit Niedriglöhnen, in Teilzeit oder nur befristet angeboten werden. Kaum in den Arbeitsmarkt integriert - Kollegin Pothmer hat es schon gesagt -, sind
gerade diese Menschen gleich wieder arbeitslos bzw.
bleiben trotz Arbeit im Hartz-IV-Bezug.
Genau deshalb finden wir es gut, dass die Grünen
heute einen Antrag für eine bessere Arbeitsförderung
vorlegen. Nur, Kollegin Pothmer, leider muss ich sagen,
dass dieser Antrag natürlich deutlich hinter unserem
Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zurückbleibt.
({1})
Immerhin fordern die Grünen aber auch, dass das versprochene Fördern bei Hartz IV endlich einzulösen ist.
Die Bundesregierung scheint stattdessen zu glauben,
dass sie mit dem Mindestlohn - man kann auch sagen:
Modell Schweizer Käse -, ihre Hausaufgaben bereits erledigt hätte.
({2})
Ich sage Ihnen: Der Mindestlohn kann nur ein Anfang
sein, aber auch nur dann, wenn er richtig gemacht ist,
Kollege Rosemann. Also weg mit den Ausnahmen, auch
für die langzeiterwerbslosen Menschen.
({3})
Die Regierung muss auch aufhören, vom Fordern und
Fördern zu schwadronieren, solange sie das Fordern immer besser und das Fördern immer weniger versteht. Es
macht doch einfach keinen Sinn, Druck auf Erwerbslose
auszuüben, wenn man weiß, dass gar nicht genug Arbeitsplätze vorhanden sind. Noch immer kommen bundesweit mehr als drei Erwerbslose auf eine offene Stelle.
Entscheidend ist nun einmal in den meisten Fällen
- ich glaube, da sind wir beide uns einig - die Qualifikation. Je weniger qualifiziert, desto schlechter sind die
Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Mit Sanktionen verändern Sie an dieser Situation überhaupt nichts. Deshalb
fordert die Linke: Weg mit den Sanktionen!
({4})
Gerade für den Personenkreis mit den geringsten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt fordert die Linke eine
Initiative für eine gute öffentlich geförderte Beschäftigung im Umfang von 200 000 Stellen. Die SPD hat den
sozialen Arbeitsmarkt vergessen. Abgesehen von den
Grünen und uns redet niemand mehr darüber. Schade.
({5})
Wir brauchen dringend einen Ausbau der Weiterbildung und Qualifizierung. Ohne einen guten Berufsabschluss ist auf dem Arbeitsmarkt einfach nichts zu erreichen. Es ist fatal, dass mit den Hartz-Gesetzen die
Weiterbildung immer weiter eingebrochen ist. Immer
wieder melden sich bei mir Erwerbslose, die gern weitergebildet werden möchten, die eine Weiterbildung machen wollen, diese aber nicht genehmigt bekommen.
Deshalb sagen wir: Hier muss es einen Rechtsanspruch
für die Betroffenen geben.
({6})
Wer wirklich eine andere Arbeitsmarktpolitik will,
muss auch Geld in die Hand nehmen. Das betrifft nicht
nur die Mittel für die Weiterbildung, sondern auch ausreichend und gut qualifiziertes Personal in den Jobcentern und Arbeitsagenturen. Stattdessen sind die Mittel
für die aktive Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren
massiv gekürzt worden, nämlich um 40 Prozent, obwohl
die Arbeitslosigkeit nur um 5,7 Prozent zurückgegangen
ist.
({7})
- Frau Giese, es ist leider so. Sie haben in diesem Bereich seit 2010 eine Einsparung um 40 Prozent vorgenommen. Das widerspricht sich.
Meine Damen und Herren der Großen Koalition, es
ist offensichtlich: Diese Regierung hat andere Schwerpunkte als die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit.
Dann sagen Sie aber auch ehrlich, dass die langzeiterwerbslosen Menschen abgeschrieben sind, und klagen
Sie nicht über einen angeblichen Fachkräftemangel,
wenn Sie hier die enormen Potenziale nicht nutzen wollen.
Danke schön.
({8})
Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt
Dr. Matthias Bartke das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Frau Zimmermann, es ist gerade eine Woche her, dass die Bundesagentur für Arbeit die geringste
Arbeitslosigkeit in einem Februar seit 1991 meldete.
({0})
Ich finde, das muss man sich auch einmal vergegenwärtigen. Normalerweise steigen die Arbeitslosenzahlen im
Februar an. In diesem Jahr gab es sogar einen Rückgang
im Vergleich zum Vormonat Januar.
Zeitgleich wächst die Zahl der Beschäftigten deutlich.
Fast 600 000 Menschen mehr als im vergangenen Jahr
hatten einen sozialversicherungspflichtigen Job - und
das vor dem Hintergrund der Unkenrufe, dass der Mindestlohn eine Massenarbeitslosigkeit produzieren würde.
({1})
Ich sage Ihnen: Der Arbeitsmarkt entwickelt sich derzeit
hervorragend.
Es ist aber natürlich auch richtig, dass wir bei aller
Freude darüber unsere eigentlichen Hausaufgaben als
Arbeitsmarktpolitiker nicht vergessen dürfen. Wir müssen auch an diejenigen denken, die von den positiven
Arbeitsmarktentwicklungen bislang noch nicht profitieren, und das sind natürlich vor allem die Langzeitarbeitslosen. Sie stehen ganz oben auf unserer Agenda. Dazu
hätte es des Antrags der Grünen wahrlich nicht bedurft.
({2})
Arbeitsministerin Andrea Nahles hat bereits im letzten
Jahr ihr Konzept zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit vorgestellt, und das war keine Eintagsfliege. Vorgestern hat es zu diesem Konzept eine Fachtagung im
Bundesarbeitsministerium gegeben.
({3})
Mit dabei waren Vertreter der Bundesländer, der Wohlfahrts- und Sozialverbände, der Sozialpartner und anderer Einrichtungen. Man sieht: Es sind all diejenigen beteiligt, die einen täglichen Einblick in die Materie haben.
Gemeinsam werden wir so einen effektiveren Ansatz
entwickeln, um Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt
und in die Gesellschaft zu integrieren.
({4})
Meine Damen und Herren von den Grünen, ich sage
es Ihnen ganz offen: Ihr Antrag liest sich in vielen Teilen
durchaus gut.
({5})
Das liegt natürlich vor allem daran, dass er sich von unserem Konzept nicht wesentlich unterscheidet.
({6})
Sie fordern in mancher Hinsicht „ein bisschen mehr“,
„ein bisschen länger“, „ein bisschen umfangreicher“.
Das gehört sich als Opposition auch so.
({7})
Dazu, dass Sie schreiben, unser arbeitsmarktpolitisches Konzept sei eine Fortsetzung der gescheiterten
Politik der Vorgängerregierung, kann ich aber nur sagen:
Unfug!
({8})
Die Politik von Schwarz-Gelb war gekennzeichnet von
Kürzungen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Nichts anderes war nach dem damaligen Koalitionsvertrag auch zu erwarten. Ich zitiere die sehr kurze Passage
zur Langzeitarbeitslosigkeit im damaligen Koalitionsvertrag:
Die Koalition wird … die Voraussetzungen dafür
schaffen, dass neue Lösungsansätze des „Förderns
und Forderns“ in größeren Kommunen erprobt werden können. Das Prinzip wird konsequent und für
die öffentliche Hand kostenneutral umgesetzt.
Kostenneutral! Das war die Handschrift der verblichenen FDP.
({9})
Die Passage zur Langzeitarbeitslosigkeit in unserem
aktuellen Koalitionsvertrag kann ich Ihnen nicht vortragen, da das meine Redezeit sprengen würde. Allein das
ist doch schon ein Zeichen, und Sie wissen: Der Koalitionsvertrag wird umgesetzt. Ich zitiere hier nur den zentralen Satz:
Deshalb wollen wir … Langzeitarbeitslose verstärkt in existenzsichernde Arbeit vermitteln, sie
passgenau qualifizieren und begleiten sowie bei Bedarf auch nachgehend betreuen und dafür die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.
({10})
Genau das tun wir, und genau das spiegelt sich auch im
vorgelegten Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit wider.
Was wir tatsächlich nicht realisieren werden, Sie aber
fordern, ist der Passiv-Aktiv-Transfer. Ich finde, hier ist
Ihre Kritik wirklich berechtigt. Wenn Sie das SPD-Wahlprogramm gelesen haben,
({11})
dann wissen Sie auch, dass wir das ebenfalls wollten.
({12})
Aber so ist das nun einmal in Koalitionen: Man muss
Abstriche machen. Wenn der Finanzminister Nein sagt,
dann gilt das - zumindest bis auf Weiteres.
({13})
Eines ist klar: Wir werden das Thema wieder auf die
Agenda setzen, wenn sich die Möglichkeit dafür bietet.
({14})
Bei allem Ärger darüber ist die öffentlich geförderte
Beschäftigung dennoch Teil unseres Konzepts.
({15})
Dazu tragen sowohl das ESF-Programm als auch das
Bundesprogramm zur sozialen Teilhabe am Arbeitsmarkt bei. Weiter wird es eine bessere Betreuung in den
Aktivierungszentren geben. Das Stichwort ist hier: ganzheitliche, maßgeschneiderte Herangehensweise. Das gilt
beschäftigungsvorbereitend und beschäftigungsbegleitend. Es ist also auch an eine Nachbetreuung gedacht.
Sie thematisieren die zum Teil wenig nachhaltige Vermittlung. Ich stimme zu: Auch ich kann es nur befürworten, wenn Vermittlung keinen zwingenden Vorrang vor
Weiterbildung hat. Aber ich sage Ihnen: Das ist auch
jetzt schon nicht der Fall. In § 4 SGB III ist ausdrücklich
geregelt, dass der Vermittlungsvorrang dann nicht gilt,
wenn aktive Arbeitsförderungsmaßnahmen für eine dauerhafte Eingliederung notwendig sind.
({16})
Eine konsequente Umsetzung dieses Grundsatzes ist daher viel sinnvoller, als eine Rechtsänderung zu fabrizieren, die es ohnehin schon gibt. Ähnlich ist es übrigens
auch im SGB II geregelt.
Richtig ist auch, dass Bildungsprämien und Teilzeitqualifizierung in unserem Konzept nicht explizit genannt
sind. Aber im Koalitionsvertrag haben wir festgeschrieben, dass das Programm „Die 2. Chance“ weitergeführt
wird und die entsprechenden finanziellen Rahmenbedingungen für die Teilnehmer verbessert werden. Das werden wir auch machen.
({17})
- Genau. - Ich rate Ihnen: Unterstützen Sie das Konzept
unserer Arbeitsministerin Andrea Nahles. Konzentrieren
Sie sich nicht darauf, es nur schlechtzureden; das hilft
nicht. Tragen Sie es mit. Ich sage Ihnen: Es lohnt sich.
Vielen Dank.
({18})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Kai
Whittaker, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Im Gegensatz zu
Anträgen von manch anderer Oppositionsfraktion macht
es mir heute wirklich Freude, mich mit dem Antrag der
Grünen-Fraktion auseinanderzusetzen.
({0})
Da ist wenigstens Fleisch am Knochen. Sie sprechen in
der Tat - das kann man einmal lobend erwähnen - einige
wichtige Punkte an. Wenn man sich aber diesen Knochen genau anschaut, dann merkt man, dass daran kein
Fleisch ist, sondern eher Tofu. Damit setzen Sie ihre Forderung nach einem fleischfreien Donnerstag tatsächlich
um.
Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass die Politik für
die Langzeitarbeitslosen gescheitert sei. Diese Behauptung ist schlicht falsch. Vor zehn Jahren gab es laut IAB
1,7 Millionen Langzeitarbeitslose in Deutschland. Heute
sind es circa 1 Million Menschen. Da können Sie sich
doch nicht ernsthaft hierhinstellen und sagen, es sei in
den letzten Jahren nichts passiert. Zugegeben: Wir sind
jetzt an einem Punkt angekommen, an dem es wirklich
um die ganz harten Fälle geht; das zeigt uns auch jede
Studie.
Nur, liebe Kollegen der Grünen, anstatt mich nur auf
die Aktenlage zu verlassen, bin ich jemand, der sich die
Faktenlage gerne vor Ort anschaut.
({1})
Im vergangenen Jahr hatte ich die Möglichkeit, für drei
Tage bei einem Langzeitarbeitslosen zu wohnen, mit
ihm einkaufen zu gehen, mit ihm zu essen und ihn zu
seiner Beschäftigungsgesellschaft zu begleiten. Das hat
mir das Exposure- und Dialogprogramm im Erzbistum
Trier ermöglicht.
Was habe ich gelernt? Ich habe gelernt, dass die bestehenden Beschäftigungsgelegenheiten den Betroffenen
überhaupt nicht helfen. Sie lernen keine Fähigkeiten für
den ersten Arbeitsmarkt. Das Schlimme ist: Auch die
Langzeitarbeitslosen wissen das. Sie sehen in ihrer Tätigkeit überhaupt keine Perspektive oder irgendeinen
Sinn. Das hat mich schon sehr nachdenklich gemacht.
({2})
Was habe ich noch gelernt? Ich habe gelernt, dass die
meisten Betroffenen mit ihren Problemen komplett alleinegelassen werden, egal ob es um Sucht, Schulden
oder familiäre Probleme geht. Wir Politiker nennen das
ganz technisch Vermittlungshemmnisse. Aber diese
Hemmnisse sind sehr individuell: Sie haben oft mit psychischen und physischen Einschränkungen zu tun. Wir
tun noch viel zu wenig, um den Menschen bei ihren Problemen zu helfen.
({3})
Eine wichtige Sache habe ich auch noch gelernt. Viele
verschiedene Akteure kümmern sich um Langzeitarbeitslose. Da weiß die rechte Hand oft nicht, was die
linke tut. An dieser Stelle wünsche ich mir mehr Zusammenarbeit und eine bessere Abstimmung der Akteure.
Mein Fraktionsvorsitzender sagt immer: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. - Die spannende Frage ist jetzt: Welche Lösungen bietet Ihr Antrag
für die Probleme dieser Wirklichkeit an? Sie bieten
nichts anderes als das alte Konzept des sozialen Arbeitsmarkts. Ich persönlich bin kein Freund des Begriffs „sozialer Arbeitsmarkt“. Denn mit dieser Idee machen Sie
ganz klar, dass die Menschen für den ersten Arbeitsmarkt nicht mehr zu gebrauchen sind, und als Trostpflaster bekommen sie dafür noch staatliche Betreuung. Damit schreiben Sie über 400 000 Menschen in diesem
Land schlicht und ergreifend ab.
({4})
Deshalb frage ich Sie, liebe Kollegen: Was für ein Menschenbild haben Sie eigentlich? Wollen Sie wirklich die
Menschen nur beschäftigen, damit sie aus der Statistik
herausfallen? Das ist nicht unsere Politik in der Union.
({5})
Herr Kollege Whittaker, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Kurth?
Ich würde gerne mit meiner Rede fortfahren.
Okay, akzeptiert.
({0})
Dieses Signal zu senden, meine Damen und Herren,
wäre verheerend. Wir dürfen Langzeitarbeitslose nicht
einfach beschäftigen, sondern wir müssen ihnen die
Möglichkeit geben, sinnvollen Aufgaben nachzugehen.
Nur so gewinnen sie, glaube ich, auch Selbstvertrauen
und Selbstachtung. Auf einem sozialen Arbeitsmarkt
hingegen fühlen sich die Menschen auf ein Abstellgleis
abgeschoben. Dazu hätte ich in der Tat etwas mehr von
Ihnen erwartet, liebe Grüne.
Es gibt ohne Frage auch gute Ansätze - das wurde
schon angesprochen -, zum Beispiel das Coaching-Modell. Aber, Frau Kollegin Pothmer - Sie kommen aus
Niedersachsen; da haben Sie mit Fasching nicht so viel
zu tun -, bei uns im Badischen sagt man: Da kommen
Sie wie die alte Fasnacht hinterher. Denn genau diesen
Ansatz hat die Bundesregierung im November bereits
vorgestellt. In dem Fünf-Punkte-Programm sind diese
Komponenten ganz klar enthalten. Dafür möchte ich der
Bundesregierung ganz herzlich danken.
({0})
Aber bei Ihrer Forderung nach Coaching sind für mich
wichtige Fragen noch nicht geklärt: Was bringt uns denn
eine bessere Begleitung, wenn wir die daraus gewonnenen Erkenntnisse nicht nutzen können? Wie soll denn
ein Coaching-Modell funktionieren, wenn die betreuenden Einrichtungen ihre jeweiligen Informationen nicht
austauschen dürfen? Jede Einrichtung arbeitet vor sich
hin, und keiner weiß, was der andere tut. An dieser Stelle
müssen wir ansetzen und Wissen bündeln. Aber in Ihrem
Antrag findet sich davon gar nichts. Ich habe den Eindruck: Sie scheuen den Konflikt mit Ihren lieben Vertretern in den Landesregierungen oder auch mit dem Datenschutz. Denn dieser wäre in der Tat davon berührt.
Liebe Kollegen von den Grünen, was hätte ich mir
von Ihrem Antrag sonst noch gewünscht? Ich hätte mir
gewünscht, dass Sie Möglichkeiten aufzeigen, wie man
Langzeitarbeitslose näher an den ersten Arbeitsmarkt heranführt. Ein Blick in das SGB zeigt, welche sinnvollen
Instrumente es schon gibt. Ich finde, dass das SGB IX
mit den Integrationsfirmen für behinderte Menschen
durchaus eine Möglichkeit bietet. In der Stadt Gaggenau
in meinem Wahlkreis gibt es die Lebenshilfe, die für
Daimler und Bosch Produkte herstellt. Das ist in der Tat
ein unternehmerischer Ansatz, den man vielleicht ausweiten könnte. Ich wäre dazu bereit.
Wenn wir die Langzeitarbeitslosen in Deutschland
wirklich wieder in den Arbeitsmarkt integrieren wollen,
dann müssen wir uns Folgendes klarmachen: Nicht die
Integration durch Beschäftigung, sondern die Integration
durch Arbeit hilft. Wir als Union möchten Dauerarbeitslose nicht auf einem Placebo-Arbeitsmarkt festhalten,
sondern ihnen eine echte Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt geben. Dafür setzen wir uns ein.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Das Wort zu einer Kurzintervention
erhält jetzt der Kollege Markus Kurth.
Herr Whittaker, Sie haben am Ende Ihrer Rede noch
einmal gesagt, wir würden den Langzeitarbeitslosen nur
einen Placebo-Arbeitsmarkt anbieten und 400 000 Menschen vom ersten Arbeitsmarkt fernhalten. Wenn Sie
schon erwähnen, dass Politik mit dem Betrachten der
Wirklichkeit beginnt, dann nehmen Sie doch auch zur
Kenntnis, dass in der Bundesagentur für Arbeit, in den
Jobcentern vor Ort und bei den Wohlfahrtsverbänden
seit Jahren weithin bekannt ist, dass es eine Gruppe von
150 000 bis 450 000 Personen gibt, die in ihrer gegenwärtigen Verfassung, egal was sie machen, ungefördert
keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt, so wie er ist,
haben.
Wenn absehbar ist, dass sowieso auf Jahre hinaus Arbeitslosengeld II gezahlt werden muss und - Sie haben
es selbst angesprochen - Arbeitsgelegenheiten in diesen
Fällen nicht funktionieren, ist es dann nicht sinnvoller,
dieses Geld als personenbezogene Unterstützung bzw.
als Nachteilsausgleich, als Ausgleich für Wettbewerbsnachteile, einzusetzen und diesen Menschen beispielsweise in einem Integrationsbetrieb oder in anderen speziellen Betriebsformen Arbeit - keine Beschäftigung und Verdienst zu ermöglichen?
Das ist der sogenannte Passiv-Aktiv-Transfer, der inzwischen in allen Fraktionen, wenn auch nicht überall
mehrheitlich, Anhängerinnen und Anhänger hat und in
mehreren Bundesländern ausprobiert wird. Das ist das
Modell, das wir von den Integrationsbetrieben für Menschen mit Behinderung vom Grundsatz her kennen, das
wir auch als Budget für Arbeit kennen. Es handelt sich
hier mitnichten um ein Placebo, sondern um einen qualitativ neuen Ansatz. Ich wünsche mir so sehr, dass uns
endlich der Durchbruch gelingt, dass wir von der Sozialpolitik auf die Finanz- und Haushaltspolitiker einwirken,
damit dieser Passiv-Aktiv-Transfer endlich ermöglicht
wird. Das wird viele gesellschaftliche Folgekosten und
auch Haushaltskosten, beispielsweise im Gesundheitsbereich, sparen und den Menschen eine Menge bringen.
({0})
Vielen Dank. - Möchten Sie darauf antworten, Herr
Kollege Whittaker?
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege Kurth, Sie sind Rheinländer, und als
Rheinländer ist man durchaus etwas katholischer als andere.
({0})
- Gut, Dortmund.
({1})
- Das wollte ich doch sagen; Sie sind gebürtiger Rheinländer. - Sie sind katholischer als manch anderer, aber
Sie sollten vielleicht nicht jede Monstranz, die Ihnen die
Verbände in die Hand drücken, vor sich hertragen. Der
PAT ist tatsächlich eine solche Monstranz. Das ist ein
Mittel zum Zweck. Wir können darüber streiten, ob wir
ihn ausprobieren wollen, aber er wird die Probleme nicht
sofort lösen, wie Sie glauben.
Sie haben ein anderes Verständnis. Sie schreiben
- das ist die Schlussfolgerung aus Ihrem Antrag 200 000 bis 400 000 Menschen einfach ab, weil Sie sagen, dass sie nichts können.
({2})
- Das steht definitiv in Ihrem Antrag. - Wir haben ein
unterschiedliches Menschenbild. Wir sollten versuchen,
diese Menschen Schritt für Schritt wieder zu aktivieren
und an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen. Wir müssen die Probleme, die sie individuell haben, lösen, und
dann müssen wir die Menschen in arbeitsmarktnahe Beschäftigung bringen. Wir dürfen sie aber nicht dauerhaft
subventionieren; denn damit ist niemandem geholfen.
({3})
Vielen Dank. - Nächster Redner in der Debatte ist
jetzt der Kollege Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Insgesamt überwiegen derzeit die guten Nachrichten auf
dem Arbeitsmarkt. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt bleibt positiv. Mit 30,5 Millionen Menschen
haben wir den höchsten Stand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Im Dezember 2014 hat diese
um noch einmal knapp 600 000 gegenüber dem Vorjahr
zugenommen. Auch Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind im Vergleich zum Vorjahr merklich gesunken.
Noch deutlicher wird das bei einem langfristigen Vergleich. Wir haben seit 2005 einen stetigen Anstieg der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung um über
4 Millionen. Die Arbeitslosenquote ist seit 2005 deutlich
gesunken, und zwar von fast 12 Prozent auf knapp
7 Prozent. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit ist von
4 Prozent im Jahr 2007 auf heute ungefähr 2,5 Prozent
gesunken. Vor allem die Entwicklung, die wir früher hatten, nämlich dass von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus die Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland immer
zugenommen hat, haben wir durchbrochen. Das zeigt
den Erfolg der Arbeitsmarktreformen, die Rot und Grün
gemeinsam durchgesetzt haben. Dazu hätten Sie in Ihrem Antrag auch etwas schreiben können.
({0})
Herr Kollege Rosemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?
Ja.
Bitte schön, Frau Kollegin Pothmer.
Herr Rosemann, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass die Langzeitarbeitslosigkeit zurückgegangen
ist. Haben Sie in Ihre Berechnung auch einbezogen, dass
die Gruppe der Älteren nach § 53 a SGB II dann, wenn
sie ein Jahr kein Beschäftigungsangebot erhält, aus der
Statistik ausgesteuert wird? Wenn Sie diese Gruppe einbeziehen, dann ist die Langzeitarbeitslosigkeit in den
letzten Jahren um 0,6 Prozent zurückgegangen, während
die Mittel für die Förderung der Arbeitslosen um 40 Prozent zurückgegangen sind.
Frau Kollegin Pothmer, ich will nicht verschweigen,
dass es nicht in allen Gruppen so eine positive Entwicklung gibt. Aber Sie müssen dazusagen, dass wir gleichzeitig mit den Arbeitsmarktreformen auch an anderer
Stelle Reformen durchgeführt haben, dass Frühverrentungsmöglichkeiten abgeschafft worden sind und dass
damit sehr viel mehr ältere Menschen als vorher auf dem
Arbeitsmarkt sind. Auch deswegen hat die Zahl der Beschäftigten zugenommen. Gleichzeitig sind damit natürlich - diesem Problem muss sich auch die Politik stellen mehr Ältere von Arbeitslosigkeit betroffen. Das hat etwas damit zu tun, dass wir damals gemeinsam und, wie
ich finde, gerechterweise Möglichkeiten der Frühverrentung beseitigt haben.
({0})
Ich will ausdrücklich feststellen, dass der Rückgang
der Langzeitarbeitslosigkeit stagniert. Viele langzeitarbeitslose Menschen profitieren eben nicht von der guten
wirtschaftlichen Entwicklung und finden den Weg in den
Arbeitsmarkt eben nicht zurück. Die Vermittler und Fall8680
manager im Wirkungskreis des SGB II sehen sich einer
Kundengruppe mit zunehmend komplexen und verfestigten Problemlagen gegenüber. Natürlich ist es unser
Ziel, diesen Menschen wieder eine Perspektive auf dem
Arbeitsmarkt zu geben. Dabei ist aber klar: Es gibt eben
nicht den typischen Langzeitarbeitslosen. So werden wir
eben auch nicht die eine Maßnahme finden, die allen
Langzeitarbeitslosen gerecht wird und alle wieder in den
Arbeitsmarkt bringt. Vielmehr brauchen wir individuelle
und passgenaue Förderung.
({1})
Die alleinerziehende Mutter ohne Ausbildung, die Probleme mit der Kinderbetreuung hat, braucht eben andere
Angebote als der ältere langzeitarbeitslose Bauarbeiter
mit gesundheitlichen Einschränkungen. Gerade hier gilt
es, unser Förderversprechen, das wir mit dem SGB II gegeben haben, umzusetzen. Hierfür brauchen wir bessere
Rahmenbedingungen für Beratung und Betreuung in den
Jobcentern und flexible, passgenaue Antworten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
wie Sie sehen, liegen Ihre Problemanalyse und meine
Problemanalyse nicht so weit auseinander. Unsere Bundesarbeitsministerin, Andrea Nahles, hat im Gegensatz
zu dem, was Sie hier darstellen, genau dieses Problem
erkannt
({2})
und setzt mit ihrem Konzept zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit genau dort an. Das vorgelegte Konzept unterstützt die Jobcenter dabei, auf die vielfältigen
Problemlagen ihrer Kundinnen und Kunden individuell
und passgenau zu reagieren. Wir verbessern die Rahmenbedingungen für die Arbeit in den Jobcentern durch
bessere personelle Ausstattung. Ich erinnere nur an die
1 000 Stellen, die bisher beim auslaufenden Programm
„Perspektive 50plus“ angesiedelt waren und die für die
Aktivierungszentren, die eingerichtet werden, zur Verfügung stehen. Wir stabilisieren das Personal. Wir setzen
auf Personalentwicklung und Qualifizierung. Wir werden das Vergaberecht weiterentwickeln, damit Qualität
bei den Vergaben eine größere Rolle spielt.
({3})
Wir statten die Jobcenter finanziell besser aus; das ist
schon angesprochen worden. Unter Schwarz-Gelb wurden Eingliederungstitel und Verwaltungstitel immer weiter gekürzt. Das haben wir umgekehrt.
({4})
Für 2015 stehen wie bereits für 2014 350 Millionen
Euro Restmittel zur Verfügung. Die Pro-Kopf-Ausgaben für Eingliederung und Verwaltung erreichen im
Jahr 2015, übrigens erstmals seit 2010, wieder mehr als
2 000 Euro.
Außerdem ermöglichen wir passgenaue Lösungen
durch engere Verzahnungen von Arbeitsförderung und
Gesundheitsförderung, durch gezielte Akquise von Stellen für Langzeitarbeitslose mit begleitendem Coaching
und Nachbetreuung und durch das schon mehrfach angesprochene Programm zur sozialen Teilhabe von Menschen, die keine direkte Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.
Richtig ist, meine Damen und Herren: Mehr als die
Hälfte der arbeitslosen SGB-II-Empfänger hat keine
Ausbildung. Natürlich sind hier Weiterbildung und Qualifizierung wichtige Stellschrauben. Ich will aber darauf
hinweisen, dass wir den Paradigmenwechsel schon eingeleitet haben. Das zeigen beispielsweise die Programminitiative „Spätstarter gesucht“ - da machen wir weiter -,
und das zeigt auch, dass Themen, die Sie in Ihrem
Antrag zu Recht angesprochen haben, wie die Weiterbildungsprämie, auf der Tagesordnung dieser Großen
Koalition stehen.
({5})
Liebe Frau Pothmer,
({6})
Sie ähneln wieder einmal dem Hasen in dem Märchen
Der Hase und der Igel. Ich muss Ihnen sagen: Da, wo
Sie hinlaufen, sind wir schon.
({7})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
das Wort Dr. Astrid Freudenstein.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wer die Debatte
verfolgt hat, weiß, dass wir uns hier im Parlament ziemlich einig in der Diagnose sind: In unserem Land leben
zu viele Menschen, die nur eine geringe Chance haben,
auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wir teilen auch gemeinsam die Sorge um diese Menschen, und wir sehen
auch alle gemeinsam einen Handlungsbedarf. Wir als
Große Koalition haben deshalb im Koalitionsvertrag einen Schwerpunkt auf ebendiese Personengruppe gelegt.
Auch die Bundesregierung hat in ihrem ersten Jahr die
Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zu einem ihrer
obersten Ziele ernannt. So einig wir uns aber in der Diagnose sind: Unsere Vorstellungen darüber, wie man dieses Problem lösen kann, sind doch nicht ganz gleich.
Durch den Beschluss der Hartz-Gesetze durch die
SPD und die Grünen - das erkennen wir durchaus an gab es den notwendigen Impuls für einen Wandel der
Arbeitsmarktpolitik. Ein effizienteres Verwaltungssystem und ein gesundes Verhältnis zwischen Fördern und
Fordern hielten Einzug. Für die Erfolge dieser Gesetze
werden wir noch heute in weiten Teilen Europas bewundert.
({0})
Wie schon festgestellt, braucht es für einen bestimmten Personenkreis mit mehreren bzw. multiplen VermittDr. Astrid Freudenstein
lungshemmnissen etwas mehr Förderung. Denn während
die Zahl der Arbeitslosen insgesamt seit 2005 stark gesunken ist, blieb die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit
2010 fast auf einem Niveau. Daran wollen wir natürlich
etwas ändern.
Wir sind das Problem schon angegangen. Mit der Initiative gegen Langzeitarbeitslosigkeit sollen die Chancen
für diesen speziellen Personenkreis deutlich verbessert
werden, und ihre soziale Teilhabe soll gesichert werden.
Es gibt zum einen das ESF-Programm zur Eingliederung
Langzeitarbeitsloser, das mit fast 900 Millionen Euro
ausgestattet ist. Damit werden besonders jene unterstützt, die keinen verwertbaren Berufsabschluss haben.
In diesem Zusammenhang muss auch auf die Programme der Berufseinstiegsbegleitung und der assistierten Ausbildung hingewiesen werden. Mit ihnen soll dort
geholfen werden, wo der Schulabschluss oder die Berufsausbildung in Gefahr sind. Beides sind Fundamente
eines Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt. Hier setzen wir
also auf Vorbeugung bzw. Prävention, damit junge Menschen erst gar nicht in die Langzeitarbeitslosigkeit fallen.
({1})
Frau Kollegin Freudenstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann?
Ja, bitte.
Bitte schön, Frau Zimmermann.
Vielen Dank, Frau Dr. Freudenstein, dass Sie diese
Frage zulassen. - Sie sprachen davon, dass Sie ein Programm auf den Weg gebracht haben. Es gibt 1 Million
langzeiterwerbslose Menschen. Die zwei Programme,
die jetzt von Frau Nahles vorgestellt worden sind, betreffen 43 000 Menschen. Was machen wir denn mit den anderen Menschen, die auch langzeiterwerbslos sind?
({0})
Wir werden in unserem Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit nicht aufgeben. Ihr Versuch, uns hier
so etwas zu unterstellen, geht ins Leere, Kollegin
Zimmermann. Ich werde noch ausführen, was wir tun
können.
({0})
- Ja, das ist so. Sie unterstellen uns hier etwas, was nicht
der Fall ist.
Es ist, glaube ich, auch in der bisherigen Debatte sehr
deutlich geworden, dass uns das Thema Langzeitarbeitslosigkeit in der Koalition sehr umtreibt. Wir brauchen,
glaube ich, keinen Hinweis auf dieses Problem.
All diese Instrumente eint, dass sie auf eine intensivere Beratung und Betreuung setzen, dass sie auf die individuelle Lebenssituation der arbeitslosen und leistungsschwachen Jugendlichen eingehen und diese dabei
unterstützen, einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden und zu behalten.
In Ihrem Antrag schlagen Sie nun vor, die öffentlich
geförderte Beschäftigung deutlich auszubauen. Dabei ist
mir wichtig, zu beachten: Eine öffentlich geförderte Beschäftigung kann einem regulären Arbeitsverhältnis
nicht gleichgesetzt werden. Öffentlich geförderte Arbeit
birgt auch immer die Gefahr, in dieser Situation zu
verharren. Die Prüfung der Abwicklung des Bundesprogramms „Bürgerarbeit“ durch den Bundesrechnungshof
hat gezeigt, dass sich Jobcenter, Arbeitgeber und Teilnehmer häufig in dieser Bürgerarbeit sozusagen eingerichtet haben. Jedenfalls sind die Chancen der Teilnehmer, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen, nicht
wirklich gestiegen.
({1})
Ihr Ansatz birgt die Gefahr, dass er nicht mehr ist als
eine Kulisse. Diese sieht zwar von vorne ganz gut aus,
und auf diese geht man auch gerne zu. Am Ende aber ist
das Ganze eben doch ein recht instabiles Gebilde. Es
fehlt die stabile Brücke in den ersten Arbeitsmarkt.
400 000 arbeitslose Menschen in Deutschland sozusagen
pauschal abzuschreiben, das halte ich ebenso wie meine
Vorredner für falsch.
Öffentlich geförderte Beschäftigung soll die Ausnahme bleiben. Es soll sie nur für einen kleinen Personenkreis geben. Der erste Arbeitsmarkt muss das Ziel jeder Maßnahme bleiben.
Ich möchte auf ein Modellprojekt verweisen, dass es
bei uns in Bayern, in Amberg, in der Oberpfalz, gibt. Ich
finde dieses Projekt, bei dem es um Alleinerziehende
ging, sehr schön. Es wurde ein ganzheitlicher Ansatz
verfolgt mit dem Ziel, die Hilfebedürftigkeit der gesamten Familie zu beenden. Das ganze soziale Umfeld
wurde einbezogen: durch Unterstützung bei der Suche
nach Kinderbetreuung zum Beispiel, bei der Akquise
von Ausbildungsplätzen oder bei der Integration in den
Arbeitsmarkt. Durch ein sehr intensives Coaching konnten - mit Unterstützung des bayerischen Arbeitsministeriums - drei Viertel der teilnehmenden Alleinerziehenden auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen. Dieses
Erfolgsprojekt zeigt, wie viel mit individuellen Integrationsstrategien erreicht werden kann. Ich meine, dass wir
auf diesem Weg weitergehen sollten.
Herzlichen Dank.
({2})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3918 an den Ausschuss für Arbeit und
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Soziales vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? -
Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung der Verwendung
elektrisch betriebener Fahrzeuge ({0})
Drucksache 18/3418
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({1})
Drucksache 18/4174
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({2}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Stephan Kühn ({3}), Lisa
Paus, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Elektromobilität entschlossen fördern - Chance
für eine zukunftsfähige Mobilität nutzen
Drucksachen 18/3912, 18/4229
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen.
({4})
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Nobert
Barthle.
({5})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor
einem Jahr haben wir uns dafür entschieden, ein Elektromobilitätsgesetz auf den Weg zu bringen, um damit
neuen Schwung in dieses Thema und auf Deutschlands
Straßen zu bringen. Heute haben Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Gelegenheit, in der zweiten und dritten Lesung mit einer kraftvollen Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf dafür zu sorgen, dass dieser Schwung
auch zustande kommt.
({0})
Ende des Jahres 2014 haben wir die Marktvorbereitungsphase abgeschlossen und Bilanz gezogen. Der
zweite Fortschrittsbericht der Nationalen Plattform Elektromobilität hat uns bescheinigt, dass diese erste Phase
durchaus erfolgreich verlaufen ist. Jetzt befinden wir uns
in einer ganz wichtigen Zeitspanne - es steht eine Art
Zäsur an -; denn jetzt beginnt die Markthochlaufphase.
Das ist die entscheidende Herausforderung. Wir müssen
alles tun, um die Dynamik, die in diesem Markt besteht,
zu erhalten und zu verstärken. Wir haben derzeit immerhin einen Gesamtbestand von rund 24 000 rein elektrisch
oder extern aufladbaren Elektro-Pkw auf unseren Straßen. Allein im Jahr 2014 wurden 9 500 neu zugelassen.
({1})
Damit hat der Gesamtbestand um 70 Prozent zugenommen. Das ist eine Erfolgsbilanz, die sich sehen lassen
kann.
({2})
- Doch. Darüber sind sich auch die Fachleute einig.
Die deutschen Automobilhersteller haben inzwischen
17 Modelle auf den Markt gebracht. Allein in diesem
Jahr sollen 12 weitere hinzukommen. Ich will durchaus
eingestehen, dass es in einzelnen Marktsegmenten noch
Nachholbedarf gibt.
({3})
Das ist etwas einseitig ausgerichtet, aber dieses Thema
muss die Wirtschaft regeln. Wir werden dafür sorgen,
dass dieser Markthochlauf mit aller Kraft unterstützt
wird. Dieses Elektromobilitätsgesetz schafft dafür die
notwendigen Rahmenbedingungen.
({4})
Wir steigern die Attraktivität für die Nutzer, und wir
schaffen Privilegien im allgemeinen Straßenverkehr. Es
gibt für die Länder und Kommunen bezüglich der Bevorrechtigungen entsprechende Handlungsspielräume.
Wir schaffen damit neue Chancen. Wir wollen keine
Pflichten, Regeln oder Vorschriften einführen, sondern
Chancen eröffnen,
({5})
um auf der Ebene der Städte und Gemeinden vor Ort gezielt die Regelungen zu treffen, die ganz konkret die
Elektromobilität begünstigen und damit einen Schub erzeugen. Wir schaffen die Rechtsgrundlage für eine klare
und eindeutige Kennzeichnung dieser Fahrzeuge. Wir
schaffen Rechtsgrundlagen, die wir später mit Verordnungen näher ausgestalten werden. Wir legen großen
Wert darauf, dass diese Verordnungen rasch vorliegen,
möglichst noch vor der Sommerpause in Kraft treten, damit alles entsprechend umgesetzt werden kann.
Mit diesem Gesetzentwurf definieren wir auch, welche Fahrzeuge bevorrechtigt werden können: reine Batterieelektrofahrzeuge, Brennstoffzellenfahrzeuge. Aber
auch die sogenannten Plug-in-Hybride werden entsprechend behandelt. Wir wollen gleichzeitig sicherstellen,
dass damit entsprechende Umweltvorteile verbunden
sind; denn das ist der eigentliche Grund der Bevorrechtigung. Deshalb hat man für die aufladbaren Hybridfahrzeuge bestimmte Umweltkriterien eingeführt. Sie dürfen
nur dann die Privilegien nutzen, wenn ihr CO2-Ausstoß
höchstens 50 Gramm pro Kilometer beträgt oder wenn
sie mindestens eine elektrische Reichweite von 40 Kilometern vorweisen können. Bis 2018 haben wir eine
Übergangszeit mit einer Mindestreichweite von 30 Kilometern. Ich glaube, das sind Regelungen, die praktikabel
und nachvollziehbar sind.
Der Entwurf der Verordnung sieht vor, dass die Kennzeichnung mittels E-Kennzeichen erfolgt. Damit ist auf
den ersten Blick klar erkennbar, welche Fahrzeuge die
Privilegien nutzen dürfen. Ausländische Fahrzeuge haben dann die Möglichkeit, eine Plakette zu erwerben, um
die Privilegien ebenfalls in Anspruch nehmen zu können. Das dürften, meine Damen und Herren, relativ wenige sein.
Mit dem Elektromobilitätsgesetz wird die Möglichkeit geschaffen, die Parkraumbewirtschaftung auf kommunaler Ebene entsprechend zu gestalten, sei es mit
Preisermäßigungen oder besonderen Zufahrtsberechtigungen dort, wo aus Lärmschutzgründen Zufahrtsbeschränkungen eingeführt wurden. Ich erinnere an zahlreiche Luftkurorte, Erholungsgebiete, Wohngebiete und
Ähnliches mehr, wo wir solche Regelungen haben. Wir
haben damit die Möglichkeit geschaffen, kommunal das
Richtige zu tun - bis hin zur Freigabe der Busspuren für
Elektrofahrzeuge. Damit hat übrigens Norwegen sehr
gute Erfahrungen gemacht. Wenn die Busspuren zu sehr
in Anspruch genommen werden, können die Kommunen
reagieren und es entsprechend regeln.
Wenn von den Grünen vorgetragen wird, dass sie
keine Porsche Cayenne auf diesen Spuren sehen wollen,
dann kann ich nur anmerken: Es gibt in ganz Deutschland gerade mal 100 hybride Porsche Cayenne. Einen
solchen auf einer Busspur zu finden, ist schon fast ein
Sechser im Lotto. Insofern sieht man an dieser Stelle,
wie weltfremd teilweise die Argumente von Ihrer Seite
sind.
({6})
Während der Beratungen haben die Koalitionäre noch
einige Veränderungen eingebracht. Darüber werde ich
jetzt nichts sagen. Das überlasse ich meinem Kollegen
Steffen Bilger. Er wird Ihnen erläutern, was im parlamentarischen Verfahren noch geändert worden ist.
Ich kann nur sagen: Diesem ersten Schritt, dem Elektromobilitätsgesetz, werden weitere Schritte folgen. Wir
werden weitere bestehende Hemmnisse abbauen. Ich will
nur erwähnen, dass das BMVI gemeinsam mit Tank & Rast
beabsichtigt, Schnellladestationen an rund 430 bewirtschafteten Raststätten an Bundesautobahnen zu errichten.
Das wird dafür sorgen, dass entsprechende Ladekapazitäten vorhanden sind; denn die begrenzte Reichweite ist
nach wie vor ein Problem.
Es gibt noch weitere Hemmnisse. Ich habe es am eigenen Leib verspürt: Wenn ich mich nach einem
Dienstfahrzeug mit Elektroantrieb erkundige, dann
wird mir erklärt, dass die kleinen E-Fahrzeuge eine
mehrfach höhere Leasingrate haben als große Premiummodelle der Oberklasse. Auch hier stimmt etwas nicht.
Da muss man bestehende Hemmnisse beseitigen.
({7})
Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen wird.
Danke.
({8})
Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege
Andreas Rimkus, SPD-Fraktion.
({0})
- Entschuldigung. - Thomas Lutze.
({1})
Frau Präsidentin, ich dachte schon, ich hätte gerade
etwas falsch gemacht, als ich aufgestanden bin; aber es
war ausnahmsweise nicht so.
({0})
Nein. Entschuldigung! Sie waren hier schon ausgestrichen.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Präsidentin! Auch auf die Gefahr
hin, hier jetzt der Spielverderber zu sein: Sie fordern
- auch die Grünen in ihrem Antrag -, Elektromobilität
künftig stärker zu fördern. Medial betrachtet ist es natürlich so: Die von Ihnen vorgesehene Freigabe der Busspuren und die Einräumung der Möglichkeit des kostenlosen Parkens für Elektroautos in Innenstädten sind
wesentliche Punkte, die gerade in der Öffentlichkeit diskutiert werden. In der Ausschussanhörung waren viele
Fachleute, auch aus den Kommunen. Sie sagten uns: Es
gibt gerade einmal zwölf Städte in Deutschland, die
ernsthaft prüfen, das Gesetz, das wir heute verabschieden wollen, umzusetzen. Dass zwölf Städte es prüfen,
heißt noch lange nicht, dass es nachher auch zwölf
Städte umsetzen - sie prüfen nur. Alle anderen Städte haben abgewunken, zum Beispiel auch Berlin. Wir machen
also ein Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, das
draußen so gut wie niemand braucht. Da frage ich mal
ganz vorsichtig: Wozu eigentlich?
({0})
Wenn Sie schon nicht auf die Linke hören - das kann
ich ja verstehen -, dann hören Sie wenigstens auf den
Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, der ganz
deutlich davor gewarnt hat, Busspuren freizugeben.
Schon heute sind auf Busspuren neben Bussen auch Rettungsfahrzeuge, Taxis, Fahrradfahrer und einige andere
Verkehrsteilnehmer unterwegs - und das aus gutem
Grund. Wenn jetzt auch noch Elektrofahrzeuge hinzukommen, dann hat die Busspur den eigentlichen Sinn,
den sie mal hatte, ein Stück weit verloren.
Ein wichtiger Knackpunkt ist für uns Linke - Sie haben das gerade bildlich mit dem Porsche Cayenne dargestellt -, dass auch Hybridfahrzeuge die Möglichkeit bekommen sollen, die Busspuren zu nutzen. Da machen
wir natürlich ein großes Fragezeichen dran. Es gibt das
Beispiel des Porsches; es gibt das Beispiel des Hybridfahrzeugs von BMW mit 350 PS und einem CO2-Ausstoß von knapp 160 Gramm pro Kilometer. Ich sage
ganz deutlich: Selbst wenn man es auf sparsamere Hybridautos beschränken würde: Man kann es nachher im
Straßenverkehr kaum noch auseinanderhalten, selbst
wenn man eigene Kennzeichen einführt.
Für mich stellt sich auch die Frage der Gerechtigkeit.
Was erzählen Sie denn zum Beispiel jemandem, der sich
vor kurzem ein Erdgasauto oder ein Autogasfahrzeug
zugelegt hat? Er hat das sicherlich aus Geldgründen gemacht, aber eben auch, um ein Fahrzeug zu nutzen, das
tatsächlich etwas umweltfreundlicher ist. Diese Fahrzeuge bleiben jetzt einfach außen vor. Warum sind die
Hybridfahrzeuge drin, die Erdgasfahrzeuge aber nicht?
Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten; aber vielleicht kann das ein Redner der Koalition nach mir tun.
Was passiert mit den Fahrgästen im öffentlichen Personennahverkehr, wenn die Hybridautos auf der Busspur
fahren? Da fährt vielleicht hinter solch einem Hybridauto ein Bus, in dem 50 Leute sitzen; das Hybridauto
will von der Busspur nach rechts abbiegen, kann es aber
nicht, weil Fußgänger und Radfahrer die Fahrbahn kreuzen. Dann müssen die 50 Fahrgäste des Stadtbusses warten, bis das Hybridauto oder das Elektroauto die Busspur
verlässt. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist
keine ökologische Verkehrswende, sondern das genaue
Gegenteil. Es behindert nämlich die Ökologie im Verkehr.
({1})
Hier im Deutschen Bundestag war heute bei der Debatte um den Mindestlohn immer wieder das Stichwort
„Bürokratieabbau“ zu hören. Da sage ich Ihnen, den
Kollegen von der Koalition, gerade von der Union, mit
aller Deutlichkeit: Wenn Bürokratieabbau für Sie ein
Thema ist, dann stimmen Sie heute besser gegen Ihren
eigenen Entwurf.
({2})
Man braucht neue Kennzeichen an den Autos - das ist
gerade angekündigt worden - und neue Verkehrsschilder. Man muss die Verkehrsschilder austauschen. Man
muss den ganzen Quatsch, den Sie hier beschließen,
nachher auch noch kontrollieren. Wenn es dann Leute
gibt, die sich nicht an die Regeln halten, muss man das
auch noch sanktionieren. Das alles hat überhaupt nichts
mit Bürokratieabbau zu tun.
Man muss aber auch die Frage stellen dürfen: Woher
kommt bei der Elektromobilität eigentlich der Strom?
({3})
- Klar, aus der Steckdose. Keine Frage! - Aber davon,
dass nach wie vor rund 25 Prozent des Stroms, der in
Deutschland in die Netze eingespeist wird, aus Atomkraftwerken ist, redet hier komischerweise niemand; ein
großer Anteil des Stroms kommt aus Kohlekraftwerken.
Ob das unbedingt etwas mit Umweltschutz zu tun hat,
versehe ich auch mit einem großen Fragezeichen.
Wenn Sie ernsthaft etwas tun wollen, dann hätten wir
zwei Vorschläge:
Erstens. Fördern Sie die echte Elektromobilität, nämlich den ÖPNV! Ganz nebenbei zwei Zahlen: 1838 gab
es die erste Elektrolokomotive, 1881 die erste elektrische Straßenbahn. Zu dieser Zeit gab es noch gar keine
Autos. Das, was ein bisschen so aussah wie ein Auto,
hatte vorne zwei Pferde. Ich weiß nicht, ob das damals
modern war. Die Elektromobilität gibt es also, wie gesagt, schon länger. Aber Spaß beiseite!
Zweitens. Wenn sie wirklich die Elektromobilität fördern wollen, dann fördern Sie endlich Forschung, Wissenschaft und Technik, damit Batterien leichter und leistungsfähiger werden.
Wenn Sie das hinbekommen, wenn Sie Geld für die
Forschung in die Hand nehmen, dann - da gebe ich Ihnen recht - werden vielleicht auch Elektroautos irgendwann eine reale Zukunft auf dem Markt haben.
Vielen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Jetzt hat Andreas Rimkus, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen! Liebe Zuhörer! Ja,
Herr Lutze, es ist in der Tat sehr lange her: Als in Berlin
1881 die erste Straßenbahn fuhr, fuhr in Paris das erste
lautlose E-Mobil, ein Dreirad, übrigens mit einem Siemens-Motor. Dass wir uns nach 134 Jahren auf den Weg
machen, ein Elektromobilitätsgesetz zu erarbeiten, das
ist doch eine gute Sache; denn eins ist klar: Die Dinge
brauchen manchmal ihre Zeit, und jetzt ist die Zeit reif,
ein entsprechendes Gesetz vorzulegen.
({0})
Was damals in Paris mit einem Experiment begann,
ist heute eine sehr erfolgversprechende Idee, wie wir
Emissionen reduzieren können und so unseren ökologischen Zielen auch wirklich näher kommen. Dazu muss
auch der Verkehrsbereich seinen Beitrag leisten.
Mit dem Elektromobilitätsgesetz I, das wir heute in
zweiter und dritter Lesung beschließen, machen wir einen wichtigen Aufschlag. Die Einigung auf eine Definition der Fahrzeuge war ein zentraler Schritt. Gut ist, dass
wir technologieoffen geblieben sind. Wir haben sowohl
die Akkumobilität als auch die Brennstoffzellentechnologie berücksichtigt. Beide Technologien bergen nämlich ein hohes Innovationspotenzial. Im Rahmen der
Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie finden dann im Übrigen weitere Technologien wie Power-to-Gas ihren Platz.
Lassen Sie uns schauen, wo die Reise hingeht. Lassen
Sie uns überlegen, welche Türen wir offenhalten können, und nicht, welche wir schließen. In der Welt der
Innovationen sind Prognosen, wie wir wissen, nicht besonders zuverlässig. Daher ist es folgerichtig gewesen,
dass wir mit dem von Union und SPD im Ausschuss gestellten Änderungsantrag die Evaluation des Gesetzes,
insbesondere in Bezug auf die Reichweite von Hybridfahrzeugen, in den Gesetzestext aufgenommen haben.
Für 2018 haben wir die erste Evaluation angesetzt.
Der Bundesrat hat uns gebeten, die Geltungsdauer des
Gesetzes zu verkürzen. Dies wurde in der Expertenanhörung noch einmal unterstrichen. Auch wir halten es für
sachgerecht, das Gesetz auf Ende 2026 zu begrenzen.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Union für die
konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ich denke, wir
haben dem Struck’schen Gesetz Genüge getan und gemeinsam sinnvolle Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen. Schönen Dank dafür.
({1})
In Bezug auf die so intensiv diskutierten Privilegien
ist es wichtig, dass jede einzelne Kommune selbst entscheiden kann und soll, ob und für wie lange sie diese
Bevorrechtigungen schaffen möchte oder eben nicht.
Das gilt für Sonderflächen zum Parken und Laden, für
Durch- und Einfahrtsverbote und auch für Busspuren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht aber mehr.
Ich begrüße sehr die Überlegungen hinsichtlich einer
Sonderabschreibung für Elektrofahrzeuge, die im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz,
kurz: NAPE, aus dem Haus von Sigmar Gabriel und des
„Aktionsprogramms Klimaschutz 2020“ aus dem Hause
von Barbara Hendricks Erwähnung finden. In beiden Papieren werden im Übrigen auch Beschaffungsinitiativen
für den öffentlichen Dienst angeregt, was aus meiner
Sicht ein richtiger Schritt wäre.
({2})
Für private Nutzer könnte ein KfW-Zuschussprogramm
ein besonderer Anreiz sein, sich ein Elektrofahrzeug zu
kaufen.
Doch unser Blick muss deutlich weiter gehen. Wir
dürfen die Elektromobilität nicht isoliert betrachten, sondern wir müssen sie einbetten in eine große Politik, die
das Ganze mitdenkt. Richtig vorwärts kommen wir mit
Strom und Wasserstoff in Tank und Batterie - aus Windund Sonnenenergie. Das Elektromobil als Speicher kann
hier Unregelmäßigkeiten bei Sonnen- und Windstrom
ausgleichen. Natürlich brauchen wir einen bedarfsgerechten Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur; das ist
übrigens ein Schwerpunkt der EU-Kommission, wie wir
gestern von Verkehrskommissarin Bulc erfahren haben.
Mit der Clean-Power-for-Transport-Richtlinie sind uns
von dort klare Hausaufgaben mitgegeben worden.
Ohne all dies mitzudenken, werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Leider ist in dem Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen davon wenig zu lesen. Deswegen werden wir ihm nicht zustimmen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, die Skepsis gegenüber der Idee, dass wir irgendwann vollkommen selbstverständlich mit Elektromobilen durch unsere
Straßen fahren, ist noch groß. Doch all den Skeptikern
möchte ich sagen: Als der britische Unterhausabgeordnete Edward Alderson 1825 über den Eisenbahnvisionär
George Stephenson sagte - ich zitiere -: „Stephensons
Plan ist die absurdeste Idee, die jemals in einem Menschenhirn entstanden ist“, da ahnten vermutlich nur wenige, welche Erfolgsgeschichte die Eisenbahn und damit
Stephensons Plans schreiben würde. Wir alle kennen den
Ausgang der Geschichte. Freuen wir uns auf den Ausgang der Geschichte bei der Elektromobilität!
Schönen Dank.
({4})
Vielen Dank. - Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
Stephan Kühn das Wort.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soll sich die Elektromobilität durchsetzen und tatsächlich einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, reicht
es nicht, den Verbrennungsmotor des Autos einfach
durch einen Elektromotor zu ersetzen. Die Elektromobilität bietet Chancen für eine zukunftsfähige Mobilität,
aber eben nur, wenn wir auch den Einsatz beispielsweise
von Elektrobussen, von elektrisch angetriebenen Nutzfahrzeugen, von Elektrofahrrädern stärker unterstützen
und wenn der Strom aus erneuerbaren Energien kommt.
({0})
Stephan Kühn ({1})
In unserem Antrag, lieber Kollege Rimkus, haben wir
dazu zahlreiche Vorschläge gemacht; insofern fand ich
Ihren Ablehnungsgrund schon etwas merkwürdig.
({2})
Gemessen an allen im letzten Jahr in Deutschland neu
zugelassenen Fahrzeugen lag der Anteil der Elektroautos
bei 0,2 Prozent. Deutschland ist damit meilenweit davon
entfernt, Leitmarkt für Elektromobilität zu werden,
Deutschland hinkt bei der Nachfrage nach Elektroautos
schlichtweg hinterher.
({3})
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Elektromobilitätsgesetzes zutreffend festgestellt, dass das Ziel,
im Jahr 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf
Deutschlands Straßen zu bringen … mit den bislang
vorgelegten Programmen und Gesetzen kaum zu realisieren sein wird.
Elektroautos sind schlichtweg zu teuer. Für Private
betragen die Mehrkosten für ein Elektroauto - über die
gesamte Nutzungszeit betrachtet - im Vergleich zu einem konventionellen Auto zwischen 5 000 und 8 000 Euro.
Dazu kommen die begrenzte Reichweite und die fehlende Ladeinfrastruktur, die weitere Hemmnisse darstellen.
Wir glauben, eine Verstärkung der Nachfrage nach
Elektroautos kann nur mit einem Marktanreiz für den
Kauf von Elektroautos gelingen.
({4})
In Frankreich ist der Marktanteil von Elektroautos viermal so hoch wie in Deutschland, in den Niederlanden
und in Norwegen sogar zwanzigmal so hoch. All diese
Länder zahlen in verschiedenen Varianten eine Kaufprämie für emissionsarme Fahrzeuge. Dass man mit einem
Elektroauto in Zukunft kostenlos parken darf, wie im
Elektromobilitätsgesetz vorgesehen, wird die Absatzzahlen von Elektroautos wohl kaum ankurbeln. Wir müssen
deshalb Elektroautos - zumindest zeitlich begrenzt - mit
einem Kaufzuschuss in Höhe von 5 000 Euro fördern.
Dies wollen wir gegenfinanzieren über eine Umlage bei
der Kfz-Steuer, und zwar für Autos, deren CO2-Ausstoß
oberhalb der europäischen CO2-Grenzwerte liegt.
In der Koalition gibt es, wie wir gerade gehört haben,
mehr Fans einer Sonder-AfA für gewerbliche Fahrzeuge.
Leider haben dann Private nichts davon. Auch im öffentlichen Bereich lässt sich damit schwerlich eine Beschaffungsoffensive ankurbeln.
({5})
Herr Kollege Kühn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Leidig?
Gerne.
Bitte schön.
Kollege Kühn, ich wollte einfach mal die Frage stellen, wie es sich mit einer solchen Belohnungsprämie
verhält mit Blick auf Menschen, die ganz auf ein Auto
verzichten und sich stattdessen ein Jahresticket für den
ÖPNV oder eine BahnCard 100 kaufen; da wäre eine
Prämie von 4 000 oder 5 000 Euro schon ein Pfund, um
eine solche Entscheidung zu unterstützen.
({0})
Ich frage mich, wie sich der Einsatz für die ökologische
Verkehrswende verträgt mit einer Kaufprämie für Autos.
Das kann ich Ihnen gerne erklären. - Wir haben in unserem Antrag zahlreiche Vorschläge gemacht, wie wir
andere Verkehrsträger stärker unterstützen wollen. Zum
Beispiel ist es ja so, dass die Umstellung von allen Loks
auf Ökostrom viermal so viel CO2 einsparen würde wie
1 Million Elektroautos. Ich könnte Ihre Kritik verstehen,
wenn es so wäre, dass der Steuerzahler bzw. derjenige,
der nur Bus und Bahn oder Fahrrad fährt, eine solche
Kaufprämie für Elektroautos finanzieren müsste. Diesen
Vorschlag haben wir aber bewusst nicht gemacht, sondern wir sehen - das habe ich erklärt - eine Umlagefinanzierung vor. Das heißt, derjenige, der ein Elektroauto
kauft mit einem Ausstoß von unter 50 Gramm CO2 pro
Kilometer, bekommt einen Kaufzuschuss; bei einem reinen Elektroauto beträgt dieser 5 000 Euro. Das wird finanziert von denjenigen, die sich Autos kaufen mit einem deutlich höheren CO2-Ausstoß, die Spritschlucker
also. Das Ganze ist aufkommensneutral. Das bedeutet,
kein Nutzer des ÖPNV, kein Fahrradfahrer zahlt für die
Kaufprämie. Darauf haben wir geachtet; das war uns
wichtig. Insofern kann ich Ihre Kritik ehrlich gesagt
nicht verstehen.
({0})
Zurück zur Sonder-AfA, über die seit einem Jahr in
den Debatten immer wieder diskutiert wird. Ich habe extra noch einmal nachgefragt, wie es mit der Sonder-AfA
aussieht, schließlich steht sie bereits im Aktionsprogramm Klimaschutz der Bundesregierung.
({1})
Ich zitiere die Antwort der Bundesregierung auf meine
Frage in der gestrigen Fragestunde:
Ob und wann ein entsprechender Gesetzentwurf
vorliegen wird, ist … noch nicht abzusehen.
Stephan Kühn ({2})
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie stehen
bei der Förderung von Elektromobilität schlichtweg mit
leeren Händen da.
({3})
Durch die EU-Richtlinie zum Aufbau der Ladeinfrastruktur ist Deutschland verpflichtet, einen Rahmenplan
für den systematischen Aufbau der Ladeinfrastruktur zu
erarbeiten. Das ist aus meiner Sicht dringend erforderlich. Bisher ist kein Konzept erkennbar.
Aus unserer Sicht muss die Ladeinfrastruktur diskriminierungsfrei zur Verfügung stehen. Im Moment ist genau das Gegenteil der Fall. Mit Steuergeldern gefördert,
werden entlang der A 9 Schnellladesäulen errichtet, an
denen Elektroautos ausländischer Hersteller mit dem sogenannten CHAdeMO-Stecker nicht schnell laden können - das betrifft beispielsweise Nissan Leaf, Mitsubishi
Electric Vehicle, Citroen Berlingo Electric -, Elektroautos von deutschen Herstellern aber schon. Auch beim
Forschungsprojekt SLAM sind nur maximal ein Drittel
der Ladesäulen für Fahrzeuge ausländischer Hersteller
nutzbar, wenn überhaupt.
Die wenigen Pioniere, die bereits ein Elektroauto fahren, werden damit ausgebremst. Etwa die Hälfte der in
Deutschland zugelassenen E-Autos ist davon betroffen.
Die Bundesregierung behindert also den Durchbruch der
Elektromobilität, anstatt ihn zu fördern. Verkehrsminister Dobrindt und Wirtschaftsminister Gabriel betreiben
damit, wie ich finde, eine sehr bemerkenswerte Form der
Industriepolitik, die dazu führt, dass den deutschen Herstellern die lästige Konkurrenz aus dem Ausland ferngehalten wird. Ich finde es unglaublich, was da mit öffentlichem Geld, mit Steuergeld passiert.
({4})
Wir brauchen stattdessen ein Investitionsprogramm
für die Elektromobilität, mit dem der Aufbau einer öffentlich und diskriminierungsfrei zugänglichen Ladeinfrastruktur, die auf erneuerbarem Strom basiert und ein
nutzerfreundliches E-Roaming beinhaltet, gefördert
wird. Das wäre notwendig. Das ist im Moment nicht zu
erkennen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Thema
„Freigabe der Busspuren für E-Autos“ sagen. Ich habe
mir auch hier die Arbeit gemacht, die Bundesregierung
zu fragen, ob sie denn Städte kenne, die beabsichtigten,
Busspuren für E-Autos freizugeben. Die Bundesregierung konnte mir keine einzige Stadt nennen, die davon
Gebrauch machen will.
Wenn Sie Elektromobilität fördern wollen, meine Damen und Herren, dann sollten Sie lieber die Umstellung
der Busflotten, die noch zu 90 Prozent mit Diesel unterwegs sind, auf Elektrobusse finanziell fördern. Das wäre
ein Beitrag zur Förderung der Elektromobilität.
({5})
Ihr Gesetzentwurf ist es nicht. Wir brauchen einen beherzten Vorschlag. Ein solcher ist von Ihnen heute nicht
geliefert worden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Steffen Bilger.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor einer Woche haben wir in einer durchaus hitzigen
Debatte über die Pkw-Maut diskutiert. Ich habe bereits
damals darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung,
unterstützt vom Deutschen Bundestag, an allen Ecken
und Enden an der Förderung und am Erfolg der Elektromobilität arbeitet. Das vorliegende Gesetz ist ein Beleg
dafür und ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.
({0})
Zuerst freue ich mich aber, dass sich, anders als bei
der Pkw-Maut, ein Großteil des Hauses durchaus darin
einig ist, dass die Elektromobilität im Individualverkehr
vorangebracht werden sollte.Nur Teile der Linken - Kollege Lutze, Sie haben gerade den Bezug zum Schienenverkehr angesprochen - haben immer noch nicht verstanden, dass Elektromobilität eben nicht auf die
Schiene begrenzt ist.
Bei der Elektromobilität geht es für uns in Deutschland darum, Leitmarkt und Leitanbieter für elektrisch
betriebene Autos zu sein. Nicht nur für Deutschland,
sondern für ganz Europa ist die Entwicklung der Elektromobilität eine der bedeutenden Zukunftsfragen. Die
EU-Verkehrskommissarin hat es gestern noch einmal
verdeutlicht: Es geht um Umweltaspekte, um weniger
Abhängigkeit vom Öl, um Arbeitsplätze und um die Zukunft unserer Automobilindustrie.
({1})
Eine der häufig genannten Fragen, wenn wir über
Elektromobilität sprechen - gerade wurde es schon erwähnt - ist ja die nach der Herkunft des Stroms für die
Elektroautos. Darüber haben wir kürzlich auch im Verkehrsausschuss diskutiert. Natürlich wollen wir alle regenerativen Strom für Elektrofahrzeuge. Ich glaube, wir
können sagen: Das ist Konsens in Deutschland. Aber für
viele ist die Frage nach der Herkunft des Stroms gar
nicht die entscheidende. Wenn wir an Stadtbewohner
denken, die unter Lärm und Abgasen leiden, dann dürften Aspekte wie mehr Ruhe oder weniger Emissionen
entscheidender sein als die Frage nach der Herkunft des
Stroms. Daher: Wer auch immer solche Bedenken in den
Vordergrund stellt, hat nicht verstanden, worauf es wirklich ankommt.
({2})
Herr Kollege Bilger, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Leidig?
Sehr gerne.
Bitte schön, Frau Kollegin.
({0})
Sie haben die Lärm- und Schmutzbelastung der Einwohnerinnen und Einwohner der Städte angesprochen
und suggeriert, dass sich durch Ihr Elektromobilitätsgesetz daran etwas ändern würde. Ich erinnere mich, dass
es in der letzten Wahlperiode das Ziel des damaligen
Verkehrsministers Ramsauer war, bis zum Jahr 2020 den
Anteil der elektrischen Autos in Deutschland auf 2 Prozent zu erhöhen. Zugleich sind die Verkehrsprognosen
davon ausgegangen, dass die Zahl der Automobile um
3 Prozent steigt. Nun habe ich keinerlei Information darüber, dass sich daran etwas ändern soll. Gehen Sie
ernsthaft davon aus, dass ein Anteil solcher leisen Autos
von 2 Prozent - im besten Falle - die Situation der Bewohnerinnen und Bewohner in einer vielbefahrenen
Straße nachhaltig erleichtert, wenn gleichzeitig der Anteil herkömmlicher Fahrzeuge unverändert bei 98 Prozent liegt?
Frau Kollegin Leidig, genau das stört mich an der Art
und Weise, wie Sie über solche Themen diskutieren: immer das Negative in den Mittelpunkt stellen, immer das
Haar in der Suppe suchen, anstatt, wie ich es gerade gesagt habe, einmal die Chancen zu sehen. Es geht um die
Zukunft der Mobilität, und die Zukunft der Mobilität
wird ganz entscheidend von der Elektromobilität abhängen. Da geht es eben sehr wohl um weniger Lärm und
um weniger Abgase in unseren Städten. Das sollten Sie
endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
({0})
Ich habe es gerade schon gesagt: Es drängt sich der
Eindruck auf, dass viele immer das Haar in der Suppe
suchen. Es kann nicht sein, dass wir jeder Zukunftstechnologie nur mit Skepsis begegnen, immer die - vielleicht
bestehenden - Nachteile und Risiken überhöhen und die
Vorteile und Chancen nicht sehen. Umso mehr bin ich
dankbar für konstruktive Beiträge, wozu ich ausdrücklich den Antrag der Grünen zähle.
({1})
Denn bei vielem sind wir uns einig. So brauchen wir in
der Tat eine Elektroautobeschaffungsoffensive der Bundesregierung und anderer staatlicher Ebenen. Auch bei
den innerstädtischen Lieferverkehren müssen wir weiterkommen. Das alles unterstützen wir ausdrücklich.
({2})
Wir brauchen außerdem mehr öffentliche Ladeinfrastruktur. Die Erkenntnisse der vergangenen Jahre zeigen,
dass hier noch viel Potenzial für die Umsetzung innovativer Ideen vorhanden ist, weshalb es nicht richtig wäre,
sich beim Ausbau der Ladeinfrastruktur schon heute für
die eine Lösung zu entscheiden. Klar ist aber: Wir brauchen ein flächendeckendes Ladenetz in ganz Deutschland.
({3})
Dass wir von Kaufanreizen für Elektroautos, die
vorhin ja schon angesprochen wurden, nicht viel halten,
haben wir in den letzten Jahren hinreichend deutlich
gemacht. Diese Forderung der Grünen lehnen wir ab.
Unser Weg war - wenn wir jetzt Zwischenbilanz ziehen - richtig. Wir setzen auf Unterstützung bei Forschung und Entwicklung sowie bei der Anwendung der
Elektromobilität. Kaufanreize sind unseres Erachtens in
anderen Ländern eher verpufft. Wichtiger sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt andere Maßnahmen. In diesem
Zusammenhang muss ich die Grünen erneut kritisieren.
Ich verstehe nicht, weshalb sie Sonderabschreibungen
mit der Begründung ablehnen, dass diese den Privatleuten nicht nutzen würden. Das ist natürlich einerseits richtig, andererseits erwarten wir den Anstieg bei der Elektromobilität jetzt noch nicht so sehr bei den Privatleuten,
sondern im Wesentlichen bei den Flotten, seien es Taxis,
Pflegedienste oder Lieferwagen.
({4})
- Abgelehnt haben Sie es sehr wohl, nämlich bei unserer
Diskussion im Verkehrsausschuss. Das hat mich etwas
verwundert.
Es geht ja in der Tat nicht nur um die Flotten, sondern
auch um die Privatleute. Auch in diesem Bereich können
wir etwas tun. Im Koalitionsvertrag ist es niedergeschrieben: Wir wollen ein KfW-Programm zur
Anschaffung besonders umweltfreundlicher Fahrzeuge
auflegen. - Also, beide Gruppen, Privatleute wie Dienstwagenkäufer, profitieren von unseren Maßnahmen zur
Förderung der Elektromobilität.
In den Medien und in der Öffentlichkeit - es wurde
gerade auch schon in mehreren Redebeiträgen erwähnt ist ja viel über die Nutzung von Busspuren - dies wird
durch das Elektromobilitätsgesetz ermöglicht, wenn sich
die Kommunen dafür entscheiden - diskutiert worden.
Der Antrag der Grünen spricht sich dagegen aus. Ich
muss, wie auch schon im Ausschuss, noch einmal deutSteffen Bilger
lich sagen: Ich kann die ganze Aufregung nicht verstehen. In der Tat entscheidet jede Kommune vor Ort selbst.
Natürlich gibt es jetzt viele negative Stellungnahmen
von den Kommunen. Aber ich setze auf einen Wettbewerb der innovativen Kommunen. Dann werden wir
sehen, wie es sich im Laufe der Jahre entwickelt. Die
Kommunen haben die Möglichkeit, sich für die Förderung der Elektromobilität und, wenn es Sinn macht, auch
für die Nutzung von Busspuren durch Elektrofahrzeuge
zu entscheiden.
Andreas Rimkus hat es gesagt: Das Gesetz wird auf
Anregung des Bundesrates nur bis 2026 Bestand haben.
Das ist ein relativ kurzer Zeitraum, aber bei der Elektromobilität wird sich in diesem Zeitraum sicher viel tun.
Andere Punkte, die im Elektromobilitätsgesetz geregelt
sind, hat Norbert Barthle bereits angesprochen. Wir haben hier erste wichtige Maßnahmen unternommen.
Ich komme zum Schluss. Einen Punkt will ich noch
besonders hervorheben: Elektroautos sind, wie bereits
gesagt, gerade in städtischen Bereichen die perfekten
Lieferfahrzeuge. Deswegen war es auch richtig, zu ermöglichen, dass Kleinlaster, die durch schwere Batterien
über die sonst zulässigen 3,5 Tonnen kommen, trotzdem
mit dem normalen Führerschein der Klasse B gefahren
werden dürfen. Ich will an dieser Stelle dem Bundesverkehrsministerium, der EU-Kommission und den Kollegen im Bundestag, die sich hierfür eingesetzt haben,
ausdrücklich danken. Diese Regelung wird helfen, mehr
Elektromobilität im Bereich der Lieferverkehre zu bekommen.
({5})
Herr Kollege, Sie hatten versprochen, zum Schluss zu
kommen.
Das will ich gerade tun.
Danke.
Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Die Öffentlichkeit bitte ich darum, unser Elektromobilitätsgesetz positiv zu begleiten. Die Bedenkenträger sollten unsere gemeinsamen Ziele nicht aus dem
Blick verlieren und die Chancen in den Mittelpunkt stellen.
Herzlichen Dank an alle, die auch im Parlamentskreis
Elektromobilität gemeinsam an der Förderung der Elektromobilität arbeiten.
({0})
Vielen Dank. - Für die Bundesregierung spricht
jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Rita
Schwarzelühr-Sutter.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Für das Umweltministerium ist es wichtig,
dass der Verkehrssektor mehr und mehr elektrifiziert
wird. Denn der Verkehrssektor ist verantwortlich für
circa ein Fünftel der Treibhausgasemissionen. Das ist
auch, wenn man den Trend betrachtet, der Sektor, in dem
die Treibhausgasemissionen kaum abgenommen haben.
Hier besteht also Handlungsbedarf. Daneben haben wir
natürlich auch eine hohe Feinstaubbelastung, und auch
der Lärm in den Städten trägt nicht unbedingt zur Lebensqualität der Menschen bei.
Die Bundesregierung fördert Elektromobilität. Herr
Lutze, Sie haben das Gasauto angesprochen. Sie haben
vergessen, dass das Gas bis 2018 steuerbegünstigt ist. Es
wird auch darüber hinaus steuerlich gefördert, bzw. wir
diskutieren darüber, wie die Förderung nach 2018 aussehen wird.
({0})
Sie sind auch nicht ganz auf dem aktuellen Stand, was
den Energiebereich anbelangt. Der Anteil der erneuerbaren Energien beträgt fast 28 Prozent, während der Anteil
der Atomkraft bei ungefähr 15 bis 16 Prozent liegt.
Heute ist sowieso ein guter Tag, weil die erneuerbaren
Energien die Braunkohle überholt haben.
Außerdem fördert die Bundesregierung neben den
Maßnahmen im Rahmen des guten Elektromobilitätsgesetzes Elektrobusse mit einem reinen Elektroantrieb und
solche mit einem Plug-in-Hybrid-Antrieb, und zwar mit
einem Investitionskostenzuschuss von bis zu 35 Prozent.
Das heißt, wir setzen nicht nur auf individuelle Mobilität, sondern wir setzen insgesamt auf Elektromobilität;
denn das ist für unser Klima wichtig. Die Kommunen
vor Ort können entscheiden, wie sie dies intelligent miteinander verknüpfen. Die Städte, die besonders durch
Feinstaub belastet sind, sollten sich gut überlegen, für
welchen Mix sie sich entscheiden, welche Busse in ihren
Städten fahren sollen und wie sie die Mobilität tatsächlich organisieren.
Es ist wichtig, dass wir für die Verbraucher einen zusätzlichen Nutzen schaffen und die Elektromobilität attraktiver machen. Dazu gehören natürlich auch Plug-inHybridfahrzeuge, also von außen aufladbare Autos mit
einem Elektro- und einem herkömmlichen Antrieb. Ich
komme vom Land; da ist das nicht so ganz einfach. Da
gibt es keine S-Bahn und keine U-Bahn, sondern da
muss man mit dem Auto mehrere Kilometer bis zum
nächsten Ort fahren. 80 Prozent der Tage im Jahr fahren
die Autonutzer übrigens nur 40 Kilometer. Vor diesem
Hintergrund bieten gerade Plug-in-Hybridfahrzeuge eine
gewisse Sicherheit: Man weiß, dass man nicht liegen
bleibt. Insofern ist es gerechtfertigt, das Elektromobili8690
tätsgesetz so auszugestalten, dass Elektromobilität für
die Autofahrerinnen und Autofahrer attraktiver wird.
Alltagstauglichkeit und Umweltnutzen sind für uns
bei diesem Gesetz Kernanliegen. Es geht darum, einen
zusätzlichen Anreiz für Elektromobilität zu setzen. Zusammen mit Elektrobussen und in Zukunft vielleicht
auch Hybridlokomotiven ist dieses Gesetz ein sinnvoller
Beitrag zum Klimaschutz, zum Aktionsprogramm
Klimaschutz und auf dem Weg nach Paris.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank. - Nächster Redner ist Carsten Müller,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Frau Staatssekretärin hat den aus meiner
Sicht zentralen Dreiklang eben schon betont: Klimaschutz, Energiewende, Elektromobilität. Unter dieser
Überschrift diskutieren wir heute. Ich finde, es ist außergewöhnlich begrüßenswert, dass wir heute mit dem
E-Mobilitätsgesetz vernünftige und verlässliche Anreize
setzen und geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Die
Umsetzung geschieht dann durch die konkrete Politik
vor Ort.
({0})
Herr Krischer, ich will Ihnen eines sagen - das finde
ich bei den Grünen richtig schade; das ist mir allerdings
auch bei Herrn Lutze aufgefallen -: Wir reden hier über
ein großes Thema.
({1})
Aber die Grünen und die Linken kommen leider über
Beiträge, die in kleinteiligster Kritik und in Gemäkel enden, nicht hinaus. Das ist wirklich schade.
({2})
Menschenskinder, machen Sie mal ein bisschen konstruktiv mit!
({3})
- Melden Sie sich doch. Dann bekomme ich wenigstens
ein bisschen mehr Redezeit und kann Ihnen das erklären.
({4})
- Sie scheinen es noch nicht verstanden zu haben. Ich
würde es Ihnen gerne erklären.
Das EmoG ist genau der richtige Weg in genau der
richtigen Dosierung und genau der richtigen Schrittgröße.
({5})
Aber es ist eben nur einer von vielen Schritten, den die
Bundesregierung macht, um E-Mobilität zu unterstützen.
Ich will gleich einige zentrale Vorhaben nennen, allerdings auch auf den Antrag der Grünen rekurrieren; da
bin ich bei der Bewertung nämlich ein bisschen zurückhaltender als mein Freund und Fraktionskollege Steffen
Bilger.
Ganz ehrlich: Wenn man sich Ihren Forderungskatalog anschaut, dann muss man sagen: Der Spaß hört im
Grunde schon beim ersten Punkt auf. Wie einfallslos ist
es denn, dieses große Thema mit dummem Geld, mit
einfachen Ankaufszuschüssen angehen zu wollen?
({6})
Das ist doch über alle Maßen kurz gesprungen. Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege, sich die Zahlen aus anderen
Ländern geben zu lassen; sie zahlen zum Teil abenteuerlich hohe Ankaufsprämien. Schauen Sie sich bitte auch
einmal das Preisgefüge bei E-Mobilen an. Bei E-Mobilen liegen die Verkaufspreise in genau den Ländern, die
diese Prämie zahlen, nämlich in Frankreich, in Norwegen, in den Niederlanden und in Festlandchina, signifikant über den Preisen, die in Deutschland gefordert
werden. Das zeigt, dass Sie mit Ihrer Idee schlechterdings deutlich zu kurz springen.
({7})
Ich will durchaus sagen: Es gibt auch einige nicht
vollkommen unvernünftige Ideen.
({8})
Sie können sich sicher sein, dass wir sie weiterverfolgen.
({9})
Ein öffentliches Beschaffungsprogramm für E-Mobile
ist eine wichtige Sache, die vorangetrieben werden
muss; das gilt übrigens nicht nur für die Bundesministerien, sondern auch für die nachgeordneten Behörden. Ich
finde, es ist auch eine vernünftige Idee, darüber nachzudenken, inwieweit man mit klugen Programmen dazu
beitragen kann, dass auch andere staatliche Ebenen, also
Länder und Kommunen, E-Mobile in viel größerem Umfang beschaffen, auch dann, wenn sie nicht in den
Schaufensterregionen zu finden sind.
Meine Damen und Herren, ich will ein weiteres
Thema aufgreifen. Ich betrachte das Thema EmoG, wie
gesagt, als einen Schritt, der in eine Vielzahl von Maßnahmen zur Förderung der E-Mobilität eingebettet ist.
Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter hat vorhin gesagt, die Bundesregierung habe im Grunde genommen
Carsten Müller ({10})
Ihre Forderungen bereits antizipiert. Sie fördert - wir haben das jüngst besprochen - die Beschaffung von hybridangetriebenen Bussen und von Plug-in-Bussen. Sie
fördert im Übrigen auch die Anschaffung von vollelektrisch angetriebenen Bussen.
Es gibt ein besonders interessantes Vorhaben, bei dem
vollelektrisch angetriebene Busse mit einer meines Erachtens sehr klugen Erweiterung ausgestattet werden,
nämlich mit der Möglichkeit, sie induktiv zu laden. Das
finde ich außergewöhnlich interessant. Das geht auch,
was die Frage der Aufladung angeht, deutlich über das
hinaus, was Sie mit Ihrem Antrag fordern.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns einmal
verschiedene technische Neuerungen an. Ich greife einmal so banale Dinge wie ein ferngesteuertes Spielzeugauto, eine Fernsehfernbedienung und ein Telefon heraus.
Da ging man zunächst zu einer remote-möglichen Bedienung über, und im nächsten Schritt war das Kabel weg.
Deswegen bin ich davon überzeugt, dass - deswegen
warne ich auch vor einem zu euphorischen und unüberlegten Ausbau der Ladesäulen - wir künftig die Fahrzeuge viel mehr induktiv aufladen werden. Das wird das
E-Mobil dann wirklich interessant machen.
Das Thema Sonder-AfA ist angesprochen worden.
Das halte ich deswegen für ein kluges Instrument,
({11})
weil wir damit auch die Zweitverwendung in den Blick
nehmen, also die private Verwendung. Das haben Sie offensichtlich noch gar nicht bedacht.
Ich will noch einen letzten, mir sehr wichtigen Gesichtspunkt anführen. Wir beschließen heute das EmoG.
Das ist ein großer und richtiger Schritt.
({12})
Wir müssen uns aber auch noch um andere wichtige
Themen kümmern. Wenn wir bedenken, dass etwa 30 bis
40 Prozent der Wertschöpfung bei einem E-Mobil auf
die Infrastruktur des Fahrzeugs, wie beispielsweise auf
Batterien, entfallen, dann müssen wir uns in Deutschland
sehr bald Gedanken darüber machen, wie wir es schaffen
können, die Batteriezellfertigung wieder in Deutschland
anzusiedeln und qualitativ hochwertige, ökologisch vertretbare und kompetitive Produkte im Bereich der Batteriezellen zu fertigen. Hierfür sind erhebliche Anstrengungen erforderlich. Da ist das Geld wesentlich besser
eingesetzt als bei den von Ihnen vorgeschlagenen Kaufanreizen.
Wir machen heute einen ersten Schritt. Weitere werden folgen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({13})
Vielen Dank. - Der Kollege Detlev Pilger darf die
Debatte für heute mit einem kurzen Redebeitrag abschließen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Gäste!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2014 wurden
circa 3 Millionen Neuwagen hergestellt. Etwa 9 000 elektrobetriebene stehen dem gegenüber. Gleichzeitig stieg
in den meisten Städten die CO2-Belastung. Es besteht
also dringender Handlungsbedarf im Emissionsbereich,
wenn wir unsere ambitionierten Ziele erreichen wollen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
auch wenn Sie es noch so schlechtreden: Ein wesentlicher Baustein ist das Elektromobilitätsgesetz, das wir
heute beschließen. Das ist noch nicht der letzte Schritt,
aber ein Schritt in die richtige Richtung.
({1})
Insgesamt aber - da gebe ich den Kolleginnen und
Kollegen, die das vorhin schon benannt haben, durchaus
recht - müssen größere Anreize geschaffen werden, damit die Elektromobilität mehr Marktanteile erhält.
({2})
Klar ist auch - auch das wurde vorhin angesprochen -: Die Elektroautos müssen preiswerter werden,
damit sich Durchschnittsverdiener diese Modelle leisten
können. An dieser Stelle ist eindeutig die Automobilindustrie gefordert. Bisher bieten die deutschen Hersteller weitgehend sehr teure Modelle an.
Ein weiteres großes Problem - auch das wurde benannt - sind die Speicherkapazitäten, die deutlich erhöht
werden müssen. Eine Reichweite von 30 bis 40 Kilometern findet beim Käufer zurzeit noch wenig Akzeptanz.
Vor allem aber - und das ist ein Kernpunkt - muss es
eine gute Ladeinfrastruktur geben. Denn wer von uns ist
schon bereit, sich ein Auto zu kaufen, das er nicht wohnortnah und flächendeckend betanken bzw. aufladen
kann?
Beim Antrag der Grünen ist es wie bei der Henne und
dem Ei: Was brauchen wir zuerst? Wir sagen eindeutig:
Bevor wir die Autos verstärkt auf den Markt bringen,
brauchen wir zunächst ausreichend Ladestationen. Eine
gute Ladeinfrastruktur ist Voraussetzung dafür, dass sich
der Markt belebt.
({3})
Somit kommt der Vorschlag der Grünen zu früh,
Elektroautos mit einer Summe von 5 000 Euro zu bezuschussen. Lieber Herr Krischer, wir wollen auch nicht
unbedingt den Porsche Cayenne bezuschussen, den Sie
vorhin erwähnt haben,
({4})
weil sich die Besitzer ihn auch ohne Zuschuss leisten
können. Aus dieser Perspektive gesehen, kommt Ihr Vorschlag an dieser Stelle viel zu früh.
({5})
Ohne eine wirksame Ladeinfrastruktur sind die Bürgerinnen und Bürger sicherlich nicht zu überzeugen.
Im Antrag der Grünen findet man jedoch, wenn man
will, natürlich auch einige gute Ideen und Ansätze.
({6})
Ich finde es einen guten Vorschlag, die Kommunen und
die Verkehrsgesellschaften im Hinblick auf emissionsarme Antriebe für den ÖPNV stärker zu unterstützen.
Das hätte auch eine Öffentlichkeitswirkung. Die öffentliche Hand wäre Vorbild, und das wäre ein wichtiger
Schritt in Richtung emissionsärmere Mobilität.
Leider ist dies zu wenig, um Ihrem Antrag zuzustimmen. Von daher müssen wir ihn leider ablehnen.
Vielen Dank.
({7})
Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bevorrechtigung der Verwendung elektrisch betriebener Fahrzeuge.
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4174, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/3418 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in der dritten Beratung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 11 b. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Elektromobilität
entschlossen fördern - Chance für eine zukunftsfähige
Mobilität nutzen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4229, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3912 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann
({0}), Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Anrechnung
von Zeiten des Mutterschutzes
Drucksache 18/4107
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Linke.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rente ab
63 war von Anfang an eine Mogelpackung. Warum? Erstens, weil die Rente ab 63 für die nach 1964 Geborenen
nur eine Rente ab 65 sein wird, und zweitens, weil Menschen bestraft werden, die längere Zeit nicht arbeiten
durften; denn Hartz-IV-Zeiten zählen nicht zur Wartezeit. Für die Linke ist und bleibt das skandalös.
({0})
Drittens war und ist die Rente ab 63 bzw. 65 eine Mogelpackung, weil auch Arbeitslosengeld-I-Zeiten in den
letzten beiden Jahren vor Rentenbeginn nicht zu den
45 Jahren Wartezeit zählen; 45 Jahre, die nötig sind, um
die abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren überhaupt beantragen zu können. Aber es bleibt die Hoffnung, dass Sie mit
diesem irrsinnigen sogenannten rollierenden Stichtag am
Bundesverfassungsgericht scheitern werden. Der DGB
jedenfalls bereitet gerade entsprechende Klagen vor. Dafür wünscht die Linke den Betroffenen und dem DGB
viel Erfolg.
({1})
Nun zur Gerechtigkeitslücke, mit der Ihr Gesetz ausgerechnet Mütter diskriminiert - Mütter, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU/CDU, Herr Kollege
Straubinger. Ich frage Sie: Was sagen wir denn der Mutter, die sich mit einer Petition an den Bundestag wandte
und uns sinngemäß sagte:
({2})
„Ich sehe die lange Liste, was alles als Beitragszeit angerechnet wird, aber mir fehlen genau vier Wochen“? Es
zählen Zeiten mit Pflichtbeiträgen aus Erwerbstätigkeit
und aus selbstständiger Tätigkeit. Es zählen Zeiten des
Wehr- und Zivildienstes, die Zeit der Pflege von Angehörigen, Krankengeldzeiten, Übergangsgeldzeiten, Kurzarbeitergeld-, Schlechtwettergeld- und Winterausfallgeldzeiten, Insolvenzgeldzeiten. Es zählen Zeiten der
Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes. Aber ausgerechnet vier der sechs Wochen, die ich
als werdende Mutter vor der Geburt meines Kindes im
Mutterschutz war, zählen nicht zur Wartezeit für meine
Rente ab 63, kritisiert die Petentin.
Bei zwei Kindern macht das zwei Monate usw.
({3})
Diesen Zustand wollen wir mit unserem Gesetzentwurf
beenden.
({4})
Die Zeiten des Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz
({5})
sind bei der Anrechnung auf die Wartezeit von 45 Jahren
voll und ganz zu berücksichtigen.
({6})
Wie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU,
wollen Sie sonst Ihren Müttern und den Müttern in Ihren
Wahlkreisen Folgendes erklären
({7})
- hören Sie doch erst einmal zu, Kollege Straubinger -:
Einem Mann, der sich beim Skifahren in den schönen
Bayerischen Alpen das Bein bricht, wird die Krankengeldzeit auf die 45 Beitragsjahre angerechnet. Einer
Frau, die wegen der bevorstehenden Geburt ihres Kindes
zu Hause bleibt, werden die vier Wochen Mutterschutz
nicht angerechnet. Ich sage: Das ist ungerecht, mütterfeindlich, frauendiskriminierend, und das können Sie
niemandem, wirklich niemandem plausibel erklären.
({8})
Meine Damen und Herren, in Artikel 3 unseres
Grundgesetzes heißt es: „Männer und Frauen sind
gleichberechtigt.“ Niemand dürfe wegen seines Geschlechtes benachteiligt werden. - Das ist aber hier eindeutig der Fall. Männer können nun einmal keine Kinder
bekommen - bisher jedenfalls nicht. Nur Frauen kann es
passieren, dass der Mutterschutz nicht angerechnet wird
und sie darum möglicherweise nicht in die Rente ab 63
gehen können. Das verstößt gegen das Gleichheitsgebot
des Grundgesetzes. Darum muss das Rentenpaket hier
dringend zugunsten der Mütter geändert werden.
({9})
Liebe Bundesregierung, wie ernst nehmen Sie eigentlich Ihre eigenen Aussagen, Frau Staatssekretärin
Kramme? Denn auf die entsprechende Petition hatte das
Ministerium am 11. August 2014 geantwortet: Schwierig, schwierig, aber die Bundesregierung werde prüfen,
ob eine Änderung des geltenden Rechtes unter Wahrung
des Versicherungsprinzips möglich sei. - Ich nahm die
Petition und die Antwort der Bundesregierung ernst. Ich
hatte gedacht: Okay, lassen wir das Ministerium einen
Monat oder zwei Monate prüfen.
Dann habe ich nachgehakt. Am 14. Oktober 2014 erhielt ich von Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller folgende Antwort - ich zitiere -:
Der Regelungsintention widerspricht es, beitragsfreie Zeiten auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen. Wegen des engen Zusammenhangs von
Mutterschutz und Kindererziehung wird die Bundesregierung dennoch prüfen, ob eine Änderung
des geltenden Rechts angezeigt sei.
Das war im Oktober 2014, vor mehr als vier Monaten.
Ich finde, das ist Zeit genug zum Prüfen. Wir sind nun
alle sehr gespannt, was Sie uns gleich als Ergebnis Ihrer
intensiven Prüfung kundtun werden.
({10})
Ich befürchte allerdings, dass Sie immer noch prüfen
und prüfen und prüfen.
Meine Damen und Herren von der Regierungsbank
und den Koalitionsfraktionen, Sie haben es echt gut. Warum? Sie haben eine Opposition, die nicht nur meckert
und Sie kritisiert. Im Interesse der älteren Mütter helfen
wir Linken Ihnen gerne und legen Ihnen heute einen kurzen, präzisen und einfachen Gesetzentwurf vor.
({11})
Mit diesem Gesetzentwurf kann die frauenfeindliche
Ungerechtigkeit bei der Rente ab 63 bzw. 65 sofort beseitigt werden.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
die Zahl der betroffenen Mütter ist überschaubar. Darum
sind auch die finanziellen Kosten für ein Stück mehr soziale Gerechtigkeit übersichtlich: ein Grund weniger,
weiter zu prüfen, und ein Grund mehr, zu handeln. Ich
fordere Sie auf: Beseitigen Sie diese offenkundige Gerechtigkeitslücke, und rechnen Sie den Mutterschutz auf
die Wartezeit an! Das ist doch nicht zu viel verlangt, und
die betroffenen Mütter werden es Ihnen danken.
Danke schön.
({13})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter
Weiß das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Status des sogenannten besonders langjährig
Versicherten - mit 45 Beitragsjahren -, der zum Beispiel
nach der Neuregelung eine abschlagsfreie Rente mit 63
beantragen kann, war und ist für denjenigen gedacht, der
wirklich lange gearbeitet
({0})
und mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen unseren Staat und unsere Sozialsysteme stabilisiert hat, als
ein Dankeschön für lebenslange Arbeitsleistung. Das
war der allererste Grund, warum wir das gemacht haben.
({1})
Bei diesen 45 Jahren sind selbstverständlich auch die
drei Jahre berücksichtigt, die für jedes Kind als Kindererziehungszeit bei der Rente angerechnet werden, und
die insgesamt zehn Jahre Kinderberücksichtigungszeit,
also Zeiten, in denen weder gearbeitet werden muss
noch Beiträge gezahlt werden müssen.
({2})
Zehn Jahre zusätzlich schenken wir den Müttern bei der
Berechnung der 45 Jahre.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir, diese Koalition, haben die Mütterrente verbessert, indem wir für vor
1992 geborene Kinder die Kindererziehungszeiten verdoppelt haben.
({4})
Wir haben dafür gesorgt, dass auf die 45 Jahre, die notwendig sind, um den Status des besonders langjährig
Versicherten zu erreichen, zehn Jahre Kinderberücksichtigungszeit angerechnet werden. Mehr als diese Große
Koalition hat bisher niemand in Deutschland für die
Rente der Mütter getan.
({5})
Angesichts dieser Tatsachen ist es infam und lächerlich,
was die Linken hier abziehen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linke rechnet immer damit, dass nicht jeder die genauen Regelungen des Rentenrechts kennt und ihre Parolen sich deswegen irgendwo verfangen können.
({6})
Wenn eine Frau heute oder morgen, also mitten im
März, in Mutterschutz geht, dann zählt der gesamte
März als Beitragszeit.
({7})
- Langsam. - Wenn das Kind im April auf die Welt
kommt, dann zählt der gesamte April für das erste Jahr
Kinderberücksichtigungszeit, sprich: null Lücke in der
Rentenbiografie. Das ist die bestehende gesetzliche Regelung.
({8})
Wenn in den kommenden Jahren ein zweites oder
drittes Kind geboren wird, dann ist das in den seltensten
Fällen zwölf Jahre nach dem ersten Kind der Fall. Die
Frau ist also noch mitten in der Kinderberücksichtigungszeit, die dann neu berechnet wird. Das heißt, der
von Herrn Birkwald geschilderte Fall, dass bei mehreren
Kindern mehrere Lücken entstehen können, trifft nicht
zu.
({9})
In der Regel gibt es eine geschlossene Rentenbiografie
aller Mütter, die Kinder gebären, was die Berechnung
der 45 Jahre anbelangt.
({10})
Nun habe ich das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales gefragt: Ist dem Ministerium zumindest ein einziger Fall bekannt, in dem zwischen Eintritt der Mutterschutzfrist und der Geburt des Kindes zwei Monatswechsel liegen
({11})
und aus diesem Grund bei der Berechnung von 45 Beitragsjahren zum Bezug einer abschlagsfreien Rente tatsächlich vier Wochen fehlen könnten? Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat mir am 2. März
geantwortet: Dem Ministerium ist kein einziger solcher
konkreter Fall bekannt. - Es ist doch bemerkenswert,
dass, obwohl es gar keinen bekannten Fall gibt, in dem
jemandem wirklich diese Zeit fehlt, die Linken einen
solchen Antrag einbringen.
({12})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land gehen wirklich davon aus,
dass es um 45 Beitragsjahre geht, in denen man sich
durch harte Arbeit seine Rente verdient hat.
Kollege Weiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald?
Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, Herr
Kollege Weiß. - Wenn das alles so wäre, wie Sie sagen,
dann gäbe es keinen Grund, dass es a) eine Petition dazu
gibt und b) das Ministerium darauf antwortet. Ich habe
hier noch eine, die die schöne Nummer 51802 hat. Sie ist
relativ kurz. Heute rief in meinem Büro eine Kollegin
vom Deutschlandfunk an und bezog sich auf diese Gerechtigkeitslücke. Es gibt sie also sehr wohl.
Ich habe eben in meiner Rede gesagt, dass es nicht
viele Fälle gibt und dass deshalb auch der Finanzbedarf
nicht so groß ist. Hier geht es aber um das Prinzip. Es ist
richtig, was Sie gesagt haben: In dem Monat, in dem das
Kind geboren wird, gilt der Schutz schon; aber in dem
Zeitraum davor nicht. Das sind bis zu vier Wochen. Vermutlich werden es nicht so viele Fälle sein. Die Erfahrung können wir noch gar nicht haben, weil das Gesetz
erst seit kurzem gilt. Wir wissen aber, dass es bisher
232 000 Anträge gibt, 77 333 ungefähr von Frauen. Die
Mütter müssen Sie aus diesen herausfiltern. Diese Zahl
kann das Ministerium bisher gar nicht vorlegen.
Regeln Sie diese Zeit. Fügen Sie in den § 51 Absatz
3 a SGB VI die entsprechende Passage ein. Es kostet Sie
nicht viel, außer ein bisschen Goodwill. Dann kann keiner Mutter mehr etwas passieren.
({0})
Verehrter Herr Kollege Birkwald, ich habe auch nachgefragt, ob den Petitionen, die eingereicht worden sind
und die Sie zitieren, jeweils seitens der Petenten ein konkreter Fall zugrunde liegt, in dem wegen Nichtanrechnung von Mutterschutzzeiten exakt aus diesem Grund
die 45 Jahre nicht erreicht werden. Die Antwort ist: In
keiner der eingereichten Petitionen gibt es einen solchen
Fall.
Das heißt, weder dem Bundesministerium für Arbeit
und Soziales ist so etwas bekannt noch der Deutschen
Rentenversicherung, noch liegt den Petitionen, die bei
uns eingereicht worden sind, diese Fallkonstellation zugrunde. Sprich: Sie haben einen Antrag zu einer Sache
gestellt, zu der es überhaupt keinen konkreten Fall eines
Menschen gibt, der irgendeinen Nachteil hat. Das ist der
Punkt.
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, die
wesentliche Aussage ist, dass wir in der Tat bei der Berechnung der 45 Beitragsjahre eine ausgesprochen
frauen- und mütterfreundliche Konstellation gewählt haben. Vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ist das Instrument der Kinderberücksichtigungszeiten nicht bekannt, nämlich dass ab der Geburt des letzten Kindes
zehn Jahre mit berücksichtigt werden, auch wenn in diesen zehn Jahren nicht gearbeitet wurde und keine Beiträge gezahlt worden sind.
({1})
Die Anerkennung von Kindererziehungs- bzw. -berücksichtigungszeiten bei der Berechnung der 45 Jahre ist sozusagen der wichtigste Beitrag, den wir zur Mütterrente
geleistet haben.
Ich bin gerne bereit, zu sagen: Ja, wir wollen uns das
im Detail noch einmal anschauen. Aber dass die Reformen, die wir zugunsten der Frauen und Mütter in unserem Land durchgeführt haben, jetzt in einer Bundestagsdebatte mit Beispielen, die an den Haaren herbeigezogen
sind und für die es bisher keinen einzigen konkreten Beleg gibt, schlechtgeredet werden, zeigt, wie die Linke arbeitet: Sie hetzt die Leute auf und verunsichert sie, während sie die Wahrheit, die Fakten über unser Rentenrecht
verschweigt. Das lassen wir ihr nicht durchgehen; das ist
der Punkt.
({2})
Ihrem Gesetzentwurf können wir schon deswegen
nicht zustimmen, weil das, was Sie zur Geburt eines oder
mehrerer Kindern aussagen, auf jeden Fall grundlegend
falsch ist. Einem Gesetzentwurf, der falsche Behauptungen beinhaltet, werden wir erst recht nicht zustimmen.
Auch das ist klar.
Ich will wiederholen, was bei 45 Beitragsjahren angerechnet wird - das ist doch ganz beachtlich -: selbstverständlich Pflichtbeiträge aus Beschäftigung. Neu mit
aufgenommen haben wir Zeiten aus selbstständiger Tätigkeit, wenn zuvor 18 Jahre Pflichtbeiträge gezahlt worden sind. Auch das ist eine Neuerung. Wir haben Zeiten
des Wehr- und Zivildienstes integriert. Wir haben Zeiten
der Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des
Kindes aufgenommen, die sogenannten Kinderberücksichtigungszeiten, die ich schon erwähnt habe. Es werden Zeiten berücksichtigt, in denen Arbeitslosengeld,
Teilarbeitslosengeld, Leistung bei Krankheit oder Übergangsgeld bezogen worden sind. Wir haben Zeiten des
Bezugs von Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld,
Winterausfallgeld, von Insolvenzgeld und Konkursausfallgeld mit eingerechnet. Hinzu kommen zu Recht Ersatzzeiten, wie zum Beispiel die politische Haft in der
ehemaligen DDR. Das alles zählt bei 45 Beitragsjahren
mit. Ich finde, das ist beachtlich.
({3})
Peter Weiß ({4})
In der Tat zählen sogenannte Anrechnungszeiten nicht
mit, zum Beispiel Zeiten eines Schulbesuchs, eines
Fachschulbesuchs oder eines Hochschulbesuchs, Zeiten
des Bezugs von Arbeitslosenhilfe oder des Bezugs von
Arbeitslosengeld II, Zurechnungszeiten und zusätzliche
Wartezeitmonate aufgrund eines Versorgungsausgleichs
oder eines Rentensplittings. Ich finde, das, was wir bei
den 45 Jahren mitrechnen, ist mehr als das, was die allermeisten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land vermuten.
Das, was wir mit dem Rentenpaket beschlossen haben
und zum 1. Juli vergangenen Jahres in Kraft gesetzt haben, kann sich sehen lassen. Sehen lassen kann sich auch
das, was wir für die Mütter getan haben, nämlich die
Verdoppelung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder und die Einrechnung der Kinderberücksichtigungszeiten, also die Zeiten
der Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des
Kindes, in die 45 Jahre.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ja, das Rentenpaket ist ein Rentenpaket, mit dem wir uns klar dazu
bekennen: Die Erziehung von Kindern ist ein Beitrag zur
Stabilisierung unseres sozialen Sicherungssystems. Die
Erziehung von Kindern ist eine wichtige Voraussetzung,
eine Basis dafür, dass unsere Gesellschaft auch in Zukunft lebendig und leistungsfähig bleibt. Was Eltern leisten, ist eine großartige Leistung, die man nicht allein
durch Geld und Rentenpunkte anerkennen kann, die aber
zu Recht auch durch Geld und Rentenpunkte mit anerkannt werden soll. Ich finde, mit den Berücksichtigungszeiten für Kindererziehung in unserem Rentenrecht können wir uns sehen lassen. Wir brauchen dazu keinen
Linken-Antrag.
Vielen Dank.
({5})
Der Kollege Markus Kurth hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich gerade den detaillierten Ausführungen von Herrn
Weiß zugehört habe und dann an die nicht mehr so vielen Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne
dachte, beschlich mich der Gedanke: Vielleicht ist es
gut, dass manche Debatten erst am Abend geführt werden;
({0})
denn das alles ist doch nicht so einfach nachzuvollziehen.
Mich beschleicht auch der Gedanke, Matthias
Birkwald, dass da vielleicht tatsächlich etwas aufgespießt ist - eine vierwöchige Lücke in der Anrechnung
von Beitragszeiten, die entstehen kann -, dass diese Lücke im wirklichen Leben aber mutmaßlich so gut wie gar
keine Rolle spielen wird.
({1})
Gut, man erlebt im Parlament manchmal solche Geschichten. Wir haben heute hier ja auch die Tarifeinheit
beraten. Auch da haben wir festgestellt, dass das Tarifeinheitsgesetz ein Gesetz ist, das die gesellschaftliche
Wirklichkeit nicht benötigt.
({2})
Insofern kennt sich die Regierung ebenfalls in dieser Art
von Gesetzesarbeit aus.
Meine Damen und Herren, gleichwohl gibt diese Debatte noch einmal die Gelegenheit, grundsätzlich auf
zwei oder drei Dinge bezüglich der sogenannten Rente
mit 63 - oder besser: abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren - einzugehen. Herr Weiß, Sie haben das jetzt
wieder sehr stark gelobt. Tatsache ist doch - niemand
will denen, die 45 Jahre lang Beiträge gezahlt haben,
dies streitig machen -, dass das an den großen Herausforderungen, vor denen die gesetzliche Rente steht, vorbeigeht und nicht diejenigen trifft, die es wirklich brauchen.
({3})
Es trifft zum Beispiel nicht denjenigen in der Holz- und
Kunststoffverarbeitung, der durchschnittlich mit 59 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Auch trifft es
nicht den Maurer, der durchschnittlich mit 61 Jahren aus
dem Erwerbsleben austritt. All diese zahlen aber die
Rente mit 63 mit, und zwar gleich mehrmals. Sie bezahlen sie nämlich perspektivisch über höhere Beitragssätze, über ein niedrigeres Rentenniveau und dann noch
einmal über den Steuerzuschuss mit ihren Steuern. Das
sind Ungerechtigkeiten, die überhaupt erst durch Ihre
Politik ausgelöst worden sind.
({4})
Während die einen nach 45 Beitragsjahren in Rente
gehen können, obwohl sie vielleicht noch arbeiten könnten, werden voll erwerbsgeminderte Personen mit Abschlägen bestraft, obwohl sie aus gesundheitlichen
Gründen den Zeitpunkt ihres Renteneintritts gar nicht
frei wählen können - und dies, obwohl einige von ihnen
vielleicht noch ganz gerne weitergearbeitet hätten. Auf
all diese Ungerechtigkeiten gibt die Rente mit 63 keine
Antworten. Da bietet der Gesetzentwurf der Linken eine
Gelegenheit, noch einmal über verschiedene Themen zu
diskutieren.
Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ist
auch mit erheblichen geschlechterpolitischen Effekten
verbunden. Wir stellen jetzt fest - das hatten Sie auch
angenommen -, dass drei Viertel der Antragsteller und
Bezieher Männer sind. Herr Birkwald, Sie selber haben
die Zahlen genannt.
({5})
- Gut, zwei Drittel bis drei Viertel. Warten wir bis feststeht, wie die Antragszahlen sind. Jedenfalls sind es ganz
überwiegend Männer und eben nicht Frauen. Sie waren
ja gezwungen, die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung auf zehn Jahre auszudehnen. Sonst hätte es
noch schlechter ausgesehen.
Ganz absurd finde ich das, was sich jetzt im Zusammenhang mit dem sogenannten rollierenden Stichtag
zeigt. Man sieht das jetzt in meiner Nachbarstadt Bochum: Diejenigen Opelaner, die nach der Werksschließung arbeitslos werden, zwei Jahre arbeitslos sind
und dann möglicherweise die Voraussetzungen erfüllen
könnten, wenn die Arbeitslosigkeit am Ende des Erwerbslebens anerkannt würde, werden die abschlagsfreie
Rente nicht bekommen. Sie sind unfreiwillig in die Arbeitslosigkeit gegangen, aber sie bekommen das nicht
anerkannt; denn es handelt sich um eine Standortverlagerung und -schließung im Rahmen der Konzernstrategie, aber nicht um eine Betriebsinsolvenz. Derjenige Beschäftigte aber, der bei einem Zulieferer für Opel
gearbeitet hat und seinen Arbeitsplatz verliert, weil sein
Arbeitgeber aufgrund einer Werksschließung in Insolvenz gegangen ist, wird diese letzten beiden Jahre Arbeitslosigkeit noch angerechnet bekommen. Er wird die
Voraussetzungen für die Rente nach 45 Jahren Erwerbstätigkeit erfüllen. Das ist nicht nur eklatant ungerecht,
sondern verstößt auch gegen den Gleichheitsgrundsatz in
der Verfassung. Darum wünschen wir - wie der Kollege
Birkwald - dem DGB und den Klägern in dieser Hinsicht sehr viel Erfolg.
({6})
Ich glaube, dass nach einiger Zeit - vielleicht nach
dem Sommer - die Notwendigkeit besteht und sich die
Gelegenheit ergibt, sich noch einmal mit all diesen sozusagen eingeschleppten Ungerechtigkeiten im Rahmen
des Rentenpakets zu beschäftigen.
Vielen Dank.
({7})
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Dagmar
Schmidt das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Liebe Kolleginnen und
Kollegen, vor allem liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Partei Die Linke! Ja, es handelt sich bei der Frage
der Anerkennung von Zeiten des Mutterschutzes bei der
Altersrente für besonders langjährig Versicherte um eine
Ungerechtigkeit - theoretisch. Denn um was geht es?
Herr Kurth, ich versuche, es trotz der Komplexität noch
einmal darzustellen.
Zeiten des Mutterschutzes - also sechs Wochen vor
dem Geburtstermin und acht Wochen nach der Entbindung - werden bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht anerkannt. Das ist nicht neu. Es war
auch damals bei der Einführung der Altersrente mit 65
für langjährig Versicherte schon so. Aber das ist natürlich insofern ungerecht, als dass nur Frauen davon betroffen sein können.
Wie groß ist das Problem, mit dem Sie uns beschäftigen? Jeder Monat, in dem die Frau auch nur einen Tag
arbeitet und Beiträge zahlt, wird bei den 45 Jahren voll
mitgerechnet.
({0})
Die Monate ab dem Zeitpunkt der Geburt werden als
Kinderberücksichtigungszeiten auch mitgerechnet. Von
den 14 oder, wenn der kleine Schatz sich noch ein bisschen Zeit lässt, 16 Wochen bleibt also im Höchstfall, bei
einem ungünstigen Geburtstermin, ein Monat übrig.
({1})
Da ab Geburt eines Kindes zehn Jahre als Kindererziehungszeiten berücksichtigt werden, gilt dies nur dann,
wenn dieser Monat nicht in die Kindererziehungszeit
eines Geschwisterkindes fällt. Die theoretische Ungerechtigkeit ist praktisch also keine. Aber sollte es diesen
theoretischen Fall einmal praktisch geben, dann wäre die
Konsequenz, dass die Frau nicht an ihrem 63. Geburtstag
abschlagsfrei in Rente gehen könnte, sondern noch vier
Wochen weiterarbeiten müsste und dann abschlagsfrei in
Rente gehen könnte, wie alle anderen auch. Halten wir
also fest: Sie machen hier einen großen Bahnhof für ein
sehr kleines, theoretisches Problem.
({2})
Es gibt allerdings reale und große Probleme für
Frauen. Das wird deutlich, wenn man ihre Rentensituation betrachtet. Durchschnittlich ist die Rente von Männern fast doppelt so hoch wie die von Frauen. In Westdeutschland ist der Abstand noch größer. Ein Problem ist
auch die Altersarmut von Frauen; denn Frauen erhalten
anderthalbmal so oft Grundsicherung im Alter wie Männer. Besonders dramatisch wird die Situation für Alleinerziehende.
Die mit Abstand negativste Auswirkung auf die Rente
von Frauen hat die vergleichsweise kürzere Versicherungsbiografie, sprich: Frauen haben deutlich weniger
Beitragszeiten, die sich positiv auf die Rentenhöhe auswirken. Hinzu kommt die Lohndiskriminierung von
Frauen: Immer noch verdienen Frauen 22 Prozent weniger als Männer. Der Equal Pay Day zeigt es alljährlich.
Männer können jedes Jahr theoretisch bis zum 20. März
die Füße hochlegen, um am Ende des Jahres das gleiche
Einkommen zu erhalten wie Frauen, die vom 1. Januar
an gearbeitet haben.
Diese echten, realen und großen Ungerechtigkeiten
lassen sich nicht allein über das Rentenrecht lösen. Dazu
Dagmar Schmidt ({3})
muss man den Arbeitsmarkt ins Visier nehmen, und dazu
muss man die Rechte und die Unterstützung von Frauen
stärken. Das haben wir getan, und das werden wir auch
weiterhin tun.
({4})
Vom Mindestlohn profitieren seit dem 1. Januar 2015
3,7 Millionen Beschäftigte. Über 60 Prozent davon sind
Frauen. Gehen wir von einer Lohnerhöhung einer Friseurin von 4,50 Euro auf 8,50 Euro aus, dann würde das
- in einer Modellrechnung -, über zehn Jahre gerechnet,
eine Rentenerhöhung um circa 64 Euro bedeuten.
Aber das allein reicht natürlich noch nicht. Wir wissen, dass Männer weniger arbeiten und mehr Zeit für die
Familie haben wollen und dass Frauen mehr arbeiten
und eine partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit wünschen. Mit dem Elterngeld Plus ermöglichen
und unterstützen wir genau das: Teilzeitarbeitsphasen
mit positiven Effekten für die Rente statt reiner Kindererziehungszeiten.
({5})
Mit dem Rückkehrrecht in Vollzeit, das wir noch dieses Jahr auf den Weg bringen, werden wir eine selbstbestimmte Erhöhung der Arbeitszeit ermöglichen, was eine
positive Wirkung für die Rente haben wird.
Für Verbesserungen im Bereich Kinderbetreuung haben wir unter anderem das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ auf 1 Milliarde Euro aufgestockt.
Eines unserer wichtigsten politischen Ziele bleibt es,
die Einkommenslücke zwischen Frauen und Männern
bei gleichwertiger Arbeit zu schließen. Dazu gehört zum
einen eine bessere Bezahlung in den sogenannten typischen Frauenberufen, zum Beispiel in den Bereichen
Pflege und Erziehung - die Weichen haben wir gestellt -,
und zum anderen eine Entgeltgleichheit bei gleichwertiger Arbeit, die wir mit dem Entgeltgleichheitsgesetz
über Transparenz und Anpassungsdruck peu à peu
durchsetzen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Partei Die
Linke, das finden Sie doch auch alles toll.
({6})
Sie könnten uns doch, anstatt uns populistisch mit
Scheinproblemen zu beschäftigen, für das loben,
({7})
was wir bisher Gutes auf den Weg gebracht haben, und
feststellen, dass wir die realen Probleme anpacken und
die Geschlechtergerechtigkeit Stück für Stück voranbringen.
({8})
Heute Morgen, beim Thema Mindestlohn, ging das ja
auch. In diesem Sinne: Glück auf!
({9})
Der Kollege Matthäus Strebl hat für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! In dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes, den
die Fraktion Die Linke vorgelegt hat, wird festgestellt
- ich zitiere -:
… nur Frauen können von einem Beschäftigungsverbot aufgrund des Mutterschutzgesetzes betroffen
sein.
Allerdings kann ich den Schlussfolgerungen der Antragsteller, nämlich Mutterschutzzeiten bei der Rente mit
63 anzurechnen, nicht folgen und will dies im Folgenden
auch begründen.
Dazu ist zunächst erforderlich, einen kurzen Blick auf
Mutterschutzfristen und die damit verbundenen Beschäftigungsverbote zu werfen. Werdende Mütter dürfen bekannterweise in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung und bis zum Ablauf von acht Wochen - Frau
Kollegin Schmidt, Sie haben es gerade ausgeführt -, bei
Früh- und Mehrlingsgeburten bis zum Ablauf von zwölf
Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt werden.
Um Mütter in dieser Zeit vor finanziellen Nachteilen zu
schützen, regelt das Mutterschutzgesetz verschiedene
Mutterschaftsleistungen, und die lassen sich sehen. Dazu
gehören beispielsweise das Mutterschaftsgeld, der Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld während der
Mutterschutzfristen, das Arbeitsentgelt bei Beschäftigungsverboten außerhalb der Mutterschutzfristen, also
der sogenannte Mutterschutzlohn, Urlaubsanspruch sowie ein weitreichender Kündigungsschutz. Diese Leistungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, können sich sehen lassen.
Diesem Maßnahmenbündel für Mütter scheint jedoch
entgegenzustehen, dass die genannten Beschäftigungsverbote bei der Rente mit 63 nicht auf die Wartezeit von
45 Jahren angerechnet werden. Ich darf daran erinnern,
dass dieses kein Novum ist, zumal es die Altersrente für
besonders langjährig Versicherte schon seit Anfang 2012
gibt. Danach sind Versicherte, die die Wartezeit von
45 Jahren erfüllen, von der stufenweisen Anhebung der
Regelaltersgrenze auf 67 Jahre ausgenommen. Ferner
haben wir im vergangenen Jahr hier in diesem Hohen
Hause die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren beschlossen. Um ihre konkrete Ausgestaltung geht es heute.
Wie bei dem Rentenversicherungs-Altersgrenzenanpassungsgesetz von 2012 sind auch für die Gewährung
der abschlagsfreien Rente mit 63 ebenfalls 45 Beitragsjahre Voraussetzung.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der
Antragsteller kritisiert, dass hierbei die Zeiten des Mutterschutzes nicht einfließen. Sie wollen mit Ihrem Antrag der Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres Geschlechtes vorbeugen, doch von Diskriminierung kann
überhaupt keine Rede sein.
Ich möchte an dieser Stelle eine aktuelle Antwort der
Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage - hier bemühe
ich die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - vom 7. Januar zitieren. Wörtlich
heißt es dort:
Das geltende Recht sieht keine Berücksichtigung
von Anrechnungszeiten wegen Schwangerschaft
oder Mutterschutz bei der 45-jährigen Wartezeit für
die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte vor.
Und weiter heißt es:
Regelungsintention dieser bereits seit 2012 eingeführten Rentenart ist es, denjenigen einen früheren,
abschlagsfreien Rentenbeginn zu ermöglichen, die
durch jahrzehntelange Beschäftigung, selbständige
Tätigkeit oder Pflegearbeit sowie Kindererziehung
ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen
Rentenversicherung geleistet haben. Dieser Regelungsintention widerspräche es, beitragsfreie Zeiten
auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen.
Nach Auffassung der Bundesregierung, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen, widerspricht es
also dem Sinn der Rente ab 63, auch beitragsfreie Zeiten
zu berücksichtigen. Auch der Vorwurf der Diskriminierung ist nicht stichhaltig; denn in der Bundestagsdrucksache 18/909 ist bereits schlüssig dargelegt worden, dass
die jetzige Regelung gleichstellungspolitisch ausgewogen ist. Dieser Auffassung schließe ich mich vollinhaltlich an.
Einen weiteren Aspekt möchte ich noch erwähnen.
Die Antragsteller räumen ein, dass die Zahl der betroffenen Frauen gerade einmal im Promillebereich liegen
wird. Das ist dem Antrag der Linken zu entnehmen.
2013 gab es demnach unter 650 000 neu bewilligten Altersrenten gerade einmal 2 441 Frauen, die möglicherweise von der Anrechnung der Mutterschutzzeiten profitiert hätten. Eher dürften es noch weniger sein. Eine
exakte Zahl liegt nicht vor. Entsprechend heißt es auch
im Gesetzentwurf, dass „die Kosten als gering einzuschätzen“ sind. Für mich sind diese eher geringen Kosten kein Argument für oder gegen die Annahme des Gesetzentwurfes. Wenn er begründet wäre und damit
Ungerechtigkeit beseitigt würde, dann dürfte der Kostenaspekt gar keine Rolle spielen.
Kollege Strebl, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Keul?
Frau Präsidentin, ich bin fast am Ende meiner Rede
und möchte sie zu Ende führen. Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, man
findet schwerlich Länder, in denen für Mütter so viel getan wird wie bei uns. Ich verweise in diesem Zusammenhang vor allem auch auf die Mütterrente, die wir im vergangenen Jahr beschlossen haben. Damit haben wir zum
wiederholten Mal bewiesen, dass wir uns im Rahmen
des Möglichen für Mütter einsetzen. Der vorliegende
Gesetzentwurf widerspricht aber den Intentionen der
Rente mit 63 und der ordnungspolitischen Systematik.
Deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Dr. Martin Rosemann hat für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Matthias
Birkwald, ich muss sagen: herzlichen Glückwunsch! Sie
haben es wirklich geschafft, aus einer Mücke einen medialen Elefanten zu machen. Viel Lärm um nichts!
Meine Kollegin Dagmar Schmidt hat es schon ausgeführt: Es geht um maximal einen Monat, und bisher ist
kein einziger Fall bekannt, in dem wegen dieses einen
Monats ein vorzeitiger Rentenzugang für besonders
langjährig Versicherte nicht möglich war.
Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Wir lassen
uns die Leistungsverbesserungen des Rentenpakets nicht
kaputtreden. Das gilt für die Mütterrente, das gilt für die
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, und
das gilt auch für den vorzeitigen Rentenzugang für besonders langjährig Versicherte. Wir wissen, dass viele
Menschen in Deutschland davon profitieren und uns dafür dankbar sind.
({0})
Im Übrigen möchte ich vorschlagen, dass wir uns,
was die Alterssicherung von Frauen angeht, den wesentlichen Problemen zuwenden. Die Armutsgefährdungsquote von Frauen im Alter ist deutlich höher als die von
Männern.
({1})
Frauen erzielen im Durchschnitt nur etwa 60 Prozent der
Rentenansprüche der Männer. Dies ist die Folge unterschiedlicher Erwerbsbiografien.
({2})
Es geht auf eine zu geringe Erwerbsbeteiligung von
Frauen vor allem in sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigung bzw. in vollzeitnaher Teilzeitbeschäftigung zurück. Zwar ist die Erwerbsbeteiligung von
Frauen in den vergangenen Jahren gestiegen, aber wir
liegen immer noch hinter Ländern wie Schweden und
Norwegen zurück.
Zudem arbeiten zu viele Frauen in Teilzeit, häufig mit
geringer Stundenzahl. Dabei handelt es sich zu häufig
um ungewollte Teilzeit: Fast jede fünfte teilzeitbeschäftigte Frau arbeitet in Teilzeit, weil sie keine Vollzeitstelle
findet.
Daneben sind geringere Löhne und Einkommen für
die geringeren Rentenansprüche von Frauen verantwortlich: Frauen bekommen in der Stunde im Durchschnitt
immer noch 22 Prozent weniger als Männer. 7 Prozentpunkte gehen auf direkte Lohndiskriminierung zurück,
das heißt auf die Fälle, in denen Frauen für die gleiche
Arbeit im gleichen Betrieb weniger bekommen als Männer. Frauen bekommen aber auch deshalb geringere
Löhne, weil sie häufiger in sozialen Berufen arbeiten
und weniger in Führungspositionen vertreten sind.
All das sind potenzielle Hindernisse für eine auskömmliche Rente. Deshalb sind dies zentrale Ziele der
Politik:
Erstens: bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
und eine andere Aufteilung der Erwerbsarbeit zwischen
Frauen und Männern,
({3})
damit mehr Frauen in sozialversicherungspflichtigen
Vollzeit- oder vollzeitnahen Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen arbeiten können. Zweitens: gleiche Bezahlung
für gleiche Arbeit. Drittens: die Aufwertung sozialer Berufe. Viertens: mehr Frauen in Führungspositionen.
({4})
Genau hier setzen wir an. Genau dafür hat die SPD in
der Großen Koalition Maßnahmen zur Förderung der
Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben durchgesetzt.
({5})
Wir haben das Elterngeld Plus beschlossen. Wir haben den Partnerschaftsbonus im Elterngeld eingeführt,
damit Arbeit und Familie besser vereinbart werden können und damit eine bessere Aufteilung der Erwerbs- und
Familienarbeit zwischen Männern und Frauen gewährleistet werden kann.
({6})
Wir unterstützen Länder und Kommunen beim Ausbau der Kinderbetreuung. Wir entlasten in dieser Legislaturperiode - wie noch keine Bundesregierung zuvor Länder und Kommunen massiv. Damit ermöglichen wir
den Kommunen, die Erzieherinnen und Erzieher endlich
besser zu bezahlen, damit dieser Beruf entsprechend honoriert wird.
({7})
Die Aufwertung sozialer Berufe gilt übrigens nicht
nur für die Kinderbetreuung, sondern auch für die
Pflege. Mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz hat die
SPD durchgesetzt, dass Pflegeeinrichtungen, die Tariflohn zahlen, zukünftig besser dastehen; denn Tariflohnsteigerungen können bei den Pflegesatzverhandlungen in
Zukunft nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt werden können.
Wir bereiten ein Pflegeberufegesetz vor, durch das
wir für eine Attraktivitätssteigerung in den Pflegeberufen sorgen wollen.
({8})
Außerdem - das hat die Frau Kollegin Schmidt schon
angesprochen - sorgen wir für gerechtere Bezahlung;
denn vom Mindestlohn profitieren vor allem Frauen. Wir
schaffen ein Entgeltgleichheitsgesetz. Wir wollen zudem
den Anteil weiblicher Führungskräfte in Deutschland erhöhen. Deshalb werden wir morgen hier in diesem Haus
die gesetzliche Frauenquote beschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({9})
Damit erhöhen wir die Chancen der vielen hochqualifizierten Frauen, in die Chefetage aufzurücken.
Das alles sind Maßnahmen, die die Gleichstellung
von Frauen und Männern im Erwerbsleben wirklich fördern.
({10})
Damit tragen wir dazu bei, dass sich die Einkommenssituationen der Frauen im Alter verbessern werden.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/4107 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
Vizepräsidentin Petra Pau
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes
Drucksachen 18/3785, 18/3993
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({0})
Drucksache 18/4164
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/4189
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Sobald sich die Fraktionen geordnet haben, können
wir mit der Aussprache beginnen. - Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor fünf Wochen hat die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Vor
zehn Tagen wurde eine Anhörung zu diesem Thema
durchgeführt, an der zahlreiche Experten teilgenommen
haben. Heute wird, so denke ich, der Deutsche Bundestag die Änderungen im Regionalisierungsgesetz mit großer Mehrheit beschließen. Das bedeutet die Verlängerung der bisherigen Finanzierungsusancen um ein
weiteres Jahr. Das bedeutet auch, dass die Mittel in diesem Jahr linear um 1,5 Prozent steigen werden, wie das
in den vergangenen Jahren auch der Fall war.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Erfolgsgeschichte der Regionalisierung für ein weiteres
Jahr fortgeschrieben. Sie ist der wohl größte Erfolg der
Eisenbahnreform. In diesem Sinne ist es wichtig, dass
auch der Bund zur Finanzierung dieses so wichtigen
Teils der Eisenbahnpolitik beiträgt. Der Nahverkehr
wird dichter und dichter, wird von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern genutzt. Das ist das, was wir wollen.
Allerdings kann man sicherlich fragen: Warum macht ihr
die Regelung nur für ein Jahr, warum macht ihr sie nicht
für länger?
({0})
- Ich weiß ja, wie Sie denken; da will ich das gleich mal
aufnehmen.
({1})
Wir brauchen ja eine gewisse Verlässlichkeit.
({2})
Nahverkehrsverträge werden schließlich über lange
Jahre abgeschlossen, die Investitionen sind hoch und die
Eisenbahninfrastrukturbetreiber müssen wissen, mit
welchen Verkehren sie auf der Infrastruktur zu rechnen
haben, die die Besteller - in dem Fall: die Länder und
die Nahverkehrsgesellschaften - dann veranlassen. Insofern ist es sicherlich richtig, dass man über längerfristige
Dinge nachdenkt.
Allerdings muss es Finanzvereinbarungen zwischen
Bund und Ländern geben, und wir haben schon bei der
Eingangsdebatte - auch bei der Debatte im Ausschuss erlebt, dass ein wesentliches Problem darin besteht, dass
wir als Bund eigentlich gar nichts zu sagen haben. Wir
reichen das Geld an die Länder, und die Länder können
völlig frei entscheiden, was sie mit dem Geld machen.
Wir haben keinen Einfluss darauf, was sie damit machen. Wir haben nicht einmal - bis zuletzt - eine genaue
Kenntnis dessen, was sie damit eigentlich gemacht haben.
Von daher gesehen stellt sich in einer Situation, in der
Bund und Länder über Finanzvereinbarungen sprechen
und sich über Bund-Länder-Finanzierungsfragen intensiv Gedanken machen, natürlich schon die Frage, ob
man nicht etwas weiter denken sollte. Ich bin dem Bundesfinanzminister und auch seinen Staatssekretären außerordentlich dankbar dafür, dass sie den Schritt etwas
weiter denken, nicht kleines Karo denken, sondern mal
die größeren Linien andenken. Wenn denn der Bund sowieso keinen Einfluss hat, wenn denn der Bund sowieso
nur Geld an die Länder verteilt, warum sollen wir uns es
nicht einfacher machen - nach dem Motto „Sparen wir
doch mal ein bisschen Bürokratie in Deutschland ein; davon haben wir sowieso viel zu viel“ - und sagen: „Dann
kriegen die Länder einen Punkt Mehrwertsteuer mehr;
dafür können sie die Regionalisierungsmittel selber verwalten, ohne dass wir als Bund irgendetwas damit zu tun
haben“? Und weil die Länder natürlich belastet sind - so
sagt der Finanzminister, so sagt der Bundesrechnungshof -, kann man darüber nachdenken, die Auftragsverwaltung bei den Straßen vielleicht besser auf den Bund
zu ziehen.
({3})
Auch das ist ein Reformvorschlag, über den sich nachzudenken lohnt.
Deswegen glaube ich, es ist richtig, wenn der Deutsche Bundestag heute sagt: Wir beschließen ein Gesetz
für ein Jahr, um uns die Zeit zu geben, diese Reformüberlegungen vielleicht zu einem für Deutschland insgesamt guten Ende in der Bund-Länder-Beziehung zu führen: weniger Bürokratie, schlankere Verfahren, einfaches
Handling, so wie wir das in unseren Sonntagsreden eigentlich immer vorhaben.
({4})
Deswegen plädiere ich dafür, dass wir uns in diesem Jahr
diesem Thema deutlich mehr widmen. Ich plädiere auch
an den Bundesrat, von dem ich ja höre, dass er dieses
Gesetz vielleicht in ein Vermittlungsverfahren bringen
will.
({5})
Da wünsche ich ja viel Spaß!
({6})
- Ich weiß ja, wie ihr Grünen in den Ländern denkt: verantwortungslos. Ihr müsst mal an die Nutzer denken, an
die Kunden!
({7})
Für die seid ihr verantwortlich. Und die Reisenden leiden darunter, wenn Leute wie Sie so eine Politik in den
Ländern betreiben, wie Sie sie betreiben.
({8})
Von daher gesehen wäre es sehr viel klüger, dieses Gesetz durchlaufen zu lassen, die Diskussion über die Reformbestrebungen, wie ich sie geschildert habe, wie sie
der kluge Finanzminister
({9})
vorbereitet und der kluge Bundesrechnungshof vorschlägt, fortzuführen und vielleicht mal ein bisschen
mehr nachzudenken.
Ich erhoffe mir, dass wir mit diesem Gesetz heute großen Erfolg haben werden,
({10})
nicht nur hier im Parlament, sondern auch im Bundesrat,
und bedanke mich für die gute Beratung und die Beschlussfassung.
Herzlichen Dank.
({11})
Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Sabine
Leidig das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Gäste! Verantwortungslos ist die Bundesregierung;
({0})
denn sie lässt zu, dass in den Ländern völlige Unsicherheit darüber besteht, wie es mit der Finanzierung im
Nahverkehr weitergeht. In meiner Region, beim RheinMain-Verkehrsverbund, ist die Situation ziemlich dramatisch. Die Fahrgastzahlen wachsen beständig. Es gibt
Ausbaupläne; die sind jedoch gestoppt, auf Eis gelegt. In
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist zu lesen: Zum
ersten Mal seit der Gründung des Verkehrsverbundes im
Mai 1995, also seit 20 Jahren, ist offen, mit wie viel
Geld der RMV für das Folgejahr rechnen kann. Dieses
Problem betrifft die Verkehrsträger im Nahverkehr insgesamt. Im Odenwaldkreis beispielsweise wird über Abbestellungen von Nahverkehrsverbindungen nachgedacht, die notwendig werden, wenn nicht eine
entsprechende dauerhafte Finanzierung gelingt.
Hier muss der Bund tätig werden. Es steht seit langem
fest, dass das den Nahverkehr betreffende Regionalisierungsgesetz ausläuft und man ein Anschlussgesetz
braucht; das ist nichts Neues. Wenn Sie Kritik an den
Ländern anführen, dann muss ich Ihnen sagen: Sie hatten genug Zeit, um diese Themen zu diskutieren und
eine Einigung zu finden.
({1})
Das haben Sie nicht gemacht. Sie haben die Länder hingehalten, haben eine schlechte Zwischenlösung vorgelegt und haben die wirklichen Probleme, zum Beispiel,
dass die Trassenpreise, die die Deutsche Bahn AG verlangt, über den Erhöhungsbetrag permanent steigen und
damit immer weniger für Nahverkehrszüge und für Fahrgäste übrig bleibt, überhaupt nicht in Angriff genommen. Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, was zu tun
ist.
({2})
Wir haben in der Expertenanhörung sowohl mit dem
Gutachter des Bundes als auch mit dem Gutachter der
Länder gesprochen. Beide waren der Meinung, es sei
überhaupt kein Problem, gemeinsam eine Lösung auf
den Tisch zu legen. Aber - das ist die wirklich interessante Stelle, die die Verantwortungslosigkeit zeigt - darum geht es dem Bund nicht. Wir haben oft nachgefragt,
was eigentlich dahintersteckt, warum man so hingehalten wird und warum die Argumente nicht auf den Tisch
gelegt werden. Natürlich könnte der Bund bei der Ausgestaltung des Nahverkehrs steuernd eingreifen. Durch
das Regionalisierungsgesetz können nicht nur die Geldflüsse geregelt werden, sondern zum Beispiel auch die
Qualität des Nahverkehrsangebotes, die Frage der Arbeitsbedingungen usw. Das könnte man alles in einem
Regionalisierungsgesetz regeln. Aber das wollen Sie gar
nicht.
Der Punkt ist - das hat Herr Ferlemann in der letzten
Sitzung des Verkehrsausschusses zum ersten Mal ausgepackt; da hat er die Katze aus dem Sack gelassen -: Der
Bund will den Ländern den Nahverkehr sozusagen hinschmeißen und dafür - das ist das Interessante - den Straßenbau, die Auftragsverwaltung der Straßen komplett
auf Bundesebene ziehen. Warum? Es ist mit der Privatisierung des Straßenbaus eine große Nummer geplant;
Sie haben es gerade gesagt, Herr Ferlemann. Finanzminister Schäuble bereitet etwas vor und will - das ist
völlig klar -, dass die Straßen in einer bundeseigenen
Gesellschaft organisiert werden. Wirtschaftsminister
Gabriel will einen großen Privatisierungs-, einen großen
Investitionsfonds auflegen und den Versicherungskonzernen und den Banken günstige Anlagemöglichkeiten
verschaffen. Verkehrsminister Dobrindt redet landauf,
landab von öffentlich-privaten Partnerschaften im Straßenbau. So wird ein Schuh aus dieser Nummer.
Ich finde es absolut verantwortungslos, dass Sie, um
den Versicherungskonzernen und Banken im Bereich der
Straßen sozusagen Anlagemöglichkeiten mit öffentlicher
Gewinngarantie zusagen zu können, auf der anderen
Seite den Nahverkehr schleifen lassen und diese Privatisierungsnummer fahren. Das führt in den Ländern und in
den Kommunen zu Panik; die Verkehrsverbünde und die
Fahrgäste wissen nicht, wie es weitergehen soll. Sie zocken mit der Infrastruktur und machen genau das Gegenteil von dem, was notwendig wäre. Notwendig wären
eine auskömmliche Finanzierung mit einer dauerhaften
Perspektive, mit guten Qualitätskriterien für den ÖPNV,
eine vernünftige Straßenbauverwaltung. Nötig ist aber
keine Privatisierungsnummer, die auf Kosten der Öffentlichkeit einigen wenigen die Taschen noch praller macht.
Vielen Dank.
({3})
Der Kollege Sebastian Hartmann hat für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch
wenn das eine sehr dramatische Beschreibung war, Frau
Kollegin Leidig, wir debattieren heute über die Regionalisierungsmittel und die auskömmliche Finanzierung des
Nahverkehrs.
({0})
Das Wort „Regionalisierungsmittel“ ist ein sperriges
Wort.
({1})
- Sie müssen jetzt zuhören. - Es geht im Kern um die
Mittel, die den Bundesländern zustehen, um ihre Aufgabe, die sachgerechte Finanzierung des Nahverkehrs,
sicherzustellen, um nicht mehr und nicht weniger.
({2})
Gleichzeitig - da gebe ich Herrn Staatssekretär
Ferlemann recht - blicken wir auf eine erfolgreiche
Bahnreform zurück mit einer Aufgabenzuweisung an die
Länder, was den Nahverkehr angeht, und einer Aufgabenzuweisung an den Bund, was den Fernverkehr
angeht. Zugleich haben wir als Bund tatsächlich die Verantwortung, wenn wir an das Eisenbahnverkehrsunternehmen und das Eisenbahninfrastrukturunternehmen
Bahn AG denken. Das ist unsere Verantwortung.
({3})
Insofern: Es geht heute Abend um eine zentrale Unterscheidung, um zwei grundsätzlich voneinander zu trennende Sachverhalte. Das eine ist das kurzfristige Nachholen einer ausgebliebenen Dynamisierung, die auf breite
Kritik gestoßen ist. Sie wird heute Abend durch die Verabschiedung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
nachgeholt - 1,5 Prozent mehr Geld für den Nahverkehr
in Deutschland; knapp 110 Millionen Euro -,
({4})
damit diese Aufgabe in den Ländern erfüllt werden
kann.
({5})
Das andere, was dringend geboten und davon wirklich
zu trennen ist, ist eine grundlegende Revision der Regionalisierungsmittel, um dauerhaft und zukunftsfähig die
Aufgaben im Nahverkehr zu finanzieren.
({6})
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen.
Das eine ist vom anderen zu trennen; denn wir müssen
uns ausreichend Zeit nehmen,
({7})
um zu einer dauerhaften Lösung bei der Revision der
Regionalisierungsmittel für die nächsten 15 Jahre zu
kommen. Sie können gerne versuchen, das zu vermischen. Sie können versuchen, den Menschen etwas anderes einzureden. Aber darum geht es heute Abend nicht.
Wir holen jetzt diese Dynamisierung nach. Aus Sicht der
SPD - das sage ich Ihnen auch in aller Klarheit - ist es
unerlässlich, dass wir bis Mitte des Jahres 2015 zu einer
dauerhaften Lösung, was die Frage der Regionalisierungsmittel und ihrer Zukunft angeht, kommen, um
diese Aufgabe auch in den nächsten Jahren ausreichend
zu finanzieren. Das ist die Planungssicherheit, die die
Bundesländer und die Verkehrsträger brauchen, um das
gute Niveau, das Millionen von Nutzerinnen und Nutzern vom Nahverkehr in unserem Land erwarten, sicher8704
zustellen, und die wir brauchen, damit wir ausreichend
Zeit für die Lösung dieser Frage haben. Darum geht es.
({8})
- Jetzt machen Sie es nicht schlimmer, als es ist, Frau
Kollegin Leidig. Wer als Opposition im Ausschuss versucht, diesen Gesetzentwurf, den wir heute Abend beschließen werden und der vorsieht, den Ländern über
110 Millionen Euro mehr an Nahverkehrsmitteln zu
überweisen, von der Ausschusstagesordnung abzusetzen und dann noch gegen den Antrag der Bundesregierung stimmt, will den Bundesländern die Zahlung von
insgesamt 110 Millionen Euro vorenthalten, die wir hier
jetzt zur Verfügung stellen wollen. So ist es.
({9})
Kollege Hartmann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Leidig?
Ja, selbstverständlich, Frau Kollegin Leidig.
({0})
- Das sagt Herr Kauder manchmal.
Kollege Hartmann, ich finde, dass Sie hier in völlig
unredlicher Weise die Debatte verzerren. Fakt ist, dass
die Länder gemeinsam einen Gesetzentwurf vorgelegt
haben, der ganz anders aussieht als der des Bundes.
({0})
Unsere Auffassung ist nach wie vor, dass wir diesen Vorschlag der Länder thematisieren, behandeln und auch beschließen sollten, weil die Länder viel gründlicher mit
den Problemen vertraut sind, weil sie viel nachvollziehbarer dargelegt haben, warum sie dauerhaft eine Lösung
brauchen und nicht nur eine Zwischenlösung für ein
Jahr, nachdem ja völlig offen ist, wie es weitergeht, weil
sie Anschlussverträge für auslaufende Verkehrsverträge
aushandeln müssen, und zwar nicht für ein Jahr, sondern
für die nächsten 15 Jahre. Das ist unser Anliegen als Opposition gewesen. Ich kann überhaupt nicht begreifen,
warum Sie sich gegen Ihre eigenen Ministerpräsidenten
stellen.
({1})
Wo ist die Frage, Frau Kollegin?
({0})
Die Kollegin hatte das Wort zu einer Frage oder Bemerkung. Das habe ich Sie auch gefragt. Das gibt die
Geschäftsordnung her. Ihnen steht es jetzt frei, auf diese
Bemerkung zu antworten.
({0})
Das möchte ich tun.
Dazu müssen Sie stehen bleiben, Frau Leidig.
Ich werde jetzt auf Ihre Intervention antworten. Das
entspricht ja auch dem Gebot des parlamentarischen
Miteinanders. - Sie stimmen mir sicherlich zu, Frau Kollegin, dass Ihre Fraktion im Ausschuss in der vergangenen Woche dafür gestimmt hat, den Tagesordnungspunkt
„Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung“
von der Tagesordnung abzusetzen. Als Sie damit keinen
Erfolg hatten, haben Sie sogar gegen diesen Entwurf gestimmt. In diesem Entwurf sind 109,5 Millionen Euro
mehr für den Nahverkehr vorgesehen. Das entspricht einer Dynamisierung um 1,5 Prozent.
({0})
Das sind insgesamt 109,5 Millionen Euro mehr Mittel,
die wir den Ländern zur Verfügung stellen, damit sie den
Nahverkehr ausreichend finanzieren können. Ich nehme
Ihre Wortwahl auf. Sie haben zu Recht gesagt, dass es
sich um eine Zwischenlösung handelt. Das ist ein gutes
Stichwort. Sie erkennen, dass es um eine Zwischenlösung geht. Diese brauchen wir, um zu einer dauerhaften
Revision der Regionalisierungsmittel zu kommen. Um
nicht mehr und nicht weniger geht es uns.
Wenn ich dann den Punkt aus Ihrer Frage aufnehme
- das müssen Sie jetzt auch zulassen -, dass es tatsächlich einen Entschließungsantrag der Grünen gibt, in dem
vorgesehen ist, einerseits die entsprechenden Zahlen des
Bundesgutachtens in Höhe von 7,65 Milliarden Euro zur
Grundlage für das Haushaltsjahr 2015 zu machen, muss
ich sagen: Das ist in sich nicht schlüssig. Wenn Sie einerseits die 7,65 Milliarden Euro
({1})
aus dem Gutachten des Bundes als auskömmlich ansehen und auf der anderen Seite auf der Grundlage eines
anderen Gutachtens verhandeln wollen, dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, müssen Sie sich
schon entscheiden: Gilt das Gutachten des Bundes, oder
gilt das Gutachten der Länder von KCW? Das ist der
Punkt.
Sie sehen, dass der Teufel im Detail steckt. Wir brauchen ausreichend Zeit für die Aufgabe, zwischen dem
Bund und den Ländern eine Einigung hinsichtlich der
Finanzierung des Nahverkehrs zu erzielen. Dazu müssen
wir kommen. Das ist das Ziel, das wir verfolgen. Deswegen brauchen wir die kurzfristige Dynamisierung. Ich
danke Ihnen, Frau Leidig, dass Sie mir die Gelegenheit
gegeben haben, das darzustellen.
({2})
Wir haben in der Tat eine aufschlussreiche Anhörung
durchgeführt. In dieser aufschlussreichen Anhörung
ging es nicht nur um die finanzielle Erhöhung der Mittel,
sondern wir haben auch Hinweise bekommen, wie wir
ein zukünftiges Regulierungsregime gestalten können.
Stations- und Trassenpreise sind das Stichwort. Natürlich wollen wir nicht mehr in eine Situation kommen wie
in der Vergangenheit, dass die gezahlten Mittel nicht mit
der tatsächlichen Kostenentwicklung im Eisenbahnsektor übereinstimmen.
({3})
Wir wollen nicht, dass es zu Abbestellungen im Nahverkehr kommt. Deswegen brauchen wir ausreichend Zeit,
um diese Gutachten und die Erkenntnisse bewerten zu
können, nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch
inhaltlich. Sie können sich darauf verlassen, dass die
Große Koalition das tun wird.
Ich habe etwas dazu gesagt, wie Sie im Ausschuss
vorgegangen sind. Vermischen Sie bitte hier im Plenum
nicht die kurzfristige Nachholung der Dynamisierung,
also die Zurverfügungstellung von mehr Mitteln - auch
wir hatten die zunächst ausgebliebene Dynamisierung
kritisiert - mit der dauerhaften Lösung für die Zukunft
der Regionalisierungsmittel. Da haben wir einiges an
Diskussionsbedarf. Die Ergebnisse der Gutachten sind
zu plausibilisieren, die Hinweise sind aufzunehmen, und
über das Regulierungsregime haben wir auch auf Bundesebene zu diskutieren.
Ich sage auch: Anerkennung an die Länder. Ja, die Länder haben sich auch auf den Weg gemacht. Die Länder haben nicht nur über die Höhe der Mittel entschieden, sondern sie haben darüber hinaus mit dem sogenannten
Kieler Schlüssel auch zu einer anderen Verteilung der
Mittel gefunden, um abzubilden, dass sich Verkehre,
Einwohnerentwicklung und bestellte Zugkilometer tatsächlich auseinanderentwickelt haben. Doch es ist unsere Aufgabe, das auf Bundesebene zusammenzufassen
und damit den Nahverkehr und den Fernverkehr als gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern zu begreifen.
Wir brauchen dafür Zeit. Denn auf der Bundesebene
verantworten wir Finanzierungskreisläufe wie die nun
getroffene Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II,
auf der Bundesebene tragen wir auch die Regulierungsverantwortung, zum Beispiel durch den Eisenbahninfrastrukturbeirat, und setzen damit den europäischen
Rechtsrahmen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Es
wird nicht ausreichen, zwei Zahlen aus zwei Gutachten
abzuschreiben. Vielmehr müssen wir diese wichtige
Aufgabe für die nächsten 15 Jahre sicherstellen.
Noch kurz etwas zum Stichwort „Transparenznachweise“. Hier sind die Bundesländer angesprochen. Ja,
wir als Bund werden 7,41 Milliarden Euro überweisen,
wenn wir heute Abend den Gesetzentwurf so verabschieden, wie ihn die Bundesregierung vorgelegt hat. Darüber
hinaus wurden allein in 2014 insgesamt über 10,2 Milliarden Euro für den Nahverkehr aufgebracht. Wer die
Länder auf der einen Seite kritisiert, indem er sagt, dass
er mehr Transparenznachweise braucht, muss auf der anderen Seite aber auch anerkennen, dass weitere Mittel in
diesem Finanzierungskreislauf Nahverkehr investiert
werden.
Deswegen wollen wir die Aufgabe stärker machen.
Wir wollen sie besser machen. Wir wollen die inhaltlichen Hinweise, die wir bekommen haben, aufnehmen.
Dafür müssen wir uns als Große Koalition entsprechend
Zeit nehmen. Eine Einigung setzt die Zustimmung beider Seiten voraus. Wir wollen die Aufgabe nicht infrage
stellen. Denn zukünftig müssen wir die Mittel nicht nur
zweckbinden, sondern wir müssen die Mittel in dieser
Höhe auch sichern, und wir müssen den zukünftigen
Finanzbedarf entsprechend abbilden.
Ich glaube, dass wir mit dem heutigen Schritt Zeit gewinnen, um zu einer dauerhaften Lösung der Frage, zu
einer grundlegenden Revision der Regionalisierungsmittel zu kommen. Deswegen: weniger Kritik, sondern
mehr Auseinandersetzung mit den Gutachten, wenn man
sie denn gelesen hat. Wir machen uns gemeinsam auf einen guten Weg. Denn ich hatte nicht den Eindruck, dass
Sie, liebe Kollegen von den Grünen oder von den Linken, den Nahverkehr als Erfolgsmodell in diesem Land
infrage stellen wollen.
Vielen Dank.
({4})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Stephan Kühn das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir stellen den Erfolg der Regionalisierung in
keiner Weise infrage. Im Gegenteil: Das tun gerade Sie
mit Ihrer Politik.
({0})
Man muss klar sagen: Die Regionalisierung im Zuge
der Bahnreform war eine richtige Entscheidung. Heute
nutzen mehr Menschen das Fahrangebot. Es ist ein attraktiveres Angebot. Wir haben moderne neue Züge. Es
ist also eine Erfolgsgeschichte. Dabei geht es nicht nur
um die Frage der Daseinsvorsorge, sondern auch darum,
dass der Regionalverkehr auf der Schiene insbesondere
Stephan Kühn ({1})
den Wirtschaftsstandort Deutschland stützt, weil täglich
Millionen Pendlerinnen und Pendler sicher zur Arbeit
gelangen.
Trotz all dieser Erfolge ist es aus meiner Sicht völlig
unerklärlich, dass derzeit dieses unwürdige Feilschen
der Bundesregierung mit den Ländern über die Regionalisierungsmittel stattfindet.
({2})
Sie tragen den Finanzpoker auf dem Rücken von 7 Millionen Fahrgästen, die täglich auf einen attraktiven Nahverkehr angewiesen sind, aus. Wenn man jetzt sagt, die
Fortschreibung der Dynamisierung sei ein Erfolg, erinnere ich daran, dass wir bereits in der Haushaltsberatung
im November letzten Jahres beantragt haben, die Dynamisierung für 2015 fortzuschreiben; dabei ging es um
ebendiese 109 Millionen Euro.
({3})
Das haben Sie abgelehnt. Wir hätten schon längst Planungssicherheit haben und ein Signal an die Aufgabenträger geben können, meine Damen und Herren.
({4})
Diese Debatte - das finde ich so schade, gerade wenn
wir unter Verkehrspolitikern diskutieren - dreht sich fast
nur um die Frage, wie viel Geld der Bund den Ländern
gibt, aber viel zu wenig darum, was wir dafür bekommen, welches die verkehrspolitischen Ziele sind und wie
wir sie erreichen können. Ohne einen leistungsfähigen
Nahverkehr auf der Schiene erreichen wir unsere Klimaschutzziele nicht. Das war vermutlich auch die Erkenntnis, die dahinter stand, die auskömmliche Finanzierung
der Regionalisierungsmittel in den KlimaschutzAktionsplan aufzunehmen haben. Offensichtlich ist der
schon wieder Makulatur; denn an dieser Stelle passiert
ja, wie gesagt, nichts.
({5})
Überraschenderweise gab es von Verkehrsminister
Dobrindt dann doch eine Wortmeldung zum Thema
Regionalisierung. Er hat nämlich WLAN in Regionalzügen gefordert. Das ist interessant. Er hat sich nämlich an
keiner Stelle für eine auskömmliche Mittelfinanzierung
eingesetzt; ich habe von ihm kein Wort dazu gehört. Er
ist völlig abgetaucht und hat offensichtlich kein Interesse
an diesem Thema.
({6})
Offensichtlich reicht der verkehrspolitische Horizont des
Herrn Minister gerade einmal bis zur Ausländermaut,
und das war es dann auch.
({7})
Von einem engagierten Verkehrsminister hätte ich erwartet, dass er Vorkämpfer für eine bedarfsgerechte Finanzierung des Nahverkehrs ist. Stattdessen trägt er die Verantwortung dafür, dass derzeit eine Hängepartie zulasten
der Bürgerinnen und Bürger, die auf einen attraktiven
Nahverkehr angewiesen sind, stattfindet.
({8})
Wir bewegen uns - das finde ich schon skandalös - in
einem quasi gesetzesfreien Raum. Die Zahlungen nach
dem Regionalisierungsgesetz sind zum 31. Dezember
letzten Jahres ausgelaufen. Die Länder und Aufgabenträger fahren praktisch auf Sicht und erhalten die Mittel unter Vorbehalt. Ich finde, das ist ein untragbarer Zustand.
({9})
Das Bundesverkehrsministerium hat eigens ein Gutachten in Auftrag gegeben und ermitteln lassen, wie
hoch der Finanzbedarf für den Nahverkehr auf der
Schiene ist. In diesem Jahr liegt er mit 250 Millionen
Euro über dem, was jetzt im Gesetzentwurf steht. Entweder traut der Minister dem Gutachter nicht oder hat es
nicht genau gelesen.
Herr Staatssekretär Ferlemann, Sie haben gesagt, Sie
wüssten gar nicht, wie die Mittel verwendet werden. Ich
finde, dann sollten Sie sich beide Gutachten einmal genau ansehen. Auch im Gutachten der Länder wurden
nicht irgendwelche Fantasiezahlen aufgeschrieben,
sondern es wurde zusammengestellt, welche Beträge angesichts der bestellten Nahverkehrsleistungen fließen.
Welche Nahverkehrsleistungen wurden landauf, landab
für die Bürgerinnen und Bürger bestellt? Das wurde aufgeschrieben und ist da nachzulesen. Insofern ist völlig
klar, wo das Geld hinfließt. Sich hinzustellen und an dieser Stelle zu sagen, man wisse das alles nicht, ist doch
sehr merkwürdig.
({10})
Im Frühjahr dieses Jahres, also noch bis April, müssen die Verkehrsverbünde die Angebotsplanung für 2016
abschließen. Sie haben dabei keinerlei Planungssicherheit. Bleibt es bei den finanziellen Rahmenbedingungen
- es sieht ja danach aus -, drohen zum Jahresende Angebotskürzungen und Streckenstilllegungen. Angesichts
vieler voller Nahverkehrszüge in den Ballungsräumen
brauchen wir genau das Gegenteil!
Kollege Kühn, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich komme zum Schluss. - Ich finde es schon bemerkenswert, wie die Frage der Regionalisierungsmittel, die
im Zuge der Bahnreform beschlossen wurden, und die
Bund-Länder-Finanzbeziehungen durcheinandergebracht
werden. Offensichtlich sollen die Regionalisierungsmittel
wie auf einem arabischen Basar mit anderen Fragen der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen Verhandlungsmasse sein.
Ich finde das untragbar. Sie lassen die Fahrgäste damit
im Regen stehen.
Stephan Kühn ({0})
({1})
Zum Abschluss möchte ich noch etwas sagen.
Kollege Kühn, das funktioniert jetzt nicht mehr. Das
Minuszeichen zeigt tatsächlich schon die Differenz an.
({0})
Sie müssen jetzt einen Punkt setzen.
Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Ich halte es
für richtig, dass wir über Transparenz bei der Mittelvergabe sowie über Benchmarks mit Blick auf die Aufgabenträger und die Länder reden, damit wir sicherstellen
können, dass die verkehrspolitischen Ziele erreicht werden. Das müssen wir einfordern. Da sind wir gemeinsam
an der Sache dran.
Vielen Dank.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Ulrich
Lange das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Kühn, „skandalös“, „Horrorszenario“,
„abbestellen“, „Streckenstilllegungen“ - seien Sie doch
einmal ganz ehrlich, und das haben Sie auch selbst gesagt: Regionalisierungsmittel für den Schienenpersonennahverkehr, über die wir hier reden, sind das Erfolgsmodell der Bahnreform von vor 20 Jahren.
({0})
- Das gefährden wir nicht, sondern das stabilisieren wir,
und das bauen wir in aller Ruhe aus, und zwar ohne großes Getöse und ohne Skandale. Das möchte ich in aller
Deutlichkeit gleich zu Beginn sagen.
Bringen wir es doch einmal auf den Punkt. Wovon
konnten denn die Länder ausgehen für 2015? Sie konnten von nicht mehr ausgehen als von einer Dynamisierung um 1,5 Prozent, das heißt um 109 Millionen Euro.
Wer das als Spatzendreck oder Kleinsumme bezeichnet
oder sagt, das helfe nicht weiter, dem kann ich nur sagen: Das ist überheblich.
Ich meine nicht, dass es seriös ist, zu verhandeln, indem man sich in Kiel zusammensetzt und einen Vertrag
zulasten Dritter, nämlich zulasten des Bundes, schließt
und sagt: 8,5 Milliarden Euro. Obendrauf packen wir
noch die komplette Risikoübernahme in der Dynamisierung. - So einfach funktioniert das Ganze nicht.
({1})
Klar ist: Im Vorfeld wurde viel diskutiert. Wir haben
jetzt - ich sage das als Verkehrspolitiker ausdrücklich temporär für 2015 die Dynamisierung auf den Weg gebracht, weil wir wissen - wir sind Verkehrspolitiker -,
dass wir den Ländern natürlich Planungssicherheit geben
müssen, wobei die Planungssicherheit für 2015 nicht in
mehr bestehen konnte als in den zusätzlichen 109 Millionen Euro. Auch das gehört einfach zur Wahrheit.
({2})
Wir müssen - da sind wir uns in der Großen Koalition
einig - in den Bund-Länder-Verhandlungen zügig zu einem Ergebnis kommen. Ich hoffe, dass wir das bis zum
Sommer erreichen werden, damit ab 2016 Planungssicherheit für einen längeren Zeitraum besteht. Dabei lasse
ich einmal völlig offen, wie das Modell ausgestaltet ist,
ob es so sein wird wie das, was Staatssekretär Ferlemann
hier in den Raum gestellt hat.
Eines ist auf jeden Fall klar, lieber Kollege Kühn: Wir
verhandeln seriös und nicht auf einem türkischen Basar.
({3})
Ich verwahre mich gegen diese Form, hier Dinge in den
Raum zu stellen.
Die Länder wissen das ganz genau. Das zeigt auch
das Gutachten des Bundes, das den Finger ganz klar in
die Wunde gelegt hat. Wir brauchen Transparenz bei der
Mittelverwendung; denn jedes Land geht dabei anders
vor. Da muss man zunächst einmal die Darstellungsweisen anpassen. Da muss man erst einmal plausibilisieren
und harmonisieren.
({4})
Da muss man schauen, ob in den einzelnen Ländern
Fahrzeuginvestitionen hineingerechnet worden sind oder
nicht enthalten sind. Da gibt es also ganz viele Punkte,
die man als Verkehrspolitiker ganz seriös und ganz unaufgeregt in diesem Zusammenhang diskutieren sollte
und muss. Genau das werden wir tun.
({5})
Das bedeutet: Wenn wir als Bund jährlich mehr als
7 Milliarden Euro an die Länder zahlen, brauchen wir
völlige Transparenz, eine einheitliche Systematik, ein
einheitliches Berichtswesen und die Vergleichbarkeit
von Standards.
({6})
Nur so können wir sicherstellen, dass die Mittel
zweckgerichtet beim Schienenpersonennahverkehr ankommen. Das wollen wir. Wir konzentrieren uns auf
eine langfristige Lösung und auf ein tragfähiges Zukunftsmodell für die Regionalisierungsmittel.
Der Gesetzentwurf, den wir jetzt, 2015, verabschieden, ist temporär gedacht. Damit konnten und durften
die Länder rechnen. Dies bedeutet Planungssicherheit im
Jahre 2015.
({7})
Eine neue Planungssicherheit für die Jahre 2016 und folgende wollen und werden wir in diesem Jahr herstellen,
und zwar in aller Ruhe und unter Gewährleistung der
notwendigen Transparenz für den Bund.
Herzlichen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes.
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4164, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/3785 und 18/3993 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung durch die Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4205. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Keul, Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Siebten Gesetzes zur Änderung der
Verwaltungsgerichtsordnung zum besseren
Rechtsschutz bei behördlich geheim gehaltenen Informationen
Drucksache 18/3921
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
({1})
- Offensichtlich gibt es hier einen größeren Schichtwechsel in den Fraktionen und Unruhe auf der Regierungsbank - das wird hier richtig angemerkt -, und zwar
nicht in der zweiten Reihe. Herr Staatssekretär, es ist immer die Frage, in welcher Lautstärke und an welcher
Stelle sich der Humor Bahn bricht.
({2})
Da nun alle Kolleginnen und Kollegen, die an dieser
Debatte teilhaben wollen, ihren Platz gefunden haben,
eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf
zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vor, der
sich - ich gebe es zu - sehr rechtstechnisch liest, aber ein
spannendes rechtsstaatliches Problem behandelt. Mein
Anliegen ist, Ihnen das jetzt in vier Minuten zu vermitteln.
({0})
Die Verwaltungsgerichtbarkeit ist das Markenzeichen eines demokratischen Rechtsstaates. Warum? Weil
in einem Rechtsstaat jeder staatliche Eingriff in die
Rechte des Einzelnen nicht nur eine Rechtsgrundlage
braucht, sondern auch gerichtlich überprüfbar sein muss.
Vor den Verwaltungsgerichten suchen die Bürgerinnen
und Bürger also Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen
des Staates.
Damit die Gerichte richtige Entscheidungen treffen,
sind die Behörden nach § 99 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung verpflichtet, dem Gericht relevante Urkunden und Akten vorzulegen. Das Gericht muss die
Akten der Behörden kennen, um zu beurteilen, ob der
Rechtsuchende in seinen Rechten verletzt worden ist.
Eine von den Betroffenen akzeptierte Sachentscheidung
ist ohne Sachverhaltsaufklärung des Gerichtes undenkbar - sollte man zumindest meinen.
Diese Selbstverständlichkeit wird durch Satz 2 in
§ 99 Absatz 1 VwGO allerdings schon wieder infrage
gestellt. Demnach kann die Behörde die Herausgabe verweigern, wenn es sich um geheimhaltungsbedürftige Informationen handelt und das Staatswohl oder die Rechte
Dritter durch das Bekanntwerden gefährdet sein könnten. In diesem Fall bleiben die in Rede stehenden Akten
dem Verfahren und der Kenntnis des Gerichts der Hauptsache entzogen.
Um zu klären, ob die Zurückhaltung der Unterlagen
wirklich gerechtfertigt ist, gibt es die Möglichkeit eines
Zwischenverfahrens nach § 99 Absatz 2 VwGO vor dem
nächsthöheren Gericht, also dem Oberverwaltungsgericht oder dem Bundesverwaltungsgericht. In diesem
nichtöffentlichen Zwischenverfahren wird lediglich geprüft, ob die infragestehenden Akten tatsächlich geheimhaltungsbedürftig sind. Wird dies bejaht, weiß man also
immer noch nicht, ob die Behörde rechtmäßig gehandelt
hat.
Trotzdem muss das Gericht der Hauptsache irgendeine Entscheidung treffen, ohne dass es die entscheidungsrelevanten Unterlagen dazu jemals zu Gesicht bekommen hat. Wie aber soll ein Verwaltungsgericht
beurteilen, ob zum Beispiel eine Überwachungsmaßnahme durch den Verfassungsschutz rechtmäßig ist,
wenn ihm die Informationen dazu vorenthalten werden?
Das ist eine kaum zu ertragende Einschränkung des
Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz.
({1})
Bisher wird dieser Zustand rechtspolitisch damit gerechtfertigt, dass man dem Kläger sonst rechtliches Gehör gewähren müsste - das hätte ich jetzt auch gerne
vom Staatssekretär ({2})
und dies wiederum nicht mit der Geheimhaltung in Einklang gebracht werden könne. Es überzeugt mich aber
wenig, wenn zwei Bürgerrechte so gegeneinander ausgespielt werden, dass dem Rechtsuchenden am Ende beide
Rechte verwehrt werden.
Wir sollten es Klägern künftig ermöglichen, auf ihren
Antrag hin auch geheime Akten von den Gerichten der
Hauptsache überprüfen zu lassen. Wegen des Geheimschutzes würde dann zwar immer noch kein vollständiges rechtliches Gehör gewährt, aber in bestimmten Konstellationen kann dies für die Kläger die einzige
Möglichkeit sein, effektiven Rechtsschutz zu erlangen.
Wir schlagen daher in unserem Gesetzentwurf vor, dass
dasselbe Gericht, das in der Hauptsache über das Anliegen des Bürgers entscheidet, auch die als geheim eingestuften Unterlagen prüft und auf Wunsch des Klägers bei
der Entscheidung berücksichtigt.
({3})
Ein solches In-camera-Verfahren vor den Gerichten
der Hauptsache soll dem Kläger jedoch nicht aufgezwungen werden. Er soll vielmehr entscheiden können,
ob das Gericht die geheimen Informationen berücksichtigen soll oder ob es eine reine Beweislastentscheidung
treffen soll, wie es heute zwangsläufig der Fall ist.
Letztlich ist klar: Treffen staatliche oder private Geheimhaltungsinteressen auf das Rechtsschutzinteresse
eines Betroffenen, wird man den Interessenkonflikt nie
völlig auflösen können. Man kann aber das Verfahren so
gestalten, dass beide Seiten möglichst ausgewogen berücksichtigt werden. Die bisherige Lösung belastet den
Rechtsuchenden mehr als erforderlich, indem sie ihm
nicht nur rechtliches Gehör, sondern gleich auch noch
effektiven Rechtsschutz verweigert und das Gericht zu
einer Beweislastentscheidung zwingt.
Diesen unbefriedigenden Zustand wollen wir mit unserem Vorschlag beenden. Ich hoffe auf eine sachliche
und spannende Ausschussberatung.
Vielen Dank.
({4})
Der Kollege Dietrich Monstadt hat für die Fraktion
der CDU/CSU das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute in erster Lesung über einen von den
Bündnisgrünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung; Frau
Keul, Sie haben den Gesetzentwurf vorgestellt. Hiermit
soll angeblich eine Verbesserung des Rechtsschutzes bei
behördlich geheim gehaltenen Informationen erreicht
werden.
Ausnahmsweise geht es den Antragstellern also nicht
um neue Verbote für Bürgerinnen und Bürger, sondern
um eines ihrer weiteren Lieblingsthemen, nämlich den
allmächtigen Staat, vor dem man die Bürgerinnen und
Bürger besser schützen müsse. Frau Keul, eigentlich
müssten Sie es doch besser wissen.
Schauen wir uns die Fakten an. Bereits im Jahre 1999
hat das Bundesverfassungsgericht den damaligen Gesetzgebern aufgegeben, die Regelungen zur behördlichen Aktenvorlage neu zu fassen. Dabei rügte das Bundesverfassungsgericht vor allem die Einschränkung des
Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19
Absatz 4 Grundgesetz. Bis dato genügte für die Auskunftsverweigerung seitens einer Behörde bereits eine
Glaubhaftmachung der in § 99 Absatz 1 Satz 1 VwGO
enthaltenen Voraussetzungen.
Angemahnt wurde in diesem Zusammenhang die Einführung eines gerichtlichen Verfahrens. In diesem sollte
die Geheimhaltungsbedürftigkeit ohne Kenntnisnahme
durch die Beteiligten oder die Öffentlichkeit bewertet
werden. Dies wurde schließlich im Jahre 2001 gesetzgeberisch umgesetzt. Zentrales Element war die Neufassung des § 99 VwGO und die darin geregelte Einführung
des sogenannten In-camera-Verfahrens; Sie haben es angesprochen. Auch wurde damals vorgesehen, dass das
Verfahren bei spezialisierten Fachsenaten an den OVGs
bzw. beim Bundesverwaltungsgericht angesiedelt werden musste.
Wie wir alle wissen, waren damals die Bündnisgrünen selbst in Regierungsverantwortung und somit entsprechend in die Neufassung des § 99 VwGO eingebunden.
({0})
Jetzt, in der Opposition, sollen die damaligen Abwägungen auf einmal nichts mehr wert sein.
({1})
Im Grunde sagen Sie aber selbst, dass Ihr Gesetzentwurf
überflüssig ist.
({2})
Tatsächlich fordern Sie als Alternative in Ihrer Vorlage - ich darf zitieren - die „Beibehaltung des derzeitigen Zustands bis zu einer verfassungsgerichtlichen Klarstellung“. Von daher sei es mir erlaubt, auf die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
14. März 2006 hinzuweisen. Auch wenn es die Anwendung der neuen Regelung mit bestimmten Maßgaben
versehen hat, wurde die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz aber im Ergebnis bestätigt. Das bedeutet, meine Damen und Herren Antragsteller: Selbst nach Ihrer eigenen
Argumentation ist keine Änderung erforderlich.
Darüber hinaus ist grundsätzlich festzuhalten, dass
sich das Verfahren seit nunmehr 14 Jahren auch im Rahmen der praktischen Konkordanz bewährt hat. Das heißt,
es findet ein angemessener Ausgleich kollidierender verfassungsrechtlich relevanter Schutzgüter statt. Dies wird
zumindest mit Blick auf die bipolaren Streitfälle sogar
explizit im vorliegenden Gesetzentwurf herausgearbeitet
und bestätigt.
Die Rechtsschutzabwägung bei multipolaren Konstellationen ist naturgemäß etwas komplexer. Völlig zu
Recht stellt Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz hohe Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz. Wenn
man diese Abwägung, wie Sie es fordern, ins Hauptsacheverfahren verlagert, dann muss man auch die dadurch
entstehenden Nachteile betrachten.
Erstens wird dies massive Einschränkungen der Beteiligungsrechte zum Beispiel bei der Akteneinsicht bedeuten müssen. Zweitens wird es die Richter im Hauptverfahren in arge Bedrängnis bringen. Sie müssten
immer und stets die volle Verantwortung dafür tragen,
dass von ihnen als geheim eingestufte Informationen auf
keinen Fall nach außen dringen. Dies schließt unter Umständen die Ausgestaltung der Urteilsbegründung sowie
die Entscheidung als solche mit ein.
Letztlich kann drittens bei einer derartigen Gestaltung
nicht sichergestellt werden, dass es gerade bei komplex
ausgestalteten Beteiligungs- und Einsichtsrechten nicht
doch zu einer Offenlegung geheim zu haltender Informationen kommt. Dies könnte potenziell auch Haftungsansprüche begründen.
({3})
Wie Sie sehen, meine Damen und Herren, würden
deutlich mehr Probleme geschaffen und eben keine Verbesserungen erreicht. Darüber hinaus wissen wir auch
aus der Praxis, dass sich die Richter im Zwischenverfahren ihre Arbeit alles andere als leicht machen. Auch das
darf ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen.
Das bedeutet im Ergebnis, dass die Hürden für das
Zurückhalten potenziell relevanter Informationen oder
Akten stets hoch sind. Nicht zuletzt stehen dafür auch
die Regelungen im Informationsfreiheitsgesetz. Das
führt letztlich dazu, dass wir keinen praktischen Mehrwert erkennen können und Ihren Gesetzentwurf ablehnen werden.
Herzlichen Dank.
({4})
Die Kollegin Ulla Jelpke hat für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in
der Tat ein unverzichtbarer Grundsatz eines Rechtsstaates, dass jede Bürgerin und jeder Bürger Anspruch auf
effektiven Rechtsschutz hat. Dieser Grundsatz wird ganz
offensichtlich durch Behördenentscheidungen verletzt,
denen geheime Informationen zugrunde liegen, die nicht
einmal ein Gericht einsehen darf. Wir haben hier also ein
rechtsstaatliches Problem, und die Linke begrüßt diese
Debatte und jeden Versuch, dieses Problem zu lösen.
({0})
Die Frage ist - das muss man weiter diskutieren -, ob
der Ansatz der Grünen der richtige ist.
Gerichtsentscheidungen müssen nachvollziehbar und
transparent sein. Das ist klar. Es muss für alle Beteiligten
deutlich sein, aufgrund welcher Information ein Gericht
zu seiner Entscheidung kam. Diese Informationen müssen auch den Klägern vorliegen. Das ist in der Praxis leider nicht immer der Fall. Ich will das gerne einmal an
meiner eigenen Person deutlich machen.
Die Behörde - der Verfassungsschutz - hat mich früher bespitzelt, wie viele Abgeordnete meiner Fraktion.
Aber sie hat weder mir noch dem Verwaltungsgericht
Köln, bei dem ich Klage eingereicht habe, sämtliche Unterlagen zur Verfügung gestellt.
({1})
- Hören Sie erst einmal zu, Herr Kollege. - Stattdessen
wurde ein sogenanntes In-camera-Verfahren eingeführt;
das heißt, ein anderes Gericht hat darüber befunden, welche Informationen an das Verwaltungsgericht gehen.
Weder ich noch mein Anwalt noch das Verwaltungsgericht konnten diese Entscheidung im Detail nachvollzieUlla Jelpke
hen. Das ist meines Erachtens ganz klar ein Mangel, der
abgestellt gehört.
({2})
Aus unserer Sicht darf für behördliche Geheimniskrämerei in einer Demokratie kein Platz sein.
({3})
Etwas anders verhält es sich unter Umständen, wenn
Berufs- oder Geschäftsgeheimnisse einzelner Bürger
oder Bürgerinnen in ein Gerichtsverfahren eingebracht
und damit öffentlich gemacht werden. Das ist nicht unbedingt in jedem Einzelfall angemessen. Hier kann ein
In-camera-Verfahren ein Instrument sein, um die Beeinträchtigung rechtsstaatlicher Grundsätze zumindest im
vertretbaren Rahmen zu halten.
Was ich aber überhaupt nicht für eine gute Idee halte,
ist folgender Vorschlag der Grünen: Auf Wunsch der
Kläger sollen künftig die angerufenen Gerichte selbst die
geheimen Dokumente einsehen können. Das Gericht soll
sie aber weiterhin den Prozessbeteiligten vorenthalten.
Es soll dann auf dieser Grundlage ein Urteil fällen, in
dem es jeden Hinweis auf den Inhalt der fraglichen Dokumente unterlässt. Das läuft darauf hinaus, einen
rechtsstaatlichen Makel durch die Einführung eines anderen Makels abzumildern, oder - drastischer gesagt -:
Kläger können zwischen Pest und Cholera entscheiden.
Denn mit dem Anspruch auf Transparenz der gerichtlichen Entscheidungen ist der Grünen-Vorschlag hierzu
überhaupt nicht vereinbar. Man wüsste am Ende immer
noch nicht, wie das Gericht zu seiner Entscheidung gekommen ist. Beweisaufnahme und Urteilsbegründung
werden so zur Blackbox. Deswegen sagen wir ganz klar:
Lassen Sie uns diese Debatte im Ausschuss führen. Das
Problem ist von den Grünen zu Recht angesprochen
worden. Ob die Lösung die richtige ist, darüber werden
wir gerne weiter diskutieren.
Ich danke.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Christina Jantz für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 20 Jahre
ist es her, dass dieses Haus durch das Sechste Gesetz zur
Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer
Gesetze eine erhebliche Entlastung der Oberverwaltungsgerichte herbeiführen konnte. 1999 hat das Bundesverfassungsgericht dann verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich von Teilen des damaligen § 99 der
Verwaltungsgerichtsordnung ausgesprochen; mein Kollege Herr Monstadt hat dies angesprochen. Denn, so das
Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung, ein
effektiver Rechtsschutz könne nicht gewährleistet werden, wenn eine Aktenvorlage in den Fällen generell ausgeschlossen werde, in denen die Kenntnis der Verwaltungsvorgänge von maßgeblicher Bedeutung für das
Verfahren sei.
Dies nahm die damalige rot-grüne Regierung zum
Anlass - auch das ist angesprochen worden -, zu handeln. Unter maßgeblichem Einsatz des Rechtsausschusses mit meinem Genossen, dem ehemaligen Abgeordneten Alfred Hartenbach, aber auch mit dem Kollegen
Volker Beck von den Grünen wurde daher die nun geltende Grundlage für eine verfassungskonforme Verwaltungsgerichtsordnung gelegt.
Durch das daraufhin eingeführte sogenannte In-camera-Verfahren, um das es heute maßgeblich geht,
konnte seitdem in einem Zwischenverfahren die Überprüfung der Entscheidung, ob und in welchem Maße
vorher durch Behörden als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Unterlagen in das Hauptsacheverfahren einbezogen werden können, herbeigeführt werden. Dazu wurden eigene Spruchkammern eingerichtet.
Auch in seinen letzten Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht § 99 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht beanstandet. Dennoch heißt es im vorliegenden Gesetzentwurf, dass diese Regelung rechtsstaatlich
bedenklich sei. Auch wenn Sie einräumen, unter den jetzigen Bedingungen könnten bipolare Streitverhältnisse
in Prozessen von Bürgern gegen den Staat zwar rechtsstaatlich hinnehmbare Ergebnisse zustande bringen,
käme es bei mehrpoligen Verfahren zu Konflikten.
Grund hierfür soll aus Ihrer Sicht sein, dass in bestimmten Konstellationen keine zufriedenstellende Lösung
herbeigeführt werden könne, wie es insgesamt schwammig formuliert wird.
Die von Ihnen im Gesetzentwurf angesprochene Sonderregelung des Telekommunikationsgesetzes ist auf die
Bewältigung multipolarer Rechtsgüterkonflikte zugeschnitten, wie sie sich bei der Entgeltkontrolle im Telekommunikationsrecht ergeben, und zudem europarechtlich beeinflusst. Eine Verallgemeinerung dieser
Regelung, insbesondere ihre Anwendung auf bipolare
Konfliktlagen, kommt meines Erachtens daher nicht in
Betracht.
Sofern als Hintergrund der vorgeschlagenen Gesetzesänderung von Datenspeicherungen Betroffene im gerichtlichen Verfahren bessergestellt werden sollen, finde
ich den vor einiger Zeit durch das Land Niedersachsen
angestoßenen Reformvorschlag deutlich zielführender.
Hier wird vorgeschlagen, dass im Zwischenverfahren
auch die Frage der Rechtmäßigkeit gespeicherter Daten
geprüft werden kann. Dadurch könnte aus meiner Sicht
das dann gewünschte Ziel eher erreicht werden.
Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf
soll § 99 Verwaltungsgerichtsordnung geändert werden,
der, wie bereits ausgeführt - dennoch möchte ich das an
dieser Stelle noch einmal deutlich machen -, wiederholt
das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat und nicht
beanstandet wurde.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Regelungsmaterie, mit der wir es hier zu tun haben, äußerst sensibel
ist, da zwischen Geheimhaltungsschutz auf der einen
Seite und den grundgesetzlichen Garantien des effektiven Rechtsschutzes sowie des rechtlichen Gehörs auf der
anderen Seite ein Spannungsverhältnis besteht. Bei einer
solchen Ausgangslage sollten wir Gesetzesänderungen
nur in Betracht ziehen, wenn dafür nachweisbar ein Bedürfnis besteht.
({0})
Ihr Papier führt diesen Nachweis nicht. Auch sind mir
aktuell keine Probleme aus der Praxis bekannt.
({1})
Dennoch zurück zu Ihrem Antrag. Besonders problematisch erscheint mir, dass die Durchführung eines Incamera-Hauptsacheverfahrens nur durch den Kläger,
nicht aber durch andere Beteiligte beantragt werden
kann. Diese einseitige Ausgestaltung dürfte dann sachlich nicht gerechtfertigt sein, wenn die geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge beispielsweise nicht der beklagten
Behörde zugeordnet werden können.
Bedenklich ist außerdem die vorgesehene Verwertung
der geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge durch das Gericht der Hauptsache bei gleichzeitigem Ausschluss des
Akteneinsichtsrechts und bei Einschränkung der Begründungspflicht sowie des rechtlichen Gehörs. Diese
beantragten Maßnahmen führen dazu, dass sich die Beteiligten am Ende des Verfahrens mit einer Entscheidung
des Gerichts konfrontiert sehen, die unschlüssig bzw.
nicht nachvollziehbar ist; das wurde hier schon angesprochen. Damit würde natürlich keineswegs die Akzeptanz der Entscheidung gefördert werden, wie Sie es hingegen behaupten.
Die als Ausgleich geforderte Einführung eines neuen
Berufungszulassungsgrundes ist nicht geeignet, hier für
die nötige Abhilfe zu sorgen; denn logischerweise muss
auch die nächste Instanz aus Gründen des Geheimhaltungsschutzes bei einem für die Beteiligten geheimen
und intransparenten Verfahren bleiben. Auch hier würde
das Urteil zu voraussichtlich maßgeblichen Fragen keine
Begründung liefern können.
Zudem möchte ich deutlich machen, dass ich die bisherige Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte bzw.
des Bundesverwaltungsgerichts aus sicherheitsrechtlichen Gesichtspunkten als kluge Entscheidung des Gesetzgebers betrachte
({2})
und sie für verfassungsrechtlich mindestens sinnvoll
halte.
({3})
Auch scheint fraglich, ob die Verwaltungsgerichte in
gleichem Maße wie die nach geltendem Recht zuständigen Fachsenate der OVGs, der VGHs und des Bundesverwaltungsgerichts die Einhaltung der Anforderungen
des materiellen und personellen Geheimschutzes gewährleisten könnten.
Ich denke, ich habe die Fragen, die Problemstellungen und die Kritik im Hinblick auf Ihren Gesetzentwurf
hinreichend deutlich gemacht, den wir aus den genannten Gründen ablehnen müssen.
Herzlichen Dank.
({4})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege
Alexander Hoffmann das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Besserer Rechtsschutz bei behördlich
geheim gehaltenen Informationen - so ist Ihr Gesetzentwurf überschrieben. Damit klingt er gut. Ich darf vorweg
sagen: Diese Zielrichtung eint uns, denke ich, alle; denn
wer von uns will keinen guten Rechtsschutz für unsere
Bürgerinnen und Bürger.
({0})
Die entscheidende Frage ist aber, ob der Gesetzentwurf
im Vergleich zur aktuellen Situation tatsächlich eine Verbesserung bringt. Um das entscheiden zu können,
möchte ich mich kurz mit der aktuellen Rechtslage und
der aktuellen Praxis - ich denke, das ist ganz wichtig bei den Gerichten auseinandersetzen.
Der Grundsatz - das ist vorhin schon angesprochen
worden - ist in § 99 Absatz 1 Satz 1 VwGO geregelt.
Danach haben Behörden in verwaltungsgerichtlichen
Verfahren eine umfassende Vorlagepflicht für Unterlagen und Akten sowie auch eine umfassende Auskunftspflicht. Die Ausnahme ist in Satz 2 geregelt. Die Behörde darf die Vorlage verweigern, wenn es durch diese
zu Nachteilen für den Bund oder ein Land kommt oder
wenn Informationen von Gesetzes wegen oder ihrem
Wesen nach geheim zu halten sind. Die Rechtsfolge
- auch das ist, denke ich, wichtig - ist, dass die oberste
Aufsichtsbehörde dann die Vorlage verweigern kann. Es
ist also eine Ermessensentscheidung, keine gebundene
Entscheidung. Früher genügte hier die Glaubhaftmachung dieser Umstände. Nach einer Bundesverfassungsgerichtsentscheidung aus dem Jahr 1999 musste eine
Rechtsänderung vollzogen werden; das ist angesprochen
worden. Heute ist diese Entscheidung der obersten Aufsichtsbehörde mit dem sogenannten In-camera-Verfahren überprüfbar. Das ist also ein externer Spruchkörper,
angesiedelt bei den Oberverwaltungsgerichten oder beim
Bundesverwaltungsgericht. Diese Gerichte entscheiden,
ob die Gründe für die Verweigerung der Vorlage tragfähig gewesen sind. Das Ziel ist relativ offensichtlich. Es
soll vermieden werden, dass geheim zu haltende InforAlexander Hoffmann
mationen so in das Hauptsacheverfahren eingetragen
werden.
Aber zurück zum Maßstab. Die Vorlage kann verweigert werden, wenn die Offenlegung Nachteile für den
Bund oder ein Land bedeuten würde oder wenn die Informationen von Gesetzes wegen oder ihrem Wesen
nach geheim zu halten sind. Ob das der Fall ist, meine
Damen und Herren - das ist vorhin beim Kollegen
Monstadt schon angeklungen -, wird im Wege der verfassungskonformen Auslegung heute über die praktische
Konkordanz entschieden. Es werden also die widerstreitenden Interessen - das Informationsinteresse der Beteiligten, des Klägers und der Beklagten - sowie das Aufklärungsinteresse bzw. das Geheimhaltungsinteresse der
dritten Person - vielleicht auch eines Privaten - gegenübergestellt. Dann müssen diese widerstreitenden Interessen zu einem verfassungskonformen Ausgleich gebracht werden.
In der Praxis bedeutet dies: Je höher die Bedeutung
der Information für den Prozess, auch für die Entscheidung und die Aufklärung ist, desto höher sind die Anforderungen an die Verweigerung. Das heißt also, wenn die
Einholung der verweigerten Information für die vollständige Beweiswürdigung im Verfahren quasi unverzichtbar ist, muss es schon gravierende Gründe geben, die gegen eine Offenlegung sprechen. Es muss sich um
Rechtsgüter von erheblichem Rang handeln. Damit,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eines sichergestellt:
Es wird auch die Frage berücksichtigt, ob es andere ausreichende Beweismittel statt dieser Information gibt. Damit ist in der Praxis dem Grunde nach der effektive
Rechtsschutz gewährleistet. Der Kollege Monstadt und
ich haben recherchiert. Uns ist nicht ein einziger Fall in
der Praxis bekannt, wo das Gericht nicht richtig oder
sachgerecht hat entscheiden können, weil bestimmte Informationen aus Geheimhaltungsgründen nicht vorgelegt werden konnten.
({1})
- Kollegin Keul, Sie hatten vorhin von Beweislastentscheidungen gesprochen. Auch das hat mich nicht überzeugt, weil beim Verwaltungsgericht bzw. im Verwaltungsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Das
heißt, es wird eben nicht nach Beweislast entschieden,
sondern das Gericht muss entscheiden, ob die Sachlage
so ausreichend ermittelt ist bzw. die Informationen so
zusammengetragen sind, dass ein sachgerechtes Urteil
gefällt werden kann.
({2})
Am Ende noch eine Anmerkung: Ihre Idee - dabei
geht es um dieses In-camera-Hauptsacheverfahren; so
will ich es einmal nennen - würde in der Konsequenz
dazu führen, dass der Richter die geheime Information
im Hinterkopf hat.
Das würde quasi bedeuten - schließlich ist der Richter
auch nur ein Mensch -, dass die Information in das Verfahren getragen wird. Der Richter würde die Entscheidung bzw. das Urteil unter Umständen in dem Wissen
über diese Information fällen. Dann hätten wir tatsächlich ein verfassungsrechtliches Problem hinsichtlich des
Anspruchs auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz, weil weder der Kläger noch der Beklagte zu diesen Informationen etwas sagen könnten, geschweige
denn wüssten, um welche Informationen es sich handelt.
Deswegen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/3921 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. September
2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Philippinen über Soziale Sicherheit
Drucksache 18/4048
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0})
Drucksache 18/4216
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4216, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/4048 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist auch in dritter Beratung mit den Stimmen des
gesamten Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller ({1}), Ulla Jelpke, Sigrid Hupach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
1) Anlage 5
Vizepräsidentin Petra Pau
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit
einer starken Jugendhilfe aufnehmen
Drucksache 18/4185
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Norbert Müller für die Fraktion Die Linke.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen, die Sie zu so später Stunde hier sind! Ich
glaube, wir sollten zunächst dem Bundesrat dafür danken, dass er im Oktober 2014 die Debatte über die Frage,
wie wir mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen,
deren Zahl deutlich zunimmt, umgehen wollen - diese
Debatte wurde in der Fachöffentlichkeit damals längst
geführt -, aufgegriffen und in die breite Öffentlichkeit
gebracht hat. Für uns sollten aber die Verteilung der
Flüchtlinge nach festen Quoten und die finanziellen Aspekte, die dahinterstehen, nicht entscheidend sein. Für
uns sollte vielmehr die Frage entscheidend sein, wie wir
mit diesen jungen Menschen umgehen wollen.
({0})
Wir stellen fest, dass wir schätzungsweise 14 000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben und eine unbekannte Zahl von Flüchtlingen, die unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sein könnten, die aber durch die
Altersfeststellung künstlich älter gemacht werden - mit
steigender Tendenz. Von dieser Feststellung sollten wir
die zentrale Frage ableiten: Reden wir hier über Kosten,
oder reden wir hier über Menschen? Weil wir über junge
Menschen reden, für die sowohl die UN-Kinderrechtskonvention als auch das Grundgesetz gelten, hat das
Kindeswohl Vorrang. Der deutsche Begriff „Kindeswohl“ wird in der UN-Kinderrechtskonvention definiert
als „best interests of the child“.
({1})
Die Sicherung der Würde der betroffenen Kinder und Jugendlichen und ihre körperliche Unversehrtheit sollten
wir ebenfalls in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen
rücken.
Das Spiel, das gerade in der Bundesregierung gespielt
wird, lässt erahnen, dass uns Böses bevorsteht, wenn ein
Umverteilungsgesetz auf den Weg gebracht wird. Wir
kennen die Ausführungen von Ministerin Schwesig und
die Ausführungen ihrer Parlamentarischen Staatssekretärin Caren Marks, die jetzt leider nicht anwesend ist, aus
dem Ausschuss. Sie haben deutlich gemacht, welche
Differenzen es diesbezüglich in der Bundesregierung
gibt. Wenn wir den Ausführungen seitens der SPD-Fraktion, ihrer Ministerin und Caren Marks Glauben schenken dürfen, hätten wir im Haus eine deutliche Mehrheit
von SPD, Grünen und Linken, die den Gedanken des
Kindeswohls an die zentrale Stelle setzten. Ich möchte
das anhand von fünf Punkten aus unserem Antrag ausführen, damit Sie mir folgen können.
Erstens. Ich glaube, wir könnten uns darauf einigen
- das habe ich bereits gesagt -, dass das Kindeswohl
Vorrang vor allen weiteren Entscheidungen hat.
({2})
Zweitens. Ich glaube - hier sind wir uns einig, auch
wenn ich die Debatte in der Kinderkommission aus dieser Woche reflektiere -, dass wir deutschlandweit standardisierte Clearingverfahren und eine flexible Aufnahmephase brauchen, in der geklärt wird, was mit dem
Kind, mit dem Jugendlichen passieren soll, und dass wir
eine frühzeitige Vormundschaftsbestellung benötigen,
damit es einen Rechtsansprechpartner gibt und die streckenweise sehr wüsten Verfahren einer Ordnung zugeführt werden.
({3})
Drittens. Wir wollen die abenteuerlichen Zustände bei
der Altersfeststellung beenden. Es gab gerade eine Dokumentation in der ARD dazu. In Hamburg werden allein zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen, die sich
als minderjährig zu erkennen geben, durch Altersfeststellungsverfahren - häufig medizinische Altersfeststellungsverfahren - künstlich älter gemacht. Wir können
vielleicht später in der Debatte darauf eingehen, was das
konkret bedeutet.
Viertens. Wir wollen die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Einrichtungen der
Kinder- und Jugendhilfe, nicht in irgendwelchen Heimen
und nicht in den Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber.
Fünftens. Wir wollen keine Verteilung nach starren
Quoten, weil dies letzten Endes gegen das Kindeswohl
spricht.
({4})
Stattdessen - hier sind wir mit dem Bundesrat einer
Meinung - fordern wir die Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe auch aus Bundesmitteln. Wir fordern eine stärkere Beteiligung des Bundes, eine Entlastung der Kommunen und der Länder. Das hat übrigens das Bundesland
Bayern, das den Beschluss des Bundesrates hierüber beantragt hat, genauso gesehen. Herr Lehrieder, Sie sehen
so aufmerksam aus. Frau Staatsministerin Müller aus
Bayern hat im Bundesrat - das ist der einhellige Beschluss - ein bundesweites Verteilungsverfahren beantragt. Der Beschluss hat zwei Komponenten - ich zitiere -:
„die finanzielle Unterstützung der Kommunen und der
Länder durch den Bund“. Genau das wollen wir auch.
({5})
Wir wollen eine Umverteilung der Kosten zwischen
den Ländern, eine Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, einen Lastenausgleich, bevor es zu
starren Verteilungen kommt. In diesem Punkt sind wir
Norbert Müller ({6})
uns einig. Ich hoffe, dass wir in diesem Hause eine politische Mehrheit dafür finden.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Herr Müller, zwei Vorbemerkungen: Erstens. Machen Sie sich mal keine Sorgen! Diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen werden gemeinsam in den nächsten Wochen und Monaten
Lösungen erarbeiten, um diese Herausforderungen zu
meistern.
({0})
Zweitens. Sie haben viele Dinge angesprochen, über
die wir tatsächlich diskutieren können. Sie haben aber
auch vieles angesprochen, was Rechtslage ist. Natürlich
steht das Kindeswohl an erster Stelle - das ist unbestritten -, weil es Rechtslage ist. Deswegen sollten wir darüber diskutieren, wie wir konkret Handelsoptionen aufzeigen, um dieser besonderen Situation Herr zu werden.
Mit den Kriegen in Syrien und im Irak erkennen wir
in dramatischer Form, welche Folgewirkungen die humanitären Katastrophen auch für uns in Deutschland haben, weil der Zuzug von Flüchtlingen massiv zugenommen hat. Ich erinnere daran, dass wir im Jahr 2013 mit
Blick auf die Inobhutnahmen sechsmal so viele junge
unbegleitete Flüchtlinge hatten wie im Jahr 2008. Das
sind junge Menschen, die in ihrem Heimatland Schreckliches erlebt haben. Sie kommen verstört nach Deutschland; sie brauchen Vertrauen, Hilfe und Perspektive. Leider ist es so, dass die massiv steigende Zahl von
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen einige Kommunen vor große Herausforderungen stellt.
An dieser Stelle möchte ich sagen - jeder kann das für
seine eigene Kommune bewerten und hat dies sicher
auch schon anschaulich wahrgenommen -, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern, die
Mitarbeiter der Träger und auch diejenigen, die sich hier
freiwillig engagieren, eine hohe Motivation haben, das
Problem zu lösen. Wir sollten diesen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern ein herzliches Dankeschön sagen; nur
sie wissen, welche Schwierigkeiten sie momentan erleben.
({1})
Es gilt natürlich der Grundsatz, dass wir Flüchtlinge
aufnehmen, gerade Jugendliche und Kinder. Aber es
muss gesagt werden, dass wir - ich komme aus Hamburg; aber auch Berliner und Münchener können das in
ähnlicher Form berichten - große Probleme und auch
Verwerfungen haben. Die Motivation vieler ehrenamtlich Engagierter geht teilweise zurück, weil sich die Probleme so ballen, dass Handlungsoptionen angezeigt sind.
Wir müssen diese Situation trotz der Schwierigkeiten
schnellstmöglich politisch meistern.
Erster Punkt: Handlungsbedarf. Unbestritten ist, dass
sich die Frage stellt - da komme ich zu Ihrem Kernpunkt
zurück -, wie wir die „Lasten“ - in Anführungszeichen verteilen können; ich habe immer ein Problem damit, bei
Kindern und Jugendlichen von „Lasten“ zu sprechen.
Tatsache ist, dass Metropolen eine gewisse Anziehungskraft haben. Tatsache ist übrigens auch, dass wir uns darüber Gedanken machen müssen, wie wir damit umgehen, dass nicht nur Menschen, die vor Krieg flüchten,
nach Deutschland kommen, sondern auch die Zahl der
Zuwanderer vom Balkan oder aus ähnlichen Gebieten
zunimmt.
Herr Kollege Weinberg, gestatten Sie eine Frage oder
Bemerkung des Kollegen Müller?
Ja.
Herr Weinberg, vielen Dank, dass Sie die Frage gestatten. - Sind Sie mit mir der Meinung, dass es besonders auffällig ist, dass gerade in der Hansestadt Hamburg, die besonders viele unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge aufnimmt - da gebe ich Ihnen recht -, zwei
Drittel der betreffenden Personen abgelehnt werden,
nachdem sie als volljährig eingeschätzt wurden - überwiegend auf Grundlage eines medizinischen Einschätzungsverfahrens -, und dass dies möglicherweise vor
dem politischen Hintergrund geschieht, dass die Freie
und Hansestadt Hamburg dadurch, dass sie schlichtweg
größere Zahlen für volljährig erklärt, die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge reduzieren will?
Ihre Annahme ist eine politische Unterstellung, die
ich nicht teile. Das sage ich ganz offen.
({0})
Ich glaube nicht, dass diejenigen, die von Behördenseite
dafür verantwortlich sind, eine politische Vorgehensweise haben. Ich traue allen zu, dass sie ihren Aufgaben
nachkommen. Ich wäre mit solchen Unterstellungen sehr
vorsichtig, weil sie im Hinblick auf die Frage, wie man
mit Flüchtlingen umgeht, leicht falsch verstanden werden können.
({1})
Aber Sie haben es angesprochen: Ist es eigentlich Zufall,
dass so viele junge Menschen nach Hamburg oder Berlin, also in die Metropolen kommen? Darüber muss man
sich Gedanken machen.
Marcus Weinberg ({2})
Ich will das Thema Fluchtbiografie aufgreifen. Es ist
unsere Aufgabe - das ist der Kern der rechtsstaatlichen
Asylpolitik -, diesen Kindern Schutz zu gewähren und
ihre Situation insgesamt zu verbessern.
Jetzt komme ich noch einmal zur Frage der Verteilung, zu den sogenannten Quoten. Ja, es gibt Länder wie
Hamburg oder auch Nordrhein-Westfalen, die momentan
sehr intensiv gefordert sind. Ich finde es richtig, sich darüber Gedanken zu machen, wie man mit Blick auf den
berühmten Königsteiner Schlüssel dazu kommt, auch die
Verteilung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge zu
verändern. Es muss nicht eins zu eins der Königsteiner
Schlüssel sein; aber ich könnte mir vorstellen, dass man
sich an ihm orientiert. Dort, wo gewisse Strukturen der
Jugendhilfe bereits eine besondere Stärke haben, könnte
man möglicherweise - das müssen die Länder für sich
entscheiden und miteinander besprechen - mehr jugendliche Flüchtlinge aufnehmen, während Länder, bei denen
die Jugendhilfestrukturen noch nicht so weit sind - alle
Länder haben jedoch gewisse Strukturen; auch das muss
man deutlich sagen -, möglicherweise etwas stärker entlastet werden könnten.
Eines sage ich aber auch ganz klar: Die Verteilung auf
die Kommunen obliegt ausschließlich den Ländern. Wir
wissen, dass es viele Regionen gibt - ich kann das für
mein Bundesland Hamburg sagen -, in denen eigentlich
alle Kommunen gleich gut aufgestellt sind. Aber es gibt
auch Bundesländer, in denen es Kommunen gibt, die
sich bereits intensiv mit dem Thema der Jugendhilfestrukturen beschäftigt haben, und auch andere, in denen
das noch nicht der Fall ist. Wir sagen ganz deutlich: Ja,
über den Verteilungsschlüssel muss diskutiert werden,
müssen die Länder diskutieren.
Zweitens. Selbstverständlich - das habe ich vorhin
schon gesagt - ist das Kindeswohl entscheidend. Das ist
eine rechtliche Vorgabe, und das muss eingehalten werden, auch bei der Frage der Unterbringung etc. Natürlich
wollen wir nicht, dass hochverstörte junge Menschen
und Kinder in den großen Unterkünften untergebracht
werden. Momentan geschieht dies leider, weil die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge in Teilen so extrem ist,
dass man nicht mehr in geeigneter Form darauf reagieren
kann. Das heißt, wir müssen die Kommunen auch bei
Fortbildungen, Qualifizierungen und ähnlichen Dingen
unterstützen.
Ein weiterer Punkt. Im Sinne der Kinder muss es
klare Verfahrensstandards geben. Es darf keine langen
Wartezeiten geben. Weil die Kinder in einer besonderen
Fluchtsituation sind, müssen die familiären und freundschaftlichen Beziehungen berücksichtigt werden. Eine
Stabilisierung der jungen Menschen im Bereich der Familie ist ganz wichtig.
Wir werden uns auch um - Frau Präsidentin, ich
komme langsam zum Schluss - die Verankerung eines
Bleiberechtes während der Ausbildung kümmern. Wir
wollen den jungen Menschen über Bildung und Ausbildung eine Chance bieten. Deswegen müssen sie und
auch die Unternehmen, die sie ausbilden, eine Sicherheit
haben, dass sie in der Zeit der Ausbildung nicht abgeschoben werden. Die Länder haben bereits die Möglichkeit,
dies sicherzustellen. Wir sollten darüber nachdenken, ob
wir das unterstreichen, indem wir eine bundesgesetzliche Regelung implementieren. Ich will aber noch einmal
deutlich machen: Das ist bereits möglich, auch eine spätere Übernahme in eine Beschäftigung als Fachkraft. Ich
glaube, wir täten gut daran, hier einen Akzent zu setzen,
weil man darüber die Wirtschaft, insbesondere Unternehmen des Mittelstands, mobilisieren kann, sodass sie
bereit sind, die jungen Menschen auszubilden und ihnen
eine Chance zu bieten.
Die konsequente Anwendung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist eine Selbstverständlichkeit. Das
Thema ist nicht nur erkannt, sondern auch aufgegriffen
worden. Wir erwarten in den nächsten Wochen und Monaten einen Gesetzentwurf, der die entsprechenden Aspekte berücksichtigt. Ich bin guter Dinge, dass wir in der
Großen Koalition diese sehr wichtige und auch schwierige Aufgabe meistern werden. Warten wir also ab, bis
die Bundesregierung entsprechende Entwürfe vorlegt.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und
Zuhörer, Sie sind auch noch da. Schön, dass Sie sich
heute noch Zeit genommen haben. - 239 Fragen und
keine Antworten, das fällt mir spontan zum Thema „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ ein. 239 Fragen zu
diesem Thema haben wir Grüne vergangenen Herbst,
Anfang November, in einer Großen Anfrage an die Bundesregierung gestellt, und bis heute haben wir keine Antwort erhalten. Die Bundesregierung hat um neun Monate
Zeit für die Beantwortung gebeten. Wir finden, das ist
eine Menge Zeit; während dieser neun Monate kriegen
wir Grüne ganz viele Kinder.
({0})
Wir hoffen, dass die Antworten dann auch Hand und Fuß
haben.
Wir wollen von der Bundesregierung Auskunft über
die unterschiedlichsten Themenkomplexe, zum Beispiel
zur Einreise und Identifizierung, zum Flughafenverfahren, zur Inobhutnahme und zur Vormundschaft. Da sind
viele Fragen offen, und in der Praxis läuft vieles nicht
gut. Zu all diesen relevanten Themenfeldern haben wir
ausführlich recherchiert, was im Argen liegt, um herauszufiltern, welche Änderungen und schnellen Maßnahmen wir für dringend notwendig halten. Wir brauchen
allerdings nicht nur schnelle Maßnahmen und Änderungsankündigungen, sondern auch Taten.
({1})
Dazu haben wir landauf, landab nicht nur viele Einrichtungen, Erstaufnahmen und Asylunterkünfte besucht,
sondern auch mit vielen relevanten Organisationen, Verbänden und Menschen gesprochen, die uns bei unseren
Bemühungen unterstützt haben. Ihnen gebührt an dieser
Stelle unser herzlicher Dank.
({2})
Gerade weil die Bundesregierung sich wirklich viel
Zeit lässt - ich glaube, das kann man schon so sagen -,
und das, obwohl das Thema nicht nur topaktuell, sondern auch hochbrisant ist, finde ich es sehr schön, dass
Sie von den Linken heute den vorliegenden Antrag eingebracht haben; denn so wird das Thema im Plenum debattiert und in die Öffentlichkeit gerückt. Sehr viel von
dem, was Sie in Ihrem Antrag fordern, kann ich auch unterstützen, zum Beispiel die Verankerung des Vorrangs
des Kindeswohls in den Asylverfahren - das ist sehr
wichtig -, das umgehende Heraufsetzen des Alters für
die Verfahrensmündigkeit auf 18 Jahre - damit sollten
wir nicht mehr warten - oder die Standardisierung und
Harmonisierung der Clearingverfahren in den Ländern
auf hohem Niveau. Das sind ganz wichtige Punkte, die
Sie nennen.
Es ist wirklich schlimm, Herr Weinberg, dass die
Bundesrepublik Deutschland immer noch gegen die UNKinderrechtskonvention verstößt. Wir werden immer
wieder ermahnt. Das ist unsäglich.
({3})
Vor der Kinderkommission - Herr Müller, Sie waren da;
Frau Rüthrich, Sie haben ihn eingeladen - hat ein junger
Flüchtling aus Afghanistan sehr beeindruckend, aber
auch sehr erschütternd über seine Flucht, die Trennung
von seinen Brüdern und seine langen Zwischenaufenthalte berichtet.
Immer wenn wir mit betroffenen Menschen reden,
hören wir ähnliche Geschichten. Dieser Zustand ist unerträglich; das ist ganz klar. Wenn die jungen Menschen
hier ankommen, sind sie gezeichnet von einem langen
Leidensweg. Oft sind sie traumatisiert. Natürlich brauchen sie als Erstes Sicherheit, Ruhe und Grundversorgung. Aber das ist natürlich nicht genug. Darüber hinaus
brauchen sie auf längere Sicht Sozialpädagogen und
Psychologen, die sich um sie kümmern. Hier haben wir
ein großes Problem, und zwar aus vielerlei Gründen. Die
Jugendämter fühlen sich überlastet, und das durchaus zu
Recht; wir haben von der Problematik gehört. Therapieplätze für Kinder und Jugendliche gibt es in Deutschland
ohnehin schon zu wenig. Wenn ein Kind sechs Monate
auf einen Platz wartet, dann ist das sehr kurz. Das ist für
so junge Menschen aber eine lange Zeit. Bei jungen
Flüchtlingen sieht es noch wesentlich schlimmer aus. In
diesen Fällen haben wir auch noch das Problem, dass wir
keine Dolmetscher haben oder keine Therapeuten, die
die Sprache der Flüchtlinge sprechen. Das ist wirklich
ein riesiges Problem, das wir angehen sollten.
({4})
Wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist, dann geht das Elend
der jungen Menschen in unserem Land - das muss man
leider sagen - immer weiter. Genau deshalb fordern wir
Grüne in jeder Haushaltsberatung immer wieder mehr
Geld für die Jugendhilfe und mehr Personal.
Ich möchte zum Schluss noch etwas zur Umverteilung sagen; denn das ist ein sehr kritischer Punkt. Ich
komme aus Bayern, ich kenne das Problem: München,
Passau, Rosenheim, da kommen ganz viele Flüchtlinge
an. Die Kommunen sind irgendwie am Rand dessen, was
sie leisten können. Da wird auch sehr viel getan. Aber
ich möchte Sie wirklich daran erinnern: Wir sprechen
hier von 14 000 jungen Menschen, die noch Kinder und
Jugendliche sind. Ich möchte an Sie appellieren, dafür zu
sorgen, dass wirklich das Kindeswohl an erster Stelle
steht und die Veränderungen nicht nach Quoten vorgenommen werden, sondern eben kindgerecht.
Vielen Dank.
({5})
Die Kollegin Gülistan Yüksel hat für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich betonen, dass das Thema, über das wir
reden, zu wichtig ist, als dass wir uns in parteipolitischem Klein-Klein verlieren dürften. Wir müssen hier
alle an einem Strang ziehen. Unser Ziel als Abgeordnete
im Deutschen Bundestag und insbesondere als Mitglieder des Familienausschusses muss es sein, das Wohl der
Kinder in Deutschland zu gewährleisten,
({0})
das Wohl aller Kinder in Deutschland, egal ob sie hier
geboren wurden, zugewandert sind oder auf der Flucht
vor Krieg und Armut zu uns gekommen sind. Ich denke,
ich kann hier für alle Anwesenden sprechen, wenn ich
sage, dass wir diesen Kindern helfen müssen.
Besonders schutzbedürftig sind die unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlinge, sie kommen in großer Not
zu uns. Diese Kinder sind nicht freiwillig hier, sie sind
geflohen vor Krieg, Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung. Manche wurden vertrieben, manche sind von ihren
Eltern in der Hoffnung geschickt worden, dass den Kindern in Deutschland eine bessere Perspektive für die Zukunft geboten wird. Eltern und Kinder trennen sich dabei
niemals freiwillig; das muss uns immer bewusst sein.
Viele sind von Krieg und Terror traumatisiert und finden
sich nun allein in einem fremden Land wieder, wo sie
weder Kultur noch Sprache verstehen. Manche haben
Schlafstörungen, geraten bei lauten Geräuschen in Panik
oder sind sogar suizidgefährdet. Sie hier aufnehmen, sie
schützen und zur Ruhe kommen lassen, dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Egal wie viele kommen,
ob es hundert oder tausend sind: Es sind Kinder, die unsere Hilfe benötigen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, in
Ihrem Antrag erwähnen Sie genau die Punkte, die uns
auch wichtig sind und die wir bereits unterstrichen haben: Bestehende Missstände müssen beseitigt werden.
Das Kindeswohl hat den absoluten Vorrang in allem,
was wir unternehmen. Die besonders belasteten Kommunen und Jugendämter müssen entlastet werden.
In Abstimmung mit den Ländern sind wir nun gemeinsam gefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
den stetig steigenden Belastungen der Kommunen durch
eine bessere Verteilung der Flüchtlinge entgegenwirkt.
Auch ich bin mir der Bedenken gegenüber einer Umverteilung durchaus bewusst; aber die jetzige Situation ist
bei dem hohen Zustrom so nicht tragbar. Es entspricht
nicht dem Kindeswohl, wenn Kinder und Jugendliche
ohne ausreichendes pädagogisches Personal in überfüllten Unterkünften auf engstem Raum zusammenleben.
({2})
Wir dürfen die betroffenen Kommunen und Jugendämter
mit diesen Herausforderungen nicht alleinlassen. Deshalb würde ich mir persönlich wünschen, dass auch der
Bund finanzielle Verantwortung übernimmt.
({3})
Die Versorgung, Betreuung, Unterstützung und Unterbringung muss bedarfsgerecht nach dem Jugendhilferecht geschehen. An der Primärzuständigkeit der Jugendämter wird hierbei festgehalten; denn hier sitzen die
Experten. Es gilt ganz klar, dass die Kinder und Jugendlichen nur an fachgerecht ausgestattete und auf die Bedürfnisse der Flüchtlingskinder angepasste Jugendämter
übergeben werden. Eine Umverteilung geschieht nur unter Berücksichtigung des Kindeswohls.
Ich finde es gut, dass Sie in Ihrem Antrag fordern,
dass das Alter für die Verfahrensmündigkeit in aufenthalts- und asylrechtlichen Angelegenheiten auf 18 Jahre
angehoben wird. Auch wir in der SPD haben bereits
klargestellt, dass die bisherige Regelung, nach der Jugendliche rechtlich schon mit 16 Jahren als verfahrensmündig gelten, nicht richtig ist. Darum haben wir einen
entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag festgeschrieben. So wird es auch umgesetzt.
({4})
Verstärkt soll auch auf eine gemeinsame Verteilung
und Unterbringung geachtet werden. Dabei sollen nicht
nur familiäre, sondern auch persönliche Beziehungen
berücksichtigt werden. Kinder und Jugendliche, die sich
auf ihrer Flucht kennengelernt und gemeinsam den
schweren Weg nach Deutschland zurückgelegt haben,
sollten nicht getrennt werden. Sie haben Vertrauen und
Beziehungen zueinander aufgebaut. Sie bei einer Umverteilung wieder auseinanderzureißen, wäre unverantwortlich.
({5})
Der Königsteiner Schlüssel soll also nicht rigoros angewendet werden, sondern soll modifiziert werden. Das
Kindeswohl hat immer Vorrang. Es darf keine Verteilung
bei Kindeswohlgefährdung geben.
Mir ist es ganz wichtig, die Menschen mitzunehmen.
Wir dürfen nicht über die Kinder und Jugendlichen hinweg entscheiden, sondern sie müssen an dem Entscheidungsprozess beteiligt werden. Ihre Bedürfnisse und
Wünsche müssen ernst genommen und auch berücksichtigt werden. Das Thema der weiter gehenden Schaffung
von Beschwerde- und Beteiligungsmechanismen über
das Bundeskinderschutzgesetz hinaus ist Gegenstand der
Beratungen der Bund-Länder-AG zur Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung.
Auch der Zugang zu Ausbildung und Sprachkursen
muss verbessert werden. Wir dürfen die Kinder und Jugendlichen mit der Bewältigung ihres Alltags nicht alleinlassen. Sie brauchen Sicherheit und Perspektiven sowie die Möglichkeit, ihre Potenziale zu erkennen und zu
entwickeln. Laut UN-Kinderrechtskonvention hat jedes
Kind das Recht auf Bildung. Wir müssen daher darüber
diskutieren, den Aufenthalt bis zum Abschluss der Ausbildung zu gewährleisten und eine Übergangsregelung
zur anschließenden Arbeitssuche zu finden.
({6})
Darüber hinaus brauchen wir aussagekräftige Daten.
Wir benötigen eine verlässliche Auskunft darüber, wie
viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hier ankommen, wo sie herkommen, welche Transitstrecken sie
gewählt haben. Diese Daten sind notwendig, damit wir
effektiv helfen können. Sie sind wichtig, um die individuellen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen besser
zu verstehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie eingangs erwähnt: Wir haben alle das gleiche Ziel; wir müssen alle
am selben Strang ziehen. Auch die Kinderkommission
- das ist eben erwähnt worden - hat die Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Blick; dafür
auch von hier aus unseren herzlichen Dank. Lassen Sie
uns den Gesetzentwurf abwarten und gemeinsam das
Wohl der Kinder in den Vordergrund stellen.
Herzlichen Dank.
({7})
Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Tatsache, dass die Linke ihren
Antrag so kurzfristig vorgelegt hat, macht für mich eines
deutlich: Es geht nicht um eine ernsthafte, konstruktive
Diskussion über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge,
({0})
sondern es geht um reine Effekthascherei.
({1})
Auch die pauschale Forderung, der Bund solle einfach
mal mehr Kosten übernehmen, geht doch an der Realität
vorbei.
({2})
Bayern hat bereits Mitte 2014 auf den dringenden Handlungsbedarf hingewiesen und einen Gesetzentwurf im
Bundesrat eingebracht, mit dem die Verteilung von minderjährigen Flüchtlingen auf das Bundesgebiet ermöglicht werden soll.
({3})
Die Verteilung soll sich nach dem Königsteiner Schlüssel richten, der üblicherweise bei der Flüchtlingsverteilung angewendet wird.
Wie bei allen Kindern steht natürlich gerade bei minderjährigen Flüchtlingen das Kindeswohl an erster Stelle.
Für sie ist primär die Jugendhilfe zuständig, die die Jugendlichen gemäß § 42 SGB VIII in Obhut nehmen
muss. Dort ist im Übrigen - ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung - auch das Kindeswohl ausdrücklich verankert. Der Vorrang des Kindeswohls steht doch
damit überhaupt nicht ernsthaft zur Debatte.
({4})
In § 39 SGB VIII gibt es bereits grundsätzlich ein
Verfahren, wie die Kosten der Inobhutnahme zwischen
den Ländern verteilt werden. Das zentrale Problem ist
vielmehr, dass bisher die Kommune, in deren Gebiet der
minderjährige Flüchtling aufgegriffen wurde, während
der Erstklärungsphase und oft auch darüber hinaus für
das Kind zuständig bleibt. Die Inobhutnahmen konzentrieren sich damit vor allem auf bestimmte Kommunen,
die an den Hauptflüchtlingsrouten liegen. Für Bayern ist
es hier zum Beispiel das Jugendamt in Rosenheim, das
innerhalb eines Jahres 450 teilweise schwer traumatisierte Flüchtlingskinder aufgegriffen hat und rund 300
davon dauerhaft in Obhut nehmen musste. Obwohl sich
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort aufopfern
und alles daransetzen, gerät allein aufgrund der Fallzahlen das Kindeswohl in Gefahr, weil man mit diesen Kapazitäten schlicht nicht zurechtkommen kann. Die größten Kapazitäten sind irgendwann erschöpft. Wenn dann
traumatisierte Kinder in Pensionen oder in Turnhallen
untergebracht werden müssen, weil nicht mehr Platz
vorhanden ist, dann ist es im ureigenen Interesse der
Kinder, dass wir auch die Jugendämter in den Bundesländern in die Verantwortung nehmen, die weniger belastet sind.
({5})
Das Problem ist auch nicht eine strukturelle Unterfinanzierung der Jugendhilfe, wie es der Antrag suggeriert, sondern es sind schlicht die extrem angestiegenen
Fallzahlen. Bayern hat allein im letzten Jahr 3 400 Inobhutnahmen registriert. Diese Zahl wird auch für 2015 erwartet. Damit hat sich die Zahl im Vergleich von 2013
zu 2014 versechsfacht. Bayern hat auf den Anstieg reagiert und zumindest die älteren Jugendlichen bayernweit verteilt. Aber auch die Jugendämter in Bayern geraten aufgrund der hohen Fallzahlen an die Grenzen ihrer
Leistungsfähigkeit. Mit der Forderung, mehr Geld auszugeben oder neue Strukturen einzurichten, wo doch im
gesamten Bundesgebiet schon Strukturen vorhanden
sind, lösen wir das Problem gerade nicht. Das Augsburger Jugendamt hat erst kürzlich berichtet, dass es bei der
Besetzung von sechs neuen Stellen schlicht Probleme
hat, Personal zu finden. Auch diese Problemstellung
wird in Ihrem Antrag vollkommen ignoriert.
({6})
Warum? Gerade die Bundesländer, in denen die Linken an der Regierung beteiligt sind, nehmen nur sehr
wenige Fälle auf. Laut Statistischem Bundesamt haben
Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2013 zusammen 56 Schutzmaßnahmen für
unbegleitete minderjährige Ausländer gemeldet.
({7})
Bayern meldete im selben Zeitraum 575 Inobhutnahmen. Deren Zahl ist bei uns im letzten Jahr um das
Sechsfache angestiegen.
({8})
Daran sieht man: Wenn wir all diese Fälle gleichmäßig
auf alle Länder verteilen würden, hätten wir weitaus weniger Probleme. Wir müssten keine neuen Strukturen
schaffen, und wir müssten auch nicht zwingend mehr
Geld ausgeben.
({9})
Wenn Ihnen also wirklich etwas am Wohl der Kinder
liegt, dann plädieren Sie doch erst einmal dafür, dass wir
eine gerechte Verteilung innerhalb Deutschlands vornehmen. Warum haben sich denn die meisten Bundesländer
dem Vorschlag Bayerns angeschlossen und wollen das
jetzt auch umsetzen?
({10})
Aus genau diesem Grund: weil man damit erst einmal
den Druck herausnimmt. Das wird im Laufe dieses Jahres erfolgen. Es muss dann auch die Kostenverteilung innerhalb der Länder neu geregelt werden. Aber auch hier
- da bin ich mir sicher - wird man kurzfristig Lösungen
finden. Es kann auf keinen Fall angehen, dass man diese
schwierigen Fälle auf einige wenige Kommunen in
Deutschland konzentriert. Das ist den Kommunen, den
Mitarbeitern, aber auch den Kindern und Jugendlichen
gegenüber verantwortungslos.
({11})
Wenn ich wie gerade höre, es sei nicht möglich, dass
Jugendliche zum Zwecke der Ausbildung einen Aufenthaltstitel bei uns bekommen, dann muss ich sagen:
Schauen Sie auch hier ins Gesetz! Natürlich geht das
jetzt schon. Ich kann zum Zwecke der Ausbildung bei
uns einen dauerhaften Aufenthaltstitel erhalten. Das
muss dann aber auch von den Ländern mit einer entsprechenden Anweisung umgesetzt werden. Es gibt Länder,
die das besser machen, und Länder, die das weniger gut
machen. Aber auch für diesen Fall gibt es Gesetze. Es
liegt ausschließlich am Vollzug. Natürlich kann ein gut
ausgebildeter Jugendlicher, der eine entsprechende Fachkraft ist, auch im Anschluss an seine Ausbildung bei uns
bleiben und einen entsprechenden Aufenthaltstitel erhalten. Morgen wird der Bundesinnenminister den Entwurf
eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und
der Aufenthaltsbeendigung einbringen. Darin ist unter
anderem geregelt, dass gut integrierte Jugendliche unter
bestimmten Voraussetzungen bereits nach vier Jahren
eine Aufenthaltsberechtigung erhalten sollen.
({12})
Mit diesen Maßnahmen schaffen wir für jugendliche
Flüchtlinge, die sich gut integrieren, echte Perspektiven
in Deutschland. Solche - ich sage es einmal aus meiner
Sicht - Schaufensteranträge wie der heutige, die in keiner Weise zur Lösung des Problems beitragen und nichts
anderes enthalten als ein Nein gegen eine gerechte Verteilung, lösen das Problem weder kurzfristig noch mittelfristig.
Vielen Dank.
({13})
Damit sind wir am Ende der Rednerliste.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4185 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Da ich keinen Widerspruch höre, ist das
somit beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 - den letzten am heutigen Tage - auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Christian
Kühn ({0}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes
unverzüglich vorlegen
Drucksache 18/3919
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Damit eröffne ich zugleich die Aussprache. Erste
Rednerin ist die Kollegin Dr. Julia Verlinden von Bündnis 90/Die Grünen, der ich hiermit das Wort erteile.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Viele Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind von Abschaltung bedroht oder stehen bereits
still. Durch die sinkenden Börsenpreise für Strom sind
die KWK-Anlagen nämlich nicht mehr wirtschaftlich zu
betreiben. Insbesondere der vergleichsweise klimafreundlichen Erdgas-Kraft-Wärme-Kopplung droht das
Aus. Gleichzeitig verstopft immer mehr dreckiger Kohlestrom das Netz. Das ist energiewirtschaftlich und klimapolitisch völlig widersinnig.
({0})
Denn was wir benötigen, sind CO2-arme, flexible und effiziente Kraftwerke, die die Stromerzeugung aus Windund Sonnenstrom gut ergänzen können. Deshalb brauchen wir die KWK, und deshalb besteht dringender
Handlungsbedarf.
({1})
Doch Sie von der Bundesregierung schieben das
Thema auf die lange Bank. Während bei den Betreibern
vieler KWK-Anlagen tagtäglich Verluste anfallen, diskutieren Sie in der Bundesregierung über Strommarktdesign und Kapazitätsmärkte. Ihr langer Weg vom Grünbuch zum Weißbuch droht jetzt zum Schwarzbuch für
die Kraft-Wärme-Kopplung zu werden. Das lassen wir
Ihnen nicht durchgehen.
({2})
Trotz mehrfacher Ankündigungen hat die Bundesregierung bis heute keinen Gesetzentwurf für die Neufassung des KWK-Gesetzes und der Förderung vorgelegt.
Damit geraten nicht nur die Klimaschutzziele, sondern
auch Investitionen in Milliardenhöhe in Gefahr. Diese
Milliardeninvestitionen brauchen wir aber für einen flexiblen Kraftwerkspark und für ein modernes Energiesystem.
({3})
Was ist eigentlich mit dem Ausbauziel? Im geltenden
Gesetz steht: 25 Prozent KWK-Anteil an der Stromerzeugung bis zum Jahr 2020. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Aber jetzt? Kein Wort mehr davon, im Gegenteil. Sie haben sich bereits vom Ausbauziel für eine
klimafreundliche und effiziente Technologie verabschiedet. Das ist grob fahrlässig.
({4})
Die Experten, die Sie beauftragt haben, die Evaluierung
des KWK-Gesetzes vorzunehmen, haben Ihnen im Monitoringbericht ins Stammbuch geschrieben, dass dieses
Ziel deutlich verfehlt werden wird, wenn Sie so weitermachen. Das scheinen Sie im Ministerium einfach achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen.
Auch der Rest Ihrer Effizienzpolitik findet sich bisher
lediglich als Ankündigungen in Hochglanzbroschüren.
Dass man sich auf die Hochglanzbroschüren nicht verlassen darf, haben wir ja nun gelernt. Mit dem Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz haben Sie Versprechen
abgegeben, aber einlösen wollen Sie diese jetzt nicht.
Das hat das Beispiel Steuerbonus für energetische Gebäudesanierung gerade wieder einmal erschreckend
deutlich gemacht.
({5})
Also: Von bloßen Ankündigungen können sich die
Betreiber der KWK-Anlagen nichts kaufen. Ich frage
Sie, Herr Minister Gabriel: Wann geben Sie den Stadtwerken und Kommunen, die auf KWK setzen, endlich
Planungssicherheit?
({6})
Das müsste doch insbesondere den Kolleginnen und
Kollegen von den Sozialdemokraten ein Herzensanliegen sein.
({7})
- Das werden wir ja gleich hören. - Was Ihnen vermutlich weniger am Herzen liegt, ist uns Grünen dafür umso
wichtiger: Sorgen Sie dafür, dass das neue KWK-Gesetz
nicht zu einem neuen Fördertopf für Kohlekraftwerke
wird; denn Kohle und Klimaschutz vertragen sich nun
einmal nicht.
({8})
Wir Grüne haben nun einen ganz konkreten Vorschlag
für die Zukunft der KWK auf den Tisch gelegt. Wir legen dabei auf insbesondere drei Dinge Wert: erstens auf
einen Beitrag zum Klimaschutz, zweitens auf einen hohen Wirkungsgrad, also Effizienz, und drittens auf Flexibilität für das Energiesystem.
({9})
Deswegen wollen wir KWK-Anlagen, die mit Erdgas
oder erneuerbaren Energien betrieben werden, besser
fördern als bisher. Ebenso wollen wir Wärmenetze und
Wärmespeicher stärker ausbauen; denn beides nützt
beim Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, novellieren Sie das
Fördergesetz für die KWK unverzüglich in diesem
Sinne, und tun Sie endlich konkret etwas für Energieeffizienz und Klimaschutz!
Vielen Dank.
({10})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin
Dr. Herlind Gundelach.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
es gleich vorweg klar zu sagen: Auch für uns ist die
KWK ein elementarer Baustein „unserer“ Energiewende. Schon heute liegt der Anteil der Kraft-WärmeKopplung an der Stromerzeugung bei rund 16,2 Prozent.
Das sind immerhin 96 Terawattstunden Strom. Der Anteil am Wärmemarkt liegt mit rund 200 Terawattstunden
bei immerhin 20 Prozent. Damit ist die KWK eine tragende Säule unserer Energieversorgung.
KWK-Anlagen in allen Größenordnungen liefern klimaschonend - da stimme ich Ihnen absolut zu, Frau
Verlinden - und effizient Wärme für Strom für industrielle und auch für private Verbraucher. KWK ist für uns
ein intelligenter Weg, effizient mit Energiequellen umzugehen. KWK hat nämlich einen sehr hohen Wirkungsgrad. Während in konventionellen Kraftwerken zwischen 45 und 70 Prozent der Energie, die für die
Stromerzeugung eingesetzt werden, als Abwärme verloren gehen, haben moderne KWK-Technologien immerhin Wirkungsgrade von bis zu 90 Prozent. Deswegen
trägt KWK auch entscheidend zur Einsparung von CO2
und zur Erreichung unserer ehrgeizigen Klimaziele auf
nationaler und europäischer Ebene bei. Gegenüber der
ungekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung werden
rund 56 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Das zeigt
auch der Evaluierungsbericht im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ganz deutlich.
Die Betrachtung der CO2-Vermeidungskosten von
KWK zeigt, dass diese deutlich unter denen anderer Erzeugungsformen, zum Teil auch manch erneuerbarer
Energieträger, liegen. Das ist gerade vor dem Hintergrund einer effizienten und wirtschaftlichen CO2-Einsparung, die im Sinne des Verbrauchers übrigens immer
hohe Priorität haben muss, von großer Bedeutung.
Auch bieten KWK-Anlagen in verschiedenen Größen
interessante Ansätze, einen Beitrag zur Netz- und Systemstabilität zu leisten. So kann durch dezentrale KWK
dort Energie bereitgestellt werden, wo sie benötigt wird.
Durch den Eigenverbrauch des KWK-Stroms wird das
bestehende Stromversorgungssystem entlastet. Ausbau8722
bedarf und Leistungsverluste können so verringert werden.
Meine Damen und Herren, eine Novelle des KraftWärme-Kopplungsgesetzes muss jedoch gut durchdacht
sein
({0})
und im Einklang mit dem Strommarkt erfolgen,
({1})
kurz: Sie muss in das künftige Strommarktdesign passen. Denn es gibt Effekte und Entwicklungen - das ist
auch bei Ihnen gerade schon angeklungen -, die für den
künftigen Betrieb der KWK im Energie- und Strommarkt von großer Bedeutung sind.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag auf das Ziel verständigt, bis 2020 einen KWK-Anteil von 25 Prozent zu
erreichen. Das bedeutet aber, dass bis dahin erhebliche
neue Erzeugungskapazitäten entstehen würden, die zusätzlich etwa 50 Terawattstunden Strom erzeugen. Dabei
ist bei allen Beteiligten - von der Energiewirtschaft bis
hin zur Wissenschaft - unbestritten, dass wir im Strommarkt eigentlich erst einmal dringend Überkapazitäten
abbauen müssten, damit der Strommarkt wieder in ein
Gleichgewicht kommt.
({2})
Genau deshalb muss im Rahmen der KWK-Novelle die
Frage geklärt werden, welchen Bedarf an neuen KWKAnlagen der Strommarkt hat.
Eine weitere Herausforderung ist der steigende Anteil
der fluktuierenden erneuerbaren Energien. Deren Anteil
ist in den letzten fünf Jahren um 10 Prozent auf heute
immerhin 27 Prozent gestiegen. Das ist ein Erfolg der
Energiewende,
({3})
hat aber teils erhebliche Auswirkungen auf den Strommarkt. Die Solarenergie hat die ertragreiche Mittagsspitze geglättet. Der Börsenstrompreis hat sich in den
vergangenen vier Jahren fast halbiert. Auch der CO2Preis hat leider nicht die gewünschte Wirkung zugunsten
der KWK entfaltet.
({4})
- Darauf komme ich noch. - Unter diesen Rahmenbedingungen ist die KWK zunehmend unwirtschaftlicher
geworden.
Hinzu kommt, dass durch den steigenden Anteil der
erneuerbaren Energien künftig vor allem flexible konventionelle Anlagen gebraucht werden, die die fluktuierenden Anlagen ergänzen. Dabei stehen wärmegeführte
KWK-Anlagen ohne Speicher ebenfalls vor einer großen
Herausforderung.
Auch der Rückgang des Wärmebedarfs ist für die
KWK eine Herausforderung, die gerade auch auf lange
Sicht Auswirkungen haben wird; denn durch ein Mehr
an energetischer Gebäudesanierung wird die Nachfrage
nach Wärme sinken. Gerade für den Fernwärmebereich
wird der Rückgang des Wärmebedarfs langfristig auch
eine große Herausforderung darstellen.
Allerdings - und dabei gibt es eine Einschränkung wird aus meiner Sicht in den Großstädten mit einem hohen Anteil an Altbauten und einem hohen Anteil an
Mietwohnungen der Wärmebedarf nur langsam sinken.
Deswegen bleibt die KWK in Ballungsräumen auch in
Zukunft eine effiziente und klimaschonende Form der
Energieversorgung.
Meine Damen und Herren, all diese Herausforderungen sind teilweise nicht neu, aber sie haben die wirtschaftliche Situation der KWK ganz erheblich verschärft.
Unter den zuvor beschriebenen Marktbedingungen und
einem unveränderten Förderregime läuft die KWKStromerzeugung Gefahr, zu stagnieren. Auch das haben
Sie schon erwähnt, Frau Verlinden. Die Branche, unterfüttert von wissenschaftlichen Gutachten, befürchtet sogar einen deutlichen Rückgang.
Oft reichen bei KWK-Anlagen die Wärmeerlöse nicht
mehr aus, um das Defizit bei der Stromerzeugung zu decken. Wir müssen also über eine Kompensation für die
gefallenen Spotmarktpreise wie auch für die zusätzlichen Belastungen der Eigenerzeugung reden.
Derzeit wird die KWK, wie bekannt, mit einem Fördervolumen von 500 Millionen Euro gefördert. Der
KWK-Deckel liegt bei 750 Millionen Euro. Um den
Neubau und die Modernisierung zu ermöglichen, müssten die Fördersätze um den Faktor 2 und 3 erhöht werden. Das wären Mehrkosten von 2 Milliarden bis
2,5 Milliarden Euro, die jeder Verbraucher über die
KWK-Umlage mitbezahlen müsste. Hier müssen wir intensiv beraten, wie der Fördermechanismus weiterentwickelt werden soll und ob der Deckel von 750 Millionen
Euro erhöht werden muss.
Es geht also nicht darum, dass wir, wie Sie behaupten,
die KWKG-Novelle hintanstellen, sondern wir wollen
die KWK sinnvoll in den Strommarkt der Zukunft integrieren; denn alles andere ist teuer und ineffizient.
({5})
- Das denke ich nicht.
Weil die KWK großes Potenzial hat, ist klar, dass wir
zeitnah eine KWKG-Novelle auf den Weg bringen werden.
({6})
Ziel wird sein, verlässliche Rahmenbedingungen für Bestand und Neubau zu schaffen und die Flexibilisierung
der Anlagen weiter voranzutreiben. Gerne möchte ich
kurz einige wenige Handlungspunkte erläutern.
Erstens. Die Grünen schlagen in ihrem Antrag vor,
dass zukünftig kohlebefeuerte KWK-Anlagen keine Förderung mehr erhalten sollen.
({7})
Dazu muss ich Ihnen sagen: Das lehne ich ab. Man kann
nicht, wie es die Grünen tun, immer mehr KWK fordern,
zeitgleich aber die kostengünstigste KWK aus dem
Markt drängen.
({8})
Auch die Kohle-KWK trägt entscheidend zu einer effizienten und klimaschonenden Strom- und Wärmeversorgung bei; denn die Effizienz erwächst aus dem gekoppelten Prozess, nicht so sehr aus dem Einsatz des
Brennstoffs.
Zweitens. Im Rahmen der EEG-Novelle 2014 haben
wir erstmals eigenverbrauchten Strom mit der EEG-Umlage belastet. Neue Anlagen müssen schrittweise 40 Prozent der EEG-Umlage auf eigenverbrauchten Strom zahlen. Um den Ausbau der industriellen KWK nicht zu
verhindern, war Bestandteil der EEG-Novelle auch eine
Verordnungsermächtigung zur Anpassung der KWK-Zuschläge als Kompensation der Eigenverbrauchsbelastungen. Aus meiner Sicht ist es elementar, dass wir von dieser Verordnungsermächtigung im Rahmen der KWKGNovelle tatsächlich Gebrauch machen. Ein Drittel der
KWK-Nettostromerzeugung stammt aus industriellen
KWK-Anlagen. Es ist im Interesse des Klimaschutzes
und des Industriestandortes Deutschland, dass sich die
Industrie auch zukünftig effizient mit Prozesswärme und
Strom versorgen kann.
Drittens. Die Flexibilisierung der KWK-Anlagen
macht die KWK energiewendetauglich. Deshalb haben
wir schon vor drei Jahren, damals noch mit einer
schwarz-gelben Regierung, die Flexibilisierung der Anlagen und der Förderung vorangetrieben. Diesen Weg
werden wir auch künftig konsequent weitergehen und
den Ausbau der Wärmespeicher und anderer Flexibilisierungsinstrumente weiter fördern. Anlagen sollten
dann eine erhöhte Förderung bekommen, wenn sie Flexibilität erbringen können. Nur so können KWK-Anlagen künftig besser die fluktuierenden erneuerbaren Energien ergänzen.
({9})
- Ich zeige Ihnen auf, in welchen Bereichen wir darüber
nachdenken.
Meine Damen und Herren, KWK wird sich aber auch
- das sage ich ganz deutlich - wie alle anderen Energieerzeugungstechnologien dem Transformationsprozess
des Energiesystems stellen müssen. Unser Ziel ist es,
dass die KWK dabei auch künftig einen wesentlichen
Beitrag zu einer effizienten Strom- und Wärmeversorgung leistet.
Wir dürfen jedoch das Gesamtsystem nicht aus den
Augen verlieren. Deshalb ist es gut, wenn erst eine
Grundsatzentscheidung zum Strommarkt getroffen und
dann die KWK-Novelle zügig auf den Weg gebracht
wird.
Vielen Dank.
({10})
Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die
Kollegin Eva Bulling-Schröter.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Kraft-Wärme-Kopplung ist eine Brückentechnologie,
die diesen Namen tatsächlich verdient. Die Abwärme
heizt nicht mehr Flüsse oder die Umwelt, sondern Gebäude und Industrieprozesse. Der Wirkungsgrad von
Anlagen kann somit auf bis zu 90 Prozent erhöht werden. Das ist mehr als doppelt so viel wie bei normalen
Kraftwerken. Weil jede nicht verbrauchte Kilowattstunde die preiswerteste ist, muss die KWK ausgebaut
werden. Das war auch lange das Anliegen der Bundesregierung - jedenfalls auf dem Papier. Bereits seit Jahren
steht das Ziel fest, dass wir bis 2020 einen KWK-Anteil
an der Stromerzeugung von 25 Prozent erreichen wollen.
Erreicht haben wir bisher nur 16 Prozent. Der Ausbau
stagniert, und Anlagen werden teilweise sogar stillgelegt.
Im Grünbuch zum Strommarkt haben wir leider vergeblich nach einem Bekenntnis zum weiteren Ausbau
gesucht. Die dürren Sätze dazu lassen eher vermuten,
dass das Ziel infrage gestellt wird. Das halten wir für ein
verheerendes Signal.
({0})
Somit werden wir weiter vor uns hindümpeln.
({1})
Die KWK steht wirtschaftlich unter Druck, lieber Kollege Florian. Da die Braunkohleförderung nicht zurückgefahren wird, gibt es angesichts steigender Ökostrommengen einfach zu viel Strom. Der Preisverfall an den
Strombörsen mindert die Einnahmen aus dem Elektrizitätsanteil an der KWK-Leistung. Dieser Preisdruck fegt
aber dummerweise die Falschen aus dem Markt, nämlich
Gaskraftwerke und eben die KWK-Anlagen. Darum
sage ich jetzt an die Adresse der Union: Wer Gaskraft8724
werke erhalten will, der sollte nicht in erster Linie nach
milliardenschweren Kapazitätszahlungen rufen, sondern
sich zuallererst für Instrumente starkmachen, die die
Kohleverstromung eindämmen.
({2})
Es kann aber dauern, bis hier etwas passiert; das kennen wir ja. Deshalb müssen wir schnellstens die Vergütungen nach dem KWK-Gesetz anpassen. Passiert das
nicht, werden wir weder den Bestand sichern können
noch einen Ausbau vorantreiben. Das wollen wir aber
alle miteinander - zumindest habe ich das gehört. Auch
deshalb ist es unverständlich, dass sich die Bundesregierung so unendlich viel Zeit mit der KWK-Novelle lässt.
Es geht aber nicht nur um den aktuellen Druck. Kleine
bürgernahe KWK-Anlagen wie Blockheizkraftwerke
rechnen sich seit ewigen Zeiten nur durch den Eigenverbrauch, wenn überhaupt. Das ist ein zweischneidiges
Schwert; denn die in diesem Modus wegfallenden Zahlungen für die EEG-Umlage, die Netzentgelte, die
Stromsteuer und weitere Umlagen sind auch ein Anreiz
für große Unternehmen, bestehende KWK-Fernwärmenetze zu verlassen. Die Unternehmen bauen dann vermeintlich billig eine eigene Strom- und Wärmeversorgung im Unternehmen auf. Das ist nur vermeintlich
billig, weil die Stadtwerke durch die Kanibalisierung
von Wärmenetzen Großabnehmer verlieren und auf fixen Kosten sitzen bleiben und weil die Kosten der Energiewende und der Netze schlicht bei anderen Stromkunden abgeladen werden. Sinnvoll wäre es deshalb, den
Eigenverbrauch angemessen zu belasten und im Gegenzug die KWK-Zahlungen entsprechend zu erhöhen.
({3})
Das würde Unternehmen aller Größenklassen, die diese
Technologie anwenden, nutzen.
Wollen wir die KWK wirklich ausbauen, dann ist es
wichtig, überall dort Wärmekonzepte zu erarbeiten, wo
neue Gaskraftwerke oder Biogasanlagen gebaut werden.
Das tun andere Staaten wie Dänemark oder die Niederlande. Dort liegt der KWK-Anteil an der Stromerzeugung bei 40 Prozent bzw. 38 Prozent. Das nenne ich
Effizienzpolitik!
Zudem können sogenannte Schwarmstromkonzepte
die Zusammenschaltung regeln. Dazu gibt es mehrere
Vorschläge. Diese sind auch praktikabel. Ich denke, dass
diese Technologie eine preiswerte Option ist, um den
Energieverbrauch im Gebäudebestand zu senken. Das
spart auch Mieterinnen und Mietern Kosten.
Es gibt also sehr viele Gründe für die KWK. Packen
Sie es jetzt endlich an. Reden Sie nicht rum. Handeln Sie
jetzt. Packen wir’s!
({4})
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und letzter Redner am heutigen Tage ist der Kollege Florian Post, dem ich hiermit das Wort erteile.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, Sie haben in Ihrem Antrag sehr viel Richtiges
geschrieben. Die KWK ist hocheffizient. Sie ist klimaund ressourcenschonend. Hier herrscht also Übereinstimmung. Sie passt wegen der Ungleichzeitigkeit der
Einspeisemaxima von Photovoltaik und Wind auf der einen Seite und dem Wärmebedarf auf der anderen Seite
perfekt zur Energiewende. Wenn zusätzlich Speicher
zum Einsatz kommen, ist sie perfekt einsetzbar. Man
kann sich das hier in Berlin anschauen. Kollege Fritz
Felgentreu - er ist leider nicht mehr hier im Saal - hat
mir gesagt, dass in Neukölln Berlins größter Speicher
steht. Die KWK ist also eine sehr interessante und hocheffiziente Technologie.
Natürlich ist es so - auch das haben Sie richtig erkannt -, dass viele KWK-Anlagen in Not sind. Gerade in
der öffentlichen Versorgung und bei gasbefeuerten Anlagen haben wir in der Tat ein großes Problem. Auch sind
wir momentan mit 16 Prozent erzeugtem Strom aus
KWK-Anlagen weit vom Ausbauziel von 25 Prozent
entfernt, das im Koalitionsvertrag verankert ist; das gebe
ich hier gerne zu. Aber wir arbeiten daran, dieses Problem zu lösen. Wir sind uns jedoch darin einig, dass es
volkswirtschaftlich kompletter Unsinn wäre, das künftige Förderregime von KWK-Anlagen dahin gehend zu
gestalten, dass bereits geförderte Anlagen vom Netz gehen. Daher möchte ich dafür plädieren, dass wir als einen Schwerpunkt zunächst etwas im Bestand tun und
den Fokus auf die öffentliche Versorgung legen.
Natürlich wäre es zu schön, wenn wir uns nur einig
wären. Es gibt in Ihrem Antrag in der Tat ein paar
Punkte, denen ich hier nicht uneingeschränkt zustimmen
kann. Natürlich können wir die Novellierung des
KWKG nicht losgelöst von der Diskussion über das
Strommarktdesign betrachten. Hier sind eine ganzheitliche Betrachtung und auch eine Analyse notwendig, woher die Probleme bei der KWK eigentlich kommen. Momentan haben Gaskraftwerke kaum eine Chance, nicht
zuletzt wegen des daniederliegenden CO2-Zertifikatehandels. Durch die kohlebefeuerten KWK-Anlagen
werden diese Kraftwerke natürlich noch unwirtschaftlicher. In der Folge laufen die gasbetriebenen Anlagen zu
wenig, um wirtschaftlich zu sein.
Die Bundesregierung arbeitet gerade - das ist bekannt - im Rahmen des Grün- und Weißbuchprozesses
an der Novellierung des Strommarktdesigns. Dabei gilt
für uns, ganzheitlich betrachtet, natürlich das Ziel, auf
dem Energiemarkt Versorgungssicherheit herzustellen,
die Energie bezahlbar zu halten und die klimaschonende
Erzeugung von Energie zu sichern.
({0})
Wir fordern eine Einhaltung des Zeitplans und ganz entschieden die Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs. Hier machen wir als AG Wirtschaft und Energie
der SPD-Fraktion Druck, noch vor der Sommerpause einen Entwurf vorzulegen. Hier geht es uns um die konkrete Reihenfolge. Wir warten also zunächst die Grundsatzentscheidung ab und klären die Fragen betreffend die
Kapazitätsmärkte, Stichwort „Energy-only-Markt 2.0“,
oder wie auch immer das Kind heißen mag. Dann werden wir uns sofort an die Novellierung des KWK-Gesetzes machen.
Kollege Post, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Krischer?
({0})
Selbstverständlich.
Liebe Kollegen von der Union, Sie kommen gleich zu
Ihrem Feierabendbier, keine Sorge. - Herr Kollege Post,
herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Sie haben gerade sehr deutlich dafür plädiert, dass wir
eine KWK-Novelle brauchen. Sie haben auch klar die
Bundesregierung aufgefordert, hier zu handeln. Angesichts der Papiere und der Aussagen der Bundesregierung scheint mir nicht richtig klar zu sein, ob es überhaupt eine KWK-Novelle geben soll, erst recht nicht,
wann genau diese kommen soll. Ich habe die anderen
Redner so verstanden, dass es hier fraktionsübergreifend
eine große Bereitschaft gibt, sich schnell des Themas
KWK anzunehmen. Meine Frage an Sie: Wäre die SPDBundestagsfraktion bereit, wenn aus dem Bundeswirtschaftsministerium in Sachen KWK kurzfristig nichts
käme, aus dem Parlament heraus eine KWK-Novelle anzupacken?
Zunächst einmal wird es eine KWKG-Novelle geben.
Das ist also nicht fraglich. Sie wird kommen. Unsere
Forderung ist - ich habe das gerade schon in meiner
Rede klargemacht -, den Gesetzentwurf noch vor der
Sommerpause vorzulegen. Sollte das, wie Sie es vermuten, aus irgendwelchen Gründen eventuell nicht erfolgen
können, behalten wir uns als SPD-AG Wirtschaft und
Energie selbstverständlich das Recht vor - dann auch
gerne mit Ihnen zusammen; in Ihrem Antrag sind sehr
viele Punkte enthalten, die ich gut finde -, im Parlament
einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen, um im Sinne
der Kraft-Wärme-Kopplung sinnvoll fortzufahren und
diese zu erhalten.
({0})
Sie haben Ihre Zwischenfrage vor der nächsten Passage meiner Rede gestellt. Ich hatte mir nämlich auch
vorgenommen, zu sagen: Wir werden es als SPD-Bundestagsfraktion bzw. als AG Wirtschaft und Energie der
SPD nicht zulassen, dass durch zeitliche Verzögerung
die Kraft-Wärme-Kopplung torpediert wird. Aber wir
sagen ganz klar: Der Schwerpunkt liegt in der öffentlichen Versorgung und in der Bestandssicherung sowie in
der Modernisierung der Netze. Dabei ist für uns klar,
dass der Deckel der KWK-Förderung von 750 Millionen
Euro, wie er derzeit bemessen ist, diskutiert werden
muss.
Ein weiterer Kritikpunkt in Ihrem Antrag ist die Forderung, dass KWK auf Basis von Braun- oder Steinkohle künftig nicht mehr gefördert werden soll. Das
kann ich so nicht teilen. Denn wenn ich Ihren Antrag
richtig verstehe, dann gilt dies sowohl für Neubau als
auch für die von Ihnen geforderte Bestandssicherung.
Darin erkenne ich einen gewissen Widerspruch. Eine
Einschränkung der KWK-Kohleförderung wäre meines
Erachtens mit der Gefahr verbunden, dass man dadurch
die noch wirtschaftlichen oder gerade so mit positiven
Deckungsbeiträgen arbeitenden Kohle-KWK-Anlagen
in die Unwirtschaftlichkeit treibt, aber damit nicht zwingend erreicht, dass die bisher unwirtschaftlichen gasbefeuerten KWK-Anlagen wirtschaftlich werden. Hier
wäre in der Tat der KWK in Gänze kein Dienst getan.
Ich plädiere nicht dafür, undifferenziert nach dem
Gießkannenprinzip vorzugehen. Selbstverständlich können wir bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs darüber sprechen, wie wir bei den unterschiedlichen
Brennstoffarten mit der Förderhöhe vorgehen. Aber ich
plädiere dafür, dass wir diskriminierungsfrei an diese Sache herangehen, statt a priori eine bestimmte Brennstoffart zu diskriminieren.
Das 25-Prozent-Ziel, das Sie gut finden und an dem
Sie auch festhalten, nur mit Gas-, Biogas- und Biomasse-KWK zu erreichen, würde bedeuten, dass die
Kraft-Wärme-Kopplung insgesamt teurer würde, was
letztendlich über die KWK-Umlage der Stromverbraucher zu zahlen hätte. Das wollen wir nach Möglichkeit
verhindern.
Ich möchte noch kurz die Eigenverbrauchsregelung
ansprechen. Sie fordern, die Belastung von eigenverbrauchtem Strom mit Teilen der EEG-Umlage zurückzunehmen. In diesem Zusammenhang möchte ich für die
AG Wirtschaft und Energie der SPD noch einmal betonen, dass für uns KWK nicht gleich KWK ist. Mein
Schwerpunkt liegt, wie gesagt, in der öffentlichen Versorgung.
In der Tat muss man auch sogenannte Renditemodelle
gerade im Bereich von Mini-BHKW-Anlagen betrachten, die teilweise in Gastronomie- und Hotelbetrieben
eingesetzt werden und mit denen hohe zweistellige Renditen erzielt werden. Hier kann man die Axt anlegen,
weil eine weitergehende Förderung nicht unbedingt im
Sinne des Erfinders ist, noch dazu, wenn solche Anlagen
in Gebieten errichtet werden, wo Fernwärmenetze bestehen und dadurch die öffentliche Versorgung kannibalisiert wird.
Ich denke, dass wir in der Summe nicht sehr weit auseinanderliegen. Wir sind uns einig, dass wir die KraftWärme-Kopplung erhalten und weiter ausbauen wollen.
Wenn der Gesetzentwurf vorliegt - ich bin sehr optimistisch, dass er noch vor der Sommerpause vorliegen
wird -, freue ich mich auf weitere Diskussionen mit Ihnen im Ausschuss und im Plenum des Parlaments.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3919 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall, weil ich keinen Widerspruch sehe. Dann ist das somit beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich wünsche Ihnen noch einen friedvollen Abend.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. März 2015, 9 Uhr
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.